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German Pages [353] Year 2018
Schriften zur Politischen Musikgeschichte
Band 1
Herausgegeben von Sabine Mecking, Yvonne Wasserloos, Manuela Schwartz und Stefan Manz
Nina Sträter
Der Bürger erhebt seine Stimme Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf und die bürgerliche Musikkultur im 19. und 20. Jahrhundert
Mit einem Vorwort von Yvonne Wasserloos und einem Nachwort von Volker Kalisch Mit 6 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2511-6347 ISBN 978-3-7370-0890-7 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Wir danken dem StÐdtischen Musikverein zu Dþsseldorf e.V. fþr die ¼bernahme der Publikationskosten. 2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Auffþhrung der Sinfonie Nr. 8 (Sinfonie der Tausend) von Gustav Mahler am 11. und 12. Dezember 1912, Stadtarchiv Dþsseldorf: StAD Dþsseldorf, 4/69/0, M.V., 192. Zu sehen sind in der ersten Reihe links vom Pult die drei Solisten im Frack Thomas Denijs (Bass), Nicola Geisse-Winkel (Bariton) und Felix Senius (Tenor), in der Mitte auf dem Dirigentenpult der StÐdtische Musikdirektor Karl Panzner, sowie rechts von ihm die vier Solistinnen Gertrud Foerstel (Sopran), Anna Kaempfert (Sopran), Ilona Durigo (Alt) und Anna Erler-Schnaudt (Alt).
Inhalt
Grußwort (Thomas Geisel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grußwort (Hans-Georg Lohe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grußwort (Manfred Hill) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort (Yvonne Wasserloos) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Eine neue Gesellschaft und ihre Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Bürgerlichkeit und Bürgertum – Forschungsstand und Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Bürgerliche Musikkultur aus kulturtheoretischer Perspektive . 1.3 Voraussetzungen für die Entwicklung der bürgerlichen Kultur . 1.4 Offenheit des Systems der bürgerlichen Musik . . . . . . . . . 1.5 Eingrenzung des Begriffes Bürgertum . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Humanistische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Musikalische Ästhetik und klassischer Werkekanon . . . . . .
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2. Eine musikalische Region – Bürgerliche Musikkultur im Rheinland 2.1 Eingrenzung des Begriffes Rheinland . . . . . . . . . . . . . 2.2 Sangesfreude der Rheinländer . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Erste Musikfest-Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Bürgerliche Musikkultur und preußische Kulturpolitik in den Städten des Rheinlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
3. Alle Menschen werden Brüder – frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Niederrheinischen Musikfeste . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Niederrheinische Musikverein . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Bürgerlicher Idealismus als Motivation . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Repertoire und Aufführungsästhetik . . . . . . . . . . . . . . 4. Dilettanten betreten das Podium – Ursprünge der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Musikvereine in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . 4.2 Musikkultur in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Musikförderung durch die französische und die preußische Regierung in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Bürgerliche Musik in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Düsseldorfer Bürger organisieren sich – Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Gründung und Anfangszeit des Düsseldorfer Musikvereins . 5.2 Der Instrumentalverein und seine Vorläufer . . . . . . . . . 5.3 Mitgliederstruktur des Musikvereins . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der Düsseldorfer Musikverein und der Niederrheinische Musikverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Statuten des Düsseldorfer Musikvereins und seine Wirkungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Akteure bei der Gründung des Musikvereins (1819 bis 1833) 5.7 Entwicklungen nach Burgmüllers Tod (1824 bis 1833) . . . . 5.8 Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Repertoire bis 1833 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte für den Musikverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Frühe Jahre des Musikvereins – bürgerlicher Idealismus und Widrigkeiten des Alltags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Düsseldorfer Musikliebhaber und Felix Mendelssohn Bartholdys Anstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Beginnende Professionalisierung unter Mendelssohn (1833 bis 1835) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Julius Rietz (1835 bis 1847) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 117 124 127
7
Inhalt
6.5 6.6
Fortschreitende Professionalisierung und finanzielle Probleme Der Allgemeine Musikverein 1845 und der Unterstützer-Fond des Orchesters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Ferdinand Hiller (1847 bis 1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Revolutionäre Bestrebungen 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Robert Schumann (1850 bis 1854) . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Professionalisierung der Niederrheinischen Musikfeste . . . . 6.11 Repertoire des Musikvereins zwischen 1833 und 1853 . . . . .
7. Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Entwicklung der bürgerlichen Kultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fortschreitender Nationalismus . . . . . 7.2 Der Musikverein in der Ära Julius Tausch (1855 bis 1890) . . . 7.3 Julius Tausch als Städtischer Musikdirektor und Vereinsdirigent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Der Fall Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Konflikte und Intrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Gründung des Städtischen Orchesters 1864 . . . . . . . . . . . 7.7 Repertoire des Musikvereins unter Julius Tausch . . . . . . . . 7.8 Entwicklung der Niederrheinischen Musikfeste . . . . . . . . . 8. Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen 8.1 Julius Buths (1890 bis 1908) und der Wandel in der bürgerlichen Kultur ab 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Repertoire unter Julius Buths . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Buths’ Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Karl Panzner (1908 bis 1923) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Vertrag zwischen dem Musikverein und der Stadt . . . . . . 8.6 Repertoire unter Karl Panzner . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Die Niederrheinischen Musikfeste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8 Der Musikverein nach dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . 8.9 Georg Schn8evoigt (1924 bis 1925) . . . . . . . . . . . . . . . 8.10 Repertoire unter Schn8evoigt . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9. Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Hans Weisbach (1926 bis 1933) und die Anfänge des Nationalsozialismus in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . .
207 207
8
Inhalt
9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
Streit um Weisbach und seine Kündigung . . . . . . . . . . Streitigkeiten zwischen dem Musikverein und der Stadt . . Repertoire unter Weisbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufiges Ende der Niederrheinischen Musikfeste . . . . Chordirektoren Joseph Neyses, Michael Rühl und Herbert Zipper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10. Geschätzt für seine Tradition – der Musikverein und seine Rolle im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Nationalsozialistische Musikpolitik . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Düsseldorf im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Musikbetrieb im nationalsozialistischen Düsseldorf . . . . . 10.4 Generalmusikdirektor Hugo Balzer (1933 bis 1945) . . . . . . 10.5 Düsseldorfs exponierte Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Der Düsseldorfer Musikverein im Nationalsozialismus . . . . 10.7 Die Bedeutung des Musikvereins für die Nationalsozialisten . 10.8 Mitgliedschaft im Musikverein während des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Repertoire unter Hugo Balzer . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.10 Der Musikverein bei den Reichsmusiktagen . . . . . . . . . . 10.11 Die Rolle des Musikvereins als Träger des Systems . . . . . .
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11. In geregelten Bahnen – die Entwicklung des Musikvereins nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Die Situation 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Die Musikvereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Ein neuer Vertrag mit der Stadt und ein neues Statut (1949) . . 11.4 Heinrich Hollreiser (1945 bis 1952) . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Eugen Szenkar (1952 bis 1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Ren8 Heinersdorff als neuer Vereinsvorsitzender (1955) . . . . 11.7 Aufarbeitung contra Verdrängung – Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (1945 bis 1960) . . . . . 11.8 Die Niederrheinischen Musikfeste der Nachkriegszeit (1946 bis 1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9 Die Rheinischen Musikfeste (1984 bis 1988) . . . . . . . . . . . 12. Die Position des Musikvereins in der Düsseldorfer Kulturlandschaft . 12.1 Die Zeit der Konzertreisen und Schallplattenaufnahmen . . . .
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Inhalt
12.2 Streitigkeiten zwischen Stadt und Musikverein um Michael Rühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Repertoire des Musikvereins seit den 1960er Jahren . . . . 12.4 Einfluss der Düsseldorfer Bürger . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Die Frage nach der Identität . . . . . . . . . . . . . . . . .
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14. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nachbetrachtung (Volker Kalisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . 1. Ungedruckte Quellen . . . . 2. Zeitungen und Zeitschriften 3. Literatur . . . . . . . . . . .
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13. Übergreifende Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Musikalische Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Die Niederrheinischen Musikfeste . . . . . . . . . . . 13.3 Bürgerliche Musikkultur und Musikmarkt . . . . . . 13.4 Repertoire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6 Musikvereine und Politik . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grußwort
Liebe Leserin, lieber Leser, 2018 begeht der Städtische Musikverein zu Düsseldorf sein 200. Jubiläum. In diesem Festjahr wird der Verein wie auch die gesamte, große Musiktradition unserer Stadt gefeiert. Nun liegt ein Werk vor, das sich dem Geburtstagskind widmet und den Charakter dieses für Düsseldorf ungemein bedeutenden Vereins bereits im Titel »Bürgerliches Musikleben in Düsseldorf« trifft und vielleicht dort schon den Grund für seinen Erfolg nennt. Denn der Impuls für die Gründung des Musikvereins kam aus der Bürgerschaft. Es waren Düsseldorfer Einwohner, die sich von bis dahin vielfach geltenden höfischen und kirchlichen Zwängen emanzipierten, und das musikalische Leben unserer Stadt eigenverantwortlich gestalten wollten. Bis heute atmet der Verein diesen Bürgergeist. Er besteht aus Laien, die sich in ihrer Freizeit dem gemeinsamen Gesang widmen, findet freigiebige Förderer im Bürgertum und er tritt vor musikbegeisterten Einwohnern auf. Kurzum: Wie besser wohl kaum vorstellbar, ist der Musikverein bis heute Teil der Stadtgesellschaft. Und da mit der SingPause auch eines der schönsten Förderprojekte, um junge Menschen an die Musik heranzuführen, aus dem Verein heraus angeregt wurde, hat er in der Tat dazu beigetragen, dass die Teilhabe an Musik heute sehr viel umfassender ist, als es sich selbst die Initiatoren vor 200 Jahren vorstellen konnten. Düsseldorfs eindrucksvolle Geschichte als Musikstadt von Rang hat der Musikverein mitbegründet. Persönlichkeiten wie Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann standen an seiner Spitze und ihre Namen bleiben bis
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Thomas Geisel
heute nicht nur mit dem Verein, sondern mit der ganzen Stadt Düsseldorf verbunden. Düsseldorf hat einen der ältesten und größten Musikvereine, es kann stolz sein auf seine bürgerliche Musikkultur und auf die heutige Vielfalt seines musikalischen Lebens. Den Herausgebern und Autoren bin ich sehr dankbar, dem bürgerlichen Musikleben in Düsseldorf, seinen Anfängen und seiner Geschichte, wissenschaftlich fundiert, auf den Grund zu gehen, und damit einem prägenden Kapitel der Stadtgeschichte Raum zu geben. Gerne hat die Landeshauptstadt Düsseldorf die Veröffentlichung unterstützt. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. Ihr
Thomas Geisel Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf
Grußwort: »Bürgerliches Musikleben in Düsseldorf« – Städtischer Musikverein zu Düsseldorf
Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Musikfreunde, wer an den Begriff »klassische Musik« denkt, der hat vermutlich zuerst ein Orchester vor Augen, möglicherweise auch eine Oper oder einen jungen Mozart, der mit seiner Violine bei Hofe musiziert. Tatsächlich war das Musizieren jahrhundertelang ein Privileg der Adeligen. Im 19. Jahrhundert jedoch öffnete sich die Musik für das immer selbstbewusstere Bürgertum und so gründete sich im Jahre 1818 der Städtische Musikverein zu Düsseldorf. Dieses Ereignis jährt sich nun zum 200. Mal und es ist ein guter Anlass, um sich ausführlich mit dem beachtlichen Einfluss der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf zu beschäftigen. Die Anfänge und die darauf folgende Entwicklung des Vereins zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist, einen derart erfolgreichen und geschichtsträchtigen Musikverein in der eigenen Stadt verwurzelt zu wissen. Durch den Impuls zur Öffnung von Musik für die Allgemeinheit wurde es erst möglich, zeitgenössische Musik zu entwickeln und zu fördern. Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann beispielsweise waren nur zwei der einflussreichen Musiker, Komponisten und Dirigenten, die mit dem Musikverein zu Düsseldorf in den Anfangsjahren zusammenarbeiteten und die bis heute als zwei der größten deutschsprachigen Komponisten gelten. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch Julius Tausch, der 1864 den Grundstein für die heutigen Düsseldorfer Symphoniker und damit für die Tonhalle Düsseldorf legte.
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Hans-Georg Lohe
Auch in der jüngeren Vergangenheit zeigt sich der Einfluss des Musikvereins. Neuere Musikströmungen wie die der elektronischen Musik oder dem gesamten Pop/Rock- Spektrum hätten nicht entstehen können, wenn es nicht bereits vor 200 Jahren Institutionen gegeben hätte, die sich für die Ablösung des Rechts auf Musik von der Oberschicht eingesetzt hätten. Nicht zuletzt mit der SingPause leistet der Musikverein einen herausragenden Beitrag, um Schülerinnen und Schüler an die Musik heranzuführen. Die Arbeit des Musikvereins ist nicht nur für die Entwicklung der Musikkultur, sondern auch für die Anerkennung der Stadt Düsseldorf als Musikstadt im nationalen und internationalen Vergleich von Bedeutung. Viele internationale Gastspielreisen des Musikvereins haben hierzu ihre wertvollen Beiträge geleistet. Neben seiner historischen Bedeutung hat der Musikverein zu Düsseldorf auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er mit den ganz großen Akteuren der Musikwelt, von Orchestern wie dem Philharmonia Orchestra London, dem Bayerischen Staatsorchester oder dem Orchestre de Paris bis hin zu renommierten Dirigenten wie Wolfgang Sawallisch, Bernard Haitink oder Sir Roger Norrington erfolgreich zusammenarbeiten konnte: Der Chor des Musikvereins zeigt ein sehr großes Fingerspitzengefühl, sowohl was die Auswahl der Kooperationspartner als auch die Auswahl der aufgeführten Werke angeht. Von Stücken aus der Barockzeit, über die Romantik bis hin zu Acappella- Werken ist stets eine Ausgeglichenheit zwischen Tradition und Fortschritt gewahrt. In 200 Jahren Vereinsgeschichte gibt es viel zu erzählen. Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf hat es sich redlich verdient, stolz auf die vergangenen 200 Jahre mit allen Entwicklungen und Erfolgen zurückzublicken und sie dokumentieren zu können. Ich freue mich, dass wir von städtischer Seite dieses Projekt finanziell unterstützen konnten, um Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf eine Reise durch einen wichtigen Teil der Düsseldorfer Musikgeschichte mitnehmen zu können. Vor Ihnen liegen etwa 300 Seiten Geschichte, Gegenwart und Zukunft, unterstützt und veranschaulicht durch entsprechendes Bildmaterial. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und beim Entdecken zahlreicher Zusammenhänge mit heutigen Institutionen, Ereignissen und Kulturangeboten, die durch den Städtischen Musikverein zu Düsseldorf erst möglich gemacht wurden. Mein großer Dank für wahrlich unermüdlichen Einsatz geht dabei insbesondere an den langjährigen Vorsitzenden des Musikvereins, Herrn Manfred Hill. Die Realisierung der Dokumentation wurde ermöglicht durch die Vermittlung als Projekt an die Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf von Herrn Prof. Dr. Dr. Volker Kalisch, durch den konzeptionellen Aufriss und Begleitung
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Grußwort
von Frau Prof. Dr. Yvonne Wasserloos und durch die Umsetzung wie Ausarbeitung von Frau Dr. Nina Sträter. Allen Dreien sage ich hiermit Dank! Auf eine erfolgreiche Zukunft des Musikvereins Ihr
Hans-Georg Lohe Kulturdezernent der Landeshauptstadt Düsseldorf
Grußwort
Im Oktober 2012 gab unser ehemaliges Vorstandsmitglied Rainer Großimlinghaus den gedanklichen Anstoß, die von mir auf der Musikvereins-Homepage (www.musikverein-duesseldorf.de) platzierte »Musikvereins-Geschichte«, die dort zu einer umfassenden Chronik herangewachsen war, mit Blick auf das 200. Jubiläum des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf einer wissenschaftlichen Betrachtung unterziehen zu lassen. Den Gedanken trugen wir Prof. Dr. Yvonne Wasserloos vom Musikwissenschaftlichen Institut der Robert Schumann Hochschule vor und fanden im Mai .2013 schnelle Zustimmung. Ein weiterführendes Gespräch am Rhein auf einem der Hausboot-Restaurants mit Prof. Dr. Wasserloos, Prof. Dr. Dr. Volker Kalisch und mir brachte kurze Zeit später, sicher begünstigt durch die prachtvoll scheinende Mittagssonne und dem schmackhaften Flammkuchen, Klarheit zum angedachten Projekt und die Einigkeit, ein solches Vorhaben zu realisieren. Die Aufgaben waren schnell verteilt: Die Hochschule kümmert sich um das notwendige Personal und erstellt einen Rahmen für dieses Projekt, und ich, als Vorsitzender des Musikvereins, bemühe mich um die Finanzierung und den Transfer in die Politik. Also ging ich ganz pragmatisch vor und überbrachte den Gedanken an den Vorsitzenden des Kulturausschusses, Herrn Bürgermeister Conzen. Ziel war es, dass die Landeshauptstadt Düsseldorf mit der Robert Schumann Hochschule in eine vertragliche Vereinbarung einsteigt, die eine Forschungsarbeit mit dem Arbeitstitel »Entwicklung der bürgerlichen Musikkultur im Rheinland am Beispiel des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf« möglich macht. Drei Jahre
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Manfred Hill
Forschungsarbeit wurden anvisiert mit dem Ziel, eine Monografie im Jubiläumsjahr 2018 vorlegen zu können. Zwischen 2013 und 2015 war ich in erster Linie mit Überzeugungsarbeit beschäftigt und bekam schlussendlich über den Kulturdezernenten Hans-Georg Lohe eine feste Zusage des damaligen Oberbürgermeisters Dirk Elbers. Es folgte die Kommunal- und OB-Wahl. Mit Thomas Geisel bekam Düsseldorf einen neuen Oberbürgermeister. Also: Alles auf Anfang. Aber glücklicherweise stimmte der neue OB ebenfalls zu. So kam es zum ersten Vertrag der Stadt Düsseldorf mit der Robert Schumann Hochschule, ein besonderer Moment. Prof. Dr. Dr. Kalisch bestimmte Frau Dr. Nina Sträter zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin unter Führung von Frau Prof. Dr. Wasserloos. Diese hier geschilderte Entwicklungsgeschichte führte zur heute vorliegenden Monografie, für die ich mit großer Freude und auch ein wenig Stolz über das Erreichte an dieser Stelle ein Grußwort schreiben darf. So danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. Kalisch, Frau Prof. Dr. Wasserloos und Frau Dr. Sträter für die einzigartige Arbeit. Der Landeshauptstadt Düsseldorf danke ich für das Vertrauen in unser Projekt und dessen Finanzierung. Dem Leser wünsche ich Erkenntnisse über die Gestaltung und Entwicklung der Musik »Von Bürgern für Bürger« von der Vergangenheit bis heute. Dem Städtischen Musikverein zu Düsseldorf sind die vergangenen 200 Jahre Ansporn innovative Lösungen in unserer sich schnell verändernden Gesellschaft zu finden, die ein Entwicklungspotential für ein 3. Jahrhundert beinhalten.
Manfred Hill Vorsitzender des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. gegr. 1818
Danksagung
Während meiner Recherchen und beim Verfassen des Textes über den Düsseldorfer Musikverein und seine Bedeutung für die bürgerliche Musikkultur habe ich von zahlreichen Personen und Einrichtungen Unterstützung erhalten, denen ich hier gerne meinen Dank aussprechen möchte. An erster Stelle steht dabei die Stadt Düsseldorf, die das Projekt durch ihre großzügige Finanzierung überhaupt erst ermöglicht hat. Für ihre Arbeit als Projektleiterin, ihre Hilfestellung und Anregungen sowie die Aufnahme in die Publikationsreihe danke ich sehr herzlich Frau Prof. Dr. Yvonne Wasserloos, ebenso Frau Prof. Dr. Sabine Mecking, die als Mitherausgeberin der Reihe ebenfalls kundigen Sachverstand beisteuerte, und Herrn Prof. Dr. Dr. Volker Kalisch, der durch Hinweise, Empfehlungen und anderweitige Unterstützung zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Vergessen seien in dieser Auflistung keinesfalls meine Ansprechpartner beim Städtischen Musikverein zu Düsseldorf e.V. Herr Manfred Hill, Herr Rainer Großimlinghaus und Herr Georg Lauer, die in Gesprächen und durch das Bereitstellen von Materialien unverzichtbare Informationen geliefert haben. In die Danksagung einbeziehen möchte ich außerdem Frau Elisabeth von Leliwa M.A., Herrn Marcell Feldberg, Herrn Dr. Manfred Heidler und Herrn Dr. Odilo Klasen, die während meiner Arbeit an der Robert Schumann Hochschule jederzeit zu einem Gedankenaustausch bereit waren und mir bei Recherche mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Im musikwissenschaftlichen Institut der Robert Schumann Hochschule war außerdem Frau Daria Conrad bei allen organisatorischen Dingen eine große Hilfe. Für ihre ebenso freundlichen wie ausführlichen schriftlichen bzw. telefonischen Auskünfte danke ich Frau Waltraud Rexhaus M.A., Herrn Georg Mölich M.A. und Herrn Dr. Ernst-Heinrich Schmidt. Auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Archiven und Forschungseinrichtungen war für mich von unschätzbarem Wert und soll hier nicht unerwähnt bleiben. In diesem Sinne bedanke ich mich bei den Mitarbeitern des Stadtarchivs Düsseldorf, wobei ich namentlich seinen Leiter Herrn Dr. Benedikt Mauer und Frau Kerstin Früh erwähnen möchte, die mich mit über das Maß des Üblichen hinausgehendem Engagement unterstützt haben. Des Weiteren danke ich für die
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Danksagung
Hilfe bei meinen Recherchen Herrn Thomas Kalk und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Musikbibliothek der Stadtbücherei Düsseldorf, Frau Gabriele Pfau und den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliothek der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, außerdem Frau Dr. Sabine BrennerWilczek und Herrn Christian Liedtke M.A., (Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf), Frau Dr. Sabine Eibl und Herrn Dr. Martin Schlemmer (Landesarchiv NRWAbteilung Rheinland Duisburg), Herrn Karsten Lehl (Forschungsstelle zur Erfassung und Digitalisierung historischer Tonträger, Robert Schumann Hochschule Düsseldorf), Herrn Dr. Hans-Werner Langbrandtner (LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum Pulheim), Herrn Heinz Fehlauer (Bundesarchiv Berlin) sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin, der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, dem Landeshauptarchiv Koblenz und dem Stadtarchiv Wuppertal.
Yvonne Wasserloos
Vorwort: Musikvereine – Orte der Bildung und »Veredlung des Gemüths«
Musikalische Vereinigungen gleich welcher Couleur können »zur Bildung des musikalischen Geschmacks unendlich viel beytragen« und sollten daher weniger »dem gemeinen Zwecke des Zeitvertreibs, oder des Bekanntwerdens der Heiratslustigen« dienen.1 Der Heidelberger Jurist und Autor diverser Musiktheoretika Anton Friedrich Justus Thibaut umriss in seiner einflussreichen Schrift Ueber die Reinheit der Tonkunst die Funktionen eines Musikvereins in all ihren Facetten. Er definierte sie sowohl als Orte der Bildungsarbeit als auch des Sozialen und Geselligen (auch wenn dies nicht priorisierend ausgeübt werden sollte). Darüber hinaus sprach er insbesondere den Singvereinen oder dem Singen im Verein eine »Erhebung und Veredlung des Gemüths« zu. Damit zog Thibaut 1825 eine erste Bilanz unter eine bereits jahrzehntelang anhaltende Phase der Umstrukturierung des europäischen Musiklebens. Daran hatte das Musikvereinswesen als einer der Träger bürgerlicher Musikkultur erheblichen Anteil, Seine Bedeutung für die Pflege und Weiterentwicklung der Musik kann gar nicht überschätzt werden. So galt die Gründung von Musikvereinen im ausgehenden 18. Jahrhundert als Ausdruck der massiven Umbrüche. Im Zuge von Säkularisierung, Kriegsführung und der Neuordnung Europas mit dem Wiener Kongress 1815 richtete sich das private wie öffentliche Musikleben anders aus. Traditionen und gewachsene Strukturen der Musikpflege wurden durch die neue politische wie gesellschaftliche Situation in Frage gestellt oder brachen ganz in sich zusammen. Institutionen sowie Aufführungs- und Pflegeorte der Musik mussten sich völlig neu »erfinden« oder »erfunden« werden. Lokal wie regional liefen diese Prozesse gleichwohl je nach struktureller oder personeller Kontinuität in unterschiedlicher Ausformung und Intensität ab. Gemeinsam war allen die Errichtung einer von Bürgern getragenen Musikkultur, die nun mit einem Bildungsauftrag versehen wurde. In diesem Sinne erweiterte sich auch die Trägerschaft um Beamte, Lehrer oder Industrielle. Neben dem humanistischen Bildungsideal spielten 1 Anton Friedrich Justus Thibaut, Ueber die Reinheit der Tonkunst, Heidelberg 1825, S. 113.
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ebenso die Mechanismen zur Stiftung von Identität und Gemeinschaft als Teil des Vereinslebens zunehmend eine Rolle. Neben dem bereits erwähnten bildenden und sozialen Funktionen, scheint bei Thibaut noch eine weitere, moralische Ebene auf. Das »höhere Verständnis der Tonkunst« trage dazu bei, die Mitwirkenden »dadurch menschlich und sittlich zu veredeln«. Die »Veredlung« des Menschen durch Musik in ihrem Bildungs- und Vergemeinschaftungsaspekt stellt also bei Thibaut den zentralen Topos dar. Darüber hinaus bot gerade das, ob musikalisch, literarisch oder sportlich oder anderer Art ausgerichtete Vereinswesen im 19. Jahrhundert auch eine starke Projektionsfläche nationalstaatlicher Konstruktionen. Besonders die großformatig angelegten Aufführungen von sinfonischer Chormusik, vorrangig der Oratorien mit der Etablierung der entsprechenden Rahmenbedingungen durch die Musikfeste gerieten zu Ereignissen mit (nationalem) Symbolwert. Inwieweit dies für das Musikvereinswesen zumindest im deutschsprachigen Raum zutrifft, welche Entwicklungen hier zu verzeichnen sind und ob und wie sich das Profil der Vereine, ihre Tätigkeitsbereiche und der Aktionsradius in die Gesellschaft hinein wandelten, ist lediglich durch Mikrostudien konkreter zu betrachten. Dies ist bereits für zahlreiche Städte und Regionen unternommen worden. Anhand der Geschichte des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. wird dieses mannigfaltige Mosaik mit der Region des Rheinlands um einen weiteren Beitrag bereichert. Anlass der vorliegenden Studie war und ist das Jahr 2018, in das der 200. Jahrestag der Verankerung des Vereins in der Stadt fällt. Auch wenn dies sicherlich ein Anlass zur Freude und des Feierns ist, so versteht sich diese Monographie nicht als »Festschrift«, sondern als unabhängiger, kritischer und auf wissenschaftlichen Methoden fußender Blick auf die Entwicklung einer Institution. Gleichzeitig wird die Musikgeschichte Düsseldorfs und des Rheinlands mitberücksichtigt, innerhalb derer der Musikverein als integraler Bestandteil zu verstehen ist. Um allerdings nicht nur Geschichte(n) zu »erzählen«, enthält die Studie zwei Teile der Betrachtung, die Zugänge für verschiedene Leseinteressen bietet. Es findet sich der chronologische Gang durch die Geschichte von den Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit. Zäsuren und damit Momente einer Abschnittseinteilung werden weniger an politischen Umbrüchen fest gemacht, sondern auch an jenen, die in der Geschichte des Vereins intern den Abschluss oder Beginn einer Ära einläuteten. Die Wahl eines neuen Musik- oder Chordirektors markiert beispielsweise einen solchen Einschnitt. Dem schließt sich ein zweiter Großteil an, der systematisch konzipiert ist und unter gewissen Aspekten, Beobachtungen und Ergebnisse im direkten Vergleich analysiert und diskutiert. Diesen beiden Komplexen vorgeschaltet sind generelle Überlegungen zum Thema der »Bürgerlichkeit«. Denn zu hinterfragen ist auch, inwiefern Vereine durch ihren Partizipationsgedanken im Sinne des Einsatzes einer Gemeinschaft
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für eine Sache auch als Orte der Entwicklung und Pflege von Demokratie zu verstehen sind. Wo beginnt und endet aber der gleichsam künstlerische wie gesellschaftliche Auftrag und wendet sich ins politische? Diese Fragen drängen sich auf, da der Düsseldorfer Musikverein bei seiner Begründung deutlich herausstellte, nicht politisch agieren zu wollen. Ob und inwiefern aber auch politische Systeme auf den Verein einwirkten und zu Modifikationen im Denken und Handeln führten bzw. sich die Bedeutung des Vereins lokal wie regional damit veränderte, zeigt diese Studie. Den objektiven Ansatz, Vereinsgeschichte extern und unabhängig aufarbeiten zu wollen und zu müssen, haben sowohl die Verantwortlichen des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf als auch die Stadt Düsseldorf gleich erkannt und uneingeschränkt ideell wie finanziell mitgetragen. So konnte von 2015 bis 2017 das Forschungsprojekt »Düsseldorfs bürgerliches Musikleben« an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf eingerichtet werden. Zahlreiche daran beteiligte Personen finden sich mit entsprechenden Beiträgen in diesem Band versammelt wieder. Ihnen allen sei für die Unterstützung bei der Durchführung und dem Abschluss des Projekts mit dem »Produkt« eines Buches noch einmal ganz herzlich gedankt! 200 Jahre Vereinsgeschichte sind gleichermaßen ein beachtlicher Ausweis für Dauerhaftigkeit wie für die Spiegelung des musikhistorischen, politischen und sozialen Wandels. Gleichwohl ist eine Feststellung damals wie heute gültig und soll abschließend einen vielversprechenden Blick in die Zukunft des Düsseldorfer Musikvereins bedeuten. Man »könnte im Geist nicht alt werden, wenn ein freundliches Schicksal … den reinen Genuß einer veredelten Tonkunst lebenslänglich erhalten wollte.«2
2 Thibaut, Ueber die Reinheit, S. 125.
Einleitung
Seit nunmehr zwei Jahrhunderten ist der Städtische Musikverein zu Düsseldorf e.V. eine eng mit der Stadt verbundene kulturelle Einrichtung. Er entstand als Gruppierung von bürgerlichen Organisatoren ausgehend von den Niederrheinischen Musikfesten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts für das positive Image des Rheinlandes als musikalische Region große Bedeutung erlangten. Unter dem Dach des Vereins und seiner Vorläuferorganisationen waren zeitweilig Instrumentalisten und Chorsänger vereinigt. Der Instrumentalverein, der sich davon abspaltete, bildete später den Grundstock des Düsseldorfer Orchesters, das 1864 in städtische Trägerschaft überging. Heute sind die so entstandenen Düsseldorfer Symphoniker das Konzertorchester der Stadt und das Orchester der Deutschen Oper am Rhein, während der Musikverein als städtischer Konzertchor in Erscheinung tritt. Sein Vereinssitz ist die Tonhalle, deren Intendanz darüber entscheidet, an wie vielen ihrer Chorkonzerte der Musikverein jährlich beteiligt ist.1 Da bisher aus der Vorgeschichte und Anfangszeit des Städtischen Musikvereins vergleichsweise wenige Informationen verfügbar waren und einige Irrtümer aus dieser Phase in der Literatur weitergetragen wurden, soll in der vorliegenden Publikation auf diese Zeitspanne ein Schwerpunkt gelegt werden. Die Bewertung und Einordnung des Repertoires ist aus methodischen Gründen nur schlaglichtartig anhand einiger Beispiele möglich, denn für eine aussagekräftige Analyse wäre die Voraussetzung eine sorgfältige statistische Auswertung aller Aufführungen. Deren vollständige Rekonstruktion ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht möglich; insbesondere aus den ersten Jahren fehlen grundlegende Informationen. Aus dem gleichen Grund muss darauf verzichtet werden, die Mitgliederstruktur des Vereins und mögliche Veränderungen in den verschiedenen Phasen seines Bestehens näher zu untersuchen. Auch hier waren zu wenige Daten vorhanden, aus denen sich signifikante 1 Schriftliche Auskunft von Manfred Hill, E-Mail vom 9. 11. 2017. Manfred Hill ist seit 2002 Vorsitzender des Städtischen Musikvereins, von 1969 bis 1990 war er der Schatzmeister.
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Einleitung
Rückschlüsse auf den sozialen Status der Mitglieder, ihre Rolle innerhalb der Düsseldorfer Gesellschaft sowie ihre Einbindung in andere Vereine und städtische Netzwerke hätten ziehen lassen können. Bei der Auswertung von Informationen über den Instrumentalverein hat sich gezeigt, dass in der Geschichte der vereinsmäßig organisierten Düsseldorfer Instrumentalmusik noch Lücken bestehen, die nur durch weitere Forschung geschlossen werden können. Dokumente, die Informationen über die Geschichte des Städtischen Musikvereins liefern, sind an verschiedenen Orten in Düsseldorf zu finden. So wird ein Teil der überlieferten Materialien in der privaten Sammlung des Vereins in der Tonhalle aufbewahrt. Erhaltene Mitschnitte von Konzerten des Chores hat der frühere Vereinsarchivar Rainer Großimlinghaus in digitaler Form zusammengetragen und dokumentiert.2 Ein Bestand mit Musikalien aus dem Besitz des Vereins wurde 1990 dem Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf als Depositum übergeben und verzeichnet.3 Des Weiteren liegt im Stadtarchiv Düsseldorf ein 1992 aufgearbeiteter und katalogisierter Bestand des Musikvereins.4 Über die Vollständigkeit der erhaltenen Dokumente herrscht allerdings Unklarheit. 1944 wurden Musikalien und andere Unterlagen des Vereins in ein Kriegsdepot in Osterrode im Harz ausgelagert; laut einer Auflistung enthielten die Kisten 43 bis 48 »Verschiedenes, Klavierauszüge und Partituren« und die Kisten 49 bis 59 »Musikvereins-Akten und Verschiedenes«.5 Bei Wolfgang Horn findet sich der Hinweis, dass die britische Militärregierung am 30. September 1945 Musikinstrumente und Noten aus dem Kriegsdepot in Osterrode nach Düsseldorf zurückbringen ließ.6 Rexhaus vermerkt in diesem Zusammenhang, dass nicht bekannt ist, ob das Material an den Verein zurückgegeben wurde.7 Da aktuell keine weiteren Unterlagen über den Vorgang vorliegen, lässt sich aus heutiger Perspektive nicht feststellen, ob bei den Transporten Dokumente verloren gegangen sind und wenn ja, in welchem Umfang. Sein langes Bestehen und seine Verbindung mit der Stadt machen den Düsseldorfer Musikverein an sich schon für die Regionalgeschichtsforschung interessant. Unabhängig von ihrer lokalen Bedeutung sind städtische Musikvereine jedoch generell lohnende Untersuchungsobjekte, die, obwohl sie Einblicke 2 Vgl. Rainer Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik. Das Schallarchiv des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Klingende Dokumente, o. O. 2009. 3 Vgl. Susanne Cramer, Die Musikalien des Düsseldorfer Musikvereins. 1801–1929. Katalog, Stuttgart u. a. 1996. 4 Vgl. Bestand 4/69/0 StAD Düsseldorf; Waltraud Rexhaus, Findbuch zum neueren Teil des Archivs des Städtischen Musikvereins Düsseldorf, Brauweiler 1992. 5 Korrespondenz über die Auslagerung von Materialien des Musikvereins, 7. 11. 1944, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 9–10. 6 Vgl. Wolfgang Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf. Situation und Neubeginn nach 1945, Opladen u. a. 1981, S. 64. Bedauerlicherweise gibt der Autor keine Quelle für diese Aussage an. 7 Vgl. Rexhaus, Findbuch Musikverein, S. iii.
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in die bürgerliche Musikkultur und ihren Einfluss auf die Entstehung des Konzertwesens liefern können, bisher von der Forschung eher stiefmütterlich behandelt worden sind.8 Bevorzugt werden von Wissenschaftlern als Untersuchungsgegenstand meist Orchester, abhängige Institutionen und Berufsmusiker gegenüber Chören, unabhängigen Institutionen und Laienmusikern.9 Angesichts der großen Bedeutung des Vereinswesens im 19. Jahrhundert, die von der Geschichtsforschung klar erkannt wird, ist es verwunderlich, dass die Musikwissenschaft zwar durchaus auf den Einfluss von Musikvereinen auf die Musikausübung und Musikrezeption hinweist, aber diesen bisher nur selten anhand von regionalen Beispielen aufgezeigt hat.10 Aufgrund der bedeutsamen Rolle, die Vereine in der Geschichte des Bürgertums gespielt haben, wurden in der Literatur über die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft seit Anfang des 19. Jahrhunderts11 zahlreiche Aspekte des Vereinswesens thematisiert; andere Publikationen rücken dieses Thema direkt in den Mittelpunkt.12 In der aktuellen Literatur werden meist Fragen nach Organisationsformen, Zukunftsperspektiven und der Zeitgemäßheit von Vereinen aufgeworfen.13 Neben wissenschaftlichen Arbeiten über musikalische Vereine, die unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden,14 fällt auf, dass bisher nur wenige Publikationen über dieses Thema erschienen sind, die ihre Aussagen auf die 8 Vgl. Claudia Heine, »Aus reiner und wahrer Liebe zur Kunst ohne äußere Mittel«. Bürgerliche Musikvereine in deutschsprachigen Städten des frühen 19. Jahrhunderts, Zürich 2009, S. 4, 5, 8. 9 Vgl. Stephan Wünsche, Die Leipziger Singakademie – Mitglieder, Repertoire und Geschichte. Studien zur Chormusik in Leipzig, besonders am Gewandhaus, Leipzig 2014, S. 12. 10 Vgl. Wünsche, Leipziger Singakademie, S. 13, 15. 11 Vgl. hierzu S. 32, Fußnote 8. 12 Vgl. beispielsweise Otto Dann (Hg.), Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, Historische Zeitschrift Beiheft 9, München 1984; Hartmut Boockmann/Arnold Esch/Hermann Heimpel/ Thomas Nipperdey/Heinrich Schmidt, Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte historischer Forschung in Deutschland, Göttingen 1972; Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung, in: Thomas Nipperdey, Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, S. 174–205. 13 Vgl. beispielsweise Thomas Röbke, Der Verein als Form zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation – Historische Betrachtungen und aktuelle Schlussfolgerungen, Newsletter Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 01/2012, Internetseite Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, (28. 2. 2018); Stefan Liebing/Angela Koch (Hg.), Ehrenamt Musik 2. Vereine und Institutionen auf dem Weg in die Zukunft, Regensburg 2007. 14 Vgl. beispielsweise Dietmar Klenke, Der singende »deutsche Mann«. Gesangvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998; Laurenz Lütteken (Hg.), Zwischen Tempel und Verein. Musik und Bürgertum im 19. Jahrhundert. Züricher Festspiel-Symposium 2012, Kassel 2013.
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Auswertung umfangreicher empirische Daten stützen. So hat beispielsweise Claudia Heine in ihrer Arbeit über bürgerliche Musikvereine im deutschsprachigen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts15 für die Zeit zwischen 1800 und 1840 etwa hundert Musikvereine nachgewiesen16 und Informationen über diese ausgewertet. In die Untersuchung von Elke und Herbert Schwedt zu Gesang- und Musikvereinen zwischen 1800 und 2000 sind Daten aus insgesamt 5.000 Städten, Orts- und Stadteilen aus verschiedenen deutschen Bundesländern mit rund 10.000 musikalischen Vereinen eingeflossen.17 In diesem Zusammenhang sollen auch die Publikationen von Andrea Therese Thelen-Frölich und Dorothee Martha Weber18 genannt werden, die für verschiedene Untersuchungszeiträume den Düsseldorfer Musikverein als Bestandteil des städtischen Musiklebens mit Blick auf seine Organisationsstruktur und sein Programmgestaltung untersucht und zu anderen Gruppierungen in Beziehung gesetzt haben. In beiden Arbeiten werden Daten über das Repertoire erhoben und ausführlich analysiert. Umfangreich ist hingegen die regionale Literatur über einzelne musikalische Vereine, die meist in Form von Festschriften anlässlich eines Jubiläums vorgelegt wird.19 Im Zusammenhang mit der Vereinsforschung ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Umgang mit organisationseigenen Quellen problematisch sein kann, da Vereine nicht selten zu einer tendenziösen, um nicht zu sagen idealisierenden Selbstdarstellung neigen.20 Um über die Lokal- und Regionalforschung hinaus einen wissenschaftlich relevanten Beitrag zu leisten, ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, den Städtischen Musikverein zu Düsseldorf e.V. ausgehend von seiner Geschichte, seiner Organisationsstruktur und seiner Programmgestaltung exemplarisch als einen Repräsentanten der sogenannten bürgerlichen Musikkultur zu untersuchen. Auf 15 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine. 16 Vgl. Claudia Heine, Im Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und Sakrilisierung. Programmgestaltung in bürgerlichen Musikvereinen des frühen 19. Jahrhunderts, in: Laurenz Lütteken (Hg.), Zwischen Tempel und Verein. Musik und Bürgertum im 19. Jahrhundert. Züricher Festspiel-Symposium 2012, Kassel 2013, S. 92–115, hier S. 94. 17 Vgl. Elke Schwedt/Herbert Schwedt, Gesang- und Musikvereine 1800–2000. Zur Geschichte und Verbreitung laienmusikalischer Vereinigungen, Köln 2002, S. 3. 18 Andrea Therese Thelen-Frölich, Die Institution Konzert zwischen 1918 und 1945 am Beispiel der Stadt Düsseldorf. Der Konzertsaal als Politikum, Kassel 2000; Dorothee Martha Weber, Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Oper in der Zeit von 1890 bis 1923, Kassel 1990. 19 Vgl. beispielsweise Rainer Neuwirth, 100 Jahre Städtischer Musikverein Bottrop e.V. Eine Chorgeschichte in Text und Bildern, Bottrop 2017; Elmar Bach, Jubiläumsfestschrift 100 Jahre Musikverein »Lyra« Igel 1909 e.V., Igel 2009; Norbert Pritsch, 150 Jahre Städtischer Musikverein Paderborn, Paderborn 1974; Bielefelder Musikverein (Hg.), 100 Jahre Bielefelder Musikverein 1820–1920, Bielefeld 1920. 20 Vgl. Schwedt, Laienmusikalische Vereinigungen, S. 5.
Einleitung
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den ersten Blick scheint diese Zuordnung selbstverständlich zu sein, da sich der Verein ja musikalischen Aktivitäten widmet, die Mitglieder Bürger einer Stadt bzw. eines Landes sind und seine Organisationsform an sich schon als traditionell bürgerlich bekannt ist. Die Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Musikkultur ist jedoch komplex und keineswegs selbsterklärend, weshalb sie im folgenden Kapitel vorgestellt werden soll.
1.
Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
1.1
Bürgerlichkeit und Bürgertum – Forschungsstand und Begrifflichkeit
Bezeichnungen wie Bürger, Bürgertum und Bürgerlichkeit sind zwar alltäglich, doch in ihrer Bedeutung keineswegs einheitlich und im Laufe der Zeit mit immer neuen Zuschreibungen und Definitionen belegt worden. Als Merkmal aller Individuen, die unter dem Begriff subsumiert werden, gilt, dass sie »vollberechtigte Angehörige eines politischen Gemeinwesens«1 sind und innerhalb dieser Gemeinschaft bestimmte Rechte besitzen, aber auch Pflichten zu erfüllen haben – eine Festlegung, die schon auf die Bürger der Antike und des Mittelalters zutraf.2 In der vorliegenden Publikation soll der Fokus jedoch auf jenem Bürgertum liegen, das sich Ende des 18. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Gebieten zu emanzipieren begann und im 19. Jahrhundert zum Träger einer eigenen bürgerlichen Kultur wurde, deren typische Organisationsform der Verein war und die zum überwiegenden Teil in den Städten praktiziert wurde.3 Auch in anderen europäischen Ländern wurden Vereine und Assoziationen gegründet, doch unterscheiden sich diese durch ihre Entstehungsgeschichte und ihre Zielsetzungen von den deutschen in vielerlei Hinsicht.4 So waren beispielsweise Vereine in England vergleichsweise stark auf Professionalität und das Streben nach Gewinn ausgerichtet.5 Entscheidende Faktoren für die spezifisch deutsche Form des Vereinswesens waren die Ideale der humanistischen Bildung6 1 Michael Schäfer, Geschichte des Bürgertums, Köln 2009, S. 14. 2 Vgl. Schäfer, Geschichte des Bürgertums, S. 14; zu Formen des Bürgertums in der Antike und dem Mittelalter generell vgl. ebd. S. 13–23. 3 Einen Überblick über den Forschungsstand zu den Themen Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft liefert beispielsweise Andreas Schulz, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 53–103. 4 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 35f. 5 Vgl. ebd., S. 35. 6 Vgl. ebd.
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Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
sowie gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Zu diesen zählte das Eintreten der Bevölkerung gegen eine absolutistische Herrschaft, was 1848 zu revolutionären Bestrebungen führte, deren Ziele jedoch nicht erreicht wurden, außerdem das Fortbestehen der Aristokratie und deren Präsenz in den meisten Bereichen des öffentlichen Lebens, das Fehlen eines Nationalstaates bis 1871, damit einhergehend die Pluralität von Herrschaftsformen und -gebieten sowie die sozialen Unterschiede zwischen Großstadt und der Provinz.7 An den zahlreichen Publikationen, die in Disziplinen wie der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder der Politikwissenschaft entstandenen sind,8 lässt sich die große, fachübergreifende Bedeutung ablesen, welche die Wissenschaft der Erforschung dieses ›neuen‹ Bürgertums zuschreibt, durch dessen Einfluss gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen wie Kulturpolitik, Konzertbetrieb und Kunstmarkt geschaffen wurden, die bis heute im Alltag präsent sind. Die neuen Bürger definierten sich nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten darüber, dass sie das Bürgerrecht innerhalb einer bestimmten Stadt besaßen, sondern über Faktoren wie Einstellungen, Werte, Überzeugungen und Bildung.9 Entscheidend für die thematisierte Entwicklung, die von der Säkularisierung vorangetrieben wurde, war, dass die Bürger allmählich in eine Rolle zu schlüpfen begannen, die bis dahin Adel und Klerus vorbehalten gewesen war, indem sie die Organisation von Kunst und künstlerischen Darbietungen selbst in die Hand nahmen. Konkret auf dem Gebiet der Musik bedeutete dies, dass sie Werke zur Aufführung brachten und die musikalische Bildung der Ausführenden und auch des Publikums erweiterten. Wissenschaftliche Positionen zur Bedeutung des Bürgertums in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zu seinem Fortbestand in der heutigen Zeit werden in der Öffentlichkeit unterschiedlich bewertet und nicht selten heftig diskutiert. An dieser Stelle ist kein Raum, um den Stand der gesamten Bürgertumsforschung und die dazugehörige Diskussion darzustellen. Die folgende Zusammenfassung soll jedoch dazu dienen, den thematischen Hintergrund zu liefern und einige Begriffe zu klären. 7 Otto Dann, Vorwort des Herausgeber, in: Dann, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft, S. 5–9, hier S. 8. 8 Exemplarisch seien hier genannt: Jürgen Kocka, (Hg.) Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. 3 Bde. München 1988; Lothar Gall (Hg.), Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert. München 1990; M. Rainer Lepsius (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil III. Lebensführung und ständische Vergesellschaftung, Stuttgart 1992; Dieter Hein/Andreas Schulz (Hg.), Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996; Peter Lundgreen (Hg.), Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereiches (1986–1997), Göttingen 2000; Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000. 9 Vgl. Schäfer, Geschichte des Bürgertums, S. 38f.
Bürgerlichkeit und Bürgertum – Forschungsstand und Begrifflichkeit
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Wichtig für die Einordnung von Forschungsergebnissen zum Thema Bürgertum ist die Tatsache, dass der Begriff Bürger mit verschiedenen Bedeutungen belegt ist und in einem politischen (1), ökonomischen (2), sozialen (3) oder kulturellen (4) Sinne verwendet werden kann.10 Politisch-verfassungsrechtlich (1) wird eine Person als Bürger definiert, die das staatliche oder städtische Bürgerrecht besitzt; in der französischen Sprache ist dies der »citoyen«. Als ökonomische Kategorie (2) bezeichnet Bürger die Zugehörigkeit zu einer Klasse, die über ein gewisses Einkommen verfügt – auf Französisch »Bourgeoisie«. Diese Angehörigen des dritten Standes im 18. Jahrhundert, die weder zum Adel noch zum Klerus gehörten, waren Städter und besaßen das Privileg, Steuern zu zahlen (ein Privileg war dies insofern, als dass sich die Abgabe am Einkommen orientierte, während die Bauern ihre Pacht zu zahlen hatten, ohne dass die Höhe der Abgabe angepasst wurde11). Ein prominenter Theoretiker, der die Begriffsbestimmung ›Bürger gleich bourgeois‹ in seinen Schriften zugrunde gelegt hat, war Karl Marx. Er definiert den Bürger als Vertreter einer Klasse, die über genügend Kapital und Produktionsmittel verfügt, um das Proletariat ausbeuten zu können.12 Angestoßen von Marx’ Verwendung des Begriffes gab es in der deutschen Forschung über einen langen Zeitraum die Tendenz, das Bürgertum grundsätzlich als eine Klasse oder Schicht zu definieren.13 Eine ähnliche Art der Zuweisung entsteht, wenn die Definition über die soziale Rolle des Bürgers (3), also seine berufliche Situation und seine Interaktion mit anderen Menschen, erfolgt, denn auch dabei verweist die Festlegung auf eine in der Gesellschaft real existierende Gruppierung. Anders funktioniert hingegen die Eingrenzung des Bürgertums über seine Kultur (4), da hierbei die Zugehörigkeit an gemeinsamen Wertvorstellungen, Mentalitäten und Idealen festgemacht wird.14 Im Folgenden 10 Kategorisierung nach Manfred Asendorf/Jens Flemming/Achatz von Müller/Volker Ullrich, Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe, Reinbek 1994, S. 110. 11 Vgl. Hartmut Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 8. Aufl., München 2007, S. 47f. Bookmann beschreibt hier den Unterschied von Steuern und Pacht in der Zeit des Mittelalters; die grundsätzliche Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen hat aber auch noch in späteren Jahrhunderten Gültigkeit. 12 Vgl. Asendorf, Lexikon, S. 110. 13 Vgl. Friedrich H. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, in: Friedhelm Neidhardt/M. Rainer Lepsius/ Johannes Weiss (Hg.), Kultur und Gesellschaft (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Beiheft 27), Opladen 1986, S. 263–285, hier S. 263. 14 Die zwei großen deutschen Forschungsprojekte über das Bürgertum waren die von Lothar Gall geleitete Frankfurter Historikergruppe Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert und der Bielefelder Sonderforschungsbereich zur Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums. Die Frankfurter Gruppe hat sich primär mit dem Realkollektiv der Bürger und deren konkreter Lebenswelt im städtischen Milieu beschäftigt und zu diesem Zweck empirische Daten aus zahlreichen deutschen Städten ausgewertet, während die Bielefelder Forschung die Frage nach der Entstehung und Bedeutung von bürgerlichen Werten, Mentalität, Kultur und Lebensstil in den Mittelpunkt rückt, Vgl. Gunilla Budde, Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Darmstadt 2009, S. 2, Schäfer, Geschichte des Bürger-
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Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
soll dargestellt werden, warum dieser Ansatz als theoretische Grundlage der vorliegenden Arbeit gewählt wurde.
1.2
Bürgerliche Musikkultur aus kulturtheoretischer Perspektive
Laut dem Soziologen Friedrich H. Tenbruck ist in der Forschung eine Tendenz zu beobachten, die Existenz der bürgerlichen Kultur als das Werk des Bürgerstandes zu erklären;15 anstelle von ›Stand‹ würden auch die Begriffe ›Klasse‹ oder ›Schicht‹ verwendet. Entscheidend jedoch ist, dass die Begründer der bürgerlichen Kultur zumeist »sozioökonomisch«16 definiert werden, also als Gruppe von Menschen mit bürgerlichem Beruf, geregeltem, vergleichsweise gehobenem Einkommen und einer entsprechenden Position innerhalb der Gesellschaft.17 In der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der Forschungsliteratur ist das Bürgertum darüber hinaus meist untrennbar mit der sogenannten Hochkultur verbunden, deren Werke es rezipiert und fördert. So beschreibt beispielsweise Schmuhl das enge Verhältnis von Bürgerlichkeit und Hochkultur auf den Gebieten Literatur, Musik, Theater, bildende Kunst und Architektur : Durch die Aneignung dieses Kulturgutes habe das Bürgertum eigene ästhetische Normen und Konventionen entwickelt und einen kulturellen Habitus eingeübt, um damit die bürgerlichen Berufsklassen über soziale, wirtschaftliche, politische, konfessionelle und regionale Unterschiede hinweg zusammenzuhalten.18 Der exemplarisch bei Schmuhl gezeigte Ansatz, die Mitglieder des Bürgertums als die Erzeuger dieser Kultur zu betrachten und konkrete kulturelle Ereignisse und Entwicklungen des Alltags in dieses Modell einzuordnen, bringt methodische Probleme mit sich, die Tenbruck 198619 dargestellt hat. Angestoßen durch seine Publikation hat sich in der Soziologie eine neue Perspektive eröffnet, die die etablierte Betrachtungsweise komplett umkehrt. Die bürgerliche Kultur wird nun nicht mehr als Epiphänomen betrachtet, also nicht als nur schmückendes Beiwerk, das der Bürger sich aneignet, sondern als eine vollkommen neue Erscheinungsform von Kultur,20 durch die im ausgehenden 18. Jahrhundert das
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tums, S. 38–40. Eine Übersicht über Entwicklung und Ergebnisse der beiden Forschungsprojekte liefern beispielsweise folgende Publikationen: Lundgreen, Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums; Gall, Stadt und Bürgertum. Vgl. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 263. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 263. Beispielsweise Peter Lundgreen, Einführung, in: Lundgreen, Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums, S. 13–39, hier S. 18f. Vgl. Hans-Walter Schmuhl, Bürgertum und Stadt, in: Lundgreen, Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums, S. 224–248, hier S. 246. Vgl. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, 1986. Vgl. ebd., S. 263.
Voraussetzungen für die Entwicklung der bürgerlichen Kultur
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sich emanzipierende Bürgertum überhaupt erst zu dem wird, was es ist – nämlich indem es ein eigenes kulturelles System für sich konstruiert. Auf einen Nenner gebracht heißt dies, dass nicht das Bürgertum die bürgerliche Kultur erschafft, sondern die bürgerliche Kultur die Erschaffung des Bürgertums ermöglicht. Dieser neuartige kulturtheoretische Ansatz darf heute als ernstzunehmende These gelten, die die Bürgertumsforschung in den 1980er Jahren angestoßen und nachhaltig geprägt hat.21 Um zu verstehen, warum Tenbruck und andere Theoretiker der Kultur im Zusammenhang mit der Entstehung des neuen Bürgertums eine derartig große Bedeutung einräumen, ist es notwendig, Kultur nicht nur als Darbietung und Rezeption von Kunstwerken zu verstehen, sondern darüber hinaus als Ausdrucksform von Werten, Normen und Einstellungen, die die Welt kognitiv erfahrbar machen.22 Das kulturelle System des Bürgertums, das sich im 18. Jahrhundert zu entwickeln begann, war ein unverzichtbarer Bestandteil der bürgerlichen Lebenswelt, denn erst mit Hilfe der Kultur gelang es dem Bürger, seine Identität zu finden und sich eine bürgerliche Lebensweise anzueignen.23 Die praktische Voraussetzung für diese weitreichende, abstrakte Wirkung der Kultur war, dass sie sich im Alltag in Form von Kunstwerken manifestierte,24 die gedruckt, ausgestellt, aufgeführt oder ihrem Publikum in anderer Weise zugänglich gemacht wurden. Durch die Rezeption von Kunst konnten also den Bürgern universale Werte und Leitbilder vermittelt werden, zu denen konkret Tugenden wie Toleranz, Eigeninitiative, Autonomie, Rechtsgleichheit, Konkurrenz- und Leistungsdenken sowie Wertschätzung von Wissenschaft und Kunst zählten.25
1.3
Voraussetzungen für die Entwicklung der bürgerlichen Kultur
Um die Entstehung der bürgerlichen Kultur nachvollziehen zu können, ist es notwendig, sich die Lebenssituation zu vergegenwärtigen, in der sich die Menschen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum befanden, während in der Gesellschaft massive Veränderungen 21 Vgl. Gisela Mettele, »Bildungssinn und Bürgergeist«. Gesellige Kultur in Köln im 19. Jahrhundert, in: Karl Heinrich Kaufhold/Bernd Sösemann (Hg.), Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung in Preußen. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Preußens vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 1998, S. 161–177, hier S. 161. 22 Vgl. Manfred Hettling, Bürgerliche Kultur – Bürgerlichkeit als kulturelles System, in: Lundgreen, Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums, S. 319–339, hier S. 319. 23 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 320. 24 Vgl. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 277. 25 Vgl. Schulz, Lebenswelt des Bürgertums, S. 56.
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Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
stattfanden. Die alte Ständeordnung und das Zunftwesen lösten sich auf, Adel und Klerus büßten ihre Machtpositionen ein und in Folge der Säkularisierung verloren religiöse Erklärungsmodelle nach und nach ihre Verbindlichkeit.26 Die Auswirkung dieser Veränderungen war von einer kaum zu überschätzenden Reichweite: Nicht nur die Lebensumstände änderten sich, sondern es entstand eine vollkommen neue Lebensrealität, in der zuvor unmittelbar erlebte Selbstverständlichkeiten ihre Gültigkeit verloren.27 Bisher nachvollziehbare Ereignisse ließen sich in diese Wirklichkeit nicht mehr einordnen und Lebenserfahrungen nicht mehr in der gewohnten Weise deuten. Um das grundsätzliche menschliche Bedürfnis zu befriedigen, Empfindungen und Ereignisse zu verstehen und in den eigenen Lebensentwurf einzuordnen, wurde nach neuen Deutungsstrategien gesucht, denn nachdem die Religion ihre umfassende Welterklärungsrolle verloren hatte und die Funktion der verbindlichen Strukturierung des Lebens nicht mehr erfüllen konnte, traten neue Wertemodelle und Lebensordnungen spannungsreich zueinander in Konkurrenz.28 In dieser zunehmend säkularisierten Gesellschaft übernahm nach und nach die Kunst die Aufgaben der Religion, wofür die Musik geradezu prädestiniert war, da sie in besonderem Maße in der Lage ist, neben dem Verstand auch die Emotion anzusprechen.29 Gerade in den ersten Jahrzehnten ihrer Entwicklung verlangte die bürgerliche Musikkultur das aktive Mitwirken des Bürgers, so dass für den Einzelnen durch die Beteiligung an der Aufführung von Kompositionen die neue »Kunstreligion«30 miterlebt und empfunden werden konnte,31 was eine viel stärkere Wirkung erzeugte, als es durch die theoretische Beschäftigung mit Kunst möglich gewesen wäre. Diese Aufwertung zum Religionsersatz, die die Musik in der bürgerlichen Gesellschaft erfuhr, veränderte ihre Funktion grundlegend. Durch sie wurde ein Raum geschaffen, in dem Fragen des ›neuen‹ Bürgers nach seiner Identität und seiner Existenz formuliert und thematisiert werden konnten.32 Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Kunst auch die Antworten auf all diese Fragen lieferte. Das primäre Ziel bestand vielmehr darin, durch die Beschäftigung mit ihr ein Forum zu schaffen, in dem der Austausch über Sinn und Bedeutung von Ereignissen aus verschiedenen Lebensbereichen möglich wurde. Gerade darin liegt die Besonderheit der Kunst, die es ihr erlaubte, zur Nachfolgerin der ReVgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 335. Vgl. Tenbruck, S. 264. Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 322. Vgl. Frank Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik. Politik der Musikgeschichtsschreibung in Deutschland 1776–1871, Frankfurt a.M. 2006, S. 129. 30 Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 324. 31 Vgl. Wünsche, Leipziger Singakademie, S. 125–127. 32 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 320.
26 27 28 29
Voraussetzungen für die Entwicklung der bürgerlichen Kultur
37
ligion und zur Konkurrentin der Philosophie zu werden.33 Zwar können Kunst und Kunstwerke keine absoluten, verbindlichen Antworten geben, aber sie ermöglichen es, durch gesellschaftliche Reflexion Konflikte, drängende Fragen und unlösbare und darum verstörende Probleme des Lebens zu thematisieren und zu diskutieren.34 Die kulturellen Symbolsysteme, die zu diesem Zweck im Alltag Verwendung fanden, bezeichnet Hettling als Weichensteller für das Verhalten der Menschen, d. h. sie legen nicht das Verhalten jedes einzelnen verbindlich fest, aber lenken es auf vielen Gebieten in bestimmte Richtungen: Religion, Ökonomie, Politik, Recht, Wissenschaft, Kunst, Verwandtschaft, Liebe, Erotik und Natur,35 die meisten relevanten Bereiche des zwischenmenschlichen Lebens, werden durch diese Symbolsysteme geformt. Es war in der Tat ein gewaltiger Anspruch, den die bürgerliche Welt an die Kunst stellte: Sie sollte dazu dienen, einen übergeordneten Raum für den Austausch über Deutungsmöglichkeiten der Wirklichkeit zu liefern, um gesellschaftliche Erfahrungen des Menschen zu interpretieren und Regelsysteme und Wertsetzungen zu schaffen, an denen das Individuum sein Handeln ausrichten konnte. Die emotionale Wirkung der Musik bot dem Bürger die Möglichkeit, durch die Rezeption eines Werkes und noch stärker durch die Beteiligung an der Aufführung zeitweilig der geregelten bürgerlichen Arbeitswelt zu entfliehen;36 Eggebrecht spricht in diesem Zusammenhang von einem »Gegenentwurf zur Wirklichkeit«37, der die Spannungen des Alltags leichter erträglich mache. Durch die Emotionalität besaß die Musik in den Augen des Bürgertums jedoch auch eine düstere und sogar gefährliche Seite mit eigenen Gesetzmäßigkeiten,38 die das Risiko barg, sich in dieser Kunst zu verlieren und so die bürgerliche Existenz aufs Spiel zu setzen. Indem sich der Bürger jedoch nur als Dilettant39 oder Mäzen mit der Kunst beschäftigte40 und anschließend wieder in seine Welt zurückkehrte, entging er der Gefahr, welcher der professionelle Künstler ausgesetzt war. Für diesen engagierten und erhebenden Umgang mit der Musik und ihren so-
33 34 35 36 37
Vgl. ebd., S. 335. Vgl. ebd., S. 336. Vgl. ebd., S. 322. Vgl. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 60. Hans Heinrich Eggebrecht, Musikalisches Denken, Wilhelmhaven 1977, S. 117, zit. nach Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 23. 38 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 329. 39 Anders als heute war der Begriff Dilettant Anfang des 19. Jahrhunderts positiv konnotiert und bezeichnete die bürgerlichen Musikliebhaber, welche sich aus Begeisterung für die Kunst als Laienmusiker betätigten. 40 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 329.
38
Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
zialen Funktionen schuf die Organisationsform des bürgerlichen Vereins den idealen Rahmen.41 Eine weitere Funktion, die die bürgerliche Musikkultur erfüllte, bestand darin, dass der Bürger sich mit ihrer Hilfe von der höfischen Welt abgrenzen konnte. Das Klischeebild des angeblich musikalisch ungebildeten Adels, der nur aus Prestigegründen ins Konzert ging und die Aufführung lieber zum Plaudern nutzte anstatt zuzuhören, demonstrierte eine Bildungsüberlegenheit, die der Bürger als Musikausführender mit umfangreichem Hintergrundwissen für sich gerne in Anspruch nahm.42 Andere Lesarten dieser Konstellation ›adeliges versus bürgerliches Publikum‹ sind allerdings genauso möglich. So stellt beispielsweise Julius Alf dar, dass die Organisation einer Aufführung durch Musikliebhaber lediglich von einer leicht lenkbaren Masse getragen wird, die dem Alltag entfliehen will und deren Zufriedenheit ganz von dem Ausmaß der erlebten Unterhaltung abhängt; dagegen sei ein gebildeter Fürst in der Lage gewesen, künstlerische Urteile mit mehr Weitsicht zu fällen.43 Die Zuschreibung von Kompetenz und Inkompetenz gegenüber dem adeligen bzw. bürgerlichen Musikrezipienten spiegelt also in erster Linie eine Wertung der gesellschaftlichen Situation wider, die an ein bestimmtes Weltbild geknüpft ist.44
41 Vgl. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 62f. 42 Vgl. ebd., S. 69, 71; vgl. Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, S. 110. 43 Vgl. Julius Alf, Geschichte und Bedeutung der Niederrheinischen Musikfeste in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Teil II, in: Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, 43. Bd., im Auftrag des Düsseldorfer Geschichtsvereins herausgegeben von Bernhard Vollmer, Düsseldorf 1941, S. 1–73, hier S. 54. Der Band enthält den zweiten Teil seiner Dissertation. 44 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Promotionsschrift von Julius Alf 1940 und 1941 in einem Düsseldorfer Jahrbuch erschienen ist. Die positive Darstellung der kulturellen Bildung eines Herrschenden im Vergleich zur Bevölkerung muss also vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur gelesen werden, in welcher das sogenannte Führerprinzip nach Kräften propagiert wurde. Dass Alf sich mit der Ideologie des Nationalsozialismus arrangiert hatte, belegt seine Tätigkeit an der Universität Innsbruck, wo er Assistent des Leiters des musikwissenschaftlichen Instituts Wilhelm Ehmann war, welcher zuvor in Freiburg die SA-Musik geleitet hatte. Alf unterstützte mit zwei Vorträgen – »Kultur im Kriege« (1940) und »Musik und Rasse« (1941) – das Lehrangebot der Instituts, das auch Besuchern außerhalb der Universität offenstand, vgl. Kurt Drexel, »Lieder der Bewegung« und »unkatholisches Brauchtum«. Zur Lehre und Forschung im Dienst nationalsozialistischer Musikkonzepte an der »Alpenuniversität Innsbruck« von 1938 bis 1945, in: Histoire des Alpes – Storia delle Alpi – Geschichte der Alpen (2006), S. 73–82, hier S. 76, 80.
Offenheit des Systems der bürgerlichen Musik
1.4
39
Offenheit des Systems der bürgerlichen Musik
Ein aus dem Bürgertum heraus entstehendes kulturelles System muss fast zwangsläufig eine hohe Flexibilität aufweisen, um den Erfordernissen einer gerade entstehenden und zumindest zu Beginn noch nicht fixierten Schicht der Gesellschaft entsprechen zu können – letztlich war dies auch der entscheidende Faktor, der den langen Bestand einer bürgerlichen Kultur als Referenz für die gesamte Gesellschaft ermöglicht hat. In der Zeit, als diese bürgerliche Kultur entstand, kam es zu einer Entwicklung, die Tenbruck als die »Verselbständigung der Kultur«45 bezeichnet. Dabei geriet im gleichen Maße, wie die überlieferte symbolische Ordnung früherer Jahrhunderte verloren ging, die Kultur in einen dynamischen Zustand, in dem sie sich selbst immer wieder zu erweitern und zu verändern begann.46 Dies brachte es mit sich, dass die vom Menschen wahrgenommene Wirklichkeit durch kulturelle Arbeit stets aufs Neue interpretiert werden musste.47 Das hier angesprochene Merkmal der Dynamik erlaubte es der bürgerlichen Musik, sich immer wieder zu wandeln und selbst neu zu erfinden, um auch nach Veränderungen in der bürgerlichen Gesellschaft noch als deren kulturelles System fungieren zu können. Aus diesem Grund legt die bürgerliche Musik nicht konkret Inhalte und Handlungsanweisungen der kulturellen Alltagspraxis fest und definiert diese als bürgerlich,48 beispielsweise Werkformen, Instrumentierung, Regeln der Aufführungspraxis, ästhetische Merkmale etc., sondern sie ist von Werten und Idealen getragen, die eben die geforderte Dynamik und Wandelbarkeit möglich machen. Darüber hinaus ist die Offenheit des Systems entscheidend, um heterogene Gruppen der Gesellschaft unter dem Dach der Bürgerlichkeit zusammenzufassen, ohne sich dabei auf die Zuordnung zu einem Stand bzw. zu einer Klasse festzulegen. Gerade die Orientierung an Idealen schuf Gemeinsamkeiten, auch wenn empirisch Verschiedenheiten zwischen den Gruppen der Gesellschaft vorhanden waren.49 Die Ideale wurden sicherlich nicht von jedem Bürger zu hundert Prozent vertreten und gelebt, aber sie stellten eine Übereinkunft zwischen vielen dar und waren somit repräsentativ für die bürgerliche Gesellschaft. Auch in diesem Zusammenhang war es die Musik, die durch ihre Fähigkeit, das Gefühl anzusprechen,50 wie keine andere Kunstform prädestiniert war, eine Aufführung für alle Beteiligten zu einem emotional stark aufgeladenen Gemeinschaftserlebnis zu machen. Das Erleben der durch Emotionen gestützten 45 46 47 48 49 50
Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 264. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 321. Vgl. ebd., S. 325. Vgl. Volker Kalisch, Studien zur »bürgerlichen Musikkultur«, Tübingen 1990, S. 34, 50.
40
Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
Identifikation mit der Gemeinschaft trug langfristig auch zur Entwicklung und Stärkung eines ausgeprägten Nationalgefühls bei,51 das über die Grenzen des Bürgertums hinweg in der gesamten Gesellschaft propagiert wurde. Gerade die als bürgerlich beschriebenen Ideale waren keineswegs an das Bürgertum gebunden. Auch wenn im Alltagsleben ein großer Teil der Vertreter der bürgerlichen Kultur de facto diesem angehörte, so konnten doch auch Adelige oder Arbeiter bürgerliche Werte und Tugenden für sich übernehmen, und umgekehrt konnten Bürger sich von der Bürgerlichkeit entfernen.52
1.5
Eingrenzung des Begriffes Bürgertum
Wie lässt sich nun das Bürgertum sinnvoll als Gruppierung eingrenzen, wenn es nicht an dem Besitz des Bürgerrechtes, dem Einkommen oder sozialen Faktoren festgemacht werden soll? Gemäß dem hier beschriebenen kulturtheoretischen Ansatz besteht die Gesamtheit der Bürger aus jenen Personen, die die Ideale der bürgerlichen Kultur teilen, vertreten und zu erfüllen versuchen, was in der Praxis für ungefähr zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung zutrifft.53 Dieser Idealtypus des Bürgers ist geprägt von Widersprüchen – wie die Zeit selbst, in der die bürgerliche Kultur entstanden ist – und in seinem idealistischen Streben zugleich darum bemüht, eben diese Widersprüche auszugleichen; die Eigenschaftspaare, die Hettling als charakteristisch beschreibt, sind folgende:54 Besitz und Bildung – beides gilt es, in der bürgerlichen Existenz sinnvoll zu verbinden. Die Unterscheidung in Bildungs- und Wirtschaftsbürger, die nach rein ökonomischen Kriterien durchaus sinnvoll ist, verliert bei der Frage nach der Kultur ihre Relevanz, denn gemäß dem bürgerlichen Selbstverständnis ist der Wirtschaftsbürger, z. B. der reiche Kaufmann, ohne ein gewisses Maß an Bildung ebenso wenig denkbar wie der Bildungsbürger, z. B. der Lehrer, ohne ein Mindestmaß an Einkommen.55 Eigeninteresse und Gemeinwohlorientierung – beides sind gleichermaßen bürgerliche Grundwerte. Neben dem Recht auf Eigentum besteht zugleich auch die Verpflichtung, sich in selbstloser Weise für das Wohl der Gemeinschaft, insbesondere für weniger privilegierte Menschen einzusetzen. 51 Vgl. Sabine Mecking, ›Deutsche‹ Musik, eine Illusion? Phänomene der Inklusion und Exklusion, in: Sabine Mecking/Yvonne Wasserloos (Hg.), Inklusion & Exklusion. »Deutsche« Musik in Europa und Nordamerika 1848–1945, Göttingen 2016, S. 7–30, hier S. 20. 52 Vgl. Schäfer, Geschichte des Bürgertums, S. 130; vgl. Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, S. 20. 53 Vgl. ebd., S. 42. 54 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 324. 55 Vgl. Mettele, Gesellige Kultur in Köln, S. 173f.
Humanistische Bildung
41
Zweckfreie Kreativität und zweckgebundene Nützlichkeit – der ›ideale‹ Bürger verfolgt das Ziel, in seinem Leben alltägliche Notwendigkeiten mit ästhetischer und emotionaler Freiheit zu verbinden.56 Im Zusammenhang mit der hier dargestellten Forderung, Freiheit trotz der Zwänge des Alltags in das Leben zu integrieren, spricht Tenbruck von der Möglichkeit der »willkürlichen Vergesellschaftung«57, was bedeutet, dass Menschen sich immer wieder in neuen Konstellationen ohne den Zwang von Institutionen unter dem Vorzeichen kultureller Aktivität zusammenschließen können. Diese Fähigkeit ist ein wesentliches Merkmal, das die moderne Gesellschaft von früheren Gesellschaftsformen unterscheidet.58 Das neu entstehende Vereinswesen war die ideale Organisationsform, um diese freie Vergesellschaftung zu praktizieren. So zählt zu den Merkmalen aller bürgerlichen Vereine, dass Beitritt und Austritt grundsätzlich freiwillig erfolgen59 (sofern nicht z. B. wegen eines Verstoßes gegen die Vereinsregeln Mitglieder ausgeschlossen wurden). Unter den kulturellen Vereinen waren nach Einschätzung von Lothar Gall die Musikvereine die allumfassendsten bürgerlichen Vereine überhaupt,60 da sie am stärksten ständeübergreifend zusammenwirken konnten und – zumindest in der Theorie – Menschen aller Gesellschaftsschichten verbanden.
1.6
Humanistische Bildung
Ein wesentlicher Aspekt der bürgerlichen Identität bestand in ihrem Verständnis von Bildung, das stark von der Rückbesinnung auf den Humanismus geprägt war.61 Schon im 15. Jahrhundert hatte diese Strömung in Europa begonnen, Einfluss zu nehmen, was in deutschen Städten zur Errichtung der ersten humanistisch geprägten Schulen und Universitäten führte.62 Im neuen Bürgertum des 19. Jahrhunderts wurde für den sozialen Status der Erwerb einer humanistischen Bildung zu einem wesentlichen Kriterium, denn nur diese erlaubte es, sich selbst nach außen hin als vollwertigen Bürger zu präsentieren und gleichzeitig innerhalb der eigenen Schicht als zugehörig anerkannt und respektiert zu werden. Der praktizierte Neuhumanismus des 19. Jahrhunderts beeinflusste Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 326. Vgl. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 280. Vgl. ebd. Vgl. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 15. Vgl. Lothar Gall, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S. 213. Vgl. Bernd Roeck, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit, München 1991, S. 52f. 62 Vgl. ebd., S. 53–55.
56 57 58 59 60 61
42
Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
viele Bereiche des öffentlichen Lebens und inspirierte das Bürgertum u. a. dazu, ein historisches Bewusstsein für die Überlieferungswürdigkeit von Kulturgütern zu entwickeln, was sich im Aufbau von Museen, Bibliotheken und Sammlungen sowie in Editionen von literarischen und musikalischen Werken niederschlug.63 Als Beispiel sei hier die Reihe Denkmäler deutscher Tonkunst (1889)64 genannt, deren Name die Ausgabe bereits in den Kontext von Erinnerungskultur setzt. In der Folge der um die Jahrhundertwende einsetzenden Veröffentlichungen von ›Oeuvres complHtes‹ sind die historisch-kritischen Gesamtausgaben zu sehen, deren Ära mit der Herausgabe des Gesamtwerkes von Johann Sebastian Bach 1851 begann. Bei der Vermittlung von Musik als Bildungsgut spielten diese Notenausgaben eine zentrale Rolle.65 Sich dem humanistischen Bildungsideal zu verpflichten war für jeden einzelnen Bürger mit den Ansprüchen verbunden, zum einen durch die intensive Auseinandersetzung mit der Kunst zur Verbesserung der Lebensumstände aller Menschen einen Beitrag zu leisten66 und zum anderen die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen.67 Durch das Praktizieren von Kultur sollten idealerweise soziale und ständische Unterschiede zwischen den Menschen bedeutungslos gemacht werden, so dass nur noch die Gemeinsamkeit als Kulturwesen Relevanz besaß.68 Die politische Zielutopie, die am Ende all dieser Bemühungen stand, war eine bürgerliche Gesellschaft, die liberalen Idealen verpflichtet war.69 Bildung im bürgerlich-humanistischen Sinne ging also weit über den Erwerb von Faktenwissen hinaus. Durch seine hohen, in letzter Konsequenz utopischen Ansprüche schuf das humanistische Bildungsideal einerseits neue Chancen der sozialen Inklusion, indem es Personen aus anderen gesellschaftlichen Schichten ermöglichte, ebenfalls zum ›Kulturwesen‹ und damit zum Vertreter des Bürgertums zu werden; andererseits entstand zugleich ein neues Kriterium der sozialen Exklusion70 für all diejenigen, die die bürgerlichen Ideale nicht in der gewünschten Weise teilen konnten oder wollten. Die große Bedeutung, die man im Rahmen dieser Bestrebungen der Musik 63 Vgl. ebd., S. 58. 64 Vgl. Celia Applegate/Pamela Maxine Potter (Hg.), Music and German national identity, Chicago 2002, S. 14. 65 Vgl. Annette Oppermann, Musikalische Klassiker-Ausgaben des 19. Jahrhunderts. Eine Studie zur deutschen Editionsgeschichte am Beispiel von Bachs Wohltemperiertem Clavier und Beethovens Klaviersonaten, Göttingen 2001, S. 2f., 125. 66 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 331. 67 Vgl. Michael Zichy, Das humanistische Bildungsideal, in: Martina Schmidhuber (Hg.), Formen der Bildung. Einblicke und Perspektiven, Frankfurt a.M. 2010, S. 29–42, hier S. 32. 68 Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 331. 69 Vgl. ebd., S. 327. 70 Vgl. ebd., S. 331.
Musikalische Ästhetik und klassischer Werkekanon
43
zuschrieb, sollte zu Beginn des 19. Jahrhunderts öffentlich legitimiert werden, indem sie als Bestandteil des humanistisch geprägten Bildungswissens in das bürgerliche Leben integriert wurde.71 Diese Etablierung erhöhte das Ansehen der Musik und wurde durch eine Reihe von Entwicklungen in der bürgerlichen Öffentlichkeit sichtbar. Neben dem Musikunterricht an Schulen und durch Hauslehrer erschienen Lexika, Fachbücher und Zeitschriften mit Besprechungen von Werken und Aufführungen sowie Artikeln und Biografien über Komponisten und Musiker ; Gedenkkonzerte wurden veranstaltet und Denkmäler zu Ehren bedeutender Künstler aufgestellt. Die Form der gesellschaftlich anerkannten Musikrezeption war also streng reglementiert und wurde insbesondere bei der Musikausübung in Vereinen als relevantes bürgerliches Bildungswissen vermittelt; Budde bezeichnet in diesem Zusammenhang Musikvereine als den »Wegweiser für richtigen Kunstgenuss«72.
1.7
Musikalische Ästhetik und klassischer Werkekanon
Trotz der Vielfalt der Werke, die die bürgerlichen Musikliebhaber aufführten, waren klare Tendenzen im Repertoire zu erkennen, aus denen langfristig ein Kanon von ›klassischen‹ Werken entstand (›klassisch‹ im Sinn von: das Allgemeinverbindliche, das als gültig Begriffene, das allgemein Geschätzte73). Zu den Gemeinsamkeiten bevorzugter Werke der bürgerlichen Musikkultur gehörten thematisch-motivische Arbeit als Kompositionstechnik74 und die Schwerpunktlegung auf die Gestaltung der Melodie.75 Die Stücke sollten idealerweise für Laienmusiker spielbar und für alle Zuhörer verständlich sein.76 Natürlichkeit, Einfachheit und Allgemeinverständlichkeit wurden wichtige positive Attribute. Ebenfalls entscheidend war, dass die Stücke den individuellen Ausdruck von Gefühlen möglich machten.77 Diese Ästhetik entstand in Abgrenzung von der Musik des Barock, die mit der Ästhetik des Höfischen assoziiert und mit Begriffen wie »verworren, gekünstelt, schwierig, unfaßlich«78 belegt wurde. Die bürgerliche Musikkultur war also so offen konzipiert, dass sie geeignet war, sich auf lange Sicht Veränderungen anzupassen, ohne dabei ihre Identität Vgl. Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, S. 137. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 63. Vgl. Kalisch, Studien bürgerliche Musikkultur, S. 89. Vgl. ebd., S. 54. Vgl. Peter Schleuning, Der Bürger erhebt sich: Geschichte der deutschen Musik im 18. Jahrhundert, Stuttgart u. a. 2000, S. 323. 76 Vgl. Schleuning, Der Bürger erhebt sich, S. 323. 77 Vgl. Kalisch, Studien bürgerliche Musikkultur, S. 31. 78 Ebd.
71 72 73 74 75
44
Eine neue Gesellschaft und ihre Musik
opfern zu müssen. Konkret bedeutete das, dass bürgerliche Musik weder auf bestimmte Aufführungssituationen noch auf Werkformen festgelegt wurde. Für den Einzelnen bestimmte Hausmusik ließ sich unter dem Begriff ebenso subsumieren wie massenwirksame Chorfeste; Kammermusik, Lied und Instrumentalkonzert konnten gleichermaßen ›bürgerlich‹ sein wie das Oratorium oder die Oper.79 Diese Universalität hat der europäischen und vor allem der klassischromantischen Musik, die aus der bürgerlichen Musikkultur erwuchs, zu weltweiter Verbreitung verholfen.80 Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, welche immense Bedeutung die bürgerliche Kultur und insbesondere die Musikkultur für die Gesellschaft hatten und wie weit diese darüber hinausging, dem Bürger nur zur Unterhaltung oder aus Prestigegründen den Besuch eines Konzerts oder des Klavierunterrichts zu ermöglichen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begann sich jedoch eine Verunsicherung im bürgerlichen Selbstbewusstsein auszubreiten, nachdem durch voranschreitende Veränderungen in der Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt wurde, ob die Ideale der bürgerlichen Kultur überhaupt noch als Modell für die Lebensführung taugten.81 Die ehemals große Wertschätzung für die bürgerlichen Musikliebhaber war gesunken und Repertoire und Publikumsansprüche hatten sich so verändert, dass nun fast ausschließlich Profimusiker und Virtuosen im Rampenlicht standen. Spätestens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten sich die Voraussetzungen für den Fortbestand der bürgerlichen Kultur noch weiter gewandelt, wofür zum einen ein tiefgreifender »Formwandel in der Gesellschaft«82 (Klaus Tenfelde) verantwortlich zu machen ist. Auslöser für diesen dürften neben dem Anwachsen der Bevölkerung auch die zunehmende Heterogenität der gesellschaftlichen Gruppen83 und die veränderten subjektiven Erfahrungsmöglichen des Menschen sein. Darüber hinaus wirkten sich Veränderungen im Kunstverständnis, eine Radikalisierung des künstlerischen Autonomieanspruchs und die Entstehung neuer Ausdrucksformen und -mittel84 in der Kunst aus. Parallel hierzu machte sich die allmähliche Übernahme der Verwaltung von Kunst durch staatliche Organisationen bemerkbar, was den Bürger innerhalb des Konzertbetriebs auf die Rolle des Kunden reduzierte und ihm nur noch indirekt erlaubte, über das Zahlen seiner Steuern ein Förderer der Künste zu sein.85 Diese historischen Wandlungen und ihre Auswirkungen auf die Staatsform, die politische Landschaft, die Berufswelt und 79 80 81 82 83 84 85
Vgl. ebd., S. 61. Vgl. ebd., S. 49. Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 327. Vgl. ebd., S. 330. Vgl. ebd., S. 338. Vgl. ebd., S. 330. Vgl. ebd., S. 330f.
Musikalische Ästhetik und klassischer Werkekanon
45
andere Bereiche des Alltags stellten den Fortbestand der bürgerlichen Kultur grundlegend in Frage.86 Trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen geht Hettling davon aus, dass die bürgerliche Kultur am Ende des 20. Jahrhunderts noch immer in der Lage ist, Orientierung zu bieten, wofür sie auch dringend benötigt wird.87 Ebenso hält Tenbruck die bürgerliche Kultur aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit in unserer säkularisierten Gesellschaft nach wie vor für unentbehrlich.88 Dennoch gibt es Entwicklungen, die an der bürgerlichen Kultur nicht spurlos vorbeigegangen sind. Hierzu zählen die immer stärkere Ausprägung von nationalen Tendenzen, der Konflikt zwischen verschiedenen Ideologien und Weltanschauung seit dem 19. Jahrhundert, der allmähliche Übergang von der Lese- zur Bildkultur und der zunehmende ›Eventcharakter‹ von Kultur.89 Mit Blick auf diesen Wandel spricht Tenbruck von einer gespaltenen Entwicklung der bürgerlichen Kultur, denn eines ihrer zentralen Ideale sieht er als nicht mehr existent an: jenen Anspruch, mit dem der Bürger ursprünglich einmal angetreten war und der darin bestanden hatte, das eigene Leben zur Weiterentwicklung und Vervollkommnung seiner selbst zu nutzen und es in den Dienst eines Kulturfortschritts zu stellen.90
86 87 88 89 90
Vgl. ebd., S. 281. Vgl. ebd., S. 339. Vgl. ebd., S. 281. Vgl. ebd., S. 282. Vgl. ebd.
2.
Eine musikalische Region – Bürgerliche Musikkultur im Rheinland
2.1
Eingrenzung des Begriffes Rheinland
Die Entstehung der bürgerlichen Kultur im 18. Jahrhundert war eine so weitreichende und komplexe Entwicklung, dass sie nirgends idealtypisch, einheitlich und widerspruchsfrei verlief,1 sondern von den Gegebenheiten einzelner Länder und Regionen individuell geprägt wurde. Um die Besonderheiten der rheinischen Musikkultur im 18. und 19. Jahrhundert beschreiben zu können, ist es hilfreich, zunächst den Begriff ›Rheinland‹ und seine Entstehung darzulegen. Gegenwärtig werden darunter verschiedene Gebiete zusammengefasst, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Kernregion der westdeutschen Bundesrepublik wurden.2 Eine präzise Festlegung stellt das gleichnamige Verwaltungsgebiet des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) dar.3 In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Rheinland jedoch noch immer eine offene »Konstruktion einer Bewusstseinsregion«4 ohne genau fixierte Grenzen.5 1 Vgl. Schleuning, Der Bürger erhebt sich, S. 29. 2 Vgl. Otto Dann, Die Konstituierung des Rheinlandes und die Vereinsbildung um 19. Jahrhundert, in: Cornelia Ilbrig/Bernd Kortländer/Enno Stahl (Hg.), Kulturelle Überlieferung. Bürgertum, Literatur und Vereinswesen im Rheinland 1830–1945, Düsseldorf 2008, S. 25–43, hier S. 26f. 3 Vgl. Georg Mölich, Von den ›Rheinlanden‹ zum ›Rheinland‹, in: neues rheinland 3 (2003), S. 6f., 7. 4 Mölich, Von den Rheinlanden, S. 6. 5 Die unklare Eingrenzung des Rheinlandes wird nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Wirtschaft als Defizit wahrgenommen, wie die Gründung des Vereins Metropolregion Rheinland e.V. am 20. 2. 2017 zeigt. Die Mitglieder sind zehn kreisfreie Städte und 13 Landkreise entlang der Rheinschiene, die zukünftig bei der Mittelvergabe gegenüber EU, Land und Bund durch das Auftreten als geschlossene Region eine bessere Position zu erlangen hoffen. Weitere Ziele des Vereins sind die Schaffung einer ›Marke Rheinland‹ als Basis für eine gemeinsame Marketingstrategie der Mitglieder, mit der die Anziehungskraft für Investoren erhöht werden soll, sowie die Identitätsstiftung nach innen; vgl. Internetseite der Bezirksregierung Düsseldorf, (28. 2. 2018).
48
Eine musikalische Region – Bürgerliche Musikkultur im Rheinland
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatte das spätere Rheinland als Region noch nicht existiert; vielmehr waren die Länder am Rhein »ein Paradies des deutschen Partikularismus«6 gewesen. Die Bezeichnung ›das Rheinland‹ etablierte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts.7 In Reiseberichten des 18. Jahrhunderts sprachen die Verfasser zumeist von ›den Rheinlanden‹8, ohne die Region jedoch geografisch genau einzugrenzen. Auf dem Wiener Kongress 1815 bekam Preußen die Gebiete zugesprochen, die zuvor zwischen 1795 und 1801 sowie zwischen 1806 und 1813 unter französischer Herrschaft gestanden hatten und nun in die beiden westlichen Provinzen Preußens Niederrhein und Jülich-Kleve-Berg aufgeteilt wurden.9 1822 fasste die preußische Regierung diese offiziell unter dem Namen Rheinprovinz zusammen, unterteilte sie in die vier Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf, Köln und Trier und legte den Sitz des Oberpräsidiums nach Koblenz. Für Düsseldorf bedeutete die Umstrukturierung, dass es seine überörtlichen Behörden verlor, die es in den ersten sieben Jahren der preußischen Regierung besessen hatte, und lediglich noch Hauptstadt eines Regierungsbezirks war.10 Durch diesen verwaltungspolitischen Akt war der Grundstein für die Entstehung des heutigen Rheinlandes gelegt worden. Etwa zu dieser Zeit begann sich in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu der neuen Region zu entwickeln, die von einer eigenen Geschichtskultur mit gemeinsamen Mythen und kollektiven Erinnerungen getragen wurde.11 Die heraufbeschworenen Gemeinsamkeiten, die sich auf Traditionen und Legenden stützten, schufen innerhalb der Bevölkerung auch die Voraussetzung für eine Politisierung des Rheinlandes, die nach 1815 beispielsweise von dem Publizisten Joseph Görres gezielt forciert wurde, indem er den Begriff vom ›Volk der Rheinländer‹ prägte und propagierte.12 Hierfür machte er es sich zu Nutze, dass trotz der Vorteile, die die Fremdherrschaft der Franzosen mit sich gebracht hatte, diese Zeit mit Einquartierungen, Einberufungen zum Kriegsdienst und hohen Kosten für die Bevölkerung verbunden gewesen war. Nach dem Wegfall dieser Belastungen war es also nicht verwunderlich, dass ein neues
6 Julius Alf, Geschichte und Bedeutung der Niederrheinischen Musikfeste in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts [Teil 1], in: Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, 42. Bd., im Auftrag des Düsseldorfer Geschichtsvereins herausgegeben von Bernhard Vollmer, Düsseldorf 1940, S. 131–245, hier S. 148. 7 Vgl. Dann, Die Konstituierung des Rheinlandes, S. 26. 8 Vgl. Mölich, Von den Rheinlanden, S. 6. 9 Vgl. Dann, Die Konstituierung des Rheinlandes, S. 29. 10 Vgl. ebd.; vgl. auch Hugo Weidenhaupt (Hg.), Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Bd. 2, Von der Residenzstadt zur Beamtenstadt (1614–1900), Düsseldorf 1988, S. 349. 11 Vgl. Mölich, Von den Rheinlanden, S. 7. 12 Vgl. Dann, Die Konstituierung des Rheinlandes, S. 28.
Sangesfreude der Rheinländer
49
Nationalbewusstsein in den ehemals französischen Gebieten entstand,13 das sich durch Propaganda leicht verstärken ließ. Das ›Volk der Rheinländer‹ war also ebenso wie das Rheinland als politische Region ein Konstrukt,14 das auf gemeinsamen Emotionen und Bildern im Gedächtnis der Bevölkerung beruhte und außerdem die neue Region in besonderer und einzigartiger Weise definierte.15 Im ausgehenden 19. Jahrhundert lässt bereits sich eine umfangreiche regionale Geschichtskultur für das Rheinland nachweisen.16
2.2
Sangesfreude der Rheinländer
Schon vor 1815 und somit vor der gezielten Politisierung des späteren Rheinlandes war diese Region als idyllische Gegend und als Träger einer bestimmten Kulturerscheinung bekannt, deren Flusslandschaft mit ihren malerischen Ortschaften in idealer Weise einen Topos der Romantik verkörperte.17 Den Menschen, die dort lebten, wurde eine starke Neigung zu Gesang und insbesondere zum Chorgesang nachgesagt, der mit dem Wesenszug der Geselligkeit einherging.18 Im Nachhinein wurden diese mit den Rheinländern assoziierten Eigenschaften als Grund gesehen, dass sich in ihrer Region die bürgerliche Musikkultur in besonderer Weise entfaltete und zur Entwicklung eines ausgeprägten musikalischen Vereinslebens beitrug.19 Eine zeitgenössische Zeitschrift findet hierfür die folgenden Worte: »Wie viel Sinn und Liebe für Musik den Anwohnern des Rheines überhaupt, so aber auch besonders denen in den Bergen und der Mark eigen sei, und nicht nur Sinn und Liebe, sondern auch Talente von hohen Gaben, – wissen wir alle und erfährt jeder bald, der zu uns kommt, – tritt jetzt aber vorzüglich glänzend hervor, wo, zur Ehre unserer Zeit, ein gemeinsames Streben wieder zu blühen beginnt, und man auch für Musik die Gaben, welche auf dem einzelnen ruhen, zu einem schönen vollen Ganzen in Lieben und Einigkeit zu benutzen weiß.«20
13 14 15 16 17 18
Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 153. Vgl. Dann, Die Konstituierung des Rheinlandes, S. 30. Vgl. Mölich, Von den Rheinlanden, S. 7. Vgl. ebd. Vgl. Dann, Die Konstituierung des Rheinlandes, S. 27. Vgl. Ernst Wolff, Das musikalische Leben, in: Joseph Hansen (Hg.), Die Rheinprovinz 1815– 1915. Hundert Jahre preußischer Herrschaft am Rhein. Zweiter Bd., Bonn 1917, S. 340–384, hier S. 342. 19 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 340f. 20 Vgl. Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas 41 (22. 5. 1818), S. 351f.
50
Eine musikalische Region – Bürgerliche Musikkultur im Rheinland
Der Tonfall dieses Zitats vom 22. Mai 1818 aus der Zeitschrift Hermann21 (der Text bezieht sich auf das kurz zuvor zu Ende gegangene erste Niederrheinische Musikfest in Düsseldorf) lässt die Verklärung erkennen, mit der die musikalische Neigung der Rheinländer betrachtet wurde,22 aber auch den hohen idealistischen Anspruch, der zu dieser Zeit an die von der Bevölkerung getragene Musikkultur gestellt wurde. Der Erfolg der Niederrheinischen Musikfeste und die rasche Verbreitung der neuen Form von Musikkultur lässt sich jedoch nicht nur mit der musikalischen Sonderbegabung des »rheinischen Volksstamms«23 und der guten Wanderluft erklären, die angeblich den regen Verkehr zwischen den Musikstädten Düsseldorf, Köln, Elberfeld und später Aachen förderte,24 sondern durchaus mit realen geografischen Gegebenheiten. Die Nutzung des Rheins als Transportweg für die Beförderung von Menschen und Gütern führte dazu, dass zugleich Informationen und Ideen transportiert wurden, was zur Verbreitung von Innovationen in den angrenzenden Gebieten beitrug.25 Die Rheinschiene als Bestandteil der rheinischen Kulturmorphologie26 war also mit dafür verantwortlich, dass sich in der Region vergleichsweise früh und mit großem Engagement die bürgerliche Musikkultur in Vereinsgründungen und in der städteübergreifenden Zusammenarbeit der Niederrheinischen Musikfeste niederschlug.
2.3
Erste Musikfest-Aktivitäten
Musikfeste mit Beteiligung von zahlreichen Laienmusikern und einem großen Chor waren keine Erfindung des Rheinlandes, sondern von einer Tradition inspiriert, die ursprünglich aus England stammte und sich Anfang des 19. Jahr21 Das Periodikum ›Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas‹ wurde von dem Pfarrer Wilhelm Aschenberg gegründet, erschien seit Februar 1814 in Hagen und hatte sein Verbreitungsgebiet im Märkischen und im Bergischen. 1819 wurde die Zeitschrift wegen kritischer Beiträge eingestellt, erschien jedoch unter dem gleichen Namen bis 1835 als regierungsfreundliches Blatt, vgl. Wilhelm Ribhegge, Preußen im Westen. Kampf um den Parlamentarismus im Rheinland und Westfalen 1789–1947, Münster 2008, S. 64f. 22 Die Neigung zur Idealisierung ist auch in anderen Texten der Zeit und ebenso rückblickend in späteren Jahren noch zu finden, beispielsweise in einer Beschreibung aus dem Jahr 1887, vgl. Johanna Baltz, Musikantengeschichten vom Jahre des Heils 966 bis auf den heutigen Tag, Düsseldorf 1887, S. 55f. 23 Wolff, Das musikalische Leben, S. 340f. 24 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 342. 25 Vgl. Schwedt, Laienmusikalische Vereinigungen, S. 6. 26 Vgl. ebd.; vgl. hierzu auch Hermann Aubin/Theodor Frings/Josef Müller, Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Geschichte, Sprache, Volkskunde, Bonn 1966, S. 84f.
Erste Musikfest-Aktivitäten
51
hunderts zunächst in der Schweiz und anschließend in Thüringen verbreitete.27 Diese Entwicklungen inspirierten den Pfarrer, Konsistorialrat und Gründer der bereits zitierten Zeitschrift Hermann, Johann Wilhelm Aschenberg (1769– 1819)28 aus Hagen, zu dem Versuch, im Jahr 1812 eine ähnliche Veranstaltung in den westlichen deutschsprachigen Gebieten durchzuführen. Hierfür hatte er Aufrufe in verschiedenen Zeitungen der Region veröffentlicht und für ein städteübergreifendes Musikfest unter der Beteiligung von Düsseldorf, Elberfeld, Dortmund, Essen und Hagen geworben.29 Für die konkrete Umsetzung sah er die Gründung des Bergisch-Märkischen Musikfestvereins vor. Eine Erklärung, warum dieser schon recht konkrete Plan nicht verwirklicht wurde, ist nicht überliefert.30 Wahrscheinlich wurde die Umsetzung von den Befreiungskriegen verhindert, die auch in anderen Teilen des Landes begonnene kulturelle Unternehmungen in der Bevölkerung unterbrachen.31 Ein anderes Projekt mit ähnlicher Zielsetzung, das zunächst Erfolg gehabt hatte, wurde nur sechs Jahre lang fortgeführt. Zwischen 1816 und 1822 fanden die Rheinischen Musikfeste statt, die der Rheinische Musikverein32 organisierte, in dem Musikfreunde aus den Städten Mannheim, Heidelberg, Speyer und Worms Mitglied waren. Obwohl das Einzugsgebiet eigentlich nicht das gleiche war wie das der Niederrheinischen Musikfeste, zogen diese seit 1820 so viele Besucher ab, dass die Veranstalter der Rheinischen Musikfeste 1822 der Konkurrenz nicht mehr standhalten konnten und aufgaben.33
27 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 114. 28 Vgl. Samuel Weibel, Die deutschen Musikfeste des 19. Jahrhunderts im Spiegel der zeitgenössischen musikalischen Fachpresse mit inhaltsanalytisch erschlossenem Artikelverzeichnis auf CD-ROM, Kassel 2006, S. 159–161, vgl. auch Internetseite Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren 1750 bis 1950, Artikel über Johann Wilhelm Aschenberg, (28. 2. 2018). 29 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 159–161. 30 Vgl. ebd. 31 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 160f. 32 In der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 27. 5. 1818 wird der Rheinische MusikVerein mit der Organisation eines Jahresfestes und regelmäßigen Konzerten in Mannheim erwähnt, vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung (AmZ) 21 (27. 5. 1818), Sp. 377f. 33 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 162, 174.
52
2.4
Eine musikalische Region – Bürgerliche Musikkultur im Rheinland
Bürgerliche Musikkultur und preußische Kulturpolitik in den Städten des Rheinlands
In der Zeit der französischen Herrschaft zwischen 1795 und 1801 sowie zwischen 1806 und 1815 hatte das musikalische Leben in der Rheinprovinz spürbar gelitten, da die Regierung kaum etwas für die Förderung der Tonkunst getan hatte.34 Nach den Befreiungskriegen wurden überall im Rheinland mit viel Engagement unterbrochene Aktivitäten wieder aufgenommen und neue initiiert.35 Nach der entbehrungsreichen Zeit war die Sehnsucht nach Unterhaltung, kulturellen Veranstaltungen und Geselligkeit besonders groß. Überall entstanden musikalische Vereine und Gesellschaften, die zwar verschiedene Schwerpunkte hatten (gemischter Chorgesang, Männergesang, Instrumentalmusik, Kirchenmusik) und unterschiedlich lange existierten, aber deren Gemeinsamkeit darin bestand, dass sie fast alle von bürgerlichen Initiativen ausgingen und zumeist nur wenige Berufsmusiker einbanden. War Letzteres der Fall, dann handelte es sich oft um einen professionellen oder zumindest semiprofessionellen Kapellmeister oder Organisten, der eine Gruppe musikalischer Laien anleitete. Bei der Gebietsübernahme 1815 fand die preußische Regierung eine Bevölkerung vor, die nach der französischen Herrschaft und den Befreiungskriegen verarmt war, und Städte, die über keine Verwaltungsstrukturen verfügten, mit denen sich die neuen Gebiete von Berlin aus hätten regieren lassen. Daher hatte die Errichtung eines funktionierenden Verwaltungsapparates zunächst Vorrang vor der Organisation künstlerischer Aktivitäten. Ohnehin gehörte die Kunst zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Preußen noch nicht in das staatliche Aufgabenfeld.36 1817 wurde ein Kultusministerium eingerichtet, welches für das Kirchen-, Erziehungs- und Unterrichtswesen zuständig war. Da das Thema Kunst verwaltungstechnisch Bestandteil der ›höheren Bildung‹ war, wurde dieser Behörde die Verantwortung für die Ausbildung von Künstlern übertragen.37 Etwas später übernahm das Kultusministerium auch die Verwaltung der bildenden Künste – konkret Malerei, Grafik und Bildhauerei (die Architektur wurde nicht dazu gezählt) –, womit Museumswesen, Kunstgewerbe und Denkmalpflege zu seinem Aufgabenbereich hinzukamen. Theater und Oper hingegen wurden nach wie vor als Sache des Hofes betrachtet.38 Der Fokus, den die Regierung auf die 34 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 340. 35 Vgl. ebd. 36 Vgl. Bärbel Holtz, Das Kultusministerium und die Kunstpolitik 1808/17 bis 1933, in: Abteilung I, Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817–1934), Bd. 2.1 Das preußische Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern Schulen, Wissenschaft, Kirchen, Künste und Medizinalwesen, Berlin 2010, S. 399–634, hier S. 405. 37 Vgl. Holtz, Das Kultusministerium, S. 409. 38 Vgl. ebd., S. 403.
Bürgerliche Musikkultur und preußische Kulturpolitik
53
bildenden Künste richtete, trug dazu bei, dass der Musik über einen vergleichsweise langen Zeitraum kaum Beachtung geschenkt wurde. Als erste bürgerliche Gruppierungen mit einer musikalischen Zielsetzung bei der Regierung offiziell beantragten, als Verein genehmigt zu werden, machte sich das Fehlen von Regelungen störend bemerkbar. 1817 beispielsweise führte der Brief eines Landrates aus Lennep an die preußische Regierung zu Diskussionen darüber, wie mit der Anfrage eines Sing-Vereins in Ehringhausen zu verfahren sei, der darum gebeten hatte, nach Artikel 291 des Strafgesetzbuches offiziell genehmigt zu werden.39 Nachdem bei der Regierung über dieses Anliegen intern beraten worden war, wurde dem Landrat mitgeteilt, dass ein Sing-Verein nicht nach dem Strafgesetzbuch beurteilt werden und darum die Genehmigung »zur Beruhigung der Interessenten«40 erteilt werden könne, solange der Vereinszweck nicht verändert würde. Da die Regierung während ihrer ersten Jahren in der Rheinprovinz noch Erfahrungen mit bürgerlichen Gruppierungen sammeln und Regularien entwickeln musste, überrascht es nicht, dass das Quellenmaterial zu musikalischen Vereinen während der ersten Jahre der Regierungszeit recht spärlich ist.41 Anfang des 19. Jahrhunderts waren massive gesellschaftliche Umbrüche im Gange, die langfristig zum Aufstieg eines selbstbewussten, gebildeten, kunstbegeisterten, wohlhabenden und einflussreichen Bürgertums führten und zugleich die zunehmende Autonomie der Kunst mit sich brachten.42 Diese Entwicklungen blieben der preußischen Regierung nicht verborgen. 1807 hatte Karl Freiherr v. Altenstein in einer Denkschrift noch kritisch festgestellt: »Im preußischen Staat sind in der letzten Zeit bedeutende Summen zur Unterstützung für Künste und Wissenschaften gegeben worden, allein ohne Plan und daher auch ohne wesentlichen Nutzen.«43 Doch bald erkannte die Regierung zum einen die Notwendigkeit, Kunst bei Bedarf reglementieren zu können, und zum anderen die Chance, den Wünschen von kunstinteressierten Bürgern, die in der Regionalpolitik eine immer wichtigere Rolle zu spielen begannen, entgegenzukommen und durch taktisch kluge Entscheidungen auf diesem Gebiet sogar in der breiten Bevölkerung Sympathien zu wecken. Ein anschauliches Beispiel für das gewachsene Verständnis der gesell39 Vgl. Brief Landrat Heydweiller aus Lennep an die Regierung Düsseldorf, 13. 7. 1817, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, S. 1a–1b. 40 Ebd., S. 1a, Vermerk auf dem Schreiben. 41 Gerhard Kurz weist auf die generell als schlecht zu bewertende Quellenlage zu den ersten Jahren der preußischen Regierung in Düsseldorf hin, vgl. Gerhard Kurz, Einleitung, in: Gerhard Kurz, Einleitung, in: Gerhard Kurz (Hg.), Düsseldorf in der deutschen Geistesgeschichte. 1750–1850, Düsseldorf 1984, S. 7–12, hier S. 9f. 42 Vgl. Holtz, Das Kultusministerium, S. 400. 43 Zit. nach Holtz, Das Kultusministerium, S. 405.
54
Eine musikalische Region – Bürgerliche Musikkultur im Rheinland
schaftspolitischen Bedeutung von künstlerischen Aktivitäten ist die Neugründung der Düsseldorfer Kunstakademie. Diese hatte praktisch jede Bedeutung verloren, nachdem die Gemäldegalerie 1805 von den Erben des Kurfürsten Karl Theodor nach München gebracht worden war, wo sie im Bestand der Alten Pinakothek aufging.44 1819 wurde sie nunmehr als preußische Königliche KunstAkademie wiedereröffnet und unter die Leitung des Malers Peter Cornelius gestellt. Dass mit ihm ein Einheimischer und obendrein Katholik eine solch hohe und repräsentative Position erhielt, war eine bewusste politische Entscheidung, die gezielt zum Abbau von Ressentiments gegenüber den neuen Landesherren beitragen sollte.45 Anders als es im Zusammenhang mit der bildenden Kunst der Fall war, zeigte die preußische Regierung an der von den Bürgern aufgeführten Musik in den ersten Jahren allerdings kein Interesse. Mit verwaltungsrechtlichen Fragen zu diesem Thema beschäftigten sich die Beamten nur, wenn ein konkreter Anlass gegeben war.46 Erst in den 1830er Jahren begann die Regierung, die integrationspolitischen Möglichkeiten anderer Formen des rheinischen Kulturlebens zu erkennen und zu nutzen. Hierbei tat sich insbesondere der in Düsseldorf residierende Prinz Friedrich hervor, der seine Volksnähe demonstrierte, indem er beispielsweise an Karnevalsveranstaltungen teilnahm47 und den 1834 von Immermann gegründeten Theaterverein unterstütze.48 Als ein Jahr zuvor der berühmte Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy als Städtischer Musikdirektor nach Düsseldorf kam und aus diesem Anlass der Verein zur Beförderung der Tonkunst gegründet wurde, übernahm Prinz Friedrich das Protektorat. Diese Form der Unterstützung eines musikalischen Vereins durch einen adeligen Herrscher war zu jener Zeit keineswegs alltäglich49 und zeigt, dass er der Anstellung Mendelssohns eine nicht geringe Bedeutung beimaß.
44 Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 15; vgl. auch Hugo Weidenhaupt, Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, 10. überarbeitete und erweiterte Aufl., Düsseldorf 1993, S. 87. 45 Vgl. Holtz, Das Kultusministerium, S. 421. 46 Vgl. hierzu S. 53. 47 Vgl. Inge Zacher, Prinz Friedrich von Preußen 1794–1863. Soldat, Repräsentant des Königs und Kunstfreund. Seine Jahre in Düsseldorf 1821–1848, in: Geschichtsverein Düsseldorf (Hg.), Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins. 76. Bd., Düsseldorf 2006, S. 27–109, hier S. 53. 48 Vgl. Zacher, Friedrich von Preußen, S. 83. 49 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 62.
3.
Alle Menschen werden Brüder – frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
3.1
Die Niederrheinischen Musikfeste
Da die Niederrheinischen Musikfeste der Anlass für die Gründung des Düsseldorfer Musikvereins waren, sollen seine Entstehung sowie seine Entwicklung in den ersten Jahrzehnten von den Festen ausgehend dargestellt werden. Insbesondere die ähnlichen Namen involvierter musikalischer Gruppierungen und die noch nicht geregelten Formalitäten von Vereinsgründungen haben in der Überlieferungsgeschichte zu einigen Irrtümern geführt, die im Folgenden geklärt werden sollen. Die Entstehung von Großveranstaltungen im Stil der Niederrheinischen Musikfeste wurde Ende des 18. Jahrhunderts von Musikfesten in Großbritannien inspiriert, bei denen vor allem Oratorien von Georg Friedrich Händel mit großem Erfolg gespielt wurden. Als sich Joseph Haydn 1794 und 1795 in London aufhielt, beeindruckten ihn die Aufführungen von Händels Messiah und Israel in Egypt1 so stark, dass er nach seiner Rückkehr nach Österreich Die Schöpfung komponierte.2 Nach der Uraufführung 1799 in Wien3 wurde das Werk rasch so populär, dass es zur Verbreitung der Musikfesttradition auf dem europäischen Kontinent maßgeblich beitrug. Dort wurden die ersten Musikfeste bereits 1801, 1803 und 1806 in der Schweiz gefeiert, wobei jedes Mal Haydns Schöpfung erklang.4 1810 fand im Thüringischen Frankenhausen ein erstes Fest statt.5 In den folgenden Jahrzehnten verbreitete sich der neue Veranstaltungstyp des Musikfestes in vielen Regionen des deutschsprachigen Raums, in Holland, im Elsass
1 Vgl. Andreas Eichhorn, Vom Volksfest zur »musikalischen Prunkausstellung«. Das Musikfest im 19. Jahrhundert als Forum bürgerlicher Selbstdarstellung, in: Die Musikforschung, 52 (Heft 1, Januar-März 1999), S. 5–28, hier S. 6. 2 Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 6. 3 Vgl. ebd. 4 Vgl. ebd. 5 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 145.
56
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
und sogar in den USA.6 Offenbar inspirierte die Berichterstattung in der Presse die musikbegeisterten Bürger im Rheinland.7 Von den Festen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet wurden, gehörten neben den Schlesischen Musikfesten die Niederrheinischen zu den langlebigsten überhaupt. Beide konnten ihre Tradition bis ins 20. Jahrhundert fortführen.8 Als Ursprung der Niederrheinischen Musikfeste gilt ein Konzert im Jahre 1817, das auf Anregung des Elberfelder Organisten Johannes Schornstein gemeinsam mit dem Düsseldorfer Musikdirektor August Burgmüller stattfand. Am 2. November 1817 wurde unter Schornsteins Leitung Joseph Haydns Schöpfung aufgeführt, wobei Musikliebhaber aus Düsseldorf und anderen umliegenden Städten als Chorsänger und Instrumentalisten mitwirkten.9 Mit dem Folgekonzert zu Pfingsten 1818 in Düsseldorf wurden die Niederrheinischen Musikfeste begründet.10 Während der kommenden hundert Jahre wurden die Pfingsttagen als Veranstaltungszeitraum beibehalten; erstmals 1922 wich man aus organisatorischen Gründen von der Tradition ab, die Musikfeste in den zeitlichen Kontext eines religiösen Festes zu stellen.11 Am 22. Dezember 1810, also über sieben Jahre vor dem ersten offiziellen Niederrheinischen Musikfest, war es schon einmal zu einer musikalischen Zusammenarbeit gekommen, als Bürger aus Düsseldorf und Elberfeld gemeinsam Haydns Schöpfung unter der Leitung Edmund von Webers (einem Schüler Joseph Haydns und Halbbruder Carl Maria von Webers) mit einem 200 Mann starken Orchester in Düsseldorf aufführten. Alf zitiert zwei Beschreibungen des Festes,12 aus denen sich ablesen lässt, dass die Initiative von einem besonders engagierten, begüterten Düsseldorfer Musikliebhaber namens Josef Hilgers ausging.13 In dieser Veranstaltung sind bereits wesentliche Elemente der Niederrheinischen Musikfeste zu erkennen: Der Initiator war ein wohlhabender Dilettant, die Leitung übernahm ein Berufsmusiker, zahlreiche Laienmusiker aus den Nachbarstädten wirkten mit und das Konzerte fand in unmittelbarer
6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 6f. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 160. Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 7. Vgl. [Wilhelm Hauchecorne], Blätter der Erinnerung an die fünfzigjährige Dauer der Niederrheinischen Musikfeste. Allen Theilnehmern gewidmet von einem früheren langjährigen Mitwirkenden, Köln 1868, S. 1. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 10f. Vgl. Sabine Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste im 20. Jahrhundert, in: Siegfried Kross (Hg.), Organisationsformen der Musik im Rheinland. Bericht über die Jahrestagung 1984, Kassel 1987, S. 17–26, hier S. 19. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 158f. Vgl. ebd., S. 158; vgl. auch Peter Darius, Die Musik in den Elementarschulen und Kirchen Düsseldorfs im 19. Jahrhundert, Köln 1969, S. 5.
Der Niederrheinische Musikverein
57
zeitlicher Nähe zu einem religiösen Feiertag statt. 1811 wurde die Schöpfung zu Pfingsten in Elberfeld wiederholt.14 Nach den Befreiungskriegen wurde im Jahr 1815 der Gesangverein ›Elberfelder Singschule‹ gegründet. Sein Zweck bestand darin, »die klassischen Werke der Tonkunst in regelmäßig bestimmten Übungen sich anzueignen […] [und] durch Aufführungen in gewähltem Kreise zur Veredelung des Geschmacks auch außerhalb des Vereins beizutragen.«15 Die vor den Kriegen begonnenen Aktivitäten bürgerlicher Musikkultur hatten offenbar in der Bevölkerung Fuß gefasst und wurden nun fortgesetzt. Nach den positiven Erfahrungen, die die Elberfelder Musikfreunde mit den Düsseldorfern gemacht hatten, lag es nahe, dass sich Schornstein 1817 mit seinem Vorschlag zur erneuten Bündelung musikalischer Kräfte an Burgmüller wandte. Nach der Etablierung der Niederrheinischen Musikfeste traten 1821 Köln und 1825 Aachen dem Ausrichterverbund bei, während Elberfeld 1827 ausschied.
3.2
Der Niederrheinische Musikverein
Um die Planung von Proben und Konzerten, die Notenbeschaffung, das Mieten von Räumen und die Finanzierung eines weiteren Musikfestes stemmen zu können, wählten die Verantwortlichen für das Folgekonzert 1817 in Düsseldorf die Form des Vereins. Dies schildert Wilhelm Hauchecorne, einer der langjährigen Organisatoren der Niederrheinischen Musikfeste, in seinen Blättern der Erinnerung zum 50-jährigen Bestehen der Niederrheinischen Musikfeste – jedoch ohne am Anfang seiner Publikation diesen Verein beim Namen zu nennen: »Zu Anfang des Jahres 1818 constituirte sich nun zur Ausführung des verabredeten Musikfestes in Düsseldorf ein Verein von Musikliebhabern und Kunstjüngern, und bildete einen Vorstand, zu welchem vornehmlich die Gebrüder Wetschky, v. Woringen d. J., Caspary und der Schreiber dieser Blätter gehörten … .«16
Wenige Absätze später erwähnt Hauchecorne die Comit8s der Städte Köln, Düsseldorf, Elberfeld und Aachen, die dem Niederrheinischen Musikfest-Verein17 untergeordnet seien. Abweichend von dieser Benennung wird der Verein an drei Stellen in der Zeitschrift Hermann folgendermaßen bezeichnet: Im April 14 Vgl. Eberhard Illner, Bürgerliche Organisation in Elberfeld 1775–1850, Neustadt a. d. Aisch 1982, S. 100; Julius Alf, Wuppertal und das Niederrheinische Musikfest. Ein unbekannter Kulturkampf, in: 105. Niederrheinisches Musikfest in Wuppertal. Jahrbuch 1950, Wuppertal 1950, S. 9–24, hier S. 9f. 15 Zit. nach Illner, Bürgerliche Organisation, S. 101. 16 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2. 17 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2.
58
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
1818 lautet eine Überschrift »Musikalischer Verein am Niederrhein (Bruchstücke aus einem Briefe)«18, im nächsten Artikel findet sich das Zitat: »Zu diesem geräuschlos gebildeten musikalischen Verein am Niederrhein, an dessen Spitze, der öffentlichen Bekanntmachung der diesjährigen Aufführungen zu Folge, die Herrn Wetschky, Appellations-Rath von Woringen und Kalkulator Hauchecorne, zu Düsseldorf, für dieses Jahr stehen«19, und eine Woche später ist zu lesen: »Der niederrheinische Musikverein gab nämlich unter Leitung des Herrn Direktors Burgmüller … Haydn’s Jahreszeiten und Schöpfung.«20 Auch in dem Aufruf zur Beteiligung am ersten Niederrheinischen Musikfest in der Allgemeinen Zeitung Elberfeld vom 6. Mai 1818 ist der Name abgedruckt, in der Überschrift allerdings mit einem Zusatz versehen: »Der Zweite große musikalische Verein am Niederrhein lädt Kunstfreunde in Köln, Dortmund, Elberfeld, Düsseldorf und anderen Städten ein, sich kurzfristig noch als Mitwirkende zu beteiligen.«21 Unterschrieben ist die Anzeige von den bereits bekannten Personen Wetschky, v. Woringen und Hauchecorne. In zwei anderen Quellen aus späteren Jahren ist wiederum die Rede vom Niederreihnischen Musikverein: Der Niederrheinische Musikverein dankt 1825 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Ferdinand Ries,22 und in dem Artikel Musik-fest aus einem Lexikon von 1835 heißt es: »So besteht namentlich zwischen den Städten Köln, Düsseldorf und Aachen ein solcher Verband unter dem Namen des Niederrheinischen Musikvereins.«23 Diese unübersichtliche Quellenlage zur Namensgebung lässt sich jedoch mit Hilfe von Hauchecornes Bericht entwirren: Im Jahr 1820 wurde von Abge18 Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas 34 (28. 4. 1818), S. 295. 19 Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas 41 (22. 5. 1818), S. 352. 20 Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas 43 (29. 5. 1818), S. 371. 21 Allgemeinen Zeitung Elberfeld (6. 5. 1818), zit. nach Sabine Zahn, Rheinisches Musikfest: Rheinisches Musikfest 1984 Düsseldorf, veranstaltet vom Westdeutschen Rundfunk u.d. Landeshauptstadt Düsseldorf in Verbindung mit dem Kultusministerium Nordrhein-Westfalen und dem Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW in Wuppertal, Köln 1984, S. 6. Unklar ist, was die Bezeichnung ›zweiter‹ in der Überschrift der Annonce bedeutet. Möglicherweise bezieht sich die Zählung auf einen Vorläuferverein, der 1824 in einer Ausgabe der Zeitschrift Cäcilia erwähnt wird. Zunächst habe es 1817 noch den ›Niederrheinisch-Westphälischen Musik-Verein‹ gegeben. Vgl. Anmerkung ›eines anderen Mitarbeiters‹ in dem Artikel Gottfried Weber, Blicke auf die neuesten Erscheinungen in der musikalischen Literatur, in: Cäcilia, eine Zeitschrift für die musikalische Welt, 1 (Heft 4, 1824), S. 317–377, hier S. 361. Weitere Quellen und nähere Informationen zu dem Niederrheinisch-Westphälischen Musik-Verein waren bisher nicht auffindbar. 22 Vgl. AmZ 26 (29. 6. 1825), Sp. 449. 23 Artikel Musik-fest, in: H. A. [Heinrich August] Pierer (Hg.), Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, 14. Bd., Altenburg 1835, S. 300.
Der Niederrheinische Musikverein
59
sandten der drei beteiligten Städte des Niederrheinischen Musikvereins die Grundlage für ein Statut vereinbart, das den damaligen Stand der Bestimmungen zu den Festen, den Vorständen und den Finanzen abbildet. Aus welchem Grund das Statut, dessen Entwurf bei Hauchecorne abgedruckt ist, nicht zur offiziellen Genehmigung vorgelegt wurde, muss offen bleiben.24 Als Quelle, die die Vereinssituation von 1820 widerspiegelt, kann es dennoch herangezogen werden. In dem Statutenentwurf ist zu lesen: »Zur Geschichte unserer Musikfeste gehört auch die Mitteilung, dass im Frühjahr des Jahres 1820 von Elberfeld aus an die Düsseldorfer und Cölner Musikfreunde der Vorschlag erging, bei Gelegenheit des dritten Musikfestes zu Düsseldorf gemeinschaftliche Statuten für die Pfingst-Musikfeste zu berathen und festzustellen. Es wurde auf dem Feste verabredet, dass Abgeordnete der drei Städte sich zu obigem Zweck am 25. Juni 1820 zu Opladen einfinden möchten, was auch geschehen. In dieser Zusammenkunft wurde die nachfolgend abgedruckte Punktation zur Herstellung eines Statuts vereinbart.«25
Für die Redaktion der Statuten waren der Advokat Hoffmann und Herr Regierungsreferendar Brockhoff verantwortlich.26 In dem Statutenentwurf wird beschrieben, dass aus den mitwirkenden Städten Düsseldorf, Elberfeld und Köln je drei Mitglieder zur »Direction des Haupt-Vereins«27 zusammenkommen sollen, die für die Finanzen verantwortlich sind und Entschlüsse nach einem festgelegten Mehrheitsprinzip fassen dürfen. Diese Personengruppen waren die Repräsentanten der zuvor bereits erwähnten drei Comit8s der beteiligten Städte, die dem Niederrheinischen Musikfest-Verein untergeordnet waren.28 Anders als es die Beschreibung zu Anfang von Hauchecornes Bericht29 und der Aufruf in der Allgemeinen Zeitung Elberfeld vom 6. Mai 1818 auf den ersten Blick vermuten lassen könnten, waren Wetschky, v. Woringen und Hauchecorne nicht die Vorsitzenden des Niederrheinischen Musikvereins, also der überregionalen Dachorganisation, sondern die drei Vorsteher des untergeordneten Düsseldorfer Komitees. In dem Aufruf in der Allgemeinen Zeitung Elberfeld unterschrieben sie »im Namen sämmtlicher Mitglieder des Vorstandes des musikalischen Vereins am Nieder24 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 12f. Die Entwürfe wurden 1837 noch einmal in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung abgedruckt, um die Behauptung zu widerlegen, dass nie der Versuch unternommen worden sei, ein Statut zu verfassen, vgl. AmZ 48 (29. 11. 1837), Sp. 785–787 sowie AmZ 49 (6. 12. 1837), Sp. 807f. 25 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 12f. 26 Ebd., S. 13. Diese Namen werden später im Düsseldorfer Musikleben erneut auftauchen: Beide Herren gehören zu den Unterschreibenden eines Briefes vom Oktober 1822, in dem es um die Genehmigung des städtischen Musikvereins geht, und Caspary ist darüber hinaus einer der Vorstände des Niederrheinischen Musikvereins, vgl. hierzu S. 57, 94. 27 Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 13. 28 Vgl. ebd., S. 2. 29 Vgl. ebd.
60
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
rhein«30, da 1818 Düsseldorf die ausrichtende Stadt war. Die abweichenden Benennungen des Dachvereins und das Fehlen eines prägnanten Namens für die Untergruppen der einzelnen Städte haben zu diesem Missverständnis beigetragen. Auf die Problematik, dass das Düsseldorfer Komitee in der Literatur mit dem Düsseldorfer Musikverein verwechselt wird, soll in Kap. 5.4 eingegangen werden. Der Niederrheinische Musikverein hat auch später nie ein verbindliches Statut bekommen,31 sondern blieb ein lockeres Zweckbündnis ohne feste Rechtsform. Offenbar gelang es nicht, einheitliche Statuten für den Verein festzulegen, da der demokratisch organisierte Mitgliederkreis aus drei Städten die Beschlussfassung zu kompliziert machte.32 Dennoch bezeichnet Weibel den Niederrheinischen Musikverein als den erfolgreichsten Musikfestverein seiner Zeit, der während des 19. Jahrhunderts Vorbild für alle anderen Musikfestveranstalter war.33 Darüber, bis wann er existiert hat, liegen keine gesicherten Informationen vor. Die letzte nachweisbare Nennung ist im Programmheft der Niederrheinischen Musikfeste 1871 in Köln zu finden, in dem der Verein als Veranstalter der Feste aufgeführt wird.34 Da nie ein von der Regierung genehmigtes Statut existiert hat, ist es müßig, nach dem offiziellen Datum der Vereinsauflösung zu suchen.
3.3
Akteure
Die Organisatoren der ersten Niederrheinischen Musikfeste sind nicht identisch mit den Gründern des Düsseldorfer Musikvereins, doch gibt es zahlreiche personelle Überschneidungen, die Rückschlüsse auf Motivation und Einstellung 30 Allgemeinen Zeitung Elberfeld (6. 5. 1818), zit. nach Sabine Zahn, Rheinisches Musikfest, S. 6. 31 Der Chronist Otto Most beschreibt abweichend von Hauchecornes Aussage, dass der zweite Statutenentwurf verbindlich festgelegt worden sei, vgl. Otto Most, Geschichte der Stadt Düsseldorf. Zweiter Band von 1815 zur Einführung der Rheinischen Städteordnung (1856), hg. vom Kulturamt der Stadt Düsseldorf, unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Originalausgabe von 1921, Düsseldorf 1981, S. 233; laut Hauchecorne kam aber zwischen den Vertretern der beteiligten Städte Aachen, Köln, Düsseldorf und Elberfeld auch bei einem zweiten Anlauf 1830 keine Einigung zustande. Anschließend wurde kein weiterer Versuch mehr unternommen, ein Statut zu erstellen, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 31. Dass das Statut nicht offiziell genehmigt wurde, bestätigen auch die Ausführungen in der Allgemeinen musikalischen Zeitung, vgl. AmZ 48 (29. 11. 1837), Sp. 785–787 sowie AmZ 49 (6. 12. 1837), Sp 807f. 32 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 165. 33 Vgl. ebd., S. 162. 34 Vgl. Feier des Friedens. Achtundvierzigstes Niederrheinisches Musikfest zu Cöln 1871. Pfingsten, den 28., 29. und 30. Mai, Köln [1871], [S. 1], Programmheft, ULB Düsseldorf, Magazin, f 968 48.1871.
Akteure
61
der späteren Vereinsmitglieder erlauben und aus diesem Grund hier herangezogen werden sollen. Zunächst einmal fällt auf, dass von Anfang an Männer wie Frauen gleichermaßen an den Musikfesten beteiligt waren. Die Zielsetzung der Feste ließ auch keine andere Konstellation zu, denn für Oratorien wie Haydns Die Schöpfung und Die Jahreszeiten wurde ein gemischter Chor gebraucht, und der Anspruch, zum überwiegenden Teil Dilettanten einzusetzen und den wenigen Berufsmusikern nur eine geringe Entschädigung zu zahlen, hätte es unmöglich gemacht, sämtliche Frauenstimmen durch externe Profisängerinnen zu besetzen, wie dies beispielsweise in der Schweiz praktiziert wurde.35 Hinsichtlich ihrer Kompetenzen lassen sich die Mitwirkenden der Niederrheinischen Musikfeste der ersten ca. 15 Jahre in Profimusiker und Musikliebhaber einteilen, wobei Letztere den deutlich größeren Anteil ausmachten. Beispielsweise 1821 waren mehr als vier Fünftel der Ausführenden Dilettanten. Bei 394 Beteiligten insgesamt (zwei Direktoren, zwölf Solisten, 222 Chorsänger, 158 Orchestermusiker)36 wirkten also zwischen 66 und 78 Berufsmusiker als Solisten oder Instrumentalisten mit; der Chor setzte sich nahezu vollständig aus Laiensängern zusammen. Auch wenn die Relationen sicher nicht bei allen Festen der ersten Zeit exakt die Gleichen waren, veranschaulicht diese Zahl, dass schon in den ersten Jahren mitwirkende Profis einen nicht unbedeutenden Anteil ausmachten. Zu den von Anfang an unentbehrlichen Berufsmusikern gehörten die Dirigenten. Zwischen 1818 und 1823 waren dies entweder Burgmüller oder Schornstein, die zwar als städtischer Musiklehrer in Düsseldorf bzw. Organist in Elberfeld angestellt waren, doch die für ihre Leistungen bei den Festen vom veranstaltenden Niederrheinischen Musikverein eine nicht unbeträchtliche Vergütung bekamen, über deren Höhe der allgemeine Vorstand entschied.37 1821 beispielsweise betrug Burgmüllers Honorar 180 Reichstaler, was mehr war als sein Jahresgehalt als Städtischer Musikdirektor.38 Verträge wurden mit den Dirigenten nicht geschlossen, die Zusammenarbeit »gründete sich auf einen vertrauensvollen Ruf«39. Alle anderen Berufsmusiker bekamen kein Honorar, son-
35 Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 9. 36 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang, S. 5. 37 Vgl. Statutenentwurf Niederrheinischer Musikverein von 1820, abgedruckt in Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 13. 38 Vgl. Klaus Martin Kopitz, Norbert Burgmüller. Ein Leben zwischen Beethoven – Spohr – Mendelssohn, Kleve 1998, S. 115. Zum Zeitpunkt von Burgmüllers Tod im Jahr 1824 betrug sein Gehalt 157 Reichstaler und 15 Silbergroschen (›157 rT und 15 Sg.‹), vgl. Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Stadtrathes vom 29. 1. 1825, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, S. 39b. 39 Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 218.
62
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
dern allenfalls eine Aufwandsentschädigung.40 In der Öffentlichkeit wurde es so dargestellt, dass zahlreiche Blechbläser (vor allem Zunftmusiker, städtische Angestellte und Militärmusiker) jederzeit schnell und gerne zur Verfügung gestanden hätten.41 Welche Dilettanten als Chorsänger oder auch Gesangssolisten an den Konzerten teilnehmen durften, legte das jeweilige Komitee der ausrichtenden Stadt fest, wobei die Entscheidungsfindung den Hauptteil der Korrespondenz zu den Musikfesten ausmachte.42 Zugelassen war nur, wer von einem ›Vertrauensmann‹ in der jeweiligen Stadt als ausreichend qualifiziert empfohlen wurde.43 Ohne einen solchen Gewährsmann musste der Interessent mit einer Eignungsprüfung rechnen, die das Komitee durchführte – jedoch: »Die frühen Feste kennen abschlägige Antworten selten.«44
3.4
Bürgerlicher Idealismus als Motivation
Laut einem Artikel in der Zeitschrift Hermann waren musikalische Laien und Profis gemeinsam an dem Niederrheinischen Musikfest 1818 beteiligt, »alles Leute, die nicht um baares Geld, sondern aus eigenem frohen Willen und von innerer Lust getrieben, sich regen und sich und andere erfreuen wollen.«45 Die Zusammenarbeit wird also als ein harmonisches Miteinander beschrieben, bei dem Berufsmusiker und Dilettanten gemeinsam musizierten, auch wenn Letztere in der Praxis meist nicht die Rolle der Stimmführer übernahmen.46 Um im Publikum möglichst keine Hierarchien sichtbar werden zu lassen, vergaben die Veranstalter in den ersten Jahren bei einigen Konzerten explizit keine privilegierten Plätze. Über das Musikfest 1825 beispielsweise schreibt Hauchecorne, dass die Sitzplätze verlost worden seien, um alle Besucher im Theater gleichzustellen; ausgenommen hiervon waren allerdings Behördenvertreter :47 Auf diese konnte das Prinzip der angestrebten Hierarchielosigkeit also nicht übertragen werden. Das Verlosen von Plätzen blieb bis zur Professionalisierung der Niederrheinischen Musikfeste etwa in der Mitte des 40 Vgl. Statutenentwurf Niederrheinischer Musikverein von 1820, abgedruckt in Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 13. 41 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 2, S. 8. 42 Vgl. ebd. 43 Vgl. ebd. 44 Ebd. 45 Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas 34 (28. 4. 1818), S. 296. 46 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 88. 47 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 23.
Bürgerlicher Idealismus als Motivation
63
19. Jahrhunderts ein etabliertes Ritual.48 Die von der Sache begeisterten Mitwirkenden gehörten verschiedenen gesellschaftlichen Schichten an – Adelige, Bürger und Handwerker –, wodurch im Rahmen des Festes die sonst starren gesellschaftlichen Strukturen teilweise aufgeweicht wurden.49 Insbesondere über die Chöre wird berichtet, dass Vertreter der ›einfachen Kreise‹ einen beträchtlichen Anteil der Sänger ausmachten.50 Die private Unterbringung der Gäste von auswärts und die verwandtschaftlichen Beziehungen vieler Beteiligter schufen eine familiäre Atmosphäre, die bei den Festen der ersten Jahre als echte Volkstümlichkeit wahrgenommen wurde.51 Begleitveranstaltungen beförderten nicht selten die Geselligkeit unter den Teilnehmern. Seit 1823 wurden Hinweise auf solche in den Programmen mit angekündigt: Es fanden Exkursionen statt, Frühstücktreffen und Barutschenfahrten, abendliche Bälle, Promenadenfahrten, Fackelzüge mit Musik, festlicher Beleuchtung der Insel Rheinau und des Bayenthurms, Feuerwerke sowie eine musikalische Eisenbahn-Festfahrt.52 Dadurch dass über Zeitungsannoncen zur Teilnahme an den Musikfesten aufgerufen wurde, fand vor den Stimmprüfungen keine Auswahl der Teilnehmer statt, so dass die Veranstaltungen keiner exklusiven Gruppe vorbehalten, sondern grundsätzlich der breiten Öffentlichkeit zugänglich waren. Bei seinen Auswertungen der ersten Niederrheinischen Musikfeste kommt Alf zu der Einschätzung, dass viele der Familien, die in die Organisation involviert waren, zu den »vornehmsten der Stadt«53 gehörten. Ausgehend von Fremdenlisten lassen sich die Mitwirkenden der Jahre 1827 und 1837 in vier Gruppen einteilen: Kaufmänner, zu denen auch einige Handwerksmeister gehören, Justizbeamte, des Weiteren Lehrer, Musiker und Tonkünstler und schließlich der einfache Mittelstand, zu dem Alf Steuerbeamte, Regierungssekretäre sowie Vertreter freier Berufe wie Ärzte und Architekten zählt.54 Darüber hinaus ist vermerkt, dass einmal in einem Privatquartier »zwei Fabrikarbeiter aus Krefeld«55 untergebracht waren. Einen Wandel in der Mitgliederstruktur sieht Alf seit 1837: Die meisten Beteiligten sind nun Kaufleute, außerdem rücken Vertreter des Offiziersstands und Personen mit Adelstitel auf. Immer häufiger findet sich bei den Namen der Vermerk ›Rentner‹ (zu dieser Zeit wurde der Begriff allerdings im Sinne von ›Rentier‹ verwendet, was bedeutet, dass diese 48 49 50 51 52 53 54 55
Vgl. Zahn, Rheinisches Musikfest, S. 33. Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 80f. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 192f. Vgl. ebd., S. 200, 203. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang S. 7, 9, 11, 13, 27. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 168. Vgl. ebd., S. 196. Ebd. Hierbei handelt es sich um den einzigen schriftlichen Beleg dafür, dass Arbeiter an einem Musikfest als Mitwirkende beteiligt waren.
64
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
Personen aus Einkünften von Kapital-, Boden- oder Pachtzins lebten56). Insgesamt ist zwischen 1827 und 1837 ein starkes Hervortreten »der in ihrem Einkommen sicher fundierten Berufe«57 zu beobachten. In der Verteilung zeigt sich eine berufliche Vielfalt unter den Mitwirkenden, in der prinzipiell der von Tenbruck beschriebene Anspruch der bürgerlichen Musikkultur verwirklicht wird, gemäß dem die Zugehörigkeit zu ihr zwar durch die ökonomische Lagen bedingt, aber nicht eindeutig bestimmt ist.58 Die Beteiligung von Menschen mit bürgerlichen Berufen war ebenso möglich wie die von Adeligen und Arbeitern. Der idealistische, von den Veranstaltern so nachdrücklich vertretene Anspruch der Anfangszeit kann aufgrund von Überschneidungen im Personal und in der Zielsetzung prinzipiell auch auf den in zeitlicher Nähe entstandenen Düsseldorfer Musikverein übertragen werden. Das Ideal der Hierarchielosigkeit findet sich in allen seinen überlieferten Statuten bis in die Gegenwart und auch in denen seiner Vorläufergruppierungen: Festgelegt ist, dass die Aufnahme von Mitgliedern grundsätzlich nicht an Einkommen, Beruf, ethnische und soziale Herkunft gebunden ist.59 Dieser formulierte Anspruch, dass theoretisch jedem Bürger die Mitgliedschaft in einem Musikverein offensteht, darf als in hohem Maße repräsentativ für den deutschsprachigen Raum gelten.60 In Düsseldorf wurde das Projekt der Niederrheinischen Musikfeste zunächst bei den angesehenen Dilettanten trotz aller Begeisterung für die Musik als neuartig und kühn angesehen; bei den Musikverantwortlichen der Stadt war eine gewisse Skepsis zu bemerken.61 Keiner der Vorstände der einflussreichen Musikakademie,62 die zu den obersten Vertretern der Stadt zählten, gehörte zum Vorstand des ersten Musikfestes in Düsseldorf.63 Trotz allen Enthusiasmus’ der Organisatoren gelang die praktische Umsetzung der bürgerlichen Ideale nur in einem begrenzten Rahmen und nicht für viel länger als ein Jahrzehnt. Die Relation von 340 Mitwirkenden64 des Festes von 1827 insgesamt zu zweien, bei denen sich nachweisen lässt, dass sie der Be56 Vgl. Artikel Rentner, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, Bd. 20, 9. Aufl., Mannheim 1977, S. 18. 57 Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 197. 58 Vgl. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 273. 59 Eine Ausnahme bildet der ›Arier-Paragraph‹ im Statut von 1935, vgl. hierzu S. 230. 60 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 97, 100–102. 61 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 192. 62 Vgl. hierzu S. 76f.; vgl. Mitgliederliste der Musikakademie von 1809, Digitalisat im Besitz des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf; vgl. Vorstände der Musikacademie 1817 in: Heinrich August Mindel, Wegweiser Düsseldorf ’s oder Grundlage zur geographisch-, statistisch-, topographisch-, historischen Darstellung von Düsseldorf, nach seinen frühern und derzeitigen Verhältnissen/aus den zuverlässigsten Quellen entnommen, zusammengetragen und aufgestellt vom Carl Heinrich August Mindel, Düsseldorf 1817, S. 35. 63 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 192. 64 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang S. 11.
Die Finanzierung
65
rufsgruppe der Arbeiter angehörten, zeigt, dass die Kluft zwischen den sozialen Schichten nur in Einzelfällen überbrückt werden konnte und dass finanziell schlecht gestellte Personen trotz allen Entgegenkommens der Veranstalter nicht wirklich integriert wurden.65 Hinzu kam, dass der Aufruf zur Teilnahme in Zeitungen sich zwar an die ganze Bevölkerung richtete, aber Menschen mit geringem Bildungsstand oft Analphabeten waren und daher von der Veranstaltung gar nichts erfuhren. In der Praxis waren es fast immer nur die wohlhabenden Dilettanten, die sich über einen längeren Zeitraum die Mitwirkung bei den Musikfesten leisten konnten.66
3.5
Die Finanzierung
In Berichten über die erste Zeit der Niederrheinischen Musikfeste wird stets die Bereitschaft der Beteiligten zur unentgeltlichen Mitarbeit positiv hervorgehoben. Auch wenn auf diese Weise der Gegenwert zahlreicher Dienstleistungen zur Verfügung stand, fielen für Räumlichkeiten, Aufwandsentschädigungen, Zeitungsannoncen, Noten etc. dennoch hohe Kosten an. Um diese zu decken, standen Mitgliedsbeiträge und die Einnahmen aus den Konzerten zur Verfügung. Die Durchführung in den gastgebenden Städten lag in der Verantwortung des jeweiligen städtischen Komitees des Niederrheinischen Musikvereins; die Beiträge sollten von diesem »im bewährten rechten Sinne für den Zweck der Musikfeste ausgegeben werden«67. Die Städte selbst waren nicht als Veranstalter involviert und somit auch nicht an den Kosten beteiligt. Dennoch profitierten sie von den zahlreichen Besuchern, die über das Gastgewerbe Steuergewinne einbrachten und außerdem die Bekanntheit der Stadt erhöhten und ihr Image aufwerteten. Es dauerte nicht lange, bis die veranstaltenden Musikliebhaber begannen, die Städte quasi als Gegenleistung für diesen Mehrwert in die Pflicht zu nehmen. Aus dem Jahr 1823 ist überliefert, dass auf einen »Antrag der Kunstfreunde« hin der Kölner Stadtrat eine »bedeutende Summe«68 zur Renovierung des Veranstaltungssaales bereitgestellt hatte, nachdem das Fest von der Presse sehr gelobt worden war.69 In der Zeitung wurde anschließend ausdrücklich der Wunsch formuliert, die Stadt möge doch auch in Zukunft die Feste unterstützen, um Erreichtes zu erhalten und potenzielle Möglichkeiten weiter auszubilden: »Unter der königl. preuss. Regierung, welche überall die Anstalten für Wissenschaft und Künste so väterlich ausstattet, darf man sich mit Zuver65 66 67 68 69
Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 331. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 201. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 12, 30. AmZ 35 (26. 8. 1824), Sp. 561–567. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 15.
66
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
sicht der Hoffnung überlassen, durch Gewährung einer solchen kräftigen Stütze die Erreichung jedes würdigen Zieles verbürgt zu sehen.«70 Zwei Jahre später fragten auch Düsseldorfer Musikfreunde bei der Stadt nach Unterstützung des Festes, das 1826 unter der Leitung von Ferdinand Ries und Louis Spohr stattfinden sollte. In einem Brief vom 7. Januar 182671 bat das Düsseldorfer Komitee des Niederrheinischen Musikfestes erstens um die kostenlose Überlassung eines zusätzlichen Gebäudes und zweitens ganz direkt um finanzielle Unterstützung. Als Argument für diesen Wunsch wurde der finanzielle Nutzen, den die Stadt durch den Besucherzustrom zu erwarten hatte, angeführt. Und schließlich sei auch in den anderen beteiligten Städten aus dem gleichen Grund zu den Musikfesten eine »Beisteuer aus städtischen Mitteln«72 gezahlt worden. Die Stadt bewilligte die gewünschten Räumlichkeiten, nicht jedoch den finanziellen Zuschuss. Abgesehen von einer selbstbewussten, um nicht zu sagen fordernden Haltung des Komitees ist dem Brief zu entnehmen, dass die Aufwandsentschädigungen für die beteiligten Berufsmusiker der Stadt gegenüber als Bezahlungen bezeichnet wurden und einen großen Teil der Kosten ausmachten, während laut Presse und rückblickenden, idealisierenden Schilderungen angeblich nur wenige Professionelle involviert waren, die sich aus Begeisterung genau wie die Musikliebhaber in den Dienst der Sache stellten. Offensichtlich wurden Sachverhalte aus taktischen Erwägungen heraus in der Öffentlichkeit anders dargestellt als in interner Korrespondenz, die der Einwerbung von Sachmitteln und Geldern diente.
3.6
Repertoire und Aufführungsästhetik
Die große Zahl von Sängern und Sängerinnen führte bei den Niederrheinischen Musikfesten von Anfang an zu der klaren Schwerpunktlegung auf Chorwerke. Außerdem wurden die Werke durch den hohen Anteil von Laienmusikern auf der Skala der Virtuosität nach oben begrenzt. Vorschläge für die Programmgestaltung lieferten turnusmäßig jeweils die Vorsteher der gastgebenden Stadt; über die Vorschläge entschieden die Vorstände des Niederrheinischen Musikvereins gemeinsam (Statutenentwurf Absatz 12).73 Gerade in den ersten Jahrzehnten hatte die überregionale Struktur der Musikfeste den unschätzbaren Mehrwert, dass Werke aufgeführt werden konnten, die wegen ihrer Besetzung 70 AmZ 37 (9. 9. 1824), Sp. 601–602. 71 Vgl. Brief des Komitees für das Niederrheinische Musikfeste an den Landrat vom 7. 1. 1826, StAD Düsseldorf, 0-1-2-611.0000, S. 1a, 1b. 72 Brief des Komitees für das Niederrheinische Musikfeste an den Landrat, 1. 1. 1826, StAD Düsseldorf, 0-1-2-611.0000, S. 2a–5b, hier 4b. 73 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 13.
Repertoire und Aufführungsästhetik
67
vom städtischen oder kirchlichen Musikbetrieb ausgeschlossen waren.74 Insbesondere für große Chorwerke standen in den wenigsten Städten genügend Musiker zur Verfügung. Von Anfang an erklangen bei den Niederrheinischen Musikfesten regelmäßig Oratorien von Friedrich Händel. Ab 1833 begann Felix Mendelssohn Bartholdy als Festdirigent damit, dessen Werke nicht mehr in zeitgenössischen Bearbeitungen, sondern ausgehend von dem originalen Notentext mit nur wenigen behutsamen Retuschen zu spielen, womit er die Idee einer werkgetreuen Aufführungspraxis barocker Musik in breiten Kreisen bekannt machte. Diese Form der Händel-Pflege galt als ein Charakteristikum der Niederrheinischen Musikfeste.75 Neben etablierten Komponisten wie Haydn und Händel finden sich aber auch stets Werke von lebenden Komponisten auf den Programmen. Neuere Oratorien stammten beispielsweise von Louis Spohr, Bernhard Klein, Ferdinand Ries, Abb8 M. Stadler, Friedrich Schneider und seit 1836 Felix Mendelssohn Bartholdy. Der enge Zeitplan und auch die Unerfahrenheit vieler Mitwirkenden hatten Einfluss auf die künstlerische Qualität der Aufführungen, die in den ersten Jahren eher gering gewesen sein dürfte.76 Bald gingen die Musikliebhaber zwar dazu über, sich in den Musikvereinen der beteiligten Städte durch gemeinsame Proben auf die geplanten Stücke vorzubereiten, doch es dauerte eine Weile, bis dieses Vorgehen zu einer deutlichen Verbesserung der Aufführungen beitrug. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde den Mitwirkenden sowohl vom Publikum als auch von der Presse dieses Defizit noch verziehen und stattdessen das gute Wollen anerkannt und gelobt.77 Die Musikfeste der ersten Zeit müssen mit all ihren Begleiterscheinungen – Geselligkeit über Standesgrenzen hinweg, private Unterbringung, familiäre Atmosphäre, Rahmenprogramme und Ausflüge, gemeinschaftliche Organisation etc. – als komplexe Inszenierungen betrachtet werden, die von den Bürgern konzipiert, durchgeführt und in der Ge74 Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 10. 75 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 383f. 76 In der Vorgeschichte der Niederrheinischen Musikfeste hatten die Düsseldorfer und Elberfelder Musikliebhaber 1811 gemeinsam Haydns Schöpfung aufgeführt. Zunächst unterstützte Musikdirektor Burgmüller die Proben noch, war dann aber ob der »Unzulänglichkeit der vorhandenen Mittel verzweifelt« und hatte sich zurückgezogen, vgl. Alf 1940, S. 159. Bei der Aufführung von Beethovens 9. Symphonie 1825 in Aachen mussten Teile des Adagios und das ganze Scherzo ausgelassen wurden, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 18– 21. 1826 hatte der Gastdirigent Louis Spohr über die Leistungen des kurzfristig zusammengestellten Orchesters seine Unzufriedenheit geäußert, vgl. Edmund Spohr, Louis Spohr und Amalie von Sybel. Ein Beitrag zur Musikgeschichte Düsseldorfs und zur Geschichte der Niederrheinischen Musikfeste, in: Hartmut Becker/Rainer Krempien, Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag. Ausstellung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Kassel 1984, S. 91–104, hier S. 96. 77 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 2, S. 9.
68
Frühe Jahre der Niederrheinischen Musikfeste
sellschaft kommuniziert wurden. Dieses Vorgehen ist ein anschauliches Beispiel für die von Hettling beschriebene öffentliche »Emotionalisierung der bürgerlichen Kultur«78, die vollkommen unentbehrlich war, denn schließlich wäre es ohne das so erzeugte starke »emotionale Fundament«79 nicht möglich gewesen, derartig viele Menschen für die unentgeltliche Beteiligung an den Musikfesten zu mobilisieren.
78 Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 332. 79 Ebd.
4.
Dilettanten betreten das Podium – Ursprünge der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf
4.1
Musikvereine in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Zu den entscheidenden Veränderungen, die die kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland begleiteten, zählt Tenbruck neben der Erhöhung der räumlichen Mobilität und der Verstädterung die Tendenz, sich zunehmend nach eigenen Interessen in Gruppen zusammenzuschließen,1 was zu der Gründung einer unübersehbaren Menge von Vereinen führte. So unterschiedlich diese Organisationen auch sein mochten, sie bildeten sich fast durchgängig mit Blick auf Fragen, die weltanschauliche, nationale, religiöse, ethische, humanitäre, bildungsmäßige, soziale und politische Ziele ansprachen.2 Die Offenheit des Systems der bürgerlichen Kultur fand ihre ideale Entsprechung in der Form des musikalischen Vereins, in dem einerseits die Beschäftigung mit Kunstwerken den Erwerb von Bildung gemäß dem bürgerlichen Ideal ermöglichte und andererseits Geselligkeit und Unterhaltung das Miteinander der Beteiligten bereicherten und die Gemeinschaft festigten. Insbesondere an die musikalischen Vereine wurde der hohe Anspruch gestellt, die Zielutopie des bürgerlichen Denkens im Kleinen zu realisieren, denn die gängige Einschätzung war, dass Musikvereine aufgrund ihrer Organisationsform besser als andere Gruppierungen dafür geeignet seien, ein ständeübergreifendes Gremium auszubilden, in dem Adel, Bürgertum, Kaufleute Handwerker, Offiziere und Lehrer, hohe Beamte und Amtsgehilfen, Angestellte und Unternehmer zusammen wirken konnten.3 Insbesondere der gemeinsame Chorgesang ermöglichte es den Beteiligten, für den Zeitraum der Proben und Aufführungen gleichberechtigt nebeneinander auf dem Podium zu stehen. In den Musikvereinen, an die ein gemischter Chor angegliedert war, bestand darüber hinaus für Frauen die 1 Vgl. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, S. 278. 2 Vgl. ebd., S. 280. 3 Vgl. Gall, Bürgertum in Deutschland, S. 213.
70
Ursprünge der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf
Möglichkeit, sich als Sängerinnen zu beteiligten. Zwar konnten sie nur selten auch stimmberechtigtes Mitglied des Vereins werden,4 doch auf musikalischer Ebene wurden sie idealerweise als gleichrangig angesehen. Der Satz ›Alle Menschen werden Brüder‹ aus Friedrich Schillers Ode An die Freude in Ludwig van Beethovens Schlusschor seiner Sinfonie Nr. 9 galt im musikalischen Vereinswesen als ein durchaus ernstgemeintes Motto.5 Der bürgerliche Musikverein war also unbestreitbar von Idealen getragen, für deren Verwirklichung seine autonome Organisationsform unentbehrlich war. Da kein Fürst oder eine andere höhere Instanz regelnd eingriff und der Verein seine Zwecke durch Statuten individuell festlegte, gab es im Prinzip auch nur für Personen, die diese Ziele wirklich teilten, einen Anreiz, dem Verein beizutreten. Alle Mitglieder waren also durch gemeinsame Interessen, Pläne und Aktivitäten miteinander verbunden und trugen zu diesen in einem Maße bei, welches jeder selbst bestimmte. Diese freie Form brachte jedoch zugleich die Herausforderung mit sich, im alltäglichen Vereinsleben mit seinen Versammlungen, Konzerten, Proben und geselligem Beisammensein zwischen all den gleichberechtigten Mitgliedern mit ihren individuellen Wünschen und Befindlichkeiten einen tragfähigen Konsens über die Umsetzung der Ideale und Ziele zu schaffen.
4.2
Musikkultur in Düsseldorf
In der Stadtgeschichte wird die Regierungszeit des Kurfürsten Johann Wilhelm (im regionalen Dialekt Jan Wellem genannt) zwischen 1679 und seinem Tode im Jahr 1716 als Glanzzeit der Musik beschrieben.6 Nach seinem Tode kam das prunkvolle Hofleben zum Erliegen, woran auch die spätere Regierungszeit des kunstliebenden Kurfürsten Karl Theodor von 1742 bis 1799 nichts änderte, da dieser nicht vor Ort, sondern in Mannheim residierte. Für die nichtadelige Bevölkerung dürften im 18. Jahrhundert gelegentliche Auftritte von musizierenden Gauklern und Artisten neben Volksfesten und Kirchenbesuchen zu den wenigen Gelegenheiten gehört haben, öffentlich Musik zu hören.7 Erst das bürgerliche
4 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 112. 5 Vgl. Gall, Bürgertum in Deutschland, S. 213. 6 Vgl. Rainer Peters, Bürgerliche Musikkultur in Düsseldorf im 18. und 19. Jahrhundert, in: Kurz, Düsseldorf, S. 357–367, hier S. 357. Eine Darstellung der musikalischen Entwicklung vor diesem Zeitraum findet sich bei Georg Wimmer, Theater und Musik, in: Düsseldorfer Geschichts-Verein (Hg.), Geschichte der Stadt Düsseldorf 1888 in zwölf Abhandlungen. Festschrift zum 600jährigen Jubiläum, Düsseldorf 1888, S. 385–418; vgl. auch Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 256–260. 7 Vgl. Peters, Bürgerliche Musikkultur Düsseldorfs, S. 358.
Musikkultur in Düsseldorf
71
Engagement ermöglichte es langfristig, das »musikalische Vakuum«8 des Stadtlebens wieder zu füllen. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Lebensumstände in Düsseldorf von Entbehrungen und Ungewissheit geprägt. Zwischen der Eroberung im Jahre 1795 durch die Franzosen und der Machtübernahme durch die preußische Regierung 1815 hatte die Stadt mehrere Herrschaftswechsel erfahren.9 Anschließend blieb bei nicht wenigen Bewohnern Düsseldorfs eine Unklarheit über die eigene Position bestehen. Zwar waren die Franzosen als Fremdherrscher erlebt worden, doch hatte die Zeit auch positive Auswirkungen wie beispielsweise die Vorzüge eines modernen Rechtssystems mit sich gebracht. Als Preußen 1815 seine beide neuen westlichen Provinzen in Besitz nahm, entstand vor Ort eine besondere Gemengelage, die in der ganzen Region und somit auch in Düsseldorf Raum für Konflikte bot. Einer vergleichsweise modernen Gesellschaft mit aufkeimender Industrie und katholischer Prägung standen die protestantischen Preußen gegenüber, deren Alltag von einer eher landwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung, konservativem Denken und altständischen Verfassungseinrichtungen geprägt war.10 An den Errungenschaften des modernen sogenannten rheinischen Rechts hielten die Bewohner der neuen Provinzen fest und wehrten sich auch energisch dagegen, dass Preußen versuchte, die Rechte des rheinischen Adels zu stärken.11 Düsseldorf musste sich darüber hinaus mit seinem neuen Status abfinden, der charakteristisch war für das »traurige Schicksal verlassener Residenzstädte«12. Der Imageverlust wurde immerhin durch die Tatsache abgeschwächt, dass Düsseldorf zum Sitz der Bezirksregierung erklärt worden war.13 Im alltäglichen Zusammenleben machten sich die unterschiedlichen Mentalitäten der Düsseldorfer und der Regierung bemerkbar. So kollidierten nicht selten das rheinische Laisser-faire und die sprichwörtliche Gemütlichkeit mit der Strenge und der Bürokratie des preußischen Beamtenwesens.14 Nach den erlebten Herrschaftswechseln und den Befreiungskriegen war das Streben der Düsseldorfer Bevölkerung nach Stabilität
8 9 10 11
Ebd., S. 357. Vgl. Antonia Loick, Düsseldorf. Eine kurze Stadtgeschichte, Erfurt 2002, S. 62f. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 162. Vgl. Joseph Hansen, Preußen und Rheinland von 1815 bis 1915, Nachdruck der Originalausgabe von 1918, Köln 1990, S. 41f. 12 Peters, Bürgerliche Musikkultur Düsseldorfs, S. 9. 13 Vgl. Zacher, Friedrich von Preußen, S. 51. 14 Vgl. ebd., S. 53. Zum Stereotyp des rheinischen Charakters der Düsseldorf Bevölkerung vgl. Hans Müller-Schlösser, Der Düsseldorfer Volkscharakter, in: Hans Arthur Lux (Hg.), Düsseldorf. Das Buch der Stadt. Bearbeitet und herausgegeben im Auftrage der Stadtverwaltung in Gemeinschaft mit der Industrie- und Handelskammer, unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1925, Frankfurt a.M. 1980, S. 325–328.
72
Ursprünge der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf
ebenso begründet wie das nach Identitätsstiftung, wobei Kultur und konkret die Musik auf lange Sicht einen hohen Stellenwert erlangten.
4.3
Musikförderung durch die französische und die preußische Regierung in Düsseldorf
Während der französischen Herrschaft war wie bereits dargestellt zur Förderung der Künste in den meisten Städten der Rheinprovinz »mit verschwindenden Ausnahmen«15 wenig unternommen worden. Auch wenn in Düsseldorf die Kultur ebenfalls keine Priorität hatte, fand hier ein Ereignis statt, das zweifellos eine dieser wenigen Ausnahmen darstellte und rückblickend für die frühen Anfänge eines geregelten musikalischen Lebens in der Stadt steht: die Anstellung von Kapellmeister Johann August Franz Burgmüller (1766–1824).16 Sein Sohn Norbert Burgmüller, der als Komponist Bekanntheit erlangte, verbrachte einen Großteil seines Lebens in Düsseldorf; er starb 1836 im Alter von nur 26 Jahren. Die städtische Anstellung von August Burgmüller im Jahr 1812 ging nicht auf die Initiative der Regierung zurück, sondern kam durch seine Bewerbung zustande. In einem Schreiben wandte er sich an den Bürgermeister (in der Zeit der französischen Herrschaft Maire genannt), Baron von Pfeil, und wies auf das Ärgernis hin, dass zu hohen Festen nicht einmal die Möglichkeit bestehe, eine gesungene Messe aufzuführen,17 da zu wenige geeignete Musiker zur Verfügung ständen. Um diesen Mangel zu beheben und eine »ordentliche[…] Kirchenmusik«18 einzurichten, empfahl er sich selbst für eine feste Anstellung, die ihn in die Lage versetzen sollte, Armenkinder und angehende Lehrer zu unterrichten und außerdem die Kinder der wenigen städtischen Musikanten das Singen zu lehren.19 Am 18. September 1812 teilte Baron von Pfeil dem Minister des Inneren, Reichsgraf von Nesselrode, mit, dass er Burgmüllers Vorschlag unterstütze. Zwar sei das Geld knapp, doch bei öffentlichen Feiern falle das Fehlen von Musik in der Tat so sehr auf, dass er gezwungen sei, aus Nachbarstädten Sänger zu 15 Wolff, Das musikalische Leben, S. 340; vgl. hierzu S. 52. 16 Vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 231. 17 Vgl. Brief August Burgmüller an Bürgermeister von Pfeil, ohne Datum [1812] sowie Brief August Burgmüller an Minister Reichsgraf von Nesselrode, ohne Datum [1812], abgedruckt in Actenstücke, betr. den Musikdirector Burgmüller (1812), in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichts-Vereins. Vierter Bd., Düsseldorf 1889, S. 193–198, hier S. 193. 18 Brief August Burgmüller an Bürgermeister von Pfeil, ohne Datum [1812] sowie Brief August Burgmüller an Minister Reichsgraf von Nesselrode, ohne Datum [1812], abgedruckt in Actenstücke Burgmüller, S. 193–195, hier S. 195. 19 Vgl. ebd., S. 193f.
Musikförderung durch die französische und die preußische Regierung in Düsseldorf
73
engagieren, was hohe Kosten verursache.20 Andernfalls würden sich bei öffentlichen Feierlichkeiten »solche Lücken ergeben, wodurch zuweilen selbst der Anstand beleidigt wird.«21 Obwohl Düsseldorf früher einmal ein Großherzogtum gewesen sei, habe die Musik hier weniger Fortschritte gemacht als in anderen weniger bedeutenden Orten, weshalb er die Anstellung Burgmüllers befürworte.22 Am 21. September 1812 wurde ein Jahresgehalt von 600 francs bewilligt,23 das aus dem »städtischen Budget unter der Rubrik des öffentlichen Unterrichts«24 stammte. Die französische Regierung tat diesen Schritt also nicht aus Idealismus und dem Glauben an die Förderungswürdigkeit der Kunst heraus, sondern mit Blick auf ihre Finanzen und städtische Repräsentationsmöglichkeiten. 1819 verlangte die nun preußische Regierung von Burgmüller eine Erklärung darüber, was er während der letzten Jahre geleistet habe und worin genau seine Aufgaben bestünden. Die Antwort ist ein Schreiben an die Stadträte v. Ammon und Brewer, in welchem die Angaben von vor fünf Jahren präzisiert werden: Burgmüller unterrichte Gesang und Dirigat für Kirchenmusik und Armenconcerte, insgesamt vier im letzten Quartal, er unterweise unentgeltlich Kinder, »damit die Musik im Ganzen in dieser Stadt sich immer mehr veredele«25, denn die Kinder bildeten ja später das Orchester und würden ihr Wissen an andere weitergeben. Auch unterrichte er interessierte Laien im Gesang, damit sie bei öffentlicher Musik mitwirken könnten – andernfalls gebe es bald keine öffentliche Musik mehr in der Stadt. Lediglich der ursprüngliche Plan, auch an der Armenschule Unterricht zu erteilen, war fallengelassen worden, da dies »zu seinen Talenten nicht gehörig angemessen«26 gewesen sei. Um seine Ziele zu erreichen, gab Burgmüller zweimal pro Woche öffentlichen Gesang- und Harmonieunterricht mit maximal zwölf Schülern, womit im Prinzip der Grundstein für eine städtische Musikschule gelegt war, auch wenn in Ermangelung eines geeigneten Raumes die Stunden teilweise noch in Burgmüllers Wohnzimmer stattfinden mussten.27 Die Versicherung, seine Aufgaben bisher erfüllt zu haben 20 Vgl. Brief Bürgermeister Pfeil Minister Reichsgraf von Nesselrode, 18. 9. 1812, abgedruckt in Actenstücke Burgmüller, S. 195–197, hier S. 196. 21 Ebd. 22 Vgl. ebd. 23 Vgl. Brief Minister Reichsgraf von Nesselrode an Bürgermeister Pfeil, 21. 9. 1812, abgedruckt in Actenstücke Burgmüller, S. 197–198, hier S. 198. 24 Günter Thomas, Johann August Franz Burgmüller, in: Fellerer, Rheinische Musiker, Teil 1, S. 40–42, S. 40; diese Aussage bestätigt auch Oberbürgermeister Ludwig Hammers in einer Notiz, vgl. Aktennotiz von Oberbürgermeister Hammers »Betr. das Verhältnis des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf«, 2. 12. 1853, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 101a– 107b, hier 101a. 25 Most, Geschichte Düsseldorf, S. 232. 26 Ebd. 27 Vgl. ebd.; vgl. auch Darius, Musik Elementarschulen, S. 153.
74
Ursprünge der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf
und dies auch weiterhin tun zu wollen, führte dazu, dass ihm die regelmäßige Zahlung des Gehaltes von 600 Talern unter der preußischen Regierung bewilligt wurde.28 Mit seinem Drängen auf die Einrichtung einer festen Stelle als Musiklehrer war Burgmüller durchaus repräsentativ für die Zeit.29 Dass diese aber 1812 auch wirklich geschaffen und später bestätigt wurde, war in der Rheinprovinz ein Novum. Burgmüller bekam als erster Berufsmusiker einen derartigen städtischen Posten mit fester Besoldung.30 Da sein Gehalt nicht ausreichte, um Frau und Kinder zu ernähren, musste er zusätzlich regelmäßig Privatunterricht in den bürgerlichen Familien der Stadt geben. Auch die Leitung der Niederrheinischen Musikfeste brachte ihm ein nicht gerade geringes Honorar ein.31 Der Mehrwert, den diese ursprünglich von Bürgern rein privat organisierten Musikfeste der Stadt einbrachten, zahlte sich für Burgmüller also ebenso aus wie der regelmäßige Kontakt zu den Musikdilettanten der Stadt. Zwar gilt Burgmüller als der erste Städtische Musikdirektor Düsseldorfs, doch wurde mit ihm laut Oberbürgermeister Ludwig Hammers (Amtszeit 1849–1876) nie ein förmlicher Vertrag abgeschlossen.32 Als relevante definitorische Merkmale für den Status eines Städtischen Musikdirektors – in Abgrenzung von dem Dirigenten eines Musikvereins – nennt Hammers 1847 die Tatsache, dass der Städtische Musikdirektor von der Verwaltung der Stadt angestellt sei und sein Gehalt aus der Stadtkasse beziehe,33 woraus sich Konsequenzen für die Sicherheit der Tätigkeit, für Entscheidungskompetenzen und Weisungsbefugnisse ergeben hätten. Die Bedingung der städtischen Anstellung und Bezahlung war bei Burgmüller faktisch bereits seit 1812 erfüllt, auch wenn die Bezeichnung offenbar noch nicht gängig war und für ihn nicht von Anfang an verwendet wurde. Eine offizielle Ernennung Burgmüllers zum Städtischen Musikdirektor lässt sich nicht belegen.34 28 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 152. 29 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 156; vgl. Jörg-Peter Mittmann, Musikerberuf und bürgerliches Bildungsideal, in: Reinhart Koselleck (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert Teil II, Stuttgart 1990, S. 237–258, hier S. 241. 30 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 154. 31 Vgl. hierzu S. 61. 32 Vgl. Aktennotiz von Oberbürgermeister Hammers »Betr. das Verhältnis des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf«, 2. 12. 1853, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 101a–107b, hier S. 101a. 33 Vgl. ebd., S. 107a. 34 Thomas und Eckert geben an, dass Burgmüller erst ab dem Jahr 1821 das Gehalt eines städtischen Musikdirektors bezog, vgl. Thomas, Burgmüller, S. 41; Heinrich Eckert, Norbert Burgmüller. Ein Beitrag zur Stil- und Geistesgeschichte der deutschen Romantik, Augsburg u. a. 1932, S. 14. Thomas führt jedoch keinen Beleg an, Eckert verweist auf Mosts Stadtgeschichte, vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 231, wo das genannte Datum aber nicht bestätigt wird. Möglicherweise ist die Jahresangabe 1821 durch einen Zahlendreher entstanden (Most: »21. September 1812« – Eckert: »21. September 1821«).
Bürgerliche Musik in Düsseldorf
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Obwohl Burgmüller in Düsseldorf geschätzt war und seiner Tätigkeit engagiert nachging, konnte er das Ziel, mit dem er ursprünglich angetreten war, nicht verwirklichen. Als er 1824 starb, verfügte Düsseldorf noch immer über keinen leistungsfähigen städtischen Chor, so dass nach wie vor zu Feierlichkeiten die städtischen Lohnmusiker und private Vereine hinzugezogen werden mussten,35 was langfristig die Position des Düsseldorfer Musikvereins enorm stärkte. Zu den städtischen Lohnmusikern sei noch angemerkt, dass diese um das Jahr 1818 in keinem Dienstverhältnis standen, sondern sich in einer selbst gewählten Verbindung auf eigene Kosten uniformiert hatten und frei in der Stadt arbeiteten. Für ihre Auftritte bei Kirchenfesten, Prozessionen und anderen Feierlichkeiten wurden jedes Mal Honorare bezahlt.36
4.4
Bürgerliche Musik in Düsseldorf
Schon bevor Burgmüller von der Stadt als Musiklehrer angestellt worden war, waren die Bürger mit eigenen Aktivitäten an die Öffentlichkeit getreten. Zu den frühen Beispielen der praktizierten bürgerlichen Kultur in Düsseldorf gehörte ein Theater, das 1751 in einem nicht mehr genutzten Gebäude als öffentliche Schaubühne eingerichtet worden war, von wechselnden Gruppen bespielt und für deren Aufführungen Eintrittskarten frei verkauft wurden.37 1805 schlossen sich einige Düsseldorfer Bürger zusammen, zu denen Personen aus dem Umfeld des vermögenden Düsseldorfer Kaufmanns und Verwaltungsbeamten Friedrich Heinrich Jacobi gehörten,38 und baten »aus reinem, selbstlosen Interesse«39 ohne Anspruch auf finanziellen Gewinn die Regierung um die Konzession für eine Bergische deutsche Schauspielgesellschaft für Düsseldorf und Elberfeld,40 die ihnen zunächst für sechs Jahre genehmigt wurde. Überliefert sind die Namen der Gesellschafter Jacobi, Reimann und Winkelmann; Intendant dieses Herzoglich Bergischen Theaters wurde der damalige Regierungs-Vize-Präsident Freiherr von Pfeill.41 Das unter der Protektion des Großherzogs Joachim Murat stehende Haus, das nun zu einem Veranstaltungsort der bürgerlichen Kulturpraxis geworden war, bekam auf wiederholte 35 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 153. 36 Vgl. ebd., S. 6. 37 Vgl. Wimmer, Theater und Musik, S. 390; Friedrich Lau, Geschichte der Stadt Düsseldorf. Erster Band von den Anfängen bis 1815, Düsseldorf 1921, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Düsseldorf, unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Originalausgabe von 1921, Düsseldorf 1980, S. 218. 38 Vgl. Lau, Geschichte Düsseldorf, S. 217. 39 Ebd., S. 218. 40 Vgl. ebd. 41 Vgl. ebd.
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Ursprünge der bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf
Bitten der Betreiber 1811 und 1813 Subventionen von der Stadt bewilligt, doch wurden diese aufgrund der schlechten Finanzlage nie ausgezahlt. Versuche, ab 1817 ein neues Theater bauen zu lassen, scheiterten an der Finanzierung.42 Eine andere früh entstandene Gruppierung erlangte über die Grenzen der Stadt hinaus Bekanntheit: Friedrich Heinrich Jacobi betrieb im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts einen Salon, in dem bekannte Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Denis Diderot, Heinrich Heine, Christoph Martin Wieland, Johann Gottfried von Herder, Matthias Claudius und Georg Forster verkehrten.43 Bei den Treffen wurde nicht selten musiziert und auch über aktuelle musikalische Werke und Entwicklungen diskutiert, der Schwerpunkt des Interesses lag allerdings auf der Literatur und auf der bildenden Kunst.44 Jacobis Aktivitäten sind durchaus als eine Form von bürgerlicher Kultur zu werten, doch war der Kreis vermögenden Bürgern, Prominenten, Künstlern und Adeligen vorbehalten. Eine gezielt auf Musik ausgerichtete Form der bürgerlichen Organisation von Kulturveranstaltungen waren die Konzertliebhabergesellschaften, die sich in Düsseldorf bis in die 1770er Jahre zurückverfolgen lassen.45 Sie können als Vorläuferorganisationen städtischer Vereinsstrukturen gelten und wurden von der Regierung offenbar gern unterstützt, da in ihnen auch Vertreter der höheren Stände aktiv waren.46 Die veranstalteten Konzerte und musikalischen Reihen fanden in verschiedenen Lokalen statt, die von Gastwirten betrieben wurden. Die Ausführenden waren offenbar meist nicht näher benannte Musikliebhaber.47 Die Eintrittskarten gab es als Abonnement und im freien Verkauf an der Abendkasse; die Einnahmen kamen oft der Armenhilfe zugute.48 Eine der Gruppierungen, die bereits im 18. Jahrhundert entstanden war und bis in die Zeit des Musikvereins fortbestand, nahm »den stolzen Namen einer Musik-Akademie«49 an und gab sich 1807 eine Verfassung,50 deren Druckfassung nach dem derzeitigen Stand der Forschung die älteste erhaltene einer musika42 43 44 45 46 47
Vgl. Wimmer, Theater und Musik, S. 395f. Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 54; vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 253. Vgl. Peters, Bürgerliche Musikkultur Düsseldorfs, S. 359. Vgl. Lau, Geschichte Düsseldorf, S. 220. Vgl. ebd. Vgl. Viertes Abonnement-Concert, 3. 12. 1805, Programmzettel, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018). 48 Vgl. Erstes von sechzehn Winter-Concerten, 6. 11. 1804, Programmzettel, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), und Erstes von vierzehn Winter-Concerten, 12. 11. 1805, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018). 49 Lau, Geschichte Düsseldorf, S. 220. 50 Vgl. Verfassung der Musikacademie in Düsseldorf, Düsseldorf 1807.
Bürgerliche Musik in Düsseldorf
77
lischen Gruppierung in Düsseldorf ist. Organisation und Zielsetzung der Musikakademie unterschieden sich deutlich von den während ihres Bestehens in Düsseldorf durchgeführten Niederrheinischen Musikfesten mit ihrem idealistischen, ständeübergreifenden Anspruch. Auf der Mitgliederliste, die zwei Jahre nach der Gründung 1809 gedruckt wurde, finden sich 231 Namen von Bürgern und Adeligen, die »praktisch die gesamte bessere Gesellschaft«51 der Stadt abbilden. Auch wenn laut Verfassung keine Personen ausdrücklich von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren, legen die Exklusivität der Vorstände und Mitglieder nahe, dass ungebildete und finanziell schlecht gestellte Bewohner der Stadt keinen Zugang hatten. Dennoch darf die Musikakademie als ein frühes Beispiel der organisierten bürgerlichen Musikkultur in Düsseldorf gelten. In der Verfassung wurden Regularien einer Vereinsstruktur festgelegt, die Aufnahme von Interessenten war an ein Auswahlverfahren durch die bestehenden Mitglieder gebunden und die Organisation von Konzerten sowie die Möglichkeit, Proben und eigene Aufführungen zu veranstalten, erlaubten es den Mitgliedern, sich dem Ideal der bürgerlichen Autonomie entsprechend selbstständig zu bilden.
51 Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 97.
5.
Düsseldorfer Bürger organisieren sich – Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
5.1
Gründung und Anfangszeit des Düsseldorfer Musikvereins
Der Düsseldorfer Musikverein selbst geht von dem Gründungsdatum 16. Oktober 1818 aus, das auf der Urkunde zu der am 16. Oktober 1958 von Bundespräsident Theodor Heuss verliehenen Zelter-Plakette angegeben ist.1 Das auch in zahlreichen anderen Quellen2 genannte Gründungsjahr 1818 ließ sich bei den Recherchen für die vorliegende Publikation nicht bestätigen. Eng verknüpft mit der fragwürdigen Überlieferung ist die Tatsache, dass der Name des Vereins in der Forschungsliteratur, der Presse und weiteren Quellen nicht einheitlich verwendet wurde, weshalb es zu Verwechslungen mit anderen der zahlreichen musikalischen Vereine gekommen ist, die im 19. Jahrhundert in Düsseldorf 1 Vgl. Abgedruckt in Rainer Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik. Zwei Jahrhunderte Musikleben in Düsseldorf [Die Chronik des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt 1818–1988], Düsseldorf 1989, S. 240. Die Zelter-Plakette wurde 1956 »als Auszeichnung für Chorvereinigungen, die sich in langjährigem Wirken besondere Verdienste um die Pflege der Chormusik und des deutschen Volksliedes und damit um die Förderung des kulturellen Lebens erworben haben« von Bundespräsident Theodor Heuss gestiftet, vgl. Internetseite Deutscher Chorverbände, (28. 2. 2018). Die Plakette wird frühestens zum hundertjährigen Bestehen eines Chores auf dessen Antrag durch den Bundespräsidenten verliehen, vgl. (28. 2. 2018). 2 Vgl. beispielsweise Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 16; Rainer Großimlinghaus/Klaus Jürgen Exler/Jens D. Billerbeck/Linda Schmidt, Aus Liebe zur Musik. Die Kunst des Unmöglichen [Die Chronik des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt 1988–2001], Düsseldorf 2001, S. 4; Internetseite des Musikvereins (28. 2. 2018); Wilhelm Hubert Fischer, Städtischer Musikverein zu Düsseldorf. Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier des städtischen Musikvereins und zum hundertjährigen Bestehen der Niederrheinischen Musikfeste. Mit dem Programm der beiden grossen Jubiläums-Festkonzerte am Samstag, 12. und Sonntag, 13. Oktober 1918. 1818–1918, Düsseldorf [1918]; Darius, Musik Elementarschulen, S. 6; Lux, Düsseldorf, S. 175; Georg Lauer, Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V., in: Clemens von Looz-Corswarem/Benedikt Mauer (Hg.), Das große Düsseldorf Lexikon, Köln 2012, S. 667f; Landeshauptstadt Düsseldorf (Hg.), Erinnerung macht neugierig. Erinnerungsdaten für die Landeshauptstadt Düsseldorf 2016–2018, 2016 Düsseldorf, S. 52.
80
Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
existierten. Beispielsweise wird die Vorläufergruppierung des heutigen Musikvereins bei ihrer vermeintlichen Gründung im Jahr 1818 irrtümlich als ›Verein für Tonkunst‹3, ›Allgemeiner Musikverein‹4 oder als ›Städtischer Musikverein‹5 bezeichnet. Bei Ernst Wolff sind einige hilfreiche Details über die Entstehung des Musikvereins zu finden: So beschreibt er, dass der noch heute bestehende Städtische Musikverein (als Wolffs Abhandlung 1917 erschien, war dies bereits der korrekte Name) durch die Verbindung der zwei Gesellschaften Instrumentalverein und Singverein entstanden sei, sich sein erstes Statut inoffiziell am 26. April 1820 gegeben habe und das zweite nach Überarbeitung am 17. Oktober 1822 von der Königlichen Regierung habe genehmigen lassen.6 Die beiden Statuten selbst waren nicht auffindbar,7 wohl aber ein Brief des Musikvereins von 1822, in welchem um die Genehmigung durch die Regierung gebeten wurde. Diese gab dem Ersuchen am 27. Oktober 1822 statt. In seinem Schreiben berichtete der Musikverein Folgendes über seine Entstehung: »Düsseldorf den 11ten October 1822 / … / Unter der Verwaltung des Großherzogthums Berg bestand hier eine Musikakademie in dem Cassino Locale, welche aus Mangel an Theilnehmern, und wegen innerer Gebrechen ihrer Einrichtung im Jahre 1819 sich auflöste. / Gleich darauf traten die Liebhaber der Musik zusammen, und bildeten zuerst einen Gesangs Verein, aus welchem nachher, und zwar im Jahr 1820, zur Beseitigung jeder Spaltung zwischen der Gesangs= und Instrumentalpartie, ein Musikverein hervorging, dessen Dasey¨n sich seitdem im Sommer und Winter durch öffentliche Leistungen und durch die Pfingstfeste beurkundet hat. / Im Verlauf von zwei Jahren hatten sich in den Statuten des Musikvereins viele Lücken entdeckt; einzelne Vorfälle hatten diese Lücken fühlbar gemacht, und es war eine Masse von Erfahrungen gesammelt, so daß man bei dem diesjährigen Wechsel der Direktion in der Versammlung der sämtlich eingeladenen Mitglieder des Vereins beschloß, ein erneuertes und ergänztes Statut entwerfen zu lassen, und darüber zu berathen: … In diesem erneuerten Statute ist der ganze Zweck des Vereins ausgesprochen, zu welchem … Mitglieder beiderley¨ Geschlechtes … gehören.«8
3 Vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 232; Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 407. Der ›Verein zur Beförderung der Tonkunst‹, so der vollständige Name, war ein Dachverein, der erst 1833 gegründet wurde, vgl. hierzu S. 118. 4 Vgl. Peters, Bürgerliche Musikkultur Düsseldorfs, S. 361; vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 6. Der ›Allgemeine Musikverein‹ war ein Dachverein, der 1845 gegründet wurde, vgl. hierzu S. 130. 5 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 363f. Den Beinamen ›Städtisch‹ hat der Musikverein erst im Jahre 1890 erhalten, vgl. hierzu S. 185f. 6 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 363f. 7 Dies bestätigt auch Dr. Sabine Eibl vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Duisburg, Abteilung Rheinland, in einer E-Mail vom 15. 8. 2016. 8 Brief Musikverein an die Regierung 11. 10. 1822, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, Blatt 21a.
Gründung und Anfangszeit des Düsseldorfer Musikvereins
81
Weitere Quellen für die Auflösung der Musikakademie im Jahr 1819 liegen bisher nicht vor. Unabhängig davon bestätigt die Passage des Briefes aber Wolffs Darstellung und belegt, dass in Düsseldorf 1819 ein Gesangverein entstand, der sich 1820 zusammen mit den wie auch immer organisierten Ausführenden der ›Instrumentalpartien‹ zum Musikverein zusammenschloss und 1822 sein Statut offiziell genehmigen ließ. Da in weiten Teilen seiner Geschichte der Düsseldorfer Musikverein nur aus dem Chor bestand, wurde die Bezeichnung ›Musikverein‹ in der Literatur oft synonym für ›Gesangverein‹ verwendet, was zusätzlich Raum für falsche Überlieferungen geschaffen hat. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier festgehalten: Als Kern der Identität des musikalischen Vereins von 1819 bzw. offiziell von 1822, welcher die Keimzelle des heutigen Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. ist, gilt erstens, dass die Gesellschaft in Düsseldorf ansässig war, und zweitens, dass sie einen gemischten Chor repräsentierte. Diese beiden Merkmale sind von der Entstehung bis in die Jetztzeit beständige Kriterien. Von dem Gesangverein, für den auch die Namen Musikverein und GesangMusik-Verein zu finden sind und der 1822 von der Regierung genehmigt wurde, ist ein gedrucktes Statut vom 29. November 1833 erhalten, das laut dem einleitenden Text eine überarbeitete Fassung des Originalstatuts vom 20. Juni 1820 darstellt.9 Die Aussage Wolffs, das erste inoffizielle Statut des Musikvereins stamme vom 26. April 1820,10 wird durch das Datum 20. Juni 1820, das in dem Statut von 1833 genannt wird, nicht exakt bestätigt, doch wird der Zeitraum Frühjahr/Sommer des Jahres 1820 als Phase, in welcher der Musikverein für sich selbst erstmals Regeln verschriftlicht hat, gestützt. Nach dem aktuellen Forschungsstand besitzt also die Feststellung von Martin Kopitz weiterhin Gültigkeit, dass es für die weit verbreitete Annahme, der Städtische Musikverein sei bereits 1818 gegründet worden, keinen Beleg gibt.11 Dass der Kern des Düsseldorfer Musikvereins ein gemischter Chor war, machte ihn zum Vertreter einer Minderheit, denn die meisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründeten Musikvereine im deutschsprachigen Raum waren Träger eines Laienorchesters, dem ein Chor allenfalls angegliedert war, welcher jedoch nicht als zentraler Punkt des Vereinslebens betrachtet wurde.12 Chorkonzerte hatten in diesen Fällen zwar einen hohen Stellenwert, aber sie waren besonderen Feierlichkeiten und Feiertagen vorbehalten.13 Auch der Düsseldorfer Musikverein vereinigte eine Zeit lang Sänger und Instrumen9 Vgl. Statut Gesangverein 29. 11. 1833, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 466, 69, ohne Paginierung. 10 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 363f. 11 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 343, Endnote 222. 12 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 54. 13 Vgl. ebd.
82
Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
talisten unter seinem Dach, doch die regelmäßige Einbindung in die Niederrheinischen Musikfeste trug wahrscheinlich zu der eher untypischen Schwerpunktlegung auf den Chor bei. Ebenfalls als ungewöhnlich wertet es Heine, dass der Düsseldorfer Musikverein seit der Übernahme des Orchesters in die städtische Trägerschaft im Jahr 1864 bis in die heutige Zeit als Chor weiterbesteht.14
5.2
Der Instrumentalverein und seine Vorläufer
Anders als in dem Brief des Musikvereins von 1822 spricht Wolff nicht nur von ›Instrumentalpartien‹, sondern von der Verbindung des Gesangvereins mit dem ›Instrumentalverein‹15. Auch in dem Vertrag, den die Stadt 1833 mit Felix Mendelssohn Bartholdy abschloss, wurde der Instrumentalverein ausdrücklich genannt. Die Aufarbeitung seiner Geschichte ist nach dem aktuellen Stand der Forschung nicht möglich, da die Quellenlage es nicht erlaubt, seinen lückenlosen Fortbestand von 1820 (oder womöglich auch früher) bis zur Gründung des Städtischen Orchesters 1864 nachzuweisen. Die erhaltenen Informationen legen es jedoch nahe, dass bis 1864 mehrere Gruppierungen von Musikliebhabern bestanden haben, die sich als Instrumentalisten zusammenschlossen und ›Instrumental-Verein‹ oder ›Instrumental-Musikverein‹ nannten. Ob diese Gesellschaften parallel existiert haben, eine aus der anderen hervorging und ob es personelle Überschneidungen gab, lässt sich aktuell nicht beantworten. Die überlieferten Fakten liefern knapp zusammengefasst folgendes Bild: Laut Kopitz wurde zu einem nicht genannten Zeitpunkt ein Instrumentalverein gegründet, der aus Laienmusikern bestand,16 über den nur wenige Dokumente erhalten sind17 und bei dem es sich mutmaßlich um den von Wolff im zeitlichen Umfeld des Jahres 1822 erwähnten handelte. Seit 1829 sind in der Düsseldorfer Zeitung gelegentlich Ankündigungen für Proben des Instrumental14 Vgl. ebd. Die tabellarische Übersicht über Musikgesellschaften, die einen Chor und ein Orchester repräsentierten, städtisch waren und zwischen 1800 und 1840 gegründet wurden, lässt eine Historie ähnlich dem Düsseldorfer Musikverein nur selten erkennen, vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, 2009, S. 193–214. So besteht der Musikverein Münster (auch Musikalischer Verein zu Münster oder Musikalische Gesellschaft genannt), gegründet 1816, bis heute als Laienchor fort. Der 1829 gegründete Musikverein Mannheim bestand seit 1850 als reiner Chorverein, löste sich jedoch zu einem nicht bekannten Zeitpunkt auf. Der bis heute bestehende Sing- und Orchesterverein Ansbacher Kammerorchester, gegründet 1831, begann als Singverein, wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt ein Orchesterverein und 1964 erneut in einen Chorverein umgewandelt, vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 211, 213. Die Mehrzahl der aufgelisteten Musikgesellschaften beispielsweise in Dresden, Hannover, Münster, Köln und Darmstadt löste sich im 19. Jahrhundert wieder auf. 15 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 363f. 16 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 202. 17 Vgl. ebd., S. 172.
Mitgliederstruktur des Musikvereins
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Musikvereins18 zu finden, jedoch ohne dass dort Details zu den Mitwirkenden, zum Repertoire u. ä. genannt werden. Bis 1832 war der Violinist Joseph Kreutzer der Leiter des Instrumental-Vereins, wobei Kopitz jedoch nicht das Jahr nennt, in welchem seine Tätigkeit begann.19 Nach Kreutzer übernahm Norbert Burgmüller kurzfristig die Leitung, jedoch nur notgedrungen und nicht aus Begeisterung für die Sache.20 Das letzte in der Presse erwähnte Konzert unter seiner Leitung fand am 8. April 1833 statt.21 Als Städtischem Musikdirektor fiel Felix Mendelssohn Bartholdy automatisch die Leitung zu. Mendelssohn arbeite regelmäßig mit dem Instrumentalverein, der Anfang 1834 zwanzig bis dreißig Mitglieder hatte und durch Musiker der beiden Militärkapellen der in Düsseldorf stationierten Infanterieregimenter 16 und 17 verstärkt wurde, welche unter der Leitung der Kapellmeister Carl Fischer und Karl Klotz standen.22 Außerdem wurden städtische Musiker hinzugekauft, wie erhaltene Listen über deren Anwesenheit und Bezahlung dokumentieren.23 Da die Kompetenzen der Laienmusiker für viele Stücke, die Mendelssohn aufs Programm setzte, nicht ausreichten und außerdem nicht oft genug geprobt wurde, war das Niveau der Instrumentalmusik jedoch insgesamt niedrig.24
5.3
Mitgliederstruktur des Musikvereins
Folgende weitere Informationen ergeben sich aus dem Brief vom 11. Oktober 1822: »In diesem erneuerten Statute ist der ganze Zweck des Vereins ausgesprochen, zu welchem dermalen nach der abschriftlichen Beilage 81 Mitglieder beiderley¨ Geschlechtes aus den geachtet = sten Familien der Stadt gehören. … Unter Bezugnahme auf die ausgesprochenen, keineswegs politischen Zwecke des Vereins, erlauben wir uns um die Anerkennung und Bestätigung desselben ganz gehorsamst … zu bitten, … An der Gewährung seiner billigen Bitte glaubt der Verein, mit Rücksicht auf die, allen zur
18 Vgl. beispielsweise Düsseldorfer Zeitung 251 (22. 10. 1829), Düsseldorfer Zeitung 279 (24. 11. 1829). 19 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 174. 20 Vgl. ebd. 21 Vgl. ebd. 22 Vgl. Bernd Kortländer, Das musikalische Leben in Düsseldorf zur Mendelssohn-Zeit, in: Kortländer (Hg.): »Übrigens gefall ich mir prächtig hier«. Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf. Ausstellung des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf 1. Oktober 2009–10. Januar 2010, Düsseldorf 2011, S. 40–58, hier S. 43. 23 Vgl. Listen zugekaufte Musiker, StAD Düsseldorf, 0-1-20-99.0000, ohne Paginierung. 24 Vgl. Kortländer, Musikalisches Leben, S. 46.
84
Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
gesellschaftlichen Unterhaltung bestehend[en] Gesellschaften ertheilte oberpolizeilichen Genehmigung, nicht zweifeln zu dürfen.«25
Es muss offen bleiben, wonach die achtbare Herkunft der Mitgliederfamilien bemessen wurde, doch ist es offensichtlich, dass es für den Verein wichtig war, auf diese gegenüber der Regierung hinzuweisen. Des Weiteren verrät das Schreiben, dass Frauen als Mitglieder des Vereins zugelassen waren und nicht etwa (wie dies beispielsweise bei Musikfesten in der Schweiz üblich war26) als Gastsängerinnen für Konzerte gebucht wurden. Der Vereinszweck wurde ausdrücklich als nicht politisch deklariert. Des Weiteren ist dem Brief Folgendes zu entnehmen: »Aus dem Inhalt des Status wird Eine Königli[che] hochlöbliche Regierung geneigtest entnehmen, das … zum Behuf öffentlicher Leistungen der Verein für die Auswahl seines Auditoriums zwar einen Anhaltspunkt genommen hat, und hat nehmen müssen, daß aber der Eintrit sowohl in der Vere[in] selbst als in das Auditorium keinem versperrt i[st], welcher auf Ausnahmen glaubt Anspruch machen z[u] können, und daß der Ballotagen Ausschuß aus 15. solch[er] Theilnehmer gebildet werden soll, welche nach de[n] hiesigen städtischen Verhältnissen zur Berücksichtigung kommen können, und theilweise nothwendig si[nd] damit einmal aufgestellte Grundsätze nicht durch Unkunde verletzt werden.«27
Der Verein betonte also, dass prinzipiell jeder als Mitglied ebenso wie als Besucher der Konzerte willkommen war, worin er mit den idealistischen Ansprüchen der Niederrheinischen Musikfeste übereinstimmte. Die Aufnahme qua Ballotage ermöglichte in der Praxis jedoch Einschränkungen dieses Prinzips, um aufgestellte Grundsätze nicht zu verletzen, was impliziert, dass bei Personen, die für eine Mitgliedschaft als ungeeignet erschienen, die Aufnahme verhindert werden konnte. Dieses Procedere war für die Musikvereine, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden, in hohem Maße repräsentativ. Die Vereine gaben sich durch entsprechende Formulierungen sehr offen, während in der Praxis meist nur Personen aus den Eliten der Stadt aufgenommen wurden, was über Aufnahmebedingungen und Beiträge geregelt wurde.28 Letztere lagen in den meisten Fällen so hoch, dass sie für eine Arbeiterfamilie praktisch unerschwinglich waren.29 In Folge davon betrug der prozentuale Anteil 25 Brief Musikverein an die Regierung 11. 10. 1822, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, Blatt 21b. 26 Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 23. 27 Brief Musikverein an die Regierung 11. 10. 1822, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, Blatt 22b. Eine Ballotage ist ein geheimes Abstimmungsverfahren, bei dem Mitglieder einer Gruppierung durch die Abgabe verschiedenfarbiger Kugeln eine Entscheidung beispielsweise über eine Personalie herbeiführen. 28 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 97–106. 29 Vgl. ebd., S. 155.
Der Düsseldorfer Musikverein und der Niederrheinische Musikverein
85
der Mitglieder in städtischen Musikvereinen weniger als 1 % der Gesamtbevölkerung der Stadt.30
5.4
Der Düsseldorfer Musikverein und der Niederrheinische Musikverein
Die städtischen Komitees des Niederrheinischen Musikvereins wurden für jedes Fest personell neu zusammengestellt, wobei die Anzahl der Verantwortlichen anfangs rund fünf, später bis zu zwanzig Personen betrug und von Jahr zu Jahr schwankte.31 Parallel dazu bestanden in den anderen beteiligten Städten Musikvereine,32 die das jeweilige Komitee der veranstaltenden Stadt bei der Organisation unterstützten und die geplanten Werke in Vorbereitung auf das Musikfest mit den Mitwirkenden einstudierten. Beispielsweise für 1826 wird in der Zeitschrift Cäcilia in einem Vorbericht über das Niederrheinische Musikfest positiv vermerkt, dass in Düsseldorf schon im Januar die Gesangs- und Instrumentalproben begonnen hätten.33 Neben der Wahl und Vorbereitung der Stücke mussten von allen Beteiligten auch übergeordnete Entscheidungen zu den Niederrheinischen Musikfesten getroffen werden. So protestierte 1824 Düsseldorf zunächst vehement gegen die Aufnahme von Aachen in den Städtebund,34 wurde aber von Elberfeld und Aachen überstimmt.35 Hauchecorne berichtet hierzu, dass bei einem Treffen zwischen den »Abgeordneten der Comit8s der Musikfeste resp. musikalischen Vereine von Cöln, Düsseldorf, Elberfeld und Aachen«36 die Aufnahme von Aachen beschlossen wurde. Zwischen den Komitees und den Musikvereinen in den Städten wurde also ausdrücklich unterschieden. Da jedoch die Komitees aus Musikliebhabern der jeweils ausführenden Stadt zusammengestellt wurden, gehörten viele dieser Personen auch zu den Mitgliedern der bestehenden Musikvereine.37 Aufgrund dieser Durchmischung lässt sich nicht rekonstruieren, welche Personen in welcher Funktion konkret welche Aufgaben übernahmen und welche Entscheidungskompetenzen besaßen. Das überlieferte Material zeigt auf jeden Fall, dass der Musikverein der Stadt 30 31 32 33 34 35 36 37
Vgl. ebd., S. 158. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang, ab S. 2. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2. Vgl. Das große Niederrheinische Musikfest 1826, in Düsseldorf, in: Cäcilia, eine Zeitschrift für die musikalische Welt, 5 (Heft 17, 1826), S. 61–76, hier S. 62. Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 165. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2. Ebd. Vgl. hierzu S. 94f.
86
Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
Düsseldorf eine eigenständige Gesellschaft und nicht mit dem Niederrheinischen Musikverein identisch war, der einen überregional agierenden Städtebund repräsentierte und somit grundlegend anders aufgestellt war als ein regionaler Verein.38 Auch wurde der Niederrheinische Musikverein nie offiziell von der Regierung genehmigt, so dass er nicht als der direkte Vorläufer des Düsseldorfer Musikvereins angesehen werden kann, was den zeitlichen Rückbezug auf das Jahr 1818 rechtfertigen würde.
5.5
Statuten des Düsseldorfer Musikvereins und seine Wirkungsfelder
Das 1822 bei der Regierung vorgelegte Statut des Düsseldorfer Musikvereins ist zwar wie dargestellt bisher nicht auffindbar, doch lassen sich Aussagen aus der Festschrift von Fischer (1918) rekonstruieren, die von Zitaten bei Wolff bestätigt werden.39 Den Zweck des Vereins zitiert Fischer mit: »a) eigene Fortbildung der Mitglieder in musikalischer Beziehung, b) Beförderung und Erhebung der Tonkunst und der Liebe zu derselben. … Zur Erreichung dieses Zweckes dienen Konzerte – Kirchenmusik –, alle größeren musikalischen Aufführungen und besonders die niederrheinischen Musikfeste.«40 Auch diese Festlegung kennzeichnet den Düsseldorfer Musikverein als typisch für seine Zeit. Die Weiterund Geschmacksbildung der Mitglieder, die Nachwuchsförderung und somit die langfristige Beeinflussung des musikalischen Geschmacks waren das primäre Ziel der meisten Musikvereine.41 Auswahlkriterien für die ursprüngliche Mitgliedschaft sind nicht überliefert: »Den Originalsatzungen zufolge, besteht der Musikverein aus denjenigen Liebhabern der Vokal- und Instrumentalmusik, welche entweder den Verein mitbegründet haben, oder durch Wahl aufgenommen sind.«42 Wolff beschreibt, dass die Mitwirkenden Musikfreunde waren und nur ausnahmsweise Berufsmusiker für Konzerte hinzugezogen wurden. Die Kosten wurden über Subskriptionslisten und außerordentliche Schenkungen gedeckt.43 38 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 9. Ein Beispiel für die Vermischung beider Vereine in der Literatur findet sich bei Fischer, Städtischer Musikverein, S. 17f. Die Verwechslung von städtischen und überregionalen musikalischen Vereinigungen ist in der Forschungsliteratur über das Vereinswesen öfter vorgekommen, vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 9. 39 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 363f.; Fischer, Städtischer Musikverein, S. 17f. 40 Fischer, Städtischer Musikverein, S. 17f. 41 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 75. 42 Fischer, Städtischer Musikverein, S. 17f. 43 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 363f.
Statuten des Düsseldorfer Musikvereins und seine Wirkungsfelder
87
Der Musikverein betätigte sich auf drei Gebieten: 1) Die Niederrheinischen Musikfeste Wie bereits dargestellt waren die Durchführung der Niederrheinischen Musikfeste in Düsseldorf und die Beteiligung an der Vorbereitung in den Partnerstädten eine der zentralen Aufgaben des Musikvereins,44 die letztmalig 1949 im Vertrag zwischen der Nachfolgegesellschaft des Vereins und in seinem Statut aus dem selben Jahr formuliert wurden.45 Faktisch wirkte der Verein letztmalig bei dem Niederrheinischen Musikfest 1956 mit.46 Nach Einschätzung von Heine ist der Düsseldorfer Musikverein gegründet worden, um die überregional stattfindenden Niederrheinischen Musikfeste zu organisieren; erst in den 1830er Jahren habe sich unter Mendelssohn der Schwerpunkt auf die Abonnementskonzerte verlagert.47 Diesen Umstand darf als Besonderheit gelten, denn in den meisten anderen Städten war die Durchführung städtischer Konzerte der ursprüngliche Anlass für die Entstehung von Musikvereinen.48 Die Aussage soll im Folgenden dahingehend relativiert werden, dass der Düsseldorfer Musikverein schon vor 1833 regelmäßig an der Aufführung von Kirchenmusik beteiligt war und auch eigene Konzerte veranstaltete; die Niederrheinischen Musikfeste waren also nicht sein hauptsächliches Wirkungsfeld. 2) Konzerte in Düsseldorf In einem Brief vom 27. November 1823 hatte das Oberbürgermeister-Amt den Musikverein damit beauftragt, zwei Tage später bei der Hochzeitsfeier des Kronprinzen Friedrich eine Messe zu singen, wobei die Erstattung von Auslagen zugesagt worden war.49 Hiervon hatte der Verein Gebrauch gemacht, da er für die Aufführung allein nicht genügend Musiker hatte stellen können: »Es ist bloß die Rede von Erstattung nothwendiger Kosten, welche die Kasse des Musikvereins vorgeschossen hat, und welche nicht zu vermeiden sind, da eine musikalische Messe ohne Zuziehung der städtischen oder anderer Musiker [gemeint sind Briefes Militär-Musiker], die ein Gewerbe aus der Musik machen, nicht gegeben wer44 Vgl. hierzu S. 81f., 101. 45 Vgl. Vertrag Stadt Düsseldorf mit dem Städtischen Musikverein 1949, Absatz 1, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 468, 69, ohne Paginierung; Satzung Musikverein 8. 11. 1949, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 466, 69, ohne Paginierung. 46 Vgl. Julius Alf, Das Niederrheinische Musikfest nach 1945. Ausklang einer JahrhundertTradition, in: Geschichtsverein Düsseldorf (Hg.), Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, 57./58. Bd., Düsseldorf 1980, S. 472–497, hier S. 494. 47 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 55 (Fußnote 6), 83 (Fußnote 356). 48 Vgl. ebd. (Fußnote 206). 49 Vgl. Brief Landrat von Lasberg an den Oberbürgermeister, 11. 3. 1824, StAD Düsseldorf, 0-12-1305.0000, S. 12.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
den kann, diese aber nicht frey¨lich zu zwingen sind, ihre Hülfe unentgeldlich bei irgend einer Gelegenheit herzugeben.«50
Der Verein, der offenbar über das Ausbleiben der Rückzahlung verärgert war, schlug der Stadt gegenüber einen durchaus selbstbewussten Ton an: »Sollte man übrigens Anstand nehmen, die obwaltenden Verhältnisse der Königlichen Regierung klar vorzutragen, so sind wir bereit, dieselbe von dem Status hinreichend zu unterrichten, nöthigenfalls aber, wenn unsere völlig begründeten Ansprüche auch jetzt keine Befriedigung finden sollten, würden wir keinen Augenblick zögern, sie den höchsten Behörden und selbst Sr : Königlichen Hoheit dem Kronprinzen zur Beurtheilung vorzulegen.«
In einem Schreiben vom 8. Juli 1824 verteidigte der Landrat von Lasberg gegenüber dem Oberbürgermeister die Forderung des Musikvereins und betont, dass die Stadt auf dessen Mitwirkung nicht verzichten könne, da die städtischen Musiker auch mit Unterstützung der Militärmusiker offenbar nicht in der Lage seien, größere Aufführungen alleine zu bestreiten, und auf die Mitwirkung des Musikvereins angewiesen waren. Dieser konnte sich nur wenige Jahre nach seiner Entstehung die selbstbewusste Haltung der Stadt gegenüber also erlauben, da er für die Durchführung repräsentativer Konzerte nicht zu entbehren war. Darius bestätigt die Einschätzung, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Düsseldorfer Musikleben kaum ohne die privaten Vereine der Stadt denkbar gewesen wäre.51 Da aus den Jahren, bevor Mendelssohn 1833 Städtischer Musikdirektor wurde, nur vereinzelte Materialien wie Plakate, Briefe und Auflistung von Einnahmen und Ausgaben erhalten sind und es in den in Düsseldorf erscheinenden Zeitungen erst in späteren Jahren des 19. Jahrhunderts üblich wurde, über Konzerte zu berichten,52 ist es nicht möglich, die Aktivitäten des Musikvereins umfassend zu dokumentieren. Für die Jahre 1820, 1822, 1826, 1830 und 1833, als in Düsseldorf die Niederrheinischen Musikfeste stattfanden, ist davon auszugehen, dass der Musikverein in nicht unerheblichem Maße in die Vorbereitung involviert war und dass er bei allen Festen in dem gesamten Zeitraum seine beteiligten Mitglieder auf die Aufführungen in Düsseldorf und in den anderen Städten vorbereitet hat. Aus den Berichten über das Fest 1826 geht hervor, dass die Proben mit großem zeitlichem Vorlauf begannen53 und der Gastdirigent Louis Spohr mit deren Ergebnis für den Chor sehr zufrieden war.54 50 Vgl. Brief Musikverein an den Oberbürgermeister, 14. 7. 1824, StAD Düsseldorf, 0-1-21305.0000, S. 14a. 51 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 22. 52 Vgl. ebd., S. 154. Darius nennt als eine der wenigen Ausnahmen beispielsweise einen am 30. 1. 1830 publizierten Hinweis auf einen verschobenen Konzerttermin. 53 Vgl. Das große Niederrheinische Musikfest 1826, in Düsseldorf, in: Cäcilia, eine Zeitschrift für die musikalische Welt 5 (Heft 17, 1826), S. 61–76, hier S. 62. 54 Vgl. Spohr, Louis Spohr und Amalie von Sybel, S. 96.
Statuten des Düsseldorfer Musikvereins und seine Wirkungsfelder
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Nicht ganz so positiv wurde jedoch die Vorbereitung der Instrumentalisten gesehen, denn die Mitwirkenden des Orchesters waren kurzfristig aus verschiedenen Städten zusammengerufen worden und die teilweise Besetzung der Bläser mit Laienmusikern erschwerte die Probenarbeit zusätzlich.55 Abgesehen von diesen Aktivitäten und der Messe anlässlich der Hochzeit von Kronprinz Friedrich belegen einige Quellen die Beteiligung an weiteren Konzerten. Auf einem Programmzettel vom 10. März 1823 wird der Musikverein als Mitwirkender unter der Leitung von Hermann Friedrich Süs56 genannt, wobei jedoch aufgrund des Repertoires und den Angaben zur Besetzung wahrscheinlich die Instrumentalisten des Musikvereins gemeint sind und nicht der Chor. Für Ostersonntag, den 3. März 1823, hatte der Musikverein Das Vater Unser von Johann Gottlieb Naumann angekündigt,57 worüber es jedoch mit der Akademie der Tonkunst zu Terminstreitigkeiten gekommen war – eine bereits bekannte Konfliktsituation, wie aus einer öffentlichen Stellungnahme des Musikvereins hervorgeht.58 Darin äußerte sich dieser verärgert darüber, dass die Musikakademie ebenfalls für Ostersonntag das gleiche Stück aufs Programm gesetzt habe. Der Musikverein weigere sich nun, von seinem Termin zurückzutreten, da er bereits im Oktober letzten Jahres aus dem gleichen Grund auf ein Konzert verzichtet habe und auch nicht bereit sei, das Publikum zu enttäuschen und durch eine erneute unvorhersehbare Absage zu verwirren.59 Für das Jahr 1825 lässt sich anhand einer Absage in der Neuen Düsseldorfer Zeitung belegen, dass der Musikverein eine größere Konzertreihe bestehend aus sechs SommerKonzerten eingeplant hatte, für die jedoch nicht genügend Subskribenten unterschrieben.60 Eine Konzertanzeige vom 12. März 1826 enthält den Hinweis, dass ein von Joseph Eschborn (1800–1881), der zu dieser Zeit Musikdirektor am Düsseldorf Theater war,61 und seiner Frau Nina Eschborn für den 14. März 1826 55 Vgl. ebd. 56 Süs war im März 1823 als Gesanglehrer an das königliche Gymnasium Düsseldorf berufen worden, vgl. Gottfried Seebode (Hg.), Kritische Bibliothek für das Schul- und Unterrichtswesen, 6. Jahrgang, 1. Bd., Hildesheim 1824, S. 164. Als seine Frau Auguste Caroline 1825 starb, wurde er in der Todesanzeige als ›Musik-Director Hermann Friedrich Süs‹ bezeichnet, vgl. Neue Düsseldorfer Zeitung 126 (9. 5. 1825), Rubrik Sterbefälle. 57 Vgl. Programmzettel Opernaufführung Camilla von Paer [Ferdinando Pa[r] 10. 3. 1823 und Das Vater Unser von Johann Gottlieb Naumann 3. 3. 1823 mit einer Stellungnahme des Musikvereins, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018). 58 Vgl. ebd. 59 Vgl. Opernaufführung Camilla von Paer [Ferdinando Pa[r, 1771–1839] 10. 3. 1823 und Das Vater Unser von Johann Gottlieb Naumann 3. 3. 1823 mit einer Stellungnahme des Musikvereins, Programmzettel, (28. 2. 2018). 60 Vgl. Neue Düsseldorfer Zeitung 168 (22. 6. 1825). 61 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 128.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
angekündigtes Konzert wegen einer Aufführung des Musikvereins am gleichen Tag verschoben werden muss.
Abb. 1: Programmzettel eines Konzertes von 1823 unter Mitwirkung des Musikvereins62
Die überlieferten Programmzettel und Hinweise auf durchgeführte und geplante Veranstaltungen zeigen, dass der Musikverein schon in seinen ersten Jahren, bevor Mendelssohn die Leitung übernahm, immer wieder mit eigenen Kon-
62 Vgl. Abonnementskonzert 10. 3. 1823, Programmzettel, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018).
Statuten des Düsseldorfer Musikvereins und seine Wirkungsfelder
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zerten in Erscheinung trat, auch wenn dies innerhalb der städtischen Gemeinschaft nicht ohne Reibereien und Enttäuschungen vonstattenging. 3) Die Kirchenmusik in Düsseldorf zwischen 1819 und 1862 Das dritte Betätigungsfeld des Musikvereins war praktisch von Beginn an bis 186263 die Kirchenmusik, wie dem in Sekundärquellen teilweise überlieferten Statut von 1822 zu entnehmen ist, wobei jedoch über die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Verein nur rudimentäre Informationen überliefert sind.64 Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kirchenkonzerte meist nicht in den Tageszeitungen angekündigt wurden65 und dass in den Pfarrakten von Sankt Maximilian66 keine Informationen über die Kirchenmusik zu finden sind.67 Nach der Säkularisierung durch Napoleon war die Stadt Düsseldorf zu Leistungen gegenüber der katholischen Kirche verpflichtet, die sie durch die Bereitstellung von musikalischen Aufführungen in der Maxkirche erfüllte. Die Stadt fungierte dabei als Sachwalter und beauftragte den Musikverein zu Aufführungen beim Hochamt, bei der Vesper und bei außerliturgischen Feiern. Der Verein steuerte zusätzliche noch Konzerte auf eigene Rechnung bei.68 Da es Burgmüller bis zu seinem Tode 1824 nicht gelungen war, das Ziel, mit dem er ursprünglich angetreten war, zu verwirklichen, nämlich eine unabhängige Kirchenmusik in Düsseldorf zu etablieren, blieb die Stadt weiterhin auf die Zusammenarbeit mit dem Musikverein angewiesen. Die Aufführungen wurden von dem Organisten Caspar Müngersdorf geleitet.69 Als Mendelssohn 1833 den Posten des Städtischen Musikdirektors übernahm, gehörte die Kirchenmusik zu seinen vertraglich vereinbarten Aufgaben,70 wobei es jedoch wegen der seiner Ansicht nach nicht ausreichenden Kompetenz von 63 Vgl. Sauer und Schatten gehen beide von einer ununterbrochenen Zeitspanne zwischen der Gründung des Vereins und 1862 aus, vgl. Wilhelm Sauer, Die Kirchenmusik in der Kirche zum hl. Maximilian von 1818–1862/1865 und der Städtische Musikverein Düsseldorf, in: Monatshefte für katholische Kirchenmusik, 11 (November 1928), S. 277–284, hier S. 277; Thomas Schatten, Die Max. Geschichte einer Düsseldorfer Kirche, Düsseldorf 1997, S. 174f. 64 Vgl. Joseph Esser, Felix Mendelssohn Bartholdy und die Rheinlande, Bonn 1926, S. 30. 65 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 154. 66 St. Maximilian, umgangssprachlich die Maxkirche, ist eine katholische Kirche im Stadtteil Carlstadt, die 1803 aus einem im Zuge der Säkularisierung aufgehobenen Franziskanerkloster hervorgegangen ist, vgl. Benedikt Mauer, Maxkirche (Carlstadt), in: von LoozCorswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 483. 67 Vgl. Sauer, Kirchenmusik hl. Maximilian, S. 278. 68 Vgl. ebd., S. 277. 69 Vgl. Kortländer, Musikalisches Leben, S. 42. Statt ›Müngersdorf‹ findet sich in zeitgenössischen Zeitungsartikeln bisweilen auch die Schreibweise ›Mündersdorf‹, vgl. z. B. Anhang zu den Gülich und Bergischen wochentlichen Nachrichten 23 (9. 6. 1801). 70 Vgl. Abschrift Vertrag Stadt Düsseldorf mit Felix Mendelssohn Bartholdy, 20. 5. 1833, StAD Düsseldorf, 01-20-96.0000, ohne Paginierung.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
Müngersdorf zu Spannungen kam.71 Auch die Leistungen der Musiker beschrieb Mendelssohn ebenso wie das vorhandene Notenmaterial als wenig befriedigend.72 Für den neu gegründeten und nur wenig erfahrenen Musikverein bedeutete die Verantwortung für die Kirchenmusik seit Anfang der 1820er Jahre sicherlich einen erheblichen Arbeitsaufwand. Laut Sauer kamen über das Jahr verteilt fünf Messen, ein Requiem, zwei Nachmittagsmusiken, die Musik in einer Vesper und eine Prozession zusammen.73 Dass die Zusammenarbeit mit dem Verein 1862 endete, lag nicht an seinen Leistungen, sondern hatte ideologische Gründe: Schon um 1820 wurde die katholische Kirchenmusik von einem Teil der Gläubigen als seicht und minderwertig betrachtet.74 Nach ihrer Ansicht trugen Messen von populären Komponisten wie Mozart, Haydn und Weber zu einer Profanisierung des Gottesdienstes bei, da sie sich zu stark an einem Opern- und Konzertstil orientierten, während der liturgische Gesang und die strenge Polyphonie vernachlässigt wurden.75 Die Kritik richtete sich also nicht gegen die Dirigenten oder der Chor, sondern gegen das Repertoire.76 Trotz dieser Bedenken wurde der Düsseldorfer Musikverein über vierzig Jahre lang für die kirchenmusikalischen Aufführungen in der Maxkirche herangezogen. Erst 1862 beendete Pfarrer Peter Schmitz die Zusammenarbeit,77 nachdem bei dem Kölner Provinzial-Konzil 1860 die Verordnung erlassen worden war, dass Frauenstimmen vom Kirchengesang ausgeschlossen werden sollten.78 1876 wurde, um Ersatz zu schaffen, der Maxchor gegründet, dem den Vorgaben entsprechend nur
71 Vgl. Kortländer, Musikalisches Leben, S. 42f. Über die Vereinbarung der Stadt Düsseldorf mit dem Musikverein aus seinen ersten Jahren bezüglich der Kirchenmusik liegt nichts Schriftliches vor. Es ist jedoch ein Brief von Ferdinand von Woringen erhalten, der 1833 in seiner Eigenschaft als Vorstand des Vereins zur Beförderung der Tonkunst auf diese Vereinbarung Bezug nimmt, indem er am 16. Oktober 1833 an das Komitee für die Kirchenmusik schreibt: »Seitdem das unterzeichnete Comit8 des Vereins zur Beförderung der Tonkunst seine Wirksamkeit begonnen hat, ist auch die Kirchenmusik nach den mit dem Musikverein bestehenden Grundsätzen besonderer Gegenstand unserer [Hervorhebung durch von Woringen] Fürsorge geworden.«, Brief von Woringen an das Komitee für Kirchenmusik, 16. 10. 1833, StAD Düsseldorf, 01-20-96.0000, ohne Paginierung. 72 Vgl. Esser, Mendelssohn und die Rheinlande, S. 30–32. 73 Vgl. Sauer, Kirchenmusik hl. Maximilian, S. 278; Fischer, Städtischer Musikverein, S. 18. 74 Vgl. ebd., S. 280. 75 Vgl. ebd., S. 280–282. 76 Vgl. ebd., S. 281. 77 Vgl. ebd., S. 282. 78 Vgl. Niederrheinische Musikzeitung 17 (28. 4. 1866), S. 130; vgl. auch Ulrich Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor. Die Geschichte der katholischen Kirchenmusik in Düsseldorf und an der Pfarrkirche St. Lambertus im 19. Jahrhundert, in: 125 Jahre Stiftschor St. Lambertus Düsseldorf-Altstadt, Düsseldorf 2001, S. 6–19, hier S. 13.
Statuten des Düsseldorfer Musikvereins und seine Wirkungsfelder
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Männer angehörten; Sopran- und Altstimmen wurden von Knaben gesungen.79 Erst 1919 wurden Frauen als Mitwirkende zugelassen.80 Ursprünglich hatte zwischen dem Musikverein als ausführendem Organ der Stadt und der Maxkirche eine Art Exklusivvertrag bestanden, doch sind auch Konzerte in St. Lambertus81 belegt.82 Ein Brief vom 25. Juli 1822 an den Pfarrer Johann Wilhelm Heinzen von St. Lambertus veranschaulicht die Situation. Darin kündigte der Musikverein an, ab sofort in der Maxkirche an jedem ersten Sonntag im Monat die Messe singen zu wollen, doch sei er darüber hinaus gerne bereit, seine Aktivität auch auf andere Kirchen »aller Confessionen«83 auszudehnen. Da es in den Jahren nach Burgmüllers Tod offenbar zu Problemen mit der Erfüllung dieser Aufgabe kam, wurde im Oktober 1827 das ›Comit8 für die musikalischen Aufführungen in der Lambertus Pfarrkirche‹ gegründet, dessen Mitglieder sich zur Zahlung geringer Summen verpflichteten, um bei den größeren Kirchenfeiern die Qualität der musikalischen Aufführungen zu verbessern. Trotz des Engagements dieses Komitees und des Musikvereins war die Düsseldorfer Kirchenmusik bei Mendelssohns Amtsantritt offenbar auf einem Tiefpunkt angekommen.84 Unter seinem Nachfolger Julius Rietz wurden die kirchenmusikalischen Konzerte des Musikvereins weiterhin kritisiert, so dass ab Mitte der 1840er Jahre mehrere neue kirchliche Gesangvereine entstanden, die die Konzerte zunehmend selbst bestritten.85 Insbesondere das Bemühen eines Musikdilettanten, des Medizinalrates Dr. Rudolf Hasenclever, mit seinem selbstgegründeten Chor ältere Kirchenmusik zur Aufführung zu bringen, war offenbar seit der Zeit, als Julius Rietz Musikdirektor war, bis Mitte der 1850er Jahre bei den Bürgern beliebt und auch in den Augen der Presse erfolgreich.86 Ob die Auflösung des Chores wirklich, wie Darius es einschätzt, das Werk »neidischintriganten Vereinsdenkens«87 in Düsseldorf gewesen ist, kann hier nicht entschieden werden. Obwohl der Musikverein in der katholischen Kirche zunehmend an Einfluss verlor, ist beispielsweise für die Karwoche des Jahres 1858
79 Vgl. Schatten, Die Max, S. 175f. 80 Vgl. ebd., S. 196. 81 Die katholische St. Lambertus ist Düsseldorfs älteste Kirche und gilt als ein Wahrzeichen der Altstadt, vgl. Benedikt Mauer, Lambertuskirche, in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 436–437. 82 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 154, und Fischer, Städtischer Musikverein, S. 18. 83 Zit. nach Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor, S. 7f. 84 Vgl. Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor, S. 6–19, S. 8. Mendelssohns Wirken in Düsseldorf wird ausführlich in Kapitel 6 dargestellt. 85 Vgl. Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor, S. 9–12. 86 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 222f. 87 Ebd., S. 223.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
unter Julius Tausch noch einmal ein umfangreiches Programm belegt, welches er allein mit dem Musikverein realisierte.88
5.6
Akteure bei der Gründung des Musikvereins (1819 bis 1833)
Die häufige Verwechslung mit dem Niederrheinischen Musikverein in der Literatur hat dazu geführt, dass bisweilen von Woringen, Wetschky und Hauchecorne als Gründer bzw. als Mitglieder des ersten Vorstandes des Düsseldorfer Musikvereins genannt werden.89 Da aus den Jahren bis 1822 keine entsprechenden Originaldokumente vorliegen, lässt sich das Mitwirken von Wetschky und von Woringen für diesen Zeitraum sowie ihre Beteiligung am Zusammenschluss des Vereins 1819 und dem Erstellen des ersten Statuts von 1820 genauso wenig nachweisen wie widerlegen. Dass der Steuerrat Hauchecorne zu den Gründern gehörte, ist jedoch eher unwahrscheinlich, da er Düsseldorf 1819 verließ und nach Aachen ging.90 Der Brief mit der Bitte um Genehmigung durch die preußische Regierung von 1822 ist mit den sechs Namen Kemmerich Junior, Winckelmann, Schumacher, Brockhoff, Wetschky und Caspary unterschrieben.91 Der Hinweis in dem Brief, dass seit dem ersten Statut von 1820 ein Wechsel der Direktion stattgefunden habe, macht es wahrscheinlich, dass die ursprünglichen Gründer nicht identisch mit den hier genannten sechs Unterzeichnenden sind, aber es ist auch nicht auszuschließen, dass der eine oder andere bereits dazugehört hatte. Vom 18. Juni 1824 ist ein Brief des Düsseldorfer Musikvereins an Louis Spohr92 überliefert, in welchem es um eine Abschrift der Partitur von seiner Oper Jessonda ging, die der Musikverein am 24. April 1825 konzertant aufführte. Die Leitung hatte wahrscheinlich Joseph Eschborn,93 der von 1821 bis 1827 als Musikdirektor am Düsseldorfer Theater tätig war. Am Ende des Schreibens finden sich die Namen der Herren d’Anthoin, v. Woringen und Hasse.94 Des Weiteren ist aus den Jahren 1823 und 1824 ein Briefwechsel 88 Vgl. Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor, S. 12. 89 Vgl. beispielsweise Fischer, Städtischer Musikverein, S. 17. 90 Vgl. Reinhold Sietz, Die Niederrheinischen Musikfeste in Aachen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Bernhard Poll (Hg.): Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Bd. 72, Aachen 1960, S. 109–164, hier S. 111. 91 Brief Musikverein an die Regierung 11. 10. 1822, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, Blatt 22b. 92 Vgl. Spohr, Louis Spohr und Amalie von Sybel, S. 95. 93 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 128. 94 Spohr liest den Namen Hasse als ›Hasler‹, vgl. Spohr, Louis Spohr und Amalie von Sybel, S. 95, worin Niemöller einen Transkriptionsfehler erkennt, vgl. Klaus Wolfgang Niemöller, Louis Spohr und die Musikfeste im Rheinland. Der Oratorien-Komponist und Musikfest-
Akteure bei der Gründung des Musikvereins (1819 bis 1833)
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zwischen dem Musikverein und der Stadt Düsseldorf erhalten, in welchem G. Werner, von Woringen und Hasse für den Verein unterschreiben.95 Insgesamt sind damit folgende zehn Namen von Vorständen aus der Entstehungszeit des Musikvereins überliefert: Brockhoff, Caspary, d’Anthoin, G. Werner, Hasse, Kemmerich Junior, Schumacher, Wetschky, Winckelmann und v. Woringen. Einen vollständigen Überblick über die Vorstände sowie Mitglieder und damit über die Struktur des Vereins in seinen ersten Jahren zu geben ist nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung nicht möglich, da keine Mitgliederverzeichnisse erhalten sind.96 Die vorliegenden Informationen über die identifizierten Personen lassen zwar gewisse Tendenzen erkennen, jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass in den meisten Fällen Vornamen, Lebensdaten und damit auch die Identität der Personen nicht immer zweifelsfrei feststellbar sind. Da der soziale Status und auch das Berufsfeld innerhalb von Familien oft über Generationen Ähnlichkeiten aufweisen, können Nachnamen jedoch trotzdem gewisse Zuweisungen ermöglichen. Eine der wichtigsten und wahrscheinlich einflussreichsten Personen in den ersten Jahrzehnten des Düsseldorfer Musikvereins war Ferdinand von Woringen (1798–1851), der Regierungsassesor, später Königlicher Appellationsgerichtsund Geheimer Justizrat in Düsseldorf war, außerdem als Tenor und Komponist in Erscheinung trat und als Sekretär der Niederrheinischen Musikfeste fungierte. 1837 ging er in seiner Funktion als Oberregierungsrat nach Liegnitz.97 Der Vater Otto von Woringen (1760–1838), mit dem es nicht zuletzt wegen der zeitweilig gleichen Berufsbezeichnung in der Literatur bisweilen zu Verwechslungen gekommen ist, war Schulrat bzw. Landgerichtsrat und sang bei einigen Niederrheinischen Musikfesten im Bass. Sein Name ist auf der Mitgliederliste Dirigent in den musikkulturellen Kontexten der Aufführungen, in: Dominik Höink (Hg.), Die Oratorien Louis Spohrs, Göttingen 2015, S. 103–130, hier S. 106, Fußnote 21. Die Lesart ›Hasse‹ wird auch an anderer Stelle bestätigt: Beispielsweise sind im Jahr 1826 die Namen d’Anthoin, v. Woringen und Hasse im Komitee der Niederrheinischen Musikfeste zu finden, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang, S. 10. Kopitz nennt als Vornamen des Vereinsmitglieds Hasse Heinrich Ernst Samuel, vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 128. Der Name Hasler hingegen lässt sich durch keine andere Quelle bestätigen. 95 Vgl. Brief Musikverein an den Oberbürgermeister, 14. 7. 1824, StAD Düsseldorf, 0-1-21305.0000, S. 14b. 96 Auch Kopitz und Alf lagen keine Angaben zu den Mitgliedern der Gründungsjahre vor, vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 108. 97 Vgl. Lucian Schiwietz/Sebastian Schmideler (Hg.), Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe. Bd. 4. August 1834 bis Juni 1836, Kassel u. a. 2011, Register S. 743. Als Todesjahr wird hier das Jahr 1896 angegeben; gemäß anderer Quellen ist jedoch wahrscheinlicher, dass Ferdinand von Woringen im Jahr 1851 starb, vgl. beispielsweise Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 9, wo vermerkt ist, dass von Woringen in der Zwischenzeit – also vor 1868 – gestorben ist; vgl. außerdem die Internetseite genealogieonline (28. 2. 2018).
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der Musikakademie von 180998 zu finden. Otto von Woringen war auch derjenige, der seine Wohnung für die Proben der ersten Niederrheinischen Musikfeste zur Verfügung stellte, für die sich sein Sohn engagierte.99 Dieser gehörte zu den Gründern des Niederrheinischen Musikvereins und wirkte über Jahre bei mehreren Musikfesten solistisch als Tenor mit, so beispielsweise bei der Uraufführung von Mendelssohns Paulus im Jahr 1836. Auch seine Schwester Rose sang und wurde gelegentlich von Mendelssohn am Klavier begleitet.100 Ihr und der anderen Schwester Elise widmete der Komponist, der oft in von Woringens Haus zu Gast war, zwei Hefte der Lieder ohne Worte101 und andere Lieder.102 Ferdinand von Woringen war im Musikverein oft mit organisatorischen Aufgaben betraut103 und gehörte 1833 zu den Gründern des Vereins zur Beförderung der Tonkunst, der bei der Anstellung von Felix Mendelssohn Bartholdy eine entscheidende Rolle spielte.104 Der in verschiedenen Dokumenten zu findende Namen Wetschky lässt sich nicht immer eindeutig zuordnen, da im Musikverein und bei den Niederrheinischen Musikfesten die beiden »Gebrüder Wetschky«105 aktiv waren, welche in Dokumenten der Zeit wenn überhaupt nur mit ›Wetschky I‹ und ›Wetschky II‹ unterschieden wurden, jedoch ohne den Zusatz ihrer Vornamen oder weiterer Informationen zu ihrer Person. Nach dem aktuelle Forschungsstand ergibt sich folgendes Bild: Wetschky II war in fünf Jahren (1818, 1820, 1821, 1823, 1826) als Bassist an den Niederrheinischen Musikfesten beteiligt; bei der Schöpfung 1818 sang er die Partie des Adam.106 Friedrich Johannes Wetschky, »Wetschky I«, war Regierungsbeamter, wurde am 30. September 1792 geboren, verließ 1854 Düsseldorf und ging nach Dortmund.107 Neben seiner Tätigkeit im Vorstand des Musikvereins und bei zwei Gelegenheiten im Düsseldorfer Komitee der Niederrheinischen Musikfeste (1818 und 1820) wirkte er bei den Festen mehrfach als Chordirigent mit. Es ist auffällig, dass er als einziger Dilettant diese Aufgabe 98 Vgl. Mitgliederliste der Musikakademie von 1809, Digitalisat im Besitz des Städtischen Musikvereins Düsseldorf. 99 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 165, 192. 100 Vgl. Lebenserinnerungen des Landgerichtsrates Karl Schorn, Auszug, zit. nach Zahn, Rheinisches Musikfest 1984, S. 25. 101 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 364. 102 Vgl. Esser, Mendelssohn und die Rheinlande, S. 83. 103 So führte er beispielsweise die Korrespondenz im Zusammenhang mit der Zahlung von Auslagen für die Hochzeitsfeier des Kronprinzen, vgl. hierzu S. 87f. Auch in zahlreichen anderen im Düsseldorfer Stadtarchiv aufbewahrten Dokumenten ist in den Jahren seiner Mitwirkung auffallend häufig seine Handschrift zu finden. 104 Vgl. hierzu S. 120. 105 Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2. 106 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 8. 107 Vgl. Gerd Nauhaus (Hg.), Robert Schumann, Tagebücher, Bd. III, Haushaltsbücher Teil 2 1847–1856, Anmerkungen und Register, Leipzig 1982, S. 928.
Akteure bei der Gründung des Musikvereins (1819 bis 1833)
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übertragen bekam.108 Offenbar war seine Kompetenz so groß, dass er auch 1830 für die Konzerte mit Ferdinand Ries und 1833 mit Mendelssohn eingesetzt wurde.109 Von 1831 bis 1833 leitete er darüber hinaus den Chor des Düsseldorfer Musikvereins.110 Wahrscheinlich meinte Hauchecorne ihn, als er schrieb, Wetschky habe sich um die Gründung des Niederrheinischen Musikfestes besonders verdient gemacht.111 Wie von Woringen unterschrieb er 1833 als Gründer das Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst.112 Das Engagement von Brockhoff, der zeitweilig zum Vorstand der Niederrheinischen Musikvereins gehörte, wird von Hauchecorne positiv hervorgehoben.113 Sein Name findet sich auf der Mitgliederliste der Musikakademie von 1809 mit dem Zusatz »Bureau-Chef b. Ministerium d. Inneren«114, während in einem Brief vom 25. Juni 1820 von dem ›Reg.-Referendar‹ Brockhoff die Rede ist.115 Beides zusammen könnte ähnlich wie bei den Herren von Woringen auf die Konstellation Vater/Sohn hindeuten, was sich jedoch ohne weitere Daten zur Person nicht klären lässt. In seiner Eigenschaft als Vorstand des Komitees des Niederrheinischen Musikfestes 1822 wurde Brockhoff als ›Regier.-Secretär‹ bezeichnet.116 Aus dem Nachruf auf den 1824 verstorbenen August Burgmüller geht hervor, dass er mit diesem näher bekannt war.117 Der Name Winckelmann, der im Komitee des Niederrheinischen Musikfestes von 1822 verzeichnet ist (wenn auch in der abweichenden Schreibweise Winkelmann), findet sich ebenfalls auf der Mitgliederliste der Musikakademie von 1809,118 allerdings gleich für zwei Personen: einen ›Rechnungs-Commissair‹ und einen Kaufmann. Letzter war auch einer der in der Verfassung der Musikakademie von 1807 genannten vier »provisorischen Curatoren«119. Ein Herr Winckelmann trat darüber hinaus bereits als einer der Initiatoren des Bergischen-Deutschen Theaters 1805 in Erscheinung.120 Sein Engagement für bürgerliche Kultur erstreckte sich also wahrscheinlich auf mehrere Wirkungsbereiche und reichte weit zurück.
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Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 2, S. 21. Vgl. Niemöller, Louis Spohr, S. 110f. Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 169. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 74. Vgl. Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst, 7. 6. 1833, StAD Düsseldorf, 01-2096.0000, ohne Paginierung. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 74. Mitgliederliste der Musikakademie von 1809, Digitalisat im Besitz des Städtischen Musikvereins Düsseldorf. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 13. Vgl. ebd., Anhang, S. 6. Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 124. Vgl. Mitgliederliste der Musikakademie von 1809. Verfassung der Musikacademie in Düsseldorf, Düsseldorf 1807, S. 10. Vgl. Anne Blankenberg, Bergisch-Deutsches Theater (1805–1814), in: von Looz-Cors-
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Über Caspary, Friedrich d’Anthoin, Georg Werner, Heinrich Ernst Samuel Hasse, Gottfried Kemmerich und Schumacher waren nur vereinzelte biografische Informationen zu finden.121 Dennoch lässt sich eine Tendenz in dem beruflichen Wirken der zehn genannten Musikvereinsmitglieder erkennen. Von Woringen und Brockhoff waren für die Regierung tätig, Wetschky Beamter, d’Anthoin Musiklehrer, Kemmerich Advokat und Justizrat, Hasse Kriegskommissar und Winkelmann Kaufmann oder Rechnungs-Commissair. Bei von Woringen und Wetschky gab es Verwandte, die in das Engagement im Musikverein und bei den Musikfesten eingebunden waren. Und vier der zehn Genannten gehörten mindestens einmal dem Vorstand der Niederrheinischen Musikfeste an. Weitere Überschneidungen in den Biografien einiger Vereinsmitglieder ergeben sich aus der Rang- und Quartier-Liste der königlich Preußischen Armee für das Jahr 1819.122 Im 36. Landwehr-Regiment in der Kategorie ›Infanterie des 1. und 2. Aufgebots‹ sind die Namen Brockhoff, Kemmerich, Caspary, Werner sowie ›Wetschky 1ste und Wetschky 2te‹ zu finden – übrigens neben einigen in der Düsseldorfer Stadtwarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 78f., hier S. 78; vgl. auch Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 260. 121 Auch Caspary hatte sich laut Hauchecorne um das Niederrheinische Musikfest verdient gemacht, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 74, gehörte zum Düsseldorfer Komitee des Niederrheinischen Musikvereins und korrespondierte einmal mit Carl Maria von Weber im Auftrage des Musikvereins wegen des Ankaufs der Partitur von Kampf und Sieg, vgl. Internetseite Carl Maria von Weber Gesamtausgabe, (28. 2. 2018). Die Aufführungen fanden in Düsseldorf am 27. Mai 1822 und in Elberfeld am 19. Mai 1823 statt. Friedrich d’Anthoin war Musiklehrer in Düsseldorf und übernahm 1830 zwischenzeitlich die Leitung des Musikvereins, vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 169. Georg Werner war laut einem Brief vom 17. Juli 1824 zu dem Zeitpunkt der Kassen-Konducteur des Musikvereins. Über Heinrich Ernst Samuel Hasse ist lediglich im Düsseldorfer Journal und Kreisblatt vom 23. Dezember 1852 anlässlich des Todes seiner Witwe der Hinweis zu finden, dass er von Beruf Kriegskommissar war. Über Gottfried Kemmerich ließ sich in Erfahrung bringen, dass er Advokat war, 1792 oder 1793 geboren wurde, am 21. November 1841 starb und Justizrath und Anwalt am königlichen Gericht in Düsseldorf war, vgl. Totenzettelsammlung Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde e.V., (28. 2. 2018). Zu dem Namen Schumacher findet sich im Düsseldorfer Adressbuch von 1833 als einziger Eintrag: »Schumacher, Regierungsreferendar und Sekretair. – Neustraße«, Rüttger Brüning (Hg.), Offizielles Adress-Buch für Rheinland-Westphalen. Zum Vortheil armer Kranken [sic!], Elberfeld [1833], S. 5. Dass es sich bei diesem um das genannte Mitglied des Musikvereins handelte, ist wahrscheinlich, da ebenfalls 1833 der Name im Düsseldorfer Komitee der Niederrheinischen Musikfeste auftaucht, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung (wie auch schon 1820 und 1826), Anhang S. 16, um die sich Schumacher laut Hauchecorne verdient gemacht hat, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 74. In dem Nachruf auf August Burgmüller wird er wie Brockhoff als dessen Bekannter genannt, vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 124. 122 Vgl. Rang- und Quartier-Liste der königlich Preußischen Armee für das Jahr 1819, Berlin [1819], S. 274, (28. 02. 2018).
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politik ebenfalls aktiven Personen wie Lasberg, Fuchsius und von Ammon.123 Von Woringen und Winckelmann können als Beispiele dafür dienen, dass das Engagement für die städtische Kultur über die Musikakademie und andere Aktivitäten viele Jahre zurückreichte, mitunter über Generationen hinweg. Auch wird bei Brockhoff und Schumacher eine nähere Bekanntschaft zu einem Angehörigen des Künstlerstandes, nämlich August Burgmüller beschrieben, wie sie einige Jahre später zwischen Mendelssohn und von Woringen und dessen Verwandten entstand. Mit d’Anthoin zählte auch ein Vertreter des für die Zeit der bürgerlichen Musikkultur typischen neu entstandenen Berufs des Musiklehrers zum Vorstand des Vereins. Die vorhandenen Informationen über die zehn Personen sind zu rudimentär, um detailliertere Rückschlüsse auf die Struktur des Vorstandes zu ziehen, doch deuten sie darauf hin, dass die Mitglieder wie vom Musikverein behauptet »aus den geachtetsten Familien der Stadt«124 stammten. Abschließend sei noch auf eine Besonderheit bei den Aktivitäten von Wilhelm Hauchecorne hingewiesen, auch wenn dieser die Niederrheinischen Musikfeste die meiste Zeit über nicht von Düsseldorf, sondern von Aachen aus unterstützte. Um die Feste hatte sich dieser durch die Veröffentlichung seiner Erinnerungsblätter von 1868 und durch sein Mitwirken bei der Organisation einzelner Feste verdient gemacht, wobei er Aufgaben übernahm, die »nicht direct zu den musikalischen Erfordernissen gehörigen Gegenstände«125 betragen. Offenbar war er nicht selbst als Sänger oder Instrumentalist eingebunden und kann darum als Beispiel dafür dienen, dass auch für Personen, die nicht selbst musizierten, die Möglichkeit bestand, sich in einem Musikverein (in Hauchecornes Fall ab 1825 in Aachen) intensiv zu engagieren.
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Entwicklungen nach Burgmüllers Tod (1824 bis 1833)
Um 1800 wurde im deutschsprachigen Raum allmählich der Ruf nach einer Reform des musikalischen Ausbildungswesens laut.126 Als Burgmüller in seiner 123 Die Mannschaften der Landwehr waren verpflichtet, regelmäßig an Übungen teilzunehmen und bei Kontrollversammlungen und Appellen zu erscheinen; im Falle der Mobilmachung mussten sie mit einem Einberufungsbefehl rechnen, vgl. Robert Sackett, Die preußische Landwehr am linken Niederrhein um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrheins insbesondere das alte Erzbistum Köln, 194 (1991), S. 167–188, S. 169. 124 Brief Musikverein an die Regierung 11. 10. 1822, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, S. 21a. 125 Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2. 126 Vgl. Mittmann, Musikerberuf, S. 241; für das Beispiel eines theoretischen Textes, in dem die Forderung nach der frühzeitigen Ausbildung junger musikalisch begabter Menschen er-
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Bewerbung 1812 die Ausbildung der Bevölkerung als primäres Ziel seiner angestrebten Tätigkeit anbot, verfolgte er also einen für die Zeit modernen Ansatz. Mit ihrer Entscheidung, in diesem Jahr als erste Stadt der Rheinprovinz einen Musiklehrer fest anzustellen, präsentierte sich Düsseldorf augenscheinlich ebenfalls fortschrittlich. Zwar etablierte sich auch in anderen Städten der Rheinprovinz allmählich die musikalische Ausbildung der Bevölkerung, doch waren die Umstände oft noch sehr improvisiert.127 Die französische Regierung hatte Burgmüller in Wahrheit jedoch angestellt, um bei musikalischen Darbietungen in der Öffentlichkeit die Stadt besser repräsentieren zu können und außerdem die Honorare für zugekaufte Musiker einsparen zu können.128 Dass die nachfolgende preußische Regierung ebenfalls kein wirkliches Interesse an der musikalischen Ausbildung der Bevölkerung hatte, zeigt der Schritt, trotz des positiven Einflusses, den Burgmüllers Aktivitäten auf die städtische Musik gehabt hatten, seine Stelle nach seinem Tode 1824 nicht wieder besetzt. Dass dies eine bewusste politische Entscheidung war, belegt der Auszug aus einem Protokoll der Düsseldorfer Stadtratssitzung vom 29. Januar 1825, laut dem die Bewerbungen auf die Stelle »durch Fried.[rich] Burgmüller (den älteren Bruder von Norbert Burgmüller), Conzertmeister Süs, den Musiker Kupferrath aus Mülheim adR [an der Ruhr] und Mayer dahier«129 verworfen wurden. Zu dieser Entscheidung ist zu lesen: »Der Stadtwart war ein stimmig der Meinung daß diesen nicht zu willfahren, und überhaupt die fragliche Stelle nicht wieder zu besetz zen sey, es wäre denn, daß der Zufall künftig wieder einmal die mögliche Vereinigung der Umstände her beiführte, welche die städtische Behörde früher bewogen haben, den damals so sehr ausgezeichneten Musikdirektor Burgmüller durch ein kleines festes Gehalt an den hiesigen Ort zu fesseln.«
Rückblickend erfolgte die Anstellung Burgmüllers also offenbar in erster Linie wegen seines Prestiges und aus einer »Sucht nach einer Selbstdarstellung«130 heraus, wie es Darius abwertend formuliert, wobei er sich auf ein Protokoll des Düsseldorfer Stadtrates vom 19. Januar 1828 stützt. Dort ist zu lesen, dass dem verstorbenen »Musikdirektor Burgmüller vom 21. September 1812 an ein Jahresgehalt von 600 Franken keineswegs aus dem Grund angewiesen worden ist, weil man einen Direktor für die Kirchenmusik und einen Gesanglehrer für die Schuljugend suchte … [,] son-
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hoben wird, vgl. Ueber die asthetische Bildung des componierenden Tonkünstlers, in: AmZ 50 (12. 9. 1810), Sp. 793–799. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 156. Vgl. hierzu S. 72f. Vgl. Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Stadtrates vom 29. 1. 1825, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, S. 39a–40a. Darius, Musik Elementarschulen, S. 26.
Entwicklungen nach Burgmüllers Tod (1824 bis 1833)
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dern weil man … einen musikalischen Künstler von dem ausgezeichneten Verdienste und Ruf des Herrn Burgmüller an den hiesigen Ort fesseln wollte.«131
Durch seine Aufgabe, die Kirchenmusik einzustudieren und zu dirigieren, arbeitete Burgmüller mit dem Musikverein, der ja im Auftrag der Stadt bei Kirchenkonzerten sang, ebenso wie bei den Niederrheinischen Musikfesten eng zusammen. Nach seinem Tod blieb die Stelle des Musikdirektors bis 1833 vakant, womit die Unterstützung der Dilettanten durch einen Berufsmusiker zunächst ersatzlos wegfiel. Dennoch beteiligte sich der Musikverein weiterhin an den Musikfesten, die in Düsseldorf 1826 unter Leitung von Ferdinand Ries und Louis Spohr, 1830 erneut unter Ries und 1833 unter Felix Mendelssohn Bartholdy stattfanden. Die Beteiligung von Spohr und Ries, die bisweilen als InterimsMusikdirektoren bezeichnet werden,132 war jedoch auf wenige Tage beschränkt und mit der regelmäßigen Probenarbeit Burgmüllers nicht vergleichbar. Als Spohr, der 1826 sein Oratorium Die letzten Dinge aufführte, zu den Proben anreiste, fand er den Chor dennoch recht gut vorbereitet, während ihm das Orchester noch Probleme bereitete.133 Dessen Mitwirkende waren teilweise Laienmusiker und obendrein kurzfristig aus verschiedenen Städten zusammengeholt worden, so dass im Vorfeld keine Zeit für gemeinsame Orchesterproben gewesen war. Die Sänger hingegen hatten in den jeweiligen Musikvereinen der beteiligten Städte ihre Chorpartien offenbar früher und sorgfältiger einstudieren können. Auch ohne Burgmüller waren die Mitwirkenden des Düsseldorfer Musikvereins so gut auf die Proben vorbereitet, dass Spohr zufrieden war,134 wobei sich jedoch nicht feststellen lässt, wer 1826 die Proben geleitet hatte. Im folgenden Jahr jedoch geriet der Musikverein in Existenznöte, wie aus einer Stellungnahme vom 23. Januar 1827 hervorgeht.135 Darin wehrten sich 14 Mitglieder energisch gegen die offenbar zur Debatte stehende Auflösung, die drohte, da der Verein eine Zeit lang keine Probenarbeit durchgeführt hatte. Die 14 Unterzeichnenden stellten schriftlich klar, dass musikalische Utensilien Eigentum des Musikvereins seien und nicht einfach von ausscheidenden Mitgliedern oder einer anderen Gesellschaft vereinnahmt werden dürften – wahrscheinlich war ein solcher Versuch Anlass des Briefes gewesen. Dass niemand 131 Protokoll des Düsseldorfer Stadtrates vom 19. 1. 1828, zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 26. 132 Vgl. beispielsweise Wolfgang Horn/Rolf Willhardt, Rheinische Symphonie. 700 Jahre Musik in Düsseldorf, Münster 1987, S. 281. Bedauerlicherweise liefern Horn und Willhardt in ihrer Publikation meist keine Quellen für einzelne Angaben. 133 Vgl. Spohr, Louis Spohr und Amalie von Sybel, S. 96. 134 Vgl. ebd. 135 Vgl. Stellungnahme des Musikvereins, 23. 1. 1827, StAD Düsseldorf, 0-1-20-98.0000, ohne Paginierung.
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anderes als der Musikverein auf seinen Besitz Anspruch hatte, war laut dem Schreiben in einem zusätzlichen, erläuternden Statut vom 10. Juni 1826 geregelt, das offiziell durch die Regierung genehmigt worden war.136 Zwischen 1830 und 1833 lassen sich häufige Wechsel bei der Probenleitung nachweisen. 1830 übernahm vorübergehend der Musiklehrer Friedrich d’Anthoin diese Aufgabe.137 Sein Nachfolger wurde für kurze Zeit der Geiger Joseph Kreutzer, der mit dem Verein Friedrich Schneiders Oratorium Das Weltgericht einstudierte.138 Im Herbst 1831 übernahm Friedrich Wetschky die Leitung139 und behielt sie bis zu Mendelssohns Amtsantritt,140 wobei zwischenzeitlich eine Unterbrechung eintrat, nachdem es im Oktober zwischen Wetschky, Kreutzer und von Woringen Streit über das Tempo gegeben hatte.141 Nach Wetschkys Rücktritt leitete einmalig Norbert Burgmüller eine Probe, doch auch dieses Mal kam es wegen der Wahl des Tempos zu Unmut, wodurch eine lange währende Feindschaft zwischen von Woringen und Burgmüller entstand. Am 21. Oktober 1831 übernahm Wetschky wieder die Probenarbeit.142 Am Rande sei noch erwähnt, dass für das Jahr 1829 überliefert ist, wo der Musikvereins seinen Sitz hatte: Im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf ist zu lesen, dass das Hinterhaus des Gebäudes auf der Hafenstraße Nr. 9 vom hiesigen Musikverein bewohnt und genutzt wurde.143 Über die Jahre 1829 bis 1832 liefert zusätzlich das erhaltene Journal über Einnahmen und Ausgaben des Musikvereins in Düsseldorf vom 26sten September 1829 bis [September 1832]144 einige Informationen, jedoch mit der EinschränAuch dieses ergänzende Statut war bisher nicht auffindbar. Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 169. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 177. Vgl. auch Wolfgang Müller von Königswinter, Erzählungen eines Rheinischen Chronisten. Karl Immermann und sein Kreis, Leipzig 1861, S. 52, auch wenn von Woringen hier nur mit der Umschreibung »Assessor-Tenorist« genannt wird, der zum Vorstand des Vereins gehört habe. 142 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 171. 143 Vgl. Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf 102 (10. 11. 1829), S. 467; die Hausnummer ergibt sich aus folgender Quelle: H. Ferber, Historische Wanderung durch die alte Stadt Düsseldorf. Herausgegeben vom Düsseldorfer Geschichtsverein. Lieferung I. mit zwei Plänen der Stadt, Düsseldorf 1890. Unveränderter, in einem Band zusammengefasster Nachdruck der 1889 und 1890 vom Düsseldorfer Geschichtsverein herausgegebenen Bände I und II, Düsseldorf 1980, [Bd. 2], S. 72. Vor 1858 entsprach Hausnummer 9 der Hausnummer 1205, vgl. Die Düsseldorfer Polizeiverordnung von 1858. Die alten und neuen Hausnummern. Mit einer Einführung in die Entstehung der Hausnumerierung [sic!] im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert von Heike Blumreiter, Düsseldorf 2005, ohne Paginierung. 144 Vgl. Journal über Einnahmen und Ausgaben des Musikvereins in Düsseldorf vom 26sten September 1829 bis [September 1832], StAD Düsseldorf, 0-1-20-107.0001, ohne Paginie136 137 138 139 140 141
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kung, dass darin nur für den internen Gebrauch die Buchführung des Vereins stichwortartig dokumentiert ist, welche aufgrund zahlreicher Abkürzungen, unspezifischer Angaben (z. B. ›Bezahlung für verschiedene Arbeiten‹), unterschiedlicher Schreibweisen von Eigennamen und eigenwilliger Orthografie (z. B. ›städtische Frohnlaichnams Messe‹) oft nur spekulative Rückschlüsse erlaubt. Dennoch gibt das Journal in seiner Gesamtheit einige interessante Einblicke in die Arbeit des Musikvereins. Insgesamt lässt sich feststellen, dass dieser auch ohne die Unterstützung eines Städtischen Musikdirektors mit regen Aktivitäten in das musikalische Leben involviert und im Alltag der städtischen Gesellschaft vernetzt war. Wie bei Sauer beschrieben, war der Musikverein regelmäßig in kirchenmusikalische Aufführungen eingebunden. In dem Journal sind immer wieder Ausgaben für ›Kopialien für Kirchenmusik‹ durch verschiedenen Kopisten zu finden und Vermerke über mehrere Messen pro Jahr (beispielsweise Allgeheiligen Messe, Apolinaris Messe, Maximilian Messe, Cäcilien Messe, Messe an Ostersonntag, ›Weihnachts Frühmesse‹ und ›Christi Himmelfahrt Messe‹). Einmalig wird sogar Geld dafür investiert, Kirchenkonzerte zu bewerben; ein Eintrag vom 10. Dezember 1829 verbucht unter Ausgaben: »für Werbung: dem Zeitungsträger Schmitz für das Heraustragen von Anzeigen die Kirchenmusik betrf.« Unter den Förderern der Kirchenmusik findet sich in dem Journal einmal ein prominenter Namen: Am 16. Oktober 1829 ist unter Einnahmen zu lesen: »Beitrag Sr. Kgln. Hoheit des Prinzen Friedrich von Preußen zur Kirchenmusik« in Höhe von 11 Talern und 10 Groschen.145 Dem Eintrag vom 1829 ist jedoch nicht zu entnehmen, ob es für die in den dokumentierten drei Jahren einmalige Zahlung zugunsten der Kirchenmusik durch den Prinzen Friedrich einen bestimmten Anlass gab. Aus den Einträgen des Journals lässt sich rekonstruieren, wie viel Planung und Organisationsarbeit der Musikverein bei der Durchführung von Veranstaltungen leistete. Beispielsweise für das Cäcilienfest, das am 22. November 1829 gefeiert wurde, ist unter den Ausgaben vom 1. Dezember 1829 verbucht: Bezahlung des Orchester für die Mitwirkung, Honorar an Joseph Kreutzer für die Direktion des Konzertes, Kopialien, Porto für den Versand von Noten, Wachslichter, Heizung und ›Carmelle‹. Der Einsatz des Vereins ging also zu-
rung. Auf dem Titelblatt ist das Ende des erfassten Zeitraumes nicht vermerkt, doch die letzte Eintragung in dem Journal stammt von September 1832. Die Angaben im folgenden Abschnitt stammen aus dieser Quelle, sind jedoch nicht mit einzelnen Seitenangaben versehen, sondern über das Datum auffindbar. 145 Der ungerade Wert kommt wahrscheinlich dadurch zustande, dass die Zahlung in Form von 2 Fried d’or / G. 20, geleistet wurde; an anderer Stelle des Journals erfolgt eine Zahlung in gleicher Höhe und wird in 11.10 Th/Gr umgerechnet.
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mindest in einzelnen Fällen weit über das Einstudieren und Aufführen von Kirchenmusik im Rahmen einer Messe hinaus. Es lassen sich jedoch in den drei dokumentierten Jahren auch einige Konzerte nachweisen, die nicht in der Kirche stattgefunden haben, auch wenn der Veranstaltungsort nicht ausdrücklich genannt wird. Beispielsweise ist unter Ausgaben vom 21. Januar und 28. Februar 1832 zu lesen: »Schöne [einer der mehrfach genannten Kopisten] Ausschreiben aus Haydn Schöpf.« und »Schöne Ausschreiben der Posaun Stimme v. der Schöpfung / Kosten der Abend Unterhaltung am 27 Febr. / Schöpfung / an die städtischen Musici incl. 4 Thlr. für J… [sic!] / an die militair Musici v. 17. Regt«. Offenbar wurde an einem Abend Haydns Schöpfung bei einer Abendveranstaltung aufgeführt, wofür Gesangsstimmen, zusätzlich eine Posaunenstimme geschrieben und für das Orchester städtische und Militärmusiker hinzugekauft wurden. Der Verein hatte sich die ›Abendunterhaltung‹ also durchaus etwas kosten lassen. Eine Ausgabe vom 18. Mai 1832 belegt, dass auch für eine Probe Militärmusiker gebucht wurden: »die Hautboin v. 17 [sic!] Reg. für Begleitung einer Gesang Ueb. mit Instrument«. Mehrfach veranlasste der Verein auch Zahlungen wie: »H D’Anthoin für die Direction vom Flügel per 8ber u. 9ber 1829« (30. November 1829) und »an Joseph Kreutzer für Direction dabei [Cäcilienfest]« (6. Dezember 1829). D’Anthoin und Kreutzer wurden also für Probenarbeit und Aufführungen bezahlt, wobei aus dem Journal jedoch nicht hervorgeht, ab wann wer von beiden als Direktor des Vereins fungierte. Dass, wie von Kopitz dargestellt, Friedrich Wetschky ab Herbst 1831 die Leitung übernahm, ist in den Listen ebenfalls nicht dokumentiert. Da das Journal nur Einnahmen und Ausgaben dokumentiert, lässt sich daraus auch keine Übersicht der Mitglieder ableiten, aber zu einigen Personen liefert es dennoch Informationen. Von den 14 Mitgliedern, die sich in dem Brief vom 23. Januar 1827 gegen die Auflösung des Musikvereins aussprachen, sind in dem Journal die Namen Georg Werner, Wilhelm Werner, Beinen, Brockhoff, d’Anthoin und Schumacher zu finden; die Genannten sind also offenbar nach wie vor Mitglieder des Vereins. Auch Ferdinand von Woringen wird im Zusammenhang mit der Erstattung von Portoauslagen und vorgestrecktem Geld für einen neuen Flügel genannt. Anhand von Einträgen in zwei Adressbüchern aus den Jahren 1828 und 1833 lassen sich über die wahrscheinlichen Berufe einiger Mitglieder Aussagen machen, deren Namen wegen der Zahlung von Aufnahmegebühren in den Verein oder aus anderen Gründen vermerkt wurden: Schumacher : »Schumacher Regierungsreferendar und Sekretair. – Neustraße« (Adressbuch 1833); Ditges: »Ditges Materialist« [Betreiber einer Drogerie] (Adressbuch 1828) oder »Ditges, Oberpostsekretair« (Adressbuch 1833); Hermanns: »Hermanns, Wirth« (Adressbuch 1828); Schulz: »Schulz, Wirth.«
Entwicklungen nach Burgmüllers Tod (1824 bis 1833)
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(Adressbuch 1828); Hilgers: »Jos. Hilgers, Wirth.« (Adressbuch 1828) und »Hilgers, Jos., Kaffetier. – Wilhelmsstraße« (Adressbuch 1833); Schreiber : »Schreiber, Bierhändler und Wirth« (Adressbuch 1828); v. CourbiHre: »S.-L. v. CourbiHre, kom. in d. A. K.-Sch.« (5. Ulanen-Regiment) (Adressbuch 1833); Bergrath: »Kornel. Bergrath, Polizeikommissair, […] – Alleestraße« (Adressbuch 1833); Schiffer : »P. Schiffer, Winkelir und Wirth.« (Adressbuch 1828); Holthausen: »Jos. Holthausen, Polizeiinspektor. – Hohestraße«(Adressbuch 1833); Heyligenstaedt: »v. Heyligenstaedt, Sek. L. v. 16. Inf. Rgt. zum 3. Kür. Rgt. versetzt.« (Adressbuch 1833); Cantador : »Cantador, Bureauassistent« (Kgl. Regierung) oder »Cantador, Jos., Manufakturwaarenhandel. – Marktstraße« (Adressbuch 1833); Pose: »Pose, Ludw., Farb-, Schreib- u. Zeichnenmaterialhdl. – Alleestr.« (Adressbuch 1833); Fräulein Capellen: »Capellen, J. Karl, Gasthof zum Zweibrückerhof. – Bolkerstraße« (Adressbuch 1833); Wyttenbach: Friedrich Anton Wyttenbach (1812–1845), Genre- und Tiermaler, zwischen 1829 und 1832 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf; Hauptmann von Hülsen: Im 17. Infanterie-Regiment gab es sowohl einen Major v. Hülsen als auch einen S.-L. v. Hülsen (Adressbuch 1833).146 Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass auch Norbert Burgmüller nach dem Tode seines Vaters Mitglied des Musikvereins wurde, wofür er jedoch keinen Beitrag zahlte.147 Auch wenn sich nicht alle Personen eindeutig zuordnen lassen, so ist doch zu erkennen, dass einige Berufsfelder verstärkt vorzufinden sind: Händler, Wirte, Mitglieder des Militärs, Mitarbeiter der Polizei oder der Regierung, mit Friedrich Wyttenbach ein Maler und mit Burgmüller und D’Anthoin Berufsmusiker. Zusammen mit den Informationen über die Vorstandsmitglieder, die den Brief an die Regierung 1822 unterzeichnet haben, entsteht ein Eindruck von der Mitgliederstruktur, der sich mit Alfs Aussagen über die Zusammensetzung der Düsseldorfer Comites des Niederrheinischen Musikvereins deckt, deren Verantwortliche oft aus Mitgliedern des Musikvereins bestanden. In den ersten Jahren der Musikfeste waren die Verantwortlichen konsequent darum bemüht, Standesunterschiede zu durchbrechen, indem sie Menschen aller Schichten zur Teilnahme aufforderten, doch schon nach kurzer Zeit ließ dieser Idealismus nach. Bis spätestens Mitte der 1830er Jahre bestanden die Comites nur noch aus den finanziell bessergestellten Personen, deren Verdienst hoch genug war, um ihnen genügend Freizeit für die zeitaufwendige Vereinstätigkeit zu lassen. Die Comites waren »das Spiegelbild der Elite einer Stadt«148, repräsentiert durch Regierungsstellen, Kommunalverwaltungen, Industrie, Justiz, Kaufmannswe146 Vgl. Address-Taschen-Buch vom Herzogthum Berg und der Grafschaft Mark. Vierte neugearbeitete und sehr vermehrte Auflage, Barmen u. a. [1828]; Adressbuch Düsseldorf 1833. 147 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 169. 148 Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 193.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
sen, Personen, die aus alten Bürgerfamilien der Stadt stammten, und Künstlern.149 Der Vermerk, dass ›Fräulein Capellen‹ die Aufnahmegebühr bezahlt habe, bestätigt, dass bereits in den frühen Jahren des Vereins Frauen nicht nur als Chormitglieder oder Solistinnen mitsingen, sondern auch beitreten konnten. Dadurch wurde dem Düsseldorfer Publikum der Zugang zu einem Repertoire eröffnet, welches Städten, in denen keine gemischten Chöre existierten, verschlossen blieb. Dennoch hatten Frauen im Düsseldorfer Musikverein keine Möglichkeit, Mitglieder des Vorstandes zu werden,150 auch wenn dies nicht ausdrücklich in den Statuten vermerkt war. Diese ungeschriebene Regel durfte Anfang des 19. Jahrhunderts geradezu als Selbstverständlichkeit gelten,151 so dass der Musikverein damit repräsentativ für die Zeit war. Eine weitere Gruppierung von Personen, die dem Musikverein angehörten, waren die bildenden Künstler, die an der 1819 wiedereröffneten preußischen Königlichen Kunst-Akademie studierten oder unterrichteten und für das Düsseldorfer Kulturleben von großer Bedeutung waren: Von den Malern Theodor Hildebrandt, Heinrich Mücke, Johann Wilhelm Schirmer, Adolf Schmidt, Karl Ferdinand Sohn, Adolf Schrödter und Johann Baptist Sonderland ist überliefert, dass sie sangen oder ein Instrument spielten,152 so dass sie im Chor des Musikvereins, im Orchester oder auch in eigenen musikalischen Formationen wie einem Vokalquartett oder der Liedertafel mitwirken konnten.153 Abgesehen von dem Interesse vieler bildender Künstler an der Musik kam für einige wohl auch der Anreiz hinzu, im Musikverein wohlhabende Düsseldorfer Bürger kennenzulernen, die als Käufer oder Auftraggeber für Kunstwerke in Frage kamen. Darüber hinaus boten Konzerte und geselliges Beisammensein im Verein auch Gelegenheit, jungen Damen der Gesellschaft zu begegnen.154 Es gab jedoch auch einige Maler, die dem »selbstbewussten Liebhaber-Ensemble« mit seinen »meist 149 Vgl. ebd., S. 194. 150 Eine Satzungsänderung, die Frauen die Beteiligung am Vorstand ermöglichte, kam erst im 20. Jahrhundert zustanden, vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 77. 151 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 112. Als eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel nennt Heine den Braunschweiger Musik-Verein, dessen Statut 1844 Frauen als stimmberechtigte Mitglieder im Vorstand zulässt, vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 484, Fußnote 113. 152 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 169; vgl. auch Sabine Schroyen, Felix Mendelssohn Bartholdys Beziehungen zu Düsseldorfer Künstlern. Auch ein Beitrag zur Rezeption der Düsseldorfer Malerschule, in: Kortländer, Mendelssohn in Düsseldorf, S. 88–101, hier S. 88. 153 Vgl. Schroyen, Mendelssohn, S. 94f. 154 Vgl. Ingrid Bodsch (Hg.), Peter Schwingen (1813–1863). Ein Maler der Düsseldorfer Malerschule. Zum 200. Geburtstag. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung des StadtMuseum Bonn im Ernst-Moritz-Arndt-Haus in Bonn in Kooperation mit der PeterSchwingen-Gesellschaft Bonn-Bad Godesberg e.V., Bonn 2013, S. 55; Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 169.
Finanzierung
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gutbürgerlichen Musikfreunden«155 kritisch gegenüberstanden und die, um sich von solchen ›Philistern‹ abzugrenzen, einfach ihren einigen Anti-Musik-Verein gründeten, bei dem es sich offenbar um eine Art Stammtisch mit satirischer Ausrichtung handelte.156 So fanden bei den Treffen spaßhafte Imitationen militärischer Exerzitien statt sowie parodistische musikalische Aufführungen mit Alltagsgegenständen z. B. unter dem Titel ›Beethoven’sche Symphonien‹. Spenden sowie Einnahmen durch die Verlosung »scherzhafter Gegenstände« flossen in die Armenkasse.157 Die Mitglieder, zu denen neben Künstlern auch einige Kaufleute und Personen gehörten, die politische Ämter bekleideten, waren meist durch zahlreiche Querverbindungen zu anderen Vereinen in der Stadt vernetzt.158 Die Mitgliedschaft bildender Künstler im Musikverein wirkte sich langfristig in zwei Richtungen aus. Zum einen leistete die gesellschaftliche Verbindung der Maler mit Angehörigen der Regierung und des angesehenen Bürgertum einen Beitrag zur Aufwertung und Anerkennung des Künstlerberufs.159 Zum anderen brachte die Integration von Vertretern der von Wilhelm von Schadow etablierten Düsseldorfer Malerschule und anderer bekannter Maler in die bürgerlichen Kreise auch für die Stadt einen Prestigegewinn mit sich. Die Strategie der preußischen Regierung, sich durch die Neugründung der Kunstakademie zu profilieren und auf diese Weise Integrationspolitik zu betreiben,160 wurde auf diese Weise innerhalb der Stadt fortgesetzt, wodurch ein eigenständiges, geistigkulturelles Leben entstand, wie es zu der Zeit für eine mittelgroße Stadt wie Düsseldorf keineswegs selbstverständlich war.161
5.8
Finanzierung
Die Finanzierung des Musikvereins erfolgte laut seiner Buchführung in den Jahren 1829 bis 1831162 über Mitgliedsbeiträge, Eintrittsgelder und durch die Kirchenmusik, welche von der Stadt zumindest teilweise unterstützt wurde. Da kein Vertrag erhalten ist, der die Zusammenarbeit zwischen dem Musikverein 155 156 157 158 159 160 161 162
Bodsch, Peter Schwingen, S. 55. Vgl. ebd., S. 55–57. Ebd., S. 57. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. Holtz, Das Kultusministerium, S. 425. Vgl. ebd., S. 421f. Vgl. ebd., S. 425. Vgl. Journal über Einnahmen und Ausgaben des Musikvereins in Düsseldorf vom 26sten September 1829 bis [September 1832], StAD Düsseldorf, 0-1-20-107.0001, ohne Paginierung. Die Angaben aus dieser Quelle im folgenden Abschnitt sind nicht mit einzelnen Seitenangaben versehen, sondern über das Datum auffindbar.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
und der Stadt regelte, lässt sich die Finanzierung nur anhand von Beispielen darstellen. So sind unter Einnahmen mehrfach Vermerke zu finden wie: 3. April 1831: »durch Schumacher Kirchen Musik Beyträge gegen nebige Kosten der Messe verrechnet«, was offenbar bedeutet, dass die Mitglieder Beiträge für die Veranstaltungen der Kirchenmusik zahlten. Bei einigen Messen wurden von der Stadt Gelder zur Verfügung gestellt, die der Verein selbst verwaltete. Blieb von diesen nach dem Konzert etwas übrig, wurde der Überschuss als Einnahme verbucht, wie folgende Einträge zeigen: 31. Oktober 1830: »Ersparnis an der städtischen Messe Maximilian 24 October«, 19. August 1832: »an einer städt. Messe erspart«. Im Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst von 1833 werden darüber hinaus »Subskriptionen für Kirchenmusik«163 erwähnt (§ 10). Eine weitere Einnahmequelle des Musikvereins, die allerdings nur einen kleinen Anteil ausmachte, lässt sich aus der Auflistung der Bestände am Anfang des Journals vom 26. September 1829 ablesen: »a) aus Beständen des Musikvereins 66,1,10 rt/gr/st [Reichstaler, Groschen, Stüber] / b) aus Beständen Lotterie Kasse 2,24 rt/gr/- [Reichstaler, Groschen]«. Und am 5. November 1829 ist unter Ausgaben zu lesen »an W. Breitenstein für 2/4 Loose in der Lotterie 4,12«. Auch hier ist der Kontext der Einträge nicht ganz klar, eine mögliche Erklärung wäre, da es bei der Lotterie des Vereins nicht nur um kleine Sachpreis ging, sondern um Gelder, für die eine eigene Lotteriekasse geführt wurde, es sich wohl nicht um in Eigenregie hergestellte Lose gehandelt haben dürfte, sondern um Glücksspiel, das staatlichen Regeln unterstellt war. Laut verschiedener Amtsblätter der Bezirksregierung wirkte in Düsseldorf in den 1820er Jahren den staatlichen Lotterie-Einnehmer Leopold Geisenheimer, der einige Untereinnehmer beschäftigte.164 Denkbar wäre es, dass der Musikverein als ein solcher auftrat, um seinen Mitgliedern den Mehrwert zu bieten, verbilligte Lose zu erwerben und gleichzeitig an dem Verkaufspreis zu partizipieren. In ihrer Gesamtheit dokumentieren die aufgelisteten Ausgaben des Vereins anschaulich seine vielfältigen Aktivitäten und den Arbeitsaufwand der verantwortlichen Mitglieder. Regelmäßig bezahlt wurde u. a. für die Kirchenmessen, das Engagement von Berufsmusikern, Kopialien von Noten, das Schreiben von Instrumentenstimmen, Notenpapier, Buchbindearbeiten, die Buchführung, Porto, Miete, Beleuchtung, Heizung, Schreinerarbeiten, Reparaturen, das Einsammeln von Beiträgen, Fahrtkosten, Trinkgelder und Geschenke. Bei zahlreichen Vermerken im Journal ist zu sehen, dass die Ausgaben speziell für die 163 Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst, 7. 6. 1833, StAD Düsseldorf, 01-2096.0000, ohne Paginierung. 164 Vgl. beispielsweise Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf, 1824, Öffentlicher Anzeiger 44 (5. 5. 1824), S. 208; Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf, 1829, Öffentlicher Anzeiger 30 (11. 4. 1829), S. 156; Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf, 1830, Öffentlicher Anzeiger 34 (29. 4. 1830), S. 152.
Repertoire bis 1833
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Niederrheinischen Musikfeste getätigt wurden. Einige Kosten verraten darüber hinaus anschauliche Details des Vereinsalltags. So wurde am 18. Januar 1831 als Ausgabe geltend gemacht: »Hilgers für Caff8 für die Leute v. Fischer nach der Weinachts Frühmesse«, und für mehrere Veranstaltungen wurden ebenfalls bei Hilgers oder bei Geisler ›Carmelle‹ bestellt. Einträge wie »eine Fahrt in die Stadt um Damen aus dem Musikverein nach Haus zu bringen« (31. Dezember 1830) und »Ausgaben für die Damen auf der Reise nach Cöln (:Musikfest)« (19. Juli 1832) zeigen, dass der Verein Wert auf die zeitgenössische Etikette legte.
5.9
Repertoire bis 1833
Aus den wenigen erhaltenen Programmzetteln und dem bereits zitierten Journal lässt sich eine Reihe von Werken ableiten, die der Musikverein entweder aufführte oder zumindest eingeplant hatte. Die Auswertung aller verfügbaren Quellen ergibt folgende Auflistung: 1) Am 10. März 1823 fand unter Leitung von Herrn Süs mit Unterstützung des Musikvereins ein Konzert statt165, wobei jedoch offenbar nur dessen Instrumentalisten eingebunden waren und das einzige Chorwerk von einem Schulchor gesungen wurde: Ouvertüre von Beethoven [nicht näher bezeichnet] Große Polonoise nebst Einleitung, für das Piano-Forte und die Violine, von Mayseder [Josef Mayseder 1789–1863], Baß-Arie, von Hayd’n, Variationen für die Violine, von Rode, Synfonie, von J. Hayd’n, Pot-pourri für die Violine und das Piano-Forte, von L. Spohr, Chor und Solo-Gesang, von Danzi, vorgetragen von dem ersten Chor des königlichen Gymnasiums hierselbst. 2) Für den 30. März 1823 war das Das Vater Unser von Naumann eingeplant gewesen, doch die Aufführung wurde verschoben oder möglicherweise auch später abgesagt.166 3) Am 24. April 1825 wurde Spohrs Oper Jessonda konzertant vom Musikverein aufgeführt.167 4) Für 1825 waren sechs Sommerkonzerte angekündigt, die jedoch abgesagt wurden und deren Programm nicht bekannt ist.168 165 Vgl. Abonnementskonzert 10. 3. 1823, Programmzettel, (28. 2. 2018). 166 Programmzettel Opernaufführung Camilla von Paer [Ferdinando Pa[r] 10. 3. 1823 und Das Vater Unser von Johann Gottlieb Naumann 3. 3. 1823 mit einer Stellungnahme des Musikvereins, (28. 2. 2018). 167 Vgl. hierzu S. 94. 168 Vgl. Neue Düsseldorfer Zeitung, 168 (22. 6. 1825).
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
5) Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz von Haydn (6. Dezember 1829, Ausgabe: Porto für Chorstimmen).169 6) Oratorium Das verlorene Paradies von Friedrich Schneider (Ausgabe 6. Dezember 1829: Porto für Chorstimmen. Das Werk war 1827 schon in Elberfeld bei Niederrheinischen Musikfesten aufgeführt worden, Ferdinand von Woringen hatte dabei die Tenorpartie gesungen). 7) Requiem von Mozart (11. November 1829: Ausgabe: Porto für Noten. Das Dies irae aus diesem Werk wurde bei den Niederrheinischen Musikfesten 1830 in Düsseldorf aufgeführt). 8) Judas Maccabeus von Händel (11. November 1829 und 1. Mai 1830: Ausgabe: Porto für Noten. Das Werk wurde 1830 bei den Niederrheinischen Musikfesten in Düsseldorf aufgeführt.). 9) Orpheus [Komponist nicht feststellbar] (19. November 1829 Ausgabe: Porto für Noten). 10) Vater unser von Andr8 (27. Februar 1830: Ausgabe: Porto für Noten). 11) Messe v. Vincenzo Righini (21. Juli 1830 Ausgabe: Porto für Noten). 12) Das Weltgericht von Friedrich Schneider (25. Februar 1830 Einnahme: für Textbücher, 6. Februar 1831 Ausgaben: Proben und Aufführung. Da für den 1. Februar die Miete für ein nicht benanntes Lokal bezahlt wurde, hat an diesem Tag oder am Vortag dort möglicherweise das Konzert stattgefunden). 13) Messe Nr. 6 von Haydn (17. Dezember 1830 Ausgaben: Schreiben von Noten). 14) Beethoven’sche Messe [C-Dur Messe oder Missa solemnis (?)] (27. März 1831 Ausgabe: Gesang- und Orchesterstimmen). 15) Messe Nr. 3 von Johann Nepomuk Hummel (4. Mai 1831 Ausgabe für Ausschreiben von Noten). 16) Die Macht des Gesanges von Andreas Romberg (4. Mai 1831 Ausgabe für Ausschreiben von Noten). 17) Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz von Haydn (26. April 1832 Ausgabe: Probe). 18) Miserere nach Haeser & Offertor. v. Basili (5. Mai 1832 Ausgabe: Schreiben Noten [sic!]). 19) Righini’schen Messe [Vincenzo Righini] (10. August 1832 Ausgabe: Schreiben Noten [sic!]).
Da sich die Fragen, welche der Werke überhaupt und wenn ja wie oft, ob komplett oder in Ausschnitten und bei welchen Gelegenheiten aufgeführt wurden (Messe, städtisches Konzert oder Musikfest), nicht beantworten lassen, kann hier nur eine rudimentäre Einschätzung erfolgen. Auf viele der genannten Komponisten dürfte der Musikverein durch die Niederrheinischen Musikfeste der ersten Jahre170 und/oder durch die Einbindung in städtische Konzerte wie 169 Journal über Einnahmen und Ausgaben des Musikvereins in Düsseldorf vom 26sten September 1829 bis [September 1832], StAD Düsseldorf, 0-1-20-107.0001, ohne Paginierung. Aus dieser Quelle stammen auch die folgenden Informationen. 170 Zur Übersicht der bei den Niederrheinischen Musikfesten aufgeführten Werke vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang.
Repertoire bis 1833
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jenes aus dem Jahr 1823 unter Leitung von Hermann Friedrich Süs aufmerksam geworden sein. Nachdem der Verein Kompositionen von Händel, Mozart, Haydn, Naumann, Schneider, Righini und Beethoven kennengelernt hatte, bestellte er von diesen auch andere Werke und erweiterte damit sein Repertoire. Auf die gleiche Weise wurde offenbar auch das Interesse an dem Schaffen Louis Spohrs geweckt. Bei dem Konzert 1823 war dessen Potpourri für Violine und Klavier aufgeführt worden, und im gleichen Jahr erklang bei den Niederrheinischen Musikfesten in Elberfeld sein Doppelkonzert für zwei Violinen.171 In den folgenden beiden Jahren bemühten sich die Komitees der Niederrheinischen Musikfeste darum, Spohr als Festdirigenten zu gewinnen. Dieser war jedoch in seinem Amt als Kurfürstlicher Hofkapellmeister in Kassel so beschäftigt, dass der Plan erst 1826 verwirklicht wurde. Der Musikverein kannte also Werke von Spohr, als der Vorstand 1824 diesem in einem Brief mitteilte, man wolle, da es in Düsseldorf keine andere Möglichkeit gebe, die Oper Jessonda, die sich schon bald nach ihrer Uraufführung 1822 großer Beliebtheit erfreute, konzertant aufführen.172 Der Musikverein bat Spohr darum, den Preis für die Abschrift der Partitur möglichst niedrig anzusetzen.173 An dieser Aufführung des Musikvereins zeigt sich die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitete Praxis, ganze Opern oder einzelne Szenen im Konzert zu Gehör zu bringen.174 Auch wenn aus diesen frühen Jahren nur bruchstückhafte Informationen über das Repertoire vorliegen, so lässt sich an diesen doch ablesen, dass der noch junge Musikverein sich kontinuierlich über neues Repertoire informierte und bereit war, noch unbekannte Werke einzustudieren, um sich auf die regelmäßige Teilnahme an den jährlichen Niederrheinischen Musikfeste vorzubereiten und darüber hinaus seiner Aufgabe, bei den kirchlichen Messen zu singen, gerecht werden zu können. Darüber hinaus unternahm er mindestens einmal – im Jahr 1825 – den Versuch, eine eigene Reihe Abonnementskonzerte ins Leben zu rufen. Durch sein Wirken lassen sich die Mitglieder des Musikvereins als typische bürgerliche Dilettanten einordnen, die mit Engagement darum bemüht waren, sich selbst ein neues Repertoire zu erschließen und das Musikleben der Stadt zu bereichern. Für viele städtische Musikvereine im deutschsprachigen Raum gilt, dass sie noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bevorzugt Gesellschaftskonzerte gaben, die nur ihren Mitgliedern offenstanden, und erst nach und nach begannen, in die
171 172 173 174
Vgl. Niemöller, Louis Spohr, S. 106. Vgl. Spohr, Louis Spohr und Amalie von Sybel, S. 95. Vgl. ebd. Vgl. Susanne Cramer, Raritäten aus dem Notenbestand des Städtischen Musikvereins Düsseldorf. Ein Spiegel der bürgerlichen Musikkultur im letzten Jahrhundert. Ausstellung im Heinrich-Heine-Institut 7. Mai bis 6. Juni 1995, Begleitheft, Düsseldorf 1995, S. 23.
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Entstehung und Anfangszeit des Musikvereins
Öffentlichkeit zu treten.175 Auch war die erste Zeit eines Musikvereins meist von finanziellen Problemen geprägt, da er sich nur über Mitgliedsbeiträge, Sammlungen unter Mitgliedern und Spenden finanzierte.176 Verglichen damit nahm der Düsseldorfer Musikverein sehr früh eine bedeutsame Rolle im städtischen Musikleben ein und operierte regelmäßig mit nicht unerheblichen Geldsummen, wofür seine Beteiligung an den Niederrheinischen Musikfesten ebenso entscheidend war wie die Rolle, die er für die von der Stadt finanzierte Kirchenmusik spielte. Voraussetzung für diese Entwicklung war offenbar ein Umstand, den Darius u. a. anhand eines rückblickenden Berichtes von Oberbürgermeister Hammers von 1874 darstellt; dieser schrieb: »Der Kirchenmusik als solcher ist, soweit die Erinnerung der gegenwärtigen Generation reicht, in unserer Stadt niemals eine besondere Pflege zugewendet worden …«177; nur gelegentlich hätten musikalische Vereine Werke zur Aufführung gebracht.178 Als entscheidendes Problem wertet Hammers, dass es in Düsseldorf nicht möglich gewesen sei, genügend Laiensänger zusammenzubekommen, die ein dauerndes Interesse und auch die Pünktlichkeit mitgebracht hätten, »welche die Einrichtung eines ständigen Chorgesanges beim Gottesdienst erfordert.«179 Diese nicht gerade schmeichelhafte Einschätzung wird beispielsweise von einer Aussage Franz Xaver Witts gestützt, der 1874 nach einer Reise durch das Rheinland über die Düsseldorfer Kirchenmusik ein derart vernichtendes Urteil fällte, wie er es für keine andere Stadt getan hatte.180 Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Witt der Gründer des Cäcilienvereins war und für die Qualität von Kirchenmusik dementsprechende traditionelle Maßstäbe anlegte. Dennoch ist die Feststellung berechtigt, dass, wenn Düsseldorf Anfang des 19. Jahrhunderts in der Lage gewesen wäre, eigene Kirchenchöre aufzustellen, dem Musikverein diese Aufgabe mit der daraus resultierenden frühen finanziellen Verantwortung und Bedeutung für das städtische Musikleben wohl nicht zugefallen wäre.
175 176 177 178 179 180
Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 77f. Vgl. ebd., S. 85. Zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 221. Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 221–225. Zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 221. Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 226.
6.
Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte für den Musikverein
6.1
Frühe Jahre des Musikvereins – bürgerlicher Idealismus und Widrigkeiten des Alltags
Als sich August Burgmüller 1812 bei der Stadt Düsseldorf um eine Festanstellung bewarb, beschrieb er die vorhandenen Missstände im musikalischen Leben der Stadt und wies darauf hin, »welche grosse Kraft die Tonkunst, und besonders die Vokal-Music auf das Gemüth der Menschen hervorbringt, und wie sehr der Gesang die edelsten Gesinnungen und erhabensten Entschlüsse bei den Menschen erweckt, und besonders welche hohe Kraft der Gesang bei dem Gottesdienst auf das Gemüth der Menschen beweisst …«1.
Für seine Bewerbung formulierte Burgmüller also einen für die bürgerliche Kultur typisch idealistischen Anspruch, wie er auch zu Anfang der Niederrheinischen Musikfeste vertreten wurde. Neben dem Aufruf zur Teilnahme aller Bevölkerungsschichten zeigte sich dieser Idealismus auch beispielsweise daran, dass in den ersten Jahren die gemeinschaftliche musikalische Aufführung im Mittelpunkt stand und schlichte Aufführungsorte von den Mitwirkenden ohne Protest hingenommen wurden. Hierfür stellte die Düsseldorfer Tonhalle ein anschauliches Beispiel dar, denn diese war : »… nur ein provisorisches Bauwerk von Holz, in der rohesten Bearbeitung, isoliert ohne die notwendigen Nebenräume; bei schlechtem Wetter nicht einmal trockenen Fußes zu erreichen, undicht und im Laufe der Zeit von sehr bedenklicher Sicherheit.«2 Auch der Einsatz für Bedürftige als Ideal der bürgerlichen Kultur wurde in den regelmäßig praktizierten Benefizkonzerten verwirklicht, die schon seit Ende 1 Vgl. Brief August Burgmüller an Bürgermeister von Pfeil, ohne Datum [1812] sowie Brief August Burgmüller an Minister Reichsgraf von Nesselrode, ohne Datum [1812], abgedruckt in Actenstücke Burgmüller, S. 193–195, hier S. 193. 2 Zit. nach Hugo Weidenhaupt, Mit Jansens Garten fing es an. Vom Ausflugslokal zur ersten Tonhalle, in: Hugo Weidenhaupt, Aus Düsseldorfs Vergangenheit, Düsseldorf 1988, S. 209– 215, hier S. 211.
114
Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
des 18. stattfanden. Auch zu Burgmüllers Aufgaben gehörte es, Armenkonzerte zu veranstalten.3 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Benefizkonzerte in vielen deutschen Städten oft von den Musikvereinen übernommen, auch wenn darin nicht ihre Hauptaufgabe bestand.4 Dass der Idealismus der bürgerlichen Kultur in der Anfangszeit des 19. Jahrhunderts aus echter Überzeugung formuliert und auch bei vielen Gelegenheiten verwirklicht wurde, steht außer Frage. Dennoch hatten die Emanzipation des Bürgertums und seine spezifischen Strukturen, wie sie u. a. im Vereinswesen sichtbar sind, auch eine Kehrseite: Da keine höhere Instanz wie ein Fürst oder der Klerus Anweisungen erteilte, musste ein System geschaffen werden, das Entscheidungen unter gleichberechtigten Bürgern ermöglichte, was in der Praxis nicht selten zu Streit führte. Im Zusammenhang mit den Niederrheinischen Musikfesten beschreibt Alf den »Provinzialismus-Klüngel«, die Eifersucht der Städte aufeinander und deren Bemühen, sich mit ihren Feste gegenseitig übertreffen.5 Auf die Auseinandersetzung zwischen den Musikfreunden anlässlich der Aufnahme Aachens in den Städtebund der Niederrheinischen Musikfeste wurde bereits hingewiesen.6 Auch innerhalb von Düsseldorf kam es kurz vor der Genehmigung des Musikvereins durch die Regierung zu einem so heftigen Streit, dass darüber eine lange Korrespondenz geführt wurde, welche Einblicke in die Vorgeschichte der Entstehung des Musikvereins gibt: Am 8. Oktober 1822 schrieb Oberbürgermeister Joseph Molitor einen Brief mit dem Betreff »Den Streit zwischen den hiesigen Musikgesellschaften«7 an den Landrat von Lasberg, worin er schilderte, er habe bei Feierlichkeiten, die aus der städtischen Kasse bezahlt wurden, stets Burgmüller die Verantwortung für die Veranstaltung übertragen, um einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Parteien zu schaffen, doch nun scheine »die Sache statt einer Vereinigung nur einen höhern Grad von Leidenschaftlichkeit erreicht zu haben.«8 Vor einigen Monaten sei nur ein Streit darum entbrannt, welche der beiden Musikgesellschaften in der Lambertus-Kirche die Messe singen dürfe. Herr Burgmüller habe versucht, ergänzend städtische Musiker zu engagieren, doch es bestehe das Problem, »daß die städtischen Musikanten zur Theilnahme wenig Neigung bezeigten, und der eine oder andere von 3 Vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 232. 4 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 81–83. 5 Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 163; auch Ferdinand Ries beschreibt in einem Brief Streit und Eitelkeit zwischen den Städten, s. Brief vom 4. 1. 1834, Ferdinand Ries an Joseph Ries, abgedruckt in Zahn, Rheinisches Musikfest 1984, S. 19. 6 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 165; Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 2. 7 Brief Oberbürgermeister Molitor an den Landrat von Lasberg, 8. 10. 1822, LAV NRWAbteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, Blatt 16a. 8 Vgl. ebd., Blatt 15b.
Frühe Jahre des Musikvereins
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ihnen mehr oder minder mit dem Musikverein noch in Differenzen lebte, die vor jeder Theilnahme eine vorherige Ausgleichung erforderten.«9 Auch sei der Musikverein nicht bereit, Burgmüller als Dirigenten für das Maximiliansfest anzuerkennen, sondern wolle nur unter Leitung von Hermann Friedrich Sühs10 auftreten, weshalb nun entschieden worden sei, dass Burgmüller die Messe mit den Mitgliedern von der Akademie aufführen solle. Wegen dieser heftigen Konflikte sei Herr Molitor ratlos und erbitte Hilfe von der Regierung. Dass Musikliebhaber im Auftrag der Stadt für die Aufführungen der kirchlichen Messen herangezogen werden sollten, stand also zu diesem Zeitpunkt bereits fest, doch offenbar konkurrierte die im Zusammenhang mit einer Aufführung im Jahr 1823 erwähnte Akademie der Tonkunst11 um dieses Privileg. Möglicherweise war der Musikverein mit seiner schriftlichen Ankündigung der Maxkirche gegenüber, er sei ab Juli 1822 allein für die Kirchenmusik verantwortlich,12 etwas voreilig gewesen. Der Landrat Lasberg leitete Molitors Brief am 10. Oktober 1822 an die königliche Regierung weiter und bat die Behörden darum, den Skandal, der durch den Zwist zwischen den beiden Musikgesellschaften entstanden war, zu beenden. Für den Ausdruck seines Ärgers fand der Landrat deutliche Worte: »Was aber die Leitung der Winterkonzerte betrift, so wird, wenn nicht das Vergnügen des Publikums gestört werden solle, durch Einfluß der höhern Polizey=Behörde, den ärgerlichen Anmaßungen der beiden Gesellschaften das Spiel gelegt werden müssen. … Privat=Gesellschaften solche mögen sich Namen gegeben haben, wie sie wollen, haben hierbei nichts einzuwirken.«13
Der Musikverein sah offenbar in der Eskalation des Streites einen Anlass, die Regierung drei Tage nach Molitors Beschwerde, also am 11. Oktober 1822, mit dem bereits zitierten Brief um offizielle Genehmigung seines Statuts zu bitten. Die Direktion des Vereins nahm in dem Schreiben auch Bezug auf die ›unangenehmen Vorfälle‹. Diese seien nur durch einige wenige Musikliebhaber, die inzwischen den Verein verlassen hätten, und durch die städtischen Musiker ausgelöst worden. Ein Dokument von 1823, das anlässlich einer Konzertankündigung gedruckt wurde, lässt vermuten, dass es sich bei der konkurrierenden Musikgesellschaft, die in dem Brief von Molitor nur als ›Akademie‹ bezeichnet wurde, um die Akademie der Tonkunst handelte, die als Veranstalter auf 9 10 11 12
Vgl. ebd. Überliefert ist auch die Schreibweise ›Süs‹, vgl. hierzu S. 100, 109. Vgl. hierzu S. 89. Vgl. Brief vom 25. Juli 1822 an den Pfarrer Johann Wilhelm Heinzen von St. Lambertus, zit. nach Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor, S. 7f. 13 Brief Landrat von Lasberg an Oberbürgermeister Molitor vom 9. 10. 1822, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 13a–13b.
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
einigen erhaltenen Konzertzetteln in dieser Zeit genannt wird.14 Über die Entstehung der Gesellschaft ist nichts bekannt, doch es ist durchaus denkbar, dass sie aus der Musikakademie hervorgegangen ist, die sich laut dem Schreiben des Musikvereins 1819 auflöste. Querelen zwischen dem Musikverein und der Stadt sind auch einige Jahre später noch dokumentiert: 1826 wurde Oberbürgermeister Klüber von der Kirche St. Lambertus darum gebeten, den Musikverein zur Mitwirkung an einem Konzert zu gewinnen. Die Antwort lautete, dass dieser gewöhnlich auf amtliche Anträge gar nicht reagiere oder »übertriebene Gagenforderungen«15 stelle. Im Zusammenhang mit einer anderen Anfrage riet der Oberbürgermeister dazu, dass die Kirche selbst mit dem Musikverein Kontakt aufnehmen solle, denn da es aktuell keinen Städtischen Musikdirektor gebe, habe er keinen Einfluss auf die Angelegenheit.16 Auch Brzosa beschreibt, dass es Klagen gegeben habe, der Musikverein sei aus Zeit- und Geldmangel nicht allen Verpflichtungen gegenüber St. Lambertus nachgekommen.17 Das Komitee für die Kirchenmusik, für das u. a. Oberbürgermeister Fuchsius unterschrieb,18 wies in einem Brief vom 28. August 1833 an den Musikverein ebenfalls auf diese Probleme hin: »Ehe das unterzeichnende Comitte mit der Einsammlung neuer Beiträge für die Kirchenmusik vorgeht und somit neue Verpflichtungen gegen einen großen Theil des Publikums übernimmt, wünscht es gefällige Äußerung einer verehrlichen Direktion darüber zu erhalten, ob wohl mit einiger Gewißheit darauf wird gerechnet werden können, daß die geehrten Mitglieder des Musikvereins sich immer in so großer Anzahl bei der Ausführung der musikalischen Messen zu betheiligen geneigt finden, daß keine Verlegenheiten und Störungen des kirchlichen Dienstes hierbei geführet werden, wie dieß leider ! noch neulich geschehen ist.«19
Die Problematik der nicht immer ausreichend hohen Qualität von kirchenmusikalischen Aufführungen lag zu einem großen Teil in der Struktur des Musikvereins begründet: Dieser hatte sich gegenüber der konkurrierenden Akademie der Tonkunst durchgesetzt und von der Stadt den offiziellen Auftrag bekommen, regelmäßig kirchliche Messen aufzuführen, wodurch der Verein an Ansehen und Einfluss gewonnen hatte. Die Struktur eines Vereins bringt es jedoch mit sich, dass die Ausführenden für ihre Mitwirkung nicht bezahlt werden, sondern 14 Vgl. Programmzettel Opernaufführung Camilla von Paer [Ferdinando Pa[r] 10. 3. 1823 und Das Vater Unser von Johann Gottlieb Naumann 3. 3. 1823, (28. 2. 2018). 15 Zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 154. 16 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 154. 17 Vgl. Brzosa, Vom Stiftschor zum Kirchenchor, S. 8. 18 Vgl. Brief Komitee für die Kirchenmusik an den Musikverein, 28. 8. 1833, StAD Düsseldorf, 01-20-96.0000, ohne Paginierung. 19 Ebd.
Düsseldorfer Musikliebhaber und Felix Mendelssohn Bartholdys Anstellung
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umgekehrt für die Mitgliedschaft selbst Beträge zahlen und daher nicht zur Teilnahme an Proben und Aufführungen verpflichtet werden können. Daher hatte der Musikverein in letzter Konsequenz nicht die Möglichkeit sicherzustellen, dass jederzeit genügend gut vorbereitete Sänger zur Verfügung standen, um die Kirchenmusik zu bestreiten, was dann zu den beklagten ›Verlegenheiten‹ und Störungen des kirchlichen Dienstes führte. Die Situation, in der sich der Musikverein damit befand, zeigt anschaulich die mögliche Kehrseite der bürgerlichen Kultur. Entscheidungsfindungen, die allen Beteiligten eines Vereins gerecht werden, verlangen eine aufwendige Organisation mit Abstimmungen, Wahlen von Verantwortlichen, der Verteilung von Ämtern und Aufgaben, Formalitäten etc. Das Ausführen von Plänen kann jedoch erschwert oder sogar verhindert werden, da überstimmte Mitglieder sich im Zweifelsfall der Umsetzung von Beschlüssen entziehen können. Auch wenn Idealismus die treibende Kraft ist, besteht so doch das Risiko, dass die notwendige Verwaltungsarbeit zu einer »spießbürgerlichen Vereinsmeierei«20 führt. Diese Widersprüche verdeutlichen, dass die Einheit von bürgerlicher Kultur eben nur idealtypisch ist und »Eigeninteresse und Gemeinwohlorientierung«21 im Alltag nicht selten konfliktreich aufeinandertreffen.22
6.2
Düsseldorfer Musikliebhaber und Felix Mendelssohn Bartholdys Anstellung
Die Phase zwischen den 1830er Jahren und der Mitte des Jahrhunderts war in Düsseldorf von der beginnenden Industrialisierung geprägt. Während es um 1830 noch als »verschlafene Biedermeierstadt«23 galt und bis ca. 1840 als geruhsame mittelgroße Stadt mit vielen Pensionären beschrieben wurde,24 rührte seine wachsende Bekanntheit vor allem von seiner kulturellen Bedeutung her. Düsseldorf galt als Zentrum geistiger Interessen, das aufgrund dort ansässiger Künstler wie August Burgmüller, Felix Mendelssohn Bartholdy, Christian Dietrich Grabbe, Wilhelm von Schadow und anderen Angehörigen der Kunstakademie sogar in einem Atemzug mit Berlin und Weimar zu nennen war.25 Die
20 21 22 23 24 25
Schleuning, Der Bürger erhebt sich, S. 241. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 324f. Vgl. hierzu S. 40f. Loick, Düsseldorf, S. 79. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 97. Vgl. ebd., S. 101–103.
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einsetzende Industrialisierung und der wirtschaftliche Aufstieg veränderten das Gesicht der Stadt bis zur Mitte des Jahrhunderts jedoch nachhaltig.26 In der Düsseldorfer Kulturgeschichte markiert die Anstellung Mendelssohns einen Wendepunkt. Erstmals wurde mit ihm ein international namhafter Komponist als Verantwortlicher für die städtische Musik engagiert. Bemerkenswert an dieser Wahl ist auch, dass einem Protestanten die Leitung der katholischen Kirchenmusik übertragen wurde. Das Düsseldorfer Musikleben erfuhr unter seiner Leitung einen deutlichen Schub in Richtung Professionalisierung, und auch die Zusammenarbeit der Stadt mit dem kulturinteressierten Bürgertum wurde intensiviert. Als Felix Mendelssohn Bartholdy 1833 die Stelle des Städtischen Musikdirektors antrat, brachte sein Ruhm nicht nur der Stadt Düsseldorf, sondern dem ganzen Rheinland eine verstärkte Wahrnehmung im Ausland ein.27 Sein erster Kontakt mit der Region kam zustande, als das Komitee des Niederrheinischen Musikfestes ihn einlud, 1833 das Fest zu dirigieren, was Mendelssohn am 16. März 1833 erfreut in einem Brief zusagte.28 Der große Erfolg, den er mit den Konzerten erzielte, und die Freundlichkeit, mit der er in Düsseldorf aufgenommen wurde, sind oft beschrieben worden.29 Während Burgmüller seinerzeit von der französischen Regierung angestellt und durch die preußische Regierung ohne große Formalitäten weiterbeschäftigt worden war, bekam Mendelssohn einen detaillierten Vertrag. Es wurde sogar ein eigener Verein – der Verein zur Beförderung der Tonkunst (in einigen Quellen verkürzt ›Verein für Tonkunst‹) – gegründet, dessen Protektorat Prinzen Friedrich von Preußen übernahm.30 In der Düsseldorfer Zeitung wurden am 15. Oktober 1833 die Vereinsgründung und die Anstellung Mendelssohns offiziell bekannt gegeben und mit dem Hinweis verbunden, dass die Mitglieder des Vereins zur Beförderung der Tonkunst den beiden bestehenden musikalischen Vereinen angehörten und dass in Mendelssohn als Chorleiter und Musikdirektor große Erwartungen gesetzt würden.31 Der neue Verein zur Beförderung der Tonkunst war laut seinem Statut vom 7. Juni 1833 die Dachorganisation, die dem Musikverein und dem Instrumentalverein
26 Vgl. ebd., S. 103–107. 27 Vgl. Esser, Mendelssohn und die Rheinlande, S. 1. 28 Brief Felix Mendelssohn Bartholdy 16. 3. 1833 an das Komitee des 15. Niederrheinischen Musikfestes, in: Uta Wald (Hg.), Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe. Bd. 3. August 1832 bis Juli 1834, Kassel u. a. 2010, S. 140. 29 Vgl. Esser, Mendelssohn und die Rheinlande, S. 6–8; Briefe Abraham Mendelssohn Bartholdy und Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea Mendelssohn Bartholdy und die Familie in Berlin vom 24. 5. 1833, 27. 5. 1833 und 31. 5. 1833, in: Mendelssohn, Briefe Bd. 3, S. 176–180, 180–182, 182–184. 30 Vgl. hierzu S. 54. 31 Vgl. Düsseldorfer Zeitung 246 (15. 10. 1833).
Düsseldorfer Musikliebhaber und Felix Mendelssohn Bartholdys Anstellung
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übergeordnet war ;32 die beiden ausführenden Vereine blieben jedoch selbstständig. Allerdings gab es eine Reihe von Personen, die gleich in mehreren der Vereine als einfache Mitglieder oder Vorstände vertreten waren.33 Den Vertrag über die Anstellung Mendelssohns unterschrieb am 20. Mai 1833 als Vertreter der Stadt Oberbürgermeister Philipp Schöller. Aus dem Dokument geht hervor, dass Mendelssohns Pflichten als Städtischer Musikdirektor die Direktion der Kirchenmusik sowie Konzerte und Proben der beiden ausführenden musikalischen Vereine umfassten. Deren Wirksamkeit erstreckte sich laut Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst auf die Niederrheinischen Musikfeste, die Kirchenmusik und die städtischen Konzerte. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag also auf der Arbeit mit den Düsseldorfer Musikdilettanten, aus denen auch die Geschäftsführung des Vereins zur Beförderung der Tonkunst bestand (Statut § 3). Bemerkenswert an dieser Konstruktion ist, dass die bürgerlichen Musikliebhaber nur 14 Jahre nach dem Zusammenschluss des ursprünglich rein privaten Musikvereins, der die »Beförderung und Erhebung der Tonkunst und der Liebe zu derselben«34 zu seinem idealistischen Ziel erklärt hatte, nun zu offiziellen Vertragspartnern des Musikdirektors und der Stadt wurden. Der Zweck des Vereins zur Beförderung der Tonkunst bestand darin, die Tonkunst »in Rücksicht auf ihre öffentliche Wirksamkeit zur Erhöhung des geselligen Kunstlebens in Düsseldorf« zu befördern (§ 1). Innerhalb der städtischen Gemeinschaft brachte diese Entwicklung den Musikliebhabern nicht nur eine deutlich höhere Position ein, sondern zugleich auch eine große wirtschaftliche Verantwortung: Die Geschäftsführung des Vereins zur Beförderung der Tonkunst verwaltete die Überschüsse aus den in Düsseldorf durchgeführten Niederrheinischen Musikfesten, die Einnahmen anderer öffentlicher Konzerte, Mitgliedsbeiträge und die aus dem Gemeinde-Etat der Stadt sowie aus Spenden und Subskriptionen finanzierte Kirchenmusik35 (Fonds des Vereins, Statut § 10). Hinzu kam noch das Jahresgehalt Mendelssohns in Höhe von 600 Talern. Für dessen Zahlung haftete laut Vertrag (Art. 3) der Oberbürgermeister persönlich.36 Diese großzügige Geste, die den Eindruck vermitteln könnte, Schöller habe für die Anstellung des neuen Musikdirektors ein finanzielles Risiko auf sich genommen, wird durch einen Zusatz zu dem Vertrag vom 30. Mai 32 Vgl. Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst, 7. 6. 1833, StAD Düsseldorf, 01-2096.0000, ohne Paginierung. 33 Vgl. ebd. 34 Fischer, Städtischer Musikverein, S. 17f. 35 Vgl. Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst, 7. 6. 1833, § 7, StAD Düsseldorf, 01-2096.0000, ohne Paginierung. Sauer geht abweichend von der Gründung des Vereins am 8. Oktober 1834 aus und nennt den 16. Oktober 1834 als den Beginn der Verantwortung des Vereins für die Kirchenmusik, vgl. Sauer, Kirchenmusik hl. Maximilian, S. 279. 36 Vgl. Abschrift Vertrag Stadt Düsseldorf mit Felix Mendelssohn Bartholdy, 20. 5. 1833, StAD Düsseldorf, 01–20–96.0000, ohne Paginierung.
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1833 und einen Passus in dem Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst allerdings relativiert: Jedes seiner Mitglieder war danach verpflichtet, sich an einer Bürgschaft zu beteiligen, die Schöller garantierte, dass der Verein im Zweifelsfall die Zahlung von Mendelssohns Gehalt übernahm (§ 4). Laut § 13 des Statuts vertrat der Verein sogar im geschäftlichen Kontakt mit Mendelssohn den Oberbürgermeister. Auch war ohnehin nicht geplant, dass die Stadt die 600 Taler komplett bezahlen würde, sondern nur 200 Taler, während der Rest aus dem Fonds des Vereins zur Beförderung der Tonkunst kommen sollte. Der Großteil von Mendelssohns Gehalt wurde also mit Geldern finanziert, die die musikalischen Vereine durch Konzerte und Mitgliedsbeiträge beschaffen mussten. Aus dem Vertrag, den die Stadt mit Mendelssohn abschloss, geht hervor, dass dessen Anstellung von langer Hand geplant war und keine spontane Entscheidung nach seinem großen Erfolg bei dem Niederrheinischen Musikfest, wie dies bisweilen kolportiert wird.37 Dieser wurde am 20. Mai unterschrieben, während das Niederrheinische Musikfest erst eine Woche später stattfand (26. bis 27. Mai 1833). Über weitere Hintergründe von Mendelssohns Anstellung gibt ein Brief vom 10. Mai 1833 Auskunft, in dem Ferdinand von Woringen an die Direktion des Musikvereins schrieb: »Es ist die Möglichkeit vorhanden, den Herrn Mendelssohn zur fortdauernden Wahl seines Aufenthaltes unter uns zu veranlassen und dessen vorläufige Aeußerungen in dieser Beziehung berechtigten zu der Hoffnung, ihn durch einen jährlichen Aufwand von etwa 600 Rt hier zu fixiren. Welche Vortheile es dem musikalischen Leben in Düsseldorf bringen muß, wenn eines der größten jetzt lebenden musikalischen Genies Deutschlands seine Wirksamkeit für die hiesigen trefflichen Mittel verwendet, bedarf der Ausführung nicht. Vom Vernehmen nach ist es die Absicht, diese Angelegenheit bei der städtische Behörde und bei dem Stadtrathe sogleich nach dem Musikfeste zur Sprache zu bringen … Es wäre zu erwägen, in welcher Weise die Vereine dann zu dem für das Gehalt des Herrn Mendelssohn noch fehlenden Betrage einen verhältnißmäßigen Beitrag zu leisten im Stande sein würden.38
In anderer Handschrift ist auf von Woringens Brief vermerkt: »NS. Vielleicht könnte, da die Sache eilig ist, die heutige Gesangsprobe dazu benutzt werden, sie zur Sprache zu bringen, um sich sofort der Zustimmung sämmtlicher 37 Vgl. beispielsweise Mendelssohn’s Wirksamkeit als Musikdirector an Immermann’s Theater in Düsseldorf. 1833–1834. in: AmZ 28 (13. 7. 1870), Sp. 220–222, hier Sp. 221; Wilhelm Hubert Fischer, 95. Niederrheinisches Musikfest Düsseldorf 1926; Leitung: Generalmusikdirektor Hans Weisbach. Festschrift mit Angaben der Konzerte des Städt. Musikvereins und seiner Geschichte im Anschluß an die Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier 1918 nebst einer Schilderung der Düsseldorfer Musikfeste 1833 und 1836 unter Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy, sein Leben und Wirken in Düsseldorf, Düsseldorf 1926, S. 14. 38 Brief von Woringen an den Musikverein, 10. 5. 1833, StAD Düsseldorf, 01-20-96.0000, ohne Paginierung.
Düsseldorfer Musikliebhaber und Felix Mendelssohn Bartholdys Anstellung
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Mitglieder 1. zur Wahl des Hr. Mendelssohn als Dirigenten, 2. zur Uebernahme der Verpflichtung zu einigen Gesammtleistungen zu versichern.39
Offensichtlich wurde von Woringens Vorschlag vom Verein und dem Rat der Stadt in kürzester Zeit angenommen, denn schon zehn Tage später war alles geregelt und Mendelssohn unterschrieb den Vertrag. Für die Mitglieder des Vereins zur Beförderung der Tonkunst bedeutete dies konkret, dass jeder Einzelne von ihnen durch seinen Beitritt verpflichtet war, bei Bedarf anteilsmäßig für das Gehalt Mendelssohns zu bürgen. Diese Situation trat allerdings nie ein. Die Korrespondenz vermittelt anschaulich, dass der Musikdirektor zwar ›städtisch‹ war, da er von der Stadt angestellt wurde, doch für die Kontaktaufnahme mit Mendelssohn sowie zwei Drittel seines Gehaltes und die Absicherung der gesamten Zahlung waren die kulturliebenden Bürger der Stadt verantwortlich. Zu den Personen, von denen primär die Initiative ausgegangen war, gehörten Akademiedirektor Wilhelm von Schadow40 und Immermann,41 doch die Korrespondenz zeigt, dass auch von Woringen einen nicht unerheblichen Anteil daran gehabt hatte. An seiner Person ist eine interessante Entwicklung zu beobachten: 1818 im Alter von zwanzig Jahren war er eine der treibenden Kräfte der Niederrheinischen Musikfeste gewesen, bei denen mit idealistischem Anspruch die Beteiligung aller Menschen ohne Standesunterschiede angestrebt wurde, während sein Vater als Beschäftigter im Staatsdienst und Mitglied der anerkannten Musikakademie die ältere Generation verkörperte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis der Erfolg der Niederrheinischen Musikfeste auch diese Bürger überzeugt hatte und alle gemeinschaftlich begannen, die Feste, die für das Image und die Finanzen der Stadt von Vorteil waren, als regelmäßige Veranstaltungsreihe zu etablieren. 15 Jahre später hatte Ferdinand von Woringen eine ähnliche Laufbahn wie sein Vater eingeschlagen und war auf der Karriereleiter aufgestiegen. Auf der Gründungsurkunde des Vereins zur Beförderung der Tonkunst unterschrieb er für das Comit8 für das Niederrheinische Musikfest 1833, die Direktion des Musikvereins und für die zur Mitwirkung eingeladenen Freunde der Tonkunst,42 was nahelegt, dass er innerhalb der in das Vereinswesen eingebundenen Bürgerschaft eine hohe Position besaß. Auch wenn sein ernsthaftes Interesse an der Musik offensichtlich ungebrochen war und er sich im besten bürgerlichen Sinne für diese einsetzte, so war er doch nun Bestandteil eines städtischen Netzwerkes von Bürgern und Politikern und setzte sich für die 39 Ebd. 40 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 174. 41 Vgl. Hans-Günter Klein, Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf 1833–1835, zwei Vorträge nebst einigen Anmerkungen zu dem Mendelssohn-Porträt im Düsseldorfer Stadtmuseum, Berlin 2015, S. 8. 42 Vgl. Statut des Vereins zur Beförderung der Tonkunst, 7. 6. 1833, StAD Düsseldorf, 01-2096.0000, ohne Paginierung.
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Anstellung eines repräsentativen Musikdirektors ein, der das künstlerische Niveau heben und das Image der Stadt verbessern sollte. Die Integration weniger privilegierter Menschen in das Kulturleben hingegen war für ihn kein primäres Ziel mehr. Bereits in den Jahren zuvor war versucht worden, erneut einen Musikdirektor für Düsseldorf zu finden. So hatte sich 1831 Ferdinand Pillwitz aus Bremen auf Anregung von Düsseldorfer Musikfreunden beworben, und auch Anton Schindler war angesprochen worden.43 Der Haushaltsetat der Stadt Düsseldorf hatte jedoch eine Neubesetzung der Stelle nicht zugelassen.44 Erst durch die große finanzielle Unterstützung der Musikliebhaber kam der Vertrag mit Mendelssohn zustande. Im Zusammenhang mit seiner Anstellung ist jedoch auch eine unschöne Episode überliefert: Der Düsseldorfer Komponist Norbert Burgmüller, der unter seiner schlechten finanziellen Situation und seiner schwachen Gesundheit litt, leitete seit 1832 den Instrumentalverein.45 Während einer Reise nach London zog er sich eine lebensgefährliche Erkrankung zu, die ihn dort für längere Zeit ans Bett fesselte. Währenddessen wurde der neue Musikdirektor eingestellt, womit diesem automatisch die Leitung des Instrumentalvereins zufiel, worüber Burgmüller, als er nach Düsseldorf zurückkehrte, sehr verbittert war. Auch Mendelssohn zeigte sich keineswegs erfreut, als er später erfuhr, dass er Burgmüller unwissentlich aus seinem Amt gedrängt hatte.46 Zum Zeitpunkt seiner Einstellung hatte man dem neuen Musikdirektor also verschwiegen, dass der Instrumentalverein bereits einen Leiter hatte, und auch Burgmüller war offenbar keine Möglichkeit gegeben worden, die Neubesetzung seines Postens zu verhindern oder sich wenigstens zu der Angelegenheit zu äußern. Auch wenn keine Details über den Hergang vorliegen, so erscheint doch der Gedanke berechtigt, dass die musikalischen Vereine Mendelssohn als den prominenteren Kandidaten bevorzugten und ihn bewusst über Burgmüllers Aufgaben im Unklaren ließen. Bis ca. 1850 war es noch ungewöhnlich, dass Musikvereine vom Staat oder der Stadt Unterstützung bekamen. Erst danach wurde die Förderung üblich, die den Vereinen abgesehen von den finanziellen Vorteilen auch einen repräsentativen Status bescherte.47 Der Beitrag zu Mendelssohns Gehalt in Höhe von 200 Talern war für die Stadt zweifellos mit einem Imagegewinn verbunden, doch letztlich war die Anstellung auf den drängenden Wunsch der musikalischen Vereine hin zustande gekommen. Die Konstruktion, dass eine Stadt auf Initiative privater Vereine deren Leiter als Städtischen Musikdirektor anstellt und zu seinem Gehalt 43 44 45 46 47
Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 176. Vgl. ebd. Vgl. hierzu S. 83. Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 176f. Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 97.
Düsseldorfer Musikliebhaber und Felix Mendelssohn Bartholdys Anstellung
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einen Beitrag leistet, darf für die Zeit als nicht alltäglich angesehen werden.48 Ebenfalls ungewöhnlich waren die Freiheiten, die Mendelssohn eingeräumt wurden. Während damals in den meisten Musikvereinen der Vorstand über das Repertoire entschied und der angestellte Dirigent lediglich Vorschläge machen durfte,49 lagen künstlerische Entscheidungen allein bei Mendelssohn. Im Statut des Gesangvereins von 1833 war festgelegt, dass der Musikdirektor für die Wahl der Stücke, die Platzierung der Mitwirkenden bei den Aufführungen, die Prüfung neu aufzunehmender Mitglieder und die Anschaffung von Musikalien verantwortlich sei (§ 6). Um Mendelssohn nach Düsseldorf zu holen, wurden offensichtlich von den Musikliebhabern ebenso wie von der Stadt Konzessionen gemacht und für die Zeit ungewöhnliche Schritte getanen. Neben den Vorzügen einer Anstellung mit festem Gehalt und außerdem der vertraglichen Zusicherung, drei Monate des Jahres zur freien Verfügung zu haben, bestand für Mendelssohn der zusätzliche Anreiz seiner Tätigkeit in Düsseldorf darin, dass ihn dort einige seiner Bekannten und Freunde erwarteten, die er in den Jahren zuvor über den Direktor der Kunstakademie Wilhelm von Schadow kennengelernt hatte.50 Diese Kontakte bedeuteten abgesehen von freundschaftlichem Umgang und Geselligkeit auch auf beruflicher Ebene viele Überschneidungen. Unter den Händen der Düsseldorfer Künstler entstanden Porträts von Mendelssohn und Illustrationen zu Ausgaben seiner Werke, er nahm bei den Freunden Zeichenunterricht und viele von diesen wirkten als Sänger oder Instrumentalisten an Aufführungen der musikalischen Vereine mit. Insbesondere bei der Gestaltung von Konzerten mit Lebenden Bildern kam eine enge Zusammenarbeit zwischen den bildenden Künstlern und Mendelssohn zustande.51 Die Anwesenheit von Männern wie Carl Friedrich Lessing, Julius Hübner, Carl Ferdinand Sohn, Theodor Hildebrand, Eduard Bendemann, Johann Wilhelm Schirmer, Adolph Schroedter und Wilhelm Nerenz, mit denen Mendelssohn befreundet war, schuf in Düsseldorf eine Atmosphäre, in der sich verschiedene künstlerische Kräfte in besonderer Weise verbanden, was zu einem spürbaren Aufschwung der städtischen Kultur führte.52
48 49 50 51
Vgl. ebd., S. 96f. Vgl. ebd., S. 67, 69. Vgl. Schroyen, Mendelssohn, S. 88. Vgl. ebd., S. 97; vgl. auch die Arbeit von Volker Frech zum Thema Lebende Bilder : Volker Frech, Lebende Bilder und Musik am Beispiel der Düsseldorfer Kultur, Frankfurt a.M. 2010. 52 Vgl. Neue Berliner Musikzeitung 48 (24. 11. 1847), S. 391.
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6.3
Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
Beginnende Professionalisierung unter Mendelssohn (1833 bis 1835)
Mendelssohns Einfluss auf die bürgerliche Musik der Stadt machte sich rasch positiv bemerkbar. Die gestiegenen Leistungen des Gesangvereins sowohl bei Konzerten als auch bei Aufführungen der Kirchenmusik fanden in der Presse lobende Erwähnung.53 Dennoch ergaben sich in seinem Arbeitsalltag zahlreiche Probleme daraus, dass die Laienmusiker der beiden musikalischen Vereine trotz gutem Willen meist nicht in der Lage waren, Mendelssohns hohe Ansprüche zu erfüllen.54 Über seine erste Messe in Düsseldorf berichtete Mendelssohn seiner Schwester Rebecka: »Der Chor war vollgestopft mit Sängern und Sängerinnen, die ganze Kirche mit grünen Zweigen und rothen Gardinen aufgeputzt, die beiden Trompeter thaten ihr Bestes …, der Organist quienkelirte fürchterlich auf und ab, die Messe von Haydn war scandalös lustig, indeß das Ganze doch leidlich, drauf kam die Prozession mit meinem feierlichen Marsch in es [Prozessionsmarsch Es-Dur für Blasorchester MWV P 11], wo die Musiker im Baß den ersten Theil wiederholten, während die im Discant weiterspielten, das thut aber alles in der freien Luft nichts, und als ich der Procession später in der Flinger Straße begegnete hatten sie den Marsch schon so oft gespielt daß er recht gut ging, und ich rechne mirs zur Ehre daß die Kirchenmusikanten für die nächste Kirmes sich einen neuen Marsch bei mir ausgebeten haben.«55
Die amüsante Darstellung dieser Episode kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie groß das Gefälle zwischen Mendelssohns Erwartungen war und dem, was die Musikliebhaber zu leisten vermochten. Jahre bevor professionelles Arbeiten im Musikleben Standard zu werden begann, stellte Mendelssohn Ansprüche, die aufgrund der provinziellen Verhältnisse in Düsseldorf 1833 unerfüllbar waren. Besondere Probleme gab es mit den Instrumentalisten, die eine »verwilderte Bande [waren], in welcher seit des alten Burgmüller Tode alle Zucht und Ordnung abhanden gekommen war und in welcher also jeder auf seine Faust eigenen und persönlichen Gelüsten nachging.«56 Die kurze Zeit, in der Kreutzer und Burgmüller Leiter des Instrumentalvereins gewesen waren,57 hatte offenbar nicht ausgereicht, um diesen Missstand zu beheben. Daher war Mendelssohn gezwungen, regelmäßig Profimusiker hinzuzukaufen,58 worüber detaillierte Listen
53 Vgl. beispielsweise Neue Berliner Musikzeitung 48 (24. 11. 1847), S. 390. 54 Vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 407. 55 Brief Felix Mendelssohn Bartholdy an Rebecka Lejeune Dirichlet und die Familie in Berlin, 26. und 28. 10. 1833, in: Mendelssohn, Briefe Bd. 3, S. 290–296, hier S. 291. 56 Müller von Königswinter, Karl Immermann, S. 45. 57 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 172. 58 Vgl. ebd., S. 202.
Beginnende Professionalisierung unter Mendelssohn (1833 bis 1835)
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Auskunft geben.59 Dies bedeutete jedoch, dass das Orchester immer wieder neu aus Laien, städtischen Berufsmusikern und Militärmusikern kombiniert werden musste. Mit dem Chor, der vom Musikverein getragen wurde und damit eine vergleichsweise stabile Besetzung aufzuweisen hatte, konnte Mendelssohn deutlich besser arbeiten.60 Mendelssohns Arbeit war dabei durchaus innovativ : Fischer schildert, dass der neue Musikdirektor Orchesterwerke zumindest gelegentlich selbst vom Pult aus mit einem Stab dirigierte und dies nicht dem mitwirkenden Konzertmeister überließ,61 was zu dieser Zeit eine völlig neuartige Arbeitsweise darstellte. Für ein Konzert 1829 in Berlin ist erstmals belegt, dass Mendelssohn Proben zu einem Chorkonzert vom Flügel aus leitete und später zum Dirigierstab griff, als das Orchester dazu stieß.62 Im gleichen Jahr dirigierte er zum ersten Mal ein öffentliches Konzert mit dem Stab.63 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich der Übergang von der einen zur anderen Technik fließend vollzog. Erst 1835 in Leipzig kündigte Mendelssohn offiziell an, er werde von nun an alle Konzerte und auch die Proben mit dem Stab dirigieren.64 Da der Musikverein 17 Jahre später die Umstellung auf Robert Schumanns Vorgehensweise, alle Proben vom Pult aus mit dem Stab zu dirigieren, als problematische Umstellung empfand,65 ist davon auszugehen, dass in Düsseldorf die Chorproben bis dahin vom Flügel aus geleitet wurden. Mendelssohns Anspruch an Professionalität zeigte sich in der täglichen Arbeit mit den Musikliebhabern auch an weiteren Details. So bestellte er extra eine Stimmgabel mit der Berliner Orchesterstimmung, da in Düsseldorf keine Einigkeit über den Kammerton bestand.66 Bei Nichterfüllen seiner Ansprüche zog er stets die Konsequenzen. 1834 sagte er eine bereits angekündigte Aufführung von Haydns Jahreszeiten ab, da ihm die bei den Proben erreichte Qualität nicht ausreichend erschien. Später gab er die Leitung der Kirchenmusik ab, weil diese seinen künstlerischen Vorstellungen nicht gerecht wurde.67 Auch von den Niederrheinischen Musikfesten 1842 ist ein Beispiel für das konsequente Festhalten an seinen Ansprüchen be59 Vgl. Listen zugekaufter Orchestermusiker 1834, StAD Düsseldorf, 0-1-20-99.0000, ohne Paginierung. 60 Vgl. Müller von Königswinter, Karl Immermann, S. 45. 61 Vgl. Fischer, Städtischer Musikverein, S. 29. 62 Vgl. R. Larry Todd, Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Leben. Seine Musik, Stuttgart 2008, S. 228. 63 Vgl. ebd., S. 238. 64 Vgl. ebd., S. 346. 65 Vgl. hierzu S. 142. 66 Vgl. Ursula Roth, »Übrigens gefall ich mir prächtig hier«. Felix Mendelssohn Bartholdy und Düsseldorf, in: Kortländer, Mendelssohn in Düsseldorf, S. 26–39, hier S. 35. 67 Vgl. Julius Alf, Felix Mendelssohn-Bartholdy, in: Ernst Klusen (Hg.), Studien zur Musikgeschichte des Rheinlandes, Bd. V, o.O. [Köln] 1978, S. 12–27, hier S. 13.
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legt: Als aus Zeitgründen darüber nachgedacht wurde, aus Bachs h-Moll-Messe, dem Hauptwerk des zweiten Tages, das Credo zu streichen, lehnte Mendelssohn dies kategorisch ab, obwohl das Auslassen von Werkteilen im Konzertbetrieb dieser Zeit generell gängige Praxis war.68 In diesem Fall kam allerdings zu den künstlerischen Erwägungen noch erschwerend hinzu, dass es der liturgischen Form der Messe zutiefst widerspricht, daraus ausgerechnet das Glaubensbekenntnis zu streichen. Während noch wenige Jahre zuvor Ferdinand Ries darauf bestanden hatte, bei den Niederrheinischen Musikfesten die Soli mit Liebhabern zu besetzen, da die Profistimmen zwar klangschöner seien, aber den Charakter der Feste gefährdeten,69 brach Mendelssohn mit dieser Tradition. Wie aus seiner Korrespondenz mit von Woringen zur Vorbereitung des Programmes für 1836 hervorgeht, besetzte er die seiner Ansicht nach wichtigsten Solopartien und führenden Orchesterstimmen mit Profis.70 Diese Umstellung erforderte ein gewisses Abwägen und Taktieren, um die Zusammenarbeit zwischen Dilettanten und Berufsmusikern erfolgreich zu koordinieren.71 Bei seiner Kündigung im Jahr 1835 schrieb Mendelssohn an Engelbert L. Schramm, der zum Komitee des Vereins zur Beförderung der Tonkunst gehörte, dass er für die Tätigkeit bedauerlicherweise nicht der Richtige sei, denn es fehle ihm »an Routine an ruhigem Durcharbeiten durch Widerwärtigkeiten … .«72 Bei allem jugendlichen Enthusiasmus und diplomatischem Geschick im Umgang mit Menschen war er offenbar doch nicht bereit, sich auf Dauer mit weniger als professionellen Leistungen zufrieden zu geben. Befördert haben mögen seine Entscheidung die Konflikte mit dem früheren Konzertmeister Joseph Kreutzer, der einige Musiker gegen den Musikdirektor aufgestachelt hatte. Bei einer Probe zu Mozarts Requiem kam es zu der Situation, dass die Musiker sich Mendelssohns Anweisungen widersetzten, bis dieser damit drohte, die Arbeit an dem Stück zu beenden.73 Generell gehörten Streit und Intrigen zu den Dingen, die Mendelssohn in Düsseldorf besonders missfielen. Abgesehen davon, dass die Anstellung in Leipzig für ihn einen beruflichen Aufstieg bedeutete, hatte Mendelssohn im Vorfeld auch falsche Vorstellungen von der Tätigkeit in Düsseldorf gehabt. In einem Brief vom 6. September 1833 schrieb er an seinen Freund Julius Schubring:
68 69 70 71 72
Vgl. Alf, Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 17. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 29. Vgl. Alf, Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 19–21. Vgl. ebd., S. 20–21. Abschrift Brief Mendelssohn an Engelbert Schramm, Mitglied des Comites für Tonkunst, 5. 5. 1835, StAD Düsseldorf, 01-20-96.0000, ohne Paginierung. 73 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 188f.
Julius Rietz (1835 bis 1847)
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»Du weißt wohl schon, daß ich dort das Musikfest dirigiert habe, und mich bei dieser Gelegenheit dort fixirt für 2. [sic!] oder 3 Jahre (mit 3 Monat Urlaub in jedem) um die Kirchenmusik und Singvereine und auch wahrscheinlich ein neues Theater, was da gegründet wird, zu dirigiren, – eigentlich aber, um recht ruhig und für mich componiren zu können.«74
6.4
Julius Rietz (1835 bis 1847)
Nachdem Mendelssohn zum 1. Mai 1835 gekündigt hatte, fand am 4. August 1835 Julius Rietz’ (1812–1877) Wahl zum Städtischen Musikdirektor statt75, am 12. August 1835 unterschrieb er den Vertrag76 und trat die Stelle am 1. Oktober 1835 an.77 Es ist denkbar, dass Mendelssohn ihn schon Monate vor seiner Kündigung als einen möglichen Nachfolger im Blick gehabt78 und ihn mit diesem Hintergedanken am 1. Oktober 183479 als Kapellmeister an Immermanns Theater geholt hatte. Infolge von Unstimmigkeiten entließ Immermann Rietz jedoch bald wieder.80 Sein erstes städtisches Konzert leitete dieser am 9. April 1835.81 Ein Schreiben an den Gemeinderath der Stadt Düsseldorf vom 15. Juli 184782 gibt anlässlich von Rietz’ Kündigung, die er nach zwölf Jahren für den 1. Oktober 1847 aussprach, einen Rückblick über seine Tätigkeit in Düsseldorf. Er war für die Kirchenmusik verantwortlich gewesen, die Proben des Gesangvereins und für die Leitung aller Konzerte, die dieser und der Dachverein organisierten, was die in Düsseldorf stattfindenden Niederrheinischen Musikfeste einschloss, bei denen er 1839, 1842 und 1845 als Dirigent in Erscheinung trat. Darüber hinaus hatte Rietz von sich aus Konzerte mit durchreisenden Künstlern und solche für 74 Brief Felix Mendelssohn Bartholdy an Julius Schubring, 6. 9. 1833, in: Mendelssohn, Briefe Bd. 3, S. 262f., hier S. 263. 75 Über die zwölf Jahre, die Julius Rietz in Düsseldorf den Posten des Städtischen Musikdirektors bekleidete, existiert wenig Literatur. Die Dissertation, die Herbert Zimmer über Rietz verfasst hat, ist als Quelle höchst problematisch, da sie 1943 vorgelegt wurde und in nicht zu übersehender Weise von nationalsozialistischer Ideologie geprägt ist, vgl. Herbert Zimmer, Julius Rietz, 1943 Berlin. Daher soll sie allenfalls als Quelle für einige Daten herangezogen werden, jedoch nicht für die Interpretation von Fakten und Ereignissen. 76 Vgl. Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 243. 77 Vgl. Zimmer, Julius Rietz, S. 48. 78 Vgl. Mendelssohn, Briefe Bd. 3, Einleitung, S. 14. 79 Vgl. Zimmer, Julius Rietz, S. 34. 80 Vgl. Reinhold Sietz, Julius Rietz, in: Karl Gustav Fellerer (Hg.), Rheinische Musiker. 3. Folge, Köln 1964, S. 73–77, hier S. 74. 81 Vgl. ebd. 82 Vgl. Brief der Verwaltung des städtischen Gesangvereins und des Allgemeinen Musikvereins an den Gemeinderat Düsseldorf vom 15. 7. 1847, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 80a– 82b.
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
wohltätige Zwecke veranstaltet. Der Anteil seines Gehaltes von 650 Talern, der aus der Stadtkasse bezahlt wurde, betrug nun 300 Taler – also mehr als bei Mendelssohn –, während 350 Taler aus dem Konzertfonds der Vereins zur Beförderung der Tonkunst kamen. Wie sein Vorgänger arbeitete Rietz primär mit den bürgerlichen Laienmusikern. Rückblickend beurteilten diese die Zeit unter Mendelssohn und Rietz zusammengefasst folgendermaßen: »Das musikalische Leben unserer Stadt hat einen Höhepunkt erreicht, welcher dieselbe über alle Nachbarstädte erhebt. Der große Aufschwung in der Musik beginnt nach dem Musikfeste 1833, wo Herr Mendelssohn Bartholdy als städtischer Musikdirektor berufen wurde. Ihm folgte im Jahr 1835 Herr Julius Rietz. Die unter Leitung dieser Männer veranstalteten Conzerte waren es hauptsächlich, welche einen großen Ruf und die vollste Anerkennung erlangten, und viele Musikfreunde aus den Nachbarstädten anzogen.«83
Andere Stimmen wie beispielsweise die des Stadtchronisten Otto Most beschreiben parallel zu den Verbesserungen eher negative Eindrücke über den musikalischen Alltag. Most schildert, dass es in der Zeit unter Rietz viele Streitigkeiten in der Stadt gegeben habe, Zerwürfnisse und unausgeglichene musikalische Zustände. Das musikalische Leben sei in verschiedene Klassen zerfallen, die eifersüchtig versucht hätten, sich gegenseitig den Vorrang abzulaufen.84 Dennoch habe der ausgezeichnete Musiker und Dirigent Rietz, auch wenn er nicht an die kompositorischen Kompetenzen von Mendelssohn herangereicht habe,85 mit Geduld und Beharrlichkeit das »vor allem an Disziplinlosigkeit leidende musikalische Leben«86 gehoben. So habe auch Ferdinand Hiller, der 1847 Rietz’ Nachfolge antrat, ein höheres musikalisches Niveau vorgefunden, als Mendelssohn es ihm 1835 geschildert hatte.87 Im Kontrast zu dieser positiven Außenwahrnehmung beklagte Rietz bei seiner Amtsniederlegung das gleiche Problem wie zuvor Mendelssohn, nämlich die mangelnde Ausdauer der Musiker.88 Später äußerte er rückblickend über die Düsseldorfer Zeit, das Publikum sei sehr gebildet, aber auch prätentiös gewesen. Es hätten ihm nur unzureichende Mittel zur Verfügung gestanden, um seinen Aufgaben gerecht zu werden und etwas Erträgliches zu Tage zu fördern.89 Etwa ein Jahr nach seiner Kündigung schrieb er in einem Brief an den Verlag Breitkopf und Härtel: »Ich bin durch die wahrhaft widerwärtigen hiesigen Verhältnisse und durch die über alle Beschreibung gehende Gemeinheit der hiesigen Musiker, 83 84 85 86 87 88 89
Ebd., S. 80b. Vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 235. Vgl. ebd., S. 236. Ebd. Vgl. ebd., S. 235. Vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 407. Vgl. Zimmer, Julius Rietz, S. 50.
Fortschreitende Professionalisierung und finanzielle Probleme
129
die ich 12 Jahre lang habe erleiden müssen, gleichsam gezwungen worden, meine Stelle aufzugeben und weiß nicht, wann mir das Glück eine andre zuführen wird.«90 In Düsseldorf hatte Rietz’ Verdienst als Städtischer Musikdirektor nicht ausgereicht, um seine vielköpfige Familie zu ernähren,91 so dass er gezwungen gewesen war, zusätzlich Unterricht in Gesang, Klavier und Cello zu erteilen.92
6.5
Fortschreitende Professionalisierung und finanzielle Probleme
Dass die von Mendelssohn angestoßene und von Rietz weiter vorangetriebene Entwicklung hin zur Professionalisierung des Musikwesens in Düsseldorf durch das Finanzierungsmodell der Vereine in Schwierigkeiten kam, demonstriert anschaulich ein Dokument mit dem Titel Das Comit8 des Vereins für Tonkunst wirbt um Mitglieder, 10. Juli 1837.93 Ziel des Aufrufes an die Düsseldorfer Bevölkerung war es, Gelder zu sammeln, um die Stelle des ersten Violinisten Joseph Kreutzer neu zu besetzen, den ersten Kontrabassisten Kirchner in Düsseldorf zu halten und auch für das erste Violoncello einen Berufsmusiker anzustellen, »damit die bisherige Abhängigkeit jeder Leistung von der Willkür einzelner Subjekte endlich aufhöre.«94 Um das Leistungsniveau des Vereins zur Beförderung der Tonkunst halten und die Fortführung der Kirchenmusik garantieren zu können, würden 600 bis 700 Taler jährlich gebraucht, 200 Taler für einen Violinisten, 150 Taler für einen Cellisten, 150 Taler für einen Kontrabassist und 150 Taler für die Kirchenmusik. Die ›Freunde der Tonkunst‹ wurden nun um den Beitritt in den Verein zur Beförderung der Tonkunst oder alternativ um eine jährliche Spende von fünf Talern gebeten, »um Düsseldorf auf dem jetzigen musikalischen Standpunkte zu erhalten, auf dem es seit langem in den Rheinlanden sich behauptet.«95 Knapp ein Jahr später war der Plan zum Teil in die Tat umgesetzt worden: Laut einem Artikel in der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 16. Mai 1838 war inzwischen als erster Violinist Herr Waidmüller mit Besoldung von der Stadt fest angestellt worden;96 ein Cellist war jedoch noch nicht gefunden worden. 90 91 92 93
Zit. nach Susanne Cramer, Ausstellung, S. 5. Vgl. Sietz, Julius Rietz, S. 75. Vgl. AmZ 20 (16. 5. 1838), Sp. 328; vgl. Zimmer, Julius Rietz, S. 55. Vgl. Das Comit8 des Vereins für Tonkunst wirbt um Mitglieder, 10. 7. 1837, StAD Düsseldorf, 0-1-20-97.0000, ohne Paginierung. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Vgl. AmZ 20 (16. 5. 1838), Sp. 328. Herr Waidmüller aus Kassel bewarb sich am 19. 9. 1837 auf
130
Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
Des Weiteren geht aus dem Aufruf von 1837 hervor, dass der Verein zur Beförderung der Tonkunst sich mit der Anstellung Mendelssohns und der Fortführung dieser Stelle für Rietz in große finanzielle Bedrängnis hatte. Der Beitrag von 300 Talern für Mendelssohn war nämlich zunächst mit Ersparnissen aus dem Niederrheinischen Musikfest von 1833 bezahlt worden, die nun aufgebraucht waren, und die Deckung weiterer Kosten gelang »nur zur Noth«97. Abgesehen davon, dass die Musikfeste mit ihren vergleichsweise hohen Einnahmen nicht jedes Jahr in Düsseldorf stattfanden, waren die Abonnementspreise sehr ›mäßig‹ und die Vereinsmitglieder bis zu dem Spendenaufruf 1837 nicht nachdrücklich genug zur Zahlung ihrer Beiträge angehalten worden. Nun waren die Ersparnisse des Vereins fast aufgebraucht. Laut dem Schreiben der Verwaltung des Städtischen Gesangvereins und allgemeinen Musikvereins an den Gemeinderath der Stadt Düsseldorf vom 15. Juli 184798 musste der Verein zur Beförderung der Tonkunst 1842 trotz aller Bemühungen mit einem Defizit von 500 Talern aufgelöst werden, welche der Gesangverein gegen die Übertragung sämtlicher Musikalien übernahm. Doch auch dieser konnte nicht genug Einnahmen für den Konzertfonds erwirtschaften, um das Gehalt des Musikdirektors sicherzustellen, insbesondere, da beim Niederrheinischen Musikfest im Jahr 1845 Verluste gemacht wurden: »Da waren nun alle Kräfte erschöpft. Das Fortbestehen des Singvereins gebot die Pflicht, sich an keinen mit Ausgaben verknüpften musikalischen Aufführungen zu beteiligen. Ein anderer Verein war für solchen Zweck nicht vorhanden, der Untergang allen musikalischen Lebens daher eine sichere Folge. Ein dringendes Bedürfnis berief sohin den allgemeinen Musikverein, welcher mit dem 1. Juli 1845 ins Leben trat.«99
Die Wirksamkeit dieses neuen Dachvereins erstreckte sich wie bei dem drei Jahre zuvor aufgelösten Verein zur Beförderung der Tonkunst auf die Niederrheinischen Musikfeste, die Kirchenmusik »nach den mit dem hiesigen Gesangverein bestehenden Verhältnissen«100 und sonstige Konzerte mit dem Gesangverein. Das Statut des Allgemeinen Musikvereins lässt jedoch einige deutliche Unterschiede im Vergleich zu der Vorgängerorganisation von 1833 erkennen: Der
97 98 99 100
Empfehlung Spohrs in einem Brief um die Stelle als 1. Violinist, vgl. StAD Düsseldorf, 0-120-97.0000, ohne Paginierung. Ob er wie in der Zeitung dargestellt eine Festanstellung bei der Stadt bekam oder vom Verein beschäftigt wurde, ist unklar. Das Comit8 des Vereins für Tonkunst wirbt um Mitglieder, 10. 7. 1837, StAD Düsseldorf, 01-20-97.0000, ohne Paginierung. Vgl. Brief der Verwaltung des städtischen Gesangvereins und des Allgemeinen Musikvereins an den Gemeinderat Düsseldorf vom 15. 7. 1847, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 80a–82b. Ebd. S. 81a. Statut Allgemeiner Musikverein 5. 10. 1845, StAD Düsseldorf, 0-1-2-611.0000, ohne Paginierung.
Der Allgemeine Musikverein 1845 und der Unterstützer-Fond des Orchesters
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Verwaltungsausschuss »schließt in Uebereinstimmg mit der Stadtverwaltung und dem Singverein den Vertrag mit dem städtischen Musik-Direktor, und trifft die Bestimmungen über die zu veranstaltenden musikalischen Aufführungen.«101 (§ 8) Anders als unter Mendelssohn und in den ersten Jahren von Rietz’ Amtszeit war der Verein nun also an der vertraglichen Anstellung des Städtischen Musikdirektors beteiligt und allein für die künstlerischen Entscheidungen verantwortlich. Zwar war der Städtische Musikdirektor Mitglied des Verwaltungsausschusses, aber nur als eine von elf Personen, so dass er jederzeit überstimmt werden konnte. (§ 4) Für Rietz bedeutete dies, dass er sich in den letzten beiden Jahren seiner Tätigkeit laut Statut des Dachvereins sogar hinsichtlich Werkauswahl und Aufführungsbedingungen den Wünschen des Vereins unterordnen musste, was ihn in seiner Entscheidung zu kündigen möglicherweise zusätzlich bestärkt hatte.
6.6
Der Allgemeine Musikverein 1845 und der Unterstützer-Fond des Orchesters
Laut Fischer wird es zu Rietz’ Verdiensten gezählt, dass er die Rivalität zwischen verschiedenen musikalischen Vereinen in Düsseldorf, die bis 1845 entstanden waren, durch die Gründung des Allgemeinen Musikvereins beendete, wobei lediglich der Gesangmusikverein eigenständig blieb.102 Letztere Aussage bestätigt das erhaltene Statut, doch von der Zusammenlegung weiterer rivalisierender musikalischer Vereine unter dem Dach des Allgemeinen Musikvereins ist darin nichts zu lesen. Auch bei den Instrumentalisten gab es während der letzten Jahre unter Rietz Veränderungen. Von 1844 ist das Statut des Instrumentalvereins erhalten, das zwar kein Gründungsdatum enthält, jedoch einzelne Beschlüsse auflistet, deren ältester vom 28. März 1841 (unter § 11) stammt, während der neueste sich auf einen Beschluss der General-Versammlung vom 26. November 1844 (unter § 4) bezieht.103 1844 lobt das Düsseldorfer Kreisblatt eine Aufführung des Instrumental-Vereins, der angeblich erst seit kurzer Zeit existiert (ein Gründungsdatum wird auch hier nicht genannt) und aus dreißig Künstlern vom Fach sowie Dilettanten besteht.104 Nachdem bereits im Statut des Musikvereins von 1822 der bestehende Instrumentalverein genannt wird, sich 1829 erstmals eine Probe des 101 Ebd. 102 Vgl. Fischer, Städtischer Musikverein, S. 32. 103 Vgl. Statut des Instrumental-Musikvereins zu Düsseldorf, 1841, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 5, 8. 104 Vgl. Düsseldorfer Kreisblatt und Täglicher Anzeiger 351 (22. 12. 1844).
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
Instrumental-Musikvereins in einer Zeitung nachweisen lässt105 und 1833 der Instrumental-Verein explizit Bestandteil des Vertrages mit Mendelssohn wurde, ist die Genese des Instrumentalvereins von 1844 unklar. Eine oder mehrere Auflösungen, Neugründungen oder auch Umstrukturierungen von instrumentalen Gruppierungen sind möglich. Von 1846 ist das Statut des »Orchesters zu Düsseldorf«106 erhalten, das laut seinem Einleitungstext aus dem am 1. Juli 1845 gegründeten Orchester-Unterstützungs-Fonds hervorgegangen ist und am 19. September 1846 von der Regierung genehmigt wurde. Laut § 7 des Statuts entschieden der ebenfalls 1845 gegründete Allgemeine Musikverein sowie der Theaterdirektor darüber, welche Mitglieder des Orchesters zu Düsseldorf, das auch Orchesterverein genannt wurde, für musikalische Aufführungen geeignet waren. Durch die Mitgliedschaft wurden Rechte und Aufgaben der Orchestermusiker im Kontakt mit dem Musikdirektor, dem Theaterdirektor und dem Gesangverein geregelt.107 Der Vorstand des Orchestervereins war verpflichtet, bei dem Theaterdirektor »über eine Verbesserung und zweckmäßigere Vertheilung der Gehalte des Orchester-Personals Rücksprache zu nehmen und dahin zu wirken.«108 (§ 7) Auch hatten die Mitglieder, sofern sie sich den Regeln des Statuts unterwarfen, Ansprüche an die Kasse des Unterstützer-Fonds, wobei aus dem Statut jedoch nicht hervorgeht, unter welchen Bedingungen Zahlungen in welcher Höhe fällig wurden. Der Orchester-Unterstützungs-Fonds wurde vier Wochen vor dem Allgemeinen Musikverein gegründet, also in direkter zeitlicher Nähe zu diesem. Nachdem 1837 die ersten Berufsmusiker mit festem Gehalt angestellt worden waren, bedeutete die Einrichtung des Fonds einen weiteren Schritt in Richtung Professionalisierung, welche zur finanziellen Versorgung der berufsmäßigen Instrumentalisten – jetzt offiziell unter dem Namen ›Orchester zu Düsseldorf‹– beitrug. Ohne größere finanzielle Sicherheit wären die immer zahlreicher und auch unentbehrlicher werdenden Musiker auf Dauer nicht an die Stadt zu binden gewesen. 1864 konnte die Umbildung der beruflichen Strukturen durch die Übernahme des Orchesters in den städtischen Dienst abgeschlossen werden, was typisch für die Entwicklung des Musikmarktes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war.109 Ein oder mehrere Instrumentalvereine bestanden über die nächsten Jahrzehnte parallel fort oder kamen hinzu. So wird 1851 in der Presse ein von Dilettanten getragener Instrumental-Verein erwähnt, der unter 105 Vgl. Düsseldorfer Zeitung 251 (22. 10. 1829). 106 Statut des Orchesters zu Düsseldorf, 1846, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018). 107 Vgl. hierzu S. 143. 108 Statut des Orchesters zu Düsseldorf, 1846, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018). 109 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 32.
Der Allgemeine Musikverein 1845 und der Unterstützer-Fond des Orchesters
133
der Leitung des Herrn Kochner stand, welcher als Solo-Klarinettist im Orchester spielte.110 Für das Jahr 1856 wird bei du Mont und bei Wolff erneut die Gründung eines nicht näher bezeichneten Instrumental-Vereins durch Julius Tausch beschrieben.111 Dem Allgemeinen Musikverein gelang es trotz all seiner Bemühungen nicht, genügend Einnahmen zu erzielen, um davon weiterhin den Anteil für den Städtischen Musikdirektor zu bezahlen. Inzwischen war verfügt worden, dass die Überschüsse aus den Niederrheinischen Musikfesten für dessen Gehalt nicht mehr verwendet werden durften, da sie für das Jubiläumsfest 1848 zurückgelegt werden sollten,112 welches wegen der revolutionären Unruhen dann aber nicht zustande kam. Die bürgerlichen Musikliebhaber hatten bei der Anstellung Mendelssohns bereitwillig auf die Einnahmen aus den Niederrheinischen Musikfesten zurückgegriffen, doch wie sie ihr großzügiges Versprechen der Stadt gegenüber, den Hauptteil des Gehaltes ihres prominenten Musikdirektors zu zahlen, dauerhaft finanzieren sollten, hatten sie offenbar nicht durchdacht. Die Gründung neuer Vereine und das Hin- und Herschieben der Schulden lösten das Problem ebenfalls nicht. Nachdem Rietz 1847 seine Kündigung ausgesprochen hatte, wandten sich der Allgemeine Musikverein und der Gesangverein mit dem bereits zitierten Schreiben vom 15. Juli 1847 an den Düsseldorfer Gemeinderat und beantragten, dass die Stadt in Zukunft für einen neuen Musikdirektor das gesamte Gehalt bezahlen solle, wobei gleichzeitig ein geeigneter Kandidat vorgeschlagen wurde: »Wir haben gegründete Hoffnung, den Herrn Musikdirektor Hiller aus Dresden, berühmt als Komponiste und Dirigent, für das bisherige Gehalt von 650 Thaler (: etwa mit einigen Zugeständnissen garantiertes Benefiz-Konzert:) zu gewinnen und dadurch der Sache und unserer Stadt einen wohlklingenden Namen wieder zu erringen.«113
Die Alternative, keinen neuen Musikdirektor anzustellen, würde den Verfall des unter großen Opfern geschaffenen Musikzustandes bedeuten, was nicht nur das 110 Vgl. Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 36 (8. 3. 1851), S. 284. 1864 sollte Kochner der erste Kapellmeister des Städtischen Orchesters werden, vgl. Gottfried Hedler, 100 Jahre Düsseldorfer Symphoniker 1864–1964, Düsseldorf 1964, S. 25, 27. 111 Vgl. Wolfgang du Mont, Julius Tausch, in: Karl Gustav Fellerer (Hg.), Rheinische Musiker. 2. Folge, Köln 1962, S. 104–108, hier S. 105; Wolff, Das musikalische Leben, 1917, S. 365. Auch nach der Entstehung des Städtischen Orchesters wurden weitere Instrumentalvereine in Düsseldorf gegründet. Beispielhaft sei hier der am 6. 10. 1919 ins Vereinsregister eingetragene Düsseldorfer Instrumental-Verein genannt, vgl. Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf, Jahrgang 1919, Öffentlicher Anzeiger 81 (11. 10. 1919), S. 542. 112 Vgl. Brief der Verwaltung des städtischen Gesangvereins und des Allgemeinen Musikvereins an den Gemeinderat Düsseldorf vom 15. 7. 1847, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 80a–82b. 113 Ebd. S. 82a.
134
Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
»heitere veredelte Kunstleben«114 der Stadt zerstören, sondern auch den städtischen Musikern schaden würde.
6.7
Ferdinand Hiller (1847 bis 1850)
Nach Rietz’ Kündigung stellte der Arzt und Schriftsteller Wolfgang Müller von Königswinter den Kontakt zu Ferdinand Hiller her, der am 17. November 1847 in Düsseldorf eintraf.115 Erneut war es also ein Musikliebhaber und nicht ein etwa ein Vertreter der städtischen Politik, der die Initiative ergriff. Insgesamt blieb Hiller drei Jahre in Düsseldorf, doch sein biografischer Wirkungsschwerpunkt lag in Köln,116 wohin er 1850 wechselte und wo er bis 1884 als Städtischer Musikdirektor tätig war. Als hoch geschätzter Pianist und Dirigent mit einer starken Persönlichkeit,117 aber auch mit einem Hang zur Geselligkeit fügte er sich gut in das Düsseldorfer Leben ein und hatte bald einen umfangreichen Freundeskreis um sich geschart, der zu einem großen Teil aus Malern der Kunstakademie bestand.118 Anders als seine Vorgänger wurde Hiller jedoch nicht Städtischer Musikdirektor, da der Allgemeine Musikverein finanziell nicht in der Lage war, seinen Anteil zu dem Gehalt dazuzugeben. Die Stadt bewilligte den Antrag des Vereines nicht, einen neuen Städtischen Musikdirektor anzustellen und ihn komplett aus ihren Mitteln zu bezahlen, gewährte jedoch einen höheren finanziellen Zuschuss, war bedeutete, dass Hiller keine Festanstellung bekam, sondern faktisch als jährlich kündbarer Dirigent des Allgemeinen Musikvereins und des Musikvereins beschäftigt war.119 114 Ebd. 115 Vgl. Reinhold Sietz, Aus Ferdinand Hillers Briefwechsel (1826–1861). Beiträge zu einer Biographie Ferdinand Hillers, Köln 1958, S. 72; auch nachzulesen bei Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 87. 116 Vgl. Reinhold Sietz, Ferdinand Hiller, in: Fellerer, Rheinische Musiker, Teil 1, S. 115–122, hier S. 117. 117 Vgl. Sietz, Ferdinand Hiller, S. 118. 118 Vgl. Sietz, Aus Hillers Briefwechsel, S. 73. 119 Vgl. ebd., S. 80. Die Aussage wird auch bestätigt bei Julius Buths, Die Tonkunst in Düsseldorf, in: Düsseldorf im Jahre 1898; Festschrift den Theilnehmern an der 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, dargereicht von der Stadt Düsseldorf, o.O. 1898, S. 44–49, hier S. 47; Wolff, Das musikalische Leben, S. 365. Die irrtümliche Behauptung, auch Hiller sei als Städtischer Musikdirektor angestellt gewesen, zieht sich durch die Überlieferungsgeschichte, vgl. beispielsweise Georg Lauer, Ferdinand Hiller, in: von LoozCorswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 326f., hier S. 326; Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 281; Arnfried Edler, Robert Schumann, München 2009, S. 106; bei Most ist zu lesen: »Rietz ging 1847 als Kapellmeister an das Stadttheater in Leipzig. Als sein Nachfolger wurde Ferdinand Hiller für den 1. Oktober 1848 verpflichtet. Er trat seine Stellung als Direktor in Düsseldorf gegen Ende des Jahres 1847 an.« (Most, Geschichte
Ferdinand Hiller (1847 bis 1850)
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Der Antrag der beiden musikalischen Vereine auf Anstellung Hillers war in der Sitzung des Gemeinderates am 17. August 1847120 beratschlagt worden. Zunächst wurde als Alternative der Vorschlag gemacht, in Zeiten knapper Kassen doch besser nach einem noch unbekannten, jungen und darum »preiswerteren Künstler«121 für die Vereine zu suchen statt nach einem großen Namen. Nach dem Gegenargument von Gemeinderat Bloem (übrigens ein Mitglied des Verwaltungsausschusses des Allgemeinen Musikvereins),122 dass gediegene musikalische Leistungen der Stadt schließlich materielle Vorteile brächten, wurde zur Wahl gestellt, das Gehalt für einen prominenten Städtischen Musikdirektor bereitzustellen oder dieses als Zuschuss für den Musikverein auszuzahlen. Mit 17 zu 4 Stimmen entschied sich der Gemeinderat für den Zuschuss, der auf 500 Taler festgelegt wurde. Ferdinand Hiller war offenbar trotz knapper Gelder eine höhere Summe als seine Vorgänger wert, doch die längerfristige Verpflichtung einer festen Anstellung wollte die Stadt nicht mehr eingehen, womit sie sich aber zugleich um das Mitspracherecht bei künstlerischen Entscheidungen brachte, das sie bei einem städtischen Angestellten gehabt hätte. Damit begann in Düsseldorf eine mehrjährige Phase ohne Städtischen Musikdirektor.123 Dieser abweichende verwaltungsrechtliche Status dürfte sich jedoch im Alltagsleben der Stadt nicht besonders bemerkbar gemacht haben, da Hiller als direkter Angestellter der beiden musikalischen Vereine im Prinzip die gleichen Aufgaben erfüllte wie zuvor Rietz und Mendelssohn und in die Gesellschaft nicht anders integriert war als diese. Auch wenn Hiller das Leben in Düsseldorf durchaus gefiel, begann er schon bald damit, nach einer neuen Tätigkeit zu suchen.124 Der unsichere berufliche Status dürfte zu seinem raschen Wechsel nach Köln, wo er eine feste Stelle angeboten bekam, beigetragen haben.
120 121
122 123 124
Düsseldorf, 1921, S. 235) Auch wenn nicht explizit der Ausdruck ›Städtischer Musikdirektor‹ gebraucht wird, so legt die Formulierung jedoch nahe, dass Hiller diese Position hatte. Vgl. Protokoll der Sitzung des Gemeinde Rates vom 17. 8. 1847, StAD Düsseldorf, 0-1-2607.0000, S. 83a–84a. Dr. jur. Anton Jacob Bloem war von 1846 bis 1849 Mitglied des Düsseldorfer Gemeinderates, vgl. Bernhard R. Appel, Das Promemoria des Wilhelm Wortmann: Ein Dokument aus Schumanns Zeit, in: Bernhard R. Appel/Ute Bär/Matthias Wendt (Hg.), Schumanniana Nova. Festschrift Gerd Nauhaus zum 60. Geburtstag, Sinzig 2002, S. 1–47, hier S. 38, Endnote 68. Vgl. Statut Allgemeiner Musikverein 5. 10. 1845, StAD Düsseldorf, 0-1-2-611.0000, ohne Paginierung. Hier sei noch einmal auf das terminologische Problem hingewiesen, dass die Bezeichnung »Musikdirektor« oft für den Vereinsdirigent benutzt wird und daher leicht zur Verwechslung mit dem Titel »Städtischer Musikdirektor« führen kann, vgl. S. 74. Vgl. Sietz, Aus Hillers Briefwechsel, S. 80.
136
6.8
Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
Revolutionäre Bestrebungen 1848
In die Zeit unter Hiller fallen die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848, die sich in den Jahren zuvor mit der Forderung nach Freiheit und Einheit allmählich Bahn brachen. Als 1843 der Provinziallandtag den Entwurf des neuen preußischen Gesetzbuches ablehnte und dadurch die Rheinprovinz ihr vergleichsweise fortschrittliches ›rheinisches Recht‹ behalten konnte, befeuerte dies in Düsseldorf liberale Grundeinstellungen und das Interesse an sozialen Fragen zusätzlich.125 Vor dem Hintergrund, dass große Teile der 40.000 Einwohner unter Armut litten, insbesondere Arbeiter und Tagelöhner,126 gewannen die revolutionären Strömungen zunehmend an Einfluss. Nachdem am 24. Februar 1848 in Paris die Republik ausgerufen worden war, setzten Düsseldorfer Liberale im März eine Petitionsbewegung in Gang, die dazu führte, dass sich am 6. August 1848 die ganze Stadt zu einem großen Einheitsfest zusammenfand. Wie auch in anderen Städten spitzten sich die revolutionären Bestrebungen weiter zu, bis es am 8. Mai 1849 zu einem Vorfall kam: Düsseldorfer Landsturmmänner zerrissen öffentlich ihre Einberufungsbefehle zur Truppe, da sie nicht gegen die Aufständischen im südlichen Deutschland kämpfen wollten. Damit war der Zenit jedoch erreicht und die revolutionären Bestrebungen verebbten wieder.127 Nachdem im Sommer 1849 die Bevölkerung von einer Choleraepidemie geschwächt worden war, reiste Oberbürgermeister Wilhelm Dietze nach Berlin, um sich mit der preußischen Regierung auszusöhnen.128 Diese rasche Bereitschaft der Stadt, nun um die Gunst des Königs zu buhlen, erlaubt rückblickend die Frage, was denn nun eigentlich echt gewesen ist – »die vorher gezeigte Begeisterung für die Freiheit oder die neue Liebedienerei vor der Regierung.«129 Die kurzfristig aufflammende Begeisterung der Düsseldorfer Bevölkerung spiegelte sich anschaulich in einem Ereignis wider, an dem der Gesangverein beteiligt war und das darum hier exemplarisch geschildert werden soll. Unter dem Eindruck der von der Februar-Revolution in Frankreich ausgelösten Aufstände in Düsseldorf kam es am 6. August 1848 zur Gründung der Künstlervereinigung Malkasten und am gleichen Tag zu einem großen Künstler-Einheitsfest,130 zu welchem der Demokratische Verein aufgerufen hatte und das von 125 126 127 128 129 130
Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 81f. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 108. Vgl. ebd., S. 110f. Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 84. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 111. Vgl. Zacher, Friedrich von Preußen, S. 98ff. Eine detaillierte Schilderung des Einheitsfestes findet sich bezeichnenderweise in der Publikation ›Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf. Festschrift zur Enthüllung des Denkmals für den Fürsten Bismarck in Düsseldorf am 10. Mai 1899‹. Der darin enthaltene Text über das Fest stammt aus der Leipziger Illustrierten Zeitung vom 7. Oktober 1848 und war auch im Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt vom
Revolutionäre Bestrebungen 1848
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Malern und Bildhauern künstlerisch gestaltet wurde.131 Trotz der Beteiligung von städtischen Vertretern waren die Bürger der Stadt die Veranstalter des Einheitsfestes gewesen:132 Dieses war neben dem persönlichen Einsatz der Beteiligten nur durch Spenden der Mitbürger finanziert worden; am 8. August 1848 bat das verantwortliche Finanz-Komitee sogar noch um weitere Spenden, da die Summe nicht ganz ausgereicht hatte.133 Ziel der Düsseldorfer Feier, die von der Frankfurter Nationalversammlung initiiert wurde,134 war es, das ersehnte Aufgehen der Einzelstaaten in einem vereinigten Deutschland symbolisch darzustellen. Zu diesem Zweck war auf dem Friedrichsplatz (dem heutigen Grabbeplatz) eine überdimensionale Germania-Statue errichtet worden.135 Die einzelnen Staaten wurden durch Banner dargestellt, welche Herolde in mittelalterlichen Kostümen trugen. Zu den weiteren Programmpunkten des Festtages gehörten ein Feuerwerk, ein Fackelzug, eine Parade der Bürgerwehr, ein Zapfenstreich, Kanonendonner, Festgeläute und ein musikalisches Programm. Da viele Gäste von auswärts anreisten, hatte die Eisenbahndirektion extra einen Zusatzzug für die abendliche Rückfahrt eingesetzt.136 Bürger und Soldaten, Arm und Reich waren versammelt, und »Männer des Volkes«137 hielten Ansprachen. Alle Menschen, die durch die deutsche Muttersprache verbunden waren, sollte die Gemeinschaft spüren: »Wir möchten behaupten, die schöne Einigkeit unter den Zuschauern verdanken wir größtenteils dem moralischen Einfluß der erhabenen Schöpfung unserer Künstler. ›Wenn es so schön ist, einig zu sein, dann wollen wir es auch unter uns‹, und so legte der Militär seinen Arm um den Nacken des Bürgers, und der ›Mann von Distinction‹ setzte sich neben dem Arbeiter auf eine Bank. Das große Banket im Hofgarten wurde so zum ächten Volksfeste, wie es bei allen früheren Veranlassungen nie zu erreichen war … .«138
Gegen halb zwölf begann auf der Tribüne zu Füßen der Statue eine musikalische Aufführung, für die der stellvertretende Oberbürgermeister als Vertreter der
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8. August 1848 in Teilen abgedruckt worden. Das Bismarck-Denkmal wurde 1899 genau an dem Ort aufgestellt, wo 51 Jahre zuvor das Einheitsfest gefeiert worden war, da der Standort »geeignet [war], historische Erinnerungen in uns zu wecken«, vgl. E. Schrödter, Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf. Festschrift zur Enthüllung des Denkmals für den Fürsten Bismarck in Düsseldorf am 10. Mai 1899, Düsseldorf 1899, S. 11. Vgl. Schroyen, Mendelssohn, S. 17. Vgl. Schrödter, Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf, S. 12. Vgl. Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt 214 (9. 8. 1848). Vgl. Benedikt Mauer, Revolution 1848, in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 579–581, hier S. 580. Vgl. Benedikt Mauer, Einheitsfest 1848, in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 192. Vgl. Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt 212 (6. 8. 1848). Schrödter, Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf, S. 13. Ebd., S. 14.
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
Stadt anschließend den Künstlern und dem Gesangverein dankte.139 Der Allgemeine Musikverein hatte ein Programm vorbereitet, an dessen Aufführung insgesamt 200 seiner Choristen und ein Orchester mit über hundert Mann beteiligt waren.140 Folgendes Programm unter Leitung von Ferdinand Hiller wurde in der Zeitung angekündigt: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Ouvertüre zu Egmont von Beethoven. Choral aus Paulus von Mendelssohn. Chor aus der Zerstörung Jerusalem’s von Hiller. Ouvertüre zu Oberon von Weber. Chor aus Judas Maccabäus von Händel. Chor aus Messias von Händel.141
Es folgten ein Fackelzug und zur »symbolischen Huldigung aller deutscher Stämme dem einigen Deutschland«142 sangen die Männergesangvereine noch »patriotische Quartette«143. Nach dem Umzug stimmte der Gesangverein Dir möcht’ ich diese Lieder weihen von Konradin Kreutzer an, begleitet von einer Illumination mit bengalischem Feuer. Anschließend sang er von Ernst Moritz Arndt Was ist des Deutschen Vaterland.144 Die Behauptung im Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt, das Düsseldorfer Fest sei besonders patriotisch gewesen,145 ist sicherlich berechtigt – mehr symbolträchtiger Aufwand hätte wohl kaum betrieben werden können. Die Werke für die musikalische Darbietung waren vom Allgemeinen Musikverein und Ferdinand Hiller dem Anlass entsprechend gewählt worden: Das Programm eröffnete feierlich und klanggewaltig mit der Ouvertüre aus Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Drama Egmont, dessen zentrale Thematik, der Freiheitskampf eines Volkes, in den Kontext passte. Das zweite Orchesterwerk, die Ouvertüre zu Oberon, stammte von Carl Maria von Weber, der besonders als Komponist ›der deutschen‹ Nationaloper Der Freischütz rezipiert wurde. Die Ouvertüren zu Egmont und Oberon waren darüber hinaus kurz zuvor unter Hillers Leitung schon einmal aufgeführt worden,146 was die Probenarbeit 139 140 141 142 143 144 145 146
Vgl. Schrödter, Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf, S. 15. Vgl. Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt 211 (5. 8. 1848). Vgl. Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt 212 (6. 8. 1848). Ebd. Vgl. Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt 212 (6. 8. 1848). Vgl. Schrödter, Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf, S. 17. Vgl. Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt 212 (6. 8. 1848). Die Egmont-Ouvertüre erklang am 1. 4. 1848, vgl. S. 151, die Oberon-Ouvertüre am 6. 6. 1848. Konzertdaten werden, sofern keine andere Quelle angegeben ist, nach der zweiteiligen Chronik von Großimlinghaus Aus Liebe zur Musik. Zwei Jahrhunderte Musikleben in Düsseldorf (1989) und Aus Liebe zur Musik. Die Kunst des Unmöglichen (2001) ohne eine Angabe von Seitenzahlen zitiert.
Revolutionäre Bestrebungen 1848
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erleichterte. Neben den Orchesterwerken wurde aus vier Oratorien jeweils ein Chor aufgeführt. Während Mendelssohns Paulus, der in Düsseldorf seine Uraufführung erlebt hatte, primär als posthume Ehrung des ehemaligen Städtischen Musikdirektors gedacht gewesen sein dürfte, zählte Händels Judas Maccabäus zu jenen biblisches Oratorien, die nach den napoleonischen Kriegen im 19. Jahrhundert immer wieder bei politisch konnotierten Aufführungen eingesetzt wurden, um ein aufkeimendes Nationalbewusstsein zu unterstützen, die Vorstellung einer deutschen kulturellen und militärischen Vormachtstellung zu vermitteln und freiheitliche, patriotische Gefühl in der Bevölkerung zu stärken.147 Die Zerstörung Jerusalem’s wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts als ein »durchaus deutsches Werk«148 rezipiert und bot darüber hinaus Hiller die Gelegenheit, eines seiner eigenen Werke zu dirigieren. Aus der Programmübersicht geht nicht hervor, welcher Chor aus Händels Messias aufgeführt wurde, doch ist das Vermutung nicht unberechtigt, dass es sich um das populäre Halleluja handelte, das einen bühnenwirksamen Abschluss des Programmblockes bedeutet hätte. Die beiden abschließenden Lieder repräsentierten wiederrum die patriotische Gesinnung des Festes: An das Vaterland ist die Vertonung eines Textes von Ludwig Uhland durch Conradin Kreutzer,149 und als Abschlussstück folgte eine Vertonung des populären Gedichtes Des Deutschen Vaterland (1813) von Ernst Moritz Arndt, in welchem dieser einen großdeutschen Nationalstaat fordert. Vertont wurde der Text 1815 von Johannes Cotta und 1826 von Gustav Reichardt. Welche der Fassungen bei dem Fest gesungen wurde, lässt sich aus den Quellen nicht entnehmen. Plausible wäre es jedoch, wenn es sich um die Fassung Reichardts gehandelt hätte, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts die bekanntere Vertonung war und geradezu als Vaterlands-
147 Vgl. Dominik Höink, »Wer interessiert sich für den Heldenmuth eines Juden, der vor 4000 Jahren gekämpft hat?« – Zur Pflege und publizistischen Rezeption des Judas Maccabäus im deutschsprachigen Raum von 1800 bis 1900, in: Dominik Höink/Jürgen Heidrich (Hg.), Gewalt – Bedrohung – Krieg: Georg Friedrich Händels Judas Maccabaeus. Interdisziplinäre Studien, Göttingen 2010, S. 101–124, hier S. 102, 112, 115. 148 Robert Schumann, Neue Oratorien I. Ferdinand Hiller, Die Zerstörung Jerusalems. Oratorium nach der heiligen Schrift von Dr. Steinheim. Werk 24. in: Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, 4. Bd., Leipzig 1854, S. 2–10, hier S. 7; vgl. auch Robert Schumann, »Die Zerstörung Jerusalems.« Oratorium von Ferdinand Hiller. 1ste Aufführung in Leipzig, in: Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, 3. Bd., Leipzig 1854, S. 214–215, hier S. 215. 149 Vgl. Conradin Kreutzer/Ludwig Uhland, An das Vaterland, op. 24, 24, in: Conradin Kreutzer : Vierstimmige Gesänge für Männerstimmen. Neue Ausgabe in Partitur u. Stimme. Mainz o. J. [ca. 1846], S. 43–44. Der Text lautet: »Dir möcht ich diese Lieder weihen / Geliebtes deutsches Vaterland / Denn dir, dem neuerstandnen, freien / Ist all mein Sinnen zugewandt. / Doch Heldenblut ist dir geflossen / Dir sank der Jugend schönste Zier : / Nach solchen Opfern, heilig großen / Was gälten diese Lieder dir?«
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
hymne gelten konnte, welche die Vielstaaterei negierte und einen nationaldeutschen Gemeinschaftsgedanken propagierte.150 Die Wirkung des Programms mit 300 Beteiligten war sicherlich eindrucksvoll und die Aufführungsdauer so bemessen, dass sie die Stimmung des Festaktes nicht durch übermäßige Länge negativ beeinflusste. Auch die im Anschluss vom Männergesangverein aufgeführten patriotischen Quartette dürften sich in dieses Programm stimmig eingefügt haben. In dem bereits zitierten Text vom 7. Oktober 1848 hob der Autor die patriotische Botschaft des Düsseldorfer Einheitsfestes besonders hervor, betonte, man habe am Rhein ja schon immer die Einheit Deutschlands gewollt, und illustrierte seine Aussagen mit Symbolik des Rheinlandes, indem er schrieb, das Wort von der Einheit Deutschlands sei von den Ruinen des Kölner Doms durchs ganze Land erklungen. Auch wird die Bedeutung der Kunst in Düsseldorf herausgestellt: »Aber dennoch besitzt unsere Stadt als Kunststadt einen Vorzug vor ihrer, ja wir möchten sagen, vor allen deutschen Städten.«151 Durch sein Engagement war der Allgemeine Musikverein zusammen mit dem Gesangverein und dem Orchester in idealer und für die Zeit repräsentativer Weise in das Fest involviert gewesen und hatte sich als Vertreter des Bürgertums an der Bewegung um die bürgerliche Revolution von 1848 mit ihrem Streben nach einem deutschen Nationalstaat wirkungsvoll beteiligt.
6.9
Robert Schumann (1850 bis 1854)
Nachdem Hiller seine Tätigkeit gekündigt hatte, baten die Musikfreunde der Stadt ihn um eine Empfehlung für einen Nachfolger, »wozu man vorzugsweise einen kunstberühmten Namen wünschte«152. Hiller schlug seinen Freund Robert Schumann vor und stellte den Kontakt zu diesem her.153 Es vergingen mehrere Monate, bis Schumann schließlich zusagte und am 2. September 1850 zusammen mit seiner Familie in Düsseldorf eintraf. Der Musikverein schrieb voller Stolz an den Verwaltungsausschuss der städtischen Behörde: »Mit Herrn Robert Schumann gewinnen wir in dessen Gattin, Clara geb. Wiek, die ausgezeichnete Klaviervirtuosin. Ein verehrlicher Gemeinderath wird gewiß mit uns die große 150 Vgl. Friedhelm Brusniak/Dietmar Klenke, Sängerfeste und die Musikpolitik der deutschen Nationalbewegung, in: Die Musikforschung, 52 (1. 1. 1999), S. 29–54, hier S. 50f. 151 Schrödter, Das Bismarckdenkmal in Düsseldorf, S. 12. 152 Wilhelm Wortmann, Pro memoria des Beigeordneten Wortmann betreffend die Verhältnisse des Herrn Musik-Directors Dr. Schumann und des allgemeinen Musikvereins zunächst bestimmt für die Herren Gemeindeverordneten, welche sich Kenntniß von der Sachlage zu verschaffen wünschen [1853], als vollständiges Transkript abgedruckt in Appel, Promemoria des Wilhelm Wortmann, S. 4–23, hier S. 6. 153 Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 6.
Robert Schumann (1850 bis 1854)
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Freude theilen, daß es gelungen ist, ein solches Künstlerpaar an Düsseldorf zu binden.«154 Sicherlich war die Freude der Stadtverwaltung über diesen Prestigegewinn durch gleich zwei ›kunstberühmte‹ Namen groß, doch war sie wie zuvor bei Hiller nicht bereit, Schumann fest anzustellen, so dass dieser verwaltungsrechtlich als Dirigent des Allgemeinen Musikvereins und des Gesangvereins tätig war.155 In der Literatur ist zumeist die nicht korrekte Aussage zu finden, dass Robert Schumann wie Mendelssohn und Rietz der Städtische Musikdirektor von Düsseldorf gewesen sei,156 was sicher nicht zuletzt daher rührt, dass dieser Irrtum bereits in der zeitgenössischen Presse kolportiert wurde.157 Als Beispiel für eine differenzierte Berichterstattung sei der Artikel Aus Düsseldorf in der Rheinischen Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler vom 14. April 1855158 genannt, der thematisiert, dass Hiller und Schumann Verträge mit dem Allgemeinen Musikverein, nicht jedoch mit der Stadtverwaltung hatten, obwohl der Gemeinderat »das etatsmässige Gehalt des städtischen Musikdirectors zur Kasse des Allgemeinen Musikvereins als Zuschuss«159 dazugab; Burgmüller, Mendelssohn und Rietz hätten besondere Verpflichtung gegenüber der Stadt gehabt, Schumann und Hiller nicht.160 Bestätigt wird der Sachverhalt durch die Düsseldorfer Verwaltungsberichte, aus denen hervorgeht, dass die Stadt bei Hiller und Schumann explizit auf die Anstellung als Städtischer Musikdirektor verzichtete.161 In den Berichten von 1851/1852 und 1852/1853 sind die Zahlungen von Schumanns Gehalt als »Zuschuss an den Verein für Tonkunst«162 in Höhe 154 Fischer, Städtischer Musikverein, S. 34f. 155 Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 6. 156 Vgl. beispielsweise Wimmer, Theater und Musik, S. 418; Peters, Bürgerliche Musikkultur Düsseldorfs, S. 365; Edler, Robert Schumann, S. 106; Barbara Meier, Robert Schumann, Hamburg 2010, S. 165. 157 Vgl. beispielsweise Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 34 (22. 2. 1851), S. 269. 158 Vgl. Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 15 (14. 4. 1855), S. 114. 159 Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 15 (14. 4. 1855), S. 114. 160 Die Stellen in der Literatur, die auf diesen Irrtum hinweisen, sind nicht gerade zahlreich, vgl. Wolff, Das musikalische Leben, 1917, S. 364f; Buths, Die Tonkunst in Düsseldorf, S. 46f; du Mont, Julius Tausch, S. 104. 161 Vgl. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1889 bis 31. März 1890, Düsseldorf 1890, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 10. 162 Vgl. Verwaltungs-Bericht für das Jahr 1851 vorgetragen von Bürgermeister Hammers in der Gemeinderaths-Sitzung vom 7. Januar 1852 und Etat der Gemeinde Düsseldorf für das Jahr 1852, Düsseldorf 1852, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 32, und Verwaltungs-Bericht für das Jahr 1852 und Etat der Gemeinde Düsseldorf für das Jahr 1853, Düsseldorf 1852, (28. 2. 2018), S. 19.
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von 500 Talern gekennzeichnet, die jeweils als weitere Ausgabe in den Etat des Folgejahres übernommen wurden. Die Bezahlung für Schumanns Nachfolger Julius Tausch ist in der Zeit seiner Festanstellung im Verwaltungsbericht ausdrücklich als ›Gehalt des städtischen Musikdirectors‹ deklariert. In dem Artikel Das Promemoria des Wilhelm Wortmann: Ein Dokument aus Schumanns Zeit von Bernhard Appel,163 worin der Text Promemoria (1853) des städtischen Beigeordneten Wilhelm Wortmann, den dieser im Auftrag der Stadtverwaltung verfasste, vollständig abgedruckt ist, sind die Hintergründe zu den Konflikten des Allgemeinen Musikvereins mit Schumann ausführlich nachzulesen; Anlass für diese war nicht zuletzt sein beruflicher Status.164 Als Angestelltem des Allgemeinen Musikvereins gehörte es zu seinen Aufgaben, dessen Konzerte zu organisieren und zu dirigieren. Darüber hinaus war Schumann auch für die Kirchenmusik verantwortlich, da er mit der Maxkirche einen eigenen Vertrag abgeschlossen hatte; dieser ist jedoch nicht erhalten.165 Ähnlich wie bei Hiller dürfte im gesellschaftlichen Leben die Tatsache, dass Schumann nicht bei der Stadt, sondern bei einem privaten Verein angestellt war, kaum ins Gewicht gefallen sein. Trotz mehrfacher Wohnungswechsel und gewissen Schwierigkeiten mit der ungewohnten rheinischen Mentalität166 erlebten Robert und Clara Schumann die erste Zeit in Düsseldorf als angenehm. Die Begrüßung in der Stadt war geradezu euphorisch gewesen, Hiller machte sie mit den Düsseldorfer Bürgern und Künstlern bekannt und für Schumann begann eine äußerst produktive Zeit des Komponierens.167 Nachdem durch eine Zeitungskritik im März 1851 öffentlich geworden war, dass es in der Zusammenarbeit zwischen den Musikern und ihrem Dirigenten Schwierigkeiten gab, begann sich die Stimmung jedoch allmählich zu verändern. Bei der Generalversammlung des Allgemeinen Musikvereins vom 15. September 1851 wurden Beschwerden über Schumanns Programmauswahl laut und über seine Angewohnheit, vom Pult aus zu dirigieren.168 (Nicht vom Klavier zu dirigieren war eine neue Entwicklung, die sich etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bei Berufsdirigenten durchzusetzen begann.169 Bei den Aufführungen war diese Methode unter Mendelssohn zwar schon zum Einsatz gekommen,170 doch offenbar nicht bei der Probenarbeit, da sie nun von den Vereinsmitgliedern als neuartig und problematisch kritisiert wurde.) Hinzu kam noch, dass Schumann 163 164 165 166 167 168 169 170
Vgl. Appel, Promemoria des Wilhelm Wortmann. Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 7. Vgl. Sauer, Kirchenmusik hl. Maximilian, S. 278. Vgl. Meier, Robert Schumann, S. 139f., 143. Vgl. ebd., S. 139, 140–143. Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 7. Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 67. Vgl. hierzu S. 125.
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bei den Proben leise sprach, seine Interpretationsanweisungen für die Musiker schwer verständlich und seine Taktschläge unpräzise waren.171 Ähnlich wie bei Mendelssohn holte nach anfänglicher Hochstimmung Schumann der Alltag ein. Die Laienmusiker konnten seinen professionellen Ansprüchen weder in Hinblick auf Leistung noch auf Disziplin gerecht werden.172 Umgekehrt gelang es ihm nicht, mit der richtigen Mischung aus Motivation, technischer Unterstützung, Diplomatie und Konsequenz den Verein zu überzeugenden Leistungen anzutreiben.173 Die Statuten des Allgemeinen Musikvereins und des Gesangvereins regelten auch weiterhin die Zusammenarbeit ihres Musikdirektors mit dem Chor und dem Orchester in der bereits dargestellten Weise. In der Praxis war es zwar zunächst Schumann, der die künstlerischen Entscheidungen traf, denn niemandem war daran gelegen, ihn und damit auch seine berühmte Frau zu verärgern, so dass die Vereinsmitglieder zunächst auf Toleranz setzten und Konzessionen machten.174 Als es später aber zu offenen Konflikten kam, hatte Schumann rein vertragsrechtlich keine Möglichkeit, seine Forderungen hinsichtlich Werkauswahl und Besetzung der Konzerte durchzusetzen. Laut dem Statut des Gesangvereins entschied er zwar über die Plätze, die die Chormitglieder einzunehmen hatten, und prüfte die musikalischen Fähigkeiten von Anwärtern (§ 4), doch über deren Aufnahme in den Verein entschied die Generalversammlung. Dass der berühmte Komponist Schumann Angestellter eines Vereines war, dessen Mitglieder für ihre Mitwirkung Beiträge bezahlten und darum auch in gewissem Maße Forderungen stellen konnten, war eine komplizierte Konstellation, bei der Kontroversen über kurz oder lang nicht ausblieben. Hinzu kam, dass Schumann verstärkt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte,175 so dass ihn seine Frau und der Dirigent Julius Tausch bei Proben und Konzerten immer öfter vertraten. Da dieser die Probenarbeit in einem Stil leitete, der den Vereinsmitgliedern vertraut war, er außerdem wie gewünscht vom Klavier aus dirigierte und auch im zwischenmenschlichen Kontakt leichter zugänglich war, überrascht es nicht, dass der Chor bevorzugt mit Tausch weiterarbeiten wollte. Am 13. Dezember 1852 wandten sich die drei Direktionsmitglieder des Gesangvereins Wortmann, Secherling und Naegel8 in einem Brief direkt an ihren Musikdirektor und wiesen auf das Problem hin, welches sein Dirigat für den 171 Vgl. Bernhard R. Appel, Robert Schumann als Dirigent in Düsseldorf, in: Wolf Frobenius/ Ingeborg Maaß/Markus Waldura/Tobias Widmaier (Hg.), Robert Schumann. Philologische, analytische, sozial- und rezeptionsgeschichtliche Aspekte, Saarbrücken 1998, S. 116– 137, hier S. 126f. 172 Vgl. Meier, Robert Schumann, S. 143. 173 Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 7f. 174 Vgl. ebd., S. 10. 175 Vgl. Meier, Robert Schumann, S. 144–146.
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Chor bedeutete, worauf Schumann und seine Frau mit Verärgerung reagierten. Am 15. Dezember 1852 distanzierten sich 22 andere Mitglieder des Gesangvereins offiziell von dem eigenmächtigen Schreiben.176 Auch wenn die drei Urheber des Briefes ihr Mandat niederlegen und sich »in demütigster Form« entschuldigen mussten,177 blieb das Verhältnis zu Schumann beschädigt. Zum großen Eklat kam es, als am 16. Oktober 1853 anlässlich des Patronatsfestes vier Tage zuvor in der Maxkirche die Messe in d-Moll von Moritz Hauptmann aufgeführt wurde, die Tausch einstudiert hatte. Entgegen der Planung bestand Schumann nun darauf, selbst zu dirigieren, doch die Aufführung misslang.178 Bei der Komiteesitzung am 6. November 1853 wurde beschlossen, Tausch offiziell um die Vertretung Schumanns zu bitten, obwohl sich die Anwesenden mit dieser Entscheidung schwer taten, da eigentlich eine friedliche Lösung des Konfliktes gewünscht wurde.179 Der Vorschlag, dass Schumann künftig nur noch eigene Kompositionen dirigieren und sich ansonsten von Tausch vertreten lassen solle,180 führte zum endgültigen Bruch. Am 9. November 1853 kündigte Schumann seinen Vertrag zum 1. Oktober 1854, worüber der städtische Gemeinerat großes Missfallen zum Ausdruck brachte. Der Verein verwahrte sich jedoch gegen jede Einmischung, wozu seiner Ansicht nach die Stadt vertraglich nicht berechtigt war.181 In dem Bericht Betr. das Verhältnis des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf, den Oberbürgermeister Hammers am 2. Dezember 1853 unterschrieb, wurde zunächst klargestellt, dass Hiller und Schumann keine Städtischen Musikdirektoren gewesen waren, da sie nicht mit der städtischen Verwaltung, sondern mit dem Allgemeinen Musikverein ihre Verträge geschlossen hatten.182 Der Bericht lässt darüber hinaus einen schon länger schwelenden Konflikt zwischen dem Allgemeinen Musikverein und der Stadt erkennen. Zunächst einmal erregte es das Missfallen des Gemeinderates, dass der Verein den Vertrag mit Schumann ausgehandelt hatte, ohne vorher Rücksprache zu halten. Der Rat hatte zugestimmt, »wobei [jedoch] die Erwartung aus gesprochen wurde, dass der gedachte Ausschuss wegen Besetzung dieser Stelle in künftigen Fällen mit dem GRathe [Gemeinderat] sich zeitig in Verbindung setzen werde.«183 Schon 176 Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 36. 177 Paul Kast, Schumanns rheinische Jahre, herausgegeben von Joseph A. Kruse, Düsseldorf 1981, S. 29. 178 Vgl. Schatten, Die Max, S. 154f. 179 Vgl. Wortmann, Pro memoria, S. 16f. 180 Vgl. ebd., S. 17. 181 Vgl. ebd., S. 22f. 182 Vgl. Aktennotiz von Oberbürgermeister Hammers »Betr. das Verhältnis des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf«, 2. 12. 1853, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 101a–107b, hier S. 107a. 183 Ebd. S. 106b.
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bei der Anstellung Hillers hatte die Stadt sich dafür, dass sie einen nicht unerheblichen Beitrag zum Gehalt des Dirigenten des Allgemeinen Musikvereins dazugab, vorbehalten, Einfluss auf den Vertrag nehmen zu können. In der aktuellen Situation betonte Hammers nun: »… es erleidet keinen Zweifel, das der G.R. [Gemeinderat] bei jeder Berufung eines neuen Direktors die einzelnen Bedingungen anzugeben hat, welche es in dessen Vertrag aufgenommen haben will während folgerecht er nachmahl dabei eine entscheidende Stimme für sich in Anspruch nehmen kann, ob das Vertragsverhältnis eines mit seinem Einverständnis berufenen Dirigenten gelöst werden soll.«184
Abweichend von der Meinung des Vereins hielt sich Hammers also für durchaus berechtigt, gegen die Beendigung des Vertragsverhältnisses zu protestieren. Auch für zukünftige Entscheidungen sollte der Eklat Konsequenzen haben: »Zur Vermeidung aller Conflikte erscheint es angemessen das Verhältnis wie es vor 1847 bestand, wieder herzustellen u. würden dann die hiesigen Vereine durch den G.R. diejenige Stellung angewiesen erhalten, welche sie den Musikdirektoren gegenüber einzunehmen haben.«185
Zwanzig Jahre zuvor hatten die bürgerlichen Musikliebhaber durch ihre Initiative und ihr Geld die Anstellung Felix Mendelssohn Bartholdys ermöglicht, was von der Stadt offensichtlich gerne in Anspruch genommen worden war. Seit 1847 musste diese jedoch den überwiegen Teil des Musikdirektorengehaltes tragen, wodurch sich die Gewichtung zwischen den Parteien verschoben hatte. Das Handeln der Bürger wurde jetzt nicht mehr nur als persönliches Engagement, sondern zunehmend auch als Einmischung in die städtische Politik betrachtet. Zu Oberbürgermeister Hammers Haltung gegenüber den Musikliebhabern trug wahrscheinlich auch bei, dass der spätestens seit einem Artikel in der Niederrheinischen Musikzeitung vom 12. November 1853 in der Öffentlichkeit präsente Konflikt zwischen Schumann und den Vereinen186 dem Renommee der Stadt zu schaden drohte. Damit schien eine Reihe von Ereignissen in der Stadtgeschichte fortgeführt zu werden: Mendelssohn hatte Düsseldorf nach nur 18 Monaten wegen der hiesigen Verhältnisse verlassen, auch Rietz hatte am Schluss seiner 12-jährigen Tätigkeit entnervt gekündigt und Hiller hatte es lediglich drei Jahre in Düsseldorf gehalten, während derer er bereits auf der Such nach einer anderen Tätigkeit gewesen war. Diese Hintergründe liefern möglicherweise die Erklärung für einen widersprüchlichen Umstand. Im Verwaltungsbericht von 1852/1853 ist wie in den Jahren zuvor ein Zuschuss für den Allgemeinen Musikverein eingeplant, im 184 Ebd. S. 107b. 185 Ebd. 186 Vgl. Appel, Promemoria des Wilhelm Wortmann, S. 44.
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Bericht von 1853/1854 jedoch heißt es: »Zuschuss zu dem Gehalte des städtischen Musik-Directors Dr. Schumann«187. Auch ist vom 14. Dezember 1853 eine Zahlungsanweisung aus der Gemeindekasse an den »Städtischen Musikdirektor Dr. Schumann«188 erhalten. Dies bedeutet, dass zu einem Zeitpunkt, als Schumann seine Tätigkeit bereits gekündigt hatte, er fälschlich als städtischer Angestellter tituliert wurde. In der Episode klingt eine Problematik an, die bereits in anderem Zusammenhang zur Sprache gekommen ist: Offenbar ließ sich die Stadt bereitwillig von den musikliebenden Bürgern unterstützen, wenn es darum ging, Musiker mit großen Namen und künstlerisch hohen Ansprüchen nach Düsseldorf zu holen, doch war die Bereitschaft, für diese organisatorisch und finanziell angemessene Umstände zu schaffen, eher gering. Auch in der Zusammenarbeit mit späteren Musikdirektoren sollten Streitigkeiten über Kompetenzen und Zielsetzungen zwischen Stadt und Bürgerschaft auf dem Gebiet der Düsseldorfer Kulturpolitik zu Konflikten führen.
6.10 Professionalisierung der Niederrheinischen Musikfeste In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Niederrheinischen Musikfeste nach wie vor eines der drei Aufgabengebiete des Gesangvereins und damit auch des ihm übergeordneten Allgemeinen Musikvereins. Die Musikdirektoren – ganz gleich, ob bei der Stadt oder bei dem Verein angestellt – waren für die in Düsseldorf stattfindenden Musikfeste und auch für die Vorbereitung der Mitwirkenden bei den Konzerten in den Partnerstädten zuständig. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Niederrheinischen Musikfeste nicht mehr als Volksfeste, sondern als eine professionelle Veranstaltungsreihe wahrgenommen, an denen regelmäßig berühmte Gastsolisten mitwirkten und deren ursprünglich regionale Kulturleistung auf eine nationale Ebene verschoben worden war.189 Dennoch zeigte sich bereits zu Beginn der 1830er Jahre, dass das Thema Professionalisierung im Raum stand. Im zweiten Statutenentwurf des Niederrheinischen Musikvereins von 1830 wurde festgelegt, dass die »Niederrheinischen Musikfeste, die im Laufe der Zeit zu einer provinciellen Nationalfeier der Rheinlande erhoben«190 worden waren, trotz dieses Wandels nach den bisherigen Prinzipien fortgesetzt werden sollten (§ 1). Konkret bezog sich diese Be187 Verwaltungs-Bericht für das Jahr 1853 und Etat der Gemeinde Düsseldorf für das Jahr 1854, Düsseldorf 1853, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 11. 188 Vgl. Zahlungsanweisung 14. 12. 1853, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 100a. 189 Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 14, 16. 190 Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 30.
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stimmung darauf, dass den mitwirkenden Tonkünstlern nach wie vor kein Honorar gezahlt werden durfte. (§ 8) Deren Liebe zu ihrer Kunst und die Notwendigkeit, die Musikfeste »lediglich auf den echten Kunstsinn zu begründen«, wurden als Grund dafür angeführt, dass den Berufsmusikern nur eine »billige Entschädigung für Reisekosten und baare Auslagen zu gewähren«191 sei. Dass hier so explizit schriftlich festgehalten wurde, diese Praxis solle beibehalten werden, verrät, dass darüber zuvor eine Diskussion innerhalb des Niederrheinischen Musikvereins und den Komitees stattgefunden haben muss. Eine der treibenden Kräfte für den Prozess der Professionalisierung war Felix Mendelssohn Bartholdy, der den Übergang zwischen dem Wirken des Bürgertums, das aus Begeisterung Kunstpflege betrieb, und dem distanzierten professionellen Künstlertum markiert.192 Als Städtischer Musikdirektor und Dirigent der Musikfeste stand er vor der Situation, dass die bürgerlichen Dilettanten im öffentlichen Musikleben an Einfluss gewonnen hatten, so dass ihnen die Stadt finanzielle Unterstützung für einen renommierten Berufsmusiker als Leiter gewährte, der ihrem eigenen Können weit überlegen war und auch dementsprechende professionelle Ansprüche stellte. Die Dilettanten waren für die Musikpflege der Stadt und des niederrheinischen Städtebundes als Organisatoren und Ausführende zwar unentbehrlich, doch war ihr musikalisches Engagement, ganz gleich, wie viel Zeit und Engagement sie in dieses investierten, ›nur‹ ein Nebenschauplatz ihres bürgerlichen Beruf- und Familienlebens. Die Solopartien und die führenden Instrumentalstimmen wurden zunehmend von Profis übernommen, während die Laien weiterhin im Chor sangen – eine Aufteilung, die bis in die Gegenwart erhalten geblieben ist. Das Einbeziehen von Berufsmusikern und vor allem von renommierten Gastsolisten trieb rasch die Kosten in die Höhe, so dass finanziell schlechter gestellte Menschen immer öfter fernblieben, da sie die Eintrittskarten nicht mehr bezahlen konnten und sich darüber hinaus als verschwindende Minderheit in der gehobenen Gesellschaft nicht mehr wohlfühlten.193 Der Austausch der Laien gegen Profimusiker machte also über kurz oder lang aus dem Volksfest eine hochpreisige Veranstaltung,194 was im Widerspruch zu den ursprünglichen Idealen der bürgerlichen Musikkultur stand. Die anfängliche Skepsis der etablierten bürgerlichen Musikliebhaber war aufgrund des großen Erfolges der Feste verschwunden, der Generationenkonflikt hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst und die »Comit8s [waren] bald wieder das Spiegelbild der Elite einer Stadt«195. 191 192 193 194 195
Ebd. Vgl. Alf, Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 19. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 208. Vgl. ebd., S. 207. Alf, ebd., S. 193.
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
1845 brachen die Besucherzahlen erstmals ein, so dass zwischenzeitlich die Frage aufgeworfen wurde, ob die ursprünglichen Voraussetzungen für das Fest noch vorhanden seien.196 Im Jahr darauf stiegen die Zahlen wieder an, was primär auf die Anwesenheit der berühmten Sopranistin Jenny Lind zurückzuführen war.197 Etwa zwischen 1850 und 1865 war der Zenit der Niederrheinischen Musikfeste erreicht; danach traten ein allmählicher Bedeutungsverlust198 sowie eine Verschiebung des künstlerischen Schwerpunktes ein. Wie eine Quelle aus dem Jahr 1855 zeigt, gewann in den Jahren zuvor die Größe der Orchester- und vor allem der Chorbesetzung zunehmend an Bedeutung, so dass bevorzugt Werke ausgewählt wurden, die durch »die Massen und auf die Massen«199 wirken sollten.
6.11 Repertoire des Musikvereins zwischen 1833 und 1853 Da aus den Jahren vor 1833 keine vollständige Konzertübersicht rekonstruiert werden konnte, ist ein Vergleich zwischen dieser Zeit und Mendelssohns Repertoiregestaltung nicht möglich. Unabhängig davon lässt sich über seine Arbeit während der anderthalb Jahre in Düsseldorf aussagen, dass eine Menge Pragmatismus notwendig war, um mit den vorhandenen Mitteln und trotz der zahlreichen Sachzwänge Aufführungen auf akzeptablem Niveau zustande zu bringen. Der Verein zur Beförderung der Tonkunst veranstaltete unter Mendelssohn jährlich elf Abonnementskonzerte, von denen dieser zehn selbst dirigierte.200 In seiner Düsseldorfer Zeit führte er schwerpunktmäßig Beethoven, Händel und auch eigene Werke auf,201 die er für alle Aufgabenbereiche (Kirche, Musikfeste und städtische Konzerte) komponierte. Einfluss auf die Werkauswahl nahm nicht selten die Anwesenheit von Gastkünstlern, die Repertoire für ihr Instrument darboten, wie es beispielsweise der Violinist Wilhelm Lübeck tat (12. Februar 1835) oder auch Julius Rietz als Cellist.202 Das vorhandene Notenmaterial für die Kirchenmusik stellte Mendelssohn so wenig zufrieden, dass er in verschiedene rheinische Archive fuhr und Werke der italienischen Renaissance 196 Vgl. ebd., S. 189. 197 Vgl. ebd. 198 Vgl. Andrea Vogel, Die Niederrheinischen Musikfeste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Kross, Organisationsformen der Musik, S. 9–16, hier S. 16. 199 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 2, S. 18; Originalzitat: Otto Jahn, Das dreiunddreißigstes niederrheinische Musikfest in Düsseldorf den 27., 28. und 29. Mai 1855, in: Otto Jahn, Gesammelte Aufsätze über Musik von Otto Jahn, Leipzig 1866, S. 163–198, hier S. 188. 200 Vgl. Kortländer, Musikalisches Leben, S. 49. 201 Vgl. ebd., S. 49f. 202 Vgl. ebd.
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z. B. von Palestrina und Orlando di Lasso kopierte. Erstmals wurde unter seiner Leitung eine Kantate von Johann Sebastian Bach aufgeführt, und auch Beethoven, Händel und Cherubini fanden Einzug in die Gottesdienste.203 Einen hohen Stellenwert in der städtischen Geschichte bekam sein teilweise in Düsseldorf komponiertes Oratorium Paulus, das bei den Niederrheinischen Musikfesten 1836 in Düsseldorf uraufgeführt wurde.204 Eines seiner ersten Konzerte als Städtischer Musikdirektor, das große Anerkennung fand, verband Musik mit darstellender Kunst. Anlässlich des Besuchs des damaligen preußischen Kronprinzen und späteren Königs führte er am 22. Oktober 1833 Händels Israel in Egypt mit den Chören des Gesangvereins auf.205 Ergänzt wurde die Darbietung im Galeriesaal der Kunstakademie durch zwei Lebende Bilder und ein Tableau mouvant von den Malern Eduard Bendemann und Julius Hübner, was als Gesamtszene großen Eindruck machte206 und auch von Mendelssohn selbst als effektvoll und gelungen beschrieben wurde.207 Der neue Musikdirektor bestritt also von Anfang an ohne Berührungsängste Aufführungen in unterschiedlichen Szenarien und zu allen denkbaren Anlässen. Die Einschätzung ist berechtigt, dass die meisten von Mendelssohns Programmen dem Geschmack der Zeit entsprachen208 und dass er nicht nur als Dirigent und Solist, sondern auch als Organisator das Niveau des Chores gehoben, für das Orchester neue Maßstäbe gesetzt und dem Düsseldorfer Publikum ein neues Repertoire zugänglich gemacht hat.209 In der Rezeption von Rietz während seines Wirkens Düsseldorf wird oft hervorgehoben, dass er in seinen zwölf Jahren die ersten acht Beethoven-Sinfonien aufführte, die fünfte und achte sogar insgesamt zehnmal.210 Mit dem Verein zur Beförderung der Tonkunst gab er pro Jahr im Durchschnitt acht Konzerte, wobei sein Repertoireschwerpunkte auf Haydn, Mozart, Weber, Beethoven, Cherubini, Mendelssohn sowie auf Norbert Burgmüller als regionalem Komponisten lag.211 Auch Händel und Fasch (offenbleiben muss, ob hier der Vater oder der Sohn gemeint ist)212 werden als regelmäßig gespielte Komponisten erwähnt. Das Andenken an seinen Vorgänger Mendelssohn wurde durch Aufführungen lebendig gehalten, wobei besonders der in Düsseldorf 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212
Vgl. ebd., S. 50f. Vgl. Neue Berliner Musikzeitung 48 (24. 11. 1847), S. 392. Vgl. ebd., S. 391. Vgl. Schroyen, Mendelssohn, S. 98f. Vgl. Brief Mendelssohn an seine Schwester Lejeune Rebecka Dirichlet und die Familie in Berlin, 26. 10. 1833, Mendelssohn, Briefe Bd. 3, S. 293f. Vgl. Kortländer, Musikalisches Leben, S. 49f. Vgl. ebd., S. 58. Vgl. Sietz, Julius Rietz, S. 74. Vgl. AmZ 20 (16. 5. 1838), Sp. 328. Vgl. AmZ 21 (23. 5. 1838), Sp. 343.
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populäre Paulus gespielt wurde (z. B. 16. Februar 1837, 19. Mai 1837, 19. März 1839 in Auszügen). Am 17. Dezember 1840 findet sich in den Programmen erstmals Franz Schuberts C-Dur Sinfonie (D 944), die erst am 21. März 1839 in Leipzig von Mendelssohn uraufgeführt worden war, womit Rietz ein viel beachtetes Werk der Zeit Werk dem Düsseldorfer Publikum vergleichsweise früh präsentierte und dem Orchester sicherlich einiges abverlangte. Ein Benefizkonzert, das ausschließlich aus Werken eines Komponisten bestand, führte Rietz erstmals am 22. April 1837 auf. Vier Stücke von Norbert Burgmüller, der knapp ein Jahr zuvor am 7. Mai 1836 verstorben war, wurden »zum Vortheil der Frau Wittwe Burgmüller«213 gespielt: seine Sinfonie in c-Moll, sein Klavierkonzert in fis-Moll, Allegro und Adagio aus der unvollendeten Sinfonie D-Dur sowie die Ouvertüre und Chöre aus der Oper Dionys.214 Ein nicht ganz alltägliches Konzertformat präsentierte Rietz auch am 13. April 1837. Neben der Konzertouvertüre Die Weihe des Hauses von Beethoven und der Sinfonie Nr. 2 von Ferdinand Ries wurde erst die Vertonung des 100. Psalms von Händel und später die von Mendelssohn aufgeführt, was dem Publikum einen direkten exemplarischen Vergleich der Ästhetik des 18. Jahrhunderts mit der des 19. Jahrhunderts ermöglichte. Hiller setzte bei der Programmgestaltung die eingeschlagene Richtung grundsätzlich fort. Regelmäßig steuerte er eigene Kompositionen bei und führte bisweilen Werke seiner beiden Vorgänger Mendelssohn und Rietz auf. Mit dem Oratorium Das Paradies und die Peri wurde am 23. April 1848 eine Tradition des Musikvereins begründet, zu dessen künstlerischen Schwerpunkten bis in die Gegenwart Schumanns Chorwerke gehören.215 Am 14. Dezember 1848 kam dann auch seine Sinfonie Nr. 2 zur Aufführung. Ein Konzert mit dem Andante und dem Scherzo aus der Sinfonie Nr. 1 von Emil Steinkühler (1821–1872) am 24. Februar 1848 soll als Beispiel für das Werk eines Komponisten herausgegriffen werden, der aufgrund der Tatsache, dass er in Düsseldorf geboren wurde und eine Zeit lang bei Felix Mendelssohn Bartholdy Unterricht gehabt hatte,216 als rheinischer Komponist galt, was wahrscheinlich zur Auswahl seiner Komposition durch Hiller nicht unwesentlich mit beigetragen hat. Die erste Darbietung eines Werkes von Jacques Offenbach – die Hommage / Rossini für Violoncello und Orchester – am 12. Juni 1848 war ebenfalls Hillers Initiative zu verdanken, wobei jedoch diese Entscheidung wohl weniger damit zu tun hatte, 213 Vgl. Düsseldorfer Zeitung 107 (21. 4. 1837). 214 Vgl. ebd. 215 Vgl. Rolf Willhardt, Düsseldorfs Städtischer Musikverein. Nicht nur auf Schumanns Spuren …, in: fermate Musikmagazin für den Düsseldorfer Raum 3 (1987), S. 15–16, hier S. 15. Der Musikverein hat zwischen 1973 und 1987 elf CDs mit Chorwerken von Robert Schumann eingespielt, vgl. Großimlinghaus u. a., Aus Liebe zur Musik Bd. 2, S. 19–20. 216 Vgl. Emil Steinkühler, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 35 (2. 9. 1854), S. 276f.
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dass Offenbach Rheinländer war, sondern damit, dass Hiller ihn und sein Werk aus seiner Zeit in Paris kannte. Ein Stück, das für das Repertoire des Gesangvereins dauerhaft eine große Bedeutung bekommen sollte, war Bachs Matthäuspassion,217 die am 1. April 1849 zu Ostern erstmalig in Düsseldorf erklang und bereits im nächsten Jahr am 24. März 1850 wiederholt wurde. Die Wiederaufführung des Stückes 1829 in Berlin durch Mendelssohn wurde von Publikum und Presse hoch gelobt und zog 1830 die Herausgabe des Erstdrucks sowie einige weitere Aufführungen nach sich. Doch erst die in der Bach-Gesamtausgabe 1854 veröffentliche Partitur führte zu einer erheblichen Verbreitung, bis die Matthäuspassion am Ende des 19. Jahrhunderts als feste Größe in den Karfreitags-Konzerten etabliert war.218 Mit seiner Erstaufführung vor der Publikation der Gesamtausgabe gehörte Düsseldorf also durchaus zu den Vorreiterstädten. In einzelnen musikalischen Programmen des Allgemeinen Musikvereins wurde die politische Stimmung kurz vor der Mitte des Jahrhunderts sichtbar, so beispielsweise in dem »Conzert zum Besten der Hinterbliebenen der in Berlin im Kampfe gefallenen Bürger« am 1. April 1848219 unter Leitung von Ferdinand Hiller. Der Gewinn dieser Benefizveranstaltung sollte den Angehörigen der sogenannten Märzgefallenen zugutekommen, die bei den Barrikadenkämpfen gegen die Truppen König Friedrich Wilhelms IV. am 18. und 19. März 1848 getötet worden waren. Mit dem Konzert positionierte sich der Musikverein erkennbar auf Seiten der Revolutionsanhänger. Dieser Aufführungskontext spiegelt sich im Repertoire wider : Beethoven: Egmont-Ouvertüre Cherubini: Requiem Hiller: Schlachtgesang von Creiznach Hiller: Fahnenschwur Reichardt: Was ist des Deutschen Vaterland? Beethoven: Sinfonie Nr. 3 Eroica
Beethovens Ouvertüre aus der Schauspielmusik zu Goethes Egmont stellte einen symbolträchtigen Auftakt des Programmes dar, da der tragische Held des Dramas in seinem leidenschaftlichen Kampf für die Freiheit seines Landes hingerichtet wird. Wirkungsvoll passten in den Zusammenhang die vaterländisch-patriotischen Kompositionen Hillers und die Vertonung von Ernst Moritz Arndts Gedicht Was ist des Deutschen Vaterland von Gustav Reichardt.220 Den 217 Vgl. 1926 ist in der Zeitschrift Die Musik über die Matthäus-Passion zu lesen, diese sei »bei uns so sehr zum Repertoirestück im bösen Sinne geworden, daß sie am besten einmal abgesetzt würde …«, vgl. Die Musik 18/9 (Juni 1926), S. 703. 218 Vgl. Emil Platen, Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, Kassel 1991, S. 216– 219. 219 Düsseldorfer Kreisblatt und Täglicher Anzeiger 85 (26. 3. 1848). 220 Vgl. hierzu S. 139.
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Abschluss bildete Beethovens Sinfonie Nr. 3 mit ihrem sprechenden Beinamen Eroica und der von Ferdinand Ries verbreiteten, historisch nicht ganz korrekten Entstehungsgeschichte, der Komponist habe ursprünglich Napoleon als Widmungsträger vorgesehen, jedoch aus Wut, dass dieser sich selbst zum Kaiser krönte, das Blatt mit der Widmung zerrissen. Diese Legendenbildung befördert ca. zehn Jahre nach Beethovens Tod die Rezeption der Sinfonie.221 In diesem Programm wurde Cherubinis Requiem als Totenmesse zum Andenken an die Verstorben der Aufstände in Berlin eingebunden. Ein eindeutiger Beleg dafür, warum der Allgemeine Musikverein und Hiller ausgerechnet dieses Requiem auswählten, liegt nicht vor. Zwar war der Entstehungskontext des Werkes ein politischer – Cherubini komponierte es für den Festakt am 21. Januar 1816 anlässlich des 23. Todestages von Ludwig XVI –,222 doch hat sich auf die Entscheidung wahrscheinlich Hillers Einschätzung mit ausgewirkt, dass er Cherubini für den größten Kirchenkomponisten des Jahrhunderts hielt und sein Requiem in c-Moll für das vollendetste Werk dieser Gattung.223 Seine Äußerungen über Cherubini legen es nahe, dass er diesen eher als einen unpolitischen Menschen wahrnahm:224 Am französischen Hofe habe er für die Revolution Hymnen komponierte und unter der Restauration das Requiem anlässlich des Todestages von Ludwig XVI. Diese politischen Entwicklungen hätten Cherubini jedoch nur »in Beziehung auf seine äußere Lage und auf die ihm gestellten musikalischen Aufgaben«225 interessiert. In seiner Gesamtheit war das Programm wirkungsvoll konzipiert, da es Stücke verband, die durch Werktitel, Entstehungskontext, Widmungs- bzw. Kompositionsanlass oder durch den zugrunde liegenden Text in den Kontext des Benefizkonzertes passten und geeignet waren, den Nationalstolz der Zuhörer zu stärken. Eine vorbildlich gearbeitete und ausdrucksstarke Totenmesse zum Andenken an die Opfer der revolutionären Bewegung in Deutschland fügte sich ebenfalls stimmig in das Programm ein. Dafür, dass die politische Haltung, die hinter diesem Benefizkonzert stand, sich mit der von Hiller deckte, spricht, dass er am 28. März 1848 an einer Versammlung als Diskussionsteilnehmer unter 300 bis 400 Bürgern teilnahm, um über die Beschickung des Volkstages in Frankfurt mit Vertretern aus Düsseldorf zu entscheiden.226 Wenn Robert Schumanns Tätigkeit als Dirigent des Allgemeinen Musikver221 Vgl. Egon Voss, III. Symphonie in Es-Dur, op. 55, »Sinfonia Eroica«. Analyse und Essay, in: Renate Ulm (Hg.), Die 9 Symphonien Beethovens. Entstehung, Deutung, Wirkung, Kassel 1994, S. 100–123, hier S. 114–115. 222 Vgl. Ferdinand Hiller, Musikalisches und Persönliches, Leipzig 1876, S. 5. 223 Vgl. Hiller, Musikalisches und Persönliches, S. 26f. 224 Vgl. ebd., S. 5. 225 Vgl. ebd., S. 5. 226 Vgl. Düsseldorfer Kreisblatt und Täglicher Anzeiger 88 (29. 3. 1848).
Repertoire des Musikvereins zwischen 1833 und 1853
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eins in der Forschungsliteratur thematisiert wird, dann geschieht dies oft mit Blick auf die von den Ausführenden als schwierig erlebte Probenarbeit, seine moderne Dirigierpraxis und die Konflikte mit dem heterogen besetzten Orchester. Auch seine Programmgestaltung führte zu Problemen, doch werden die Umstände meist so dargestellt, dass sich der Musikverein mit Schumanns Werkauswahl schwer tat und ab einem bestimmten Punkt nicht mehr bereit war zu kooperieren. Wortmann hingegen beschreibt in seiner Abhandlung Promemoria die Situation so, dass der Musikdirektor sich von Anfang an nicht in das »collegialische Verhältniß des Verwaltungs-Ausschusses«227 habe einfügen wollen. Zwar seien Schumanns Vorschläge fast immer widerspruchslos angenommen worden, doch habe dieser später ohne Rücksprache die Programme geändert, Künstler engagiert und auch sonst mitunter so gehandelt, »als ob es keinen Verwaltungs-Ausschuß gebe«228. Vor dem Hintergrund, dass Schumann der Angestellte des Allgemeinen Musikvereins war, darf es nicht überraschen, dass seine beschriebene Eigenmächtigkeit langfristig zu Konflikten führte. Dass die aus dieser Konstellation resultierenden Probleme im Prinzip von Anfang an bestanden, verdeutlicht eine Notiz in der Illustrierten Zeitung von 1850: »Der allgemeine Musikverein zu Düsseldorf erläßt auf den Antrag seines Musikdirectors R. Schumann einen Aufruf an jüngere Komponisten zur Einsendung von Tonwerken fürs Concert passend, z. B. Sinfonien, Ouveruren, kürzere Stücke für Chor und Orchester, um solche im nächsten Frühjahr in einem eigens zu diesem Zwecke bestimmten Concerte aufzuführen. Die Zusenden muß bis Ende dieses Jahres an den Verwaltungsausschuß des allgemeinen Musikvereins zu Düsseldorf erfolgen, und zwar frankirt, in Partitur und Orchesterstimmen mit vierfachen Quartett- und 25 Singstimmen.«229
Schumann war offenbar darum bemüht, bisher unbekannte zeitgenössische Werke in Düsseldorf zur Aufführung zu bringen, doch konnte er eine öffentliche Ausschreibung nur mit der Zustimmung des Verwaltungsausschusses durchführen. Darüber, aus welchem Grund das geplante Konzert im Frühjahr 1851 nicht zustande kam oder ob Schumann weitere Versuche dieser Art zur Gewinnung von neuem Repertoire unternahm, liegen keine Informationen vor. Laut Appel gehörte zu den Veränderungen in den Konzertprogrammen durch Schumann, dass er die beim Düsseldorfer Publikum beliebten italienischen Opernkomponisten nicht mehr aufführte und auch nur noch wenige Stücke von Haydn (Die Jahreszeiten und Die Schöpfung) und Mozart (z. B. die g-Moll-Sin-
227 Appel, Promemoria des Wilhelm Wortmann, S. 11. 228 Ebd. 229 Musik und Theater, in: Illustrirte Zeitung Bd. XV 386 (23. 11. 1850), S. 335.
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Von Mendelssohn bis Schumann – zwei prägende Jahrzehnte
fonie).230 Regelmäßig hingegen waren Werke von Bach, Händel, Gluck, Weber und Beethoven zu finden, außerdem Zeitgenössisches von Mendelssohn, Gade und Hiller, die zu seinem Freundeskreis gehörten, sowie seine eigenen Kompositionen.231 Dass mehr Klavierwerke, z. B. von Fr8d8ric Chopin, Steven Heller und Adolphe von Henselt, und auch Lieder aufgeführt wurden, war angesichts der Anwesenheit von Clara Schumann, die regelmäßig bei Konzerten als Pianistin in Erscheinung trat, naheliegend. Schumanns Entscheidung, am 13. März 1851 einen Konzertabend fast ausschließlich mit eigenen Werken zu bestreiten (lediglich eine Beethovensonate war darunter), wurde in der Presse als zu einseitig kritisiert,232 doch blieb diese Art der Programmgestaltung ein Einzelfall. Nach Hillers erster Aufführung von Bachs Matthäus-Passion führte Schumann die Tradition am 4. April 1852 fort und setzte ganz im Sinne der begonnenen Bach-Renaissance auch die Johannes-Passion erstmals in Düsseldorf aufs Programm (13. April 1851). Des Weiteren spielte er regelmäßig Werke von den Komponisten Mendelssohn, Rietz, Hiller und Norbert Burgmüller (z. B. Rhapsodie in h-Moll op. 13 am 21. Januar 1851), die vor ihm in Düsseldorf gewirkt hatten, was seine Vorgänger auch schon getan hatten. Die Aufführung der romantischen Ouvertüre zu Die Najaden (5. Februar 1852) des britischen Komponisten William Sterndale Bennett, mit dem Schumann befreundet war, traf offenbar in besonderer Weise den Geschmack des Düsseldorfer Publikums, denn in den folgenden Jahrzehnten wurde es immer wieder gespielt (beispielsweise 10. Januar 1856, 12. Januar 1860, 7. Februar 1867, 13. März 1873). Insgesamt mögen Schumanns Konzertprogramme etwas anspruchsvoller gewesen sein, als es die Düsseldorfer gewohnt waren, und relativ viele zeitgenössische Werke enthalten haben, aber sie können nicht als revolutionär neuartig beschrieben werden. Die italienischen Arien verschwanden nicht ganz (z. B. Arie aus Rossinis Der Barbier von Sevilla am 27. Januar 1853), von Mozart gab es außer der g-Moll-Sinfonie noch andere Werke (11. Januar 1851, 23. Januar 1851, 20. Februar 1851, 2. Februar 1852 u. a.) und allein schon mit Beethoven und den zuvor in Düsseldorf aktiven Vereinsdirigenten wurde viel Vertrautes geboten. Offenbar orientierte sich Schumann bei seiner Werkauswahl nicht zuletzt an den Komponisten, die ihn mit Blick auf seine eigenen Kompositionen beschäftigten und zu denen beispielsweise Bach, Beethoven und Schubert gehörten, jedoch nicht primär Mozart und Haydn. Schumanns Werkauswahl mag zu den Streitigkeiten mit den Vereinen beigetragen haben, doch allein hätte sie für das Zerwürfnis wohl keinen Anlass geboten. Die 1845 im Statut des Allgemeinen Musikvereins festgelegte Regelung, dass 230 Vgl. Appel, Schumann als Dirigent, S. 130. 231 Vgl. ebd. 232 Vgl. Kast, Schumanns rheinische Jahre, S. 29, und Meier, Robert Schumann, S. 143.
Repertoire des Musikvereins zwischen 1833 und 1853
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die Entscheidungskompetenz über die Programmgestaltung nicht mehr beim Musikdirektor des Vereins lag, sondern beim Vorstand, hat in der Praxis zunächst keinen erkennbaren Bruch herbeigeführt. Die unter Mendelssohn und Rietz begonnene Art der Programmgestaltung wurde unter Hiller fortgesetzt, und erst in der Zusammenarbeit mit Schumann kam es zu so großen Unstimmigkeiten über dessen Probenarbeit und sein eigenmächtiges Vorgehen, dass der Allgemeine Musikverein seine Rechte als Arbeitgeber durchsetzte. Nach dem Bruch mit dem prominenten Dirigenten bestand die Stadt auf einer anderen Form des Anstellungsverhältnisses für dessen Nachfolger, womit die Einflussmöglichkeiten des Allgemeinen Musikvereins wieder auf den Stand vor 1845 zurückgesetzt wurden.
7.
Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
7.1
Entwicklung der bürgerlichen Kultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fortschreitender Nationalismus
In die Phase, in der Julius Tausch den Düsseldorfer Gesangverein leitete, fällt die damals von vielen Menschen ersehnte Gründung des Deutschen Reiches 1871, die eine bereits in der Bevölkerung vorhandene nationalistische Haltung massiv vorantrieb. Parallel zu dieser Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geriet die bürgerliche Selbstorganisation in eine Krise. Das Bildungsbürgertum, das sich bisher seiner »Deutungshoheit und Meinungsführerschaft«1 innerhalb der Gesellschaft sicher gewesen war, fühlte sich von dem einkommensstärkeren und unternehmerisch denkenden Wirtschaftsbürgertum zunehmend in seiner Position bedroht. Hierzu trug das Aufkommen einer Massen- und Populärkultur ebenso bei wie der allmähliche Wandel des Ausbildungswesens an Schulen und Universitäten, das zunehmend neusprachlich und technisch-naturwissenschaftlich ausgerichtet wurde.2 Das humanistische Bildungsideal, das den Erwerb von Wissen noch in den Kontext der Selbstvervollkommnung des Menschen gesetzt hatte, drohte in den Augen der Bildungsbürger seine Bedeutung zu verlieren. Nachdem in Düsseldorf die revolutionären Bestrebungen von 1848/1849 verflogen waren, gewann zunehmend der wirtschaftliche Fortschritt an Bedeutung, wozu maßgeblich eine große Gewerbeausstellung 1852 beitrug, die mehrere Industrielle dazu veranlasste, sich in Düsseldorf anzusiedeln.3 Folglich wuchs die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten durch zugezogene Arbeiter deutlich an,4 was zu den auch in anderen Industriemetropolen herr1 2 3 4
Schäfer, Geschichte des Bürgertums, S. 171. Vgl. ebd., S. 171–175. Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 86. Insgesamt stieg die Anzahl der Einwohner zwischen 1850 und 1890 von 40.412 auf 144.642 an, vgl. Liste Einwohner 1703–2009, in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 776– 779, hier S. 776.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
schenden Missständen führte: finanzielle Ausbeutung der Fabrikarbeiter, Erkrankungen und Verletzungen durch schlechte Arbeitsbedingungen sowie prekäre Wohnverhältnisse. Die Auswirkungen des Deutsch-Österreichischen Krieges im Jahr 1866 waren in Düsseldorf kaum zu spüren. 1870 hingegen musste die Stadt erhebliche Summen für den Krieg gegen Frankreich aufbringen, 125 Bürger starben als Soldaten, 452 wurden Opfer eine Pockenepidemie und die wirtschaftlichen Schäden waren hoch.5 Mit dem Beginn des Deutschen Reiches hatte Düsseldorf seine Prägung als Handels- und Residenzstadt endgültig verloren.6 In der Zeit zwischen dem Tod August Burgmüllers 1824 und dem Eintreffen Felix Mendelssohn Bartholdys in Düsseldorf 1833 war das städtische Musikleben wenig attraktiv gewesen, da es weder einen geregelten Konzertbetrieb noch eine gut funktionierende Kirchenmusik gegeben hatte.7 Dennoch bezeichnet der Kölner Musikwissenschaftler Ernst Wolff Düsseldorf als den »musikalischen Mittelpunkt der Provinz … bis 1850«8, wofür er in erster Linie die dortige Gründung und die turnusmäßige Veranstaltung der Niederrheinischen Musikfeste als ausschlaggebend nennt. Auch andere Autoren kommen zu der Einschätzung, dass durch die Niederrheinischen Musikfeste und ab 1833 durch den Einfluss Mendelssohns und seine Nachfolger Rietz und Hiller Düsseldorf trotz des überwiegend von Laienmusikern getragenen Konzertbetriebs eine wichtige Rolle in der Musiklandschaft der Rheinprovinz spielte,9 wobei allerdings wie bei Wolff die neun Jahre, in denen Düsseldorf keinen Städtischen Musikdirektor hatte, ausgeblendet werden. Als Beispiel für ein zeitgenössisches Urteil sei hier ein Artikel aus der Allgemeinen Musikalischen Zeitung von 1838 zitiert; dort ist zu lesen, Rietz’ Konzerte stünden »bei weitem über Allem, was wir in Nachbarstädten und in ferneren zu hören Gelegenheit hatten … .«10 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ging diese Bedeutungszuschreibung allmählich verloren und auf Köln über,11 dessen kultureller Mittelpunkt lange Zeit die Baukunst gewesen war, doch das sich nun um Anschluss an die musikalischen Entwicklungen der Zeit bemühte und zahlreiche Musik-Gesellschaften und eine stärker ausgeprägte Pflege der Hausmusik vorzuweisen hatte, als dies in anderen Städten der Fall
5 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 120. 6 Vgl. Friedrich Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung in rheinischen Großstädten des 19. Jahrhunderts. Zu einem vernachlässigten Aspekt bürgerlicher Herrschaft, in: Gall, Stadt und Bürgertum, S. 97–169, hier S. 101. 7 Vgl. Kortländer, Musikalisches Leben, S. 40–58, hier S. 42. 8 Wolff, Das musikalische Leben, S. 341. 9 Vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 457f.; vgl. Kast, Schumanns rheinische Jahre, S. 9; Wolff, Das musikalische Leben, S. 364. 10 AmZ 20 (16. 5. 1838), Sp. 328. 11 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 341.
Der Musikverein in der Ära Julius Tausch (1855 bis 1890)
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war.12 Darüber hinaus hatte Köln die Bedeutung musikalischer Grundbildung in der Gesellschaft erkannt und Hiller die Aufgabe übertragen, die städtische Musikschule neu zu organisieren, was dieser mit großem Engagement und Erfolg tat.13 In der zeitgenössischen Presse wird die Schule mit ihren zahlreichen renommierten und kompetenten Lehrern ebenso lobend hervorgehoben wie das bürgerliche Engagement der vielen musikalischen Vereine.14 Auch der musikliterarische Einfluss durch die Kölnische Zeitung, die Autoren wie Ferdinand Hiller und Dr. Otto Neitzel beschäftigte, die Rheinische Musikzeitung unter Ludwig Bischoff und die Rheinische Musik- und Theaterzeitung unter Leitung von Gerhard Tischer trugen zur musikalischen Bedeutung der Stadt Köln bei.15 Vergleichbare Bemühungen lassen sich in der Düsseldorfer Presselandschaft nicht feststellen. Im Gegensatz zu der Entwicklung in Köln hatte in Düsseldorf die fortschreitende Industrialisierung in solchem Maße Priorität, dass um 1900 Kritik laut wurde, die Kulturpflege durch die Stadt sei nicht nur unzureichend betrieben worden, sondern die wirtschaftliche Entwicklung habe sogar die vorhandenen kulturellen Aktivitäten verkümmern lassen.16
7.2
Der Musikverein in der Ära Julius Tausch (1855 bis 1890)
In Relation zu der langen Wirkungszeit von Julius Tausch (1827–1895), der 1846 nach Düsseldorf kam, 1855 Städtischer Musikdirektor wurde und bis 1889 aktiv war,17 entsteht nicht zuletzt durch die spärliche Literatur über ihn der Eindruck, dass er in Düsseldorf eine eher unbedeutende Rolle gespielt hat, was die folgende Zitate veranschaulichen: »Mit ihm … ging die Musikpflege in guter Mittelmäßigkeit in die zweite Jahrhunderthälfte.«18 »Über die Ausführung und den Charakter dieser vielen Konzerte läßt sich bis 1890, als Julius Tausch das Amt des Städtischen Musikdirektors aufgab, wenig sagen, weil kaum Nachrichten über sie erhalten sind. Sie haben wohl keine größere Bedeutung gehabt.«19 Auch findet sich die Aussage, Tausch habe kein Image, ja keine Persönlichkeit gehabt, die der Stadt Impulse für ihr Musikleben hätten geben können.20 Angesichts der Tat12 Vgl. Sietz, Aus Hillers Briefwechsel, S. 82f. 13 Vgl. ebd. 14 Vgl. Die Musikzustände des Niederrheins (Fortsetzung), in: Neue Zeitschrift für Musik 14 (30. 3. 1855), S. 153f., hier S. 154. 15 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 383. 16 Vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 135. 17 Vgl. du Mont, Julius Tausch, S. 104. 18 Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 458. 19 Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 29. 20 Vgl. Julius Alf, Julius Buths, in: Klusen, Studien zur Musikgeschichte, S. 38–45, hier S. 38.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
sache, dass Tausch als ein geschätzter Pianist und Dirigent galt,21 fallen diese Einschätzungen recht harsch aus. Die lange Phase seiner Tätigkeit in Düsseldorf ist jedoch unter den Aspekten Vereinsgeschichte und Kulturpolitik von großem Interesse. In dem Dokument Betr. das Verhältnis des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf (2. Dezember 1853)22 hatte Oberbürgermeister Hammers schon angekündigt, dass die Stadt nach Robert Schumanns Kündigung einem neuen Musikdirektor für die Musikvereine nicht ablehnend gegenüberstand. Dieser sollte jedoch wie zuletzt Julius Rietz von der Stadt fest angestellt werden, damit die städtische Verwaltung im Falle eines erneuten Streits über den Anstellungsstatus ein klares Mitspracherecht hätte.23 Erstmals wurde nun die Stelle des Städtischen Musikdirektors öffentlich ausgeschrieben; Burgmüller hatte sich seinerzeit initiativ beworben und die Kontakte zu Mendelssohn, Rietz, Hiller und Schumann waren von den Bürgern der Stadt vermittelt worden. Nun sollte bei der Auswahl eines Kandidaten darauf geachtet werden, dass das Verfahren trotz des Mitspracherechtes der beiden Musikvereine demokratisch und transparent ablief.24 Die Ausschreibung erschien 1855 u. a. in der Niederrheinischen Musikzeitung und versprach den Bewerbern 500 Taler Jahresgehalt plus Zusatzeinnahmen von ca. 200 Talern.25 Obwohl mit dem Inserat in überregionalen Zeitungen offensichtlich auch Interessenten von Außerhalb angesprochen werden sollten, fiel die Wahl unter den 64 größtenteils externen Bewerbern zuletzt auf Julius Tausch, der schon seit 1850 die Vorproben von Robert Schumanns Konzerten mit dem Allgemeinen Musikverein und seit 1854 auch die des Gesangvereins für gemischten Chor geleitet hatte.26 Neben anderen Tätigkeiten in Düsseldorf hatte er 1847 die von Rietz gegründete Künstlerliedertafel übernommen und war von 1849 bis 1851 der Chordirigent des Städtischen Männer-Gesang-Vereins gewesen, deren ständiger Dirigent er später erneut wurde (1872–1889).27 1855 war Tausch also offensichtlich im kunstliebenden Bürgertum der Stadt gut vernetzt. Als er sich um die Nachfolge Robert Schumanns bewarb, verfasste zwar der Allgemeine Musikverein ein Gutachten gegen ihn, doch offenbar setzten Unterstützer –
21 Vgl. du Mont, Julius Tausch, S. 105. 22 Vgl. Aktennotiz von Oberbürgermeister Hammers »Betr. das Verhältnis des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf«, 2. 12. 1853, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 101a–107b. 23 Vgl. hierzu S. 145. 24 Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 12 (24. 3. 1855); vgl. S. 96; Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 15 (14. 4. 1855), S. 114. 25 Vgl. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 12 (24. 3. 1855), S. 96. 26 Vgl. Du Mont, Julius Tausch, S. 104. 27 Vgl. ebd.
Der Musikverein in der Ära Julius Tausch (1855 bis 1890)
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konkret Mitglieder des Gesangvereins,28 des Männergesangvereins und der Liedertafel29 – es durch, dass Tausch vom Gemeinderat gewählt wurde. Die Wunschkandidaten des Allgemeinen Musikvereins unter den 64 Bewerbern waren Julius Stern aus Berlin, Carl Martin Reinthaler aus Köln und Carl Reinecke aus Barmen gewesen, während ein Komitee für Theater- und Musikangelegenheiten, bestehend aus Mitgliedern des Gemeinderates und einigen Bürgern, neben Reinthaler und Frank [sic!, Eduard Franck] aus Köln sowie Dr. H. [Dr. Rudolf Hasenclever] aus Düsseldorf, favorisiert hatten.30 Die spätere Behauptung, die als Entschuldigung für die schlechter werdenden Leistungen des Gesangvereins vorgebracht wurde, »es sei nun einmal kein besserer Dirigent für uns zu gewinnen gewesen«31, entsprach also nicht den Tatsachen.32 Der Sachverhalt demonstriert, dass trotz enger Zusammenarbeit und gleicher ideeller Ziele die ausführenden Chorsänger und der Dachverein nun, als es um die Durchsetzung personeller Entscheidungen ging, unterschiedliche Wünsche hatten und darum als Gegner auftraten. Die Entscheidung für Tausch polarisierte und wurde zu einem Politikum zwischen dem Gemeinderat und einflussreichen Bürgern der Stadt, das viele Jahre seiner Wirkungszeit überschattete. Die Aufgaben, die Tausch in seiner Eigenschaft als Städtischem Musikdirektor übertragen wurden, umfassten die Leitung der Kirchenmusik, die Aufsicht über den Gesangsunterricht an städtischen Elementarschulen und die Direktion bei allen Festlichkeiten der Stadt, insbesondere bei den Niederrheinischen Musikfesten, an denen er insgesamt zehnmal beteiligt war, wobei mehrfach auch seine Werke erklangen.33 Die Bilanz von Tauschs Amtszeit war wenig schmeichelhaft: Insgesamt ging die Anzahl von Konzertbesuchern kontinuierlich zurück und die Qualität der Aufführungen galt als schlecht.34 Die Einschätzung nicht weniger Autoren lässt sich wie folgt zusammenfassen: Nach 28 Vgl. ebd., S. 105; Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 20 (15. 5. 1858), S. 159. 29 Vgl. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 28 (14. 7. 1855), S. 223. 30 Vgl. ebd., S. 222. 31 Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 20 (15. 5. 1858), S. 159. 32 Die Biografie der von der Stadt bevorzugten Kandidaten lässt erkennen, dass diese hinsichtlich ihrer Kompetenzen durchaus mit Tausch konkurrieren konnten: Julius Stern (1820– 1883), Dirigent und Musikpädagoge, Gründer 1850 des Stern’schen Konservatoriums der Musik in Berlin; Carl Martin Reinthaler (1822–1896), Komponist und Dirigent, 1850 Dozent am Kölner Konservatorium, später in Bremen Domorganist und Leiter des Domchores; Carl Reinecke (1824–1910), Komponist, Pianist und Dirigent, ab 1860 in Leipzig Leiter des Gewandhausorchesters und Lehrer am Konservatorium; Eduard Franck (1817–1893), Komponist und Pianist, ab 1851 Lehrer am Konservatorium in Köln und Dirigent bei GürzenichKonzerten, ab 1867 Lehrer am Stern’schen Konservatorium in Berlin. 33 Vgl. Du Mont, Julius Tausch, S. 104. 34 Vgl. hierzu S. 162, Fußnote 36, 37.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
Schumann Kündigung lag der Düsseldorfer Musikbetrieb im Argen und Tausch gelang es nicht, eine Verbesserung herbeizuführen.35 War die Erleichterung, dass dieser nach Schumanns Kündigung nahtlos die kommissarische Vertretung übernommen hatte, in der Stadt zunächst groß gewesen, so wurde Tausch schon kurze Zeit später wegen der schlechten Arbeitsergebnisse des Gesangvereins und des von ihm 1856 gegründeten Instrumentalvereins heftig kritisiert, wobei sich insbesondere die Niederrheinische Musik-Zeitung hervortat: »Zufrieden, wenn nur nothdürftig die Noten herauskommen, gewähren die beiden Vereine dem, der es ernst mit der Tonkunst meint, keine Befriedigung, sondern nur jenem, der sich durch Mitwirkung im Chor oder Orchester einen Abend in der Woche zu erheitern sucht, abgesehen davon, ob dadurch die Kunst gefördert werde oder nicht.«36
Die unbefriedigenden Leistungen seien im Vergleich mit umliegenden Städten wie Elberfeld, Barmen, Krefeld, Bonn und vor allem Köln noch offensichtlicher zutage getreten.37 Die Hauptschuld für dieses Versagen wurde Tausch angelastet, dem es angeblich nicht gelang, die arbeitsscheuen Laienmusiker anzutreiben und zu motivieren, weshalb der Niedergang des städtischen Musiklebens, der unter Schumann begonnen hatte, weiterging.38 Während die ausführenden Vereine trotz aller Kritik an Tausch festhielten, bemühte sich der Allgemeine Musikverein darum, einen neuen Städtischen Musikdirektor zu finden, der zum einen das musikalische Niveau heben und zum anderen durch einen prominenten Namen wieder Renommee nach Düsseldorf bringen sollte.
7.3
Julius Tausch als Städtischer Musikdirektor und Vereinsdirigent
Häufig wird Tausch in der Forschungsliteratur bis zum Ende seiner Tätigkeit 1889 als Städtischer Musikdirektor bezeichnet, was jedoch nicht für den gesamten Zeitraum zutrifft. Lediglich eine Quelle weist auf diesen Umstand hin: »Im Jahre 1861 erlitt diese Form [der städtischen Anstellung] nochmals eine Aenderung und Tausch fungierte von da ab nur als Dirigent des Allgemeinen Musikvereins und des Gesangvereins.«39 Von 185540 bis 1860 bekam er laut dem 35 36 37 38 39 40
Vgl. Du Mont, Julius Tausch, S. 105; vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 238. Vgl. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 12 (20. 3. 1858), S. 94. Vgl. ebd., S. 95. Vgl. Most, Geschichte Düsseldorf, S. 238. Buths, Die Tonkunst in Düsseldorf, S. 48. Vgl. Verwaltungs-Bericht für das Jahr 1856 und Etat der Stadt Düsseldorf für das Jahr 1857, Düsseldorf 1856, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 11.
Julius Tausch als Städtischer Musikdirektor und Vereinsdirigent
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städtischen Verwaltungsbericht 500 Taler als »Gehalt des städtischen Musikdirectors«41, für das Folgejahr war die Fortsetzung dieses Vorgangs geplant, doch 1861 wurde statt dessen ein »Zuschuß an den allgemeinen städtischen Musikverein« gezahlt.42 Da Tausch nach wie vor bei städtischen Konzerten und den Niederrheinischen Musikfesten in Erscheinung trat und auch weiterhin sein Gehalt bekam, nur eben auf anderem Wege, wurde diese Veränderung seines Status’ in der Öffentlichkeit offenbar nicht weiter bemerkt oder jedenfalls nicht näher thematisiert, was erklären würde, warum diese Tatsache in der Aufarbeitung von Tauschs Wirkungszeit in Düsseldorf meist übersehen wird. Dass das Anstellungsverhältnis nicht fortgesetzt wurde, war die Entscheidung von Oberbürgermeister Ludwig Hammers gewesen. Am 2. Oktober 1861 lief Tauschs Vertrag aus, woraufhin der Allgemeine Musikverein Hammers um die Verlängerung bat. Dieser lehnte das Gesuch postwendend ab und wies auch sofort die Stadtkasse an, ab sofort die 500 Taler als Zuschuss an den Verein zu zahlen.43 Am gleichen Tag wurde »in geheimer Sitzung […] folgendes verhandelt«44 : Der Plan des Komitees der Stadtverordnetenversammlung war, für die aktuell frei gewordene Stelle des Städtischen Musikdirektors demnächst einen Nachfolger zu suchen. Einige Redner schlugen vor, Tausch noch bis Ende 1861 oder sogar noch während des nächsten Jahres im Amt zu lassen, doch Hammers gestattete dies nicht: »Er [Tausch] sei nicht in der Lage, für die jetzt vakant gewordene Musikdirektorstelle eine Proposition zu machen …«45. Bei der Abstimmung kam es zu einem Gleichstand von neun gegen neun Stimmen; die Entscheidung gegen Tausch führte Hammers mit seiner eigenen Stimme herbei. Ob es nur die in der Öffentlichkeit als mangelhaft wahrgenommenen Leistungen Tauschs waren oder ob darüber hinaus noch andere Gründe vorlagen, die Hammers zu diesem Schritt bewogen, lässt sich nicht feststellen. Für Tausch jedenfalls bedeutete das Ende seiner Anstellung den Verlust finanzieller Sicherheit, denn die Fördergelder für den Musikverein konnte die Stadt jederzeit streichen. Im folgenden Jahr endete zudem seine Tätigkeit als Kapellmeister des Theaters, die er unter Direktor Greiner ausgeübt hatte.46 Dessen Nachfolger 41 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für das Jahr 1860, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 26. 42 Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für das Jahr 1861, Düsseldorf 1862, Düsseldorf 1862, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 20. 43 Vgl. Anweisung Oberbürgermeister, 4. 10. 1861, StAD Düsseldorf, 0-1-2-607.0000, S. 237. 44 Ratsprotokoll 4. 10. 1861, StAD Düsseldorf, Ratsprotokolle 7-1-11-15 (1854–1865), S. 108b. 45 Ebd. 46 Vgl. L. Schneider (Hg.), Deutscher Bühnen-Almanach, herausgegeben für die »Perseverantia«, Alter-Versorgungs-Anstalt für Deutsche Theater-Mitglieder von L. Schneider, 24.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
brachte 1862 sein eigenes Personal mit nach Düsseldorf,47 so dass Tausch nicht mehr beschäftigt wurde. 1862 endete darüber hinaus die Zusammenarbeit des Düsseldorfer Gesangvereins mit der Maxkirche.48 Für den Verein fiel damit eine über vierzig Jahre lang ausgeübte Funktion innerhalb des Düsseldorfer Kulturlebens weg, was zugleich bedeutete, dass für Tausch die Chance, die verlorene städtische Position zurückzugewinnen, schwand. Die sinkenden Besucherzahlen unter seiner Leitung wurden 1867 anhand der Finanzen sichtbar, denn in diesem Jahr machte der Allgemeine Musikverein mit seinen Konzerten erstmals Verluste statt Gewinne.49 Daher war Tausch gezwungen, sich auch nach anderen Aufgaben umzusehen und wurde 1872 erneut Chordirigent des Städtischen Männer-Gesang-Vereins.50 Die fehlende finanzielle Sicherheit der städtischen Anstellung ersetzte für ihn die bürgerliche Vereinskultur.
7.4
Der Fall Brahms
Die Bemühungen, im Jahr 1874 Johannes Brahms als Städtischen Musikdirektor für Düsseldorf zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. Die Initiative für die Anwerbung ging von zwei Düsseldorfer Politikern aus, die zugleich Musikliebhaber waren: Regierungsrat Dr. Steinmetz, ein Freund von Clara Schumann51 und Joseph Joachim,52 und Regierungspräsident Justitiar Karl Bitter, ein staatlicher Verwaltungsbeamter. Bitter vertrat die Ansicht, Tausch erbringe nur mittelmäßige Leistungen,53 weshalb eine höher qualifizierte Kraft in Düsseldorf gebraucht werde.54 Als konkreten Anlass führte er das bevorstehende Niederrheinische Musikfest an, das 1875 in Düsseldorf unter Leitung von Joseph Joachim stattfinden sollte und für das ein kompetenter Musikdirektor äußerst wünschenswert sei. Auch verfolgte Bitter laut eigener Aussage 1874 den Plan,
47 48 49
50 51 52 53 54
Jahrgang, Berlin 1860, S. 153; vgl. A. Heinrich (Hg.), A. Heinrich’s deutscher Bühnen-Almanach, 25. Jahrgang, Berlin 1861, Verzeichnis S. 77. Vgl. A. Heinrich (Hg.), A. Heinrich’s deutscher Bühnen-Almanach, 26. Jahrgang, Berlin 1862, Verzeichnis S. 77; seit 1862 wird als Kapellmeister des Theaters ein Herr Pluge genannt. Vgl. Sauer, Kirchenmusik hl. Maximilian, S. 282. Vgl. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für das Jahr 1867, Düsseldorf 1868, Düsseldorf 1868, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 14. Vgl. Du Mont, Julius Tausch, S. 104. Vgl. Max Kalbeck, Johannes Brahms. Eine Biographie in vier Bänden, Bd. 3, 1. Halbband (1874–1881), Hamburg 2013, S. 136. Vgl. Düsseldorfer Volksblatt 48 (20. 2. 1877). Vgl. Kalbeck, Brahms, S. 135. Vgl. Brief Regierungsrat Steinmetz an den königlichen Präsidenten der Rheinprovinz von Bardeleben, 8. 12. 1874, GStA PK, I Rep 76 Ve, Sekt. 14, Abt. II, Nr. 3, Bd. 1, S. 65a–66a, S. 65a.
Der Fall Brahms
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eine Musikschule in Düsseldorf zu gründen, um dem zunehmenden Verfall der hiesigen musikalischen Zustände entgegenzuwirken.55 In einem Brief vom 4. Oktober 1876 schrieb er an Brahms, »alle intelligenten Kreise«56 Düsseldorfs wünschten unbedingt seine Anstellung. Für das Jahresgehalt von 4.500 Mark habe die Stadt bereits die Hälfte der Summe zugesagt, während die andere Hälfte, die aus der Staatskasse kommen solle, noch ausstehe. Zu Brahms Aufgaben würde die Leitung des Allgemeinen Musikvereins, der die Mittel für die Abonnementskonzerte beschaffte, sowie die des ausführenden Musik-GesangVereins gehören, dem zurzeit noch Julius Tausch vorstehe. Darin sah Bitter jedoch kein Problem: »Sollte der Rücktritt des Herrn Tausch von der Leitung des bezeichneten Gesang=Vereins Schwierigkeiten finden (:es bestehen außer diesem hier noch zwei andere Vereine … [:)] dann ist die Direction des Allgemeinen Musik=Vereins entschlossen, für Ihre specielle Leitung einen besonderen Gesang=Verein neu zu gründen, welcher den Kern und Schwerpunkt für die Abonnements=Concerte bilden würde, bei denen übrigens auch die Mitglieder der anderen genannten Vereine mitwirken. Niemand bezweifelt, daß die Gründung eines derartigen neuen Vereins unter Ihrer Leitung von allen Seiten mit derselben Freude begrüßt werden würde, mit welcher man Sie an die Spitze des jetzt von Herrn Tausch geleiteten Vereins treten sehen würde … .«57
Brahms, der eine feste Stelle gerne angenommen hätte,58 war zunächst keineswegs abgeneigt, doch zwei Punkte gaben schließlich den Ausschlag für seine Absage: An der Leitung einer Musikschule hatte er kein Interesse und außerdem war er nicht bereit, einen Kollegen aus seinem Amt verdrängen59 – zum einen, weil er Intrigen von dessen Anhängern fürchtete60 und zum anderen, weil er es schlichtweg als »gemein« und »nicht reinlich«61 empfand. Das Schreiben von Bitter verrät, bis zu welchem Punkt der Konflikt zwischen dem Gesangverein und dem Allgemeinen Musikverein inzwischen eskaliert war : Offenbar war der Dachverein dazu bereit, im Zweifelsfall Tausch zum Rücktritt zu nötigen oder, falls dies nicht gelingen sollte, den deutlich länger bestehenden Gesangverein, mit dem er darüber hinaus vertraglich verbunden war, aus seiner Rolle im städtischen Kulturleben zu verdrängen. Das avisierte Gehalt, das deutlich höher ausgefallen wäre wie das für Tausch, hatte Bitter zunächst ver55 Vgl. ebd., S. 65b. 56 Abschrift Brief Regierungspräsident Bitter an Johannes Brahms, 4. 10. 1876, GStA PK, I Rep 76 Ve, Sekt. 14, Abt. II, Nr. 3, Bd. 1, S. 116a–117b, S. 116a. 57 Vgl. ebd., S. 116b–117a. 58 Vgl. Kalbeck, Brahms, S. 134. 59 Vgl. ebd., S. 141, 142. 60 Vgl. ebd., S. 138. 61 Abschrift Brief Johannes Brahms an Regierungspräsident Bitter, Januar 1877, GStA PK, I Rep 76 Ve, Sekt. 14, Abt. II, Nr. 3, Bd. 1, S. 142a–142b.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
sucht, aus den Mitteln des bergischen Schulfonds zu bekommen,62 worauf er jedoch die Antwort erhielt, die Stadt bekomme bereits große Summen für Bildungsaufgaben und im Übrigen sei der bergische Schulfond nicht für die Bezahlung des Musikdirektors da – oder wenn, dann müsse zumindest eine Musikschule eingerichtet werden, die der Musikdirektor leite.63 Mit der Gründung einer Musikschule verfolgte Bitter, wie die Korrespondenz nahelegt, wohl nicht primär das Ziel, die musikalische Bildung der Bevölkerung zu verbessern, sondern Gelder für Brahms’ Gehalt zu beschaffen. Der Gesangverein jedoch, der kollektiv gegen dessen Anstellung war und sich energisch dafür einsetzte, seinen Dirigenten zu behalten, verteilte sogar Flugblätter, um Tausch zu unterstützen.64 Brahms’ Absage traf Düsseldorf besonders hart, da seine Anstellung schon fest eingeplant gewesen war, wie sich aus dem Verwaltungsbericht der Stadt entnehmen lässt. 1876 musste der Allgemeine Musikverein seine Abonnementskonzerte einstellen, da die Kosten nicht mehr gedeckt werden konnten. Der Zuschuss in Höhe von 1.500 Mark war für die Besoldung des neuen Musikdirektors in 1877 eingeplant worden, wozu es jedoch nicht kam, wie aus dem Bericht hervorgeht: »Für die Stelle war bereits eine bestimmte Persönlichkeit in Aussicht genommen. Die Verhandlungen haben sich inzwischen wieder zerschlagen.«65 Die massiven innerstädtischen Spannungen, die in der Presse thematisiert wurden und Brahms darum nicht verborgen bleiben konnten, machten es erst recht unmöglich, ihn noch umzustimmen. Selbst nachdem das Projekt der Musikschule verworfen worden war und ihm avisiert wurde, der Zuschuss zum städtischen Gehalt käme vom Kaiser persönlich, aber nur unter der Voraussetzung, dass Brahms und kein anderer nach Düsseldorf käme, hielt dieser an seinem Entschluss fest.66 Das Verhältnis zwischen den musikalischen Vereinen war nach diesem Ereignis so zerrüttet, dass es 1877 zur Trennung kam: Am 19. März veröffentlichte der Gesangverein ein gedrucktes Schreiben, laut dem die Verbindung gelöst worden sei, nachdem sich die Direktion des Allgemeinen Musikvereins den
62 Vgl. Abschrift Brief Regierungspräsident Bitter an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Bardeleben, 8. 10. 1876, GStA PK, I Rep 76 Ve, Sekt. 14, Abt. II, Nr. 3, Bd. 1, S. 118a–119b, S. 118b. 63 Vgl. Abschrift Brief Oberpräsident der Rheinprovinz von Bardeleben an Regierungspräsident Bitter, 2. 11. 1876, GStA PK, I Rep 76 Ve, Sekt. 14, Abt. II, Nr. 3, Bd. 1, S. 120a–125b. 64 Vgl. Kalbeck, Brahms, S. 139. 65 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum 1. Januar 1876 bis 31. März 1877, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 47. 66 Vgl. Kalbeck, Brahms, S. 144.
Der Fall Brahms
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Bestrebungen zur »Beseitigung unseres langjährigen, verdienten Dirigenten«67 Tausch angeschlossen hatte, in dessen Kompetenzen der Gesangverein nach wie vor vollkommenes Vertrauen setzte. Da ab sofort die Konzerte ohne den ehemaligen Dachverein stattfinden sollten und ab April 1877 fünf bis sechs Konzerte geplant waren, warb der Verein nun für den Beitritt inaktiver Mitglieder. Ziel war es, sich aus der Abhängigkeit von dem Dachverein zu befreien, indem nicht musizierenden Mitgliedern im Gegenzug für ihren regelmäßigen Jahresbeitrag, der für den Verein finanzielle Planungssicherheit mit sich brachte, Vorzüge geboten wurden (kostenfreier Eintritt zu den Konzerten, Besuch der Hauptproben, Ermäßigung für Familienangehörige etc.). Inaktive Mitglieder stellen also im Prinzip eine Vorform des heutigen Abonnenten dar.68 Der Streit zwischen den Vereinen und ihre Trennung voneinander, für die als Grund der Konflikt um Tausch genannt wurde, hatten offenbar in der Stadtpolitik solchen Unmut erzeugt, dass die Stadtverordnetenversammlung ab 1877 die Unterstützung für den Allgemeinen Musikverein in Höhe von jährlich 1.500 Mark ersatzlos strich. Geplant war, dass der Zuschuss so lange verwehrt bleiben sollte, bis die Stelle des Städtischen Musikdirektors erneut besetzt sein würde.69 Drei Jahre später kamen beide Vereine zu dem Schluss, dass es an der Zeit sei, ihren langjährigen Konflikt beizulegen. Am 15. Oktober 1880 schlossen sich der Allgemeine Musikverein und der Gesang-Musik-Verein offiziell zum ›MusikVerein‹ zusammen.70 Das »merkwürdige Zweierlei« des Allgemeinen Musikvereins und des Gesang-Musikvereins war, wie Joseph Neyses es später formulierte, »Gott sei Dank verschwunden«71. Alle Mitglieder bekamen die gleichen Rechte und zahlten den gleichen Beitrag. Ziel dieses Vorgehens war es, »solche Bestimmungen zu treffen, welche geeignet erschienen ein dauerndes, harmonisches Zusammenwirken der activen (den Concertchor bildenden) und der inactiven Vereinsmitglieder und damit eine gedeihliche Entwicklung des Vereins zu begründen und zu sichern.«72 Julius Tausch leitete die Gesangsübungen und Aufführungen. In einem Brief des stellvertretenden Oberbürgermeisters vom 28. Januar
67 Dokument ›Düsseldorfer Gesang-Musik-Verein unter Leitung von Julius Tausch‹, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 405, 69, ohne Paginierung. 68 Vgl. Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 78, 163. 69 Vgl. Brief an den Allgemeinen Musikverein im Namen des Oberbürgermeisters vom 24. 3. 1877, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 405, 69, ohne Paginierung. 70 Dokument ›Musik-Verein in Düsseldorf‹, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 405, 69, ohne Paginierung. 71 Joseph Neyses, Robert Schumann als Musikdirektor in Düsseldorf, in: Walter Cohen/Gustav Lomnitz (Hg.), Der Düsseldorfer Almanach, Düsseldorf 1927, S. 71–84, hier S. 73. 72 Dokument ›Musik-Verein in Düsseldorf‹, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 405, 69, ohne Paginierung.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
188173 wurde Bezug auf ein Schreiben des Musikvereins vom 22. November 1880 genommen, bei dem es sich um ein grafisch aufwendig gestaltetes Gesuch »aus musikalischen Kreisen«74 handelte, Julius Tausch anlässlich seines 25-jährigen Wirkens in Düsseldorf erneut als Städtischen Musikdirektor anzustellen.
Abb. 2: Kalligrafisches Gesuch des Gesangvereins um die Wiederanstellung von Julius Tausch als Städtischer Musikdirektor75
73 Vgl. Brief stellvertretender Oberbürgermeister 28. 1. 1881, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 405, 69, ohne Paginierung. 74 Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1889/90, S. 79. 75 Vgl. Gesuch des Musikvereins vom 22. 11. 1880, StAD Düsseldorf, 0-1-2-608.0000, ohne Paginierung.
Konflikte und Intrigen
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Zwar wurde der Antrag am 28. Januar 1881 abgelehnt, doch die Stadtverordnetenversammlung bewilligte dem Musikverein wieder den jährlichen Zuschuss von 1.500 Mark »zur Unterstützung des musikalischen Lebens«76. Die Jahre, in denen die Vereinsmitglieder ohne finanzielle Hilfe durch die Stadt hatten auskommen müssen, waren vorüber, obwohl noch kein neuer Städtischer Musikdirektor gefunden war. Erst nachdem Tausch im Jahr 1889 aus Altersgründen von seinen Ämtern zurückgetreten war, wurde beschlossen, die Stelle neu auszuschreiben. Der Musikverein setzte durch, dass der Zuschuss von 1.500 Mark durch die Stadt weiterhin gezahlt wurde, um damit das Ruhegehalt von Tausch zu finanzieren. Für den neuen Städtischen Musikdirektor wurde ein Jahresgehalt von 6.000 Mark eingeplant.77
7.5
Konflikte und Intrigen
Die lange Wirkungszeit von Julius Tausch wurde von heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und den musikalischen Vereinen begleitet, die negativen Einfluss auf die Außenwirkung des Düsseldorfer Kulturlebens hatten. Die eine der dabei relevanten Positionen vertraten die Laienmusiker der ausführenden Vereine, welche ihren Dirigenten schätzen und ihn einem neuen, prominenteren, möglicherweise aber auch kompetenteren Musikdirektor vorzogen. Die schlechten Arbeitsergebnisse, die Tauschs Unfähigkeit zugeschrieben wurden, waren über mehrere Jahre Gegenstand der Presseberichterstattung, insbesondere in der Niederrheinischen Musik-Zeitung.78 Die andere Position vertrat ein Teil der Düsseldorfer Bürger, die primär in dem organisatorisch tätigen Allgemeinen Musikverein versammelt waren und weniger von echter Musikalität angetrieben wurden als vielmehr von »Geltungsdrang«79, den sie u. a. durch die Anstellung eines prominenten Musikdirektors zu befriedigen versuchten. Ihre Zielsetzung äußerte sich darüber hinaus in der Konzertplanung, über die der Allgemeine Musikverein entschied, da er aufgrund der Personenverteilung im Ausschuss den Gesangverein und den Musikdirektor jederzeit
76 Brief im Namen des Oberbürgermeisters an den Vorstand des Musikvereins vom 28. 1. 1887, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 405, 69, ohne Paginierung; vgl. auch Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1889/90, S. 79. 77 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1889/90, S. 79. 78 Vgl. z. B. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 14 (5. 4. 1856), S. 108–111; Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 20 (16. 5. 1857), S. 154–157; Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 12 (20. 3. 1858), S. 93–95. 79 Darius, Musik Elementarschulen, S. 31.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
überstimmen konnte.80 Darius, der sich bei seinen Ausführungen u. a. auf Darstellungen in der Niederrheinischen Musikzeitung stützt, kommt zu der Einschätzung, dass der Ausschuss Programme »von rein klassischer Richtung«81 wählte und offenbar Vorstellungen hatte, die »weitgehend vom Stich ins Hohe bestimmt«82 waren. Die Laienmusiker des Chores und des Orchesters waren mit den gewählten Werken überfordert, was jedoch auch daran lag, dass viele von ihnen nicht bereit waren, an der Verbesserung ihrer musikalischen Fähigkeiten zu arbeiten,83 da sie nur mit Blick auf Prestige und Kontakte im Verein mitwirkten. Schließlich waren die Bedeutung und der Einfluss des Gesangvereins auf das kulturelle Leben der Stadt Düsseldorf groß. Zu seinen Mitgliedern gehörten hohe Vertreter von Rat und Verwaltung, viele Studenten der Malerakademie und auch diverse musikbeflissene Bürger.84 Zwar hatte Tausch laut Vertrag mit der Stadt und dem Allgemeinen Musikverein keine Handhabe, weder bei dem Vorstand noch den Musikern Forderungen durchzusetzen, aber dennoch interpretiert Darius sein Verhalten als Einknicken gegenüber den einflussreichen Bürgern der Stadt und schlichtweg auch als Bequemlichkeit. Tausch hätte seine Autorität als Dirigent nutzen müssen, um künstlerische Interessen durchzusetzen und Konzerte auf hohem Niveau einzustudieren. Insbesondere im Vergleich mit seinem Nachfolger Buths habe er schlechte Leistungen erbracht.85 Dieser Konflikt verdeutlicht exemplarisch eine generell problematische Haltung, welche die Düsseldorfer zu dieser Zeit mit ihrer Einstellung zur Kunst an den Tag legten. Die Stadt hatte durch den Aufschwung von Handel und Industrie enorm profitiert, doch die teilweise sehr vermögenden Bürger zeigten nur wenig Bereitschaft, die Kultur finanziell zu unterstützen,86 was sich auch am Verhalten des Düsseldorfer Publikums ablesen ließ. Dieses sei dafür bekannt gewesen, Konzerte primär zu Repräsentationszwecken zu besuchen. Insbesondere die Angewohnheit, bei der letzten Nummer des Programms nicht den Applaus abzuwarten, sondern zur Garderobe zu eilen (sogenannte Garderobennummern), sei in Düsseldorf stärker ausgeprägt gewesen als in anderen Städten.87 80 Vgl. Statut Allgemeiner Musikverein, 5. 10. 1845, StAD Düsseldorf, 0-1-2-611.0000, ohne Paginierung. 81 Darius, Musik Elementarschulen, S. 32. 82 Darius, ebd., S. 34. 83 Vgl. ebd., S. 39. 84 Vgl. ebd., S. 38. 85 Vgl. ebd., S. 37. 86 Vgl. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 2 (12. 1. 1861), S. 15; vgl. auch Darius, Musik Elementarschulen, S. 40. 87 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 41; auch in der Presse wird dieses Verhalten bisweilen kritisiert, vgl. beispielsweise in Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde
Konflikte und Intrigen
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Der Versuch, Johannes Brahms nach Düsseldorf zu holen, hatte in der Presse regional und überregional ein negatives Echo ausgelöst. Die Westfälische Provinzialzeitung schrieb: »Das Einzige was man erreicht hat, ist, daß man in einer Kunststadt einem echten, bewährten Künstler und Musiker den Stuhl vor die Thüre zu setzen versucht hat. Um diesen Ruhm wird keine Stadt Düsseldorf beneiden.«88 Und ein im Düsseldorfer Volksblatt abgedruckter Artikel aus einer Berliner Zeitung sieht die Schuld bei dem Allgemeinen Musikverein, der sich in dem alten »Schlendrian« bewege und in fataler Weise mit der »Local besitzenden« Tonhallengesellschaft und der Stadt verquickt sei.89 Das Bemühen um Brahms stellt Darius als symptomatisch für die Entwicklung des Vereinswesens in Düsseldorf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar : Der Allgemeine Musikverein und der Gesangverein, aber auch andere musikalische Vereine, deren Grundlagenarbeit zum Aufbau des gehobenen Musiklebens von entscheidender Bedeutung gewesen sei, hätten sich im Laufe der Zeit »zu einer Art privilegierter Institution« verfestigt, »die in ihrem Selbstbehauptungswillen jeder Änderung der Verhältnisse widerstrebt.«90 Geblieben seien nur eitle Selbstdarstellung und Verteidigung vermeintlich wohlerworbener Rechte.91 Oberbürgermeister Hammers habe zwar durchaus bemerkt, »dass in unseren musikalischen Verhältnissen eine große Zersplitterung« bestand und die preußische Regierung wissen lassen: »An Vereinen fehle es nicht, aber nur eine Vereinigung derselben oder vielmehr der besseren Kräfte derselben könnte der sonstigen künstlerischen Bedeutung unserer Stadt würdige musikalische Zustände hoffen lassen.«92 Der Einfluss der musikalischen Vereine in der Stadt aber habe Hammers davon abgehalten, sein Ziel durchzusetzen, gegen deren Willen wieder einen Musikdirektor einzustellen. In den Streitigkeiten um Brahms ist ein bereits bekanntes Muster zu erkennen: Die Aussicht darauf, einen renommierten Komponisten nach Düsseldorf zu holen, war für den Allgemeinen Musikverein bzw. vor seiner Gründung für den Verein zur Beförderung der Tonkunst und den Musikverein Grund genug, alle Hebel in Bewegung zu setzen und beachtliche Geldmittel zu beschaffen. Die Bereitschaft, Tausch um seine hauptsächliche berufliche Tätigkeit zu bringen, ähnelt vom Prinzip her dem Vorgehen, durch das vier Jahrzehnte zuvor Mendelssohn unwissentlich Norbert Burgmüller von seinem Posten als Leiter des Instrumentalvereins verdrängte. Die Option, einen prominenten Namen für
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und Künstler 50 (11. 12. 1858), S. 399; Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 2 (8. 1. 1859), S. 15. Westfälische Provinzialzeitung, 352 (19. 12. 1876), S. 9. Vgl. Düsseldorfer Volksblatt 48 (20. 2. 1877). Darius, Musik Elementarschulen, S. 47. Vgl. ebd., S. 47. Oberbürgermeister Hammers an die kgl. Regierung, 12. 1. 1876, StAD Düsseldorf, 29122, zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 47.
172
Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
Düsseldorf zu gewinnen, ließ erneut zuvor eingegangene Verbindlichkeiten an Bedeutung verlieren. Trotz der heftigen Anfeindungen gegen Tausch und die schlechten Besucherzahlen wurde er 1869 wegen seiner Verdienste um den Düsseldorfer Musikverein und andere Gruppierungen zum königlichen Musikdirektor93 und nach seinem Rücktritt 1890 zum Professor ernannt.94 Diese Ehrungen stellten für Tausch jedoch keinen Ersatz für den Verlust der festen Anstellung im Jahr 1861 und die damit verbundene finanzielle Sicherheit dar.
7.6
Gründung des Städtischen Orchesters 1864
Bisweilen wird in der Literatur der Eindruck vermittelt, dass der von Julius Tausch 1856 ins Leben gerufene Instrumentalverein die Gründung des Städtischen Orchesters in die Wege geleitet habe95 oder dass Tausch dessen Gründer gewesen sei.96 Bei Fischer ist sogar zu lesen, die städtische Behörde habe am 24. Oktober 1861 Tausch mit diesem Schritt einen tiefen Wunsch erfüllt.97 Nachdem Oberbürgermeister Hammers jedoch knapp drei Jahre zuvor am 2. Oktober 1861 Tauschs Vertrag nicht verlängert hatte und ihn laut eigener Aussage für nicht kompetent hielt, sich noch einmal auf die Stelle des Städtischen Musikdirektors zu bewerben,98 erscheint es wenig wahrscheinlich, dass Hammers nun dem Dirigenten des Gesangvereins einen Wunsch erfüllen wollte. Im Vorstand des 1864 gegründeten Städtischen Orchesters war Tausch zwar vertreten, jedoch nur als Sachverständiger.99 Auf die Missstände im Orchesterbetrieb hatte er allerdings schon 1858 hingewiesen und die Bildung eines Städtischen Orchesters angeregt,100 also zu einem Zeitpunkt, als er noch Städtischer Musikdirektor war. Doch laut Verwaltungsbericht der Stadt kam der entscheidende Anstoß später vom Instrumentalverein, der auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, die bisher nur sporadisch wirkenden Musiker während des Jahres zusammenzuhalten, um den Bewohnern der Stadt häufiger instrumentale Konzerte bieten zu können.101 93 Vgl. Du Mont, Julius Tausch, S. 105; vgl. auch Frech, Lebende Bilder, S. 57. 94 Vgl. Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Düsseldorf (1890), S. 313, Absatz 753. 95 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, 1917, S. 365, vgl. Buths, Die Tonkunst in Düsseldorf, S. 48. 96 Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, 1964, S. 16. 97 Vgl. Fischer, Städtischer Musikverein, S. 46. 98 Vgl. hierzu S. 163. 99 Vgl. Auszug aus den Vereinbarungen der Stadt Düsseldorf und der städtischen TonhallenVerwaltung, StAD Düsseldorf, 0-1-2-609.0000, S. 24a–24b, 24a. 100 Vgl. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 12 (20. 3. 1858), S. 93. 101 Vgl. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1899 bis 31. März 1900, Düsseldorf 1900, ULB
Gründung des Städtischen Orchesters 1864
173
Den Instrumentalverein hatte Tausch 1856 mit einigen Musikern des ConcertOrchesters, das seit 1846 einen Orchester-Unterstützungs-Fonds hatte,102 und zahlreichen Dilettanten gegründet, um Instrumentalparts einzustudieren. Laut einem Artikel in der Niederrheinischen Musikzeitung brachte dies jedoch keinen Erfolg, da nicht ernsthaft für die anstehenden Konzerte geübt wurde.103 Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig wahrscheinlich, dass dieser Instrumentalverein wirklich den Grundstock des Städtischen Orchesters gebildet haben soll. Wenn überhaupt, dann wurden Mitglieder des Concert-Orchesters übernommen. Auf jeden Fall blieb der Instrumentalverein parallel zum Städtischen Orchester erhalten; dieses war laut Statut verpflichtet, mit dem Instrumentalverein zu arbeiten.104 Mitglieder des Vorstandes des Städtischen Orchesters waren entsprechend einer Vereinbarung mit der Stadt der Verwaltungsrat der Tonhalle, der Verwaltungs-Ausschuss des Allgemeinen Musikvereins, der Vorstand des Instrumentalvereins, ein Mitglied des St. Sebastianus Schützen-Vereins, ein Mitglied des Städtischen Theater-Komitees sowie Tausch und Kochner als Sachverständige.105 Abgesehen von dem Verwaltungsrat der Städtischen Tonhalle waren die meisten Verantwortlichen also in Vereinen organisierte Bürger, deren Beteiligung besonders unter einem Aspekt interessant ist, der in der Vereinbarung der Stadt mit den anderen Vorstandsmitgliedern vermerkt ist: »Die Stadtverordneten-Versammlung erklärt sich bereit, die Besoldung eines städtischen Orchesters bis zur Summe 10200 Thlr jährlich, vorläufig auf ein Jahr, nämlich vom 1. Oktober d. J. bis 1. Oktober k.J. unter der Bedingung zu garantiren, dass die Zahlungen der zu dieser Besoldung von den hiesigen Vereinen angebotenen festen Beiträge vorab sicher gestellt werden.«106
Auch ein Abschnitt in dem Verwaltungsbericht von 1863 verdeutlicht den Einfluss der Düsseldorfer Bürger : So wurde der von der Stadt genehmigte Kauf der Tonhalle 1863 durch das Komitee des 40. Niederrheinischen Musikfestes vorbereitet.107 Trotz seiner Verärgerung, die Oberbürgermeister Hammers über die Einmischung des Allgemeinen Musikvereins und des Gesangvereins im Zu-
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Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 74. Vgl. hierzu S. 132. Vgl. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler 20 (16. 5. 1857), S. 156. Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, 1964, S. 20. Vgl. Auszug aus den Vereinbarungen der Stadt Düsseldorf und der städtischen TonhallenVerwaltung, 30. 9. 1864, StAD Düsseldorf, 0-1-2-609.0000, S. 24a–24b, S. 24a. Vgl. ebd., S. 24b. Vgl. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für das Jahr 1863, Düsseldorf 1864, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 7.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
sammenhang mit der Anstellung und der Kündigung Schumanns geäußert hatte, war die Stadt nun offensichtlich erneut bereit, von eben diesen Vereinen Geld zu nehmen und deren Engagement zu nutzen, um die Übernahme des Orchesters und den Kauf der Tonhalle zu erleichtern. Auch nach dem Übergang des Orchesters in städtische Trägerschaft war der Einfluss der kunstliebenden Bürger keineswegs gesunken. Zu den Aufgaben des Orchesters gehörten neben Konzerten sonn- und feiertags im Geisler’schen Lokal drei musikalische Messen, außerordentliche Festlichkeiten, Theateraufführungen und -proben, die Mitwirkung an Konzerten des Allgemeinen Musikvereins sowie Proben und Aufführungen des Instrumentalvereins.108 Auch an dem Eröffnungskonzert am 27. Oktober 1864, bei dem unter Leitung von Julius Tausch Die Schöpfung gegeben wurde,109 war der Allgemeine Musikverein beteiligt. Dass 1864 ein Orchester in städtische Trägerschaft überführt wurde, kann rückblickend als ein im deutschsprachigen Raum für die Zeit typischer Vorgang beschrieben werden.110 Dennoch war Düsseldorf nach Aachen erst die zweite deutsche Stadt mit einem städtischen Orchester,111 womit sie »den rheinischen Schwesterstädten voraus war«112, wie im Verwaltungsbericht hervorgehoben wurde. Auch diese Vorreiterrolle hätte Düsseldorf ohne den Einfluss der musikalischen Vereine wahrscheinlich nicht errungen.
7.7
Repertoire des Musikvereins unter Julius Tausch
Julius Tausch war über dreißig Jahre in Düsseldorf aktiv, wobei die verschiedenen Phasen seines Wirkens – als Angestellter der Stadt und später der musikalischen Vereine – wechselnden Sachzwängen unterworfen waren, was die Motivation für seine Repertoiregestaltung ambivalent macht. Dennoch lässt sich festhalten, dass Tausch grundsätzlich in dem Ruf stand, bei der Wahl der aufzuführenden Werke konservativ gewesen zu sein,113 was insbesondere im Vergleich mit seinem Nachfolger Julius Buths betont wird.114 Der Blick auf die Jahre zwischen 1856 und 1889 bestätigt insgesamt den Eindruck einer eher konserVgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, 1964, S. 20. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 341. Vgl. Susanne Cramer, Ausstellung, S. 3; Aachens Orchester wurde 1852 in städtische Trägerschaft überführt, vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 367f. 112 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1899/1900, S. 74. 113 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 35; Rainer Peters, Ausstellungskatalog zu Musik in Düsseldorf. Dokumente aus 400 Jahren, Düsseldorf 1978, S. 13. 114 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 102f.
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Repertoire des Musikvereins unter Julius Tausch
175
vativen Programmgestaltung. Schwerpunktsetzungen früherer Jahrzehnte (Händel, Haydn, Mozart, Cherubini, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann u. a.) führte Tausch fort. Wie unter seinen Vorgängern wurden gelegentlich Stücke von eher regional einflussreichen Komponisten wie Rietz, Norbert Burgmüller und Hiller gespielt. Auch an die Pflege der Werke Johann Sebastian Bachs knüpfte Tausch an: So wurde am 18. Januar 1866 zum ersten Mal das Weihnachtsoratorium komplett aufgeführt, und auch Bachs Kantatensatz Nun ist das Heil und die Kraft (21. Mai 1866), das als Fragment eher selten gespielt wird, kam zur Aufführung. Tausch steuerte wie seine Vorgänger zu verschiedenen Gelegenheiten eigene Kompositionen bei, in erster Linie Orchester- und Chorwerke, Lieder und Klavierstücke.115 Die meisten der gemäß ihrer Lebensdaten zeitgenössischen Komponisten, die unter seiner Leitung gespielt wurden – wie beispielsweise Joseph Rheinberger (20. Januar 1876, 2. Juni 1884), Caspar Joseph Brambach (16. Dezember 1875), Carl Reinecke (15. November 1860, 6. September 1877), Max Bruch (26. Oktober 1871, 20. Juni 1876) oder Anton Rubinstein (20. Mai 1872) – standen in einer konservativen Tradition. In Übereinstimmung mit der Ästhetik der Niederrheinischen Musikfeste, die sich nicht der Neudeutschen Schule116 verpflichtet fühlten, findet sich auch bei Tauschs Düsseldorfer Programmen nur Weniges von Liszt (erstmals 4. November 1869), Wagner (erstmals 21. Dezember 1871) und Berlioz (erstmals 9. März 1882). In der Zeit zwischen 1877 und 1881 finanzierte der Gesangverein, der sich vom Allgemeinen Musikverein unabhängig gemacht hatte, seinen Dirigenten Tausch offenbar aus eigener Tasche. Die veränderte Situation hatte jedoch auf das Repertoire keine erkennbaren Auswirkungen. Nach wie vor dominierten Werke im Stil der Klassik, Romantik und Spätromantik; zu den vertretenen zeitgenössischen Komponisten dieser Jahre zählen beispielsweise Georg Vierling (13. Mai 1877) und Alexander Mackenzie (28. April 1880). Bisweilen finden sich allerdings auch Aufführungen in den Programmen, die für die Zeit nicht ganz alltäglich waren wie z. B. eine Bearbeitung von Psalmen von Benedetto Marcello in der Instrumentation von Peter Joseph von Lindpaintner (25. Mai 1863). Bei dieser Gelegenheit wurden Kompositionen des italienischen Barock in einer Bearbeitung für Solostimmen und Orchester sowie einige für Chor und 115 Vgl. Du Mont, Julius Tausch, S. 104. 116 Seit 1859 wurden Vertreter des ›musikalischen Fortschritts‹ als eine mögliche weitere Entwicklung der ›Wiener Klassiker‹ Haydn, Mozart und Beethoven unter dem Schlagwort Neudeutsche Schule subsumiert, zu denen primär Richard Wagner, Franz Liszt und – obwohl er Franzose war – Hector Berlioz gehörten. Als konservativer Part galten jene, die sich ästhetisch an Mendelssohn, Schumann, Brahms und dem Musikkritiker Eduard Hanslick orientierten; vgl. Neudeutsche Schule, in: Wolfgang Ruf (Hg.), Riemann Musik Lexikon, 13. aktualisierte Neuaufl. in fünf Bänden, Bd. 3, Mainz 2012, S. 493.
176
Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
Orchester dargeboten. Dieses Konzert mag als Beispiel für die Bereitschaft Tauschs dienen, das Publikum auch mit älterer Musik vertraut zu machen, wobei die Bearbeitung in einem zeitgenössischen Stil die Rezeption erleichterte. Trotz der Trennung von dem bisher so einflussreichen Dachverein und der Streitigkeiten mit der Stadt über die misslungene Anstellung Johannes Brahms’ war der Gesangverein zusammen mit seinem Musikdirektor weiterhin bei repräsentativen öffentlichen Veranstaltungen präsent. So war er beispielsweise unter Tauschs Leitung an der Aufführung von dessen Komposition Gesang der Nixen nach einem Text von Carl Hoff beteiligt, die anlässlich des Besuches des Kaiserehepaares vom 6. bis 8. September 1877 im Malkasten im Rahmen eines großen Künstlerfestes aufgeführt wurde.117 Anders als Fischer es in seiner Festschrift beschreibt, sangen am zweiten Festtag jedoch nur ca. 40 Mitglieder des Damenchors gemeinsam mit den drei Solistinnen Else Sohn, Wally Schauseil und Fides Keller,118 nicht jedoch der gesamte Chor.119 Neben dem Auftritt seines Damenchores bei dem Kaiserfest wirkte der Gesangverein auch anlässlich der großen Düsseldorfer Gewerbe- und Kunstausstellung 1880, einer der bedeutendsten Ausstellungen in Düsseldorf überhaupt,120 in der Tonhalle mit: Am 8. und 9. August 1880 präsentierten Chor und Orchester unter Leitung von Tausch ein ungewöhnliches Konzertformat, nämlich eine ›Fest-Aufführung von Werken Düsseldorfer Musik-Directoren von Mendelssohn bis auf unsere Zeit‹121, die den
117 Vgl. Fischer, Städtischer Musikverein, S. 49. 118 Vgl. Bernhard Endrulat, Ein Kaiserfest im ›Malkasten‹ zu Düsseldorf mit dem Festspiel von Carl Hoff und 11 in Holzschnitt ausgeführten Originalzeichnungen, Düsseldorf 1878, S. 77. 119 Anno Mungen beschreibt, dass der Gesangverein während des Festes Tauschs Komposition Der Germanenzug op. 16 uraufführte, vgl. Anno Mungen, Im Verbund der Künste: Der ›Germanenzug‹ des Kaiserfestes im Jahre 1877, in: Ingrid Bodsch (Hg.), Feste zur Ehre und zum Vergnügen. Künstlerfeste des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung des StadtMuseums Bonn in Verbindung mit dem Künstler-Verein Malkasten, Düsseldorf – aus Anlaß der Gründung des KVM im Revolutionsjahr 1848 vor 150 Jahren – im Ernst-Moritz-Arndt-Haus, Bonn 1999, S. 205–219. Julius Tauschs Der Germanenzug op. 16 für Sopransolo, Chor und Orchester wurde jedoch erst im Rahmen des 55. Niederrheinischen Musikfestes am 11. 6. 1878 uraufgeführt, vgl. Düsseldorfer Volksblatt 157 (14. 6. 1878) sowie Fischer, Städtischer Musikverein, S. 90, und auch speziell zu diesem Anlass komponiert, vgl. Düsseldorfer Volksblatt 315 (21. 11. 1879). Der zugrundeliegende Text von August Silberstein diente bereits Anton Bruckner 1864 als Grundlage seiner gleichnamigen Komposition. Die als ›Germanenzug‹ bezeichnete Passage während des Kaiserfeste – beschrieben bei Endrulat, Kaiserfest, S. 42f., die folgenden Festzüge bis S. 70 – ist eine Art Lebendes Bild mit aufwendiger szenischer Inszenierung, bei dem, begleitet von Musik, Darsteller als Germanen und römische Gefangene verkleidet vorübergehen. Der von Carl Hoff verfasste Text der Passage (S. 64f.) ist nicht vertont, sondern wird von der Darstellerin der Muse Klio rezitiert, vgl. Endrulat, Kaiserfest, S. 41. Es handelte sich hierbei also nicht um Tauschs op. 16. 120 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 132. 121 Vgl. Programmheft ›Fest-Aufführung von Werken Düsseldorfer Musik-Directoren von
Repertoire des Musikvereins unter Julius Tausch
177
Besuchern jene Künstler nahebringen sollte, die für das musikalische Leben der Stadt Bedeutung hatten. Dass im Programm Stücke von Norbert Burgmüller, Hiller, Schumann und Tausch gespielt wurden, jedoch unerwähnt blieb, dass diese nicht bzw. nicht dauerhaft bei der Stadt angestellte Musikdirektoren gewesen waren, wie der Titel des Programms suggerierte, wurde von den Veranstaltern und der Stadt offenbar übereinstimmend verschleiernd kommuniziert. Auch die Hierarchie, die innerhalb der Programmfolge zu erkennen ist, überrascht wenig: Am ersten Tage erklangen Schumanns Sinfonie in d-Moll und Mendelssohn Paulus, alle anderen Werke am zweiten Tage. Trotz der Streitigkeiten um Tausch wurde dieser zusammen mit dem Gesangverein, der in diesen Jahren nicht mehr wie zuvor Zuschüsse über den Allgemeinen Musikverein erhielt, anlässlich des Kaiserbesuchs und der wirtschaftlich bedeutsamen Gewerbe- und Kunstausstellung herangezogen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin finden sich immer häufiger Beispiele für Konzerte, die in Übereinstimmung mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung deutlich nationalistische Tendenzen widerspiegeln. So wurde am 13. Juni 1888 von einem durch die patriotische Bürgerschaft gegründeten Ausschuss ein ›Fest-Concert für das Kaiser-Denkmal‹ gegeben, dessen Ziel es war, Spenden für das geplante Reiterdenkmal Kaiser Wilhelms I. zu sammeln, wobei der Musikverein zusammen mit dem Bach-Verein, dem Männer-Gesang-Verein und verstärktem Orchester auftrat.122 Die große Festrede des Hauptmanns E. Henoumont (wahrscheinlich ist Edouard Henoumont gemeint) war laut Programmheft eingebettet in Webers Oberon-Ouvertüre, den Germanenzug von Tausch, die Ballade Archibald Douglas von Carl Loewe, Mendelssohns Violinkonzert, die Ballade Schön Ellen von Max Bruch, das Konzertstück Rheinmorgen op. 31 für gemischten Chor und Orchester von Dietrich,123 Lieder für Sopran – Sonntag von Brahms, Beethovens Ich liebe dich, Hildachs124 Strampelchen125 –, von Beethoven die Romanze in F-Dur und die Romanze in G-Dur sowie das Finale aus Mendelssohns unvollendeter Oper Loreley. Dieses abwechslungsreiche Programm mit Werken deutscher, zum großen Teil bekannter Komponisten der Klassik und Romantik bzw. solcher, die an diese Tradition anknüpften, kommunizierte patriotische Inhalte wie Vaterlandsliebe und den Romantik-Topos der Loreley, die mit dem Rhein und der Romantik assoziiert war. Mit Mendelssohn, Tausch und Brahms war zusätzlich ein Bezug zu Düsseldorf hergestellt.126 Die Bemühungen
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Mendelssohn bis auf unsere Zeit am 8. und 9. August 1880 im Kaisersaal der städt. Tonhalle zu Düsseldorf‹, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 190, 69, ohne Paginierung. Vgl. Fest-Concert für das Kaiser-Denkmal am Mittwoch, den 13. 6. 1888, Programmheft, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 190, 69, ohne Paginierung. Albert Hermann Dietrich (1829–1908). Eugen Hildach (1849–1924). Wiegenlied op. 4. Zur Rezeption von Felix Mendelssohn Bartholdy vgl. S. 268f.
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Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
der Beteiligten zahlten sich aus: Die Spendenbereitschaft der Bevölkerung war so groß, dass das Kaiser-Wilhelm-I.-Reiterdenkmal 1896 vollendet und in Düsseldorf aufgestellt werden konnte.127
Abb. 3: Programmheft eines Festkonzertes zugunsten des Denkmals für Kaiser Wilhelm I.128
Trotz der zahlreichen und vielfältigen musikalischen Aktivitäten Julius Tauschs in Düsseldorf lautet die rückblickende Wertung nach seinem Rücktritt 1889,
127 Vgl. Artikel ›Kaiser-Wilhelm-I.-Reiterdenkmal‹ auf der Internetseite der Stadt Düsseldorf, (28. 2. 2018). 128 Vgl. Fest-Concert für das Kaiser-Denkmal am Mittwoch, den 13. 6. 1888, Programmheft, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 190, 69, ohne Paginierung.
Entwicklung der Niederrheinischen Musikfeste
179
dass er »trostlose Chorverhältnisse«129 hinterlassen habe und ein Publikum, das nicht an avantgardistische Strömungen in der Musik herangeführt worden war.
7.8
Entwicklung der Niederrheinischen Musikfeste
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gewannen die Niederrheinischen Musikfeste europaweit an Bekanntheit,130 während es gleichzeitig zu einer Veränderung in der Struktur des Publikums kam, wie aus Fremdenlisten hervorgeht: Während zu Beginn noch eine stärkere Durchmischung der verschiedenen Schichten stattfand und auch weniger vermögende Personen anwesend waren, setzte sich nun der Großteil der Besucher aus Kaufleuten, Industriellen, Musikdirektoren, Musiklehrern, Musikern und Rentnern zusammen,131 die zu den besser verdienenden Gruppen gerechnet werden können. Durch berühmte Solisten wie Jenny Lind (1855, 1863 und 1866 in Düsseldorf132) und Joseph Joachim (1853, 1860 in Düsseldorf und 1861, 1864 in Aachen133) stieg die Anzahl der Besucher massiv an. Beispielsweise für den Besuch von Jenny Lind 1855 stemmten die im Düsseldorfer Komitee des Niederrheinischen Musikvereins organisierten Musikliebhaber die Aufgabe, einige hundert Personen durch den Bau einer zusätzlichen Tribüne unterzubringen. Der Andrang war jedoch so groß, dass am dritten Konzerttag noch einmal 200 Stehplätze zusätzlich vergeben werden mussten. In diesem Jahr waren 661 Personen im Chor und 165 im Orchester angemeldet.134 Abgesehen von den Düsseldorfern kamen die Ausführenden aus Musikvereinen der Städte Köln, Elberfeld, Aachen, Barmen, Bonn, Essen, Hilden, Krefeld, Mülheim, Wesel u. a. zusammen.135 Die fortschreitende Professionalisierung der Feste führte allerdings dazu, dass die Anzahl der Dilettanten, die Gesangssoli übernehmen durften, stetig sank; ab 1870 wurden diese ausschließlich von Profisängern bestritten.136 Das Bestreben, die Musikfeste außer durch prominente Gastkünstler auch durch gewaltige Größe glänzen zu lassen, erreichte 1863 mit 781 Sängern und 146 Orchestermusikern137 ihren Höhepunkt. Bei der Einordnung dieses Phänomens darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass der
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Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 103. Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 199. Vgl. ebd., S. 197. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, Anhang, S. 34, 41, 44. Vgl. ebd., S. 32, 38, 39, 42. Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 46. Vgl. Jahn, 33. Niederrheinisches Musikfest, S. 166. Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 259. Vgl. Susanne Cramer, Ausstellung, S. 2.
180
Nationalismus und musikalischer Konservativismus unter Julius Tausch
Begriff ›Masse‹ damals sehr positiv besetzt war, da er als Gegenentwurf zur alten ständisch gegliederten Gesellschaft verstanden wurde.138 Mit Blick auf Düsseldorf kritisiert Darius die Entwicklung der Niederrheinischen Musikfeste. Während diese durch ihre bloße Größe und auswärtige Berühmtheiten an Popularität gewonnen hätten, sei es in Düsseldorf unter Tausch um die Musikpflege an den Schulen und damit auch in der breiten Bevölkerung schlecht bestellt gewesen.139 Der Glanz der Feste sei dazu benutzt worden, zu überdecken, dass Düsseldorf kein musikalisches Fundament besessen habe, da die musikalische Betätigung der Bürger auf eine kleine Oberschicht beschränkt gewesen sei.140 Die Düsseldorfer Zeitung schrieb im Jahr 1908 rückblickend, sie habe es »niemals für recht und billig gehalten, daß die Stadt dem Musikverein der oberen Klassen den Dirigenten bezahlt und das Risiko seiner Veranstaltungen trägt, während sie andere musikalische Vereine, die für die künstlerischen Bedürfnisse des mittleren und kleineren Bürgertums sorgen, ohne Unterstützung ihre verdienstvolle Arbeit verrichten lässt.«141
Die Mitgliedschaft im Allgemeine Musikverein, dem Gesang- und dem Instrumentalverein wird hier zur Recht als exklusiv beschrieben,142 aber die Kritik übersieht, dass dieses Privileg einer bestimmten Gruppe von Bürgern nicht ausschließlich von der Stadt finanziert wurde, sondern zu einem Teil von den Vereinen selbst. Nichtsdestotrotz erhielt die Stadt deren Privilegien aufrecht, indem sie einen finanziellen Beitrag leistete und die entsprechenden innerstädtischen Strukturen stützte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschärfte sich die Kritik an den Niederrheinischen Musikfesten, deren Organisatoren fehlende Gesamtkonzepte, uneinheitliche und konservative Programmgestaltung und zu starke Einflussnahme durch teure Gastsolisten vorgeworfen wurden.143 Insgesamt galten die Musikfeste als konservative Veranstaltungen, die einen Gegenpol zu den Tonkünstlerfesten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins bildeten, welcher der Neudeutschen Schule nahestand. Obwohl es Bestrebungen gab, die Programminhalte der Niederrheinischen Musikfeste zu modernisieren, blieb die Kritik an ihrer traditionalistischen Ausrichtung bestehen. Zum Ende des Jahrhunderts hin gingen die Zuschauerzahlen immer weiter zurück.144 Gleichzeitig 138 Vgl. Eichhorn, Musikfest 19. Jahrhundert, S. 18. 139 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 48; vgl. auch Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 460. 140 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 49. 141 Vgl. Düsseldorfer Zeitung (5. 4. 1908), zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 4. 142 Vgl. hierzu S. 170. 143 Vgl. Vogel, Niederrheinische Musikfeste, S. 13. 144 Vgl. ebd., S. 15f.
Entwicklung der Niederrheinischen Musikfeste
181
wurde bei den Festen eine zunehmend patriotische Gesinnung erkennbar,145 worin sich die seit der Gründung des Kaiserreiches 1871 verbreitende Nationalstimmung widerspiegelte.146 Das Publikumsinteresse vermochte diese Entwicklung offenbar jedoch nicht zu steigern.
145 Vgl. ebd., S. 11. 146 Ein anschauliches Beispiel für ein stark nationalistisch ausgerichtetes Musikfest dokumentiert das Programmheft des Jahres 1888, vgl. 65. Niederrheinisches Musikfest gefeiert zu Aachen, Pfingsten, den 20., 21. und 22. Mai 1888, Programmheft, Aachen 1888.
8.
Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
8.1
Julius Buths (1890 bis 1908) und der Wandel in der bürgerlichen Kultur ab 1900
Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Bürgertum und Kunst allmählich auseinanderzudriften. Im gleichen Maße, wie kulturelle Einrichtungen in städtische oder kommunale Trägerschaft übergingen und viele Bürger endgültig vom ausführenden oder durch Vereinsmitgliedschaft fördernden Musikliebhaber zu Kunden des Konzertbetriebs wurden, die die Aufführungen nur noch in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler unterstützten, wurde auch die aktuelle Musik für ebendiese bürgerlichen Rezipienten zunehmend unverständlich.1 Die traditionelle Präsentationsform – das klassische Konzert als bürgerlicher Repräsentationsort2 – blieb zwar zunächst erhalten, aber die dort dargebotene Musik der Moderne stieß beim Publikum oft auf wenig Gegenliebe. Parallel zu dieser Entwicklung wurde um 1920 die Forderung laut, das Konzertwesen dürfe nicht nur einigen wenigen Vermögenden zur Verfügung stehen und müsse darum reformiert werden,3 wofür Städte und Kommunen in die Pflicht genommen werden sollten.4 In der Tat wurde das städtische Musikleben zunehmend von Kulturämtern und Musikdirektoren bestimmt, während bürgerliche Organisationen wie die Musikvereine spürbar an Einfluss verloren.5 Verelendung und Hungersnöte durch Arbeitslosigkeit und die Inflation machten auch vor dem Bürgertum nicht halt, was zu dem Verlust seiner Rolle als Repräsentant von Bildung und Kultur mit beitrug. Vor diesem Hintergrund darf es nicht überraschen, dass Experimente und Neuerungen in der Musik von konservativen Konzertbesuchern nicht einfach 1 2 3 4 5
Vgl. Hettling, Bürgerliche Kultur, S. 330f. Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 30. Vgl. ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 26–28. Vgl. Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 17.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
nur als uninteressant, sondern oft als der sprichwörtliche Untergang des Abendlandes wahrgenommen wurden.6 In dieser Haltung zeigte sich jedoch nicht nur eine Abneigung gegen die moderne Kompositionsästhetik, sondern eine generelle massive Unsicherheit aufgrund der Entwicklungen um die Jahrhundertwende; Musik war in diesem Zusammenhang eines der Medien, anhand dessen Zweifel, Ängste und fundamentale Fragen einer ganzen Gesellschaftsschicht sichtbar wurden.7 In dieser wurden parallel zum Fortschreiten der Avantgarde auch nationalistische Strömungen aktiv, worin sich das Sträuben vieler Bürger gegen die Entwicklungen der Moderne manifestierte. Nach der Wirkungszeit von Julius Tausch in Düsseldorf hatte Julius Buths 1890 bei seinem Amtsantritt den Vorteil, dass er als Externer von den Skandalen um seinen Vorgänger unbelastet und nicht in die städtischen Strukturen verstrickt war, was es ihm ermöglichte, etablierte Vorstellungen und Abläufe zu verändern. Zugleich stand er vor der schwierigen Aufgabe, die vernachlässigte musikalische Bildung der Bürger und die Qualität des Konzertwesens zu verbessern. Die Anstellung Buths’ wird in der Literatur als Umbruch gewertet:8 Dem Musikleben habe er Charakter und Ansehen eingebracht,9 die Leistungen von Chor und Orchester gesteigert und das Repertoire erweitert. Neben diesen Veränderungen wurden auch die Öffnung für die Musik der Moderne, die größere Disziplin der Musiker10 und darüber hinaus der Aufbau und die Erweiterung des Schulwesens in Düsseldorf gelobt, was der musikalischen Bildung nachhaltig zugutekam.11 Der städtische Verwaltungsbericht von 1889 beschreibt, dass, nachdem Tausch aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war, vom Musikverein erneut die Bestellung eines Städtischen Musikdirektors angeregt wurde. Am 19. November 1889 entschied die Stadtverordneten-Versammlung, dass die geforderten 1.500 Mark Ruhegehalt für Tausch genehmigt und außerdem ein neuer Städtischer Musikdirektor für 6.000 Mark jährlich angestellt werden sollten. Am 1. April 1890 wurde Julius Buths nach einer öffentlichen Ausschreibung aus über 100 Bewerbern ausgewählt.12 Er war Schüler Ferdinand Hillers gewesen war, hatte seit 1879 in Elberfeld als Nachfolger von Hermann Schornstein den Ge6 Vgl. Hansjakob Ziemer, Die Moderne hören. Das Konzert als urbanes Forum 1890–1940, Frankfurt a.M. 2008, S. 18. 7 Vgl. Ziemer, Das Konzert, S. 16–18. 8 Vgl. beispielsweise Weber, Der Städtische Musikverein, S. 103. 9 Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 29. 10 Vgl. Darius, Musik Elementarschulen, S. 50f. 11 Vgl. hierzu Darius, Musik Elementarschulen, S. 52–96, speziell zur musikalischen Bildung S. 71–96. 12 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1899/1900, S. 79; vgl. Dokument ›Der Oberbürgermeister IV A. 429‹ vom 12. 5. 1908 zur Vorbereitung der Wiederbesetzung der Stelle des städtischen Musikdirektors, StAD Düsseldorf, 0-1-20-11.0000, ohne Paginierung.
Julius Buths (1890 bis 1908) und der Wandel in der bürgerlichen Kultur
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sangverein und die Concertgesellschaft geleitet und bekannte Künstler wie Johannes Brahms, Hans von Bülow und Clara Schumann dorthin geholt.13 Der gleichzeitig mit Buths’ Anstellung geschlossene Vertrag zwischen dem Vorstand des Musikvereins und der Stadt Düsseldorf brachte eine wesentliche Veränderung mit sich: Dem Verein wurde erlaubt, selbst als Veranstalter in Erscheinung zu treten, wodurch er den Status einer städtischen Konzertgesellschaft bekam14 und somit freier Unternehmer wurde. In seinen Folgestatuten von 1906 und 1909 ist zu lesen, dass der Vereinszweck die Förderung der Tonkunst in Düsseldorf war, insbesondere durch die »Veranstaltung von Konzerten« und die »Veranstaltung der Niederrheinischen Musikfeste«.15 Der Vertrag sah außerdem vor, dass der Musikverein den Städtischen Musikdirektor als seinen Dirigenten engagierte, so dass dieser faktisch Diener zweier Herren sein musste. Der Städtische Musikdirektor leitete außerdem die Niederrheinischen Musikfeste in Düsseldorf, war stimmberechtigtes Mitglied des Musikvereins und durfte nur mit Genehmigung der Stadtverwaltung Leiter anderer Vereine werden.16 Der Musikverein besaß also ein Exklusivrecht, doch die Stadt behielt sich die Entscheidungsgewalt vor und auch das Recht, ihn jederzeit durch einen anderen musikalischen Verein zu ersetzen. Seine hohe Position hing also von dem guten Willen der Stadtverwaltung ab. Dennoch reichte der Einfluss des Musikvereins in Düsseldorf so weit, dass es ihm gelang, die 1.500 Mark Zuschuss für das Ruhegehalt Julius Tauschs auszuhandeln.17 Der Vertrag mit dem Musikverein brachte es für Buths mit sich, dass er als Mitglied im Vorstand in musikalischtechnischen Dingen stimmberechtigt war, die Konzertprogramme konzipierte und Solisten vorschlug.18 Allerdings traf nicht er die Entscheidungen darüber, sondern der Vereinsvorstand. Der Musikverein hatte durch Buths’ Anstellung und seine neue Rolle eine Aufwertung erfahren, die den Vorstand am 13. November 1890 dazu veranlasste, bei der Stadt offiziell um den Beinamen ›städtisch‹ zu bitten. Dass es hierbei nicht einfach nur um die geografische Verortung in Düsseldorf ging, sondern
13 Vgl. Walter Thoene, Julius Emil Martin Buths, in: Fellerer, Rheinische Musiker, Teil 1, S. 52– 61, hier S. 54. 14 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 24. 15 Vgl. Statut Städtischer Musikverein 1906, StAD Düsseldorf 0-1-20-3.000, ohne Paginierung; Statut Städtischer Musikverein 15. 1. 1909, StAD Düsseldorf 0-1-4-376.0000, ohne Paginierung. 16 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1889/90, S. 79f. 17 Vgl. Dokument ›Der Oberbürgermeister IV A. 429‹ vom 12. 5. 1908 zur Vorbereitung der Wiederbesetzung der Stelle des städtischen Musikdirektors, StAD Düsseldorf, 0-1-2011.0000, ohne Paginierung. 18 Vgl. Vertrag zwischen der Stadt Düsseldorf und dem städtischen Musikverein vom 3. 3. 1890, StAD Düsseldorf, 0-1-20-11.0000, ohne Paginierung.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
um den Ausdruck seiner Exklusivität gegenüber anderen Vereinen durch Einbindung in städtische Strukturen, verdeutlicht das Anschreiben: »Hochverehrter Herr Oberbürgermeister! / Der »Musikverein« hierselbst wünscht, um Verwechslungen mit anderen hiesigen musikalischen Vereinen zu verhüten, die Bezeichnung »städtischer« Musikverein annehmen zu dürfen. Die Beifügung jenes Beiwortes scheint dem ganz ergebenst unterzeichneten Vorstande gerechtfertigt zu sein durch die enge Verbindung, in welcher der Musikverein mit der Stadt Düsseldorf durch die zwischen beiden geschlossenen vertragsmäßigen Vereinbarungen und die Annahme … eines gemeinsamen Musikdirektors einzutreten die Ehre hatte, nicht minder aber auch um deswillen, weil der Musikverein unzweifelhaft in erster Reihe berufen ist, durch größere musikalische Aufführungen unter Aufbietung aller hierzu erforderlichen Mittel, insbesondere gemeinsam mit der Stadt durch Veranstaltung der Niederrheinischen Musikfeste, sowie auch in sonst geeigneter Weise die Kunst der Musik in hiesiger Stadt zu pflegen und zu fördern. Ew. Hochwohlgeboren ersucht der unterzeichnete Vorstand daher ganz ergebenst, als Vorstand der Stadt, auf welche jene neue Bezeichnung hindeutet, sich mit der Annahme derselben seitens des Musikvereins gefälligst einverstanden erklären zu wollen. Der Vorstand des Musikvereins zu Düsseldorf / Im Auftrage Heilberg»19
Die Stadt stimmte dem Antrag zeitnah und ohne weitere Formalitäten zu.
8.2
Repertoire unter Julius Buths
In ihrer Untersuchung der Abonnementskonzerte des Musikvereins zwischen 1890 bis 190820 kommt Weber insgesamt zu der Einschätzung, dass die dargebotenen Werke im Vergleich zu der Zeit unter Tausch als sehr fortschrittlich gewertet werden müssen und unter dem Aspekt der Zuschauerbildung zunehmend höher angesetzt wurden – »eigentlich für das ›normale‹ Düsseldorfer Publikum zu hoch«21. Über die Hälfte der Konzerte (65 %) wurde mit Werken von Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Schumann, Wagner und bestritten,22 während unter den zeitgenössischen Komponisten Berlioz, Liszt, Brahms, Tschaikowsky und insbesondere Richard Strauss hervorgehoben werde müssen, mit dem Buths befreundet war ; die meisten von Strauss’ Werken kamen im Laufe dieser Jahre in Düsseldorf zur Aufführung.23 Weber interpretiert die Zahlen ihrer Statistik dahingehend, dass Aufführungen der selten gespielten zeitgenössischen Komponisten meist informativen Charakter hatten, um das Publikum mit 19 Vgl. Brief Musikverein an den Oberbürgermeister vom 13. 11. 1890, StAD Düsseldorf, 0-1-2611.0000, S. 217a–218a. 20 Weber, Der Städtische Musikverein, S. 29–54. 21 Ebd., S. 34. 22 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 39. 23 Vgl. ebd., S. 40.
Repertoire unter Julius Buths
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der Bandbreite musikalischer Ästhetik bekannt zu machen.24 1899 wurde das Orchester verstärkt, da nach Buths’ Ansicht dieses für die volle Klangwirkung insbesondere bei modernen, aber auch bei älteren Werken nicht ausreichte. Am 25. April 1899 kamen acht Streicher, sechs Bläser und eine Harfe hinzu, so dass das Orchester nun 57 Mitglieder besaß.25 Buths steigerte auch die Leistungen des Musikvereins-Chores, indem er diesen vor allem durch gute Männerstimmen aus anderen Chören verstärkte,26 wobei die Quelle offen lässt, ob diese Erweiterung des Männerchores durch zugekaufte Sänger zustande kam oder ob neue Mitglieder gewonnen wurden. Durch diese Veränderungen schuf Buths die Voraussetzungen für die Aufführung damals neuer und technisch anspruchsvoller Stücke von Brahms, Reger, Berlioz, Mahler, Bruckner, Elgar, Delius, d’Indy und Duparc27 und konnte sogar Richard Strauss zum Dirigat seiner eigenen Werke in Düsseldorf motivieren.28 Dass Buths dem Chor eine große Bedeutung beimaß, zeigt sich u. a. daran, dass unter den aufgeführten Gattungen Chorwerke dominierten.29 Die unter Buths übliche Konzertdauer von etwa drei Stunden entsprach Anfang des Jahrhunderts noch der zeitlichen Norm in Deutschland; dennoch wurde er hierfür von der Düsseldorfer Presse kritisiert.30 Auch seine vergleichsweise häufigen Aufführungen von modernen und/oder ausländischen Komponisten fanden in der regionalen Presse wenig Anklang.31 Die sehr erfolgreiche deutsche Erstaufführung des Oratoriums Dream of Gerontius von Edward Elgar in einer Übersetzung von Julius Buths am 19. Dezember 1901 wurde allerdings hoch gelobt.32 Die Feststellung, dass im Repertoire unter Buths ein Wandel vom ›Klassisch-Romantischen‹ der Tausch-Zeit in Richtung Moderne stattfand, ist grundsätzlich berechtigt, doch die Absolutheit der Gegenüberstellung soll hier etwas relativiert werden. Schließlich hätten einige der von Weber als besonders progressiv und mutig gelobten Werke, die Buths zur Aufführung brachte, Tausch noch gar nicht zur Verfügung gestanden, da sie erst kurz vor oder nach 1889 veröffentlicht wurden. Außerdem hatte er als Dirigent eines bürgerlichen Vereins, der er seit 1861 war, keinen städtischen Bildungsauftrag zu erfüllen. Der wichtigste Schritt, den Buths zugunsten der musikalischen Bildung in Düsseldorf tat, war 1902 gemeinsam mit Otto Neitzel die Gründung des Düs24 25 26 27 28 29 30 31 32
Vgl. ebd., S. 41. Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1899/1900, S. 75. Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 29. Vgl. ebd.; vgl. auch Thoene, Julius Buths, S. 54. Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 29. Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 42. Vgl. ebd., S. 83. Vgl. ebd., S. 88. Vgl. ebd., S. 109f.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
seldorfer Konservatoriums der Musik.33 Hinzu kamen die ab 1901 regelmäßig durchgeführten Kammermusikveranstaltungen;34 seit 1904 fand seine Arbeit mit dem Lehrergesangverein statt, die als sehr fortschrittlich beschrieben wurde,35 und 1915 veranstaltete Buths ein erstes Konzert mit einem Cembalo von Pleyel, Wolff & Cie. (Paris), was ebenso wie erste Aufführungen ›vergessener Musiken‹ aus Handschriften36 als frühe Form einer historisch informierten Aufführungspraxis gewertet werden kann. Trotz allem künstlerischen Anspruch finden sich auch in den Jahren unter Buths Beispiele für Konzerte, die primär Ausdruck einer patriotischen Haltung waren. Beispielhaft sei hier die Aufführung der Kantate Aus Deutschlands großer Zeit von Ernst H. Seyffardt (1859–1942) am 7. Februar 1895 unter Buths Leitung genannt.37 Die 1892 uraufgeführte Kantate wurde in Düsseldorf noch bei anderen Gelegenheiten gespielt, u. a. vom Musikverein, und brachte Seyffardt im März 1897 sogar einen Professorentitel ein.38 Um den patriotischen Duktus des Textes, der von Adolf Kiepert stammte, zu verdeutlichen, sei hier der SchlussChor beispielhaft zitiert: »Heil, Deutschlands Kaiser, dir, / Dir, aller Fürsten Zier! / Heil, Kaiser, Heil! / Du bringst des Friedens Glück / Nun deinem Volk zurück. / Heil sei dir für und für, / Heil, Kaiser, dir!« Die Programme der Niederrheinischen Musikfeste 1890, 1896, 1899 und 1902 erlangten besonders durch prominente Gastdirigenten wie Richard Strauss, Johannes Brahms und Hans Richter Aufmerksamkeit. 1905 war Buths erstmals der alleinige Leiter des Festes,39 welches ein so großer finanzieller Misserfolg wurde, dass die Stadt drei Jahre später ihren Musikdirektor von der Planung für das nächste Fest ausschloss – der Grund dafür, dass Buths seine Kündigung einreichte.40 Alle Versuche, doch noch eine Einigung mit dem Komitee für Werkund Solistenwahl für das Niederrheinische Musikfest, in dem Buths als Musikdirektor kein Stimmrecht besaß, herbeizuführen, schlugen fehl, was dazu führte, dass das Niederrheinische Musikfeste 1908 ausfallen musste.41
33 34 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. Thoene, Julius Buths, S. 55. Vgl. Alf, Julius Buths, S. 39. Vgl. ebd., S. 40. Vgl. Thoene, Julius Buths, S. 55. Vgl. Programm Aus Deutschlands großer Zeit, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 191, 69, ohne Paginierung. Vgl. Düsseldorfer Volksblatt 80 (24. 3. 1897). Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 113. Vgl. Thoene, Julius Buths, S. 55. Vgl. Alf, Julius Buths, S. 43.
Buths’ Kündigung
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Abb. 4: Titelblatt des Programmheftes zu der Kantate Aus Deutschlands großer Zeit42
8.3
Buths’ Kündigung
Als Grund für den Eklat bei dem Niederrheinischen Musikfest 1908 sieht Alf die Tatsache, dass Buths den Versuch unternommen hatte, dem Verlangen der Musikliebhaber nach virtuosen Sensationen und vertrautem Repertoire nicht nachzugeben, sondern durch künstlerische Arbeit das Publikum mit neuen Stücken vertraut zu machen – ein Ansatz, der an der »konstanten rheinischen 42 Vgl. Programm Aus Deutschlands großer Zeit, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 191, 69, ohne Paginierung.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
und speziell der Düsseldorfer Musikpflege«43 scheiterten musste. Den finanziellen Verlust von 6.000 Mark teilten sich vertragsgemäß Stadt und Musikverein.44 Für Alf bestehen zwischen dem Fall Buths und den Fällen Schumann und Mendelssohn gewisse Parallelen, denn jedes Mal trug die Ablehnung musikalischer Neuerungen durch die Düsseldorfer Musikliebhaber zu den Konflikten entscheidend mit bei.45 In der Presse führte der Streit um Buths zu Kritik an der privilegierten Stellung des Städtischen Musikvereins und konkret zu der Frage, ob es angemessen sei, dass die Stadt einen Teil des Gehaltes für den Musikdirektor eines »Musikvereins der oberen Klassen«46 bezahle. Doch auch die Stadt selbst wurde heftig für ein Gutachten kritisiert, das sie nach dem Finanzdebakel des letzten Niederrheinischen Musikfestes 1905 bei den Düsseldorfer Juristen Wagner und Ophüls in Auftrag gegeben hatte, welche die Schuld ausschließlich bei dem in Düsseldorf sonst hoch geachteten Musikdirektor sahen. Ein Artikel in der Zeitschrift Kunstwart thematisierte, dass laut Gutachten Buths kein virtuoser Dirigent gewesen sei und ein ungeeignetes Programm gestaltet habe, weshalb für das nächste Musikfest eine eigene Kommission gebildet werden sollte, zu der Buths nicht hinzugezogen werden durfte.47 Faktoren wie den 1905 zeitgleich veranstalteten holländischen Musikfesten und dem Bonner Beethovenfest48 maßen die Autoren des Gutachtens offenbar keine Bedeutung bei. Weiter hieß es im Kunstwart, die öffentliche Demütigung durch das Gutachten, das am 10. April 1908 im Düsseldorfer Generalanzeiger veröffentlicht wurde,49 habe Buths zu seiner Kündigung veranlasst, woraufhin der Musikverein seine Mitwirkung am Musikfest 1908 verweigert habe. In musikalischen Kreisen herrsche nun Empörung darüber, dass künstlerische Entscheidungen von einer Behörde aufgrund des Gutachtens zweier Juristen getroffen worden seien.50 Auch der Musikverein protestierte in einem Brief an den Oberbürgermeister energisch gegen Ophüls’ und Wagners Gutachten und betonte, dass er Buths als Dirigenten für höchst kompetent hielte,51 was jedoch Buths’ Kündigung im nächsten Jahr nicht verhinderte. Aus dem Briefwechsel zwischen dem Landgerichtsrat Gustav Ophüls und dem mit ihm befreundeten Maler Willy von Beckerath geht hervor, dass Ophüls 43 44 45 46 47 48 49 50 51
Vgl. ebd., S. 38. Vgl. ebd., S. 41. Vgl. ebd., S. 43. Düsseldorfer Zeitung, 5. 4. 1908, zit. nach Darius, Musik Elementarschulen, S. 4; auch bei Alf, Julius Buths, S. 45. Vgl. Aus Düsseldorf, in: Kunstwart, Erstes Augustheft 21 (1908), S. 163f. Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 113. Vgl. Alf, Julius Buths, S. 44. Vgl. Aus Düsseldorf, in: Kunstwart, Erstes Augustheft 21 (1908), S. 163f. Vgl. Abschrift eines Briefes des Musikvereins an den Oberbürgermeister vom 3. 12. 1907, StAD Düsseldorf, 0-1-20-3.0000, ohne Paginierung.
Karl Panzner (1908 bis 1923)
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schon Jahre vor dem Streit um Buths diesen als Düsseldorfer Musikdirektor für fehl am Platze hielt.52 Am Ende von dessen Amtszeit 1908 schrieb Ophüls seinem Freund, er habe als Mitglied des städtischen Komitees und als Vertrauensmann der Stadt in dieser musikalischen Frage dafür gesorgt, dass Buths’ mangelnde Fähigkeiten öffentlich thematisiert worden seien. »Gott sei Dank: Es hat genützt. Der Musikverein ist nach verzweifeltem Widerstand schließlich doch zu Kreuze gekrochen und hat alle in der [von Ophüls verfassten] Denkschrift enthaltenen Vorschläge angenommen. Nun wird das große Komitee in nächster Zeit zusammentreten, und dann kommt die schwierige Frage: Welchen Dirigenten wählen wir neben Buths?«53
Im nächsten Brief schilderte Ophüls, dass nach Buths’ Kündigung eine »tiefgründige musikalische Krisis« in Düsseldorf herrsche, er anonyme Schreiben bekomme und die Chormitglieder, namentlich die Damen, Unterschriften gegen die Mitwirkung beim Niederrheinischen Musikfest sammelten.54 Zwei Wochen später schrieb er : »Hier gehen die Wogen der Erregung über das angeblich Herrn Professor Buths angetane Unrecht so hoch, daß das Musikfest ins Wasser fällt. Die blödsinnige Horde des Chors streikt. Na, es ist nicht schlimm; die Musikfeste haben sich ja doch überlebt.«55 Die Zitate zeigen, welche Kompetenz sich Ophüls, obgleich er nur Laienmusiker war, selbst zusprach und dass er aufgrund dieser Autorität davon überzeugt war, über das Düsseldorfer Musikleben urteilen und auf Personalien Einfluss zu nehmen zu dürfen – auch wenn dies mit der Zustimmung des Oberbürgermeisters geschah, der seinen Rat als Mitglied der Kommission ja erbeten hatte. Einige Formulierungen in Ophüls Briefen verraten eine deutliche Geringschätzung gegenüber den Niederrheinischen Musikfesten, dem Städtischen Musikverein und Julius Buths, was es fraglich erscheinen lässt, dass sein Gutachten eine möglichst objektive Aufarbeitung des Festes von 1905 darstellte.
8.4
Karl Panzner (1908 bis 1923)
Nach Julius Buths’ Kündigung wurde die Stelle des Städtischen Musikdirektors 1908 erneut offiziell ausgeschrieben. Dieses Mal fand sich jedoch kein ausreichend qualifizierter Bewerber, weshalb Karl Panzner, der Musikdirektor in 52 Vgl. Brief Ophüls 22. 4. 1900, in: Erika Ophüls (Hg.), Willy von Beckerath – Gustav Ophüls: Briefwechsel 1896–1926. Zeugnisse einer geistigen Freundschaft, Kassel 1992, S. 7–8, hier S. 8. 53 Brief Ophüls 7. 1. 1908, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 29. 54 Vgl. Brief Ophüls 3. 3. 1908, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 31f. 55 Vgl. Brief Ophüls 19. 3. 1908, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 33.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
Bremen war, nach Düsseldorf geholt wurde. Oberbürgermeister Wilhelm Marx vermerkte, dass er sich im Januar 1909 bei der Entscheidung vom ›Komitee für Theater-, Orchester- und musikalische Angelegenheiten‹ hatte beraten lassen, zu dem u. a. Gustav Ophüls gehörte.56 Dass Panzner nicht erst nach der missglückten Ausschreibung in dessen Blickfeld rückte, geht aus einem Brief vom 30. März 1908 hervor, in dem er sich bei Beckerath nach dem Bremer Kapellmeister erkundigte und ihn bat, Erkundigungen über diesen einzuholen.57 Am 9. April 1908 schrieb er, dass ihn Panzner wirklich sehr interessiere und er dabei sei, einen »Anstellungsvertrag zusammenzuleimen«58. Unter künstlerischen Gesichtspunkten war die Entscheidung für den neuen Musikdirektor sicherlich nicht zu bedauern, aber es darf auch nicht unterschätzt werden, dass durch dessen Anstellung erhebliche Kosten für die Stadt entstanden. Aufgrund der von Panzner verlangten Umstellungen im Konzertbetrieb kamen für 1909 34.354,55 Mark Mehrausgabe zusammen; der Städtische Musikverein hatte sich bereit erklärt, bei Vertragsabschluss eine entsprechende Vereinbarung bezüglich seiner finanziellen Beteiligung zu unterschreiben.59 Da die Einführung regelmäßiger Symphoniekonzerte durch Panzner neue Einnahmequellen versprach, war der Musikverein auch bereit, seinen Beitrag zum Gehalt des Musikdirektors auf 5.500 Mark jährlich zu erhöhen.60 Während 6.000 Mark Verlust beim Niederrheinischen Musikfest 1905 zu einem Eklat geführt hatten, wurden neben den Kosten für die Umstrukturierungen Panzner jährlich 15.000 Mark Gehalt plus eine persönliche Zulage von 1.000 Mark sowie Ruhegehalt, Witwen- und Waisengeld qua Vertrag zugesichert;61 Buths hatte 6.000 Mark Gehalt bezogen. Diese Summen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die Finanzlage der Stadt Düsseldorf von Anfang des Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs relativ stabil und abgesichert darstellte.62 Panzner unterschrieb am 3. Februar 1909 einen privatrechtlichen Dienstvertrag mit der Stadt und einen eigenen Vertrag mit dem Städtischen Musikverein. Neben den bereits bestehenden Aufgaben wie der Leitung des Orchesters, 56 Vgl. Dokument ›Zu IVA. 3175‹ vom 7. 1. 1909 zur Wiederbesetzung der Stelle des städtischen Musikdirektors, StAD Düsseldorf, 0-1-20-11.0000, S. 114a–116a. 57 Vgl. Brief Ophüls 30. 3. 1908, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 36–38, hier S. 36. 58 Brief Ophüls 9. 4. 1908, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 38–39, hier S. 39. 59 Vgl. Dokument ›Zu IVA. 3175‹ vom 7. 1. 1909 zur Wiederbesetzung der Stelle des städtischen Musikdirektors, StAD Düsseldorf, 0-1-4-376.0000, S. 114a–116a, 116a. 60 Vgl. Schreiben des Musikvereins vom 23. 11. 1908, am 25. 11. 1908 an den Oberbürgermeister weitergeleitet, StAD Düsseldorf, 0-1-20-9.0000, ohne Paginierung. 61 Vgl. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1908 bis 31. März 1909. Bearbeitet im Statistischen Amt, Düsseldorf 1909, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 96–99. 62 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 145.
Vertrag zwischen dem Musikverein und der Stadt
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Gutachtertätigkeiten, Proben und Durchführung der Niederrheinischen Musikfeste etc. war festgelegt worden, dass Panzner eine neue Reihe mit Symphoniekonzerten initiieren sollte. Unter Punkt 6 des Vertrages war ausdrücklich vermerkt, dass er als Dirigent des Städtischen Musikvereins den »Anordnungen des Vorstandes und des Verwaltungsrates dieses Vereins zu entsprechen« habe, aber nicht »gegen die Interessen der Stadt Düsseldorf«63. Hätte diese den Vertrag mit dem Musikverein gelöst, wäre Panzner wie schon sein Vorgänger Dirigent eines anderen musikalischen Vereins geworden, der nach dem Ermessen der Stadtverwaltung die Aufgabe am besten hätte erfüllen können. Nach den aktuellen Erfahrungen mit dem eigenmächtigen Handeln des Musikvereins 1908, als wegen dessen Verweigerung das Niederrheinische Musikfest ausgefallen war, wurden die Hierarchien zwischen der Stadt und dem Verein offenbar noch einmal ausdrücklich klargestellt, auch wenn dieser seinen privilegierten Status als ›Städtischer‹ Musikverein behielt. Panzner bezog zwar ein gutes Gehalt, doch besaß er qua Vertrag keine eigene künstlerische Entscheidungskompetenz, da er sowohl dem Musikverein als auch dem Willen des Oberbürgermeisters unterstand. Die Beschränkungen seiner Kompetenzen waren offenbar von der Stadtverwaltung festgelegt worden, um Auseinandersetzungen wie zuvor mit Buths zu vermeiden.64 In der Öffentlichkeit wurde dieses Arrangement nicht gerade als positiv wahrgenommen, wie beispielsweise in der Zeitschrift Kunstwart nachzulesen ist: Aus dem Vertrag ergebe sich, dass »der künftige städtische Musikdirektor der willenlose Sklave des Oberbürgermeisters« werde.65 Das Anstellungsverhältnis sei ein Musterbeispiel für eine Verwaltung, wie sie nicht sein solle, und es wurde vor den Problemen gewarnt, die entstünden, »wenn man ernste Kunstangelegenheiten von Dilettanten abhängig macht.«66
8.5
Vertrag zwischen dem Musikverein und der Stadt
Der am 15. und 19. Januar 1909 erneuerte Vertrag der Stadt mit dem Musikverein verpflichtete diesen, ein Drittel von Panzners Gehalt zu tragen sowie die Hälfte der pensionsfähigen Zulage, wofür die Stadt Konzerte ›nach Art der bisherigen Konzerte des Städtischen Musikvereins‹ für gemischten Chor nur mit diesem veranstalten durfte. Um seine Abonnementskonzerte durchführen zu 63 Vertrag zwischen der Stadt Düsseldorf und Karl Panzner sowie ›Aufgaben des städtischen Musikdirektors zu Düsseldorf‹ vom 3. 2. 1909, StAD Düsseldorf, 0-1-4-376.0000, S. 125a– 126b, hier S. 126b. 64 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 124. 65 Aus Düsseldorf, in: Kunstwart, Erstes Augustheft 21 (1908), S. 163f., hier S. 164. 66 Ebd.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
können, bezahlte der Verein außerdem das Städtische Orchester für seine Beteiligung an allen Vorproben, Generalproben und Aufführungen, wobei festgelegt war, dass Preiserhöhungen mitgetragen werden mussten.67 Sogar an den Kosten einer neuen Orgel für die Tonhalle in Höhe von 14.000 Mark war der Musikverein 1899 zur Hälfte beteiligt.68 Zwar sind private Chorvereinigungen fast immer in der Situation, für Konzertsäle, Probenräume, Orchester, musikalische Leiter etc. Geld aufbringen zu müssen, doch die vertraglich zugesicherte regelmäßige Zahlung hoher Summen an die Stadt stellte für den privaten Verein, auch wenn dieser zugleich als Konzertveranstalter auftrat und dadurch Einnahmen hatte, auf längere Sicht eine nicht geringe Belastung dar, insbesondere in Zeiten des Krieges und der Wirtschaftskrise. Die Probleme, die der Vertrag barg, wurden im Juli 1915 sichtbar : Im Zuge des Krieges war die Stadt gezwungen, die Anzahl ihrer Musiker zu reduzieren, doch für ein nicht voll besetztes Orchester konnte sie den Musikverein nicht den kompletten Beitrag zahlen lassen. Also musste der Vertrag vorübergehend ausgesetzt werden, allerdings verbunden mit der Abmachung: »Nach Friedensschluss tritt, wenn die Stadt wieder 66 Musiker stellt, der Vertrag vom 10. Oktober 1911 in Wirksamkeit.«69 Dass der Notbetrieb des Orchesters noch Jahre lang fortbestehen würde, war zu dem Zeitpunkt sicher nicht vorgesehen gewesen. Trotz der hohen Ausgaben machte der Städtische Musikverein im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zumeist Gewinn. Einbrüche waren lediglich nach dem Niederrheinischen Musikfest von 1905, der Interimszeit nach der Kündigung von Julius Buths und im Ersten Weltkrieg zu verzeichnen. Laut dem in der Generalversammlung vorgelegten Kassenabschluss verfügte der Verein im Jahr 1890 über ein Guthaben von 8.461 Mark.70 1892 wurde bereits ein Gewinn von 35.614, 44 Mark verbucht.71 Unter Panzner war sogar noch ein weiteres Anwachsen des Vereinsvermögens zu beobachten, allerdings mit der Einschränkung, dass die Zahlen durch die Entwertung der Mark 1922 und 1923 kein reales Wachstum abbilden.72
67 Vgl. Vertrag Stadt Düsseldorf mit dem Musikverein, 15. bzw. 19. 1. 1909, StAD Düsseldorf 01-4-376.0000, S. 127a–128a, hier S. 127a. 68 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 108. 69 Nachtragsvertrag Stadt Düsseldorf mit dem Musikverein, 10. 10. 1911, sowie anschließende Korrespondenz, StAD Düsseldorf 0-1-4-376.0000, S. 241a–243b, S. 243a. 70 Vgl. Buchführung Musikverein, StAD 0-1-20-3.0000, S. 15a. 71 Vgl. ebd., S. 38a. 72 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 27f.
Repertoire unter Karl Panzner
8.6
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Repertoire unter Karl Panzner
Gleich zu Anfang seiner Tätigkeit führte Panzner eine Veränderung ein, die sich auf die Aufführungssituation der Konzerte auswirkte. Bisher war der Saal der Tonhalle mit kleinen Tischen bestückt gewesen und während der Aufführungen wurden Getränke ausgeschenkt.73 1909 ließ Panzner erstmals für die ›Großen Orchesterkonzerte‹ Stuhlreihen aufbauen – ein Prinzip, das bald auch auf andere Veranstaltungen übertragen wurde.74 Dies hatte einen so großen Einnahmeausfall im Restaurationsbetrieb zur Folge, dass die Stadtverordnetenversammlung beschloss, dem Pächter Wilhelm Spickernagel für die Dauer seines Vertrages einen Pachtnachlass zu gewähren.75 Panzners Entscheidung stellte eine Veränderung im Konzertbetrieb dar, die sich bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu etablieren begonnen hatte;76 Düsseldorf war mit der Einführung der Reihenbestuhlung also vergleichsweise spät. Die Umbaumaßnahmen in den deutschen Konzertsälen gingen grundsätzlich einher damit, dass das Podium erhöht wurde und die Blicke des Publikums auf dieses ausgerichtet wurden. Außerdem erschwerten die Stuhlreihen das Herumlaufen und Plaudern der Besucher, wodurch eine stärkere Fokussierung auf die künstlerische Darbietung erreicht wurde. Geregelte Konzertpausen brachten zusätzlich eine klare Trennung von Aufmerksamkeit und Zerstreuung in den Ablauf.77 Bei Karl Panzner beobachtet Weber im Vergleich zu der Zeit unter Julius Buths die Etablierung eines neuen Programmtypus.78 Die Konzerte fielen deutlich kürzer aus und beinhalteten meist nur noch ein oder zwei Gattungen, so dass ungewöhnliche Werkzusammenstellungen, wie Buths sie bisweilen konzipiert hatte,79 kaum noch vorkamen. Auch fällt auf, dass Panzner mehr ältere Komponisten aufs Programm setzte als sein Vorgänger.80 Chorwerke waren allerdings immer noch die am häufigsten vertretene Werkgattung.81 Die Aufführung von Mahlers Sinfonie Nr. 8 (»Sinfonie der Tausend«) am 11. und 12. Dezember 1912 in Düsseldorf und Elberfeld wird als ein Glanzpunkt in Panzners 73 Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 48. 74 Vgl. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1909 bis 31. März 1910. Bearbeitet im Statistischen Amt, Düsseldorf 1910, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 126f. 75 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1909/1910, S. 127. 76 Vgl. Sven Oliver Müller, Das Publikum macht die Musik. Musikleben in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert, Göttingen 2014, S. 242. 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 57. 79 Vgl. ebd., S. 58. 80 Vgl. ebd., S. 61. 81 Vgl. ebd., S. 64.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
Zeit beschrieben. Das Orchester war eigens auf 125 Leute verstärkt worden und der Musikverein wurde durch den Chor der Elberfelder Konzertgesellschaft und durch Knabenchöre ergänzt,82 wofür den externen Beteiligten die Mitwirkung auf Zeit gestattet worden war.83 Düsseldorf gehörte damit ein Jahr nach dem Tod des Komponisten zu den frühen aufführenden Städten des Monumentalwerks, das erst zwei Jahre zuvor seine Uraufführung erlebt hatte.84 Vier der beteiligten Solisten – Gertrude Foerstel, Anna Erler-Schnaudt, Felix Senius und Nicola Geisse-Winkel – hatten bereits in der Uraufführung 1910 gesungen, was ein hohes Maß an Authentizität in der Werkinterpretation mit sich brachte und nebenbei die Anzahl der Solistenproben reduzierte. Das Projekt dürfe durch die Größe der Besetzung und die renommierten Mitwirkenden erhebliche Kosten verursacht, aber zugleich auch einen beachtlichen Prestigegewinn eingebracht haben. Insgesamt kommt Weber zu der Einschätzung, dass Panzner trotz der Aufführungen mit Werken von Strauss und Mahler sowie der Einführung von zehn Sinfoniekonzerten pro Spielzeit eine konservative Programmgestaltung praktizierte,85 während Buths mit seiner fortschrittlicheren Haltung mehr dem Trend des öffentlichen Musiklebens gefolgt war.86 Während der einschneidenden Phase des Ersten Weltkriegs passte Panzner das Repertoire zunehmend den äußeren Umständen an, indem er hauptsächlich Werke von älteren, deutschen Komponisten auswählte bzw. neuere Werke meist nur aufführte, wenn ihre Thematik zur Kriegssituation passte. Für die Erstaufführung von Strauss’ Alpensinfonie (9. Dezember 1915, nur sechs Wochen nach der Uraufführung) wurde trotz der schwindenden Ressourcen ein ausreichend großes Orchester zur Verfügung gestellt. Solche Unterstützung durch Darbietungen der »echten deutschen Kunst«87 während der schweren Kriegszeit wurde von der Presse positiv bewertet. Und auch die Tatsache, dass sich der Städtische Musikverein trotz kriegsbedingter finanzieller und personeller Einschnitte an Wohltätigkeitskonzerten beteiligte – am 19. Mai 1917 fand z. B. ein solches für die Kriegsfürsorge statt – wurde von der Presse gelobt.88 Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs fand das 100-jährige Doppeljubiläum des Musikvereins und der Niederrheinischen Musikfeste statt. Zu diesem Anlass verfasste der damalige Vorstand des Vereins Wilhelm Hubert Fischer eine 82 Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 31. 83 Vgl. Listen zeitweilige Mitwirkende 1912, StAD Düsseldorf, 0-1-20-3.0000, ohne Paginierung (eingeschoben zwischen S. 329 und 330). 84 Vgl. Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 32. 85 Zu dieser Einschätzung kommt auch Thelen-Frölich, vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 80. 86 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 79. 87 Ebd., S. 142. 88 Vgl. ebd., S. 144.
Die Niederrheinischen Musikfeste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
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Festschrift,89 am ersten Festtag, dem 12. Oktober 1918, knüpfte der Chor mit Haydns Schöpfung an seine Entstehungstradition an und anschließend wurde Panzner in einem Festakt zum ersten Generalmusikdirektor der Stadt Düsseldorf ernannt.90 Am zweiten Tag wurden Johann Sebastian Bachs Magnificat, Brahms 2. Klavierkonzert, Mendelssohn 114. Psalm für achtstimmigen Chor und Beethovens Sinfonie Nr. 5 aufgeführt. Der Musikverein hatte sich also ein solides Festprogramm mit Werken anerkannter deutscher Komponisten gestaltet,91 das über Mendelssohn und Brahms einen Bezug zu Düsseldorf herstellte, den Chor wirkungsvoll einband und keinen Anlass bot, das Publikum zu brüskieren. Als Solisten waren Edwin Fischer aus Berlin und Paul Bender aus München engagiert worden, und nach dem Konzert wurde sogar noch ein großes Festessen veranstaltet. Für den besonderen Anlass dieses Jubiläums waren also alle verfügbaren Ressourcen aktiviert worden. Direkt nach dem Krieg wurden die Abonnementskonzerte des Musikvereins wieder aufgestockt. Beinahe durchgängig fanden die Aufführungen in ausverkauften Häusern statt, denn der musikalische Nachholbedarf des Publikums war groß.92 In den Jahren bis 1922/1923 findet sich nur ein sehr geringer Anteil von Werken in den Programmen, die als progressiv zu bewerten sind oder gar in Richtung Atonalität gehen. Wenn zeitgenössische Komponisten gespielt wurden, dann waren es in aller Regel Vertreter der »älteren Moderne, des Fin-de-SiHcle«93. Selbst mit der Einschränkung, dass nach dem Krieg die Beschaffung von Notenmaterial erschwert war, lässt sich dennoch festhalten, dass Panzner seine Musikauswahl »im Dienst des nationalen Gedankens«94 der Kriegszeit fortsetzte.
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Die Niederrheinischen Musikfeste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Die Niederrheinischen Musikfeste der Jahre 1911 und 1914 unter Panzner knüpften an die frühere Tradition des Volksfestes an und waren mit Programmen bestückt, die wohlbekannte, gefällige Werke enthielten. Dennoch war der allgemeine Interessensverlust nicht zu übersehen: Trotz der Anpassung an die Erwartungshaltung des Publikums und das Vermeiden aller Risiken fanden sie 89 Vgl. Fischer, Städtischer Musikverein. 90 Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 145. Darauf, dass mit dieser Umbenennung eine Änderung von Panzners Aufgaben oder Vertragsbedingungen einherging, gibt es keine Hinweise. 91 Zur Rezeption von Felix Mendelssohn Bartholdy vgl. S. 268f. 92 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 79. 93 Vgl. ebd., S. 80f. 94 Vgl. ebd., S. 82.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
noch weniger Anklang als das letzte Fest unter Buths’ Leitung im Jahr 1905.95 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde insbesondere die Organisationsform der Feste (das erste fand wieder 1920 in Aachen statt) kritisiert, denn die Entscheidungsgewalt über die Programme lag nach wie vor bei einem Festkomitee, in dem Musikliebhaber und Mäzene der beteiligten Städte die Stimmenmehrheit besaßen96 und nicht etwa die Oberbürgermeister oder die Musikdirektoren. Dass Bürger hier ihre Programmwünsche durchsetzen konnten, die Musiker und Kritiker als altmodisch werteten, brachten den Niederrheinischen Musikfesten das Image eines »Fossil[s] des 19. Jahrhunderts«97 ein. Auch in den Musikzeitschriften der Zeit wurden die Feste kaum noch besprochen, was höchstwahrscheinlich mit der zunehmenden Konkurrenz durch spezialisierte Musikgesellschaften zu tun hatte, die beispielsweise als Veranstalter der Kammermusikfeste in Bonn, der Donaueschinger Tage für Neue Musik und anderer Musikreihen auftraten.98 In deutlichem Kontrast zum Stil der Niederrheinischen Musikfeste und auch der Abonnementskonzerte der Zeit stand das Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, das sich seit seiner Gründung 1861 die Aufführung neuer Kompositionen zum Ziel gesetzt hatte und 1922 zum ersten Mal in Düsseldorf veranstaltet wurde. Das verstärkte Städtische Orchester und der ebenfalls verstärkte Musikverein, die unter Leitung von Panzner oder des jeweiligen Komponisten standen, dessen Werk uraufgeführt wurde, bekamen für ihre Leistungen großes Lob,99 obwohl sie mit modernen Stücken von Georg Graener, Alois H#ba, Ewald Straesser, Anton von Webern u. a. alles andere als vertraut waren. Für die renommierte Veranstaltung, die von einem überregional bekannten Verein organisiert wurde, dessen Aktivitäten deutschlandweit Beachtung fanden, waren die Mitwirkenden jedoch offenbar bereit gewesen, sich auch auf Repertoire einzulassen, das beim Düsseldorfer Publikum unter anderen Umständen wohl kaum gut angekommen wäre. Interessant ist auch die Begründung für die Wahl Düsseldorfs als Veranstaltungsort. Gezielt war nämlich eine Stadt im besetzten Gebiet ausgesucht worden, »um vor der Welt ein Zeugnis für deutsche Kulturarbeit abzulegen, die selbst von unseren ärgsten Feinden, besonders in den Fragen der Musik, nicht als einseitig-nationalistisch bezeichnet werden kann, sondern auch heute noch ›Weltgeltung‹ besitzt.«100 Musik sollte also in der Situation der Besatzung nach dem verlorenen Weltkrieg als Medium Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 151. Vgl. Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 18. Ebd. Vgl. Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 17. Vgl. Gerhard Tischer, Vom Düsseldorfer Tonkünstlerfest, in: Rheinische Musik- und Theaterzeitung 23/24 (24. 6. 1922), S. 225. 100 Ebd. 95 96 97 98 99
Der Musikverein nach dem Ersten Weltkrieg
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benutzt werden, um die Deutschen als Repräsentanten einer bedeutsamen Kulturnation und zugleich als progressiv und aufgeschlossen darzustellen.
8.8
Der Musikverein nach dem Ersten Weltkrieg
Während des Krieges war Düsseldorf durch seine Stahlkonzerne eine der wichtigsten waffenproduzierenden Städte des Reiches gewesen, so dass ausbleibende Aufträge nach 1918 eine schwere Krise auslöste.101 Erstmals seit Mitte des letzten Jahrhunderts ging es mit der Wirtschaft steil bergab, womit besonders das erfolgsverwöhnte Bürgertum zu kämpfen hatte.102 Auf die Besetzung der Stadt durch die Franzosen am 8. März 1921 reagieren die Düsseldorfer zunächst eher gelassen, doch die Ruhrbesetzung im Januar 1923 schürte den Hass gegen den ›Erbfeind‹ und ließ das nationale Pathos in der Stadt aufleben. Hohe Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen, die in der Inflation 1923 gipfelten, taten ihr Übriges. In dieser Stimmung verübte der ehemalige Offizier Leo Schlageter einen Anschlag, indem er eine Eisenbahnbrücke in die Luft sprengte, wofür er von einem französischen Kriegsgericht exekutiert wurde. Die anschließende Stilisierung zum Nationalhelden ließ Schlageter zu einer prominenten Identifikationsfigur rechter Gruppierungen werden, die im Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam fortgeführt wurde.103 Die lange Zeit der Besatzung nach Kriegsende, die erst 1925 mit dem Abzug der Franzosen endete, beförderte in Düsseldorf die Entstehung von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus in einem erheblichen Ausmaß.104 Nach dem Kriegsende blieb der Städtische Musikverein Repräsentant der älteren bürgerlichen Musikkultur. Sein Kernrepertoire lässt sich als wenig zeitgemäß, erst recht nicht als progressiv beschreiben, und auch in seiner Vereinsstruktur war keine Bereitschaft zur Modernisierung zu erkennen.105 Letzteres zeigte sich besonders deutlich an einem Ereignis kurz nach der 100-jährigen Jubiläumsfeier : Am 29. und 30. Oktober 1918 beantragten die weiblichen Vereinsmitglieder beim Verwaltungsrat eine Satzungsänderung, da sie für den separaten Damenvorstand Sitz und Stimme im eigentlichen Vorstand zugesprochen bekommen wollten. Ihr Anliegen begründeten sie mit der großen Bedeutung des Damenchores für den Verein, aber auch mit der aktuellen Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 95f. Vgl. ebd., S. 98. Vgl. ebd., S. 104f. Vgl. Peter Hüttenberger (Hg.), Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Bd. 3, Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20. Jahrhundert), Düsseldorf 1989, S. 335. 105 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 77, 86. 101 102 103 104
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Frauenbewegung und dem Fortschritt der Zeit. Am 5. November 1918 wurde der Antrag abgelehnt mit der Begründung, »daß es nicht im Interesse des städtischen Musikvereins liege, eine solche grundlegende Änderung der Satzung«106 vorzunehmen. Dennoch sollte der Damenvorstand »in geeigneten Fällen«107 zu Sitzungen hinzugebeten werden. Die traditionellen Strukturen wurden offenbar für zu bedeutsam und unumstößlich gehalten, als dass man sie einfach hätte aufgeben wollen.108 Äußere Umstände wie die im ganzen Land fortschreitende Emanzipation nahmen auf die Strukturen des Musikvereins kaum Einfluss. Erst 13 Jahre später wurde dem Antrag des Damenchores entsprochen.109
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Georg Schnéevoigt (1924 bis 1925)
Nach Panzners Tod am 17. Dezember 1923 war wie zuvor Gustav Ophüls in die Stellenausschreibung und die Suche nach einem Nachfolger involviert, doch dieses Mal als offizielles Mitglied des Wahlkomitees, dem Bewerbungen von 56 Kandidaten vorlagen.110 Ophüls schilderte seinem Freund Beckerath die zähen Verhandlungen in einem Brief und kündigte an: »Wenn ich meinen Kandidaten [Carl Schuricht] nicht durchbringe, werde ich mich vom öffentlichen Musikleben ganz zurückziehen und nur noch für mich musizieren.«111 Nachdem Schuricht zunächst tatsächlich zugesagt hatte, trat er, obwohl bereits ein Vertrag ausgearbeitet worden war, überraschend davon wieder zurück. Seine Erklärung für diesen Schritt lautete, er fühle sich seinem Orchester in Wiesbaden zu stark verpflichtet.112 Nach diesem Rückschlag lehnte Ophüls übrigens Beckeraths Angebot ab, ihm einen Sitz im Stadtparlament zu vermitteln, was er damit begründete, dass ihm »alles, was mit Politik zusammenhängt, als eine der besten Charakter verderbende Beschäftigung in tiefster Seele verhaßt«113 sei – eine bemerkenswerte Aussage von einem Mann, der über Jahrzehnte auf die städtische Politik Düsseldorfs mit großem Engagement eingewirkt hat. Gustav Ophüls mag als Beispiel dafür dienen, dass auch im 20. Jahrhundert bürgerliche Musikliebhaber auf kulturpolitische Entscheidungen in nicht geringem Maße Einfluss nahmen. Insbesondere Oberbürgermeister Wilhelm Marx, selbst Jurist, 106 107 108 109 110 111 112
Ebd., S. 77. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. hierzu S. 210. Vgl. Postkarte Ophüls 25. 2. 1923, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 321. Brief Ophüls 18. 4. 1924, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 351–354, hier S. 353. Vgl. Protokoll Gespräch Thelemann und Carl Schuricht, 1. 7. 1924, StAD Düsseldorf, 0-1-209.0000, ohne Paginierung. 113 Brief Ophüls 18. 4. 1924, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 351–354, hier S. 354.
Georg Schnéevoigt (1924 bis 1925)
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war offenbar gerne bereit, auf das Urteil dieses kunstliebenden Juristen zu vertrauen. Nach Panzners Tod wurden die Konzerte des Städtischen Orchesters ebenso wie die des Städtischen Musikvereins zunächst durch Gastdirigenten aufgefangen.114 Gemäß dem Verwaltungsbericht 1922/1924 »gelang es der Stadtverwaltung Anfang August 1924 Professor Georg Lennaert-Schneevoigt [sic!] für den Konzertwinter 1924/1925 als Gastdirigent des Städtischen Orchesters und des Städtischen Musikvereins zu verpflichten.«115 Während der Musikverein 1923/ 1924 selbst als Konzertveranstalter für elf seiner Konzerte Gastdirigenten einlud, war die Stadt also für die Beschäftigung Schn8evoigts verantwortlich, der allerdings nicht fest angestellt wurde.116 Für einzelne Aufführungen des Städtischen Orchesters engagierte die Stadtverwaltung zusätzlich auch Hans Weisbach aus Hagen und Emil Bohnke aus Berlin.117 Im Laufe des Winters teilte Schn8evoigt mit, dass er nach der aktuellen Spielzeit nicht in Düsseldorf bleiben werde, da er ein festes Engagement in Aussicht habe, woraufhin die Verwaltung vor der Aufgabe stand, »die seit dem Tode des Generalmusikdirektors Professor Karl Panzner verwaiste Stelle des städtischen Generalmusikdirektors endgültig zu besetzen.«118 Am 26. April 1926 wurde für dieses Amt Hans Weisbach eingestellt.119 Wie schon bei anderen Interims-Dirigenten wird in der Literatur über Schn8evoigt des Öfteren die irrtümliche Aussage kolportiert, er sei Panzners direkter Nachfolger und somit ebenfalls Städtischer Generalmusikdirektor gewesen.120 Abgesehen davon, dass die Stadt Düsseldorf die Vakanz im Amt des Städtischen Musikdirektors in ihrer Geschichte offenbar generell nicht besonders offensiv in der Öffentlichkeit kommunizierte, haben zu dieser falschen Darstellung womöglich auch die Formulierungen des Zeitzeugen Ophüls beigetragen. Zwar behauptet er nirgends ausdrücklich, Schn8evoigt sei Städtischer Generalmusikdirektor gewesen, aber durch Formulierungen wie »unser Mu-
114 Vgl. Verwaltungsbericht der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1922 bis 31. März 1925. Bearbeitet im Statistischen Amt, Düsseldorf 1925, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 119f. 115 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1922/1925, S. 120. 116 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1922/1925, S. 119f. 117 Vgl. Verwaltungsbericht der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1925 bis 31. März 1928. Bearbeitet im Statistischen Amt, Düsseldorf 1928, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 136. 118 Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1925/1928, S. 136. 119 Vgl. ebd. 120 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 121; Hedler, Düsseldorfer Symphoniker, S. 35; Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 75; Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 281.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
sikdirektor«, »Dirigentenwahl«, »neuer Stabführer des Musikvereins« oder »unser neuer Mann«121 könnten falsche Assoziationen geweckt worden sein.
8.10 Repertoire unter Schnéevoigt In der Zeit, in der Schn8evoigt als Gastdirigent in Düsseldorf tätig war, legte er einen Repertoireschwerpunkt auf Instrumentalwerke und verstärkte das Orchester auf 125 Musiker.122 Seine erste Spielzeit begann er mit einem BeethovenAbend (15. September 1924) und bestritt auch die meisten weiteren Konzerte mit Werken von kanonisierten Komponisten wie Beethoven, Brahms, Mendelssohn, Händel, Berlioz und Bach. Dennoch bemühte er sich zugleich darum, das Düsseldorfer Publikum auch mit neuem Repertoire bekannt zu machen. So war er verantwortlich für die Düsseldorfer Erstaufführungen von Igor Strawinskys Feuervogel (26. März 1925), Schönbergs Gurre-Liedern (19. November 1925) und Ausschnitten aus Bergs Wozzeck (28. Januar 1926; drei Stücke für Bariton und Orchester).123 Auch Werke von Ture Rangström, Carl Nielsen sowie Alexander Scriabins Le PoHme de l’extase (dieses war unter Panzner allerdings schon einmal erklungen) dürften für das Düsseldorfer Publikum ungewohnt gewesen sein. In der Neuen Musik Zeitung wurde Schn8evoigts Zeit als InterimsPhase bezeichnet, die angeblich von einer »das hiesige Musikleben beunruhigenden Krisis«124 beherrscht war, welche erst mit der Anstellung von Hans Weisbach endete. Insbesondere die Vernachlässigung der Chorpflege unter Schn8evoigt wurde als negativ hervorgehoben; seine Verdienste durch die Verbesserung und Vergrößerung des Orchesters sollten jedoch »trotz allerhand Versager« anerkannt werden.125 Auch in der Zeitschrift Die Musik wird Schn8evoigt als ungeeignet bezeichnet, Düsseldorfs Ansehen als Musikstadt zu fördern; seine Anstellung sei ein Experiment gewesen, durchgeführt von einer kleinen, »doch allmächtig sich dünkenden Clique«126. Angesichts seiner vorherigen und späteren beruflichen Laufbahn127 bieten derartige Urteile über sein fachliches Können Anlass zur Verwunderung. In Schn8evoigts Zeit fiel 1925 auch die musikalische Gestaltung der Jahr121 Briefe Ophüls 3. 8. 1924, 27. 9. 1924, 13. 10. 1924, in: Briefwechsel Beckerath Ophüls, S. 367, 368, 372, 374. 122 Vgl. Peters, Ausstellungskatalog, S. 14. 123 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 83. 124 Neue Musik Zeitung 47 (1926), S. 394. 125 Ebd. 126 Die Musik, 18/9 (Juni 1926), S. 703. 127 1904 bis 1908 war Schn8evoigt u. a. Leiter des Kaim-Orchesters München – heute die Münchner Philharmoniker –, seit 1917 Mitglied der königlichen Musikakademie in Stockholm und 1927 bis 1929 Leiter des Los Angeles Philharmonic Orchestra.
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tausendfeier, welche die Stadt anlässlich des bevorstehenden Abzugs der französischen Besatzung aus dem Rheinland am 25. August 1925 mit großem Aufwand veranstaltete und an der der Musikverein und das Städtische Orchester mitwirkten.128 Mit Beflaggung, dem Läuten aller Kirchenglocken und einer Rede von Oberbürgermeister Lehr, die als »Bekenntnis zum Deutschen Reich«129 zu werten war, wurde am Sonntag auf dem Marktplatz gefeiert. Sogar Reichspräsident Paul von Hindenburg war aus diesem Anlass nach Düsseldorf gereist und wurde von 50.000 Menschen im neu gebauten Rheinstadion bejubelt.130 Der historische Hintergrund für die Veranstaltung und auch diverse aus diesem Anlass herausgebrachte Publikationen war ein Ereignis, das eigentlich bis dato kaum im öffentlichen Bewusstsein vorhanden gewesen war :131 925 n. Chr. hatte sich das Herzogtum Lothringen dem deutschen König unterworfen, was nun als Anlass genommen wurde, die 1000-jährige Zugehörigkeit der Rheinlande zum Deutschen Reich zu feiern.132 Der Plan, das historische Ereignis für die Veranstaltung einer Jahrtausendfeier zu Propagandazwecken zu nutzen, stammte von dem Leiter des Düsseldorfer Stadtarchivs Paul Wentzcke.133 Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und der erst kürzlich zu Ende gegangenen französischen Besetzung der Rheinprovinz fiel die Idee auf fruchtbaren Boden, so dass ein großer Teil der Bevölkerung mobilisiert werden konnte, sich an dem Großereignis zu beteiligen. In zahlreichen Städten wurde der Gedenktag mit Festzügen, Ausstellungen, Vorträgen und Musikfesten gefeiert, was der Konstruktion und Stabilisierung von regionaler, aber auch nationaler Identität innerhalb der Bevölkerung der Rheinprovinz vorantrieb.134 Vom 8. bis 10. Juni fanden folgende Festkonzerte statt: 8. Juni 1925 Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): Schottische Symphonie Engelbert Humperdinck (1854–1921): Maurische Rhapsodie Max Bruch (1838–1920): Violinkonzert g-Moll Robert Schumann (1810–1856): Manfred für Soli, Rezitation, Chor, Orgel und Orchester
Im Zusammenhang mit dem Konzert ist im Verwaltungsbericht der Stadt vermerkt, dass der Chor, der aus Mitgliedern des Städtischen Musikvereins, hieVgl. Loick, Düsseldorf, S. 106; vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1922/1925, S. 120. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 159. Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 107. Vgl. Antje Johanning, »Ein Reich, ein Volk, ein Geist!« Zur Inszenierungspraxis der Jahrtausendfeiern, in: Gertrude Cepl-Kaufmann (Hg.), Jahrtausendfeiern und Befreiungsfeiern im Rheinland. Zur politischen Festkultur 1925 und 1930, Essen 2009, S. 85–110, hier S. 85. 132 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 159. 133 Vgl. Johanning, Inszenierungspraxis Jahrtausendfeiern, S. 85–86. 134 Vgl. ebd., S. 85. 128 129 130 131
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sigen namhaften Gesangvereinen und weiteren gemischten Chören bestand, eine Stärke von etwa 1.000 Mitwirkenden hatte.135 9. Juni 1925 Lothar Windsperger (1885–1935): Streichquartett g-Moll Joseph Haas (1789–1960): Trio für Violine, Bratsche und Violoncello op. 22 Paul Hindemith (1895–1963): Quartett Nr. 5, op. 32 10. Juni 1925 Peter Cornelius (1824–1874): Ouvertüre zu Der Barbier von Bagdad Fritz Brandt (1880–1949): Klavierkonzert (UA) Max von Schillings (1868–1933): Glockenlied für Solo und Orchester (UA) Hans Pfitzner (1869–1949): Violinkonzert (UA) Walter Braunfels (1882–1954): Te Deum, für Solo, Chor und Orchester (UA)
Die Aufgabe, ein passendes Programm für einen derart stark emotional aufgeladenen, patriotischen Anlass zu wählen, hatte Schn8evoigt gelöst, indem er zahlreiche Werke von Komponisten auswählte, die aus dem Rheinland stammten oder diesem biografisch verbunden waren: Mendelssohn und Schumann hatten als Düsseldorfer Musikdirektoren gewirkt, Humperdinck stammte aus Siegburg, Bruch und Braunfels aus Köln, Max von Schillings aus Düren und der Jurist und Komponist Fritz Brandt lebte seit 1921 in Düsseldorf. Bei dem Kammermusikabend waren mit Lothar Windsperger, Paul Hindemith und Josef Haas hingegen nicht explizit rheinische Komponisten vertreten. Windsperger und Haas waren mit Hindemith durch Konzerte in Donaueschingen bekannt; auch wirkte Hindemith als Bratschist des ausführenden Amar-Quartetts an der Aufführung selbst mit. Im Verwaltungsbericht der Stadt wird die Aufführung als »Kammermusikabend der jungdeutschen Komponisten« bezeichnet.136 Im Rahmen des dritten Konzertes fanden gleich vier Uraufführungen statt, von denen zwei die Komponisten selbst dirigierten.137 Max von Schillings leitete eines seiner Glockenlieder und Pfitzner sein Violinkonzert. Das Klavierkonzert von Fritz Brandt wurde von Walter Gieseking aufgeführt, als Violinistin in Pfitzners Konzert war Alma Moodie verpflichtet worden. Sprecher bei der Aufführung von Schumanns Manfred waren die prominenten Schauspieler Ludwig Wüllner und seine Schwester Anna Wüllner-Hoffmann. Faktisch hatte Schn8evoigt die Aufgabe erfüllt, ein Programm zu gestalten, das durch ein Übergewicht von dem Rheinland verbundenen Komponisten die 135 Vgl. Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1922/1925, S. 120. Die Programmpunkte im Verwaltungsbericht weichen geringfügig von der Auflistung bei Großimlinghaus (1989) ab, wofür hier keine Erklärung geliefert werden kann. Die Bewertung des gesamten Programmes wird aber durch diese Unterschiede nicht beeinflusst. 136 Verwaltungs-Bericht Düsseldorf 1922/1925, S. 120f. 137 Vgl. ebd.
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Bedeutung der regionalen Identität repräsentierte. Dennoch waren bei dem Kammermusikabend moderne und progressive Künstler vertreten – durch das Attribut ›Jungdeutsche‹ wurden dieses als Repräsentanten der Nation vereinnahmt –, ein ganzes Konzert wurde nur mit Uraufführungen bestritten, von Humperdinck erklang mit der Maurischen Rhapsodie ein vergleichsweise unbekanntes Werk und auch Manfred war nicht gerade Schumanns meist gespielte Komposition. Zu den bekannteren und publikumswirksameren Stücken, die geeignet waren, ein eher konservatives Publikum zu ›versöhnen‹, zählten das bekannte Bruch-Violinkonzert Nr. 1, Mendelssohns Sinfonie Nr. 3 (die Schottische) und am letzten Konzerttag Beethovens Missa solemnis, bei der erneut der verstärkte Chor des Musikvereins zum Einsatz kam. Abgesehen von Beethoven, Mendelssohn und Schumann, die durch ihre Biografien als Vertreter der Regionalkultur gewertet werden konnten, waren alle anderen Komponisten erst seit wenigen Jahren verstorben oder sogar noch Zeitgenossen. In den anderen Städten, in denen Jahrtausendfeiern stattfanden, welche ein »gefährliches Schwelgen in der Erinnerung an vergangene vermeintlich große Zeiten«138 darstellten, waren die allgemein favorisierten musikalischen Werke Beethovens Sinfonie Nr. 9 und der 3. Akt auf der Festwiese aus Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg.139 Verglichen mit dieser ästhetischen Schwerpunktlegung war das musikalische Festprogramm Schn8evoigts modern und vielseitig konzipiert. Seine Wahl wurde von der zeitgenössischen Presse jedoch keineswegs gutgeheißen, wie beispielsweise in der Rheinischen Musikund Theaterzeitung in einem Artikel des Korrespondenten Carl Heinzen zu lesen ist. So sei die Auswahl der Werke nicht ›rheinisch‹ genug gewesen und ihre Wiedergabe misslungen. Besonders wurde allerdings Schn8evoigt aufgrund seiner finnischen Herkunft angegriffen: »Man male sich diese Groteske aus: Um die Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen Reich zu feiern, beordert man einen Ausländer an die Spitze der musikalischen Veranstaltungen; um Festtage zu bereiten, die sich dem Herzen als unvergeßliches Erlebnis einprägen müßten, wählt man einen Dirigenten, dem gerade jenes innere Verhältnis zu deutscher Kunst fehlt!«140
Schn8evoigt verließ Düsseldorf 1926, um im Jahr darauf ein festes Engagement 1927 als Leiter des Los Angeles Philharmonic Orchestra anzutreten. Als mögliche Gründe für interne Spannungen wurden zwischenmenschliche Probleme 138 Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 159. 139 Vgl. Klaus Wolfgang Niemöller, Zur kulturell-politischen Bedeutung der Musik bei den Jahrtausendfeiern der rheinischen Städte 1925, in: Cepl-Kaufmann, Jahrtausendfeiern, S. 161–174, hier S. 162, 174. 140 Rheinische Musik- und Theaterzeitung 26 (1925), S. 410, zit. nach Niemöller, Bedeutung Musik Jahrtausendfeiern, S. 172.
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Der Musikverein zwischen Musikmarkt und städtischen Strukturen
bei seiner Arbeit mit den Instrumentalisten genannt, aber auch seine Bevorzugung des Orchesters gegenüber dem Städtischen Musikverein, die sich in einer reduzierten Anzahl von Chorkonzerten äußerte, und seine moderne Repertoirewahl trugen zu seiner Unbeliebtheit bei dem Verein, dem Publikum und der Presse bei.141 Die in der Rheinischen Musik- und Theaterzeitung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung Schn8evoigts aufgrund der Tatsache, dass er Ausländer war, dürfte die Problematik verschärft haben.
141 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 84.
9.
Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik
9.1
Hans Weisbach (1926 bis 1933) und die Anfänge des Nationalsozialismus in Düsseldorf
Nach Ende des Ersten Weltkriegs machten sich im Alltag nationalistische Tendenzen innerhalb der Düsseldorfer Gesellschaft bemerkbar. So wurde z. B. zunehmend die Nationalität bei den Musikern des Städtischen Orchesters dafür ausschlaggebend, ob ihnen im Zuge von Sparmaßnahmen gekündigt wurde oder nicht. Thelen-Frölich führt zahlreiche Dokumente der Zeit als Belege dafür an, dass in Düsseldorf eine Atmosphäre entstand, die aufnahmebereit für die Ideologien der Nationalsozialisten war.1 Die sich verschlechternde Finanzlage wirkte sich bald massiv auf das kulturelle Leben der Stadt aus. 1929 wies die Denkschrift Kartell Vereine dringlich auf die Gefahr hin, der das künstlerische und wissenschaftliche Leben in Düsseldorf durch die finanzielle Vernachlässigung ausgesetzt war.2 Am 26. April 1926 wurde Hans Weisbach, der zuvor schon Gastdirigent in Düsseldorf gewesen war, als Generalmusikdirektor fest angestellt. Er unterschrieb am 29. November 1925 seinen privatrechtlichen Dienstvertrag, der ihm ein Jahresgehalt von 25.000 Reichsmark zusicherte, nicht jedoch die Rechte eines Kommunalbeamten.3 Der neue Vertrag zwischen der Stadt und dem Musikverein wurde am 4. Dezember 1925 geschlossen.4 Aus dem dem Dienstvertrag beigefügten Dokument ›Aufgaben des städtischen Generalmusikdirektors zu Düsseldorf‹ geht hervor, dass Weisbach wie schon Karl Panzner auf musikali-
1 Vgl. ebd., S. 151. 2 Vgl. Ein Kapitel Düsseldorfer Kulturpolitik. Denkschrift des Kartells wissenschaftlicher und künstlerischer Vereine der Stadt Düsseldorf, Düsseldorf [1929], S. 15f. 3 Vgl. Vertrag Stadt Düsseldorf mit Hans Weisbach, 29. 11. 1925, StAD Düsseldorf, 0-1-209.0000, ohne Paginierung. 4 Vgl. Vertrag Stadt Düsseldorf mit dem Musikverein, 4. 12. 1925, StAD Düsseldorf, 0-1-209.0000, ohne Paginierung, ohne Paginierung.
208
Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik
schem und musikwissenschaftlichem Gebiet allen Aufträgen des Oberbürgermeisters – seit 1924 war Robert Lehr im Amt – zu folgen hatte. Die Organisation und Durchführung der Niederrheinischen Musikfeste war nach wie vor Bestandteil der Abmachung ebenso wie die Koordination der Aufteilung des Städtischen Orchesters zwischen dem Theater und dem Konzertleben. Außerdem musste Weisbach den Musikverein dirigieren und dessen Programme entwerfen – jedoch wie bei früheren Verträgen »nicht gegen die Interessen der Stadt Düsseldorf«5. Dieses Mal kam allerdings ein Passus hinzu, der dem Generalmusikdirektor bisher nicht vorhandene Entscheidungskompetenzen einräumte: »Als Voraussetzung zu sachlicher Arbeit und künstlerischer Höchstleistung beim Chor des Musikvereins wird Herr Generalmusikdirektor Weisbach beauftragt, alsbald nach seinem Dienstantritt alle aktiven Mitglieder des Musikvereins und andere bei den Konzertaufführungen mitwirkende Sänger und Sängerinnen einer Prüfung auf Stimme und Musikalität zu unterziehen und die Ausschliessung ihm ungeeignet Erscheinender bei den zuständigen Stellen zu beantragen.«6
Dies bedeutete eine massive Veränderung für die Arbeitsweise des Vereins, denn grundsätzlich erwarb jedes Mitglied durch seinen Beitritt und die Zahlung des Beitrages das Recht, bei Konzerten mitzusingen. Die Bewertung der Kompetenz und der mögliche Ausschluss eines Sängers erfolgten bis dato vereinsintern. Diese neue von der Stadt diktierte Regelung griff somit in die autonome Mitgliederstruktur ein.
9.2
Streit um Weisbach und seine Kündigung
Abgesehen davon, dass sich die finanzielle Notlage der Stadt nach 1929 wie überall in Deutschland verschärft hatte, kam es in der Zusammenarbeit zwischen der Stadt und Generalmusikdirektor Weisbach bald zu Schwierigkeiten. Diese gipfelten 1930 in einem unlösbaren Konflikt, der sich auch auf den Musikverein auswirkte und diesen in finanzielle Bedrängnis brachte. Angesichts der »besorgniserregenden Lage des Vereins« wurde am 25. Oktober 1930 vom Verwaltungsrat des Musikvereins beschlossen, »Herrn Weisbach aufzugeben«7 und wegen der extrem knappen Finanzlage keine Musiker mehr zur Verstärkung des Orchesters hinzuzuziehen außer bei Erkrankung eines Instrumentalisten. Am 5 Aufgaben Hans Weisbach als städtischer Musikdirektor, 29. 11. 1925, StAD Düsseldorf, 0-1-209.0000, ohne Paginierung. 6 Vgl. ebd. 7 Auszug aus dem Beschlussbuch des Städtischen Musikvereins, StAD Düsseldorf, 0-1-2011.0000, ohne Paginierung.
Streit um Weisbach und seine Kündigung
209
18. Februar 1931 schloss Oberbürgermeister Lehr mit Weisbach einen neuen Vertrag, gemäß dem sein Gehalt ab dem 1. Mai 1931 von 28.000 Reichsmark auf 25.000 Reichsmark reduziert werden sollte.8 In einer Ergänzung der Dienstanweisung vom 18. Februar 1931 bestimmte er ausdrücklich, dass Weisbach alle seine Aufgaben selbst zu erledigen habe, zur Kostenreduktion die Anzahl der Konzerte verringern, bei Solisten sparen und das Orchester verkleinern solle. Der Musikverein würde seine Verträge nun selbst abschließen und Proben genehmigen, Weisbach solle hier nur noch unterstützen.9 Was hinter den Kulissen zwischen der Stadt und dem Generalmusikdirektor vorgefallen war, lässt sich nicht rekonstruieren, doch offensichtlich hatte es heftigen Streit zwischen den Parteien gegeben. Auf jeden Fall wurde Weisbach die Verantwortung für die prekäre finanzielle Lage des Düsseldorfer Konzertwesens angelastet. Seine Zusammenarbeit mit anderen Verantwortlichen sei ebenso schlecht verlaufen wie die Organisation von Proben und Aufführungen, was er durch seine zahlreichen auswärtigen Verpflichtungen, häufige kurzfristige Programmänderungen, Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit verschuldet habe.10 Die Hilfsmaßnahmen von 1931 zeigten jedoch keine Wirkung, so dass der Musikverein bereits im nächsten Jahr auf dem Weg in den finanziellen Ruin war. Trotz der häufigen Konflikte der vergangenen Jahrzehnte unterbreitete der Beigeordnete der Stadt Thelemann am 9. März 1931 dem Musikverein das Angebot finanzieller Unterstützung. Im Gegenzug durfte dieser keine Aufführungen mehr auf eigene Rechnung durchführen, seine Mitglieder mussten unentgeltlich bei städtischen Musikveranstaltungen mitwirken, dem Oberbürgermeister stand es frei, andere Sänger und Chöre hinzuzuziehen und den Dirigenten zu wählen. Darüber hinaus sollte der Musikverein der Stadt sein Eigentum übertragen. Der neue Vertrag galt vom 1. April 1931 an für drei Jahre und war jährlich kündbar.11 Am 13. März 1931 nahm der Vereinsvorstand das Angebot an, da es keinen anderen Ausweg aus der finanziellen Notlage gab.12 Damit verlor der Musikverein nicht nur seine Position als Unternehmer, sondern auch seinen exklusiven Status als ›der‹ Chor der Stadt. Über dieses ›Novum‹ wurde im Juli 1932 sogar in der Zeitschrift Die Musik berichtet: Erstmals seien 8 Vgl. neuer Vertrag Stadt Düsseldorf mit Hans Weisbach, 18. 2. 1931, StAD Düsseldorf, 0-1-209.0000, ohne Paginierung. 9 Vgl. Ergänzung zum neuen Vertrag Stadt Düsseldorf mit Hans Weisbach, 18. 2. 1931, StAD Düsseldorf, 0-1-20-9.0000, ohne Paginierung. 10 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 167f. 11 Vgl. Abschrift Brief Stadt Düsseldorf an den Musikverein, 9. 3. 1931, StAD Düsseldorf, 0-120-624.0000, S. 101a–102a. 12 Vgl. Abschrift Brief des Musikvereins, 13. 3. 1931, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 101a–102a.
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Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik
die »strenge[n] Prinzipien der städtischen Konzerte durchbrochen«13 und der Düsseldorfer Männerchor in die städtischen Konzerte einbezogen worden. In die gleiche Zeit fiel noch eine andere große Veränderung innerhalb der Vereinsstruktur : Gemäß seines aktuellen Statuts, das am 30. Dezember 1930 genehmigt und am 9. März 1931 ins Amtsregister eingetragen wurde,14 gehörten dem neunköpfigen Verwaltungsrat erstmals drei Frauen an (§ 13). Somit hatte es über 13 Jahre gedauert, bis der Antrag der weiblichen Mitglieder Erfolg gehabt hatte und ihnen das Stimmrecht in dem bisher nur von Männern geleiteten Verein gewährt wurde.15
9.3
Streitigkeiten zwischen dem Musikverein und der Stadt
Am 1. April 1932 war Weisbach mit Wirkung zum 1. Oktober 1932 gekündigt worden, doch durch eine Klage vor dem Arbeitsgericht hatte er durchgesetzt, dass er nach Zahlung einer Vergleichssumme auch noch die Abonnementskonzerte in der nächsten Saison dirigieren durfte.16 Am 6. März sprach der Vorstand des Musikvereins mit Oberbürgermeister Lehr ab, dass Weisbach im Winter 1933/1934 noch die Konzerte des Vereins leiten sollte, jedoch nicht mehr in Festanstellung, sondern gegen ein Honorar.17 Ein Teil der Chormitglieder jedoch war mit der Kündigung Weisbachs nicht einverstanden und verfasst mit dem Absender ›Chor des städtischen Musikvereins‹ am 24. März 1932 ein Protestschreiben an den Oberbürgermeister.18 Lehrs zorniger Antwortbrief vom 31. März 1932 erinnerte die Vorstände daran, dass er bereits 1930 nach unangemessenen Äußerungen von Vereinsmitgliedern gegenüber einer Düsseldorfer Zeitung damit gedroht hatte, die Zusammenarbeit ein für alle Mal zu beenden – »[w]ürden nochmals Mitglieder des Chores selbstständig störend in das Musikleben eingreifen.«19 Es sei ausdrücklich verfügt worden: »Ohne vorherige Fühlungnahme mit der Stadtverwaltung dürfte auch der Musikverein keinerlei selbstständigen [sic!] Schritte im Musikleben unternehmen.«20 Diese autoritären Worte verhinderten jedoch nicht, dass wenig später die Chorsängerin Mohr Vgl. Carl Heinzen, Düsseldorf, in: Die Musik, 24/9 (Juli 1932), S. 771. Vgl. Statut des Musikvereins 9. 3. 1931, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 100ff. Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 77. Vgl. ebd., S. 169. Vgl. Brief des Musikvereins an den Oberbürgermeister, 6. 3. 1933, StAD Düsseldorf, 0-1-20624.0000, S. 106a–106b. 18 Vgl. Brief Musikverein an den Oberbürgermeister, 24. 3. 1932, StAD Düsseldorf 0-1-20624.0000, S. 61f. 19 Brief Oberbürgermeister an den Musikverein, 31. 3. 1932, StAD Düsseldorf 0-1-20-624.0000, S. 63a–63b. 20 Ebd.
13 14 15 16 17
Streitigkeiten zwischen dem Musikverein und der Stadt
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vor Beginn des Karfreitagskonzerts spontan eine Ansprache hielt, in der sie sich stellvertretend auch für einige andere Choristinnen über Weisbachs Kündigung und die falsche Darstellung in der Presse empörte, laut der der Chor und der Generalmusikdirektor nicht miteinander auskämen. Ähnlich wie schon bei dem Weggang von Julius Buths 1908 war die Situation emotional stark aufgeladen. Damals hatte der Chor die Niederrheinischen Musikfeste platzen lassen, und nun deutete Frau Mohr an, dass bei den Mitwirkenden kurzfristig der Gedanke aufgekommen sei, die bevorstehende Aufführung der Matthäus-Passion zu boykottieren; nur der Respekt vor Johann Sebastian Bach und Hans Weisbach habe den Chor von dieser Tat abgehalten.21 Ein Eintrag in das Beschlussbuch des Musikvereins vom 6. April 1932 verrät, dass Mohr eigenmächtig und vor allem im Interesse des Damenchores handelte, während der Großteil des Herrenchores gegen ihre Ansprache protestierte und nun durch eine offizielle Entschuldigung das gute Verhältnis mit der Stadt zu retten versuchte.22 Ein Brief des Beigeordneten Thelemann an Oberbürgermeister Lehr vom 8. September 1932 zeigt, dass der Streit bis dahin nicht beigelegt worden war und innerstädtisch ernsthaft darüber nachgedacht wurde, den Vertrag mit dem Musikverein zu lösen; die Modalitäten einer solchen Kündigung bzw. Strategien, um ihn durch andere Chöre zu ersetzen, hatte Lehr rechtlich prüfen lassen.23 Als Grund für dieses Vorgehen nannte Lehr in einem Vermerk vom 27. September 1932 die Tatsache, dass die Chordamen Mohr und Dahm nach wie vor gegen die Entlassung von Weisbach intervenieren würden. Er verlangte deren Ausschluss aus dem Verein und wies darauf hin, dass die Stadt aktuell keinen Musikdirektor und darum der Musikverein auch keinen Dirigenten habe; es sei jedoch laut Vertrag das Recht der Stadt, den jeweiligen Dirigenten frei zu wählen.24 In der Reihe der Städtischen Musikdirektoren klaffte bis zur Anstellung von Hugo Balzer also erneut eine wenn auch kleine Lücke. Als es in den Kommunen in der Rheinprovinz allmählich zu finanziellen Schwierigkeiten kam, beschloss die Rheinprovinzverwaltung in Koblenz, aus Kostengründen die Verantwortung für Oper und Orchester zukünftig in eine Hand zu legen. Für dieses Amt sah die Düsseldorfer Stadtverwaltung jedoch Weisbach aufgrund der organisatorischen Probleme, die er verursacht hatte, als ungeeignet an, und auch die stadtbekannte Feindschaft zwischen ihm und dem 21 Vgl. Ansprache von Frau Mohr vor Beginn des Karfreitagskonzertes, 4. 4. 1932, StAD Düsseldorf 0-1-20-624.0000, S. 55a–55b. 22 Vgl. Auszug aus dem Beschlussbuch des Musikvereins, 6. 4. 1932, StAD Düsseldorf, 0-1-20624.0000, S. 81a–81b. 23 Vgl. Brief Thelemann an den Oberbürgermeister, 8. 9. 1932, StAD Düsseldorf, 0-1-20624.0000, S. 98. 24 Vgl. Dokument ›Zu I Nr. 1751/32‹, 27. 9. 1932, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 103a– 104b.
212
Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik
Generalintendanten der Oper Walter Bruno Iltz war ein zusätzlicher Hemmschuh.25 Nachdem die Stadt Weisbachs Vertrag gekündigt hatte, erstritt dieser vor Gericht einen Vergleich, womit der ›Fall Weisbach‹ juristisch ad acta gelegt wurde; im Musikleben der Stadt schwelte der Konflikt jedoch weiter.26 Um sich nach den ausgefochtenen Streitigkeiten mit Lehr auszusöhnen, bot der Chor an, dass der Oberbürgermeister und ein beauftragter Beigeordneter im Verwaltungsrat des Musikvereins einen Sitz mit Stimmrecht bekommen sollten, um der Stadt stärkte Einflussnahme zu ermöglichen.27 Trotz der massiven Finanzprobleme, des Verlusts von Einfluss und Prestige in der Stadt und auch trotz des langwierigen und heftigen Streits mit dem Oberbürgermeister war es dem Musikverein gelungen, seine Existenz zu sichern. Offensichtlich besaß dieser eine große bürgerliche Lobby in Düsseldorf, die hierzu beigetragen hatte. Überliefert sind eine Reihe ausführlicher Briefe von kunstliebenden Bürgern und ausübenden Laienmusikern an Oberbürgermeister Lehr, die sich für den Verbleib Weisbachs in der Stadt und die Wünsche des Musikvereins aussprachen. Beispielhaft genannt sei das Schreiben von Landgerichtsrat Dr. Erich vom 25. März 1932,28 auf das Lehr ebenso persönlich und detailliert antwortete29 wie auf die anderen Briefe. Auch seine Entscheidung vom 4. April 1932, zur Beratung einen »kleinen Kreis von musikinteressierten Persönlichkeiten«30 des städtischen Lebens hinzuziehen, um über weitere Maßnahmen zu beraten, zeigt, dass die kunstliebenden Bürger der Stadt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss besaßen. Abgesehen von dem mangelnden Organisationstalent und dem schlechten Wirtschaften, das Weisbach vorgeworfen wurde, gab es noch einen anderen Grund, der zu dem problematischen Verhältnis zwischen ihm und Lehr beitrug. Die Entlassung des Generalmusikdirektors wurde von verschiedenen Medien wie beispielsweise der SPD-nahen Volkszeitung kritisiert, insbesondere aber von der nationalsozialistischen Volksparole. Letztere nutzte die Verteidigung Weisbachs für eine regelrechte Hetzkampagne gegen den jüdischen Musikdirektor der Oper Jascha Horenstein, zu welchem Zweck die Zeitung sogar das Gerücht in die Welt setzte, auf Weisbach sei ein Attentat verübt worden.31 Die Unterstützung
25 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 168f. 26 Vgl. ebd., S. 169. 27 Vgl. Dokument ›Zu I Nr. 1751/32‹, 27. 9. 1932, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 103a– 104b, 104a. 28 Vgl. Brief Landgerichtsrat Dr. Erich an den Oberbürgermeister 25. 3. 1932, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 48–50. 29 Vgl. Brief Oberbürgermeister an Landgerichtsrat Dr. Erich 4. 4. 1932, StAD Düsseldorf, 0-120-624.0000, S. 58a–58b. 30 Vermerk der Oberbürgermeister 4. 4. 1932, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 60a. 31 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 170f.
Repertoire unter Weisbach
213
seiner Person erfolgte nicht zufällig. Neben anderen Quellen32 zeigt eine Selbstdarstellung Weisbachs vom 9. Juni 1933, dass er sich mit dem nationalsozialistischen Regime arrangiert hatte: »Seit 1926 bin ich Generalmusikdirektor von Düsseldorf. (…) Die Düsseldorfer Stadtverwaltung hat mir meine Verdienste um das Musikleben wiederholt mit größter Anerkennung bestätigt, ebenso die deutsche Musik Fachpresse. Eine plötzliche Änderung trat ein, als Intendant Iltz den russischen Juden Horenstein als musikalischen Oberleiter der Düsseldorfer Oper engagierte. Horenstein, der niemals zuvor Theaterdirigent gewesen war, wurde als Anfänger vom Orchester abgelehnt. Die Absicht der Stadtverwaltung, ihn zum Generalmusikdirektor des Düsseldorfer Theaters zu ernennen, mußte ich im Interesse des Orchesters damals vereiteln. Von diesem Augenblick an datiert eine erbitterte Feindschaft der hinter Horenstein stehenden Judenclique, aber auch des früheren Oberbürgermeisters Lehr und des Intendanten Iltz.«33
9.4
Repertoire unter Weisbach
Mit Blick auf Weisbachs künstlerische Arbeit hebt Peters hervor, dass dieser zahlreiche Werke der Neuen Musik auf den Spielplan setzte und bis zum Beginn der Wirtschaftskrise sehr erfolgreich war.34 Der Blick auf seine Konzertprogramme zwischen 1926 und 1933 zeigt allerdings, dass primär das traditionelle Repertoire fortgesetzt wurde. Ein überwiegender Teil der Werke stammte von Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven und Brahms. Gelegentlich führte Weisbach auch Werke von Mahler auf, der zu dieser Zeit als innovativer gelten darf als die zuvor Genannten, aber der bereits 1911 verstorben war. Ein Programm des 13. Dezember 1928 mit ›Werken zeitgenössischer Tonsetzer‹, das drei Uraufführungen und eine Erstaufführung enthielt, fiel vor diesem Hintergrund aus dem Rahmen: Josef Matthias Hauer (1883–1959): Suite Nr. 7 op. 48, für Orchester Wolfgang von Bartels (1883–1938): 7 Lieder für Sopran (UA) Arthur Benjamin (1893–1960): Concertino für Klavier und Orchester (UA) Hans G#l (1890–1987): Sinfonie Nr. 1 D-Dur op. 30 (UA) Alexander Tscherepnin (1899–1977): Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 op. 26 (EA)
Dieses war das einzige Programm in acht Jahren, das explizit den Anspruch erhob, Zeitgenossen zu Gehör zu bringen. Insgesamt dürfen diese Werke jedoch 32 Vgl. beispielsweise Walter Rischer, Die nationalsozialistische Kulturpolitik in Düsseldorf 1933–1945, Düsseldorf 1972, S. 60. 33 Vgl. Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. Version 1.2, 3/2005, CDRom, S. 7628f.; Weisbachs Karriere im Nationalsozialismus dokumentiert Prieberg ausführlich, vgl. ebd. S. 7628–7637. 34 Vgl. Peters, Ausstellungskatalog, S. 14.
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Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik
allenfalls der ›gemäßigten‹ Moderne zugeordnet werden: Die sieben Lieder von Bartels waren nicht zu identifizieren, doch andere seiner Liedkompositionen machen es wahrscheinlich, dass auch diese tonal waren. Das Concertino des australischen Komponisten Benjamin (gestorben 1960) enthält zwar jazzartige Elemente, ist aber auch nicht als radikal neuartig für die Zeit einzuschätzen. Und Hauers Suite, G#ls Sinfonie und Tscherepnins Konzert erscheinen im direkten Vergleich mit den Vertretern der zeitgenössischen Avantgarde ebenfalls als eher gefällige und nicht gerade progressive Werke. Auch andere der gespielten Komponisten, die als zeitgenössisch gelten können in dem Sinne, dass sie während Weisbachs Amtszeit noch lebten, gehören nicht in die Kategorie modern und avantgardistisch, sondern eher spätromantisch, so beispielsweise Hermann Suter (1870–1926), Hans Pfitzner (1869–1949), Paul Graener (1872– 1944) und Gabriel Piern8 (1863–1937). Gleich zu Anfang von Weisbachs Amtszeit fand eine Ausstellung statt, die weit über die Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregte und als so bedeutsam eingeschätzt wurde, dass Reichspräsident von Hindenburg im September 1925 anlässlich der Vorbereitungen nach Düsseldorf reiste.35 Am 8. Mai 1926 eröffnete die ›Große Ausstellung Düsseldorf 1926 für Gesundheitspflege, Soziale Fürsorge und Leibesübungen‹, kurz Gesolei, ihre Pforten,36 auf der neben Gesundheit, Hygiene, Sport und Arbeitsverhältnissen auch nationalistische Themen wie Rassehygiene und Vererbungslehre präsentiert wurden. Mit ca. 7,5 Millionen Besuchern war die Gesolei eine der bedeutendsten Großveranstaltungen der Weimarer Republik.37 An der Eröffnungsveranstaltung beteiligte sich auch der Städtische Musikverein mit einem Auftritt, für den Weisbach Werkausschnitte auswählte, die aufgrund ihrer Popularität sowie ihrer auf Klanggewalt und Massenwirkung angelegten Ästhetik für die Zielsetzung der Veranstaltung leicht nutzbar zu machen waren: das Halleluja aus Händels Messias, den Schlusschor aus Pfitzners Von deutscher Seele und Wagners Meistersinger-Vorspiel. Hinzu kam, dass die Wahl der Komponisten Richard Wagner, dessen deutschnationale Haltung allgemein bekannt war, und Hans Pfitzner, der sich durch seine Pamphlete Futuristengefahr (1917) und Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom? (1920) öffentlich als Vertreter eines radikalen Konservativismus positioniert hatte, dem Ausdruck neuen deutschen Selbstbewusstseins, das hier mit rassistischen Untertönen propagiert wurde, entgegenkommen musste. Dass die Ausstellung in ihrem Namen auch explizit den Anspruch erhob, soziale Fürsorge zu thematisieren – ein Thema, bei 35 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 159. 36 Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 107. 37 Vgl. Peter Henkel, Jörg Vögele, Gesolei, in: in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 270.
Vorläufiges Ende der Niederrheinischen Musikfeste
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dem die Kirche unweigerlich eine Rolle spielte –, war möglicherweise ein Grund für Weisbach, Händels Halleluja als Ausschnitt aus einem liturgischen Werk mit aufs Programm zu setzen. Die Anpassung Weisbachs an nationalsozialistische Vorgaben hinsichtlich der Programmgestaltung wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten an der Auswahl von Kompositionen und Solisten augenfällig. Noch bis 1932 hatte der Musikdirektor gelegentlich Werke jüdischer Komponisten aufgeführt, so beispielsweise von Ernst Toch, Hans G#l und Walter Braunfels (der nach nationalsozialistischen Maßstäben als Halbjude eingestuft wurde). Am 3. März 1932 erklangen anlässlich einer Feier zu Goethes hundertstem Todestag ein als Schlusschor bezeichneter Ausschnitt aus Mahlers Sinfonie Nr. 8 sowie aus Mendelssohns Die erste Walpurgisnacht die Ouvertüre und der erste Chor. Beides waren Passagen, die aufgrund der zugrunde liegenden Texte aus Goethes Faust eine plausible Auswahl darstellten. Nach diesem Konzert waren keine jüdischen Komponisten mehr vertreten. Zu den jüdischen Musikern, die Weisbach vor 1932 noch gelegentlich eingeladen hatte, gehörten prominente Solisten wie Bronislaw Hubermann, Wladimir Horowitz und Hermann Schey. Im November 1932 trat unter Weisbach noch einmal ein Bassist namens Desider Ernster auf, der aus Ungarn stammte, zuvor in Bayreuth gesungen hatte und in dieser Spielzeit erst an das Düsseldorfer Opernhaus gekommen war, wo er ein Jahr lang blieb. Darüber, ob seine jüdische Wurzeln in Düsseldorf bekannt waren, liegen keine Informationen vor. Weisbachs Bereitschaft, jüdische Künstler zu engagieren und aufzuführen, endete also kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933.
9.5
Vorläufiges Ende der Niederrheinischen Musikfeste
In Weisbachs Zeit fiel auch das Ende der Niederrheinischen Musikfeste im Jahr 1931. 1926 leitete er das Fest in Düsseldorf, bei dem Arthur Honeggers König David seine deutsche Erstaufführung erlebte (2. Juni 1926). Wie schon im Jahr zuvor bei der Jahrtausendfeier war der Schauspieler Ludwig Wüllner als Rezitator verpflichtet worden. Honeggers Werk war für das Düsseldorfer Publikum und auch die Ausführenden sicherlich neuartig, doch Weisbach hatte es in mehrere vertraute Stücke wie das Halleluja aus Händels Messias, Bruckners Sinfonie Nr. 8 und Beethovens Missa solemnis eingebettet. Die Entscheidung für ein vergleichsweise modernes Stück wie König David dürfte Weisbachs Bemühen geschuldet gewesen sein, dem Niederrheinischen Musikfest einen Mehrwert zu verschaffen, den es in den Augen der Öffentlichkeit und der Kritiker inzwischen verloren hatte, wofür besonders das Fehlen großer Chorwerke oder In-
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Früher Einfluss des Nationalsozialismus auf die Düsseldorfer Kulturpolitik
strumentalkompositionen der Moderne verantwortlich gemacht wurde.38 1928 wurde das Musikfest trotz großer Reformbemühungen (Spezialisierung, Porträtkonzerte, Neue Musik, historische Aufführungspraxis39) als für die Massen nicht mehr zeitgemäß eingestuft. Um Kosten zu sparen gliederten die Veranstalter es 1929 noch an die städtischen Abonnementskonzerte an, doch auch diese Rettungsversuche nützten nichts; 1931 wurden die Niederrheinischen Musikfeste eingestellt.40
9.6
Chordirektoren Joseph Neyses, Michael Rühl und Herbert Zipper
In der Zeit der Weimarer Republik wurden beim Städtischen Musikverein erstmals Chordirektoren angestellt.41 Der erste von ihnen war Joseph Neyses, der nach dem Krieg 1945 zum Direktor des Robert-Schumann-Konservatoriums berufen wurde und der Düsseldorfer Musikwelt als Gründer und Leiter des Bachvereins in Erinnerung blieb. Für Neyses war die Tätigkeit als Chordirektor eine von mehreren Durchgangsstationen in seiner Laufbahn, was sich angesichts der hohen Arbeitslosigkeit Anfang der 1920er Jahre nicht hatte vermeiden lassen. So war er u. a. 1916 bis 1922 Korrepetitor und Kapellmeister am Düsseldorfer Opernhaus, ging dann kurzfristig als Violinlehrer in die Schweiz, kehrte nach Düsseldorf zurück und arbeitete von 1924 bis 1926 als Chormeister des Städtischen Musikvereins, wobei es zu seinen Aufgaben gehörte, Analysen und Programmeinführungen für die städtischen Konzerte zu schreiben.42 Neyses Anstellung fällt in die Zeitspanne, in der Düsseldorf keinen Städtischen Musikdirektor und somit der Musikverein keinen Leiter hatte, weshalb Georg Schn8evoigt als Gastdirigent verpflichtet worden war. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Verein einen Chordirektor für seine Probenarbeit engagierte. Der Beginn von Hans Weisbachs Tätigkeit 1926 fiel mit dem Abschluss von Neyses Promotion und dem Beginn seiner Lehrtätigkeit zusammen,43 so
38 39 40 41
Vgl. Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 19. Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd. Vgl. Waltraud Rexhaus, Zur Geschichte des Musikvereins, in: Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. (Hg.), 175 Jahre Städtischer Musikverein zu Düsseldorf 1818–1993. Redaktion Johanna Becker, Düsseldorf 1994, S. 80f., hier S. 81. 42 Vgl. Karl Heinrich Hodes, Wegbereiter der Düsseldorfer (Robert Schumann) Musikhochschule. Zum Tode von Professor Dr. Joseph Neyses, in: Musica sacra 05 (1988), S. 425f., S. 426; Heinrich Lehmacher, Prof. Dr. Joseph Neyses, in: Musica sacra 11 (1960), S. 322f., hier S. 323. 43 Vgl. Lehmacher, Joseph Neyses, S. 323. Neyses promovierte in Musikwissenschaft mit einer
Chordirektoren Joseph Neyses, Michael Rühl und Herbert Zipper
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dass in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit dem Musikverein endete. Drei Jahre später bestand offenbar erneut Bedarf, für den Chor einen eigenen Direktor zu beschäftigen. Michael Rühl, der der Erste Chordirektor der Städtischen Bühnen Düsseldorf war, wurde von der Stadt beauftragt, zusätzlich mit dem Musikverein die Chorstücke für die städtischen Konzerte vorzubereiten.44 Rühl war also nicht der Angestellte des Vereins, sondern der Stadt. Ein weiterer Musiker, der zeitweilig für den Städtischen Musikverein Aufgaben eines Chordirektors erfüllte, war der jüdische Komponist, Dirigent und Musikpädagoge Herbert Zipper, der zwischen 1931 und 1933 in Düsseldorf am Buths-Neitzel-Konservatorium arbeitete und in dieser Zeit auch einige Aufführungen des Musikvereins an Stelle von Hans Weisbach leitete.45 Bekannt geworden ist Zipper als Komponist des Dachau-Liedes nach einem Text von Jura Soyfer, der 1938 in das Konzentrationslager in Dachau deportiert worden war. Aus einem Brief vom 27. März 1931 von Hans Weisbach an Zippers Vater Emil Zipper geht hervor, dass er dessen Sohn fachlich wie menschlich sehr schätzte und ihm zahlreiche Proben von Orchester- und Chorwerken, aber auch die Durchführung von Konzerten überlassen hatte, insbesondere wenn Neue Musik gespielt wurde. Nach dem 30. Januar 1933 beendete Weisbach offensichtlich aus politischen Gründen den Kontakt zu seinem jüdischen Kollegen. Dass praktisch keine Dokumente über die Zusammenarbeit von Weisbach und Zipper erhalten sind, ist entweder damit zu erklären ist, dass die Nationalsozialisten die entsprechenden Akten kassiert haben oder dass diese im Krieg verloren gegangen sind.46 Daher kann über die Rolle, die Zipper beim Städtischen Musikverein gespielt hat, keine weitere Aussage gemacht werden. Es wäre jedoch sicherlich eine lohnende Aufgabe, nach weiteren Informationen über dieses Thema zu suchen.
Arbeit über das Thema ›Studien zur Geschichte der deutschen Motette des 16. Jahrhunderts‹, vgl. ebd. 44 Vgl. maschinegeschriebener Lebenslauf Michael Rühl, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 490, 69, ohne Paginierung. 45 Vgl. Sebastian Feldmann, Ein fast vergessener Musiker. Herbert Zipper – von der Tonhalle übers KZ Dachau bis nach Manila, in: Städtischer Musikverein, 175 Jahre, S. 83–85. 46 Vgl. ebd.
10. Geschätzt für seine Tradition – der Musikverein und seine Rolle im Nationalsozialismus
10.1 Nationalsozialistische Musikpolitik Die Bedeutung der Musik für die Politik des Nationalsozialismus ist ein umfangreiches und komplexes Thema, das an dieser Stelle nur angerissen werden kann.1 Der gezielte und umfassende Machtmissbrauch der Kultur, den die Nationalsozialisten praktizierten, war nur mit Hilfe eines riesigen, komplexen politischen Apparats möglich, der alle kulturellen Gruppierungen und Aktivitäten des Landes durch Organisationen wie beispielsweise die Reichskulturkammer kontrollierte.2 Die Frage, warum sich zahlreich Bürger geradezu emphatisch für die Kulturpolitik der Nationalsozialisten begeisterten, lässt sich wahrscheinlich nie zur Gänze und schon gar nicht in wenigen Sätzen beantworten. Ein entscheidender Punkt war jedoch sicherlich das Unbehagen, das viele Vertreter der bürgerlichen Schicht angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage und der instabilen Demokratie in der Weimarer Republik erfasst hatte. Durch die Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit hatte ein Teil des Bürgertums sein angespartes Vermögen verloren und in Folge davon auch
1 Weiterführende Darstellungen sind beispielsweise in folgenden Publikationen zu finden: Albrecht Dümling (Hg.), Das verdächtige Saxophon. ›Entartete Musik‹ im NS-Staat, Düsseldorf 1988, überarb. u. erw. 4. Aufl. 2007; Hanns-Werner Heister/Hans-Günter Klein (Hg.), Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland, Frankfurt a.M. 1982; Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat, Frankfurt 1982; Joseph Wulf, Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Frankfurt a.M. 1983. In der 2013 vom Förderkreis der Mahn- und Gedenkstätte und dem Düsseldorf Geschichtsverein herausgegebenen Bibliografie sind insgesamt 961 Publikationen zu dem Thema ›Nationalsozialismus in Düsseldorf‹ aufgelistet, vgl. Förderkreis der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf e.V. und Düsseldorf Geschichtsverein e.V. (Hg.), Düsseldorf im Nationalsozialismus. Eine Bibliografie zur Stadtgeschichte zwischen 1933 und 1945, bearbeitet von Bastian Fleermann unter Mitwirkung von Susanne Böhm, Essen u. a. 2013. 2 Der Aufbau dieses Systems wird ausführlich untersucht und dargestellt bei Rainer Sieb, Der Zugriff der NSDAP auf die Musik. Zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei, Osnabrück 2007.
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Der Musikverein und seine Rolle im Nationalsozialismus
einen Bedeutungsverlust in der Gesellschaft hinnehmen müssen3 – und dies alles erst kurze Zeit nach der ebenfalls schmerzlichen Erfahrung, den Ersten Weltkrieg verloren zu haben. In dieser Situation entstanden nun kulturelle Innovationen wie Experimentelle Literatur, atonale Musik, Episches Theater, die Bauhaus-Ästhetik, politisches Kabarett u. ä., was aus heutiger Sicht oft als faszinierende und bedeutende Entwicklung wahrgenommen wird.4 Auch Musikstile wie der Jazz und Massenmedien wie das Kino, die primär aus den USA stammten, gewannen in Deutschland an Popularität.5 Gleichzeitig wurde seit Anfang der 1920er Jahre die zentrale Darbietungsform des traditionellen Konzertlebens – das bürgerliche Konzert – in seiner Bedeutung, ja in seiner Existenzberechtigung an sich radikal in Frage gestellt.6 Nachdem die deutsche Kultur früher einmal als »etwas Höheres«7 betrachtet worden war, wirkten diese Entwicklungen auf die Schicht der »enttäuschten Bildungsbürger …«8 verstörend und bedrohlich. Es darf nicht verwundern, dass das Eintreten für eine »völkische« deutsche Kunst durch die Nationalsozialisten als eine willkommene Gegenstrategie erschien,9 verkündeten diese doch durch ihnen nahestehende Musikwissenschaftler und Kritiker das Ende der Konzertkrise und die Abkehr von der Kultur der Weimarer Republik.10 Die ›deutsche‹ Musik wurde als Vehikel benutzt, um die erlebten Verluste zu kompensieren, der Nation ihren Stolz zurückzugeben und ein Gefühl von Überlegenheit anderen Völkern gegenüber zu vermitteln.11 Als zentrale Feindbilder wurden die ausländische, speziell die amerikanische Kultur, der Kommunismus und alles im weitesten Sinne ›Jüdische‹ verankert, was bei der Mehrheit der Bildungs- und Besitzbürger durchaus auf Zustimmung stieß.12 Bis 1933 wurde das Konzertwesen primär von seinem lokalen Umfeld bestimmt und die Kommunen als Träger der Orchester sowie private Initiatoren lenkten das Geschehen; eine wirkliche staatlich organisierte Konzertpolitik existierte noch nicht.13 Diese Leerstelle verstanden die Nationalsozialisten rasch 3 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 53. 4 Vgl. Jost Hermand, Die Kulturszene im Dritten Reich, in: Brunhilde Sonntag, Hans-Werner Boresch und Detlef Gojowy (Hg.), Die dunkle Last. Musik und Nationalsozialismus, Köln 1999, S. 9–22, hier S. 11. 5 Vgl. Hermand, Kulturszene Drittes Reich, S. 12–13. 6 Vgl. Ziemer, Das Konzert, S. 310–315. 7 Vgl. Hermand, Kulturszene Drittes Reich, S. 12. 8 Ziemer, Das Konzert, S. 322. 9 Vgl. Hermand, Kulturszene Drittes Reich, S. 14. 10 Vgl. Ziemer, Das Konzert, S. 323. Zur Rolle der Musikwissenschaft im Nationalsozialismus vgl. Pamela M. Potter, Most German of the Arts. Musicology and society from the weimar republic to the End of Hitler’s Reich, New Haven u. a. 1998. 11 Vgl. Mecking, Deutsche Musik, 2016, S. 22f. 12 Vgl. Hermand, Kulturszene Drittes Reich, S. 16f. 13 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 8f.
Nationalsozialistische Musikpolitik
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und ebenso rigoros wie effektiv zu füllen. Es gelang allerdings bis zum Untergang des NS-Staates nicht, zu definieren, was denn nun eigentlich das »spezifisch Deutsche in der Musik«14 sein sollte – ein Umstand, der auch von den Nationalsozialisten selbst als problematisch wahrgenommen und thematisiert wurde.15 Dieses Fehlen klarer Richtlinien verhinderte einerseits einheitliche Verbote bestimmter Werke und Komponisten und andererseits die passgenaue Komposition ›arischer‹ Musik. Die massiven Interessenskonflikte und Machtkämpfe innerhalb des nationalsozialistischen Machtapparats, wie sie beispielsweise zwischen Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg stattfanden, waren ein offensichtliches Zeichen für diese Widersprüchlichkeit.16 Der Mangel eines theoretischen Fundaments der nationalsozialistischen Musikästhetik ließ sich trotz musikwissenschaftlicher Publikationen und Tagungen nicht ausgleichen, was letztendlich dadurch zu erklären ist, dass es gar nicht um die Musik als solche ging, sondern darum, sie aufgrund ihres großen Wirkungspotenziales zu instrumentalisieren und wie alle Bereiche des Kulturlebens für Propaganda und einen Prestigegewinn zu benutzen. Ihren hohen Stellenwert im ›Dritten Reich‹ verdankte die Musik als Kunstform nicht zuletzt der Tatsache, dass die Nationalsozialisten sie für tauglich hielten, als die »reinste künstlerische Darstellung dessen, was zu innerst deutsch ist«17 zu fungieren und dadurch zur Festigung der Volksgemeinschaft beizutragen. Zu diesem Zweck griffen die Verantwortlichen bei der Durchführung von musikalischen Veranstaltungen gezielt Elemente auf, deren Quelle die Ideale der bürgerlichen Musikkultur waren, und deuteten diese in ihrem Sinne um. So wurde beispielsweise bei den Reichsmusiktagen 1938 und 193918 in der Öffentlichkeit kommuniziert, die Veranstaltungen sollten »Schaffende und Empfangende zusammenbringen«19 und in Begleitveranstaltungen wie dem »offenen Singen«20 ein Gemeinschaftsgefühl hervorrufen, da dort Bürger »ohne Unterschied des Standes«21 14 Vgl. Ziemer, Das Konzert, S. 328. 15 Vgl. Unsere Meinung. Was ist ›deutsche Musikgeschichte‹?, in: Die Musik, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde 28/7 (April 1936), S. 523f., hier S. 523. 16 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 242. 17 Karl Hasse, Die nationalsozialistischen Grundsätze für die Neugestaltung des Konzert- und Opernbetriebes, in: Zeitschrift für Musik, Jg. 16, H 3 (1934), S. 274–281, hier S. 275, zit. nach Ziemer, Das Konzert, S. 327. 18 Vgl. hierzu S. 227f., 237f. 19 Christoph Guddorf, Konzert und Oper in Düsseldorf unter der Kulturpolitik der Nationalsozialisten, Magisterarbeit, Osnabrück 2006, S. 106. 20 Ebd., S. 122. Welches Repertoire bei diesem ›offenen Singen‹ erklang, geht aus der Quelle nicht hervor. In erster Linie ging es den Veranstaltern jedoch darum, ein Format der frühen Niederrheinischen Musikfeste zu kopieren, um an deren Tradition anzuknüpfen. Inhalte wurden diesem Vorgehen untergeordnet. 21 Guddorf, Konzert und Oper Düsseldorf, S. 122.
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zusammenkämen. Sogar die Ausflugsfahrten, die bei den Niederrheinischen Musikfesten im 19. Jahrhundert gelegentlich zum Programm gehört hatten, griffen die Veranstalter auf (Busfahrt an den Niederrhein und Motorbootfahrt bis Wittlaer).22 Besonders im Jahr 1939 wurde betont, dass die Reichsmusiktage eine »Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes«23 seien. Einen ähnlichen Zweck erfüllte das Kultivieren der bürgerlichen Tradition der Hausmusik, die u. a. durch Motto-Tage in der Bevölkerung beworben wurde.24 Allerdings war das Anknüpfen an die bürgerlichen Ideale eine reine Instrumentalisierung derselben und stellte somit eine Pervertierung der dahinterstehenden Ideen dar. In ähnlich verzerrter Weise wurde auf theoretischer Ebene versucht, die ›deutsche Musik‹ zu überhöhen, sie quasi den Niederungen des Alltags zu entreißen und sie als eine Form der »heiligen deutschen Kunst«25 in die Nähe der Religion zu rücken.
10.2 Düsseldorf im Nationalsozialismus Auch wenn sich in Düsseldorf nach den entbehrungsreichen Jahren der Nachkriegszeit die Finanzlage zwischen 1926 und 1929 zeitweilig besserte und eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber künstlerischen Entwicklungen und Modernisierungsbestrebungen sichtbar wurde, tendierte die Stadtverwaltung doch zum Schulterschluss mit den konservativ-nationalen Parteien.26 Die Einbrüche nach dem Börsencrash im Oktober 1929 beendeten die zeitweilig gute Konjunktur, und weit über hundert Unternehmen mussten schließen oder ihren Betrieb einschränken.27 Ursprünglich hatte Düsseldorf – verglichen mit Städten wie München und Berlin – nicht zu den Hochburgen der NSDAP gehört. 1932 wurde diese quasi aus dem Stand stärkste Partei, was Hans-Peter Görgen mit der Sozialstruktur der Bevölkerung erklärt. Der hohe Anteil von Mittelständlern unter den Berufstätigen war für die Parolen der Nationalsozialisten besonders anfällig gewesen, so dass diese auf keinen nennenswerten Widerstand stießen.28 22 Vgl. Reichsmusiktage Düsseldorf 22. bis 29. Mai 1938, Programmheft, Düsseldorf [1938], ohne Seitenzählung, [S. 47], SBB, 4’’ Mus. Cr 208. 23 Düsseldorfer Woche 22 (13.-20. 5. 1939). 24 Vgl. Rudolf Maria Breithaupt, Zum Tag der Hausmusik (21.11.33), in: Die Musik, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde 26/2 (November 1933), S. 81–84; Wilhelm Jung, Tag der deutschen Hausmusik 1940, in: Die Musik, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde 33/2 (November 1940), S. 70f. 25 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 50. 26 Vgl. ebd., S. 69. 27 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 166. 28 Vgl. Hans-Peter Görgen, Düsseldorf und der Nationalsozialismus. Studie zur Geschichte einer Großstadt im »Dritten Reich«, Düsseldorf 1969, S. 238, 242. Dass der Widerstand
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Die vorangegangene »Panik des Mittelstandes«29 aufgrund der schlechten Wirtschaftslage seit 1929 hatte sich in diesem Ergebnis niedergeschlagen. Wenn überhaupt, dann kam Widerstand von den Kirchen und Angehörigen der Linksparteien.30 Einfluss auf die politische Entwicklung nahm zweifellos die Tatsache, dass die Nationalsozialisten Düsseldorf am 1. Januar 1930 zur Hauptstadt eines eigenen Gaus machten.31 Diesem gehörte auch Mönchengladbach-Rheydt, der Geburtsort von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, an. Die Ernennung Düsseldorfs zur Gauhauptstadt und die Einsetzung Friedrich Karl Florians als Gauleiter am 1. August 1930, der im gleichen Jahr Reichstagsabgeordneter wurde32 und zur Spitzenprominenz der Partei gehörte, erhöhten den Status der Stadt deutlich.33 Florian war ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit, der in Düsseldorf den Märtyrerkult um Schlageter vorantrieb, 1945 die ›Aktion Rheinland‹ niederschlagen ließ und sich bis zum Ende seines Lebens 1975 nie vom Nationalsozialismus distanzierte.34 Görgen sieht in Florian einen der, wenn nicht gar den wichtigsten Entscheider über die städtische Politik.35
10.3 Musikbetrieb im nationalsozialistischen Düsseldorf Spätestens seit der Jahrhundertwende bemühte sich die Stadt darum, mit Hilfe renommierter Musikdirektoren wie Buths und Panzner, prominenter Gastkünstler wie Richard Strauss und durch seine Konzertaktivitäten auch ihr Renommee als Musikstadt wiederzubeleben, das es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gehabt hatte. Dieser begonnene Imagewandel wurde von den Nationalsozialisten gezielt vorangetrieben. Ihr erklärtes Ziel war es, Düsseldorf zum »kulturellen Mittelpunkt der Westmark«36 zu machen. Als Beispiel für die intensiv betriebene Propaganda sei der Artikel Düsseldorf – Mission einer Musikstadt37 in der Zeitschrift Die Musik vom Oktober 1934 genannt. Kurt Heifer
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insgesamt gering war, bestätigt auch Weidenhaupt, vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 169. Volker Franke, Der Aufstieg der NSDAP in Düsseldorf. Die nationalsozialistische Basis in einer katholischen Großstadt, Essen 1987, S. 259. Vgl. Görgen, Düsseldorf und Nationalsozialismus, S. 240. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 167. Vgl. Bastian Fleermann, Friedrich Karl Florian, in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 231f. Vgl. Görgen, Düsseldorf und Nationalsozialismus, S. 238. Vgl. Fleermann, Friedrich Karl Florian, S. 231f. Vgl. Görgen, Düsseldorf und Nationalsozialismus, S. 242f. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 173. Vgl. Kurt Heifer, Düsseldorf – Die Mission einer Musikstadt, in: Die Musik, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde 27/1 (Oktober 1934), S. 55–57.
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begründete darin die in der Überschrift gemachte Zuweisung mit Düsseldorfs rheinischer Kultur und Lebensart, seiner geografischen Lage am Rhein und der Behauptung, dass eine »staatliche, nationale Linie« Düsseldorf mit Berlin und somit die »Provinz mit der Zentrale« verbinde.38 Das Bedeutungskonstrukt diente der Rechtfertigung folgender Strategie: »Die Kulturpolitik der Stadt wird Inhalt ihrer Kommunalpolitik!«39 Zitiert wurde in dem Zusammenhang Kulturdezernent Horst Ebel, der diese schicksalhafte Aufgabe damit begründete, dass er Düsseldorf – sicher nicht zufällig in Anlehnung an dessen Geschichte – als Residenz bezeichnete, was zu Spitzenleistungen auf dem Gebiet der Musik und des Theaters verpflichtet habe.40 Horst Ebel war seit 1924 Mitglied der NSDAP,41 wurde zwei Jahre später von Florian zum Fachberater für Kommunalpolitik in der Gauleitung berufen und 1935 zum Stadtrat ernannt.42 Zwischen 1933 und 1938 war er Leiter des Amtes für kulturelle Angelegenheiten, doch nach der Ausstellung Schaffendes Volk, die als großer Misserfolg gewertet wurde, verlor er die Position des Kulturdezernenten wieder.43 Ebel verfolgte nachdrücklich das Ziel, aus der Industriestadt Düsseldorf eine Kunststadt zu machen, die als Bollwerk die nationale Kultur gegen fremdgeistige Strömungen aus Westeuropa verteidigen sollte.44 Als Kulturdezernent wurde er automatisch zum Vorsitzenden des Städtischen Musikvereins gemacht45 und nahm in dieser Eigenschaft Einfluss auf dessen Wirken. Als Zeichen erster Erfolge der nationalsozialistischen Kulturpolitik wurden die steigenden Besucherzahlen angeführt, dann folgten die Gründung des Robert Schumann Konservatoriums 1935, die Stiftung des Robert Schumann Kunstpreises 1937 (der allerdings im Jahr darauf in einen Kompositionsauftrag umgewandelt wurde)46 und schließlich die Reichsmusiktage 1938 und 1939. Auch auf dem Gebiet der nationalsozialistischen Kulturpolitik passte sich Düsseldorf an oder zeigte Entgegenkommen.47 So wurde beispielsweise gegen den jüdischen Generalmusikdirektor der Oper Jascha Horenstein bereits 1932 38 39 40 41 42 43 44
45 46 47
Vgl. ebd. Heifer, Düsseldorf, S. 56. Vgl. ebd., S. 57. Vgl. Hüttenberger, Geschichte Düsseldorf Bd. 3, S. 475. Vgl. Internetseite Stefanie Schäfers, Die Ausstellung Schaffendes Volk Düsseldorf 1937, (28. 2. 2018). Vgl. ebd. Vgl. Yvonne Wasserloos, Im Schatten. Düsseldorfs Verhältnis zu Mendelssohn vor und nach 1945. in: Andreas Ballstaedt/Volker Kalisch/Bernd Kortländer (Hg.), Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit. Mendelssohns Wirken in Düsseldorf, Schliengen 2012, S. 169–184, hier S. 173. Vgl. hierzu S. 230. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 176. Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 243.
Generalmusikdirektor Hugo Balzer (1933 bis 1945)
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von der NS-Gauleitung gehetzt, was sich 1933 zu einer öffentlichen Kampagne ausweitete, die sich auch gegen Intendant Iltz und Oberbürgermeister Lehr richtete. Unter dem Druck gab Horenstein schließlich nach und ging nach Paris.48 Auffällig ist ebenfalls, dass der Jüdische Kulturbund, der deutschlandweit bis 1938 aktiv war, in seiner Zweigstelle Jüdischer Kulturbund Rhein-Ruhr in den Städten Aachen, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Köln, Krefeld und Wuppertal Veranstaltungen durchführte, nicht jedoch in Düsseldorf.49 Auch wurden in dem vom Düsseldorfer Verkehrsamt 1931 herausgegeben Buch Das schöne Düsseldorf im Kapitel Die Musikstadt zwar Schumann und Brahms als Beispiele für bedeutende Musiker genannt, die in Düsseldorf gewirkt hatten, Felix Mendelssohn Bartholdy aber fehlte.50 Seine Werke wurden schon ab Januar 1933 in Düsseldorf nicht mehr gespielt.51
10.4 Generalmusikdirektor Hugo Balzer (1933 bis 1945) Hugo Balzer, der zwischen 1933 und 1945 als Generalmusikdirektor in Düsseldorf tätig war, übte auf das Musikleben der Stadt großen Einfluss aus und war durch seine Position auch der Leiter des Städtischen Musikvereins. Aus diesem Grund und wegen der Rezeption seines kulturpolitischen Wirkens ist seine Person von besonderem Interesse und soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Sowohl als Dirigent als auch als Repräsentant des nationalsozialistischen Konzertwesens war Balzer hoch geschätzt, wie zahlreichen Kritiken der regionalen und überregionalen Presse zu entnehmen ist.52 Bereits von 1924 bis 1926 war Balzer in Düsseldorf als erster Kapellmeister tätig gewesen und von 1926 bis 1928 als erster musikalischer Leiter, bevor er die Stelle des Generalmusikdirektors in Freiburg antrat.53 Im Nachhinein wurde Balzers Weggang als Folge von verübtem Unrecht dargestellt, das durch seine erneute Berufung wieder gut gemacht worden sei. Schließlich sei er von Intendant Bruno Iltz auf Druck des Ministerialrates Leo Kestenberg nicht wieder verpflichtet worden, da
48 Vgl. Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 168. 49 Vgl. Pult und Bühne. Ein Almanach herausgegeben vom Reichsverband der jüdischen Kulturbünde in Deutschland, Berlin 1938, S. 107. 50 Vgl. Wasserloos, Im Schatten, S. 169. 51 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 290, Anm. 123. 52 Vgl. beispielsweise Signale für die musikalische Welt 27 (1933), S. 519; Signale für die musikalische Welt 18 (1937), S. 290; Signale für die musikalische Welt 43 (1940), S. 518; Signale für die musikalische Welt 1 (1940), S. 11; Zeitschrift für Musik (November 1941), S. 746; Neues Wiener Tageblatt (8. 4. 1942). 53 Vgl. Rischer, Nationalsozialistische Kulturpolitik, S. 60.
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dieser den »Ostjuden Jascha Horenstein«54 mit nach Düsseldorf gebracht habe. Walter Rischer vermutete, dass Balzer 1933 Freiburg verlassen habe, weil die dortige NSDAP »zum Sturm auf ihn blies«55. Über das Konzertwesen in Düsseldorf während des Nationalsozialismus schreibt Rischer : Es »war die ganzen Jahre hindurch frei von nationalsozialistischem Geist, es erreichte einen Höhepunkt in dieser Zeit und war weit über die Stadtgrenzen hinaus geschätzt.«56 Als Quelle für diese Aussagen führt der Autor ein Gespräch mit Balzer an.57 Schwerter fällt über den Musikdirektor kein eindeutiges Urteil und belässt es bei der Aussage, dieser sei eine »schillernde Figur«58 gewesen. Diese uneindeutige bis verharmlosende Darstellung Balzers ist auffällig lange kolportiert worden. Erst Yvonne Wasserloos präsentierte 2010 einen Aufsatz über sein Wirken in Düsseldorf,59 der dieses Bild revidierte. Balzer hatte im Gespräch mit Rischer verschwiegen, dass er zum 1. Mai 193760 auf seinen Antrag hin in die NSDAP aufgenommen worden war. Die Bewilligung seines Anliegens zeigt, dass er nach den vier Jahren, in denen die Partei für Neumitglieder gesperrt gewesen war, vor anderen Bewerbern bevorzugt wurde.61 Bereits ab Januar 1933 führte er in städtischen Konzerten keine Werke jüdischer Künstler mehr auf. Ab spätestens 1935 war er neben seiner Tätigkeit als Generalmusikdirektor auch Kunstbeirat in der Reichsmusikkammer, Gründer und Leiter des Robert Schumann Konservatoriums, Ratsherr der Stadt, Düsseldorfs Städtischer Musikbeauftragter62 und ab 1936 Fachgruppenreferent für Musik bei der Gaugruppe der NS-Kulturgemeinde NSKG. Das bedeutete ein uneingeschränktes Machtmonopol im Musikleben der Stadt.63 Am 15. Juli 1939 wurde Balzer für seine Tätigkeiten von Adolf Hitler zum Professor ernannt; den Titel führte er auch nach 1945 weiter.64 Ob-
54 Friedrich W. Herzog, Hugo Balzer, in: Die Musik, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde, 26/2, (November 1933), S. 124f., hier S. 124. 55 Rischer, Nationalsozialistische Kulturpolitik, S. 60. 56 Rischer, ebd., S. 62. 57 Vgl. ebd., S. 218, im Quellen- und Literaturverzeichnis ausführlich »Mündliche Aussage: Balzer, Hugo, Generalmusikdirektor a.D., Hösel, Am Tannenbaum 16«. 58 Werner Schwerter, Heerschau und Selektion, in: Dümling, Das verdächtige Saxophon, S. 135–153, hier S. 149. 59 Vgl. Yvonne Wasserloos, Musikerziehung im Dienst der ›Volksgemeinschaft‹. Hugo Balzer und das Robert-Schumann-Konservatorium im ›Dritten Reich‹, Düsseldorf 2010. 60 Das Datum seines Parteibeitritts ist zu finden bei Wasserloos, Hugo Balzer, S. 4. 61 Vgl. Wasserloos, Hugo Balzer, S. 4. 62 Vgl. Verwaltungsbericht der Stadt Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. April 1933 bis 31. März 1936. Im Auftrage des Oberstadtdirektors bearbeitet und herausgegeben vom Statistischen Amt, Düsseldorf 1937, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 203. 63 Vgl. Wasserloos, Hugo Balzer, S. 5. 64 Vgl. ebd., S. 10.
Düsseldorfs exponierte Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus
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wohl er 1946 von der Militärregierung als entnazifiziert eingestuft wurde, bekleidete er in Düsseldorf nie wieder ein offizielles Amt.65
10.5 Düsseldorfs exponierte Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus Auf Initiative von Propagandaminister Joseph Goebbels fanden vom 22. bis 29. Mai 1938 in Düsseldorf die ersten Reichsmusiktage statt, wodurch die Stadt als kulturpolitischer Standort deutlich aufgewertet wurde.66 An den Tagen vor und während der Veranstaltung gab das Reichspropagandaministerium mehrfach Presseanweisungen heraus mit dem Ziel, die Berichterstattung anzukurbeln.67 Abgesehen davon, dass Düsseldorf die Hauptstadt von Goebbels Heimatgau war, was womöglich eine gewisse Bevorzugung durch die persönliche Verbundenheit beförderte, gab es dort als Anknüpfungspunkt die im »Volk verwurzelte Tradition«68 der Niederrheinischen Musikfeste. Bei der Eröffnung der Reichsmusiktage 1938 stellte Oberbürgermeister Otto Düsseldorfs musika65 Vgl. ebd. In der Publikation von Helmut Kirchmeyer über Hugo Balzer und seine Rolle im Nationalsozialismus gibt der Autor bedauerlicherweise keine Quellen an, sondern verweist diesbezüglich auf seinen »zur Druckvorbereitung anstehenden Vortrag Musikgeschichte aus zweiter Hand«, den er am 3. Dezember 2010 vor der Kunstkommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig gehalten hat, vgl. Helmut Kirchmeyer, Hugo Balzer. Eine Gedenkschrift aus Anlaß seines 25. Todestages in Verbindung mit einer Studie zum Thema Künstler im Nationalsozialismus, Stuttgart 2012, S. 125. Da dieser Aufsatz jedoch bisher nicht erschienen ist, lassen sich Kirchmeyers Behauptungen nicht verifizieren und darum auch nicht zur Korrektur des Bildes von Balzers Rolle in der Düsseldorfer Musikgeschichte heranziehen. Andere seiner Aussagen über Balzer aus dem Jahr 1981 ordnet Prieberg in seiner Publikation Handbuch deutscher Musiker 1933–1945 unter dem Stichwort ›Geschichtsfälschung‹ ein: »Geschichtsfälschung II, 1981: ›In Anerkennung seiner pädagogischen Leistung, wie Dekan Kirchmeyer hervorhob, wurde Balzer 1939 der Professortitel verliehen. Eine Auszeichnung, die nur für Angehörige großer Musikschulen oder Parteigenossen in Frage kam, beides traf für ihn nicht zu.‹ (Karlheinz Welkens: Späte Ehrung für Gründer Prof. Balzer. ›Rheinische Post‹, 1/X/81). [Hierzu der Kommentar von Prieberg:] Es geschah gar nicht so selten, daß sich ein Musikhistoriker – Hellmut [sic!] Kirchmeyer war zuvor als solcher überzeugend ausgewiesen – in das üble Spiel der Geschichtsfälscher einschaltete, obwohl er das Instrumentarium zur Feststellung der Fakten meisterte. Wenn er schon nicht wußte, daß Balzer Mitglied der NSDAP war, hätte ihn doch die Tatsache nachdenklich machen müssen, daß lediglich Hitler den Titel zuerkennen konnte. Überdies gab es 1935 keine andere Partei als die NSDAP, für die Balzer Ratsherr hätte sein können.«, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 233. 66 Vgl. Schwerter, Heerschau und Selektion, S. 136. 67 Vgl. Hans Bohrmann/Gabriele Toepser-Ziegert/Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund (Hg.), NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation. Bd. 6/II: 1938. Quellentexte Mai bis August. Bearbeitet von Karen Peter, München 1999, S. 486, 504, 511, 514. 68 Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 20f.
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lische Tradition heraus, warf den Namen Robert Schumann in die Waagschale und auch die Tatsache, dass Düsseldorf als eine der ersten deutschen Städte ein städtisches Orchester eingerichtet hatte.69 Im Programmheft der Reichsmusiktage wurden darüber hinaus Kurfürst Jan Wellem mit seiner höfischen Musiktradition als Referenz angeführt, die Leistungen des städtischen Bürgertums im 19. Jahrhundert, der Komponist Norbert Burgmüller und die Auseinandersetzung Düsseldorfs mit der Neudeutschen Musik Richard Wagners.70 Neben ihrer Musiktradition hatte die Stadt Erfahrung mit repräsentativen Veranstaltungen und großen Ausstellung vorzuweisen. Referenzen hierfür waren beispielsweise das Einheitsfest von 1848,71 das Kaiserfest 1877,72 die Feier anlässlich Goethes 150. Geburtstags (1899),73 die Düsseldorfer Gewerbe- und Kunstausstellung 188074 sowie die Gesolei-Ausstellung 1926.75 Vor diesem Hintergrund war Goebbels Entscheidung, Düsseldorf zur ›Musikhauptstadt des Reiches‹ zu machen, in der ab sofort jährlich die Reichsmusiktage stattfinden sollten,76 durchaus plausibel. Ohne die mehr als bereitwillige Unterstützung durch die Düsseldorfer Bevölkerung wären all diese ›Vorteile‹ jedoch wertlos gewesen.
10.6 Der Düsseldorfer Musikverein im Nationalsozialismus Nach dem Ersten Weltkrieg war der Musikverein eine relativ geschlossene Vereinigung geblieben, deren Mitglieder vornehmlich aus bürgerlichen Kreisen stammten und meist Kaufleute, Ingenieure, Juristen, Lehrer, Angestellte oder Beamte waren; insbesondere die Mitglieder der Leitungsgremien stammten aus der Oberschicht.77 Die Vereinsstruktur sowie die Konzert- und Programmgestaltung lassen laut Thelen-Frölich »allenfalls eine verspätete, jedoch keine tiefgreifende Umorientierung erkennen«78, wofür z. B. das relativ spät eingeführte Stimmrecht der weiblichen Mitglieder symptomatisch ist. Für die Probenarbeit des Musikvereins war der Chordirektor Michael Rühl als 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78
Vgl. Beilage der Düsseldorfer Nachrichten 141 (23. 5. 1938). Vgl. Ludwig Schiedermair, Düsseldorf und die rheinische Musik. Vgl. hierzu S. 136. Vgl. hierzu S. 176. Vgl. Rheinische Goethe-Feier : Fest-Concerte im Kaisersaal der Städt. Tonhalle in Düsseldorf; Sonntag den 6. August 1899, Abends 6 Uhr und Montag den 7. August 1899, Abends 7 Uhr, Eintrittskarten, ULB Düsseldorf, KW 997b:20. Vgl. hierzu S. 176. Vgl. Loick, Düsseldorf, S. 107, vgl. hierzu S. 214. Vgl. Schwerter, Heerschau und Selektion, S. 149. Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 76. Ebd., S. 77.
Der Düsseldorfer Musikverein im Nationalsozialismus
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städtischer Angestellter in den Jahren von 1929 bis 1951 (mit zeitlich unklarer Unterbrechung während des Krieges) und erneut von 1953 bis 1961 verantwortlich.79 Ebenfalls als Chordirektor wirkte er an den Städtischen Bühnen und leitete zeitweilig den Düsseldorf Lehrergesangverein, den MGV Arion, den Benrather Musikverein und den Düsseldorfer Männergesangverein.80 Darüber hinaus wurde er als regionaler Komponist gefördert.81 Sein Chorwerk Kreuzweg op. 7 wurde am 5. März 1936 in der Tonhalle unter Mitwirkung des Musikvereins uraufgeführt.82 1939 erlebte ein anderes seiner Werke, die Kantate Kreis des Tages, seine Premiere, allerdings nicht in Düsseldorf, sondern in Kassel.83 Angesichts der Förderung, die Rühl durch die Regierung in der NS-Zeit erfuhr, überrascht es nicht, dass er seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP war.84 Josef Wilden, seit 1939 der stellvertretender Vorsitzende des Musikvereins,85 wurde nach Ende des Krieges erster Vorsitzender und engagierte sich für die Wiederaufnahme der Probenarbeit,86 womit auch er in der Vereinsgeschichte eine wichtige Rolle spielte. Wilden bemühte sich am 1. Mai 1933 um seinen Beitritt in die NSDAP, doch die Aufnahme kam aus unbekannten Gründen nicht zustande.87 Auch wenn über Wildens Tätigkeiten im ›Dritten Reich‹ keine Details vorliegen, weist die Tatsache, dass er am 3. März 1944 in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsvereins Düsseldorf einen Vortrag zum 125-jährigen Bestehen des Musikvereins gehalten hat,88 darauf hin, dass er trotz des nicht erfolgten Eintritts in die Partei mit der nationalsozialistischen Stadtleitung kooperierte. 79 Zur erneuten Einstellung Rühls als Chordirektor nach dem Krieg vgl. S. 245, 266f. 80 Vgl. maschinegeschriebener Lebenslauf Michael Rühl, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 490, 69, ohne Paginierung. Die Dauer der einzelnen Aktivitäten lässt sich aus dem Dokument nicht entnehmen. 81 Vgl. Guddorf, Konzert und Oper Düsseldorf, S. 80. 82 Vgl. 11. Konzert: Donnerstag, den 5. 3. 1936, 20 Uhr, Städtische Tonhalle – Kaisersaal, Michael Rühl: »Kreuzzug«, Uraufführung, Leitung: der Komponist, [Programmheft], Kapsel: Konzerte der Stadt Düsseldorf; Konzertwinter 1935/1936 KW 1061:3,27 und KW 1061:3,28. 83 Vgl. Maschinegeschriebener Lebenslauf Michael Rühl, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 490, 69, ohne Paginierung. 84 Vgl. Auskunft Bundesarchiv Berlin vom 9. 6. 2017: Michael Rühl (04. 06. 1901 in Mainz), NSDAP-Nr. 2.720.174, NSDAP-Eintritt: 01. 05. 1933. 85 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 139. 86 Vgl. hierzu S. 242f. 87 Vgl. Auskunft Bundesarchiv Berlin vom 9. 6. 2017: Dr. Josef Wilden (02. 02. 1877 in Neuss) wurde zunächst seit dem 01. 05. 1933 unter der Nummer 3.166.065 geführt, die Aufnahme wurde laut einer Eintragung auf der NSDAP-Mitgliederkarteikarte gemäß Schreiben des Gaues Düsseldorf vom 08. 07. 1933 aber nicht ausgeführt. Die Gründe sind auf der Mitgliederkarteikarte nicht vermerkt. Mögliche Aktenüberlieferung im Bestand ›Parteikorrespondenz‹, die erläuternde Informationen enthalten könnte, liegt leider ebenso nicht vor. 88 Vgl. Brief Verkehrsverein an Musikverein, 3. 3. 1944, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 4a.
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Der Zusammenhang zwischen einer formalen NSDAP-Mitgliedschaft bzw. dem Versuch des Beitritts und der auf innerer Überzeugung beruhenden nationalsozialistischen Gesinnung einer Person lässt sich in vielen Fällen nicht nachweisen. Es darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass der Beitritt in die Partei nicht unter Zwang stattfand, sondern im Gegenteil die Zahl der Aufnahmen zwischenzeitlich stark begrenzt werden musste, weil es zu viele Interessenten gab. Wenn jemand nach 1933 das Ziel verfolgte, weiterhin für den Staat oder eine Stadt zu arbeiten, war die Parteimitgliedschaft in aller Regel nicht notwendig, solange die Person nur »staats- und ideologietreu«89 auftrat. Die Mitgliedschaft in der Partei bzw. das Bemühen um eine solche sagt also durchaus etwas über die Mentalität eines Menschen und über seine Bereitschaft aus, die Folgen der nationalsozialistischen Diktatur im Interesse des eigenen Vorteils in Kauf zu nehmen oder zu ignorieren. Wie alle Vereine in der Zeit des Nationalsozialismus wurde auch der Städtische Musikverein gleichgeschaltet, d. h. gemäß dem ›Führerprinzip‹ übernahm der Düsseldorfer Kulturdezernent den Vorstandsposten und nichtarische Mitglieder mussten ausgeschlossen werden. Am 15. Februar 1935 wurde die neue Satzung des Musikvereins vorgelegt, die den geforderten ›Arier-Paragraphen‹ enthielt: »Mitglied des Vereins kann jede unbescholtene Person arischer Abstammung werden. Für Nichtarier, die Frontkämpfer waren, sind Ausnahmen zulässig.«90 Unterschrieben wurde die Satzung von Kulturdezernent Horst Ebel, dem neuen Vorstand.91 Da sein Beitritt aus dienstlichen Gründen erfolgt war, zahlte Ebel keinen Mitgliedsbeitrag; die Summe wurde stattdessen aus dem Orchesterhaushalt beglichen.92 Zwei Ausschnitte aus einem Schriftstück im Zusammenhang mit der Beiratssitzung des Musikvereins vom 24. September 1935 sowie dem Beiratsprotokoll verdeutlichen, dass zwei Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ein repräsentativer Anteil der Vereinsmitglieder den Arier-Paragraphen verinnerlicht hatte: »In der Besprechung mit den Herren Möller und Richter vom Orchestervorstand ist u. a. darauf hingewiesen worden, dass unter den Mitgliedern des Städtischen Musikvereins Befremden darüber geäussert worden sei, dass die Nichtarierin Frau Berthold noch als Mitglied des Vereins geführt werde. Die Voraussetzungen, unter denen Nichtarier Mitglied werden oder bleiben können, sind in der Sitzung des Führerrates am 21. September 1933 festgelegt worden. Hiernach sollen Nichtarier grundsätzlich nicht in den Verein aufgenommen werden. … Ausser Frau Berthold ist noch Herr Elkan als Nichtarier Mitglied des Musikvereins. Es müsste nunmehr eine Entscheidung ge89 90 91 92
Vgl. Wasserloos, Hugo Balzer, S. 11. Statut Musikverein 15. 2. 1935, S. 3, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 306, 69, ohne Paginierung. Vgl. ebd. Vgl. Information an den Oberbürgermeister, 24. 10. 1934, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 41a.
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troffen werden, ob die beiden Mitglieder unter den zurzeit für die Beurteilung der Frage ausschlaggebenden Richtlinien im Städtischen Musikverein verbleiben können.«93 »Zum Schluss wird noch die Frage erörtert, ob nachdem Herr Elkan als Nichtarier seinen Austritt erklärt hat, dem nichtarischen Mitglied Frau Berthold ebenfalls der Austritt nahezulegen ist. Beirat empfiehlt, Fräulein Zingel zu beauftragen, der Frau Berthold den Austritt nahezulegen.«94
Unter den gegebenen Umständen überrascht es nicht, dass ein bürgerlicher und traditionsreicher musikalischer Verein in der dargestellten Weise in die nationalsozialistische Kulturpolitik involviert gewesen ist. Die Historie des Städtischen Musikvereins darf vor dem Hintergrund als charakteristisch für die bürgerlichen Strukturen gelten, die er innerhalb von Düsseldorf repräsentierte.
10.7 Die Bedeutung des Musikvereins für die Nationalsozialisten Bei den von den Nationalsozialisten angestrebten Reformen war es ein wesentliches Ziel, die Musik wieder stärker in der Bevölkerung zu verankern, weshalb neben der traditionellen Hausmusik auch das gemeinschaftliche Musikzieren in Laienorchestern und Laienmusikvereinen stark gefördert wurden.95 Erklärtes Ziel der Reichsmusikkammer war es, in Deutschland eine einheitliche Chororganisation aufzubauen, »um die kulturell wichtigen Zellen des Chorwesens zu erfassen«96. Die Nationalsozialisten hatten also ein begründetes Interesse daran, den Musikverein als städtische Institution mit seiner über 100-jährigen Geschichte zu erhalten. An den Fest- und Eröffnungskonzerten aller zuvor genannten Veranstaltungen, die Düsseldorf als geeigneten Standort für die Reichsmusiktage auswiesen,97 war der Musikverein beteiligt gewesen, so dass es nahelag, diese Tradition fortzusetzen und ihn weiterhin in repräsentative Aufführungen einzubinden. Obwohl der Musikverein 1931 seine Rolle als Konzertveranstalter verloren und auch seine Exklusivität eingebüßt hatte,98 wurden 93 Vermerk Sitzung Beirat Musikverein, 24. 9. 1935, StAD Düsseldorf, MV 306, Dep. 69, ohne Paginierung. 94 Beiratsprotokoll Musikverein, 24. 9. 1935, StAD Düsseldorf, MV 306, Dep. 69, ohne Paginierung. 95 Vgl. Ziemer, Das Konzert, S. 325f. 96 Fritz Stein, Chorwesen und Volksmusik im neuen Deutschland, in: Bücherei der Reichsmusikkammer Bd. 1, Kultur – Wirtschaft – Recht, Berlin 1934, S. 288–290 (gekürzt), in: Wulf, Musik im Dritten Reich, S. 124f. 97 Vgl. hierzu S. 228. 98 Der Musikverein musste mit dem Theaterchor, dem Lehrergesangverein und dem Düsseldorfer Männerchor zusammenarbeiten und Gastchöre aus anderen Städten in den städtischen Konzerte akzeptieren, vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 270, 272f.
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die Chorkonzerte ideologisch aufgewertet und ihre Anzahl erhöht.99 Die Wertschätzung und Unterstützung, die der Musikverein durch die Stadt erfuhr, zeigte sich auch an deren positiver Reaktion auf die Entscheidung, die Beiträge auf 3 Reichsmark pro Jahr zu senken, um gelegentlich mitwirkende Sänger zum Beitritt zu motivieren.100 Auch wurden mehrfach Zeitungsinserate geschaltet, um Mitwirkende für den Verein zu werben.101 Trotz aller Bemühungen verlor der Musikverein jedoch stetig Mitglieder. Ob dies nur das in ganz Deutschland nachlassende Interesse am Chorgesang widerspielte102 oder ob zusätzlich stadtinterne Faktoren hinzukamen, lässt sich nicht feststellen. Trotz der sinkenden Mitgliederzahlen dokumentierte Dezernent Ebel regelmäßig in Vermerken, dass das Abkommen von 1931 mit dem Musikverein als so wertvoll eingeschätzt wurde, dass dieses auf keinen Fall gekündigt werden dürfe.103 Noch am 27. November 1942 notierte das Amt des Oberbürgermeisters: »Die Kündigung des Vertrages mit dem Städtischen Musikverein kommt vorerst – vor allem während des Krieges – nicht in Frage.«104 Als Wiedervorlage zur erneuten Prüfung wurde der 1. Oktober 1944 bestimmt. Vom 8. Dezember 1942 ist ein Dokument überliefert, laut dem es als unerlässlich angesehen wurde, das 125-jährige Jubiläum des Musikvereins im Jahre 1943 zu feiern. Ein möglicher Rahmen wären die ›Tage der Kunststadt‹ gewesen; alternativ hätte das Jubiläum, »falls 1943 die Reichsmusiktage wieder aufgenommen werden sollten, im Rahmen dieser Veranstaltung«105 stattfinden können. (Die Düsseldorfer Politik hoffte also auch 1942 noch auf die Fortführung der Reichsmusiktage.) Am 21. Dezember 1942 verfasste Generalmusikdirektor Balzer persönlich eine Stellungnahme zur Bedeutung des Vereins: »Der Düsseldorfer Musikverein verkörpert die musikhistorische einzigartige Tradition der Niederrheinischen Musikfeste. Eine würdige Feier des 125jährigen Jubiläums, die nur im Rahmen eines mehrtägigen besonderen Musikfestes stattfinden könnte, und die zweckmäßig mit großen Festakten zu verbinden wäre, ist jetzt im Kriege nicht durchführbar. Ich schlage vor, in Anbetracht der einzigartigen Wichtigkeit, und auch 99 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 270. 100 Vgl. Vermerk vom Büro für Theater, Orchester und musikalische Angelegenheiten, 6. 6. 1933, StAD Düsseldorf, 0–1–20–624.0000, S. 108b–109a. 101 Vgl. Briefe von Interessenten nach Artikeln in der Rheinischen Landeszeitung und der Welt am Sonntag, 1937, und den Düsseldorfer Nachrichten, 1940, StAD Düsseldorf, 0-1-20131.0000, S. 253, 254, 285, 289. 102 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 271. 103 Vgl. Vermerke des Beirates des Städtischen Musikvereins zwischen 1933 und 1942, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 110b–115a. 104 Vermerke des Beirates des Städtischen Musikvereins 27. 11. 1942, StAD Düsseldorf, 0-1-20624.0000, S. 115a. 105 Vermerk Geschäftsführer des Musikvereins, 8. 12. 1942, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 16.
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zur besseren propagandistischen Ausnutzung, die Feier auf die Zeit nach dem Kriege zu verlegen.«106
Der Termin musste trotz Balzers monatelangem Bemühen um eine würdige Feier mehrfach verschoben werden. Zuletzt lud Oberbürgermeister Haidn am 5. März 1944 zu einer Morgen-Veranstaltung aus Anlass des Jubiläums ein, bei der Josef Wilden seinen Vortrag ›125 Jahre Städt. Musikverein‹ hielt107 und das Lerchenquartett D-Dur von Haydn sowie Arien und Duette aus der Schöpfung erklangen; der Chor selbst kam nicht zum Einsatz.
Abb. 5: Einladung zur 125-jährigen Jubiläumsfeier des Musikvereins108
Am 7. April 1944 fand mit der Aufführung von Bachs Matthäus-Passion das letzte Konzert unter Beteiligung des Musikvereins im Krieg statt. Das letzte Dokument vor Düsseldorfs Kapitulation am 16. April 1945, welches die Existenz des Vereins belegt, ist eine Mitgliedschaftsbescheinigung vom 30. Januar 1945, die den Briefkopf »städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V.« trägt und mit 106 Vermerk Hugo Balzer, 21. 12. 1942, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 16. 107 Vgl. hierzu S. 229. 108 Vgl. Ankündigung Konzert 125-jähriges Bestehen des Musikvereins 5. 3. 1944, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 306, 69, ohne Paginierung.
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»Geschäftsführer Berg«109 unterschrieben ist. Nach diesem Datum lässt sich der Fortbestand des Vereins bis zum Ende des Krieges ebenso wenig nachweisen wie eine offizielle Auflösung.
10.8 Mitgliedschaft im Musikverein während des Nationalsozialismus Bereits in der Zeit der Weimarer Republik hatten sich immer öfter inaktive Mitglieder beim Städtischen Musikverein darüber beschwert, dass ihr Jahresbeitrag in keinem angemessenen Verhältnis mehr zum Nutzen stehe, der für sie in dem Recht bestand, fünf Voraufführungen im Rahmen der städtischen Konzerte besuchen zu dürfen.110 Auf den Hinweis des Vereins, dass der Beitrag nicht als Ausgleich für den kostenlosen Eintritt gedacht sei, sondern als Unterstützung für seine künstlerische Arbeit, folgten angesichts der finanziellen Not vieler Bürger oft verständnislose oder empörte Reaktionen.111 Die Reduktion der Mitgliedschaft auf eine Geschäftsbeziehung, die in dieser Haltung erkennbar wird, verdeutlicht, dass in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Modell einer Kulturförderung, die auf bürgerlichen Idealen basierte, allmählich an seine Grenzen stieß. Vom 5. Februar 1939 ist der Brief eines gewissen Robert Sauer überliefert, welcher ein konkretes Beispiel für die zuvor beschriebene Problematik liefert. Sauer begründet in dem Schreiben seine Entscheidung, aus dem Musikverein auszutreten, damit, dass er sich mit einem Empfehlungsschreiben des Vorstands auf eine Stelle beworben, diese aber aus politischen Gründen nicht bekommen habe, da er weder in der Partei noch in einer »Gliederung derselben«112 sei. Nun empört Sauer sich darüber, dass sein Mitwirken im Städtischen Musikverein als nicht gleichwertig angesehen wird: »Entweder ist die Pflege der Kultur eine Notwendigkeit oder nicht. Ist sie es, dann müßte die Betätigung innerhalb einer Institution, wie sie der städt. Musikverein darstellt, der Mitgliedschaft einer Nebenorganisation – N.S.V. [nationalsozialistische Volkswohlfahrt], Luftschutz, o. ä. – gleichgestellt werden, da ja die Kultur in einem nationalsozialistischen Staat eben nur eine nationalsozialistische sein kann und ist. Wäre ich an Stelle der Mitgliedschaft im städt. Musikverein, die mich regelmäßig zwei Abende in der Woche, zeitweilig aber bis zu vier Abenden in der Woche verpflichtet, Mitglied der N.S.V., des Luftschutzes usw. gewesen, wo ich nur einen Abend ehrenamtlicher Tätigkeit ausgeübt hätte, so hätte ich mir damit die Möglichkeit der Par109 Mitgliedsbescheinigung Lotte Backhaus 30. 1. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 14. 110 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 164. 111 Vgl. ebd. 112 Brief Robert Sauer, 5. 2. 1939, StAD Düsseldorf, 0-1-20-132.0000, S. 26.
Repertoire unter Hugo Balzer
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teiaufnahme und aller damit verbundenen Vorzüge gesichert. Doch damit nicht genug. Eine Eingabe an den Vorstand des Städt. Musikvereins um Erlaß des Beitrages für das Jahr 1939 wurde großmütig mit der Ermäßigung auf eine RM. beantwortet. Gesungen darf also werden, gezahlt muß aber werden. [Hervorhebung im Text] Weiter kann man die Niedrigstellung kultureller Betätigung nicht treiben.«113
Offensichtlich waren es nicht nur nationalsozialistische Politiker, die den Städtischen Musikverein instrumentalisierten, sondern auch nationalsozialistische Bürger.
10.9 Repertoire unter Hugo Balzer Da die Düsseldorfer Konzerte auch vor 1933 eine vergleichsweise konservative Programmgestaltung vorsahen (in Städten wie Köln und Berlin hatte es bedeutend mehr Neue Musik und Bereitschaft zu Experimenten gegeben)114, bedurfte es keiner nennenswerten Veränderungen in den Programmplänen der Stadt,115 um sie an die nationalsozialistische Ideologie anzupassen. Balzer sah keine Probleme darin, seine Pläne zu verwirklichen und primär den Kanon mit Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Bruckner, Brahms und Richard Strauss aufs Programm zu setzen, da dies den Hörgewohnheiten der Düsseldorfer ohnehin entsprach.116 Die Haltung des Düsseldorfer Publikums war sogar so konservativ, dass sie es erschwerte, die von den Nationalsozialisten protegierten zeitgenössischen Komponisten aufzuführen, wie Balzer 1937 im Konzertbeirat der Stadt anmerkte.117 Explizit über den Städtischen Musikverein war 1931 zu lesen, dass dieser nur noch »für das alte Publikum«118 singe. Seine Beteiligung an einigen Konzerten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1922 in Düsseldorf119 mit avantgardistischem Repertoire war offenbar eine Ausnahme gewesen, die womöglich dem großen, überregionalen Interesse an der Veranstaltung geschuldet gewesen war. Bei den städtischen Konzerten in der Saison 1931/1932 hatte sich der Chor ganz offen dagegen gesträubt, Hindemiths Oratorium Das Unaufhörliche einzustudieren.120 Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Musikverein in den Jahren der Weimarer Republik nicht gerade progressiv war, bevorzugt 113 114 115 116 117 118
Ebd. Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 426. Vgl. ebd., S. 284, 286. Vgl. Guddorf, Konzert und Oper Düsseldorf, S. 71. Vgl. ebd. Düsseldorfer Lokalzeitung (3. 1. 1931), zit. nach Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 164. 119 Vgl. hierzu S. 198. 120 Vgl. Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 166.
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Konzerte mit repräsentativen Chorwerken gab und an etablierten Strukturen festhielt121 – alles in allem eine Haltung, die ihn für die nationalsozialistische Kulturpolitik um so wertvoller machte. Die Jahresprogramme unter Balzer spiegeln die traditionelle Linie wider. Mehrfach setzte er Werke zeitgenössischer Kompositionen aufs Programm, die dem nationalsozialistischen Regime nahestanden; als Beispiele seien hier genannt: Hansheinrich Dransmanns122 Chorwerk Einer baut einen Dom (aufgeführt am 23. Mai 1935), Michael Rühls123 Kreuzweg (5. März 1936), Paul Graeners124 Marienkantate (3. Dezember 1936), Hans Pfitzners125 Chorphantasie Das dunkle Reich (3. Dezember 1936), Heinz Schuberts126 Verkündigung (10. März 1938), Gottfried Müllers127 Deutsches Heldenrequiem (10. März 1938), Kurt Thomas’128 Oratorium Saat und Ernte (18. Mai 1939 und 12. Juli 1939), Joseph Haas’129 Das Lied von der Mutter (8. Dezember 1940), Hermann Henrichs130 121 Vgl. ebd., S. 86. 122 Hansheinrich Dransmanns Werk Einer baut einen Dom erschien 1935 beim Deutschen Musikverlag der NSKG [Nationalsozialistische Kulturgemeinde] Berlin; NSDAP-Mitgliedsnummer 893717, Beitrittsdatum 1. 1. 1932, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 8262 und S. 9424. 123 Vgl. hierzu S. 251. 124 Paul Graener erhielt 1942/1943 einen Staatszuschuss für E-Komponisten in Höhe von 6.000 Reichsmark; 1933 Mitglied des Führerrats des Berufsstandes der deutschen Komponisten (RMK) und Vizepräsident der RMK, Präsidialrat der RMK, Mitglied des Ehrenvorstandes des Neuen Deutschen Bühnen- und Filmklubs e.V. und des Verwaltungsbeirats der RTK [Reichstheaterkammer], Präsident der STAGMA; 1934 Ehrenvorsitzender des Arbeitskreises nationalsozialistischer Komponisten in Duisburg; Präsidialbeirat der Kameradschaft Deutscher Künstler e.V., 1935 Reichskultursenator; NSDAP-Mitgliedsnummer 1597250, Beitrittsdatum 1. 4. 1933, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 2474f., S. 9431. 125 Hans Pfitzner war 1933 Mitglied des Führerrats des Berufsstandes der dt. Komponisten (RMK [Reichsmusikkammer]), Reichskultursenator (Stand: 27/V/38) und Teilnehmer u. a. an dessen Sitzung am 26. 11. 1938, als die antijüdischen Maßnahmen nach der Pogromnacht die Tagesordnung bildeten. Laut NSDAP-Gauleitung München-Oberbayern vom 5. 2. 1940 bestanden gegen seine »politische Zuverlässigkeit« keine Bedenken. Er erhielt 1942/1943 6.000 Reichsmark aus dem Staatszuschuss für E-Komponisten. 1944 ging auf Anordnung Hitlers eine Ehrengabe von 50.000 Reichsmark an ihn, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 5193f. 126 Heinz Schubert, NSDAP-Mitgliedsnummer 3119361, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 9443. 127 Gottfried Müller veröffentlichte 1943 seine Komposition Führerworte; Prieberg vermerkt ein Schreiben der Reichskulturkammer, in dem vorgeschlagen wird, Müller einen Professoren-Titel zu verleihen, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 8764f. 128 Kurt Thomas war 1933 Leiter eines Fachausschusses im Reichsbund für ev. Kirchenmusik, 1934 Mitglied des Musikausschusses und Führerrat des RVgemChe [Reichsverband gemischter Chöre] Deutschlands (RMK); NSDAP-Mitgliedsnummer 7463935, Beitrittsdatum 1. Februar 1940, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 7179. 129 Joseph Haas war 1934 Mitglied im Führerrat des Berufsstandes der deutschen Komponisten (RMK); zahlreiche Aufführungen seiner Werke erklangen bei nationalsozialistischen Veranstaltungen zwischen 1929 und 1942, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 2580–2589. 130 Hermann Henrich war 1933–1936 Geschäftsführer der Reichsmusikerschaft, dann Leiter von deren Fachschaft I Orchestermusiker, 1934 Mitglied des Verwaltungsausschusses der
Der Musikverein bei den Reichsmusiktagen
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Frühlingsfeier (8. Februar 1942) und Otmar Gersters131 Hanseatenfahrt (1. November 1942).
10.10 Der Musikverein bei den Reichsmusiktagen An dem musikalischen Programm, das vom 22. Mai bis 29. Mai 1938 dargeboten wurde,132 war der Städtische Musikverein am 26. Mai 1938 in der Tonhalle mit Hans Pfitzners Kantate Von deutscher Seele beteiligt, was einen der konzertanten Höhepunkte der Festtage darstellte.133 Der Chor sang unter Leitung von Generalmusikdirektor Balzer mit dem Städtischen Orchester und unter Mitwirkung des Chores der Städtischen Bühnen. Vom 14. Mai bis 21. Mai 1939, während der zweiten Reichsmusiktage, führte der Verein am 18. Mai 1939 das bereits erwähnte Oratorium Saat und Ernte von Kurt Thomas unter Leitung des Komponisten und verstärkt vom Städtischen Orchester Wuppertal auf. Des Weiteren war er an dem ›Großen Chor-Orchesterkonzert – Festlicher Abschluß der Reichsmusiktage‹ am 21. Mai 1939 beteiligt, bei dem unter Hans Knappertsbusch mit dem Berliner Philharmonischen Orchester Beethovens Sinfonie Nr. 9 gegeben wurde. Neben dem Chor des Städtischen Musikvereins sangen der Düsseldorfer Lehrergesangverein, der Chor des Städtischen Musikvereins Rheydt und der Städtische Männergesangverein Rheydt. Beethovens Sinfonie Nr. 9 war bereits 1938 beim großen Festkonzert aufgeführt worden, jedoch mit dem renommierten Kittel’schen Chor aus Berlin unter Hermann Abendroth. 1938 war geplant worden, jedes Jahr Beethovens Sinfonie Nr. 9 als Höhepunkt der Reichsmusiktage zu Gehör zu bringen – »als lebendes Zeugnis der ewigen Schönheit der deutschen Tonkunst und als Ausdruck des unbesieglichen Freudegefühls der deutschen Lebenskraft«134. Bei den zweiten Reichsmusiktagen war der Städtische Musikverein gleich zweimal involviert und sogar am krönenden Abschlusskonzert beteiligt. Auch wenn der Verein einer unter vielen Mitwirkenden war, wurde er doch bei beiden Festwochen für die Programmhöhepunkte eingesetzt. Die Wertschätzung, die Balzer und die Stadt dem Musik-
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RMK, 1942 mit Sonderreferat der RMK zur Betreuung kriegsversehrter Musiker betraut; komponierte eine Hitler-Hymne, die er 1933 an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda schickte; NSDAP-Mitgliedsnummer 1977432, Beitrittsdatum 1. Mai 1933, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 2829, 9434. Otmar Gerster erhielt 1941 den Robert-Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf und bekam 1942/1943 einen Staatszuschuss für E-Komponisten; zahlreiche Aufführungen seiner Werke erklangen bei nationalsozialistischen Veranstaltungen zwischen 1933 und 1944, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 2055–2060. Vgl. Reichsmusiktage 1938, Programmheft, [S. 1–47]. Vgl. Schwerter, Heerschau und Selektion, S. 137. Völkischer Beobachter 151 (31. 5. 1938).
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Der Musikverein und seine Rolle im Nationalsozialismus
verein entgegenbrachte, war offensichtlich. So hob der Text des Programmheftes stolz hervor, im Gau Düsseldorf seien die ältesten deutschen Chor- und Instrumentalvereine mit einem oft über hundertjährigen Eigenleben zu finden.135
10.11 Die Rolle des Musikvereins als Träger des Systems Die Rolle von laienmusikalischen Vereinigungen im Nationalsozialismus ist noch nicht lückenlos erforscht worden, doch die entscheidenden Prinzipien lassen sich herauslesen: Nachgewiesen ist, dass alle Vereine gleichgeschaltet und dem Führerprinzip unterstellt wurden, wobei dieser Führer nach Möglichkeit ein Mitglied der NSDAP sein sollte. Jüdische Komponisten durften nicht mehr aufgeführt und jüdische Mitglieder mussten ausgeschlossen werden.136 Die Umsetzung dieser Forderungen ist am Düsseldorfer Musikverein exemplarisch zu beobachten. Aufgrund der unanfechtbaren Entscheiderposition Balzers, der die Vorgaben der Reichsmusikkammer umsetzte, hätte der Verein selbst keine Möglichkeit gehabt, ein nicht linientreues Programm zu gestalten und politischen Widerstand auszudrücken, beispielsweise durch die Aufführung von verbotenen Werken oder das Engagement als nichtarisch diffamierter Künstler. Dennoch hätte für jedes Mitglied jederzeit die Möglichkeit bestanden, aus dem Verein auszutreten, bzw. Neumitglieder hätten gar nicht erst beitreten müssen. Für Mitglieder des Musikvereins, die nach einem Austritt den Chorgesang keinesfalls aufgeben wollten, hätte es gewisse Ausweichmöglichkeiten wie beispielsweise Kirchenchöre gegeben;137 Sieb stellt anhand von Beispielen dar, dass durchaus Kirchenchöre existierten, die sich nicht in der von den Nationalsozialisten gewünschten Weise kontrollieren ließen.138 Auch hätte kein Mitglied des Musikvereins gezwungen werden können, an öffentlichen Konzerten oder politischen Veranstaltungen und repräsentativen Festakten mitzuwirken. Neben den Reichsmusiktagen sind hier exemplarisch das erste Festkonzert anlässlich der Reichstagung der NS-Kulturgemeinde Düsseldorf (6. bis 11. Juni 1935)139 zu nennen und das mehrtätige, mit gigantischem Aufwand inszenierte Schlageter-Gedenkfest,140 im Rahmen dessen 135 Vgl. Erhard Krieger, Der deutsche Musikgau Düsseldorf, in: Reichsmusiktage 1938, Programmheft, [S. 16–18, hier S. 16]. 136 Vgl. Schwedt, Laienmusikalische Vereinigungen, S. 24. 137 Vgl. ebd., S. 25. 138 Vgl. Sieb, Zugriff der NSDAP, S. 43f., 133, 196. 139 Vgl. Friedrich W. Herzog, Das Düsseldorfer Programm. Grundsätzliches zur Reichstagung der NS-Kultur-Gemeinde, in: Die Musik, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde, 27/9 (Juni 1935), S. 645–561, hier S. 648. Hierbei sang der Chor des Musikvereins das Stück Einer baut einen Dom von Hansheinrich Dransmann, das er am 23. 5. 1935 uraufgeführt hatte. 140 Eine ausführliche Beschreibung findet sich bei Hüttenberger, vgl. Hüttenberger, Geschichte Düsseldorf Bd. 3, S. 477–487.
Die Rolle des Musikvereins als Träger des Systems
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der Chor am 26. Mai 1933 in der Tonhalle unter Hans Weisbachs Leitung Ein Deutsches Requiem von Brahms aufführte141 bzw. »mit hingebender Liebe inbrünstig seinem Führer folgte, vom Orchester sicher getragen«142, wie es die Zeitung Volksparole propagandistisch formulierte. Festzuhalten bleibt, dass alle Sängerinnen und Sänger, die Mitglieder des Musikvereins waren und sich an öffentlichen Aufführungen beteiligten, bewusste Entscheidung trafen, die zur Unterstützung und Fortsetzung nationalsozialistischer Kulturpolitik beitrugen. Da ein Verein nur durch seine Mitglieder existieren kann, hat auch dieser als Institution damals Position bezogen und Verantwortung für sein öffentliches Handeln und daraus entstehende Konsequenzen übernommen.
Abb. 6: Werbebrief von Bürgermeister Haidn an die ›Musikfreunde der Stadt Düsseldorf‹143
141 Vgl. Volksparole 117 (22. 5. 1933). 142 Volksparole 121 (27./28. 5. 1933). 143 Werbebrief »An die Musikfreunde der Stadt Düsseldorf«, ULB Düsseldorf, KW1061:4,41 Bäd.
11. In geregelten Bahnen – die Entwicklung des Musikvereins nach dem Zweiten Weltkrieg
11.1 Die Situation 1945 Mit dem Einrücken US-amerikanischer Truppen am 17. April 1945 endeten die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs in Düsseldorf. Wie überall in Deutschland begann die entbehrungsreiche Zeit des Wiederaufbaus, in der schon bald der Wunsch nach Normalität, Ablenkung, Unterhaltung und nach Verdrängung der Kriegserlebnisse in der Bevölkerung aufkam. Ehrungen und Straßenbenennungen der NS-Zeit wurden noch im Mai 1945 rückgängig gemacht.1 Die Haltung, dass die NS-Zeit nur eine ›Art Betriebsunfall‹ gewesen sei oder zumindest eine klar abgegrenzte Epoche, die auf die Nachkriegszeit keinen großen Einfluss mehr nahm,2 stand der Aufarbeitung der verübten Verbrechen im Wege. Kulturelle Gruppierungen und Organisationen bemühten sich darum, so rasch wie möglich ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Diese Bestrebungen wurden von der britischen Militärregierung unterstützt, da sie den Plan verfolgte, das große Bedürfnis der Menschen nach Kultur zum Zwecke ihrer Umerziehung zu nutzen.3 Die Briten nahmen jedoch kaum Einfluss auf die konkrete Umsetzung, also auf Spielpläne, Ausstellungen, Büchereien etc., sondern beauftragten damit Vertreter aus der Bevölkerung.4 So wurde z. B. Personen die Freiheit eingeräumt, sich qua Verordnung Nr. 122 in Vereinen zusammenzuschließen, solange auf diese Weise keine Universitätsverbindungen oder militärischen Vereinigungen entstanden.5 Auch unterstützte die Militärregierung gezielt musikalische Aktivitäten, indem sie beispielsweise am 30. September 1945 Instrumente und Noten zurückholen ließ, die in ein Kriegsdepot in Osterrode im Harz gebracht worden
1 2 3 4 5
Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 192. Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 17. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 19f. Vgl. ebd., S. 20.
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waren.6 Ihr Wunsch, das Düsseldorfer Opernhaus möglichst schnell wieder bespielbar zu machen, zielte ursprünglich auf eine verbesserte Truppenbetreuung ab, weshalb die Regierung nur wenig auf die konkrete Gestaltung des Spielplans einwirkte;7 es dauerte aber nicht lange, bis auch die Düsseldorfer Bevölkerung die Aufführungen regelmäßig besuchte. Generell verfolgten die Briten das Ziel, in Anlehnung an die angelsächsische Tradition die Privatkultur zu stärken und einzelne Personen in verantwortungsvolle Positionen zu bringen, doch das traditionelle deutsche System der lokalen Kulturpflege durch die Kommunen setzte sich langfristig durch.8 Rückblickend wird die Düsseldorfer Kulturpolitik nach 1945 in der Forschungsliteratur meist als wenig fortschrittlich bewertet. So stand nach Einschätzung von Elisabeth Bauchhenß Düsseldorf nach dem Krieg nicht in dem Ruf, eine Kunststadt zu sein – oder wenn überhaupt, dann wegen seiner Tradition auf dem Gebiet des Theaters oder der bildenden Kunst; die Oper habe damals Provinzniveau gehabt.9 Auch Horn beschreibt, dass nach 1945 primär Rückgriffe auf kulturelle und organisatorische Traditionen aus der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus erfolgten, anstatt neue Ideen und Konzepte zu erproben.10 Abgesehen davon, dass eindeutige nationalsozialistische Elemente und Symbole im öffentlichen Raum getilgt worden waren, blieb Kontinuität im städtischen Kulturleben vorherrschend.11 Bis zum Beginn der 1960er Jahre wurde die Kulturpolitik stark von den Autoritäten einzelner Personen in hohen Ämtern geprägt.12 Langfristig hingegen wuchs wie überall in Deutschland der Einfluss von überregional tätigen Konzertagenturen, denen bisweilen vorgeworfen wurde, sie förderten das »Starwesen«13 und behinderten die Arbeit der ansässigen Kulturträger.
11.2 Die Musikvereine Auch Musikvereine waren bald darum bemüht, wieder im Kulturleben der Stadt aktiv zu werden. Zwischen dem 22. Juli und dem 31. August beantragten allein neun Düsseldorfer Chöre bei der britischen Militärregierung die Wiederauf6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 140f. Vgl. ebd., S. 140. Vgl. Elisabeth Bauchhenß, Eugen Szenkar (1891–1977). Ein ungarisch-jüdischer Dirigent schreibt deutsche Operngeschichte, Köln u. a. 2016, S. 226. Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 140. Vgl. ebd., S. 142f. Vgl. ebd., S. 147. Ebd., S. 81.
Die Musikvereine
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nahme ihrer Tätigkeit.14 Dr. Josef Wilden, den Oberbürgermeister Füllenbach zum »ehrenamtlichen Beauftragten des Oberbürgermeisters für Angelegenheiten des kulturellen Aufbaus«15 ernannt hatte, stellte in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Städtischen Musikvereins am 5. Juli 1945 den Antrag auf Wiederaufnahme der Probenarbeit.16 Als Argumente für die Notwendigkeit der Genehmigung hob er die 125-jährige Tradition des Chores hervor, die Tatsache, dass dieser bereits unter Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann gesungen habe und dass durch ihn seit Langem Werke von deutschen, aber auch englischen, französischen, russischen, skandinavischen und österreichischen Komponisten aufgeführt worden seien, was zu Düsseldorfs Ansehen beigetragen habe. Interessanterweise wird in diesem Dokument so kurze Zeit nach dem Ende der NS-Zeit direkt wieder neben Schumann der vom Musikverein seit 1932 nicht mehr aufgeführte Mendelssohn als Referenz genannt. Auch auf städtischer Ebene erfolgte mit einem Konzert am 22. Juli 1945 die Wiederbelebung der Mendelssohn-Tradition auffallend rasch.17 Nachdem der Musikverein am 20. und 24. November 1946 den Elias gegeben hatte, vergingen mehr als 17 Jahre, bis er am 12. März 1964 erneut mit einem Werk von Mendelssohn an die Öffentlichkeit trat.18 Wilden knüpfte in seinem Schreiben auch an die bürgerlichen Ideale an, indem er hervorhob, dass die Mitglieder des Musikvereins aus allen Schichten des berufstätigen Bürgertums stammten.19 Seine einleitende Behauptung, der Musikverein sei auch im Krieg noch eine selbstständige Konzertgesellschaft und »gemeinsam mit der Stadtverwaltung der Veranstalter und Träger der grossen Konzerte, die hier regelmässig während der Wintermonate stattzufinden pflegen«20, gewesen, entsprach nicht der Wahrheit und diente wahrscheinlich dazu, den Verein aufzuwerten. Am 7. Juli 1945 wurde dem Musikverein offiziell die Probenarbeit genehmigt, allerdings mit der Einschränkung, dass die Treffen nicht politisch genutzt und vorerst keine Konzerte durchgeführt werden durften.21 Bei einer Besprechung am 6. September 1945 beschloss der Vorstand, dass vorläufig wieder die letzte gültige Satzung von vor 1933 in Kraft treten und dass als erstes Werk in den Proben Haydns Schöpfung in Angriff genommen werden
14 15 16 17 18 19 20 21
Vgl. ebd., S. 79. Ebd., S. 18. Vgl. Brief Wilden an die Militärregierung, 5. 7. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 22. Vgl. Wasserloos, Im Schatten, S. 179. Zur Rezeption von Felix Mendelssohn Bartholdy vgl. S. 268f. Vgl. Brief Wilden an die Militärregierung, 5. 7. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 22. Ebd. Vgl. Brief der Militärregierung, 7. 7. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 24.
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sollte.22 Das Stück, das auf die Tradition der Vereinsgründung referierte, war auch auf symbolischer Ebene gut gewählt, da in dieser Zeit für die Bevölkerung die ›Neu-Schöpfung‹ eines geregelten Lebens aus dem Chaos, das der Krieg hinterlassen hatte, oberstes Ziel war. Hinzu kam, dass das Werk vor fünf Jahren (am 4. Januar 1940) zuletzt gespielt worden war und somit die Chancen gut standen, dass nicht alle Chormitglieder ihre Stimmen neu einstudieren mussten. Der Weg zurück aufs Konzertpodium war schnell beschritten: Am 21. September 1945 wurden über die städtische Pressestelle offiziell weitere Mitwirkende für Proben und eine Aufführung der Schöpfung gesucht,23 zum 1. Oktober 1945 kam Heinrich Hollreiser als neuer Musikdirektor nach Düsseldorf,24 mit dem Musikverein probte er erstmals am 23. Oktober 1945,25 Michael Rühl wurde erneut Chordirektor und am 22. Dezember 1945 fand das erste Konzert des Vereins nach dem Krieg statt.
11.3 Ein neuer Vertrag mit der Stadt und ein neues Statut (1949) Es vergingen vier Jahre, bis die Stadt und der Musikverein ihren Kooperationsvertrag vom 9. März 1931 durch eine aktuelle Fassung ersetzten. Am 21. Dezember 194926 unterzeichneten beide offiziell den neuen Vertrag, auf den sich die Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Musikverein bis heute gründet.27 Darin wurde seine exklusive Position, die er bis 1931 innegehabt hatte, erneut formuliert: »Der Städtische Musikverein gilt als der alleinige ausführende Chor der städtischen Chorkonzerte, stellt für diese seinen Chor unentgeltlich zur Verfügung und verpflichtet seine Mitglieder zur Teilnahme an den Proben und Aufführungen.«28 Wie zuvor sollte der jeweilige Städtische Generalmusikdirektor als der Dirigent des Musikvereins fungieren. Er besaß das Recht, im Einvernehmen mit dem Vorstand einen Chorleiter zu berufen, für dessen Gehalt die Stadt aufkam, und konnte bei Bedarf andere Chorsänger hinzuziehen, worüber aber mit dem Musikverein eine Verständigung herbeizuführen war. Für die Mitwirkung des Vereins stellte die Stadt diesem einen Probenraum nebst Flügel unentgeltlich zur Verfügung, trug die Kosten der städtischen Konzerte Vgl. Protokoll Musikverein, 6. 9. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 28a–28b. Vgl. Pressenotiz, 21. 9. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 30a. Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 64. Vgl. Pressenotiz Rückseite, 21. 9. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 30b. Vgl. Vertrag Stadt Düsseldorf mit dem Städtischen Musikverein, 21. 12. 1949, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 468, 69, ohne Paginierung. 27 Vgl. Schriftliche Auskunft von Manfred Hill, E-Mail vom 9. 11. 2017. 28 Vertrag Stadt Düsseldorf mit dem Städtischen Musikverein, 21. 12. 1949, Absatz 1, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 468, 69, ohne Paginierung.
22 23 24 25 26
Ein neuer Vertrag mit der Stadt und ein neues Statut (1949)
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und bezahlte die Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit eines Verwaltungsassistenten. Der Generalmusikdirektor wählte die Chorwerke im Einvernehmen mit dem Vorstand des Musikvereins aus. Im Vergleich mit den Verträgen der Zeit unter Buths, Panzner, Schn8evoigt und Weisbach hatte der Musikverein also mehr Mitspracherechte und erhielt Geld und Sachleistungen, statt wie zuvor in seiner Eigenschaft als Konzertveranstalter Gehalt und Pension des Musikdirektors sowie Proben und Aufführungen mit dem Orchester zu bezahlen. Die exklusive Position, der ›alleinige‹ Chor der Stadt zu sein, war nach der Phase zwischen 1931 und 1944 wiedergewonnen worden, auch wenn der Musikverein nicht mehr den Status eines selbstständigen Unternehmers erlangte. Das neue Statut von 194929 enthielt, abgesehen davon, dass der Arier-Paragraph gestrichen worden war, gewisse Neuerungen: Festgelegt wurde darin, dass der Musikverein die Pflege des Chorgesangs durch einen künstlerisch hochqualifizierten Chor bei städtischen Konzerten, anderen repräsentativen kulturellen Veranstaltungen der Stadt, den Niederrheinischen Musikfesten und ähnlichen Veranstaltungen von künstlerischem Rang sah (§ 1). Mehr als in früheren Statuten wurde hier also der Anspruch hoher künstlerischer Qualifikation und die Repräsentation im Namen der Stadt herausgestellt. Neu war ebenfalls, dass für die Nachwuchs-Schulung des Chores ein Arbeitskreis geschaffen wurde, dem jedes aktive Mitglied angehören konnte. Falls die musikalische Leitung des Vereins dies für erforderlich hielt, durfte ein neues Mitglied bei öffentlichen Veranstaltungen erst mitwirken, wenn nach Teilnahme an dem Arbeitskreis die ›Konzertreife‹ festgestellt worden war. (§ 14) Die Verpflichtung der Stadt gegenüber, hochqualifizierte Chorsänger zu beschäftigen, wurde offensichtlich ernst genommen. Die musikalische Leitung des Vereins lag bei dem jeweiligen städtischen Generalmusikdirektor und gegebenenfalls einem beauftragten Chorleiter (§ 6). In einer Besprechung am 6. September 1945 war von dem Vereinsvorstand festgelegt worden, dass wie schon zuvor während Michael Rühls Tätigkeit ab 1929 der Chorleiter hauptamtlich bei der Stadt angestellt sein und vom Oberbürgermeister mit der Leitung der Vorproben des Musikvereins beauftragt werden sollte. Wäre ein nicht städtischer Angestellter als Chorleiter herangezogen worden, hätte dies eine größere finanzielle Belastung bedeutet, weshalb dieser Schritt unterbleiben sollte.30
29 Vgl. Satzung Musikverein 8. 11. 1949, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 466, 69, ohne Paginierung. 30 Vgl. Protokoll des Musikvereins, 6. 9. 1945, StAD Düsseldorf, 0-1-20-624.0000, S. 28a–28b.
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11.4 Heinrich Hollreiser (1945 bis 1952) Die Jahre unter Heinrich Hollreiser werden mit einem überwiegend traditionellen Repertoire assoziiert, was den Wunsch des damaligen Publikums nach vertrauten musikalischen Werken befriedigte.31 Primär wurde die »klassischromantische Standardliteratur«32 aufgeführt, jedoch auch einige moderne Werke, die im Nationalsozialismus verboten gewesen waren. So studierte der Musikverein unter Hollreiser 1948 mit Artur Honeggers Oratorium La danse des morts erstmals nach dem Krieg ein der Ästhetik der Moderne verpflichtetes Werk ein. Der Musikdirektor tat alles, »um den Chor schonend auf das ungewohnte moderne Werk«33 vorzubereiten; zwar wurde die Einstudierung als anstrengend erlebt, doch die Mühe zahlte sich aus. So hätten die Mitwirkenden »den ›Einstieg‹ in die Moderne zunächst mit Skepsis, dann aber mit wachsender Begeisterung vollzogen.«34 1926 war unter Hans Weisbach vom Musikverein zum ersten Mal ein Stück von Honegger, der sinfonische Psalm König David, aufgeführt worden, doch ist es wahrscheinlich, dass ein nicht geringer Teil der damals Beteiligten über zwanzig Jahre später nicht mehr zum Chor gehörte und die meisten Mitwirkenden die Musik als neu und fremdartig erlebten. In seinen Düsseldorfer Jahren hatte Hollreiser mehrfach Diskussionen mit dem Kulturausschuss gehabt, bei denen es um seine Doppelbelastung als Dirigent von Oper und Konzertwesen ging, die seiner Ansicht nach in keinem angemessenen Verhältnis zu seinen Vertragsbedingungen standen.35 Daraufhin erwog die Stadt, einen eigenen Dirigenten für den Konzertbereich einzustellen, doch da kein passender Kandidat gefunden wurde, blieb die Konstellation bis zum Auslaufen von Hollreisers Vertrag im September 1952 bestehen.
11.5 Eugen Szenkar (1952 bis 1960) Auch Hollreisers Nachfolger Eugen Szenkar war als Generalmusikdirektor für Konzert und Oper gleichermaßen verantwortlich – ein Prinzip, das nach seiner Amtszeit bis 1999 nicht mehr fortgesetzt wurde.36 Im Zusammenhang mit seinen 31 32 33 34 35 36
Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 200. Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 204. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 141. Ebd. Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 66. Vgl. Alfons Neukirchen, Von Heinrich Hollreiser bis David Shallon, in: Westdeutscher Rundfunk Köln (Hg.), Rheinisches Musikfest 1988. Veranstaltet vom Westdeutschen Rundfunk und der Stadt Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahre des 700jährigen Stadtjubiläums von Düsseldorf, Köln 1988, S. 16–26; vgl. Großimlinghaus u. a., Aus Liebe zur Musik Bd. 2, S. 30.
Eugen Szenkar (1952 bis 1960)
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Konzertprogrammen kam es bald zu in der Öffentlichkeit und in der Presse ausgetragenen Streitigkeiten. Vorgeworfen wurde Szenkar, der eigentlich in dem Ruf stand, die musikalische Moderne stets gefördert zu haben, seine Programme seien eine Zusammenstellung berühmter, beliebter und wirkungssicherer Stücke, die die Breite der Literatur nicht erfassten.37 Von der Presse der Nachkriegszeit würden in Konzerten jedoch zeitgenössische Werke gefordert – wie sie sein Vorgänger Hollreiser angeblich geliefert hatte.38 Die sinkenden Besucherzahlen wurden Szenkars konservativer Programmwahl angelastet.39 Als dieser am 29. Mai 1952 sein erstes Konzertprogramm dem Kulturausschuss vorgelegte, hatte er in der Tat erklärt, er wolle auf alles »allzu Problematische«40 verzichten und eine Mischung aus klassischer Moderne und alten Meistern aufführen. Bei Gesprächen im Kulturausschuss blieb er bei der Einschätzung, dass schon ein geringes Maß zeitgenössischer Musik das Publikum offenbar verschrecke und außerdem kein geeigneter Konzertsaal zur Verfügung stehe.41 Tatsächlich verursachte die Aufführung zweier Orchesterwerke von Ernst Krenek – Elf Transparente und Pallas Athene weint – im Dezember 1955 bei dem konservativen Publikum einen »Massenauszug«42 aus der Konzerthalle. Auf das Programm eines Abonnementskonzertes 1957 jedoch, bei dem Szenkar moderne Stücke zur Aufführung brachte (u. a. von Boris Blacher, Alban Berg, Paul Hindemith und Mikljs Rjzsa), äußerte die Presse prompt ihre Sorge, die vielen zeitgenössischen Werke könnten die Zuschauerzahlen negativ beeinflussen.43 Der Musikverein war in Szenkars Wirkungszeit ebenfalls mit einigen vom vertrauten Klangbild abweichenden Werken vertreten wie beispielsweise Zoltan Kod#lys Te Deum (20. Mai 1954) und seinen Psalmus hungaricus (15. Dezember 1955), Rolf Liebermanns Streitlied zwischen Leben und Tod (10. Februar 1955), Hindemiths Requiem (21. November 1956) und, wie bereits erwähnt, Honeggers König David (5. April 1957). Die Aussage, dass Szenkar nur berühmte und beliebte Stücke gespielt habe, entspricht offensichtlich nicht den Tatsachen. Besonders heftige Angriffe kamen über mehrere Jahre von dem Journalisten Alfons Neukirchen,44 in dessen Äußerungen gegen den jüdischen Dirigenten Szenkar, der 1933 vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflohen war, die Journalistin Hannelore Schwesig 1954 »Antisemitismus und Ueberheblich-
37 38 39 40 41 42 43 44
Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 67. Vgl. Bauchhenß, Eugen Szenkar, S. 226. Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 67. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 67. Vgl. ebd., S. 68. Vgl. ebd.; vgl. auch Bauchhenß, Eugen Szenkar, S. 249. Vgl. Bauchhenß, Eugen Szenkar, S. 254. Vgl. ebd., S. 244.
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keit«45 als Triebfeder zu erkennen glaubte. Neukirchen wies derartige Motivationen indirekt mit dem Bericht zurück, dass der Orchestervorstand ihn und einen anderen Kritiker zweimal mit Protest- und Warnflugblättern diffamiert habe, auf denen er, obwohl er im Afrika-Korps während des Zweiten Weltkriegs den Rang eines Obergefreiten gehabt habe, als ›SS-Obersturmführer‹ bezeichnet worden sei.46 Aus dieser Aussage geht hervor, dass die Wahrnehmung einer antisemitischen Haltung gegenüber Szenkar – auch wenn Neukirchen selbst diese Behauptung als diffamierend bezeichnete – offenbar so verbreitet war, dass der Orchestervorstand sich gezwungen sah, darauf öffentlichkeitswirksam zu reagieren. Die Tatsache, dass Szenkar seine Konzertprogramme als Generalmusikdirektor nur vorschlug und die Entscheidung letzten Endes von der Stadt getroffen wurde,47 bestätigt Bauchhenß’ Einschätzung, dass dem Düsseldorfer Kritikerstreit mit Logik nicht beizukommen war.48 Die Art, in der die öffentliche Diskussion um Szenkar geführt wurde, hinterließ jedenfalls ihre Spuren in der Düsseldorfer Musikwelt der 1950er Jahre. Auch das Image des städtischen Publikums war zu der Zeit nicht das beste, denn es galt als ästhetisch einseitig festgelegt und ihm wurde nachgesagt, eine Neigung zum ›Kultur-Snobismus‹ zu haben.49 Auch Horn und Willhardt kommen zu der Einschätzung, dass bis zur Mitte der 1950er Jahre die Düsseldorfer sich der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen musikalischen Formen verweigerten. Erst Faktoren wir die Gründung der Jugendmusikschule im Jahr 1956 trugen langfristig zur Bildung eines neuen, aufgeschlosseneren Publikums bei.50
11.6 René Heinersdorff als neuer Vereinsvorsitzender (1955) In die Zeit unter Eugen Szenkar fiel eine Personalentscheidung im Städtischen Musikverein, die einige Veränderungen mit sich brachte. 1955 wurde Ren8 Heinersdorff sen. neuer Vorsitzender, was einen Bruch mit einer langjährigen Tradition darstellte, da mit ihm kein hoher städtischer Beamter diese Aufgabe übernahm,51 sondern ein Unternehmer und in Düsseldorf bekannter Kunstförderer, der von öffentlichen Ämtern in der Stadt unabhängig war. Heinersdorff war Leiter der Firmen Heinersdorff am Opernhaus, Konzertdirektion Dubois & 45 46 47 48 49 50 51
Ebd., S. 239, 244. Vgl. Neukirchen, Von Hollreiser bis Shallon, S. 19. Vgl. Bauchhenß, Eugen Szenkar, S. 228. Vgl. ebd., S. 249. Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 67. Vgl. Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 215f. Vgl. Jens D. Billerbeck, Die Drei vom Musikverein, in: Städtischer Musikverein, 175 Jahre, S. 26–28, hier S. 26.
René Heinersdorff als neuer Vereinsvorsitzender (1955)
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Wylach vorm. Bayrhoffer, Heinersdorff & Co. und Konzert-Theater-Kasse Heinersdorff. 1938 hatte er das im Jahr 1902 von seinem Vater Constans Heinersdorff und Rudolf Ibach gegründete Unternehmen übernommen.52 Der von beiden errichtete Kammermusiksaal an der Schadowstraße, das Ibach-Haus, war ein in Düsseldorf bekannter Veranstaltungsort, der 1943 zerstört wurde.53 Mitte der 1950er Jahre hatte sich der Musikverein in einer schwierigen Situation befunden: Trotz allen Engagements wurden seine Aktivitäten in der Öffentlichkeit als nicht besonders attraktiv wahrgenommen und die Mitgliederzahlen brachen ein. Der Chor sang nur drei bis vier Konzerte pro Jahr mit dem Städtischen Sinfonieorchester und beteiligte sich außerdem an den Niederrheinischen Musikfesten.54 Zumeist mussten für Konzerte Tenöre vom Opernchor engagiert werden.55 Seit 1948 bemühte sich eine Arbeitsgemeinschaft des Musikvereins intensiv um Fortbildungen, Schulungen, ergänzende Chorproben, Werkeinführungen, Werbung u. a.56 1950 warb sogar Oberstadtdirektor Dr. Hensel persönlich bei Mitarbeitern der Stadtverwaltung darum, dem Musikverein beizutreten,57 doch die Resonanz war nur gering. Heinersdorff schätzte Mitte der 1950er Jahre die Situation so ein, dass der Musikverein seine Aufgaben in einem zu hohen Maße von der Stadtverwaltung zugewiesen bekam und nicht eigenständig genug auf das kulturelle Leben in Düsseldorf einwirkte.58 Sein Ziel war es, dem Verein wieder zu seiner früheren Bedeutung und zur Beteiligung an großen städtischen Konzerten zu verhelfen. Offenbar ging Heinersdorff bei seinen Werbemaßnahmen professioneller vor als der Oberstadtdirektor, denn die Anzahl der Mitglieder stieg und der Chor gewann an Bekanntheit und Renommee.59 1956 trat Kunibert Jung als neuer zweiter Vorsitzender des Vereins sein Amt an und 1964 wurde Hartmut Schmidt der neue Chorleiter.60 Zusammen mit Heinersdorff ergab dies eine stabile Personenkonstellation an der Spitze des Vereins, die viele Jahre lang bestehen blieb. Die Kontinuität trug zu seiner erfolgreichen Zeit mit zahlreichen Gastspiele und Tonaufzeichnungen bei. Die 52 Vgl. Wirtschaftsspiegel Düsseldorf, Personalien 16 (1980), S. 4f. 53 Vgl. Jutta Scholl (Hg.), Die Familie Heinersdorff. Ein Beitrag zur Musikgeschichte und zum Musikleben der Stadt Düsseldorf. Schriftenreihe des Freundeskreises Stadtbüchereien Düsseldorf, Bd. 1, Düsseldorf 1993, S. 12. 54 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 143. 55 Vgl. Kunibert Jung, Zwei in einem Gespann, in: Scholl, Heinersdorff, S. 60–63, hier S. 60. 56 Vgl. Richtlinien einer Arbeitsgemeinschaft im Städtischen Musikverein, StAD Düsseldorf, 4/ 69/0, M.V. 408, 69, ohne Paginierung. 57 Vgl. Aufrufe Oberstadtdirektor, Juli 1950 und August 1950, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 408, 69, ohne Paginierung. 58 Vgl. Aussage von Ren8 Heinersdorff, in: Düsseldorfer Nachrichten, 31. 8. 1955, zit. nach Jung, Zwei in einem Gespann, S. 60. 59 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 143f. 60 Vgl. Billerbeck, Die Drei vom Musikverein, S. 26.
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vergleichsweise häufigen Wechsel der Vorstände in den 1990er Jahren (auf Kunibert Jung folgten 1990 Jens Billerbeck, 1995 Jürgen Exler und 2002 Manfred Hill) und Chordirektoren (nach Schmidt kamen 1995 Raimund Wippermann und 2001 Marieddy Rosetto) führte bei einem Teil der Chormitglieder zu Unruhe.61
11.7 Aufarbeitung contra Verdrängung – Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (1945 bis 1960) Ab 1945 machte sich fast überall in der deutschen Bevölkerung eine Haltung gegenüber den in der NS-Zeit verübten Verbrechen breit, die Dolf Sternberger zeitgenössisch als »vitale Vergesslichkeit«62 bezeichnete. Die Entnazifizierung wurde nur oberflächlich betrieben und zeigte kaum Wirkung. In der britischen Besatzungszone erfolgte die Prüfung per Fragebogen ohnehin nicht bei der gesamten Bevölkerung, sondern nur bei jenen, die eine Arbeit aufnehmen bzw. weiterbeschäftigt werden wollten. Auch reichte ein sogenannter ›Persilschein‹ (Leumundsaussage aufgrund persönlicher Beziehungen)63 meist aus, um Personen ohne handfeste Beweise von Anschuldigungen zu befreien. Darüber hinaus bestanden auch in den Köpfen der Menschen Barrieren. So weigerten sich zahlreiche ehemalige Parteimitglieder und Sympathisanten des Nationalsozialismus, ihre Gesinnung als Maßstab für die Bezeichnung ›Faschist‹ anzuerkennen – diese Definition galt in ihrer Augen nur für die wenigen unmittelbar Beteiligten an den ausführenden staatlichen Organen –, was einen großen Teil der Bevölkerung in ihrer eigenen Wahrnehmung von aller Schuld entlastete64 und den Prozess der Entnazifizierung und Aufarbeitung massiv erschwerte. Der Städtische Musikverein versuchte wie die meisten deutschen Gruppierungen nach dem Krieg, mit seinen Strukturen und seinem Personal nahtlos an die Zeit vor der nationalsozialistischen Machtergreifung anzuknüpfen, ohne dieses Vorgehen kritisch zu hinterfragen. Positiv ist es zu werten, dass der Verein gleich nach Kriegsende sein Statut von 1935, das den Arier-Paragrafen enthielt, durch das ältere von 1931 ersetzte (ein neues Statut wurde 1949 verfasst). Hinweise auf Versuche, bei Vereinsmitgliedern und anderen Beteiligten ihre Rolle im NS-Regime zu hinterfragen und Erkenntnisse womöglich sogar zum Anlass für eine Distanzierung von diesen Personen zu nehmen, lassen sich jedoch nicht 61 Vgl. Großimlinghaus, Schallarchiv, S. 236. 62 Dolf Sternberger, Versuch zu einem Fazit, in: Die Wandlung 4 (1949), S. 700–710, hier S. 701. 63 Vgl. Astrid Wolters, Entnazifizierung, in: von Looz-Corswarem/Mauer, Düsseldorf Lexikon, S. 201f. 64 Vgl. Jost Hermand, Kulturszene Drittes Reich, S. 10.
Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (1945 bis 1960)
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nachweisen. Michael Rühl und Joseph Wilden seien hier Beispiele genannt: Rühl war 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte sicherlich nicht zuletzt in Folge seines konformen Verhaltens die Vorteile gehabt, dass ihm seine Tätigkeit als Chordirektor des Musikvereins erhalten blieb, er als regionaler Komponist gefördert wurde und zwei seiner Werke im NS-Regime ihre Uraufführung erlebten. Wilden hatte 1933 versucht der NSDAP beizutreten, konnte aber trotz der Ablehnung weiterhin das Amt des stellvertretenden Vereinsvorstands ausüben und noch 1944 bei einem offiziellen Anlass öffentlich als Redner auftreten. Auch unter den Personen, die nach dem Krieg für den Musikverein Bedeutung erlangten, gibt es entsprechende Beispiele. So störte es bei der Anstellung von Heinrich Hollreiser und in den Jahren seiner Beschäftigung nicht, dass dieser seit 1937 Mitglied der NSDAP gewesen war.65 Gleiches gilt auch für Ren8 Heinersdorff, der insgesamt zwei Jahre lang (von 1931 bis 1933) Parteimitglied gewesen war.66 Nach dem Krieg wurden also politisch vorbelastete Personen in Vorstandspositionen geduldet, als künstlerische Leiter akzeptiert und mindestens bis zur Mitte der 1950er Jahre auch neu in den Vorstand aufgenommen. Ob der Musikverein diese Fakten kannte oder – sofern dies nicht der Fall war – ob er Versuche zur Aufklärung unternahm, ließ sich nicht feststellen.67 In jüngerer Zeit hat der Städtische Musikverein aktiv begonnen, seine Vergangenheit aufzuarbeiten und in der Öffentlichkeit zur Debatte zu stellen. So wurden auf seiner Internetseite ältere Texte über Hugo Balzer nach dem Erscheinen des Artikels von Wasserloos durch Zitate aus diesem ersetzt und damit frühere Positionen relativiert.68 Die Vereinszeitschrift ChorSzene stellte die 2007 vorgelegte Magisterarbeit von Christoph Guddorf vor,69 in der die konservative Haltung des Vereins und das Repertoire im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus thematisiert werden.70 Auch in der Chronik von Großimlinghaus 65 Vgl. Auskunft Bundesarchiv Berlin vom 9. Juni 2017: »Heinrich Hollreiser (24. 06. 1913 in München) NSDAP-Nr. 5.118.233, NSDAP-Eintritt: 01. 05. 1937.« 66 Vgl. Auskunft Bundesarchiv Berlin vom 26. Juli 2017: »Carl Ren8 Heinersdorff (03. 08. 1910 in Düsseldorf). Zu Og. war hier lediglich eine NSDAP-Mitgliederkarteikarte zu ermitteln, der zufolge er seit dem 01. 04. 1931 unter der Nummer 527.268 Mitglied der Partei war. Laut Meldung des Gaues Düsseldorf vom September 1933 wurde H. aus der NSDAP ausgeschlossen und seine Mitgliedschaft bei der Reichsleitung gestrichen. Der Grund, der zu diesem Ausschluss führte, ist auf der Karteikarte leider nicht vermerkt. Weitere Unterlagen, die hierzu Erläuterungen liefern könnten, liegen nicht vor.« 67 Aktuell liegen keine Unterlagen vor, die belegen, dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Parteizugehörigkeit oder andere Hinweise auf die Gesinnung von Rühl, Wilden, Hollreiser oder Heinersdorff recherchiert oder diskutiert worden sind. 68 Vgl. Internetseite des Musikvereins (28. 2. 2018); (28. 2. 2018). 69 Vgl. Guddorf, Konzert und Oper Düsseldorf, 2006. 70 Vgl. Christoph Guddorf/Thomas Ostermann, Nachgelesen: ›Konzert und Oper in Düsseldorf …‹. Magisterarbeit von Christoph Guddorf. für NC [Neue Chorszene] zusammenge-
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aus dem Jahr 1989 wurden das Thema Nationalsozialismus angesprochen und die Konzerte unter Balzer bis 1943 dokumentiert. In dem Kapitel Die dunkle Zeit71 wird zwar die Verantwortung des Musikvereins für seine Beteiligung nicht abgestritten, doch es wird auch kein Versuch unternommen, diese kritisch aufzuarbeiten. Durch seine Geschichte ist der Chor in hohem Maße repräsentativ für die Rolle, die zahlreiche andere Musikvereine in der Zeit des Nationalsozialismus und danach eingenommen haben. Schließlich kamen seine Mitglieder aus dem Bürgertum der Stadt Düsseldorf, das zu einem großen Teil die nationalsozialistische Regierung gewählt und diese unterstützt hatte. Zwar sind Einzelfälle belegt, in denen Musikvereine sich der Eingliederung in die Musikpolitik der Nationalsozialisten durch Auflösung verweigerten72, doch grundsätzlich zeigten sie sich konform. Die Vereine waren, »was nicht anders zu erwarten sein konnte, Teil und Spiegel der Gesellschaft.«73 Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch der Düsseldorfer Musikverein genügend Mitglieder hatte, die dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstanden oder sich zumindest mit diesem arrangieren, so dass der Chor fortbestehen konnte. Mit der Bereitschaft, zur Aufarbeitung seiner Geschichte beizutragen, ist der Musikverein jedoch alles andere als repräsentativ, sondern vorbildlich – noch immer gibt es in der Bundesrepublik Deutschland zahllose Vereine und andere Organisationen, die hinsichtlich ihrer Geschichte weiterhin auf Verdrängung setzen.74
11.8 Die Niederrheinischen Musikfeste der Nachkriegszeit (1946 bis 1958) Dass die Niederrheinischen Musikfeste nach dem Krieg schon im Juni 1946 wieder aufgenommen werden konnten, war primär dem Engagement des Aachener Domkapellmeisters Rehmann zu verdanken, der die Besatzungsmacht davon überzeugte, dass es, um Deutschland neu zu formieren, sinnvoll sei, an jene Traditionen anzuknüpfen, die in der NS-Zeit geopfert worden waren.75
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stellt von Thomas Ostermann, in: Neue Chorszene, Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf 02 (2007), S. 22–30. Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 121f. In den Text sind längere Passagen aus Peters, Ausstellungskatalog, eingeflossen. Vgl. Schwedt, Laienmusikalische Vereinigungen, S. 25. Ebd., S. 25. Vgl. Henning Borggräfe, Zwischen Ausblendung und Aufarbeitung. Der Umgang mit der NSVergangenheit in Vereinen und Verbänden kollektiver Freizeitgestaltung, in: Zeitgeschichteonline, Dezember 2012, (28. 2. 2018). Vgl. Alf, Das Niederrheinische Musikfest, 1980, S. 472f.
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Aufgrund der Zerstörung der Stadt fanden die Aufführungen im Aachener Dom und in notdürftig hergerichteten Räumen statt. Mit den gewählten Stücken sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass zum einen regionale Traditionen bedeutsam waren – hierzu wurden Werke von rheinischen Komponisten wie Hermann Schroeder, Heinrich Lemacher, Philipp Jarnach, Emil Schuchardt und Walter Berten gespielt.76 Zum anderen sollten Stücke von ausländischen Komponisten wie Cesar Franck, Ralph Vaughan Williams, Edward Elgar, Maurice Ravel, Yrjö Kilpinen und Julius van Nuffel die Botschaft kommunizieren, dass die deutschen Grenzen nicht mehr länger geschlossen waren. Unentbehrlich war darüber hinaus die Aufführung des etablierten Werkkanons mit Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Bruckner und Brahms.77 Da der Dreierbund zwischen Aachen, Köln und Düsseldorf bis zur Einstellung der Musikfeste nicht aufgelöst wurde, ist davon auszugehen, dass weiterhin alle Städte in der traditionellen Weise an der Programmplanung und Durchführung vor Ort beteiligt waren. Von 1946 liegen allerdings keine Dokumente über die Vorbereitung des Festes vor, so dass keine Aussage darüber möglich ist, ob durch die Beeinträchtigungen der Kriegszeit Köln und Düsseldorf – und damit konkret der Städtische Musikverein – in diesem Jahr in der gewohnten Weise eingebunden waren. Vom 25. Mai bis 1. Juni 1947 fand dann das nächste Niederrheinische Musikfest in Düsseldorf statt. Die Veranstalter sahen dieses wie im Jahr zuvor als Gelegenheit an, Traditionen von früher aufzugreifen, »um der Musikfestidee aus dem Geist unserer Zeit einen neuen Sinn zu geben«78. Das Programm wurde mit einer Mischung aus klassisch-romantischen, impressionistischen und – in Rückbesinnung auf die ursprüngliche Zielsetzung der Feste, stets auch Musik der Zeit zu spielen79 – modernen Stücken bestritten. Dabei fand die deutsche Erstaufführung der Symphonischen Metamorphosen über ein Thema Carl Maria von Webers von Paul Hindemith statt. Der Musikverein war mit Beethovens Missa solemnis beteiligt. Nachdem Eugen Jochum, Hermann Abendroth und Hans Knappertsbusch als Gastdirigenten abgesagt hatten, übernahmen Heinrich Hollreiser, Joseph Neyses und Wilhelm Sieben die musikalische Leitung des Festes. Insgesamt betrachtete der Düsseldorfer Kulturausschuss das Musikfest als Erfolg und sprach offiziell seinen Dank dafür aus.80 Die Wiederaufnahme der Niederrheinischen Musikfeste kam sicherlich den Wünschen der Bevölkerung entgegen, doch angesichts der in Aachen aufge76 Vgl. ebd., S. 473. 77 Vgl. ebd., S. 473, 487. 78 Niederrheinisches Musikfest 25.5. bis 1. 6. 1947, Programmheft, zit. nach Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 68. 79 Vgl. Hans Hubert Schieffer, Neue Musik in Düsseldorf seit 1945. Ein Beitrag zur Musikgeschichte und zum Musikleben der Stadt, Köln 1998, S. 173. 80 Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 68f.
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Die Entwicklung des Musikvereins nach dem Zweiten Weltkrieg
führten Programme kann keine Rede davon sein, dass an Traditionen angeknüpft wurde, die in der Zeit des Nationalsozialismus geopfert worden waren: Abgesehen von ›Klassikern‹ der vergangenen Jahrhunderte, welche die Nationalsozialisten bei zahllosen Gelegenheiten für ihre Propaganda instrumentalisiert hatten, waren auch mehrere der zeitgenössischen Komponisten im Kulturleben dieser Phase präsent gewesen oder hatten das Regime sogar aktiv unterstützt: Hermann Schroeder war Mitglied der NSDAP,81 Heinrich Lemacher arbeitete von 1925 bis 1945 als Dozent an der Musikhochschule Köln,82 Emil Schuchardt war von 1936 bis 1946 als Repetitor und Schauspielkapellmeister bei den Städtischen Bühnen Düsseldorf angestellt,83 Walter Berten war während des Zweiten Weltkrieges als Publizist tätig (exemplarisch sei auf einen Artikel von ihm in der Zeitschrift Musik im Kriege von 1943 verwiesen)84 und der finnische Komponist Yrjö Kilpinen ist als ein »ausgesprochener Verehrer des Nationalsozialismus«85 einzustufen.86 Auch bei dem Düsseldorfer Fest 1947 hätten die ursprünglich erwarteten prominenten Gäste Abendroth und Knappertsbusch ein höchst fragwürdiges Anknüpfen an eine junge Tradition bedeutet, da Abendroth am 28. Mai 1938 und Knappertsbusch am 21. Mai 1939 bei den Reichsmusiktagen Beethovens Sinfonie Nr. 9 dirigiert hatten. Die Veranstalter hielten jedoch offenbar weder die Auswahl der Komponisten noch die der Ausführenden für problematisch. Ab 1949 wurde Kritik an den Niederrheinischen Musikfesten laut, da ihnen angeblich keine klaren Konzepte zugrundelagen und thematische Bezüge fehlten. Um dies zu ändern wurde geplant, in die Programme mehr zeitgenössische Werke aufzunehmen, was mit der ursprünglichen Tradition der Musikfeste übereinstimmte.87 Auch wurde 1950 die Organisationsstruktur verändert, so dass nun die beteiligten Städte bei jedem Fest einen eigenen Konzertabend gestalteten und sich nicht mehr wie zuvor ihre Laiensänger zu gemeinsamen
81 Hermann Schroeder, NSDAP-Mitgliedsnummer 5612879, Beitrittsdatum: 1. 5. 1937, vgl. Prieberg, Handbuch, S. 3620. 82 Vgl. Prieberg, Handbuch, S. 4184. 83 Vgl. Volker Kühn/Christian Collet, Artikel Emil Schuchardt, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 622f. [Online-Version]; (28. 2. 2018). 84 Vgl. Walter Berten, Hugo Rasch. Zum 70. Geburtstag eines deutschen Kämpfers und Musikers, in: Musik im Kriege, 1 (April/Mai 1943), S. 19f. 85 Olivia Griese, Auswärtige Kulturpolitik und Kalter Krieg. Die Konkurrenz von Bundesrepublik und DDR in Finnland 1949–1973, Wiesbaden 2006, S. 68. 86 Einschätzung, dass Kilpinen dem Nationalsozialismus nahestand, wird auch von Deaville bestätigt, vgl. James Deaville, Yrjö Kilpinen: Finnish Composer and German Lieder in the 1930s, in: Intersections 25 (2005), S. 171–186, hier S. 171. 87 Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 69.
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Choraufführungen zusammenfanden.88 Verantwortlich für die Organisation waren keine Festkomitees mehr, die vor dem Zweiten Weltkrieg so heftig kritisiert worden waren, sondern ein Kuratorium aus Kulturdezernenten, Musikwissenschaftlern und Journalisten;89 die Schirmherrschaft übernahm Ministerpräsident Karl Arnold. 1948 fand ein Symposium über Neue Musik mit Bernd Alois Zimmermann und Paul Breuer statt, und 1951 stellte Düsseldorf das Fest unter das Motto ›Musik unserer Zeit‹, wofür Stücke nach dem ›Grad der kompositorischen Innovation‹ ausgewählt wurden.90 Der Düsseldorfer Musikverein beteiligte sich daran mit Hindemiths Oratorium Das Unaufhörliche (22. Mai 1951). Dass bei diesem Fest Laien-Chöre zeitgenössische Kompositionen erarbeitet und Hörern zugänglich gemacht hatten, wurde von der Presse positiv aufgenommen und als pädagogische Leistung gewürdigt, was die Veranstaltungsreihe weiterhin förderungswürdig gemacht habe.91 Um die Feste weiter zu reformieren, wurden sie in Form von Jahrbüchern dokumentiert, 1954 folgte der Versuch, Jugendvorträge und -konzerte zu etablieren, und 1955 musizierte Hindemith mit Schülern und Laien.92 Doch alle diese Bemühungen brachten keinen dauerhaften Erfolg. 1953 verließ Köln den Städtebund, weshalb das Musikfest ausfiel, 1958 fand die Reihe endgültig ihr Ende.93 Alf erklärt diese Entwicklung primär damit, dass die bedeutsamen großen Chöre zuletzt nicht mehr Gestalter und Träger des Festes waren,94 da in den Programmen zunehmend weniger Werke mit großer Chorbesetzung zu finden gewesen seien.95 Auch Kurt Hackenberg thematisiert, dass der ursprüngliche Leitgedanke gewesen sei, die Orte des Niederrheins nach der Französischen Revolution musikalisch zu vereinigen, wobei Haydns Oratorien eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Durch das Bevölkerungswachstum und die Verlagerung wirtschaftlicher und künstlerischer Verhältnisse sei jedoch diese ursprüngliche Motivation entfallen, so dass die Feste ihr Alleinstellungsmerkmal verloren hätten.96
88 Bei Alf sind die Konzertprogramme von 1946 bis 1958 abgedruckt, vgl. Alf, Das Niederrheinische Musikfest, 1980, S. 487–496. 89 Vgl. Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 21. 90 Vgl. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 69. 91 Vgl. Alf, Das Niederrheinische Musikfest, 1980, S. 477. 92 Vgl. Zahn, Die Niederrheinischen Musikfeste, S. 22–24. 93 Vgl. ebd., S. 22f. 94 Vgl. Alf, Das Niederrheinische Musikfest, 1980, S. 483–485. 95 Vgl. ebd., S. 476. 96 Vgl. ebd., S. 475.
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Die Entwicklung des Musikvereins nach dem Zweiten Weltkrieg
11.9 Die Rheinischen Musikfeste (1984 bis 1988) Als 1984 der Westdeutsche Rundfunk (WDR) den Versuch unternahm, die Veranstaltungsreihe in Form der Rheinischen Musikfeste wiederzubeleben, fanden sich zahlreiche interessierte Kooperationspartner, so dass in den nächsten Jahren mehrere der Feste zustande kamen: 1984 in Düsseldorf, 1985 in Duisburg, 1986 in Gelsenkirchen, 1987 in Köln und 1988 anlässlich des Stadtjubiläums erneut in Düsseldorf.97 Der Dokumentationsband der ersten Veranstaltung, die vom 31. Mai bis 8. Juni 1984 stattfand, beschreibt die Geschichte der Niederrheinischen Musikfeste ausführlich anhand von Originaldokumenten,98 wodurch sich das Fest klar erkennbar in deren als »prämedial«99 bezeichnete Tradition stellte. Zugleich vertrat der WDR aber auch den Anspruch, Musikkultur des 20. Jahrhunderts einzubringen, die von der Entwicklung des Rundfunks und der Tonträgerwirtschaft geprägt worden war.100 Um wie geplant ein »Fest für Alle«101 zu bieten, sollten u. a. Rock, Jazz, Folklore und europäische Kunstmusik miteinander verbunden werden. Ergänzend gab es Workshops für musikalische Improvisation an Schulen,102 einen Hobbymarkt auf dem Rathausplatz und andere Publikumsaktionen. Der Städtische Musikverein war an dem Festival am 5. Juni 1984 mit Aufführungen von Robert Schumanns Chorballaden Vom Pagen und der Königstochter und Der Königssohn unter Leitung von Hartmut Schmidt mit der Philharmonia Hungarica beteiligt.103 Durch diese Wahl positionierte er sich als Vertreter einer Tradition des 19. Jahrhunderts und als Spezialist für das eher selten gespielte Repertoire von Schumanns Chorwerken. Rückblickend äußerte der Musikverein Bedauern darüber, dass der WDR ihn als einen der »ältesten und leistungsstärksten Kulturträger NordrheinWestfalens«104 erst sehr spät zur Mitwirkung eingeladen hatte und das Konzert dann mit einem fremden Orchester, mit dem der Chor nicht zufrieden war, und außerdem nicht unter Leitung von Generalmusikdirektor Bernhard Klee stattfand.105 In dem neuntägigen Programm fiel dem Konzert des Musikvereins in der Tat keine exponierte Rolle zu. 1988 fand das fünfte und zugleich letzte Rheinische Musikfest erneut in 97 98 99 100 101 102 103 104
Vgl. Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 212. Vgl. Zahn, Rheinisches Musikfest 1984, S. 6–84. Ebd., S. 86. Vgl. ebd., S. 86–87. Zahn, ebd., S. 89–91. Vgl. ebd., S. 93. Vgl. ebd., S. 123. Bernd Dieckmann, Grußwort des Kulturdezernenten der Landeshauptstadt Düsseldorf, in: Chorszene, 1 (April 1981), S. 2. 105 Vgl. Internetseite Musikverein, Schallarchiv, (28. 2. 2018).
Die Rheinischen Musikfeste (1984 bis 1988)
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Düsseldorf statt. Die Krise, die inzwischen die Kohle- und Stahlbranche belastete, hatte die finanzielle Lage an Rhein und Ruhr spürbar verschlechtert, so dass die notwendigen Sparmaßnahmen die Anzahl der Veranstaltungen bei dem Fest reduzierten. Dennoch wurde ein bunt gemischtes Programm mit Sinfoniekonzerten, Jazz, Neuer Musik, Kammermusik, Orgelstücken, Unterhaltungsmusik, einer Ausstellung, Workshops an Schulen und einem eintägigen Mozart-Marathon geboten.106 Der Chor entschied sich für die Darbietung eines A-cappellaKonzerts mit Werken von Heinrich Schütz, Felix Mendelssohn Bartholdy, Anton Bruckner, Giuseppe Verdi und Ferdinand Schmidt.107 Auch dieses Mal kam der Verein zu der Einschätzung, dass er als »Begründer der bürgerlichen Musikkultur und eine der Hauptstützen des Düsseldorfer Musiklebens«108 nicht in ausreichendem Maße in die Planung einbezogen worden und in dem Programm unterrepräsentiert gewesen sei. Quasi einen Ausgleich für diese Enttäuschung sah der Chor in seinen Konzerten im Juni 1988 mit den prominenten Berliner Philharmonikern unter Wolfgang Sawallisch,109 bei denen er anlässlich des 700jährigen Stadtjubiläums Schumanns Missa sacra op. 147 aufführte. In diesem Zusammenhang sei auf den von dem Musikverein als problematisch beschriebenen Umstand hingewiesen, dass der Name Robert Schumann und die damit verbundene Tradition ebenso verpflichtet wie belastet110 und die Gefahr mit sich bringt, auf Chorwerke Schumanns und davon ausgehend auf die musikalische Tradition des 19. Jahrhunderts reduziert zu werden. Im ungünstigen Fall könnte die Pflege von Traditionen dann als Traditionalismus gewertet werden. Auch wenn keine Erklärung dafür vorliegt, warum der WDR den Chor offenbar nicht in der erhofften Weise einbezogen hat, ist es durchaus möglich, dass hier das Selbstbild des Musikvereins nicht ganz mit seinem Fremdbild übereinstimmte.
106 Vgl. Ursula Schneewind, Rheinisches Musikfest Düsseldorf 1988, in: WDR, Rheinisches Musikfest 1988, S. 4–9. 107 Vgl. Programm für das Rheinische Musikfest 1988 in Düsseldorf, in: WDR, Rheinisches Musikfest 1988, S. 47–63, hier S. 61. 108 Internetseite Musikverein, Schallarchiv, (28. 2. 2018). 109 Vgl. Internetseite Musikverein, Schallarchiv, (28. 2. 2018). 110 Vgl. Willhardt, Düsseldorfs Städtischer Musikverein, S. 15.
12. Die Position des Musikvereins in der Düsseldorfer Kulturlandschaft
12.1 Die Zeit der Konzertreisen und Schallplattenaufnahmen Ein bedeutsames Standbein der langjährigen Tradition des Düsseldorfer Musikvereins waren die Niederrheinischen Musikfeste, deren Niedergang sich Anfang der 1950er Jahre abzuzeichnen begann. Parallel zu dieser Entwicklung setzte der Verein mit Konzertreisen und Tonträgeraufnahmen zwei neue Schwerpunkte, die die nächsten Jahrzehnte seiner Tätigkeit prägen und seine Bekanntheit erhöhen sollten. Im Zusammenhang mit den Auslandsreisen schildert der damalige Vorsitzende Kunibert Jung, dass er 1957 bei einem Aufenthalt in Paris Kontakt zum Kulturattach8 der deutschen Botschaft aufnahm, um die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zu besprechen, woraufhin im nächsten Jahr die ersten zwei Auslandskonzerte in Paris zustande kamen, bei denen der Chor mit großem Erfolg Beethovens Sinfonie Nr. 9 und die Missa solemnis (3. und 4. Juni 1958) aufführte.1 Mit diesen und weiteren Konzerten in französischen Städten reihte sich der Musikverein in die Gruppe jener zivilgesellschaftlichen Vereinigungen ein, die neben regierungsamtlichen Akteuren in den 1950er Jahren begannen, den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich voranzutreiben,2 was langfristig einen Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Ländern leistete. Die Intensivierung des deutsch-französischen kulturpolitischen Austauschs war nach dem Krieg zu Recht als wichtiges Ziel erkannt worden, denn die Nationalsozialisten hatten die Künste auch zur Beeinflussung des besetzten Frankreichs missbraucht, indem sie die französische Kunstmusik mit einem Aufführungsverbot belegt und versucht hatten, stattdessen die deutsch-österreichische Musiktradition für ihre kulturelle Vereinnahmung zu instrumenta1 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 143f. 2 Vgl. Corine Defrance, Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945, in: Nicole Colin/ Corine Defrance/Ulrich Pfeil/Joachim Umlauf (Hg.), Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945, Tübingen 2013, S. 50–59, hier S. 52.
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lisieren.3 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Beziehungen auch auf kultureller Ebene belastet waren und das französische Publikum unmittelbar nach 1945 musikalischen Darbietungen der deutsch-österreichischen Komponisten wenig Offenheit entgegenbrachte.4 Die Änderung dieser Haltung und der wachsende künstlerische Austausch zwischen Frankreich und der noch jungen Bundesrepublik wurden von Bundeskanzler Konrad Adenauer explizit gewünscht und gefördert, wie dem deutsch-französischen Kulturabkommen vom 23. Oktober 1954 zu entnehmen ist: »Die Hohen [sic!] Vertragschließenden Teile bemühen sich, zur besseren Kenntnis ihrer Kultur beizutragen, indem sie im anderen Lande Vorträge, Konzerte, Ausstellungen, Theateraufführungen und künstlerische Darbietungen aller Art veranstalten sowie Bücher, Zeitschriften und anderen kulturelle Veröffentlichungen, musikalische Partituren, Schallplatten und Filme verbreiten. Ferner gewähren sie volle Unterstützung allen kulturellen Veranstaltungen, die von dem im Artikel 16 vorgesehenen Ausschuß genehmigt sind, und fördern die Verbreitung der aus dem anderen Lande stammenden Kulturgüter.«5
Rückblickend trug dieses Abkommen allerdings nur wenig dazu bei, die kulturellen Beziehungen zwischen den Staaten voranzutreiben, da die Bundesrepublik kurz darauf als erste Fremdsprache im Schulunterricht Englisch statt Französisch einführte, und auch die Eröffnung bundesdeutscher Kulturinstitute ließ auf sich warten; erst in den 1960er Jahren entwickelten sich die westdeutschfranzösischen kulturellen Beziehungen auf staatlicher Ebene spürbar weiter.6 Als umso wichtiger erwiesen sich in dieser Zeit die Aktivitäten privater und städtischer Gruppierungen. Für den raschen Erfolg, den der Musikverein mit seinen Konzertreisen erzielte, waren abgesehen von seinen musikalischen Leistungen eine Reihe von Faktoren ausschlaggebend. Zunächst einmal stieß Jung mit seinen Plänen in Düsseldorf grundsätzlich auf Zustimmung, denn die Stadt demonstrierte in den 1950er Jahren generell ihre Offenheit dafür, Verständigung und Austausch über die Landesgrenzen hinweg zu unterstützen. So fanden seit 1952 regelmäßig mehrtägige Veranstaltungen statt, die jeweils unter dem Motto eines Landes standen (Holland-Woche 1952, Pariser Woche 1955, Belgische Woche 1956 etc.).7 3 Vgl. Andreas Linsenmann, Ernste Musik, in: Colin/Defrance/Pfeil/Umlauf, Lexikon deutschfranzösische Kulturbeziehungen, S. 345f., hier S. 345. Linsenmann verwendet in seinem Artikel den Begriff ›E-Musik‹ im Sinne einer aus einem historisch weit gespannten Fundus stammenden Kunstmusik. 4 Vgl. Linsenmann, Ernste Musik, S. 345. 5 Vgl. Deutsch-französisches Kulturabkommen vom 23. Oktober 1954. 103. Art. 4., Artikel 9, (28. 2. 2018). 6 Vgl. Defrance, Deutsch-französische Kulturbeziehungen, 2013, S. 52. 7 Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 219; Verwaltungsbericht der Landeshauptstadt Düsseldorf für die Zeit vom 1. April 1953 bis 31. März 1958. Im Auftrage des
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Umgekehrt wurden auch Gastkünstler nach Düsseldorf eingeladen (z. B. Konzert des Jugendorchesters der Patenstadt Reading am 10. April 1958).8 Der Repertoireschwerpunkt des Vereins und sein Image als traditionsreicher Oratorienchor passten darüber hinaus gut zu den Vorstellungen, die die Stadt von förderungswürdiger Musik hatte. Entsprechend dem Kulturbegriff der Nachkriegszeit, wonach vor allem »geistige Dinge«9 wertvoll waren und nicht solche, die primär dem Vergnügen dienten, wurde in erster Linie Kunstmusik gefördert, nicht jedoch Jazz oder Unterhaltungsmusik. Diese Schwerpunktsetzung wiederum deckte sich in hohem Maße mit den Wünschen Frankreichs, das im Austausch mit dem Nachbarland bevorzugt ein Repertoire der deutsch-französischen Tradition bis zur Romantik rezipierte – eine Haltung, die bis in die 1960er Jahre anhielt.10 Ein weiterer Vorteil des Musikvereins lag auf personeller Ebene. So waren bei der Kontaktaufnahme mit Frankreich neben Kunibert Jungs Initiative vor Ort und Ren8 Heinersdorffs Erfahrungen als Konzertveranstalter sicherlich auch die internationale Bekanntheit von Generalmusikdirektor Szenkar wichtig, der die ersten beiden Konzerte in Paris leitete. 1960 wurde Jean Martinon sein Nachfolger, dessen Kontakte zu seinem Heimatland Frankreich weitere Konzertreisen dorthin erleichterten.11 Der Musikverein war also mit seiner Strategie, sich in den internationalen kulturellen Austausch einzubringen, mit den richtigen Leuten zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen, was sich für die beteiligten Gruppen auf kulturpolitischer Ebene rasch auszuzahlen begann. Die Konzertreise im Juni 1958 versprach einen derartigen Prestigegewinn, dass Düsseldorf 22.000 DM dazugab.12 Als nach der erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Pariser Rundfunkchor und positiven Kritiken erneut eine Einladung für das nächste Jahr ausgesprochen wurde,13 bewilligte die Stadt 24.000 DM für zwei weitere Konzerte in Paris (unter der Bedingung, dass sich das Auswärtige Amt an den Kosten beteiligte), bei denen Haydns Schöpfung und Bachs Matthäus-Passion (8. und 9. April 1959) erklangen.14 Trotz der guten Voraussetzungen und der positiven Haltung der Bundesrepublik darf jedoch nicht unterschätzt werden, dass der Chor mit seiner
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Oberstadtdirektors bearbeitet und herausgegeben vom Statistischen Amt, Düsseldorf 1958, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 198. Vgl. Verwaltungsbericht der Landeshauptstadt Düsseldorf für die Zeit vom 1. April 1958 bis zum 31. März 1959. Im Auftrage des Oberstadtdirektors bearbeitet und herausgegeben vom Statistischen Amt, Düsseldorf 1960, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 6. Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 80, 149. Vgl. Linsenmann, Ernste Musik, S. 346. Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 144. Vgl. Kulturausschusssitzung 6. 2. 1958, nach: Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 79. Vgl. Bauchhenß, Eugen Szenkar, S. 256. Vgl. Kulturausschusssitzung 6. 2. 1958, zit. nach Horn, Kulturpolitik in Düsseldorf, S. 79.
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ersten Parisreise auch ein gewisses Risiko einging. Noch Mitte der 1950er Jahre sahen 30 % der Franzosen in den Deutschen eine Gefahr und 59 % der Westdeutschen bezweifelten, dass eine dauerhafte Verständigung mit Frankreich möglich sei.15 Der Erfolg des Musikvereins war also keineswegs vorprogrammiert. Im Laufe der Jahre ging der Chor auf zahlreiche weitere Konzertreisen in Deutschland, aber auch in Spanien, Belgien, England, Österreich, Israel, den USA und anderen Ländern;16 zwischen 1958 und 1995 kamen über 120 Auslandsreisen zusammen.17 Eine besondere Stellung nimmt die Konzertreise in die DDR vom 20. bis 28. Mai 1989 ein. Charakteristisch für den Austausch zwischen den beiden deutschen Staaten war, dass die DDR oft und bereitwillig Künstler in die Bundesrepublik entsandte, während umgekehrt nur selten Einladungen ausgesprochen wurden.18 Die ostdeutsche Regierung entschied allein über das Zustandekommen einzelner Projekte, wobei Sebastian Lindner von einer »willkürlichen Genehmigungspraxis«19 spricht. Somit gehörte der Musikverein zu einer vergleichsweise kleinen, privilegierten Gruppe von Gastkünstlern, die die Gelegenheit bekam, in der DDR Konzerte zu geben. Der Chor trat unter Leitung von Generalmusikdirektor David Shallon gemeinsam mit der Wuppertaler Kurrende und den Düsseldorfer Symphonikern in Berlin, Dresden und Leipzig auf.20 Die Vorbereitungen der Reise hatten schon lange vorher begonnen: Erstmals wurde die Idee, Kontakte zu Konzertveranstaltern in der DDR zu knüpfen, in der Vereinszeitschrift Chorszene 1983 öffentlich thematisiert.21 Drei Jahre vor dem Antritt der Reise war auf staatlicher Ebene der Kulturaustausch zwischen den Ländern offiziell geregelt worden. Am 6. Mai 1986 wurde das Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über kulturelle Zusammenarbeit22 besiegelt, dem Verhandlungen seit 1973 vorausgegangen waren.23 Die Bundesrepublik maß schon in den Jahrzehnten zuvor zivilgesellschaft15 Vgl. Defrance, Deutsch-französische Kulturbeziehungen, 2013, S. 54. 16 Vgl. Jung, Zwei in einem Gespann, S. 61; Peter Korfmacher, Unsere fermate-Serie: Chöre in Düsseldorf (4). In Zentrum der Musik. Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf, in: fermate Musikmagazin für den Düsseldorfer Raum 2 (1995), S. 8–11, hier S. 11. 17 Vgl. Korfmacher, Städtischer Musikverein, S. 11. 18 Vgl. Sebastian Lindner, Zwischen Öffnung und Abgrenzung. Die Geschichte des innerdeutschen Kulturabkommens 1973–1986, Berlin 2015, S. 9. 19 Vgl. Sebastian Lindner, Mauerblümchen Kulturabkommen, Artikel, 18. 5. 2011, (28. 2. 2018). 20 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 173. 21 Vgl. Auf ein (Vor-)Wort, in: Chorszene, 1 (April 1983), S. 2. 22 Vgl. Sebastian Lindner, Mauerblümchen Kulturabkommen. 23 Vgl. Lindner, Innerdeutsches Kulturabkommen, S. 11.
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lichen Unternehmungen wie denen des Musikvereins große Bedeutung bei: Mitte der 1980er Jahre erklärte die Bundesregierung, dass sie die Aktivitäten privater Veranstalter unbedingt unterstütze und sehr zu schätzen wisse.24 Trotz des Fehlens eines offiziellen Abkommens vor 1986 wurde der kulturelle Austausch offiziell als ein Mittel propagiert, das dazu beitrug, die Gesamtbeziehungen zur DDR zu verbessern. Erste Beispiele für westdeutsche Gastspiele sind bereits Mitte der 1960er Jahre zu finden. So zählte das Magazin Der Spiegel insgesamt 16 westdeutsche Theater, Orchester und Bands auf, die zwischen 1964 und 1965 teils mehrfach in die DDR reisten.25 Aus heutiger Perspektive wird es allerdings als höchst fraglich angesehen, ob der Kulturaustausch wirklich wichtige Impulse für den gesellschaftlichen und politischen Wandel oder gar Umbruch geliefert hat.26 Diese rückblickend ernüchternde Bewertung ändert jedoch nichts daran, dass der Düsseldorfer Musikverein sicherlich mit einem echten Interesse daran, positiven Einfluss auszuüben, in die DDR gereist war. In der Vereinszeitschrift von November 1988 wurde diese kulturpolitische Komponente dargestellt. Die Tour sollte den Stellenwert der Musikpflege innerhalb der Landeshauptstadt repräsentieren und wurde explizit als eine »Reise von Deutschland nach Deutschland«27 bezeichnet. Ein langer Artikel thematisierte die drei Aufführungsorte Berlin, Dresden und Leipzig, stellte das Berliner Schauspielhaus mit seiner Geschichte und Tradition dar28 und zeigte davon ausgehend musikhistorische Bezüge zwischen Düsseldorf und den drei Städten anhand der Biografien von Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann.29 Dementsprechend wurde für die Konzerte ein Programm konzipiert, in welchem Werke der beiden Komponisten vertreten waren: Von Mendelssohn wurde die Sinfoniekantate Lobgesang (auch als Sinfonie Nr. 2 veröffentlicht) aufgeführt und von Schumann seine Missa sacra; das dritte Stück auf dem Programm war Hector 24 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Büchler (Hof), Dr. Haack, Haehser, Heimann, Hiller (Lübeck), Löffler, Rappe (Hildesheim), Schlaga, Stiegler, Frau Terborg, Bahr, Dr. Diederich (Berlin), Hauck, Huonker, Müller (Schweinfurt), Nehm, Dr. Schmude, Sielaff, Steiner, Wischnewski, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD, Drucksache 10/3921, 11. 11. 1985, S. 1, (28. 2. 2018). 25 Vgl. DDR Kulturaustausch, Kontakte mit Musik, in: Der Spiegel 5 (1966), S. 44–46, hier S. 44f. 26 Vgl. Sebastian Lindner, Mauerblümchen Kulturabkommen. 27 Rainer Großimlinghaus, Unternehmen DDR 1989. Aufwendigstes Reiseprojekt des Musikvereins zusammen mit den Düsseldorfer Symphonikern, in: Chorszene, 2 (November 1988), S. 32–34, hier S. 32. 28 Vgl. Rainer Großimlinghaus, Unternehmen DDR 1989. Aufwendigstes Reiseprojekt des Musikvereins zusammen mit den Düsseldorfer Symphonikern, in: Chorszene, 2 (November 1988), S. 32–34. 29 Vgl. ebd., S. 15.
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Berlioz’ La Damnation de Faust.30 Auch Berlioz war durch Besuche und über den Kontakt zu Franz Liszt mit Ostdeutschland und konkret mit Weimar verbunden gewesen, da Liszt dort in den Jahren seiner Tätigkeit als Hofkapellmeister dreimal Konzertreihen, die sogenannten Berlioz-Wochen (1852, 1855 und 1856) veranstaltet hatte, wobei auch einmal La Damnation de Faust erklang.31 Die drei gewählten Werke referierten also bewusst auf Überschneidungen zwischen der Geschichte des Musikvereins und der gastgebenden Städte und waren darüber hinaus Kompositionen, die weder durch eine fremde zeitgenössische Ästhetik, ihre Entstehungsgeschichte oder aus anderen Gründen Anlass zu politischen Kontroversen hätten bieten können – sicherlich alles Argumente, warum die DDR-Regierung die Konzerte ermöglicht hatte. Mit seinen Konzertreisen verband der Musikverein von Anfang an einen kulturpolitischen Anspruch, für den die Mitwirkenden bisweilen Strapazen und großen logistischen Aufwand in Kauf nahmen. Jung erwähnte in einem Interview : »Wir haben uns seit unserer ersten Konzertreise nach Paris 1958 bis heute immer als Botschafter der Musik aus Deutschland gefühlt … .«32 Diese neue Rolle des Chores wurde auch in der Satzung vom 24. März 1958 verankert, in welcher der Verein erstmals seinen bis heute gültigen Namen ›Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. gegr. 1818‹ verwendete: »Der Verein ist bemüht, zur Pflege internationaler Gesinnung, Zusammenarbeit usw., auch im Ausland Chor- und Musikveranstaltungen durchzuführen. d) Alle Veranstaltungen sollen von künstlerischem Rang und von musikerzieherischer Bedeutung besonders für die Jugend sein.«33 Um der neuen Aufgabe gerecht werden zu können, wurde zugleich ein hoher qualitativer Anspruch formuliert, dessen Umsetzung mit Hilfe von Fortbildungsangeboten erreicht und aufrecht erhalten werden sollte. Zu diesem Zweck richtete der Verein eine Chorschule ein, an der jedes aktive Mitglied teilnehmen konnte und die darüber hinaus sicherstellen sollte, dass Nachwuchs gefördert wurde (§ 8). Ungefähr zeitgleich begann die Phase der Tonträgeraufnahmen, die Großimlinghaus ausführlich im Schallarchiv des Vereins dokumentiert hat.34 Am 4. Juni 1956 wurde nachweislich zum ersten Mal ein Konzert des Chores aufgezeichnet und im Radio übertragen. Während des letzten Niederrheinischen Musikfestes, an dem der Musikverein beteiligt war, erklang Mahlers Sinfonie 30 Vgl. ebd. 31 Vgl. Kl#ra Hamburger, Franz Liszt: Leben und Werk, Köln u. a. 2010, S. 112. 32 Im Gespräch. Kunibert Jung gibt den Vorsitz des Düsseldorfer Musikvereins ab. »Solange man noch laufen kann …«, in: fermate Musikmagazin für den Düsseldorfer Raum 2 (1990), S. 9–11, hier S. 10. 33 Satzung Musikverein, 19. 6. 1958, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 466, 69, ohne Paginierung. 34 Vgl. Großimlinghaus, Schallarchiv ; außerdem Internetseite des Musikvereins, Schallarchiv, (28. 2. 2018).
Die Zeit der Konzertreisen und Schallplattenaufnahmen
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Nr. 8 unter Hermann Scherchen.35 Die erste kommerzielle Aufnahme, bei der der Musikverein mitwirkte, war Hermann Gehlens Jazzmesse 1966, aufgenommen am 20. September 196936 und erschienen beim dem Düsseldorfer Label schwann ams Studio, das auf religiöse Musik spezialisiert war. Vier Jahre später folgte eine weitere Aufnahme, die die Zusammenarbeit mit dem Kölner Studio der EMI begründete. Im Juni 1973 nahm der Chor unter Leitung von Henryk Czyz Schumanns Das Paradies und die Peri auf. Bis 2001 kamen insgesamt 24 Schallplatten- bzw. CD-Aufnahmen zustande.37 Die Konzertreisen, eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit38 und die Schallplattenproduktionen erhöhten die Popularität des Musikvereins, so dass die Mitgliederzahlen deutlich anstiegen und bald keine Aushilfen für den Chor mehr gebucht werden mussten.39 Auffällig ist, dass die dargestellte Entwicklung relativ unvermittelt eingesetzt hat: Bis 1958 waren Gastkonzerte des Musikvereins praktisch auf die in Nordrhein-Westfalen stattfindenden Niederrheinischen Musikfeste beschränkt gewesen; in den 1930er Jahren hatte es lediglich einige Auftritte in Wiesbaden und Frankfurt gegeben.40 Auch blickte der Musikverein – anders als zahlreiche andere Laienchöre – auf keine langjährige Aufnahmetradition zurück: Zwischen 1900 und 1942 sind laut Auskunft der Forschungsstelle für historische Tonträger an der Robert Schumann Hochschule aktuell Aufnahmen von 109 deutschsprachigen Chören bei 24 Firmen nachweisbar ;41 eine Einspielung mit dem Chor des Musikvereins ist nicht darunter. Als kommerziell arbeitende Unternehmen trafen die Hersteller von Schallplatten die Entscheidungen darüber, welche Künstler sie aufzeichneten, unter rein finanziellen Aspekten. Bis 1966 wurde der Chor des Düsseldorfer Musikvereins von Produktionsfirmen offenbar als nicht so bedeutend oder sein Repertoire als nicht so interessant für den Markt eingeschätzt, dass sie die Mitwirkenden vors Mikrofon bzw. in früheren Jahren vor den Schalltrichter gebeten hätten. Mit dem Wegbrechen der Niederrheinischen Musikfeste entfiel für den Musikverein ein bedeutsamer Wirkungsbereich, der über hundert Jahre ein Garant für die regelmäßige Beteiligung an Konzerten, die Zusammenarbeit mit prominenten Gastkünstlern und Aufmerksamkeit in der Presse und der Öffentlichkeit gewesen war. Um hierfür einen Ausgleich zu schaffen, waren die Chormitglieder offensichtlich bereit gewesen, sich bei individuellem Bedarf 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. Großimlinghaus, Schallarchiv, S. 145. Vgl. ebd., S. 53. Vgl. Großimlinghaus u. a., Aus Liebe zur Musik Bd. 2, S. 19f. Vgl. ebd., S. 10f. Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 143f. Vgl. Korfmacher, Städtischer Musikverein, S. 11. Vgl. schriftliche Auskunft von Karsten Lehl, Forschungsstelle für historische Tonträger, Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, vom 12. 9. 2017.
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weiterzubilden, an Schallplattenaufnahmen mitzuwirken und auf Konzertreisen zu gehen, was die Investition von mehr Zeit und Geld verlangte als zuvor. (Neben Mitgliedsbeiträgen und Fahrtkosten zu den Proben kamen teilweise hohe Zuschüsse für die Reisekosten hinzu.42) Unterstützt durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik, die Bedeutung, die die Stadt, aber auch die Bundesregierung dem kulturellen Austausch mit dem Ausland beimaßen, und eine stabile Personalsituation an der Spitze des Vereins konnte dieser seine neue, selbst gewählte Position in der deutschen Konzertlandschaft über Jahrzehnte erfolgreich behaupten.
12.2 Streitigkeiten zwischen Stadt und Musikverein um Michael Rühl 1949 hatte die Düsseldorfer Stadtverwaltung dem Chor erneut den Status des ›städtischen‹ Musikvereins zugesprochen, was als Zeichen der Anerkennung künstlerischer Leistungen und Traditionen zu sehen ist. Zugleich profitierte die Stadt selbst weiterhin von der Zusammenarbeit mit dem Verein, wie beispielhaft am Prestigegewinn durch die internationalen Konzertreisen zu sehen ist. Dennoch ergaben sich in dem Verhältnis auch immer wieder problematische Konstellationen, was nur wenige Jahre nach Kriegsende an der ›Personalie Rühl‹ sichtbar wird. Nachdem es zwischen dem Kulturausschuss und Heinrich Hollreiser zu Konflikten wegen der Vertragsbedingungen gekommen war,43 gab es nun zusätzlich zwischen Hollreiser und dem langjährigen Chordirektor Michael Rühl Streit, der 1951 zu dessen Kündigung führte. Diese Situation wollte der im nächsten Jahr eingestellte neue Generalmusikdirektor Eugen Szenkar jedoch nicht akzeptieren.44 Dem Bericht der Mitgliederversammlung vom 11. August 195345 ist zu entnehmen, dass zunächst die Mehrheit des Vorstandes gegen Rühls Rückkehr war, doch da Szenkar diesen fachlich sehr schätzte und darauf bestand, lenkte der Vorstand ein. Der Beigeordnete der Stadt Menke, der das Gespräch mit dem Musikverein führte, wies ausdrücklich darauf hin, wie unvorteilhaft es sei, wenn durch die Angelegenheit eine »öffentliche Polemik ausgelöst würde«46 – nach den Erfahrungen vor dem Zweiten Weltkrieg bat der 42 Vgl. Ulrike Gondorf, Der Städtische Musikverein Düsseldorf – Proben, Reisen und Konzerte. »Der beste Chor ist gerade gut genug«, in: fermate Musikmagazin für den Düsseldorfer Raum 1 (1983), S. 9–11, hier S. 10. 43 Vgl. Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 212. 44 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 142. 45 Vgl. Bericht Mitgliederversammlung vom 11. 8. 1953, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 340, 69, ohne Paginierung. 46 Ebd.
Repertoire des Musikvereins seit den 1960er Jahren
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städtische Vertreter vorsorglich um Diskretion in der Angelegenheit. Die in dem Protokoll festgehaltenen Wortbeiträge offenbaren interne Querelen, und auch Großimlinghaus schildert, dass der Streit selbst auf Leitungsebene des Chores zu Spannungen führte.47 Acht Jahre später kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Michael Rühl und dem Generalmusikdirektor Jean Martinon, der daraufhin Rühls Entlassung verlangte. Da dieser als Chordirektor städtischer Angestellter war, konnte Martinon die Forderung bei der Stadtverwaltung gegen den Willen des Chores durchsetzen. Dieser Vorgang löste im Musikverein derartige Missstimmungen aus, dass für Rühls Nachfolger ein neues Anstellungsverhältnis ausgehandelt wurde. Bernhard Zimmermann, von 1962 bis 1964 Chordirektor, wurde nun direkt von dem Verein angestellt und nicht mehr von der Stadt – eine Regelung, die den Chor zufrieden stellte48 und bis heute Gültigkeit besitzt. Auch die aktuelle Chordirektorin Marieddy Rossetto hat einen Vertrag mit dem Musikverein und wird von der Stadt bezahlt, indem diese dem Verein einen entsprechenden Zuschuss zukommen lässt, der dem Etat der Tonhalle zugeordnet ist.49
12.3 Repertoire des Musikvereins seit den 1960er Jahren Bei den zahlreichen Gastspielen des Musikvereins wurden in erster Linie bekannte und im deutschen Chorrepertoire der Nachkriegszeit verankerte Werke aufgeführt wie beispielsweise Beethovens Missa solemnis und seine Sinfonie Nr. 9 , Haydn Schöpfung und Jahreszeiten, Bachs Matthäus-Passion und die h-Moll-Messe, Mozarts c-Moll-Messe und das Requiem, Bruckners Te deum, Mendelssohns Elias und Paulus, Händels Messias, Verdis Requiem, Orffs Carmina Burana, Ein deutsches Requiem von Brahms und Mahlers Sinfonie Nr. 8, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend auf den Konzertprogrammen zu finden ist. Gelegentlich tauchen in den Gastspielprogrammen auch andere weniger gängige und modernere Werke auf wie Zoltan Kod#lys Missa brevis und Igor Strawinskys Psalmen-Sinfonie (9. September 1961 in BesanÅon), Giacomo Puccinis Messa di Gloria und Verdis Quatro pezzi sacri (23. September 1979 in Gent) sowie Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau (18. März 1984 in Saarbrücken), dann jedoch meist nur bei ein oder zwei Gelegenheiten. Diese Auswahl spiegelt den Anspruch des Chores wider, sich neben der Pflege seines Kernrepertoires auch immer wieder neuen Werken zu stellen.50 Kompositionen 47 48 49 50
Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 142. Vgl. ebd., S. 157. Vgl. Schriftliche Auskunft von Manfred Hill, E-Mail vom 9. 11. 2017. Vgl. Gondorf, Der Städtische Musikverein Düsseldorf, S. 11.
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von Robert Schumann wie Das Paradies und die Peri, Szenen aus Goethes Faust, das Requiem oder die Missa sacra, die der Musikverein auch öfter bei Gastspielen darbot, gehören ebenfalls nicht unbedingt zum Standardrepertoire deutscher Chöre und lassen sich durch die Spezialisierung des Vereins auf Werke seines ehemaligen Dirigenten erklären. Diese Schwerpunktsetzung ist gleichermaßen in den Schallplattenproduktionen zu erkennen, bei denen darüber hinaus auch Mendelssohns Oratorien vertreten sind,51 was ebenfalls der Geschichte des Chores im 19. Jahrhundert geschuldet ist. Auch wenn der Musikverein bisweilen seiner Sorge Ausdruck gegeben hat, auf einen »SchumannSpezialchor«52 reduziert zu werden, vertritt er zugleich den Anspruch, sich der Tradition seiner früheren musikalischen Leiter Mendelssohn und Schumann stets bewusst zu sein.53 In diesem Zusammenhang sei noch auf die von Ambivalenz und Wandel geprägte Rezeption der Person und des Werkes von Felix Mendelssohn Bartholdy hingewiesen; aufgrund der Komplexität kann das Thema hier jedoch nur kurz angerissen werden. Während Mendelssohn zu Lebzeiten als einer der erfolgreichsten und angesehensten Musiker Europas galt, lässt sich nach seinem Tod eine Rezeption beobachten, die in verschiedenen Strängen verlief. Hier muss zunächst zwischen der veränderte Wahrnehmung in den Augen der Berufsmusiker, Kritiker und Musikwissenschaftler unterschieden werden und seiner Popularität »im Volksgeschmack«, die von den theoretischen Auseinandersetzungen nur teilweise beeinflusst wurde.54 Der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wachsende Nationalismus und Antisemitismus führte in musikalischen Fachkreisen – angestoßen nicht zuletzt von Richard Wagners antisemitischer Schrift Über das Judentum in der Musik (1850/1869) – zu einer Abwertung von Mendelssohns Werk, die in seiner Verbannung aus allen Konzerten in der NS-Zeit ihren Höhepunkt erreichte. Ein anderer Rezeptionsstrang, der mit der rassistischen Haltung korrespondiert, stellte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts seine kompositorischen Fähigkeiten in Frage, indem seiner Musik der Vorwurf gemacht wurde, sie sei sentimental, salonhaft und wenig innovativ.55 Diese Wechselwirkung von analytischen, ästhetischen und historischen Kriterien hat
51 Vgl. Großimlinghaus, Schallarchiv, S. 45. 52 Johannes Rau, Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, in: Städtischer Musikverein, 175 Jahre, S. 8f., hier S. 9. 53 Vgl. Im Gespräch, Kunibert Jung, S. 11. 54 Vgl. Eric Werner, Mendelssohn. Leben und Werk in neuer Sicht, Zürich 1980, S. 531; vgl. Martin Geck, Felix Mendelssohn Bartholdy, 4. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2016, S. 138. 55 Vgl. Lars Ulrich Abraham, Mendelssohns Chorlieder und ihre musikgeschichtliche Stellung, in: Carl Dahlhaus (Hg.), Das Problem Mendelssohn, Regensburg 1974, S. 79–87, hier S. 79– 81, 83; R. Larry Todd, Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Leben. Seine Musik, Stuttgart 2008, S. 13, 14, 20.
Repertoire des Musikvereins seit den 1960er Jahren
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die gesamte Rezeption beeinflusst und sehr komplex gemacht.56 Um die einzelnen Fäden zu entwirren, ist weitere Forschungsarbeit notwendig. In den Konzerten des Düsseldorfer Musikvereins sind Schwankungen in der Rezeption ebenfalls zu sehen. Bis ca. 1890 wurde Mendelssohn oft und regelmäßig aufgeführt, doch nach dem Amtsantritt von Julius Buths war er nur noch vereinzelt auf den Spielplänen zu finden, bis unter Balzer das nationalsozialistische Verbot konsequent umgesetzt wurde. Aus dem öffentlichen Raum wurde sein Andenken getilgt, indem der städtische Beirat für Kunst und Wissenschaft 1936 sein Denkmal entfernte, worin sich der »Willen der Stadt zur Neupositionierung im Reich [zeigte,] die durch die Etablierung eines systemkonformen Musiklebens forciert werden sollte.«57 Trotz der vom Musikverein offensichtlich mitgetragenen Repertoireentscheidungen in der Zeit unter Karl Panzner und Hans Weisbach fällt auf, dass in der Festschrift von 191858 und in den Programmheften zu den Niederrheinischen Musikfesten 192659 und 192960 Mendelssohn in der Vereinsgeschichte eine bedeutsame Stellung eingeräumt wird. Lange Texte, Zitate aus einer Kritik, die die problematische Mendelssohn-Rezeption thematisiert, sowie die Auswahl seines Porträtbildes an exponierter Stelle zeigen, dass der Musikverein sich auch zu dieser Zeit in der Tradition seines ehemaligen Musikdirektors gesehen hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen folgte auf das rasche Aufgreifen von Mendelssohns Elias 1946 eine 17-jährige Unterbrechung der Aufführung seiner Werke, wobei die Repertoireentscheidung durch Sachzwänge (Verlust von Aufführungskompetenz und Notenmaterial) beeinflusst worden sein mag. Auffällig ist allerdings, dass der Musikverein zwei Jubiläen – Mendelssohns 100. Todestag (1947) und seinen 150. Geburtstag (1959) – verstreichen ließ, ohne die 56 Vgl. Carl Dahlhaus, Vorwort, in: Carl Dahlhaus (Hg.), Das Problem Mendelssohn, Regensburg 1974, S. 7–9, hier S. 9. 57 Yvonne Wasserloos, Die Erinnerungskultur für Felix Mendelssohn Bartholdy – Leipzig und Düsseldorf 1892 bis 2012, in: Mendelssohn-Gesellschaft/Roland Dieter Schmidt-Hensel/ Christoph Schulte (Hg.), Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kulturgeschichte, Bd. 19, Hannover 2015, S. 277–293, hier S. 278. 58 Vgl. Fischer, Städtischer Musikverein, S. 19–31. 59 Vgl. Wilhelm Hubert Fischer, 95. Niederrheinisches Musikfest Düsseldorf 1926; Leitung: Generalmusikdirektor Hans Weisbach. Festschrift mit Angaben der Konzerte des Städt. Musikvereins und seiner Geschichte im Anschluß an die Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier 1918 nebst einer Schilderung der Düsseldorfer Musikfeste 1833 und 1836 unter Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy, sein Leben und Wirken in Düsseldorf, Düsseldorf 1926, S. 9–43. 60 Vgl. Wilhelm Hubert Fischer, 98. Niederrheinisches Musikfest Düsseldorf 1929; Leitung: Generalmusikdirektor Hans Weisbach. Festschrift mit Angaben der Konzerte des Städt. Musikvereins und der letzten drei Musikfeste und seiner Vereinsgeschichte im Anschluß an die Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier 1918 und des letzten Düsseldorfer Musikfestes 1926, Düsseldorf 1929, S. 20, 23.
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Anlässe für Konzerte oder andere Erinnerungsveranstaltungen zu nutzen. Erst seit den 1970er Jahren wurde Mendelssohn wieder regelmäßig und nicht selten bei Gastkonzerten aufgeführt. Heute kommuniziert der Musikverein deutlich seine Verehrung für seinen ehemaligen Musikdirektor,61 dessen Einfluss Düsseldorfs Musikleben nachhaltig geprägt hat.62 Am Rande sei noch erwähnt, dass auch die Stadt Düsseldorf viel Zeit hat verstreichen lassen, bis sie sich wieder auf Mendelssohn besann. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er im öffentlichen Raum kaum präsent,63 bis 2012 das zerstörte Denkmal wiedererrichtet wurde.64 Die Sammlung von MendelssohnAutografen im Heinrich-Heine-Institut ist zwar für Fachkreise bedeutsam,65 aber vollzieht sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. (Seit 1950 wurde die Sammlung erstmals durch eigene Ankäufe von Mendelssohn-Handschriften erweitert.66) Nur einzelne Versuche wurden unternommen, um Mendelssohn in Düsseldorf wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. So eröffnete beispielsweise anlässlich seines 125. Todestages am 4. November 1972 im Goethe-Museum eine Ausstellung mit knapp 200 Objekten aus Beständen des Museums und verschiedener Leihgeber.67 Das im Jahr 2009 anlässlich seines 200. Geburtstags große Forschungsinteresse schlug sich in Düsseldorf in einer Ausstellung nieder, in deren Rahmen erstmals die Bedeutung von Mendelssohns Aufenthalt in Düsseldorf auf sein späteres Wirken als Komponist und Musikdirektor ausführlich thematisiert wurde, während früher die Zeit in Düsseldorf meist nur als Durchgangsstation in seiner Karriere betrachtet worden war.68 Die dargestellte Verteilung von Mendelssohns Werken in den Programmen des Musikvereins in der Nachkriegszeit findet sich im Prinzip auch in dem Konzertleben Düsseldorfs wieder, in das der Musikverein neben seinen anderen Aktivitäten weiterhin regelmäßig eingebunden war. Nach dem Ausscheiden von Eugen Szenkar arbeitete der Chor mit neun weiteren Musikdirektoren zusam61 Vgl. hierzu S. 278. 62 Vgl. Wolff, Das musikalische Leben, S. 364. 63 Vgl. Yvonne Wasserloos, »Auf immerdar unlösbar verknüpft?« Erinnerungsorte für Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf im 20. und 21. Jahrhundert, in: Geschichte im Westen, Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte, 24 (2009), S. 201–231. 64 Vgl. hierzu S. 274. 65 Vgl. Christian Liedtke, Die Mendelssohn-Sammlung im Archiv des Heinrich-Heine-Instituts, in: Kortländer, Mendelssohn in Düsseldorf, S. 165–176, hier S. 166. 66 Vgl. schriftliche Auskunft von Christian Liedtke M.A., E-Mail vom 3. 5. 2018. Christian Liedtke ist im Heinrich-Heine-Institut für die Handschriftenabteilung I, Heine-SchumannArchiv, verantwortlich. 67 Vgl. Christina Kröll, Felix Mendelssohn Bartholdy zum 125. Todestag. Eine Ausstellung des Goethe-Museums Düsseldorf. Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung. 4. November 1972–16. Januar 1973. Katalog, Düsseldorf [1972]. 68 Vgl. Bernd Kortländer, Vorwort, in: Kortländer, Mendelssohn in Düsseldorf, S. 10–13, hier S. 10.
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men, von denen die meisten den Titel Generalmusikdirektor trugen. David Shallon (1987–1993), der als Chefdirigent bezeichnet wurde, teilte sich erstmals mit einem Intendanten – zunächst Peter Girth und ab 1990 Freimut RichterHansen – die Verantwortung für die Konzerte.69 Adam Fischer, der 2015 nach Düsseldorf kam, bekam die Amtsbezeichnung ›Konzertdirigent‹. Anders als ihre Vorgänger Hollreiser und Szenkar waren die musikalischen Leiter zwischen 1960 und 1999 – d. h. Martinon, Frühbeck de Burgos, Czyz, van Otterloo, Klee, Shallon und Mas Conde –ausschließlich für die Konzertgestaltung verantwortlich und trugen nicht mehr zusätzlich die Verantwortung für den Opernbetrieb. Diese Teilung der Ämter wurde 2000 für die Amtszeit von John Fiore aufgehoben. Nachdem er 1999 Chefdirigent der Rheinoper geworden war, übernahm er 2000/ 2001 außerdem die Aufgaben des Generalmusikdirektors bei den Düsseldorfer Symphonikern.70 Dass Fiore sich als junger Dirigent in so umfassender Weise der Stadt und dem Orchester gegenüber verpflichtete, wurde vom Orchester erfreut aufgenommen.71 Verglichen mit der von Entbehrungen und Notbehelfen geprägten Nachkriegszeit ging der Konzertbetrieb seit dem Beginn der 1960er Jahre seinen geregelten Gang. Über die Zusammenarbeit mit den Musikdirektoren, die seit dieser Phase für die Leitung der städtischen Konzerte verantwortlich waren, lässt sich in einem Überblick Folgendes feststellen: Sie alle blieben zwischen drei und zehn, im Durchschnitt ca. fünf Jahre im Amt, bevor sie die Stadt wieder verließen (mit Ausnahme von Adam Fischer, der aktuell noch in Düsseldorf tätig ist). Die Intervalle der Anstellungen waren also etwas regelmäßiger als in den gut 120 Jahren der Musikvereinsgeschichte zuvor und abgesehen von der Spielzeit 1965/ 1966, in der kein Nachfolger für Martinon gefunden wurde, nicht durch längere Phasen ohne einen Leiter unterbrochen. Die Musikdirektoren führten primär das inzwischen etablierte Kernrepertoire des Musikvereins in städtischen Konzerten, im Rahmen von Festveranstaltungen und bei Konzertreisen auf. Einige brachten persönliche musikalische Vorlieben ein, die sich im Repertoire niederschlugen, wie beispielsweise Henryk Czyz, der sich dem Werk Honeggers verpflichtet fühlte, oder James Conlon, der vergleichsweise oft Alexander von Zemlinsky auf den Plan setzte. Gemäß seinem eigenen Anspruch studierte der Chor auch immer wieder Werke von zeitge69 Vgl. Schieffer, Neue Musik 1998, S. 35. 70 Vgl. Hans Hubert Schieffer, Das tönende Planetarium: 25 Jahre Musik in der Tonhalle, in: Gesellschaft der Freunde und Förderer der Düsseldorfer Tonhalle e.V. (Hg.), Die Düsseldorfer Tonhalle oder das tönende Planetarium. 1978–2003, Düsseldorf 2003, S. 83–113, hier S. 107. 71 Vgl. schriftliche Auskunft von Elisabeth von Leliwa, E-Mail vom 24. 4. 2018. Elisabeth von Leliwa war von 1987 bis 1997 Dramaturgin der Düsseldorfer Symphoniker und von 1997 bis 2012 Leitende Dramaturgin der Tonhalle Düsseldorf.
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nössischen Komponisten ein und beteiligte sich an Uraufführungen, auch wenn die Mitwirkenden einige Stücke als schwierig und gewöhnungsbedürftig empfanden. Zu diesen zählten beispielsweise Franz Alfons Wolperts Goethes Urworte Orphisch (2. Februar 1961, UA) unter Jean Martinon und Hermann Gehlens Jazzmesse (20. und 21. September 1969) unter dem Gastdirigenten Kurt Edelhagen in der Zeit von Rafael Frühbeck de Burgos. Insbesondere in den zehn Jahren unter Bernhard Klee (1977 bis 1987) nahm der Chor einige Werke als echte Herausforderung wahr.72 Dazu gehörten Schönbergs Gurre-Lieder (13. bis 16. November 1980), Edison Denissows Requiem (21., 22. und 24. März 1985) und Krysztof Pendereckis Te deum (25. Februar 1988) unter Leitung des Komponisten. Das unter Klee aufgeführte Requiem von Denissow hinterließ trotz anfänglicher Mühen mit der Einstudierung73 bei dem Musikverein so großen Eindruck, dass dieser 1991 anlässlich seines 175. Jubiläums mit dem Wunsch einer Auftragskomposition an den Komponisten herantrat, die von der Stiftung van Meeteren finanziert wurde.74 Auf diese Weise kam das Chorwerk Morgentraum nach Gedichten von Rose Ausländer zustande, das am 19. Januar 1995 seine Uraufführung erlebte. Innerhalb des städtischen Kulturlebens war der Chor primär in Konzerten der Tonhalle präsent. Zu den Ausnahmen gehörten die Rheinischen Musikfeste 1984 und 1988, bei denen der Musikverein jedoch über die vergleichsweise untergeordnete Bedeutung, die er bei diesen Gelegenheiten gespielt hatte, enttäuscht war. Allerdings war er bei beiden Festen auch mit einem eher traditionellen Repertoire angetreten, während der Veranstalter auf Bandbreite und Experimente gesetzt hatte. Zu den Veranstaltungen, an denen sich der Musikverein ebenfalls außerhalb der Tonhallenkonzerte beteiligte, gehörte das 4. MessiaenFest am 30., 31. Oktober und 2. November 1986, das unter der künstlerischen Leitung von Bernhard Klee, Almut Rößler und Oskar Gottlieb Blarr stand.75 Die Auseinandersetzung mit dem Stück La Transfiguration des Notre Seigneur, das der Chor als sehr modern und schwierig erlebte, zahlte sich jedoch aus: Der anwesende Komponist Messiaen sprach den Beteiligten seine Anerkennung aus.76 In der Zeit unter Bernhard Klee (1977 bis 1987) kam es zu einer deutlichen Veränderung auf dem Musikmarkt. Private Konzertveranstalter arbeiteten inzwischen professionell und erfolgreich, die katholische ebenso wie die evangelische Kirchenmusik war gut aufgestellt und auch pädagogische Einrichtungen wie das Robert-Schumann-Institut, die Musikschule und private Gruppen boten 72 73 74 75 76
Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 170. Vgl. ebd. Vgl. Schieffer, Neue Musik 1998, S. 216. Vgl. ebd., S. 189. Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 171.
Einfluss der Düsseldorfer Bürger
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Konzerte von hoher Qualität an.77 Diese Entwicklungen trugen dazu bei, dass die städtischen Angebote allmählich ihre Vormachtstellung verloren und sich das Image des überregional bekannten Städtischen Musikvereins als ›Traditionshüter‹ des Chorgesangs festigte,78 dessen Schwerpunkt trotz der Aufführung moderner Kompositionen auf dem kanonischen Repertoire lag.
12.4 Einfluss der Düsseldorfer Bürger Der Musikverein kann als ein anschauliches Beispiel dafür gelten, dass sich auch im 20. Jahrhundert Bürger der Stadt aktiv an der Gestaltung von Kulturpolitik beteiligten. Im Jahr 1966 wurde die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Düsseldorfer Tonhalle e.V. gegründet, die den Bau eines neuen Konzertsaals anstieß. Auch der Musikverein trat der Gesellschaft bei. Zwar bestand lange Zeit Uneinigkeit über die Wahl des Standortes, doch wurde schließlich 1974 beschlossen, das Planetarium in einen Konzertsaal umzubauen.79 Zwei Jahre zuvor intervenierte der Vorsitzende des Musikvereins Kunibert Jung bei der Gesellschaft, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Verein bisher irrtümlich nur als förderndes Mitglied geführt worden war. Der Vorstand bestand jedoch darauf, ordentliches Mitglied zu sei, um die Position zu erlangen, für den Umbau konkrete Vorschläge unterbreiten zu können.80 Tatsächlich nutzte der Verein später seinen Einfluss, indem er beispielsweise seine Wünsche bezüglich der Gestaltung des Chorpodiums durchsetzte.81 Auch in einem anderen Fall war der Musikverein in ein kulturpolitisches Vorgehen der Stadt involviert. 1974 tauchten Manuskripte von Robert Schumann, u. a. zu Der Rose Pilgerfahrt, auf dem Markt auf, die bis dahin in Privatbesitz gewesen waren82 und an denen die Stadt Interesse hatte. Da jedoch nicht genügend Mittel zur Verfügung standen, übernahm es der Musikverein, in der Bevölkerung um Spenden zu werben, wofür er sich in einer guten Position befand, da Robert Schumann dem damaligen Allgemeinen Musikverein ein Widmungsexemplar der Partitur geschenkt hatte.83 Der große Einsatz des Mu77 78 79 80
Vgl. Horn/Willhardt, Rheinische Symphonie, S. 225, 227. Vgl. ebd., S. 227. Vgl. Weidenhaupt, Kleine Geschichte Düsseldorf, S. 226. Vgl. Brief Musikverein an Gesellschaft der Freunde und Förderer der Düsseldorfer Tonhalle e.V., StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 454, 69, ohne Paginierung. 81 Vgl. Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 163. 82 Vgl. Neue Rhein Zeitung (4. 3. 1975), zit. nach Ivo Frenzel: ›Der Rose Pilgerfahrt‹ ins Ungewisse, in: Scholl, Heinersdorff, S. 71f., hier S. 72. 83 Korrigiert werden muss in diesem Zusammenhang die Aussage des Musikvereins, Schumann habe ihnen das Werk gewidmet, vgl. Internetseite Musikverein und Internetseite Tonhalle Düsseldorf, vgl.
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sikvereins zahlte sich aus: Nach 1.160 postalischen Spendenaufrufen und einem Benefizkonzert84 konnte die »eigenhändige Musikhandschrift ›Skizzen zur Rose‹: Ursprüngliche Fassung des Oratoriums ›Der Rose Pilgerfahrt‹«85 erworben und der Stadt übereignet werden.86 Als aktuelles Beispiel der politischen Beteiligung des Musikvereins sei noch die Wiedererrichtung des Denkmals für Felix Mendelssohn Bartholdy am 27. September 2012 genannt, das durch eine Bürgerinitiative zustande kam. Auch der Musikverein wirkte durch ein Konzert an der Einweihung des Denkmals mit, bei dem er die Hymne Hör mein Bitten für Sopran, Chor und Orchester aufführte.87
12.5 Die Frage nach der Identität Für das in der Öffentlichkeit vermittelte Selbstbild wurden neben dem Privileg, durch den Vertrag mit der Stadt seit 1949 offiziell als der städtische Konzertchor ausgewiesen zu sein, das langjährige Bestehen des Chores, seine im 19. Jahrhundert begründete Tradition und die Zusammenarbeit mit prominenten Dirigenten (z. B. Lorin Maazel, Riccardo Chailly, Bernard Haitink, Wolfgang Sawallisch und Kurt Mazur), Orchestern (z. B. Berliner Philharmoniker, Royal Concertgebouw Orchestra, Gürzenichorchester und RSO Berlin) und Schallplattenproduktionsfirmen (z. B. EMI und DECCA) herausgestellt. Daraus abgeleitet wurde oft die Aussage kommuniziert: »Der Städtische Musikverein … gehört heute [1988] zu den besten und demnach auch gefragtesten europäischen
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(28. 2. 2018); (28. 2. 2018); (28. 2. 2018). Der Komponist überreichte dem damaligen Dachverein, nicht jedoch dem Gesangverein eine signierte Partitur, vgl. Kast, Schumanns rheinische Jahre, S. 83. Dieses Widmungsexemplar, das heute im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf aufbewahrt wird (vgl. ebd.), bedeutet jedoch nicht, dass der Allgemeine Musikverein Widmungsträger des Stückes wurde. Vgl. Neue Rhein Zeitung (4. 3. 1975), zit. nach Frenzel, ›Der Rose Pilgerfahrt‹ ins Ungewisse, S. 72. Kast, Schumanns rheinische Jahre, S. 83. Auch hier gilt es, eine Unschärfe in der Überlieferung des Musikvereins zu korrigieren: Nicht ›der‹ Schumann-Autograph von Der Rose Pilgerfahrt wurde erworben (vgl. Jung, Zwei in einem Gespann, S. 60–63; Neue Rhein Zeitung (4. 3. 1975), zit. nach Frenzel, ›Der Rose Pilgerfahrt‹ ins Ungewisse, S. 71f.), sondern die fragmentarische Handschrift einer Skizze der noch nicht instrumentierten früheren Fassung, in der die letzten Takte von Teil 23 und der Teil 24 fehlen. Die Fassung lag der Uraufführung des Werkes am 6. Juli 1851 in Schumanns Musiksalon zugrunde, vgl. Kast, Schumanns rheinische Jahre, S. 83. Vgl. Förderverein zur Wiederaufstellung des Mendelssohn-Denkmals e.V. (Hg.), Festschrift aus Anlass der Wiederaufstellung des Düsseldorfer Denkmals für Felix Mendelssohn Bartholdy, Düsseldorf 2012, S. 53; vgl. hierzu auch Yvonne Wasserloos, Die Erinnerungskultur für Felix Mendelssohn Bartholdy – Leipzig und Düsseldorf 1892 bis 2012, in: MendelssohnGesellschaft/Roland Dieter Schmidt-Hensel/Christoph Schulte (Hg.), Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kulturgeschichte, Bd. 19, Hannover 2015.
Die Frage nach der Identität
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Laienchören.«88 Auffällig ist, dass der Musikverein bis heute nie an Wettbewerben teilgenommen hat, was Manfred Hill mit des Rolle des Chores innerhalb der Stadt begründet: »Das hängt mit unserer Konzertchortätigkeit zusammen und der damit im Zusammenhang stehenden Ausschließlichkeit der Konzertchortätigkeit in Verbindung mit den Düsseldorfer Symphonikern.«89 Auch ist der Musikverein bisher kein Mitglied des VDKC – Verband deutscher Konzertchöre oder eines andreren Chorverbandes, wofür laut Hill die ablehnende Haltung des früheren Vorsitzenden Kunibert Jung verantwortlich ist; aktuell werde jedoch über einen Beitritt nachgedacht.90 Eine Mitgliedschaft in einem Chorverband wäre anderen musikalischen Gruppierungen in Deutschland gegenüber ein Signal für das grundsätzliche Interesse an Austausch und Vernetzung gewesen. Durch seine Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, aber auch durch das Fernbleiben von Wettbewerben und das Fehlen einer Anbindung an einen Chorverband positioniert sich der Musikverein in der deutschen Chorlandschaft in einer Weise, die mit seinem Exklusivitätsanspruch als städtischer Konzertchor korrespondiert. Durch die in den 1950er Jahren begonnenen Auslandsreisen und Schallplattenaufnahmen, die auch Präsenz im Radio und Fernsehen nach sich zogen, veränderte sich die Rolle des Musikvereins in den folgenden Jahrzehnten in einer Weise, die ab einem bestimmten Punkt eine Diskussion über die Identität des Chores und seine Zukunft notwendig machte. Einen Blick auf den Arbeitsalltag zu Anfang der 1980er Jahre gewährt ein Artikel von 1983: Im vorherigen Jahr hatten die Mitglieder an bis zu 87 Proben teilgenommen (durchschnittlich zweimal pro Woche) und in Düsseldorf dreimal die Matthäus-Passion von Bach, Brahms’ Requiem und Elgars Dream of Gerontius gesungen. Außerdem hatte der Chor das Requiem und das Requiem für Mignon von Robert Schumann auf Schallplatte aufgenommen und war zu einer siebentägigen Tournee durch Frankreich, zum Flandern-Festival und zu Festspielen in Vaison eingeladen worden. Auch die Planung weiterer Projekte für die Folgejahre stand an.91 Gemeinschaft und Vereinsleben wurden zwar als wichtig, aber nicht zentral eingestuft, stattdessen hätten intensive Proben, »unerbittliche Stimmprüfungen« und »harte Arbeit im Vordergrund«92 gestanden. Der Chor selbst stufte sich als Laienchor mit »semiprofessionellem Anspruch«93 ein. Die in der Chortradition
88 89 90 91 92 93
Großimlinghaus, 1988, S. 173. Schriftliche Auskunft von Manfred Hill, E-Mail vom 24. 6. 2017. Vgl. ebd. Vgl. Gondorf, Der Städtische Musikverein Düsseldorf, S. 9, 11. Ebd., S. 10f. Großimlinghaus, Schallarchiv, S. 96.
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verankerte Forderung, sich auch neue Werke zu erarbeiten, wurde aufrecht erhalten.94 Für Interessenten einer Mitgliedschaft stellte der Verein positiv heraus, dass Menschen verschiedener Berufe und Altersgruppen (zwischen 17 und 69 Jahre) in dem Chor gemeinsam musizierten und die Beteiligten für sich das Ziel verfolgten, Kunst nicht einfach nur zu konsumieren, sondern sich aktiv mit großen musikalischen Werken auseinanderzusetzen und immer wieder neue Stücke kennenzulernen.95 Darüber hinaus winke den Mitwirkenden bei Auslandsreisen und Aufnahmen der Mehrwert, mit berühmten Künstlern zusammenzuarbeiten. Anfang der 1980er Jahre war der Musikverein also offensichtlich erfolgreich, viel beschäftigt und legte ein Arbeitspensum vor, das zumindest für einen Teil der Mitglieder auf längere Sicht zu Konflikten mit Berufstätigkeit und Privatleben führen konnte. 1988 wurde in der vereinseigenen Chorzeitschrift in einem Artikel von Bernhard Jahn ebendieses Problem thematisiert: Reisen und Aufnahmetätigkeiten in der Art und Weise der letzten Jahrzehnte fortzusetzen oder sogar noch zu verstärken, müsse dazu führen, dass ein Teil der Mitwirkenden aus Zeitgründen nicht mehr würde teilnehmen können. Da die fehlenden Mitglieder nicht so einfach zu ersetzen seien, würde es notwendig, mit finanziellem und logistischem Aufwand Aushilfen zu engagieren, um den Chor weiterhin in adäquater Weise präsentieren zu können. Damals stand die Frage im Raum, ab welcher Anzahl Leihstimmen zu Problemen führen würden.96 Die Mitglieder wurden in der Zeitschrift dazu eingeladen, sich in der Rubrik ›Pro und Contra‹ an der Diskussion über die Zukunft des Musikvereins zu beteiligten. Ein exemplarischer Vertreter der Pro-Fraktion vertrat die Haltung, dass von einem städtischen Konzertchor schließlich einiges erwartet werde und es eine »Blamage«97 sei, Anfragen von berühmten Künstlern abzulehnen. Bestenlisten, die ausgehend von der gesanglichen Qualität der Mitglieder über deren Teilnahme an den Konzerten entscheiden, seien nicht ideal, aber die fairste Lösung. Dieses Vorgehen sei auch u. a. darum nötig, da sich viele Sänger die besonders attraktiven Veranstaltungen herauspicken würden, was die anderen frustriere. Bei Rücksichtnahme auf jeden einzelnen drohe ein Mittelmaß, das die Erfolge der letzten zwanzig Jahre zerstören könne. Die Stellungnahme schloss mit dem Satz: »Die künstlerische Weiterentwicklung des Chores muß als oberste Maxime vor die Gefühle und Interessen des einzelnen gestellt werden.«98 In diesem Zusammenhang verdeutlicht auch der explizit formulierte Anspruch im Einleitungsteil des Artikels, der Chor leiste harte Arbeit und gewähre der Geselligkeit 94 95 96 97 98
Vgl. Gondorf, Der Städtische Musikverein Düsseldorf, S. 10f. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. Bernhard Jahn, Auf ein (Vor-)Wort, in: Chorszene, 1 (Mai 1988), S. 8. Zur Diskussion …, in: Chorszene, 1 (April 1982), S. 32. Ebd.
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vergleichsweise wenig Raum, den Wunsch, sich als professionell und fernab der negativ assoziierten »Vereinsmeierei«99 zu präsentieren. Für Personen, die der stimmlichen und zeitlichen Belastung standhalten konnten, bedeutete eine Mitgliedschaft in einem solchen Chor auch einen Imagegewinn100 und eine Aufwertung ihrer Person in bestimmten Kreisen der Gesellschaft. Dem gegenüber wurde die Contra-Meinung formuliert, durch Bestenlisten würden die Mitglieder »endgültig den Boden einer Solidargemeinschaft [verlassen], als die der Chor einmal angetreten ist«101. Wenn der Chor Aufgaben übernehme, die er allein nicht erfüllen könne, so führe dies den Zweck des Vereins ad absurdum.102 Noch mehr Auslandsreisen brächten so viele Probentermine mit sich, dass etliche Chormitglieder keine Möglichkeit mehr hätten, »Düsseldorfer Konzerte wahrzunehmen«103. Bliebe es das Ziel, immer mehr und attraktivere Reisen zu unternehmen, dann bestehe die Gefahr, dass der Chor seine Arbeit vor Ort vernachlässige. Außerdem gebe es das Problem, dass in Zukunft vom Kulturamt weniger Geld zu erwarten sei.104 Die Darstellung veranschaulicht eine Problematik, mit der sich auch andere Laienchöre an einem bestimmten Punkt ihrer Geschichte auseinandersetzen müssen und die darum besonders aufschlussreich ist: Der Anspruch des Einzelnen, sich neuen Herausforderungen zu stellen, selbst stetig weiterzubilden und zu verbessern, ist tief im Denken der bürgerlichen Musikkultur verankert. Der eingeschlagene Weg der Professionalisierung mit Bestenlisten, häufigen Profiaushilfen und Auslandsreisen führt ein Ensemble jedoch in die Kommerzialisierung, die mit den Idealen eines bürgerlichen Musikvereins auf Dauer nicht zu vereinbaren ist, da ein solcher Chor früher oder später nicht mehr allen seinen zahlenden Mitgliedern die Teilnahme an allen Projekten garantieren kann und weiteren aus Termingründen die Chance zur Beteiligung nimmt. Die Problematik zeigt, dass, auch wenn das Konzept der bürgerlichen Musikkultur eine große Offenheit in sich birgt und darum über einen langen Zeitraum erfolgreich sein konnte,105 seine Anpassungsfähigkeit Grenzen hat. Etwa seit Mitte der 1990er Jahre ist die Anzahl der außerstädtischen Aktivitäten des Musikvereins zurückgegangen. Anlässlich des 175. Jubiläums 1993 99 Uta Karstein, Vereine. Soziologische Zugänge zu einem vernachlässigten Thema, in: sinnprovinz. kultursoziologische working papers, 5 (2013), S. 3–25, hier S. 20; (28. 02. 2018). 100 Karstein spricht in diesem Zusammenhang von ›Distinktionsgewinn‹, vgl. Karstein, Vereine, S. 16. 101 Zur Diskussion …, in: Chorszene, 1 (April 1982), S. 31. 102 Vgl. ebd. 103 Ebd. 104 Vgl. ebd. 105 Vgl. hierzu S. 39f.
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thematisierte der damalige Vorsitzende Jens D. Billerbeck das allmählich anwachsende Problem des Mitgliederschwunds, wofür er in erster Linie die veränderte Freizeitgestaltung als Grund sah sowie eine geringer gewordene Bereitschaft der Menschen, sich selbst aktiv zu betätigen statt nur zu konsumieren.106 Auch sein Nachfolger Klaus Jürgen Exler beschrieb 2001, dass es immer schwieriger geworden sei, die Stärke des Chores zu halten und neue Mitglieder zu werben.107 Die Ansprüche, durch sein Wirken internationale Beziehungen zu fördern und zugleich den Chorgesang durch Konzerte in seiner Heimatstadt zu pflegen, sind nach wie vor in der aktuell gültigen Satzung des Musikvereins von 2008 enthalten.108 Ein Projekt, das in diesem Sinne seit 2006 vom Musikverein getragen wird, ist die Umsetzung des pädagogischen Konzeptes ›SingPause‹ zur musikalischen Früherziehung, im Rahmen dessen professionelle Sänger und Sängerinnen Grundschulkindern Gesangsunterricht erteilen. 2017 wurde dieses auf Breitenförderung angelegte Projekt mit dem Jugendkulturpreis ausgezeichnet.109 Aktuell ist der Musikverein weiterhin mit drei jährlichen Konzerten in der Tonhalle aktiv, geht auf Konzertreisen (so zuletzt am 3. Oktober 2016 in die Partnerstadt Chemnitz mit Beethovens Sinfonie Nr. 9)110 und pflegt die Erinnerungskultur beispielsweise durch die erwähnte Wiederaufstellung des Mendelssohn-Denkmals, an dem der Vorstand regelmäßig einen Kranz niederlegt, um an Mendelssohns Geburts- und Todestag zu erinnern.111 Auch bei neuartigen Kooperationsprojekten wie einem Musikfest der Bundeswehr am 24. September 2017 in Düsseldorf112 zeigte sich der Musikverein offen und trat als Traditionschor der Stadt in Erscheinung. Für das Festjahr 2018 sind mehrere zusätzliche Konzerte, eine Sonderausstellung über den Musikverein im HeineHeine-Institut Düsseldorf und weitere Begleitprogramme geplant. Aktuell vermitteln diese Aktivitäten nicht den Eindruck, dass der Chor innerhalb des Rahmens, den ihm das Prinzip der bürgerlichen Musikkultur lässt, keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr hat. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft mit 106 Vgl. Jens D. Billerbeck, 175 Jahre Musikverein – eine Zwischenbilanz, in: Städtischer Musikverein, 175 Jahre, S. 12f. 107 Vgl. Jürgen Exler, Ausblick auf 2001 und danach. Schlußgedanken voll Zuversicht, in: Großimlinghaus u. a., Aus Liebe zur Musik Bd. 2, S. 48–52. 108 Vgl. Internetseite des Musikvereins, (28. 2. 2018). 109 Vgl. Internetseite des Musikvereins, (28. 2. 2018). 110 Vgl. Internetseite des Musikvereins, (28. 2. 2018). 111 Vgl. Internetseite des Musikvereins, (28. 2. 2018). 112 Vgl. Internetseite des Musikvereins, (28. 2. 2018).
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modernem Freizeitverhalten, einer veränderten Kulturlandschaft und einer diesem Wandel angepassten Kulturpolitik wird der Musikverein aber auch weiterhin mit der Frage nach seiner Identität konfrontiert werden.
13. Übergreifende Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens
13.1 Musikalische Vereine Die Entstehung von Vereinen im ausgehenden 18. Jahrhundert ermöglichte es, bürgerliches Engagement in verschiedenen Wirkungsbereichen wie Kultur, Bildung, Gesundheit und sozialem Engagement in eine stabile Form zu bringen und nach einheitlichen Prinzipien zu organisieren, nach denen das Vereinswesen auch heute noch funktioniert. Die zugrunde liegenden Strukturen sind darüber hinaus auch in für die Gesellschaft wichtigen Einrichtungen präsent, die gar nicht als Vereine organisiert sind wie Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Hospize, Sparkassen, Herbergen und Genossenschaften.1 Dass Vereine gerade bei der Fundierung der bürgerlichen Kultur und ihrer gesellschaftlichen Entwicklung eine bedeutsame Rolle gespielt haben, sollte die vorliegende Untersuchung anhand der Stadt Düsseldorf gezeigt haben, die für diesen Sachverhalt geradezu als ein »Paradebeispiel«2 gelten darf. In der Phase, in der das Bürgertum sich zu emanzipieren begann, stellte der Verein eine praktikable Organisationsform dar, um Menschen, denen ihr Handeln nicht mehr durch einen weltlichen oder klerikalen Herrscher vorgeschrieben wurde, die Umsetzung ihrer gemeinschaftlichen Ziele zu ermöglichen. Nur durch das Einrichten eines Vorstandes, das Verfassen von Statuten, das Festlegen von Verhaltenskodizes sowie durch Regelungen für Wahlen, Abstimmungen, Losentscheide etc. wurde es möglich, unter den gleichberechtigten Mitgliedern Entscheidungen herbeizuführen und bei Bedarf auch Strafen für Fehlverhalten zu verhängen. Trotz aller positiver Auswirkungen haben sich die Widersprüchlichkeit des zugrunde liegenden Konzeptes und daraus resultierend negative Faktoren gezeigt: Die streng demokratische Ausrichtung und 1 Vgl. Karstein, Vereine, S. 17. 2 Vgl. Bernd Kortländer, ›die Kunst hat einen … repräsentativen Charakter angenommen.‹ Immermanns Düsseldorfer Theaterprojekt und Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Ballstaedt/ Kalisch/Kortländer, Bürgerlichkeit, S. 27–40, hier S. 27.
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Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens
Offenheit, die bürgerliche Vereine in aller Regel in ihren Statuten verankert haben, wird in der Praxis oft durch ungeschriebene Gesetze und Rituale untergraben, die nach außen zu Abgrenzung gegenüber Personen mit einem nicht erwünschten sozialen Status führen.3 Faktisch ist der Zugang an ein engmaschiges Netz von sozialen, kulturellen und ökonomischen Vorbedingungen gebunden.4 Dieses Prinzip des bürgerlichen Vereins zeigt anschaulich die Spannungen zwischen dem Ideal der Bürgerlichkeit (klassenloses weltbürgerliches Gesellschaftsideal) und der Realität der bürgerlichen Ordnung mit ihrer exklusiven Praxis.5 Dass Vereine in der Praxis rasch an die Grenzen ihrer Selbstverwaltung stoßen können, verdeutlichen die dargestellten Fälle, bei denen einzelne Mitglieder oder kleine Gruppen im Kontakt mit externen Personen ohne Rückendeckung des Musikvereins sprachen – so die drei Vorstandsmitglieder, die in einem Brief an Robert Schumann gegen seine Dirigierpraxis aufbegehrten, und die Chorsängerinnen, die öffentlich gegen den Weggang der Musikdirektoren Julius Buths und Hans Weisbach protestierten. Das eigenmächtige Verhalten einiger Mitglieder impliziert, dass die demokratisch herbeigeführten Entscheidungen der Mehrheit von Einzelnen nicht akzeptiert und bewusst untergraben werden, was letztlich das Funktionieren des gesamten Vereins in Frage stellt. So verursachten einige aufgebrachte Mitglieder durch ihren Protest gegen Weisbachs Entlassung heftige Konflikte mit der Stadtverwaltung, die den Verein seine Existenz hätten kosten können. Als wichtige Leitbegriffe innerhalb des Vereinswesens haben sich frühzeitig Benefiz und Erinnerungskultur etabliert, wofür es in der Geschichte des Musikvereins zahlreiche Beispiele gibt. Der Benefizgedanke wurde von bürgerlichen Idealen getragen, hinter denen das Bestreben steht, auch andere Menschen an der eigenen Weiterentwicklung teilhaben zu lassen, indem ihnen der Zugang zu Bildung ermöglicht wurde. Der Mehrwert, den dieses Verhalten für die Gesellschaft mit sich bringt, wird vom Staat als so groß angesehen, dass er gemeinnützigen Vereinen einen finanziellen Vorteil zugesteht. Der Städtische Musikverein wurde am 13. April 1923 nach einem entsprechenden Antrag offiziell als gemeinnützig anerkannt,6 wofür die Argumente, er leiste Bildungsarbeit für die Bevölkerung und stelle insbesondere den »Minderbemittelten und gänzlich Unbemittelten«7 Frei- bzw. Ermäßigungskarten zur Verfügung, als Vgl. Röbke, Der Verein, S. 16–18. Vgl. Karstein, Vereine, 2013, S. 7. Vgl. Schulz, Lebenswelt des Bürgertums, S. 74. Vgl. Bericht Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Regierungspräsidenten in Düsseldorf, StAD Düsseldorf, 22. 5. 1923, 0-1-4-376.0000, S. 283a–283b. 7 Brief Musikverein an den Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, StAD Düsseldorf, 15. 3. 1922, 0-1-4-376.0000, S. 266a–266b.
3 4 5 6
Musikalische Vereine
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ausschlaggebend angesehen worden waren. In der Vereinsgeschichte finden sich darüber hinaus regelmäßige Benefizkonzerte zugunsten von Personen oder Personengruppen, die in finanzielle Bedrängnis geraten waren. Ebenfalls von den bürgerlichen Idealen ist das Prinzip hergeleitet, dass Vereine sich in der Verantwortung sehen, die Erinnerung an Personen und Ereignisse durch Gedenkveranstaltungen oder Denkmäler lebendig zu halten.8 Auch hier ist der Musikverein durch das Erinnern an Jubiläumstage über seine Vereinszeitschrift, die Internetseite, Newsletter, durch Veranstaltungen sowie durch das Unterstützen von Denkmalprojekten, Kranzniederlegungen u. a. immer wieder in Erscheinung getreten. Zwischen den beiden Aktionsfeldern kommt es bisweilen zu Überschneidungen, etwa wenn die Einnahmen eines Gedenkkonzertes den bedürftigen Hinterbliebenen zur Verfügung gestellt werden. Interessant an den Prinzipien der Erinnerungskultur und des Benefiz ist, dass allen Aktivitäten jeweils Entscheidungen des Vereins darüber vorausgehen, welche Personen überhaupt als würdig angesehen werden, dass man sich ihrer erinnert oder ihnen durch Wohltätigkeit Unterstützung zukommen lässt. Verschiedene Veranstaltungen, in deren Mittelpunkt Denkmäler standen und an denen der Musikverein im Laufe seines Bestehens beteiligt war, sollen als Beispiele für die Bandbreite von Zuschreibungen herangezogen werden, durch die der Verein zugleich an der »Konstruktion von Musikgeschichte«9 bzw. übergeordnet der Konstruktion eines wissenschaftsgeschichtlichen Kanons10 mitgewirkt hat: In der revolutionären Stimmung des Jahres 1848 beteiligte sich der Chor an einer Veranstaltung, bei der eine überlebensgroße Germania-Statue im Mittelpunkt stand (diese existierte zwar nur kurze Zeit, wurde aber durch Abbildungen und Beschreibungen im historischen Gedächtnis verankert),11 am 17. Mai 1892 sang er unter Julius Buths bei der »Schumann-Feier zum Besten eines Denkmals für Rob. Schumann in dessen Geburtsstadt Zwickau«12, 1888 bei einer Veranstaltung, um die Spendenbereitschaft für ein Reiterdenkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms I. zu erhöhen, 1933 beteiligte sich der Chor an der großen Gedenkfeier für Leo Schlageter, in deren Mittelpunkt das ihm zu Ehren errichtete Denkmal auf der Golzheimer Heide stand, und 2012 trat er anlässlich der Wiederaufstellung des Mendelssohn-Denkmals in Düsseldorf bei der Einweihungsfeier mit einem Konzert in Erscheinung. Auch die Mitwirkung an Benefizveranstaltungen hatte über die Jahre vielfältige Anlässe gehabt. Als Beispiele seien hier der Tod August Burgmüllers genannt, anlässlich dessen am 23. September 1824 unter Leitung von Joseph 8 9 10 11 12
Vgl. Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, S. 141. Ebd., S. 142. Vgl. ebd. Vgl. hierzu S. 136f. Düsseldorfer Volksblatt 130 (15. 5. 1892).
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Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens
Eschborn Haydns Schöpfung gespielt wurde; der Erlös kam der finanziell schlecht gestellten Witwe und ihren Kindern zugute.13 Beim Niederrheinischen Musikfest 1826 in Düsseldorf wurde für den Verein der Griechenfreunde am dritten Tag ein eigenes Konzert unter Ferdinand Ries und Louis Spohr gegeben, um damit die »bedrängten Christen« in Griechenland zu unterstützen.14 Nach dem Ersten Weltkrieg stand Panzners erstes Konzert der Spielzeit 1919/1920 unter dem Motto »Zum Gedächtnis der gefallenen Helden!«15. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden »auf Beschluß des Kulturausschusses … Konzerte für Spätheimkehrer durchgeführt.«16 Regelmäßig fanden an Geburts- und Todestagen Gedenkkonzerte für primär in der Region bekannte Künstler wie Wilhelm von Schadow oder Karl Panzner statt, aber auch für überregionale Berühmtheiten wie Haydn, Beethoven, Mozart und Schumann.17 Durch die entsprechenden Zuschreibungen, wer von dem benefitären Engagement profitieren soll bzw. wer des Gedenkens als würdig angesehen wird, bezog der Verein, vertreten durch seinen gewählten Vorstand, in Gesellschaft und Politik Position. Die aufgeführten Beispiele für Benefiz und Erinnerungskultur demonstrieren, dass die Verantwortlichen sich bei der Auswahl nicht an übergeordneten ethischen Maßstäben orientierten, sondern an Normen und Urteilen der jeweiligen Epochen und der Gesellschaftsschicht, die der Musikverein repräsentierte. Dies machte es möglich, dass ein und derselbe Verein zu verschiedenen Zeiten mit dem gleichen Engagement das Werk und die Erinnerung an Felix Mendelssohn Bartholdy pflegen und sich an nationalsozialistischen Propagandaveranstaltungen beteiligen konnte. Aktuell wird von der Wissenschaft und ebenso von zahlreichen Vereinen die Frage nach dem Fortbestehen des Vereinswesens und seiner Bedeutung für die Gesellschaft gestellt. So beklagt konkret der Düsseldorfer Musikverein die Problematik, dass Mitglieder immer seltener bereit seien, auf lange Sicht Verantwortung zu übernehmen und dass die zeitliche Flexibilität der Mitwirkenden immer geringer wird. Auch in der Fachliteratur und der Presse wird thematisiert, dass in der Bevölkerung Vereinsmitgliedschaften zunehmend als eine Art von Kundenbeziehung angesehen werden, die einen Nutzen im Sinne einer Dienstleistung mit sich bringen sollen, sowie die Tatsache, dass Menschen heute 13 Vgl. Rheinisch-Westphälischer Anzeiger 79 (2. 10. 1824), zit. nach Kopitz, Norbert Burgmüller, S. 125. 14 Vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 26 und Anhang, S. 10. 15 Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 112. 16 Verwaltungsbericht der Landeshauptstadt Düsseldorf für die Zeit vom 1. April 1949 bis 31. März 1951. Im Auftrage des Oberstadtdirektors bearbeitet und herausgegeben vom Statistischen Amt, Düsseldorf 1952, ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018), S. 169. 17 Zahlreiche Gedenkveranstaltungen beschreibt Fischer in seiner Festschrift, vgl. Fischer, Städtischer Musikverein, 1918.
Musikalische Vereine
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ein verändertes Zeitmanagement betreiben, einen stärkeren Fokus auf die eigene Selbstverwirklichung legen als früher und weniger Interesse zeigen, sich langfristig im Ehrenamt zu engagieren.18 Demografische und gesellschaftliche Veränderungen führen dazu, dass die meisten Musikvereine mit dem Problem der Überalterung zu kämpfen haben und außerdem nicht selten mit kommerziellen Anbietern von Freizeitaktivitäten in Konkurrenz stehen.19 All dies macht es notwendig, neue Rahmenbedingungen für die durchaus noch vorhandene Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement zu schaffen.20 Ein weiterer Punkt, gegen den sich konkret die Kritik am Vereinswesen richtet, ist die Form der Organisation. So wird der Typus des Vereinsvorstands allenfalls noch als Ausdruck von Beständigkeit nostalgisch verklärt, oft jedoch als altmodisch, patriarchalisch und als Überrest vergangener Zeiten herabgewürdigt.21 Gerade dieses Image führt auf anderer Ebene zu Schwierigkeiten: Da Personen, die sich in Vereinen ehrenamtlich engagieren, keinen finanziellen Gewinn zu erwarten haben, ist die Würdigung und Anerkennung ihrer Leistungen umso bedeutsamer. Im 19. Jahrhundert konnten sie sich des Respekts und der Bewunderung durch die Gesellschaft in aller Regel sicher sein, doch da Vereine heute oft als unmodern und eher unattraktiv gelten, wird das Engagement der Mitglieder meist nicht in der gewünschten Weise gewürdigt, was zusätzlich das Interesse verringert, sich zu engagieren.22 Ein weiteres Problem besteht darin, dass Vereine oft nachdrücklich auf Wachstum hinarbeiten, was als ein Ergebnis von falsch angelegten Maßstäben zu werten ist, die aus der Wirtschaft unreflektiert in die Zivilgesellschaft übertragen werden.23 Zwar ist der Wunsch nach Erhöhung der Mitgliederzahlen, Erweiterung des Einflusses, Steigerung des Ansehens, öffentlicher Aufmerksamkeit und eines höheren Umsatzes nachvollziehbar, doch führt dies in der Praxis nicht selten zu Schwierigkeiten. Die Aufgaben, die der Vorstand zu bewältigen hat, werden komplexer, so dass sich immer weniger Personen zutrauen, diese 18 Vgl. Das Ehrenamt verändert sich. Freiwilligkeit ist in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens unverzichtbar, aber immer seltener passen Job und das Engagement zusammen, Interview mit der Ehrensamtbeauftragten der Stadt Düsseldorf Helma Wassenhoven, in: Westdeutsche Zeitung, 13. 2. 2018. 19 Vgl. Stefan Bischoff, Musikvereine im demografischen Wandel – zwischen Tradition und Moderne. Überarbeitete und ergänzte 2. Aufl., Köln 2011, S. 13; der Aspekt der Überalterung und die Probleme bei der Gewinnung von Nachwuchs sind Gegenstand der gesamten Untersuchung, (28. 2. 2018). 20 Vgl. Röbke, Der Verein, S. 3f. 21 Vgl. ebd., S. 7. 22 Vgl. ebd., S. 28. 23 Vgl. ebd., S. 29, 36.
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Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens
Verantwortung zu übernehmen; die Qualifikation der Mitglieder gewinnt in einem Maße an Bedeutung, dass weniger kompetente Personen auf lange Sicht ausgeschlossen werden, und die Vernachlässigung von Geselligkeit – ein zu Unrecht als altertümlich abgetanes, elementares menschlichen Bedürfnis – zugunsten von Professionalisierung kann den speziellen Mehrwert einer Vereinsmitgliedschaft zunichtemachen.24 Die Parallelen zwischen den dargestellten Kritikpunkten und der Entwicklung des Düsseldorfer Musikvereins seit den 1960er Jahren sind offensichtlich und werden bei der Frage nach dessen zukünftiger Rolle in der Gesellschaft zweifellos eine Rolle spielen.
13.2 Die Niederrheinischen Musikfeste Der große Erfolg der ersten Niederrheinischen Musikfeste steht im Kontext der in ganz Deutschland erfolgten Entwicklung der bürgerlichen Musikkultur. Weitere Faktoren, die die Feste gerade im Rheinland so populär werden ließen, waren das große Bedürfnis der Bevölkerung nach Kultur und Unterhaltung in den Jahren nach den Befreiungskriegen und auch die gesellschaftliche Veränderung, die durch die Säkularisierung eingetreten war. Gerade in dem überwiegend katholisch geprägten Gebiet war das Leben zuvor stark durch den Ablauf des Kirchenjahres und die davon abhängigen Feste, Prozessionen und Feiertage strukturiert gewesen.25 Der Verlust dieser Lebensordnung ließ sich durch ein jährlich zu Pfingsten stattfindendes, ritualisiertes Fest mit religiösen Bezügen zumindest teilweise ausgleichen. Dennoch wäre trotz dieser Motivationen die erfolgreiche Umsetzung der ersten Feste ohne den außergewöhnlich großen Einsatz einzelner Bürger, die Zeit, Geld und ihre beruflichen Kompetenzen einbrachten, nicht möglich gewesen. Wie in der vorliegenden Arbeit dargestellt war die Organisation der ersten Niederrheinischen Musikfeste von einem bürgerlichen Idealismus getragen, der die Vereinigung von Menschen über städtische und Standesgrenzen hinweg im gemeinsamen Erlebnis der musikalischen Aufführung anstrebte. Durch seinen Status als Zweckbündnis ohne verbindliche Rechtsform eignete sich der Niederrheinische Musikverein in besonderer Weise als Projektionsfläche für ein alternatives Konzept,26 auf dem die veranstalteten Feste in ihrer Anfangszeit basierten. Deren Durchführung, die in den ersten Jahren ohne Statuten, Polizeiverordnungen, statistische Erhe-
24 Vgl. ebd., S. 36. 25 Vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 338. 26 Vgl. Weibel, Die deutschen Musikfeste, S. 169.
Die Niederrheinischen Musikfeste
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bungen und sonstige Formalitäten auskam,27 wertet Alf als Zeichen ihrer Unkonventionalität. Das außerordentliche Engagement der Organisatoren lässt sich zu einem guten Teil aus ihrer sozialen Situation und der damaligen Konstellation zwischen den Generationen heraus erklären: Zum Ende des 18. Jahrhunderts hin zeigte sich in der jungen Bildungsschicht ein Bestreben, es in ihrem Bemühen um Selbstvervollkommnung nicht nur bei Absichtserklärungen zu belassen, sondern diese auch konkret in die Lebensführung zu integrieren28 und so die bürgerlichen Ideale des humanistischen Denkens zu verwirklichen. Der Anspruch von »Gleichheit aller Klassen und Stände«29 sollte mit Hilfe von Wissenschaft und Kunst im Alltag umgesetzt und verteidigt werden. Diese echte idealistische Haltung vieler der jugendlichen Vertreter dieser Generation findet sich in der Veranstaltung der ersten Niederrheinischen Musikfeste wieder, die aus dem Wunsch heraus durchgeführt wurden, zur Veränderung und Verbesserung der Gesellschaft einen Beitrag zu leisten, worin zugleich ein Konflikt zwischen der alten und der jungen Generation zum Ausdruck kam.30 Entscheidend war, dass die Jungen das Leistungsethos gegen das als veraltet angesehene Geburtsprivileg des Adels ausspielten,31 wodurch jedoch das Prinzip der Gleichheit von Anfang an relativiert wurde: Bildung und Leistung ersetzten in Wirklichkeit nur ein Kriterium der gesellschaftlichen Exklusion durch ein anderes, da der Weg zu einer bürgerlichen Bildung längst nicht jedem offenstand. Die Geschichte der Niederrheinischen Musikfeste hat gezeigt, dass im gleichen Maße, wie die progressiven Jugendlichen erwachsen wurden, das Projekt aufgrund seines großen Prestigegewinns für das städtische Bürgertum in den bestehenden Kulturbetrieb eingegliedert wurde. Die Integration der humanistischen Ideale in die Lebensrealität war nicht gelungen. Durch die Erweiterung und Anpassung des Festkonzeptes an die Entwicklungen des Musikmarktes (Professionalisierung, Virtuosentum, Massenveranstaltungen etc.) war es über einen Zeitraum von 140 Jahren möglich, die Niederrheinischen Musikfeste als Veranstaltungsreihe fortzuführen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte sich jedoch, dass mit dem endgültigen Wegfall der Rahmenbedingungen, die von idealistischen Laienmusiker ohne kommerzielle Ziele geschaffen worden waren und die zur Ent27 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 194. 28 Vgl. Wolfgang Hardtwig, Auf dem Weg zum Bildungsbürgertum: die Lebensführungsart der jugendlichen Bildungsschicht 1750–1819, in: Lepsius, Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, S. 19–41, hier S. 19, 22, 24. Die im Folgenden thematisierten Aspekte stützen sich auf Hardtwigs Aufsatz, der von der Geschichte studentischer Verbindungen ausgeht. Die Ergebnisse bilden jedoch generelle Tendenz in der Gesellschaft ab, die auch im Zusammenhang mit den Veranstaltern der Niederrheinischen Musikfeste repräsentativ sind. 29 Hardtwig, Bildungsbürgertum, S. 32. 30 Vgl. Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 225. 31 Vgl. Hardtwig, Bildungsbürgertum, S. 32.
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Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens
stehung der Feste geführt hatten, auch ihre Mehrwert und damit ihre Daseinsberechtigung verloren gingen.
13.3 Bürgerliche Musikkultur und Musikmarkt Der erste nachweisbare Versuch des Musikvereins 1825, eine Konzertreihe in Düsseldorf zu etablieren, schlug fehl, da sich nicht genügend Subskribenten für die Teilnahme anmeldeten.32 Auch die Tatsache, dass der Allgemeine Musikverein 1837 mit der Finanzierung der Musikdirektorenstelle in Schwierigkeiten geriet, veranschaulicht, dass in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bei der Organisation des Musiklebens improvisiert werden musste, da noch kein etablierter Markt existierte. Nach und nach aber entwickelten sich Strukturen einer musikalischen Produktion, die auf Masse ausgerichtet war und langfristig auf industrielle Fertigung hinauslief. Dies wurde auf den Gebieten Instrumentenbau, Tagespresse, Musikpädagogik,33 Notendruck34 und Herstellung von Programmheften sichtbar. Letztere brachten die Neuerung mit sich, dass sie die Texte der aufgeführten Werke enthielten, aber bisweilen auch Hintergrundinformationen und Bewertungen.35 Darüber hinaus entstanden neue Berufe wie der des Musiklehrers, des Musikkritikers36 und des Gelehrten, der Wissen über Musiktheorie und -geschichte vermittelte.37 Dies alles waren Instanzen der »Musikübersetzung«38, die ganz im Sinne der bürgerlichen Kultur dem Hörer die Wahrnehmung der Musik erleichterten und zugleich die Rezeption der Werke steuerten. Die Entwicklung dieses Musikmarktes lässt sich anhand des Musikvereins und des frühen Konzertwesens in Düsseldorf anschaulich darstellen. Durch die steigende Anzahl von musikalischen Aufführungen wuchs der Bedarf an Notenmaterial, weshalb der Musikverein Anschaffungen machte, Kopisten beschäftigte und eine Form von Leihverkehr etablierte, indem er Noten per Post mit anderen musikalischen Gruppierungen austauschte. Für die Probenarbeit und möglicherweise auch für gesellige Treffen wurde ein Flügel angeschafft, für dessen Wartung man einen Klavierstimmer brauchte. Burgmüller und Rietz 32 Vgl. hierzu S. 109. 33 Vgl. Volker Kalisch, Bürgerliche Musik – Text und Kontext, in: Clemens Albrecht (Hg.), Sonderdruck aus Die bürgerliche Kultur und ihre Avantgarden. Reihe Kultur, Geschichte, Theorie, Studien zur Kultursoziologie, Bd. 1, Würzburg 2004, S. 37–56, hier S. 50, 53. 34 Vgl. Mittmann, Musikerberuf, S. 247. 35 Vgl. Schleuning, Der Bürger erhebt sich, S. 173. 36 Vgl. Kalisch, Studien bürgerliche Musikkultur, S. 86–87. 37 Vgl. Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, S. 155. 38 Vgl. Volker Kalisch, Autonomer Mensch und autonome Musik. Die bürgerliche Musikkultur, in: Annali de Sociologia 5/1 (1989), S. 45–61, hier S. 53.
Bürgerliche Musikkultur und Musikmarkt
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gaben neben ihrer Tätigkeit als Musikdirektoren den Bürgern der Stadt regelmäßig Privatunterricht. Auch nahmen Musikkritiker als Berichterstatter Einfluss auf die Verbreitung und öffentliche Wahrnehmung der Niederrheinischen Musikfeste und die Konzerte des Musikvereins.39 Neben den Konzertkritiken boten Konzertzettel und seit den 1830er Jahren Programmhefte die Möglichkeit, sich über aufgeführte Werke zu informieren. Die 1770 in Düsseldorf eröffnete erste öffentliche Bibliothek, deren Bestände über die Jahrzehnte deutlich anwuchsen,40 gewährte den Bürgern schon früh Zugang zu Büchern, aber auch Buchhandlungen und private Leihbibliotheken konnten genutzt werden.41 Nicht nur über schriftliche Medien hatten die Bürger die Möglichkeit, sich zu informieren und fortzubilden. So bot beispielsweise im Jahr 1845 Musikdirektor Ferdinand Rahles, der seit 1840 Städtischer Musikdirektor in Düren war und für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften schrieb, in Düsseldorf Vorträge über die Musik der Antike, Figural- und Mensuralmusik, Troubadours und Meistersänger, die Geschichte der Orgel, die Erfindung der Noten und andere Themen an, wobei er »unter Mitwirkung eines Sängerchors dem Vorgetragenen … Musikproben aus den einzelnen Zeitabschnitten folgen«42 ließ. Den Abschluss einer solchen Veranstaltung bildete ein historisches Konzert.43 Da über die Qualifikation eines Fachmannes für Musik – anders als bei einem Arzt oder Juristen – noch kein formaler Konsens bestand,44 wurde neben den Berufsmusikern und Musikkritikern wie Rahles vielfach die Autorität einiger spezialisierter Bürger von der Öffentlichkeit akzeptiert,45 die anderen Bürgern kulturelles Wissen vermittelten. In diese Kategorie gehörten der Autor der Blätter der Erinnerung (1868) Wilhelm Hauchecorne und Wilhelm Hubert Fischer, der in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Musikvereins 1918 die Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum verfasste. Dass die Tradition bis in die Gegenwart fortgesetzt wird, zeigen die Arbeiten von Manfred Hill und Rainer Großimlinghaus: Die von Hill erstellte Chronik macht Informationen über den 39 Am Rande sei noch bemerkt, dass laut dem Statut des Allgemeinen Musikvereins von 1845 der Ausschuss offiziell die Düsseldorfer Zeitung und das Kreisblatt nutzte, um seinen Mitgliedern Informationen über Proben und Vereinsentscheidungen mitzuteilen. 40 Vgl. Weidenhaupt, Geschichte Düsseldorf Bd. 2, S. 244, 345. 41 Exemplarisch seien hier genannt: Dänzers Witwe, J. C. Buchhandlung und Leihbibliothek (1806), vgl. Düsseldorfer Addreß-Kalender für das Herzogthum Berg und die benachbarten Gegenden. Auf das Jahr 1806, Düsseldorf [1806], ohne Seitenzahlen; Bayer et Comp., Buch-, Musikhandlung und Lesebibliothek (1828), vgl. Address-Taschen-Buch vom Herzogthum Berg und der Grafschaft Mark. Vierte neugearbeitete und sehr vermehrte Aufl., Barmen u. a. [1828], S. 231; Beyer, G. H. & Comp., Buch- und Musikalienhandlung, nebst deutscher und französischer Leihbibliothek (1833), vgl. Adressbuch Düsseldorf 1833, S. 15. 42 Ankündigung in Düsseldorfer Kreisblatt und Täglicher Anzeiger 288 (22. 10. 1845). 43 Vgl. Ankündigung in Düsseldorfer Kreisblatt und Täglicher Anzeiger 288 (22. 10. 1845). 44 Vgl. Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, S. 147. 45 Vgl. ebd., S. 149.
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Düsseldorfer Musikverein auf dessen Internetseite zugänglich und die von Großimlinghaus verfassten Publikationen werden nicht nur von Vereinsmitgliedern gelesen, sondern auch als Quelle in wissenschaftlichen Abhandlungen zitiert.46 Die Kommerzialisierung des Musikwesens im 19. Jahrhundert brachte unbestreitbar für viele Beteiligte Vorteile mit sich. So verdienten zahlreiche Konzertveranstalter, Instrumentenbauer, Verleger, Komponisten, Dirigenten und Virtuosen große Summen und erlangten bisweilen auch überregionale Bedeutung. Eine Berufsgruppe, die nicht unbedingt zu den Gewinnern zählte, waren die Berufsmusiker, die im Orchester oder als Lehrer in den Familien des Bürgertums ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Diskussionen um ihre Bezahlung in der ersten Zeit der Niederrheinischen Musikfeste zeigt bereits, dass die Leistungen der ausführenden Musiker kaum Wertschätzung erfuhren. Bei den Festen erhielten sie meist nur eine Aufwandsentschädigung oder einen »kläglichen Lohn«47. Oft bestand für sie der hauptsächliche Anreiz darin, durch die ›Ehre‹, bei den Musikfesten mitwirken zu dürfen, Bekanntheit zu erlangen und dadurch neue Schüler anwerben zu können.48 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich allmählich ein privatwirtschaftliches Konzertwesen etabliert, das Einfluss auf die Situation der Orchester hatte. Diese wurden nun als einer von verschiedenen Kostenfaktoren wie Saalmiete und Programmzettel betrachtet. Da es inzwischen immer mehr ausgebildete Musiker gab, wurde deren Leben durch die Konkurrenz und den erhöhten Preisdruck deutlich erschwert. Da das Interesse der Öffentlichkeit aber fast ausschließlich den Kapellmeistern und den Virtuosen galt,49 wurde für die Verbesserung der Situation der Musiker wenig getan. Auch wenn sie in den Orchestern und als Lehrer für die bürgerliche Musikkultur unentbehrlich waren, blieben sie in aller Regel außerhalb des bildungsbürgerlichen Kreises und sanken nicht selten auf die Ebene eines Lohnarbeiters zurück.50
46 Vgl. beispielsweise Heine, Bürgerliche Musikvereine, S. 223; Weber, Der Städtische Musikverein, Der Städtische Musikverein, 1990, S. 299; Thelen-Frölich, Die Institution Konzert, S. 433. 47 Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 215. 48 Vgl. Alf, ebd., S. 216. 49 Vgl. Mittmann, Musikerberuf, S. 245. 50 Vgl. ebd.; vgl. auch Alf, Die Niederrheinischen Musikfeste Teil 1, S. 217.
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13.4 Repertoire Der Musikverein stellt sich mit seinem Kernrepertoire bewusst in die Tradition seiner früheren musikalischen Leiter Mendelssohn und Schumann,51 die der Musikverein nicht ohne Stolz als »Komponistenlieblinge des deutschen Volkes«52 bezeichnet. Das Etikett, in erster Linie ein ›Schumann-Chor‹ zu sein, weist der Verein trotz der bewussten Positionierung in dessen Tradition und der zahlreichen Schallplattenaufnahmen von Schumanns Chorwerken von sich.53 Bestandteil des kommunizierten Selbstbildes ist außerdem der Anspruch, sich seit der Entstehung des Vereins kontinuierlich neue Werke erarbeitet zu haben54 – eine Haltung, die sich aus den ästhetischen Forderungen der ersten Niederrheinischen Musikfeste heraus begründen lässt, stets »klassische Meisterwerke älterer und neuerer Zeit«55 aufführen zu wollen. Auch wenn »Altes und Gediegenes« grundsätzlich den Schwerpunkt bilden sollte, galt: »Kein Musikfest sei ohne die Aufführung eines Lebenden.«56 Einen Überblick über die Werke, welche für den Musikverein einen besonderen Stellenwert haben, gibt eine Liste auf seiner Internetseite, die die Aufführungszahlen »einiger ausgewählter Werke von 1818 bis 2007 [insgesamt 29] in der Reihenfolge ihrer Aufführungshäufigkeit«57 auflistet: 113 x 2x
»Symphonie Nr. 9« von Ludwig van Beethoven »Symphonie Nr. 9« von Ludwig van Beethoven (Fassung Gustav Mahler)
(EAD 23. 5. 1836)
69 x 52 x
»Matthäus-Passion« von Johann Sebastian Bach (EAD 1. 4. 1849) »Sinfonie Nr. 2 (Auferstehung)« von Gustav Mahler (EAD 2. 4. 1903)
47 x 44 x
»Messa da Requiem« von Giuseppe Verdi »Ein deutsches Requiem« von Johannes Brahms
(EAD 8. 11. 1894) (EAD 27. 3. 1873)
42 x
»Missa solemnis« von Ludwig van Beethoven
(EAD 16. 5. 1875)
51 Vgl. Im Gespräch, Kunibert Jung, S. 11, vgl. auch Internetseite des Musikvereins (28. 2. 2018). Zum Thema Mendelssohn-Rezeption vgl. S. 268f. 52 Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Bd. 1, S. 110. 53 Vgl. Willhardt, Düsseldorfs Städtischer Musikverein, S. 15. 54 Vgl. Gondorf, Der Städtische Musikverein Düsseldorf, S. 11. 55 Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 12. Im zweiten Statutenentwurf lautet die Formulierung: Die Niederrheinischen Musikfeste sollen unter den bisher beobachten Prinzipien, »welche die Verbreitung des allgemeinen Sinnes für die classischen Werke der Tonkunst älterer und neuerer Zeit gebietet, gefeiert werden.«, vgl. Hauchecorne, Blätter der Erinnerung, S. 30. 56 Ferdinand Deycks, Ueber die großen Musikfeste, in: Jahrbücher des Deutschen NationalVereins für Musik und ihre Wissenschaft 2 (11. 4. 1839), S. 9–11, hier S. 10. 57 Internetseite Musikverein (28. 2. 2018).
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(Fortsetzung) 39 x
»Die Jahreszeiten« von Joseph Haydn
37 x 35 x
»Die Schöpfung« von Joseph Haydn (EAD 11. 5. 1818) »Sinfonie Nr. 8 (Sinfonie der Tausend)« von Gustav (EAD 11. 12. 1912) Mahler
(EAD 10. 5. 1818)
31 x 30 x
»La Damnation de Faust« von Hector Berlioz »Requiem« von Wolfgang Amadeus Mozart
(EAD 29. 1. 1891) (EAD 12. 5. 1845)
31 x 27 x
»Elias« von Felix Mendelssohn Bartholdy »Paulus« von Felix Mendelssohn Bartholdy
(EAD 2. 12. 1847) (UA 22. 5. 1836)
25 x 22 x
»Grande Messe des Morts« von Hector Berlioz »Der Messias« von Georg Friedrich Händel
(EAD 7. 4. 1892) (EAD 12. 3. 1835)
21 x 17 x
»Das Paradies und die Peri« von Robert Schumann (EAD 23. 4. 1848) »Hohe Messe h-Moll« von Johann Sebastian Bach (EAD 23. 4. 1885)
16 x 14 x
»Samson« von Georg Friedrich Händel »Carmina burana« von Carl Orff
(EAD 21. 5. 1820) (EAD 11. 2. 1960)
14 x 13 x
»Judas Maccabäus« von Georg Friedrich Händel »Gurre-Lieder« von Arnold Schönberg
(EAD 30. 5. 1830) (EAD 19. 11. 1925)
13 x 13 x
»Große Messe in c–Moll KV 427« von Wolfgang (EAD 6. 12. 1951) Amadeus Mozart »Szenen aus Goethes Faust« von Robert Schumann (EAD 6. 9. 1878)
12 x 10 x
»Johannes Passion« von Johann Sebastian Bach (EAD 3. 4. 1851) »Weihnachtsoratorium« von Johann Sebastian Bach (EAD 18. 1. 1866)
10 x 9x
»Israel in Ägypten« von Georg Friedrich Händel »War-Requiem« von Benjamin Britten
(EAD 26. 5. 1833) (EAD 11. 4. 1968)
8x 7x
»The Dream of Gerontius« von Edward Elgar »Der Rose Pilgerfahrt« von Robert Schumann
(DEA 19. 12. 1901) (UA 5. 2. 1852)
Da nicht alle Aufführungen des Musikvereins in der zugrunde gelegten Zeitspanne zu rekonstruieren sind, können die Zahlen keinen Anspruch auf Verbindlichkeit erheben. Dennoch vermittelt die Liste gerade als subjektive Auswahl, die mit Angaben über die Häufigkeit der Aufführungen verknüpft ist, einen Eindruck davon, was von dem Chor als besonders bedeutsam und repräsentativ eingeschätzt wird. Bei den genannten Werken handelt es sich überwiegend um beliebtes und oft aufgeführtes Chorrepertoire des deutschsprachigen Raumes. 545, also etwa zwei Drittel der gezählten Aufführungen, wurden mit 19 Werken bestritten, die vor dem Ende der Amtszeit von Robert Schumann in Düsseldorf 1854 uraufgeführt worden sind, 278 Aufführungen, etwa ein Drittel, mit 10 Werken, die nach diesem Zeitpunkt erstmals gespielt wurden. Die Prägung des Kernrepertoires begann während der Konzerte der ersten Niederrheinischen Musikfeste mit
Repertoire
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Werken von Händel, Haydn, Mozart und Beethoven. In der Zeitspanne 1833 bis 1853, d. h. zwischen der Ankunft Mendelssohns in Düsseldorf und dem Ende der Tätigkeit Schumanns, wurde dieser Werkkanon um Stücke der beiden Musikdirektoren, Werke einiger weniger Komponisten wie Carl Maria von Weber und Franz Schubert sowie die von Mendelssohn aufgeführten Stücke von Bach ergänzt und gefestigt. Eine Reihe anderer Komponisten wie beispielsweise Willibald Gluck, Luigi Cherubini, Bernhard Romberg, Louis Spohr, Heinrich Marschner, William Sterndale Bennett, Niels W. Gade und Jacques Offenbach gehörten in dieser Zeit mehr oder weniger regelmäßig zum Repertoire des Musikvereins, ohne jedoch dauerhaft in den Werkkanon übernommen worden zu sein. In der Repertoire-Liste des Musikvereins finden sich keine Stücke von ihnen. Auffällig an der dargestellten Schwerpunktsetzung des Vereins ist, dass Mendelssohn und Schumann zusammen in Düsseldorf kaum fünf Jahre aktiv waren und ihre Werke gemäß der Repertoire-Liste keineswegs die Mehrheit der gesamten Aufführungen ausmachen (Mendelssohns Paulus und Elias liegen auf Platz 13 und 14, Schumanns Das Paradies und die Peri, Szenen aus Goethes Faust und Der Rose Pilgerfahrt auf Platz 17, 24 und 29). Entscheidend für das Selbstbild des Musikvereins ist vielmehr ein Kernrepertoire, dessen Zementierung in der Zeitspanne zwischen 1833 und 1853 stattgefunden hat, wodurch Mendelssohn und Schumann zu entscheidenden Referenzpunkten gemacht werden. Dass Probleme in der Zusammenarbeit mit beiden Musikern weniger thematisiert und bisweilen sogar ausgeblendet werden, lässt sich aus dieser Konstellation heraus ebenso erklären wie beispielsweise die Vereinnahmung von Mendelssohns Oratorium Paulus, über das bisweilen berichtet wird, er habe es eigens für die Niederrheinischen Musikfeste 1836 in Düsseldorf komponiert,58 was jedoch nicht den Tatsachen entspricht.59 Ausschlaggebend für die Fixierung auf Mendelssohn und Schumann ist neben ihren musikalischen Kompetenzen die Berühmtheit beider Komponisten, die zu ihren Lebzeiten begann und aktuell ebenfalls für beide Namen in Anspruch genommen werden kann. (Die problematische Rezeption Mendelssohns ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wird bei dieser Zuordnung kaum thematisiert.) Vor diesem Hintergrund ist das konsequente Festhalten des Musikvereins an der Tradition, die in der Phase zwischen 1833 und 1853 begründet wurde, durchaus plausibel. Mit Schumanns Kündigung endete auch das Streben nach Weiterentwicklung und Professionalisierung innerhalb des Düsseldorfer Musiklebens, welches Mendelssohn auf höchstem Niveau angestoßen hatte und das auch von Rietz, 58 Vgl. auch Programmheft 34. Niederrheinisches Musikfest Düsseldorf, 1856, S. 5, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 190, 69, ohne Paginierung. 59 Vgl. Alf, Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 21.
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Hiller und Schumann fortgeführt worden war. Der Verlust der Weisungsbefugnis des Musikdirektors durch die Gründung des Allgemeinen Musikvereins 1845 trug zu dieser Entwicklung sukzessive bei. Spätestens mit der Entlassung des Städtischen Musikdirektors Tausch im Jahr 1861, der bis 1889 nur noch als Dirigent des Musikvereins die Wünsche des Vorstands erfüllte, war mehr oder weniger Stillstand im musikalischen Leben Düsseldorfs eingetreten, was durch interne Konflikte zwischen den Vereinen und der Stadtverwaltung noch befördert wurde. Nach Tauschs Pensionierung bis zu der Zeit, als der Nationalsozialismus in Düsseldorf an Einfluss gewann, agierte der Musikverein in der Rolle eines Konzertveranstalters, was die Notwendigkeit mit sich brachte, sich den Wünschen des Marktes, der städtischen Politik und auch der Meinung der Fachpresse verstärkt anzupassen. Bis 1908 ist hier besonders der Einfluss von Julius Buths zu sehen, der mit Werken von Richard Strauss, Edward Elgar und Gustav Mahler über die Grenzen von Düsseldorf hinaus Eindruck machte. Der große Erfolg in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen, den er 1901 mit der deutschen Erstaufführung von The Dream of Gerontius (»He made history«60) und 1903 mit der erstmals im Rheinland gespielten, in Deutschland durchaus umstrittenen Sinfonie Nr. 2 von Mahler erlangte61 (es war das erste Werk Mahlers, das überhaupt in Düsseldorf erklang), dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass das beide Werke in der Repertoire-Liste des Musikvereins zu finden sind (auf Platz 3 und 28). Auch die unter Karl Panzner erstmals mit dem Chor aufgeführte Sinfonie Nr. 8 von Mahler (auf Platz 9) wurde hoch gelobt,62 ja geradezu als »das Ereignis des Jahres«63 1912 gefeiert. Auch hier trug die erzielte positive Aufmerksamkeit – abgesehen von der außergewöhnlichen Bühnenwirkung des Stückes – sicherlich dazu bei, dass es »noch heute [als] eines der Paradepferde dieses Chores«64 angesehen wird. Trotz dieser einzelnen großen Erfolge zeigt sich für die Zeitspanne zwischen 1890 und 1931 insgesamt, dass mit Musikdirektor Buths und Gastdirigent Schn8evoigt, die beide um ein fortschrittliches Repertoire bemüht waren, im Großen und Ganzen eher Schwierigkeiten entstanden als mit den vergleichsweise traditionalistischen Musikdirektoren Panzner und Weisbach. Unter Balzer wurde der Musikverein aufgrund seiner tendenziell konservativen Repertoiregestaltung schnell und reibungslos in die NS-Kulturpolitik integriert und dafür mit einer Aufwertung seines Chores im städtischen Kulturleben belohnt, die sich in der Einbindung in repräsentative Konzerte, durch positive Pressekritiken und in der Wertschätzung des Generalmusikdirektors zeigte. 60 61 62 63 64
Ebd., S. 41. Vgl. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 112. Vgl. ebd., S. 137. Weber, Der Städtische Musikverein, S. 141. Korfmacher, Städtischer Musikverein, S. 10.
Repertoire
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Die Schwerpunktlegung auf das im 19. Jahrhundert etablierte Kernrepertoire behielt der Musikverein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei, wobei weiterhin ein geringer Prozentsatz seiner Aufführungen mit neuen zeitgenössischen, bisweilen atonalen Werken bestritten wurde, die von dem vertrauten Klangideal weit entfernt waren und für die Mitglieder ähnlich wie für einen großen Teil des Konzertpublikums eine Herausforderung darstellten. In mehreren Fällen kam die Beteiligung des Chores an derartigen Projekten nicht durch seine eigene Initiative zustande. Ähnlich wie schon bei dem Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1922 in Düsseldorf, dessen Beteiligung der Verein aus Statusgründen nur schwer hätte ablehnen können, beschloss der Chor nicht von sich aus, La Transfiguration de Notre Seigneur Jesus-Christ von Oliver Messiaen einzustudieren, sondern tat dies anlässlich des Messiaen-Festes 1986. Auch das Stück Kreitens Passion von Rudi van Dijk war 2003 durch einen Kompositionsauftrag der Düsseldorfer Symphoniker entstanden,65 woraufhin der Musikverein in die Aufführung eingebunden wurde. Einer der Fälle, in denen dieser gezielt die Erarbeitung eines zeitgenössischen Werkes initiierte, war Morgentraum von Edison Denissow 1995, an dessen Requiem der Chor Gefallen gefunden hatte,66 so dass er anlässlich seines 175-jährigen Bestehens bei Denissow eine eigene Komposition in Auftrag gab. Dass es trotz allen Engagements für einen Laienchor bei der Erarbeitung zeitgenössischer Werke Grenzen gibt, erklärte Chordirektor Hartmut Schmidt 1983 damit, dass die Struktur vieler heutiger Avantgarde-Stücke hohe technische Anforderungen stelle, die nur Profimusiker erfüllen könnten. Auch sei es beim Musikverein notwendig, die Mitwirkenden für neue Werke erst einmal zu begeistern; umgekehrt sei diese Begeisterungsfähigkeit aber auch ein Mehrwert, der Reserven freisetzen könne und vom Publikum wahrgenommen werde.67 Zeitgenössische Werke, die als normativ empfundene Hörgewohnheiten herausforderten, stellten nicht nur das bürgerliche Konzertpublikum der Nachkriegszeit vor Probleme, sondern auch den Musikverein, wie zwei Briefe aus den Archivbeständen des Vereins veranschaulichen: Am 4. Januar 1949 teilte ein Vereinsmitglied namens Helmut Koch Chordirektor Rühl schriftlich mit, er wolle bei Honeggers Totentanz nicht mitwirken, da er sich zu dem Werk nicht bekennen könne. Bei anderen Stücken sei das anders: »Dies sind dann die schönsten und beglückendsten Stunden für mich, wenn ich durch meinen, wenn auch noch so bescheidenen Beitrag, meine dankbare Verehrung gegenüber dem Genius des jeweiligen Schöpfers des Werkes zum Ausdruck bringen darf.«68 65 66 67 68
Vgl. Großimlinghaus, Schallarchiv, S. 94. Vgl. ebd., S. 66. Vgl. Gondorf, Der Städtische Musikverein Düsseldorf, S. 11. Brief Helmut Koch, 4. 1. 1949, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 408, 69, ohne Paginierung.
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Seine Verachtung und sein »Hass für eine Kompostition (es ist dies ein beabsichtigter Rechtschreibfehler!) [Einschub im Text von Koch] von der Art des Honeggerschen ›Totentanzes‹« sei zu gewaltig. Honegger könne zwar Musik machen, tue es aber nicht und setze seine Fähigkeiten nicht ein, um »die Menschen zu erheben!« Er solle sich mit seiner Musik an anderem Orte abreagieren, »aber damit nicht auch d e n Teil der Menschheit behelligen, die im Konzertsaal Grösseres erleben möchte!«69 Der Brief schließt mit: »Sehnsüchtig warte ich auf den Tag, an dem ich wieder unter Ihrer [Michael Rühls] liebgewohnten Anleitung einem unsterblichen Musikwerk dienen darf.«70 Zwei Jahre später erklärte Kurt Gzella seinen Austritt aus dem Musikverein, da dieser seine Mitwirkung an dem Stück Das Unaufhörliche von Hindemith eingeforderte habe, wozu er nicht bereit sei, weil für ihn Musizieren keine Berufsbeschäftigung sei. »Wenn man sich mit den Werken Schuberts, Mozarts, Schumanns, Loewe, Wolf, Brahms usw. angefreundet hat, dann kann man nicht so einfach die in meinen Augen ›moderne, neue Musik‹ akzeptieren.«71 Gzella, der der Meinung war, mit seiner Meinung nicht allein zu sein, erläuterte, er wisse beim Anhören nicht, »warum eine solche Musik komponiert werden musste, da die ›alte Musik‹ doch Allgemeingültigkeit behalten hat.«72 Diese Textpassagen zeigen anschaulich die Fixierung der Verfasser auf ein traditionelles Repertoire, die Überhöhung der entsprechenden Werke als ›Größeres‹, ›Unsterbliches‹ und ›Allgemeingültiges‹ sowie die aggressive Ablehnung von Fremdem und Unbekanntem. Die Aussagen spiegeln sicherlich nicht die Meinung aller Mitglieder des Musikvereins wider, aber doch eines gewissen Anteils, der sein Äquivalent in einer unreflektiert fortschrittsfeindlichen Gruppierung innerhalb des konservativen Konzertpublikums der Nachkriegszeit fand. Ausgehend von den beiden Briefen soll abschließend die Frage thematisiert werden, auf welche Weise der Repertoireschwerpunkt und das damit verbundene Image des Musikvereins überhaupt zustande gekommen ist und wie es über die Jahrhunderte aufrecht erhalten wurde. Der Einfluss einzelner Musikdirektoren und Vorstände ist in der vorliegenden Arbeit dargestellt worden, doch es hat sich gezeigt, dass – abzüglich aller Trends der Zeit, Sachzwänge etc. – in letzter Konsequenz niemand anderes als die Mitglieder des Musikvereins für seine künstlerische Arbeit verantwortlich zu machen sind. Die Form des Vereins, die es jedem Mitwirkenden jederzeit erlaubt, den Chor zu verlassen, stellte dies praktisch von Anfang an sicher. Eines der wesentlichen Kriterien des bürgerlichen Vereins, nämlich der freiwillige Beitritt und eben auch Austritt der Mit69 70 71 72
Ebd. Ebd. Brief Kurt Gzella, 23. 2. 1951, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 408, 69, ohne Paginierung. Ebd.
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glieder,73 erweist sich langfristig für seine Identität als entscheidend. Auch wenn viele Mitwirkende das gelegentliche Erarbeiten von modernen und als fremdartig erlebten Werken als eine Herausforderung sahen und mitunter sogar als Bereicherung empfanden, hätte eine – rein hypothetische – vom Vorstand oder Musikdirektor diktierte Verlagerung des Repertoireschwerpunktes auf zeitgenössische Musik die Identität des Chores so stark verändert, dass zu viele Mitglieder langfristig ihren Austritt erklärt hätten und damit die Existenz des Vereins in Frage gestellt worden wäre. In diesem Zusammenhang war und ist auch die Stadt Düsseldorf als Sitz und künstlerischer Wirkungsraum des Musikvereins von Bedeutung. Das hier ansässige Konzertpublikum, welches damals wie heute als eher traditionell und konservativ einzuschätzen ist, außerdem das immer wieder sichtbar gewordene Bedürfnis der Stadt, sich insbesondere durch berühmte Künstler und aufwendige Veranstaltungen zu profilieren, sowie das mit der städtischen Politik eng verbundene Bürgertum boten dem Musikverein ein Umfeld, in dem er mit seinem Repertoire und seinem Traditionsbewusstsein überhaupt erst die Möglichkeit bekam, in der Kulturlandschaft eine entsprechende Position zu erlangen und diese über einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten zu verteidigen.
13.5 Nationalismus Das Wegbrechen bisheriger Sicherheiten, welche die Kirchen, die Aristokratie, das Zunftwesen74 und andere Konstanten geboten hatten, weckte in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ein dringendes Bedürfnis nach Ersatz für diese Verluste. In dieser Situation wurde das Konzept des Nationalstaats relevant, das den Menschen einen »Identitätsanker« und Sinngebung durch Gemeinschaft in Aussicht stellte.75 Doch so vielversprechend das zugrunde liegende Prinzip des Nationalismus auch war – es musste zunächst erst einmal ein Weg gefunden werden, dieses in der Bevölkerung bekannt zu machen und als neues Wertesystem zu vermitteln. Eine gute Voraussetzung dafür war, dass zwischen den Bewohnern bestimmter Regionen Gemeinsamkeiten durch Sprache, Geschichte und Kultur bestanden und gemeinsame Sagen, Tugenden und Symbole vorhanden waren. Von diesen Überschneidungen ausgehend wurde für den ganzen deutschsprachigen Raum eine deutsche Nation konstruiert und damit verbunden ein Nationalgefühl innerhalb der Bevölkerung forciert.76 Dass die deutschen 73 74 75 76
Vgl. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 15. Vgl. Mecking, Deutsche Musik, S. 12. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 13, 18.
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Lande zuvor nur ein Flickenteppich von zahllosen kleinen Fürstentümern gewesen waren und über keine zentrale deutsche Hauptstadt verfügt hatten,77 trug dazu bei, dass der Nationalismus später im Deutschen Reich extreme Formen annahm. In der zunehmend rational funktionierenden und an den Gesetzen des Marktes orientierten Welt lag der Schlüssel für die Verbreitung des Nationalismus als Massenbewegung darin, die Gefühle der Menschen anzusprechen und so das benötigte ›Nationalgefühl‹ entstehen zu lassen. An diesem Punkt fiel der Musik eine entscheidende Rolle zu, da diese als Kunstform in besonderem Maße geeignet ist, Identitäten und Gemeinschaft zu konstituieren, individuelle und kollektive Emotionszustände sowie politische Botschaften zum Ausdruck zu bringen und zu transportieren.78 Die Möglichkeit, durch gemeinsame musikalische Aufführungen bei großen Menschengruppen in erheblichem Maße Energien freizusetzen, ist anhand der Niederrheinischen Musikfeste und den an ihnen beteiligten Musikvereinen sichtbar geworden. Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass Musik in der »akustisch-medial reizarmen Umwelt«79 zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine heute kaum noch nachfühlbare emotionale Wirkung zu entfalten vermochte. Durch das gemeinsame Musizieren in Vereinen und bei Musikfesten wurde für Ausführende und Mitwirkende gleichermaßen die ›deutsche Nation‹ emotional erfahrbar.80 Zugleich mit der Nation und dem Nationalgefühl wurde auch eine Nationalmusik konstruiert, die in ihrer suggerierten Einzigartigkeit zugleich ihre Überlegenheit gegenüber anderen Nationen zum Ausdruck brachte.81 Der zunächst romantisch verklärte Nationalstolz wich im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend chauvinistischen Abwertungen und Hasstiraden gegenüber den benachbarten Nationen.82 Dieser deutsche Geltungsanspruch wurde u. a. mit der überlegenen deutschen Kultur und speziell mit der deutschen Musik begründet.83 Eine wesentliche Voraussetzung, um diese in der gewünschten Weise instrumentalisieren zu können, war die Aufwertung der deutschen Sprache, die im ausgehenden 18. Jahrhundert eingesetzt hatte und langfristig einen sprachgestützten Kulturnationalismus entstehen ließ,84 wodurch sich die Rangverhält77 Vgl. Schleuning, Der Bürger erhebt sich, S. 1. 78 Vgl. Mecking, Deutsche Musik, S. 7. 79 Dietmar Klenke, Deutscher Vereinschorgesang im 19. Jahrhundert zwischen Abgrenzung und transnationalem Austausch – Gesellschaftsgeschichtliche Aspekte, in: Erik Fischer (Hg.), Chorgesang als Medium von Interkulturalität: Formen, Kanäle, Diskurse, Stuttgart 2007, S. 361–368, hier S. 366f. 80 Vgl. Mecking, Deutsche Musik, S. 17. 81 Vgl. ebd., S. 19. 82 Vgl. ebd., S. 15f. 83 Vgl. ebd., S. 21. 84 Vgl. Klenke, Deutscher Vereinschorgesang, S. 361f.
Nationalismus
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nisse der europäischen Sprachen im Laufe des 19. Jahrhunderts zugunsten des Deutschen nachhaltig änderten.85 Als konkrete Vermittlungsinstanz, mit der sich die Gefühle der Bevölkerung wirkungsvoll ansprechen ließen, wurden immer öfter musikalische deutschsprachige Werke für gemeinschaftlich organisierte Gesangsdarbietungen geschrieben und aufgeführt. Da nach humanistischer Auffassung die Sprache ein für das Denken konstitutiver Faktor war,86 bedeutete das Verfassen von Werken in der Muttersprache der Deutschen, dass diese Stücke zur Bildung und Vervollkommnung des Menschen im humanistischen Sinne beitragen konnten. Ein prominentes Beispiel hierfür waren Haydns Schöpfung und Jahreszeiten, deren Inhalt durch die deutschsprachigen Libretti für die Mitwirkenden und Anwesenden verständlich war und darüber hinaus auf organisatorischer Ebene die überregionale Zusammenarbeit zwischen Musikliebhabern in verschiedenen Städten angestoßen hatten. In der Aufführungsgeschichte des Musikvereins spiegelt sich die besondere Bedeutung der Schöpfung wider. Zwar ist es keineswegs das am häufigsten gespielte Stück (auf der Repertoire-Liste der Vereins steht es auf Platz 10), doch wurde es aufgrund seines hohen Symbolgehaltes sowie als Referenzpunkt auf den Entstehungskontext des Vereins oft zu besonderen Gelegenheiten wie Gedenk- und Benefizkonzerten, Jubiläen und Gastspielen aufgeführt87 und bekam dadurch einen exklusiven Charakter. Der Nationalismus entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in immer radikalerem Maße fort und blieb auch über das Ende des Kaiserreiches 1918 hinaus im Denken des deutschen Bürgertums verankert, wofür weiterhin in besonderem Maße die Idee einer »unbesiegbaren ›deutschen‹ Musik« verantwortlich war, die »als tradierter Mythos« Trost spendete88 und half, den Verlust des Krieges zu verschmerzen. Die große emotionale Wirkung des gemeinsamen Singens und die Existenz eines »symbolischen Designs« waren so wirksam, dass der Chorgesang eine tragende Säule der deutschen Nationalkultur in der Zeit des Nationalsozialismus werden konnte.89 Ähnlich wie die Musik wurde auch das nationalistische Konstrukt der ›deutschen Sprache‹ als maßgeblich für das Bewusstsein der deutschen Nation in der NS-Zeit dargestellt, wie ein Artikel im Programm der Reichsmusiktage von 1938 veranschaulicht: Da die deutsche 85 Vgl. ebd., S. 363. 86 Vgl. Zichy, Das humanistische Bildungsideal, S. 38. 87 Als Beispiele seien genannt: Gedenk- und Benefizkonzert 1824 für den verstorbenen ersten Musikdirektor der Stadt August Burgmüller ; das 100-jährige Jubiläum des Vereins 1918, das 125-jährige Jubiläum 1944 (in Ausschnitten), das 140-jährige Jubiläum des Vereins 1958 (mit Verleihung der Zelter-Plakette); das erste Konzert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945; 1959 Gastspiel in Paris, 1979 in Boulogne-sur-Mer, Lille und Paris. 88 Mecking, Deutsche Musik, 2016, S. 22. 89 Vgl. Klenke, Deutscher Vereinschorgesang, S. 363f.
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Analyse: Ideal und Realität des bürgerlichen (Musik-)Vereinswesens
Sprache das »ideale Abbild der deutschen Seele« und das »Deutscheste vom Deutschen« sei, müsse die »gesamtdeutsche Sprache« in allen Bereichen des Alltags – auf der Kanzel, in der Schule, auf Bühne und Podium, im Rechtswesen, in der Politik, im Rundfunk, auf Schallplatten und als Kommandosprache des Militärs – im nationalsozialistischen Sinne gepflegt werden.90 Die Vereinnahmung von ›deutschen‹ Kompositionen, denen ›deutsche‹ Texte zugrundelagen, ebenso wie die der bürgerlichen Ideale und der bürgerlichen Kultur hat die Einbindung des Musikvereins in die politische Propaganda der Nationalsozialisten in Düsseldorf anschaulich gezeigt. Buddes Einschätzung, dass die »schrecklichen Folgen eines so jeden Liberalismus entkleideten Nationalismus, die sich dann im 20. Jahrhundert offenbarten, … auch weite Teile des Bürgertums mitzuverantworten« hatten,91 hat ihre Berechtigung.
13.6 Musikvereine und Politik Als der Musikverein 1822 bei der preußischen Regierung um die Anerkennung seines Statuts bat, tat er dies nicht ohne den Hinweis auf die »keineswegs politischen Zwecke des Vereins«92. Auch in den später verfassten Statuten sind Zweck und Zielsetzung seines Tuns dem Wortlaut nach stets unpolitisch und rein auf künstlerische Aktivitäten ausgerichtet, u. a. Beförderung der Tonkunst, Pflege des Chorgesangs, Fortbildung der Mitglieder, Förderung internationalen Austauschs, Musikerziehung der Jugend etc. – eine Haltung, die sicherlich auch von vielen anderen musikalischen Vereinen damals wie heute geteilt wird. In der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass dieses Selbstbild nicht der Wahrheit entspricht. So stellt Hardtwig dar, dass es im 19. Jahrhunderts schon früh zu Einflussnahme bürgerlicher Musikvereine auf die städtische und kommunale Politik kam, da zahlreiche ihrer Mitglieder städtische Politiker und Beamte waren. Auch wenn diese Verflechtung nicht selten für alle Beteiligten Vorteile mit sich brachte, erzeugten sie einen eklatanten Widerspruch zwischen den erhobenen Ansprüchen der Vereine und der Realität.93 Gerade der Düsseldorfer Musikverein repräsentierte von Anfang an durch seine Mitglieder das gebildete, einflussreiche Bürgertum, band sich früh durch 90 Carl Clewing, Deutsche Hochsprache im Großdeutschen Reich, in: Reichsmusiktage 1938, Programmheft, [S. 21–23, hier S. 22f.]. 91 Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 58f. 92 Brief Musikverein an die Regierung 11. 10. 1822, LAV NRW Abteilung Rheinland, BR 0007 Nr. 295, Blatt 21b. 93 Vgl. Wolfgang Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens in Deutschland 1789–1848, in: Dann, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft, S. 11–50, hier S. 26.
Musikvereine und Politik
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Vereinbarungen und Verträge an die Stadt und wirkte auf Personalentscheidungen, die Vergabe von Geldern und andere Entscheidungen der städtischen Verwaltung ein. Abgesehen von solch offensichtlichem Handeln agierte der Musikverein auch auf anderen Ebenen politisch. Hierzu gehören Aktivitäten des Benefiz und der Erinnerungskultur, die Pflege internationalen Austauschs sowie das Implementieren und Festigen eines bestimmten Werkkanons, der für Teile der Bevölkerung Repräsentationscharakter hat, wodurch Wertvorstellungen verändert und Verhaltensweisen und Handlungen von Menschen gesteuert werden können. Die Tendenz, Kultur im Vergleich mit Wirtschaft, Gesundheitswesen und anderen Teilbereichen der Politik als eher unbedeutend einzustufen, birgt große Risiken – hat doch die deutsche Geschichte anhand zahlreicher Ereignisse gezeigt, auf welch vielfältige Weise und in welchem Ausmaß Kultur und konkret die Musik auf politische Entwicklungen Einfluss nehmen können.
14. Resümee
Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf, anhand dessen Geschichte in der vorliegenden Arbeit die Bedeutung und Entwicklung der bürgerlichen Musikkultur exemplarisch untersucht und dargestellt wurde, ist in vielen Punkten für diese repräsentativ. So boten die ersten Niederrheinischen Musikfeste ein Umfeld, in welchem gebildete und vermögende kunstliebende Vertreter des städtischen Bürgertums eine Rolle übernahmen, die bis dato dem Adel und dem Klerus vorbehalten gewesen war. Sie begannen damit, in Eigenregie Chorwerke zur Aufführung zu bringen, auch wenn diese in der Anfangszeit oft noch in recht improvisierter Weise stattfanden. In den ersten Jahren orientierten sich die Veranstalter primär an den von dem jungen Bürgertum vertretenen humanistischen Idealen, zu denen u. a. der Anspruch zählte, sich durch die Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken selbst weiterzubilden und zu vervollkommnen, aber auch zur Verbesserung der Lebensumstände anderer Menschen einen Beitrag zu leisten. Dementsprechend bemühten sich die Veranstalter darum, die Musikfeste über gesellschaftliche Schranken hinweg für Mitwirkende und Besucher jeden Standes zugänglich zu machen. Für die Ausweitung ihrer musikalischen Aktivitäten vor Ort wurde die bis heute praktisch unveränderte Organisationsform des bürgerlichen Vereins gewählt, welcher in Düsseldorf von Anfang an als gemischter Chor auftrat. Der bei den Niederrheinischen Musikfesten nach Kräften praktizierte Idealismus wurde in der Theorie aufrecht erhalten, indem der neu gegründete Musikverein laut seinen Statuten allen Düsseldorfern offen stand, doch faktisch waren Personen aus niederen Kreisen durch Beitrittsgelder und das Aufnahmeprocedere im Prinzip ausgeschlossen. Den Mitgliedern erlaubte das gemeinschaftliche Praktizieren von Musik innerhalb des Vereins die Selbstvergewisserung ihrer Bedeutung und ihrer Rolle in der Gesellschaft und verschaffte ihnen darüber hinaus die Möglichkeit, auf das städtische Kulturleben Einfluss zu nehmen, soziale und berufliche Kontakte zu pflegen, Anerkennung zu erlangen und an Unterhaltung und Geselligkeit teilzuhaben. Das Repertoire, das sich der Musikverein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erarbeitete, bestand zu einem
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Resümee
nicht geringen Teil aus zeitgenössischen, modernen Werken. Es war also explizit eine fortschrittliche Musikkultur, die hier identitätsstiftend auf das Bürgertum einwirkte. Zu den Entwicklungsschritten der Vereinsgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die typisch für die bürgerliche Musikkultur waren, gehörte die Anpassung an die fortschreitende Professionalisierung des Musikmarktes, die dazu führte, dass bei Konzerten die Laien-Solisten durch Berufsmusiker ersetzt wurden. Darüber hinaus wurde das Repertoire des Musikvereins von dem sich ausbreitenden Nationalismus in der Gesellschaft beeinflusst und bekam eine konservative Ausrichtung. Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vollzog der Verein die Entwicklung der musikalischen Moderne nur in geringem Maße mit; stattdessen hielt er weiterhin an seinem traditionellen Repertoire und auch an seinen in mancher Hinsicht altmodischen Strukturen fest. Im Nationalsozialismus fügte sich der Musikverein ohne nennenswerten Widerstand in die politische Propaganda der Regierung ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges machte er es sich umgehend und wie selbstverständlich zur Aufgabe, die städtische Kultur unter Rückgriff auf frühere musikalische Traditionen wiederzubeleben, womit der Verein wie ein großer Teil der deutschen Bevölkerung das Prinzip der Verdrängung praktizierte. Eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der eigenen Rolle in diesem suchte er nicht. Als sich wenig später die junge Bundesrepublik um ihre Anerkennung durch die Westmächte bemühte, unterstützte der Musikverein wie von Adenauer gewünscht den kulturellen Austausch mit Frankreich und anderen westlich orientierten Ländern. Durch seine Konzertreisen und Schallplattenaufnahmen partizipierte er seit den 1960er Jahren am stetig wachsenden Musikmarkt. So unterschiedlich Momentaufnahmen aus der langen Geschichte des Vereins auch wirken mögen, sie haben doch immer eines gemeinsam: Das jeweilige Profil des Musikvereins repräsentiert aktuelle Befindlichkeiten der Gesellschaftsschicht, aus der seine Mitglieder stammen. Darüber hinaus verdeutlicht die Geschichte des Musikvereins insgesamt, dass die praktizierte Musikkultur für seine Mitglieder weit mehr war als nur schmückendes Beiwerk ihres bürgerlichen Lebens, sondern für dieses von existenzieller Bedeutung. So reichte der persönliche Einsatz der Mitglieder von der zeit- und kostenintensiven Beteiligung an zahlreichen Konzerten in verschiedenen Kontexten (Kirche, Musikfeste, städtische Kultur und Auslandsreisen) über das Anwerben berühmter Musiker als Gastsolisten oder langfristig beschäftigte Dirigenten, das Beschaffen von Geldern, wofür teilweise hohe Risiken eingegangen wurden, bis zu der Bereitschaft, Intrigen zu spinnen und auf städtische Entscheidungsträger massiven Druck auszuüben, wie beispielsweise im Zusammenhang mit den Personalien Norbert Burgmüller, Robert Schumann, Julius Tausch, Johannes Brahms und Julius Buths sichtbar geworden ist.
Resümee
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Auch wenn der Musikverein in seiner Entwicklung insgesamt als ein typischer Vertreter der bürgerlichen Musikkultur gelten darf, so waren seine Struktur und seine Geschichte doch auch von regionalen Charakteristika individuell beeinflusst und geprägt, was ihm seine besondere Rolle innerhalb der Stadtgeschichte einbrachte. Nach der Erfahrung der Düsseldorfer Anfang des 19. Jahrhunderts, den Status einer ruhmreichen Residenzstadt verloren zu haben, der Verunsicherung durch die langjährige französische Besatzung und der anschließend aufgezwungenen preußischen Regierung wuchs im Bürgertum, das immer mehr an politischem Einfluss gewann, das Bedürfnis, sich der eigenen Identität zu versichern. Dieser Umstand trug zusammen mit der schwachen Position der Kirchenmusik und einer kaum ausgebildeten musikalischen Tradition der Stadt dazu bei, dass Leerstellen in Düsseldorfs Kulturleben existierten, welche rasch und selbstbewusst von den Bürgern besetzt werden konnten. Schon bald entlasteten sie die Stadt durch das Bestreiten der Kirchenmusik, brachten durch die Beteiligung an den Niederrheinischen Musikfeste Geld in die Kassen und holten prominente Künstler nach Düsseldorf. Auf diese Weise trugen die im Musikverein organisierten Bürger Anfang des 19. Jahrhunderts dazu bei, dass die Kultur in Düsseldorf zu einem wesentlichen Faktor heranwuchs, der durch Berühmtheit und Renommee das Image der verschlafenen Kleinstadt beseitigte. Die im Wesentlichen vom bürgerlichen Engagement getragenen kulturellen Aktivitäten traten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich in den Hintergrund, da nun die Industrialisierung Entwicklung und Reputation der Stadt bestimmte. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin wurde jedoch der Ruf laut, Düsseldorf möge sich wieder auf seine künstlerischen Traditionen besinnen, um ein Gegengewicht zu der einseitigen Ausrichtung auf wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen. In noch deutlich aggressiverer Weise wurde im NS-Regime das Bild der ›Kunststadt Düsseldorf‹ hervorgekehrt und zu Propagandazwecken eingesetzt. Seinen früh erworbenen großen Einfluss innerhalb Düsseldorfs verteidigte der Musikverein über die zwei Jahrhunderte seiner Existenz mit Nachdruck, was sich u. a. an seinem häufigen Eingreifen in die Kulturpolitik der Stadt ablesen lässt, aber auch an dem Einfordern des Rechtes, seinem Namen ab 1890 offiziell das Attribut ›städtisch‹ hinzufügen zu dürfen, sowie an der Wahl eines Vereinswappens im Jahr 1984, das sich offensichtlich an dem Düsseldorfer Stadtwappen orientiert. Das in der Öffentlichkeit kommunizierte Image Düsseldorfs als Musikstadt ist in der Literatur keineswegs unumstritten. So kritisieren verschiedene Autoren, dass die Stadt sich für diese Zuschreibung primär auf berühmte Namen und große, repräsentative Veranstaltungen in ihrer Geschichte stützt, was allein jedoch nicht ausreicht, um das Fehlen eines grundlegenden musikalischen Fundaments durch die Bildung der Bevölkerung sowie die nicht vorhandene mu-
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Resümee
sikalische Tradition der Stadt auszugleichen.1 Vor diesem Hintergrund darf es nicht überraschen, dass der Musikverein als Vertreter des städtischen Bürgertums neben seinen unbestreitbaren Verdiensten auch dazu beigetragen hat, die auf Repräsentation ausgerichtete Darstellung Düsseldorfs in der Öffentlichkeit zu verstärken. Dass der Grundcharakter der bürgerlichen Musikkultur nicht zuletzt von Aspekten der Widersprüchlichkeit gekennzeichnet ist, spiegelt sich im Musikverein bis in die heutige Zeit wider : Trotz der Einbindung in den Musikmarkt wird versucht, bürgerliche Ideale wie die der eigenen Bildung und einer Verbesserung der Gesellschaft durch die Auseinandersetzung mit Musik aufrecht zu erhalten. Zugleich ringt der Verein um seinen Umgang mit Traditionen, die im 19. Jahrhundert begründet wurden und an denen festzuhalten ebenso seine Daseinsberechtigung in Frage stellen kann wie die Entscheidung, sie über Bord zu werfen. Zwei Jahrhunderte lang hat der Musikverein verschiedene Positionen in Düsseldorf vertreten, war prägender Faktor des gesellschaftlichen Lebens, Identitätsstifter und Bewahrer eines kulturellen, musikalischen Gedächtnisses. Möglicherweise kann in der heutigen Zeit die Reflexion seiner Geschichte Anhaltspunkte liefern, um Klarheit über seine Identität zu erlangen und seinen Platz in der Gesellschaft der Stadt Düsseldorf zu bestimmen. Es liegt in den Händen seiner Mitglieder, auf diese Fragen überzeugende Antworten zu finden.
1 Vgl. beispielsweise Darius, Musik Elementarschulen, S. 23, 26, 29 und 31; Peters, Bürgerliche Musikkultur, S. 366–367; Cecelia Hopkins Porter, The Reign of the »Dilettanti«: Düsseldorf from Mendelssohn to Schumann, in: The Musical Quarterly 73/4 (1989), S. 476–512, hier S. 481, 497, 499; Volker Kalisch, Düsseldorf – eine Stadt der Musik?, in: Benedikt Mauer/Enno Stahl (Hg.), Düsseldorfer Erinnerungsorte, Essen 2018, S. 120–124.
Volker Kalisch
Nachbetrachtung: »Bürgerliche Musikkultur« – was ist das?
Gerne mache ich von der Möglichkeit Gebrauch, den mir im Sinne einer Nachbetrachtung zur Verfügung gestellten Raum zur Klärung und Behandlung des auch in dieser umfassenden Studie zentral gestellten Phänomens des »Bürgerlichen« in seinen Verbindungen mit »bürgerlicher Musik«, »bürgerlicher Musikkultur« oder »Musik« bzw. »Musikkultur des Bürgertums« usf. aufzugreifen und zu nutzen. Und dies umso mehr, als nicht nur in der gängigen musikwissenschaftlichen Literatur wie im alltäglichen Sprechen über Musik die Benennung bürgerlich alles andere als irgendein präzises, gar selbstverständliches Dasein fristet. Als definierter, fest umrissener und eingeführter Begriff mit genauem Bezeichnungsfeld ist bürgerlich hingegen in der relevanten (Musik-)Literatur des 18. und des gesamten 19. Jahrhunderts kaum existent. Und noch in jüngster Zeit wurde deshalb in der (kultur- bzw. sozialgeschichtlich orientierten) Musikwissenschaft versucht, Erscheinung wie Wesen des Bürgerlichen in der Musik an die Analyse seines supponierten gesellschaftlichen Trägers samt dessen spezifischen Musik-(»Werke«) und Darbietungsformen (»Konzert«) anzukoppeln. Ein Versuch, der freilich schon deshalb genauso problematisch wie zum Scheitern verurteilt war, weil er stillschweigend sich in die empirisch nicht nachweisbare Prämisse verstrickte, das Moment des Bürgerlichen müsse sich dann eben als Epiphänomen in einer bestimmten Art von Musik (Gattungen, Stilistiken) inhaltlich oder in bestimmten Kompositionstechniken (motivisch-thematisches Arbeiten) strukturbildend widerspiegeln und sich in bestimmten musikalischen Formen und exklusiven Gehalten dingfest machen lassen. Hier hingegen soll der Versuch unternommen werden, bürgerliche Musik und bürgerliche Kultur gemeinsam und aufeinander bezogen in den Blick zu nehmen, beide als Phänomene eigener Prägung, Art und Dynamik zu verstehen – allerdings verschränkt in eine bestimmte Haltung und Überzeugung in die prinzipielle Gestaltungsfähigkeit der Kulturbestände gegenüber, die dann der Musik insgesamt eine neue kulturelle Bedeutung innerhalb der (sich zunehmend verbürgerlichenden) Gesellschaft und damit eine eigene soziologische
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Wertigkeit sicherte. Nur so lässt sich auch erklären, warum schließlich nicht nur weite, über das Bürgertum hinausgreifende gesellschaftliche Schichten – eine ohnehin recht unbestimmte soziale Gruppe oder Schicht – die bürgerliche Musik pflegten, noch selbst randständigen Gruppierungen ihr gleichgültig gegenüberstanden. Mag das Publikum, das in dieser oder jener Weise an der neuen, der bürgerlichen Musik, Anteil nahm, vielleicht auch proportional von vor allem bürgerlichen Kreisen (oder was wir darunter zu verstehen geneigt sind) gebildet worden sein (jedenfalls mehr als von anderen), so ist diese Disproportionalität weitgehend ein Resultat äußerer Bedingungen. Sie ist jedenfalls nicht ein Beweis für die Soziogenese der bürgerlichen Musik aus den ›Soziallagen‹ einer vermeintlich bürgerlichen Klasse oder Schicht. Denn unleugbar partizipierten an dieser Musik, obschon disproportional, alle Schichten, wenn auch auf ihre je eigene Weise, wobei dem Adel gerade in der Anfangsphase der bürgerlichen Musik vielleicht sogar eine Vorreiterrolle zukam – er sich zumindest in keiner Weise mit der bürgerlichen Musikkultur schwertat und sich häufig genug sogar als deren Mäzene erwies (von der Unterstützung und Förderung einzelner Musiker angefangen bis hin zur Bildung von Zirkeln bzw. zur gezielten Erweiterung der Salonkultur). Wie es im Besonderen auch im Interesse wie Ziel einer langsam zum Selbstbewusstsein findenden und sich organisierenden Arbeiterschaft lag, gerade die für sie eingeschränkten Partizipationschancen anzuklagen, ohne deshalb sich etwa gegen die bürgerlichen Werteideale selbst zu wenden. Eine etwa ›klassenspezifische Definition‹ von Kunst/Musik und Kultur lag gerade der Sozialdemokratie fern, auch wenn der Betonung von Selbsttätigkeit und Selbstentwicklung (insbesondere in den Arbeiterbildungsvereinen) etwas durchaus (»Klassen«-)Kämpferisches innewohnte, insofern dies die Reaktion auf einen zunehmend abgehobenen und verkapselten Kulturbegriff und insofern auf die soziokulturelle Verkrustung des Bürgertums beschreibt.1 Phänomene bürgerliche Kultur sind eben weder mit ihrem sozialen Träger und nur bedingt mit ihrer sozialen Herkunft zu identifizieren, sondern greifen in ihrem Geltungswie Wirkungsanspruch weit über eine Klassen-, Schicht- oder Gruppenspezifik hinaus.
1 Vgl. Klaus Tenfelde, Vom Ende und Erbe der Arbeiterkultur, in: Susanne Miller/Malte Ristau (Hg.), Gesellschaftlicher Wandel – Soziale Demokratie. 125 Jahre SPD. Historische Erfahrungen, Gegenwartsfragen, Zukunftskonzepte, Köln 1988, S. 155–172.
Nachbetrachtung
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Bürgerliche Kultur und bürgerliche Musik Die Bedeutung des Ineinanders von bürgerlicher Kultur und bürgerlicher Musik zeigt sich also schon daran, dass das eine offensichtlich nicht ohne das andere auskommen und gedeutet werden kann. Das scheint auf den ersten Blick eine gewagte These zu sein. Doch sowohl Genese als auch Wesen der bürgerlichen Musik verweisen darauf, dass sie selbst mächtiger und wesentlicher Ausdruck der bürgerlichen Kultur ist. Mächtig und wesentlich insofern, als bürgerliche Musik einige wesentliche Aspekte der bürgerlichen Kultur zur Darstellung bringt, bürgerliche Kultur in sich aufnimmt und wirksam werden lässt, und somit konkretisiert, was sonst bloße Idee und schönes Anliegen geblieben wäre. Es ist deshalb auch mit ein Grundanliegen vorliegender Nachbetrachtung, dass die Wirkungs- und Durchsetzungsgeschichte der bürgerlichen Kultur umgekehrt nun auch an Geltung und Wirkung der bürgerlichen Musik angekoppelt bleibt, also, dass die bürgerliche Kultur nicht die Gestalt hätte annehmen oder Repräsentativität erlangen können, ohne die bürgerliche Musik. Darin bewahrheitet sich die Einsicht, dass bürgerliche Musik ein, aber eben ein wesentlicher Faktor ist, der der bürgerlichen Kultur ihre Repräsentativität sowie Geltung sicherte. Und diese Leistung konnte sie deshalb erbringen, weil ihr in besonderem Maße die Gestaltung der menschlichen Innenlagen – worunter hier die Gesamtheit der Gefühle, Stimmungen, Triebregungen, Emotionen usw. verstanden sein soll – oblag, die sie mit ihren eigenen Mitteln und in eigener Art aufgriff und gestaltete, um sie so dem menschlichen Bewusstsein sowie dem gesellschaftlichen Zusammenleben zu erschließen. Genau diesen Punkt will die hier angestellte Nachbetrachtung wichtigmachen. Sie kann die bürgerliche Musik in ihrer Rolle und Bedeutung für die bürgerliche Kultur nur erörtern, weil sie sich auf die Frage einlässt, wie und warum bürgerliche Kultur entstand, was ihr Wesen, ihre Wirkung, ihre Form und Inhalt, was sie für ihre sozialen Träger und in welchen darüber hinausgreifenden Vergemeinschaftungsformen bedeutet. Ihr Ausgangspunkt ist, wie hier der Zweifel an der rein sozialen Deutung der bürgerlichen Musik, so dort die Skepsis gegenüber der soziologistischen Interpretation der bürgerlichen Kultur. Vielmehr gelten die Fragen: was war (und ist) bürgerliche Kultur, in welchen Phänomenen äußert sie sich, wie steht Musik zu ihr, welche Bedeutung hat Musik in ihr? Dabei geht die Nachbetrachtung von der Verzahnung beider Phänomene aus, was impliziert, dass die Frage nach der bürgerlichen Musik immer auch die Frage nach der bürgerlichen Kultur aufwirft und umgekehrt, dass beides über das hinausgreift, was mit der platten Identifikation des sozialen Trägers Bürgertum in dessen sozialer Begrenztheit ausgesagt und über dessen kulturelle Wertigkeit erkannt werden könnte. Oder um es mit den Worten des heute leider weitgehend vergessenen Sozi-
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alphilosophen und Theaterdirektors Max Burckhard (1854–1912) von 1895 auf das bürgerliche 19. Jahrhundert bzw. seine neuartige Vergesellschaftungsdynamik zurückblickend zu belegen: »Die Bedeutung, welche eine weitgehende Popularisierung der Kunst für die Entwicklung der sozialen Bewegung haben kann, liegt meines Erachtens viel tiefer, sie liegt [nämlich] darin, dass die Kunst neben der Religion das einzige Band ist, welches alle Menschen [!], welchem Stande, welcher Nation, welcher Bildungsstufe sie angehören mögen, verbindet, dass sie die Brücke ist, auf welcher heute schon der König und sein geringster Unterthan [!], der Latifundienbesitzer und der um Taglohn Arbeitende [!], der Großindustrielle und der Proletarier [!], der Gelehrte und der Analphabet [!] sich begegnen könne – denn ein gewisser Sinn für künstlerische Darbietungen, sei es im Bilde, sei es durch Worte, sei es durch melodische Tonreihen, ist fast jedem Menschen eigen«.2
Ernüchtert wird auch, wer Rat und Unterstützung in der üppig existierenden Sekundärliteratur zu diesem Thema sucht. Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, dass zwar der bürgerlichen Musikkultur ausreichend (hinsichtlich der Materialebene!) Spezialuntersuchungen gewidmet worden sind, dass sie aber stets, wo von ihr die Rede ist, als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt wird, ohne sie als Ganzes, als eine umfassende Kulturerscheinung eigener Physiognomie, Spielart und Bedeutung, eigens in den Blick zu nehmen. Mehrheitlich wird sie als Epiphänomen einer ihrerseits nicht durchschauten und lediglich als Schlagwort benutzten (ver)bürgerlich(t)en Gesellschaft(sschicht) gedeutet. Nie ist versucht worden, Wesen und Eigenart der bürgerlichen Musikkultur anhand ihrer sozialen Prozesse, deren Wegbereiter sie ist, zu erklären, nie, sie in Wechselwirkung mit der »bürgerlichen Musik« selbst zu bringen. Das aber klammert aus, worum es ihr selbst immer ging: nämlich um die Entfaltung einer nachhaltigen kulturellen Bedeutung. Das wird im Übrigen gerade dort deutlich, wo man begriffsgeschichtliche Untersuchungen sowohl zum Begriff bürgerlich als auch zu Musik, Kultur oder Musikkultur und deren Kombinationen konsultiert. Sofern diese Begriffe überhaupt hinsichtlich ihrer Entstehung, Bedeutungswurzel und Verwendung untersucht worden sind, so stellt sich sehr schnell heraus, dass gerade bürgerliche Musik bzw. bürgerliche Musikkultur ein gegenüber dem Phänomen nachträglich insinuierter, retroperspektiver Begriff ist. In den gängigen musikwissenschaftlichen Nachschlagewerken und Lexika tauchen »bürgerliche Musik« und »bürgerliche Musikkultur« ohnehin nicht als eigenständige Stichworte auf, auch wenn sie überall und selbstverständlich zur Beschreibung sowie Erklärung bestimmter musikalischer bzw. musikhistorischer Sachverhalte benutzt werden. Von bürgerlicher Musik oder bürgerlicher Musikkultur sprachen 2 Max Burckhard, Aesthetik und Sozialwissenschaft. Drei Aufsätze, Stuttgart 1895, S. 16.
Nachbetrachtung
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jedenfalls nie jene Personengruppen, die wir heute für deren Träger halten; sondern als Termini sind sie Reflexionsbegriffe, als solche ihrerseits späte und geschichtliche Ergebnisse der auf sich selbst reflektierenden bürgerlichen (Musik-)Kultur. Ganz nebenbei enthüllt sich so ein erster, aber wichtiger Wesenszug der bürgerlichen Kultur. Sie liegt eben nicht einfach vor und kann auch nicht als fester Bestand weitergegeben werden, sondern sie selbst wird laufend generiert und erzeugt dabei selbst laufend neue Probleme und Forderungen – und zwar in allen ihren Bereichen, ihrem ganzen Umfang und Bedeutung nach. Wenn also hier von bürgerlicher Musik als einem besonderen Repräsentations- und gegenseitigen Verweismodus bürgerlicher Kultur die Rede ist, so geschieht dies in dem Bewusstsein, dass bürgerliche Musik weder bereits als Fach- bzw. definierter Terminus für einen bestimmten musikalischen Sachverhalt noch für eine bestimmte musikgeschichtlich abgegrenzte Epoche, noch als eigenständiges, schichten- bzw. klassenspezifisches kulturelles Phänomen oder etwa als eine besondere Stil- bzw. Spielart existiert. Bürgerliche Musik wird hier vielmehr als ein musikgeschichtlich relevantes Phänomen begriffen, in und an dem die Wirkung sowie Bedeutung der von Friedrich H. Tenbruck (1986) durch vier Momente gekennzeichneten bürgerlichen Kultur gezeigt werden kann. Unter diesen vier Momenten, die die Eigenart bürgerlicher Kultur vorläufig beschreiben, sind zu verstehen: 1. die schrittweise Ablösung der öffentlichen Autoritäten von Religion, Theologie und Kirche durch Wissenschaft; 2. die damit zusammenhängende geistige Verselbstständigung der Kultur, die sich nun selbst in Autonomie (neu) bestimmen muss, den Menschen als Ganzes in den Blick nimmt und dabei stets 3. auch außerhalb der Wissenschaft (doch von ihr angeregt und sie wiederum anregend) in den Zustand der laufenden Produktion von Kultur übergeht, der alle Seiten des Lebens erfasst und immer neu durchdringt, was 4. nur durch ständige Ausweitung der »Publika« möglich wird und damit zu einer immer umfassenderen kulturellen Vergesellschaftung unter Beteiligung immer weiterer Kreise und Zirkel führt.3 Ich stelle deshalb auch die Frage nach den Charakteristika bürgerlicher Musik, um dies noch einmal hervorzuheben, nicht so sehr im Sinne eines ›was‹ und ›wie‹, sondern vielmehr im Sinne der Frage nach der Bedeutung, die die in der Musik selbst waltenden Vorgänge und Entwicklungen für die bürgerliche Kultur haben, und die es weiter erlauben, bürgerliche Musik sowohl als eine Art Kulturtypus als auch historisch konkret die Musik ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis 3 Vgl. Friedrich H. Tenbruck, Bürgerliche Kultur, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 27 Kultur und Gesellschaft, 1986, S. 263–285.
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heute als bürgerliches Kulturphänomen soziologisch anzusprechen. Die in der (musik-)wissenschaftlichen (Fach-)Literatur bereits charakterisierten, teils bisher noch gar nicht oder nur unzureichend in den Blick genommenen Erscheinungen werden im Übrigen dort neu bzw. anders zu deuten sein, wo sie auf ihren systematischen Zusammenhang mit der bürgerlichen Kultur hin untersucht werden, d. h. wo sie als typische bürgerliche Phänomene ihren Anfang nahmen, sich in bedeutsamer Wechselwirkung mit der allgemeinen Kulturlage entfalteten, eine Eigendynamik gewannen und sich schließlich in dieser Dynamik zu völlig neuartigen Phänomenen eigener Bedeutung wandelten und von dort aus den Anstoß zu weiteren und zum Teil gänzlich unvorhergesehenen (bis ungewollten und sogar gegenläufigen) Entwicklungen gaben. Die bürgerliche Musikkultur soll deshalb aus einer Fragehaltung heraus dargestellt und untersucht werden, die sich dreier Leitthesen verpflichtet weiß: 1. Bürgerliche Musik ist Bestandteil und Ergebnis bürgerlicher Kultur, welche selbst ein neuartiger Kulturtyp ist, zu dessen Merkmalen nicht nur ganz bestimmte, eigenständige Kulturinhalte und Werte, sondern gleichermaßen auch bestimmte dynamische Formen der Generierung, Verbreitung, Bedeutung und Geltung dieser Inhalte gehören. 2. Kunst bzw. Musik haben sich als bürgerliche konstituiert und in dem Maße durchgesetzt, wie sich der an Idealen und Weltverständnissen orientierte Mensch in den Kunstprodukten (›Werken‹) wiederfinden und sich mit ihnen persönlich identifizieren konnte sowie in dieser Selbsterkenntnis sich zugleich grundsätzlich mit anderen Menschen, Gruppen, Gesellschaften, Landsmannschaften, Völkern und Nationen verbunden wusste. 3. So anscheinend selbstverständliche Sachverhalte in diesen Thesen angesprochen werden, so schwierig ist die Aufgabe, deren Entstehung und Ziel, nämlich ein bestimmtes Verhältnis des Menschen zu sich selbst in der Musik, aus den grundlegenden geschichtlichen Vorbedingungen zu erklären, und darüber hinaus diesen Vorgang als von so grundlegender gesellschaftlicher Bedeutung anzusprechen, dass sich im individuellen Prozess der Selbsterkenntnis zugleich Formen kollektiver Bewusstwerdung und Verbindung widerspiegeln und brechen. Entscheidend für Beginn, dynamische Entfaltung und schließlich überragende Durchsetzung bürgerlicher Kultur bis in die bürgerliche Musik hinein war somit ihre entschiedene Hinwendung zum Einzelnen als Menschen mit all seinen komplexen Innenlagen, der als Mensch immer und zugleich aber auch als soziales Wesen und damit als Mitglied in einem ihn übersteigenden und gleichzeitig ihn mitformenden sozialen Zusammenhang verstanden wurde. Dies vollzog sich in der Tat erst im Laufe des 18. Jahrhunderts und sicherte nun den
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Innenlagen des Menschen eine neue, sich von Religion und Statusdefinitionen langsam emanzipierende Aufmerksamkeit.
Bürgerliche Musik und menschliche Innenlagen Wurde die Innenlage des Menschen zuvor durch die objektive Bedeutung der alten Autoritäten und Ordnungen aufgefangen sowie geregelt, geraten sie nun dem Einzelnen zum Problem, darüber hinaus zur permanenten Gestaltungsaufgabe. Denn in der Konsequenz aufgeklärten Verstehens liegt es geradezu, sich nicht nur von der traditionellen Geltung veränderbar erfahrener, überindividueller Autoritäten zu lösen, sondern sich auch von den Zwängen und Mächten zu befreien, die, zunächst nur dunkel erahnt, verantwortlich für die eigene Lebensführung sowie für das eigene Weltverständnis gemacht werden. Der sich ›autonom‹ denkende Mensch duldet von jetzt an keine unhinterfragbaren Bereiche mehr – weder über noch neben sich, weder außerhalb seiner selbst noch innerlich –, sondern setzt sich als denkend-fühlendes Individuum zum Maßstab seiner selbst. Doch mit der Entdeckung der Innenwelt als etwas höchst Bedeutsamen wird dem Menschen zugleich bewusst, dass sein Innenleben einer verstehenden Regelung bedarf, die er nun selbst und permanent zu leisten hat, will er nicht Gefahr laufen, für gesellschaftliches Zusammenleben, für das Verständnis anderer unfähig zu werden. Seine Innenlagen erfährt er prinzipiell als Gegenstandsbereich laufender Reflexion und kultureller Deutungen. Diese Einsicht, so partiell und unscheinbar sie uns heute anmutet, verfügt über eine ungeheure Tragweite, führt zu eskalierenden Destabilisierungen auf allen (Selbst-)Wahrnehmungs- und (Selbst-)Reflexionsebenen. Denn auf die Instabilität der eigenen Innenlagen, des eigenen Ichs, erst einmal aufmerksam geworden, gesellte sich schon bald als weitere Einsicht die Überzeugung hinzu, dass für die Regelung der seelischen Innenwelt keine allgemeingültigen, d. h. kulturunabhängigen, ungeschichtlichen Normen zur Verfügung stehen. An jedem einzelnen, eingebettet in seiner ihm eigenen Lebenswelt, liegt es, sich selbst zu finden und darüber hinaus sich mit menschlichen Lebensgemeinschaften zu arrangieren. Ein Selbstverständnis hängt vom Verstehen anderer ab. Hatte die Aufklärung noch darauf vertraut, ›Welt‹ nach allgemeingültigen, vernünftigen Prinzipien einrichten zu können, setzt sich demgegenüber nun ein völlig gewandeltes Weltverständnis durch. In diesem begreift sich der Mensch als ein Kulturwesen, das ›Welt‹ als etwas historisch Gewordenes, als etwas von ihm selbst Geschaffenes versteht, als etwas, das sich gar nicht anders annehmen lässt als im geschichtlichen Aufdecken und Nachvollzug einer unauflöslichen Welt-Ich-Verschränkung. Hatte also die bewusste Selbstexploration den Menschen vor die schier unergründliche Differenziertheit und die nahezu unüberschaubaren Möglichkei-
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ten seiner selbst gebracht, ihn also seine eigene psychische Disposition gewahr werden und erschließen lassen, so ließ sie ihn nun auf die Notwendigkeit einer Teilnahme am kulturell geformten Leben stoßen. Denn alle Individualität versteht sich nur in Hinblick auf Gemeinschaft, wie überhaupt erst Leben in und Orientieren an gemeinschaftlichen Lebensformen individuelle Differenzierungen erlauben. Neu daran ist das völlig gewandelte Verständnis sowie die sich daraus ergebende soziale Bedeutung, die ein Phänomen wie »Gemeinschaft« nun auszeichnet und prägt. Während sich Gemeinschaft früher durch ihre lokale Begrenztheit, durch ihre Überschaubarkeit und durch ihre Orientierung an überindividuell wirkenden Institutionen bestimmte, umfasst Gemeinschaft nun – zumindest der Idee nach – buchstäblich alle Menschen, alle Kulturen, alle sinnstiftenden Orientierungsmächte in den unterschiedlichsten, in Gestalt z. B. auch des ›Vereins‹ gebündelte und zusammengeführte Gesellungsformen. Alle Menschen haben Kultur, obschon der Mensch nicht beliebig in irgendwelchen Kulturen zu Hause ist oder beliebig seine Kulturzugehörigkeit wechseln kann – und er diese obendrein überschauen und persönlich erfahren muss, um eben nicht Orientierung und Lebensführungsentschiedenheit zu verlieren. Sollen deshalb Selbstexploration und damit verbundene Selbstauslegung auf einen zuverlässigen Grund gestellt sein, muss sich der Einzelne in der Gemeinsamkeit kultureller, aber eben erst herzustellender Zusammengehörigkeit aufgehoben fühlen sowie sich der Leistungsfähigkeit übergeordneter Werte gewiss sein. Den Zusammenhang zwischen individueller Lage und übergeordneten Wertüberzeugungen, Idealen usw. zu veranschaulichen wie erlebbar zu machen, dazu diente und dient noch heute in erheblichem Maße die bürgerliche Kunst und ganz im Besonderen die bürgerliche Musik. Sowohl ihre Entstehung als auch ihre Etablierung verdankt sie jener Fähigkeit, persönliche Lebenslagen individuell anzusprechen, um sie dennoch verallgemeinerungsfähig zu transportieren bzw. beispielhaften Lösungen zuzuführen (vgl. z. B. das »bürgerliche Trauerspiel«). Dazu verhelfen ihr besondere künstlerische Techniken und Darstellungsmittel wie deren besonderer Einsatz.
Sublimation in der bürgerlichen Musik Ihren intellektuellen Widerschein und ihre Ergänzung findet die skizzierte Entwicklung der Künste freilich in der zeitgleichen Herausbildung jener Ästhetik, die in der sinnlichen, von Gefühlen begleiteten Wahrnehmung nun ihren eigenen philosophischen Themenbereich erkennt. Die sich etablierende Ästhetik hat es wie keine andere Erkenntnistheorie mit der Subjektivität zu tun, erhebt die Subjektivität in der Wahrnehmung zu einer Erkenntniskategorie sui
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generis und rechtfertigt nun ihrerseits die sich ereignende und um sich greifende Subjektivität in den Künsten. Die Ästhetisierung der Gefühle setzte daraufhin ein, immer umfassender ; sie verselbständigte sich geradezu, verlagerte jedoch bei ständiger Ausweitung und aufgrund der Unterschiedlichkeit der Gefühlsinhalte das reflektierende Augenmerk immer mehr auf Form bzw. Formgebung. Ein Grund mit dafür, warum im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl ästhetischer Richtungen entstand, warum überhaupt eine grundsätzliche Ästhetikdebatte in dieser Vehemenz um das Verhältnis von Form und Inhalt entfacht und geführt werden konnte. Ein weiterer Grund allerdings auch mit dafür, warum die Künste zu Recht als Stütze der Werte und Wertvorstellungen der bürgerlichen Kultur eingeschätzt wurden. Kunst, Ästhetik und freigesetzte Innenlagen (Gefühlskultur) stehen jedenfalls in einem dichten Beziehungsgeflecht, wie allererst dieses Beziehungsgeflecht die immer größer werdende Autorität und Bedeutung der Kunst für eine im Entstehen begriffene und sich umfassend durchsetzende bürgerliche Musikkultur erklärt. Und dieser Zusammenhang ist auch der Ort, sozusagen der soziologische Angelpunkt, von wo aus wir uns mit der Tatsache der hohen ästhetischen Bewertung sowie großen gesellschaftlichen Bedeutung der bürgerlichen Musik – vor allem als »autonome« oder »absolute« – zu beschäftigen haben. Sowohl deren Bewertung als auch Bedeutung bedürfen der Erklärung. Beides ist nur dann verständlich, wenn man bürgerliche Musik als das Ergebnis einer Entwicklung begreift, die dort ihren Ausgang nimmt, wo der ästhetische Bereich eigens und zuallererst existentielle Bedeutung gewinnt und somit recht eigentlich anthropologisch gewendet und ontologisch fundiert wird. Und dies geschieht nach all dem Gesagten dort, wo Menschen ein neues Verhältnis zu ihren freigesetzten oder freigegebenen Innenlagen – also die Gesamtheit der Gefühle, Stimmungen, Triebregungen, Emotionen usw. – finden bzw. finden konnten. Also dort, wo Menschen sowohl zur anthropologischen Selbstentdeckung freigestellt als auch auf sich selbst gestellt (autonom!) ihrer gefühlhaften Seite sowie ihrer instabilen Innenlagen gewahr werden durften. Es ist deshalb nicht nur die Entdeckung und Bewertung der Empfindungen als ein neuer und weiterer Ort wahrer Menschlichkeit oder Sittlichkeit von besonderer Bedeutung, sondern gerade die sie begleitende Psychologisierung und Ästhetisierung selbst. In den Künsten begegnet sich der Mensch nun selbst, seinem Inneren, wie umgekehrt den Künsten und im Besonderen der Musik die Aufgabe zufällt, die unbestimmten Innenlagen, Gefühle, Wahrnehmungsmodi und Vorstellungen zu formen und ihnen eine bestimmte Gestalt zu verleihen. Diese ›Selbstbegegnung‹ umschließt und verbindet in sich zweierlei: 1. die psychologisch-selbstreflexive Dimension (Begegnung mit sich selbst, den individuellen Innenlagen) sowie 2. die geschichtlich-kulturelle Dimension (Erfahrung der Gemeinsamkeit von
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Gefühlen, Ideen usw.). Den Künsten insgesamt fällt der Bereich des menschlichen Erlebens und Fühlens, seines Existierens zu – und zwar sowohl als Darstellungs- als auch als Gestaltungsraum. Was die besondere Rolle der Musik im Konzert der Künste anbelangt, so bestreitet sie diese aus ihrer unbestimmten Direktheit, mit der sie das Innere des Menschen buchstäblich in Schwingung zu setzen sowie nach ihm zu greifen vermag. Dabei erregt sie keineswegs nur, sondern lädt zur gefühlhaften Identifikation mit dem Gehörten ein. Musik verleiht wie keine andere Kunst den unbestimmten Innenlagen des Menschen Richtung, festigt diese, indem sie die unbestimmten Gefühle als Gefühle bestimmt, sie erlebbar macht, sublimiert und formt und sie dabei aus der individuellen Einmaligkeit in die kollektive Erlebensfähigkeit transformiert. Indem bürgerliche Musik – aus freigestellter Innerlichkeit entstanden – zumindest ideell dem ästhetischen Prinzip des Ausdrucks individueller Gefühlslagen folgt, ermöglicht sie überindividuelle ästhetische Identifikation. Rückläufig vermag sie darüber hinaus mit ihrem kompositorisch nutzbaren Formen- und Gestaltungsreichtum das individuelle ästhetische Erleben beständig zu differenzieren und anzureichern. Und das wiederum bleibt nicht ohne (Rück-)Wirkung auf die einst im Wesentlichen nur vorgefundene und dann jeweils neu befüllte bzw. realisierte musikalische Formgebung. Persönlicher Anlass, subjektive Idee, ästhetisches Programm usf. greifen jetzt nach den vorgegebenen musikalischen Mustern, bestehenden Formenkanon und satztechnischen Lösungen und ordnen diese durch weitreichende Anpassungen und weitgreifende Anverwandlungen ihrer Intention unter. Dies ist mit ein allgemeiner (ästhetischer) Grund dafür, warum es gerade der Musik vorbehalten war, zur bürgerlichen Kunst schlechthin zu avancieren. Musik wird somit und im Vergleich mit historisch vorangegangenen Musikkonzeptionen zu etwas völlig Anderem, zu etwas noch nie Dagewesenem. Alle sich auf sie beziehenden Kommunikationsabläufe wie -stationen müssen völlig neu und anders gedacht wie in eine darauf Bezug nehmende künstlerische Praxis umgesetzt werden. Diese Feststellung begreift genauso den ausübenden Musiker mit ein, der zum auratischen Priester im Dienste einer höheren, religionsähnlichen Angelegenheit avanciert, wie es den Hörer in einen nunmehr emphatischverzückt genießenden Ahnenden verwandelt und dabei den Komponisten letztlich in einem Licht erscheinen lässt, dessen Weg und Kompositionen wie von oben herab beleuchtet und geführt erscheinen. Die Musik selbst ist nur mehr als ›Werke-Musik‹ vorstellbar ; jedes einzelne Werk stilisiert sich zum Ergebnis geheimnisvoller, unwiederholbarer, rationaler Erklärung letztlich unzugänglicher Vorgänge und Prozesse. Musik als Kunst wird in die Aura des Numinosen eingetaucht, angetrieben und begleitet von einer Musikästhetik, die auf permanenter Suche nach Neuem und Originellem sowohl das Feld des musikalisch Einbeziehbaren beständig ausweitet als auch das solcherart Einbezogene seiner
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möglicherweise alltäglichen, usuellen Herkunft entkleidet. Gegenläufig dazu setzt eine Dichotomisierung der Musik ein, weil bei aller Befriedigung sublimer und hehrer Kunsterwartungen, ja auch noch getanzt, gesungen, unterhalten werden will. Wer jetzt von Musik spricht, muss sich fragen lassen, was er/sie damit meint. Der Glaube an das Ideal der einen Musik, an das eine die Musik verbindlich regelnde, supraindividuelle Normensystem, zerbricht. Dichotome Auflösungsprozesse markieren den Anfang der musikalischen Massenproduktion, die wenig später mit pejorativem Unterton bezüglich ihrer funktional gesicherten Wirkungsorte Salonmusik, Militärmusik, Tanzmusik, Operette, Unterhaltungsmusik usw. heißen wird. Dies aber verlegt dynamische, weil sich ständig ausdifferenzierende, umfassender werdende, einbeziehende, zusammengehende wie auseinandertretende Prozesse in die nun bürgerlich zu fassende Musik bis in die Gattungen und Kompositionstechniken hinein, wie sie im Übrigen nicht nur von mir so insinuiert werden, sondern wie sie die Zeit selbst in ihrer Bedeutung, als einen geradezu paradigmatischen Ausdruck ihrer selbst, gesehen und sich mit ihnen identifiziert hat. Musik, Kunst will den Menschen adeln, wie es umgekehrt den bürgerlichen Menschen auszeichnet und ihn erhebt, an idealen Kunstauffassungen orientierter Musik teilzuhaben. Eine Dynamik wird so in Gang gesetzt, die im Bereich der Kunstmusik allemal diese Idealität einerseits beständig zu sublimieren wie zu befestigen und andererseits ständig auszuweiten, umfassender zu machen wie auf Dauer zu stellen trachtet. Bürgerliche Musik gerät deshalb unweigerlich durch beständige Überhöhung und Idealisierung – zusätzlich angetrieben durch die werthafte Ladung einer sie begleitenden ästhetischen Reflexion – aus der Spannung zur sozialen Realität in die Opposition zu ihr, stilisiert sich zur Gegenwelt, und zur Eigentlichkeit je konsequenter sie ihren Gegenweltcharakter ausbaut und in ihrem Gegenweltcharakter den weltfliehenden bürgerlichen Seelen einen Zufluchts- wie Versammlungsort verspricht. Dieser Ontologisierungstendenz in der bürgerlichen Musik konnte auf Dauer keine Nachhaltigkeit beschieden sein. Die in ihr gegenläufig wirksame Tendenz ist zugleich der Motor, ihre eigene Dynamik und Offenheit vor die Kulturinteressen eines letztlich gegen sie gerichteten Kultur(miss-/ge-)brauchs zu spannen. Zum geschichtlichen Verständnis bürgerlicher Musikkultur gehört es deshalb auch, sich mit jenen Zerfalls- und Auflösungsprozessen zu beschäftigen, die deutlich machen und klarlegen: es liegt an uns und in unserem Kulturverständnis, was wir als Erben der bürgerlichen Musik letztlich aus ihr lesen und machen (wollen).
Abkürzungen
AMZ GStA PK LAV NRW Abteilung Rheinland NSKG RMK RTK RVgemChe SBB StAD Düsseldorf STAGMA ULB Düsseldorf ULB Düsseldorf Digitale Sammlung VDKC WDR
Allgemeine Musikalische Zeitung Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland Duisburg Nationalsozialistische Kulturgemeinde Reichsmusikkammer Reichstheaterkammer Reichsverband gemischter Chöre Staatsbibliothek Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz Stadtarchiv Düsseldorf Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Digitale Sammlung Verband deutscher Konzertchöre Westdeutscher Rundfunk
Bildnachweis
Abb. 1: Programmzettel eines Konzertes von 1823 unter Mitwirkung des Musikvereins Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: ULB Düsseldorf Digitale Sammlung, (28. 2. 2018). Abb. 2: Kalligrafisches Gesuch des Gesangvereins um die Wiederanstellung von Julius Tausch als Städtischer Musikdirektor Stadtarchiv Düsseldorf: Gesuch des Musikvereins vom 22. 11. 1880, StAD Düsseldorf, 0-1-2-608.0000, ohne Paginierung. Abb. 3: Programmheft eines Festkonzertes zugunsten des Denkmals für Kaiser Wilhelm I. Stadtarchiv Düsseldorf: Fest-Concert für das Kaiser-Denkmal am Mittwoch, den 13. 6. 1888, Programmheft, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 190, 69, ohne Paginierung. Abb. 4: Titelblatt des Programmheftes zu der Kantate Aus Deutschlands großer Zeit Stadtarchiv Düsseldorf: Programm Aus Deutschlands großer Zeit, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 191, 69, ohne Paginierung. Abb. 5: Einladung zur 125-jährigen Jubiläumsfeier des Musikvereins Stadtarchiv Düsseldorf: Ankündigung Konzert 125-jähriges Bestehen des Musikvereins 5. 3. 1944, StAD Düsseldorf, 4/69/0, M.V. 306, 69, ohne Paginierung. Abb. 6: Werbebrief von Bürgermeister Haidn an die ›Musikfreunde der Stadt Düsseldorf‹ Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Werbebrief »An die Musikfreunde der Stadt Düsseldorf«, ULB Düsseldorf, KW1061:4,41 Bäd.
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1.
Ungedruckte Quellen
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Ungedruckte Quellen
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Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf 11. Konzert: Donnerstag, den 5. 3. 1936, 20 Uhr, Städtische Tonhalle – Kaisersaal, Michael Rühl: »Kreuzzug«, Uraufführung, Leitung: der Komponist, [Programmheft], ULB Düsseldorf, Kapsel: Konzerte der Stadt Düsseldorf; Konzertwinter 1935/1936 KW 1061:3,27 und KW 1061:3,28. 65. Niederrheinisches Musikfest gefeiert zu Aachen, Pfingsten, den 20., 21. und 22. Mai 1888, Programmheft, Aachen 1888, ULB Düsseldorf, ULB Magazin, f 968 65.1888. Feier des Friedens. Achtundvierzigstes Niederrheinisches Musikfest zu Cöln 1871. Pfingsten, den 28., 29. und 30. Mai, Köln [1871], Programmheft, ULB Düsseldorf, Magazin, f 968 48.1871. [Hauchecorne, Wilhelm], Blätter der Erinnerung an die fünfzigjährige Dauer der Niederrheinischen Musikfeste. Allen Theilnehmern gewidmet von einem früheren langjährigen Mitwirkenden, Köln 1868, ULB Düsseldorf, KW 1193. Rheinische Goethe-Feier: Fest-Concerte im Kaisersaal der Städt. Tonhalle in Düsseldorf; Sonntag den 6. August 1899, Abends 6 Uhr und Montag den 7. August 1899, Abends 7 Uhr, Eintrittskarten, ULB Düsseldorf, KW 997b:20. Verfassung der Musikacademie in Düsseldorf, Düsseldorf 1807, ULB Düsseldorf, KW 1480 und KW 1480 A. Werbebrief »An die Musikfreunde der Stadt Düsseldorf«, ULB Düsseldorf, KW1061:4,41 Bäd.
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2.
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Literatur
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Die Wandlung Düsseldorfer Journal und Kreis-Blatt Düsseldorfer Kreisblatt und Täglicher Anzeiger Düsseldorfer Volksblatt Düsseldorfer Woche Düsseldorfer Zeitung fermate Musikmagazin für den Düsseldorfer Raum Geschichte im Westen, Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte Hermann Zeitschrift von und für Westfalen oder der Lande zwischen Weser und Maas Histoire des Alpes – Storia delle Alpi – Geschichte der Alpen Illustrirte Zeitung Kunstwart Monatshefte für katholische Kirchenmusik Musica sacra Neue Berliner Musikzeitung Neue Chorszene, Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf Neue Düsseldorfer Zeitung neues rheinland Neues Wiener Tageblatt Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler Rheinische Musik- und Theaterzeitung Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler Signale für die musikalische Welt The Musical Quarterly Triangel Zeitschrift der Clara-Schumann-Musikschule Völkischer Beobachter Volksparole Westdeutsche Zeitung Westfälische Provinzialzeitung Wirtschaftsspiegel Düsseldorf Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Zeitschrift für Musik
3.
Literatur
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Zum Thema »Politische Musikgeschichte«:
Sabine Mecking / Yvonne Wasserloos (Hg.)
Sabine Mecking / Yvonne Wasserloos (Hg.)
Inklusion & Exklusion
Musik – Macht – Staat
›Deutsche‹ Musik in Europa und Nordamerika 1848–1945
Kulturelle, soziale und politische Wandlungsprozesse in der Moderne
2016. 380 Seiten mit 22 Abb., gebunden € 55,– D / € 57,– A ISBN 978-3-8471-0473-5 eBook: € 44,99 D ISBN 978-3-8470-0473-8
2012. 399 Seiten mit 26 Abb., gebunden € 55,– D / € 57,– A ISBN 978-3-89971-872-0
Die Vision von einer ›deutschen‹ Musik entfachte als ästhetisches, kulturelles und politisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert identitätsstiftende, integrative und ausgrenzende Kräfte.
Von Märschen, Hymnen und Schnulzen. Oder: Wie wurden politische, gesellschaftliche und kulturelle Ziele, Ereignisse und Umbrüche musikalisch begleitet und verarbeitet?
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