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German Pages 126 Year 1969
UWE
KRÜGER
Der Adressat des Rechtsgesetzes
Schriften zur Rechtstheorie Heft 17
Der Adressat des Rechtsgesetzes Ein Beitrag zur Gesetzgebungelehre
Von Dr. Uwe Krüger
DUNCKER
& HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1969 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
Meiner Mutter
Inhaltsverzeichnis § 1. Die Aufgabe
11 Erstes Kapitel Zur Terminologie
§2.
§ 3.
§4.
Das Rechtsgesetz
11
1. Definition 2. Sonderstellung des Hechtsgesetzes 3. Zunehmende Bedeutung des Hechtsgesetzes
11 11 12
Der Gesetzgeber
13
1. Definition 2. Materielle Modifikationen (Der „Wille des Gesetzgebers")
13 13
Der „Rechtsunterthan"
16
1. Vom Unterthanen zum Rechtsunterworfenen 2. Vom Rechtsunterworfenen zum Normadressaten 3. Das „Gespenst des Adressatenproblems"
16 17 17
Zweites Kapitel Die Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm A) Kritische Darstellung der einzelnen Lehren § 5.
Die Lehre von den Behörden als den einzigen Adressaten der Rechtsnorm
19
1. 2. 3. 4. 5. 6.
19 20 21 23 24 26
Rudolf von Jhering Merkels Kritik Max Ernst Mayer Thons Kritik Julius Binders Prorektoratsrede „Rechtsnorm und Rechtspflicht" Die Kritik an der Rede Julius Binders
8
Inhaltsverzeichnis 7. Julius Binders Abhandlung „Der Adressat der Rechtsnorm und seine Verpflichtung" 27 8. Philosophische Hintergründe dieser Lehre 29
§ 6.
§ 7.
Die Lehre vom untauglichen Normadressaten
32
1. Alexander Hold von Ferneck . . . 2. Thons Kritik
32 34
3. Die Lösungsversuche von James Goldschmidt und Ernst Zitelmann 4. Felix Somló
36 37
Die Lehre von der unbeschränkt allgemeinen Adresse der Rechtsnormen und ihre Modifikationen
38
1. Die herrschende Meinung 2. August Thon
38 39
3. Felix Somló 4. Armin Kaufmann
39 40
B) Kritik § 8.
der Diskussion
Die Imperativentheorie im allgemeinen
41
1. Die Imperativentheorie als Ursache der Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
41
2. Fortbestehen des imperativentheoriespezifischen Adressatenproblems
43
43 3. Verteidigung der Imperativentheorie durch K a r l Engisch . * 4. limar Tammelos Reduzierung der Imperativentheorie auf ein logisches Modell 46 §9.
Die Imperativentheorie zwischen Begriffshimmel und Wirklichkeit
47
1. Über die Modell vor Stellung 2. Der Wirklichkeitsbezug der Imperativentheorie
47 48
3. Ernst-Joachim Lampes Kritik an der Imperativentheorie 4. Die Position Adolf Arndts 5. Die eigene Position
50 53 53
6. Exkurs: Jeremy Bentham
55
§ 10. Die praktische Seite des Adressatenproblems
56
1. Abschied vom Wesensargument
56
2. Hinwendung zur Praxis
58
3. Gesetzgebung als kontrolliertes Experiment (Frederick K. Beutel, Carl August Emge)
58
4. Die zentrale Stellung des Adressaten
61
Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Das Adressatenproblem — ein Problem des Gesetzgebers A) Gesetzgebungspolitik § 11. Der Adressatenkreis
63
1. Die Frage nach dem Adressaten — neu gestellt 2. Die formelle Adresse und ihre rechtsstaatlich-demokratische Funktion
63
3. Die materielle Adresse als Mittel der Gesetzgebungspolitik
66
§ 12. Motivation des Adressaten
63
68
1. Die Geltung des Rechtsgesetzes 2. Die Kundmachung als erste Voraussetzung normgemäßer Motivation
68
3. Über den Umfang der Kundmachung 4. Weitere Voraussetzungen normgemäßer Motivation
70 71
69
§ 13. Mitwirkung des Adressaten bei der Entstehung des Rechtsgesetzes
72
1. Vorbemerkung zur Mitwirkung 2. Die Mitwirkung des Adressaten als Anliegen des demokratischen Rechtsstaates
72 73
3. Das Beispiel der „technischen Normen"
74
§ 14. Mitwirkung des Adressaten bei der Realisierung des Rechtsgesetzes 1. 2. 3. 4.
Normgemäßes Verhalten: Parieren und Erfüllen Erfüllung des Rechtsgesetzes als Ziel „Dienst nach Vorschrift" Die Aufgabe des Gesetzgebers
77 77 78 79 80
B) Gesetzgebungstechnik § 15. Die Erkennbarkeit für den Adressaten als Grundprinzip der Gesetzgebungstechnik
82
1. Zum Begriff der Gesetzgebungstechnik 2. Robert Walters Antrittsvorlesung „Die Lehre von der Gesetzestechnik"
82
3. Das Kriterium der Erkennbarkeit 4. Der „interessierte Laie" 5. Die Erkennbarkeit als Postulat des demokratischen Rechtsstaates
84 84 86
§ 16. Das ökonomische Prinzip 1. 2. 3. 4.
Das Prinzip der Generalisierung Das Prinzip der Reduktion Verweisung und Fiktion Vereinheitlichung und Bereinigung des Rechtsstoffes
82
88 88 88 88 90
10
Inhaltsverzeichnis
§17. Das Prinzip der Adäquanz, Verständlichkeit und Präzision des Ausdrucks
91
1. Die führende Rolle der Gesetzessprache 2. Verständlichkeit und Genauigkeit
91 92
3. Über die Anforderungen, die der Gesetzgeber dem Adressaten stellen darf
95
§ 18. Das Prinzip der systematischen Ordnung 1. Systematisierung und Kodifikation 2. Hilfsmittel der systematischen Ordnung, insbesondere die Präambel § 19. Das Prinzip der Kundmachung
97 97 98 100
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Publikation und Kundmachung 100 Erfordernisse der Publikation 100 Wider das „ius vigilantibus scriptum" 102 Formerfordernisse 102 Mitwirkung einer Behörde 102 Gebrauch von Formularen 103 Nachweis von Rechtskenntnissen als Voraussetzung zur Erteilung von Berechtigungen 103 8. Behördliche und private Rechtsbelehrungen 103
Viertes Kapitel Ergebnis der Untersuchung § 20. Zusammenfassende Betrachtung §21. Thesen § 22. Forderungen an den Gesetzgeber
109 113 114
Anhang Auszug aus „Some Potentialities of Experimental Jurisprudence as a New Branch of Social Science" von Frederick K. Beutel 115 Literaturverzeichnis
116
§1. Die Aufgabe Die vorliegende Arbeit untersucht das Verhältnis zwischen dem Rechtsgesetz und dessen Adressaten i m demokratischen Rechtsstaat. I n diesem Verhältnis sollen insbesondere solche Beziehungen hervorgehoben werden, die für die Gesetzgebungslehre und damit für die Tätigkeit des Gesetzgebers bedeutsam sind. Dabei ist beabsichtigt, nachzuweisen, daß eine wirksame Rechtsordnung nicht nur normbewußte Adressaten erfordert, sondern gleichermaßen adressatenbewußte Gesetzgeber. Erstes Kapitel
Zur Terminologie § 2. Das Rechtsgesetz 1. Der Terminus Rechtsgesetz ist i n den unterschiedlichsten Bedeutungen verwendet worden 1 . Rechtsgesetze bedeuten hier gesatzte Rechtsnormen; sie umfassen alle Gesetze i m formellen und materiellen 2 Sinne, d. h. das geschriebene Recht von der positiven Verfassungsnorm bis zur Verordnung. Als ein gewillkürter Teil der Rechtsordnung zeichnen sich die Rechtsgesetze aus durch die Möglichkeit weitgehender Rationalität i n Begründung und Funktion. 2. Obwohl es keine Rechtsnorm ohne Normadressaten gibt 8 , sprechen zwei Gründe dafür, sich besonders m i t dem Adressaten des Rechtsgesetzes zu befassen. Zum einen zeichnet sich das Rechtsgesetz i n der Skala möglicher Rechtsnormsetzungen aus. Diese Skala reicht vom Verfassungsgeber über 1 ζ. B. im Sinne eines reinen, von aller positiven Gesetzgebung unabhängigen Grundsatzes (Sittengesetzes): Nelson, Vorlesungen, Bd. 1, S. 144; Bd. 3, S. V I I , 41, 84 ff. 2 Eine Differenzierung ist hier und heute genauso entbehrlich wie damals für Bierling (vgl. Jur. Prinzipienlehre, Bd. 2, S. 189). Zur treffenden Kritik an der Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Gesetz seien aus jüngster Zeit genannt: Adolf Arndt, NJW 1963, S. 1274 f., 1279, und Kaniak, ÖJZ 1966, S. 309 ff. 5 Diese u. a. von Somló , S. 497, und Bucher, S. 46, vertretene These ist nicht unbestritten, obwohl man sie — wie diese ganze Arbeit zeigen soll — allein schon im Interesse einer rationalen Gesetzgebung nicht aufgeben kann.
12
1. Kap.: Zur Terminologie
den (einfachen) Gesetzgeber und den Richter bis zum einzelnen, dessen subjektives Recht nach Ansicht einiger Autoren als Normsetzungsbefugnis aufgefaßt werden kann 4 . I m letzten Falle hat die „Norm" — genauso wie die gerichtliche Entscheidung — keine(n) unbestimmten Adressaten mehr. Die Adressaten des Rechtsgesetzes sind hingegen unbestimmt, denn es ist unbestritten, daß sich das Rechtsgesetz formell ad incertam personam richtet. Dieser Grundsatz w i r d auch nicht durch die immer häufiger werdenden Maßnahme- und Einzelfallgesetze durchbrochen. Auch wenn materiell nur ein Adressat vorliegt 5 , wenn also die Norm nicht mehr generell und abstrakt genannt werden kann, bleibt die formelle Adresse unbestimmt, da nie gewiß ist, welche Personen (ζ. B. Richter und Vollzugsbeamte) außer dem materiell Berechtigten oder Verpflichteten durch das Gesetz rechtlich berührt werden®. Zum andern w i r d die Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Rechtsgesetz und seinem Adressaten begünstigt durch die eben erwähnte besondere Stellung des Rechtsgesetzes: andere Rechtsnormen, etwa solche des Gewohnheits- und des Richterrechts, erlauben nicht i m selben Maße die bewußte und kontrollierbare Berücksichtigung des Adressaten von Anfang an. 3. I n der Literatur w i r d diese Sonderstellung des Rechtsgesetzes oft nicht hinreichend berücksichtigt. Es ist nämlich festzustellen, daß der Terminus „Gesetz" von Juristen synonym m i t „Rechtsnorm" gebraucht zu werden pflegt 7 , obwohl dann regelmäßig das Rechtsgesetz und nur dieses den Untersuchungsgegenstand bildet. Eugen Huber ist dieser Gepflogenheit nicht gefolgt und hat betont, daß mit der Sonderbehandlung der Rechtsgesetze keine Unterschätzung anderer Rechtsquellen verbunden sei 8 . Dieser Hinweis gilt auch für die vorliegende Arbeit, zumal es möglich ist, daß sich das gesetzte Recht vom Gewohnheitsrecht nur durch die Schriftlichkeit unterscheidet, dann nämlich, wenn ein Gewohnheitsrecht gesetzlich fixiert wird. Diesen Fall hat die historische oder romantische 9 Schule sogar als Regelfall angesehen und erstrebt 10 . I m hoch4 Eppler, S. 41—43; Burckhardt , S. 155, 202; Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis. 5 z. B. die sogenannte lex Wäldin (Baden-WürttGBl. 1957, S. 123), von der bei Ellwein (S. 143 f.) berichtet wird, daß sie, „obwohl abstrakt formuliert, nur einem Regierungspräsidenten zur Pension verhalf, indem sie seine frühere Amtszeit als ehrenamtlicher Bürgermeister für ruhegehaltsfähig erklärte". • Zum formellen und materiellen Adressatenkreis siehe unten § 11. 7 z. B.: Binder, Adressat, S. 10, unter Hinweis auf Art. 2 EGBGB ; F. v. Hippel, S. 100; Walter, S. 85; ausdrücklich anders: Krüger, Staatslehre, S. 286 ff.: „Das Gesetz als die beste Gestalt der Norm." 8 Huber, S. 39. • Jhering, Kampf, S. 12; zu Savignys (heute allerdings umstrittener) „Wendung ins Romantische" vgl. Gagner , S. 32—44. 10 Savigny, S. 79; Strauch (S. 255—257) berichtet jedoch davon, daß Savigny
§ 3. Der Gesetzgeber
13
zivilisierten Industriestaat erreicht jedoch die wechselseitige Abhängigkeit der Menschen eine solche Dichte und damit die Wahrscheinlichkeit von Normenkollisionen eine solche Höhe, daß nur eine gewillkürte Ordnung des Hechts die gesellschaftlichen Veränderungen sicher begleiten oder gar leiten kann.
§ 3. Der Gesetzgeber 1. Gesetzgeber ist jede staatliche Instanz oder Instanzenhäufung, die nach geltender Verfassung ermächtigt ist, Rechtsgesetze zu erlassen. Diese formelle Begriffsbestimmung ist einer materiellen vorzuziehen, weil ein materieller Begriff des Gesetzgebers auch Instanzen wie den Richter enthielte oder enthalten könnte und folglich mehr umfaßte, als dem Gegenstand dieser Untersuchung entspricht. Außerdem eignen sich materielle Kriterien nicht zu einer klaren Definition: der jeweils „wirkliche", konkrete Gesetzgeber wäre jedesmal ein anderer und müßte — wie K a r l Engisch es getan h a t 1 1 — nach Abstimmungsmajoritäten, Kommissions- und Ausschußmitgliedern und so fort bestimmt werden. Daher h i l f t auch Olivecronas Unterscheidung 12 zwischen Gesetzgeber und Gesetzesverfasser i n diesem Fall nicht weiter. Immer wäre der Kreis der Gesetzesschöpfer nur punktuell und unter größten Schwierigkeiten zu eruieren, ohne daß dem Aufwand ein für diesen Zusammenhang ebenso beträchtlicher Gewinn gegenüberstände. 2. Für die vorliegende Untersuchung genügt es, zusätzlich zu der formellen Begriffsbestimmung die folgende einfache, aber oft vernachlässigte Tatsache festzuhalten: Der Gesetzgeber ist heute ein plurif ormes 13 und heterogenes 14 Gebilde. Daher stellt Beutel unwiderlegbar fest: "De facto and de jure the lawmaker may be an individual, a court, a commission, a legislature, a body, an executive, a private organization, a pressure
in seiner Landrechtsvorlesung vom Sommer 1824 dem Gesetzgeber das Recht zu einer rechtsbildenden Funktion zuerkannt habe. — Noch weiter als Savigny ging Charles Comte (Β. 1, S. 289 ff.), der zu den Gesetzen meinte: "Au lieu de les distinguer en lois écrites et en lois non écrites, on aurait dû les distinguer en lois décrites, et en lois non décrites" (Bd. 4, S. 537). 11 Engisch, Imperativentheorie, S. 88, Anm. 1. 12 Olivecrona, S. 41. 13 Beteiligte am Bundesgesetzgebungsverfahren: Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundespräsident; vgl. Ellwein, Regierungslehre, S. 27: es wirke „gelegentlich fast erheiternd . . . , wie i r r e a l . . . vom ,Gesetzgeber' gesprochen und so getan wird, als handele es sich dabei lediglich um das Parlament . . 14 z.B. die Parteien des Tarifvertrages und die staatliche Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit.
14
1. Kap.: Zur Terminologie
group or a combination of two or more of these and others. Today 'the lawmaking function' and 'the lawmaker' are simply symbolic expressions to cover the entire process of making laws." 15 A n t r o p o m o r p h e V o r s t e l l u n g e n , w i e sie das S u b s t a n t i v „ d e r Gesetzg e b e r " e i n e m n a i v e n D e n k e n 1 6 n a h e l e g t 1 7 , täuschen d a h e r u n d e r w e i s e n sich besonders d a n n als n a c h t e i l i g , w e n n sie a u f d i e T ä t i g k e i t des Gesetzgebers ü b e r t r a g e n w e r d e n : d e r Gesetzgeber i s t flüchtig 18, u n e h r l i c h 1 0 u n d h a t e i n e n (realpsychischen) 2 0 W i l l e n , d e r e r k l ä r t 2 1 , erforscht u n d sogar a u t h e n t i s c h f e s t g e s t e l l t 2 2 u n d i n t e r p r e t i e r t w e r d e n k a n n . Solche A u s d r u c k s w e i s e n h ä n g e n i n d e r R e g e l e n g z u s a m m e n m i t d e n Ursachen oder d e n F o l g e n e i n e r F e h l e i n s c h ä t z u n g d e r S t e l l u n g u n d d e r M a c h t , d i e d e r Gesetzgeber i n n e h a t . D i e s e r Z u s a m m e n h a n g z e i g t sich k l a r b e i d e r L e h r e v o n d e m W i l l e n des Gesetzgebers, d e r i n d e r R e c h t s f i n d u n g eine feste S t e l l u n g als G e g e n s t a n d j u r i s t i s c h e r H e r m e n e u t i k e i n n i m m t . E r n s t F o r s t h o f f b e g r ü ß t e u n d b e g r ü n d e t e dies: „Für die Würdigung der Formel ,vom Willen des Gesetzgebers' wird man dem Umstand besonders Gewicht beizumessen haben, daß sie sich in der Praxis uneingeschränkt behauptet hat, daß die Praxis die von der Wissenschaft so überreichlich angebotenen Beweise ihrer Unhaltbarkeit vielleicht zur Kenntnis genommen, jedenfalls aber keine Folgerungen daraus gezogen hat. M a n darf daraus auf die hermeneutische Unentbehrlichkeit der Formel, jedenfalls für die richterliche Praxis, schließen 28 ." F o r s t h o f f w e n d e t sich i n diesem Z u s a m m e n h a n g gegen Josef L u k a s , d e r n a c h z u w e i s e n v e r s u c h t h a t t e , daß es sich b e i d e r L e h r e v o m W i l l e n
15
Beutel, Experimental Jurisprudence, S. 61. Vgl. Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 209. 17 Vgl. Kahn-Freund bei Renner, S. 208, Anm. 5, und Sforza, S. 65. 18 Herz, Der flüchtige Gesetzgeber. 1β M i t seiner Abhandlung „Der unehrliche Gesetzgeber" meint Ehrenzweig allerdings nicht den hier kritisierten Gesetzgeberbegriff. Ehrenzweig glaubt vielmehr, auf diesen Begriff solle überhaupt verzichtet werden. Immerhin fügt er aber hinzu, die Uberschrift bedeute ,nicht ohne weiters, daß auch die Personen unehrlich sind, die das Gesetz erlassen haben, wenngleich natürlich auch dies möglich sei' (S. 15). 20 Vgl. Darmstädter, S. 97. 21 d. h. „ausgedrückt" und „erläutert". 22 Hier sei an den „référé législatif" erinnert. 23 Forsthoff, S. 46. — Vgl. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 70: „Ich bekenne mich zu einer subjektiv-teleologischen Auslegungsmethode, d.h. zu einer Auslegungsmethode, die hinter den Worten der Gesetze den Willen des Gesetzgebers sucht..." ; Engisch hat an dieser Ansicht festgehalten, allerdings mit einige Modifikationen (Einführung, S. 85—105, bes. S. 95 f.). — Demgegenüber hat Zeidler (S. 179-—201) anhand § 8 des Straffreiheitsgesetzes von 1954 (BGBl. I, S. 203) dargelegt, daß der wirkliche Wille des Gesetzgebers bei weitem nicht so eindeutig feststellbar und praktikabel ist, als daß er unentbehrlich wäre. Zeidlers Ansicht wird (mit weiteren Gründen) geteilt von P. Schneider, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, S. 7 f., bes. Anm. 18 bis 21. 18
§ 3. Der Gesetzgeber
15
des Gesetzgebers u m eine absolutistische Doktrin handele 24 . Forsthoff warf Lukas einen Fehlschluß vor: auch i m Absolutismus sei das Gesetz (trotz des référé législatif) nie realpsychisch dem Willen des Gesetzgebers zurechenbar gewesen, stets habe es sich nur u m eine Fiktion gehandelt, die der hermeneutischen Veranschaulichung diente 2 5 . Es ist nun merkwürdig zu sehen, wie Lukas* Behauptung gerade für die Zeit zutraf, i n der Fórsthoff seine Einwände gegen Lukas erhob. M i t einem Blick auf die Entwicklung seit 1933 stellt Forsthoff nämlich fest: „Demnach wäre die Formel vom Gesetz als Wille des Gesetzgebers wieder sehr zeitgemäß und der reichliche Gebrauch, den man heute wieder von ihr macht, scheint das zu bestätigen. Wie die unterscheidenden und ergänzenden Hinzufügungen — z. B.: Wille u η d Ρ 1 a η des Führers — erkennen lassen, hat sie sich in der Gegenwart im Sinne einer realpsychischen Kennzeichnung weithin durchgesetzt 25."
Diese realpsychische Kennzeichnung findet sich wenige Jahre später sehr anschaulich i n Herbert Krügers 1943 erschienener Abhandlung „Der Wille des Gesetzgebers", w o r i n es heißt: „Der Grundsatz der Eigenart und der Selbständigkeit jeder echten gesetzgeberischen Äußerung erleidet eine einzige, aber wichtige Ausnahme dadurch, daß der persönliche Zusammenhang, von dem oben die Rede war, nach dem Grundsatz von Führer und Gefolgschaft aufgebaut ist. Hieraus ergibt sich für die rechtlichen Äußerungen des Führers als Gesetzgebers eine allseitige Verwertbarkeit für die Auslegung der Willensäußerung sämtlicher Gesetzgeber 1·." „Die Rechtsentstehimg ist daher schöpferische Tat einer Einzelpersönlichk e i t . . . Zur Auslegung zweifelhaften Rechtes muß daher auf solche historischen Akte und den Willen der sie schöpfenden Persönlichkeit zurückgegriffen werden 27 ."
Josef Lukas hatte recht, und es kann dem hinzugefügt werden, daß die Doktrin vom Willen des Gesetzgebers gleichermaßen autokratische Züge trägt, wenn — wie nach der Imperativentheorie — der Wille des Gesetzgebers als Befehlswille 2 8 verstanden wird. Das dabei vorgestellte unreflektierte B i l d eine Befehlenden und eines Befehlsempfängers führt wegen der Willenserklärung und des Befehlsempfanges zwangsläufig zu Schwierigkeiten, wenn die Verbindlichkeit des Befehls für den Empfänger 2® konstruiert werden soll: ist der Befehl nicht vernommen worden, so kann er auch nicht verpflichten und ausgeführt werden 3 0 . I n die24 Lukas, S. 426; im gleichen Sinne: Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, S. 53, und Grundsätze, S. 17. 25 Forsthoff, S. 44 f. 26 Krüger, Der Wille des Gesetzgebers, S. 203. 27 Krüger, Der Wille des Gesetzgebers, S. 207. 28 Vgl. Engisch, Einführung, S. 22 ff. 29 Engisch, Einführung, S. 22: „Soweit die rechtlichen Imperative in Geltung stehen, haben sie verpflichtende Kraft." 50 Vgl. Binding , Normen, Bd. 1, S. 135; Hold v. Ferneck, Bd. 1, bes. S. 198 f.; Lampe, S. 22.
16
1. Kap.: Zur Terminologie
sem Fall ist der gesetzgeberische Wille unwirksam, obwohl er als Befehl allein oder doch besonders wirksam hatte sein sollen. § 4. Der „Rechtsunterthan" 1. I n der Zeit vor der Rechtschreibkonferenz von 190131, die aus dem „Unterthanen" einen „Untertanen" werden ließ, war die Rechtsordnung von der unsrigen i n größerem Maße verschieden als die Schreibweise anzudeuten vermag; längst hat auch das Wort „Untertan" einen negativen Klang bekommen 32 , aber das Subordinationsverhältnis zwischen dem einzelnen und dem Gesetzgeber 33 , das es bezeichnet, hat sich nicht entschieden genug gewandelt. Der Übergang vom monarchischen Untert(h)ansein zur demokratischen Rechtsunterworfenheit vollzog sich langsam und viel zu wenig energisch, als daß fünfzig Jahre genügt hätten, den Wandel bis zur Anerkennung des Untertanen als eines Staatsbürgers abzuschließen 34 . Immer noch ist die Vorstellung über den Gesetzgeber nicht frei vom Gedanken des princeps legibus solutus, obwohl sich dieser Gedanke m i t dem demokratischen Rechtsstaat und den Grundrechten der Bürger i n keiner Weise verträgt. Heute gibt es i m Gegenteil das Faktum, daß der Gesetzgeber dem Recht i n mancher Hinsicht nicht weniger unterworfen ist als der einzelne. W i l l man überhaupt nach dem K r i t e r i u m der Rechtsunterworfenheit differenzieren, so zeigt sich, daß das Grundgesetz den Gesetzgeber teilweise i n weitergehendem Maße bindet als den einzelnen. So kann der einzelne kraft seiner Privatautonomie i m Rechtsleben vielfach gegen den Gleichheitssatz folgenlos verstoßen: eine letztwillige Verfügung, die — ohne sittenwidrig zu sein — A r t . 3 GG „verletzt", ist rechtswirksam. Die Lehre von der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte scheint auch bei größtem Fortschritt i n ihrem Sinne 81 Die 2. orthographische Konferenz fand am 17. 6.1901 statt; ihre Beschlüsse wurden am 18.12.1902 für das gesamte Reichsgebiet verbindlich als „Regeln für die deutsche Rechtschreibung" (§ 7 Abs. 3). 81 Vgl. Trübners Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Untertan"; darin heißt es u. a.: „Die Stellung der Untertanen und der dem Worte anhaftende Gefühlswert erklären sich durch die geschichtliche Entwicklung. Als sich aufrechte deutsche Männer im Jahre 1837 gegen die Maßregelung der ,Göttinger Sieben4 wenden, wird ihnen folgender amtlicher Verweis erteilt: ,Dem Untertan ziemt es nicht, an die Handlungen des Staatsoberhauptes den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermute ein öffentliches Urteil über die Rechtmäßigkeit derselben anzumaßen'." 88 Vgl. Engisch, Imperativentheorie, S. 55. 84 Herbert Krüger meint und verficht immer noch den Untertanen (vgl. Staatslehre, S. 940—988: „§ 38 Der Untertan und sein Gehorsam"). — Siehe dazu die Kritik von P. Schneider, Recht und Macht, S. 587 f., wo es unmißverständlich heißt: „Wer bedingungslosen Untertanengehorsam und Bürgertugend in eins setzt, hat keinen Zugang zu realen Spielformen der freiheitlichen Demokratie" (S. 587). Vgl. auch Boistel (S. 51), der im Jahre 1904 über den Gesetzgeber schrieb: "C'est une intelligence parlant à des intelligences . . . "
§ 4. Der „Rechtsunterthan"
17
kein anderes Ergebnis begründen zu können 3 5 , solange man daran festhält, daß die Grundrechte die Freiheit des einzelnen begründen und sichern und daß der einzelne daher auch w i l l k ü r l i c h handeln dürfen muß. 2. Gesetzgeber wie einzelner sind also Rechtsunterworfene. A l l e i n den einzelnen als solchen zu bezeichnen, ist nicht gerechtfertigt. Es handelt sich daher nicht u m eine müßige Frage der Terminologie, wenn hier Rechtsuntertan oder Rechtsunterworfener zur Bezeichnung des Rechtsgenossen vermieden wird. Diese veralteten und unzutreffenden Begriffe sollen durch das Wort Normadressat ersetzt werden, w e i l auf diese Weise nicht notwendig ein Subordinationsverhältnis zum Gesetzgeber und damit eine Fehlvorstellung seiner Position i m Gesetzgebungsprozeß präjudiziert wird. 3. Welche weiteren Gründe für diese „Umbenennung" sprechen und welche Vorzüge und Konsequenzen für eine Gesetzgebungslehre hieraus resultieren, soll indessen erst nach einer Erörterung des Streits über den wahren Adressaten der Rechtsnorm dargelegt werden. Denn dieser Streit begann damit, daß einige Wissenschaftler zwischen Rechtsunterworfenem und Normadressaten unterschieden, und zwar m i t der i m einzelnen unterschiedlichen Begründung, daß nicht jeder Rechtsunterworfene auch Normadressat sein könne. Die Reaktion war heftig, die Gegenreaktion nicht minder, und i m nachhinein muß man m i t A r m i n Kaufmann feststellen, daß sich ,aus der Literatur zu der Streitfrage über den richtigen Adressaten eine kleine Bibliothek zusammenstellen ließe' 38 . Diese Tatsache bereitet der Darstellung einige Schwierigkeiten, und wenn man bei Kaufmann weiterhin lesen muß, daß man am besten dem „Gespenst des sog. ,Adressatenproblems' " 3 7 gar keine Beachtung mehr schenken sollte, so scheint fraglich zu sein, ob überhaupt die Mühe lohne. Kaufmann selbst gibt die Antwort, freilich nur mittelbar: er meint zwar, dem Rate Hans Albrecht Fischers 38 folgend, eine eingehende Diskussion erübrige sich, widmet aber gleichzeitig dem Adressatenproblem über zwanzig Seiten 39 , u m es m i t dem Terminus „Scheinproblem" 4 0 etikettieren zu 85 Vgl. Leisner, S. 359, Anm. 182, der die Drittwirkung sehr weit ausdehnt, aber die Testierfreiheit nur dann durch Art. 3 Abs. 3 GG beschränken will, wenn die Differenzierung allein aus geschlechtlichen, rassischen oder religiösen Gründen geschieht. 36 Kaufmann, S. 123. 87 Kaufmann, S. 61. 38 Fischer, S. 25, Anm. 8; Kaufmann, S. 123. 39 Zu Kaufmanns Ausführungen s. u. § 7 Abschnitt 4. 40 Kaufmann, S. 61, 126; ebenso: Larenz, Methodenlehre, S. 156 Anm. 1; dagegen meinte schon August Schoetensack im Jahre 1915: „Möglich, daß diese Kontroverse manchem auf den ersten Blick als eine nimia subtilitas der Doktrin erscheint. Tatsächlich ist ihr aber erhebliche praktische Bedeutung nicht a b z u s p r e c h e n . . ( S . 20).
2 u.Krüger
18
1. Kap.: Zur Terminologie
können. Dieses Etikett ist jedoch für die Bezeichnung ungelöster und unlösbarer Probleme so beliebt geworden, daß sein Gebrauch heute die Vermutung nahelegt, es handele sich u m ein zwar schwieriges, aber durchaus nicht sinnloses Problem. Vergewissert man sich nämlich ζ. B. bei Rudolf Carnap 4 1 oder Max Planck 4 2 , wann von einem Scheinproblem gesprochen werden muß, dann findet man präzise Kriterien für die Untersuchung der Fragen, Voraussetzungen und Aussagen, die dem betreffenden Problem zugrundeliegen. Nach Planck 4 3 ist ein Problem dann ein Scheinproblem, wenn es auf unrichtigen Voraussetzungen beruht oder „wenn i n den Voraussetzungen zwar kein Fehler, aber eine Unklarheit steckt, so daß das Problem deshalb ein Scheinproblem bleibt, w e i l es ungenügend formuliert ist". Bezieht man diese Aussagen auf das Adressatenproblem, so läßt es sich nicht deswegen als Scheinproblem bezeichnen, weil man — wie z. B. Larenz 4 4 — die Imperativentheorie, m i t der das Adressatenproblem aufs engste verknüpft ist 4 5 , ablehnt und statt ihrer die Lehre vom Rechtssatz als hypothetischem U r t e i l vertritt. Legt man gar die strengen Maßstäbe des Positivisten Carnap an, so w i r d man m i t der Bezeichnung „Scheinproblem" noch vorsichtiger sein müssen, denn nach Carnap ist die Sachhaltigkeit K r i t e r i u m der sinnvollen Aussagen 46 : „Nur sachhaltige Aussagen sind theoretisch sinnvoll; (scheinbare) Aussagen, die grundsätzlich nicht durch ein Erlebnis fundiert werden können, sind sinnlos 47 ."
Auch wer die Voraussetzungen der Imperativentheorie als unrichtig bezeichnet, muß sich immer noch mit der Frage beschäftigen, ob die keineswegs geradlinige Diskussion des Adressatenproblems nicht auch sinnvolle, d. h. nach Carnap: sachhaltige Aussagen gezeitigt hat.
41
Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie. Planck, Scheinprobleme der Wissenschaft. 43 Planck, S. 8. 44 Larenz, Methodenlehre, S. 156 Anm. 1: „Die vielerörterte Frage, ob die einzelnen Bürger oder nur die Richter und sonstigen Amtspersonen ,Normadressaten' seien... halten wir für ein durch die Imperativentheorie verursachtes Scheinproblem." 45 Siehe die folgenden Paragraphen 5 bis 10. 4β Carnap , S. 47—54: „§ 7. Sachhaltigkeit als Kriterium der sinnvollen Aussagen"; vgl. hierzu die kritischen Ausführungen von Patzig im Nachwort (S. 104—135), worin es heißt: „Die Sätze der Metaphysik sehen nur wie Sätze aus, sind aber keine, sie sind Scheinsätze; die Fragen, mit denen die Metaphysiker ringen, sind keine Fragen; sie sind nur Scheinprobleme" (Carnap , S. 104 f.). 47 Carnap, S. 77 („Reinigung der Erkenntnistheorie von Scheinproblemen", These 1). 42
Zweites Kapitel
Die Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm A) K R I T I S C H E D A R S T E L L U N G DER E I N Z E L N E N
LEHREN
§ 5. Die Lehre von den Behörden als den einzigen Adressaten der Rechtsnorm 1. Wie Julius Binder dargelegt hat, finden sich bereits bei Thomas Hobbes und Carl L u d w i g von Haller Anklänge an die Lehre von den Behörden als den einzigen Adressaten der Rechtsnorm 1 . Rudolf von Jhering vertrat somit nicht als erster die Ansicht, daß zu dem Kreis der Normadressaten nicht alle Rechtsgenossen gehören 2 . Es ist jedoch festzustellen, daß eine zusammenhängende und intensive Diskussion über den w i r k lichen Adressaten der Rechtsnorm erst m i t Jhering begann. Er ging davon aus, daß die Rechtsnorm „abstracter Imperativ für das menschliche Handeln" 3 sei, der sich von anderen „gesellschaftlichen Imperativen" 3 , d. h. denen der Moral und der Sitte, durch das „Moment des äußeren, durch die Staatsgewalt m i t ihnen verbundenen und durch sie gehandhabten Zwanges" 4 unterscheide. Der Zwang setze aber zwei Teile voraus: „denjenigen, der zwingt, und denjenigen, der gezwungen w i r d " 5 , und folglich fragt Jhering, wer der Gezwungene sei. Er nennt als die drei möglichen Adressaten der Zwangsnorm das Volk, den Richter und den Staat 5 , von denen jedoch der Staat sogleich ausscheidet, w e i l der Staat als solcher nicht Adressat seiner eigenen Imperative sein könne. Folglich bleibt nur noch zu entscheiden, ob das Volk oder die Behörden einschließlich der Richter als Normadressaten zu gelten hätten. Dabei sei klar, daß es Imperative gebe, die sich ausschließlich an die Behörden richten, weil sie „die Organisation, den Geschäftsgang und die Competenz der verschiedenen Behörden regeln"®. Diese Bestimmungen äußerten sich nur „ganz i m Innern der Zwangsmaschinerie des Staats" 6 , und deshalb nennt Jhering sie „interne Zwangsnormen"®. 1 2 8 4 5 6
2«
Binder, Adressat, S. 4—12. Kelsens gegenteilige Ansicht (Hauptprobleme, S. 383) ist unrichtig. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 331. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 331 f. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 332. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 333.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
So stellt sich schließlich nur noch die Frage, ob wenigstens die externen Zwangsnormen an das Volk ergehen, d. h. alle die Normen, „deren W i r k samkeit sich passiv an der Privatperson bethätigt, welche auf Anrufen einer anderen Privatperson oder aus eigener Initiative der Staatsgewalt durch Androhung des Zwanges oder einer Strafe zu ihrer Beachtung angehalten w i r d " 6 . I n dieser Festlegung der externen Zwangsnormen ist bereits die A n t w o r t nach ihren Adressaten beschlossen. Zwar sollen sich die Privatpersonen normgemäß verhalten, und insofern richten sich die externen Zwangsnormen ans Volk 7 , aber wenn immer sich eine Rechtsnorm als solche, nämlich als Zwangsnorm, verwirklichen solle, so müsse die Privatperson letztlich doch eine Behörde anrufen. „Nicht der Umstand, daß die Staatsgewalt eine Norm ausspricht, verleiht ihr den Charakter der Rechtsnorm, sondern lediglich der Umstand, daß sie ihre Organe zur Vollziehung derselben mittelst äußeren Zwanges verpflichtet . . ." 8 , und so kann Jhering schließlich behaupten: „ A l l e gesetzlichen Imperative ohne Ausnahme sind i n erster Linie an die Behörde gerichtet . . ." 9 . Jede andere Lösung sei m i t der Auffassung von der Rechtsnorm als staatlichem Imperativ auch nicht vereinbar, was sich vornehmlich an solchen Rechtssätzen zeige, die keine Imperative an Privatpersonen darstellten: Wie könnte sich aus den begriffsentwickelnden Rechtssätzen ein Zwang ergeben, der doch „das K r i t e r i u m aller Rechtsnormen bilden soll" 7 ? Hier bewähre sich der Imperativ eben nur i n der Person des Richters, der die Normen anzuwenden gehalten ist und für den ζ. B. Volljährigkeit und Minderjährigkeit bedeuten: „behandle den Volljährigen anders als den Minderjährigen, zwinge den ersteren, die von i h m abgeschlossenen Verträge zu erfüllen, letzteren n i c h t . . ." 1 0 . 2. I n seiner Abhandlung „Elemente der allgemeinen Rechtslehre" nimmt Adolf Merkel knapp und nachdrücklich Stellung gegen die eben dargelegte Ansicht Rudolf von Jherings. Unter der Überschrift zu seinem § 6, „Die Adresse der Rechtsnormen", stellt Merkel fest, daß nach Jherings Ansicht „die primären Gebote, soweit sie sich an die einzelnen wenden, Rechtsnormen an sich nicht sein" 1 1 würden. Hiergegen verwahrt sich Merkel, indem er erwidert, daß der Zwang sekundär und bloßes Bekräftigungsmittel sei und nicht — an Stelle der „ i m Volke lebenden moralischen K r ä f t e " 1 2 — zur Hauptsache gemacht werden könne. M i t dieser Erwiderung bezieht Merkel jedoch eine andere Ausgangsposition 7 8 9 10 11 12
Jhering, Der Zweck im Recht, S. 334. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 337. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 338. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 335. Merkel, Elemente, S. 10. Merkel, Elemente, S. 12.
§ 5. Die Lehre von den Behörden
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als Jhering, der den staatlichen Zwang ausdrücklich als Merkmal bezeichnet, welches das Recht von anderen abstrakten Imperativen unterscheidet 13 . Merkel vermag daher Jhering nicht mehr immanent, sondern nur noch von außen zu kritisieren, und das bedeutet, daß er, wie Julius Binder später urteilt 1 4 , Jhering nicht widerlegen kann, wenn er schreibt: „Wer Befehle ergehen läßt, der spricht zu denjenigen, welche diese Befehle vollziehen sollen, und wer erlaubt, ermächtigt, gewährleistet, zu denjenigen, um deren Freiheit und Willensbethätigung es sich handelt. Dem Recht gegenüber aber sind alle in dieser Lage, den jedem liegt es ob, Befehle des Rechts zu befolgen und jeder hat teil an der Freiheit, welche das Recht gewährleistet. Daher existiert niemand, zu dem das Recht seiner Intention nach nicht spräche 15."
Diese Ausführungen Merkels zeigen indessen nicht nur eine Gegenposition zur Auffassung von Jherings. Es besteht nämlich eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen Jhering und Merkel i n einem anderen ihrer Ausgangspunkte. Abgesehen von einigen Vorbehalten Merkels gehen nämlich beide davon aus, daß die Rechtsnormen, m i t denen sie eigentlich Rechtsgesetze meinen, Imperative oder Befehle seien. 3. M i t seiner Untersuchung „Rechtsnormen und Kulturnormen" glaubte Max Ernst Mayer, noch weitere Gemeinsamkeiten i n den Auffassungen Merkels und Jherings nachweisen zu können 1 6 . Dies ist i h m jedoch nicht gelungen. Denn Merkel folgte Jhering weder ausdrücklich noch dem Sinne nach i n der Unterscheidung zwischen externen und internen Wirkungen der Rechtsnormen. Mayer hat seine gegenteilige Behauptung auch nicht belegt, und daher bleibt nur die Vermutung, daß er Merkels Ausführungen über primäre und sekundäre Imperative und über die doppelte Richtung der letzteren 1 7 unzutreffend interpretiert hat. Als p r i märe Imperative hatte Merkel nämlich diejenigen Normen bezeichnet, die die normale Gestaltung eines Rechtsverhältnisses regeln, wie z.B. das i n § 607 Abs. 1 BGB enthaltene Gebot an den Darlehnsempfänger, das Darlehen zurückzuerstatten. Verletzt der Darlehnsempfänger dieses Gebot, so stehen hinter dem primären Imperativ sekundäre Imperative, die die Folgen begangener Rechtsverletzungen regeln, und zwar i n zweifacher Richtung. Z u m einen verhängen sie über denjenigen, der das primäre Gebot verletzt hat, bestimmte Sanktionen, und zum andern wenden sie „sich an Organe des Staates und befehlen diesen die Feststellung des begangenen Unrechts und der dem Gesetze entsprechenden Folgen desselben sowie die etwa erforderliche zwangsweise Durchfüh18 14 15 16 17
Jhering, Der Zweck im Recht, S. 331 f. Binder, Adressat, S. 16; dies hat Kelsen (Hauptprobleme, S. 386) übersehen. Merkel, Elemente, S. 11. Mayer, S. 38 f. Merkel, Elemente, S. 9 f.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
rung dieser Folgen" 1 8 . Daraus geht deutlich hervor, daß nach Merkel der Zwang als Gegenstand der sekundären Imperative nur Bekräftigungsmittel und nicht, wie bei Jhering, als Hauptsache zu werten ist. Es muß also i m Ergebnis Binder gefolgt werden, der die von Mayer behauptete Übereinstimmung zwischen Merkel und Jhering zwar k r i t i k los wiederholt, dann aber darlegt, daß trotzdem die K l u f t zwischen den grundverschiedenen Ansichten Merkels und Jherings nicht zugedeckt werden könne 1 9 . Diese Diskussion ist indessen für das Hauptanliegen Mayers von untergeordneter Bedeutung, denn es geht i h m — i n der Nachfolge Jherings, dessen Rechtsphilosophie er sich verpflichtet weiß 2 0 — vor allem u m den Nachweis, daß die einzigen Adressaten der Gesetzesbefehle die Organe des Staates, die Richter, seien 21 . Mayer versucht seine These, m i t der er keineswegs allein steht 2 2 , folgendermaßen zu stützen: Das Volk kenne i n seiner Mehrheit die Rechtsgesetze nicht 2 3 , und dem entspreche die Tatsache, daß die Rechtsgesetze schon nach der A r t ihrer Redaktion nicht an das Volk gerichtet seien 24 . Daher müsse die Ansicht, die Rechtsnormen seien mit ihrer Publikation an die Untertanen adressiert, als Dogma gelten, das nicht einmal fiktiv aufrechterhalten werden könne 2 5 . Der Staat behandele damit „ w i der besseres Wissen jeden Unterthanen, als ob er das Reichsgesetzblatt gelesen und verstanden habe" 2 8 . Die Bedeutung der Gesetzesverkündigung 2 7 sei lediglich i n der authentischen Feststellung des echten Ge18
Merkel, Elemente, S. 9; zustimmend Bull, S. 76. Binder, Adressat, S. 16. 20 So auch Mayer im Vorwort. 21 Mayer, S. 4 f. 22 Vgl. die Nachweise bei Binding, Bd. 1, S. 9, Anm. 12, und S. 14, Anm. 26. 23 So unbestreitbar diese Tatsache ist, so bedenklich sind Mayers Schlußfolgerungen, weil es niemanden gibt, auch keinen Richter, der alle Rechtsgesetze kennt; dieser Einwand ist auch sofort in der gleich darzustellenden Kritik an Mayers Argumentation erhoben worden. Dadurch wird die von Mayer konstatierte Tatsache aber nur um so aktueller und verdient besondere Aufmerksamkeit (siehe unten §§10 und 19). 24 Mayer, S. 6—9; Binder, Adressat, spricht sogar von der „Klandestinität unserer Verkündigung in amtlichen Gesetzblättern" (S. 62 f.). Llewellyn stellt fest: " . . . we cannot 'observe' the law: we do not know what the law is. How can we?" (S. 401). Ganz in diesem Sinne sagte schon Morus von den Utopiern (S. 85) : „Sie selber halten es dagegen für höchst unbillig, irgend jemanden auf Gesetze zu verpflichten, die entweder zu zahlreich sind, als daß es möglich wäre, sie zu lesen, oder zu dunkel, als daß sie jedermann verstehen könnte." 25 Mayer, S. 9. 26 Mayer, S. 11; zust. Kelsen, Hauptprobleme, S. 381, wobei dieser aber meint, Mayer hätte daraus die Unrichtigkeit der Imperativentheorie erkennen müssen. 27 Besser: Gesetzesverkündung, da das Gesetz selbst von Verkündung spricht, vgl. die Trennung der Begriffe „Verkündung" und „Verkündigung" bei Neumann-Duesberg, S. 102—108. 19
§ 5. Die Lehre von den Behörden
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setzestextes zu sehen, nicht i n der Kundmachung für die Allgemeinheit 2 8 . Folglich könnten Kenntnis und Anerkennung der Individuen die Verbindlichkeit der Rechtsnormen nicht begründen; diese gelten vielmehr nur deshalb, w e i l sie mit den verbindlichen Kulturnormen übereinstimmen 2 9 . Kulturnormen aber seien „die Gesamtheit derjenigen Gebote und Verbote, die als religiöse, moralische, konventionelle, als Forderungen des Verkehrs und des Berufs an das Individuum herantreten" 2 9 . Schließlich argumentiert Mayer, ein konkreter Befehl sei erst dann gegeben, wenn der Richter den Rechtssatz i n einem Rechtsfall v e r w i r k liche, d. h. den abstrakten Imperativ konkretisiere 8 0 . Man könne demnach jedes Gesetz auffassen als einen abstrakten Befehl an den Richter, den konkreten Befehl an die „Unterthanen" ergehen zu lassen, sobald der Fall, für welchen der abstrakte Imperativ gesetzt ist, eingetreten ist 8 1 . Das Gesetz sei somit zwar an den Richter adressiert, habe aber auch gleichzeitig den Zweck, sich gegenüber dem Volke durchzusetzen: „ . . . es erreicht sein Ziel dadurch, daß es von dem Inhalt der Kulturnormen nicht abweicht, und dadurch, daß es in der Form, in der es sich verwirklicht, d. h. als konkreter Befehl sowohl für die Adressaten als für weite Kreise des Volkes Verhaltensmaßregel ist. Wenn wir das Recht also als Richtschnur für die Unterthanen auffassen wollen, so dürfen wir es uns nicht als System von Rechtssätzen vorstellen, sondern müssen es als Kulturmacht denken 82 ."
4. I m zweiten Teil seiner Untersuchung unternimmt es Mayer, den praktischen Erkenntniswert seiner Theorie des näheren darzulegen. Diese Ausführungen brauchen jedoch zum hinreichenden Verständnis und zur kritischen Würdigung seiner Position nicht nachgezeichnet zu werden. Denn man kann und soll sich Diskussionen über Ergebnisse sparen, wenn sie einerseits von einem in sich fehlerhaften Ansatz herrühren und andererseits ihren Erklärungswert nur i n bezug auf diesen Ansatz haben; und daß Mayer einen wenig schlüssigen Ansatz gewählt hatte, läßt 28
Mayer, S. 11 f. Mayer, S. 17. Diesen Kulturnormen entsprechen ungefähr die „folkways", die das Volk nach der Meinung Llewellyns an Stelle der Gesetze kennt; Llewellyn hat diese Ansicht allerdings später aufgegeben (vgl. Llewellyn, S. 401 und 411 Anm. d). 80 Mayer, S. 44 ff. 81 Mayer, S. 46. — Diese Vermittlerrolle des Richters hatte Kloeppel schon 1891 in seiner Abhandlung „Gesetz und Obrigkeit" hervorgehoben (Kloeppel, S. 74 ff.). Auch sonst finden sich bei Kloeppel, der kein Anhänger der Imperativentheorie war, mehrere Überlegungen, die denen M. E. Mayers ähneln, so vor allem, daß die Gesetze an die „Obrigkeit" gerichtet seien und nicht an die „Unterthanen", die ohnehin keine allgemeine Gesetzeskenntnis besäßen und auch nicht besitzen könnten oder zu besitzen brauchten; denn — und hierin unterscheiden sich die Ansichten Kloeppels und Mayers — die Gesetze seien nicht dazu da, das Verhalten des einzelnen zu bestimmen, dazu genüge das Rechtsgefühl (Kloeppel, S. 74 f.). 82 Mayer, S. 49. 29
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
sich schon den ersten, zum Teil lobenden Besprechungen 33 entnehmen und wurde später so deutlich herausgestellt, daß Mayers Theorie fast überall nur „schroffe Ablehnung" 3 4 erfuhr. Als August Thon i n seiner ausführlichen Studie über den Normadressaten Mayers Theorie als „historisch unbegründet, dogmatisch unhaltbar, i m Leben undurchführb a r " 3 5 bezeichnete, war sein Urteil durchaus repräsentativ für die überwiegende Meinung. Zwar kann man Thon einerseits vorhalten, er habe zu sehr die Mayerschen Kulturnormen kritisiert und dann zu fragen unterlassen, ob der Adressat der Rechtsnorm nicht trotzdem i m Richter zu sehen sei 3 6 ; andererseits läßt sich jedoch nicht bestreiten, daß Thon und noch genauer Gerland, auf den Thon verweist, die Hauptthesen Mayers schlüssig widerlegt haben; wie das Volk, so kennen auch die deutschen Juristen nicht mehr alle Reichsgesetze 37 ,und wenn für die Richter als Adressaten das „Könnensollen" der Rechtsnorm genüge, so lasse sich keine Begründung finden, warum von den übrigen Rechtsunterworfenen nicht dasselbe angenommen werden könne 3 8 , zumal Mayer selbst i m Verwaltungsstrafrecht von dieser Möglichkeit ausgehe 30 ; daß ferner die Publikation des Gesetzes auch die Funktion der Kundmachung erfülle, könne nicht damit widerlegt werden, daß sie eine „dürftige A r t der M i t t e i l u n g " 4 0 sei; und endlich gehöre zum Ergehen und Bestehen eines Befehles nicht, daß der Befehlsempfänger den Befehl angenommen habe: der Befehl sei ein A k t i v - , kein Passivbegriff 41 . 5. Trotz der allgemeinen scharfen Ablehnung der Lehre Max Ernst Mayers versuchte Julius Binder i n seiner Prorektoratsrede über „Rechtsnorm und Rechtspflicht" aufs neue, die These vom Richter als dem allei88 Siehe die Besprechungen von Dohna und Kohlrausch; Kohlrausch stellt am Ende seiner Besprechung (S. 740) sehr entscheidende kritische Fragen. 84 So Binder, Adressat, S. 19; vgl. die Ablehnung bei Binder, Philosophie, S. 653; Bar, Bd. 1, S. 4 ff.; Bierling, Bd. 5, S. 143—147; Brütt, S. 26 ff.; Binding, Normen, Bd. 2, 1. Hälfte, S. 368f. (in bezug auf die Kulturnormen): „Diese Lehre hat vor halbwahren den Vorzug voraus, daß an ihr Alles falsch ist", und S. 366, Anm. 5 nennt Binding Mayers These vom wirklichen Adressaten eine „staatsrechtliche Ungeheuerlichkeit". — Sehr viel vorsichtiger, teilweise zustimmend, teilweise ablehnend, diskutierte Kelsen (Hauptprobleme, S. 381 ff.) die Abhandlung Mayers. Eine lockere Anknüpfung an M. E. Mayers Gedanken findet sich neuerdings bei Schmidhäuser, der zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Rechtsordnung unterscheidet (Schmidhäuser, S. 12 ff.). 85 Thon, S. 21. 86 Binder, Adressat, S. 20. 87 Vgl. Bierling, Bd. 4, S. 267 ff.; Brütt, S. 27; Gutherz, S. 11; im gleichen Sinne schon: Schuppe, S. 19. 88 Thon, S. 21; Gerland, S. 430; ebenso: Bierling, Bd. 5, S. 146, und Kelsen, Hauptprobleme, S. 388. 89 Mayer, S. 129; Kelsen, Hauptprobleme, S. 393, bemerkt hierzu: „Mit dieser Ausnahme hat Mayer seine Kulturnormentheorie selbst aufgegeben." 40 Mayer, S. 10. 41 Gerland, S. 432; zustimmend zitiert von Thon, S. 54, und Bierling, Bd. 5, S. 144.
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nigen Adressaten der Rechtsnorm zu begründen. Dabei ging auch Binder von der Imperativentheorie aus und sah sich sogar genötigt, sie zunächst gegen Einwendungen aus den verschiedensten Richtungen zu verteidigen 4 2 , u m dann die Frage nach der Adresse der Rechtsnormen zu stellen und mit folgenden Argumenten zu beantworten: ,Die Strafgesetze befehlen nicht dem einzelnen: Du sollst dies nicht tun, sondern sie schreiben dem Richter und nur i h m vor: bei Vorliegen dieses Tatbestandes sollst D u eine Strafe i n diesem Rahmen verhängen 43 . 1 Sie sprechen also nicht zum einzelnen und verpflichten i h n nicht. Und geradeso verhalte es sich auch auf den anderen Rechtsgebieten, was für das Obligationenrecht zur Folge habe, daß es keine Pflichten, sondern nur noch Haftungen geben könne 4 4 . Des weiteren erweise sich die Richtung der Rechtsnormen auf den Richter auch bei rückwirkenden Gesetzen, da Imperative nur i n die Zukunft wirken können und folglich Gebote über Geschehenes nie für den einzelnen, sondern nur für den (nachträglich) urteilenden Richter Sinn haben 45 . Für die Richtigkeit seiner „Auffassung vom Wesen 46 und der Richtung der Rechtsnorm" 47 führt Binder außerdem zahlreiche Beispiele aus dem römischen Recht an, die hier jedoch nicht geprüft werden können und wegen ihrer Unverbindlichkeit für unser Jahrhundert auch nicht geprüft zu werden brauchen. Es bleibt folglich festzustellen, daß Binder hauptsächlich m i t den Strafgesetzen, die er als „Imperative i n der Form des Urteils" 4 3 betrachtet, besonders leicht beweisen zu können glaubt, was für alle Imperative des Rechts gelte: „daß die Behörde... durch ihre staatsrechtliche Stellung der Pflicht unterliegt, diesem Befehl zu gehorchen, daß dagegen der Unterthan durch das Gebot der Rechtsordnung zwar mittelbar sehr empfindlich getroffen werden kann, daß aber eine Rechtspflicht in irgendeinem Sinne für ihn nicht besteht. Damit steht es nicht im Widerspruch, daß alles Recht schließlich nicht um der Behörden, sondern um des Volkes willen da ist; daß das Recht s e i n e n Interessen dienstbar ist, schließt nicht aus, daß das Volk für die korrekte, wissenschaftliche Betrachtung als Objekt der Rechtsnorm, nicht als ihr Adressat erscheint" 48 .
41
Binder, Rechtsnorm, S. 15 ff.
4S
Binder, Rechtsnorm, S. 23.
44
Binder, Rechtsnorm, S. 38.
45
Binder, Rechtsnorm, S. 24, Anm. 2; in bezug auf das Verhältnis Befehl— Adressat findet sich derselbe Gedanke bei Krüger, Staatslehre, S. 287, allerdings zu einem anderen Zweck. 46 Gesperrt von mir; Binder spricht sehr oft vom „Wesen" der Rechtsnorm. Zur Wesensargumentation siehe unten § 10, Abschnitt 1. 47
Binder, Rechtsnorm, S. 28.
48
Binder, Rechtsnorm, S. 27 f.
26
2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
Wenn es dennoch sittliche Pflicht des einzelnen sei, der Rechtsordnung entsprechend zu handeln, so müsse diese Pflicht als Pflicht gegenüber, nicht aus dem Rechte verstanden werden 4 9 . 6. Man kann nicht behaupten, daß Binders Rede von der herrschenden Meinung (soweit sie überhaupt reagierte) freundlicher aufgenommen worden sei als die Lehre Max Ernst Mayers. Leonard Nelson nannte Binders Rede als Beispiel für den »rechtlichen Nihilismus m i t seinen verwüstenden Konsequenzen' 50 . Ernst Rudolf Bierling urteilte: „ E i n so krasser Bruch m i t Sprachgebrauch und Allgemeinempfinden, wie er i n der Binderschen Theorie vorliegt, richtet sich schließlich selbst 51 ." Paul Puntschart kam zu dem Schluß: „Deutsches Recht war Binders These jedenfalls nie 5 2 ." Diese harten Urteile können nicht als unberechtigt bezeichnet werden, denn Binders Argumentation war schwach genug, eine große Zahl schwerwiegender Gegengründe nahezulegen, die i h m auch sogleich vorgehalten wurden: die Rechtsordnung sei nicht für die Behörden geschaffen, und ihre Befehle müssen daher von den einzelnen Rechtsgenossen beachtet werden; das Eingreifen der Behörde stehe grundsätzlich an zweiter Stelle; der behördliche Zwang könne nur dem Erfüllungsersatz dienen, nicht der (primären) Erfüllung; es gebe auch zwangsfreie Rechtspflichten und so fort 5 3 . Als größter Mangel aber, nämlich als Widerspruch, wurde die Tatsache erkannt 5 4 , daß Binder einerseits konstatiert, aus den rechtlichen Imperativen können keine Rechtspflichten erwachsen, andererseits aber ohne weiteres den Richter als Normadressaten bezeichnet und zum gesetzmäßigen Urteilen verpflichtet sein läßt. Binder sah später ein, daß er diesen Widerspruch nicht auflösen konnte, und da er seine Ansicht über Rechtsnorm und Rechtspflicht nicht aufgeben mochte, versuchte er, die Verträglichkeit der Ergebnisse m i t der Behauptung wiederherzustellen, daß auch der Richter „durch den Befehl des Rechtes rechtlich nicht verpflichtet werden" 5 5 könne. Nach dieser Wendung war es nur folgerichtig, wenn Binder schrieb: „Die Frage der Verpflichtung gegenüber dem Gesetz muß als ein Problem der Sittlichkeit und nicht des Rechtes durchaus unabhängig davon sein, wer als Adressat der Rechtsnorm betrachtet werden kann 5 5 ." 49
Binder, Rechtsnorm, S. 48; klargestellt in Binder, Philosophie, S. 746. Nelson, Rechtswissenschaft, S. 179. 51 Bierling, Bd. 5, S. 149. 51 Puntschart, S. 490. M Puntschart, S. 489 f. 54 Bierling, Bd. 5, S. 148; Nelson, Rechtswissenschaft, S. 181 f.; Puntschart, S. 491. — Diese Unstimmigkeit hatte Kelsen schon vorher bei Jhering entdeckt und gerügt (Kelsen, Hauptprobleme, S. 385 f.). 55 Binder, Philosophie, S. 748; zum philosophischen Hintergrund dieser A n sicht siehe unten Abschnitt 8 dieses Paragraphen. 50
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Leider weigerte sich Binder 5 6 , die allzu berechtigte K r i t i k offen als Veranlassung für diese Korrektur zuzugeben. I n Wirklichkeit registrierte er sie nämlich recht genau, denn die zahlreichen Einwände haben i h n schließlich bewogen, sechzehn Jahre nach seiner Rede eine monographische Abhandlung über den Adressaten der Rechtsnorm und seine Verpflichtung zu publizieren. 7. Z u Beginn dieser Schrift wiederholt Binder die eben dargelegte Einschränkung gegenüber seiner Rede von 1911. Darüber hinaus konzediert er den K r i t i k e r n und ihren gegenteiligen Lehren so gut wie nichts, sofern man i n der überaus sorgfältigen Arbeit, die diese Untersuchung enthält, nicht doch eine Konzession sehen w i l l . Wiederum geht Binder aus von der Frage „nach der Verpflichtung durch das Recht" 5 7 und stellt als Sinn seiner Lehre klar, „das Wesen des Rechts als eines praktischen Apparats restlos und ohne Fiktion . . . zu erfassen" 58 . Er bleibt bei dem Ergebnis, daß das Recht praktisch nur durch diesen äußeren Apparat funktioniere 5 9 , weshalb die Imperative des Rechts an den Richter, nicht an das Volk gerichtet sein müssen 60 . Binders Begründung ist i m einzelnen diffizil, reich an historischen Beispielen und sogar beinahe schlüssig, was i h m allerdings nicht als alleiniges Verdienst zugerechnet werden darf. Er konnte nämlich umsichtig argumentieren, weil, wie er selbst darlegt, zahlreiche andere Philosophen sich nach Argumenten umgesehen hatten: schon seit den Anfängen des Naturrechts wurde die Lehre vom Richter als dem alleinigen Adressaten der Rechtsnorm i n den unterschiedlichsten Formen vertreten und bekämpft 6 1 . Nach einer Betrachtung der Einwände gegen diese Lehre kommt B i n der zu dem Ergebnis, daß sie jeweils nur die Begründungen seiner Vorgänger berührten, nicht aber seine eigene Argumentation oder gar das Ergebnis selbst 62 . Allerdings müsse die formelle Adresse der Rechtsnormen von der materiellen geschieden werden; denn i m Gegensatz zu der i n früheren Zeiten vielfach anzutreffenden Praxis sei heute aus der Formulierung des Gesetzes und aus der A r t der Publikation ein bestimmter Adressat nicht mehr zu entnehmen 68 . Diese Unbestimmtheit i n der formellen Adresse dürfe jedoch nicht auf die materielle Seite übertragen werden, auf der allein die Behörde Adressat des gesetzlichen Imperativs 56 57 68 59
61 62 63
Binder, Philosophie, S. 747; ders., Adressat, S. 3. Binder, Adressat, S. 4. Binder, Adressat, S. 54. Binder, Adressat, S. 54 f.; so auch schon in der Hede, S. 37. Binder, Adressat, bes. S. 61, 65 ff. Binder, Adressat, S. 4—24. Binder, Adressat, S. 24 (insbesondere gegen Fischer, S. 24). Binder, Adressat, S. 24—51.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
sei 64 , denn „das, was das Recht zum Rechte macht, ist doch der Zusammenhang des Gesetzes m i t dem staatlichen Zwangsapparat; nur i n i h m und durch i h n ist Recht, und nur i n i h m und durch i h n sind Rechte" 95. Binder versucht, dieses Ergebnis paradigmatisch für das ganze Recht 64 m i t dem Strafgesetz nachzuweisen, das zwar i n der Form des Indikativs auftrete, der Sache nach aber ein Imperativ 8 ® sei. Daß auch Binder das Strafgesetz als Normenbeispiel anführt 6 7 , ist nicht verwunderlich. Für einen Anhänger der Imperativentheorie scheint sich i m Strafrecht das Subordinations- und Befehlsverhältnis zwischen Staat und Rechtsuntertan besonders augenfällig zu offenbaren. Allerdings sah Binder sich gezwungen, die Imperativentheorie zu verfeinern. Seine Ansicht über den wahren Adressaten der Rechtsnorm vertrug sich nämlich nicht m i t dem Satz der Imperativentheoretiker, daß sich niemand selbst etwas befehlen könne, auch der Staat nicht sich selbst, d. h. seinen Organen, den Behörden. Binder löst dieses Problem dadurch, daß er den Organbegriff als mehr oder weniger hinkenden Vergleich bezeichnet, aus dem Rechtssätze und Rechtsbegriffe nicht deduziert werden könnten 6 8 . Binder erinnert damit nachdrücklich und m i t Berechtigung an den metaphorischen Charakter jeder Modellvorstellung. Das hinderte i h n indessen nicht, die Modellvorstellung, welche m i t der Imperativentheorie verbunden zu sein scheint, nämlich das Befehlsverhältnis, ungeprüft zu lassen. Binder sieht vielmehr i n diesem B i l d eine Bestätigung seiner Lehre und seiner A u f fassung der Imperativentheorie: es sei widersinnig, anzunehmen, das Gesetz erteile Säuglingen und Unzurechnungsfähigen, also den „untauglichen Befehlsempfängern" i m Sinne Hold von Fernecks 69 , verpflichtende Befehle 70 , und daher widerspreche die u. a. von Thon 7 1 vertretene Gegenmeinung allgemeinen Vernunftgründen 7 2 . A l l e i n die Beschränkung des Adressatenkreises auf die Behörden wahre die Imperativische Natur des Rechtes 73 und den Satz: „ignorantia iuris nocet" 7 4 , wie sich aus folgender Überlegung ergebe: 64
Binder, Adressat, S. 61. Binder, Adressat, S. 62. 66 Binder, Adressat, S. 56. 87 Ebenso ζ. B. Mayer, S. 5. 88 Binder, Philosophie, S. 526—528; ders., Adressat, S. 53; für die „Einheit von Staat und Organ" tritt dagegen J. Goldschmidt, S. 239 f., ein. 69 Über Hold von Fernecks Lehre vom untauglichen Befehlsempfänger siehe unten § 6 Abschnitt 1. 70 Binder, Adressat, S. 65 f.; so schon Merkel, Rechtsnorm, S. 387, und ähnlich Binding, Normen, Bd. 1, S. 99, 243 ff. (245) gegen Thon; Lundstedt, S. 173; Nowakowski, S. 291 ; Lampe, S. 22. 71 Zur Kritik Thons an Hold von Ferneck siehe unten § 6 Abschnitt 2. 72 Binder, Adressat, S. 66. 78 Binder, Adressat, S. 65; Binder versucht also gleichzeitig seine Lehre und 85
§ 5. Die Lehre von den Behörden
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„ist das Gesetz in Kraft getreten, so kann der Richter abwarten, bis ein Fall, der sich unter seiner Herrschaft zugetragen hat, zur Entscheidung vorgelegt wird, um dann das Gesetz darauf anzuwenden; nach d e r Auffassung dagegen, die im Volke den Normadressaten sieht, hätte der Unterthan die Pflicht, in der Gesamtheit seiner Lebensäußerungen — wir tun ja beinahe keinen Atemzug, ohne damit einen juristischen Tatbestand herzustellen — die Gesamtheit aller erdenklichen Rechtsnormen im Auge zu haben, um sich täglich und stündlich nach ihnen zu richten und ja nicht gegen sie zu verstoßen. Er hätte die Pflicht — die doch nur durch dieselbe Rechtsordnung ihm auferlegt sein könnte — in dem Augenblick, in dem ein Gesetz in Kraft treten würde, es zu kennen, seine Vorschriften in allen Konsequenzen zu übersehen und sein Verhalten darnach einzurichten" 75 . S o m i t ist die P o s i t i o n B i n d e r s h i n r e i c h e n d d e u t l i c h g e w o r d e n , u n d es e r ü b r i g t sich die E r ö r t e r u n g der w e i t e r e n a u f das i n t e r n a t i o n a l e u n d i n t e r t e m p o r a l e P r i v a t r e c h t bezogenen Versuche, m i t d e n e n B i n d e r d e n »systematischen B e w e i s f ü r d i e N o t w e n d i g k e i t u n d die R i c h t i g k e i t ' 7 6 seiner L e h r e e r b r i n g e n w i l l . 8. I n der b i s h e r i g e n D a r s t e l l u n g der L e h r e v o n d e n B e h ö r d e n als d e n einzigen A d r e s s a t e n der R e c h t s n o r m i s t e i n w i c h t i g e r A s p e k t v e r n a c h lässigt w o r d e n , d e m n u n — i n der Rückschau — besondere A u f m e r k s a m k e i t geschenkt w e r d e n k a n n u n d m u ß . G e m e i n t s i n d die p h i l o s o p h i s c h e n G r u n d l a g e n u n d die G e m e i n s a m k e i t e n , die J h e r i n g , M a y e r u n d B i n d e r zu i h r e r L e h r e b e w e g t haben. So v i e l ist d e u t l i c h g e w o r d e n : a l l e d r e i Rechtsphilosophen w o l l t e n m i t i h r e r L e h r e die F r a g e b e a n t w o r t e n , ob u n d w i e die R e c h t s n o r m e n ü b e r h a u p t Pflichten b e g r ü n d e n k ö n n e n . D i e gemeinsame G r u n d l a g e b e s t a n d i n der A u f f a s s u n g , daß die Rechtsnormen, ganz i m Gegensatz z u d e n N o r m e n der M o r a l , d u r c h d e n äußeren, n ä m l i c h s t a a t l i c h e n Z w a n g char a k t e r i s i e r t seien 7 7 . Z u r entscheidenden F r a g e w u r d e daher, w i e sich die Ä u ß e r l i c h k e i t u n d A b s t r a k t h e i t des Rechts z u r P f l i c h t des e i n z e l n e n verhalten.
die Imperativentheorie zu verteidigen, denn die Imperativentheorie ist bis in die neuere Zeit hinein nicht nur aus logischen Gründen, sondern wegen der untauglichen Adressaten abgelehnt worden. Vgl. Wendt, S. 13, und Nowakowski (der Binder nicht erwähnt), S. 291: „ . . . ein entscheidendes Argument, das der Imperativentheorie immer wieder entgegengehalten worden ist: die im positiven Recht zweifellos verankerte Möglichkeit rechtswidrigen Verhaltens Zurechnungsunfähiger. " 74 Daß Binder den schon damals so umstrittenen Satz mit seiner Lehre beweisen will und ihn gleichzeitig zum Beweis seiner Lehre verwendet, hat Armin Kaufmann, S. 186, zu Recht als bedenklich kritisiert; ähnliche Bedenken hatte schon J. Goldschmidt geäußert, S. 236 f. 75 Binder, Adressat, S. 63. 76 Binder, Adressat, S. 62. 77 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 331; Mayer, S. 4 ff. (vgl. auch sein im Vorwort geäußertes Bekenntnis zur Rechtsphilosophie Jherings); Binder, Adressat, S. 62.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm J h e r i n g l ä ß t n u r d i e O r g a n e des Staates v e r p f l i c h t e t s e i n u n d m a c h t
d e r e n V e r p f l i c h t u n g sogar z u r V o r a u s s e t z u n g d a f ü r , daß eine v o m Staate gesetzte N o r m ü b e r h a u p t R e c h t s n o r m w e r d e 7 8 . M a y e r g r e i f t z u r ü c k a u f d i e v o n i h m so g e n a n n t e n K u l t u r n o r m e n , u n t e r s t e l l t i h r e a l l g e m e i n v e r p f l i c h t e n d e W i r k u n g u n d b e n u t z t sie sod a n n als V e h i k e l z u r B e g r ü n d u n g d e r a l l g e m e i n e n G e l t u n g d e r Rechtsn o r m e n , w o b e i d i e Rechtspflicht des e i n z e l n e n erst d a d u r c h b e g r ü n d e t w i r d , daß d e r R i c h t e r d e n a n i h n g e r i c h t e t e n a b s t r a k t e n Rechtsbefehl i n einen konkreten Befehl an den einzelnen u m w a n d e l t 7 9 . B e i B i n d e r , d e r M a y e r h e f t i g k r i t i s i e r t 8 0 , g i b t es aber auch diese P f l i c h t e n - T r a n s f o r m a t i o n n i c h t m e h r — d i e strenge U n t e r s c h e i d u n g v o n Recht u n d M o r a l f ü h r t dazu, daß auch der R i c h t e r d u r c h das Recht n i c h t r e c h t l i c h v e r p f l i c h t e t w e r d e n k a n n 8 1 . B i n d e r b e d i e n t sich d a m i t o h n e M o d i f i kationen der Kantschen T r e n n u n g v o n „ M o r a l i t ä t " u n d „ L e g a l i t ä t " 8 2 , u n d so v e r w u n d e r t es n i c h t , daß sich R a d b r u c h b e i seiner U n t e r s c h e i d u n g v o n Recht u n d M o r a l auch a u f B i n d e r s t ü t z t 8 8 , dessen P h i l o s o p h i e i m ü b r i g e n v i e l n ä h e r a n H e g e l o r i e n t i e r t ist. I n seiner „ P h i l o s o p h i e des Rechts" h a t t e B i n d e r sogar d e u t l i c h e r k l ä r t : „ . . . da Kant die Welt, die w i r suchen und suchen müssen, die empirische Welt, in der die Ideen herrschen, überhaupt nicht kennt, und da sie uns bei Hegel als die Welt überhaupt entgegentritt, so gilt es sich von Kant abzuwen78
Jhering, Der Zweck im Recht, S. 337. Mayer, S. 44 ff.; vgl. oben Abschnitt 3. 80 Binder, Adressat: „Die Theorie M. E. Mayers scheitert nicht an seinem Radikalismus, an der extremen Konsequenz seines Gedankens, sondern im Gegenteil an ihrer H a l b h e i t . . . " (S. 19). Mayer bleibe die Tür ins Freie verschlossen, „weil sich an ihr in seinem Bewußtsein immer noch ein Riegel befindet, den er nicht zurückzuschieben wagt: die Vorstellung nämlich, daß es P f l i c h t e n sind, die die R e c h t s Ordnung... dem Menschen auferlegt und deren Nichterfüllung die Berechtigung der staatlichen Reaktion begründet" (S. 21 f.). 81 Binder, Philosophie, S. 748; vgl. oben Abschnitt 6. 82 Kant, S. 117 f., 132 f., 237 ff. 88 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 135 Anm. 1; zu den sehr konkreten Folgerungen, die für Radbruch aus dieser Trennung zwischen Moralität und Legalität in bezug auf den „Überzeugungstäter" resultieren, vgl. Noll, Der Überzeugungstäter im Strafrecht. Dort heißt es (S. 644 f.) : „Die Kantsche Trennung von ,Moralität und Legalität' zieht Radbruch im Anschluß an Binder und Löwenstein bis zu der Folgerung durch, daß nur die ethische und vom Gewissen der autonomen Person selber anerkannte Norm verpflichte, die rechtliche Norm dagegen n i c h t . . . " „Daraus folgt nun mit einleuchtender Konsequenz, daß nur derjenige ethisch verpflichtet ist, der die rechtliche Norm für sich selber anerkennt und daß demnach nur derjenige sittlicher Mißbilligung unterliegt, der eine von ihm selbst anerkannte Norm verletzt. Da der Überzeugungstäter eine Norm verletzt, die er nicht anerkennt, unterliegt er keiner sittlichen Mißbilligung." Noll hat indessen nachgewiesen, daß Radbruchs U n terscheidung zwischen dem Überzeugungstäter und dem „gemeinen Verbrecher" in dieser Generalisierung unrichtig sei (aaO, S. 645 ff.). 79
§ 5. Die Lehre von den Behörden
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den und sich zu Hegel zu bekennen, als dem Philosophen der Ideenimmanenz per eminentiam 84 ."
Desgleichen versichert Binder i n seiner Abhandlung „Der Adressat der Rechtsnorm und seine Verpflichtung", i n der er Kant nur beiläufig zitiert 8 5 , er teile die Staatsauffassung Hegels i m wesentlichen 86 . Für das hier dargestellte zentrale Problem der Scheidung von Recht und Moral gilt dieses Bekenntnis jedoch offensichtlich nicht. Denn Hegel lehrte: „Auf die Frage eines Vaters, nach der besten Weise seinen Sohn sittlich zu erziehen, gab ein Pythagoräer (auch Anderen wird sie in den Mund gelegt) die Antwort: wenn du ihn zum B ü r g e r e i n e s S t a a t s v o n g u t e n G e s e t z e n machst 87 ." „In dieser Identität des allgemeinen und besonderen Willens fällt somit P f l i c h t und R e c h t in Eins, und der Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte, als er Pflichten, und Pflichten insofern er Rechte hat 8 8 ."
Die philosophische Genese der Lehre Binders ist somit klar. I n bezug auf Jhering und Mayer können die philosophischen Hintergründe nicht so deutlich verfolgt werden. Jedenfalls liegen aber auch ihre Voraussetzungen — wenn überhaupt — näher an der Philosophie Kants als an derjenigen Hegels. M i t größerer Sicherheit kann indessen noch auf einen anderen Zusammenhang hingewiesen werden: auf die Beeinflussung Jherings durch Bentham. Jherings Werk „Der Zweck i m Recht" ist nämlich, wie Helmut Coing kürzlich feststellte, „ganz i m Geiste Benthams geschrieben" 89 . Wenn Jhering daher die Normen des Rechts i m Gegensatz zu den Normen der Moral, der Sitte und der Mode als abstrakte Imperative bezeichnet, die durch das „Moment des äußeren, durch die Staatsgewalt m i t ihnen verbundenen und durch sie gehandhabten Zwanges" 0 0 charakterisiert seien, so steht er der Ansicht Benthams nahe, der sich das Recht i m wesentlichen als von oben aufgezwungen dachte 91 . Auch hinsichtlich der noch zu erörternden Imperativentheorie 9 2 läßt sich — wie die folgende Bemerkung Stones zeigt — von Bentham zu Jhering eine Verbindung ziehen: "The late Sir Frederick Pollock argued that there was no necessary relation between the imperative theory of law and the utilitarian theory of justice. This 84
Binder , Philosophie, S. 67 f. Die Gründe für seine Abkehr von Hegel in diesem Punkte — sie sollen hier nicht weiter verfolgt werden — hat Binder allerdings zuvor in seiner „Philosophie des Rechts" ausführlich dargelegt (S. 824—830). 86 Binder, Adressat, S. 10. 87 Hegel, Philosophie des Rechts, § 153. 88 Hegel, Philosophie des Rechts, § 155. 89 Coing , S. 75. 90 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 331 f. 91 Vgl. Stone, S. 268. 92 Siehe unten §§ 8—10. 85
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
may be so logically, and not so sociologically. Certainly it is noteworthy that both in Bentham's individualist utilitarianism and in Jhering's social utilitarianism they march together." 98
§ 6. Die Lehre vom untauglichen Normadressaten 1. Das ohnehin schon schwierige Adressatenproblem wurde durch die Erörterungen Alexander Hold von Fernecks i n den beiden Bänden über „Die Rechtswidrigkeit" noch diffiziler, denn sie wandten sich einer bis dahin wenig beachteten Erscheinung zu: dem sogenannten untauglichen Befehlsempfänger 94 . Für Hold von Ferneck stellt sich die Frage nach dem Adressaten der Rechtsnorm erst nach seiner Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Recht als zwei Machtbereichen. Unter dem Recht als objektiver Macht sei zu verstehen „die vom bewußten Gesetzgeber ausgehende Macht, die darauf berechnet ist, den zur Verletzung Disponierten von pflichtwidriger Bethätigung abzuhalten" 9 5 . Demgegenüber bedeute das subjektive Recht als Niederschlag des objektiven Rechtes 96 diejenige Macht, „die der Träger eines Interesses dadurch über einen m i t i h m i n Beziehung stehenden Widersprechenden übt, daß diesen ein Motiv von pflichtwidriger Bethätigung gegen das Interesse abhält" 9 7 ; das Recht als subjektive Macht habe seine Bedeutung „als Rechtsbewußtsein, welches durch sein Wirken i n der Innerlichkeit des Menschen eine pflichtwidrige Disposition überhaupt nicht aufkommen zu lassen strebt" 9 5 . Folglich entscheidet nach Hold von Ferneck das Funktionieren des Rechtes als subjektiver Macht über die Geltung des Rechtes als objektiver Macht, so daß zwischen beiden ,nur i n den Menschen selbst wohnenden 4 9 8 Polen des Rechts ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit besteht. Die Bestimmung dieser Abhängigkeit habe jedoch zur Voraussetzung, daß zwischen beiden Seiten des Rechts geschieden würde. Ohne diese Scheidung sei nicht zu klären, „dass sich das Recht auch Denen gegenüber als solches bewährt, die des Rechtsgefühls ermangeln" 9 6 , „dass es nicht brutale Gewalt, sondern „Recht" ist, wenn Gesetze ins Leben gerufen werden, die dem Rechtsbewußtsein eines Theiles der Rechtsunterworfenen widerstreiten" 9 6 . 98
Stone , S. 268 Anm. 8. Vgl. hierzu den von Adolf Merkel gegen August Thon gerichteten Satz: „Aber augenscheinlich hat es keinen Sinn, Befehle an Jemanden zu richten, von dem wir wissen, daß er sie nicht verstehen und befolgen kann, und Verletzungen dieser Befehle durch solche Personen anzunehmen" (Merkel, Rechtsnormen, S. 387). 95 Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 202. 96 Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 103. 97 Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 99. 98 Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 207. 94
§ 6. Die Lehre vom untauglichen Normadressaten
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Nach dieser Differenzierung kann sich für H o l d von Ferneck die Frage nach dem Adressaten der Rechtsnorm n u r für das Recht als objektive Macht ergeben: als subjektive Macht ist es „dauernde Disposition i n allen Rechtsunterworfenen schlechthin" 9 9 , als objektive Macht dagegen ist es „das unmittelbare Product zweckbewußter Thätigkeit des Gesetzgebers" 9 5 und somit ein „Complex von Imperativen oder N o r m e n " 1 0 0 . A n wen der Gesetzgeber seine Normen richte, könne indessen weder aus dem Gesetz noch durch eine historische oder empirische Betrachtung beantwortet werden, sondern liege i m Begriffe der N o r m beschlossen 100 . Die Rechtsnorm sei nämlich die an einen Menschen gerichtete Willenskundgebung eines vernünftigen 101 Befehlenden; sie übe, w e i l sie m i t einer Sanktion versehen sei, einen psychischen Zwang auf den Menschen aus u n d entfalte eine wenigstens regelmäßige W i r k s a m k e i t 1 0 0 . Dieser N o r m begriff enthält bereits eine zweifache, der Disposition des Gesetzgebers entzogene Beschränkung des potentiellen Adressatenkreises: „1. Die Normen ergehen an einzelne Menschen und zwar nur an solche Menschen, von denen ein vernünftiger Gesetzgeber eine mindestens regelmäßige Befolgung erhoffen kann. Die Normen richten sich sonach nicht an alle Menschen, sondern nur an principiell taugliche Befehlsempfänger. 2. Die Normen richten sich weiters an die tauglichen Befehlsempfänger nicht immer, sondern nur dann, wenn sie sich in einer Lage befinden, welche die wenigstens regelmäßige Durchsetzung der Befehle voraussehen läßt. Denn die Norm ist wesentlich W i l l e n s kundgebung, und man hat nur wollen, was man für erreichbar hält 1 0 2 ."
Diese Beschränkung des Adressatenkreises folgt unmittelbar aus dem Zusammenspiel der (Hegeischen) Vernunft-Immanenz m i t einer realpsychischen Auffassung des Gesetzesbefehls. Unter diesen Voraussetzungen liegt nicht nur, wie Hold von Ferneck meint, die A n t w o r t auf die Frage nach der Adresse des Gesetzesbefehls, sondern die Frage selbst i m Begriffe der N o r m beschlossen. Eine Unterscheidung zwischen V o l k und Behörden i m Sinne Jherings, Mayers oder Binders ist auf dieser Grundlage unmöglich. Zwischen den Thesen Mayers und Hold von Fernecks gibt es indessen einen wichtigen gemeinsamen Bezugspunkt: beide versuchen, die Imperativentheorie an der Realität zu messen u n d zu 99
Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 208. Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 198. 101 Zu der dem Gesetz immanenten Vernunft vgl. Dölle, der die These aufstellt (S. 23), „daß dort, wo die Befolgung einer Rechtsvorschrift zu einem ganz unvernünftigen Ergebnis führen würde, die Vorschrift nach dem immanenten Willen der Rechtsordnung selbst auf ihr Gebot Verzicht leistet" und schließlich schreibt (S. 36): „Man sollte sich darüber klar sein, daß die letztlich maßgebende Instanz der Gesetzes-Wille ist und daß ihm als einem abstrakt-ideal zu denkenden Faktor ein Mindestmaß an Vernunft immanent sein muß." — Ähnlich Boistel (S. 52), der über die Rechtsnormen schreibt: „ . . . c e s ordres sont ceux d'un être intelligent s'adressant à des êtres intelligents; d'un supérieur qui veut être approuvé par la raison avant l'être obéi..." 102 Hold von Ferneck, Bd. 1, S. 198 f. 100
3 U.Krüger
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
korrigieren, w e i l sie die Imperativentheorie nicht als logisches Abstraktum, sondern als B i l d der Gesetzgebungswirklichkeit verstehen. Diese Tatsache w i r d noch genauer zu erörtern sein (§§8 bis 10). 2. Durch Hold von Fernecks Angriffe auf die Allgemeingeltung der Normen 1 0 3 sah sich August Thon veranlaßt, den größten Teil seiner bereits erwähnten Untersuchung über den Normenadressaten der Widerlegung seines „jugendlichen Kollegen" 1 0 4 zu widmen. Gleich zu Anfang seiner Entgegnung konstatiert Thon, daß er und Hold von Ferneck von derselben Grundanschauung ausgingen: „er bekennt 105 sich — wie ich — zur Imperativentheorie" 1 0 6 . Daß diese Formulierung als prägnant und bezeichnend zu werten ist und nicht als Lapsus eines Wissenschaftlers, w i r d von Thon an anderer Stelle verdeutlicht: „Gesetze sind Befehle, Befehle Motivations ver suche, ein Motivations versuch gegenüber solchen, die nicht zu beeinflussen sind, wäre ein Versuch am gänzlich untauglichen Objekte! Ein schreiender Widerspruch, wie es scheint! Ein solcher Mißklang, daß Hold von Ferneck, um ihn zu vermeiden und um unsere I m p e r a t i v e n t h e o r i e vor solcher T r ü b u n g zu r e t t e η 1 0 5 , zu seiner Lehre von den „untauglichen Befehlsempfängern" gelangt 107 ."
Thon versucht, die »bestechenden Ausführungen 4 1 0 8 Hold von Fernecks m i t einem Rückgriff auf das positive Recht zu lösen 109 . Der Gesetzgeber wisse, daß seine Befehle nicht überall Gehorsam fänden, w e i l die Normunterworfenen nicht gehorchen wollen oder können 1 1 0 . Dennoch müsse er seine Befehle an alle und an alle zu jeder Zeit richten 1 1 1 , da sonst ein heilloser Zustand der Rechtsunsicherheit entstünde 1 1 2 . Der Zweck aller Rechtsetzung sei Interessenschutz 113 , und diesem Zweck könne nur dadurch entsprochen werden, daß mittelbar betroffene Dritte normwidriges tos Thon hatte die Angriffe M. E. Mayers „weit weniger ernst" genommen (Thon, S. 22). 104 Thon, S. 23. 105 Gesperrt von mir; vgl. auch Engisch, Logische Studien, S. 6, Anm. 1: „Ich habe mich zu ihr bereits in m e i n e r . . . Dissertation . . . bekannt." 109 Thon, S. 22. 107 Thon, S. 38; Schoetensack bezeichnete Hold v. Fernecks Abhandlung sogar als „Brandrakete..., die die Norm selbst... mit teilweiser Vernichtung bedroht" (S. 20). 108 Thon, S. 22; Nagler urteilt später über den Streit: es „liegen die logischen Trümpfe in dem Duell v. Ferneck — Thon bei dem ersteren; die Wahrheit jedoch ist mit dem letzteren" (S. 336). 109 Diesem Lösungsweg stimmt Fischer, S. 25 f., größtenteils zu, während Schoetensack im Rahmen einer Untersuchung dieses Streites meint, Thon sei nur insofern recht zu geben, als er sich für den Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit einsetze (S. 23). 110 Thon, S. 35 ff., 46. 111 I m gleichen Sinne nachdrücklich Bierling, Bd. 3, S. 301 f., und Brütt, S. 28. 112 Thon, S. 36. 113 Thon, S. 38.
§ 6. Die Lehre vom untauglichen Normadressaten
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Verhalten der „untauglichen" Befehlsempfänger auch als solches zu erkennen und zu verfolgen i n der Lage seien 114 . So sei ein Säugling nach § 1 BGB und § 50 ZPO rechts- und parteifähig, und daraus ergebe sich zwingend die Notwendigkeit, diesen nach Hold von Ferneck untauglichen Befehlsempfänger nicht nur zu berechtigen, sondern auch zu verpflichten und gegebenenfalls einem Erfüllungszwang auszusetzen. „ E i n Verpflichtetsein durch die staatliche Norm ist die logische Voraussetzung für Verurteilung und Vollstreckung 1 1 5 ." Deswegen gelten die Rechtsnormen auch den Unzurechnungsfähigen. Dies ergebe sich aus § 55 StGB, der zu Thons Zeiten gelautet hatte: „Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht vollendet hat, kann wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt werden."
Eine solche Vorschrift wäre aber überflüssig, wenn Kinder unter zwölf Jahren keine Delinquenten sein könnten 1 1 6 . Thon antizipiert dabei die Möglichkeit des Vorwurfes, mit seiner Argumentaion gelassen über ein dringendes Anliegen Hold von Fernecks hinweggegangen zu sein 1 1 7 : daß die Jurisprudenz vom Standpunkt des Wissenschaftlers und nicht von dem des juristischen Handwerkers betrachtet werden müsse und daß die Wissenschaft nicht schon deshalb von einer Pflicht reden dürfe, „wenn und w e i l § 2 oder A r t . 3 irgend eines gesetzgeberischen Fabrikates dieses Wort verwendet" 1 1 8 . Welcher Wissenschaftler wollte die Erfüllung dieses Postulates sich nicht angelegen sein lassen? Thon machte indessen keine Ausnahme, da er es unternahm, „die Sprache der Gesetze auf ihre innere Berechtigung zu prüfen und deren Unentbehrlichkeit nachzuweisen" 119 . Wie noch darzulegen sein wird, ist Thons Ergebnis weithin zu billigen, was allerdings noch keinen Schluß auf die Richtigkeit seines Ansatzes und seiner Deduktion zuläßt. Denn hier zeigt sich allzu deutlich, was immer wieder geschieht: ein erwünschtes Ergebnis bestimmt die Konstruktion seiner Begründung. Diese Begründung ist dann oft Scheinbegründung, bleibt aber, bis eine echte Begründung nachgeschoben wird, bestehen, w e i l sie zu einem akzeptablen Ergebnis „ f ü h r t " 1 2 0 . 114
Thon, S. 47. Thon, S. 41. 116 Thon, S. 33. 117 Thon, S. 23. 118 Hold von Ferneck, Bd. 2, S. 34; ähnlich Binder, Rechtsnorm, S. 44 f. 11β Thon, S. 24. 120 Ein bekanntes Beispiel für diesen Fall bildet die Begründung des Instituts der positiven Vertragsverletzung aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch: Das Reichsgericht hatte zunächst mit einer Gesetzesanalogie zu § 276 BGB gearbeitet. Da diese Bestimmung aber nur einen Haftungsmaßstab und keine A n spruchsgrundlage enthält, konnte nur eine Rechtsanalogie zu den §§ 280, 286, 325, 326 BGB eine systemgerechte Begründung liefern. Vgl. hierzu Larenz, Schuldrecht, S. 280 (bes. Anm. 1 und 2). 115
3*
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
Thons Rückgriff auf das positive Recht muß als eine solche Pseudobegründung gewertet werden, denn bei den untauglichen Befehlsempfängern i m Sinne Hold von Fernecks fehlen die Motivierbarkeit und dam i t auch die Verpflichtung, die auf der Motivation beruht. Das w i r d sogar von Fischer anerkannt, der i m übrigen der Argumentation Thons folgt 1 2 1 . Da Thon daran festhält, daß Gesetze nichts als Befehle seien, Befehle aber Motivationsversuche darstellten, verläßt er nicht die Prämissen Hold von Fernecks. Unter diesen Voraussetzungen waren die Ausführungen Hold von Fernecks nicht nur bestechend, sondern treffend, und deshalb hätte Thon — genauso wie Ernst Rudolf B i e r l i n g 1 2 2 — zugeben müssen, daß die Verpflichtung dieser Adressaten mehr oder weniger fiktiver A r t sei. Erst m i t der Trennung von Motivationsmöglichkeit und Pflichtbegründung wäre es Thon gelungen, nachzuweisen, daß auch Säuglinge verpflichtet sein können. Thon hätte die realpsychische Auffassung vom Gesetzesbefehl fallen lassen und mehr Gewicht auf seine eigene Feststellung legen sollen, daß das Gesetz nicht ethische oder religiöse Verpflichtungen, sondern Rechtspflichten 123 begründet, die auch und gerade für den Zweck existieren, daß der Verpflichtete seine Pflicht nicht kennt, w e i l er sie nicht kennen kann oder w i l l . So aber flüchtete Thon, wie Binder zu Recht kritisiert, vor allgemeinen Vernunftgründen auf das Gebiet des positiven Rechts 124 . 3. Genauso wenig überzeugend wie Thons Argumentation w i r k t die Konstruktion von James Goldschmidt, die i n ihrer Feinheit an Jherings Haarspaltemaschine 125 erinnert: Goldschmidt läßt nämlich die Imperative auch den untauglichen Befehlsempfängern gelten 1 2 6 , scheidet aber von diesen Imperativischen Rechtsnormen sog. Pflichtnormen 127 , die automatisch zum Inhalt der Fürsorgepflicht werden, die den gesetzlichen Vertretern der untauglichen Befehlsempfänger obliege 126 . Ähnlich wie Goldschmidt hatte schon Ernst Zitelmann argumentiert: „Wir sprechen rechtlich von Verpflichtungen gleichermaßen, ob der Verpflichtete willensfähig ist oder nicht. Und doch kann daran auch meines Erachtens kein Zweifel sein, daß der Befehl des Gesetzes an den Willensunfähigen nicht gerichtet oder doch nicht wahrer Befehl an ihn selbst sein kann. Der Begriffsinhalt, den wir bei Willensunfähigen mit dem Wort, sie seien verpflichtet, ausdrücken, ist vielmehr ein komplizierterer, der Ausdruck selbst nur eine bequeme Abkürzung. Der scheinbare Befehl an den Willensunfähigen 121
Fischer, S. 43. Bierling, Bd. 1, S. 287 ff.; Bd. 2, S. 170 f. Anm. 20; Bd. 5, S. 147; ebenso die Kritik bei Lampe, S. 22,104. 123 Thon, S. 34. 124 Binder, Adressat, S. 66. 125 Jhering, Scherz und Ernst, S. 257. 126 J. Goldschmidt, S. 237. 127 J. Goldschmidt, S. 234 f., Anm. 1287. 122
§ 6. Die Lehre vom untauglichen Normadressaten
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ist zunächst ein Befehl an die willensfähige Person, die einem anderweiten Hechtsbefehl gemäß verpflichtet ist, in Vertretung des Willensunfähigen zu handeln; dieser allgemeine Vertretungsbefehl wird durch jenen besonderen Befehl nur mit konkretem Inhalt erfüllt 1 2 8 ."
4. Die Versuche Hold von Fernecks, Thons, Zitelmanns und J. Goldschmidts, eine Verbindung des Rechts m i t den Willens- und Zurechnungsunfähigen herzustellen, können deswegen nicht befriedigen, w e i l zwischen abstrakter Rechtsordnung und konkretem Verhalten nicht immer klar unterschieden w i r d und w e i l nicht geklärt ist, ob und i n welchem Maße die Rechtsordnung vom tatsächlichen Verhalten der Adressaten abhängt. Wer die Rechtsordnung rein dogmatisch und weitgehend losgelöst vom menschlichen Verhalten behandelt, kann sich m i t Thon allein dem positiven Recht verschreiben und systematisch folgerichtig auch die sogenannten untauglichen Adressaten verpflichten, berechtigen, m i t einem Status versehen usw. Sobald man sich aber u m die V e r w i r k lichung der von der Rechtsordnung vorgesehenen Folgen kümmert, bedarf es i n bezug auf die untauglichen Adressaten mindestens der von Zitelmann und Goldschmidt bemühten willensfähigen Vertreter, w e i l anders die Rechtsnorm keine äußere Veränderung hervorrufen kann und das Sein vom Sollen unberührt bleibt. Dann aber liegt es nahe, ein Gedankenspiel zu beginnen, nämlich die Zahl der Handlungsfähigen stetig zu verringern, bis alle Rechtsgenossen untaugliche Adressaten sind, und dann zu fragen, ob die Rechtsordnung noch existiere. Hierauf ist m i t Somlós Feststellung zu antworten, „daß es einen Staat von Säuglingen oder nur Unzurechnungsfähigen nicht geben kann, nicht aber, daß sich Rechtsnormen nicht auch an Unzurechnungsfähige wenden können" 1 2 9 . Somló fährt fort: „Der Rechtsbegriff fordert also jedenfalls das Vorhandensein von Zurechnungsfähigen im Kreise der Untergebenen, darüber kann es keinen Streit geben; aber er schließt das Vorhandensein von Unzurechnungsfähigen im Kreise der Adressaten nicht aus. Ein solcher Ausschluß kann nicht grundbegrifflich, sondern nur rechtsinhaltlich gegeben sein, denn das Recht kann sich zwar, muß sich aber nicht auch an die Unzurechnungsfähigen wenden 1 2 0 ."
Damit ist m. E. das Problem des untauglichen Normadressaten richtig gestellt, denn einerseits vermeidet Somló den Rückzug auf das positivrechtliche System und andrerseits versucht er, dem untauglichen Adressaten tatsächlich gerecht zu werden, ohne jedoch die Existenz der Rechtsnorm von der Empfangsbedürftigkeit und dem Empfang abhängig zu machen. Ob die Rechtsnorm auch vom untauglichen Adressaten befolgt w i r d und befolgt werden kann, w i r d somit zu einer Frage der Rechtspolitik und auch der Gerechtigkeit: 128 129
Zitelmann, S. 47 f., Anm. 8. Somló , S. 510.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
„Dafür zu sorgen, daß der Befehl auch tatsächlich vom Adressaten vernommen werde, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, seine Geltung an diese Bedingung zu knüpfen kann unter Umständen zu einer Forderung der Gerechtigkeit werden; aber da ist er einmal ganz unabhängig davon, ob er den Adressaten tatsächlich erreicht hat oder nicht 1 3 0 ."
Somló hat hiermit, wie gesagt, das Problem des untauglichen Normadressaten richtig gestellt — gelöst hat er es nicht, denn wie nun für Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit gesorgt werden könne, bleibt offen. Es ist zwar sofort ersichtlich, daß die Lösung nur jeweils i m konkreten Fall, d. h. anhand einer bestimmten Rechtsnorm, erarbeitet werden kann, aber deswegen sollte auf die annähernde Bestimmung von Richtschnuren nicht verzichtet werden. Die Bequemlichkeit, den untauglichen Adressaten am Säugling zu exemplifizieren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie groß der Kreis der gänzlich oder partiell untauglichen Adressaten i n Wirklichkeit ist. Gesetze (z. B. Steuergesetze) können so kompliziert sein, daß sie auch von normalerweise tauglichen Adressaten nicht mehr vernommen oder gar erfaßt werden können. Die hieraus resultierenden Probleme werden daher i m 3. Kapitel (§§ 11 bis 19) noch behandelt werden müssen. § 7. Die Lehre von der unbeschränkt allgemeinen Adresse der Rechtsnormen und ihre Modiiikationen 1. Die große Mehrheit der am Adressatenstreit Beteiligten entschied sich für die allgemeine Adresse der Rechtsnormen. Z u dieser Mehrheit gehören namentlich Bar, Bierling, Binding, Brütt, Bull, del Vecchio, Engisch, Fischer, Gerland, James Goldschmidt, Gutherz, A r m i n Kaufmann, Merkel, Puntschart, Hans Schneider, Schoetensack, Schuppe, Somló und Thon 1 3 1 . Eine so stattliche Zahl gewichtiger Stimmen scheint der Frage nach dem Adressaten der Rechtsnorm eine deutliche, wenn nicht endgültige A n t w o r t erteilen zu können. Indessen erweist eine genauere Analyse, daß es dieser Mehrheit wie allen Mehrheiten geht: sie setzt sich aus sehr unterschiedlich begründeten Stimmen zusammen und beruht daher auf Gesamtvoten, deren Aufschlüsselung nach engeren Teilfragen nicht mehr i n einheitlichen Antworten resultiert. Drei Beispiele (Thon, Somló und A r m i n Kaufmann) mögen diesen Sachverhalt belegen, und gleichzeitig sei bewiesen, daß das Adressaten180
Somló, S. 507. Bar, S. 4; Bierling, Bd. V, S. 143—156; Binding, Bd. 1, S. 14; Brütt, S. 28; Bull, S. 77; del Vecchio, S. 405 f.; Engisch, Imperativentheorie, S. 55 f., und Gesetzbuch, S. 208 f., wo gegen Max Ernst Mayer und Julius Binder mit einem Hinweis auf J. Goldschmidt schlicht behauptet wird: „Irgendwie sprechen die Gesetze doch zum Volk" (S. 209); Fischer, S. 24 ff., 42 ff.; Gerland, S. 432; James Goldschmidt, S. 236 f.; Gutherz, S. 11; Armin Kaufmann, S. 123 ff.; Merkel, Elemente, S. 10 f.; Puntschart, S. 489 ff.; H. Schneider, S. 1276; Schoetensack, S. 20 ff.; Schuppe, S. 19; Somló, S. 497 ff.; Thon, S. 2. 181
§ 7. Lehre von der unbeschränkt allgemeinen Adresse der Rechtsnormen 39
problem nicht durch eine communis opinio beendet worden ist. „Der Streit klang aus, ohne daß eine der streitenden Parteien ihre Position aufgegeben hätte 1 3 2 ." 2. Thon schickt seiner bereits ausführlich dargestellten Untersuchung über den Normadressaten 133 die Bemerkung voraus, er wolle nur die allgemein lautenden Gesetze i n Betracht ziehen, also diejenigen, die einen besonderen Adressaten nicht erkennen ließen, weil sie nach dem Schema „Wer . . . " formuliert seien 134 . Daneben gebe es eine Vielzahl von Gesetzen, die der Gesetzgeber an bestimmte Adressaten gerichtet habe, wie ζ. B. dort, wo den einzelnen Gliedstaaten „durch Reichsgesetz zur Pflicht gemacht wird, gewisse Gerichte zu bilden und zu besetzen (GVG. §§ 25, 58, 59, 60,119,120,142,154) 134 ". Hier seien die Adressaten genau beschrieben. N u r sie kämen daher für die Erfüllung des Gesetzesbefehls i n Betracht, so daß niemand anders ihn erfüllen oder übertreten könne. I n diesen Fällen sei folglich die Frage nach dem Adressaten überflüssig. M i t dieser Einschränkung nimmt Thon seinen Angriffen auf M. E. Mayer und Hold von Ferneck einen Teil ihrer Wirkung, denn i m Grunde hat auch er die Möglichkeit einer Beschränkung der Adresse zugestanden oder genauer: fraglos vorausgesetzt. Nur das K r i t e r i u m der Beschränkung sieht bei i h m anders aus. Daß es sich u m ein sehr nützliches K r i terium handelt, ist eine andere (in § 11 noch zu erörternde) Frage; jedenfalls ist klar, daß Thons Verteidigung der allgemeinen Adresse nur einen Teil der Rechtsnormen betrifft. 3. Eine ähnliche Unterscheidung hat Somló angestellt, und zwar offenlichtlich unabhängig von Thon. Somló differenziert zwischen dem Kreis der möglichen und dem der tatsächlichen Normadressaten 135 . Z u den möglichen Normadressaten einer „Rechtsmacht" seien alle Mitglieder der Gesellschaft zu zählen, „die durch das gewöhnliche Befolgen der Normen jener Rechtsmacht zustandekommt" 1 8 5 , so daß sämtliche Untergebenen auch Rechtsnormadressaten seien. Das bedeute jedoch nicht, „daß sämtliche Rechtsnormen an sämtliche Adressaten gerichtet sein müßt e n " 1 3 5 . Wer innerhalb des Kreises der möglichen Adressaten die tatsächlichen Adressaten seien, hänge allein davon ab, an wen die „Rechtsmacht" ihre Normen richten wolle, und hierin sei sie frei 1 8 5 . Aus diesem Grunde könne sich ein Rechtssatz sowohl an Behörden als auch an andere Untergebene wenden: „Der Rechtssatz: ,wer einen Mord verübt, erleidet Todesstrafe', bedeutet sowohl einen Imperativ an die Richter, im gegebenen Falle die Todesstrafe zu 132 133 134 135
Kaufmann, S. 122. Siehe oben § 5 Abschnitt 4 und § 6 Abschnitt 2. Thon, S. 3. Somló, S. 501.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
verhängen, wie ein an die Untergebenen im allgemeinen gerichtetes Verbot des Mordes 13®."
Damit t r i t t Somló genau wie Thon für die unbeschränkt allgemeine Adresse ein, gesteht aber dem Gesetzgeber zu, besondere Adressatenkreise bestimmen zu können. Dieser weitverbreitete 1 3 7 Gedanke w i r d i n § 11 noch genauer zu untersuchen sein. 4. A n dieser Stelle muß jedoch noch eine weitere Stimme berücksichtigt werden, die, soweit ersichtlich, die Lehre von der unbeschränkt allgemeinen Adresse der Rechtsnorm i n ihrer reinsten Form befürwortet hat. Wie i n § 4 (Abschnitt 3) bereits erwähnt wurde, hatte A r m i n Kaufmann i n seinem Buch „Lebendiges und Totes i n Bindings Normentheorie" die Diskussion über den „wahren" Normadressaten als Scheinproblem bezeichnet. I n dem Kapitel „Der Adressat der Rechtsnorm und seine Verpflichtung" 1 3 8 sieht Kaufmann die Bedründung seiner These darin, daß die sachliche Bedeutung des Adressatenproblems nicht erkannt und i m übrigen zu einfach gesehen worden sei: „Nicht die Bestimmung der Adresse des Imperativs ist das Entscheidende, sondern die Beantwort u n g d e r F r a g e nach der Verpflichtung
des einzelnen
durch die Norm, 1* 9."
Die bloße Existenz der Norm vermöge noch keine konkreten Pflichten einzelner zu b e g r ü n d e n 1 4 0 . „Pflicht ist das Sollen dieses Menschen i n diesem
Zeitpunkte, während die Norm das zeitlose Sollen aller formuliert 1 4 1 ." Und daß jedermann Adressat der Norm sei, ergebe sich aus einer Rückbesinnung auf das Wesen der N o r m ' 1 4 2 : „Die Norm ist die Denkform der Gebundheit von Menschen. Ihr Gegenstand ist (finales) Handeln. Als Denkform ist die Norm abstrakt, losgelöst von einzelnen Menschen und konkreten Akten. Sie richtet sich an jeden, der irgendwann und irgendwo als Handelnder oder Teilnehmer eines Aktes in Frage kommt, den sie verbietet oder gebietet 143 ."
Akzeptiert man diese Argumentation mit dem „Wesen" der Norm und auch die Wesensbestimmung, so erscheint es dennoch als unbegründet, wenn Kaufmann fortfährt: „Das aber sind alle Menschen, jedenfalls theoretisch. J e d e r m a n n i s t A d r e s s a t j e d e r N o r m . Von niemandem läßt sich sagen, daß er nicht wenigstens als Teilnehmer irgendeinen Akt aus dem Gegenstandsbereich jeder 136
Somló, S. 502. Vgl. z.B. Hans Nawiasky (S. 119): „ . . . es gibt auch Rechtsnormen ,im engeren Sinn', die sich nur an einen umgrenzten Kreis von Personen wenden. Es genügt, auf die Beamtendelikte des gemeinen Straf rechts zu verweisen." 138 Diese Überschrift ist fast dieselbe wie die von Binders Abhandlung. Kaufmann erwähnt Binder jedoch hierin nicht. 180 Kaufmann, S. 126. 140 Kaufmann, S. 129. 141 Kaufmann, S. 131. 142 Kaufmann, S. 124. 143 Kaufmann, S. 124 f. 137
§ 8. Die Imperativentheorie im allgemeinen
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Norm (mit) verwirklichen könnte. Zwar ist es denkbar, daß es generell und gänzlich und für alle Zukunft Willensunfähige gäbe, für die das nicht zuträfe, die also keine Normadressaten wären. Aber abgesehen von den Zweifeln, ob derart Willensunfähige noch Menschen genannt werden könnten (!), bleibt die Frage offen, ob diese unbegrenzte Willensunfähigkeit — falls es sie überhaupt wirklich gäbe — a priori einsichtig wäre 1 4 4 ."
Die untauglichen Befehlsempfänger erfahren somit eine unerhört negative Klassifikation, um das dogmatische Ergebnis zu retten. A n diesem Konstruktionsversuch läßt sich — genauso wie an den vorangegangenen Lösungsvorschlägen — beobachten, welch geringe Harmonie zwischen Dogmatik und Realität in dieser Frage besteht. Manche Wissenschaftler hatten sich bemüht, die Realität, wie sie sich ihnen i n der Psyche der Adressaten (Motivierbarkeit, Kennen und Kennenkönnen der Normen) darstellte, ohne Abstriche i n den dogmatischen Lösungsversuch einzubauen, und damit handelten sie Mängel in der Geschlossenheit ihrer Dogmatik ein. Andere bewahrten diese Geschlossenheit und liefen damit Gefahr, die Realität nach den Begriffen auszurichten. Bei Kaufmann hat sich diese Gefahr verwirklicht, wenn er dazu neigt, untaugliche Normadressaten nicht mehr Menschen sein zu lassen, weil der Obersatz lautet, alle Menschen seien Adressaten. Diese Begründung kann nicht angenommen werden, und sie gewinnt nichts dadurch, daß Kaufmann ihr praktische Erwägungen nachschiebt: „Es liegt im Interesse des staatlichen Gesetzgebers, seine „Befehle" an alle zu erteilen, die sich unter irgendwelchen Umständen irgendwann nach ihnen richten könnten, d. h. praktisch an alle, die irgendwann einmal konkret handlungsfähig zu einem verbotenen oder gebotenen Akte sein könnten. Der Kreis derjenigen, die dafür bei der einzelnen Norm in Frage kommen, läßt sich in keiner Weise irgendwie umreißen . . . So bleibt nur übrig, daß der Gesetzgeber es offenläßt, für wen die Norm einmal zur konkreten Pflicht werden wird bzw. wer einmal der Handelnde des Tatbestandes sein wird 1 4 4 ."
Selbst wenn man Kaufmann darin folgt, daß sich der Kreis der Adressaten auch bei besonderen Normen (d. h. solchen mit Täterqualifikationen) nicht umreißen lasse, so kann diese Unbestimmbarkeit nicht zu dem Ergebnis führen, jedermann sei formell und materiell Adressat jeder Norm. Kaufmanns Argumentation ist daher i n § 11, wo die Frage nach dem Adressaten neu gestellt werden wird, noch einmal zu prüfen. B) K R I T I K DER D I S K U S S I O N
§ 8. Die Imperativentheorie im allgemeinen 1. I m Laufe der Erörterung der Diskusison über den wahren Adressaten der Rechtsnorm mag deutlich geworden sein, was es nun zu unter144
Kaufmann, S. 125.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
suchen gilt, daß nämlich fast alle Diskussionsteilnehmer Anhänger und Verteidiger der Imperativentheorie gewesen sind. Gäbe es keine Imperativentheorie, so wäre es nie zum Streit um den richtigen Normadressaten gekommen 145 . Wer, wie z. B. Nowakowski 1 4 6 , Stammler 1 4 7 , K r ü ger 1 4 8 und früher auch Kelsen 1 4 9 , den Rechtssatz ausschließlich als hypothetisches Urteil auffaßt, der kennt kein dogmatisches Adressatenproblem: ein Urteil, das wahr ist, gilt für alle 1 5 0 . Hätte es andererseits nie den Streit u m den wahren Adressaten der Rechtsnorm gegeben, so gäbe es auch nicht die Imperativentheorie in ihrer heutigen Form. Wie sich die Auffasungen über die Imperativentheorie geändert haben, braucht indessen für die Zwecke dieser Abhandlung nicht untersucht zu werden, denn es ist nicht nötig, i m Plural von Imperativentheorien zu sprechen. Der Singular reicht hin, weil die Grundauffassung blieb: Das Recht bestehe ausschließlich aus Imperativen, und soweit diese Imperative gelten, verpflichten sie (rechtlich) alle diejenigen, an die sie gerichtet seien 151 . Der Verpflichtungsgrund, die A r t und Weise der Verpflichtung und die verschiedenen (gebietenden, verbietenden, gewährenden, begriffsentwickelnden usw.) Rechtssätze sind jedoch von den Imperativentheoretikern nie so dargetan worden, daß unter ihnen keine Meinungsverschiedenheiten geblieben wären. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß das Adressatenproblem unlösbar oder doch bisher ungelöst ist. Deswegen kann es aber nicht, wie A r m i n Kaufmann und K a r l Larenz 1 5 2 meinen, als Scheinproblem (dis)qualifiziert werden. Überhaupt läßt sich feststellen, daß Wissenschaftler wie Jhering, Mayer, 145 Dieser Zusammenhang ist von Kelsen, Hauptprobleme, S. 378 ff., klar herausgestellt worden. — Siehe ferner die Kritik von Mezger (S. 242—245), dessen Konstruktion einer „adressenlosen Norm" dem hypothetischen Urteil sehr nahe kommt. Mezger kritisierte die Imperativentheorie deshalb, weil für sie jede Norm von vornherein ein Imperativ, d. h. eine adressierte Norm sei, Norm und Normverwirklichungsmittel (Imperative) dürften aber nicht als Einheit gedacht werden. — So, wie die Imperativentheorie wegen ihres Adressatenproblems kritisiert worden ist (vgl. unten Anm. 156), hat man auch umgekehrt die Lehre von der Rechtsnorm als einem hypothetischen Urteil deswegen angegriffen, weil sie keinen Adressaten kenne: „Die Kelsensche Lehre von der logischen Form des Rechtssatzes führt mit der damit verbundenen Verwerfung des Begriffs eines Adressaten der Rechtsnorm zu unhaltbaren Folgen" (Somló, S. 506, Anm. 1). 148 Nowakowski, S. 288 (mit Nachweisen in Anm. 9). 147 Stammler, S. 311. 148 Krüger, Staatslehre, S. 291; Krüger betont dennoch sehr häufig den Gesetzesbefehl und den Untertanen. 149 Kelsen, Hauptprobleme, S. 378 ff. ; in der „Reinen Rechtslehre" betrachtet Kelsen die „Rechtsnormen" im Unterschied zu den „Rechtssätzen" als Imperative (Reine Rechtslehre, S. 73). — Vgl. W. Goldschmidt, der (S. 318 f.) erklärt, wie die Wiener Schule sich der Imperativentheorie genähert hat. 150 Kelsen, Hauptprobleme, S. 378 ff., 395; ebenso: Bierling, Bd. 5, S. 150, und Somló , S. 503 ff. 151 Engisch, Einführung, S. 22. 152 Siehe oben § 4 Abschnitt 3 und §7 Abschnitt 4.
§ 8. Die Imperativentheorie im allgemeinen
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Thon und Binder weit genauer und überlegter argumentiert haben als diejenigen, die das Adressatenproblem als Scheinproblem bezeichneten. Dieser Niveauunterschied w i r d besonders deutlich bei Giorgio del Vecchio, der das Adressatenproblem i n einem kurzen Abschnitt 1 5 3 seines Lehrbuches der Philosophie behandelt und darin mehr Behauptungen aufstellt als Begründungen liefert: „ . . . jedermann sieht ohne weiteres die Künstlichkeit der K o n s t r u k t i o n . . . 1 5 4 . " 2. Für die Imperativentheorie bleibt das Adressatenproblem bestehen 1 5 5 . Die fehlende endgültige Lösung kann weder zur Widerlegung dieser Theorie als einer These dienen 1 5 6 , noch hat sich tatsächlich deswegen ihre Anhängerschaft dezimiert. Es braucht hier der Vorwurf der Autoritätsgläubigkeit nicht gescheut zu werden, wenn angenommen wird, daß die aufgeführte stattliche Reihe hervorragender Rechtswissenschaftler sich nicht jahrzehntelang m i t einem Scheinproblem abgegeben habe. Allerdings lassen sich Aporien nachweisen, zum Beispiel i n bezug auf Binders Behauptung, auch die Richter seien durch den Befehl des Rechts nicht verpflichtet 1 5 7 . Diesen Mängeln soll jedoch nicht weiter, als es bisher geschehen ist, nachgegangen werden. Stattdessen soll die K r i t i k eine Stufe tiefer ansetzen, und so w i r d sich erweisen, daß die I m perativentheorie selbst größtenteils abzulehnen ist. Damit aber kann das Adressatenproblem i n seiner imperativentheoriespezifischen Form auf sich beruhen. 3. I n neuerer Zeit haben sich vornehmlich K a r l Engisch 1 5 8 und l i m a r Tammelo 1 5 9 für die Imperativentheorie eingesetzt und sie zu verfeinern gesucht. Man kann füglich nicht bestreiten, daß ihnen dieses Unterfangen großenteils gelungen ist, mögen i m einzelnen auch weiterhin Meinungsverschiedenheiten bestehen geblieben sein. Wenn aber beide Autoren feststellen, die Imperativentheorie sei richtig, „wenn man sie richtig deutet und nicht überspannt" 1 6 0 , so müssen schon wegen dieser Formulierung grundsätzliche Zweifel entstehen: wer deutet die Imperativentheorie richtig, wer überspannt sie nicht? 158
del Vecchio , S. 405—406: „Die Adressaten der Rechtsnormen." del Vecchio, S. 405. — Bull stimmt diesem Urteil zu und nennt die Gesetzesauffassung von Jherings, M. E. Mayers und Binders „gesetzwidrig" (Bull, S. 76). 155 Dies zeigt z.B. Schmidhausen Abhandlung „Von den zwei Rechtsordnungen im staatlichen Gemeinwesen"; darin werden die Gesetze als Imperative im Sinne eines in der Regel an staatliche Organe gerichteten Befehls verstanden (Schmidhäuser, S. 18). 158 Das ist immer wieder geschehen; vgl. Kelsen, Hauptprobleme, S. 381, Nowakowski, S. 291, und die Nachweise bei Binder, Adressat, S. 65 Anm. 1. 157 Siehe oben § 5 Abschnitt 6 (Anm. 55). 158 Engisch, Einführung, S. 22 ff. 159 Tammelo, Contemporary Developments of the Imperative Theory of Law: A Survey and Appraisal. 160 Engisch, Einführung, S. 22; zust. Tammelo, S. 273. 154
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
Engisch hatte schon i m Jahre 1923 (in seiner Dissertation) für die I m perativentheorie gestritten und sie vor allem gegen Kelsen verteidigt 1 6 1 . Über vierzig Jahre später schrieb er zur Bezeichnung der Rechtssätze als Imperative: „Das ist in dem Sinne gemeint, daß die Rechtssätze einen Willen der Rechtsgemeinschaft bzw. des Staates bzw. des Gesetzgebers ausdrücken. Dieser Wille ist auf ein bestimmtes Verhalten der Rechtsunterworfenen gerichtet, er fordert dieses Verhalten, um es zu bewirken. Soweit die rechtlichen Imperative in Geltung stehen, haben sie verpflichtende Kraft. Die Pflichten sind also das Korrelat der Imperative 1 · 2 ."
Hiermit ist also präzise formuliert, daß die Normadressaten durch den Imperativ unmittelbar verpflichtet sind. Und da die Imperative des weiteren, wie Engisch nachzuweisen sucht, kategorische Imperative i m Sinne Kants sind 1 6 3 , w i r d dem Gesetzgeber eine gewaltige Macht über die Rechtsunterworfenen zugestanden. Es ist bezeichnend, daß Engisch seine These am Strafrecht erläutert. Hier läßt sich der kategorische Imperativ am ehesten herauslesen, denn die Gebote und Verbote des Strafrechts gelten „großenteils auch von Moral wegen" 1 6 4 , und der kategorische Charakter moralischer Verhaltensregeln ist leicht zuzugeben. Wie aber kann auf anderen Rechtsgebieten ohne gewaltsame Verengung des Rechtssatzbegriffs nachgewiesen werden, daß ,der Rechtssatz seiner Substanz nach ein kategorischer Imperativ' 1 6 5 ist? Selbst wenn man m i t Engisch annimmt, alle Rechtspflichten seien kategorischer Natur, bleibt die Tatsache unerklärt, daß nicht alle Rechtssätze Pflichten begründen. Wenn Engisch schreibt, die Gewährung eines subjektiven Rechts sei „ i m Grunde eine façon de parier für eine besonders geartete Konstellation von Imperativen" 1 6 6 , so kann diese Konstruktion die Imperativentheorie nicht begründen helfen, denn m i t Larenz läßt sich entgegnen: „Die Auferlegung von Pflichten an „alle" zugunsten einer bestimmten Person sei nur eine ,façon de parier 4 für die Gewährung eines »absoluten4 Rechts. Beides ist gleich richtig und gleich unrichtig. Gewiß bedingt die Gewährung eines solchen Rechts die Auferlegung von Pflichten oder Beschränkungen an andere, aber diese Pflichten und Beschränkungen haben über ihren negativen Sinn hinaus einen positiven, sie sind die notwendige Kehrseite der dadurch gesicherten Gewährung oder Zuteilung 1 · 7 ." 161
Engisch, Imperativentheorie, Kapitel V I I . Engisch, Einführung, S. 22. 163 Engisch, Einführung, S. 28 ff.; W. Goldschmidt, S. 294, nimmt dagegen hypothetische Imperative an. Wie Engisch: Nelson, Vorlesungen, Bd. 1, S. 155 ff.; Bd. 3, S. 13 u. 24 und Rechtswissenschaft, S. 181; im Gegensatz zu Engisch sieht Nelson aber richtigerweise in dem Befehl nicht die Begründung, sondern nur die Behauptung einer Verbindlichkeit (Vorlesungen, Bd. 1, S. 89). 164 Engisch, Einführung, S. 32. 165 Engisch, Einführung, S. 31. 166 Engisch, Einführung, S. 26. 167 Larenz, Methodenlehre, S. 153. 1W
§ 8. Die Imperativentheorie im allgemeinen
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Des weiteren hat Larenz nachgewiesen, daß der Imperativentheorie größte Schwierigkeiten entstehen, Hechtssätze zu qualifizieren, die eine Rechtsmacht begründen oder „den rechtlichen Status eines Menschen oder einer Personenvereinigung . . . bestimmen" 1 6 8 : „Die Imperativentheorie kann auch diese Sätze nur als Hilfssätze, nicht als vollständige Rechtssätze verstehen, da sie mangels der Auferlegung einer Rechtspflicht nach dieser Theorie keine echte Rechtsfolgeanordnung enthalten." „Es ist rein logisch gesehen gewiß möglich, an der Imperativentheorie festzuhalten, aber nur um den Preis, daß fast alle Sätze, die der Jurist als „Rechtssätze" zu betrachten gewohnt ist, den Charakter von lediglich erläuternden und umschreibenden Hüfssätzen annehmen 1 · 8 ."
Die K r i t i k von Larenz, der sich auf v. Tuhr, Enneccerus-Nipperdey, Binding und Hans Albrecht Fischer berufen kann 1 6 9 , hat Engischs Meinung nicht beeinflußt. Zwar gibt Engisch zu, „daß rein logisch gesehen die Konstruktion der Imperativentheorie nur eine unter mehreren möglichen i s t " 1 7 0 , aber er hält daran fest zu sagen: „Wo es subjektive Rechte gibt, wo sie ,gewährt' werden, da werden sie durch Erlaß von Imperativen gewährt. Wie könnte es auch anders sein, da das Recht von Haus aus über kein anderes Vermögen verfügt, als dasjenige, das ihm durch die anerkannte Befehlsgewalt eingeräumt ist. Was immer das Recht erreicht, erreicht es durch sinnvolle Nutzung dieser Befehlsgewalt 171 ."
Daß die Befehlsgewalt das einzige A k t i v u m des Rechts sein soll, zeigt deutlicher als die logisch-systematische Betrachtung, welch rigorose Einseitigkeit der Imperativentheorie anhaftet 1 7 2 und welches B i l d der W i r k lichkeit des Rechts ihr zugrundeliegt. I n seiner Dissertation hatte Engisch sogar geschrieben: „So ist der Rechtsunterworfene stets von einer Menge Imperativen getroffen, die gleich Schwertern und Speeren ihm rechts und links im Wege stehen und die er beachten muß, w i l l er nicht Wunden ernten 173 ."
Die geringe Harmonie zwischen Dogmatik und Realität, die bei der Diskussion der Ausführungen A r m i n Kaufmanns schon einmal festgestellt wurde, t r i t t hier noch schärfer hervor. Die A r t des Wirklichkeitsbezuges, den die Imperativentheorie vermittelt, soll daher i m nächsten 188
Larenz, Methodenlehre, S. 154. Larenz, Methodenlehre, S. 153 Anm. 3. 170 Engisch, Einführung, S. 195 Anm. 9a. 171 Engisch, Einführung, S. 26 f. 172 Schoetensack bezeichnete die Imperativentheorie als „juristischen Monismus" (S. 5) und warf ihr vor, daß sie „in dauernd gewalttätiger Stimmung alle Rechtssätze über einen Leisten zu schlagen sucht" (S. 20). Ähnliche Kritik war zuvor schon von Binding (Bd. 1, S. 102 ff.) und Nagler (S. 315 ff.) geübt worden. — Zur Kritik an der Einseitigkeit der Imperativentheorie siehe ferner Good hart, S. 11—14. 178 Engisch, Imperativentheorie, S. 70. 189
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der
echtsnorm
Paragraphen untersucht werden, und es w i r d sich erweisen, daß auch hier engste Zusammenhänge mit dem Adressatenproblem bestehen. 4. Gerade m i t Rücksicht auf den Wirklichkeitsbezug ist Tammelo sehr viel zurückhaltender als Engisch. Tammelo definiert den (gesetzgeberischen) Willen, den Befehl und den Imperativ aufs neue, u m die Begriffe aus dem Sprachgebrauch des Alltags und sogar aus der normalen Juristensprache herauszuheben 174 . Vor allem bemüht er sich u m unpsychologische Begriffsbildung, wodurch die Imperativentheorie ihren schiefen Bezug zur Wirklichkeit fast gänzlich verliert und schließlich nur noch eine beinahe rein logische Funktion erfüllt. Wenn Tammelo weiterhin meint: "The imperative conception of law and the value-judgment conception of law would thus be alternative theoretical models, each transcribable in the terms of the other 175 ."
und am Ende schreibt: "The employment of imperative models in legal theory has the handicap that there is no generally accepted and well developed system of imperative l o g i c . . . So legal theorists are safer in relying on indicative logic for the time being, which makes it advisable for them, in the present situation of learning, to employ indicative models to express legal norms 175 ."
so kann hier auf weitere Einwände verzichtet werden, w e i l bei i h m die Imperativentheorie beinahe farblos bescheiden geworden ist und w e i l hier keineswegs bestritten wird, daß zum Charakter des Rechts auch 1 7 6 ein imperativischer Zug gehört. Grundsätzlich muß nämlich bemerkt werden, daß nicht ersichtlich ist, warum die Rechtslehre gezwungen sein sollte, alle Erscheinungen der Rechtsordnung m i t einer Theorie zu erklären und u m jeden Preis eine einheitliche Konstruktion herzustellen, so daß zum Beispiel nicht mehr als selbständiger Rechtssatz 177 oder überhaupt nicht mehr als Recht 1 7 8 erkannt wird, was keinen Befehlscharakter hat. Genauso wie die Physik i m Bereiche der Optik den Dualismus von Welle und Korpuskel zuläßt, so müßten auch i n der Rechtstheorie verschiedene Aspekte nebeneinander bestehen bleiben können. Dies liegt u m so näher, als die Physik von einer Einheit ihres Forschungsgegenstandes ausgehen kann und i h n nicht zu verändern vermag, wohingegen die Jurisprudenz die Einheit der Rechtsordnung nicht vorfindet, sondern lediglich als F i k t i o n 1 7 9 , A x i o m oder Postulat 1 8 0 annehmen kann; denn „das Recht, das die Gesetze verkünden, ist rissiges, brüchiges, armseliges Menschenwerk" 1 7 9 . Rechtsgesetze sind jedoch zum Glück keine Natur174 175 176 177 178 179 180
Tammelo, S. 255, 273 f. Tammelo, S. 274. Werner Goldschmidt, S. 35: „Diese Lehre ist zum Teil berechtigt." James Goldschmidt, S. 229. del Vecchio , S. 393. Ehrlich, Juristische Logik, S. 137. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 69.
§ 9. Imperativentheorie zwischen Begriffshimmel und Wirklichkeit
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gesetze. Die Jurisprudenz kann sich daher u m die Einheit der Rechtsordnung bemühen. Ziel und Voraussetzung dürfen aber nicht verwechselt werden. Denn sofern zum Beispiel die Anhänger der sogenannten subjektiven Auslegungsmethode den einheitlichen Willen des Gesetzgebers annehmen, so irren sie darin, ihn als Ausgangspunkt betrachten zu können. I n Wirklichkeit legen sie nämlich das Gesetz nicht mehr nach dem vorausgesetzten Gesetzgeberwillen aus, sondern sie benutzen ihre F i k tion zur Rechtsgestaltung i n Richtung auf das Ziel: die Einheitlichkeit 1 8 1 . § 9. Die Imperativentheorie zwischen Begriffshimmel und Wirklichkeit 1. Modellvorstellungen sind ebenso unentbehrlich wie gefährlich. Ihre Unentbehrlichkeit ist m i t ihrer Funktion begründet, komplizierte Sachverhalte plausibel zu machen. Ihre Gefahr liegt darin, daß sie allzu leicht und schnell m i t der Wirklichkeit verwechselt werden und daß man sie nicht mehr als das ansieht, was sie sind, nämlich Hypothesen, die bestenfalls (wenn sie nämlich erweitert werden können) einen gewissen heuristischen Wert besitzen. Die i n der Physik verwendeten und seit Bohr und Rutherford immer wieder verbesserten, d. h. der Wirklichkeit angenäherten Atommodelle sind deutliche Beispiele für die Begrenztheit und für den hypothetischen Charakter eines Modells. Der am Ende des letzten Paragraphen erwähnte Dualismus von Welle und Korpuskel i m Bereich der Optik ist nur ein Dualismus der Modell Vorstellungen; ob die W i r k lichkeit, die sie plausibel machen, tatsächlich dualistisch ist, wollen und können sie nicht behaupten. Viele Modelle entstehen i n der Weise, daß Erkenntnisse über schon erklärte Sachverhalte als Theorien auf ungeklärte Sachverhalte übertragen werden, so ζ. B. die Erkenntnisse der Biologie über den Blutkreislauf oder über die Funktion der Organe auf volkswirtschaftliche Abläufe („Wirtschaftskreislauf") 1 8 2 bzw. auf Rechtsphänomene (z.B. Staatsorgane). Einem ähnlichen Vorgang scheint die Imperativentheorie entsprungen zu sein: das allgemein bekannte und alltägliche Befehlsverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen wurde als Modell auf das Verhältnis zwischen Souverän (Staat) und Untertanen übertragen. Dabei w i r d das Modell zugleich erheblich ausgedehnt, und das ist, wie gleich 181
Vgl. Ehrlich, Juristische Logik, S. 121—147: „Die Vorstellung von der Einheit des Rechts", bes. S. 137 ff. 182 Der „Entdecker" des Wirtschaftskreislaufs und Begründer des physiokratischen Systems war François Quesnay. Er war Leibarzt Ludwig X V . und hat sich erst in hohem Alter, gut hundert Jahre nach Entdeckung des Blutkreislaufs, den wirtschaftlichen Zusammenhängen zugewandt. Vgl. hierzu Stavenhagen, S. 35 ff.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
zu zeigen sein wird, nur m i t vielen Modifikationen unbedenklich, denn die Rechtsnorm kann nicht ohne weiteres als Befehl angesehen werden. Genauso problematisch wie die Übertragung und Erweiterung eines Modells ist die ebenfalls bei der Imperativentheorie zu beobachtende materielle Anreicherung, d. h. die Verwandlung der Imperativentheorie von einem Modell der logischen Rechtsnormstruktur i n ein Modell der wirklichen Rechtsnormfunktion. Auch i n diesem Fall muß geprüft werden, ob das Modell nach seiner Erweiterung der Wirklichkeit entspricht. Ist das der Fall, so kann es beibehalten werden; andernfalls muß man es aufgeben oder auf die Erweiterung verzichten. 2. Betrachtet man hiernach die beiden Modelle, die die Rechtsnorm „erklären" wollen, nämlich die Imperativentheorie und die Lehre vom hypothetischen Urteil, so zeigt sich, daß beide 1 8 8 i n der Lage sind, die Struktur der Rechtsnorm logisch zu erfassen. Während sich aber die Lehre von der Rechtsnorm als einem hypothetischen Urteil auf die logische Struktur beschränkt, weist die Imperativentheorie darüber hinaus einen starken Bezug zur Wirklichkeit auf. Ohne diesen Wirklichkeitsbezug hätte sich der Streit über den Adressaten niemals auf die Tauglichkeit zum Befehlsempfang oder auf die aktuelle Normenkenntnis ausdehnen können. Nur so ist es erklärlich, daß man immer wieder versuchte, Dogmatik und Realität zu vereinen. A l l e Bemühungen i n dieser Richtung mußten indessen m i t größten Schwierigkeiten einhergehen, w e i l das B i l d der Wirklichkeit, das der Imperativentheorie zugrundeliegt, verzeichnet ist. Aus der Auffassung vom Rechtsuntertanen 184 und aus den Beispielen der Vertreter der I m perativentheorie geht nämlich m i t ausreichender Deutlichkeit hervor, daß dieses B i l d die Struktur eines autoritären Subordinationsverhältnisses hat. Deshalb werden zur Erläuterung der Imperativentheorie oft der militärische Befehl i n seiner veralteten Form 1 8 5 , das Herr-Diener- und das Vater-Sohn-Verhältnis herangezogen 186 . Werner Goldschmidt hat die Imperativentheorie daher m i t Recht zu den autoritären Austeilungen gerechnet, nicht zu den autonomen 197. U n d nach dem gleichen Schema hatte schon früher Oscar Adolf Germann zur ganzen Imperativischen 188 Vgl. die oben § 8 Abschnitt 3 wiedergegebenen Ausführungen von Larenz und Engisch. 184 Vgl. ζ. B. Darmstädter, S. 141—180. 185 ζ. B. Thon, S. 8, 9. — I n der Bundeswehr wird heute nach den Grundsätzen der Inneren Führung die „Auftragstheorie" gegenüber der „Befehlstheorie" bevorzugt. Vgl. Mosen, S. 32 ff.: „Technisierung bewirkt Abbau der traditionalen militärischen Autorität." 188 z.B. Thon, S. 37, 50, 52; Gerland, S. 432; Engisch, Imperativentheorie, S. 12. 187 W. Goldschmidt, S. 34 f.; ähnlich schon Loening, S. 16: „ . . . diese Theorie ist durch und durch despotisch..."
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Rechtsauffassung festgestellt, für sie sei „willkürliches Oktroyieren von Gesetzen" 188 typisch, wobei er diese Behauptung mit Beispielen aus dem Absolutismus erläutert, um schließlich festzustellen: „Nach a u t o n o m e r Rechtsauffassung sind das Ungeheuerlichkeiten: sie verlangt auch vom Gesetz Rücksicht auf die Bedürfnisse und das Rechtsbewußtsein der Betroffenen 189 ."
Diese Rücksichtnahme auf den Betroffenen, d. h. auf den Normadressaten, muß sich aber der Gesetzgeber i m demokratischen Rechtsstaat an erster Stelle angelegen sein lassen. Dabei hindert ihn die Imperativentheorie. Zwar ist zuzugeben, daß die Imperativentheorie Zusammenhänge und Einheit des schon gesetzten Rechts erklären soll, daß also die Rechtsetzung und insbesondere deren materielle Regelungen nicht der Gegenstand ihrer systematischen Bemühungen ist; aber deswegen läßt sich nicht vermeiden, daß die Vorstellungen über die erteilten Befehle und deren Empfänger auch auf die Vorstellungen über die Befehlserteilung selbst wirken. Dieser Zusammenhang ist so deutlich, daß Engisch („apparently i n order to avoid the uneasiness which some people might feel about such a resolute propounding of the imperative conception of l a w " 1 9 0 ) hinzufügt: „Dürfen wir also ohne Bedenken die vollständigen wesentlichen Rechtssätze primär als Imperative ansprechen, so wollen wir doch nicht vergessen, daß der Imperativische Wille des Gesetzgebers kein ungebundener Wille, keine Willkür ist 191 ."
Indessen w i r d der Befehl auch hier als typisches Modell verstanden, obwohl er i n Wirklichkeit den Ausnahmefall einer weitestgehend heteronomen Normsetzung darstellt. Der Satz „oboedientia facit imperantem" 1 9 2 w i r d übersehen und gleichfalls das letztlich nicht i n jeder Phase nachzeichenbare Wechselspiel von autonomer und heteronomer Normsetzung. Deshalb nimmt es nicht wunder, daß die Iperativentheoretiker immer dann vor einem Adressatenproblem standen, wenn der Begriffshimmel m i t der Praxis zusammenstieß, wenn der Adressat nicht mehr 188 Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, S. 48. 189 Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, S. 49. 190 Tammelo, S. 264. — Schon Ν agier merkte an (S. 309 f., Anm. 3): „Jedenfalls hat v. Ferneck... die Einwendungen Pernices und Bindings, dass die Theorie das Gespenst der Staatsallmacht beschwöre und den Staat als blosse Zwangsanstalt etabliere, durch den einfachen Hinweis darauf, dass die rein formale Konstatierung über den Inhalt der Normen noch nicht das Geringste aussage, natürlich noch nicht widerlegt. Es handelt sich offenbar um weit mehr, als um ein blosses Missverständnis 4." 191 Engisch, Einführung, S. 27. 192 Über die Wichtigkeit und Richtigkeit dieses Satzes vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 177 f.; Hirsch, S. 6; Helfer, der (S. 104) von der „Benevolenz der Beherrschten" spricht. — Gegen die Berechtigung dieses Satzes äußert sich scharf und entschieden Krüger, Staatslehre, S. 962 f., da gerade die demokratische Staatsauffassung unbedingten Gehorsam verlange. 4 u.Krüger
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als manipulierbarer Empfänger, sondern als der Rechtsgenosse der W i r k lichkeit betrachtet wurde. Dann mußte sich zeigen, daß die Probleme der Motivierbarkeit und des normgemäßen Verhaltens des Adressaten nicht m i t der Verpflichtung durch den abstrakten Imperativ lösbar waren 1 9 3 . 3. Hier, bei der Setzung des Rechts, offenbaren sich die Mängel der Imperativentheorie am deutlichsten: sie kann sowohl einer soziologischen wie einer anthropologischen Prüfung nicht standhalten, weil ihr ein verzeichnetes B i l d der Wirklichkeit zugrunde liegt. Ihre Voraussetzungen enthalten einen geringen materiellen Wahrheitsgehalt. Der Gehalt an materieller Wahrheit entscheidet aber, wie Eugen Ehrlich beizupflichten ist 1 9 4 , über den wissenschaftlichen Wert einer Lehre. Es ist daher kaum verwunderlich, daß die Imperativentheorie eine nachhaltige K r i t i k nicht von den Anhängern jener Richtung erfahren hat, die die Rechtssätze logisch anders, nämlich als hypothetische Urteile, qualifiziert. Die tiefer begründeten Einwände stammen vielmehr von einem Autor, der die Imperativentheorie anthropologisch kritisiert. Gemeint ist Ernst-Joachim Lampe, der i n seiner Habilitationsschrift „Das personale Unrecht" ausführt: „Die im Rahmen der vorstehenden Untersuchungen wiederholt betonte U n t e i l b a r k e i t und E i n h e i t der menschlichen Persönlichkeiten in allen ihren Funktionen macht vor der sozialethischen Bindung nicht Halt." „Diesel Einheit ist als Wert wie als Rechtswert unmittelbar ideell Gegebenes, das vom Gesetzgeber nur zerlegt und zergliedert werden darf, wenn dadurch die seinsorganische Einheit nicht verloren geht. Darum widersetzt sich aber gerade der Wesenskern des Rechtsmenschen... so sehr der Aufspaltung in einen positiven und einen negativen Status,... weil — rechtsanthropologisch — in ihm E i n h e i t W e s e n ist. A n der Verkennung dieser Einheit ist einst die Imperativentheorie gescheitert. Ihre Vorstellung von einer außerhalb des Menschen stehenden Rechtsmacht, welche dem Menschen Befehle erteile, was er zu tun und zu lassen habe, mußte konsequent zu jenem anthropologisch unhaltbaren Menschenbild eines von Natur aus rechtlich ungebundenen Wesens führen, das sich rechtlichen Normen aus unterschiedlichen Gründen lediglich unterwarf.. . 1 9 5 ."
Lampes K r i t i k an der Imperativentheorie setzt genau da an, wo allein m i t Erfolg begonnen werden kann: bei ihrem B i l d von der Wirklichkeit und damit weithin beim Menschenbild. Da die Imperativentheorie als Konstruktionsversuch logisch möglich bleibt, ist es fruchtlos, ihr jene Theorie (als Widerlegung) gegenüberzustellen, die alle Rechtsnormen als hypothetische Urteile qualifiziert. Insoweit muß also Lampe zuge193 vgL Magier, S. 335 ff., der die Folgerungen aus der Imperativentheorie in bezug auf den untauglichen Adressaten als logisch korrekt und praktisch unmöglich bezeichnet. 194 Ehrlich, Juristische Logik, S. 136. 195 Lampe, S. 203 f.
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stimmt werden. Ob aber sein eigener Lösungsversuch einer anthropologisch begründeten Verbindung von Recht und Person 1 9 6 gelungen ist, scheint zweifelhaft. Die Zweifel beginnen m i t seiner Entwicklung eines allgemeinen Menschenbildes, „das imstande ist, Recht schlechthin, i n welcher Einzelausprägung auch immer es sich zeigt, i n sich aufzunehmen als ein menschliches, d. h. (nur) für Menschen geltendes Phänomen" 1 9 7 . Zwar warnt Lampe selbst vor einer vorschnellen Ideologisierung' 198 des einmal gewonnenen Menschenbildes einer Rechtspersönlichkeit, aber es scheint, als habe er dennoch, wenn auch keineswegs vorschnell, ideologisiert. Er kommt nämlich zu dem Ergebnis, personales Unrecht sei der erkenntnismäßig freie Verstoß der Person gegen die rechtlichen Bindungen, die von Natur aus in ihr enthalten seien 199 . Ins Unrecht gerate die Person immer dann, wenn „sie die ihr immanenten rechtlichen Bindungen überschreitet" 2 0 0 und sich auf diese Weise m i t ihrem „eigenen rechtlichen Wesen i n Widerspruch setzt" 2 0 1 . Unter diesen Voraussetzungen verschwindet sowohl die Imperativentheorie als auch ihr ganzes Adressatenproblem. Der Mensch steht nicht i m Unrecht, w e i l er „den Imperativen einer über i h m stehenden geistigen M a c h t " 2 0 1 unfolgsam ist, sondern nur dadurch, daß er den „ i n i h m selbst ertönenden Imperativ ,Du sollst rechtmäßig handeln!' " 2 0 1 nicht befolgt. Lampe geht damit nicht den bisher stets eingeschlagenen Weg vom Recht zum Menschen, sondern bietet den neuen Weg vom Menschen zum Recht 202 . Dieser Umkehrung soll hier ohne Zögern gefolgt werden, rückt sie doch den Menschen und damit den Adressaten i n den Mittelpunkt. Dagegen wäre es m. E. verfehlt, zugleich dasselbe Menschenbild zu übernehmen. Daß der Mensch als einziges von allen Lebewesen Rechtspersönlichkeit ist 2 0 3 , muß nicht gleichbedeutend sein m i t völliger Inkarnation der Rechtsmacht oder m i t dem, was man als ausschließliche Rechts-Immanenz bezeichnen könnte, derzufolge der Imperativ nicht von außen, sondern i m Menschen ertönt. Es genügt vielmehr, festzustellen, daß zum Menschen eine Eigenschaft gehört, die sein Leben mitbestimmt: die Fähigkeit und Notwendigkeit, sich normgemäß zu verhalten. Überall, wo der Mensch m i t seinesgleichen zusammentrifft, bilden sich Normen. Sie gehören notwendig zum sozialen Leben und werden daher auch notwendig angenommen, und zwar mehr oder weniger vollständig und be196 197 198 199 200 201 202 203
4·
Lampe, S. 113. Lampe, S. 114. Lampe, S. 114 Anm. 10. Lampe, S. 206. Lampe, S. 225. Lampe, S. 111. Lampe, S. 111 ff. Lampe, S. 114 f.
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wußt. Was aber von den Sozialnormen i m ganzen gilt, das gilt auch von ihrem Teilbereich, den Rechtsnormen. Auch sie gehören zum Normengeflecht, das den Menschen durchdringt und das zu einer Grundbedingung seines sozialen Lebens zählt. Andererseits sind aber die rechtlichen Bindungen dem Menschen keineswegs immanent, sondern entgegen Lampe ist festzustellen, daß sich der Mensch ,rechtlichen Normen aus unterschiedlichen Gründen lediglich unterwerfen' 2 0 4 kann. Wer i n Übereinstimmung mit Lampe fragt, „wie sich das Menschenbild i n das Recht einfügen läßt" 2 0 5 , braucht i n der A n t w o r t nicht auch zu leugnen, daß das Recht auch eine außerhalb des einzelnen Menschen stehende und zugleich vom Menschen geschaffene geistige Macht darstellt. Diese Macht findet der einzelne aber zunächst vor, und man kann Lampe nicht zustimmen, wenn er nur von rechtlichen Bindungen der Person spricht, „die von Natur aus i n ihr enthalten sind" 2 0 6 . Auch i n methodologischer Hinsicht ergeben sich Bedenken gegen Lampes Argumentation, und zwar deswegen, weil er aus dem von ihm selbst festgelegten Menschenbild Schlüsse zieht. Allein in den wenigen hier wiedergegebenen Zitaten finden sich etliche Argumente und Ableitungen, die sich auf das Wesen des Menschen oder eines Begriffes gründen. Ist es schon schwierig genug, ohne eigene oder fremde empirische Forschung einfache Eigenschaften des Menschen zu bestimmen, wie kann es dann gelingen, gesicherte und bestimmte Aussagen über das Wesen des Menschen, d. h. über seine spezifischen Eigenschaften i n ihrer Gesamtheit zu erlangen und dabei des Ergebnisses so sicher zu werden, daß es zu Ableitungen verwendet werden kann? Wie läßt sich überhaupt mit dem „Wesenskern des Rechtsmenschen" 204 argumentieren, ohne aus diesem Begriff das abzuleiten, was man hineingesteckt hat oder bestenfalls durch den Gebrauch hineinsteckt? Hier liegt i m übrigen die Gefahr eines neuen Normentstehungsmythos: statt aus dem „Volksgeist" quillt das Recht jetzt aus der „Menschenseele". Lampes Argumentation muß also i n vielem angefochten werden. Uneingeschränkte Zustimmung verdienen nur die beiden (allerdings bedeutsamen) Thesen von der Umkehrung des bisher üblichen Weges vom Recht zum Menschen und von der anthropologischen Unhaltbarkeit der Imperativentheorie. Der Wert dieser Thesen sollte jedoch nicht durch Wesensschau beeinträchtigt werden und auch nicht durch die einfache Umkehrung des imperativtheoretischen Denkmodells, indem das „ D u sollst rechtmäßig handeln" nicht von außen, sondern — monadenhaft — von innen ertönt. 204
Lampe, S. 204.
205
Lampe, S. 112.
208
Lampe, S. 206.
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4. Ähnlich wie Lampe hat sich auch Adolf A r n d t i n seiner Hede über „Gesetzesrecht und Richterrecht" gegen die Ansicht gewandt, daß das Recht etwas Außermenschliches sei. Er stellte fest, es sei „eine der erstaunlichsten Blindheiten, wenn die landläufige Meinung noch unentwegt annimmt, Gesetzgebung bedeute, generelle Normen abstrakt aufzustell e n " 2 0 7 . Diese Auffassung stehe i n engem Zusammenhang m i t dem Systemdenken, dem das besonders von Theodor Viehweg und Josef Esser dargelegte und i n die juristische Diskussion eingeführte Problemdenken 2 0 8 gegenübergestellt werden müsse: „Die Arbeitshypothese des Systemdenkens, daß ein objektiver Wille des Gesetzes fingiert wird, führt nicht nur zu einer Objektivierung des Gesetzes, sondern in seinem letzten Auslauf zu einer Objektivierung des Rechts, und das heißt: zu einem Ausscheiden des Menschen aus dem Recht. Das Recht wird nicht mehr als etwas erkannt, was dem Menschen aufgegeben und von ihm zu verwirklichen oder genauer noch: zu inkarnieren ist, sondern es erscheint als etwas Außermenschliches, etwas extra nos, so daß der Mensch statt einer zum Recht berufenen Person zu einem rechtsfremden ,Normadressaten' herabsinkt 209 ." „Für ein Problemdenken ist das Gesetz insoweit die Ermächtigung zur Rechtsschöpfung, allerdings eines Rechts, das nicht extra nos als bloßen Normadressaten ist, sondern eines in uns inkarnierten Rechts als eines Entwurfs für die Aufgaben, die wir ins Unbekannte und Unvollendete hinein jeweils neu zu lösen haben 210 ."
Diese Gegenüberstellung kann als besonders gelungene Exposition der Menschenfeindlichkeit von Dogmen und Systemen gewertet werden. Je starrer, „objektiver" und „zeitloser" das Dogma, je geschlossener und abstrakter das System, desto mehr muß dem betroffenen Menschen Gew a l t angetan werden. Ideologie und Praxis totalitärer Staaten beweisen dies zur Genüge 211 . 5. Daß A r n d t die Bezeichnung „Normadressat" i n dem pejorativen Sinne mit der Bedeutung „Rechtsuntertan" verwendet, ist nur allzu verständlich. Die Imperativentheoretiker haben i n ihrer Mehrheit lange genug ihren Befehlsempfänger und Untertanen als höchst unpersönliche Adresse bezeichnet. Außerdem entsprach diese Auffassung vom Normadressaten ihren Vorstellungen vom Recht als einem objektiven und abstrakten Bereich m i t Normen unbedingter, d. h. vom Adressaten nicht bedingter Geltung und Verpflichtungskraft 2 1 2 . Soweit A r n d t diesen Norm207 Arndt, S. 1276. — I m gleichen Sinne hatte sich schon Ehrlich (Grundlegung, S. 302 f., 331) geäußert. 208 Viehweg, bes. S. 15 ff., 64 ff., und Esser, bes. S. 46 f., 218 ff.; Viehweg verweist dabei auf die wegbereitenden Erörterungen Nicolai Hartmanns bezüglich der Gegensätze zwischen Problemdenken und Systemdenken (Viehweg, S. 16). 209 Arndt, S. 1277. 210 Arndt, S. 1279. 211 Vgl. Arndt, S. 1283. 212 Hier hätte das Rechtsgesetz die Eigenschaften eines Sittengesetzes; vgl. BGHSt 6, 46 (50 ff.), wo von der unbedingten Geltung der ethischen Norm die Rede ist.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
adressaten meint, verdient seine K r i t i k ungeteilte Zustimmung; soweit er aber das Adressatenverhältnis ganz und gar auflösen möchte, w e i l das Recht i n uns inkarniert sei, kann i h m genausowenig wie Lampe gefolgt werden. Das Recht ist nicht i m einzelnen, und es entsteht auch nicht i n ihm. I n eine kurze Formel gebracht: Die Quelle des Rechts liegt nicht i n einer (singulären) Person, sondern i n den (vielen) Menschen und ihren Beziehungen. Nicht allein die Imperative von außen oder innen, sondern die verschiedensten Arten der Kommunikation erzeugen und erschließen die (Rechts-)Normen, wobei der Lernfaktor eine höchst bedeutende Rolle spielt; denn nichts kann i m Menschen „ertönen", was er nicht vorher i n sich hineingenommen hat. Daraus, daß der Mensch m i t der Fähigkeit, Verhaltensnormen zu bilden und zu rezipieren, geboren wird, kann m. E. nicht auf eine vorausbestimmte („natürliche") A r t des Normenursprungs und der Normenqualität geschlossen werden. Der unaufhörliche Wandel aller Normen scheint eher darauf hinzudeuten, daß sie nicht ein Stück unveränderlicher Menschennatur darstellen, sondern bewußt geschaffen werden können. A u f dieser optimistischen Hypothese beruht der Glaube an die positive Gesetzgebung, zugleich aber auch deren Notwendigkeit zur zeitlich-räumlichen Selbstbeschränkung. Doch selbst wenn das Recht sogar schon zur physischen Substanz des Menschen gehören oder doch i n i h m gegenständlich geworden sein sollte, w i r d sich die staatliche Normsetzung nicht erübrigen und damit auch nicht die Existenz eines Gesetzgebers, der m i t Rechtsgesetzen das Verhalten der Normadressaten berücksichtigen muß, w e i l er es bestimmen w i l l . I n diesem Falle könnte man geradezu von einem Verdienst der Imperativentheorie sprechen, die die Rolle des Gesetzgebers (allerdings übermäßig) betont hatte. A l l e i n i n der Möglichkeit, darüber zu befinden, ob und wie eine Materie rechtlich geregelt sein soll, liegt die Chance für eine rationale und adressatengerechte Rechtsordnung. Nicht die Gebundenheit an ein i n der Menschenseele existierendes Naturrecht, sondern die weitgehend freie Entscheidung ermöglicht überhaupt Gesetzgebung, welche die Wirklichkeit gestaltet. Die folgenden Sätze aus Sten Gagnérs „Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung" mögen das Gesagte unterstützen: „Der Weg zur Gesetzgebung ging über einen Zusammenbruch des Naturrechts. Diese Gesetzgebungsideologie213 zielte auf eine autonome Neugestaltung, die grundsätzlich vor keiner ewigen oder nur herkömmlichen Rechtsordnung haltmachte. M i t dieser gewissermaßen revolutionären Ideologie waren die großen neuzeitlichen Kodifikationsbestrebungen verbunden. Savigny konnte ihre Vertreter eines »bodenlosen Hochmuts' und eines Glaubens an ,eine ideale Gesetzgebung für alle Zeiten und alle Fälle gültig' beschuldigen, ohne zu bemerken, 213 d. h. „die Ideologie von der Gesetzgebung als einem Mittel oder dem M i t tel zum Schaffen des Rechts" ( Gagner , S. 110).
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daß er dabei nur von einem allgemeinen naturrechtlichen Nährboden sprach, von dem sich gerade die Gesetzgebungstheoretiker gelöst hatten 2 1 4 ."
6. Von den Gesetzgebungstheoretikern, die Gagnér meint, muß vor allem Jeremy Bentham erwähnt werden, der bezeichnenderweise die Worte „codification" und „to codify" als erster verwendet hat 2 1 5 . Bentham war jedoch nicht nur Gesetzgebungstheoretiker, sondern auch fruchtbarer Gesetzesschöpfer 216. Er verfocht die Monopolstellung des rationalen und mächtigen Gesetzgebers, der nicht etwa ideale Gesetze für alle Zeiten, wohl aber die jeweils notwendigen Gesetze umfassend fixieren und gegebenenfalls ändern sollte. Nicht die absolute, sondern allein die zeitlich relative Vollständigkeit 2 1 7 konnte Benthams Ziel sein, denn sonst hätte er seine ureigene Prämisse, den utilitaristischen Individualismus, preisgeben müssen 218 . Die Freiheit des Individuums kann nach Bentham nur von einem dem Utilitarismus folgenden Gesetzgeber gesichert werden, denn die Gesetze müssen je nach Lage der sozialen Situation geändert werden, u m Freiheitsbeschränkungen und Ungleichheiten des einzelnen zu beheben. Benthams Rückgriff auf die konkreten gesellschaftlichen Zustände war eine deutliche und bewußte Absage an die Theorien vom allgemeinen Volkswillen und an die Deduktionen aus naturrechtlichen Normen. Stattdessen postulierte er, die Gesetzgebung solle ,die Handlungen der Menschen so leiten, daß man die möglich-größte Summe von Glück hervorbringe' 2 1 9 , und um diesem Postulat zu genügen, fordert er anläßlich eines Gesetzgebungsbeispiels den Leser auf: „ M a n vergleiche nun die Folgen i m Guten und i m Schlimmen 2 2 0 ." Damit deklariert Bentham i n schlichten Worten die von unserem Gesetzgeber und i n unserem Staatsrecht durchweg anerkannte Güterabwägung zum Prüfstein gesetzgeberischen Handelns. Die Verwendung und Konkretisierung des Güterabwägungsprinzips ist nur ein einziges der ungezählten fruchtbaren und heute noch aktuellen Ergebnisse aus Benthams Werken. Leider fehlt bis heute eine monographische Verwertung der Gedanken Benthams zur Gesetzgebungslehre. Die i n dieser Hinsicht umfangreichste und detaillierteste hierzulande erschienene Würdigung Benthams findet sich, soweit ersichtlich, 214
Gagnér , S. 109. Gagnér, S. 109 f., Anm. 1. 216 Stone, S. 268. 217 Vgl. Bentham, S. 21 f. („Aus der Vorerinnerung des französischen Herausgebers"). 218 I n bezug auf die einzelnen Folgen dieser Position für die Gesetzgebung und ihre Prinzipien siehe Friedmann, S. 312—320. 219 Bentham, S. 82. 220 Bentham, S. 86. 215
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b e i R o b e r t v o n M o h l i n dessen v o r ü b e r h u n d e r t J a h r e n v e r f aßten „ B r u c h s t ü c k " 2 2 1 „ J u s t i z - P o l i t i k " 2 2 2 . I n diesem B r u c h s t ü c k h e i ß t es: „Welchen Werth immer man den beiden ersten (gemeint sind Symonds und Gerstäcker) beimessen mag, so sind sie doch in keinen Vergleich zu bringen mit den Leistungen Bentham's. Es ist unmöglich, bei gegenwärtiger Gelegenheit und in engem Räume diesen geistigen Titanen zu würdigen; zu zeigen, wie er kaum in irgend einer Zeit seines Gleichen hat an selbständigem Scharfsinne, an fast instinctmäßiger Feindschaft gegen falsche Gedanken, an Meisterschaft der Zergliederung, an unerschrockener Folgerichtigkeit, mit Einem Worte an logischer Genialität; aufzuzählen, was er neu geschaffen hat fast in jedem Theile der Gesetzgebung... ; einen Begriff zu geben von der Philosophie der Nützlichkeit, auf welche er sein ganzes System felsenfest zu gründen h o f f t e . . . Es ist fast kein Theil der gegenwärtigen Abhandlung, in welchem nicht näher einzugehen war auf eine einschlagende Leistung Bentham's, wenn nicht immer mit Billigung, doch immer mit Bewunderung 223 ." A l s F e s t s t e l l u n g i m H i n b l i c k a u f die v o r l i e g e n d e A r b e i t b l e i b t n u r z u sagen ü b r i g : M a g B e n t h a m auch die F u n k t i o n u n d die M ö g l i c h k e i t e n des Gesetzgebers ü b e r b e w e r t e t haben, so ist i h m dennoch eher z u z u s t i m m e n , als d e n j e n i g e n , die das Recht aus d e m e i n z e l n e n z u e x t r a p o l i e r e n suchen oder eine ausschließlich ideale, v o l l s t ä n d i g e G e s e t z g e b u n g 2 2 4 e r s t r e b e n u n d zulassen w o l l e n . § 10. Die praktische Seite des Adressatenproblems 1. D i e b e i L a m p e beobachtete W e s e n s a r g u m e n t a t i o n b e d a r f gerade i n dieser A r b e i t e i n e r n ä h e r e n U n t e r s u c h u n g , w e i l sie i n der D i s k u s s i o n ü b e r d e n w a h r e n A d r e s s a t e n der R e c h t s n o r m i m m e r w i e d e r a n z u t r e f f e n w a r . So h a t t e n G e r l a n d u n d T h o n die D i s k u s s i o n u m d e n N o r m a d r e s s a t e n d a d u r c h a p o d i k t i s c h z u b e e n d e n versucht, daß sie k o n s t a t i e r t e n , d e r B e f e h l sei e i n A k t i v - , k e i n P a s s i v b e g r i f f 2 2 5 . Diese F o l g e r u n g aus d e m B e g r i f f steht a u f derselben Ebene w i e die folgende W e s e n s a r g u m e n t a t i o n v o n Ernst Forsthoff: „Die Sprache des Umgangs unter den Menschen geht auf Verständigung. I n dem ich das Wort an jemanden richte, w i l l ich von ihm verstanden werden. 221
Mohl, S. 375. Mohl, S. 373—691. Dieses „Bruchstück" ist ebenfalls so gut durchdacht, daß keine Gesetzgebungslehre unserer Tage auf eine Auseinandersetzung mit ihm verzichten kann. 223 Mohl, S. 543 f., Anm. 1. 224 Hierzu meinte Hegel, der ein ebenso entschiedener Fürsprecher der Gesetzgebung war wie Bentham: „An ein Gesetzbuch die Vollendung zu fordern, daß es ein absolut fertiges, keiner weitern Fortbestimmung fähiges seyn solle, — eine Forderung, welche vornehmlich eine d e u t s c h e Krankheit ist, — und aus dem Grunde, weil es nicht so vollendet werden könne, es nicht zu etwas sogenanntem Unvollkommenen, d. h. nicht zur Wirklichkeit, kommen zu lassen, beruht Beides auf der Mißkennung der Natur endlicher Gegenstände, wie das Privat-Recht i s t . . . " (Hegel, § 216). 225 Siehe oben § 5 Abschnitt 4 (a. E.). 222
§ 10. Die praktische Seite des Adressatenproblems
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Der sprachliche Ausdruck des Gesetzes ist jedoch damit noch nicht getroffen. Nicht, daß er auf Verständnis verzichtete. Aber er erschöpft sich nicht darin. Das geht schon daraus hervor, daß er keinen Adressaten hat. Die terminologische Übung, welche dem Gesetz den Normadressaten zuweist, geht an dem Wesen des Gesetzes vorbei. Das Gesetz, sofern es Ausdruck des Rechts als etwas Unbedingtem ist, existiert aus sich selbst und für sich, nicht in Relation zu einem Adressaten 228 ."
Der Adressat steht abseits. Nicht einmal als façon de parier w i r d er anerkannt. Und das Ganze kleidet sich i n strenge Begrifflichkeit und schmückt sich m i t logischer Stringenz — es ist, als hätten diese Autoren ihr Heimstätte i n dem lichtlosen Begriffshimmel, den von Jhering einst meisterhaft beschrieben und gemieden hat. Denn hier w i r d ganz und gar verkannt, daß (in der Terminologie Theodor Geigers gesprochen) der Weg des Gesetzes als Verbalnorm zum Gesetz als subsistenter N o r m 2 2 7 über den Adressaten und nur über i h n führt. Ein Gesetz, das sich nicht u m den Adressaten kümmert, kann allenfalls ,aus sich selbst und für sich existieren 4 , aus einem Grunde und für einen Zweck also, die vielleicht transzendente Bedeutung haben. Solche Gesetze sind der (Rechts-) Wirklichkeit entrückt, unüberprüfbar und so absolut, daß „niedere Adressatenbelange" nicht korrigierend zu wirken vermögen. Ist das Ergebnis Forsthoffs wirklich eine zwingende Folge aus dem Wesen des Gesetzes? Das Wesensargument müßte sich unverhofft grundlegend geändert haben, wenn sich mit seiner Hilfe nicht auch das Gegenteil begründen ließe. Folglich kann Eugen Bucher schreiben, die Norm höre auf, Norm zu sein, wenn sie an niemanden gerichtet sei, denn die Rechtsnorm könne den i n ihrem Begriffe (d. h. i n ihrem Wesen) enthaltenen Zweck nur erfüllen, wenn sie jemanden anspräche 228 . Und Dölle antwortet auf Forsthoffs These schlicht: „ I m Wesen des Gesetzes liegt vielmehr, daß es jemanden anspricht 2 2 9 ." Hier zeigt sich einmal mehr, daß die Begründung aus dem Wesen eine Pseudobegründung ist. Nichts kann aus dem Wesen abgeleitet werden, was i h m nicht vorher zugeschrieben worden ist, denn das Wesensargument ist „zu allem fähig" 2 3 0 . 226 Forsthoff, S. 8. — Ähnlich schreibt Mezger (S. 245): „Die »Norm4 ist in begrifflicher Klarheit denkbar nur als unpersönliches Soll, dem der Adressat kein wesentliches Erfordernis ist. Die Normen des Rechts sind Bewertungsnormen, gerichtet auf einen bestimmten objektiven sozialen Zustand, bevor sie in einem weiteren logischen Verfahren den Charakter von Bestimmungsnormen erhalten." 227 Geiger, S. 23, 211 f. 228 Bucher, S. 46. — Fast gleichlautend hatte schon Somló gelehrt: „Eine Norm muß immer an irgend jemand gerichtet sein; diesen nennen wir Normadressaten" (Somló, S. 497). 229 Dölle, Stil, S. 10. 230 Scheuerle, S. 471.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
2. Angesichts dieser und auch i n der übrigen Diskussion zu beobachtenden rein theoretischen und vielfach ungenügenden Argumentationsweisen w i r k t es u m so erfreulicher, daß die Bedeutung des Adressatenproblems für die Praxis vor 120 Jahren vorzüglich erkannt worden ist, und zwar i n den „Verhandlungen des i m Jahre 1848 zusammenberufenen Vereinigten ständischen Ausschusses" über den ersten Teil des preußischen Strafgesetzbuchentwurfes von 1847 231 . Die wortgetreue Aufzeichnung i n den Protokollen führt lebendig den Streit der Abgeordneten vor Augen, die sich offensichtlich dessen bewußt waren, daß die Adresse des Gesetzes i n hohem Maße über seine Fassung entscheidet. Es sollte deswegen sogar darüber abgestimmt werden, ob das Gesetz an das Volk oder an die Richter adressiert werden solle, und das Ergebnis dieser A b stimmung hätte darüber entschieden, ob Imperative (an das Volk) oder „Instructionen für den Richter" 2 3 2 erlassen worden wären. Aber nicht nur i n diesen Verhandlungen, sondern auch i m Laufe der ganzen Diskussion u m den Normadressaten hatte man immer wieder die Modellvorstellungen über Normgeber und Normadressaten an den Auswirkungen auf die Praxis gemessen. Umgekehrt wurde die Gesetzgebungswirklichkeit zur Korrektur dieser Modellvorstellung benutzt, so ζ. B. i n den Thesen Max Ernst Mayers, daß die Rechtsgesetze schon wegen ihrer Zahl, nach der A r t ihrer Verkündung und nach der A r t ihrer Redaktion nicht an das Volk gerichtet sein könnten 2 3 3 . Die Berücksichtigung dieser empirisch nachweisbaren Tatsachen kann als teilweise Emigration aus dem Begriffshimmel i n die Wirklichkeit begrüßt werden 2 3 4 . 3. Leider ist dieser Umschwung nicht zügig vorangegangen, denn sonst hätten Gesetzgeber und Wissenschaft, wie verschiedentlich gefordert wurde 2 3 5 , die Beziehungen zwischen Rechtsgesetz und Verhalten des einzelnen genauestens untersucht. Stattdessen ist der Erlaß von Rechts281 Verhandlungen, S. 21—30; auch Binding erwähnt diesen Teil der Verhandlungen, um zu beweisen, daß das Problem der richtigen Adresse nicht nur theoretische Bedeutung habe, sondern auch für die Gesetzgebungstechnik wichtig sei (Binding , Normen, Bd. 1, S. 10). — Vgl. auch Schoetensack, S. 20, der die praktische Bedeutung des Adressatenproblems hervorhebt. 282 Verhandlungen, S. 28 (Graf Renard: „Das erste Gesetzbuch, die 10 Gebote Gottes, sprechen imperativ. Wir können unser Gesetzbuch, wenn auch nicht so kurz, doch kürzer fassen, wenn wir diese Sprachform beibehalten." — Dagegen schon Wendt, S. 11); vgl. auch Triepel, S. 90, über die Bedeutung der Adresse für die Gesetzessprache. 288
Siehe oben § 5 Abschnitt 3.
284
Bindings kaustischer Spott gegen Mayer (Normen, Bd. 2, 1. Hälfte, S. 366 ff.) will deswegen nicht gefallen; Mayer hat sich nämlich, wenn auch mit schiefem Ansatz, um die Integration der Realität in die dogmatische Konstruktion bemüht. 285
ζ. B. von Clauss, S. 397, und Hirsch, S. 6.
§ 10. Die praktische Seite des Adressatenproblems
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gesetzen noch immer ein weithin unkontrolliertes Experiment 2 3 8 , das regelmäßig 237 unbefristet läuft. Dieser Zustand muß als vorwissenschaftlich bezeichnet werden. U m i h n zu überwinden, scheint m i r allein erfolgversprechend die Arbeit i n der Richtung, die Frederick K . Beutel m i t seinem 1957 erschienenen Buch „Some Potentialities of Experimental Jurisprudence as a New Branch of Social Science" gewiesen hat. Beutels Grundkonzeption ist vielleicht nicht originell, aber meines Wissens hat er als erster den ausfürlichen Versuch gewagt, juristische Gesetze wie naturwissenschaftliche Hypothesen zu behandeln und m i t ihnen zu experimentieren, u m endlich solide Kenntnisse der sozialen Wirkung von Rechtsnormen und der Rechtsverwirklichung zu erlangen. Darüber hinaus w i l l Beutel die Gesetze i n ständiger Reform an den (wissenschaftlich analysierten) Bedürfnissen der Adressaten orientieren und zugleich deren Forderungen und Wünsche berücksichtigen. Die Grundzüge des von Beutel vorgeschlagenen Verfahrens sind ihrer Wichtigkeit halber als Anhang zur vorliegenden Arbeit wiedergegeben, obwohl die Gefahr besteht, daß sie ohne die detaillierten Ausführungen und ohne die praktischen Anwendungsbeispiele Beutels sehr abstrakt wirken. Beutel hat inzwischen durch neue Publikationen seine Vorschläge erweitert 2 3 8 und die Methoden verfeinert 2 3 9 , und zwar nicht nur aufgrund theoretischer Überlegungen, sondern infolge der praktischen (und erfolgreichen) Anwendung seiner „Experimental Jurisprudence" auf die gesetzliche Bekämpfung von Scheckbetrügereien i n Puerto Rico. Wenn schon die Auswirkungen eines Gesetzes nicht i m Sinne Beutels fortlaufend geprüft werden, so scheint wenigstens erforderlich, alle Rechtsgesetze nach Ablauf einer bestimmten Geltungsdauer, die i m einzelnen sehr variieren kann, auf Berechtigung und Wirksamkeit zu untersuchen. Erste Ansätze zu einer solchen Kontrolle finden sich i n der Regelung der Polizeiverordnungen, denn schon nach § 34 des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes sollte jede Polizeiverordnung eine Beschränkung der Geltungsdauer enthalten, die nicht über dreißig Jahre hinausgehen durfte. Fehlte die ausdrückliche Beschränkung, so trat die Polizeiverordnung dreißig Jahre nach ihrem Erlaß außer Kraft. Wacke gibt hierzu folgende Erklärung: 238 Dies wird auch von Vilhelm Aubert moniert (S. 284), der eine aufschlußreiche Untersuchung des norwegischen Hausangestelltengesetzes vorgelegt hat (siehe unten § 17 Abschnitt 3 a. E.). 237 Eine Ausnahme bilden die sogleich zu behandelnden Polizeiverordnungen. 238 "Democracy or the Scientific Method in Law and Policy Making", 1965. 239 « x h e Operation of the Bad-Check Laws of Puerto Rico", 1967; dieses Buch, das Beutel zusammen mit Tadeo Ν. Mederò verfaßt hat, enthält eine ausführliche Darstellung einer Untersuchung zur Bekämpfung von Scheckbetrügereien in Puerto Rico.
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
„Diese Bestimmung soll verhindern, daß sich allmählich ein Wust alter vergilbter Polizeiverordnungen ansammelt, die meist obsolet geworden sind, aber dennoch formell zu Recht bestehen." — „Die Übersichtlichkeit und Klarheit des Rechtszustandes auf polizeilichem Gebiet wird dadurch wesentlich gefördert. Aber das preußische Recht ist hier mit seiner langen dreißigjährigen Frist nicht so weit gegangen, wie es wünschenswert wäre 2 4 0 ."
Einige Länder haben das preußische Beispiel i n ihre Polizeiverwaltungsgesetze übernommen, und die meisten sind sogar zu kürzeren Fristen (zwanzig Jahre) übergegangen. Die Regelung der Polizeiverordnungen könnte ohne weiteres auf die meisten Rechtsgesetze übertragen werden. Führte die Befristung zu einer Kontrolle der Qualität und der Wirkung der Rechtsgesetze, so wäre dem Anliegen Beutels schon weitgehend entsprochen. Bis zu welchem Grade das geschehen sollte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Es kommt i n jedem Fall nur darauf an, daß sich der Gesetzgeber nicht mit der Vorstellung der Imperativentheorie beruhigt, daß seine Normen „wesensmäßig" alle Untertanen verpflichteten oder doch durch Sanktionen zwängen, normgemäß zu handeln. Er sollte vielmehr alle K r a f t und Fachkenntnis aufbieten, die richtige Regelung zur rechten Zeit an die richtige Adresse gehen zu lassen und die Effektivität der Normierung zu prüfen. I n bezug auf die Verkündung „ u r b i et orbi" sei hier an die Warnung Justus Wilhelm Hedemanns erinnert: „Aber wen spricht nun der Gesetzgeber an? Der Idee nach müßte auch das Volk wieder der Angesprochene sein. Realiter spricht jedoch der Gesetzgeber, zumal bei der Gesetzeszersplitterung, zu den einzelnen Teilen des Volkes und auch über diese hinweg zu Richtern, Beamten, Fachmännern und Fachvertretern. S e l b s t b e s i n n u n g möge warnend aus dieser Erkenntnis zu den Thronen der,Gesetzesmacher' aufsteigen 241 ."
Auf Grund all dieser Erwägungen hätte schon längst jene Umfrage stattfinden müssen, die Carl August Emge angeregt hatte und die von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) durchgeführt werden sollte. Die Wichtigkeit dieser Umfrage rechtfertigt es, sie hier ungekürzt wiederzugeben: „1. Wie kann ein harmonischeres Verhältnis zwischen Bereitwilligkeit zur A n erkennung des geltenden Rechts und dem Inhalt der Rechtssatzungen hergestellt werden? 2. Wie lassen sich Gesetze verhindern, bei denen vorher nicht gründlich die Chance ihrer Geltung geprüft wird? (z. B. die Speisekammerverordnung). 3. Wie läßt sich im Recht die Haltung überwinden, die der Rechtsphilosoph als positivistisch bezeichnet? Der Glaube an die bedingungslose, selbstherrliche Unterstellung unter bloße Bestimmungen, und seien es auch solche der Verfassung? 240 241
Wache, S. 408. Hedemann, S. 32.
§ 10. Die praktische Seite des Adressatenproblems
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4. Wie läßt sich der I n h a l t dessen, was die sogenannten Grundrechte meinen und was den Rechtstitel, den justus titulus, für jeden Rechtsstaat ausmachen muß, popularisieren? 5. Wie läßt sich erreichen, daß die Erkenntnisse der Rechtssoziologie und der Rechtspsychologie beachtet werden, u m einen soliden Unterbau für stabile Rechtszustände zu schaffen 2 4 2 ?" 4. Bei Beutel und Emge steht der Adressat nicht mehr abseits. Seine zentrale Stellung ist erkannt. Das Subordinationsverhältnis zwischen Gesetzgeber und U n t e r t a n nach der Imperativentheorie hat zu einem beträchtlichen T e i l einem Koordinationsverhältnis, einer Gegenüberstellung weichen müssen. Daß die Imperativentheorie selbst zu dieser v e r änderten Sicht einen ganz erheblichen Anstoß gegeben hat, mag paradox klingen — w a r sie doch dazu angelegt, die K l ä r u n g der Befehlsstruktur, keinesfalls aber die Koordination i m Gesetzgebungsprozeß zu fördern. Z w e i Gründe lassen sich jedoch dafür angeben, daß diese Folge nur scheinbar paradox ist. Als erstes ist die Tatsache zu nennen, daß in der logischen Konstruktion der Imperativentheorie eine Polarität von Gesetzgeber und Adressat liegt. Z w a r hat den Imperativentheoretikern deutlich ein Subordinationsverhältnis vorgeschwebt, aber m i t der Frage nach der Pflichtbegründung durch den Imperativ begann das Spannungsverhältnis zwischen Befehlendem und Gehorchendem offenbar zu werden. E i n solches Spannungsverhältnis konnte dagegen nie entstehen oder gar problematisch werden bei denjenigen, die in jedem Rechtsgesetz ein hypothetisches U r t e i l sahen und zur E r k l ä r u n g der Rechtsordnung nicht die imperative, sondern die indikative Logik zur H i l f e nahmen. B e i m U r t e i l geht es j a nur u m die Frage, ob es w a h r ist oder falsch. Ist es wahr, so gilt es für alle gleichermaßen; eine Unterscheidung zwischen Behörden und V o l k , zwischen tauglichen und untauglichen Adressaten liegt gänzlich außerhalb des Problembereiches. Als zweites ist zu bemerken, daß die Imperativentheorie gerade wegen der ihr zugrundeliegenden einseitigen Vorstellung von der Rechtswirklichkeit den Versuch nahelegt, die Verzeichnung durch ein möglichst getreues B i l d zu ersetzen. Das heißt vor allem, das Befehlsverhältnis nicht mehr als typische Relation, sondern als Ausnahme i m Prozeß der Rechtsverwirklichung anzusehen. Selbst dann nämlich, w e n n m a n den I m p e r a tiv des Gesetzes nach Olivecrona nicht als persönlichen Befehl, sondern 242 Emge, Recht und Psychologie, S. 15, und Einführung, S. 411, A n m . 21. Einstweilen besteht aber noch kein Grund zur Freude auf eine rasche F o r t entwicklung i n diesem Gebiete, denn Herr Professor Dr. Emge teilte m i r h i e r über unter anderem mit, „daß die Finanzlage die Fundierung der Kommission betroffen hat und die Umfrage bisher nicht erfolgen konnte. Überhaupt stehe ich nach wie vor auf dem Standpunkt, daß man gerade an den entscheidenden Stellen „rechtsdogmatisch" i n einem sehr bedingten Sinne orientiert ist."
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2. Kap. : Diskussion über den „wahren" Adressaten der Rechtsnorm
als „freistehenden" 2 4 8 , d. h. ohne persönliche Beziehung ergangenen I m perativ begreift, bleibt die Gefahr bestehen, daß die Vorstellungen über die Befehlserteilung auf die Gesetzgebung übertragen werden. Aus dem dogmatischen Adressatenproblem der Imperativentheorie ist somit als wichtigster Bestandteil das praktische Adressatenproblem des Gesetzgebers herausgenommen. Der Gesetzgeber muß sich i n seinen Rechtsgesetzen u m den konkreten Adressaten kümmern, d. h. u m den Menschen, nicht u m einen abstrakten, eigenschaftslosen oder beliebig (bzw. systemgerecht) qualifizierbaren Rechtsunterworfenen. Der Gesetzgeber hat es deshalb unendlich viel schwerer als der Imperativentheoretiker und Systembauer. Der konkrete Adressat w i l l und darf Gerechtigkeit hier und heute fordern. M i t logischer Widerspruchslosigkeit des Systems allein ist i h m nicht gedient.
148
Olivecrona, S. 25 ff.
Drittes Kapitel
Das Adreseatenproblem — ein Problem des Gesetzgebers A) G E S E T Z G E B U N G S P O L I T I K
§ 11. Der Adressatenkreis 1. Der juristischen Erkenntnis geht nichts verloren, wenn die Diskussion u m den wahren Adressaten der Hechtsnorm von den Imperativentheoretikern nicht endgültig entschieden zu werden vermag. Denn die zufriedenstellende, systemgerechte Einordnung des Adressaten i n die Imperativentheorie w i r d wegen ihres schiefen Ansatzes die Gesetzgebungswirklichkeit kaum beeinflussen. Demgegenüber ist es für den Gesetzgeber entscheidend wichtig, zu wissen und klarzulegen, wer der Adressat seiner Rechtsgesetze sei, und er muß darüber hinaus einer Konzeption folgen, die den Adressaten gemäß den Forderungen eines demokratischen Rechtsstaates und ohne Widerspruch zur Wirklichkeit, soweit sie erkennbar ist, beachtet. Wären nämlich wirklich nur die Behörden und insbesondere die Richter oder nur die tauglichen „Befehlsempfänger" als Adressaten anzusehen, so hätte dies auf Inhalt, Abfassung und Verkündung der Gesetze ganz bestimmte Auswirkungen. Es muß daher aufs neue gefragt werden, wer der Adressat des Rechtsgesetzes sei. 2. Zur Beantwortung dieser Frage soll zwischen der formellen und der materiellen Adresse unterschieden werden 1 . Hierzu ist jedoch vorweg zu bemerken, daß diese Unterscheidung nicht erfolgt, w e i l es i n der Jurisprudenz immer wieder beobachtet werden kann, daß irgendwelche Betrachtungsgegenstände nach den Begriffspaaren materiell/formell 2 , subjektiv/ objektiv, abstrakt/konkret, allgemein/speziell oder so weiter sondiert werden. Nicht immer verbindet sich m i t diesen Einteilungen ein besonderer Erkenntnis- und Erklärungswert, meistens sind es nur nützliche Hilfskonstruktionen, die bestimmte wichtige Merkmale hervorheben. Genauso verhält es sich auch hier, denn die Einteilung i n formelle und materielle Adresse ist keine „wesensmäßige" Klassifikation, zumal die 1 Vgl. Binder, Adressat, S. 24 ff., der diese Unterscheidung jedoch, wie dargelegt, in einem anderen Sinne benutzt. 2 Engisch, Form und Stoff (S. 67), spricht von einer „überaus beliebten U n terscheidung".
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
Entscheidung über die formelle Adresse materielle Bedeutung hat 3 . Vielleicht liegt hierin ein mitbestimmender Grund dafür, daß Kelsen 4 sich für die Qualifikation des Rechtssatzes als eines hypothetischen Urteils entschied und damit die Frage nach der Adresse sich erübrigte. Geht man von der Gesetzgebungspraxis aus, so zeigt sich, daß die formelle Adresse jeden Rechtsgenossen umfaßt. Die schwierigen Fragen hinsichtlich der Gesetzgebungspromulgation und -publikation und die (unentschiedene)5 Debatte, ob zum Gesetz „wesensmäßig" die allgemeine Adresse gehöre, können hier 6 auf sich beruhen. Denn die Gesetze werden urbi et orbi verkündet und sollen für alle gelten, w e i l sie als Rechtsgenossen an der Rechtsordnung teilhaben und weil nicht ausgeschlossen ist, daß sie auch an der Veränderung der Rechtsordnung, die das Gesetz darstellt, teilhaben können. Ein Gesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt eben für alle, für die es nach dem juristischen Geltungsbereich gelten kann und soll. Insoweit läßt sich m i t Merkel sagen, daß niemand existiere, „zu dem das Recht seiner Intention nach nicht spräche" 7 . Gegen diese Auffassung hat K a r l N. Llewellyn folgendes eingewandt: „Regeln für allgemeingültig zu halten — insbesondere für anwendbar auf ,alle Personen, die in ihren Geltungsbereich fallen* — bedeutet, den Blick mit einer verfassungsrechtlichen Fiktion vernebeln, bevor man richtig hingesehen hat. Sicherlich sieht es so aus, als würden die Verfassungen vorschreiben, alle Rechtsnormen hätten ,gleich und allgemein' zu sein. Aber die meisten Regeln — so allgemein sie auch gelten mögen für diejenigen, die sie betreffen — sind äußerst speziell, wenn man sie danach betrachtet, wieviele Staatsbürger es insgesamt gibt 8 ."
Dieser Einwand w i r d sofort gegenstandslos, wenn man — wie hier — zwischen formeller und materieller Adresse unterscheidet. Bei der Diskussion über die materielle Adresse w i r d klar werden, daß Llewellyn wegen der vielfach beschränkten materiellen Adressatenkreise unrichtigerweise die allgemeine formelle Adresse für eine vernebelnde Fiktion hält. F i k t i v wäre allein die Annahme, daß jedes Gesetz jeden Rechtsgenossen unmittelbar und konkret berühre. Das ist aber m i t der formellen Adresse nicht gemeint. Sie ist vielmehr der tatsächliche, nämlich juristisch bestimmte Geltungsbereich, und auf Grund der juristischen Bestimmung kann sie auch formelle Adresse genannt werden: Das Bürgerliche Gesetzbuch gilt nicht für solche Franzosen oder Italiener, die mit unserem Rechtskreis keine Berührung haben. 8 Die Relativität und wechselseitige Bezogenheit von Form und Inhalt im Recht hat Engisch, Form und Stoff (bes. S. 70 f.), deutlich klargestellt. 4 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme, S. 395. 5 Vgl. Krüger, Staatslehre, S. 296 ff. 6 Das Problem der Gesetzesverkündung wird in den §§ 12 und 19 noch erörtert werden. 7 Merkel, Elemente, S. 11 ; vgl. oben § 6. 8 Llewellyn , Realistische Rechtswissenschaft, S. 81.
δ 11. Der Adressatenkreis
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Für die Allgemeinheit der formellen Adresse spricht besonders eine rechtsstaatlich-demokratische Funktion. Jedermann ist irgendwie durch jedes Gesetz und jede Gesetzesänderung wenigstens faktisch betroffen. Auch ein Spezialgesetz geht jeden an 9 . Ein Gesetz über die Wehrpflicht betrifft die Ehefrauen tatsächlich nicht minder als ihre wehrpflichtigen Männer; ein Gesetz über die Aktiengesellschaft w i r k t sich faktisch auch auf einen mittellosen Studenten oder auf einen (rechtlich unbeteiligten) Ausländer aus, und zwar wegen der totalen wirtschaftlichen Verflechtung der heutigen Welt. Folglich kann der Kreis der faktisch betroffenen sogar weit größer sein als der Kreis der formellen Adressaten. Daß als formelle Adresse die Allgemeinheit gelten muß und daß man an dieser Auffassung festhalten sollte, ist indessen auch verschiedentlich verneint worden. So hat Herbert Krüger i n seiner schon erwähnten A b handlung „Der Wille des Gesetzgebers" folgendes ausgeführt: „Jede rechtliche Willensäußerung eines Gesetzgebers bedarf der Verkündung. Dieser Satz gilt auch für den nationalsozialistischen Gesetzgeber. Hiergegen scheint die Tatsache zu sprechen, daß man neuerdings die Nichtveröffentlichung von Führerverordnungen festgestellt und daraus den Schluß gezogen hat, daß der Grundsatz der Verkündung von Hechtsvorschriften nicht mehr ausnahmslos gelte 10 ."
Man erwartet nun, daß Krüger fortfährt, dieser neue Sachverhalt dürfe einen solchen Schluß nicht nahelegen. Stattdessen schreibt er: „Eine solche Schlußfolgerung ist jedoch verfrüht. Man muß hier einen genauen Unterschied zwischen Verkündung und Veröffentlichung von Rechtsvorschriften machen. Die Verkündung ist der Oberbegriff: Sie verlangt, daß die Anordnung demjenigen bekanntgegeben werde, den sie angehe. Die Veröffentlichung ist eine Art der Verkündung: sie sucht diejenigen, die die A n ordnung angeht, dadurch zu erreichen, daß sie sich an jedermann wendet. Die Veröffentlichung enthält enthält also einen Uberschuß an Kundmachung, der regelmäßig in Kauf genommen wird, weil das Verfahren der Veröffentlichung das sehr viel einfachere ist, und zwar deshalb, weil dem veröffentlichenden Organ die umständliche Auswahl des Gesetzesadressaten erspart bleibt. Dieser Gesichtspunkt der Arbeitsersparnis fällt jedoch dann fort, wenn schwerer wiegende andere Gesichtspunkte, z.B. der der Geheimhaltung, es notwendig machen 11 ."
Diese Ausführungen verwandeln das Rechtsgesetz, das m i t Rücksicht auf alle Adressaten eine res publica sein soll, i n eine res secreta. Die legitimen Ansprüche des Adressaten auf Rechtssicherheit und auf Vorhersehbarkeit der Rechtsfolgen seiner Handlungen verbieten es, i n der Veröffentlichung einen Überschuß an Kundmachung zu sehen, der noch 9
Linn/Noll, S. 27 f., 45. Krüger, Der Wille des Gesetzgebers, S. 169. 11 Krüger, Der Wille des Gesetzgebers, S. 169 f.; ähnlich W. Weber, S. 25: „Rechtsvorschriften bedürfen immer der Kundmachung an die Betroffenen, um wirksam zu werden. Dieser Grundsatz erleidet nirgendwo eine Ausnahme. Dagegen braucht nicht immer eine öffentliche Verkündung zu erfolgen." 10
5 u.Krüger
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
dazu eine mehr oder weniger erwünschte Folge des Ökonomieprinzips sei. Da die formelle Adresse jedermann einschließt, muß der Gesetzgeber seine Rechtsgesetze i n der Form der Veröffentlichung kundmachen. Es ist zu begrüßen, daß Krüger seine damalige Ansicht (allerdings ohne sie zu erwähnen) aufgegeben hat 1 2 und heute gleichfalls zu dem Schluß kommt, ,die Verkündung des Gesetzes müsse eine allgemeine sein 413 . 3. Krügers frühere Auffassung von der Verkündung an den, den es angeht, deutet darauf hin, daß er die formelle Adresse m i t der materiellen identifizieren w i l l . Er setzt damit die Ansicht voraus, aus Inhalt und Fassung des Gesetzes könnte der Kreis der Angesprochenen ermittelt werden. Diese Überlegung berührt sich m i t der vielfach anzutreffenden Meinung, daß die Gesetze nach ihrem Adressatenkreis i n allgemeine und i n besondere 14 eingeteilt werden können. Danach lassen die allgemeinen Gesetze den Adressaten ungenannt, wie z. B. § 242 StGB, während die besonderen Gesetze bestimmte Adressaten oder Adressatenkreise bezeichnen, so daß zu dieser Gruppe die Sonderdelikte des Strafrechts zu zählen wären. Die Einteilung der Rechtsnormen w i r d also nach dem K r i t e r i u m vorgenommen, ob der Adressat irgendwie qualifiziert ist oder nicht. A u f diese Weise ließe sich aus der Zweiteilung eine nahezu beliebig vermehrbare Vielteilung entwickeln, denn der Gesetzgeber differenziert i n seinen Normen die Träger von Rechten und Pflichten nach den verschiedensten Merkmalen und gruppiert immer wieder neue Konstellationen, u m Tatbestand und Rechtsfolge jeweils für ganz genau bestimmte Personen und nur für diese gelten zu lassen. Welchen Wert haben diese Einteilungen? A r m i n Kaufmann meint hierzu, Binding habe ,mit Recht allgemeine und besondere Normen unterschieden' 15 , aber es dürfe m i t der weit verbreiteten Meinung 1 6 dennoch nicht angenommen werden, daß sich die besonderen Normen an einen bestimmten Adressatenkreis wendeten. Die Spezifizierung des Normsubjekts begrenze nur den Täterkreis, nicht die Normadresse 17 : „Niemand kann als eventueller Täter des Aktes a priori ausgeschlossen werden. Die genannten Personenkreise wechseln in ihrem Bestände; wer heute Beamter ist, braucht es morgen nicht mehr zu sein 18 ."
Damit bringt Kaufmann indessen nur ein Argument für die Allgemeinheit der formellen Adresse. Materiell, d. h. nach der Materie des Rechts12
Krüger, Staatslehre, S. 286 ff. (292 f.). Krüger, Staatslehre, S. 93 Anm. 42. 14 Vgl. die Ansicht Thons oben § 7 Abschnitt 2; Nawiasky, S. 119, nennt die besonderen Normen „Rechtsnormen im engeren Sinn". 15 Kaufmann, S. 133. 18 Kaufmann, S. 133 mit Nachweisen in Anm. 155. 17 Kaufmann, S. 134. 18 Kaufmann, S. 133. 18
§ 11. Der Adressatenkreis
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gesetzes, kann eine Beschränkung des Adressatenkreises nicht bestritten werden. Kaufmann selbst gibt sich Mühe, allerdings nur zu dogmatischen Zwecken, auf dem Gebiete des Strafrechts die besonderen Normen gegen die allgemeinen abzugrenzen 19 und die Normsubjekte, d. h. den Täterkreis, zu bestimmen. Daß dieser Täterkreis unaufhörlich fluktuiert und nie konkret bestimmbar ist, hat aber nur insofern Bedeutung, als alle formellen Adressaten potentiell materielle Adressaten sind. Als w i r k liche Täter kommt oft nur ein ganz begrenzter Kreis i n Frage. Wer nicht Beamter i m Sinne des § 359 StGB ist, kann sich einer passiven Bestechung nicht schuldig machen. Immer wieder schafft der Gesetzgeber besondere Adressatenkreise, u m bestimmte Hechtswirkungen für bestimmte Personen(kreise) vorzusehen. Die Differenzierungsmöglichkeiten sind dabei genauso unzählbar wie die Kriterien, nach denen die Adressaten ausgewählt werden können: der Gesetzgeber nennt die Voraussetzungen, nach denen jemand als Deutscher i m Sinne des Grundgesetzes gilt oder deutscher Staatsangehöriger ist, er fixiert Altersgrenzen ζ. B. für die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit und für die aktive und passive Wahlfähigkeit, er legt die Erbfolge fest und hat sich sogar nicht gescheut, mit großer Pedanterie „nichtarische" Personenkreise zu bestimmen, u m sie unter ein Sonderrecht stellen zu können. Grundsätzlich können jede Eigenschaft und jedes Verhalten des Menschen als Anknüpfungspunkt einer rechtlichen Regelung dienen, so daß der Gesetzgeber theoretisch i n der Lage ist, den materiellen Adressatenkreis stets auf das genaueste zu bestimmen. Spricht der Gesetzgeber niemanden besonders an, w i r d niemand von einer Berechtigung, einer Verpflichtung, einem Status oder einer sonstigen rechtlich relevanten Position ausgeschlossen, dann decken sich formeller und materieller Adressatenkreis. Dies ist der Fall — wenn man von den Fiktionen i n bezug auf den nasciturus absieht — i n § 1 BGB: alle Menschen sind m i t der Vollendung der Geburt rechtsfähig. Von diesem allgemeinen Adressatenkreis bis h i n zur ganz speziellen Abgrenzung findet sich i n unserer Rechtsordnung eine unerschöpfliche Fülle von Beispielen. Dabei kann man zwischen tatsächlichen und rechtlichen Anknüpfungspunkten unterscheiden. Die Skala der tatsächlichen Anknüpfungspunkte reicht von den relativ groben wie Geschlecht (§ 175 StGB) und Alter (§ 2 BGB) bis zu solch speziellen wie der Geisteskrankheit (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Z u den rechtlichen Anknüpfungspunkten muß zunächst bemerkt werden, daß sie oft auf tatsächliche Merkmale zurückgeführt werden können; so knüpft die Eigenschaft „beschränkt geschäftsfähig" regelmäßig an 19
5·
Kaufmann, S. 134 ff.
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
das Alter an. Auch bei den rechtlichen Kriterien finden sich zwischen ganz allgemeinen und ganz speziellen alle Grade der Abstufung. Es gibt so allgemeine wie die Staatsangehörigkeit (manche Grundrechte gelten nur für Deutsche) und so spezielle wie das A m t des Bundespräsidenten. Auch ein Zusammenspiel beider A r t e n der Anknüpfungspunkte ist häufig. Beispielsweise bestimmt § 1 des Wehrpflichtgesetzes den Kreis der Wehrpflichtigen nach tatsächlichen (Alter, Geschlecht, Aufenthalt) und nach rechtlichen Merkmalen (Staatsangehörigkeit, Schutz der Bundesrepublik). A l l diese Auswahlkriterien und Beschreibungen sind notwendig, u m die jeweiligen Adressatenkreise zu begrenzen und damit besondere Normen zu schaffen. Die von A r m i n Kaufmann kritisierte weitverbreitete Meinung ist also richtig, und zwar nicht nur i m Hinblick auf das Strafrecht, m i t dem allein Kaufmann sich befaßt. Bei jedem Rechtsgesetz überlegt sich daher der Gesetzgeber die Bestimmung des Adressatenkreises; wenn er seine Vorstellungen vom Gesetzeszweck dabei genau v e r w i r k licht und nicht durch falsche Auswahl eine falsche Entscheidung trifft, dann treibt er eine bewußte und kontrollierte Gesetzgebungspolitik. § 12. Motivation des Adressaten 1. Es muß wiederholt werden: Rechtsgesetze sind keine Naturgesetze. Naturgesetze gelten und verwirklichen sich, oder sie sind keine Naturgesetze 20 . Rechtsgesetze können dagegen juristisch gelten, ohne sich tatsächlich zu verwirklichen, denn sie begründen nicht den Eintritt, sondern nur die Erwartung normgemäßen Verhaltens. Üben die Adressaten gesetzlich gewährte Rechte nicht aus oder erfüllen sie die Forderungen eines Gesetzes nicht, so ist das betreffende Rechtsgesetz zunächst insoweit tatsächlich unwirksam. Immerhin wäre diese Folge, so mißlich sie ist, unter gewissen Umständen tragbar. Sodann entsteht aber, und das wiegt sehr viel schwerer, ein oft irreparabler Schaden an der Rechtsordnung und an dem Kredit des Gesetzgebers (bzw. des Staates), der dem betreffenden Rechtsgesetz keinerlei tatsächliche Geltung zu verschaffen vermochte. Die Erwähnung der Rechtsnormgeltung erinnert sogleich an die verschiedenen Geltungstheorien, und zwar besonders an deren Unterscheidung, wie sie Gustav Radbruch 2 1 vorgenommen hat und wie sie von Carl August Emge 2 2 weitergeführt 2 3 worden ist. Danach gibt es juristi20 21 22 28
Emge, Einführung, S. 334. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 174—183; ders., Vorschule, S. 37—40. Emge, Einführung, S. 315—349. Emge, Einführung, S. 319.
§ 12. Motivation des Adressaten
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sehe, (historisch-) soziologische und philosophische Geltungsarten. Diese Geltungsarten müßten indessen Geltungsgründe oder Geltungsbegründungen genannt werden, denn die jeweiligen Theorien gehen von der Frage aus, warum eine Norm gilt, und leiten die A n t w o r t aus einer höheren (höchsten) Norm, aus der faktischen Macht (Machttheorie), aus der tatsächlichen Anerkennung (Anerkennungstheorie) oder aus der ethischen Verbindlichkeit her. Bei diesen Ableitungen geht es also u m den Geltungsgrund, nicht u m die A r t und Weise der Geltung, wie sie hier untersucht werden soll. Die Geltungstheorien können daher undiskutiert bleiben, soweit sie logische, soziologische oder philosophische Begründungen der Rechtsgeltung liefern; soweit es aber u m die A r t der Wirkung und u m die Bestimmung zur Wirksamkeit der Rechtsgesetze geht, werden die Argumente dieser Theorien bedeutsam sein 24 . 2. Was muß getan werden, damit ein Rechtsgesetz tatsächlich wirksam wird? Der Gesetzgeber ist nicht i n der glücklich einfachen Lage, die Adressaten durch einen abstrakten Imperativ verpflichten und sie ohne weiteres zu entsprechendem Verhalten bestimmen zu können: "Le législateur n'est pas nécessairement, ni même normalement, un despote commandant à des esclaves, ni même un monarque absolu commandant à des sujets qui n'auraient d'autre rôle à jouer que de comprendre le sens de ses ordres et de s'y conformer 25 ."
Auch wenn der Gesetzgeber (mit Herbert Krüger) postulierte, „daß das Gesetz Gehorsam erheischt, w e i l es Gesetz ist"2®, so änderte das wenig an der Rechtswirklichkeit. Denn der Adressat ist nicht (mehr?) allein der Untertan i m Rahmen eines allgemeinen Gewaltverhältnisses 27 , sondern ein widerspenstiger oder folgsamer, unwissender, träger, dummer oder besonders gewitzigter, gesetzesumgehender und gesetzübertretender 28 Mensch. Es geht u m das Verhalten dieses Adressaten. Erfolgversprechend ist daher weniger der abstrakte, unüberprüfte (Gesetzes-) Befehl als die Motivierung des Adressaten m i t Rücksicht auf seine Belange. Blickt man auf die Geschichte der Gesetzgebung, so zeigt sich, daß selbst zu den Zeiten, als es noch „Rechtsunterthanen" gab, nicht nur von oben herab dekretiert wurde, sondern große Anstrengungen des Gesetzgebers festzustellen sind, das Volk „seiner" Gesetze bewußt zu machen, d. h. 24
Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 10, der auch zwischen Geltung und W i r k samkeit einer Norm unterscheidet und dann einräumt, daß „zwischen Geltung und Wirksamkeit ein gewisser Zusammenhang bestehen kann." „Ein Minimum an sogenannter Wirksamkeit ist eine Bedingung ihrer Geltung." 25 Boistel, S. 51. 28 Krüger, Staatslehre, S. 302. 27 Vgl. aber Krüger, Staatslehre, S. 940 ff. 28 Ein Fall der Übertretung im wörtlichen Sinne: die bis zur Unkenntlichkeit abgefahrene weiße ununterbrochene Linie auf der Fahrbahn (Bild 31a der A n lage zur StVO).
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
normgemäß zu motivieren 2 9 . I n neuerer Zeit und i n der Gegenwart haben sich diese Bemühungen verstärkt, denn das i n der ganzen Diskussion über den wahren Adressaten der Rechtsnorm immer wiederkehrende Argument: die Publikation sei eine dürftige A r t der Mitteilung 8 0 , ist auch dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben. Auch i n dieser H i n sicht muß folglich Krügers frühere Ansicht als bedenklich bezeichnet werden; die Veröffentlichung i m Gesetzblatt enthält leider selbst bezüglich der besonderen Normen keinen Überschuß an Kundmachung 3 1 . Dagegen spricht schon die geringe Erkennbarkeit weiter Teile des heutigen Rechts. Außerdem sind die Gesetzblätter so umfangreich, daß nicht einmal der bereitwillige Adressat sie alle lesen, verstehen und, wo es i h n betrifft, befolgen könnte 3 2 . Schon längst ist daher das Gesetzblatt nicht mehr die einzige Quelle der Veröffentlichung, und seit langem müssen außer dem Staat Körperschaften, Berufsorganisationen und Interessenverbände aller A r t die Publikation i n eine wirklich öffentliche Kundmachung verwandeln, indem sie die Rechtsgesetze, die für die Mitglieder ihrer Vereinigung bedeutsam sind, veröffentlichen oder wenigstens beschreiben, u m damit oft gerade denjenigen Adressatenkreis zu erreichen, der vom Gesetz angesprochen werden soll. Darüber hinaus sorgt der Gesetzgeber selbst ζ. B. durch obligatorische Rechtsmittelbelehrungen dafür, daß der betroffene einzelne i n besonders wichtigen Fällen auf die jeweils einschlägigen Normen hingewiesen wird. Die Rechtsmittelbelehrungen können als Anzeichen dafür gewertet werden, daß der Gesetzgeber selbst i n der amtlichen Gesetzesverkündung keine allgemeine Publikation sieht und auch keine allgemeine Gesetzeskenntnis der Adressaten fingiert. Die einzelnen gesetzgeberischen Möglichkeiten einer Kundmachung i m konkreten Fall werden i n § 19 noch zu erörtern sein. 3. Ist die Kundmachung erreicht, so liegt die erste Voraussetzung für eine normgemäße Motivierung des Adressaten vor: eine annähernde Kenntnis der Norm oder wenigstens ihres wesentlichen Inhalts 3 3 . Dabei muß es i n jedem Falle dem interessierten Laien 9* möglich sein, sich volle Gesetzeskenntnis zu verschaffen. Diese Möglichkeit setzt allerdings eine hervorragende rechtsstaatliche Gesetzgebungstechnik voraus, die nicht den Volljuristen, sondern den interessierten Laien als Maßstab für die 29
Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 259; ders., Die preußische Kodifikation, S. 375 f., Anm. 2. 80 Mayer, S. 10. 81 Vgl. oben § 11 Abschnitt 2 (bei Anm. 11). 82 Klang, Niedergang der Rechtsidee, S. 82. 88 Aubert, S. 287: „Eine der wichtigsten Variablen ist der Grad der Informiertheit derer, an die sich das Gesetz wendet." 84 Zum Begriff des interessierten Laien siehe unten § 15 Abschnitt 4.
§ 12. Motivation des Adressaten
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Adresse anerkennt. Zwar ist es unmöglich, „daß der Laie einen Begriff von dem Inhalt des dogmatischen Rechts haben kann, wie i h n die Jurisprudenz sucht" 3 5 , aber demgegenüber sei daran erinnert, was Hegel i n seiner „Philosophie des Rechts" geschrieben hat: „Die Gesetze so hoch aufhängen, wie Dionysius der Tyrann that, daß sie kein Bürger lesen konnte, — oder aber sie in den weitläufigen Apparat von gelehrten Büchern, Sammlungen, von Decisionen abweichender Urtheile und Meinungen, — Gewohnheiten u.s.f. und noch dazu in einer fremden Sprache vergraben, so daß die Kenntniß des geltenden Rechts nur denen zugänglich ist, die sich gelehrt darauf legen, — ist ein und dasselbe Unrecht3®." „Der Juristenstand, der die besondere Kenntniß der Gesetze hat, hält dieß oft für sein Monopol, und wer nicht vom Metier ist, soll nicht mitsprechen. So haben die Physiker Goethe's Farbenlehre übel genommen, weil er nicht vom Handwerk war, und noch dazu Dichter. Aber so wenig Jemand Schuhmacher zu seyn braucht, um zu wissen, ob ihm die Schuhe passen, ebenso wenig braucht er überhaupt zum Handwerk zu gehören, um über Gegenstände, die von allgemeinem Interesse sind, Kenntniß zu haben. Das Recht betrifft die Freiheit, dieß Würdigste und Heiligste im Menschen, was er selbst, insofern es für ihn verbindlich seyn soll, kennen muß 8 7 ."
Wie i n den Paragraphen 15 bis 19 noch darzulegen sein wird, kann es einer adressatengerechten Gesetzgebungstechnik durchaus gelingen, dem interessierten Laien die Gesetzeskenntnis zu ermöglichen. Dabei w i r d man vom Adressaten allerdings nur die eben umrissene annähernde Kenntnis der Norm erwarten können. N u r bei Thomas Morus* Utopiern ist jeder einzelne rechtskundig und sein eigener A n w a l t 3 8 . 4. Es wäre nun frommer Wunsch und Verkennung des wahren Adressaten, wenn man annähme, daß es neben der beschriebenen Gesetzeskenntnis nur noch guter, d. h. gerechter und richtiger Gesetze bedürfe, u m normgemäße Motivation und damit normgemäßes Verhalten zu bewirken. Weil eine Norm nach juristisch-dogmatischen, logischen und gerechten Kriterien gilt und sich i n die Kohärenz 3 9 der Normenordnung fügt, braucht sie realiter noch nicht zu gelten. Denn selbst die Einsicht i n die theoretisch einwandfreie Normgeltung ist keine Garantie für ihre Verhaltenswirksamkeit. Nicht einmal die Anerkennung der Norm würde ausreichen, ihr rechtliche und tatsächliche Geltung zu verschaffen; diese Tatsache ist immer wieder und zu Recht gegen die erwähnte Anerkennungstheorie eingewandt worden 4 0 . Auch das gerechte und richtige 85
Emge, Einführung, S. 335. Hegel, § 215 (S. 294). 37 Hegel, Zusatz zu § 215 (S. 295). 38 Morus, S. 85. 39 W. Goldschmidt, S. 317: „Die Kohärenz ist eine Eigenschaft jeder Normenordnung und bedeutet widerspruchsfreien Zusammenhang." 40 Gegen die rechtliche Begründung: Nelson, Vorlesungen, Bd. 1, S. 162 ff.; gegen die tatsächliche Begründung: Emge, Einführung, S. 335. 86
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
Rechtsgesetz w i r d i n der Regel erst m i t Hilfe bestimmter Rechtsfolgen, die für den Adressaten als Vorteile, Belohnungen oder Strafen spürbar werden, die gewünschte und erforderliche Befolgung der überwiegenden Mehrzahl erreichen. Dabei ist nur von Fall zu Fall entscheidbar, ob Vorteile oder Nachteile, Belohnungen oder Strafen, Freiheit oder Zwang die wirksamen Motivationen des Adressaten zur Folge haben. Hier bleibt der Gesetzgebungslehre ein weites, empirisch erforschbares Feld, nämlich die verschiedenen Aufgaben zu eruieren, die „ein Gesetzgeber bei den uns bekannten Eigenschaften des Menschen besitze" 41 . Feststellung und Lösung dieser Aufgaben sind die unbedingten Voraussetzungen dafür, daß der Gesetzgeber i m Verein mit dem Richter beginnen kann, seine eigentliche Aufgabe zu bewältigen: Recht zu verwirklichen 42. § 13. Mitwirkung des Adressaten bei der Entstehung des Rechtsgesetzes 1. Die Ausführungen i m letzten Paragraphen haben vielleicht Anlaß gegeben, den Verdacht zu wecken, die tatsächliche Wirksamkeit der Norm würde zu sehr, nämlich auf Kosten ihrer Richtigkeit betont. Denn man w i r d nicht bestreiten können, daß auch ungerechte, unrichtige, schlechte und — was aufs gleiche hinausläuft — überflüssige Gesetze durchgesetzt werden und tatsächlich wirksam sind. Man müßte schon reiner Rechtspositivist sein, u m diesen Zustand zu begrüßen. Es ist daher angezeigt, noch einmal die Güte und die tatsächliche Wirksamkeit des Rechtsgesetzes zu betrachten, und zwar diesmal vornehmlich vom Adressaten her. Dabei soll die These vertreten und belegt werden, daß sowohl der Inhalt als auch die Effektivität des Rechtsgesetzes durch die M i t w i r k u n g des Adressaten wesentlich verbessert und i m gleichen Zuge eine Abhängigkeit der Effektivität vom Inhalt erreicht werden kann. M i t w i r k u n g des Adressaten bedeutet hierbei zum einen die Heranziehung (von Vertretern) des materiellen Adressatenkreises bei der Gestaltung des Rechtsgesetzes und zum andern die Kooperation des Adressaten bei der Realisierung der Norm (§ 14). 41 Emge, Einführung, S. 348. — Paschkow und Tschetschot haben trotz ihres ideologischen Vorurteils ganz dieselbe Absicht. Ihr Aufsatz endet mit dem Satz (S. 124) : „Für die Juristen ist die Kooperation mit Vertretern anderer Wissenschaften besonders wichtig, denn nur unter Berücksichtigung aller Faktoren, die die Motive des Verhaltens der Menschen bestimmen, ist eine wissenschaftlich begründete Regelung der gesellschaftlichen Verhältnisse möglich." — Ferner sei hier nochmals auf Beutels „Experimental Jurisprudence" hingewiesen, denn in diesem Buch werden die Möglichkeiten exakter und kontrollierter Gesetzgebung ausführlich erläutert und exemplifiziert. 42 Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 322: „Das Recht ist dazu da, daß es sich verwirkliche."
§ 1 . Mitwirkung bei
s e u n g des Rechtsgesetzes
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Die M i t w i r k u n g des Adressaten beim Gesetzgebungsprozeß ist erstens ein Anliegen des demokratischen Rechtsstaates (Abschnitt 2) und enthält zweitens die m i t hoher Wahrscheinlichkeit realisierbare Möglichkeit, die Rechtsgesetze sachlich richtig und tatsächlich bindend werden zu lassen (Abschnitt 3). 2. I n der Bundesrepublik Deutschland geht nach A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Diese Bestimmung läßt je nach dem Ziel des Interpreten verschiedene Auslegungen zu 4 3 , obwohl i m selben Absatz sogleich die Ausübung dieser Gewalt näher beschrieben, nämlich teilweise auf die besonderen Organe der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt übertragen wird. Allgemein läßt sich jedoch ohne Zwang feststellen, daß damit das Volk zum Souverän erklärt wird, und das bedeutet i m Zusammenhang m i t der vorliegenden Untersuchung, daß die formellen Gesetzesadressaten der Souverän sind. Da weiterhin der Gesetzgeber nach A r t . 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist und A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu dieser Ordnung gehört, muß er bei der Gesetzgebung gebührend berücksichtigen, daß er m i t seinen Rechtsgesetzen die Staatsgewalt zugleich für und über all diejenigen ausübt, die i n ihrer Gesamtheit Träger der Staatsgewalt sind. M i t dieser Überlegung soll nicht an der verfassungsrechtlich eindeutigen Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz gerüttelt werden; sie mag aber begründen helfen, warum die i n der Wirklichkeit weithin praktizierte tatsächliche M i t w i r k u n g des Adressaten (meist durch Verbände) an der Entstehung der Rechtsgesetze auch als Anliegen des demokratischen Rechtsstaates 44 betrachtet werden kann. Daß dem Adressaten nicht nur eine Passivrolle, sondern auch eine aktive Beteiligung an der Gestaltung der Rechtsordnung zugedacht ist, beweist die Anerkennung der Rechtsquelle „Gewohnheitsrecht". Welche Kriterien neben langdauernder Übung und qualifiziertem Übungswillen vorliegen müssen, mag verschieden beurteilt werden. Grundsätzlich geht es aber stets u m die Tatsache, daß die Adressaten Rechtssetzer sein können. Die entsprechend qualifizierte consuetudo oder desuetudo begründet neues Recht oder derogiert bestehende Rechtsgesetze. Für die Betonung der aktiven Rolle des Adressaten läßt sich des weiteren zwar nicht eine Analogie, wohl aber ein sehr vorsichtiger Vergleich m i t dem Gedanken verwenden, der dem Institut des Rechts auf Gehör zugrundeliegt. Jedermann hat deswegen vor Gericht Anspruch auf recht48
Maunz, S. 196 f. Dementsprechend charakterisiert Ehrlich (Juristische Logik, S. 92) den absolutistischen Staat folgendermaßen: „Das Gesetz wird von dem von seinem Machtbewußtsein erfüllten Staat ohne Teilnahme der Gesellschaft geschaffen und wendet sich nicht an die Gesellschaft, sondern an den Richter als staatlichen Beamten." 44
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
liches Gehör, w e i l er sich zu dem Sachverhalt, der Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung werden soll, zuvor äußern können muß, damit er den angenommenen Sachverhalt zu seinen und (vielleicht) der Wahrheit Gunsten ändern kann, solange dieser noch verändert zu werden vermag und keine res judicata vorliegt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör hält somit das Gericht zwingend zu einer M i t w i r k u n g des Betroffenen an, bevor es seine Staatsgewalt, die i n dem Urteil liegt, ausübt. M i t aller gebotenen Vorsicht 4 5 läßt sich daher a fortiori argumentieren: Wenn schon der einzelne bei der Vorbereitung eines Urteils i n dieser Weise berücksichtigt werden muß, wieviel eher müßte dann die M i t w i r k u n g wenigstens einiger der vielen, gar nicht überschaubaren Adressaten befürwortet werden, die von der Ausübung der Staatsgewalt durch den Gesetzgeber betroffen werden, und zwar oft i n nicht geringerem Maße als durch ein Urteil. Die periodische (und oft mittelbare) Wahl der gesetzgebenden Körperschaften durch den Adressaten genügt allein nicht als Mitwirkung, und sie beschränkt sich i n der Wirklichkeit auch nicht darauf. Denn bei den zahlreichen Entscheidungen, die der Gesetzgeber i m Laufe einer Legislaturperiode m i t seinen Gesetzen fällt, geht es immer wieder auch u m Probleme, die die Volksvertretung allein und vertretungsweise nicht oder doch nicht optimal zu lösen vermag, ganz zu schweigen von der Durchsetzung der gefundenen Lösung bei den Adressaten. Man kann geradezu von einer Mitwirkungsbedürftigkeit sprechen, deren Grenzfall dann die Delegation der Normsetzungsbefugnis auf die beteiligten Adressaten darstellt; hierzu sei an die Allgemeinverbindlichkeit von Verträgen der Tarifpartner nach dem Tarifvertragsgesetz erinnert. 3. Recht anschaulich kann das Gesagte anhand solcher Rechtsgesetze belegt werden, die Entscheidungen hinsichtlich technischer Normen treffen. M i t der Problematik dieser Normen, die einen besonderen Sachverstand verlangen, hat sich u. a. 4e Herbert Krüger i n seinem Aufsatz „Rechtsetzung und technische Entwicklung" befaßt. Er unterstellt darin allerdings als Diskussionsgrundlage, daß es möglich sei, technische Normen von nicht-parlamentarischen Normgebern ergehen zu lassen. Diese Annahme soll hier nicht übernommen werden, w e i l auch der Anschein eines Verdachts vermieden werden soll, daß hier der alte oder ein neuer 45
Verfassungsrechtlich ist eindeutig entschieden, daß nur Gerichte rechtliches Gehör gewähren müssen, Art. 103 Abs. 1 GG. Vgl. hierzu Roellecke (S. 111): „Für die Gesetzgebung besteht eine solche Pflicht überhaupt nicht, für die Verwaltung ist sie jedenfalls nicht charakteristisch... Bei der Gesetzgebungsarbeit bürgert es sich allerdings immer mehr ein, Referentenentwürfe schon vor der Vorlage im Kabinett interessierten Kreisen zur Stellungnahme zuzuleiten oder sie zu veröffentlichen. Eine Pflicht, Interessenten zu hören, besteht jedoch grundsätzlich nicht." 46 Uber die Rechtsprobleme technischer Normen gibt es eine beträchtliche Literatur. Sie ist zum großen Teil bei Nickusch nachgewiesen.
§ 1 . Mitwirkung bei
s e u n g des Rechtsgesetzes
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Ständestaat oder gar ein Zunftregime befürwortet werde. Nicht Zunftgeist, sondern Sachverstand soll herrschen, und nur aus diesem Grunde soll auf die Fähigkeiten der sachverständigen Beteiligten, die zugleich Betroffene sind, nicht verzichtet werden 4 7 . U m aber den Sachverstand und auch die Normentreue dieser Kreise zu erlangen, braucht keine Delegation der Gesetzgebungsmacht zu erfolgen. Eine Mitwirkungsbefugnis reicht dazu i n jedem Falle aus. Wie diese M i t w i r k u n g zu institutionalisieren sei, ist allerdings i m Gegensatz zur Delegation sehr schwierig zu entwerfen. Wie Schomerus 48 dargelegt hat, kennt die gegenwärtige Praxis so viele Formen der M i t w i r k u n g durch Interessenverbände, daß es noch nicht einmal möglich ist, sie alle juristisch befriedigend zu klassifizieren; von ausreichender normativer Bewältigung der Mitwirkungsbefugnis kann noch weniger gesprochen werden. A n dieser Stelle muß daher der folgende Ansatz genügen. Geht man von der oben getroffenen Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Normen aus, so w i r d sich die allgemeine Adresse weniger zur M i t w i r k u n g eignen als die besondere. Zwar gibt es auch technische Normen allgemeiner A r t , zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung 4 9 , aber die M i t w i r k u n g der Adressaten w i r d leichter erreichbar und eher erstrebt sein, wenn sie als Kreis von Beteiligten annähernd bestimmt werden können oder sich schon interessegemäß konstituiert haben. Bis auf die dargelegten Vorbehalte und eine weitere Einschränkung, die gleich noch zu machen sein wird, kann man daher Krüger zustimmen, wenn er meint: „Diese eigenartige Situation der technischen Normen ist es, die die Heranziehung ihrer Adressaten zur Normsetzung sowohl gestattet wie fordert. Einmal ist es der praktische Sachverstand, der auf diese Weise nutzbar gemacht werden kann und muß . . „ A b e r die konkret Beteiligten sind nicht nur wegen der Praktikabilität technischer Normen unentbehrlich. Das entsprechende gilt erst recht für deren Verwirklichung. Gewiß kann man auch hinter technische Normen Garanten ihrer Befolgung in Gestalt von Befehl, Zwang und Strafe stellen. Aber gerade die Verwirklichung der technischen Norm scheint mir ohne ein Mindestmaß an Bereitwilligkeit und Verständnis auf Seiten des Adressaten nicht denkbar. Das zeigt bereits die Straßenverkehrsordnung, die mit dem lediglich gehorchenden Bürger nicht auskommt, vielmehr den mitdenkenden und mitwirkenden Bürger verlangt. Dies scheint mir erst recht für 47 Böckenförde schreibt daher über die vielfach bestehenden Beiräte: „Es wäre verfehlt und ließe in der Tat eine ,obrigkeitliche' Staatsvorstellung erkennen, deren Voraussetzungen heute längst entfallen sind, wollte man in dem vermehrten Auftreten solcher Beiräte der verschiedensten Art von vorneherein einen „Ausverkauf" des Staates und seine Übermächtigung durch Gruppen und Kräfte der Gesellschaft erkennen" (Böckenförde, S. 249). — Vgl. Herzog, S. 159, und Schomerus, S. 172,174 ff. 48 Schomerus, S. 151 f., 173. 49 Krüger, Rechtsetzung, S. 620.
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
Reinhaltung von Wasser und Luft, Bekämpfung von Lärm, aber auch schon für die Sicherheit gefährlicher Anlagen zu gelten. Für den Geber technischer Normen stellt sich daher in gesteigertem Maße das Problem, wie er sich des guten Willens derjenigen Kreise zu versichern vermag, die er anspricht. Zu diesem guten Willen der Adressaten verhilft der technischen Norm einmal der Umstand, daß sie dank der Verwertung praktischen Sachverstandes dagegen gesichert ist, etwas Impraktikables zu verlangen. Zum andern aber kann man sich der Mitwirkung an der Verwirklichung von Regeln schwerer entziehen, wenn man an ihrer Entstehung mitgewirkt hat: Man würde sich unter diesen Umständen durch Bezeigung von Gleichgültigkeit oder Lässigkeit vor sich und vor den anderen Beteiligten in Widerspruch mit sich selbst setzen 49 ."
Aus diesen Ausführungen w i r d der oben erwähnte Zusammenhang zwischen sachlicher Richtigkeit des Rechtsgesetzes und seiner tatsächlichen Bindung deutlich. Gleichzeitig liegt aber auch die Gefahr auf der Hand, daß sich eine Expertokratie entwickeln könnte und daß die sachverständigen Beteiligten auch i n einem unerwünschten Sinne beteiligt sind, nämlich „neben der Expertise die Entreprise" 5 0 fördern würden. Auch Krüger sieht diese Gefahr, zeigt aber mit Hinweis auf die Geschichte des Verbandes Deutscher Elektrotechniker 4 9 , daß private Normsetzung nicht notwendigweise das Gemeinwohl beeinträchtigen muß; ferner bestehe „keine Notwendigkeit, die Repräsentation von Gemeinverträglichkeit und Gemeinförderlichkeit den Parlamentariern oder den Beamten vorzubehalten" 4 9 . Das mag teilweise richtig sein, doch bietet Krüger keine wirkliche Alternative. Denn die von i h m gewünschten Experten könnten, wenn sie sich überhaupt genügend qualifiziert und zahlreich fänden und zur Verfügung stellten, die Aufgaben nicht allesamt übernehmen. Es bleibt daher i n der Verantwortung der Parlamente, die sachverständig erarbeiteten Normen am Gemeinwohl zu messen. Der Gesetzgeber muß also Privatinteressen als solche erkennen und nach der Gemeinförderlichkeit bewerten. Daß er mächtig genug ist, von keinem Privatinteresse abhängig zu sein, w i r d dabei als unbedingt notwendig vorausgesetzt 51 , gleichzeitig aber auch als hinreichende Sicherung des Gemeinwohls angesehen. Demgegenüber befürchtet Nickusch von der Normativfunktion technischer Ausschüsse und Verbände „ernste Schäden für Integrität und Autorität des Staates" 52 , solange diese Gremien nicht institutionalisiert würden. Er schlägt deshalb ihre Korporation i n einer zweiten oder dritten Kammer auf Bundesebene vor und propagiert subsidiär eine I n stitutionalisierung auf niederer Ebene, nämlich eine Beratungsfunktion der technischen Verbände beim Erlaß von Rechtsverordnungen 53 . Da 50 51 52
Fechner, S. 458. Vgl. zu dieser Voraussetzung: Nelson, Vorlesungen, Bd. 3, S. 208 f. Nickusch, S. 217.
53 Nickusch, S. 227 ff.
§ 14. Mitwirkung bei Realisierung des Rechtsgesetzes
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Nickusch m i t seiner A r b e i t das Z i e l verfolgt, die „Lehre v o m etatistischen Normativismus" 5 4 wieder zu fundieren, müssen seine (von i h m selbst nur skizzierten) Vorschläge als Realisierung dieser Lehre aufgefaßt werden. Deshalb ist einige Zurückhaltung angebracht. Nickusch meint nämlich, die „Lehre v o m etatistischen Normativismus" könne n u r fundiert werden „durch ein Zurückgreifen auf die Grundgegebenheiten sozialen Zusammenlebens und — allen modernsten Philosophien z u m Trotz — auf die allen Menschen innewohnende metaphysische W e l t der W e r t e " 5 2 . Diese Lehre entzieht sich der (empirischen) Nachprüfbarkeit, und deshalb k a n n weder sie noch ihre Begründung hier übernommen werden. Demgegenüber bietet die Untersuchung von Nickusch einen wertvollen Überblick darüber, w i e bedeutend und weitverbreitet die M i t w i r k u n g der Adressaten sowohl beim Gesetzgebungsprozeß als auch bei den Verbandsregelungen gerade hinsichtlich der technischen N o r m e n geworden ist.
§ 14. M i t w i r k u n g des Adressaten bei der Realisierung des Rechtsgesetzes 1. Z u Beginn des § 12 w u r d e davon gesprochen, daß die Rechtsgesetze u. a. Forderungen gegenüber dem Adressaten seien, sich normgemäß zu verhalten, und daß sich der Gesetzgeber d a r u m bemühen solle, die Erfüllung der gesetzlichen Forderungen durch den Adressaten zu b e w i r ken. Diese Aussagen müssen n u n präzisiert werden. D e n n bei der Erörterung der technischen N o r m e n w u r d e sichtbar, daß zur Normerfüllung mehr gehört als wortgetreue Befolgung. Es fragt sich daher: w i e k a n n (und soll) das Rechtsgesetz v o m Adressaten erfüllt werden? Z w e i verschiedene normgemäße Verhaltensweisen lassen sich unterscheiden. Nach der ersten w i r d das Rechtsgesetz als Befehl aufgefaßt und w i e ein Befehl ausgeführt. Dieses B i l d entspricht ungefähr den Vorstellungen nach der Imperativentheorie, wobei es i n diesem Zusammenhang ohne Belang ist, ob geklärt wird, w i e sich aus dem abstrakten I m p e r a t i v ein konkreter entwickelt und ob m i t dem I m p e r a t i v nur die logische N a t u r des Rechtssatzes gekennzeichnet werden sollte; denn das zugrundeliegende autokratische Subordinationsverhältnis zwischen Gesetzgeber (bzw. Staat) und Adressat k a m i m m e r wieder zum Vorschein und w u r d e manchm a l sogar überdeutlich, w i e z u m Beispiel in dem B i l d Engischs, wonach der Rechtsunterworfene von einer Menge I m p e r a t i v e n getroffen ist, „die gleich Schwertern und Speeren i h m rechts und links i m Wege stehen
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Nickusch, S. 2.
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
und die er beachten muß, w i l l er nicht Wunden ernten" 5 5 . Das Fazit der Befehlstheorie lautet daher: Der Adressat pariert der Norm 5 6 . Zum andern kann der Adressat dem Wortlaut des Gesetzes folgen, dabei aber stets den Sinn und den Zweck der Norm beachten und ihnen i m Zweifels- oder Konfliktsfalle den Vorzug geben. Als Teilnehmer i m Straßenverkehr w i r d er also — etwa u m eine Verkehrsstauung zu beheben, die ein entgegenkommender Linksabbieger auf enger Fahrbahn verursacht — auch dann seinen Wagen anhalten, wenn er Rechtens hätte weiterfahren können. Und er w i r d sogar i m eigenen Interesse oder i m Interesse des Verkehrsflusses eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht einhalten, wenn das sie verordnende Schild, vom Bautrupp vergessen, beziehungslos am Straßenrand steht oder wenn auf den Autobahnbaustellen kilometerlang nur 60 k m / h gefahren werden dürfen, obwohl die Fahrbahn breiter ist als die einer gewöhnlichen Bundesstraße 57 . Die Übertretung bildet hier den (unerlaubten) Grenzfall einer Erfüllung der N o r m 5 8 nach deren Sinn und Zweck. M i t einem Blick auf die viel gescholtene Präambel zur Straßenverkehrsordnung 59 ließe sich sagen, daß der Adressat i n diesen Fällen, wo „Sicherheit" und „Ordnung" nicht gefährdet sind, die „Leichtigkeit" des Straßenverkehrs begünstigt. Der Adressat w i r k t m i t an der sinnvollen Realisierung der Norm, der Adressat erfüllt die Norm. 2. Die Übergänge zwischen Parieren und Erfüllen sind fließend. Dennoch ist diese Zweiteilung nicht unnütz. Vielmehr kann gezeigt werden, daß der Gesetzgeber sich u m die Erfüllung der Norm i n dem eben spezifizierten Sinne bemühen muß, weil er auf diese A r t der M i t w i r k u n g durch den Adressaten angewiesen ist. Da Richter, Verwaltungsjuristen, Rechtsanwälte und sonstige Gesetzeskundige ohnehin schon von Berufs wegen an der Realisierung der Rechtsgesetze teilhaben, ist nicht verwunderlich, daß der Gesetzgeber ein besonderes Interesse an ihrer M i t w i r k u n g hat und sie durch spezielle Rechtsgesetze zur Normerfüllung anhält. Von den 55
Engisch, Imperativentheorie, S. 70. Obwohl Krüger kein Anhänger der Imperativentheorie ist und den Adressaten bei den technischen Normen viel Freiheit einräumt, schreibt er („Staatslehre", S. 983) folgendes: „Der Gehorsam ist eine zarte Pflanze, die sorgfältiger Pflege bedarf. Dies gilt angefangen von der kleinsten Verbindung, die nach Über- und Unterordnung strukturiert ist, bis zur Verbindung schlechthin, dem Staat. Staatspflege ist daher vor allem auch Gehorsamspflege." 67 Vgl. Kaupen, S. 50. 58 Daß Verkehrszeichen nach heute wohl herrschender Meinung keine Rechtsgesetze mehr sind, kann hier unberücksichtigt bleiben. 59 Vgl. Vorspruch zur Straßenverkehrsordnung, Satz 6: „Nicht die kleinliche Anwendung der Vorschriften in jedem Fall, sondern eine ihrem Ziel entsprechende Handhabung wird die echte Gemeinschaft aller Verkehrsteilnehmer unter sich sowie mit den für die Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs verantwortlichen Behörden und ihren Beamten fördern." 58
§ 14. Mitwirkung bei Realisierung des Rechtsgesetzes
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Justizausbildungsordnungen bis zur Bundesrechtsanwaltsordnung oder zu dem zunftverdächtigen Rechtsberatungsgesetz 60 sorgt der Gesetzgeber für die normative Bestimmung der „law-men", wie K a r l Nickerson Llewellyn die Rechtskundigen nannte, die an der Realisierung der Rechtsgesetze m i t w i r k e n (müssen) 61 . Ohne weiteres könnten nach diesen speziellen Regelungen die Richter und die Behörden als besondere Adressatenkreise gruppiert werden, und es steht außer Frage, daß diese Adressatenkreise nicht erst bei der Realisierung der Normen, sondern schon bei ihrer Entstehung eine wichtige Rolle spielen. Wie noch zu zeigen sein wird, bestimmen sie heute sogar weithin Inhalt, Systematik und Sprache der Rechtsgesetze62. Deswegen sind sie aber nicht zugleich auch die wichtigsten oder gar die alleinigen Adressaten. Stellt man nämlich diesen juristisch qualifizierten Adressatenkreisen die weniger oder nicht qualifizierten gegenüber, so legt schon das Verhältnis der wenigen zu den vielen nahe, die Bedeutung der nicht juristisch ausgebildeten Mehrheit für die Erfüllung der Rechtsgesetze hoch einzuschätzen und sie nicht durch allein für Juristen geschriebene Gesetze allesamt zu untauglichen Adressaten zu machen 63 . 3. Bei der Erörterung der technischen Normen ist die Bedeutung der aktiven Adressatenrolle bereits hervorgehoben worden. Als weitere Illustration bietet sich der „Dienst nach Vorschrift" an. Man erinnere sich der „ A k t i o n A d l e r " 6 4 , während der die Beamten der Bundesbahn eingedenk der namengebenden ersten Lokomotive sehr sicher und langsam ihre Arbeit verrichteten: die peinliche Beachtung der Dienstvorschriften, die sich pro forma als exakte Normbefolgung und unbestechliche Korrektheit ausgeben konnte, führte zu der beabsichtigten unerträglichen Verzögerung des Arbeitsablaufs. Die „ A k t i o n Adler" bewies somit deutlich den Unterschied zwischen genauer Befolgung und mitdenkender Erfüllung der Norm durch den Adressaten. Gleichzeitig w i r d Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung ist jede „geschäftsmäßige" (d. h. mit gewisser Häufigkeit betriebene) Rechtsberatung allen nicht dazu Ermächtigten verboten, und zwar auch dann, wenn sie unentgeltlich erfolgt. Über den ideologischen Hintergrund dieses im Jahre 1935 erlassenen Gesetzes vgl. die Ausführungen von König und Kaupen, die auch den soziologischen Kontext beleuchten (König/Kaupen, S. 367 f.). 81 Llewellyn hatte die bedeutende Rolle der „law-men", d.h. des Rechtsstabes oder der Rechtsmittler, zu einem integrierenden Bestandteil seiner Rechtssoziologie gemacht; vgl. ζ. B. Llewellyn, Realistische Rechtswissenschaft, S. 71 f., und Rehbinder, S. 535 f. 62 Noll, Gesetzestechnik, S. 302; siehe unten §§ 15 bis 19. 68 Siehe hierzu die Kritik Hegels, oben § 12 Abschnitt 3. 64 M i t der „Aktion Adler" beschäftigen sich u. a. die Aufsätze von Rolf Zundel und Theodor Eschenburg sowie die Diskussion zwischen Hans-Joachim Finger und Theodor Eschenburg.
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
wiederum offensichtlich, daß der Gesetzgeber nie einen bösen Willen der Adressaten überwinden kann und stets die M i t w i r k u n g der Betroffenen braucht, zumal die Vorausschau auch des bemühtesten Gesetzgebers begrenzt ist und die soziale Wirklichkeit heute mehr denn je sich ändert, so daß Rechtsgesetze schnell veralten und sich allesamt, „ i n unterschiedlichen Stadien der Obsolenz" 65 befinden. W i r d daher der Dienst an veralteten Vorschriften ausgerichtet, so kann der erwünschte Erfolg nicht ausbleiben. Diesen Sachverhalt hat Christian Helfer i n seiner Studie über den „Dienst nach Vorschrift" prägnant beleuchtet: „So sehen wir täglich, wie unklare Weisungen teleologisch ausgedeutet, zu straffe Richtschnuren je nach Höhe ihres Geltungsanspruchs unterschlüpft oder übersprungen, beengende Vorschriften ein wenig ausgedehnt und unzeitgemäße oder unsachgemäße einfach ignoriert werden. Was hier an inzidenter Normenkontrolle, an extensiver und restriktiver Interpretation gutwillig und gebührenfrei geleistet wird, verharmlost und entaktualisiert die Tatsache, daß befriedigende Mechanismen dynamischer Normanpassung in vielen Bereichen mangeln oder gar nicht zu entwickeln sind. M i t nur geringer Überspitzung ließe sich daraus folgern, daß die Effizienz unserer Rechtsordnung zum guten Teil darauf beruht, daß Normen nicht gehörig befolgt werden. Die Korrekturen aber, die der Normadressat treu und gläubig an den Weisungen vornimmt, die ihn zu binden trachten, sind eigentümlicher Ausdruck seiner positiven Einstellung zu dieser... Ordnung und entfließen jener spezifischen Mentalität des „wohlwollenden Bürgers", auf die der Gesetzgeber im Gebots- und Verbotsbereich . . . ein ihn entlastendes Vertrauen setzen kann. I n dieser Perspektive erscheint ein Unternehmen »Dienst nach Vorschrift 1 geradezu als Vertrauensbruch ...«·."
4. Muß und darf der Gesetzgeber nach alledem m i t dem guten Willen der Mehrzahl der Adressaten rechnen, so kann er deswegen nicht seiner Aufgabe entbunden werden, die Voraussetzungen für ein harmonisches Verhältnis zwischen seinen Rechtsgesetzen und den Adressaten zu schaffen. Bevor der Gesetzgeber m i t der Kooperation und dem Erfüllungsw i l l e n der Normadressaten rechnet, muß er für zeitgemäße und zweckmäßige Rechtsgesetze sorgen, sonst liegt der Fehler allein bei ihm. Hier zeigt sich sowohl die Aktualität als auch die Notwendigkeit der Umfrage, die Carl August Emge befürwortet hatte 6 7 , und ganz zu Recht kann Carl Clauss bemängeln: „Wer solche Untersuchungen ablehnt, verzichtet auf einen wesentlichen Teil der Rechtssoziologie 68 ." Dieser Verzicht ist heute schon teuer und w i r d i n Zukunft für alle (denn jeder ist betroffen) nicht billiger werden. « 5 Helfer, S. 101. ββ 67
Helfer, S. 104.
Siehe oben § 10 Abschnitt 3. ββ Clauss, S. 404.
§ 14. Mitwirkung bei Realisierung des Rechtsgesetzes
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Wenn der Gesetzgeber sich schon vor Erlaß seiner Rechtsgesetze Gewißheit darüber verschaffte, welchen Wirkungsgrad die einzelnen Regelungen erzielen werden, so bliebe dies nicht ohne Rückwirkung auf den Inhalt dieser Regelungen einschließlich der Sanktionen. Hierzu müßte der Gesetzgeber aber unter anderem das zu regelnde Problem genau kennen, d. h. er müßte es nach dem Vorschlag Beutels 69 definieren und isolieren und die erlassene Norm i n ihrer Wirksamkeit kontrollieren. „Wer Gesetze machen w i l l , die das Verhalten des Rechtsgenossen tatsächlich bestimmen, muß ein genaues B i l d von den Verhältnissen haben, i n denen die Rechtsnormen w i r k e n sollen 70 ." Außerdem müßte der Gesetzgeber wissen, welche der beiden geschilderten Arten normgemäßen Verhaltens erwartet werden kann. Die Vermutung liegt nahe, daß hier die verschiedenen Adressatenkreise auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Jedenfalls erscheint aber als unbedacht, wenn der Gesetzgeber nach A r t eines orientalischen Teppichhändlers das gewollte Ziel dadurch zu erreichen sucht, daß er die Zielmarke u m gerade soviel höher steckt, als ihn die Renitenz der Adressaten wahrscheinlich einbüßen läßt. Helfer beschreibt diese „Überdosierung" folgendermaßen: „ . . . bei Verkehrsordnungen, Arbeitsschutzgesetzen und ähnlichen Normen, deren essentiell oder bloß nach Ansicht der Adressaten mindere Dignität und — oft damit einhergehend — deren faktisch limitierte Durchsetzungschance den gewünschten Befolgungsgrad nicht zu erreichen versprechen, wird häufig der Versuch unternommen, die geargwöhnte oder aus Erfahrung vorausberechnete Schlechterfüllung durch Überdosierung zu kompensieren. Hierher gehören einmal die sogenannten ,idiotensicheren' Anweisungen, die ihren Empfängern vorsichtshalber einen zuweilen alles irdische Maß übersteigenden Grad von Gleichgültigkeit oder geistiger Minderausstattung unterstellen. Zum anderen ist an die Fälle zu denken, bei denen die jeder verständigen Normgebung eigene Rücksicht auf menschliche Schwächen, die sich evtl. gerade bei guter Intelligenz bemerkbar machen, ein künstlich überhöhtes Anspruchsniveau entstehen läßt. Die Kalkulation fiskalischer Hebesätze eingedenk der landesüblichen Steuermoral gibt dafür ein bekanntes Beispiel 71 ."
Helfer bringt diese Betrachtung unter der treffenden Überschrift „Die abundante Normzuteilung" und stellt einer solchen Überdosierung i m einzelnen Rechtsgesetz die Inflation der Normen zur Seite. Dabei kommt er erwartungsgemäß zu dem Ergebnis, daß m i t dem Zuwachs an Quantität ein Verlust an Qualität einhergeht, w e i l die Überschaubarkeit sich verringert 7 2 . Hiermit berührt Helfer die Probleme der Erkennbarkeit der Rechtsgesetze für den Adressaten. Diese Probleme sollen i n den folgenden fünf Paragraphen erörtert werden. e
® Beutel, S. 15—36. Heinemann, S. 83. 71 Helfer, S. 102. 72 Helfer, S. 102 f. 70
6 U.Krüger
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3. Kap.: Das Adressatenproblem B) GESETZGEBUNGSTECHNIK
§ 15. Die Erkennbarkeit für den Adressaten als Grundprinzip der Gesetzgebungstechnik 1. Unter dem Blickwinkel der Gesetzgebungstechnik erweist sich erneut, wie sehr das Adressatenproblem ein Problem des Gesetzgebers ist. Auch für dieses Rechtsgebiet läßt sich behaupten, daß der Gesetzgeber am ehesten dann zufriedenstellende Ergebnisse erreicht, wenn er sich des Adressatenproblems bewußt bleibt. Die Richtigkeit dieser Behauptung kann allerdings nicht m i t Hilfe jener weitverbreiteten Meinung dargetan werden, die streng zwischen Gesetzgebungspolitik und Gesetzgebungstechnik trennt und als Begründung oder Folge dieser Trennung davon ausgeht, die Technik sei i m Gegensatz zur Politik einer Szientifizierung allein zugänglich 73 . Gegen diese Meinung ist zum einen festzustellen, daß die Wissenschaft berufen ist, dem Gesetzgeber bei allen seinen Tätigkeiten wenigstens m i t Entscheidungshilfen, und sei es „ n u r " m i t der abgesicherten Darstellung einer Alternative, zu assistieren; der Wissenschaftszweig, der dies i n der Hauptsache zu leisten hat, ist die noch ziemlich unterentwickelte Gesetzgebungslehre. Z u m anderen sind Gesetzgebungstechnik und Gesetzgebungspolitik so eng und oft so wenig unterscheidbar miteinander verwoben, daß sie säuberliche Trennung und chemisch reine Isolierung kaum erlauben, geschweige denn nahelegen 74 . Der kritisierten Geisteshaltung ist es zuzuschreiben, daß die formelle Seite der Gesetzgebungslehre zwar nicht zufriedenstellend, aber doch am weitesten wissenschaftlich durchdrungen worden ist, und zwar unter Titeln wie „Kunst der Gesetzgebung", „Gesetzestechnik", „Legislative Technik", „Juristische Technik", „Technik der Gesetzgebung", „Technik des Rechts" 75 . Alle diese Überschriften meinen i m großen und ganzen das Verfahren, die A r t und die Mittel, mit deren Hilfe der Gesetzgeber seine Rechtsvorstellungen zu Rechtsgesetzen formt und zusammenhängend darstellt. Es handelt sich dabei i m allgemeinen nicht nur u m die Technik des einzelnen Gesetzes, sondern gleichfalls u m die Technik der Gesetzgebung, und daher soll dieser Aufgabenbereich „Gesetzgebungstechnik" genannt werden. 2. Soweit ersichtlich, hat Robert Walter i n seiner Antrittsvorlesung „Die Lehre von der Gesetzestechnik" den neuesten und besten Über78 Vgl. z. B. Ball, S. 22 f.; Klang, Gesetzestechnik, S. 407 f.; Walter, S. 85, bes. Anm. 11—13. 74 Vgl. Noll, Gesetzestechnik, S. 297: „Form und Inhalt sind auch in den Äußerungen des Gesetzgebers letztlich nicht voneinander zu trennen." 75 Schläpfer, S. 16; Walter, S. 85, Anm. 4.
§ 15. Die Erkennbarkeit für den Adressaten
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blick über die Gesetzestechnik geboten. Erstens berücksichtigt diese Vorlesung nämlich beinahe vollständig die neuere deutschsprachige Literatur zu diesem Thema, und zweitens gelingt es Walter, die bislang gewonnenen Ergebnisse der Gesetzgebungstechnik nach einsichtigen Prinzipien zu ordnen und auf diese Weise systematisch zugänglich zu machen. Seine Vorlesung soll deshalb der weiteren Darstellung als Grundlage dienen 76 . Walter beginnt m i t der Erörterung des Zweckes, dem die Technik der Gesetzgebung zu dienen habe. Er meint, erkenntnistheoretisch könne dieser Zweck w i l l k ü r l i c h eingeführt werden. Dennoch scheine über die Wahl „kein wesentlicher Zweifel zu bestehen" 77 , lediglich die Formulierung bereite Schwierigkeiten. Diese Ansicht ist m. E. eine grobe Vereinfachung des Problems, die nur deswegen nicht schadet, weil Walter sich für das (sogleich darzustellende) richtige K r i t e r i u m entschieden hat. Grundsätzlich gibt es nämlich zwei scharf zu trennende und teilweise einander ausschließende Kriterien der Gesetzgebungstechnik. Das eine bezieht sich auf den Regelungsinhalt (die Materie), das andere auf den Empfänger (den Adressaten) des Rechtsgesetzes. Als Folge der meist stillschweigend vorausgesetzten Ansicht, daß dem Inhalt der Primat vor der Form gebühre, wäre nach dem ersten K r i t e r i u m ein Gesetz immer dann technisch richtig, wenn die Form dem gegebenen Inhalt am besten entspricht. Es handelt sich also um ein K r i t e r i u m der Sachadäquanz. Dieses K r i t e r i u m hat entschieden mehr Nachteile als Vorteile. Sein bedeutendster Vorteil liegt darin, daß es eine absolute Untergrenze, ein wirkliches M i n i m u m der Gesetzgebung darstellt; Gesetze müssen mindestens sachgerecht sein, u m überhaupt materiell zu genügen. Damit ist jedoch nur der erste notwendige Schritt zur guten Gesetzgebung getan, denn jedes sachadäquate Gesetz ist noch lange kein gesetzgebungstechnisch befriedigendes Gesetz. Wenn sich nämlich die Gesetzgebungstechnik ausschließlich u m die Sachadäquanz zu bemühen brauchte, dann könnte sie sich darauf beschränken, nur für juristische Fachleute verständliche Gesetze zu schaffen, etwa i n der A r t der von Helfer 7 8 kritisierten esoterischen Regelwerke. Damit würde ζ. B. die Gesetzessprache ein zweitrangiges Anliegen. Der Gesetzgeber könnte also die dazu geeigneten Gesetze i n Form von Blockdiagrammen verkünden, u m ohne Umweg elektronische Datenverarbeitungsanlagen ein76 Die sehr viel ausführlichere und gründlichere Erörterung der Gesetzgebungstechnik durch Noll kann leider noch nicht herangezogen werden, da sie auch im Manuskript noch nicht abgeschlossen ist; ein Überblick findet sich in Noll, Der gegenwärtige Stand der Gesetzgebungslehre und der Gesetzgebungstechnik. 77 Walter, S. 85. 78 Siehe unten § 17 Abschnitt 2 (bei Anm. 130).
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
setzen zu können. Diese Möglichkeit hat K l u g 7 9 als Idealfall bezeichnet, der etwa i m Steuerrecht und i m Sozialversicherungsrecht teilweise erreichbar sei. Ohne Zweifel ist hier, wo Präzision, logische Klärung, Eindeutigkeit und rasche Gesetzesanwendung nicht übertroffen werden können, das Optimum sachadäquater Regelung erreicht — lesbar und verständlich wäre das Blockdiagramm aber nicht einmal mehr dem normalen Juristen. Eine derartige Konsequenz ist rechtssoziologisch und rechtsstaatlich unbefriedigend, w e i l zugunsten der Sachadäquanz die allgemeine Erkennbarkeit der Rechtsnorm aufgegeben wird. Wenn nur noch wenige i n der Lage sind, das sachadäquate Gesetz zu verstehen, dann hat es sich vom Adressaten losgelöst und ist nicht mehr das, was es sein soll: eine besondere A r t der Kommunikation 8 0 . 3. Hiernach verdient Walter volle Zustimmung, wenn er als Zweck der Gesetzgebungstechnik die „Erkennbarkeit des Gesetzes" 81 nennt. A l l e r dings bedarf die Konkretisierung dieses Prinzips durch Walter bestimmter Korrekturen. Walter meint m i t der „Erkennbarkeit des Gesetzes" zum einen die Erkennbarkeit des Gesetzescharakters und zum andern die des Gesetzesinhalts. Dabei verlange die Erkennbarkeit ein erkennendes Subjekt, welches nur der Mensch sein könne, da „die Rechtsordnung eine Ordnung menschlichen Verhaltens" 8 1 darstelle. Dies ist der Grundsatz. Die Relativierung folgt sogleich: nicht allen Menschen müssen die Gesetze erkenbar sein; auf Erkennbarkeit durch Kinder, Geisteskranke und viele Laien müsse verzichtet werden, nicht und nie dagegen auf die Verständlichkeit für alle diejenigen, „die von der Rechtsordnung zum Vollzug der Gesetze berufen sind" 8 1 . Das würde i n der Terminologie dieser Arbeit bedeuten: Richter, Behörden und Rechtsanwälte sind das M i n i m u m der Adressaten, nach dem sich die Gestzgebungstechnik auf jeden Fall zu richten hat, alle „untauglichen Adressaten" können unberücksichtigt bleiben, und wer dazwischenliegt, muß gegebenenfalls auf Verständlichkeit verzichten zugunsten größerer Präzision. 4. Das Minimum, das Walter angibt, ist vom demokratischen Rechtsstaat her gesehen bedenklich klein und muß unbedingt erweitert werden durch alle die Adressaten, die als „interessierte Laien" bezeichnet werden können. Der Begriff des interessierten Laien w i r d hier als Typusbegriff eingeführt, u m eine Präzisierung der Anforderungen zu erreichen, die an die Erkennbarkeit und damit an die Gesetzgebungstechnik zu stellen sind. Es geht also darum, eine Zielmarke für die Gesetzgebungstechnik zu entwickeln, die annähernd umrissen werden kann und 79 80 81
Klug, S. 169. Vgl. Horn, S. 576—587. Zitate und beide Absätze: Walter, S. 85.
§15. Die Erkennbarkeit für den Adressaten
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sich weder auf den Juristen beschränkt noch m i t dem Gemeinplatz begnügt, möglichst alle Adressaten sollen die Gesetze verstehen können. Zur näheren Erklärung des Begriffs des interessierten Laien scheint ein Exkurs i n die Bildungstheorie und Didaktik geeignet, denn auch dort stellt sich das Problem, einen Typus zu finden, der als Ziel pädagogischer Bemühungen gelten kann. So fragt der Pädagoge Wolfgang K l a f k i : „Welches aber ist die Perspektive des Welt- und Selbstverständnisses, die . . . angestrebt werden, also Orientierungshorizont der Didaktik sein soll? 8 2 " Seine A n t w o r t lautet: „Es ist die P e r s p e k t i v e d e s L a i e n im guten Sinne des Wortes. Es ist klar, daß dieser Begriff nicht weniger als der der Bildung einer neuen und präzisen Bestimmung bedarf; er kann nicht mehr im Sinne älterer Auslegungen für die uns heute gestellten Aufgaben verbindlich sein. Aber wir brauchen einen Begriff, der die positiven Möglichkeiten j e n e r Sinnhaltung bezeichnet, in der wir uns alle außerhalb unseres jeweiligen Spezialberufes in der W i r k lichkeit zurechtzufinden versuchen... Es ist die Perspektive des aufgeklärten Zeitgenossen, des sich politisch mitverantwortlich fühlenden Bürgers, des Laien in der kirchlichen Gemeinde, die Perspektive, die wir als Konsumenten eines riesigen Waren- und Kulturangebotes, als Mütter und Väter, als Verkehrsteilnehmer oder als Nachbarn tagtäglich sachlich und menschlich zu erfüllen versuchen 82 ."
Der Typus des Laien, den K l a f k i für die Didaktik umschreibt, hat dieselbe Funktion und dieselben Eigenschaften wie der hier gemeinte interessierte Laie. Der interessierte Laie ist kein Jurist, muß sich aber dennoch i n der Rechtsordnung zurechtzufinden versuchen, und zwar schon deshalb, w e i l ihn unzählige Rechtsgesetze unmittelbar berühren. Es muß i h m i n diesen Fällen möglich sein, sich erfolgreich u m ein Gesetzesverständnis bemühen und das Gesetz i m oben (§ 14 Abschnitte 1 und 2) beschriebenen Sinne erfüllen zu können. Wie verhält sich nun der Kreis der interessierten Laien zum materiellen Adressatenkreis? Kinder und Geisteskranke können ohne weiteres zum materiellen Adressatenkreis gehören, interessierte Laien sind sie dagegen nicht. Hieraus folgt, daß der Kreis der interessierten Laien i n der Regel kleiner ist als der materielle Adressatenkreis, daß es sich aber m i t der Bedeutung dieser Kreise genau umgekehrt verhält, w e i l der interessierte Laie für die Wirksamkeit des Gesetzes entscheidend ist. Die Erkennbarkeit für jene Adressaten, die gesetzlich zum Vollzug der Rechtsordnung berufen sind, reicht also nicht aus. Erst dann, wenn der interessierte Laie zum M i n i m u m gehört, ist der Gesetzgebungstechnik ein Ziel gesetzt, das i m Sinne dieser Arbeit als adressatengerecht bezeichnet werden kann. Wenn Walter das Ziel der Erkennbarkeit „als die größtmögliche und möglichst präzise Erkennbarkeit für die größtmögliche 82
Klafki,
S-108.
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
Z a h l " 8 3 umschreibt, so fixiert er ein Maximum, das als K r i t e r i u m erstens unsicherer ist und zweitens eine geringere Garantiefunktion besitzt als das hier angegebene Minimum. 5. Walters Argumentation muß noch i n einem weiteren Punkte korrigiert werden. Er konkretisiert nämlich, genauso wie es hier geschehen ist, das Ziel der Gesetzgebungstechnik i n doppelter Weise: zunächst wählt er die Erkennbarkeit als Ziel, und dann führt er aus, was unter Erkennbarkeit zu verstehen sei. Diese Konkretisierung steht i n auffallendem Gegensatz sowohl zu seinem Ausgangspunkt (der erkenntnistheoretische Zweck sei w i l l k ü r l i c h einzuführen) als auch zu seinem Bemühen, die Technik auf die Form zu beschränken und Politisches fernzuhalten. Ein solcher Versuch mußte mißlingen, und daß er mißlungen war, hebt Walter, allerdings ohne die entsprechenden Folgerungen zu ziehen, selbst hervor: „Eine Bemerkung muß noch zum Verhältnis von Gesetzestechnik und Rechtspolitik gemacht werden: Rechtspolitische Ziele können einer Gestaltung des Rechts mit dem Ziele der Erkennbarkeit entgegengesetzt sein. Welchem Ziele hier der Vorrang zukommt, kann die Lehre von der Gesetzestechnik nicht klären. Ein politisches Problem kann nicht durch die Wissenschaft gelöst, sondern muß durch die Politik entschieden werden 8 3 ."
Schon allein aus der Möglichkeit, daß rechtspolitische Ziele (ζ. B. die unbedingte Wirksamkeit) der Erkennbarkeit zuwiderlaufen können und es sicherlich auch tun 8 4 , folgt zwingend, daß Walters Entscheidung für die Erkennbarkeit als Ziel der Gesetzgebungstechnik „politischen" Charakter hat, der nicht m i t dem Hinweis auf die hypothetische Setzung dieses Zieles beseitigt werden kann. Walter verfährt dennoch nach dem oben kritisierten Trennungsdenken: hie Politik und Meinung, da Tech88
Walter, S. 85. Berüchtigte Beispiele hierfür sind der „Kugelerlaß" (vom 4. März 1944) und der „Kommissarbefehl". Der „Kugelerlaß" (Nürnberger Prozeß, Bd. X X V I I , S. 424, Dokument 1650—PS) war ein Erlaß des „Chefs der Sipo und des SD . . . an Staatspolizeileitstellen und an Inspekteure der Sipo und des SD: Wiederergriffene flüchtige kriegsgefangene Offiziere und nichtarbeitende U n teroffiziere mit Ausnahme der britischen und amerikanischen sind dem Chef der Sipo und des SD zwecks Überführung in das Konzentrationslager Mauthausen (Aktion „Kugel") zu übergeben; . . . diese Maßnahmen müssen getarnt und streng geheim gehalten werden." — Der „Kommissarbefehl" (Nürnberger Prozeß, Bd. X X X I I , S. 485, Dokument 3728-PS) war ein vor dem Angriff auf Rußland ergangener „Führerbefehl", demzufolge gefangene russische Kommissare sofort zu erschießen waren. — Es handelt sich hier um Rechtsnormen, bei deren Erlaß Klarheit darüber bestand, daß eine allgemeine Erkennbarkeit ihrem Erlaß und ihrer Wirksamkeit entgegenstand. Ähnlich verhielt es sich mit der Anweisung an Polizei und Strafverfolgungsbehörden, an abgesprungenen feindlichen Fliegern verübte Lynchjustiz nicht zu verfolgen. Welche Schwierigkeiten mit einer solchen Anweisung verbunden waren, zeigen die von Verlogenheit und Ausflüchten strotzenden Argumentationen des Auswärtigen Amtes in dieser Sache (vgl. ζ. B. Nürnberger Prozeß, Bd. X X V I , S. 267— 271, Dokument 728-PS). 84
§15. Die Erkennbarkeit für den Adressaten
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n i k und Wissenschaft, obwohl er sein Ergebnis i n bezug auf die Erkennbarkeit und den Adressatenkreis damit hätte begründen können, daß es unmitelbare Folge der Aussagen sei: a) Rechtsordnung ist bewußte Ordnung menschlichen Verhaltens, b) die Rechtsordnung i m demokratischen Rechtsstaat muß gewissen Anforderungen genügen, ζ. B. der Rechtssicherheit durch Rechtsklarheit und Erkennbarkeit für den Adressaten. Es ist unbestritten, daß Rechtsklarheit und Erkennbarkeit Postulate der Rechtssicherheit und damit auch 85 der Rechtsstaatlichkeit sind. So hat das Bundesverfassungsgericht i n einem Leitsatz erklärt: „Wenn ein Gesetz auf andere Normen verweist, so muß es, um den Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit zu genügen, klar erkennen lassen, welche Normen gelten sollen 88 ."
I m selben Urteil führt das Bundesverfassungsgericht i m Einklang m i t der übrigen höchstrichterlichen Rechtsprechung 87 aus: „Wenn ein Gesetz nicht selbst den gesetzlichen Tatbestand festlegt, sondern auf andere Normen verweist, so muß es, um den Anforderungen der Rechtssicherheit zu genügen, für den Rechtsunterworfenen klar erkennen lassen, was Rechtens sein soll 88 ."
Hätte Walter so argumentiert, so lägen die Gründe offen, aus denen heraus die „Erkennbarkeit des Gesetzes" auch hier als Ziel der Gesetzgebungstechnik angenommen wird. Konflikte dieses Zieles m i t einer entgegengesetzten Rechtspolitik sind damit insofern unbedeutend, als die politische Entscheidung wider die Erkennbarkeit von der Rechtswissenschaft nicht gestützt werden kann: die Grundsätze unserer Verfassung sind i n dieser Hinsicht eindeutig. Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, aus Unvermögen oder bösem Willen Gesetze so zu erlassen, daß sie durch Unklarheit oder Verworrenheit 8 9 nur ganz wenigen erkennbar sind (und deshalb an Wirksamkeit verlieren) oder daß sie umgekehrt i n anderen Fällen nur wenigen erkennbar gemacht werden, u m durch Verheimlichung besondere Wirksamkeit zu erzielen. Somit bleibt festzuhalten: Die Gesetzgebungstechnik hat die Aufgabe, Rechtsgesetze so zu gestalten und zu vermitteln, daß sie mindestens für die interessierten Laien erkennbar sind. 85 Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit werden hier also unterschieden, womit die insoweit berechtigte Kritik Schätzlers an dem synonymen Gebrauch beider Begriffe durch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 5, 25 berücksichtigt ist (Schätzler, S. 122, Anm. 12). 88 BVerfGE 5, 25 (Leitsatz 2). 87 BVerwGE 2, 172 (175) und 17, 322 (325); BayVerfGH in: Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Bayerischen Dienststrafhofs, Neue Folge, Band 4, S. 90 (103, 106); Krüger, Staatslehre, S. 290—292 mit Nachweisen in den Anmerkungen 70—72. 88 BVerfGE 5, 25 (31). 89 Vgl. die Diskussion zu § 2013 BGB (unten § 17 Abschnitt 2 a. E.).
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
Dieser allgemeine Grundsatz soll i n den folgenden Paragraphen expliziert werden, und zwar anhand der vier Prinzipien, die Walter i n seiner Abhandlung entwickelt hat. Es handelt sich u m das ökonomische Prinzip (§ 16), das Prinzip der Adäquanz, Verständlichkeit und Präzision des Ausdrucks ( § 17), das Prinzip systematischer Ordnung (§ 18) und das Prinzip der Kundmachung (§ 19). § 16. Das ökonomische Prinzip 1. Die Erkennbarkeit der Gesetze i n ihrer Gesamtheit hängt von der geistigen Beherrschbarkeit und somit von der Zahl der Gesetze ab 9 ( \ Demzufolge verlangt das ökonomische Prinzip den Gebrauch aller Mittel, die Umfang und Zahl der Gesetze verringern. Als erstes spricht Walter von der Notwendigkeit der Generalisierung. Jede unnötige Kasuistik — die Lex Salica zählte zwanzig verschiedene Arten des Schweinediebstahls auf 9 1 — soll vermieden werden. Fälle, die gleich geregelt werden können, brauchen keine besonderen Hechtsgesetze. Dabei wiegt der Vorzug der Vereinheitlichung viele Härten materieller A r t auf, wozu an die grundsätzliche Bestimmung der Altersgrenze für die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit erinnert sei. I n jeder Generalisierung liegt folglich zugleich eine rechtspolitische Entscheidung, so daß manche Adressatenkreise, meist Interessenverbände, Anstoß nehmen, weil sie eine Sonderbehandlung fordern und durchzusetzen versuchen 92 . 2. Als zweites Mittel, das logisch auch noch zur Generalisierung gezählt werden könnte, erwähnt Walter die Reduktion 9 3 , m i t deren Hilfe die Zahl der Normen i m Wege der Abstraktion eines allgemeinen Teils weiter verringert wird. Wie weit diese Abstraktion getrieben werden kann, zeigt das Bürgerliche Gesetzbuch 94 . Die Frage aber, wieweit abstrahiert werden darf und die Anschaulichkeit berücksichtigt werden soll, ist nur i m Hinblick auf den materiellen Adressatenkreis entscheidbar. Walter schreibt daher: „Der Gesetzgeber wird sich dabei auch den Kreis der Vollzugsorgane vor Augen zu halten haben und dabei z. B. dem Zivilrichter einen größeren A b straktionsgrad zumuten als dem Vollstreckungsbeamten 95 ."
3. Als drittes M i t t e l legislativer Sparsamkeit nennt Walter die Verweisung und deren Unterfall, die Fiktion 9 5 . Auch die Verweisung kann nur richtig angewendet werden, wenn eine Abwägung des Gewinns an 90
Walter, S. 86. Titel I I , §§ 1—20 Pactus Legis Salicae. w Walter, S. 86 Anm. 26. 98 Walter, S. 86 f. 94 Larenz, Schuldrecht, S. 27 f., exemplifiziert diesen Aufbau anhand eines Kaufvertrages und weist sechs verschiedene Allgemeinheitsgrade nach. 95 Walter, S. 87. 91
§ 16. Das ökonomische Prinzip
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Kürze m i t der Erkennbarkeit für den Adressaten stattfindet. Dabei läßt sich m i t einiger Sicherheit feststellen, von welchem Grade ab auf Kürze verzichtet werden sollte 9 8 . Hierfür liefert das Erbschaftssteuergesetz m i t seiner Geschichte einen guten Beweis. K u r t B a l l 9 7 hatte dieses Gesetz nämlich i m Jahre 1921 seiner Klarheit wegen gelobt, und er hatte es sogar dazu benutzt, seine Vorstellungen vom (stets richtigen) „vertikalen" und vom (selten günstigen) „horizontalen" Gesetzesaufbau darzulegen. Das Erbschaftssteuergesetz sei deswegen mustergültig, w e i l es die verschiedenen Fälle (Nachlaßsteuer, Erbanfallsteuer und Schenkungssteuer) 98 einzeln und nacheinander, also „vertikal", regele, während die Normierung der verschiedenen Steuerfälle i n denselben Paragraphen (d. h. der „horizontale" Aufbau) nur Unklarheit gestiftet haben würde. Offensichtlich haben die an der Gesetzgebung Beteiligten das Büchlein von Ball nicht zur Kenntnis genommen, denn i m heutigen Erbschaftssteuergesetz 99 findet sich gerade die Unklarheit, die i m früheren vorbildlich vermieden worden war. Nolls Beschreibung und K r i t i k mögen dies verdeutlichen: „ D a . . . Erbfall und Schenkung zwei verschiedene Vorgänge sind, muß der Gesetzgeber in vielen Paragraphen von einem Gegenstand auf den anderen hin- und zurückspringen, und der Steuerpflichtige, der ja nur entweder eine Erbschaft gemacht oder eine Schenkung erhalten hat, ist gezwungen, die für seinen Fall geltenden Vorschriften durch das ganze Gesetz hindurch in den einzelnen Absätzen der Paragraphen zusammenzusuchen 100 ."
Die Verfasser des heutigen Erbschaftssteuergesetzes haben also, wahrscheinlich aus unartikuliertem Kürzungsbedürfnis, vielleicht auch nur aus Nachlässigkeit, vergessen, daß der von Ball gerügte horizontale Aufbau dem Steuerpflichtigen größte Schwierigkeiten bereiten muß. Hier zeigt sich, was adressatengerechte Erkennbarkeit bedeutet: der betroffene Adressat hat „entweder eine Erbschaft gemacht oder eine Schenkung erhalten", und wenn es dem Gesetzgeber nicht gelingt, beide Tatbestände zu generalisieren und m i t denselben Rechtsfolgen zu versehen 1 0 1 , dann muß jeder Fall für sich und möglichst geschlossen abgehandelt werden; nur ausnahmslos gemeinsame Vorschriften dürfen (als H
Vgl. Kühl, S. 92. Ball, S. 32 ff. 98 Erbschaftssteuergesetz vom 10. September 1919 (RGBl. S. 1543); der erste Teü („Steuerpflicht") ist in drei Abschnitte gegliedert: 1. „Nachlaßsteuer" (§§ 2— 19), 2. „Erbanfallsteuer" (§§ 20—39) und 3. „Schenkungssteuer" (§§ 40—44). 99 I n der Fassung vom 1. April 1959 (BGBl. I, S. 188). 100 Noll, Der gegenwärtige Stand der Gesetzgebungslehre und der Gesetzgebungstechnik, S. 764. 101 § 1 Abs. 2 des heute geltenden Erbschaftssteuergesetzes lautet: „Soweit nichts Besonderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes über den Erwerb von Todes wegen auch für Schenkungen und Zweckzuwendungen, die Vorschriften über Schenkungen auch für Zweckzuwendungen unter Lebenden." 97
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
allgemeiner Teil) zusammengefaßt werden. Ein größerer Umfang des Gesetzes ist nach diesem Postulat weniger beachtlich und sicher als der Zuwachs an Klarheit. Dem Gesagten kann nicht entgegengehalten werden, das Erbschaftssteuergesetz sei für Notare geschrieben, die nach dieser Systematik sofort erkennen, ob für den Klienten eine Schenkung oder ein Erbfall günstiger sei. Selbst wenn man die Notare für die einzigen Adressaten hält und nicht den interessierten Laien einbeziehen w i l l , ist nämlich zu fragen, ob nicht auch den Fachleuten eine größere Klarheit dienlich sein könnte — es sei denn, man unterstellt den Notaren, sie wünschten sich schwierige Gesetze, um sich bei deren Anwendung unentbehrlich zu machen. Eine solche Unterstellung ist aber abwegig und verdiente selbst dann, wenn sie bisweilen zuträfe, keinerlei Beachtung, so daß auch die Fachleute keine Vereinfachung wünschen dürften, die auf Kosten der Klarheit ginge. Aus diesem Grunde muß der K r i t i k Theodor Kipps zugestimmt werden, die er i n seinem Kommentar zum Erbschaftssteuergesetz geäußert hat: „Die deutsche Gesetzgebung hat sich seit 1922 102 entschlossen, den Ausdruck Schenkungssteuer fallenzulassen und auch die Schenkungssteuer Erbschaftssteuer zu nennen. Diese scheinbare Vereinfachung im Ausdruck ist als eine Quelle von MißVerständnissen nicht zu billigen 103 ."
4. A n vierter Stelle behandelt Walter die Anwendung des ökonomischen Prinzips i n einzelnen Rechtsgebieten. Das Abwägungsproblem stellt sich hier nicht anders als bei den übrigen M i t t e l n gesetzgeberischer Sparsamkeit, und auch hier läßt sich feststellen, daß zahlreiche Vereinfachungen (ζ. B. i m Verfahrensrecht das Fristenwesen und die Zustellung) 9 5 die Erkennbarkeit für den Adressaten eher fördern als beeinträchtigen. Die A r t der Verwertung gemeinsamer Rechtsinstitute verschiedener Gebiete erinnert dabei an das kleinste gemeinschaftliche Vielfache, das mit Hilfe der Primzahlen als einfachster gemeinsamer Nenner festgestellt wird. Schließlich muß Walter darin zugestimmt werden, daß der Ökonomie und der Erkennbarkeit sehr damit gedient wäre, wenn überholte Bestimmungen formell derogiert würden und nicht als „Normgespenster" 1 0 4 die Rechtsordnung verwirrten. Dieser Gedanke entspricht der Forderung von Jahrreiß nach einem laufend geführten Geburten- und Sterberegister der Gesetze 105 . 102 Ball hatte seine Abhandlung „Vom neuen Weg der Gesetzgebung" im Jahre 1921 publiziert. 108 Kipp, S. 9. 104 Jahrreiß, S. 53. 105 Jahrreiß, S. 53; vgl. die „Bereinigte Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen 1848—1947" der Schweiz und darüber die Abwandlung des berühmten Satzes von Kirchmanns durch Adamovich (S. 3): „Ein Wort des Bun-
§ 1 . Das Prinzip der
d u n
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§ 17. Das Prinzip der Adäquanz, Verständlichkeit und Präzision des Ausdrucks 1. Betrachtet man die Ausdrucksmittel gesetzlicher Vorschriften unter dem Blickwinkel der Adäquanz, so zeigt sich sofort die alles beherrschende Stellung der Sprache. Akustischen und optischen Zeichen kommt nur ganz geringe Bedeutung zu 1 0 6 . Das Problem des Ausdrucks des Gesetzes ist daher i m wesentlichen ein Problem der Gesetzessprache, und sie ist es auch, die die Gesetzgebungstechnik aufs engste m i t der modernen Sprachphilosophie, Sprachwissenschaft und Logistik verbindet. Da diese Disziplinen durch semantische, semiotische, syntaktische und kybernetische Forschungen i n den letzten Jahrzehnten entscheidende Fortschritte gemacht haben, vervielfältigte sich die ohnehin schon reiche Literatur über die sprachliche Seite der Gesetzgebungstechnik. Außer den i m Literaturverzeichnis aufgeführten Schriften von Triepel, Dölle, Neumann-Duesberg und Clauss seien hier von den größeren Abhandlungen seit 1945 die Arbeiten von Layman E. A l l e n 1 0 7 , Helmut Hätz 1 0 8 , F. Hochstrasser 109 , Dieter Horn 11 ?, Eis Oksaar 1 1 1 und K a r l W o l f f 1 1 2 genannt. Die ausführlichste Erörterung der Gesetzessprache bietet David Mellinkoffs „The Language of the L a w " 1 1 3 , ein Buch, das für den deutschen Sprachraum noch geschrieben werden müßte. Es enthält neben einer ausführlichen Geschichte der heterogenen englischen Rechtssprache kritische Untersuchungen der heutigen Gesetzessprache und illustriert zugleich anhand immer wieder neuer Beispiele die häufigsten Fehlerquellen zusammen m i t Ratschlägen, wie die Fehler zu vermeiden seien. Mellinkoffs systematische Darstellung kann weder durch die genannten Abhandlungen noch durch die Glossen, Randbemerkungen und A u f sätze, die sich hierzulande m i t der Gesetzessprache befassen, ersetzt werden, und auch die verdienstlichen „Fingerzeige für die Gesetzesdesgesetzgebers — und hundert Jahre der amtlichen Gesetzessammlung werden zur Makulatur"; auch die Sammlung des deutschen Bundesrechts (BGBl. I I I ; Gesetz vom 10. Juli 1958, BGBl. I, S. 437) ist inzwischen abgeschlossen. 108 Walter, S. 88. 107 "Symbolic Logic: A Razor-Edged Tool for Drafting and Interpreting Legal Documents", in: Yale Law Journal 66 (1956/57), S. 833—879. 108
„Rechtssprache und juristischer Begriff", Stuttgart 1963. „Die sprachliche Gestaltung des geltenden Rechts", in: Zeitschr. f. Schweizerisches Recht, N.F. Bd. 64 (1945), S. 113—128. 110 „Rechtssprache und Kommunikation. Grundlegung einer semantischen Kommunikationstheorie", Berlin und München 1966; „Rechtswissenschaft und Kommunikationstheorie", in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1967, S. 573—587. 111 „Sprache als Problem und Werkzeug des Juristen", in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie, 1967, S. 91—130. 112 „Die Gesetzessprache", Wien 1952. 113 Es enthält eine umfassende (bei uns nicht vorhandene) Bibliographie zum Thema „Gesetzessprache" (S. 454—478). 109
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
und Amtssprache" 1 1 4 sind kein Äquivalent. Der einzige Mangel, den Mellinkoffs Buch aufweist, liegt i n der Vernachlässigung der modernen Kommunikationstheorie und der Möglichkeiten einer Kalkülsprache. Die Entwicklung dieser Gebiete hat jedoch erst nach dem zweiten Weltkrieg begonnen und ist bei weitem noch nicht so weit gediehen, daß sie am Vorrang der „konservativen" Gemeinsprache etwas geändert hätte. Daher soll der Gemeinsprache auch hier der größte Teil der Aufmerksamkeit gelten. 2. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Gesetzessprache verständlich und genau sein soll. Diese beiden Aufgaben bestimmen daher auch die Diskussion, denn Verständlichkeit und Präzision zu vereinen ist nichts weniger als leicht und oft geradezu unmöglich. Immer verhindert das Wort, besonders wenn es zu einer lebenden Sprache gehört, die formallogische Eindeutigkeit des Begriffsausdrucks. Daß andere Geisteswissenschaften schon sehr früh auf dasselbe Problem gestoßen sind und es zu lösen suchten, kann einem Vortrag M a r t i n Bubers aus dem Jahre 1960 entnommen werden, w o r i n es heißt: „Ich entsinne mich, vor 43 Jahren von einem Internationalen Institut für Philosophie in A m s t e r d a m . . . den Plan einer Akademie erhalten zu haben, deren Aufgabe es sein sollte, »Wörter spirituellen Wertes für die Sprache abendländischer Völker zu schaffen 4, und das heißt, von der Mehrdeutigkeit befreite Wörter 1 1 5 ."
Diesem Plan ähnelt der Vorschlag Walters, eine Evidenz zu schaffen, ein Lexikon, das die vom Gesetzgeber verwendeten Wörter und ihre Bedeutungen 1 1 6 enthält 1 0 6 . Damit schlägt Walter einen Mittelweg ein zwischen nicht realisierbarer Volkstümlichkeit (d.h. Verständlichkeit für die Mehrzahl der Adressaten beim ersten Lesen) 117 und ein-eindeutiger Präzision, die nur i n einer Kalkülsprache 1 1 8 verwirklicht und nur von ausgebildeten Spezialisten-Adressaten verstanden werden könnte. Walters Vorschlag geht ganz i n Richtung des Zieles, das auch hier verfolgt werden soll, aber sein Mittelweg ist so breit wie eine Heerstraße, weshalb versucht werden muß, m i t Hilfe der Erkennbarkeit für den Adressaten weitere Richtschnuren zu geben. 114 Die „Fingerzeige" sind nach großen Vorauflagen bereits in der 9. Auflage erschienen. 115 Buber, S. 22. 116 Der Plural ist fast stets gerechtfertigt. Vgl. B G H Z 24, 214 (216): „Die Gesetzessprache ist uneinheitlich". — Zimmermann (S. 1264): „Das Dogma von der Allgemeingültigkeit gleichlautender Begriffe ist unhaltbar." 117 Herold, S. 470. 118 Die Kalkülsprache wird befürwortet von Neumann-Duesberg, S. 132 ff. : „Kein Jurist sollte sich vorschnell eine Ablehnung der Kalkülsprache anmaßen" (Anm. 71). Diese Ermahnung dürfte völlig hinreichend beherzigt sein, wenn man beim Formulierungsprozeß mit Kalkülen arbeitete. Der Gesetzgeber sollte zwar mit der Präzision einer Kalkülsprache denken, nicht dagegen diese Sprache sprechen.
§ 1 . Das Prinzip der
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Was die ästhetischen Bedürfnisse der Adressaten angeht, so müssen sie ihre Befriedigung i n der Regel anderweitig suchen 119 . Die Gesetzessprache hat i m Laufe der Jahrhunderte Buntheit, Wortreichtum und Bilderschmuck unwiederbringlich verloren. Sie ist karg und knapp geworden und w i r d es bleiben, w e i l sie eine Fachsprache ist 1 2 0 . Daß die Gesetzessprache aber die häßlichste aller Fachsprachen sein muß, ist sicherlich keine notwendige Folge 1 2 1 , und darüber hinaus darf die Notwendigkeit juristischer Fachterminologie das Verhältnis zur Gemeinsprache nicht pervertieren, wie es ζ. B. i n bezug auf den Wortgebrauch von Leihe und Miete geschehen ist. Hierzu meinte K u r t Ball: „Eifrige Juristen g l a u b e n . . . , daß die Laiensprache »falsch4 ist. Als ob der Gesetzgeber der Sprache befehlen könnte, daß b heißen soll, was a heißt. Nur die juristischen Buchhandlungen haben ihre Leihbibliotheken in Mietbüchereien umgenannt 12 *."
I n derselben Richtung hatte schon Bentham vom Stil eines Gesetzbuches gefordert, daß, wenn er „von dem anderer Bücher sich unterschiede, dies durch eine größere Klarheit, durch eine größere Bestimmtheit, durch größere Popularität geschehe, w e i l es für die Fassungskraft Aller, und ins Besondere für die am wenigsten gebildete Klasse bestimmt i s t " 1 2 3 ' 1 2 4 . Damit fordert Bentham indessen ohne Aussicht auf Realisierbarkeit mehr, als es hier m i t dem Maßstab des interessierten Laien geschehen ist. Es genügt zu verlangen, daß sich die juristische Terminologie nicht ohne Grund von der Gemeinsprache entferne 1 2 5 und daß sie 119 Walter, S. 88. Dabei ist allerdings zuzugeben, daß ästhetische Mängel ein Indiz für technische und sachliche Fehler sein können; vgl. hierzu Mayr, S. 13. 120 Radbruch, Vorschule, S. 86 f.; über die Unsicherheit heit der Kritik aus ästhetischen Gründen siehe Becker, S. 917 ff. 121 Vgl. Klang, Rechtsprechung, S. 2; Müller-Marzohl, Das mangelhafte Deutsch des Bundes; Rothe zerpflückt in seinem Vortrag „Über den Kanzleistil" einen Erlaß von 159 Wörtern und reduziert ihn ohne sachliche Änderung auf 47 Wörter. 122 Ball, S. 26. 128 Bentham, S. 221. 124 Die Forderung nach Verständlichkeit ist immer wieder erhoben und begründet worden. Als weiteres Beispiel sei hier Franz Schlegelberger (S. 27) zitiert: „Die Abstraktion der Gedanken in unseren Rechtsnormen überschlägt sich. Daß unsere Gesetze selbst in dem zum deutschen Sprachenkreis gehörenden Ausland wegen ihrer Ausdrucksweise schwer Verständnis finden, ist für den internationalen Rechtsverkehr schädlich. Weit schlimmer ist es aber, daß gerade aus diesem Grunde sich immer größere Kreise der eigenen Bevölkerung von der Gesetzgebung abwenden, und die Gesetzeskunde zu einer Art Geheimwissenschaft geworden ist. Das zerstört den lebendigen Zusammenhang zwischen Volk und Recht, schwächt den Willen zum Gesetzesgehorsam und züchtet Nutznießer der Gesetzesunkenntnis in bedenklichem Maße." — Vgl. auch Roos, S. 69. 125 Vgl. Kübl (S. 93): „Die Sprache der Gesetze soll sich im Interesse der Allgemeinverständlichkeit der Umgangssprache der Gebüdeten anschließen."
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
nicht als Deckmantel dazu diene, die Unfähigkeit zum verständlichen Ausdruck zu kaschieren. Diese Forderungen sind erfüllbar. Werden sie vom Gesetzgeber nicht befriedigt, dann bleibt er hinter dem Möglichen und hinter dem i m Interesse des Adressaten Gebotenen zurück und muß sich ein entsprechendes Urteil gefallen lassen. K u r t Heber 1 2 8 hat i n seinem Bericht über die gesetzgeberischen Erfahrungen m i t dem St. Gallischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege gezeigt, wie sich eine solche (adressatengerechte) Gesetzessprache erreichen läßt. Danach war die Formulierung des Gesetzes einer siebenköpfigen Redaktionskommission übertragen. I n ihr galt die Regel, daß jedes Mitglied, das einen Ausdruck oder einen Satz nicht verstand, intervenierte und daß solange u m eine Fassung gerungen wurde, bis sie allen, auch den Laien, verständlich w a r 1 2 7 . Nach alledem muß festgestellt werden, daß die Verständlichkeit des Gesetzes ein unabdingbares Postulat der guten Gesetzgebungstechnik ist. Es bleibt also zu fragen übrig, i n welchem Verhältnis dieses Postulat zu dem der Präzision stehe 128 und welche Einschränkungen sich für die Verständlichkeit ergeben könnten. Die A n t w o r t hierauf soll schon jetzt gegeben werden: Die Forderung nach Verständlichkeit hat ein so entscheidendes Gewicht, da β sie im Zweifel, aber auch nur dann, der Präzision vorgezogen werden muß. Diese Behauptung soll durch die folgenden Ausführungen gerechtfertigt werden. Als erstes steht fest, daß Undeutlichkeit auch Unverständlichkeit bedeuten kann, daß also Präzision und Klarheit eins sind 1 2 9 . Hierzu sei zitiert, was Helfer über die „partielle Normfinsternis" schreibt: „Gefährlicher noch für schlichtes Verständnis kann die durch haarscharfe Konstruktionen erzielte Esoterik von Regelwerken sein, die als l'art pour les artistes bewunderswert ist, die Dechiffrierlust unverbildeter Adressaten aber überfordert. Wo etwa ein kundiger Bearbeiter des Erbrechts im weitberühmten ,Palandt' mit bis zur zehnten Auflage (1952) geduldetem Humor bekennen mußte, daß § 2013 BGB ,auch dem Eingeweihten nur in besonders glücklicher Stunde verständlich wird', da mag der dem Mysterium ferner stehende Rechtsinteressent getrost die Hoffnung fahren lassen 180 ."
Präzision und Verständlichkeit können sich sodann auch i n der Weise zueinander verhalten, daß nur erkennbar zu sein braucht, wo (und 128
Reber, S. 351 ff. Reber, S. 351. 128 Walter hat sich in seiner Vorlesung nicht entschieden. 129 Vgl. Brassloffs Betrachtung des österreichischen Familienlastenausgleichsgesetzes; Giesing, Das neue Bundesraumordnungsgesetz. Ein Schrecken der Gesetzessprache; ferner die — nicht in allen Stücken berechtigte — Kritik von Richard Schmid an dem Entwurf 1962 zu einem Strafgesetzbuch. 180 Helfer, S. 100; Palandt-Seibert (10. Aufl.), § 2013 Anm. 1: „Der § 2013 — * ein Meisterstück überholter Verweisungstechnik — ist so unklar und verkünstelt, daß er auch dem Eingeweihten nur in besonders glücklicher Stunde verständlich wird." 127
§ 1 . Das Prinzip der
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warum) der Gesetzgeber eine unpräzise Sprache absichtlich gebraucht. Diese Möglichkeit muß dem Gesetzgeber, der ζ. B. der Anwendung einen Spielraum lassen w i l l , zugestanden werden 1 3 1 . Schließlich kann die Präzision auf Kosten der Verständlichkeit so weit ausgedehnt werden, daß der Adressat sich u m ein Verstehen m i t mehr oder weniger großem Aufwand bemühen muß. Der Gesetzgeber darf ein solches Bemühen wegen des zu verringernden Risikos der Unsicherheit erwarten und kann, wenn es erforderlich ist, von einer besonderen materiellen Adresse auch besonders viel verlangen 1 3 2 . Es gibt sogar die Möglichkeit, daß ein Begriff der Gesetzessprache je nach Normadressat eine unterschiedliche Bedeutung besitzt 1 3 3 . 3. Wieviel Mühe der Gesetzgeber vom Adressaten verlangen kann, läßt sich indessen nicht allgemein bestimmen, denn die Forderung, Gesetze sollen so verständlich wie möglich sein, ist als Anweisung für den Einzelfall bei weitem nicht konkret genug und beantwortet auch nicht die Kardinalfrage nach den Grenzen der Verständlichkeit. Immerhin resultiert aus der hier vertretenen Berücksichtigung des Adressaten eine allgemeine Forderung, deren Erfüllung geeignet ist, auch i m Einzelfall die Verständlichkeit zu fördern: der Gesetzgeber soll mehr tun, als nur dasjenige exakt i n Worte zu fassen, was er ausdrücken w i l l . Die präzise Fassung des zu legiferierenden juristischen Gedankens i n der Gesetzessprache ist nur der notwendige erste Schritt i n der guten Gesetzgebungstechnik 134 . Wenn Bartholomeyczik schreibt, es sei „dem Gesetzgeber . . . nur selten mißlungen, i m BGB wörtlich das auszudrücken, was er i m juristischen Sinne erreichen w o l l t e " 1 3 5 , so kann diese Feststellung nicht als abschließendes Lob gelten und auch nicht als Leistung, die der hermeneutisch bemühte Adressat m i t Ehrfurcht zu betrachten habe. Gute Gesetzgebungstechnik endet gerade nicht damit, daß der Adressat bei der Gesetzesinterpretation seine „Ehrfurcht vor der wissenschaftlichen Leistung der Väter unserer Gesetze" 136 ausdrücken muß. Der Gesetzgeber 131
Walter, S. 88 f.; als Beispiel können die unbestimmten Rechtsbegriffe genannt werden. 132 RGSt 67, 12 (19) : „Wer sich amtlich, beruflich oder gewerblich betätigt, ist besonders verpflichtet, die für seinen Amts-, Berufs- oder Gewerbekreis geltenden Rechtssätze und Verkehrsgepflogenheiten zu beachten..."; vgl. auch Triepel, S. 90, H. Schneider, S. 1276, und F. Weber, Koordination der Gesetzgebung, S. 283. 133 So kann ζ. B. nach BVerfGE 6, 32 (38) der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung" „ . . . nicht für jeden der — unter sich ganz ungleichartigen — Normadressaten der gleiche sein...". 134 Wie Klug (S. 169) dargelegt hat, wird die Fehlerlosigkeit dieses ersten Schrittes neuerdings durch die Anwendung von Datenverarbeitungsanlagen gefördert, da beim Programmieren Ungenauigkeiten, Mehrdeutigkeiten, U n entscheidbarkeiten, Widersprüche usw. unweigerlich entdeckt würden. 135 Bartholomeyczik, S. 18. 136 Bartholomeyczik, S. 18. Ähnlich hatte Herold (im Jahre 1903) in bezug auf das Bürgerliche Gesetzbuch geschrieben, dieses Werk könne wegen seiner
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
soll vielmehr auf größte Verständlichkeit achten und damit umgekehrt seine Ehrfurcht vor allen Adressaten bezeugen, die verständliches Recht beanspruchen dürfen. Der A u f r u f zur Ehrfurcht müßte also i n erster Linie an den Gesetzgeber ergehen. Richtigerweise kann es sich aber i n diesem Bereich der Gesetzgebungstechnik nur u m eine wissenschaftliche Betrachtung handeln, die sich als solche „weder von Furcht noch von Ehrfurcht beeinträchtigen lassen sollte" 1 3 7 . Es geht hier allein u m die K r i terien für eine adäquate Gesetzessprache, und diese Kriterien müssen von der empirisch feststellbaren Wirksamkeit des Gesetzes maßgebend bestimmt werden. Wenn aber eine der ersten Bedingungen der Wirksamkeit die Gesetzeskenntnis der Betroffenen ist, so darf auf eine dem materiellen Adressatenkreis adäquate Sprache nicht verzichtet werden. Diese These findet ihre Bestätigung i n einer der wenigen ausführlichen empirischen Untersuchungen, die den Einfluß eines bestimmten Gesetzes auf den von i h m betroffenen Personenkreis erforscht hat. Vilhelm Aubert berichtet i n seinem Aufsatz über seine Untersuchung des norwegischen Hausangestelltengesetzes, daß es keinesfalls m i t der größtmöglichen Klarheit und Einfachheit geschrieben worden sei 1 3 8 und sich aus diesem Grunde eines Teiles seiner Wirksamkeit von vornherein beraubt habe: „Das Hausangestelltengesetz ist für Hausfrauen und Hausangestellte vor allem deshalb so schwer zu verstehen, weil es in einer Sprache geschrieben ist, die für eine ganz andere Funktion geschaffen wurde. Diese Sprache, in der auch die meisten anderen Gesetze geschrieben sind, benutzt eine knappe und exakte Terminologie, die als Kommunikationsmittel innerhalb der juristischen Berufe, als Mittel zur Lösung von Rechtskonflikten mit Hilfe juristisch vorgebildeter Personen entwickelt wurde. Hier haben wir es jedoch mit einer anderen Funktion des Gesetzes zu tun, und zwar mit seiner Rolle im Informations- und Beeinflussungsprozeß in der Gesamtbevölkerung. Dies wurde bei der Vorbereitung des Hausangestelltengesetzes immer wieder erwähnt. Und doch schrieb man das Gesetz in der traditionellen Sprache, die Juristen benutzen, um anderen Juristen exakte Mitteilungen zu machen. Es wurde nicht bedacht, daß es sich hier um einen Bereich handeln könnte, mit dem die Juristen nicht sehr häufig zu tun haben und in dem Gerichte nur selten, wenn überhaupt, bemüht werden. Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung war noch an keinem Gericht oder einer anderen Rechtsinstitution Klage unter Bezugnahme auf das Hausangestelltengesetz erhoben worden. Daher hängt die Wirksamkeit dieses Gesetzes fast ausschließlich von seinem Einfluß auf einen Laienkreis ab und von seiner Fähigkeit, seinen Inhalt Hausfrauen und Hausangestellten ohne Einschaltung von juristisch geschulten Vermittlern mitzuteilen. I n dieser Hinsicht hat es großenteils versagt.. . 1 8 e . "
Größe nicht volkstümlich sein, aber es sei möglich, die Nichtwissenden zu belehren und dadurch zum Verständnis und zur „Achtung und Ehrfurcht vor dem Gesetz" (S. 470) anzuleiten. 187 Noll, Strafe ohne Methaphysik, S. 4. 188 Aubert, S. 294. 189 Aubert, S. 294 f.
§ 18. Das Prinzip der systematischen Ordnung
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Damit liegen die Gründe offen, deretwegen m i t der oben aufgestellten Behauptung die Verständlichkeit i m Zweilfelsfall der Präzision vorgezogen wurde. Unter diesen Voraussetzungen braucht auch die Klarheit der Gesetzessprache nicht zu leiden, denn der Zweifelsfall, der gemeint war, t r i t t ja erst ein, wenn ein sehr hoher Grad der Präzisierung erreicht ist. § 18. Das Prinzip der systematischen Ordnung 1. Es ist nicht müßig zu erwähnen, daß die einheitliche und systematische Darstellung von Rechtsgesetzen, die dasselbe Rechtsgebiet betreffen, die Erkennbarkeit besonders fördert. Angesichts der inflationären Novellengesetzgebung zeigt sich die Dringlichkeit dieses Prinzips, das nichts zu t u n hat m i t wehmütigem Zurückwünschen eines Zeitalters, i n dem die großen Kodifikationen möglich waren. Systematisierung ist nicht gleichbedeutend m i t Kodifikation. Es kommt nur darauf an, einheitliche Materien nach einheitlichen systematischen Kriterien zu regeln, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie verstreut die einzelnen Regelungen sind 1 4 0 . Eine räumliche Zusammenfassung der verstreuten Bestimmungen wegen einer ausschließlich rechtlichen Systematisierung kann nämlich, wie Noll am Beispiel des Haftpflichtrechts gezeigt hat, ganz und gar nicht wünschenswert sein: Wenn es auch dringend nötig sei, das i n den Einzelgesetzen verstreute Haftpflichtrecht auf seine Wertungskonsequenz und Widerspruchsfreiheit h i n zu durchleuchten, so könne dies auch ohne die äußere Form der Kodifikation geschehen 141 . M. E. muß hier sogar auf Kodifikation verzichtet werden, denn „ganz ohne Zweifel sucht der Normadressat gemäß seinem Vorverständnis die i h n betreffenden Haftpflichtnormen i n denjenigen Gesetzen, die die einzelnen Unternehmungen regeln" 1 4 1 . Allerdings ist zuzugeben, daß es viele Rechtsmaterien gibt, bei denen i m Interesse des Adressaten die einheitliche Zusammenfassung aller Normen i n einem Buch gerade heute erstrebenswert sein kann 1 4 2 . Wie sich eine adressatengerechte Systematik auswirken kann, hat N o l l 1 4 3 anschaulich am Gerichtsverfassungsgesetz 140
Noll, Gesetzgebungslehre, S. 82 ff. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 83. 142 So heißt es ζ. B. im Grundsatzprogramm der SPD (S. 19) : „Die gesamte Arbeits- und Sozialgesetzgebung ist einheitlich und übersichtlich in einem Arbeitsgesetzbuch und einem Sozialgesetzbuch zu ordnen." Eine Zusammenfassung aller Gesetze und Rechtsverordnungen auf arbeits- und sozialrechtlichem Gebiet in der Bundesrepublik ist erst kürzlich als „Deutsche Sozialgesetze" von Luber beendet worden. Seine „Sammlung des gesamten Bundessozialrechts", die in einem Loseblattordner 3350 Seiten umfaßt, bietet schon einige Vorzüge der Kodifikation. 148 Noll, Gesetzgebungslehre, S. 88—90; ders., Der gegenwärtige Stand der Gesetzgebungslehre und der Gesetzgebungstechnik, S. 764. 141
7 u.Krüger
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demonstriert. Der Aufbau dieses Gesetzes nach den Zuständigkeiten der Gerichte läßt nämlich erkennen, daß sich seine Verfasser die Behörden als Adressaten vorgestellt haben. Diese Konzeption ist aus zwei Gründen nicht adressatengerecht. Erstens erschwert sie dem einfachen Rechtssuchenden die Einordnung seines Falles erheblich, und zweitens verlangt das Gerichts Verfassungsgesetz vom juristischen Laien grundlos mehr als von Richtern und Justizbeamten, denen es sehr viel leichter möglich wäre, i m Falle einer umgekehrten, auf den Laien abgestellten Systematik ihre Zuständigkeiten herauszulesen und zusammenzustellen. Als Beispiel für den Versuch einer adressatengerechten Systematik sei die Bereinigte Eidgenössische Gesetzessammlung (für die Jahre 1848 bis 1947) genannt. I n seinem Bericht über die Bereinigungsarbeit schildert Felix Weber das K r i t e r i u m der Systematisierung folgendermaßen: „Die praktische Überlegung, wie man dem Benützer beim Suchen am besten helfe, gab den Ausschlag." „Eine Einteilung nach dem Aufgabenkreis der Departemente, die anfangs erwogen worden war, wurde fallen gelassen, weil es sich hier um eine Lösung gehandelt hätte, die innerhalb der Verwaltung sehr gute Dienste leisten mag, die aber für Außenstehende, denen die Verteilung der Aufgaben unter die Departemente weniger geläufig ist, kaum sehr erwünscht gekommen wäre 1 4 4 ."
2. A u f die Diskusison der verschiedenen Hilfen, die dem Prinzip der systematischen Ordnung dienen, kann hier nicht eingegangen werden. Es scheint aber angebracht, die Bedeutung einer richtigen Verwendung der einzelnen Gliederungsmittel wie Paragraphen, Absätze, Abschnitte, Kapitel, Titel, Bücher usw. hervorzuheben. Zum Beispiel hätte das von Ball wegen seines Aufbaus gelobte Erbschaftssteuergesetz von 1919 145 noch klarer sein können, wenn die einzelnen Paragraphen m i t Überschriften versehen worden wären. Walter meint sogar, daß auch Marginalrubriken die Übersicht über den Rechtsstoff erleichterten 146 . Und warum sollten nicht auch Präambeln trotz ihres Mißbrauchs i n der nationalsozialistischen Z e i t 1 4 7 und trotz ihrer rechtsdogmatisch schwierig erfaßbaren Stellung als M i t t e l der Verständlichkeit benutzt werden können? Die Präambeln werden i n der heutigen juristischen Literatur i m allgemeinen abgelehnt 1 4 8 , und auch der Gesetzgeber vermeidet ihren Alltags144 ρ Weber, Die Systematik der Bereinigten Eidgenössischen Gesetzessammlung, S. 319. 145 Siehe oben § 16 Abschnitt 3. 146 Walter, S. 89. 147 Vgl. Dietze, Der Gesetzesvorspruch im geltenden deutschen Reichsrecht, bes. S. 14; Krüger, Der Wille des Gesetzgebers, S. 176 f.; XJle, Herrschaft und Führung im nationalsozialistischen Reich, S. 42 f.; Hedemann, Das Gesetz als Anruf, S. 24—27. 148 Radbruch, Vorschule, S. 86: Klang, Gesetzestechnik, S. 405; Roos, S. 72.
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gebrauch 149 . Diese Aversion ist nicht verständlich. Eine Durchsicht unserer geltenden Gesetze zeigt nämlich, daß auf eine Ankündigung des Gesetzeszweckes keineswegs immer verzichtet wird. Zwar sind die Präambeln verschwunden, aber viele der einleitenden Paragraphen haben deren Funktion übernommen, so ζ. B. i n jüngster Zeit § 1 des Pflanzenschutzgesetzes 150 oder § 1 des Parteiengesetzes 151 , der ohne weiteres eine Präambel hätte sein können 1 5 2 . I n der Schweiz scheinen die Verhältnisse aufs Haar den unsrigen zu gleichen, denn G. Roos moniert: „Es ist in letzter Zeit Mode geworden, im ersten Artikel eines neuen Gesetzes seinen Zweck zu umschreiben, z. B. Art. 1 B G vom 12. Juni 1952 über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes. Wie alles Unnötige gehört eine solche Bestimmung nicht ins Gesetz. Der Zweck des Gesetzes soll sich aus seinem ganzen Inhalt ergeben und es ist ein schlechtes Zeugnis für den Gesetzgeber, wenn er es selbst für nötig erachtet, den Zweck des Gesetzes noch in einem Gesetzesartikel ohne rechtliche Bedeutung wiederzugeben. Maßgeblich sind ja doch allein die Normen des Gesetzes, die diesen Zweck verwirklichen sollen und nicht der allgemeine, außerhalb dieser Normen gelegene gesetzgeberische Zweck 153 ."
Die Argumentation von Roos läßt deutlich seine Vorstellung vom Gesetzgeber erkennen: ein majestätisches Wesen, das möglichst keines seiner kostbaren Worte vergeuden solle, und zwar auch dann nicht, wenn der (betroffene) Adressat den Zweck des Gesetzes erst mühsam durch Studieren des ganzen Inhalts erkennen kann. Die von Roos verfochtene Anschauung, der Gesetzgeber möge alles „Unnötige" weglassen, hat demnach ihre Grundlage i n gefährlicher Nähe der i n dieser Arbeit verschiedentlich kritisierten Vorstellung vom Subordinationsverhältnis zwischen Gesetzgeber und Adressat. Neben diesem ideologischen Vorurteil beruht die Ansicht von Roos noch auf zwei weiteren Fehlern, denn er unterstellt unbesehen, daß Präambeln keine rechtliche Bedeutung hätten, und er vergißt, daß heutzutage immer wieder die Gesetzesmaterialien zur Erforschung der gesetzgeberischen Absicht, d. h. zur Interpretation herangezogen werden. Die Gesetzesmaterialien sind dabei oft sehr umfangreich und schwer auffindbar. Warum sollten die Präambeln deren Stellung nicht größtenteils übernehmen 154 ? Das gute Gewissen, das die Heranziehung gesetzgeberischer Überlegungen aus Protokollen und Berichten begleitet, könnte m i t größerer Berechtigung auf Präambeln übertragen 149 j?ü r das Grundgesetz und viele andere Verfassungen gilt eine Ausnahme — weil es feierlich kingt? 150 Pflanzenschutzgesetz vom 10. M a i 1968 (BGBl. I S . 352). 151 Gesetz über die politischen Parteien vom 24. Juli 1967 (BGBl. I S. 773). 152 Diese Vorschrift ist von Breithaupt (S. 561) deswegen auch sogleich kritisiert worden. 153 Roos, S. 72. 154 Vgl. hierzu: Krüger, Der Wille des Gesetzgebers, S. 176 ff., und Triepel, S. 91 f. 7·
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
werden. Jedenfalls ist der von Roos befürwortete Gesetzgebungsstil nicht vereinbar m i t der Tatsache, daß der Sinn vieler Normen erst m i t Hilfe des »außerhalb dieser Normen gelegenen gesetzgeberischen Zwecks' erklärlich wird. Einen solchen Fall hat ζ. B. Lesowsky abgehandelt und treffend kritisiert: „Wenn ein Gesetz erst durch das Studium der Motivenberichte verständlich wird, müssen ernste Zweifel an seiner Tauglichkeit für das praktische Leben bestehen 155 ."
Der Gesetzgeber braucht den Vorwurf, er formuliere wie ein Journalist, nicht zu scheuen, wenn er die Form der Gesetze dem angliche, was seine Adressaten bei allen anderen Publikationen antreffen und erwarten können: daß die Autoren vom Zeitungsartikel bis zu den Fachwerken der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen den (didaktischen) Wert von Überschriften, Untertiteln und Vorbemerkungen ausnutzen, u m sich auf die zuverlässigste und ökonomischste Weise verständlich zu machen. § 19. Das Prinzip der Kundmachung 1. Daß Walter besonderen Wert auf adäquate Kundmachung des Rechtsgesetzes legt, entspricht ganz dem Anliegen dieser Arbeit, den Adressaten i n den Mittelpunkt zu rücken und seine Eigenheiten und Belange soweit wie möglich vor und bei Erlaß des Rechtsgesetzes maßgebend zu berücksichtigen. Der schon diskutierte Unterschied zwischen Publikation und Kundmachung 1 5 6 , zwischen dem Schlußstück der juristischen Gesetzeswerdung und dem Beginn der tatsächlichen Gesetzeswirkung, eignet sich i n besonderem Maße zum Nachweis der Berechtigung dieses Anliegens. Adäquate Kundmachung bedeutet: die dem Adressaten adäquate K u n d machung. M i t Walter muß daher gefordert werden, daß sowohl denjenigen, deren Rechte und Pflichten betroffen sind, als auch denen, welche die Anwendung des Gesetzes handhaben, „das Gesetz offenbar gemacht" werde 1 5 7 . Es fragt sich daher, wie kann der Gesetzgeber dafür sorgen, daß seine Gesetze nicht nur verkündet, sondern auch kundgemacht werden? Und wie läßt sich erreichen, daß diese Kundmachung auch die nicht juristisch ausgebildeten Adressaten erreicht? 2. Eines ist sicher und läßt sich schnell beweisen, daß nämlich die Beantwortung dieser Fragen nicht, wie man zunächst annehmen könnte, i n der Entwicklung neuer Publikationsmittel oder einfach i m Rückgriff auf alte Verkündungsformen liegt. Die von Bentham verfochtene periodische Gesetzesverkündung während des Gottesdienstes 158 war schon damals — 155
Lesowsky, S. 280 f. Siehe oben § 12 Abschnitt 2. Walter, S. 89. 158 Mohl, S. 598 f., Anm. 1; siehe ferner die illustrativen Beispiele bei Vanderlinden, S. 164—167: "La diffusion et la publicité du code" (insbesondere Anm. 596) und Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, S. 259. 156 157
§ 1 . Das Prinzip der
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genauso w i e j e d e andere m ü n d l i c h e V e r k ü n d u n g — i m H i n b l i c k a u f Z a h l u n d U m f a n g d e r Rechtsgesetze r e i n e I l l u s i o n . Desgleichen m u t e t es h e u t e n a i v an, d i e A n h e f t u n g d e r Gesetze a n ö f f e n t l i c h e n O r t e n (Rathäusern, Straßenecken usw.) oder die Z u s e n d u n g einzelner A b d r u c k e a n b e t r o f f e n e B e h ö r d e n z u d i s k u t i e r e n 1 5 9 . A u c h offiziöse K u r z k o m m e n t a r e oder d i e W i e d e r g a b e der Gesetze i n Z e i t u n g e n oder B e r u f s f a c h b l ä t t e r n s i n d n i c h t geeignet, d e m h i e r v e r t r e t e n e n A n l i e g e n z u d i e n e n ; d e n n selbst o f f i z i e l l e K o m m e n t i e r u n g e n w e r d e n Z w e i f e l s f r a g e n offenlassen, i h r e Z a h l m ö g l i c h e r w e i s e noch erhöhen, u n d eine V e r v i e l f ä l t i g u n g d e r P u b l i k a t i o n w ä r e e i n a u f w e n d i g e s U n t e r n e h m e n , das f ü r d e n k o n k r e t e n F a l l eine Gesetzeskenntnis g l e i c h w o h l n i c h t g a r a n t i e r e n k a n n . P u b l i k a t i o n s m e d i a a u ß e r h a l b d e r erst w ä h r e n d d e r Französischen R e v o l u t i o n e r s o n n e n e n 1 6 0 u n d heute allgemein üblichen Gesetzesverkündungsblätter sind überflüssig, a u f w e n d i g u n d u n t e r U m s t ä n d e n schädlich. Es g e n ü g t , daß a l l e Rechtsgesetze a n e i n e r S t e l l e schriftlich, öffentlich u n d authentisch v e r k ü n d e t w e r d e n . Diese A n f o r d e r u n g e n r e i c h e n aus, s i n d aber z u g l e i c h auch M i n d e s t e r f o r d e r n i s s e , d e n n schon a l l e i n aus G r ü n d e n der Rechtssicherheit w i r d m a n n i c h t , w i e das i n n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e r Z e i t h ä u f i g geschah u n d v o n n a m h a f t e n J u r i s t e n g e r e c h t f e r t i g t w u r d e , a u f Ö f f e n t l i c h k e i t 1 6 1 oder S c h r i f t l i c h k e i t 1 6 2 v e r z i c h t e n k ö n n e n . 159
Mohl, S. 599 f. Mohl, S. 600. 161 Vgl. hierzu die Gesetzessammlung von Blau, Das Ausnahmerecht für die Juden in Deutschland, 1933—1945; darin befinden sich zwei bis drei Dutzend Rechtsgesetze, die nicht veröffentlicht oder sogar ausdrücklich von der Veröffentlichung ausgenommen worden sind. 162 So erörterte ζ. B. Werner Weber im Jahre 1942 die Frage der ordnungsmäßigen Verkündung bei einer am 4. Dezember 1938 nur durch den Rundfunk und die Tagespresse bekanntgegebenen „vorläufigen polizeilichen Anordnung" des „Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei" vom 3. Dezember 1938, die mit sofortiger Wirkung sämtlichen in Deutschland wohnenden Juden deutscher Staatsangehörigkeit das Fahren von Kraftfahrzeugen untersagte und ihnen die Fahrerlaubnis entzog: „Mit dieser Anordnung mußte sich das Reichsgericht in einem Urteil vom 25. Februar 1941 (ZAkDR. 1941 S. 320) beschäftigen, wo im Rahmen eines Versicherungsprozesses die Frage zu entscheiden war, ob der am 5. Januar 1939 verunglückte jüdische Fahrer eines Lastkraftwagens, der seinen Führerschein noch besaß, im Sinne der Allgemeinen Kraftfahrzeugsversicherungsbedingungen im Zeitpunkt des Unglücksfalles die vorgeschriebene Fahrerlaubnis besessen habe. Das Reichsgericht sah sich außerstande, die »vorläufige polizeiliche Anordnung' als Polizeiverordnung zu qualifizieren, weil sie sonst nach der Verordnung über die Polizeiverordnungen der Reichsminister vom 14. November 1938 (RGBl. I S. 1582) im Reichsgesetzblatt hätte verkündet werden müssen. Es glaubte aber, sie als polizeiliche Allgemeinverfügung ansehen und als solche deshalb für gültig erachten zu können, weil unter dieser Voraussetzung eine irgendwie geartete Bekanntgabe an die Betroffenen gengte. Die Frage, vor die sich das Reichsgericht gestellt sah, war, wenn auch weniger hinsichtlich des Ergebnisses, so doch in dessen Begründung in der Tat schwierig genug (!). Ein anderer Weg, den das Reichsgericht nicht erwogen hat, wäre der gewesen, der Anordnung ihren Verordnungs-, also Rechtssatzcharakter nicht streitig zu machen, sie aber als ,eine aus politischen 160
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
3. Nicht das gegenwärtig geltende Verkündungswesen, sondern der Gesetzesinhalt bedarf bestimmter Änderungen, um eine wirkliche K u n d machung zu erreichen. Die notwendigen Modifikationen sind allerdings nur für denjenigen akzeptabel, der den Satz „ius vigilantibus scriptum" nicht i m Sinne einer Wolfsmoral versteht, sondern vom einzelnen redliches Interesse eher erwartet und verlangt als geschicktes Jonglieren m i t Paragraphen. Die Gesetze sind nicht allein für die Wachen und juristisch Ausgebildeten geschrieben. Sie sollen vielmehr Recht und Gerechtigkeit i m ganzen und für jeden einzelnen verwirklichen, und deshalb müssen sie auch demjenigen zugänglich sein oder doch zugänglich gemacht werden, dessen Rechte betroffen sind. Wo dies nicht geschehen kann oder sofern komplizierte Rechtsverhältnisse oder schwerwiegende Rechtsfolgen dem betroffenen Laien nicht durchschaubar gemacht werden können, müssen weitere Vorkehrungen getroffen werden, die dem Rechtsschutz (im weiteren Sinne) dienen. Die hier skizzierten Anforderungen werden von unserer Rechtsordnung bereits teilweise erfüllt. Der Gesetzgeber bedient sich dazu verschiedener Mittel, von denen i m folgenden (4.) das Formerfordernis, (5.) die M i t w i r k u n g einer Behörde, (6.) der Gebrauch von Formularen, (7.) der Nachweis von Rechtskenntnissen als Voraussetzung zur Erteilung von Berechtigungen und insbesondere (8.) die Rechtsbelehrung diskutiert werden sollen. Das Ziel dieser Diskussion ist, darzulegen, daß zur w i r k lichen Kundmachung keine neuen Institute ersonnen zu werden brauchen, sondern daß allein schon der intensivere Gebrauch bestehender M i t t e l genügen würde, eine weitgehend zufriedenstellende Publizität zu erreichen. 4. Formerfordernisse (z. B. Schriftlichkeit, Beglaubigung) dienen nicht nur der Beweissicherung. Sie schützen auch vor Übereilung und Unüberlegtheit und können dazu führen, daß sich der Betroffene seiner Rechte vergewissert. 5. W i r d zur Erreichung eines bestimmten Rechtserfolges die M i t w i r kung einer Behörde vorgeschrieben, so läßt sich neben anderen Zwecken erreichen, daß auch i n schwierigen Materien (z. B. i m Grundstücksverkehr) alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, und zwar auch ohne daß die Betroffenen volle Kenntnis der einschlägigen Normen zu besitzen brauchen. Außerdem kann man hier, wie bei jeder Einschaltung des Rechtsstabes 163 , dafür sorgen, daß die Betroffenen über Rechte und Pflichten aufgeklärt werden. Gründen sofort zu ergreifende und durchzuführende Maßnahme', als die sie sich nach der Auskunft des Reichsjustizminist er iums darstellte (!), überhaupt nicht den strengen Verkündungsregeln für gewöhnliche Polizeiverordnungen der Reichsminister zu unterwerfen" (W. Weber, S. 42 f.; die Ausrufezeichen stammen von mir). 163 Siehe oben § 14 Abschnitt 2 (Anm. 61).
§ 1 . Das Prinzip der
machung
103
6. Einen besonderen Wert haben einheitliche Formulare. Wie es scheint, werden sie ohnehin wegen der zunehmenden Automation einen wachsenden Anwendungsbereich i m Rechtsverkehr einnehmen. Als Anwendungsfall sei der Lohnsteuer] ahresausgleich genannt. Hier können die i m Normalfall auftauchenden Lohnsteuerbestimmungen so i n das Formular eingearbeitet werden, daß der steuerpflichtige Adressat durch gewissenhaftes Ausfüllen des Formulars alle für ihn relevanten Rechtsnormen beachtet, ohne das Gesetz selbst lesen zu müssen. 7. Die Zulassung zu bestimmten Tätigkeiten oder die Erteilung von Befähigungsnachweisen ist heute vielfach mit dem Nachweis von Rechtskenntnissen gekoppelt, die m i t dem jeweiligen Fach- oder Tätigkeitsbereich zusammenhängen. So ist die Prüfung zur Erlangung eines K r a f t fahrzeugführerscheins zu einem beträchtlichen Teil eine Rechtsprüfung, und auch bei der handwerklichen Meisterprüfung w i r d darauf geachtet, daß die „notwendigen rechtlichen Kenntnisse" 1 6 4 vorhanden sind. A u f diese Weise kann der Gesetzgeber erreichen, daß die Adressaten eine ihrem Beruf entsprechende Sonderkenntnis der Rechtsgesetzes erlangen. Da sich dieses M i t t e l besonders leicht legiferieren läßt, birgt es die Gefahr, daß vom Adressaten ohne Rücksicht auf dessen Fassungsvermögen global die Kenntnis der einschlägigen Rechtsgesetze verlangt wird. Deshalb muß der Gesetzgeber zunächst inhaltlich und gesetzgebungstechnisch gute Gesetze erlassen, ehe er die umfassende Rechtskenntnis i n bezug auf ein Sondergebiet verlangen darf. 8. Einen besonderen Kundmachungseffekt hat die Rechtsbelehrung. Unsere Rechtsordnung verwendet sie jedoch bei weitem nicht so häufig, wie es von einer adressatengerechten Gesetzgebung erwartet werden kann, und da dieser Mangel teilweise ideologische und irrationale U r sachen hat, ist es angebracht, die Rechtsbelehrung ausführlich zu betrachten. Von einer Rechtsbelehrung soll hier immer dann gesprochen werden, wenn ein Tatbestand mit der aktuellen Kundmachung seiner Voraussetzung(en) oder Folge(n) gegenüber dem Betroffenen i n der Weise gekoppelt wird, daß die Rechtsfolge ohne die Kundmachung ausbleibt oder doch nur unter erschwerten Bedingungen eintritt. Das bedeutet: der Rechtsgenosse erfährt seine Rechte oder Pflichten anläßlich eines konkreten, ihn berührenden Falles. Wer meint, „ius vigilantibus scriptum", müßte auf diese Mehrarbeit verzichten wollen, weil nur das wiederholt wird, was ohnehin schon i m Gesetz steht. Diese rigorose und zugleich überhebliche Ansicht kann jedoch niemand teilen, der zugleich allgemeine Gerechtigkeit und Effektivität der Rechtsordnung erreichen möchte. Nur wer m i t der Gesetzesverkündung eine allgemeine Kundmachung fingiert, 164
Vgl. §§ 46 Abs. 2,48 Abs. 5 Handwerksordnung.
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
kann Rechtsbelehrungen als überflüssig bezeichnen. Diese Fiktion ist indessen schon i m Laufe der Diskussion über den wahren Adressaten der Rechtsnorm erfolgreich bekämpft worden, und heute läßt sich nur noch feststellen, daß sogar der Gesetzgeber durch das Vorschreiben der Rechtsbelehrungen den Unterschied zwischen Verkündung und Publizität der Rechtsgesetze immer häufiger beachtet. Je nachdem, wer i m konkreten Falle zur Rechtsbelehrung verpflichtet ist, kann man behördliche u n d private Rechtsbelehrungen unterscheiden.
Die behördliche Rechtsbelehrung erscheint i n der Regel als Rechtsmittelbelehrung 1 6 5 . Vorschriften wie § 115 Abs. 3 Satz 1 Strafprozeßordnung, wonach der Beschuldigte auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen ist, sind verhältnismäßig selten. Die erste Rechtsmittelbelehrung wurde — soweit ersichtlich — i n § 211 Abs. 2 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 166 vorgeschrieben. Dieses Beispiel ist i n der Folgezeit immer häufiger beachtet worden, und heute gilt die Rechtsmittelbelehrung auf manchen Gebieten als Erfordernis der Rechtsstaatlichkeit. So heißt es i n der amtlichen Begründung zu § 35 a Strafprozeßordnung: „Es ist daher ein rechtsstaatliches Erfordernis, daß der Betroffene bei der Bekanntmachung... aller gerichtlichen Entscheidungen, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden können, entsprechend belehrt wird 1 8 7 ."
Obwohl hier nur von gerichtlichen Beschlüssen die Rede ist und nicht, wie zu wünschen wäre, von allen anfechtbaren schriftlichen Entscheidungen einer Behörde, entspricht diese Ansicht keineswegs der allgemeinen 185 Die folgende Zusammenstellung gibt einen Uberblick über die Verbreitung der Rechtsmittelbelehrung: §§ 9 Abs. 4 und 59 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz; § 154 Bundesbaugesetz; § 195 Abs. 2 Nr. 3 Bundesentschädigungsgesetz; § 36 Abs. 5 Satz 2 Bundesleistungsgesetz; § 65 Abs. 1 Satz 2 Ersatzdienstgesetz; § 18 Nr. 1 Satz 1 Gaststättengesetz; §§ 20 Satz 2 und 3 und 21 Satz 2 und 3 Grundstücksverkehrsgesetz; § 5 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz; § 48 Abs. 1 Satz 4 Landbeschaffungsgesetz; § 332 Abs. 1 Satz 2 Lastenausgleichsgesetz (Verweisung auf diese Bestimmung durch § 36 Abs. 3 Feststellungsgesetz) ; § 14 Abs. 4 Mieterschutzgesetz; § 34 Abs. 2 Patentgesetz; § 15 Abs. 1 Satz 1 Personalbeförderungsgesetz; § 48 Satz 2 Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz (§ 44 Abs. 2 dieses Gesetzes schrieb noch keine Rechtsmittelbelehrung bei schriftlichen Verfügungen vor; anders jetzt § 44 Abs. 2 des in Nordrhein-Westfalen geltenden Polizeiverwaltungsgesetzes); §§ 211 Abs. 1 Satz 2 und 237 Reichsabgabenordnung; §§ 1590 Satz 1 und 1631 Abs. 4 Satz 1 Reichsversicherungsordnung ; § 136 Abs. 1 Nr. 7 Sozialgerichtsgesetz; §§ 35a, 115 Abs. 4, 115a Abs. 3 Satz 2, 171 Satz 2, 172 Abs. 2 Satz 2 und 409 Abs. 1 Strafprozeßordnung; §§ 58, 59 und 117 Abs. 2 Nr. 6 Verwaltungsgerichtsordnung; § 187 Erste Wasserverbandsverordnung; § 12 Abs. 1 Satz 4 Wehrbeschwerdeordnung; § 25 Abs. 3 Satz 4 Wehrdisziplinarordnung; §§ 26 Abs. 6 Satz 2 und 33 Abs. 9 Wehrpflichtgesetz; § 57 Abs. 1 Satz 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen; § 692 Satz 1 Zivilprozeßordnung. 166 RGBl. I S. 1993 ff. (S. 2045). 167 Amtliche Begründung des Strafrechtsbereinigungsgesetzes vom 4. 8.1953, Bundestagsdrucksache 1/3713, S. 46.
§ 1 . Das Prinzip der
machung
105
Meinung. Die stattliche Zahl der gesetzlichen Rechtsmittelbelehrungen 165 darf nicht darüber täuschen, daß bei weitem nicht alle dafür i n Frage kommenden Gesetze Rechtsmittelbelehrungen vorschreiben, und es ist anzunehmen, daß auch i n Zukunft dieser Zustand nicht restlos beseitigt werden wird. Der wichtigste Grund zu dieser Annahme liegt i n der wenigstens fahrlässigen Verkennung des Gerechtigkeitsgehalts und zugleich der Nützlichkeit einer adressatengerechten Publikation. Es lohnt sich, diese Feststellung exemplarisch zu belegen; vielleicht führt nämlich die Aufdeckung der Gründe dazu, daß die zukünftige Entwicklung nicht so verläuft, wie es eben angenommen worden ist. I m „Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Z i v i l gerichtsbarkeit" aus dem Jahre 1961 heißt es: „Die Einführung einer Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung im Zivilprozeß hält die Kommission nicht für erforderlich. Sind die Parteien — wie es überwiegend der Fall ist — durch Anwälte vertreten, so ist die Belehrung sicher entbehrlich. Parteien ohne Anwälte haben die Möglichkeit, sich auf der Geschäftsstelle des Gerichts zu informieren. Vor der Berufung gegen ein Urteil des Amtsrichters müssen sie sich ohnedies durch einen Anwalt beraten lassen 188 ."
Diese Stellungnahme ist von Hanswerner Müller zu Recht als „viel zu engherzig" 169 bezeichnet worden. Zugleich verrät der Passus aber auch eine kaum verständliche Selbstzufriedenheit: es w i r d nicht einmal der Versuch unternommen, wenigstens das M i n i m u m an Rechtsbelehrung, das die Rechtsmittelbelehrung darstellt, zu gewähren. Der vorgeschlagene Gang zur Geschäftsstelle demonstriert eine Grundhaltung, die hier nicht angenommen werden kann: der Adressat soll der Kundmachung seiner Rechte nachgehen, statt daß ihm darüber zusammen mit dem behördlichen A k t Bescheid gegeben wird. Einen weiteren stichhaltigen Einwand erhebt Müller, wenn er ausführt: „Wenn eine Partei eine Anfechtung der Entscheidung ernstlich beabsichtigt, mag ihr der Gang zur Gerichtsgeschäftsstelle oder die Beratung durch einen Anwalt zuzumuten sein, um Einzelheiten des Verfahrens und das durch die Anfechtung einzugehende Kostenwagnis zu erfahren; hier aber handelt es sich darum, die Partei überhaupt darauf aufmerksam zu machen, ob, gegebenenfalls welches Rechtsmittel gegeben ist. Überdies macht der Umstand, daß eine Partei bereits aus eigenem Entschluß, angeordnetermaßen oder auf Grund Gesetzeszwanges durch einen Anwalt vertreten ist, eine Rechtsmittelbelehrung keineswegs überflüssig. Von jedem Anwalt Kenntnis sämtlicher Rechtsbehelf svorschriften zu erwarten, ist ein Überfordern; kein beamteter Jurist kennt sie sämtlich 169 ."
Die Einführung der Rechtsmittelbelehrung in den Zivilprozeß ist genauso ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit wie i m Falle des Strafprozesses. Wenn § 35 a Strafprozeßordnung auch bei geringfügigen Geldstrafen 168 189
Reform der Zivilgerichtsbarkeit, S. 258. Müller, S. 1890.
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3. Kap. : Das Adressatenproblem
eine Rechtsmittelbelehrung vorschreibt, dann gibt es keinen akzeptablen Grund dafür, bei der Entmündigung auf eine solche Vorschrift zu verzichten 170 . I n bezug auf das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vertrat die genannte Kommission einen anderen Standpunkt 1 7 1 , und zwar deshalb, weil auf diesem Gebiete zu beobachten sei, daß aus Rechtsunkenntnis befristete Beschwerden vielfach verspätet und das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde häufig nicht i n einer den §§ 29 FGG, 80 GBO entsprechenden Form erhoben würden; Ursache dieser „unerquicklichen Lage" 1 7 2 sei das Fehlen der Rechtsmittelbelehrung i n Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit 1 7 2 . Diese begrüßenswerte Entscheidung ist jedoch nicht einstimmig gefallen: „Eine Minderheit der Kommission lehnt die Einführung der Rechtsmittelbelehrung in der freiwilligen Gerichtsbarkeit ab. Sie macht geltend, der Richterspruch solle doch so viel Autorität genießen, daß nicht gleich auf die Möglichkeit der Anfechtung hingewiesen zu werden brauche. Dem Betroffenen könne zugemutet werden, sich selbst über die Möglichkeit und die formellen Voraussetzungen der Anfechtung zu unterrichten. I m Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei die Zulässigkeit der Beschwerden, insbesondere die Beschwerdeberechtigung der einzelnen Beteiligten, häufig zweifelhaft; der Richter, der gezwungen sei, diese Frage zu prüfen, werde dadurch erheblich belastet 178 ."
Deutlicher kann kaum gesagt werden, was unter adressatengerechter Gesetzgebung nicht zu verstehen ist. Wer von der Rechtsmittelbelehrung eine Beeinträchtigung der Richterautorität befürchtet, beweist sein Mißverständnis rechtsstaatlicher Institutionen (ζ. B. des Instanzenzuges) und verrät außerdem, daß nur eine Scheinautorität gesucht wird, die i m Unterschied zur wahren Autorität nicht kraft ihrer Argumente, ihrer Richtigkeit und Vernünftigkeit besteht, sondern nur solange zu existieren vermag, als kein (noch so schwacher) Widerspruch erhoben wird. Gerade dann, wenn allein schon der Hinweis auf die Möglichkeit eines Widerspruches aus Gründen der Autorität abgelehnt wird, ist bewiesen, daß die Rechtsmitelbelehrung nicht entbehrt werden kann. Desgleichen ist der Hinweis auf die Schwierigkeiten, die i n der Feststellung der Anfechtungsvoraussetzungen liegen, gerade kein Argument für den Verzicht auf eine entsprechende Belehrung. Wenn sie schon für den geschulten Juristen nicht einfach ist, dann hat der betroffene Laie ein u m so größeres Interesse an einer Aufklärung 1 7 4 . Im Interesse des Adressaten sollte der 170 Dieser Vergleich stammt von Friese (S. 660) ; er hat die Kommission nicht überzeugt. 171 So auch schon Keidel, S. 174 f. 172 Reform der Zivilgerichtsbarkeit, S. 384. 173 Reform der Zivilgerichtsbarkeit, S. 385. 174 So auch die Mehrheit der Kommission (Reform der Zivilgerichtsbarkeit, S. 385).
§ 1 . Das Prinzip der
Gesetzgeber Verwaltungsbehörden mittelbelehrung verpflichten 175.
machung
107
und Gerichte allgemein zur Rechts-
Neben der behördlichen Rechtsbelehrung gibt es heute auch zahlreiche Fälle der privaten Rechtsbelehrung. Auch sie sollten, wenn auch nicht generell, so doch häufiger als bisher vorgeschrieben werden, und zwar immer dann, wenn erfahrungsgemäß feststeht oder vorausgesehen werden kann, daß ein erheblicher Teil der betroffenen Adressaten rechtsunkundig ist und deshalb m i t großer Wahrscheinlichkeit benachteiligt wird. Die folgenden vier Beispiele mögen zeigen, daß diese Forderung sinnvoll ist, bzw. i n welchen Fällen sie sinnvoll sein kann. Gemäß § 564 a Abs. 2 BGB soll der Vermieter von Wohnraum nach einer (schriftlichen) Kündigung den Mieter auf die Möglichkeit des Widerspruches sowie auf die Form und die Frist des Widerspruches rechtzeitig hinweisen. Versäumt der Vermieter diesen Hinweis, so kann der Mieter nach der zwingenden 1 7 6 Vorschrift des § 556 a Abs. 6 Satz 2 BGB den Widerspruch i m ersten Termin des Räumungsrechtsstreits auch dann noch erklären, wenn die (zweimonatige) Frist nicht mehr eingehalten werden kann. Als zweites Beispiel sei der Leitsatz 1 des Urteils BGHZ 47, 207 zitiert: „Beim finanzierten Abzahlungskauf genügt die Bank (Darlehensgeber) ihrer vertraglichen Pflicht, den Käufer (Darlehnsnehmer) über die rechtlichen Folgen aufzuklären, die sich aus der Einschaltung eines Finanzierungsinstituts ergeben können, und vor einer Empfangsbestätigung im voraus zu warnen (BGHZ 33, 293), nicht durch eine formularmäßige Ausschlußklausel des Inhalts, die Darlehnssumme werde an den Verkäufer ohne Prüfung der ordnungsmäßigen Lieferung gezahlt und Einwendungen aus dem Kaufvertrag seien gegenüber dem Darlehnsgeber ausgeschlossen; sie hat vielmehr den Käufer (Darlehnsnehmer) unmißverständlich und unübersehbar darauf hinzuweisen, daß er zur Rückzahlung des Darlehns verpflichtet bleiben soll, selbst wenn der Kauf gegenständ nicht oder nicht ordnungsgemäß geliefert worden ist 177 ."
I m selben Bande der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes i n Z i v i l sachen findet sich ein drittes Beispiel privater Rechtsbelehrung 178 . Anläßlich eines Vereinsausschlusses und eines satzungsrechtlich geregelten Rechtsmittelverlustes wurde entschieden, daß die Mitglieder, wenn sie die Satzung kennen, i n der Lage sein müssen, sich zu entscheiden, ob sie eine Rechtsmittelfrist ungenutzt verstreichen lassen wollen oder nicht. Das 175 I m gleichen Sinne: Friese, S. 660, und Müller, S. 1890. — Vgl. auch Bull, S. 126, wo aus diesem Grunde die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung auf den Gebührenrechnungen der Bundespost im Fernsprech- und Fernschreibdienst eingehend kritisiert wird. 176 § 556 a Abs. 7 BGB. 177 I m gleichen Sinne schon B G H Z 33, 293 (299) und die mit diesem Urteil am selben Tag gefällten Entscheidungen B G H Z 47, 217 (223) und 47, 233 (239). 178 B G H Z 47,172 (175 f.).
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3. Kap.: Das Adressatenproblem
aber setze voraus, daß die Satzung für jedes Mitglied auch ohne juristische Beratung deutlich erkennen läßt, daß und unter welchen Umständen Ausschließungsbeschluß und Fristablauf zum Verlust auch eines gerichtlichen Rechtsschutzes führe. Der Bundesgerichtshof verlangt also von der Satzung nicht nur eine Rechtsmittelbelehrung, sondern auch eine Rechtsfolgenbelehrung. Hier w i r d dem Adressaten der Satzung, w e i l er i n der Regel juristischer Laie ist, ein Sonderschutz gewährt. Die Frage, warum der Adressat gerade hier volle und leicht faßliche Information verlangen kann (im Gegensatz zum übrigen Rechtsleben), stellt und beantwortet das Gericht nicht. Möglicherweise hat es die großen Schwierigkeiten vermeiden wollen, die darin liegen, Vereinsmitglieder als schützenswerter einzustufen als den juristisch ungebildeten Staatsbürger, der bei gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen bestenfalls m i t einer Rechtsmittelbelehrung vorlieb nehmen muß. Wiedemann, der dieses Urteil besprochen und den Begründungsmangel kritisiert hat, ist der A u f fassung, daß eine Übersicht über die Rechtsfolgen eine kleine Rechtskraftfibel verlangen würde 1 7 9 . Die Schwierigkeit der Rechtsmaterie w i r d also wiederum 1 8 0 dazu benutzt, die Rechtsbelehrung zu beschränken, obwohl sie gerade i n diesem Falle für den Adressaten besonders wichtig ist. Schließlich sei auf den Entwurf zur Änderung des Abzahlungsgesetzes 181 hingewiesen. Nach dessen § 1 b Abs. 2 beginnt eine Widerrufsfrist erst dann zu laufen, wenn der Verkäufer dem Käufer eine schriftliche Belehrung über dessen Recht zum Widerruf ausgehändigt hat. Aus allen vier Beispielen geht hervor, daß sich Gesetzgeber und Rechtsprechung u m eine aktuelle Kundmachung des Rechts bemühen, damit auf Unkenntnis beruhende Rechtsnachteile vermieden und von Rechtskundigen nicht ausgenützt werden können. Die Kundmachung ist daher, wie zu Beginn dieses Paragraphen dargelegt wurde, eine Voraussetzung des Rechtsschutzes und zugleich ein wichtiges M i t t e l zur Erreichung der Effektivität der Rechtsordnung. Daß aber jede so kundgemachte Rechtsnorm auch die beste Form m i t dem besten Inhalt vereine, bleibt das Ziel aller guten rechtsstaatlichen Gesetzgebung und ist damit nie endende Aufgabe der Gesetzgebungslehre, zu welcher diese Arbeit einen Beitrag liefern wollte.
179
Wiedemann, S. 220. Vgl. die oben bei Anm. 173 wiedergegebene Mindermeinung der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit. 181 Bundestagsdrucksache V/2309. 180
Viertes Kapitel
Ergebnis der Untersuchung § 20. Zusammenfassende Betrachtung Ziel der vorangegangenen Untersuchungen war es, das Verhältnis zwischen dem Hechtsgesetz und dessen Adressaten i m demokratischen Rechtsstaat zu untersuchen und die Bedeutung dieses Verhältnisses für die Gesetzgebungslehre zu umreißen (§ 1). Dazu war es erforderlich, gleich zu Anfang die vieldeutigen Begriffe „Rechtsgesetz" (§ 2) und „Gesetzgeber" (§ 3) zu präzisieren und den „Normadressaten" an die Stelle des „Rechtsuntertanen" oder „Rechtsunterworfenen" zu setzen, u m für den Gesetzgebungsprozeß kein Subordinationsverhältnis zwischen Gesetzgeber und Adressat zu präjudizieren (§ 4). Sodann mußte die Diskussion über den wahren Adressaten der Rechtsnorm dargestellt und erörtert werden, die m i t Rudolf von Jhering begann und sich jahrzehntelang hingezogen hat (§§ 5—7). Es zeigte sich, daß diese Diskussion ohne die Imperativentheorie nicht möglich und auch nicht nötig gewesen wäre, denn die Imperativentheoretiker hatten den Fehler begangen, i m staatlichen Zwang das einzige A k t i v u m des Rechts zu sehen und alle Normen auf Befehle zu reduzieren. Hieraus ergaben sich zwangsläufig Schwierigkeiten bei der Begründung der Rechtspflicht des einzelnen, und zwar besonders deshalb, w e i l das Modell des Befehls teilweise i n der W i r k lichkeit beibehalten und als Motivationsversuch angesehen wurde: Gesetzesverkündung als Befehlserteilung. U m die Imperativentheorie zu retten, stützten sich die Kontrahenten zur Hauptsache entweder auf das positive Gesetz oder auf die Rechtswirklichkeit. Die Mehrheit wählte die erste Möglichkeit und gelangte zu dem Schluß, jedermann sei Adressat jeder Norm, w e i l der Gesetzgeber dies so gewollt habe. Wer das Befehlsmodell dagegen auf die Rechtswirklichkeit übertrug, beschränkte den Adressatenkreis auf diejenigen, die die Befehle verstehen konnten (so Hold von Ferneck) oder — als Beamte — befolgen mußten (so Rudolf von Jhering, Max Ernst Mayer und Julius Binder). Der bisweilen heftig geführte Streit klang ergebnislos aus. Es war den Imperativentheoretikern nicht gelungen, die Dogmatik m i t der Realität i n Einklang zu bringen. Das Urteil, das Nagler über die Auseinandersetzung zwischen Hold von Ferneck und August Thon fällte, ist bezeichnend für die ganze Diskussion: es „liegen die logischen Trümpfe i n dem
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4. Kap.: Ergebnis der Untersuchung
Duell v. Ferneck — Thon bei dem ersteren; die Wahrheit ist m i t dem letzteren" 1 . I n seinem Rückblick auf die Diskussion u m den wahren Adressaten der Rechtsnorm versuchte A r m i n Kaufmann darzulegen, daß man lediglich u m ein Scheinproblem gestritten habe (§ 7 Abschnitt 4). Eine Untersuchung seiner eigenen Beweisführung erwies jedoch, daß Kaufmann das Scheinprobhem nicht bewältigt hat. Vielmehr zeigt seine Argumentation dieselben essentialistischen Züge 2 und denselben Mangel an Harmonie zwischen Dogmatik und Realität, der i n der kritisierten Diskussion zutage gekommen war. Statt den Streitgegenstand als Scheinproblem zu bezeichnen oder gar die Diskussion fortzuführen, war es erfolgversprechender, die Imperativentheorie selbst zu untersuchen (§§ 8—10). Dabei konnte nachgewiesen werden, daß die Imperativentheorie zwar logisch nicht anfechtbar ist, daß ihr aber ein brauchbarer Wirklichkeitsbezug fehlt, weil sie den Befehl als typisches Modell der Norm versteht, obwohl er i n Wirklichkeit den Ausnahmefall einer weitestgehend heteronomen Normsetzung bildet. Die Imperativentheorie ist deshalb abzulehnen, wobei allerdings nicht bestritten werden soll, daß zum Charakter des Rechts auch ein imperativischer Zug gehört. Die Ablehnung der Imperativentheorie bedeutet nicht, daß die Rechtsnormen nur als hypothetische Urteile aufzufassen wären. Damit ginge nämlich das i n Wirklichkeit vorhandene Spannungsverhältnis zwischen Gesetzgeber (Rechtsorm) und Adressat verloren, w e i l das hypothetische Urteil kein Adressatenproblem kennt: bei Urteilen interessiert allein die Frage, ob sie wahr sind oder falsch. Demgegenüber muß den Imperativentheoretikern, weil sie den Schritt von der Logik zur Realität gewagt hatten, das Verdienst zugesprochen werden, sich m i t dem praktischen Adressatenproblem des Gesetzgebers auseinandergesetzt zu haben. Vom Boden der Imperativentheorie aus konnte dieses Problem jedoch nicht i n seiner ganzen Bedeutung erfaßt oder gar gelöst werden. Deswegen mußten neue Ansatzpunkte gesucht werden. Für den Bereich der Gesetzgebungspolitik stellte sich zunächst die Frage nach dem Kreis der Adressaten (§ 11). Dabei ergab sich, daß zwischen einem formellen und einem materiellen Adressatenkreis unterschieden werden kann. Die formelle Adresse w i r d durch den gesetzlichen Geltungsbereich bestimmt, während die materielle Adresse vom Gesetzgeber i m einzelnen Rechtsgesetz festgelegt wird, so daß i n der Auswahl des materiellen Adressatenkreises eine wichtige gesetzgebungspolitische Entscheidung liegt. 1 1
Nagler, S.336. Vgl. auch oben § 10 Abschnitt 1.
§ 20. Zusammenfassende Betrachtung
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Da Hechtsgesetze keine Naturgesetze sind, hängt ihre Verwirklichung entscheidend von der Motivation der Adressaten ab (§ 12). Der Gesetzgeber ist nicht i n der glücklich einfachen Lage, die Adressaten durch einen abstrakten Imperativ ohne weiteres zu normgemäßem Verhalten bestimmen zu können. Weder die Kenntnis der Norm noch die Einsicht i n ihre theoretisch einwandfreie Geltung vermag gesetzeskonformes Verhalten zu garantieren. Auch das gerechte und richtige Rechtsgesetz kann die gewünschte und erforderliche Befolgung der überwiegenden Mehrzahl erst erreichen, wenn es (mit Hilfe bestimmter Rechtsfolgen) motivierend w i r k t . U m sowohl den Inhalt als auch die Effektivität der Rechtsgesetze zu verbessern, sollten — soweit das möglich ist — die Adressaten schon bei der Entstehung der Gesetze m i t w i r k e n (§ 13). Eine solche M i t w i r k u n g ist heute schon weit verbreitet. Sie sollte zwar kontrolliert, nicht aber beseitigt werden, denn die M i t w i r k u n g der Adressaten beim Gesetzgebungsprozeß ist ein Anliegen des demokratischen Rechtsstaates und enthält die m i t hoher Wahrscheinlichkeit realisierbare Möglichkeit, Rechtsgesetze sachlich richtig und tatsächlich bindend werden zu lassen. Diese These läßt sich am Beispiel der technischen Normen belegen 3 . Da der Adressat i m Mittelpunkt der Rechtsverwirklichung steht, hängt das sinnvolle Funktionieren der Rechtsordnung entscheidend davon ab, daß er den Rechtsgesetzen nicht nur befehlsgemäß pariert, sondern u m die Erfüllung der Rechtsgesetze bemüht ist (§ 14). A m Beispiel des „Dienstes nach Vorschrift" konnte die Wichtigkeit mitdenkender Erfüllung durch den Adressaten bewiesen werden 4 . Der Gesetzgeber ist ohne den guten Willen der Adressaten machtlos, und zwar schon allein deswegen, weil Rechtsgesetze schnell veralten und sich allesamt „ i n unterschiedlichen Stadien der Obsolenz" 5 befinden. Auch auf dem Bereich der Gesetzgebungstechnik konnte dargelegt werden, daß das Adressatenproblem ein Problem des Gesetzgebers ist (§§15 bis 19). Die Gesetzgebungstechnik hat nämlich die Aufgabe, Rechtsgesetze so zu gestalten und zu vermitteln, daß sie mindestens für die interessierten Laien erkennbar sind. Es genügt nicht, daß die Gesetze nur von denjenigen erkannt und verstanden werden, die gesetzlich zum Vollzug der Rechtsordnung berufen sind; dieses Minimalkriterium ist genauso unzureichend wie die oft erhobene und nie präzisierte Maximalforderung, Gesetze sollten möglichst vielen oder allen verständlich sein. Stattdessen soll gute Gesetzgebungstechnik bewirken, daß alle diejenigen, die von den Gesetzen jeweils unmittelbar berührt werden und von deren 3 4 5
§ 13 Abschnitt 3. § 14 Abschnitt 3. Helfer, S. 101.
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4. Kap. : Ergebnis der Untersuchung
Gesetzeserfüllung die Gesetzeswirksamkeit abhängt, daß also die interessierten Laien und nicht nur juristisch ausgebildete Adressaten das Gesetz kennen und verstehen können. Zur Erreichung dieses Zieles stehen zahlreiche wirksame M i t t e l zur Verfügung, die sich nach vier Prinzipien ordnen lassen. Das ökonomische Prinzip (§ 16) verlangt den Gebrauch aller Mittel, die Umfang und Zahl der Gesetze verringern und auf diese Weise die geistige Beherrschbarkeit des Rechtsstoffes fördern. Zwar lassen sich aus diesem Grundsatz keine generellen Anweisungen dafür ableiten, wann legislative Sparsamkeit geboten ist und wann sie zugunsten der Verständlichkeit zurückstehen soll, aber bei Kenntnis der aufgeführten M i t t e l läßt sich — wie i m Falle des Erbschaftssteuergesetzes angedeutet 6 — i m Einzelfall eine befriedigende Lösung finden. Eine besonders wichtige Stellung n i m m t die Gesetzessprache ein (§ 17). Zwar ist man sich darüber einig, daß sie verständlich und zugleich genau sein sollte, aber an einer praktisch verwendbaren Präzisierung hat es bislang gefehlt. Dies liegt u. a. daran, daß das Ziel der Gesetzgebungstechnik — Erkennbarkeit für den interessierten Laien — nicht klar erkannt oder verfolgt worden ist. Stattdessen findet sich bisweilen sogar aus Verehrung esoterischer Regelwerke die Forderung, daß der Adressat sich m i t Ehrburcht um ein Gesetzesverständnis zu bemühen habe. Demgegenüber gelangt diese Untersuchung zu dem Ergebnis, daß die Forderung nach Verständlichkeit ein so entscheidendes Gewicht hat, daß sie i m Zweifel, aber auch nur dann, der Präzision vorgezogen werden muß. Gute Gesetzgebungstechnik ist des weiteren ohne das Prinzip der systematischen Ordnung (§ 18) nicht denkbar. Allerdings ist entscheidend, welche Systemkriterien verwendet werden, denn auch systematisch gelungene Gesetzeswerke brauchen keineswegs adressatengerecht zu sein, wie am Beispiel des Gerichtsverfassungsgesetzes zu sehen ist. Die Bemühungen der Gesetzgeber, den Rechtsstoff zu kodifizieren oder doch systematisch zu bereinigen, können erst dann als befriedigend bezeichnet werden, wenn die Systematisierung nicht nur die Erkennbarkeit für den juristisch ausgebildeten Adressaten verfolgt. Dabei wäre unter den zahlreichen Hilfsmitteln auch der Gebrauch der Präambeln zu erwägen. Schließlich muß der Gesetzgeber das Prinzip der adäquaten K u n d machung beachten (§ 19). Die Gesetzesverkündung ist keine wirkliche Publikation, weshalb es pure Fiktion wäre, anzunehmen, daß hierdurch eine allgemeine Gesetzeskenntnis vermittelt würde. Auch der Satz „error iuris nocet" hat seine ursprüngliche Bedeutung verloren: das „nocere" gilt i m Strafrecht i n den Grenzen des Verbotsirrtums zum Vorteil des Adressaten und nicht mehr zum Vorteil des staatlichen Straf anspruchs. « § 16 Abschnitt 3.
§ 21. Thesen
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Der Gesetzgeber ist sich des Unterschiedes zwischen Verkündung und wirklicher Kundmachung des Gesetzes bewußt, denn er hält Rechtsmittelbelehrungen für ein rechtsstaatliches Erfordernis. Dazu muß allerdings bemerkt werden, daß die Rechtsmittelbelehrungen (und Rechtsbelehrungen überhaupt) bei weitem nicht überall vorgeschrieben werden, wo es i m Interesse der überwiegenden Mehrheit der Adressaten hätte geschehen sollen. Dieser Zustand ist u. a. der Meinung vieler Juristen zuzuschreiben, die dem Laien eher Schwierigkeiten zumuten als sich selbst. Hier — wie i n den vielen anderen aufgezeigten Fällen — kann nicht von einer adressatengerechten Gesetzgebung gesprochen werden. Die Beachtung der folgenden Thesen (§ 21) und der Postulate an den Gesetzgeber (§ 22) scheint deshalb geeignet, die dargelegten Mängel beseitigen zu helfen. § 21. Thesen 1. Eine wirksame Rechtsordnung erfordert nicht nur normbewußte Adressaten, sondern gleichermaßen adressatenbewußte Gesetzgeber. 2. I m Gesetzgebungsprozeß darf nicht von einem Subordinationsverhältnis zwischen Gesetzgeber und Adressat ausgegangen werden. 3. Der Streit der Imperativentheoretiker über den wahren Adressaten der Rechtsnorm ist nicht entschieden worden und läßt sich wahrscheinlich auch nicht entscheiden; jedenfalls hätte ein endgültiges Ergebnis keinerlei Bedeutung für die Gesetzgebungslehre. 4. Das wichtigste und für die Gesetzgebungslehre allein bedeutende Element des Streites über den wahren Adressaten der Rechtsnorm ist das praktische Adressatenproblem. 5. Weder Behörden noch Juristen sind die einzigen Adressaten der Rechtsgesetze. 6. Die Adressaten des Rechtsgesetzes lassen sich nach formellen und materiellen Adressatenkreisen unterscheiden; die formelle Adresse w i r d durch den gesetzlichen Geltungsbereich, die materielle durch die gesetzliche Beschreibung bestimmt. 7. Die M i t w i r k u n g der Adressaten beim Gesetzgebungsprozeß ist ein Anliegen des demokratischen Rechtsstaates; sie enthält die m i t hoher Wahrscheinlichkeit realisierbare Möglichkeit, Rechtsgesetze sachlich richtig und tatsächlich bindend werden zu lassen. 8. Für eine sinnvolle Realisierung des Rechtsgesetzes genügt es nicht, daß die Adressaten i m Sinne der Imperativentheorie der Norm parieren; sie müssen die Norm erfüllen. 8 U.Krüger
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4. Kap.: Ergebnis der Untersuchung
9. Die Gesetzgebungstechnik hat die Aufgabe, Rechtsgesetze so zu gestalten und zu vermitteln, daß i h r Inhalt mindestens für die interessierten Laien erkennbar ist. 10. Die Forderung nach Verständlichkeit des Rechtsgesetzes hat ein so entscheidendes Gewicht, daß sie i m Zweifel, aber auch nur dann, der Forderung nach Präzision vorgezogen werden muß. 11. Die Gesetzeskenntnis ist nur dann ausreichend gewährleistet, wenn die Rechtsgesetze nicht nur verkündet, sondern auch kundgemacht werden; zur Kundmachung i m konkreten Fall sind behördliche und private Rechtsbelehrungen besonders geeignet. § 22. Forderungen an den Gesetzgeber 1. A l l e Rechtsgesetze sollen so gestaltet und vermittelt werden, daß sie mindestens für die interessierten Laien erkennbar sind. 2. Beim Erlaß eines jeden Rechtsgesetzes soll Klarheit über Umfang und A r t des materiellen Adressatenkreises bestehen. 3. Die materiellen Adressatenkreise sollen weiterhin an der Gesetzgebung m i t w i r k e n dürfen. 4. Rechtsgesetze sollen kontrollierte Experimente werden: ihre W i r kung ist periodisch zu prüfen und gegebenenfalls durch Änderung zu erhöhen. 5. A l l e schriftlichen Entscheidungen eines Gerichts oder einer sonstigen Behörde sollen mit einer Rechtsbelehrung versehen sein, die m i n destens Rechtsmittelbelehrung ist. 6. Die „private Rechtsbelehrung" soll — häufiger als bisher — i n all den Fällen vorgeschrieben werden, i n denen erfahrungsgemäß feststeht oder vorausgesehen werden kann, daß ein erheblicher Teil der Adressaten rechtsunkundig ist und deshalb m i t großer Wahrscheinlichkeit benachteiligt wird.
Anhang*
Auszug aus „Some Potentialities of Experimental Jurisprudence as a New Branch of Social Science" von Frederick K. Beutel The Essence of Experimental Jurisprudence A science of law based on a rigorous application of the scientific method should be devoted to the study of the phenomena of lawmaking, the effect of law upon society and the efficiency of laws in accomplishing the purposes for which they came into existence. I t is immaterial whether Experimental Jurisprudence is a branch of sociology, or whether or not all of political science, part of each of sociology, economics, philosophy and many of the other social sciences are included within its ken. The line between the "sciences", like the definition of law, is little more than a quibble which can be left to the pundits, bureaucrats and administrators; to the scientist, the nature of its subject matter, the methods which it uses and the results which it achieves, rather than its definition, are fundamental. With these preliminary observations in mind, it might be stated that the steps employed in prosecuting a method of Experimental Jurisprudence should be approximately as follows: 1. The nature of the phenomena which law attempts to regulate should be studied. I n particular, the social problem to which a specific law is directed should be carefully isolated and examined. 2. The rule of law or other method used to regulate the phenomena or intended to solve the social problem should be accurately stated. « 3. The effect on society of adopting the rule should be observed and measured. 4. There should then be constructed a hypothesis that attempts to explain the reasons for this reaction. 5. This description, when broadened to apply to other analogous situations, might be considered a jural law that describes or predicts results which would occur on application of a similar regulatory law to similar problems. 6. I f analysis shows that the law is inefficient, there could then be suggested new methods of accomplishing the originally desired result. 7. The proposed new law could be enacted and the process repeated. 8. A series of such adoptions of new laws and the study of their results might throw important light upon the usefulness of the underlying purposes behind the enactment, thus effecting a possible alteration in or abandonment of this objective, or in the long run, though this now appears doubtful, even induce a revision of our present scale of social and political èthics. Each of the steps in this process may require the skillful use of complicated machinery and techniques of observation. Some are now in existence, others w i l l have to be developed. The important thing is that scientific jurisprudence is essentially a problem-solving device (S. 18 f.).
• Siehe hierzu im Text oben § 10 Abschnitt 3. β·
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