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German Pages 563 [564] Year 2011
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von Albrecht Beutel
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Björn Slenczka
Das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557 Protestantische Konfessionspolitik und Theologie im Zusammenhang des zweiten Wormser Religionsgesprächs
Mohr Siebeck
Björn Slenczka, geboren 1971; Studium der Germanistik, Geschichtswissenschaft und Ev. Theologie in Göttingen und Tübingen; 2000 Ordination, 2000–2005 Pfarrer im Ehrenamt in Tübingen und Fulda; 2005–2008 Pfarrer in Schwalmstadt und an der MelanchthonSchule Steinatal; 2008 Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 2008 Pfarrer im Kirchspiel Hofgeismar-Gesundbrunnen.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. e-ISBN PDF 978-3-16-151065-6 ISBN 978-3-16-150100-5 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Stempel Garamond und der OdysseaU gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat die vorliegende Arbeit im Sommersemester 2008 als Dissertation angenommen. Für den Druck ist sie geringfügig überarbeitet worden. Ihr Erscheinen ist für mich hochgeschätzte Gelegenheit, den Menschen Dank zu sagen, die das Entstehen der Arbeit angeregt, begleitet und gefördert haben. Vor allen anderen danke ich Frau Professor Dr. Dorothea Wendebourg in Berlin, meiner Doktormutter. Ihre Göttinger Vorlesungen haben aus historischem Interesse Begeisterung für die Kirchen- und Theologiegeschichte werden lassen. Der stets engagierte, die Gegenwartsdimension nicht ausblendende Zugriff auf die Kirchen- und Theologiegeschichte, den ich als Tutor in Tübingen sowie in Oberseminar und Doktorandenkolloquium in Tübingen und Berlin erlebt habe, hat mein eigenes wissenschaftliches Arbeiten angeregt und beflügelt. Für das entgegengebrachte Zutrauen und die verläßliche Begleitung auch über größere geographische Distanz hinweg bin ich sehr dankbar wie auch für das Respektieren der Entscheidung für den Pfarrdienst in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Für das an der Sache interessierte Zweitgutachten bin ich Herrn Professor Dr. Siegfried Bräuer in Berlin zu Dank verpflichtet, den ich zudem am Rande des Rigorosums als einen beeindruckenden Zeugen der kirchlichen Zeitgeschichte im geteilten Deutschland kennenlernen durfte. Noch weiteren Menschen verdanke ich es, dass ich genau diese Arbeit geschrieben habe: Für die Freude an methodischer historischer Arbeit und insbesondere an Archivarbeit hat bereits Frau Dr. Margret Lemberg am Gymnasium Philippinum in Marburg die Grundlagen gelegt. In das konfessionelle Zeitalter als formative Epoche der protestantischen Kirchen- und Theologiegeschichte hat mich der Tübinger Kirchenhistoriker Professor Dr. Joachim Mehlhausen † eingeführt. Vermittelt durch Frau Professor Wendebourg bin ich von Herrn Professor Dr. Ernst Koch in Leipzig auf das Wormser Religionsgespräch als lohnenden Forschungsgegenstand aufmerksam gemacht worden. Ständiger Gesprächspartner war mein Doktorbruder, Herr Privatdozent Pfarrer Dr. Matthias A. Deuschle in Berlin. Der freundschaftliche Austausch über seine thematisch und zeitlich benachbarten Studien zur Kontroverstheologie des Johannes Brenz hat Wesentliches beigetragen zum vertieften
VI
Vorwort
Verständnis nicht nur der württembergischen Dimension des Wormser Religionsgesprächs von 1557. Herzlich danke ich ihm auch dafür, daß er die Erstfassung dieser Arbeit Korrektur gelesen hat. Wichtige Anstöße habe ich auch durch die Präsentation meiner Arbeit auf der ersten Nachwuchstagung des Vereins für Reformationsgeschichte in der Stiftung Leucorea in Wittenberg unter Leitung von Herrn Professor Dr. Kaspar von Greyerz und Herrn Professor Dr. Thomas Kaufmann bekommen. In allen aufgesuchten Archiven und Bibliotheken habe ich kompetente Unterstützung von seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfahren, wofür ich mich ebenso bedanke wie auch für die Beherbergung bei Bekannten und Freunden während der Archivreisen. Herrn Professor Dr. Albrecht Beutel danke ich für die Aufnahme der Arbeit in seine Reihe. Die Langmut des Hauses Mohr Siebeck wurde vom dienstlich und familiär eingespannten Autor ziemlich strapaziert. Stellvertretend danke ich Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Herrn Matthias Spitzner für die dennoch stets freundliche Betreuung der Druckvorbereitung und die überaus kompetente Arbeit des Verlages. Dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort gilt mein Dank für seinen beträchtlichen Druckkostenzuschuß. Das Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes hat es mir ermöglicht, frei von äußeren Verpflichtungen an die Arbeit zu gehen, wofür ich sehr dankbar bin wie auch für die Anregungen und Begegnungen im Rahmen des Doktorandenforums der Studienstiftung. Als Gewinn habe ich es empfunden, daß meine Landeskirche mir durch die Ordination ins Ehrenamt die Möglichkeit gegeben hat, auch während der ersten Promotionsjahre mit dem Pfarrdienst verbunden zu bleiben. Hätte mir vor Beginn der ersten Recherchen jemand gesagt, wie lange ich bis hin zur Drucklegung mit dem Wormser Religionsgespräch befaßt sein würde, so hätte ich das nicht für möglich gehalten. Es liegt zum einen am Umfang des Gegenstands der Arbeit, für die allein weit über zehntausend Seiten ungedruckter handschriftlicher Archivalien in neun verschiedenen Archiven gesichtet werden mußten. Zum anderen liegt es daran, daß die Zeit der Erarbeitung und Veröffentlichung dieser Studie auch davon geprägt gewesen ist, daß ich an der Betreuung unserer Kinder Leopold, Theodor und Henriette stark beteiligt sein konnte und ehrenamtlich und in Stellenteilung als Pfarrer tätig gewesen bin. Es waren anstrengende, aber gerade auch in der Verbindung von Wissenschaft, Pfarrberuf und Familie sehr reiche Jahre. Ermöglicht hat das als unser Lebensprojekt dieser Jahre das wunderbare Zusammenwirken mit meiner Frau, Pfarrerin Dr. Alwine Slenczka. Unermüdlich unterstützt haben uns dabei meine Eltern, Roswitha und Martin Slenczka, und ebenso auch meine Schwiegereltern, Barbara und Professor Dr. Wolfgang Blomeyer †. Die Genannten wissen, wie groß meine Dankbarkeit ist.
Vorwort
VII
Schismen sind selten Ruhmesblätter in der Geschichte der Kirche. Die Beschäftigung mit dem Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557 habe ich jedoch als sehr lohnend erlebt – nicht nur wegen des Erkenntnisgewinns im Blick auf die theologie- und kirchengeschichtlichen Entwicklungen nach dem Augsburger Religionsfrieden, sondern auch wegen der großen Ernsthaftigkeit, mit der von allen Seiten in Worms die Auseinandersetzungen um die Wahrheit des Glaubens geführt worden sind. Möge sich davon auch den Leserinnen und Lesern dieses Buches etwas vermitteln. Hofgeismar, am Reformationstag 2010
Björn Slenczka
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
I. Einleitung 1. Gegenstand und Anlage der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Zum Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
3. Zur Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.1 Quellen zum Wormser Religionsgespräch nach Gruppen . . . . . . . . 3.1.1 Offizielle Akten des Reichsreligionsgesprächs . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Amtliche Korrespondenzen zwischen den Gesprächsteilnehmern in Worms und den entsendenden Ständen . . . . . 3.1.3 Diplomatischer Schriftverkehr zwischen den Fürsten . . . . . . 3.1.4 Persönliche Korrespondenzen der Gesprächsteilnehmer . . . . 3.1.5 Spätere Berichte von Gesprächsteilnehmern . . . . . . . . . . . . . .
15 15
3.2 Quellen zur Konfessionspolitik und Theologie im Vorfeld des Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 18 18 19
3.5 Quellenkritische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 21 24 25
4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit . . . . . . . . . . .
27
4.1 Zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Gnesiolutheraner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 29 36
3.3 Zum Stand der editorischen Erschließung der Quellen . . . . . . . . . . 3.4 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Zur Zitierweise und zur Gestaltung der Anmerkungen . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
II. Darstellung 1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57 und die Ansätze einer gemeinsamen Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Reichsrechtliche Rahmenbedingungen: Der Regensburger Reichstag von 1556/57 und die Religionsartikel des Reichsabschieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Das Ringen um die Religionsverhandlungen auf dem Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Verständigung im Religionsausschuß auf ein Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die Religionsartikel als Grundordnung des künftigen Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3.1 Die Form des Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3.2 Ordnung und Procedere des Religionsgesprächs . . . . . 1.2 Zunehmende Formalisierung: Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Das Novum eines Nebenabschieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die schrittweise Konstituierung eines protestantischen Konfessionrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Heikles Manifest einer gemeinsamen Konfessionspolitik: Der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten . . . . 1.3.1 Gliederung und Einleitung des Nebenabschieds . . . . . . . . . . . 1.3.2 Bekenntnisverpflichtung in Affirmation und Negation . . . . . 1.3.3 Vorkonvent und Schmalkaldische Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Kurpfälzische Handschrift mit ernestinischem Einschlag . . . . 1.3.5 Württembergische Skepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die Auswahlliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Von der Auswahlliste zum Verzeichnis der Nominierten . . . . 1.4.2.1 Das Prinzip der regionalen und ständischen Ausgewogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.2 Herzog Christophs Vorbehalte und die kurpfälzische Vorschlagsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.3 Die Vorstellungen Melanchthons und Brenz’ . . . . . . . 1.4.3 Die Nominierten und ihre Nominierung im Überblick . . . . .
40
40 40 46 48 48 49 55 55 57 64 64 66 69 71 75 77 78 81 81 83 86 89
Inhaltsverzeichnis
2. Die Aufstellung von Instruktionen im Ringen um eine gemeinsame Konfessionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung auf das Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Herzog Christophs Agenda für die Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Das ‚Bedenken über die Einigkeit‘ als Programmschrift der württembergischen Konfessionspolitik . . . 2.1.1.2 Christophs Einschätzung der Lage und sein Ziel . . . . 2.1.1.3 Lehrstreitigkeiten und die Idee eines ‚certus methodus docendi‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.4 Mißstände des kirchlichen Lebens und die Frage eines ‚certus ordo‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Das Feldzeichen der Einigkeit: Christophs Kirchenbegriff in der Zuordnung von Lehre und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.5 Christophs Konventsprojekt als zentrales Element seiner Konfessionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Südwestdeutsche Partikularverständigung: Der Frankfurter Konvent und sein Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Der Weg zum Frankfurter Konvent . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Die Teilnehmer des Konvents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Die Verhandlungen und Beschlüsse des Konvents im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.4 Die Bekenntnisverpflichtung in den Konventsbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.5 Die Abgrenzung gegenüber abweichenden Lehrmeinungen in den Konventsbeschlüssen . . . . . . . . . . . 2.1.2.6 Konventsbeschlüsse zu weiterreichenden Verständigungsbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.7 Das Ergebnis des Frankfurter Konvents . . . . . . . . . . .
XI
94 94 94 95 98 100 102 106 110 113 113 117 120 121 126
130 134 2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen 138 2.2.1 Verpflichtung auf den Regensburger Nebenabschied: Die Weimarer Instruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Das Profil der Instruktion nach ihren Beilagen . . . . . . 2.2.1.2 Die conditio sine qua non für eine Beteiligung am Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Die Vorgaben für das Religionsgespräch selbst . . . . . . 2.2.1.4 Exklusion versus Inklusion: Das konfessionspolitische Profil der Weimarer Instruktion im Vergleich mit dem Frankfurter Abschied . . . . . . . . . . . 2.2.1.5 Flacius’ Privatgutachten vom 23. Juli und die Weimarer Instruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 139 143 147 148 150
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Inhaltsverzeichnis
2.2.2 Weite Spielräume: Das kursächsische Memorial . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Schleppender Beginn der Vorbereitungen in Kursachsen und verzögerter Aufbruch . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2 Das ‚Memorial an die Verordneten‘ vom 11. August . . 2.2.2.3 Das Profil des Memorials und die Autorität Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 153 158
160 2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg . . . . . . . . . . . 162 2.3.1 Intervention des großen Unbekannten: Die preußische Gesandtschaft in Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Anlaß und Auftrag der Gesandtschaft . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Gerschau in Frankfurt und das Scheitern einer direkten preußischen Beteiligung am Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.3 Die Unterhandlungen in Württemberg . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Festlegung aus Prinzip: Das württembergische ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Verbindliche Maßgabe für die württembergischen Deputierten in Worms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2 Die Argumentation des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.3 Die Fundierung des Gutachtens im Prinzipiellen . . . .
162 163 171 176 185 186 187 192
3. Informelle Vorbereitungen in Worms als Bewährungsprobe für die Einigkeit der Konfessionsverwandten . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3.1 Das Eintreffen der ersten Teilnehmer in Worms und das Ausbleiben der Fürsten und der Kursachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Die Situation in Worms Anfang August . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Situation bis Mitte August und das weitere Ausbleiben der Kursachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die Fürsten in Nähe und Distanz zum Geschehen in Worms
199 199
201 204 3.2 Polarisierung der Deputierten Augsburgischer Konfession . . . . . . 209 3.2.1 Aktivitäten der ernestinischen Deputierten und ihres Protagonisten Monner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3.2.2 Polarisierung und Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.2.3 Ausritte und eine Dienstreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.3 Fürsten im Bade: Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich dem Mittleren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3.3.1 Interventionen Herzog Christophs und Pfalzgraf Wolfgangs 222 3.3.2 Die herzoglich-sächsische Gegenposition und der Ausgang der Korrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3.4 „Große Noth“: Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Inhaltsverzeichnis
XIII
3.4.1 „Den Wolf bei den Ohren halten“: Die Not der ernestinischen Deputierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3.4.2 Johann Friedrichs Präferenz für die secessio . . . . . . . . . . . . . . 237 3.4.3 Die Weimarer Synode vom 6. September . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons und der kursächsischen Deputierten . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Die Ankunft Melanchthons und seiner Begleiter . . . . . . . . . . 3.5.2 Formierung zweier Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Rangstreit zwischen Kurpfalz und Kursachsen . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Gnesiolutherischer Vorstoß in Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.5 Veränderungen in der Zusammensetzung der evangelischen Deputierten gegenüber der Regensburger Nominierung . . . . 3.6 ‚Zwischen Schisma und Heuchelei‘: Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Zur Spezifizierung der Verwerfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1.1 Verwerfungen in specie versus Verwerfungen in genere 3.6.1.2 Die ekklesiologische Dimension der Verwerfungen . . 3.6.1.3 Spezifizierte Verwerfungen und Personalkondemnationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1.4 Das Problem einer namentlichen Verwerfung Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Tempus condemnandi: Zum Zeitpunkt der Verwerfungen . . . 3.6.3 Zur Reichweite und zum Verfahren der Verwerfungen . . . . . 3.6.4 Abwägung der Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.5 „Fiat iustitia & pereat mundus.“ Die Konklusion des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
244 245 247 250 256 258 260 262 262 264 265 266 270 272 275 276
4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der formellen Vorberatungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4.1 Drama in vier Akten: Formelle Vorberatungen am 5. September . . 4.1.1 Vorspiel und erster Akt: Geschäftsordungsfragen und ernestinische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Zweiter Akt: Beratung hinter verschlossenen Türen . . . . . . . . 4.1.3 Dritter Akt: Melanchthons Entgegnung auf die ernestinischen Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Vierter Akt: Bescheid der politischen Räte, ernestinische Replik und Abbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Intermezzo: Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel 4.2.1 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Der erste Vermittlungsversuch der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ . 4.2.3 Die Konsensartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Die Aufnahme der Konsensartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 280 285 287 294 298 299 302 306 316
XIV
Inhaltsverzeichnis
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten . . . . . . . . . 4.3.1 Der Grund für Monners Flucht aus Worms . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Zeitpunkt und Ziel von Monners Abgang aus Worms . . . . . . 4.3.3 Die Auswirkungen von Monners Abgang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Bewegung zwischen den Fronten: Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Der kurpfälzische Leitungsanspruch und seine Grenzen . . . . 4.4.2 Erste direkte Auseinandersetzung zwischen den Theologen in formellem Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.1 Schnepfs Provokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.2 Melanchthons Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.3 Brenz’ Entgegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.4 Stellungnahmen weiterer Theologen und Mörlins Attacke gegen die Württemberger . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.5 Andreaes Replik und seine spätere Apologie . . . . . . . . 4.4.2.6 Melanchthons Rede in der Schlußphase der Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Der Ausgang der Verhandlungen des 9. September . . . . . . . . 4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute . . 4.5.1 Strigels Kompromißvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Die ‚Formula subscriptionis‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Die Aufnahme der ‚Formula subscriptionis‘ . . . . . . . . . . . . . .
318 320 325 330 332 333 337 337 339 341 347 348 352 356 356 357 361 364
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 5.1 Ringen um ein Moratorium während der ersten Sitzungen des Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Ernestinische Intervention nach der Eröffnungssitzung . . . . . 5.1.2 Der Bescheid der politischen Räte und die gnesiolutherischen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Weitere Zugeständnisse und Protestationsvorbehalt: Vermeintliches Einvernehmen über ein Moratorium . . . . . . . 5.1.4 Gefährdung, Erneuerung und Präzisierung des Moratoriums 5.1.5 Bestätigung und Modifikation des Moratoriums durch die ‚Badener Instruktion‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Tempus confessionis: Der Eklat vom 20. September und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Die römisch-katholische Provokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Evangelische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Die ‚Forma protestationis‘ als Dokument maximaler Annäherung zwischen Melanchthon und den gnesiolutherischen Deputierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367 368 370 375 385 398 406 406 409 411
Inhaltsverzeichnis
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß . . . . . . 5.3.1 Plenarbesprechung der evangelischen Deputierten am Vormittag des 22. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Separatbesprechungen der politischen Räte und des Grafen Eberstein mit den gnesiolutherischen Deputierten an Vorund Nachmittag des 22. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Der Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten . . . . . . . .
XV 419 420
427 430 5.4 Versuche der Schadensbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 5.4.1 Vermittlungsbemühungen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ . . . . 433 5.4.2 Die Appellation der gnesiolutherischen Deputierten an den Präsidenten und ihre Bekenntnis- und Verwerfungserklärung 436 5.4.3 Präsidiale Intervention und Dissens zwischen den evangelischen politischen Räten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 5.4.4 Die Einbeziehung der Fürsten und das Treffen von Friedrichsbühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 5.5 Die Sezession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Strigel in Meisenheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Der Abzug der gnesiolutherischen Deputierten . . . . . . . . . . . Exkurs: Die ‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September und ihr Schicksal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
451 452 457 462
III. Auswertung und Ausblick 1. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten . . . . . . . . . . . 480 2.1 Der tatsächliche Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Wormser Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Frage einer Teilnahme des Flacius am Wormser Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Flacius’ angebliche Anwesenheit in der Nähe von Worms . . . 2.1.3 Flacius’ Versuche der Einflußnahme auf das Wormser Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
481 483 484 486
2.2 Die gnesiolutherischen Deputierten und der Primat der theologischen Überzeugung vor der konfessionspolitischen Opportunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 2.3 Brenz’ Verhalten und der Einfluß Preußens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
XVI
Inhaltsverzeichnis
3. Der öffentliche Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten als Schisma und seine Auswirkungen . . . . . . . . . . . . 504 3.1 Zur Kennzeichnung des Bruchs als Schisma . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 3.2 Auswirkungen des Wormser Schismas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 3.2.1 Der doppelte Ausgang des Wormser Religionsgesprächs für die Augsburger Konfessionsverwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 3.2.2 Externe Auswirkungen des Wormser Schismas . . . . . . . . . . . 508 3.3 Die Bedeutung des Bruchs als Schisma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Anhang Anhang 1: Tableau der Teilnehmer am Reichsreligionsgespräch . . . . . . . . 511 Anhang 2: Die Teilnehmer an den internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten und die aus dem Hintergrund mitwirkenden Fürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
Literaturverzeichnis 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gedruckte Quellen (Alte Drucke und moderne Editionen) . . . . . . . 2. Hilfsmittel und Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
515 515 516 518 518
Register 1. Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Orte und Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Historische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spätere Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sachen und Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
527 527 530 536 537
Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen folgen, soweit hier nicht anders oder zusätzlich angegeben, Siegfried M. Schwertner, TRE Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New York 21994. Die Abkürzungen der Archive und die Archivsignaturen sind dem Verzeichnis der ungedruckten Quellen zu entnehmen; zu den in abgekürzter Form zitierten Hauptquellen vgl. Abschnitt 4.2 der Einleitung. A.C. ApolCA ARF Art. ArtSm Bd. Beil. Bf. Bl. BSELK Bü. ca. CA CS CV CV deutsch d. Ä. ders. dens. dies. d. J. d. M. DNP EGA f. Fasz. fol. FS Fst. Gf. Gr. Noth
1
Augsburgische Confession Apologie der CA Augsburger Religionsfriede Artikel Schmalkaldische Artikel Band Beilage Bischof Blatt Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche1 Büschel circa Confessio Augustana Confessio Saxonica Confessio Virtembergica deutsche Fassung der Confessio Virtembergica. der Ältere derselbe denselben dieselben der Jüngere der Mittlere Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike2 Ernestinisches Gesamtarchiv folgende /r Faszikel folio Festschrift Fürst Graf ‚Große Noth‘: Kurztitel für das Schreiben Monners, Schnepf, Strigels und Stössels an Herzog Johann Friedrich den Mittleren, Worm 21. August 1557 (CR 9, Sp. 236–241, Nr. 6316)3
Vgl. das Verzeichnis der gedruckten Quellen. Vgl. das Verzeichnis der Hilfsmittel. 3 Vgl. in Abschnitt 3.4 der Darstellung Anm. 178. 2
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
Hg. hg. v. Hzg. i. e. K. Kfst. Kg. Ldgf. lg. MBW MBW.R Mkgf. NA Neubearb. N. N. NSamml. III
Herausgeber herausgegeben von Herzog id est Kasten Kurfürst König Landgraf legendum Melanchthons Briefwechsel4 Melanchthons Briefwechsel, Regestenwerk5 Markgraf Nebenabschied Neubearbeitung nomen nescio Neue und vollst ndigere Sammlung der Reichs=Abschiede […], Dritter Theil6 Nr. Nummer o. oben o. D. ohne Datumsangabe o. O. ohne Ortsangabe Pkt. Punkt r recto RA Reichsabschied S. Seite Sp. Spalte s. v. sub voce unfol. unfoliiert u. ö. und öfter v verso v. von Verwerf.-Gtn. ‚Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten vom 29. August‘7 VD 16 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts8 Vg. Vulgata vgl. vergleiche Vol. Volumen, i. e. Band Weim. Instr. Weimarer Instruktion9 Württ. Gtn. Württembergisches Gutachten über Verwerfungen in Worms10 ZHF Zeitschrift für historische Forschung § Artikel11
4 Zum Verweis auf die Nummern in der Edition von Melanchthons Briefwechsel gebraucht. 5 Zum Verweis auf die Regestenbände der Edition von Melanchthons Briefwechsel gebraucht. 6 Vgl. das Verzeichnis der gedruckten Quellen. 7 Vgl. Abschnitt 3.6 Anm. 311. 8 Vgl. das Verzeichnis der Hilfsmittel. 9 Vgl. Abschnitt 2.2.1 der Darstellung Anm. 195. 10 Vgl. Abschnitt 2.3.2 der Darstellung Anm. 401. 11 Zur Angabe von Artikeln der Reichsabschiede in den Fußnoten gebraucht.
I. Einleitung
1. Gegenstand und Anlage der Arbeit Das Wormser Religionsgespräch von 1557 ist anerkanntermaßen von herausragender Bedeutung für die Kirchen- und Theologiegeschichte wie auch für die Reichsgeschichte in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Denn es war nicht nur das erste Reichsreligionsgespräch nach Schmalkaldischem Krieg, Interim und Augsburger Friedensschluß von 1555. Vielmehr läßt sich in der Rückschau feststellen, daß es auch das letzte in der Reihe der Reichsreligionsgespräche seit dem Hagenauer von 1540 war und somit das Ende der kaiserlichen Reunionspolitik markierte. Das Wormser Religionsgespräch hatte höchsten Verfassungsrang: Indem die Reichsstände auf dem Regensburger Reichstag von 1556/57 die Abhaltung des Religionsgesprächs beschlossen, erfüllten sie den im Augsburger Reichsabschied von 25. September 1555 in Verbindung mit der Aufrichtung des Religionsfriedens festgeschriebenen Auftrag, weiterhin über geeignete Wege zur Überwindung der Religionsspaltung zu beraten und zu beschließen. Entsprechend hochrangig wurde das Religionsgespräch sowohl von den Ständen Augsburgischer Konfession als auch von den römischkatholischen Ständen beschickt. Mit Theologen wie Philipp Melanchthon, Johannes Brenz und Erhard Schnepf einerseits, dem als Präsidenten des Religionsgesprächs eingesetzten Julius Pflug, Michael Helding und Petrus Canisius andererseits trafen 1557 einige der angesehensten Vertreter der beiden Religionsparteien aufeinander: zum zweiten Wormser Religionsgespräch nach dem ersten von 1540/41, an dem einige von ihnen auch schon teilgenommen hatten. Die offiziellen Verhandlungen des zweiten Wormser Religionsgesprächs traten jedoch bald in den Hintergrund, weil schwere Auseinandersetzungen zwischen den Deputierten Augsburgischer Konfession, die schließlich sogar zum Bruch zwischen ihnen führten, alle Aufmerksamkeit auf sich zogen. Wo die Verständigung mit der römisch-katholischen Seite gesucht werden sollte, kam es zum inneren Bruch auf der Seite der Augsburger Konfessionsverwandten. Dieser vor den Augen der Reichsöffentlichkeit vollzogene Bruch wurde zum Anlaß, das Religionsgespräch selbst abzubrechen. Der Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten, zu dem es in Worms kam, hat aber auch über das Religionsgespräch hinaus große
1. Gegenstand und Anlage der Arbeit
3
Bedeutung. Das ist schon früher gesehen worden.1 Dennoch fehlt bislang eine eingehende und auf eine repräsentative Quellenbasis gestützte Untersuchung des Bruchs, die ihn aus seinen Voraussetzungen heraus erhellt und seine Brisanz zutreffend erfaßt. Eben dies zu leisten, ist das Anliegen der vorliegenden Arbeit. Aus den dazu erschlossenen Quellen ergibt sich die titelgebende Kennzeichnung des Bruchs zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten als Schisma. So konstatiert ein in Worms entstandener Bericht, präzise bezogen auf eine interne Sitzung der Deputierten Augsburgischer Konfession am Nachmittag des 22. September 1557: „Hoc modo Schisma inter nos factum est.“2 – „Auf diese Weise ist das Schisma unter uns zustandegekommen.“ Mit seiner Bewertung des in Worms erfolgten Bruchs als Schisma steht der genannte, in herzoglich-preußischen Aktenbeständen überlieferte Bericht nicht allein. Der pommersche Generalsuperintendent Jakob Runge klagte seinem Herzog: „Wir Theologi sind dieses schismatis welches on vnsern ratt vnd hofnung geschehen hart betrubt.“3 Und die herzoglich-sächsischen Deputierten zum Wormser Religionsgespräch waren sich bewußt, daß sie Gefahr liefen, als „Schismaticj / Das ist / abgetrennte / vnnd gemeiner zwitracht vrsacher / “4 beschuldigt zu werden. Die Rede vom Schisma verdeutlicht die Tragweite des Bruchs. Zerbrach doch fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Verabschiedung des Religionsfriedens, der den Augsburger Konfessionsverwandten endlich die lang ersehnte reichsrechtliche Anerkennung gebracht hatte, vor aller Augen ihre kirchliche Einigkeit. Wie es dazu kam, worin das Schisma genau bestand und wie es sich vollzog, ist der Gegenstand dieser Arbeit. Insofern es Wechselwirkungen zwischen den Auseinandersetzungen der Augsburger Konfessionsverwandten und dem offziellen Reichsreligionsgespräch gab, kommen dabei auch diese – bereits gut erschlossenen – Verhandlungen in den Blick. Um ein sachgemäßes Verständnis des Wormser Schismas zu sichern, setzt die Untersuchung schon weit vor dem Eintreffen der Deputierten in Worms ein. Denn vieles, was sich in Worms ereignete, beruhte auf Entscheidungen und Festlegungen, die bereits im Vorfeld des Religionsgesprächs von einzelnen Ständen oder Ständegruppen getroffen worden waren; die meisten Deputierten agierten aufgrund regelrechter Regieanweisungen, der binden1 So hat Ernst Koch 1980 erklärt: „Man wird die Bedeutung und die Auswirkungen des öffentlichen Bruchs zwischen den Augsburgischen Konfessionsverwandten in Worms 1557 schwerlich unterschätzen können.“ (Koch, Weg, S. 23). 2 ‚Preußischer Bericht‘: GStA PK, XX. HA, HBA A 1, K. 13, Vol. 14, Fasz. 1–2 unpaginiert, Bl. 11r. 3 Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 24r–33v, hier fol. 33r. 4 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 130r–137v, hier fol. 132r)
4
1. Gegenstand und Anlage der Arbeit
den fürstlichen Instruktionen. Um die Gründe für das jeweilige Agieren in Worms zu erhellen, werden daher die den Wormser Ereignissen vorausliegenden Vorgaben eingehend untersucht, allen voran der Regensburger Reichsabschied und der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten sowie die genannten Instruktionen mitsamt den vorausgegangenen und zugehörigen Gutachten. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Wechselwirkungen mit den theologischen Auseinandersetzungen der Zeit gerichtet. Denn die strittigen theologischen Überzeugungen zählen neben und – da sie zumeist in die Instruktionen eingegangen sind – vor den konfessionspolitischen Vorgaben der Instruktionen zu den wichtigsten Voraussetzungen der in Worms ausgetragenen Konflikte. Als geeigneter Ausgangspunkt für die Untersuchung insgesamt erweist sich der Regensburger Reichstag von 1556/57. Denn zum einen wurde durch den Regensburger Reichsabschied vom 16. März 1557 das Wormser Religionsgespräch offiziell angesetzt, so daß die Stände sich nunmehr gezielt darauf vorbereiten konnten und mußten. Zum anderen kam es, wie hier nachgewiesen wird, im Verlauf des Reichstags zur allmählichen Formierung einer konzertierten evangelischen Konfessionspolitik unter den Bedingungen des Augsburger Religionsfriedens, i. e. der reichsrechtlichen Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses. Diese allmähliche Formierung einer gemeinsamen Konfessionspolitik begann mit der tastenden Suche nach Strukturen für die internen Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag und reichte bis zur förmlichen Verabschiedung eines Nebenabschieds, des ersten seiner Art. Triebfeder der Bemühungen um Übereinstimmung in der Konfessionspolitik war die Befürchtung, daß aus der bestehenden theologischen Uneinigkeit „ein schwerlicher fall und scisma“ erwachsen könne.5 Der Regensburger Nebenabschied war angelegt als gemeinsame Richtlinie sämtlicher auf dem Reichstag vertretenen Stände Augsburgischer Konfession für die Instruierung der Teilnehmer am bevorstehenden Religionsgespräch. Damit wurde das zumindest formal höchste Maß an konfessionspolitischer Übereinstimmung im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs erreicht. Die Regensburger Einigung auf den Nebenabschied ist somit der formale Gegenpol zum Wormser Schisma, in welchem sich mit dem Zerbrechen der kirchlichen Einigkeit auch das vorläufige Ende einer gemeinsamen 5 So Herzog Christoph von Württemberg kurz vor seiner Reise zum Regensburger Reichstag gegenüber dem pfälzischen Kurfürsten Ottheinrich zur Begründung seiner konfessionspolitischen Pläne: „[…] dann warlich wa die chur und fursten nit selbst darzu und mit ernst thun werden, so ist gewiss, das unsere theologi bei iziger hoffertiger, verwendeter und verwirrter welt nimmermehr gleich zustimmen werden, auch sich bald dadurch ein schwerlicher fall und scisma zutragen.“ (Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 22. Dezember 1556: Ernst IV, S. 236, Nr. 197).
1. Gegenstand und Anlage der Arbeit
5
Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten manifestierte. Zwischen diesen beiden Polen entfaltete sich im Spannungsfeld ständischer Interessen und theologischer Gegensätze das dramatische Ringen um politische und kirchliche Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten, von dem die vorliegende Untersuchung handelt. Der Regensburger Reichstag mit Reichsabschied und Nebenabschied auf der einen und das Wormser Schisma auf der anderen Seite markieren daher Ausgangs- und Zielpunkt der vorliegenden Untersuchung. Die Endphase des Wormser Religionsgesprächs nach dem Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten wird in Form eines Ausblicks berücksichtigt. Die Anlage der Darstellung orientiert sich an den entscheidenden Phasen zwischen Regensburger Reichstag und Wormser Schisma. So werden zunächst die Ergebnisse der Religionsverhandlungen und die Ansätze zu einer gemeinsamen evangelischen Konfessionspolitik während des Reichstags in den Blick genommen (II.1). Sodann wird die an den Reichstag anschließende Phase der Vorbereitungen auf das Wormser Religionsgespräch untersucht, die vom spannungsträchtigen Ringen um die gemeinsame Konfessionspolitik bei der Aufstellung von Vorgaben und Instruktionen durch die Stände bestimmt war (II.2). Von der nächsten Phase an richtet sich der Fokus auf Worms, wo sich die informellen Vorbereitungen als Bewährungsprobe für die Einigkeit der Konfessionsverwandten erwiesen (II.3). Anschließend gilt es aufzuzeigen, wie im Zuge der formellen Vorberatungen die Grenzen der Einigkeit scharf markiert wurden (II.4). Den Abschluß der Darstellung bildet die Analyse der sich immer weiter zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten nach der Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs, die trotz zwischenzeitlich erreichter maximaler Annäherung schließlich zum öffentlichen Bruch führten (II.5). Auf die Darstellung folgen schließlich Auswertung und Ausblicke unter verschiedenen zentralen kirchen- und theologiegeschichtlichen Aspekten (III). Mit der skizzierten Disposition ist die vorliegende Arbeit angelegt als Beitrag zur Erforschung der konfessionsinternen Pluralisierung im Bereich der Augsburger Konfessionsverwandten unter den Bedingungen des Religionsfriedens von 1555. Dabei sind zwei Punkte zu benennen, die zum speziellen Profil der vorliegenden Arbeit beitragen: Zum einen sucht die Arbeit die scheinbar naheliegende Zurückführung des Wormser Schismas auf das „Schisma der Wittenberger Theologie“6 zu vermeiden, von dem Thomas Kaufmann spricht: auf die über den Adiaphora aufgebrochene7 und mit dem Widerspruch der Magdeburger Theologen 6 Kaufmann, Ende, S. 420; bei Kaufmann ist „Schisma der Wittenberger Theologie“ kursiv hervorgehoben. 7 Vgl. Kaufmann, Ende, S. 420.
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1. Gegenstand und Anlage der Arbeit
gegen die Kursachsen wegen des Leipziger Interims verbundene8 Spaltung.9 Denn der Dissens über die theologische Bewertung der Adiaphora spielte zwar, wie hier gezeigt wird, in Worms durchaus eine erhebliche Rolle, zumal er mittlerweile durch die Verbindung mit dem Gegensatz zwischen der ernestinischen und der albertinischen Linie des Hauses Sachsen eine brisante politische Zuspitzung erfahren hatte. Anders als in der älteren Literatur durchgängig und in der neueren Literatur überwiegend dargestellt, war es aber nicht dieser Gegensatz, über welchem es in Worms schließlich zum Bruch kam. Vielmehr waren der Verlauf der Frontlinien in den Wormser Auseinandersetzungen sowie die theologische Gemengelage, die zum Wormser Schisma führte, wesentlich komplexer. Es ist daher auch nicht angemessen, die vielschichtigen Wormser Konflikte auf den Antagonismus zwischen Flacius und Melanchthon zu reduzieren, wie es immer wieder geschehen ist und noch geschieht. Einerseits muss gerade der tatsächliche Anteil des Flacius am Wormser Religionsgespräch im Zuge der hier vorgenommenen Revision der vorherrschenden Sicht eine Neubestimmung erfahren, wie auch die Darstellung der Rolle und Haltung Melanchthons erheblich zu präzisieren ist. Andererseits verlangt das durchgängig zu beobachtende spannungsgeladene Ineinander von Konfessionspolitik und Theologie eine stärkere Berücksichtigung des Anteils der politischen Akteure gerade auch an theologischen Entscheidungen und Auseinandersetzungen als sonst in kirchen- und theologiegeschichtlichen Untersuchungen üblich.10 Das trifft für viele Fürsten ebenso zu wie für bestimmte politische Räte. Es gilt daher, den Blick zu weiten für die Vielzahl theologischer und anderer Akteure, die über Flacius und Melanchthon hinaus den Gang der Ereignisse vom Regensburger Reichstag bis zum Bruch auf dem Wormser Religionsgespräch mitbestimmt haben. 8
Vgl. Kaufmann, Ende, S. 12, Anm. 51. Kaufmann hat nicht nur den Begriff „Schisma der Wittenberger Theologie“ eingeführt, sondern darüberhinaus auch noch auf „das zweite Schisma der Wittenberger Reformation“ hingewiesen (Kaufmann, Ende, S. 280; bei Kaufmann kursiv gesetzt). Das „zweite Schisma der Wittenberger Reformation“ will Kaufmann verstanden wissen als Inbegriff der mit dem Adiaphoristischen Streit eröffneten Sequenz theologischer Auseinandersetzungen und unterschieden von „dem ersten, mit Karlstadt verbundenen“ Schisma der Wittenberger Reformation, das über der Abendmahlstheologie aufgebrochen war (ebd.). Hierauf wird in der Darstellung der Ergebnisse dieser Arbeit zurückzukommen sein. 10 Im Blick auf diese bisher viel zu wenig berücksichtigte Dimension ist Werner Ulrich Deetjen zuzustimmen, wenn er fordert: „Die[…] Frage nach den inneren Antriebskräften und der religiösen Prägung deutscher Fürsten nach 1550 müßte von der kirchenhistorischen Forschung intensiviert werden.“ (Deetjen, S. 342, Anm. 41). Vgl. aber neuerdings die instruktiven Beiträge in dem von Leppin, Schmidt und Wefers herausgegebenen Band „Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst“, die vielfach auch Aufschluß über die Konfessionspolitik der Ernestiner nach 1550 bieten. 9
1. Gegenstand und Anlage der Arbeit
7
Insgesamt erweist sich zwischen den Polen des Regensburger Reichstags von 1556/57 und des Wormser Schismas das Wormser Religionsgespräch einschließlich der in Worms durchgeführten informellen Vorbereitungen und formellen Vorberatungen als idealer Gegenstand für die Erforschung der konfessionsinternen Pluralisierung unter den Bedingungen des Religionsfriedens. Denn durch das Religionsgespräch kam es zu einer außerordentlichen Verdichtung der komplexen konfessionellen Gemengelage der Zeit. Nicht nur waren hier in Gestalt der von den Augsburger Konfessionsverwandten deputierten Gesprächsteilnehmer konfessionspolitische und theologische Akteure der verschiedensten Stände in ungewöhnlich großer Zahl und einer später nicht mehr erreichten Konstellation versammelt. Vor allem anderen wurde die kontroverstheologische Situation des Reichsreligionsgesprächs zu einer überaus ernsten Bewährungsprobe für die Einigkeit und die gemeinsame konfessionspolitische Handlungsfähigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten. Wie in einem Brennglas bündelten sich deshalb hier die offenen und verdeckten Konflikte und Gegensätze theologischer, konfessionspolitischer und standespolitischer Art. Wie sie, veranlaßt durch das Wormser Religionsgespräch, ausgetragen wurden und was zu ihrer zumindest vorübergehenden Überwindung unternommen wurde bis hin zum Erreichen einer äußersten Grenze, des Schismas, steht darum im Zentrum dieser Untersuchung.
2. Zum Forschungsstand „Das Kolloquium von Worms bedürfte dringend einer neuen Untersuchung, die seine komplizierten Gesamtverflechtungen deutlich machen müßte.“1 Als Ernst Koch 1986 auf dieses Desiderat der Forschung aufmerksam machte, lag das Erscheinen der letzten beiden gedruckten Darstellungen, die sich eingehend dem Wormser Religionsgespräch widmeten und aus neu erschlossenen Quellen erarbeitet worden waren, über einhundert Jahre zurück: Bereits 1852 war der erste Band von Heinrich Heppes vierbändiger „Geschichte des deutschen Protestatismus in den Jahren 1555–1581“ veröffentlicht worden, dessen zweiter Abschnitt das Wormser Religionsgespräch behandelt.2 1888 folgte Gustav Wolfs Arbeit „Zur Geschichte der deutschen Protestanten 1555–1559“, deren zweiter Teil unter der Überschrift „Das Wormser Religionsgespräch und die Vorverhandlungen“ steht.3 Die Darstellungen Heppes und Wolfs knüpften an die älteren Arbeiten der evangelischen Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung zum Wormser Religionsgespräch von Christian August Salig und Gottlieb Jakob Planck an. Salig hatte im 1735 veröffentlichten dritten Band seines Werks „Vollständige Historie der Augspurgischen Confession und derselben zugethanen Kirchen“ auf Grundlage der reichhaltigen Wolfenbütteler Quellenbestände eine bis heute beachtenswerte ausführliche Schilderung des Wormser Religionsgesprächs vorgelegt.4 Die konsequente Quellenorientierung bewahrte ihn vor einer einseitigen Darstellungsweise, obwohl er vor engagierten Wertungen nicht zurückschreckte und gerade das Verhalten der herzoglich-sächsischen Theologen und ihrer Verbündeten scharf verurteilte.5 In 1
Koch, Philippismus, S. 60, Anm. 1. Heppe I, S. 157–230. 3 Wolf, S. 60–109. 4 Salig III, S. 290–341. Zur Würdigung der historiographischen Leistung Saligs hinsichtlich des Wormser Religionsgesprächs vgl. auch v. Bundschuh, S. 5. 5 So verläßt Salig unter demonstrativem Abbruch seiner treffenden Wiedergabe der Gutachten der Weimarer Synode vom 6. September unvermittelt die Rolle des neutralen Chronisten und erklärt: „Andere dergleichen Neben-Erinnerungen zu geschweigen, die mir nun allenthand so eckelhafft sind, daß ich sie ohne Verdruß und Jammer fast nicht mehr durchlesen kan. Denn mich jammert solcher armen Leute, ob sie wohl damahls grosse Theologen waren, daß sie sich mit der gesch fftigen Martha so viel Sorge und M he machten, und des einigen nothwendigen und besten Theils dar ber vergassen. Sie seigeten M cken, und Kamele verschluckten sie: den auswendigen Schein ihrer Formulare hielten 2
2. Zum Forschungsstand
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Plancks „Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zu der Einführung der Concordienformel“6 dominiert hingegen aufgrund der Methode des „subjektiven Pragmatismus“ die Orientierung an der eigenen, ausdrücklich für Melanchthon Partei ergreifenden Position gegenüber der Beachtung des Eigengewichts der Quellen. Eine schmale und unausgewogene Quellenbasis verstärkt das noch.7 Keine Beachtung hat in den Darstellungen Heppes und Wolfs zum Wormser Relgionsgespräch indes der demselben Gegenstand gewidmete Abschnitt des 1836 erschienenen siebten Bandes der „Geschichte der Regierung Ferdinand [sic!] des Ersten“ von Franz Bernhard von Bucholtz8 gefunden, dessen Werk Heppe und Wolf ansonsten durchaus heranzogen. Das Verdienst Bucholtz’ liegt in der Erschließung der bei den Reichsinstitutionen überlieferten Aktenbestände,9 weshalb die reichspolitischen Voraussetzungen und die offiziellen Verhandlungen des Reichsreligionsgesprächs den Schwerpunkt seiner Darstellung bilden, während die internen Auseinandersetzungen der Deputierten Augsburgischer Konfession nur in ihrer Wechselwirkung mit jenen Berücksichtigung finden.
Gegenüber Salig und Planck erweiterten Heppe und Wolf die Quellenbasis im Blick auf die internen Auseinandersetzungen der Deputierten Augsburgischer Konfession entscheidend:10 Heppe zog aus Kasseler, heute Marburger Archivbeständen vor allem die von ihm als Bericht eines ungenannten Gesprächsteilnehmers bezeichnete zweiteilige ‚Gemeinsame Relation‘ der politschen Räte sowie hessische Deputationsberichte heran,11 während Wolf sich zusätzlich auf die wertvolle kursächsische und herzoglich-sächsische Aktenüberlieferung in den Archiven von Dresden und Weimar stützte12. So sie rein, und das Jnwendige der Kirchen-Zucht war voller Todten-Gebeine und Unflaths. […] Auf wen der meiste Hauffe der Theologen zufiele, der mußte ein Ketzer seyn, und wenn man nach langen Jahren die Schrifften ansiehet, so erblicket man mit Erstaunen die Lufft-Streiche und allergreulichste Aufb rdungen, die da nothwendig aus den Affecten und Haberechtereyen unwiedergebohrner und unerleuchteter Theologen herfliessen m ssen.“ (Salig III, S. 301 f.). Dem Leser entgehen durch den Abbruch der Wiedergabe der Gutachten keine wesentlichen Informationen, da die entscheidenden Inhalte bereit zuvor mitgeteilt worden sind. Er erhält aber Aufschluß über den eigenen Standpunkt des vom Halleschen Pietismus beeinflußten Autors. 6 Plancks Ausführungen zum Wormser Religionsgespräch finden sich in dem im Jahr 1800 erschienenen sechsten Band seines Werks, S. 155–173. 7 Zu Plancks Quellenbasis und den Besonderheiten seiner Darstellung des Wormser Religionsgesprächs vgl. v. Bundschuh, S. 6; dort auch der Begriff des „subjektiven Pragmatismus“. Zu Plancks Methode vgl. Wolf, Art. Planck 1., Sp. 404. 8 Von Bucholtz VII, S. 359–396. 9 Vgl. v. Bundschuh, S. 6. 10 Johannes Janssen hingegen beschränkte sich im vierten Band seiner „Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters“ darauf, das Wormser Religionsgespräch aus den gedruckt vorliegenden Quellen erneut darzustellen (vgl. Janssen IV, S. 20–30), wobei er als erster Historiker römisch-katholischer Konfession neben den Reichsakten auch die im Corpus Reformatorum veröffentlichten Quellen berücksichtigte. 11 Vgl. Heppe I, S. 157 f., Anm. 1 in Verbindung mit S. 165, Anm. 1 und S. 197 f., Anm. 4. Zur ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte vgl. unten S. 24 bei Anm. 44. 12 Vgl. Wolf, S. V.
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gelangten beide zu neuen Darstellungen mit je eigener Akzentsetzung. Dem Kirchenhistoriker Heppe, der sich selbst als der sogenannten deutsch-reformierten Tradition verpflichtet verstand, war es, hierin Planck verwandt, ein besonderes Anliegen, die Position Melanchthons und der dem Wittenberger nahestehenden Theologen als konstruktiv und überlegen zu würdigen.13 Der Profanhistoriker Wolf strebte hingegen eine auf die Beziehungen der Reichsstände zueinander konzentrierte Darstellung unter weitestmöglicher Ausklammerung der theologiegeschichtlichen Aspekte an.14 Die Summe der Forschungen des 19. Jahrhunderts zog auf der Grundlage der bis dahin gedruckten Quellen Gustav Kawerau 1908 in seinem Artikel „Wormser Religionsgespräche II. Das Religionsgespräch 1557“ für die dritte Auflage der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche.15 Benno von Bundschuhs 1988 gefälltes Urteil, im 20. Jahrhundert habe sich „niemand mehr eingehend und speziell“ mit dem Wormser Religionsgespräch befaßt,16 ist im Blick auf die von ihm zwar angeführte, aber kaum herangezogene17 Dissertation Jörg Rainer Fligges unter dem Titel „Herzog Albrecht von Preußen und der Osiandrismus 1522–1568“ von 1972 zu korrigieren. Denn Fligges Arbeit enthält eine ausführliche, aus zuvor nicht bekannten Quellen geschöpfte Darstellung des Wormser Religionsgesprächs.18 Fligges Arbeit ist daher neben die oben genannten Arbeiten Heppes und Wolfs aus dem 19. Jahrhundert zu stellen, auch wenn sie nur als Typoskript veröffentlicht worden ist. Die besondere Leistung Fligges besteht in der Erschließung der in herzoglich-preußischen Archivbeständen überlieferten Quellen zum Wormser Religionsgespräch, allen voran der durchlaufenden Darstellung, die in der vorliegenden Untersuchung als ‚Preußischer Bericht‘ bezeichnet wird. Das von Fligge erschlossene, von ihm allerdings nicht vollständig ausgeschöpfte Quellenmaterial ist äußerst aufschlußreich für die Rekonstruktion der internen Auseinandersetzungen zwischen den Deputierten Augsburgischer Konfession. Hier liegt denn auch der Schwerpunkt der Darstellung Fligges, der im Blick auf die übergeordnete Fragestellung seiner Studie sein Augenmerk auf Brenz’ Rolle und die Auseinandersetzungen um eine Verwerfung Osianders richtet.19 Dadurch kommt er hinaus über die vorherrschende Engführung in der Interpretation der innerevangelischen Auseinandersetzungen, wonach sie vor allem 13 In der Einleitung seines Werks begründete Heppe ausführlich die promelanchthonische Tendenz seiner Darstellung (vgl. Heppe I, S. 56–68.72–90). 14 Über die Zielsetzung seiner Arbeit gibt Wolf in deren Vorwort Auskunft (vgl. Wolf, S. V). 15 Kawerau, Art. Wormser Religionsgespräche II. 16 Vgl. v. Bundschuh, S. 7. 17 So weit ich sehen kann, verweist von Bundschuh nur einmal zum Beleg allgemeiner Ausführungen über den Osiandrismus summarisch auf Fligge (vgl. v. Bundschuh, S. 102, Anm. 89). 18 Fligge, S. 371–432. 19 Vgl. Fligges Angaben zur Ausrichtung seiner Darstellung (Fligge, S. 371).
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anderen auf den Gegensatz zwischen Melanchthon und Flacius oder den ‚Flacianern‘ zurückzuführen sind – das allerdings um den Preis der Unterbewertung anderer Aspekte. Eine Grenze ist Fligges Untersuchung dadurch gesetzt, daß er die von Wolf erschlossenen Weimarer und Dresdner Quellen nicht erneut im Original ausgewertet hat. Aus diesem Grund ist ihm unter anderem das für seine Fragestellung wie auch für das Verständnis des Wormser Religionsgesprächs insgesamt bedeutungsvolle Faktum der Anwesenheit eines preußischen Mittelsmanns in Worms entgangen. Trotz der genannten Grenzen sind Fligges Erkenntnisse zum Wormser Religionsgespräch aber ein wesentlicher und unbedingt zu beachtender Beitrag zu dessen Erforschung.
Mit der gewichtigen Ausnahme Fligges trifft indes von Bundschuhs Urteil zu, daß im 20. Jahrhundert bis zu seiner eigenen Arbeit keine eingehende Beschäftigung mit dem Wormser Religionsgespräch von 1557 stattgefunden habe. Auch die seit dem Ende der 1960er Jahre intensivierte Forschung zu den Reichsreligionsgesprächen ließ es unberücksichtigt und konzentrierte sich völlig auf die Gespräche der 1540er Jahre.20 Von Bundschuhs 1988 erschienene Dissertation „Das Wormser Religionsgespräch von 1557 unter besonderer Berücksichtigung der kaiserlichen Religionspolitik“ ist somit die erste monographische Behandlung des Themas überhaupt und ein Meilenstein in der Erforschung des Wormser Religionsgesprächs. Von Bundschuh wertet als erster sämtliche das Religionsgespräch betreffenden reichsoffiziellen Akten- und Archivbestände in Wien und München aus. Mit dem ausführlichen ersten Teil, der beinahe zwei Drittel des Gesamtumfangs von 600 Seiten ausmacht,21 liegt der Schwerpunkt der Darstellung von Bundschuhs auf einer detaillierten Analyse der Vorgeschichte des Wormser Religionsgesprächs, angefangen beim Fürstenaufstand gegen Kaiser Karl V. 1552.22 Die zunehmend von König Ferdinand betriebene Religionspolitik des Reiches findet dabei besondere Berücksichtigung. Im wesentlich kürzeren zweiten Teil23 rekonstruiert von Bundschuh den Verlauf des Wormser Religionsgesprächs aus den offiziellen Gesprächsprotokollen sowie aus Protokollen der königlichen Bevollmächtigten und stellt die literarischen Auseinandersetzungen im Anschluß an das Religionsgespräch dar. Auch hier gilt das besondere Augenmerk von Bundschuhs wiederum der Analyse der religionspolitschen Interventionen des Königs und seiner Bevollmächtigten. Im Vordergrund der Darlegungen von Bundschuhs zu den theologischen Verhandlungen auf dem Wormser Religionsgespräch stehen die in den offiziellen Gesprächsakten protokollierten evangelisch-katholischen Verhandlungen. Auf die internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten geht er hingegen nur insoweit ein, als sie sich unmittelbar auf den Verlauf der offiziellen Verhandlungen ausgewirkt haben. Er führt dazu keine eigene Analyse der Quellen durch 20
Vgl. die Bibliographie bei Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 676–681. V. Bundschuh, S. 8–369. 22 Kritik an dieser Disposition bei Klueting, Rez. v. Bundschuh, S. 255; zum begrenzten Recht der Disposition vgl. Müller, Rez. v. Bundschuh, Sp. 681; positive Würdigung im Blick auf die dadurch ermöglichte Erhellung der Religionspolitik Ferdinands I. bei Luttenberger, Rez. v. Bundschuh, Sp. 387. 23 V. Bundschuh, S. 370–556. 21
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und erweitert auch die Quellenbasis nicht, sondern schließt sich weitgehend den Ergebnissen Heppes und Wolfs an; die wichtigen Erkenntnisse Fligges rezipiert er nicht. Deshalb kommen die Verflechtungen des Wormser Religionsgesprächs in den konfliktreichen Gang der protestantischen Theologiegeschichte nach Luthers Tod und die Zusammenhänge mit der Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten insgesamt zu kurz. Außerdem ist festzustellen, daß von Bundschuh als römisch-katholischer Kirchenhistoriker bei großer Ausgewogenheit im Urteil doch der römisch-katholischen Position oft breiteren Raum einräumt als der evangelischen. So würdigt er die römisch-katholischen theologischen Gutachten im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs in einem eigenen Kapitel24, die evangelischen hingegen behandelt er in einem auch anderen Gegenständen gewidmeten Kapitel mit25. Auch ist seine Terminologie nicht frei von in seiner persönlichen Perspektive begründeten Verzeichnungen.26
Ernst Kochs Forderung nach einer umfassenden Erhellung der äußerst komplizierten Gesamtverflechtungen des Wormser Religionsgesprächs von 1557 ist mit von Bundschuhs Arbeit also bei weitem nicht erfüllt.27 Das gilt insbesondere für die theologiegeschichtlichen Verflechtungen und für die Zusammenhänge mit der Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten. Auf von Bundschuhs Analyse der reichspolitischen Vorgeschichte des Wormser Religionsgesprächs und auf seine Rekonstruktion des Verlaufs der offiziellen Verhandlungen in Worms kann dennoch jede weitere Untersuchung zum Thema aufbauen. Dementsprechend basieren sowohl die einschlägigen Ausführungen Vinzenz Pfnürs im Artikel „Colloquies“ in der Oxford Encyclopedia of the Reformation von 199628 als auch die 1997 erschienene Darstellung des Wormser Religionsgespräch von 1557 in dem von Irene Dingel für die Theologische Realenzyklopädie verfaßten Artikel „Religionsgespräche IV. Altgläubig – protestantisch und innerprotestantisch“ in der Theologischen Realenzyklopädie29 auf von Bundschuhs Ergebnissen, ebenso auch Gerhard Müllers 1998 veröffentlichter Aufsatz über Melanchthon als Teilnehmer am Wormser Religionsgespräch30. Als eigener Strang der Forschung sind die Biographien der Akteure auf dem Wormser Religionsgespräch zu berücksichtigen. Ihr Erkenntniswert ist 24
Vgl. v. Bundschuh, S. 296–369. Vgl. v. Bundschuh, S. 274–268. 26 Kritik an der Bezeichnung der Protestanten als „Abgewichene“ oder „Konfessionalisten“, aber auch der Katholiken als „Papisten“ durch von Bundschuh bei Klueting, Rezension v. Bundschuh, S. 256. 27 Harm Kluetings Einschätzung des Werks von Bundschuhs als einer „im wesentlichen abschließenden Darstellung“ (Klueting, Rezension v. Bundschuh, S. 255) ist daher zu widersprechen. 28 Pfnür, Art. Colloquies, S. 380–382. 29 Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 661 f. 30 Müller, Selbstbehauptung. 25
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sehr unterschiedlich, nicht nur weil das Wormser Religionsgespräch jeweils in ganz verschiedenem Umfang zur Darstellung kommt, sondern vor allem auch wegen der unterschiedlichen Machart der Biographien. Als Beispiele seien Kuglers Lebensbeschreibung Herzog Christophs von Württemberg und Becks Werk über Herzog Johann Friedrich den Mittleren von Sachsen genannt: Während Kugler die umfangreichen Abschnitte zum Regensburger Reichstag und zum Wormser Religionsgespräch31 in seiner Biographie Herzog Christophs vornehmlich aus ungedruckten Quellen erarbeitet und damit sogar zuverlässige Nachrichten über heute verloren gegangene Quellen aufgezeichnet hat, stützt sich Beck in seinen sehr viel kürzeren Ausführungen32 zu demselben Gegenstand überwiegend auf Saligs Darstellung und auf die im Corpus Reformatorum gedruckten Quellen.
Aus dem weiten Feld der Biographien, die in der vorliegenden Untersuchung sparsam benutzt und nur dann herangezogen werden, wenn sie wirklich Erhellendes zu bieten haben, seien hier von den älteren Werken die bedeutende, für die reichspolitischen Hintergründe des Wormser Religionsgesprächs instruktive Canisius-Biographie von Florian Rieß33 aus dem Jahr 1865 und die bislang nicht ersetzte Schnepf-Biographie Julius Hartmanns34 von 1870 erwähnt. Unter den neueren biographischen Darstellungen ist hinzuweisen auf Heinz Scheibles Melanchthon-Biographie von 1997 sowie auf den 2002 erschienenen ersten Band35 der engagierten Flacius-Monographie Oliver K. Olsons, deren jeweilige Kapitel über das Wormser Religionsgespräch36 zu den neuesten Beiträgen zum Thema zählen. Allerdings bietet Scheible wenig mehr als eine Paraphrase der im Melanchthon-Briefwechsel aufgeführten Quellen37. Die eigenwilligen, prominent am Ende des ersten Bandes plazierten Ausführungen Olsons zum Wormser Religionsgespräch bedürfen einer speziellen Erörterung.38 Sämtliche angeführten Darstellungen zum Wormser Religionsgespräch beziehen dessen Vorgeschichte mit dem Regensburger Reichstag von 1556/57, den einzelständischen Vorbereitungen und dem Frankfurter Konvent als den wichtigsten Stationen mehr oder weniger ausführlich ein. Was es bislang aber nicht gibt, sind eingehende Untersuchungen zur kon31
Kugler II, S. 3–67. Beck I, S. 296–302. 33 Zur Würdigung von Riess’ Darstellung des Wormser Religionsgesprächs (Riess, S. 201–227) vgl. v. Bundschuh, S. 6 f. Riess’ Biographie trat 1950 die zweibändige Canisius-Biographie James Brodricks zur Seite, die aber zum Wormser Religionsgespräch keine neuen Erkenntnisse bietet. 34 Hartmanns Ausführungen zum Wormser Religionsgespräch (Hartmann, S. 106– 117) folgen weitgehend Heppe, zeichnen sich aber durch pointierte Wertungen aus. 35 Zur Anlage der Monographie auf zwei Bände vgl. Olson, S. 15. 36 Scheible, S. 226–240; Olson, S. 329–333. 37 Zur bedeutenden Leistung der MBW-Edition für die Erschließung neuer Quellen zum Wormser Religionsgespräch vgl. unten in Abschnitt 3.3 der Einleitung. 38 Vgl. unten Abschnitt 2.1 von Teil III. dieser Arbeit. 32
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fliktträchtigen Formierung einer Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten unter den Bedingungen des Religionsfriedens von 1555 im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs. Wichtige Ansätze dazu bieten immerhin Gustavs Wolfs bereits erwähnte Untersuchung „Zur Geschichte der deutschen Protestanten 1555–1559“ sowie Arthur Heidenhains Studie „Die Unionspolitik Landgraf Philipps des Grossmüthigen von Hessen“.39 Insgesamt bleibt Wolfs Untersuchung aber zu sehr einer reichspolitischen Gesamtperspektive auf den untersuchten Zeitraum verhaftet, als daß er Einzelentwicklungen wie die schrittweise Konstituierung des protestantischen Konfessionsrats auf dem Regensburger Reichstag angemessen würdigen könnte, während Heidenhain sich auf das Beispiel eines Reichsstands beschränkt und deshalb die Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten insgesamt zumeist nur aus der Perspektive seines Untersuchungsgegenstandes in den Blick nimmt. Unbedingt zu beachten ist nunmehr auch Matthias Langensteiners in zeitlicher Nähe zu dieser Arbeit entstandene Studie „Für Land und Luthertum. Die Politik Herzog Christophs von Württemberg (1550–1568)“. Langensteiner stellt Politik und Konfessionspolitik des württembergischen Herzogs kenntnisreich dar und behandelt in diesem Gesamtzusammenhang auch das Wormser Religionsgespräch und seine Vorgeschichte. Einem vertieften Verständnis der württembergischen Rolle in Worms steht allerdings die weitgehende Ausblendung der preußischen Problematik entgegen.
39 Zu berücksichtigen sind außerdem die klassischen Darstellungen zum konfessionellen Zeitalter, allen voran Martin Heckels Werk „Deutschland im konfessionellen Zeitalter“, und die Ergebnisse der Konfessionalisierungsforschung (vgl. Kaufmann, Konfessionalisierung sowie den Forschungsüberblick von Ehrenpreis/Lotz-Heumann). Im weiten Feld der Konfessionalisierungsforschung haben sich für die hier verfolgten Fragen die Beiträge Thomas Kaufmanns als besonders instruktiv erwiesen (Kaufmann, Ende; Kaufmann, Konfession), mit denen er der Erforschung der innerprotestantischen Pluralisierung nach Luthers Tod und Interim entscheidende neue Anstöße gegeben hat. Weiterhin einschlägig sind natürlich auch die klassischen Darstellungen der protestantischen Dogmen- und Theologiegeschichte (Ritschl, Seeberg, Weber). Aus der neueren Forschung zur Dogmen- und Theologiegeschichte sind schließlich noch hervorzuheben die urteilssicheren Arbeiten Ernst Kochs (vor allem Koch, Weg; Koch, Philippismus; Koch, Strigel) sowie die aufschlußreichen Untersuchungen Irene Dingels (vgl. vor allem Dingel, Flacius; Dingel, Frankfurter Rezeß sowie Dingel, Art. Religionsgespräche IV.) und die von ihr – bis zu dessen Tod gemeinsam mit Günther Wartenberg – herausgegebenen Sammelbände zu den Wittenberger Frühjahrstagungen (vgl. im Literaturverzeichnis unter Dingel/Wartenberg sowie Dingel, Amsdorf).
3. Zur Quellenlage Die Zahl aussagekräftiger Quellen zum Wormser Religionsgespräch ist groß. Nach Entstehungskontext, Gattung und Inhalt sind verschiedene Arten von Quellen zu unterscheiden. Im Blick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeiten stehen im Vordergrund der folgenden Übersicht diejenigen Quellen, die Aufschluß über die internen Auseinandersetzungen der Augsburger Konfessionsverwandten in Worms bieten. Diese Quellen lassen sich fünf Gruppen zuordnen.1
3.1 Quellen zum Wormser Religionsgespräch nach Gruppen 3.1.1 Offizielle Akten des Reichsreligionsgesprächs Nach den Bestimmungen des Regensburger Reichsabschieds waren die gesamten Verhandlungen des Reichsreligionsgesprächs zu protokollieren und aktenmäßig zu dokumentieren.2 Dazu waren eigens von beiden Religionsparteien Notare ernannt worden, die nach einem festgelegten Verfahren die Verhandlungen protokollieren und anschließend ihre Protokolle abgleichen sollten, bevor sie zu den Akten genommen wurden. Weil man sich im Vollzug des Religionsgesprächs auf den Austausch der schriftlich ausgearbeiteten Redebeiträge als Verfahrensweise verständigte, kamen zu den Protokollen die Originalkonzepte der in den Verhandlungen gehaltenen Reden hinzu. Schließlich wurden, wogegen sich teilweise heftiger Widerspruch erhob, auch noch Eingaben aus dem Kreis der Deputierten an das Präsidium des Religionsgesprächs den Akten einverleibt: so zunächst die Eingaben Schnepfs, Strigels, Stössels, Mörlins und Sarcerius’ sowie späterhin die Eingaben der römisch-katholischen und der schließlich in Worms verbliebenen evangelischen Deputierten.
1 Auf Einzelnachweise wird hier weitgehend verzichtet; sie finden sich im Zuge der Darstellung dort, wo die jeweiligen Quellen herangezogen werden. Vgl. auch das Verzeichnis der Quellen. 2 Vgl. dazu unten S. 54 f. im Abschnitt 1.1.3.2 der Darstellung bei Anm. 64.
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3. Zur Quellenlage
Die Gesamtakten des Religionsgesprächs sind im Original im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv überliefert;3 zuverlässige Abschriften wurden im Nachgang des Augsburger Reichstags von 1559, auf dem die Akten gemäß dem Regensburger Reichsabschied von 1557 eröffnet wurden,4 den Reichsständen ausgehändigt und sind in deren Aktenbeständen in zahlreichen Ausfertigungen erhalten geblieben. Über die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehenden innerevangelischen Auseinandersetzungen bieten die Quellen dieser Gruppe in dem Maße Aufschluß, in welchem sich die Auseinandersetzungen auf die offiziellen Verhandlungen des Reichsreligionsgesprächs und umgekehrt ausgewirkt haben.
3.1.2 Amtliche Korrespondenzen zwischen den Gesprächsteilnehmern in Worms und den entsendenden Ständen Viele entsendende Stände legten Wert darauf, über die Vorgänge in Worms auf dem Laufenden gehalten zu werden. Im Gegenzug wandten sich viele Gesprächsteilnehmer bis hin zum Präsidenten des Religionsgesprächs auch von sich aus mit Lageberichten an ihre heimatlichen Obrigkeiten – respektive der Präsident und sein Beisitzer an den von ihnen vertretenen König –, um von ihnen Direktiven für das Vorgehen in Worms, gerade auch angesichts der eskalierenden Konflikte, einzuholen oder sich die bereits ergriffenen Maßnahmen genehmigen zu lassen. Eine gewisse Grenze setzte dem Austausch die eidesstattliche Verpflichtung der Gesprächsteilnehmer zur Verschwiegenheit über die Verhandlungen des Religionsgesprächs, auch wenn sie unterschiedlich strikt beachtet wurde. Nicht unter die Schweigepflicht fielen die internen Auseinandersetzungen der Deputierten Augsburgischer Konfession, so daß gerade hierzu in der Korrespondenz zwischen den evangelischen Gesprächsteilnehmern und den jeweiligen entsendenden Ständen eine Fülle aussagekräftiger Quellen entstanden ist. Es handelt sich dabei sowohl um kürzere Lageberichte, oft verbunden mit konkreten Anfragen, als auch um ausführliche, zusammenhängende Verlaufsschilderungen von bestimmten Abschnitten der Verhandlungen und Auseinandersetzungen, die häufig geradezu protokollartigen Charakter haben. Wertvoll sind zudem die Beilagen zu den Berichten. Es sind häufig Dokumente, die direkt Gegenstand oder Instrumente der Auseinandersetzungen in Worms waren, insbesondere Konsensartikel, Entwürfe verschiedener Erklärungen und auch Gutachten.
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Vgl. v. Bundschuh, S. 426, Anm. 2. Vgl. Wolf, S. 174–181.
3.1 Quellen zum Wormser Religionsgespräch nach Gruppen
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Die amtlichen Korrespondenzen zwischen den Deputierten und den entsendenden Ständen sind von sehr verschiedener Art und von sehr unterschiedlichem Umfang, was nicht nur an Unterschieden der Überlieferung oder Erhaltung liegt, sondern auch in unterschiedlichen Kommunikationsweisen zwischen Deputierten und entsendenden Ständen begründet ist. Während über die eigentlichen Verhandlungen weder kurpfälzische noch mansfeldische aktuelle Berichte aus Worms aufzufinden sind,5 ist von den kursächsischen Deputierten6 eine ebenso ausführliche wie kontinuierliche Berichterstattung in Einzelberichten und längere Zeiträume umfassenden Relationen überliefert. Der stockenden Berichterstattung an den hessischen Landgrafen steht der geschwinde Austausch zwischen Herzog Johann Friedrich von Sachsen und den herzoglichsächsischen Deputierten in Worms gegenüber.7 Die aussagekräftigen Berichte des pommerschen Deputierten Jakob Runge mit ihren wertvollen Beilagen sind erhalten geblieben. Im Blick auf die württembergischen Akten ist hingegen ein empfindlicher Verlust zu verzeichnen: Bereits Viktor Ernst mußte 1907 bei seinen Vorarbeiten zur Edition des Briefwechsels Herzogs Christophs feststellen, daß ein noch in den 1870er Jahren von Bernhard Kugler offenkundig im Stuttgarter Staatsarchiv benutzter Aktenband über den Zeitraum August 1557 bis März 1558 nicht mehr aufzufinden war.8 Auch nach den Recherchen für die vorliegende Untersuchung muß der Aktenband weiter als verschollen gelten, so daß nur Kuglers kursorische Angaben in seiner Biographie Herzog Christophs9 Rückschlüsse auf die verlorenen Akten erlauben. Einen gewissen Ausgleich für den Verlust bieten allerdings die von Fligge im Blick auf das Wormser Religionsgespräch erstmals herangezogenen und für die vorliegende Untersuchung weiter erschlossenen herzoglich-preußischen Aktenbestände, da in den hier überlieferten Quellen vielfach die württembergische Perspektive auf die Wormser Vorgänge dokumentiert ist. Die herzoglich-preußischen Akten stellen insofern einen Sonderfall dar, als das Herzogtum Preußen am Wormser Religionsgespräch und auch an den internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten in Worms offiziell nicht beteiligt war.10
Mit den kursächsischen, herzoglich-sächsischen, pommerschen und hessischen Akten, den wenigen erhaltenen württembergischen sowie den besonderen herzoglich-preußischen Akten sind die für die vorliegende Untersuchung wichtigsten Quellen dieser Gruppe angeführt. Weniger bedeutende 5 Wegen der Nähe zwischen Worms und dem Sitz der kurpfälzischen Regierung in Heidelberg könnte auf eine schriftliche Berichterstattung verzichtet worden sein. Die spätere Abfassung einer Rechtfertigungsschrift durch den mansfeldischen Deputierten Erasmus Sarcerius (vgl. S. 19, Anm. 20) läßt vermuten, daß der in Worms schwer erkrankte Sarcerius von dort aus keine Berichte an seine heimatliche Obrigkeit geschickt hatte. 6 Zur kursächsischen amtlichen Korrespondenz zählen auch die zwischen Melanchthon und dem Kurfürsten während des Religionsgesprächs gewechselten Briefe (MBW 8338; MBW 8375; MBW 8398). 7 Vgl. unten S. 207 f. in Abschnitt 3.1.3 der Darstellung. 8 Vgl. Ernst IV, S. III. 9 Kugler II passim. 10 Vgl. dazu unten S. 499 in Abschnitt 2.3 von Teil III. dieser Arbeit.
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3. Zur Quellenlage
Quellen sehr viel geringeren Umfangs liegen ferner aus der brandenburgansbachischen, der braunschweigischen und der straßburgischen amtlichen Korrespondenz vor.11
3.1.3 Diplomatischer Schriftverkehr zwischen den Fürsten Parallel zu den in Worms geführten Verhandlungen und Auseinandersetzungen standen auch die Fürsten Augsburgischer Konfession, die sämtlich dem Religionsgespräch fern geblieben waren, in intensivem, teilweise auch sehr kontroversem direkten Austausch über die in Worms verhandelten Fragen und das dort Vorgefallene. Beteiligt waren daran vor allem – der Quantität ihrer Beiträge nach aufgezählt – Herzog Christoph von Württemberg, der Pfälzer Kurfürst Ottheinrich, Herzog Johann Friedrich der Mittlere, Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken, Kurfürst August von Sachsen sowie Landgraf Philipp von Hessen. Die erhaltenen Dokumente des diplomatischen Schriftverkehrs sind Quellen ersten Ranges für die Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten.
3.1.4 Persönliche Korrespondenzen der Gesprächsteilnehmer Auch außerhalb des amtlichen Schriftverkehrs mit den entsendenden Ständen äußerten sich die Gesprächsteilnehmer im Rahmen ihrer persönlichen Korrespondenzen über das Wormser Religionsgespräch, soweit es die eidesstattliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit zuließ oder soweit sie selbst es für zulässig hielten. Am besten dokumentiert und erschlossen ist die persönliche Korrespondenz Melanchthons: Über fünfzig Briefe sind bekannt und erhalten, die Melanchthon während seines gut dreimonatigen Aufenthalts in Worms schrieb, sowie an die zwanzig, die er in Worms erhielt.12 Nicht alle aus Worms abgesendeten Briefe Melanchthons haben die dortigen Verhandlungen zum Gegenstand, aber viele enthalten wichtige Informationen und Einschätzungen. 11 Die städtischen Deputierten aus Braunschweig und Straßburg waren weniger an obrigkeitliche Vorgaben gebunden als die Deputierten aus Fürstentümern und mußten daher auch nicht im gleichen Maße wie jene fortlaufend Rechenschaft über ihr Agieren in Worms ablegen. Der Straßburger Deputierte Marbach reiste zudem während der langen Unterbrechung des Religionsgesprächs Ende Oktober oder Anfang November nach Straßburg (vgl. Melanchthon an Marbach in Straßburg, Worms 8. November 1557: CR 9, Sp. 362 f., Nr. 6395 = MBW 8421), so daß er dort mündlich von den Begebenheiten in Worms berichten konnte. 12 Vgl. MBW 8321–8445.
3.1 Quellen zum Wormser Religionsgespräch nach Gruppen
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Neben wenigen rein privaten Briefen zählen zu Melanchthons Wormser Korrespondenz viele Schreiben an Theologen und Gelehrte aus dem weiten Kreis seiner Korrespondenzpartner von den Wittenberger Universitätskollegen über den Freund Joachim Camerarius bis hin zu Bullinger, Calvin und Hardenberg.13 Über die zur amtlichen Korrespondenz mit den entsendenden Ständen zählenden Briefe hinaus, die Melanchthon mit seinem eigenen Landesherrn wechselte,14 entstanden einige weitere Schreiben eher offiziellen Charakters, darunter ein Brief an Herzog Johann Friedrich den Mittleren von Sachsen15 und verschiedene Schreiben an weitere evangelische Fürsten16.
Nicht nur von Melanchthon sind persönliche Briefe bekannt und erhalten, sondern aus dem Kreis der Deputierten Augsburgischer Konfession auch von Eber, Cracow, Brenz, Monner, Schnepf, Strigel, Stössel und Mörlin sowie aus dem Umfeld der kursächsischen Deputierten von Caspar Peucer, wenn auch in weit geringerer Anzahl. Einen Sonderfall stellen zwei an einen unbekannten Adressaten gerichtete Schreiben des herzoglich-sächsischen Hofpredigers Aurifaber dar, der mit seinem Herzog von dessen Kuraufenthalt in Markgraf-Baden aus die Wormser Vorgänge verfolgte und detailliert darüber berichete, allerdings aus zweiter Hand.17 Für einen Teil der Deputierten war Matthias Flacius Illyricus ein wichtiger Korrespondenzpartner, der seinerseits auch mehrere Schreiben nach Worms richtete.18 Was die römisch-katholischen Gesprächsteilnehmer angeht, gehören die gut erschlossenen Korrespondenzen Julius Pflugs und Petrus Canisius’19 überwiegend dem amtlichen Schriftverkehr an und bieten über die internen Auseinandersetzungen zwischen den Deputierten Augsburgischer Konfession meist nur indirekt Aufschluß.
3.1.5 Spätere Berichte von Gesprächsteilnehmern Nach Abschluß des Religionsgesprächs sind einige Berichte aus erster Hand über die Wormser Verhandlungen und Auseinandersetzungen im ganzen entstanden. Hierzu zählen auf der Seite der Augsburger Konfessionsverwandten die Rechtfertigungsschrift des Mansfelder Generalsuperintendenten Sarcerius20 sowie mehrere zwischen Dezember 1557 und Februar 13 Von Melanchthon hat sich auch eine persönliche Aufzeichnung aus Worms erhalten: ein Verzeichnis zentraler abendmahlstheologischer Streitfragen (Notizzettel, ca. Oktober 1557: CR 9, Sp. 378 f., Nr. 6408 = MBW 8413). 14 Vgl. oben S. 17, Anm. 6. 15 MBW 8373. 16 MBW 8329; MBW 8343; MBW 8378; MBW 8388; MBW 8435. 17 Vgl. dazu unten S. 213–215 in Abschnitt 3.2.1 der Darstellung bei Anm. 80–88. 18 Vgl. dazu zusammenfassend Abschnitt 2.1 von Teil III dieser Arbeit. 19 Vgl. Pollet IV; Braunsberger II. 20 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 39–46, Nr. XIX.
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3. Zur Quellenlage
1558 verfaßte Gesamtberichte Melanchthons21. Einen ähnlichen, wenn auch spezielleren Charakter hat das vom 15. Dezember 1557 datierende Rechtfertigungsschreiben Schnepfs und Strigels22, in welchem die Jenaer Theologen sich gegen pfälzisch-württembergische Vorwürfe verteidigten. Bei der Auswertung der Quellen dieser Gruppe ist der zeitliche Abstand ihrer Entstehung zum Geschehen besonders zu berücksichtigen. Dasselbe gilt noch viel mehr für spätere Mitteilungen ehemaliger Gesprächsteilnehmer über das Wormser Religionsgespräch, die teilweise erst Jahrzehnte nach den Wormser Geschehnissen vorgebracht oder aufgezeichnet wurden,23 so der betreffende Abschnitt in Jakob Andreaes Lebenserinnerungen aus den späten 1580er Jahren24.
3.2 Quellen zur Konfessionspolitik und Theologie im Vorfeld des Religionsgesprächs Quellen entsprechender Arten und Gruppen wie zum Wormser Religionsgespräch gibt es mutatis mutandis auch für die Phasen der Festsetzung des Religionsgesprächs auf dem Regensburger Reichstag sowie der einzelständischen und zwischenständischen Vorbereitungen auf das Religionsgespräch. Freilich überwiegen hier Quellen aus dem Bereich offizieller Akten, amtlicher Korrespondenzen und diplomatischen Schriftverkehrs. Im Blick auf den Regenburger Reichstag liegen neben den Schlußdokumenten, namentlich dem Reichsabschied und den Nebenabschieden der Religionsparteien, insbesondere die Instruktionen der Reichsstände und Gesandtschaftsberichte vor, aber auch zwischen den Fürsten gewechselte Schreiben. Letztere sind auch ein wesentlicher Bestandteil der Quellen für das Ringen um die gemeinsame Konfessionspolitik in der Phase der einzelund zwischenständischen Vorbereitungen auf das Religionsgespräch. Hinzu treten Gutachten und die in dieser Phase ausgearbeiteten Instruktionen für die Gesprächsteilnehmer. Einen besonderen Quellenkomplex stellen die Akten des Frankfurter Konvents dar, der über die verabschiedeten Beschlußtexte hinaus durch pfälzische Protokolle sehr gut dokumentiert ist.
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MBW 8468; MBW 8518; MBW 8539; MBW 8540. Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 356–366, Nr. 54. 23 In der Literatur zum Wormser Religionsgespräch ist von solchen Mitteilungen teilweise ein allzu umstandsloser Gebrauch gemacht worden (vgl. etwa Kantzenbach, S. 125 bei Anm. 65); Kritik daran bereits bei Wolf, S. 90 f., Anm. 1. 24 Leben Andreaes: Ehmer, S. 74–78; zur Datierung der Lebenserinnerungen vgl. Ehmers Einleitung ebd., S. 7. 22
3.3 Zum Stand der editorischen Erschließung der Quellen
21
Für die preußische Gesandtschaft in Württemberg sind ein ausführlicher Gesamtbericht und weitere Gesandtschaftsakten einschlägig.
3.3 Zum Stand der editorischen Erschließung der Quellen Die Quellen zum Wormser Religionsgespräch sind ihrer Vielzahl und Vielfalt entsprechend in ganz unterschiedlichem Maße editorisch erschlossen und aufbereitet. So wurden die offiziellen Gesprächsakten zum größten Teil bereits 1624 von dem Bamberger Weihbischof Friedrich Förner unter dem Titel „Historia hactenus sepulta colloquii Wormatiensis“ publiziert. Benno von Bundschuh hat die Hintergründe der Entstehung von Förners Edition dargestellt und kommt aufgrund eines Abgleichs mit den Originalakten zu dem Urteil, daß diese frühe Quellenpublikation ungeachtet der polemischen Intentionen Förners25 bis auf Druckfehler zuverlässig sei.26 Die ersten Editionen von Quellen aus dem Bereich der amtlichen Korrespondenz stammen von Christian Gotthold Neudecker, der 1836 und 1841 hessische Akten aus dem Kasseler, heute Marburger Archiv publizierte.27 1842 erschien mit Band 9 der Werke Melanchthons im ‚Corpus Reformatorum‘, herausgegeben von Karl Gottlieb Bretschneider, eine reichhaltige Sammlung nicht nur von Briefen Melanchthons aus Worms und an Melanchthon nach Worms, sondern auch weiterer Briefe, Akten und Dokumente verschiedenster Provenienz aus dem Kontext des Wormser Religionsgesprächs.28 Heinrich Heppe druckte 1848 im Anhang des ersten Bandes seiner „Geschichte des Protestantismus in den Jahren 1555–1581“ weitere Quellen aus hessischen Archivbeständen ab, vorwiegend aus dem Bereich der offiziellen Akten des Reichsreligionsgesprächs.29 Ähnlich verfuhr Gustav Wolf, der 1888 im Anhang seiner Studie „Zur Geschichte der deutschen Protestanten 1555–1559“ eine große Zahl überaus wichtiger Quellen aus den Archiven in Dresden und Weimar entweder abdruckte oder in Form von Regesten wiedergab. Der Schwerpunkt liegt hier auf Akten aus der Korrespondenz zwischen der kursächsischen respektive der herzoglich25 Förner zielte darauf, im Nachgang zum Reformationsjubiläum von 1617 die Zerstrittenheit und Unbeständigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten vorzuführen (vgl. v. Bundschuh, S. 2 f.). 26 Vgl. v. Bundschuh, S. 4. 27 Neudecker, Urkunden, S. 807 f., Nr. CXCIX; Neudecker, Neue Beiträge, S. 138– 159, Nr. LIX–LXV. 28 Vgl. die in CR 9 publizierten Quellen aus der zweiten Jahreshälfte 1557 und von Anfang 1558 insgesamt sowie insbesondere Sp. 199–395, Nr. 6301–6416; Sp. 401–411, Nr. 6424 f.; Sp. 451–461, Nr. 6468 f. Viele der von Bretschneider erstmals publizierten Quellen stammten aus Wolfenbütteler, Münchner und Gothaer Beständen. 29 Heppe I, Anhang S. 12–61, Nr. VI–XVIII.
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3. Zur Quellenlage
sächsischen Regierung und den jeweiligen Deputierten; daneben sind aus dem Dresdner Archiv auch wichtige, an Kursachsen übermittelte württembergische Aktenstücke aufgenommen.30 Trotz der oben geschilderten Verluste31 konnte Viktor Ernst im 1907 erschienenen vierten Band seiner Edition des Briefwechsels Herzog Christophs von Württemberg einige Akten aus der auf das Wormser Religionsgespräch bezogenen amtlichen württembergischen Korrespondenz publizieren, vornehmlich aus dem Bereich des diplomatischen Schriftverkehrs zwischen Herzog Christoph und anderen Fürsten.32 Ergiebiger ist Ernsts Edition allerdings für die Analyse der württembergischen Konfessionspolitik im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs, insbesondere bezogen auf den Regensburger Reichstag und den Frankfurter Konvent. Ernsts Edition sollte für lange Zeit die letzte größere für die internen Verhältnisse der Augsburger Konfessionsverwandten im Zusammenhang des Wormser Religionsgesprächs einschlägige Quellenpublikation bleiben.33 Zu einer wesentlichen Ausweitung des editorisch aufbereiteten Quellenmaterials kam es erst im Zuge der Edition des von Heinz Scheible herausgegebenen Melanchthon-Briefwechsels. Die Edition des Textbandes zum betreffenden Zeitraum steht zwar noch aus. Aber der auf den Briefwechsel der Jahre 1557 bis 1560 bezogene achte Band des Regestenwerks stellt die Melanchthon-Quellen zum Wormser Religionsgespräch in einer zuvor nicht erreichten Übersichtlichkeit und Vollständigkeit zusammen. Dabei sind über die Briefe hinaus auch Gutachten, theologische Deklarationen, die Verhandlungsbeiträge zum Reichsreligionsgespräch und sogar aufgrund von Protokollen mündliche Redebeiträge verzeichnet sowie – an diesem Punkt den Begriff des Briefes doch wohl etwas überstrapazierend – das durch die württembergische Reisekostenrechnung belegte Faktum eines Wettgewinns Melanchthons.34 Eine Reihe von Quellen konnte erstmals zutreffend datiert 30
Wolf, S. 278–366, Nr. 20–54. Vgl. oben S. 17 bei Anm. 8. 32 Vgl. Ernst IV. 33 Zur Ausrichtung der etwas früheren Edition der Canisius-Korrespondenz und der späteren Edition der Pflug-Korrespondenz vgl. oben S. 19 bei Anm. 19. Theodor Trenkle besorgte 1919 den Abdruck zweier zwischen Gallus und Schnepf während des Wormser Religionsgesprächs gewechselter Brief (Trenkle, S. 169–171); Karl Schornbaum publizierte 1920 sechs Aktenstücke aus der brandenburg-ansbachischen amtlichen Korrespondenz (Schornbaum II, S. 161–176, Nr. I–IV mit zwei Beilagen zu Nr. III). 34 MBW 8446. Da es sich um eine sechs Maß fassende Flasche Pfeddersheimer Wein handelte, die Melanchthon aufgrund einer gegen Balthasar von Gültlingen, den Vertreter des Herzogs von Württemberg auf dem Religionsgespräch, gewonnenen Wette erhalten hatte, mag diese Inkonsequenz hingenommen werden, zumal in Anbetracht von Gustav Bosserts Spekulation, daß Melanchthon und Gültlingen über den Fortgang des Religionsgesprächs gewettet haben könnten (vgl. Bossert, Beiträge, S. 54 f.). 31
3.3 Zum Stand der editorischen Erschließung der Quellen
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und in den richtigen Kontext eingeordnet werden. Hierzu trugen besonders Quellenfunde aus der im Landesarchiv Greifswald aufbewahrten amtlichen pommerschen Korrespondenz bei, darunter auch eine bisher unbekannte Melanchthon-Quelle, der Entwurf einer gemeinsamen Erklärung der Deputierten Augsburgischer Konfession in Worms35. Die Kommentare zu den Regesten liefern hierzu wichtige Informationen. Angekündigt ist im Rahmen des großangelegten Editionsprojekts „Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert“ der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur unter der Herausgeberschaft Klaus Ganzers und Karl-Heinz zur Mühlens auch die Publikation der Akten des Wormser Religionsgesprächs von 1557.36 Bislang steht aber nicht fest, wann der entsprechende Band erscheinen und was er enthalten wird. Es ist zu hoffen, daß die nach der Veröffentlichung des ersten Bandes vorgetragenen Problemanzeigen hinsichtlich der editorischen Anlage und Ausführung37 eine angemessene Berücksichtigung bei der Edition der Akten des Wormser Religionsgesprächs von 1557 finden werden. Abschließend ein Blick auf die editorische Erschließung der Quellen zur Konfessionspolitik und Theologie im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs: Die Publikation der Akten des Regensburger Reichstags 1556/57 durch Rolf Decot im Rahmen der Jüngeren Reihe der Deutschen Reichstagsakten soll kurz bevorstehen, ist aber noch nicht erfolgt. Der Reichsabschied und der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten stehen aber in älteren Editionen zur Verfügung.38 Die wichtigsten Instruktionen und verwandte Quellen sind in Wolfs archivalischem Anhang abgedruckt.39 Aufschlußreich sind auch die von Ernst gebotenen württembergischen Gesandtschaftsberichte und die herzoglichen Repliken darauf,40 wie überhaupt Ernsts Edition des Briefwechsels Herzog Christophs sehr viele wichtige Aktenstücke aus dem Schriftverkehr zwischen den Fürsten Augsburgischer Konfession sowie zum Frankfurter Konvent bietet. Die Frankfurter Beschlüsse liegen allerdings nur durch Sattler im Jahr 1771 gedruckt vor.41 Quellen zu den kursächsischen, württembergischen und herzoglich-sächsischen Vorbereitungen auf das Religionsgespräch bietet Wolf
35
MBW 8360; vgl. dazu unten Abschnitt 5.2.3 der Darstellung. Vgl. Ganzer / zur Mühlen I/1, S. XI. 37 Vgl. Seebass, Rezension Ganzer/zur Mühlen. 38 Der Reichsabschied wurde 1747 im dritten Teil der „Neuen Sammlung der Reichsabschiede“ abgedruckt, der Nebenabschied im Quellenanhang zum 1771 erschienenen vierten Band der „Geschichte des Herzogthums W rtenberg unter der Regierung der Herzogen“ von Christian Friedrich Sattler. 39 Wolf, S. 217–277, Nr. 1–19. 40 Vgl. Ernst IV, S 81–284 passim. 41 Sattler IV, Anhang S. 107–123, Nr. 39 f. 36
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3. Zur Quellenlage
in seinem Anhang.42 Soweit Melanchthon an den Vorbereitungen beteiligt war, sind auch hier Band 9 der Werke Melanchthons im ‚Corpus Reformatorum‘ und Band 8 des Regestenwerks zu Melanchthons Briefwechsel einschlägig. Für Brenz und die preußische Gesandtschaft in Württemberg ist schließlich auf Pressels „Anecdota Brentiana“ und Bizers „Analecta Brentiana“ zu verweisen.43
3.4 Ungedruckte Quellen Der größere Teil gerade der auf die internen Verhältnisse der Augsburger Konfessionsverwandten bezogenen Quellen ist ungedruckt. Das gilt insbesondere für die kursächsischen Akten aus der Korrespondenz während des Religionsgesprächs, für die herzoglich-sächsischen Akten, soweit sie bei Wolf nur in Form von Regesten geboten werden, für die herzoglich-preußischen und für die pommerschen Akten. Für die vorliegende Untersuchung sind daher die entsprechenden Bestände der Staatsarchive in Dresden und Weimar, des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin sowie des Landesarchivs Greifswald, des weiteren auch der Staatsarchive Marburg, Stuttgart und München sowie der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und des Stadtarchivs Regensburg ausgewertet worden. Dabei wurde eine Reihe von zuvor unbekannten Quellen entdeckt und eine Vielzahl von Quellen erstmals für eine umfassende Auswertung erschlossen. Im weiten Feld der ungedruckten Quellen sind vier Komplexe umfassender Berichterstattung besonders ergiebig: 1.) die von Wolf nur teilweise edierte und oft nur in Regestenform dargebotene fortlaufende Berichterstattung der herzoglich-sächsischen Deputierten an Herzog Johann Friedrich den Mittleren; 2.) die unter kursächsischer Federführung entstandene, von Heppe vorrangig benutzte ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober44 mit ihrer Fortsetzung vom 10. November; 3.) der erstmals von Fligge herangezogene ‚Preußische Bericht‘45, der sich auf den Zeitraum vom 42
Vgl. Wolf, S. 278–326, Nr. 20–34. Pressel, S. 438 f., Nr. CCXLVI; Bizer, Analecta, S. 359–373, Nr. 38–40. 44 Die kursächsischen Räte machten die von ihnen verfaßte Relation den anderen politischen Räten zugänglich, die sie im Namen aller in Worms verbliebener Räte ihren Landesherren zustellten (vgl. Friedrich von der Thann an Ldgf. Philipp, Worms 1. Oktober: Neudecker, Beiträge, S. 140, Nr. LIX; Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 68r–71r, hier fol. 68v). Die Datierung der ‚Gemeinsamen Relation‘ auf den 1. Oktober ergibt sich aus Friedrich von der Thanns Schreiben. 45 Der in lateinischer Sprache verfaßte ‚Preußische Bericht‘ ist nur in herzoglichpreußischem Aktenzusammenhang überliefert (vgl. die archivalischen Angaben in Ab43
3.5 Quellenkritische Überlegungen
25
1. September bis zum 21. Oktober bezieht, sowie 4.) Jakob Runges Bericht für den pommerschen Herzog vom 2. Oktober mit seiner Fortsetzung vom 18. November. Diese vier Hauptquellen können als repräsentativ gelten, weil sich aus ihnen die Perspektiven sämtlicher Gruppierungen erheben lassen, die sich in den internen Auseinandersetzungen in Worms herausbildeten.
3.5 Quellenkritische Überlegungen Gerade die genannten Hauptquellen haben oft protokollartigen Charakter bis hin zur Wiedergabe von Redebeiträgen in direkter wörtlicher Rede. Das hat dazu geführt, daß in den bisherigen Darstellungen häufig ohne weitere Prüfung die Angaben der jeweils zugrundegelegten Quelle übernommen worden sind. Dabei wurde aber meist zu wenig beachtet, wer an wen berichtet und wie sich das auf die Schilderung auswirkt. Durch den kritischen Vergleich von Quellen, die unterschiedliche Perspektiven repräsentieren, tritt das sehr viel deutlicher hervor, so daß zahlreiche Korrekturen der überkommenen Darstellungen möglich und nötig werden. Es ergibt sich zudem für die eigene Darstellung die Verpflichtung, stets transparent zu machen, woher die verwendeten Informationen stammen und welcher Perspektive sie sich verdanken. Dieser Grundsatz bedingt eine Gestaltung der Anmerkungen, die eine schnelle Orientierung darüber erlaubt, wer wann gegenüber wem die jeweils verwendeten Angaben gemacht hat. Gerade bei Redebeiträgen, die in den Quellen in direkter wörtlicher Rede wiedergegeben sind, ist außerdem zu beachten, was Victorinus Strigel in seinem Bericht vom 14. September 1557 zu erkennen gibt. Strigel merkt nach einer ausführlichen, in direkter Rede formulierten Wiedergabe einer von Brenz am 9. September gehaltenen Rede an, daß Brenz „nicht ohne bewegung solches geredet“ habe. In Parenthese setzt Strigel sodann erläuternd hinzu: „Wie ich seine meynung eingenohmen vnd behaltten hab, schnitt 4.2 der Einleitung). Er enthält keine Angaben über Verfasser oder Empfänger. Der gelegentliche Gebrauch der 1. Person plural (vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12v.13r) gibt als Standpunkt des Verfassers zu erkennen, daß er nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählte, wofür auch spricht, daß der ‚Bericht‘ über den Abzug der gnesiolutherischen Deputierten hinausreicht. Ein besonderes Interesse an den Auseinandersetzungen um Osiander und der Überlieferungsort lassen vermuten, daß der ‚Preußische Bericht‘ hervorgegangen sein dürfte aus der Interaktion zwischen den württembergischen Deputierten und dem in Worms anwesenden preußischen Mittelsmann Timotheus Gerschau (vgl. unten in Abschnitt 3.5.5 der Darstellung), ohne daß sich der ‚Bericht‘ einem bestimmten Verfasser sicher zuordnen ließe. Da ein Teil der württembergischen Akten zum Wormser Religionsgespräch verloren gegangen ist (vgl. oben S. 17 bei Anm. 8), sind seine Angaben wegen der speziellen Perspektive besonders wertvoll.
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3. Zur Quellenlage
Den es vnmoglich eben seine wortt nachzusagen, man hette sie denn auffgeschrieben“46. Es handelt sich also bei Strigels Wiedergabe nicht um eine Mitschrift, auch liegt keine Mitschrift zugrunde, vielmehr hat Strigel Brenz’ Ausführungen aus dem Gedächtnis wiedergegeben, und das offensichtlich mit fünf Tagen Abstand. Strigels in wörtliche Rede gefaßte Wiedergabe kann daher keinesfalls umstandslos mit Brenz’ eigenen Worten gleichgesetzt werden, wie es etwa Fligge tut47. Strigel weist als einziger Verfasser auf das Problem hin.48 Sein Beispiel zeigt aber, daß auch sonst große Vorsicht bei der Auswertung von Formulierungen in direkter wörtlicher Rede anzuwenden ist.
46 Strigels Bericht an Herzog Johann Friedrich den Mittleren, Markgraf-Baden 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. 47 Vgl. Fligge, S. 395 bei Anm. 251. 48 Strigel markiert auch in einer Aufzeichnung vom 10. September über ein Gespräch mit Melanchthon am Vorabend sehr deutlich die Grenzen nachträglicher Wiedergabe von Äußerungen in direkter Rede: „[…] da sagt der praeceptor meines behalts ohngefehrlich diese wort: ‚[…].‘ Hierauff gab ich Victorinus so vil ich im gedechtnus hab diese antwort: ‚[…].‘ Dagegen sagte der her praeceptor, wie ichs verstanden und behalten habe: ‚[…].‘“ (Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 341, Anhang zu Nr. 48; Hervorhebungen B. S.).
4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit 4.1 Zur Terminologie Die ältere Forschung zu den Gegenständen dieser Untersuchung gibt an terminologischer Reflexion wenig zu erkennen. Das beginnt schon bei der Bezeichnung des Wormser Religionsgesprächs (4.1.1). Nicht anders steht es mit den Begriffen zur Kennzeichnung von Gruppen und Richtungen, deren Gebrauch weithin nicht erörtert oder begründet wird. Im Blick auf neuere Diskussionen ist aber vor allem der Gebrauch des Terminus ‚Gnesiolutheraner‘ zu erörtern (4.1.2).
4.1.1 Religionsgespräch In den Quellen ist durchweg von ‚Colloquium‘ die Rede, angefangen beim Regensburger Reichsabschied,49 wie überhaupt die Bezeichnung ‚Religionsgespräch‘ in zeitgenössischen Quellen nicht vorkommt.50 In der Literatur begegnen beide Begriffe. Während Heppe seine Ausführungen über die Wormser Religionsverhandlungen des Spätsommers und Herbstes 1557 unter die Überschrift „Das Colloquium zu Worms (1557)“51 stellt und im Zuge der Darstellung überwiegend den Terminus ‚Gespräch‘ als deutsches Äquivalent des lateinischen Begriffs ‚colloquium‘ verwendet52, bezeichnet Wolf anscheinend als erster die Wormser Verhandlungen von 1557 als ‚Religionsgespräch‘53, was er konsequent durchhält. Weit weniger konsequent ist der Sprachgebrauch Benno von Bundschuhs, der seine Arbeit unter dem Titel „Das Wormser Religionsgespräch von 1557“ publiziert hat, in der Arbeit aber bereits in der Überschrift des 1. Teils zum Terminus ‚Colloquium‘ wechselt, um dann in der
49
Vgl. RA Regensburg 1557, § 11: NSamml. III, S. 139. Vgl. die terminologischen Erläuterungen bei Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 654 f. 51 Heppe I, S. 157. 52 Vgl. Heppe I, S. 157 f., S. 163.173 und öfter. 53 Die entsprechende Überschrift lautet: „Das Wormser Religionsgespräch und die Vorverhandlungen“ (Wolf, S. 60). 50
28
4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit
Überschrift des 5. Kapitels des 1. Teils wieder den Begriff ‚Religionsgespräch‘ zu verwenden54 – ein Schwanken, das sich durch die gesamte Arbeit zieht.
Was keine der Untersuchungen zum Wormser Religionsgespräch von 1557 bietet, ist eine Erörterung des Sprachgebrauchs. Terminologische und definitorische Reflexionen zum Begriff ‚Religionsgespräch‘ finden sich hingegen in Studien zu den Reichsreligionsgesprächen der 1540er Jahre sowie in Marion Hollerbachs 1982 erschienener Überblicksarbeit „Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts“.55 Irene Dingel definiert anknüpfend an Hollerbach in der Theologischen Realenzyklopädie Religionsgespräch als „ein öffentliches ‚Forum der theologisch-politischen Auseinandersetzung‘ […], das durch obrigkeitliche Initiative eingesetzt wird, um in Konfrontation von Repräsentanten verschiedener Glaubens- oder Bekenntnishaltungen der konfessionellen Annäherung bzw. Vereinheitlichung zu dienen“56. Die Leistungsfähigkeit der Definition Dingels besteht einerseits darin, daß sie durchaus verschiedene, aber strukturell verwandte Phänomene zu erfassen vermag wie etwa sowohl Gespräche zwischen romtreuer und protestantischer Seite als auch innerprotestantische Gespräche oder auch Gespräche auf verschiedenen politischen Ebenen. Andererseits ermöglicht sie eine klare Abgrenzung gegenüber anderen Formen der theologisch-politischen Auseinandersetzungen wie akademischen Disputationen, privaten Diskussionen oder auch Reichstagen. Das Wormser „Colloquium“ als auf Initiative des Königs vom Reichstag eingesetzte Vergleichsverhandlung zwischen römisch-katholischer Seite und Augsburger Konfessionsverwandten ist im Sinne der angeführten Definition ein Religionsgespräch. Näherhin handelt es sich im Sinne von Dingels weiterer Unterscheidung zwischen drei Typen von Religionsgesprächen – den städtischen Religionsgesprächen, den fürstlich initierten Religionsgesprächen auf territorialer Ebene und den Reichsreligionsgesprächen –57 um ein Reichsreligionsgespräch, und zwar das letzte seiner Art. Es wird daher in der vorliegenden Untersuchung außerhalb von Quellenparaphrasen nicht als Kolloquium bezeichnet, sondern kurz als Religionsgespräch oder, wo reichspolitische Implikationen besonders zu 54 Der 1. Teil steht unter der Überschrift „Die Vorgeschichte des Wormser Colloquiums von 1557 (1552–1557)“ (v. Bundschuh, S. 8); das 5. Kapitel des 1. Teils ist überschrieben „Weitere Vorbereitungen des Religionsgesprächs“ (ebd., S. 248). 55 Vgl. das Referat der verschiedenen Definitionsversuche bei Dingel, Art. Religionsgespräche IV, S. 654 f. 56 Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 655. Die von Dingel aufgegriffene Formulierung „Forum der theologisch-politischen Auseinandersetzung“ geht auf Hollerbach, S. 1 zurück. 57 Vgl. Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 656 f.
4.1 Zur Terminologie
29
berücksichtigen sind, als Reichsreligionsgespräch. Dabei ist zu beachten, daß die in Worms aus Anlaß des Reichsreligionsgesprächs geführten internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten nicht mit dem Religionsgespräch selbst verwechselt werden dürfen. Die leistungsfähige Definition von Religionsgespräch und näherhin Reichsreligionsgespräch durch Irene Dingel ist ein Beispiel für die heuristische Berechtigung einer über den historischen Sprachgebrauch hinausgehenden historiographischen Terminologie. Beschränkte man sich nämlich auf die quellenkonforme Bezeichnung als Kolloquium, so würde beispielsweise der Zusammenhang des Wormser Religionsgesprächs mit den Reichsreligionsgesprächen der 1540er Jahre nicht ersichtlich. Abgesehen davon ist der Terminus ‚Kolloquium‘ auch sonst wesentlich unbestimmter. Die Teilnehmer am Wormser Religionsgesprächs werden in der vorliegenden Arbeit nicht als ‚Gesandte‘, sondern als ‚Deputierte‘ bezeichnet, angelehnt an den Sprachgebrauch der lateinischen und einiger deutscher58 Quellen. Das Problem der in der Literatur verbreiteten Wiedergabe der Termini ‚deputati‘ oder ‚Verordnete‘ durch ‚Gesandte‘ besteht darin, daß dieser Begriff die Konnotation von starker Auftragsgebundenheit hat und die Gesprächsteilnehmer als Abgesandte ihrer Herren erscheinen läßt. Tatsächlich traten die die Gesprächsteilnehmer häufig auch wie Abgesandte ihrer Herren auf. Der Intention und dem Wortlaut des Regensburger Reichsabschieds nach waren sie jedoch von Reichs wegen deputiert. Die Spannung zwischen Deputation von Reichs wegen und Entsendung durch die Stände wird verwischt, wenn die Gesprächsteilnehmer als ‚Gesandte‘ bezeichnet werden.
4.1.2 Gnesiolutheraner Das terminologische Problembewußtsein der auf das 16. Jahrhundert bezogenen Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung ist erheblich geschärft worden seit dem 19. Jahrhundert, in welchem die für die Erforschung des Wormser Religionsgesprächs wegweisenden Arbeiten Heppes und Wolfs erschienen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die zunehmende gegenseitige Beachtung von evangelischer und römisch-katholischer Kirchen- und Theologiegeschichtswissenschaft bei gleichzeitigem Ausbau einer sich dezidiert nicht konfessionellen Perspektiven verpflichtet fühlenden allgemeinhistorischen Frühneuzeitforschung. So ist die Verwendung von perspektivisch besetzten Begriffen wie ‚altgläubig/neugläubig‘ oder 58 Als deutsches Äquivalent zum lateinischen ‚deputati‘ dient in den Quellen auch der heute nur noch in der Zusammensetzung ‚Stadtverordnete‘ gebräuchliche Begriff ‚Verordnete‘.
30
4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit
‚Konfessionalisten‘ ohne Rechenschaftslegung über das jeweils zugrundegelegte Verständnis eigentlich unmöglich geworden, was allerdings Benno von Bundschuh nicht hinderte, noch 1988 ohne explizite terminologische Reflexion umfangreichen Gebrauch von solchen Begriffen zu machen59.
Die weit ausgreifende Konfessionalisierungsdebatte seit den 1980er Jahren60 hat zudem in neuer Deutlichkeit vor Augen geführt, daß in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Konfessionen und ihre spezifischen Konfessionskulturen noch keineswegs vollständig ausgebildet, sondern allererst im Werden waren.61 In diesen Zusammenhang gehört der terminologische Bildersturm, zu dem Thomas Kaufmann in seiner 2003 erschienenen Monographie „Das Ende der Reformation“ angesetzt hat und der hier zu erörtern ist, weil davon Beschreibungskategorien der vorliegenden Untersuchtung betroffen sind. Kaufmann problematisiert zum einen die Konfessionsbezeichnung ‚lutherisch‘ und regt die Überlegung an, „auf das Adjektiv ‚lutherisch‘ für die Bezeichnung der vorkonkordistischen Formationen ganz zu verzichten und den Begriff – quellenkonform – erst vom späten 16. Jahrhundert an, wo der Begriff ‚Luthertum‘ v. a. im Kontext konkordistisch geprägter Kontexte und Milieus auch verstärkt als positive Selbstbezeichnung rezipiert zu werden beginnt, zu verwenden“62. Diese Überlegung scheint aber mittlerweile ad acta gelegt zu sein.63 Anders dürfte es sich mit Kaufmanns Ablehnung des Begriffs ‚Gnesiolutheraner‘ verhalten. Denn für die Aufgabe dieses Begriffs, der üblicherweise „als richtungstheologischer Gruppenbegriff zur Bezeichnung der Melanchthon und den Seinen seit dem Streit um das Interim entgegengetretenen Theologen“ verwendet werde, spricht Kaufmann sich seit längerem mit besonderem Nachdruck aus.64 Im Widerspruch zu diesem Votum werden in der vorliegenden Arbeit gleichwohl bestimmte Personen zwar nicht 59
Vgl. dazu oben S. 12, Anm. 26. Vgl. zusammenfassend Kaufmann, Konfessionalisierung sowie Ehrenpreis/LotzHeumann. 61 Vgl. Kaufmann, Konfession, S. 26. 62 Kaufmann, Ende, S. 280 f., Anm. 341. 63 So zeichnet sich in Kaufmanns 2006 erschienener Publikation „Konfession und Kultur“ nicht nur die Tendenz ab, die Rezeption der Begriffe ‚lutherisch‘ und ‚Luthertum‘ aufgrund neu entdeckter Belege früher anzusetzen (vgl. Kaufmann, Konfession, S. 103, Anm. 162; S. 21 sowie S. 391 f., Anm. 93), so daß die Begriffe mindestens von den 1560er Jahren an quellenkonform verwendet werden könnten. Vielmehr geht Kaufmann unter Absehung von der Quellenkonformität sogar noch weiter zurück und verwendet den Begriff ‚lutherisch‘ in Formulierungen wie der vom „lutherischen Protestantismus in der Mitte des 16. Jahrhunderts“ (ebd., S. 29) oder von der „seit dem Beginn der Wittenberger Reformation entstandenen lutherischen Konfessionskultur“ (ebd., S. 21). 64 Vgl. Kaufmann, Ende, S. 74–76, Anm. 123, das Zitat ebd., S. 75. Kaufmann erklärt abschließend: „Der Begriff ‚Gnesiolutheraner‘ sollte m. E. aufgegeben werden“ (ebd., S. 76). Vgl. bereits Kaufmann, Chemnitz, S. 247 f., Anm. 251 und wieder Kaufmann, Anfänge, S. 209–212. 60
4.1 Zur Terminologie
31
pauschal als ‚Gnesiolutheraner‘ bezeichnet, aber doch als ‚gnesiolutherisch orientiert‘ oder kurz als ‚gnesiolutherisch‘ gekennzeichnet. Inwiefern diese Kennzeichnung angemessen ist, soll daher hier in Auseinandersetzung mit Kaufmann vorab dargelegt werden. Zunächst zu Kaufmanns Argumentation: In seinem sechs Punkte umfassenden Plädoyer für die Aufgabe des Begriffs ‚Gnesiolutheraner‘65 rekurriert Kaufmann anders als bei den Begiffen ‚lutherisch‘ und ‚Luthertum‘ nicht explizit auf das Argument der Quellenkonformität. Zwar weist er vorab darauf hin, daß der Begriff ‚Gnesiolutheraner‘ abgesehen von einem angeblichen Melanchthon-Beleg, den er mit Recht in Frage stellt, erst im 17. Jahrhundert nachzuweisen ist und erst im 19. Jahrhundert zur wissenschaftlichen Bezeichnung für eine theologische Richtung des 16. Jahrhunderts avancierte.66 Kaufmanns Argumente für die Aufgabe des Begriffs beziehen sich aber auf den Gebrauch des Begriffs sowie die Voraussetzungen und Intentionen dieses Gebrauchs. So spreche für die Aufgabe des Begriffs ‚Gnesiolutheraner‘ vor allem dessen inkohärenter Gebrauch. Zudem sei der Begriff, wie Kaufmann an zweiter und sechster Stelle anführt, mit theologiepolitischen Voraussetzungen behaftet, die der bezeichneten Sache nicht gerecht würden, insofern sie eine einheitliche und mit Recht Legitimität beanspruchende „Tradition des Luthertums“ suggerierten. Im Gegenzug drohe, so der dritte und vierte Punkt, daß die binnenkonfessionelle „Pluralität des frühneuzeitlichen Luthertums“ und die große Variabilität der theologischen und kirchenpolitischen Konstellationen nicht angemessen wahrgenommen werden könnten. Ohne es näher auszuführen, widerspricht Kaufmann hier der Vorstellung festgefügter Parteiungen in den theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. An fünfter Stelle verweist er schließlich auf die Gefahr, die innerlutherischen Gruppenbildungen seit dem Interim einseitig als dogmatisch begründet aufzufassen auf Kosten einer angemessenen Würdigung ihrer „religiös-theologiepolitischen“ Dimension.67
Auch wenn Kaufmanns historiographiekritische Argumente im einzelnen durchaus nicht ohne Anhalt sind, stellt sich insgesamt doch die Frage, ob der problematisierte Begriff eines unzulänglichen Gebrauchs wegen, der von ihm gemacht worden ist, aufgegeben werden muß. Oder ob nicht eher gemäß der Regel „abusus non tollit usum“ an dem Begriff festgehalten werden sollte, wobei dann allerdings zu fordern wäre, daß durch eine exakte 65
Vgl. Kaufmann, Ende, S. 76, Anm. 123. Vgl. Kaufmann, Ende, S. 75, Anm. 123. Auch Keller hält fest: „Der Sammelbegriff [scil. ‚Gnesiolutheraner‘] […] war diesen Theologen ebenso wie ihren Gegnern […] nicht bekannt und gebräuchlich.“ (Keller, Art. Gnesiolutheraner, S. 512). Koch führt für seine entgegengesetzte Angabe, daß die Teilnehmer der gnesiolutherischen Bewegung „bereits zu deren Blütezeit G.[nesiolutheraner] genannt wurden“ (Koch, Art. Gnesiolutheraner, Sp. 1043), keinen Beleg an. 67 Kaufmann, Ende, S. 76, Anm. 123. 66
32
4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit
Begriffsbestimmung und -verwendung ein angemessener Gebrauch gewährleistet wird. Diese Frage entscheidet sich letztlich daran, ob der Begriff zur Bezeichnung eines historischen Gegenstandes erhellend ist und welche Alternativbegriffe gegebenenfalls zur Verfügung stehen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bedarf es eines Begriffs, der eine bestimmte Gruppe unter den Deputierten Augsburgischer Konfession in Worms zu bezeichnen vermag. Es handelt sich dabei um die vier herzoglich-sächsischen Deputierten, nämlich den Juristen Basilius Monner und die Theologen Erhard Schnepf, Victorinus Strigel und Johann Stössel, sodann den Braunschweiger Deputierten Joachim Mörlin und schließlich den Mansfelder Deputierten Erasmus Sarcerius. Die Gruppe fand sich früh zusammen68 und agierte in den internen Auseinandersetzungen zwischen den evangelischen Deputierten in bemerkenswerter Geschlossenheit bis hin zum gemeinsamen Abzug aus Worms. Eine geographische Gruppentitulatur läßt sich hier weniger treffend bilden als im Falle der von Kaufmann mit Bezug auf die Jahre 1548 bis 1552 in den Blick genommenen ‚Magdeburger‘69, und das nicht nur, weil die exakte Titulatur ‚herzoglich-sächsisch-‘ oder ‚ernestinisch-braunschweigisch-mansfeldische Gruppe‘ extrem sperrig wäre.70 Vielmehr spricht gegen eine geographische Titulatur vor allem, daß eben nicht die regionale oder ständische Herkunft diese Gruppe zusammenhielt, sondern daß gemeinsame Anliegen die Gruppe über Ständegrenzen hinweg zusammenführten.71 In den Quellen begegnet als Fremdbezeichnung der Gruppe neben kumulativen Lösungen wie „die Weimarischen neben Jrem anhangk“72, „Ienenses,
68
Vgl. unten Abschnitt 3.2 der Darstellung. Insbesondere im Schlußkapitel der Monographie „Das Ende der Reformation“ verwendet Kaufmann die geographische Gruppentitulatur ‚Magdeburger‘ (vgl. Kaufmann, Ende, S. 429 f.437.448.464.475 und öfter). 70 Gegen eine vereinfachte geographische Titulatur wie ‚thüringisch-niedersächsische Gruppe‘ spricht von vorneherein, daß das weder zu Thüringen noch zu Niedersachsen zählende Mansfeld unberücksichtigt bliebe und daß der Braunschweiger Mörlin sich nicht als Repräsentant der niedersächsischen Städte und Stände verstand. 71 Der Mansfelder Generalsuperintendent Sarcerius geriet durch die Kooperation mit den herzoglich-sächsischen Deputierten sogar in einen politisch relevanten Gegensatz zum Kurfürstentum Sachsen, dem mächtigen Nachbarterritorium der Grafschaft Mansfeld. Seine spätere Rechtfertigungsschrift war durch eine Beschwerde Kurfürst Augusts von Sachsen bei Graf Johann Georg von Mansfeld wegen Sarcerius’ Verhaltens in Worms veranlaßt (vgl. Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 39.46, Nr. XIX). 72 Gf. Eberstein-Neugarten, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 2. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 68r–71r, hier fol. 70r. In der Berichterstattung der kursächsischen Räte ist oft auch verkürzend nur von ‚den Weimarischen‘ die Rede (vgl. ebd., fol. 68v), was durch die kursächsische Perspektive begründet sein dürfte. 69
4.1 Zur Terminologie
33
& cum ipsis Morlinus & Sarcerius“73 oder „Sneppius cum suis“74 einmal in einem der späteren Gesamtberichte Melanchthons auch ‚Flaciani‘75. Diese Titulatur und die mit ihr verbundene Vorstellung einer Ausrichtung der Gruppe auf die Person und die Theologie des Flacius haben fortgewirkt bis hin zu Benno von Bundschuh, der in seiner Darstellung vorwiegend den Begriff ‚Flacianer‘ zu ihrer Bezeichnung verwendet,76 obschon er gelegentlich daneben auch den Begriff ‚Gnesiolutheraner‘77 gebraucht.78 Diese Bezeichnung erscheint jedoch als ungeeignet. Denn zum einen hat sich im Anschluß an eine Begriffsklärung Peter F. Bartons in der Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung ein bislang unbestrittener Konsens herausgebildet, als ‚Flacianer‘ nur noch die nachmaligen Anhänger der von Flacius im Synergistischen Streit verfochtenen Erbsündenlehre zu bezeichnen.79 Zum anderen bedarf die in der Bezeichnung als ‚Flacianer‘ implizierte Vorstellung des Verhältnisses zwischen der betreffenden Gruppe in Worms und Flacius dringend einer Revision.80 Als Selbstbezeichnung der Gruppe ist eine retrospektive Formulierung aus Erasmus Sarcerius’ Rechtfertigungsschrift belegt, in welcher Sarcerius Schnepf, Strigel, Stössel, Mörlin und sich selbst als „wir verdammer der secten“ bezeichnet.81 Mit dieser ungewöhnlichen Titulatur ist nun allerdings exakt benannt, worin die gruppenbildende Gemeinsamkeit der genannten Theologen bestand: im Beharren auf der Notwendigkeit der spezifizierten 73 ‚Preußischer Bericht‘: GStA PK XX. HA, HBA A 1, K. 13, Vol. 14, Fasz. 1 u. 2 unpaginiert, hier Bl. 13r. 74 ‚Preußischer Bericht‘: GStA PK XX. HA, HBA A 1, K. 13, Vol. 14, Fasz. 1 u. 2 unpaginiert, hier Bl. 6v. 75 Melanchthon gibt als eigene Äußerung wieder, daß er bereitwillig von den Versammlungen der Deputierten fernbleiben werde, wenn er von den Flacianern verdammt werden sollte: „Libenter etiam se abfuturum esse dixit [scil. Philippus], si fuerit reiectus a Flacianis.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457, Nr. 6469 = MBW 8540. 76 Vgl. besonders die Abschnitts- und Kapitelüberschriften „Vorbereitende Gespräche. Kompromiß zwischen Melanchthonianern und Flacianern“ (v. Bundschuh, S. 417), „Der Verlauf des Religionsgespräches bis zum Abzug der Flacianer“ (ebd., S. 426) und „Der Streit um die hinterlassenen Schriften der Flacianer“ (ebd., S. 472). In der Darstellung verhält es sich nicht anders (vgl. S. 425.462.475 und öfter). 77 Vgl. v. Bundschuh, S. 460.463. 78 Auch bei Wolf werden die Begriffe ‚Flacianer‘ (vgl. Wolf, S. 89.91 f.99 und öfter) und ‚Gnesiolutheraner‘ (vgl. ebd., S. 75 in der Überschrift) nebeneinander gebraucht, während Heppe und Fligge die Gruppe nur als ‚Flacianer‘ (vgl. Heppe, S. 170.192.202 und öfter; Fligge, S. 409.415 und öfter) oder verkürzend als ‚herzoglich-sächsische Theologen‘ (vgl. Heppe, S. 202 und öfter) respektive ‚Weimarer‘ (vgl. Fligge, S. 403.410 und öfter) bezeichnen. 79 Vgl. Barton, S. 10; Koch, Weg, S. 13; Keller, Art. Gnesiolutheraner, S. 512; Dingel, Flacius, S. 92; Kaufmann, Ende, S. 74, Anm. 123. 80 Vgl. unten Abschnitt 2.1.3 in Teil III dieser Arbeit. 81 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 41, Nr. XIX.
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4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit
Verwerfung bestimmter Irrlehren. Das Drängen auf die Verwerfungen ist näherhin begründet im Bewußtsein einer strikten Orientierung an einer bestimmten, an der CA von 1530 in Verbindung mit Apologie und Luthers Schmalkaldischen Artikeln als Summe der prophetischen und apostolischen Lehre82 festgemachten Gestalt des Lehrbestandes der Wittenberger Theologie vor Luthers Tod, dem Schmalkaldischen Krieg und dem Augsburger Interim und richtet sich daher insbesondere gegen Irrlehren, die der eigenen Wahrnehmung nach seither aufgekommen sind oder Verbreitung gefunden haben.83 Politische Rücksichtnahmen wurden von den ‚Verdammern der Sekten‘ abgelehnt.84 Das beschriebene Selbstverständnis der in Worms agierenden Gruppe der ‚Verdammer der Sekten‘ ist anschlußfähig an den in der Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung etablierten, von Kaufmann hingegen in Frage gestellten Begriff der ‚Gnesiolutheraner‘. So attestiert Koch den Gnesiolutheranern nicht nur eine besondere „Empfindlichkeit gegenüber Eingriffen außer- und nebenkirchlicher Kräfte in die von ihnen als eigentlich theologisch verstandenen Bereiche der innerkirchlichen Diszipin“ sondern auch einen „unbefangene[n] und Rücksichten scheuende[n] Umgang mit Verwerfungsformeln und Verurteilung von Irrlehre“85. Und wenn Keller erklärt, als Gnesiolutheraner bezeichne man die Theologen, „welche in den 82 Vgl. nur die ‚Formula subscriptionis‘, die Schnepf, Strigel, Stössel, Mörlin und Sarcerius vor Beginn des Religionsgesprächs zu unterschreiben beabsichtigten: „Ego N. N. huic protestatione subscribo & testatum facio, me amplectj & profiterj doctrinam propheticam & Apostolicam eiusque doctrinae summam, comprehensam in Confessione Augustae exhibita Imperatorj Carolo quinto Anno 1530, & in Apologiam eiusdem, & in Articulis Smalcaldis Anno domini 1537 a Reuerendo viro Doctore Martino Luthero propositis, ac subscriptione praecipuorum Theologorum confirmatis […].“ (‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol 210r). 83 In ihrer ‚Großen Protestationsschrift‘ erklären Schnepf, Mörlin, Sarcerius, Strigel und Stössel, sie bezeugten „vor Gott dem Herrn […], daß wir […] mit Verwerfung allerlei Corruptelen nie nichts anders gesucht haben und noch suchen denn Erhaltung reiner Lehre des Evangelij, und Absonderung der rechten Kirche von allen andern Rotten und Secten.“ (‚Große Protestationsschrift‘ Schnepfs, Mörlins, Sarcerius’, Strigels und Stössels: CR 9, Sp. 286, Nr. 6350). Die Sekten und Verfälschungen werden gekennzeichnet als „Secten, die nach des gottseligen Mannes D. Lutheri Tode, in die Kirchen, so sich zu der Augsburgischen Confession bekennen, eingeschlichen sind“ sowie als „Corruptelen, so sich nach D. Lutheri seligem [sic!; mit Heppe, Anhang S. 23, Nr. 6 zu lesen: „seligen“] Tod haben zugetragen“ (‚Große Protestationsschrift‘: CR 9, Sp. 286 f.293, Nr. 6350). 84 Nach Schilderung des Grafen von Eberstein-Neugarten, der in Worms als Vertreter des sächsischen Kurfürsten fungierte, erklärten Schnepf, Strigel, Stössel, Mörlin und Sarcerius ihm auf die Vorhaltung der politischen Konsequenzen ihres Verhaltens hin, „[d]as sie von irem fornhemen nicht könten noch wolten abstehen, darumb das sie theologj und nicht Politicy vnd das sie keiner herrn vnd fursten gunst darin ansehen, sondern solches, auf ir ebentheuer, thun vnd wagen wolten“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 18r–34v, hier fol. 28v). 85 Koch, Philippismus, S. 66.
4.1 Zur Terminologie
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innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten zwischen dem Interim (1548) und der Konkordienformel (1577) Luthers Erbe gegen Aufweichungen und Überfremdungen bewahren wollten“86, so konvergiert diese Begriffsbestimmung hinsichtlich der Orientierung am vorinterimistischen Lehrbestand mit dem beschriebenen Selbstverständnis. Auch wenn es nicht angeraten scheint, Monner, Schnepf, Strigel, Stössel, Mörlin und Sarcerius pauschal als Gnesiolutheraner zu bezeichnen – dagegen spricht schon die weitere theologisch-biographische Entwicklung Strigels und Stössels –, so ist bezogen auf das Wormser Religionsgespräch ihre Kennzeichnung als ‚gnesiolutherisch orientiert‘ oder kurz ‚gnesiolutherisch‘ instruktiv. Denn sie gibt zum einen zu erkennen, daß die Genannten sich zu diesem Zeitpunkt gemeinsamen Überzeugungen verpflichtet wußten, wie sie von der Forschung als typisch für die Gnesiolutheraner herausgearbeitet worden sind. Zum anderen weist die Kennzeichnung als ‚gnesiolutherisch orientiert‘ darauf hin, daß die Genannten nicht allein standen, sondern sich eingebunden wissen konnten in ein ständeübergreifendes Netzwerk von Gleichgesinnten, was durch ihre Korrespondenz mit Flacius und Gallus, durch die Rolle Johannes Aurifabers als Übermittlers von Informationen sowie durch Bezüge zu Amsdorf, Westphal und anderen belegt wird. Der Begriff ‚Netzwerk‘ ist trotz seiner gegenwärtig inflationären Verwendung sehr treffend für die Art und Weise, in welcher die gnesiolutherisch orientierten Theologen miteinander verbunden waren. Denn es gab selbstverständlich keine gnesiolutherische Partei mit Statuten und Mitgliedsausweisen. Deshalb sind Unternehmen wie Kolbs Zählung von 131 aktiven Gnesiolutheranern87 mit größter Skepsis zu betrachten. Andererseits bestand aber doch ein deutliches Zusammengehörigkeitsgefühl über Ständegrenzen und sogar über manche theologischen Differenzen hinweg.88 Zusammengehalten wurde das gnesiolutherische Netzwerk durch einen regen Austausch von Informationen. Es würde sich lohnen, dieses Netzwerk und seine Funktionsweise genauer zu beschreiben. Die vorliegende Arbeit leistet für den wichtigen untersuchten Zeitraum einen Beitrag dazu.
Als ‚gnesiolutherisch orientiert‘ oder kurz ‚gnesiolutherisch‘ werden mithin in der vorliegenden Arbeit Theologen sowie auch Nicht-Theologen bezeichnet, die eingebunden in ein ständeübergreifendes Netzwerk unter Ablehnung politischer Rücksichtnahmen für eine strikte Orientierung an einer bestimmten, an der CA von 1530 in Verbindung mit Apologie und Luthers Schmalkaldischen Artikeln festgemachten Gestalt des Lehrbestandes 86
Keller, Art. Gnesiolutheraner, S. 512. Vgl. Kolb, Dynamics, S. 1291, Anm. 3. 88 Auch Kaufmann kommt nicht umhin, Sammelbegriffe für die hier als gnesiolutherisch orientiert bezeichneten Theologen zu bilden. So spricht er von antiwittenbergischen Interimsgegnern (Kaufmann, Ende, S. 74) oder von radikalen Lutheranhängern in Magdeburg (ebd., S. 486), von dezidiert konfessionellen lutherischen Theologen (Kaufmann, Konfession, S. 382) oder von Radikalen im Umkreis des Flacius (ebd., S. 372). 87
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4. Terminologie und Darstellungsweise dieser Arbeit
der Wittenberger Theologie vor Luthers Tod, Schmalkaldischem Krieg und Augsburger Interim in Affirmation und Negation eintraten.
4.2 Zur Zitierweise und zur Gestaltung der Anmerkungen Zitate sind möglichst getreu der jeweiligen Vorlage wiedergegeben. Nur geläufige Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst. Auch die Interpunktion innerhalb von Zitaten wurde unverändert übernommen, gelegentlich sind jedoch um der besseren Lesbarkeit willen in eckigen Klammern zusätzliche Interpunktionszeichen eingefügt. Lateinische Zitate sind im Fließtext übersetzt; die Originalzitate finden sich in den Fußnoten. Bei lateinischen Einschüben in die im Fließtext gebotenen frühneuhochdeutschen Zitate ist umgekehrt verfahren. Wegen der Vielzahl und Vielgestaltigkeit der Quellen sind die Anmerkungen so gestaltet, daß nach Möglichkeit bei jedem Zitat transparent wird, von wem die jeweils verwendeten Informationen stammen und wann sie in welcher Form wem gegeben wurden. Bei Briefen sind daher Absender und Adressat sowie Ort und Datum der Abfassung angegeben. Die für andere Quellen verwendeten Bezeichnungen orientieren sich soweit möglich an der originalen Bezeichnung und werden jeweils bei der ersten Zitierung der Quelle angegeben. In Abschnitten der Darstellung, die sich nur auf eine Hauptquelle beziehen, ist von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Zitate in abgekürzter Form im Text zu belegen; dies wird jeweils zu Beginn des Abschnitts angemerkt. Um schnellen Zugriff auf die vielen verschiedenen archivalischen Aufbewahrungsorte der ungedruckten und die nicht weniger zahlreichen Publikationsorte der gedruckten Quellen zu ermöglichen, sind bei jedem Quellenzitat die entsprechenden Angaben vermerkt. Im Interesse an einer dennoch möglichst ökonomischen Gestaltung der Anmerkungen ist die Ausnahme begründet, daß für die folgenden, durchgängig sehr häufig zitierten Quellen bereits hier die archivalischen Angaben vermerkt sind, so daß sie in den Anmerkungen nur mit ihrer Bezeichnung und der jeweiligen Stellenangabe angeführt werden: ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 18r–34v.89 89 Federführend bei der ‚Gemeinsamen Relation‘ waren die kursächsischen politischen Räte. Für die politischen Räte anderer Stände, die sich der ‚Gemeinsamen Relation‘ anschlossen, wurden Abschriften angefertigt. Aber auch im Dresdner Archiv liegt die ‚Gemeinsame Relation‘ in Form einer solchen Abschrift vor. Die ‚Gemeinsame Relation‘ kann daher, wie es hier geschieht, auch nach der in Marburg überlieferten, bereits von Heppe
4.2 Zur Zitierweise und zur Gestaltung der Anmerkungen
37
Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 24r–33v. ‚Preußischer Bericht‘:GStA PK, XX. HA, HBA A 1, K. 13, Vol. 14, Fasz. 1–2 unpaginiert, Bl. 1r–16v. Stellenangaben aus mit Blattzählung versehenen Quellen werden durch die Abkürzung ‚fol.‘ kenntlich gemacht, solche aus unpaginierten Quellen ebenfalls blattweise durch ‚Bl.‘. Die Vorder- und Rückseiten der Blätter werden mit ‚r‘ für ‚recto‘ und ‚v‘ für ‚verso‘ angegeben.
benutzten Abschrift für die Landgrafschaft Hessen zitiert werden, die sich bei einem Vergleich mit der kursächsischen Abschrift in Dresden als mit dieser übereinstimmend erwies.
II. Darstellung
1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57 und die Ansätze einer gemeinsamen Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten 1.1 Reichsrechtliche Rahmenbedingungen: Der Regensburger Reichstag von 1556/57 und die Religionsartikel des Reichsabschieds 1.1.1 Das Ringen um die Religionsverhandlungen auf dem Reichstag Auf dem Augsburger Reichstag von 1555 war die seit Jahrzehnten offene Religionsfrage mit der Verabschiedung des Religionsfriedens zu einer gewissen Lösung geführt worden. Daher liegt die Vermutung nahe, daß die Religionsfrage auf dem folgenden Reichstag in Regensburg 1556/57 keine besondere Rolle gespielt hätte. Ausweislich des Regensburger Reichsabschieds1 war aber das Gegenteil der Fall. Denn die Religionsartikel (Art. 7–40: S. 138–142) nehmen mit 34 von insgesamt 89 Artikeln des Regensburger Reichsabschieds nicht nur den meisten Raum ein, sondern stehen unter den materialen Entscheidungen auch an erster Stelle.2 Näher betrachtet entspricht die Voranstellung der Religionsartikel exakt dem Auftrag des Reichstags, wie er in der Präambel und den ersten Artikeln des Reichsabschieds in Anknüpfung an den Augsburger Reichsabschied von 1555 festgehalten ist: Weil die in Augsburg 1555 vorgesehene Beratung über die Religionsvergleichung „vieler und zum Theil in dem Abschied da-
1 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 136–152. Zitate aus dem Regensburger Reichsabschied werden in den Abschnitten 1.1.1 bis 1.1.3 durch Artikel- und Seitenangabe im Text belegt. 2 Die Religionsartikel folgen direkt auf die einleitende Rekapitulation des Weges von der Ausschreibung des Reichstags bis zu dessen Eröffnung (Art. 1–6: S. 137 f.). Bis auf die Türkenhilfe, die an zweiter Stelle behandelt wird und der mit 28 Artikeln ein vergleichbarer Umfang eingeräumt ist (Art. 41–68: S. 142–147), erfahren alle weiteren Beratungsgegenstände eine wesentlich geringere Berücksichtigung: Vier Artikel gelten dem Landfrieden (Art. 69–72: S. 147), sieben dem Reichskammergericht (Art. 73–79: S. 147 f.) und sechs der Münzordnung (Art. 80–85: S. 148 f.), bevor die Schluß- und Derogationsklauseln (Art. 86–89: S. 149) den Reichsabschied beschließen.
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
41
selbst aufgericht vermeldter Ursachen halben“3 unterblieben war, habe man dort beschlossen, „dieses Articuls Erledigung auf eine andere nothd rfftige Reichs-Versammlung zu verschieben“4. Deshalb sei der nächste Reichstag nach Regensburg ausgeschrieben worden, auf dem „f rnemlich von bemeldter Christlicher Vergleichung unserer H. Religion und Glaubens=Sachen“ (Art. 1: S. 137) gehandelt und darüber beschlossen werden sollte. Als weitere vorgesehene Beratungsgegenstände werden gemäß dem Augsburger Reichsabschied von 1555 genannt die Münzordnung, die Reichsexekutionsordnung „und was sonst mittler Weil vor mehr obliegen und Sachen f rfallen w rden“ (Art. 1: S. 137). Als solches mittlerweile vorgefallenes ‚Obliegen‘ kam in Regensburg vor allem anderen die neuerliche Offensive der Türken5 zur Verhandlung, die als Grund für die Verschiebung der Reichstagseröffnung vom ursprünglich vorgesehenen Termin angeführt wird (vgl. Art. 2–5: S. 137). Die Verhandlungen über die Türkenhilfe und die Religionssache sollten schließlich so viel Zeit in Anspruch nehmen, daß die Beratung der Münzordnung abermals verschoben werden mußte (vgl. Art. 81 f.: S. 148 f.).
Worum es bei der neuerlichen Behandlung der Religionssache gehen sollte, hält der Regensburger Reichsabschied fest, indem er aus dem Augsburger Reichsabschied das 1555 aufgeschobene Vorhaben zitiert, zu beraten und festzusetzen, „durch was ziemliche und geb rliche Wege, die nothwendige und heilsame Vergleichung und Einigkeit in der strittigen Religion und Glaubens=Sachen zu suchen und vermittelst G ttl. Gnaden zu treffen und zu erlangen“6. Das Bemühen um ‚Vergleichung in der strittigen Religion‘ blieb somit auch nach der Verständigung auf den Religionsfrieden ganz oben auf der Agenda der Reichspolitik. Die eigentliche Ursache dafür ist, daß das Festhalten am religiösen Wiedervereinigungsauftrag die verfassungsrechtliche Bedingung der Möglichkeit des Religionsfriedens war.7 Zudem war und blieb die religiöse Wiedervereinigung das übergeordnete Ziel der Religionspolitik König Ferdinands.8 Während die offizielle königliche Proposition zur Eröffnung des Regensburger Reichstags im Einklang mit den Vorgaben noch den Vorrang der Re3 Präambel RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 136 f. Der Verweis bezieht sich auf Art. 9 f. des Augsburger Reichsabschieds von 1555, wo ausgeführt wird, daß in Anbetracht der Lage im Reich die Frage der Religionsvergleichung zurückgestellt worden sei zugunsten der Verhandlungen über den Religionsfrieden (vgl. § 9 f. RA Augsburg 1555: NSamml. III, S. 16). 4 Präambel RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 137; vgl. § 140 RA Augsburg 1555: NSamml. III, S. 38. 5 Zur türkischen Offensive 1556 vgl. Laubach, S. 638. 6 Präambel RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 136; formuliert in Anlehnung an § 139 RA Augsburg 1555: NSamml. III, S. 38. 7 Vgl. Stumpf, S. 343; Gotthard, Religionsfrieden, S. 88–90. 8 Vgl. Gotthard, Religionsfrieden, S. 320.
42
1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
ligionssache beteuerte,9 was auch die Reichsstände bekräftigten (vgl. Art. 7: S. 138), machte König Ferdinand jedoch intern in seiner Instruktion für die österreichischen Vertreter im Fürstenrat nicht die vorrangige Behandlung der Religionssache, sondern deren Absetzung vom Reichstagsprogramm zur Zielvorgabe!10 Ausschlaggebend für die veränderte Zielsetzung11 war die akute Gefährdung durch die neue türkische Offensive. Ferdinand sah sie als so gravierend an, daß er mit Macht auf die vordringliche Behandlung der Türkenhilfe drang. Sie sollte den Verhandlungen über die Religionsvergleichung unbedingt vorgezogen werden, zumal es als zweifelhaft erschien, ob im Verlaufe des Reichstags Fortschritte in der Religionsfrage erzielt werden könnten. Ferdinands Einschätzung der Lage war wesentlich bestimmt von seinen Beratungen mit Kursachsen und Kurbrandenburg im Vorfeld des Reichstags.12 So hatte Kurfürst August von Sachsen dem König bei ihrer Begegnung in Leitmeritz Anfang Mai 1556 eindrücklich vor Augen geführt, daß hinsichtlich der Religionsvergleichung keine Aussichten auf rasche Fortschritte bestünden, vielmehr sogar eine Gefährdung des eben erst erreichten Religionsfriedens zu befürchten sei. Die auf evangelischer Seite noch längst nicht verwundenen Erfahrungen des Interims und umlaufende Gerüchte, der Papst dränge den Kaiser zur Aufhebung des Religionsfriedens, rechtfertigten Augusts Einschätzung. August riet daher zu einer dilatorischen Behandlung der Religionsfrage auf dem Reichstag und stellte dafür sein Entgegenkommen bei der Gewährung der Türkenhilfe in Aussicht. In seiner Entgegnung zeigte sich Ferdinand sehr aufgeschlossen für Augusts Vorstellungen. Die Veränderung der religionspolitischen Strategie des Königs war bereits zuvor angebahnt gewesen durch verbreitete Widerstände gegen Ferdinands Vergleichspolitik auf römisch-katholischer Seite.13 Daß schließlich auch Kurbrandenburg die Vergleichspolitik Ferdinands nicht aktiv unterstützen wollte, überzeugte Ferdinand vollends von der „Aussichtslosigkeit einer Wiederaufnahme des Gesprächsversuches zum gegenwärtigen Zeitpunkt“14.
Aufgrund der geringen Aussichten für die Religionsvergleichung und unter dem Druck des türkischen Vordringens entschied der König sich um einer möglichst reibungslosen Gewährung der Türkenhilfe willen für die dilatorische Behandlung des Religionsvergleichs. Seine interne strategische Entscheidung schlug sich trotz aller pathetischen Beteuerung des Vorrangs der 9 Vgl. Wolf, S. 21, Anm. 5. Die Reichstagseröffnung war am 13. Juli 1556 durch Herzog Albrecht von Bayern in Vertretung König Ferdinands, seines Schwiegervaters, vorgenommen worden (vgl. v. Bundschuh, S. 126–128). 10 Vgl. hierzu und zum Folgenden v. Bundschuh, S. 123–126. 11 In Augsburg hatte Ferdinand noch gegen Widerstand von seiten der Stände die Anberaumung des Regensburger Reichstags mit vorrangiger Behandlung der Religionsvergleichung durchgesetzt (vgl. v. Bundschuh, S. 74). 12 Vgl. zum Folgenden v. Bundschuh, S. 110–116. 13 Zu den Widerständen von seiten der geistlichen Fürsten, der Kurie in Rom und führender Vergleichstheologen vgl. v. Bundschuh, S. 78–80.86–95. 14 V. Bundschuh, S. 116.
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
43
Religionssache auch schon in der Reichstagsproposition nieder. Denn anders als im Augsburger Reichsabschied bestimmt,15 waren in der Proposition keine Vergleichsverhandlungen mehr für den Regensburger Reichstag vorgesehen, sondern nur noch Beratungen über geeignete Wege zu einer Vergleichung; nicht einmal die Einrichtung eines Religionsausschusses wurde ins Auge gefaßt, die im Verweis des Augsburger Reichsabschieds auf den Passauer Vertrag impliziert gewesen war16. Da die geschilderte Entwicklung sich bereits vor der Eröffnung des Regensburger Reichstags abgezeichnet hatte, war lediglich von einem einzigen Reichsstand ein Theologe mitsamt der Reichstagsdelegation nach Regensburg geschickt worden: vom ernestinischen Herzogtum Sachsen der Jenaer Theologieprofessor Erhard Schnepf.17 Zu der vom König beabsichtigten dilatorischen Behandlung des Religionspunktes kam es aber nicht. Sie scheiterte am Widerstand der Kurpfalz, die auf dem Regensburger Reichstag, nur kurze Zeit nach dem Regierungsantritt Kurfürst Ottheinrichs im März 1556, erstmals als protestantische Macht mit Führungsanspruch innerhalb des evangelischen Lagers wie auch auf Reichsebene auftrat.18 Ottheinrich und seine Räte sahen in Ferdinands Begehren nach Gewährung der Türkenhilfe einen Hebel, um den in Augsburg 1555 vom König gegen den erklärten Willen der protestantischen Stände durchgesetzten ‚Geistlichen Vorbehalt‘ aufzuheben und die völlige Freistellung auch der geistlichen Fürsten zu erreichen.19 In internen Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten versuchte der Pfälzer Gesandte, die evangelischen Stände zu einer einheitlichen Position des Inhalts zu bewegen, daß man erst dann in die Verhandlung der vom König angesagten Punkte eintreten solle, wenn die Freistellung durchgesetzt sei. Er verwies auf die Gunst der Stunde, daß der König unter dem Druck der Türkengefahr zum Nachgeben bewegt werden könne. Zunächst nur von Württemberg und Pommern unterstützt, während insbesondere Kursachsen aus Sorge um eine Gefährdung des Religionsfriedens und im Interesse einer gedeihlichen Beratung der Türkenhilfe den pfälzischen Vorschlag ablehnte, konnte Ottheinrichs Linie schließlich doch durchgesetzt werden.20
Die Pfälzer erreichten, daß die Freistellungsforderung im Kurfürsten- und im Fürstenrat mit einhelliger Unterstützung aller evangelischen Stände eingebracht wurde, wobei allerdings die Bedingung, vor ihrer Bewilligung 15
Vgl. § 140 RA Augsburg 1555: NSamml. III, S. 39. Vgl. § 140 RA Augsburg 1555: NSamml. III, S. 39. 17 Vgl. Wolf, S. 23 f.; v. Bundschuh, S. 130, Anm. 36. Die Einberufung römisch-katholischer Theologen nach Regensburg erfolgte später (vgl. v. Bundschuh, S. 167–169). 18 Vgl. zum Folgenden Wolf, S. 25 f.; v. Bundschuh, S. 143. 19 Zu den Auseinandersetzung um die Freistellung auf dem Regensburger Reichstag insgesamt vgl. Westphal, S. 41–73; zur kurpfälzischen Haltung vgl. insbesondere ebd., S. 70; Gotthard, Religionsfrieden, S. 333 f. sowie Gotthard, „Frölich gewest“. 20 Vgl. Wolf, S. 27–31; v. Bundschuh, S. 152 f. 16
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
in keine anderen Beratungen einzutreten, pfälzisches Sondervotum blieb.21 Wegen des Widerspruchs der römisch-katholischen Stände war in beiden Räten keine Einigung zu erzielen.22 Wie in solchen Fällen üblich, wurde das zwiespältige Votum den königlichen Kommissaren referiert. Die Kommissare sagten zu, Ferdinand um Resolution zu ersuchen, verlangten aber den sofortigen Eintritt in die Beratungen über die Propositionspunkte. In den anschließenden internen protestantischen Beratungen gelang es den Kursachsen, die Pfälzer zum Eintritt in die Verhandlungen über den Religionsvergleich und die Türkenhilfe zu bewegen, jedoch mit dem Zugeständnis an die pfälzische Position, daß verbindliche Beschlüsse erst nach Bewilligung der Freistellung gefaßt werden sollten. Unterdessen war auch die königliche Resolution vom 22. Oktober 1556 in Regensburg eingetroffen. Der König, über die Freistellungsforderung ungehalten, verlangte, endlich mit der Beratung der Propositionspunkte, insbesondere aber der Türkenhilfe zu beginnen, und bat, über die Freistellungsforderung erst wieder zu verhandeln, wenn er und die wichtigsten Reichsfürsten auf dem Reichstag eingetroffen seien.23 In der Resolution kam ein erneuter Strategiewechsel des Königs zum Ausdruck, der durch die unbedingte und von den übrigen evangelischen Ständen schließlich mit geringen Modifikationen mitgetragene Freistellungsforderung der Pfalz veranlaßt worden war: Der durch einen sächsischen Mittelsmann gut informierte königliche Rat Zasius hatte bereits nach den ersten internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten über die pfälzische Freistellungsforderung dem König geraten, anders als in der Instruktion vorgesehen die Religionsfrage nicht vom Reichstagsprogramm abzusetzen, sondern vielmehr ihre Beratung zügig und mit dem erklärten Ziel der Abhaltung eines Religionsgesprächs in Angriff zu nehmen.24 Zasius war der Auffassung, nur so könne dem protestantischen Druck in der Religionsfrage die Kraft genommen und eine Gefährdung der Türkenhilfe verhindert werden. Nachdem der König zunächst am Standpunkt der Instruktion festgehalten hatte, ließ er sich bis Ende September doch überzeugen. „Ferdinand konnte sich der Einsicht nicht länger verschließen, daß eine von jeder Religionsberatung unbelastete Erledigung der Türkenhilfe unmöglich durchzusetzen war.“25 Mit der königlichen Resolution vom 22. Oktober war der Weg für die Beratung der Propositionspunkte frei, auch wenn sich deren Aufnahme wegen des Todes des Kölner Kurfürsten nochmals bis Ende November 21
Vgl. Wolf, S. 31 f.; v. Bundschuh, S. 153 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Wolf, S. 32–36.38–40; v. Bundschuh, S. 154–158. 23 Vgl. Wolf, S. 36–38; v. Bundschuh, S. 159. 24 Vgl. hierzu und zum Folgenden v. Bundschuh, S. 144–150. 25 V. Bundschuh, S. 150. 22
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
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verzögerte.26 Ins Auge gefaßt war eine tageweise abwechselnde Beratung von Religionsvergleich und Türkenhilfe, wobei über den Religionsvergleich in dem noch zu konstituierenden Religionsausschuß, über die Türkenhilfe aber in den Reichsräten verhandelt werden sollte.27 Als König Ferdinand schließlich am 8. Dezember in Regensburg eintraf, war die Nominierung der Teilnehmer des paritätisch besetzten Religionsausschusses bereits abgeschlossen, so daß der Ausschuß am 9. Dezember endlich seine Arbeit aufnehmen konnte.28 Der pfälzische Vorstoß in der Frage der Freistellung hatte wesentlich dazu beigetragen, daß die Religionssache auf dem Regensburger Reichstag doch noch wie ursprünglich vorgesehen einen hohen Stellenwert erhielt und der im Passauer Vertrag vereinbarte und in Augsburg vertagte Religionsausschuß konstituiert wurde, anders als es der König unmittelbar vor Beginn der Reichstagsverhandlungen angestrebt hatte. Doch beschränkte sich die Arbeit des Religionsausschusses auf die Frage des Religionsvergleichs, die Freistellung hingegen kam dort nicht zur Verhandlung. Deshalb erinnerten die Augsburger Konfessionsverwandten den König wiederholt an seine Zusage, sich nach seiner Ankunft in Regensburg mit der Freistellung zu befassen. Der König aber behandelte die Erinnerungen durch die Augsburger Konfessionsverwandten zunächst hinhaltend, bis er die Freistellungsforderung schließlich im Februar 1557 abschlägig beschied.29 Da Kursachsen in den internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten mit Erfolg eine Entkopplung von Freistellungsforderung und Gewährung der Türkenhilfe betrieben hatte,30 verfügten die evangelischen Stände über kein wirksames Druckmittel gegenüber dem König mehr, und es blieb ihnen schließlich nur noch die Möglichkeit einer Protestation. Deren Umfang war innerevangelisch umstritten, insofern die Pfälzer nun auf ihren Vorbehalt zurückkamen, auf dem Reichstag verbindliche Beschlüsse nur zu fassen, wenn die Freistellung gewährt würde.31 Dem standen aber nicht nur die bereits weitgehend abgeschlossenen Verhandlungen entgegen, sondern auch die Entschiedenheit, mit der die kursächsischen Gesandten darauf beharrten, sie dürften nach dem Befehl ihres Herrn den Religionsfrieden und die Türkenhilfe nicht gefährden. Es blieb bei einer Protestation an den König und einer abschließenden Protestation anläßlich der Verlesung des Reichsabschieds, nachdem es immerhin noch gelungen war, aus dem
26
Vgl. v. Bundschuh, S. 158–161. Vgl. Wolf, S. 42; v. Bundschuh, S. 166. 28 Vgl. Wolf, S. 46. 29 Vgl. Wolf, S. 46 f.50–52.57; v. Bundschuh, S. 191 f.227. 30 Vgl. Wolf, S. 46. 31 Vgl. Wolf, S. 58. 27
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
Abschied einige Bemerkungen zum Geistlichen Vorbehalt zu tilgen.32 So fand die Freistellung im Reichsabschied schließlich keinerlei Erwähnung. Vielmehr galten die Religionsartikel des Reichsabschieds ausschließlich dem Religionsvergleich als dem alleinigen Beratungsgegenstand des Religionsausschusses auf dem Regensburger Reichstag.
1.1.2 Verständigung im Religionsausschuß auf ein Religionsgespräch Der Religionsausschuß setzte sich paritätisch aus jeweils neun Mitgliedern von seiten der beiden Religionsparteien zusammen, näherhin jeweils drei Vertretern des Kurfürstenrats, fünf Vertretern des Fürstenrats und einem Vertreter der Städte.33 Von römisch-katholischer Seite waren außer den Vertretern der drei geistlichen Kurfürsten nominiert worden die geistlichen Fürstentümer Salzburg und Augsburg, ferner Österreich, Bayern und die Prälaten34. Die Stelle des Städtevertreters blieb zunächst unbesetzt, weil bis zum Eintreffen eines Gesandten aus SchwäbischGmünd am 16. Dezember keine römisch-katholische Reichsstadt auf dem Reichstag vertreten war. Die evangelische Seite nominierte neben den Vertretern der drei weltlichen Kurfürsten die Fürstenratsmitglieder Brandenburg-Ansbach, Württemberg und Hessen sowie die Wetterauer Grafen als Vertreter der Grafenkurie und Straßburg als Vertreterin der evangelischen Reichsstädte. Der Platz des vierten Fürstenvertreters blieb umstritten: Während die Kurpfälzer Pfalz-Zweibrücken vorschlugen, beharrten Kursachsen und Kurbrandenburg darauf, daß der Platz vom seinerzeit auf dem Reichstag nicht vertretenen Herzogtum Sachsen35 zu besetzen sei. Als Kompromißlösung wurden beide nominiert; zunächst sollte Zweibrücken den Platz einnehmen, nach Eintreffen eines herzoglich-sächsischen Vertreter sollten die beiden Stände sich miteinander einigen.
Die Verhandlungen im Ausschuß wurden gemäß den Reichstagsgepflogenheiten in Form der Umfrage nach der Session geführt.36 Da der Verhand32
Vgl. Wolf, S. 58 f.; v. Bundschuh, S. 227 f. mit Anm. 187–189. Zu den Beratungen über die Zusammensetzung des Ausschusses und zur Nominierung seiner Mitglieder vgl. Wolf, S. 41–43.; v. Bundschuh, S. 163–166. 34 Zur Vertretung der Prälatenkurie, in welcher die Reichsäbte und -äbtissinen sowie weitere reichsunmittelbare, nicht-bischöfliche Geistliche zusammengeschlossen waren, durch eine gemeinsame Kuriatsstimme vgl. Oestreich, S. 209. 35 Zum zeitweiligen Fehlen von Vertretern des Herzogtums Sachsen auf dem Reichstag vgl. unten S. 73, Anm. 147. 36 Vgl. Wolf, S. 43 f., Anm. 3 aufgrund des kursächsischen Reichstagsprotokolls: „In den Sitzungen proponiert der Mainzer Kanzler und fragt herum, bis er zu Sachsen kommt; alsdann hat der kursächsische Gesandte zu fragen. Wenn dieser selbst reden soll, fragt der Mainzer Kanzler.“ Zum Verfahren der Umfrage vgl. Oestreich, S. 208. Seit 1529 leitete Kurmainz die Umfrage im Kurfürstenrat, Kursachsen hingegen in der Reichsversammlung. 33
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
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lungsgegenstand umstritten war, konnte im Ausschuß nur selten Einvernehmen erzielt werden. Dabei entsprachen die kontroversen Voten nicht immer der Trennlinie zwischen römisch-katholischen und evangelischen Ständen, weil Österreich und Bayern sich teilweise den Augsburger Konfessionsverwandten anschlossen, so daß die geistlichen Stände für sich zu stehen kamen. Die unverglichenen Punkte wurden als gespaltenes Votum dem König vorgelegt, der durch seine Repliken der weiteren Beratung die Richtung vorzugeben suchte. Nach den Beratungsgegenständen und den Relationen an den König lassen sich in der Ausschußtätigkeit drei Beratungsphasen unterscheiden.37 Die erste Phase38 war bestimmt von der Auseinandersetzung um verschiedene Ausgleichswege. An ihrem Ende Mitte Januar stand fest, daß unter den vier seit langem diskutierten Ausgleichswegen – General- oder Nationalkonzil, Religionsgespräch oder Reichsversammlung –39 nach dem Willen des Königs im Einklang mit den evangelischen Ständen und den weltlichen Ständen der römisch-katholischen Seite gegen den Widerstand der geistlichen Stände einem Religionsgespräch der Vorzug zu geben sei. Als Ergebnis ist im Reichsabschied festgehalten, „daß dißmahls obber rts Articuls halb, der gezweyten Religion, […] ein Colloquium ordentlicher geb rlicher Weiß angestellt werden soll“ (Art. 11: S. 139). Auch in der zweiten Beratungsphase40 kam es zu einem gespaltenen Votum an den König, nunmehr über die Frage, in welchem Verhältnis ein Religionsgespräch zu einem künftigen Konzil stehen sollte und ob die Bischöfe auf einem Religionsgespräch an ihre Eide und Pflichten gebunden sein sollten. Obwohl der König ausweichend replizierte und die Streitpunkte deshalb ungelöst blieben, trat man am 10. Februar in die dritte Beratungsphase41 ein, deren Gegenstände der Gesprächsort und -zeitpunkt, die Funktion der Teilnehmer und die Geschäftsordnung des künftigen Religionsgesprächs waren. In der dritten Phase ließen sich leichter Einigungen erzielen, so daß am 23. Februar die Zusammenfassung der Beratungsergebnisse dem König überreicht werden konnte. Nach der Nominierung der Teilnehmer für das Religionsgespräch, die jede Seite für sich vornahm, und letzten Abstimmungen zwischen König und Ausschuß wurden die erarbeiteten Religionsartikel in den Reichsabschied eingearbeitet.42
37 Vgl. von Bundschuhs Gliederung seines den Verhandlungen im Religionsausschuß gewidmeten 4. Kapitels (v. Bundschuh, S. VII). 38 Vgl. v. Bundschuh, S. 173–207. 39 Vgl. Passauer Vertrag: Drecoll, S. 109; § 25 ARF: Brandi, S. 47 f. 40 Vgl. v. Bundschuh, S. 207–215. 41 Vgl. v. Bundschuh, S. 215–230. 42 Vgl. v. Bundschuh, S. 230–245.
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1.1.3 Die Religionsartikel als Grundordnung des künftigen Religionsgesprächs In den Religionsartikeln des Regensburger Reichsabschieds sind als Ergebnis der Verhandlungen von Religionsausschuß, König und Reichstag Form, Ordnung und Procedere des künftigen Religionsgesprächs festgelegt. Die Religionsartikel des Reichsabschieds stellen somit die Grundordnung des Wormser Religionsgesprächs dar und werden dort auch so gebraucht. Sie sind deshalb hier im Zusammenhang darzustellen, wobei nur insoweit auf die Genese der Artikel zurückgegriffen wird, als sie für die Interpretation der Bestimmungen oder den späteren Verlauf des Religionsgesprächs relevant ist. 1.1.3.1 Die Form des Religionsgesprächs Das künftige Religionsgespräch soll die Form einer „Christlichen Consultation, Unterrede und Berathschlagung“ haben (Art. 11: S. 139). Wie die grundsätzliche Kennzeichnung des Kolloquiums als eines „freundlichen vertr ulichen Gespr chs“ (Art. 10: S. 138) ist die zitierte Formbestimmung einerseits auf eine gedeihliche Gesprächsatmosphäre gerichtet.43 Andererseits geht es um eine Begrenzung der Kompetenzen des Religionsgesprächs: Es erhält keine Entscheidungsvollmacht, sondern muß sich auf die Konsultation beschränken. Konsequenzen aus den Beratungsergebnissen zu ziehen, bleibt den Reichsständen und dem Kaiser respektive König vorbehalten. Deshalb wird bestimmt, daß die protokollierten Verhandlungen und deren Ergebnisse dem Kaiser oder König und den Reichsständen vorzulegen sind und daß „jeder Stand […] auch frey und unvergriffenlichen ber alle Articul und Puncten […] geh rt werde“ (Art. 11: S. 139). Aus den Bestimmungen über die Akten, die bis zum nächsten Reichstag unter Verschluß bleiben sollen (Art. 24: S. 141), geht hervor, daß der Reichstag als eigentliches Entscheidungsorgan gedacht ist. Die Religionsartikel sprechen hier nicht deutlicher, weil die Frage der Entscheidungskompetenz zwischen den Religionsparteien umstritten geblieben war.44 Die römisch-katholischen Stände hatten darauf beharrt, daß dem Konzil als zuständiger Instanz nicht vorgegriffen werden dürfe und die Eide und Pflichten der Bischöfe nicht verletzt werden dürften. Die Augsburger Konfessionsverwandten hingegen sahen durch die römisch-katholischen Forderungen die Beratungen unter den Vorbehalt einer Zustimmung des Papstes gestellt und die alleinige Autorität der Schrift in strittigen Glaubensfragen bestritten; sie verweigerten daher ihre Zustimmung zu den aufgestellten Bedingungen. Die königliche Replik auf das gespaltene Votum des 43 44
Vgl. v. Bundschuh, S. 193 f. mit Anm. 77. Vgl. zum Folgenden v. Bundschuh, S. 205.208–212; Wolf, S. 48 f.
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
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Religionsausschusses hatte eine Entscheidung vermieden. Im Ergebnis blieb „jede Partei bei ihrem Standpunkt, drängte allerdings auch nicht mehr die Gegenseite zur Anerkennung der eigenen Auffassung und vermied es auf diese Weise, die ganze Verhandlung darüber scheitern zu lassen.“45
Die Form des Religionsgesprächs betrifft auch die Entscheidung, das Religionsgespräch nicht mehr auf dem Reichstag abzuhalten, eventuell sogar als Sacherörtung im Religionsausschuß im Anschluß an dessen Beratungen über das Procedere, wie zeitweise erwogen worden war.46 Dazu kam es aber schon deshalb nicht, weil in Regensburg nicht die erforderliche Anzahl von Theologen beieinander war und die Beratungen über das Procedere sich bis in die Schlußphase des Reichstags hinzogen. So wurde nach entsprechenden Vorschlägen der Stände das Religionsgespräch von König Ferdinand47 für den 24. August des Jahres in Worms angesetzt (vgl. Art. 12: S. 139). 1.1.3.2 Ordnung und Procedere des Religionsgesprächs Die Artikel 13 bis 39 regeln die Durchführung des Gesprächs, orientiert an den unterschiedlichen Funktionen der Gesprächsteilnehmer, aus denen sich die Ordnung und das Procedere des Religionsgesprächs ergeben. Zunächst wird der Kreis der Teilnehmer umrissen (Art. 13–19: S. 139 f.), verbunden mit grundlegenden Angaben zur Aufgabenverteilung unter den Teilnehmern. An erster Stelle steht das Präsidentenamt (Art. 13–15: S. 139), dem die Verantwortung für Fortgang und „gute Ausrichtung“ des Religionsgesprächs obliegt und das von einer angesehenen Person wahrgenommen werden soll (Art. 13). König Ferdinand lehnte den ihm von den Ständen angetragenen persönlichen Vorsitz ab (Art. 14) und verordnete an seiner Statt den Bischof von Speyer (Art. 15). Die Besetzung des Präsidentenamtes mit einem römisch-katholischen geistlichen Fürsten rief zwar den Widerspruch der evangelischen Stände hervor, mußte aber von ihnen wegen der im Augsburger Religionsfrieden implizierten römisch-katholischen Dominanz des Reichsrahmens, die durch die Mehrheit im Kurfürstenkollegium und das römisch-katholische Reichsoberhaupt gesichert war, schließlich doch hingenommen werden.48 Die Augsburger Konfessionsverwandten setzten jedoch ihre Vorstellung durch, daß dem königlichen Präsidenten von jeder Religionspartei zwei Assessoren zugeordnet werden sollten:49 jeweils ein Kurfürst und ein Fürst, nach Einigung innerhalb der Religionsparteien von der römisch-katho45
V. Bundschuh, S. 215. Vgl. v. Bundschuh, S. 194. 47 Vgl. v. Bundschuh, S. 230. 48 Vgl. v. Bundschuh, S. 218 f.244 mit Anm. 310. 49 Vgl. v. Bundschuh, S. 219–222. 46
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
lischen Seite der Mainzer Kurfürst und der Erzbischof von Salzburg, von der Seite der Augsburger Konfessionsverwandten der Kurfürst von Sachsen und der Herzog von Württemberg (Art. 16: S. 139). Wie für den König bestand auch für die Assessoren die Möglichkeit, sich im Fall ihrer Verhinderung durch eine hochgestellte Person vertreten zu lassen (Art. 17: S. 139 f.). Dem Präsidenten und den Assessoren sollte es frei stehen, bis zu zwei Berater zu den Sitzungen hinzuzuziehen (Art. 17: S. 140). Obwohl die Vertreter des Bistums Augsburg und Österreichs im Religionsausschuß vor möglichen Differenzen innerhalb des erweiterten Präsidiums warnten, unterblieb eine Abgrenzung der Kompetenzen des Präsidenten von denen der Assessoren. Offensichtlich war an ein kollegiales Leitungsgremium ohne Weisungsbefugnis des Präsidenten gedacht.50 Die Beiordnung der Assessoren hatte zur Konsequenz, daß das Religionsgespräch einen weit offizielleren Charakter erhielt als den ursprünglich vom König intendierten einer vertraulichen Konsultation im kleinen Kreise. Das lag erklärtermaßen im Interesse der evangelischen Stände, denen das Religionsgespräch als Forum der Auseinandersetzung um die Wahrheit vorschwebte, nicht als Zirkel zur Kompromißfindung.51 Hier dürften die Erfahrungen mit der Ausarbeitung des Augsburger Interims von 1548 nachgewirkt haben. Dem offizielleren Charakter des Religionsgesprächs entspricht die stattliche Anzahl der Gesprächsteilnehmer, auf die man sich verständigt hatte (Art. 18: S. 140). Jede Religionspartei sollte sechs Kolloquenten, sechs Adjunkten, sechs Auditoren und zwei Notare stellen. Dabei sollte es sich um „gottsf rchtige, gelehrte, schiedliche und friedliebende Personen“ handeln (ebd.). In der Vorgabe, die Teilnehmer seien „von wegen unser alten Religion verwandten St nde […] Und entgegen von wegen der Augspurgischen Confession verwandten St nde“ zum Gespräch zu entsenden (ebd.), ist eine Beschränkung der Teilnehmer auf die beiden im Augsburger Religionsfrieden ausschließlich zugelassenen Religionsparteien impliziert. Das lag unter der Voraussetzung des Religionsfriedens zwar nahe, wurde vom kurpfälzischen Vertreter Eberhard von der Thann im Religionsausschuß aber ausdrücklich eingefordert. Thann argumentierte, „dweil alle andere Secten, so nit disser beder religion sein, von dem religion friden ausgeschlossen [seien], so weren sie auch zu dem colloquio nit zuzelassen“52. Durch die implizit in den Reichsabschied eingegangene Beschränkung auf die im Religionsfrieden Zugelassenen war von vornherein die Teilnahme von Vertretern schweizerischer Stände, die nicht zu den Augsburger Konfessionsverwandten gezählt 50
Vgl. v. Bundschuh, S. 222. Vgl. v. Bundschuh, S. 220 f. 52 Redebeitrag Thanns im Religionsausschuß am 18. Februar 1557: v. Bundschuh, S. 228, Anm. 191 nach Mainzer Akten; vgl. auch v. Bucholtz VII, S. 368. 51
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
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wurden, ausgeschlossen. Außerdem konnte die Teilnahme eines Reichsstandes am Religionsgespräch prekär werden, wenn seine Zugehörigkeit zu einer der beiden anerkannten Religionsparteien bestritten wurde. Die Nominierung der Teilnehmer erfolgte noch auf dem Reichstag durch die beiden Religionsparteien, die darüber je für sich berieten.53 Die Listen wurden, da man sich auf die gegenseitige Akzeptanz der jeweiligen Nominierungen geeinigt hatte, im Religionsausschuß lediglich verlesen und dann an den König weitergeleitet.54 Der König billigte die aufgestellten Listen. Im Reichsabschied wurde das zweistufige Verfahren von Nominierung durch die Religionsparteien und Zulassung durch den König lediglich rekapituliert (Art. 19: S. 140). Das zweistufige Verfahren läßt es in der Schwebe, ob die Teilnehmer des Religionsgesprächs im Namen des Reichs oder im Namen ihrer Religionspartei deputiert werden. Die evangelische Seite hatte ursprünglich auf kursächsische Initiative intendiert, die Deputation solle im Namen des Reichs erfolgen. Im Blick war dabei die Entbindung der geistlichen Ständevertreter von ihren Verpflichtungen gegenüber dem Papst. Insgeheim strebten die Kursachsen außerdem danach, Einfluß auf die Auswahl der evangelischen Gesprächsteilnehmer zu nehmen, was ihnen nicht möglich gewesen wäre, wenn jeder Stand seine Vertreter im eigenen Namen deputiert hätte.55 Im Reichsabschied ist nicht explizit von einer Deputation im Namen des Reichs die Rede, allerdings weisen die Zulassung der Teilnehmerverzeichnisse und die bereits auf dem Reichstag vorgenommene Benennung von Supernumerarien, die als Ersatztheologen bereitstehen sollten (vgl. Art. 32 f.: S. 141), in die Richtung einer Deputation von Reichs wegen. Auch die Rede vom „Beruff und befohlenem Amt“ der Teilnehmer (Art. 20: S. 140) läßt sich so auslegen. Daneben erhielten aber auch die beiden Religionsparteien eine starke Stellung im Zusammenhang der Deputation der Gesprächsteilnehmer. Denn ihnen wurde nicht nur die Nominierung zugestanden (Art. 19: S. 140), sondern auch die Ersetzung verhinderter Kolloquenten aus den Reihen der Adjunkten sollte „nach eines jeden Theils Guthbed nken“ vorgenommen werden (Art. 31: S. 141), und auch bei der anschließenden Ergänzung der Adjunkten aus den Supernumerarien erscheinen die Religionsparteien als Handlungsträger (vgl. Art. 32: S. 141). Die starke Stellung der Religionsparteien kommt schließlich auch darin zum Ausdruck, daß die Gesprächsteilnehmer als „Colloquenten, so von der alten Religion“ respektive „so von der Augspurgischen Confession Verwandten abgefertiget“ bezeichnet werden 53
Vgl. v. Bundschuh, S. 230–242. Vgl. v. Bundschuh, S. 243 f. Die vom kurpfälzischen Vertreter Eberhard von der Thann dennoch gegen Witzel vorgebrachten Einwände blieben folgenlos (vgl. ebd., S. 243 f. mit Anm. 305). 55 Vgl. Wolf, S. 48, Anm. 1; v. Bundschuh, S. 218. 54
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
können (Art. 22: S. 141). Eine Delegation im Namen der einzelnen Stände ist hingegen nur für die Auditoren vorgesehen, die als Zuhörer und Zeugen beim Religionsgespräch die das Reich konstituierenden Körperschaften repräsentieren (vgl. Art. 34: S. 141); die Stände, die einen Auditor entsenden sollen, werden daher unter Beachtung der Parität der Religionsparteien eigens aufgelistet (Art. 35: S. 141 f.).56 Im Anschluß an die Einführung der verschiedenen Ämter wird in Form einer Entfaltung von Zuständigkeit und Aufgaben des Präsidenten und seiner Assessoren die Durchführung des Religionsgesprächs geregelt (Art. 20– 29: S. 140 f.). Der Präsident und die Assessoren tragen die Verantwortung für den Gesprächsverlauf. Sie haben die Sitzungen einzuberufen und zu leiten mittels der im Reichstag und seinen Ausschüssen üblichen Verfahren der Proposition und der Umfrage (Art. 20: S. 140). Dem Präsidenten und seinen Assessoren obliegt auch die Aufsicht darüber, daß die Teilnehmer ihren Verpflichtungen nachkommen (Art. 20), sowie die Sorge für eine gedeihliche Gesprächsatmosphäre (Art. 21). Demselben Ziel dient auch die von ihnen vorzunehmende eidesstattliche Verpflichtung aller Gesprächsteilnehmer durch Handgelübde (Art. 22: S. 140). Integriert in die Beschreibung der Aufgaben des Präsidiums sind in Form einer Angabe des Inhalts der eidesstattlichen Verpflichtung auch Vorgaben zu den Aufgaben und Pflichten der Kolloquenten und ihrer Adjunkten: Sie sollen sich „von den Articuln unseres Christlichen Glaubens, Lehr und Religion, Christlich und vertreulich, auf die Form, Maß und Ordnung, wie sie sich deren zu vergleichen, unterreden“ (Art. 22: S. 140). Das Agieren der Kolloquenten wird in den Horizont der Verantwortung vor dem Jüngsten Gericht gestellt (vgl. ebd.). Schließlich sind sie bis zur Eröffnung der Akten zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die angeführten Bestimmungen, die als Vorlage für die Formulierung des Handgelübdes dienten, sind das Ergebnis eines zähen Ringens im Religionsausschuß: Mit der Verpflichtung durch Handschlag an Eides Statt war die römisch-katholische Seite den Augsburger Konfessionsverwandten entgegengekommen, die ihre Theologen nicht mit einem Eid als einer aus Fragen der Religion fernzuhaltenden Menschensatzung belasten wollten.57 Mit ihrer Forderung nach einer ausdrücklichen Entpflichtung der römisch-katholischen Gesprächsteilnehmer von ihren Verpflichtungen gegenüber dem Papst konnten die Augsburger Konfessionsverwandten sich jedoch nicht durchsetzen.58 Als Kompromiß wurde lediglich die allgemein gehaltene Verpflichtung, „die Christliche Wahrheit […] und allgemeine Einigkeit“ im Horizont 56 Zu der im Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten festzustellenden Verstärkung der Tendenz, auch die übrigen Gesprächsteilnehmer nicht als Deputierte des Reichs oder Vertreter ihrer Religionspartei anzusehen, sondern als Abgesandte der entsendenden Stände, vgl. unten S. 76 f. bei Anm. 157 f. 57 Vgl. v. Bundschuh, S. 224 mit Anm. 174. 58 Vgl. v. Bundschuh, S. 224 f.
1.1 Der Regensburger Reichstag und die Religionsartikel des Reichsabschieds
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der Verantwortung vor dem Jüngsten Gericht zu suchen (Art. 22: S. 141), in die Religionsartikel aufgenommen. Um dennoch freie Meinungsäußerungen zu ermöglichen, erreichten die Evangelischen allerdings noch die Einfügung einer Klausel, die den Gesprächsteilnehmern Rechtssicherheit für ihre Teilnahme am Religionsgespräch und ihre Einlassungen auf demselben garantierte:59 „Und soll den verordneten Colloquenten und Adjuncten diese Collocution, weß sie sich darinn vergleichen werden/an ihren Ehren/W rden/Leib und G tern/unverletzlich und unnachtheilig seyn.“ (Art. 23: S. 142). Für diese an die Derogationsklausel der Reichsabschiede60 angelehnte Bestimmung ließen sich die geistlichen Stände von König Ferdinand eine restriktive, strikt auf das Religionsgespräch begrenzte Interpretation zusichern, durch die eine schleichende Ausdehnung der Rechtssicherung hin zur umstrittenen Freistellung ausgeschlossen wurde.
Sachlich an die Verschwiegenheitspflicht der Kolloquenten anknüpfend, werden sodann die Ausführungen zur Zuständigkeit des Präsidenten und der Assessoren fortgesetzt mit Bestimmungen für die Verwahrung der Gesprächsakten (Art. 24 f.: S. 141): Der Präsident und die Assessoren der beiden Religionsparteien erhalten jeweils den passenden Schlüssel für eines der drei Schlösser an der vorgesehenen Aktentruhe, so daß sie die Truhe nur gemeinsam öffnen können, um am Ende einer Sitzung Protokoll und Aktenstücke darin zu verwahren oder gegebenenfalls eine einvernehmliche Revision der Akten vorzunehmen. Die Aufgabenbeschreibung des Präsidenten und der Assessoren wird abgeschlossen mit Richtlinien für die Verhandlungsweise (Art. 26–29: S. 141). Obwohl sich der Religionsausschuß geeinigt hatte, die detaillierte Regelung des Procedere den Kolloquenten selbst zu überlassen,61 ist im Reichsabschied doch bereits festgelegt, daß im Religionsgespräch die Position einer Seite zunächst durch einen Sprecher vorgetragen werden sollte (Art. 26: S. 141). Sein Vortrag kann ergänzt werden von anderen Kolloquenten seiner Seite (Art. 27: S. 141), die zudem darauf zu befragen sind, ob sie noch etwas beizutragen haben (Art. 28: S. 141). Die Befragung und die Zulassung von Ergänzungen obliegen dem Präsidium, das dabei auf die Wahrung der Parität zwischen den Religionsparteien zu achten und schließlich „nach Zusammentragung der zwo Stimmen / den Beschluß / mit Abk rzung aller unnothd rfftiger Disputation zu bef rdern“ hat (Art. 29: S. 141). Mit der Zielvorgabe, den Beschluß zu befördern, ist die Entfaltung von Zuständigkeit und Aufgaben des Präsidenten und der Assessoren abgeschlossen. Da die Aufgabe und die Rechtsstellung der Kolloquenten bereits im Zusammenhang ihrer Verpflichtung an Eides Statt definiert ist (Art. 22: S. 140 f.), schließen sich sogleich die Ausführungen zu den Aufgaben der 59
Vgl. v. Bundschuh, S. 226 f. Vgl. beispielsweise § 86 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 149. 61 Vgl. v. Bundschuh, S. 279. 60
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
Adjunkten an (Art. 30–33: S. 141). Sie sind den Kolloquenten beigeordnet, nehmen mit den Kolloquenten am Religionsgespräch teil und sollen ihnen „in und ausserhalb des Gesprächs Christlich mit Rath steuren und beh lfflich seyn“ (Art. 30: S. 141). Aus ihren Reihen werden im Fall der Verhinderung durch Tod, Krankheit „oder andere Zuf ll“ ausgefallene Kolloquenten ersetzt (Art. 31: S. 141); um dadurch entstehende Lücken in den Reihen der Adjunkten schnell wieder schließen zu können, sollen die Religionsparteien Ersatztheologen, sogenannte Supernumerarii, bereithalten (Art. 32 f.: S. 141). Ziel der Regelungen über die Supernumerarii ist es, daß „dißfals dem gantzen Werck auch keine Verhinderung entstehen m ge“ (Art. 32: S. 141). Als Aufgabe der Auditoren wird sodann bestimmt, daß sie „als der Gespr ch und aller Handlung Zuh rer und Gezeugen“ bei den Sitzungen des Kolloquiums zugegen sein sollen (Art. 34: S. 141). Bei den Auditoren soll es sich um „dieser Ding verst ndige, aufrichtige, redliche Personen Geistlichs oder Weltlichs Stands“ handeln (Art. 35: S. 142), die aber im Unterschied zu den Kolloquenten und Adjunkten an den Verhandlungen nicht direkt beteiligt sind (vgl. Art. 34: S. 141). Aufgelistet werden schließlich die Stände, die Auditoren entsenden sollen (Art. 35, S. 141 f.). Für die römischkatholische Seite sind das die Kurfürsten von Mainz und Köln – Trier stellte einen der römisch-katholischen Assessoren – sowie als Repräsentanten der übrigen geistlichen Stände die Bischöfe von Passau und Augsburg und von den weltlichen Ständen die Herzöge von Bayern und Jülich. Bei den Augsburger Konfessionsverwandten sollten die drei Kurfürstenhäuser Pfalz, Sachsen und Brandenburg je einen Auditor entsenden. Dabei war der Begriff des Fürstenhauses aber so weit gefaßt, daß es nicht als Widerspruch dazu empfunden wurde, daß der sächsische Auditor von vornherein vom ernestinischen Herzogtum Sachsen-Weimar gestellt werden sollte62 und der Platz des brandenburgischen Auditors später von einem Gesandten des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach wahrgenommen wurde.63 Je einen weiteren evangelischen Auditor hatten die Herzöge von Pommern, der Landgraf von Hessen und die Grafen Augsburgischer Konfession zu stellen. Schließlich werden auch noch die Aufgaben und Pflichten der Notare als des fünften Amtes auf dem Religionsgespräch nach Präsidiumsmitgliedern, Kolloquenten, Adjunkten und Auditoren beschrieben (Art. 36–39: S. 142). Gefordert wird, daß die Notare „nicht allein verschwiegen, zu exzipieren tauglich und geschickt, sondern auch der Sachen, so verhandelt, selbst ver62 Vgl. v. Bundschuh, S. 242. Kursachsen hatte einen der beiden evangelischen Assessoren zu stellen. 63 Vgl. Werner Eisen an Mkgf. Georg Friedrich, Worms 10. September 1557: Schornbaum II, S. 163 f., Nr. II.
1.2 Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag 55
ständig seyen und die Terminos Theologiæ wohl wissen“ (Art. 36: S. 142), weshalb ausschließlich Theologen als Notare nominiert wurden. Aufgabe der Notare ist die Protokollierung der Verhandlungen mit anschließendem Abgleich. Die vierfach ausgefertigten Akten sollen bis zu ihrer Eröffnung auf dem nächsten Reichstag in der dreischlössigen Truhe verwahrt bleiben; danach erhalten der Kaiser, jede Religionspartei und die Mainzer Kanzlei je ein Exemplar (ebd.). Für die Notare ist für den Fall ihrer Verhinderung eine Ersetzung „aus den allhie benannten Supernumerariis Notariis“ vorgesehen (Art. 37: S. 142). Im Fall der Notare konnte die römisch-katholische Seite ihre Forderung nach einer förmlichen Vereidigung auf die Erfüllung der Amtspflichten und die strenge Verschwiegenheit durchsetzen (Art. 38: S. 142).64 Die Regelung, daß jede Religionspartei für die Unterhaltskosten ihrer Gesprächsteilnehmer selbst aufzukommen habe (Art. 40: S. 142), schließt die Religionsartikel ab. Am 16. März 155765 als erster materialer Teil des Regensburger Reichsabschieds verlesen, bildeten die Religionsartikel die reichsrechtliche Grundlage des Wormser Religionsgesprächs.
1.2 Zunehmende Formalisierung: Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag 1.2.1 Das Novum eines Nebenabschieds „Der Augspurgischen Confessions Verwandten Stend Räthe, sonderlicher Abschied, vnnd Relation schrifft“66 – so ist ein Dokument überschrieben, 64
Vgl. v. Bundschuh, S. 224. Wolf, S. 59 gibt nach einem kursächsischen Bericht vom 17. März – die Quellenangabe ebd., S. 59, Anm. 1 – irrtümlich den 17. März als Datum der Verlesung an. Das Datum 16. März findet sich hingegen in der Beurkundung des Regensburger Reichsabschieds (NSamml. III, S. 152; vgl. auch den Bericht der württembergischen Gesandten an Hzg. Christoph, Regensburg 19. März 1557: Ernst IV, S. 283 f., Nr. 233). 66 Unter der zitierten Überschrift ist im Hauptstaatsarchiv Stuttgart das württembergische Exemplar des Nebenabschieds der evangelischen Gesandten vom 16. März 1557 überliefert (HSA Stuttgart A 262, Bd. 50, fol. 664r–669r). Unter dem Titel „Der Augspurg. Confessions verwandten St nd R the/sonderlicher Neben=Abschied u. Relation den Religions-Puncten betreffend. d. d. 16. Martij. 1557.“ ist der Nebenabschied dem Stuttgarter Exemplar folgend gedruckt bei Sattler IV, Anhang S. 101–105, Nr. 37; ausführliche Auszüge nach dem Dresdner Exemplar finden sich außerdem bei Kurze, S. 109 f., Anm. 66. Weil Sattlers Abdruck sich bei der Überprüfung am Stuttgarter Archivale als weitgehend zuverlässig erwies, wird der Nebenabschied im Folgenden nach Sattler zitiert, in den Abschnitten 1.2 und 1.3 mit Artikel- und Seitenangabe im Text. Kleinere Korrekturen gegenüber Sattler sind gegebenenfalls bei Zitaten aus dem Nebenabschied angemerkt. 65
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
das vom 16. März 1557 datiert, dem Tag der Publizierung des Regensburger Reichsabschieds. Was ein „sonderlicher Abschied“ oder Nebenabschied67 ist und wie es zu seiner Verabschiedung durch die Gesandten der Stände Augsburgerischer Konfession gekommen ist, bedarf der Klärung, wobei nicht nur terminologische Aspekte, sondern auch die Konstituierung und der Status des verabschiedenden Gremiums berücksichtigt werden müssen. Kann unter ‚Abschied‘ in der Rechtssprache – wie es bei den Reichsabschieden der Fall ist – ein „urkundlich fixiertes resultat von verhandlungen“68 verstanden werden, so ergibt sich daraus abgeleitet für den Begriff ‚Nebenabschied‘ die Bedeutung einer „Urkunde über ergänzende Beschlüsse eines Gremiums oder eines Teiles desselben“69. Beim Regensburger Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten liegt der zweite Fall vor: Er ist nicht vom gesamten Reichstag getragen, sondern allein von den Gesandten der CA-verwandten Stände. Die Bezeichnung als „sonderlicher Abschied“ unterstreicht das und grenzt den Nebenabschied zugleich von einer Protestation ab. Während eine Protestation als Einspruch gegen einen Beschluß der Reichstagsmehrheit vor dem Forum des Reichstags an das gesamte Reich gerichtet ist,70 gilt der „sonderliche Abschied“ nur der beschlußfassenden Ständegruppe. Der Regensburger Nebenabschied der Gesandten der CA-verwandten Stände ist mithin die Urkunde über deren interne ergänzende Beschlüsse zum Reichsabschied,71 näherhin wie von Sattler zutreffend herausgestellt „den Religions=Puncten betreffend“72. Soweit bekannt ist der Regensburger Nebenabschied ein Novum: Nie zuvor sind die Ergebnisse protestantischer Sonderberatungen auf einem Reichstag in solcher Weise urkundlich fixiert worden. Wie es zur Verabschiedung eines solchen Abschieds durch die Gesandten der Stände Augsburgischer Konfession kommt, in welchem Rahmen sie zustande kommt und kraft welcher Vollmacht und mit welcher Verbindlichkeit sie geschieht, das ist nun in den Blick zu nehmen.
67 In der Literatur hat sich – wahrscheinlich aufgrund der Überschrift bei Sattler (vgl. S. 55, Anm. 66) – die Bezeichnung ‚Nebenabschied‘ durchgesetzt. Das wird hier beibehalten. 68 DWb Neubearb. Bd. 1, Sp. 792 s. v. ‚Abschied‘. 69 DRW Bd. 9, Sp. 1391 s. v. ‚Nebenabschied‘. 70 Zum Rechtsmittel der Protestation vgl. Schlaich, S. 323–327. 71 Auch die Gesandten der römisch-katholischen Stände beschlossen in Regensburg einen Nebenabschied (vgl. v. Bundschuh, S. 246, Anm. 314). 72 Sattler IV, Anhang S. 101.
1.2 Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag 57
1.2.2 Die schrittweise Konstituierung eines protestantischen Konfessionrats Das Novum der förmlichen Aufsetzung eines Nebenabschieds ist um so bemerkenswerter, als noch zehn Jahre zuvor in der Proposition für den Augsburger Reichstag von 1547 ein generelles Verbot von Sonderberatungen ergangen war.73 Die politischen Entwicklungen seither hatten dem Verbot von Sonderberatungen jedoch die Grundlage entzogen. So setzten die Verhandlungen über den Religionsfrieden auf dem Augsburger Reichstag von 1555 und das dafür gewählte Verfahren Sonderberatungen der römischkatholischen Stände einerseits und der Augsburger Konfessionsverwandten andererseits geradezu voraus;74 die reichsrechtliche Anerkennung der Augsburgischen Konfession durch den Religionsfrieden konnte sich zudem als Legitimitätsgewinn für Sonderberatungen ihrer Anhänger auswirken. Dennoch besaßen derartige Sonderberatungen zu Beginn des Regensburger Reichstags 1556 durchaus noch keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr ist eine allmähliche Formalisierung der Sonderberatungen während des Reichstags zu beobachten, die in die förmliche Verabschiedung des Nebenabschieds mündet. So enthielten zwar die Reichstagsinstruktionen nahezu aller führenden protestantischen Stände eine Aufforderung an die Gesandten, sich mit den Gesandten der anderen Stände Augsburgischer Konfession in der Religionssache zu unterreden.75 Doch deutet schon die Aufforderung als solche, erst recht aber die Zusatzbestimmung, die angeregten Beratungen sollten „priuatim“76 oder sogar „[i]n geheim“77 geschehen, darauf hin, daß derartige Sonderberatungen sich nicht von selbst verstanden. Entsprechend zäh gestaltete sich der Eintritt in die Sonderberatungen: Erst am 22. August, rund sechs Wochen nach der Reichstagseröffnung, traten die Gesandten der CA-verwandten Stände zu einer ersten Beratung
73
Vgl. Wolff, S. 20. Vgl. Wolff, S. 23. 75 Vgl. die herzoglich-sächsische Instruktion vom 31. Mai 1556: Wolf, S. 219, Nr. 3 (Regest); die kursächsische Instruktion vom 13. Juli 1556: ebd., S. 228 f., Nr. 5; die kurpfälzische Instruktion vom 25. Juli 1556: ebd., S. 239, Nr. 6a; die kurbrandenburgische Instruktion aus dem August 1556: ebd., S. 254, Nr. 7; die württembergische Instruktion vom 2. Juni 1556: Ernst IV, S. 81, Nr. 77 sowie die württembergische Nebeninstruktion vom 2. Juni 1556: ebd., S. 85, Nr. 78. 76 Kurpfälzische Instruktion vom 25. Juli 1556: Wolf, S. 239, Nr. 6a. 77 Kurbrandenburgische Instruktion aus dem August 1556: Wolf, S. 254, Nr. 7. Die kursächsischen Gesandten baten in der zweiten Versammlung der CA-verwandten Stände am 4. September ausdrücklich um Geheimhaltung der Beratungen (vgl. den Bericht der württembergischen Räte an Hzg. Christoph, Regensburg 4. September 1556: Ernst IV, S. 150, Nr. 137). 74
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
zusammen.78 Grund der Verzögerung war nicht allein das verspätete Eintreffen vieler Delegierter, zumal der kurfürstlichen, auf dem Reichstag.79 Zur Verzögerung trug weiter bei, daß es erst noch einer Klärung des modus procedendi, insbesondere auch protokollarischer Fragen, und der Festlegung des Teilnehmerkreises bedurfte. Auf beiden Feldern konnte nicht einfach an frühere Gepflogenheiten angeknüpft werden. Die Verhältnisse des 1546/47 zerschlagenen Schmalkaldischen Bundes ließen sich nicht übertragen, weil es seither beträchtliche Veränderungen im Machtgefüge der protestantischen Stände gegeben hatte, allen voran den Übergang der sächsischen Kurwürde von der ernestinischen auf die albertinische Linie, sodann die nachhaltige machtpolitische Schwächung Landgraf Philipps von Hessen und schließlich die neue Rolle der Kurpfalz, die nunmehr entschieden auf protestantischer Seite stand, was seit dem Regierungsantritt Kurfürst Ottheinrichs im Frühjahr 1556 auch mit Dynamik und Nachdruck verfochten wurde. Auch boten die evangelischen Sonderberatungen auf dem Augsburger Reichstag 1555 kein praktikables Vorbild, weil sie überwiegend nach Kurfürsten- und Fürstenratsmitgliedern getrennt abgehalten worden waren80 und sich keineswegs alle Augsburger Konfessionsverwandten daran beteiligt hatten.
Stand für Stand mußte es zu einer Klärung der Teilnahme kommen, was dadurch erschwert wurde, daß manche Gesandte kleinerer und mittlerer Stände nicht hinreichend instruiert waren81. Noch mehr wurde der Eintritt in die Verhandlungen aber aufgehalten durch die Unklarheit, wer die Sonderberatungen einberufen und leiten sollte. Der angestammte Vorrang der sächsischen Kurfürsten, begründet in ihrer Rolle als Landesherren Luthers, als frühe Förderer reformatorischer Bestrebungen und als zunächst einziger protestantischer kurfürstlicher Stand, institutionell abgesichert durch die Bundeshauptmannschaft im Schmalkaldischen Bund neben dem hessischen Landgrafen, war in den 1550er Jahren prekär geworden. Denn den Schmalkaldischen Bund gab es nicht mehr, das Traditionsargument wurde durch die Übertragung der Kurwürde auf die Albertiner geschwächt, und seit 1556 zählte auch der Pfälzer Kurfürst, dem im Reich nach Herkommen und goldener Bulle als Erztruchseß und Reichsvikar der erste Rang unter den weltlichen Kurfürsten zukam, zu den evangelischen Ständen. Da in Regensburg fraglos vorausgesetzt wurde, daß nicht nur die im Reichstag üblichen Verfahrensweisen wie Proposition und Umfrage durch den Vorsitzenden, sondern auch die Sessionsordnung von den Reichstags78 Vgl. Bericht der württembergischen Gesandten an Hzg. Christoph, Regensburg 22. August 1556: Ernst IV, S. 132, Nr. 123. 79 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 2. Juli 1556: Ernst, IV, S. 107, Nr. 96 sowie Hzg. Christoph an die Räte in Regensburg, Stuttgart 19. Juli 1556: ebd., S. 115, Nr. 105. 80 Vgl. Wolf, Religionsfriede, S. 38–100. 81 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 26. September 1556: Ernst IV, S. 173, Nr. 148.
1.2 Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag 59
verhandlungen auf die protestantischen Sonderberatungen zu übertragen seien, wurde dem pfälzischen Kurfürsten um seiner angestammten ‚Präeminenz‘ im Reichsgefüge willen auch die Leitung der protestantischen Sonderberatungen zugestanden. Das stieß sich jedoch damit, daß die pfälzische Gesandtschaft zunächst nicht auf die Übernahme der Leitungsfunktion gefaßt war. So berichteten die württembergischen Gesandten am 18. August an Herzog Christoph, die unterdessen eingetroffenen Kursachsen hätten ihnen angezeigt, daß sie sich mit den Augsburger Konfessionsverwandten über Sonderberatungen zum Religionspunkt verständigen sollten. Weil jedoch die kurpfälzische Gesandtschaft nicht hinreichend instruiert sei „und aber Pfalnz in solcher der religions nebentractation von wegen der praeeminentz das ganz werk anrichten und dirigiern würdet, und deswegen die churf. sächsischen, auch andere, inen, pfälznischen nit gern fürgreifen“ wollten, hielten die Kursachsen sogar einen Aufschub der Reichstagsverhandlungen für geraten, um Zeit für die internen Beratungen zu gewinnen.82 Als dann doch schon vier Tage später am 22. August die erste Sonderberatung der protestantischen Stände zustande kam, lag die Leitung dennoch bei den Kursachsen, weil der pfälzische Gesandte Dr. Heyles kurzfristig seine zugesagte Teilnahme widerrief.83 Erst nach der ersten Versammlung erhielt Heyles die nötigen Instruktionen,84 woraufhin er für den 4. September die zweite Versammlung der Gesandten der CA-verwandten Stände einberief, nunmehr wie fortan bis zum Ende des Reichstags unter pfälzischem Vorsitz.85 Der Wechsel im Vorsitz war mehr als eine Änderung der Geschäftsordnung, denn der kurpfälzische Gesandte legte ein den kursächsischen Vorstellungen und den Ergebnissen der ersten Beratung entgegengesetztes Programm für die Behandlung der Religionsfrage auf dem Reichstag vor. Hatte man sich in der ersten internen Beratung geeinigt, den Religionspunkt an einen Ausschuß zu verweisen und die Türkenhilfe parallel in den Reichsräten zu behandeln, forderte Heyles nun, die Religionsberatungen vorzuziehen und den Eintritt in jegliche weiteren Beratungen von der geforderten Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts abhängig zu machen, die von den Kursachsen in der ersten Beratung gar nicht angesprochen worden war.86 Das kurpfälzische Anliegen ließ sich aber gegen den Widerstand Kursachsens und der Ständemehrheit nicht durchsetzen. Es war damit jedoch 82 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 18. August 1556: Ernst IV, S. 131, Nr. 121a. 83 Vgl. Wolf, S. 22. 84 Vgl. Wolf, S. 25. 85 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 5. September 1556: Ernst IV, S. 155, Nr. 138. 86 Vgl. Wolf, S. 25.
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
eine kursächsisch-kurpfälzische Rivalität aufgeschienen, die den weiteren Gang der Beratungen bis hin zur nachträglichen Beurteilung des Nebenabschieds begleiten sollte. Die Rivalität zwischen Kursachsen und Kurpfalz erfuhr eine personelle Zuspitzung, als Anfang November der neue pfälzische Großhofmeister87 Eberhard von der Thann eintraf und die Leitung der Sonderberatungen übernahm. Thann hatte seit 1530 als Gesandter des ernestinischen Sachsen auf zahlreichen Reichstagen, Schmalkaldischen Bundestagen und anderen Versammlungen fungiert – stets in der Rolle des Bevollmächtigten der protestantischen Vormacht Kursachsen.88 Im Unterschied zu vielen anderen Räten trat Thann nach der ernestinischen Niederlage nicht in die Dienste des neuen albertinischen Kurfürsten Moritz über.89 Als Vertreter des ernestinischen Sachsen mußte er sich darum fortan – erstmals auf dem ‚geharnischten Reichstag‘ von Augsburg 1547 – mit einem Platz im Fürstenrat begnügen, was ihn jedoch nicht daran hinderte, auf dem Augsburger Reichstag 1555 eine Zentralstellung unter den protestantischen Gesandten einzunehmen. Dadurch auf ihn aufmerksam geworden, berief ihn der pfälzische Kurfürst Ottheinrich 1556 zu seinem Großhofmeister, was Thann gegen den erklärten Willen der Herzöge von Sachsen annahm.90 So erschien er in Regensburg nicht als herzoglich-sächsischer Gesandter, als welcher er ursprünglich vorgesehen gewesen war,91 sondern als Leiter der kurpfälzischen Gesandtschaft. Sein neues Amt versetzte Thann in die Lage, nicht nur wieder einen Sitz im Kurfürstenrat einzunehmen, sondern wegen der pfälzischen Präeminenz auch den Vorsitz bei den protestantischen Sonderberatungen zu führen – im Rang damit den kursächsischen Gesandten übergeordnet. Der mit Verve vertretene pfälzische Führungsanspruch erregte alsbald den Unmut der Kursachsen. Sie sahen in einem am 14. November von den Pfälzern unter Thanns Führung vorgeschlagenen kleinen Ausschuß zur Frage der Freistellung einen Versuch, die pfälzische Führungsrolle auszubauen: „Diesen furschlag haben wir alsbalde gerochen, das er dahin gemeinet, eben durch disen weg alle A. C. V. auff die Pfeltzische Meynung villeycht ad impediendum zu bringen oder aber das sie alle sachen in handen haben oder nach ihre gefallen dirigiren wolten.“92 87 Zur prestigeträchtigen Ernennung Thanns zum Großhofmeister vgl. Kurze, S. 35; zum Amt des Großhofmeisters vgl. Press, S. 27 f., zur Berufung Thanns ebd., S. 208. 88 Vgl. Körner, S. 121. 89 Vgl. hierzu und zum Folgenden Körner, S. 133–135. 90 Vgl. Körner, S. 121. 91 Vgl. die Adressierung der herzoglich-sächsischen Reichstagsinstruktion vom 31. Mai 1556 an Thann, Schneidewin und Thangel als Reichstagsgesandte: Wolf, S. 219, Nr. 3. 92 Bericht der kursächsischen Gesandten, Regensburg 16. November 1556: Wolf, S. 39, Anm. 3; vgl. Kurze, S. 109 f., Anm. 66. Auch die württembergischen Gesandten
1.2 Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag 61
Mit der Übernahme des Direktoriums durch die Kurpfälzer war die Frage der Führung bei den protestantischen Sonderberatungen in zwar konfliktträchtiger, aber verbindlicher und allgemein anerkannter Weise geklärt. Strittig blieb demgegenüber weiterhin der genaue Umfang des Teilnehmerkreises, wobei die Beteiligung der Städte besonders umstritten war. Nachdem der Pfälzer Kurfürst Ottheinrich bereits beim Augsburger Reichstag 1555, damals noch als Herzog von Pfalz-Neuburg, eine Einbeziehung der Städte in protestantische Sonderberatungen angeregt hatte,93 ließ er das Anliegen, die Städte einzubeziehen, auch in Regensburg sogleich in der ersten von seinen Gesandten geleiteten Sonderberatung vorbringen mit dem Hinweis, daß die Städte „zu solcher der religionssachen etwan erfarne gutherzige leut verordnen theten.“94 Kursachsen lehnte den kurpfälzischen Vorschlag mit der Begründung ab, die Städte seien in Augsburg auch nicht an derartigen Beratungen beteiligt worden; der kursächsischen Meinung schlossen sich die übrigen Stände an.95 Das von Kursachsen vorgebrachte Traditionsargument dürfte über die kurze Geschichte protestantischer Sonderberatungen hinaus auf die traditionell mindere Stellung und Rolle der Städte im Reichstagsgefüge verweisen.96 Denn gerade die Kurfürsten waren mehrheitlich darauf bedacht, ihren Vorrang gegenüber den anderen Kurien und insbesondere den aufstrebenden Städten zu behaupten.97 So fürchteten die Kursachsen vermutlich, daß die Einbeziehung der Städte in die protestantischen Sonderberatungen zu einem Einfallstor für erweiterte Mitwirkungsrechte im Reichstagsgefüge werden könnte. Ottheinrich hingegen versprach sich von einer verstärkten Mitwirkung der Städte eine Stärkung des evangelischen Lagers und gewichtete eine solche Stärkung höher als die Wahrung kurfürstlicher Prärogative, konnte sich damit jedoch zunächst nicht durchsetzen. registrierten die sächsisch-pfälzische Rivalität, wie ihre Einschätzung des Konflikts über den pfälzischen Vorschlag, im Religionsausschuß schriftlich zu verhandeln, belegt: „Wir haben aber für unsere person us disen disputationibus anderst nicht vermerken mögen, wan das die ehrgeutigkeit und philautia mit einlauft, dieweil Pfalz die feder in der hand und Sachsen villeicht vermeint, die sachen geschickter zu begreifen und furzubringen wissen.“ (Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 11. Dezember 1556: Ernst IV, S. 225, Nr. 190). 93 Vgl. Ottheinrichs Schreiben an seine Räte in Augsburg vom 2. Juni 1555 bei Ernst III, S. 237, Nr. 103, Anm. 3. 94 So der württembergische Bericht über die Beratungen am 4. September 1556: Ernst IV, S. 149, Nr. 137. In der Wiedergabe durch den entsprechenden kursächsischen Bericht lautet das Argument: „Und weren unter den Stedten vil eifferliche, christliche, gutherzige leute, deren bedencken billich auch gehört würde.“ (kursächsischer Bericht vom 6. September 1556: Kurze, S. 108, Anm. 62). 95 Vgl. den württembergischen Bericht über die Beratungen am 4. September 1556: Ernst IV, S. 150–153, Nr. 137. 96 Vgl. Oestreich, S. 211. 97 Vgl. Oestreich, S. 215 f.
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
Der weitere Verlauf der Reichstagsberatungen führte jedoch zu einer gewissen Öffnung gegenüber den Städten. So berichten die württembergischen Gesandten Mitte Oktober an Herzog Christoph, die Städte Augsburgischer Konfession hätten sich dem Vorstoß der protestantischen Fürsten und Kurfürsten wegen der Freistellung angeschlossen.98 Herzog Christoph selbst, der eine Beteiligung der Städte zunächst kategorisch abgelehnt hatte,99 befahl Ende Oktober seinen Gesandten, wenn sich die Straßburger Räte bei ihnen anzeigten, sollten sie ihnen Zugang zur Versammlung der CAverwandten Stände verschaffen.100 Das Straßburger Anliegen, zunächst bei Christoph vorgebracht, hatte die nachteiligen Folgen der Bestimmungen des Religionsfriedens für die Reichsstädte zum Gegenstand. Der Augsburger Religionsfriede bewirkte hier eine Dynamik, in deren Folge die gemeinsamen Interessen der Konfessionsverwandten schwerer wogen als Standesunterschiede und ständische Interessengegensätze. Die bereits eingeleitete Entwicklung hin zu stärkerer Beteiligung der Reichsstädte erfuhr ihre entscheidende Zuspitzung durch die Konstitution des Religionsausschusses, für den auch ein Vertreter der Städte Augsburgischer Konfession zu nominieren war. Wurde zunächst noch in Erwägung gezogen, mit den Städten nur „ad partem“ über ihre Beteiligung und ihre Vorstellungen zu verhandeln,101 so erschienen sie am Ende des Reichstags als Mitunterzeichner des Nebenabschieds. Im Religionsausschuß wiederholte und verstärkte sich somit, was die kursächsischen Gesandten in der ersten protestantischen Sonderberatung als Erfahrung vom Augsburger Reichstag 1555 in Erinnerung gerufen und zur Begründung und Legitimation für die Abhaltung von Sonderberatungen angeführt hatten: daß nämlich in der Religionssache die Gegenseite damals wie jetzt „die A. C. verwandte stend anderst nit wann für ain part gehalten“ habe.102 Die paritätische Besetzung des Religionsausschusses und die starke Stellung der „beyderseits Religions-Verwandten“103 in den Bestimmungen des Reichsabschieds über das Religionsgespräch bedeuteten mithin eine weitere Verstärkung der Tendenz zur Formierung einer gemeinsamen, alle evangelischen Stände umfassenden Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten. Sie fand sicht98 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 16. Oktober 1556: Ernst IV, S. 193, Nr. 163. 99 Hzg. Christoph an die Räte in Regensburg, Offenhausen 12. September 1556: Ernst IV, S. 156, Nr. 138, Anm. 5. 100 Hzg. Christoph an die Räte in Regensburg, Stuttgart 28. Oktober 1556: Ernst IV, S. 204, Nr. 173, Anm. 2. 101 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg18. November 1556: Ernst IV, S. 211, Nr. 179. 102 So die kursächsischen Gesandten laut dem württembergischen Bericht vom 22. August 1556: Ernst IV, S. 132, Nr. 123. 103 Vgl. § 16 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 139.
1.2 Die Beratungen der Augsburger Konfessionsverwandten auf dem Reichstag 63
baren Ausdruck in der anfangs abgelehnten Einbeziehung der Städte in die Sonderberatungen der CA-verwandten Stände, die damit immer mehr die Gestalt eines allgemeinen evangelischen Konfessionsrats annahmen. Der Umfang und die Struktur des evangelischen Konfessionsrats zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Nebenabschieds nach Abschluß seiner allmählichen Formalisierung stellten sich schließlich wie folgt dar: Am evangelischen Konfessionsrat waren mit Ausnahme der Grafen von Mansfeld und Graf Ludwigs von Öttingen104 sämtliche auf dem Regensburger Reichstag vertretenen Stände Augsburgischer Konfession durch ihre Gesandten beteiligt.105 Die Reihenfolge der Aufzählung der Stände, deren Gesandte am Nebenabschied beteiligt sind (Einleitung: S. 101), entspricht, angefangen mit dem Vorsitz der Kurpfalz, der Sessionsordnung im Reichstag. Beratung und Beschlußfassung erfolgten im formalisierten Verfahren von Proposition durch den ranghöchsten Stand und Umfrage der Session nach, wie in den Kurien und Ausschüssen des Reichstags üblich.106 Daneben gab es jedoch auch informelle Absprachen.107 Wenn am Schluß der Beratungen im protestantischen Konfessionsrat ein förmlicher Nebenabschied aufgesetzt und verabschiedet wurde, entspricht das dem erreichten Grad an Formalisierung. Die zusätzliche Bezeichnung 104 Bei den Grafen von Mansfeld dürfte das pragmatische Gründe gehabt haben, da sie im Sommer auf der Grundlage von Reichs- und Nebenabschied Erasmus Sarcerius nach Worms abfertigten. Graf Ludwig von Öttingen, der im Teilnehmerverzeichnis des Reichsabschieds unter den persönlich anwesenden Herren und Grafen aufgezählt wird (NSamml. III, S. 151), war vielleicht am Ende des Reichstags nicht mehr zugegen und auch nicht durch einen Gesandten vertreten. Allerdings wurde die konsequente Ausrichtung seiner Kirchenpolitik an der Confessio Augustana in jener Zeit von württembergischer Seite angezweifelt (vgl. Hzg. Christoph an Gf. Ludwig d. Ä. von Öttingen: Ernst IV, S. 197 f., Nr. 169). 105 Das ergibt sich aus dem Abgleich der Aufzählung der am Nebenabschied beteiligten Stände in dessen Einleitung (vgl. Sattler IV, Anhang S. 101, Nr. 37) mit dem Teilnehmerverzeichnis des Reichsabschieds (NSamml. III, S. 149–152). Die Formulierung „sampt iren mitverwandten“ nach der Aufzählung der beteiligten Reichsstädte in der Einleitung des Nebenabschieds (Sattler IV, Anhang S. 101, Nr. 37) bezieht sich darauf, daß ausweislich des Teilnehmerverzeichnisses im Reichsabschied Frankfurt Wetzlar und Nordhausen mitvertrat, ebenso Augsburg Donauwörth, Nürnberg Windsheim und Weißenburg, Ulm die übrigen schwäbischen Reichsstädte Augsburgischer Konfession sowie Lindau Wangen (vgl. NSamml. III, S. 152). 106 Das Umfrageverfahren spiegelt sich im Aufbau der württembergischen Berichte über die Sonderberatungen der Augsburger Konfessionsverwandten wieder; vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 26. September 1556: Ernst IV, S. 170–173, Nr. 148, oder dies. an dens., Regensburg 11. Dezember 1556: ebd., S. 225 f., Nr. 190 u. ö. 107 Die württembergischen Gesandten berichten vom 22. August, daß man sich „familiariter und nit obligative“ unterredet habe (Ernst IV, S. 135, Nr. 123); in Massenbachs und Eißlingers Bericht vom 25. August wird ein vertrauliches Anbringen des herzoglich-sächsischen Gesandten nach der förmlichen Beratung erwähnt (ebd., S. 137, Nr. 126); vgl. ferner Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 1. Oktober 1556: ebd., S. 179, Nr. 155 sowie dies. an dens., Regensburg 12. Februar 1557: ebd., S. 267, Nr. 220.
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des Nebenabschieds als „Relation schrifft“108 markiert allerdings die Grenze des Formalisierungsprozesses: Während die Gesandten für die Reichstagsverhandlungen weitreichende Vollmachten besaßen und ohne vorherige Rücksprache mit ihren Herren in den Reichsabschied willigen konnten,109 war es ihnen nicht möglich, im Konfessionsrat verbindliche Beschlüsse zu fassen. Der Nebenabschied ist daher strenggenommen nicht mehr als ein Bericht über das, was die Gesandten ihren Herren zu beschließen empfehlen (vgl. Einleitung: S. 101 f.; Schlußklausel: S. 105). Es läßt sich jedoch nicht übersehen, daß die Gesandten ihrem Schlußdokument eine höhere Verbindlichkeit als die eines bloßen Bedenkens verleihen wollten. Darauf zielt die Titulierung als „sonderlicher Abschied“, welcher die Bezeichnung der einzelnen Abschnitte als Artikel entspricht. Die Formulierung dieser Artikel ist nicht im Stil von Empfehlungen gehalten, sondern ist in Anlehnung an den Sprachstil der Reichsabschiede bemüht, den Eindruck eines weitgehend abgeschlossenen Beratungsprozesses zu erwecken: Hier wird nicht zu bedenken gegeben, sonder es ist „bedacht und für gut angesehen“ worden (Art. 3: S. 102); und die Gesandten haben sich „mit einander verglichen[,] bey unsern gnedigsten gnedigen Herrn und Obern mit allem underthenigem und m glichem fleiß zu bef rdern“ (Art. 2: S. 102). Selbst die „underthenigste underthenige freundliche und günstige bitte“ wird mit dem Zusatz „und Anmanung“ verstärkt (Art. 6: S. 104). Die Spannung zwischen der Intention seiner Verfasser, dem Nebenabschied einen hohen Grad an Verbindlichkeit zu verleihen, auf der einen und ihren begrenzten Vollmachten auf der anderen Seite führte dazu, daß der Nebenabschied im Zuge der weiteren Entwicklung ganz unterschiedlich in Anspruch genommen werden konnte, je nach Stellung zu Inhalt und Tendenz des Nebenabschieds: sei es als bloßes Bedenken unter dem Vorbehalt fürstlicher Genehmigung, sei es als verbindliche Grundlage und Maßgabe weiterer innerevangelischer Verhandlungen.
1.3 Heikles Manifest einer gemeinsamen Konfessionspolitik: Der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten 1.3.1 Gliederung und Einleitung des Nebenabschieds Der Regensburger Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten gliedert sich nach einer Einleitung in sieben Artikel, worauf er von einer 108
HSA Stuttgart A 262, Bd. 50, fol. 664r. Vgl. Hzg. Christoph an Kg. Ferdinand, Stuttgart 20. Juli 1556: Ernst IV, S. 109, Nr. 98, Anm. 1. 109
1.3 Der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten
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religiösen Bekräftigung und Schlußklauseln sowie der Unterschriftenliste abgeschlossen wird. Die Gliederung der sieben Artikel des Nebenabschieds ist relativ lose gefügt, wobei Artikel 3 und 4 mit ihrer Fundierung in den ersten beiden Artikeln sowie Artikel 7 dem Wormser Religionsgespräch gelten und damit den Schwerpunkt bilden. Sie sind in Artikel 5 und 6 um zwei weitere Religionsthemen erweitert: Artikel 5 befaßt sich mit der auf dem Reichstag zur Sprache gekommenen Lage der aus dem Erzstift Salzburg vertriebenen Anhänger der Confessio Augustana.110 Artikel 6 greift im Interesse der Stärkung der Einigkeit unter den Augsburger Konfessionsverwandten das seit langem von Herzog Christoph von Württemberg verfolgte Projekt einer Zensur theologischer Streitschriften auf.111 Die Einleitung zählt die beteiligten Ständegesandtschaften auf,112 benennt die auf dem Reichstag erfolgte Verständigung über das künftige Religionsgespräch als Anlaß des Nebenabschieds und gibt dessen Intention an: Die aufgestellten Artikel sollen dienen „zuerhaltung [sic!] unserer waren vralten Christenlichen Religion und Augsburgischen Confession, auch zu bef rdeung obgemelts Christlichs [und fridlichs colloquii]113 und außbreitung gottes allein seligmachenden Worts“ (Einleitung: S. 101 f.). Unter den Formulierungen der Einleitung stechen die Bezeichnungen der beiden Religionsparteien ins Auge: Die römisch-katholische Seite wird, abweichend von ihrer Selbstbezeichnung als „alte Religion“, die auch in den Reichsabschied Eingang gefunden hatte,114 die „andere Religion“ genannt (Einleitung: S. 101; vgl. auch Art. 4 f.: S. 103). Die Gesandten der CA-verwandten Stände nehmen hingegen für sich in Anspruch, der „waren vralten Christenlichen Religion“ anzugehören. Nicht Neuerer, sondern – gerade auch durch die Beseitigung von Mißbräuchen und Entstellungen – Sachwalter des Wahren, Alten zu sein, dieses reformatorische Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen, war ein besonderes Anliegen des Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich.115 So verwahrte er sich in einem Schreiben an seine Räte 110
Vgl. dazu Salig III, S. 136–198; Erdmann, Art. Salzburger, S. 410, Z. 1–6. Vgl. unten S. 103 im Abschnitt 2.1.1.1 bei und in Anm. 36. 112 Es sind die Botschaften der drei weltlichen Kurfürsten Pfalz, Sachsen und Brandenburg, die Botschaften von zwölf Fürsten oder Grafen, nämlich Herzog Wolfgangs von Zweibrücken, der Herzöge von Sachsen-Weimar, des Markgrafen Hans von BrandenburgKüstrin, des Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, Herzog Christophs von Württemberg, der Herzöge von Pommern, Landgraf Philipps von Hessen, Herzog Johann Albrechts von Mecklenburg, Markgraf Karls von Baden, der Fürsten von Anhalt, der Grafen von Henneberg und der wetterauischen Grafen, sowie die Gesandten von zehn Reichsstädten „sampt iren mitverwandten“ (vgl. dazu oben S. 63 Anm. 105). 113 Korrektur gegenüber dem Stuttgarter Exemplar des Nebenabschieds und Sattlers Abdruck nach dem von Kurze, S. 109, Anm. 66 wiedergegebenen Dresdner Exemplar. 114 Vgl. § 16 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 139 u. ö. 115 Ottheinrich hatte sich bereits im Zusammenhang der Aushandlung des Augsburger Religionsfriedens über die Bezeichnung der Religion der Gegenseite als ‚alt‘ erregt 111
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in Regensburg vom 6. März 1557 dagegen, daß die römisch-katholischen Stände sich „als ‚der alten Religion verwandt‘ bezeichnen oder bezeichnet werden, was ihnen doch nicht gebühre. Das solle abgestellt werden, oder die evangelische Konfession sei als die ‚uralte‘ zu bezeichnen“.116 Zieht man die terminologische und die zeitliche Nähe zwischen Ottheinrichs Brief und der Verabschiedung des Nebenabschieds in Betracht, so zeigt sich bereits in der Einleitung des Nebenabschieds sehr deutlich eine kurpfälzische Handschrift.
1.3.2 Bekenntnisverpflichtung in Affirmation und Negation Die Artikel des Regensburger Nebenabschieds, die sich auf das Wormser Religionsgespräch beziehen, haben ihr Zentrum in den Artikeln 3 und 4. Artikel 3 und 4 gelten unmittelbar der Vorbereitung und der Durchführung des Religionsgesprächs. Ihnen gehen als Voraussetzung alles weiteren die ersten beiden Artikel voraus, die in Affirmation und Negation die Bekenntnistreue der beteiligten Stände zum Gegenstand haben. Artikel 1 bedient sich dazu eines eigentümlichen Sprachgestus: Mit der Wendung „So wellen wir nit zweifeln“ werden die Erwartungen eingeleitet, daß die Herren bei der Confessio Augustana bleiben, sich um ein gedeihliches Miteinander bemühen, zur Rechenschaft über ihr Bekenntnis und ihren Glauben bereit sind und eine gemeinsame Religionspolitik betreiben (Art. 1: S. 102). Die einleitende Wendung zeigt an, daß es sich bei den Erwartungen um Postulate handelt, um vermeintliche Selbstverständlichkeiten, die aber offensichtlich alles andere als selbstverständlich waren. Die Formulierung des ersten Artikels hatte eine Vorgeschichte in den evangelischen Sonderberatungen. Am 20. Dezember 1556 hatte der pfälzische Großhofmeister Eberhard von der Thann im Konfessionsrat für Aufsehen gesorgt, indem er von allen Gesandten Erklärungen verlangte über die Absichten ihrer Herren, an der Confessio Augustana festzuhalten.117 Thanns Ansinnen wurde als unnötig und ungebührlich zurückgewiesen. Die kurpfälzische Regierung war jedoch anderer Auffassung: Kurfürst Ottheinrich schrieb wenig später an Herzog Christoph von Württemberg, daß es auf einem innerevangelischen Konvent zur Vorbereitung des Wormser Religionsgesprächs der Lehre wegen darum gehen müsse, „in alweg bei A. C. und darauf gefolgter Schmakaldischer declaration bestendig zu beharren; welche (vgl. Pfgf. Ottheinrich an Hzg. Christoph und die Augsburger Konfessionsverwandten in Augsburg, Lauingen 13. April 1555: Ernst III, S. 123, Nr. 60). 116 Kfst. Ottheinrich an die Räte in Regensburg, Heidelberg 6. März 1557: Kurze, S. 105, Anm. 53 (Regest). 117 Vgl. Wolf, S. 46 aufgrund von Dresdner Akten.
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aber seither daraus gewankt [ ], das man sie mit vorgeender gnugsamer erklerung beizunemen, sunsten aber alle, so den sectirern anhengig, absondern mochte.“118 Innerhalb des evangelischen Lagers werden hier Personen oder Stände ausgemacht, die auf Dauer den Boden der Confessio Augustana und der Schmalkaldischen Artikel verlassen hätten, ja sogar „den sectirern anhengig“ seien. Dem entspricht es, daß im ersten Artikel des Nebenabschieds Konsens und Einigkeit nicht konstatiert, sondern postuliert werden. Im Gefälle der kurpfälzischen Sicht liegt es auch, daß sich der zweite Artikel ausdrücklich gegen bereits eingeschlichene und noch weiter eindringende „Secten und Rottengaister“ wendet (Art. 2: S. 102). Auf die Einforderung der Bekenntnistreue in Artikel 1 folgt hier die Forderung nach Abgrenzung gegenüber abweichenden Lehren und Gruppierungen, „damit unsere Raine ware Christliche Religion von solchem vnkraut und geschmeiß des leidigen Satans gereinigt“ werde. Um das zu erreichen, sollen die Obrigkeiten Mandate gegen solche Gruppierungen erlassen und streng durchführen. Bestimmte abweichende Gruppierungen werden namentlich aufgeführt; die Rede ist von „Sacramentierern widerteuffern Schwenckfeldern, Osiandrischen und andern“. Ihre Nennung hat nicht die Gestalt einer förmlichen Verwerfung. Eine solche ist jedoch impliziert: zum einen durch die Qualifikation als Sekten und Rottengeister, zum anderen durch eine eigentümliche Argumentationsfigur, durch welche die Begrenzung des Augsburger Religionsfriedens119 auf die römisch-katholische Seite und die Augsburger Konfessionsverwandten zur innerreformatorischen Grenzziehung eingesetzt wird: Die Begrenzung wird dahingehend interpretiert, daß „alle dieselbigen Secten und Rottengeister vff nechstgehaltnem Reichstag zu Augspurg auß dem Religion frieden daselbst vffgericht und verabschidt geschlossen“ seien. Hier scheint wieder kurpfälzische Handschrift durch, hatte doch Eberhard von der Thann die Begrenzung des Religionsfriedens bereits in den Verhandlungen des Religionsausschusses als Kriterium für den Ausschluß vom geplantem Religionsgespräch zur Sprache gebracht.120 Der zweite Artikel des Nebenabschieds stellt somit implizit fest, daß Sakramentierer, also Anhänger der Schweizer Abendmahlslehre, Wiedertäufer sowie die Anhänger Schwenkfelds und Osianders mit reichsrechtlicher Verbindlichkeit nicht zu den Augsburger Konfessionsverwandten gezählt werden könnten. 118 Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, Heidelberg 30. Dezember 1556: Ernst IV, S. 241, Nr. 199. 119 „Doch sollen alle anderen, so obgemelten bede Religionen nit anhängig, in diesem Frieden nit gemeint, sondern genzlich ausgeschlossen sein.“ (§ 17 RA Augsburg 1555: NSamml. III, S. 18). 120 Vgl. oben S. 50 f. bei Anm. 52.
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Betrachtet man die große Zahl von verabschiedenden Ständegesandtschaften und deren Zusammensetzung, so enthält Artikel 2 eine erstaunlich weitgehende Spezifikation von nicht mit der CA vereinbaren Irrlehren. Denn noch 1555 in Augsburg hatten sich die Hessen erfolgreich gegen die vorgeschlagene ausdrückliche Nennung von Sakramentierern als vom Religionsfrieden Ausgeschlossenen gewandt, weil das „die Schweizer und andere stedt, die unserer Religion sein, offendieren“121 könnte. Und die Anhänger Osianders, dessen Lehre in dem Württemberg eng verbundenen Herzogtum Preußen weit verbreitet war, fehlen in Herzog Christophs Agenda für die Sonderberatungen in Regensburg, als deren Gegenstand Herzog Christoph dem Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich unter anderem die Erörterung der Frage vorschlug, wie Abspaltungen und Irrlehren „als widertaufer, Schwenkfelder, Zwinglianer und was des geschwurms mehr sein mochte“ unter den CA-verwandten Stenden „ausgerottet und abgeschafft“122 werden könnten. Die Forderung nach einer Verwerfung der Anhänger Osianders war im Vorfeld des Regensburger Reichstags nur von einer gnesiolutherischen Theologenkommission erhoben worden,123 die von den ernestinischen Herzögen von Sachsen einberufen worden war, um einen Anfang 1556 unternommenen württembergisch-pfälzischen Vorstoß zu einer Verständigung vor dem Reichstag zu begutachten. Die Kommission forderte als Voraussetzung jeglicher Verständigung die Verdammung der Lehren Zwinglis, Majors, Osianders und Schwenkfelds, des Synergismus sowie einen Widerruf der Adiaphoristen.124 Eberhard von der Thann, der als pfälzischer Gesandter die protestantischen Sonderberatungen in Regensburg dirigierte, hatte noch in ernestinischen Diensten gestanden, als die gnesiolutherische Theologenkommission das erwähnte Gutachten aufstellte. Auch die herzoglich-sächsische Reichstagsinstruktion vom 31. Mai 1556 nebst Theologengutachten war noch an Thann gerichtet. So liegt die Vermutung nahe, daß der aus ernestinischen Diensten übernommene pfälzische Großhofmeister auch bei der Abfassung des zweiten Artikels die Feder führte. Thanns Federführung dürfte auch der Grund für die unübersehbare gnesiolutherische Tendenz des Nebenabschieds insgesamt sein. Sie konnte jedoch im Zusammenspiel der Kräfte im Konfessionsrat nicht ohne Abstriche durchgesetzt werden; sonst wären unter den Sekten und Rottengeistern 121
Zitiert bei Wolf, Religionsfriede, S. 106 Anm. nach Marburger Reichstagsakten. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 22. Dezember 1556: Ernst IV, S. 235, Nr. 197. 123 Der Kommission gehörten an: Nikolaus von Amsdorf, Johann Stolz, früherer Hofprediger in Weimar, Johann Aurifaber, der seinerzeitige Hofprediger in Weimar, Erhard Schnepf und Viktorin Strigel (vgl. Heppe I, S. 114; Wolf, S. 9). 124 Vgl. Heppe I, S. 115. 122
1.3 Der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten
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auch Majoristen, Synergisten und Adiaphoristen aufgezählt worden. Ein solches Ansinnen aber, sollte es unterbreitet worden sein, dürfte auf den unüberwindbaren Widerspruch Kursachsens gestoßen sein. Möglicherweise ist der Zusatz „und andern“ zu der Reihe der Sekten (Art. 2: S. 102) das Ergebnis einer Auseinandersetzung über die Nennung weiterer Gruppen.
1.3.3 Vorkonvent und Schmalkaldische Artikel Mit dem dritten Artikel des Regensburger Nebenabschieds kommt das Wormser Religionsgespräch selbst in den Blick: Es soll eine Zusammenkunft der für das Religionsgespräch nominierten Theologen gut drei Wochen vor dessen Beginn auf den 1. August in Worms anberaumt werden. Im Beisein der Fürsten oder hochrangiger Räte sollen die Gesprächsteilnehmer sich „friedlich und schiedlich miteinander underreden und Christlich vergleichen“, um Spaltungen unter ihnen während des Religionsgesprächs zu vermeiden (Art. 3: S. 102 f.). Zwei Beobachtungen lassen vermuten, daß bei der Formulierung von Artikel 3 württembergische Anregungen eingeflossen sein könnten: Zum einen war die vorgesehene Struktur des Ausschreibungsverfahrens für die geplante Zusammenkunft, aufgeteilt nach sächsischen Landen und Oberlanden jeweils durch einen dort ansässigen Fürsten – nach Vorstellung des Nebenabschieds durch den Kurfürsten von Sachsen und den Herzog von Württemberg –, schon verschiedentlich von Herzog Christoph ins Gespräch gebracht worden.125 Zum anderen gehört die Forderung, daß „auch Jr Chur= und F rstliche Gnaden selbst Aigner Person wa es m glich vff die zeit erscheinen“ sollten (Art. 3: S. 103), zum Kern von Herzog Christophs konfessionspolitischem Programm. Wie kein anderer Fürst war Christoph der Überzeugung, daß ohne eine persönliche Zusammenkunft der Fürsten eine Überwindung der innerevangelischen Auseinandersetzungen nicht möglich sein werde. So bekräftigte er wenige Tage vor der Verabschiedung des Nebenabschieds in einem Schreiben an Kurfürst Ottheinrich, er könne zu keiner anderen Einschätzung kommen, „dann das die personlich zusammenkunft der stend von hohen nöten und in ander weg der theologorum unnötigem schreiben und schreien nicht wol abgeholfen oder begegnet werden moge.“126 Christoph stieß damit jedoch bei den anderen Fürsten auf Ablehnung oder Zurückhaltung. Insbesondere Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst August von Sachsen lehnten eine persönliche Zusammenkunft ab, weil sie fürchteten, dadurch den Verdacht eines neuen politischen Bündnisversuchs auf sich ziehen zu können, was sie keine 125 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 22. Dezember 1556: Ernst IV, S. 236, Nr. 197 sowie Christophs ‚Bedenken über die Einigkeit‘: ebd., S. 298, Nr. 240. 126 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 12. März 1557: Ernst IV, S. 280, Nr. 230.
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zehn Jahre nach dem Schmalkaldischen Krieg zu vermeiden trachteten.127 Kurfürst Ottheinrich folgte in der Frage einer persönlichen Versammlung der zurückhaltenden Linie seines Vorgängers128 und versprach sich, wohl auch wegen der ihm bewußten Grenzen seiner theologischen Kenntnisse129, mehr von einer Versammlung der Theologen, allerdings in Anbetracht von deren Zerstrittenheit unter Hinzuziehung von politischen Räten als Vermittlern und Schiedsleuten130.
In die Beratungen des Konfessionsrats in Regensburg wurde das Konventsprojekt131, das Christoph in seinem ‚Bedenken über die Einigkeit‘ während seines Reichstagsaufenthalts vom 14. bis 25. Januar 1557 noch einmal präzisiert hatte, von seinen Räten erst Anfang März eingebracht.132 Angesichts der geschilderten Kräfteverhältnisse kann es nicht verwundern, daß Christophs Anliegen nur in einer abgemilderten Form, nämlich um die Möglichkeit erweitert, anstelle der Fürsten „stattliche Rethe“ zu schicken (Art. 3: S. 103), Aufnahme in den Nebenabschied fand. Der vierte Artikel des Nebenabschieds wendet sich der Durchführung des Religionsgesprächs zu und verweist darauf, es sei „in Verordnung vilgemelts Colloquii also versehen, daß beeder Religion Colloquenten allein von den Haupt=Articuln unsers Christlichen Glaubens sollen colloquiern“ (Art. 4: S. 103) – eine Festlegung, die sich so jedoch im Reichsabschied gar nicht findet. Hier klingt im Nebenabschied nach, daß die Augsburger Konfessionsverwandten im Religionsausschuß gerne die Confessio Augustana als Gesprächsgrundlage für das Religionsgespräch durchgesetzt hätten, was ihnen jedoch nicht gelungen war.133 Um so dringender erschien eine Verpflichtung der protestantischen Gesprächsteilnehmer, weshalb im Nebenabschied beantragt wird, daß jede Obrigkeit ihren „Theologis Adjuncten Auditorn und Supernumerariis […] mit Ernst beuelhen und einbinden soll“, sich in den Verhandlungen mit der römisch-katholischen Seite an der „ordnung und form der Augspurgischen Confession und daraus anno […] 37. zu Schmalkalden gezogner Articul“ verbindlich zu orientieren (Art. 4: S. 103). Insoweit ist die angestrebte Verpflichtung zunächst auf das Reichsreligionsgespräch ausgerichtet. Durch die Verpflichtung der evangelischen Gesprächsteilnehmer soll die im Religions-
127
Vgl. Wolf, S. 8.10. Vgl. Wolf, S. 8 f. 129 Vgl. Kurze, S. 31 mit Anm. 61 auf S. 107 f.; in der Anm. das in einem anderem Zusammenhang stehende Zitat Ottheinrichs, er sei „der Sachen nit gar so verständig“. 130 Vgl. Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, o. O. 22. März 1557: Ernst IV, S. 281, Nr. 230, Anm. 3. 131 Vgl. unten S. 110–112 in Abschnitt 2.1.1.5. 132 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: Ernst IV, S. 276, Nr. 228. 133 Vgl. v. Bundschuh, S. 228. 128
1.3 Der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten
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ausschuß nicht zu erlangende Begrenzung der Gesprächsgegenstände auf das, was die CA vorgibt, doch noch erreicht werden. In demselben Sinne lassen sich auch noch die folgende positive Näherbestimmung und die anschließende Sanktionierung lesen: Die evangelischen Gesprächsteilnehmer sollen bei CA und Schmalkaldischen Artikeln „one einich wancken und closiern bestendiglich verharren mit außtrucklicher [verwarnung]134 und f rbehalt, So jemands diser Stende dermassen die seinen nit [w rde absunden]135, daß derselbige ausgeschlossen und nit zugelassen sollt werden“ (Art. 4: S. 103). Die Näherbestimmung und Sanktionierung sind jedoch auch offen für eine nach innen gerichtete Verwendung zur Disziplinierung der evangelischen Gesprächsteilnehmer. So gibt der intendierte Ausschluß der Stände, die ihre Verordneten nicht auf die Confessio Augustana und die Schmalkaldischen Artikel festgelegt haben, implizit zugleich einen verpflichtenden Rahmen für die in Artikel 3 anberaumte innerevangelische Verständigung über strittige Lehrfragen vor. Ihr besonderes Profil erhält die nach innen und außen gerichtete Bekenntnisverpflichtung des Artikels 4 durch die Ausrichtung nicht allein auf die CA, sondern zusätzlich auch auf die Schmalkaldischen Artikel, wobei die beiden Bekenntnisschriften einander in spezifischer Weise zugeordnet werden: Die Schmalkaldischen Artikel gelten als aus der CA ‚gezogen‘, i. e. entwickelt. Sinn der beschriebenen Zuordnung ist es – wie bei der späteren Verknüpfung der Confessio Augustana mit deren Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln im Zuge der Aufstellung von corpora doctrinae in den 1560er Jahren –, der CA einen „interpretierenden Rahmen“136 zu geben.
1.3.4 Kurpfälzische Handschrift mit ernestinischem Einschlag Die Berufung auf die Schmalkaldischen Artikel war in den 1550er Jahren keineswegs selbstverständlich. Eine ausdrückliche Rezeption der Schmalkaldischen Artikel ist in der ersten Hälfte der 1550er Jahre nur im ernestinischen Herzogtum Sachsen festzustellen, wo 1553 durch die Hofprediger Johann Stolz und Johann Aurifaber eine Neuausgabe besorgt wurde. Sie sollte die Schmalkaldischen Artikel der Vergessenheit entreißen und war begründet in dem Beschluß Herzog Johann Friedrichs des Älteren, des seiner Kurwürde verlustig gegangenen früheren Kurfürsten, daß „solche Artickel 134 Korrektur gegenüber Sattler nach dem Stuttgarter Exemplar des Nebenabschieds: HSA Stuttgart A 262, Bd. 50, fol. 664r–669r. 135 Korrektur gegenüber Sattler nach dem Stuttgarter Exemplar des Nebenabschieds: HSA Stuttgart A 262, Bd. 50, fol. 664r–669r. 136 Schwarz, S. 257.
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neben der Augspurgischen Confession Hochgedachts vnsers gnedigsten Herzogs bekentnis sein sollen“137. Die Bindung an Confessio Augustana und Schmalkaldische Artikel bekräftigte Johann Friedrich der Ältere in seinem Testament vom 9. Dezember 1553.138 Seine Söhne kamen der väterlichen Verpflichtung bereitwillig nach.139 Es entspricht der beschriebenen konfessionspolitischen Linie140, daß die herzoglich-sächsische Theologenkommission in ihrem Gutachten über die Vorschläge der pfälzisch-württembergischen Gesandtschaft vom Januar 1556 eine Rückkehr nicht nur zur Augsburgischen Konfession, sondern auch zu den Schmalkaldischen Artikeln forderte.141 Auch die herzoglich-sächsischen Reichstagsgesandten wurden in der Reichstagsinstruktion der Herzöge auf die CA und die Schmalkaldischen Artikel verpflichtet.142 In derselben Instruktion verliehen die Herzöge zudem ihrer Hoffnung Ausdruck, „dass die Stände, bei denen die von den weimarischen Theologen gerügten Sekten und Mängel vorhanden, Gott die Ehre geben und sich wieder strikte an die Augsburgische Konfession und die schmalkaldischen Artikel halten werden“.143 Das galt ihnen als Voraussetzung dafür, „[d]as wir also hinfurder zusammen hielten und In der Religion und gotts worts sachen einig und ein Corpus wurden“.144 Hier ist der in Artikel 4 des Nebenabschieds implizierte Konnex von Verpflichtung auf CA und Schmalkaldische Artikel und innerevangelischer Einigkeit vorgebildet, den man als deutlichen Ausdruck für den „gnesiolutherischen Kurs des ernestinischen herzoglichen Sachsen“145 ansehen muß. Das ernestinische Herzogtum Sachsen hatte indes nur sehr begrenzte Möglichkeiten, seine Vorstellungen direkt in die protestantischen Sonderberatungen einzubringen oder gar sie durchzusetzen. Nachdem der ursprünglich als Reichstagsgesandter vorgesehene Rat Eberhard von der Thann gegen den erklärten Willen der Herzöge in kurpfälzische Dienste getreten war,146 137 Vorrede Stolz’ und Aurifabers zur Neuausgabe der ArtSm, Weimar 12. März 1553: Volz, Urkunden, S. 203, Abschnitt VI, Nr. 6. 138 Vgl. Testament Hzg. Johann Friedrich d. Ä., Schloß Grimmenstein 9. Dezember 1553: Volz, Urkunden, S. 209 f., Abschnitt VI, Nr. 7. 139 Vgl. Herzöge von Sachsen an Hzg. Christoph, Schloß Grimmenstein 8. April 1554: Ernst II, S. 462, Nr. 557 sowie die Visitationsinstruktion der Herzöge von Sachsen, Weimar 17. Juni 1554: Volz, Urkunden, S. 210–213, Abschnitt VI, Nr. 8. 140 Zur Stellung des Herzogtums Sachsen zu den Schmalkaldischen Artikeln vgl. insgesamt Schwarz, S. 268 sowie Gehrt, Amsdorf, S. 234; zur ernestinischen Konfessionspolitik zwischen 1548 und 1580 vgl. Gehrt, Johann Friedrich I. sowie ders., Amsdorf und ders., Anfänge. 141 Vgl. Wolf, S. 9. 142 Vgl. herzoglich-sächsische Instruktion vom 31. Mai 1556: Wolf, S. 219, Nr. 3. 143 Herzoglich-sächsische Instruktion vom 31. Mai 1556: Wolf, S. 219, Nr. 3 (Regest). 144 Herzoglich-sächsische Instruktion vom 31. Mai 1556: Wolf, S. 219, Nr. 3. 145 Schwarz, S. 257. 146 Vgl. oben S. 60 bei Anm. 90.
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kam es nicht nur zu einer Minderung der Durchsetzungskraft der herzoglich-sächsischen Gesandtschaft. Vielmehr war das Herzogtum zeitweise gar nicht auf dem Reichstag vertreten.147 Die Nachrichten darüber, inwieweit Thann dennoch auch die Vertretung des Herzogtums Sachsen wahrgenommen hat, sind uneindeutig.148 In ihrer Uneindeutigkeit spiegeln sie wider, daß die Vertretung des Herzogtums Sachsen auf dem Reichstag prekär blieb, bis die Gesandten Brück und Thangel in Regensburg eintrafen149. Das Herzogtum Sachsen dürfte somit als Urheber von Artikel 4 ausscheiden. Damit kommt der andere Akteur in den Blick, der auf dem Regensburger Reichstag für den Konnex von Bekenntnisverpflichtung auf CA und Schmalkaldische Artikel und innerevangelischer Einigkeit eintrat: die Kurpfalz. Sie tat das nicht von ungefähr, bestimmten doch in Heidelberg respektive Regensburg mit dem Kanzler Minckwitz und dem Großhofmeister Thann zwei aus ernestinischen Diensten stammende Räte den konfessionspolitischen Kurs der Kurpfalz. 147
Zu Beginn des Reichstags wurde das Herzogtum durch den Rat Heinrich Schneidewin vertreten, in dessen Begleitung sich als einziger zum Reichstag entsandter evangelischer Theologe der Jenaer Theologieprofessor Erhard Schnepf befand. Schneidewin und Schnepf rechneten bereits im August mit ihrer Ablösung (vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 31. August 1556: Ernst IV, S. 146, Nr. 134), die jedoch immer noch nicht eingetroffen war, als die beiden Mitte Oktober abreisten (vgl. dies. an dens., Regensburg 16. Oktober 1556: ebd., S. 193, Nr. 163). Im Hintergrund dürfte die Auseinandersetzung zwischen den ernestinischen Herzögen und Thann über dessen Dienstherrenwechsel gestanden haben (vgl. Körner, S. 136). Thann traf am 2. November in Regensburg ein, jedoch als pfälzischer Großhofmeister mit der Vertretung des Kurfürsten Ottheinrich beauftragt. So hat Schneidewin das Herzogtum Sachsen nicht nach, sondern vor Thanns Eintreffen vertreten. 148 Während Körner schreibt, Thann habe soweit als möglich neben dem Kurfürstenrat auch noch für das Fürstentum Sachsen den Fürstenrat besucht (Körner, S. 136), und Kurze aufgrund kursächsischer Berichte angibt, Thann habe eigenmächtig die herzoglichsächsische Stimme geführt (Kurze, S. 112, Anm. 73), kann von Bundschuh das aus den ihm vorliegenden Quellen nicht bestätigen (v. Bundschuh, S. 161, Anm. 132). Da die Kursachsen Thann nicht wohl gewogen waren, könnten die differenzierteren Angaben im württembergischen Gesandtschaftsbericht vom 18. November zuverlässiger sein, wonach Thann „von der jungen hern von Sachsen wegen sich der reichssachen auch underzogen, doch session und stimm usgenohmen“ (Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 18. November 1556: Ernst IV, S. 211, Nr. 179). Thann stand jedenfalls noch in Korrespondenz mit den Herzögen (vgl. Wolf, S. 47, Anm. 1). Von einem einvernehmlichen Verhältnis zwischen Thann und den Herzögen kann jedoch keine Rede sein. Die Herzöge erließen im Mai 1557 – wohl nach seinem Ausscheiden aus kurpfälzischen Diensten (vgl. dazu Kurze, S. 35 mit Anm. 78 auf S. 114) – einen Haftbefehl gegen ihn, der im November vollstreckt wurde; erst auf Fürsprache des hessischen Landgrafen wurde Thann aus der Haft entlassen und wieder in ernestinischen Dienst aufgenommen (vgl. Körner, S. 136). 149 Brück und Thangel dürften im Januar 1557 in Regensburg eingetroffen sein, wie sich daraus ergibt, daß sie am 30. Januar von dort den Herzögen berichteten (vgl. Wolf, S. 50, Anm. 1).
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Verschiedene kurpfälzische Voten, in denen wie im Nebenabschied die Anerkennung von CA und Schmalkaldischen Artikeln als Voraussetzung für Vergleichung und Einigkeit nach außen und innen propagiert wurde,150 weisen bereits darauf hin, daß auch für Artikel 4 von kurpfälzischer Handschrift ausgegangen werden kann. Vollends bestätigt wird das durch eine Entdeckung in den kurpfälzischen Akten zum Regensburger Reichstag im Zuge der Archivrecherchen für die vorliegende Arbeit: Die zentrale Formulierung des späteren Artikels 4 des Nebenabschieds war in einer Nachschrift zum Schreiben Kurfürst Ottheinrichs an seine Gesandten in Regensburg vom 6. März vorgegeben. Die Nachschrift bezieht sich darauf, daß laut der Berichterstattung der Gesandten aus Regensburg anders als von Ottheinrich gewünscht kaum noch Änderungen an den im Religionsausschuß erarbeiteten Bestimmungen für das Religionsgespräch möglich seien. Im Hinblick darauf befiehlt Ottheinrich, „das Jr auf solchen fall/euch mit den andern Vnsern Augspurgischen Confessions Verwandten stenden/Vnd derselben potschafften alßbald dahin Vnderredet vnd bearbeitet[,] damit dise stende alle Jre Teologos solcher gestalt zu dem Colloquio abferttigen/ das sie sich von den artickeln der Augspurgischen Confession Vnd denen so man sich anno 37. zu Schmalkalden Vorglichen/gegen den Papisten im wenigsten nicht abhalten lassen/noch daran etwas begeben / Sonder dabej one ainiches wancken vnd glosieren bestendiglich verharren/ mit außtrucklicher Verwarnung Vnd furbehalt so Jemandts diser Stende dermassen die seynen nit absenden wurde / das derselbig ausgeschlossen und nit zugelassen werden solt“151.
Für Artikel 4 des Nebenabschieds ist somit nicht nur kurpfälzische Handschrift anzunehmen. Vielmehr steht fest, daß die zentrale Aussage von Artikel 4 in Heidelberg entworfen worden ist. Daß sie nahezu ungeändert Eingang in den Nebenabschied fand, belegt die bestimmende Rolle der kurpfälzischen Gesandtschaft und insbesondere Eberhard von der Thanns im Konfessionsrat. Es ist daher davon auszugehen, daß die gnesiolutherische Akzentuierung des Nebenabschieds zurückgeht auf die kurpfälzische Konfessionspolitik, wie sie zur Zeit des Regensburger Reichstags verfolgt wurde. Offenkundig versuchten die maßgeblichen Räte Ottheinrichs im Rahmen der kurpfälzischen Konfessionspolitik, ihren im Dienst der Ernestiner geprägten Überzeugungen Geltung zu verschaffen. 150 Vgl. Kfst. Ottheinrich an die Räte in Regensburg, Heidelberg 6. September 1556: Kurze, S. 106, Anm. 58 nach Münchner Akten sowie Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, Heidelberg 30. Dezember 1556: Ernst IV, S. 241, Nr. 199, oben S. 67 zitiert bei Anm. 118. 151 Nachschrift zum Schreiben Ottheinrichs an seine Gesandten in Regensburg vom 6. März 1557 (BayHStA Kasten blau 106/3, fol. 422r–429v; Zitate daraus bei Kurze, S. 109, Anm. 64), Heidelberg 6. März 1557: BayHStA Kasten blau 106/3, fol. 430rv, hier fol. 430r; Hervorhebung der wörtlichen Übereinstimmungen mit Art. 4 des Regensburger Nebenabschieds B. S. Der Wortlaut von Art. 4 ist zum Teil oben S. 71 bei Anm. 134 f. zitiert.
1.3 Der Nebenabschied der Augsburger Konfessionsverwandten
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1.3.5 Württembergische Skepsis Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten des in Artikel 4 aufgestellten Programms äußerte Herzog Christoph von Württemberg. Er schrieb am 12. März 1557, ohne bereits Kenntnis vom Wortlaut des Nebenabschieds erhalten zu haben,152 an Ottheinrich: „Beschließt man auch, dass sich die Kolloquenten an die A. K. und Schmalkaldischen Artikel halten, ihre Nebenkriege zurückstellen, so werden sie es doch schlecht befolgen, wenn nicht ihre Herren und Häupter es ihnen mit Ernst auflegen“.153 Grund für Christophs Skepsis ist in erster Linie seine Überzeugung, daß zur Überwindung der innerevangelischen Auseinandersetzungen Räteberatungen wie in Regensburg nicht ausreichten, es vielmehr einer persönlichen Zusammenkunft der Fürsten bedürfe.154 Darüberhinaus ist Christoph aber auch skeptisch gegenüber dem Vorhaben, durch die Räte in Regensburg eine Instruktion für das Religionsgespräch ausarbeiten zu lassen. Er sorgt sich nicht nur um das Bekanntwerden der Ausarbeitung einer solchen Instruktion auf dem Reichstag, die als Widerspruch zum evangelischen Eintreten für die Gewissensfreiheit der Deputierten erscheinen könnte. Vor allem bezweifelt er die Bindekraft einer in Regensburg ausgearbeiteten Instruktion, da sie nur von Räten beraten, nicht aber von den Fürsten beschlossen sein würde. Die Auffassungsunterschiede zwischen den Räten in Regensburg und Herzog Christoph spiegeln sich in der württembergischen Reichstagskorrespondenz des März 1557 wieder. Sobald der Herzog erfahren hatte, daß im Religionsausschuß die Confessio Augustana nicht als Gesprächsgrundlage für das Religionsgespräch durchgesetzt hatte werden können, befand er: „So will in allweg von hohen nöten sein, das zuuor [scil. vor dem Religionsgespräch] zwischen denn stenden, aigner Peron einhelliglichen beschlossen vnnd verglichen werde [ ] [,] welchermassen ire verordnete gesanntenn [ ] mit einer einhelligen Instruction communi nomine, solten abgefertigt werden“155.
Die Gesandten wiesen das aber zurück: Es sei „albereit von disen dingen/vnnder vnns beratschlagung furgeloffen/vnd dahin geschlossen worden / das souil die abfertigung solcher Theologen belangte / von 152 Der Nebenabschied wurde Christoph erst am 19. März von den Räten in Regensburg zugeschickt (vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 19. März 1557: Ernst IV, S. 283, Nr. 233) und traf in Stuttgart am 23. März ein (vgl. den praesentatum-Vermerk ebd., S. 284, Nr. 233). 153 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 12. März 1557: Ernst IV, S. 280, Nr. 230 (Regest). 154 Vgl. die oben S. 69 bei Anm. 126 zitierte Aussage Christophs hierzu aus demselben Schreiben (Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 12. März 1557: Ernst IV, S. 280, Nr. 230). 155 Christoph an seine Räte in Regensburg, Stuttgart 1. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 401r–408r (= Ernst IV, S. 274 f., Nr. 226, Anm. 6 [Regest]), hier fol. 401v.
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unnötten gemessene Instuction innen vff zu legen/sondern was sie die Colloquenten vnnd adiuncten in vorsteendem Colloquio des Proceß/oder materia halben, sich vernemmen, welcher gestallt sie auch kainer vnnöttigen spaltungen/oder Confusion stattgeben [ ] oder ausserhalb der Articull So ub der Christlichen Confession begriffen / einlassen sollen/solchs alles mag allhie, inn aller der Christlichen Religions stend namen verabschiedet volgendts jeder sein herrschafften zu wissen gemacht, vnnd berureter abschid den deputierten Theologen zugestelt werden/mit daneben vermanung demselben gemes sich zuverhalten“.156
Die Beratung des Nebenabschieds war schon so weit fortgeschritten, daß die württembergischen Räte keinen Spielraum mehr für Christophs Vorstellungen sahen. Aufschlußreich ist der zuletzt zitierte Passus aus dem Bericht der württembergischen Räte vom 7. März für die Absicht, die von den Räten mit der Abfassung des Nebenabschieds verbunden wurde: Er sollte statt einer Instruktion den am künftigen Religionsgespräch beteiligten Theologen mitgegeben werden. Als Instruktion konnten die Gesandten in Regensburg ihren Abschied aber nicht abfassen, weil ihnen dazu die Vollmachten fehlten. So mußten sie sich damit begnügen, ihn statt einer Instruktion zu empfehlen. Dabei ist der entscheidende Artikel 4 als Maßgabe für die jeweiligen Instruktionen der beteiligten Stände gehalten, indem hier den Obrigkeiten vorgegeben wird, was „ein jeder seinen Theologis Adjuncten, Auditorn und Supernumerariis […] mit Ernst beuelhen und einbinden soll“ (Art. 4: S. 103). Wenn Herzog Christoph demgegenüber auf einer einhelligen Instruktion der Fürsten bestand, so suchte er den Divergenzen entgegenzusteuern, die zu befürchten waren, wenn jeder Stand seine eigene Instruktion aufsetzen würde. Hierin schlug sich Herzog Christophs grundsätzliches Interesse an der Bildung von ständeübergreifenden, gesamtevangelischen Strukturen und Verknüpfungen praktisch nieder. Auf dem Frankfurter Fürstenkonvent im Juni 1557 versuchte er, seinem konfessionspolitischen Programm auf breiter Basis zur Durchsetzung zu verhelfen. Er mußte jedoch wie schon während des Reichstags zu Regensburg die Erfahrung machen, daß die auseinanderstrebenden Partikularinteressen der Stände stärker waren als die Orientierung an einem gemeinevangelischen Interesse. Einen Beleg für das Überwiegen der ständischen Partikularinteressen bietet auch der letzte dem Wormser Religionsgespräch gewidmete Artikel des Regensburger Nebenabschieds, der Artikel 7. Sein Gegenstand ist die 156 Massenbach und Eißlinger an Christoph, Regensburg 7. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 409r–416v (= Ernst IV, S. 276–278, Nr. 228 [Regest]), hier fol. 409v. Die Position der württembergischen Gesandten wird von Kurfürst Ottheinrich befürwortet (vgl. Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, o. O. 22. März 1557: Ernst IV, S. 281, Nr. 230, Anm. 3).
1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch
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Aufteilung des Unterhalts für die Teilnehmer am Religionsgespräch. Im Reichsabschied war festgelegt worden, „daß beyderseits Religions-Verwandte / ein jeder Theil die Seinige / auf die Austheilung, wie unter ihnen beschehen, mit Lieffrung unterhalten soll.“157 Die protestantischen Gesandten schlugen nun als ‚Austeilung‘ vor, „das ein jeder Chur=F rst und Stand seine Personen, so er zu dem Colloquio verordnet, vor sich selbst woll underhalten“ (Art. 7: S. 104). Obwohl die Gesandten in anderem Zusammenhang eine gemeinsame Kostenübernahme durch die Augsburger konfessionsverwandten Stände für möglich hielten – in Artikel 5 des Nebenabschieds sahen sie eine Klage zugunsten der Salzburger Emigranten und sogar die Bestallung eines Syndikus am Reichskammergericht „uff gemeinen der Confessions verwandten Oncosten“ vor (Art. 5: S. 104) –, entschieden sie sich hier gegen eine solche Lösung.158 Damit verstärkten sie die Tendenz, die Gesprächsteilnehmer nicht als Deputierte des Reichs oder als Vertreter ihrer Religionspartei, der Augsburger Konfessionsverwandten, anzusehen, sondern als Abgesandte der entsendenden Stände.
1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch Dem evangelischen Konfessionsrat wuchs neben seiner internen Funktion als Beratungs- und Abstimmungsforum für das gemeinsame Vorgehen in der Religionssache eine zweite Aufgabe von Reichs wegen zu: die Nominierung der evangelischen Teilnehmer für das geplante Religionsgespräch. Im Reichsabschied war ein zweistufiges Verfahren von Nominierung durch die Religionsparteien und Zulassung durch den König vorgesehen.159 Dazu hatten die Religionsparteien Teilnehmerlisten mit Angabe der vorgesehenen Funktionen aufzustellen. Als natürliches Forum dafür bot sich auf evangelischer Seite der Konfessionsrat an, dessen Formalisierung bereits weit vorangeschritten war, als Mitte Februar 1557 die Listenaufstellung anstand. Die Nominierung war eine bedeutsame, aber keineswegs leicht zu lösende Aufgabe. Denn die Gesandten der CA-verwandten Stände mußten sich darauf verständigen, wer im Namen ihrer Religionspartei auf dem Religionsgespräch agieren sollte. Damit entschieden sie aber zugleich auch über den Teilnehmerkreis der internen evangelischen Vorberatungen, die im Neben157
§ 40 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 142. Auf römisch-katholischer Seite war eine gemeinsame Kostenübernahme mit Aufschlüsselung gemäß dem Steueraufkommen der einzelnen Stände zunächst vorgesehen, dann aber doch wieder verworfen worden (vgl. v. Bundschuh, S. 246, Anm. 313). 159 Vgl. § 19 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 140; vgl. ferner die Erläuterungen oben S. 51 bei Anm. 53 f. 158
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abschied anberaumt wurden. Der Konfessionsrat bahnte somit durch die Nominierung der Gesprächsteilnehmer die größte und bestbesetzte reichsweite Zusammenkunft von evangelischen Theologen seit dem Schmalkaldischen Bundestag 1537 an. Für den Gang der Konfessionspolitik in ihrer Wechselwirkung mit den theologischen Auseinandersetzungen der Zeit war es von höchster Bedeutung, wer hier zu offiziellen Akteuren bestimmt wurde und wer nicht. Es mußte entschieden werden, wer zehn Jahre nach Luthers Tod die evangelische Sache auf Reichsebene gültig nach außen vertreten sollte.
1.4.1 Die Auswahlliste Einen Einblick in den Gang der Nominierungsberatungen im Konfessionsrat gewährt der württembergische Gesandtschaftsbericht vom 25. Februar.160 Am Beginn der Beratungen stand demnach die einmütige Ernennung des Kurfürsten von Sachsen und des Herzogs von Württemberg zu Assessoren, der lediglich die württembergischen Gesandten der Form halber widersprachen.161 Mit der Ernennung des sächsischen Kurfürsten und des württembergischen Herzogs wurde die Vorgabe des Religionsausschusses erfüllt, daß ein Kurfürst und ein Fürst zu Assessoren bestimmt werden sollten.162 Zugleich fand das Prinzip der regionalen Ausgewogenheit Berücksichtigung, indem mit dem Kurfürsten von Sachsen ein im norddeutsch-sächsischen Raum ansässiger und mit dem Herzog von Württemberg ein oberdeutscher Reichsstand ernannt wurden. Keinerlei Anzeichen gibt es dafür, daß die sonst so durchsetzungswillige pfälzische Gesandtschaft einen Anspruch ihres Kurfürsten auf das Assessorenamt geltend zu machen versucht hätte. Hier dürfte sich nicht nur ausgewirkt haben, daß das Interesse des Kurfürsten an dem Religionsgespräch in dem Maße erlosch, wie es ihm nicht mehr als öffentliches Forum zur Ausbreitung des Wortes Gottes erschien,163 und daß er die Struktur, die für das Präsidium des Religionsgesprächs vereinbart worden war, nicht guthieß164. Auch der prekäre Gesundheitszustand Ottheinrichs und seine in anderem Zusammenhang geäußerte Selbsteinschätzung, er sei theologischer Sachen „nit so gar verständig“165, dürften eine 160 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 25. Februar 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 395v–400v = Ernst IV, S. 272–274, Nr. 226 (Regest). 161 Herzog Christoph billigte ihren Widerspruch, zeigte sich aber unter Umständen doch zur Annahme des Amtes bereit (vgl. Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 1. März 1557: Ernst IV, S. 275, Nr. 226, Anm. 6). 162 Vgl. v. Bundschuh, S. 219–222. 163 Vgl. Kurze, S. 32. 164 Vgl. Kurze, S. 108 f., Anm. 64 165 Beleg oben S. 70 in Anm. 129.
1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch
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Rolle gespielt haben. Zudem wird er die Dinge bei dem eng verbündeten württembergischen Herzog in guten Händen gesehen haben. Nach der raschen Einigung auf die Assessoren wandte man sich der Nominierung der Kolloquenten und Adjunkten zu: „Nach disem auch etliche vil nomina Theologorum zusamen getragen.“166 Ein Exemplar der dabei entstandenen Auswahlliste hat sich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart erhalten.167 Da die Auswahlliste in der Forschung bisher nicht berücksichtigt wurde, der Vergleich zwischen den in ihr berücksichtigten Theologen und den später Nominierten aber wichtigen Aufschluß über das Geschehen der Nominierung bietet, ist zunächst die Auswahlliste vorzustellen und in ihrem Aufbau zu erschließen. Die Auswahlliste führt 46 Theologen auf, also mehr als das Doppelte der benötigten sechs Kolloquenten, sechs Adjunkten, sechs Supernumerarii und zwei Notare. Es hat den Anschein, als sei die Liste auf Zuruf entstanden, wobei in der Abfolge der Herkunftsgebiete der Theologen mehrmals die Sessionsordnung durchscheint, so daß die Nennung reihum erfolgt sein könnte. An der Spitze stehen mit Melanchthon, Brenz, Erhard Schnepf und dem Hessen Johannes Pistorius vier Theologen, deren Nominierung aufgrund ihres Ansehens respektive ihrer Erfahrung und Teilnahme an früheren Reichsreligionsgesprächen nahelag. An die genannte Vierergruppe schließt sich in der Auswahlliste ein namentlich nicht genannter und wegen der unleserlichen Ortsangabe bislang nicht identifizierbarer „Pfarrer von … burg“168 an. Auf ihn folgt Maximilian Mörlin aus Coburg, zum ernestinischen Herzogtum Sachsen gehörig. Wie eine Stichwortverknüpfung wirkt es, daß als nächster Theologe sein älterer Bruder Joachim Mörlin, Superintendent in der politisch und kirchlich weitgehend selbständigen Stadt Braunschweig, genannt wird. Seine Nennung könnte der Anlaß zur Anfügung weiterer städtischer Theologen gewesen sein, nämlich Westphals aus Hamburg, Timanns aus Bremen169, Marbachs aus Straßburg, eines Erfurters170, sodann wohl Anton Othos aus Nordhausen171, Wigands aus Magdeburg sowie eines 166 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 25. Februar 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 395r–400v, hier fol. 396r. 167 HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489rv: „Vorzaichnus etlicher Namhafften Theologen, so der Christlichen Religion Stend verwandt, und auß Inen zu vorsteendem Colloquio zu Colloquenten, Adiuncten vnd Notarien erkiesen worden“; erwähnt bei Ernst IV, S. 273, Nr. 226, Anm. 3; im folgenden zitiert als ‚Auswahlliste‘. 168 ‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r. 169 „Ambsterdam zu premb“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r). Der Bremer Theologe Johann Timann stammte aus Amsterdam. 170 „Andreas Bourh Erfurdensis“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r). Es dürfte sich um Andreas Poach handeln. 171 „Andreas Otto“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r). Mutmaßlich ist in der Reihe zwischen einem Erfurter und einem Magdeburger Anton Otho aus Nordhausen gemeint.
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Lübeckers172 und eines Lüneburgers173. Viele der genannten städtischen Theologen, insbesondere Mörlin, Westphal, Timann, Otho und Wigand, waren für ihre gnesiolutherische Orientierung bekannt. Auffällige Übereinstimmungen mit einer Vorschlagsliste Kurfürst Ottheinrichs174 lassen vermuten, daß die Nominierung der städtischen Theologen von den kurpfälzischen Gesandten angeregt worden sein dürfte. Die Kurpfalz, in der Auswahlliste bisher noch nicht berücksichtigt, wirkte konfessionspolitisch während des Regensburger Reichstags sowohl auf eine stärkere Beteiligung der Städte als auch auf eine Stärkung des gnesiolutherischen Elements hin. In besonderer Weise war unter den Genannten Johannes Marbach der Kurpfalz verbunden, der mit einiger Berechtigung als „Quasi-Hoftheologe“175 des Pfälzer Kurfürsten bezeichnet worden ist.176 Es folgen mit dem Mansfelder Superintendenten Erasmus Sarcerius und dem Frankfurter Professor und Generalsuperintendenten Andreas Musculus ein Theologe aus dem kursächsischen Einflußbereich und einer aus Kurbrandenburg.177 Die nächsten dreizehn Theologen auf der Auswahlliste178 entstammen Ständen, die dem Fürstenrat angehörten. Näherhin sind es Jakob Runge aus Pommern, die Hessen Adam Kraft und Andreas Hyperius, Victorin Strigel aus dem Herzogtum Sachsen, David Chyträus aus Mecklenburg, ein weiterer herzoglich-sächsischer Theologe179, Georg Karg und ein weiterer Theologe180 aus der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach sowie fünf Württemberger181: Jakob Beurlin, Matthäus Alber, Jakob Heerbrand, Jakob Andreae und Dietrich Schnepf. Mit Johannes Macchabäus Scotus aus dem mit Kursachsen auch familiär eng verbündeten Königreich Dänemark, einem Theologen aus der Markgrafschaft Brandenburg-Küstrin182, Johann Fabri aus Pfalz-Neuburg und dem Kursachsen Alesius Scotus kommen sodann noch einmal die kurfürstlichen Häuser mitsamt ihren Anverwandten zum Zuge.183 172
„Valentini zu Lubeckh“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r). „Fridericus zu Lünenburg“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r). 174 Vgl. unten S. 85 bei Anm. 201. 175 Vgl. Kurze, S. 60. 176 Vgl. Schmidt, Strassburger, S. VII–XXXVIII. 177 ‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489r. 178 ‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489rv. 179 „M. Bartholomeus Rosinus zu Eissenach“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v). 180 „M. Petrus zu Künigsberg“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v); im direkten Anschluß an die Nennung Kargs dürfte es sich um den fränkischen Ort Königsberg handeln. 181 Vgl. unten S. 89 bei Anm. 218. 182 „C. Marsillius Marggraf Hansen“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v, der Küstriner Pfarrer Caspar Marsilius. 183 ‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v. 173
1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch
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Hierauf folgt die eigentümlichste Gruppe der Auswahlliste.184 Sie wird angeführt von Nicolaus Gallus, dem entschieden gnesiolutherischen Superintendenten Regensburgs. Auf ihn folgt schlüssig sein Mitstreiter Flacius Illyricus. Damit aber ist ein Name genannt, der keineswegs konsensfähig war. Und es scheint, als habe dagegen jemand den Straßburger Hieronymus Zanchi gesetzt, der Calvin theologisch nahestand, sogleich ergänzt um Calvin selbst und den Zürcher Professor Petrus Martyr Vermigli, die nicht weniger unvermittelbar gewesen sein dürften. In dieselbe Kategorie scheint auch noch Georg Major zu gehören, womit wichtige Antipoden aktueller theologischer Auseinandersetzungen benannt wären. Was in der Auswahlliste noch folgt,185 sind Nachträge: der Württemberger Vannius aus Cannstatt, die Kursachsen Gresser aus Dresden, Bugenhagen aus Wittenberg sowie der Leipziger Professor Valentin Paceus, ein kurbrandenburgischer Theologe aus Stendal186 und Johann Stössel, Superintendent zu Heldburg im Herzogtum Sachsen.
1.4.2 Von der Auswahlliste zum Verzeichnis der Nominierten 1.4.2.1 Das Prinzip der regionalen und ständischen Ausgewogenheit Aus dem umfassenden Tableau der Auswahlliste, das sogar Vertreter von Extrempositionen umfaßte, galt es nun, die festgelegte Zahl von Gesprächsteilnehmern zu bestimmen. Die württembergischen Gesandten berichteten, das entscheidende Kriterium neben der Eignung sei dabei die angemessene Repräsentation der Stände gewesen: Man habe „inn sonderheit vff die Chur- vnd fürstliche heuser, Auch Stett vffmerkung gehabt, damit souil imer muglich […] alle der Augspurgischen Confession zugethane Stend zu vorstendem Colloquio zuordnen, vnd sich deß ausschliessen merer vnd fürnembst theils nit zu beschweren hetten“187. Die ausgearbeitete Liste der intern Nominierten188 ist daher geprägt vom Prinzip der regionalen und ständischen Ausgewogenheit. 184
‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v. ‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v. 186 „D. Ludwigke zu stendal Churf. Brandenburgischer“ (‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v). 187 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 25. Februar 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 395r–400v, hier fol. 396r = Ernst IV, S. 273, Nr. 226 (Regest). 188 Die Liste der intern Nominierten ist im Anschluß an die ‚Auswahlliste‘ überliefert (HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 490rv). Eine überleitende Bemerkung verweist auf die ‚Auswahlliste‘ zurück: „Auß obernannten Theologen haben der Augsburgischen confession stendt Reth und potschafften vollgende personen zu Colloquenten, Adiuncten, auditorn benant“ (HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 490r). Vgl. auch die Übersicht bei v. Bundschuh, S. 242. 185
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Als Kolloquenten waren vorgesehen Philipp Melanchthon, Professor in Wittenberg, Erhard Schnepf, Professor und Superintendent zu Jena, Johannes Brenz, Stiftspropst zu Stuttgart, Johannes Pistorius, Superintendent der hessischen Diözese Alsfeld mit Sitz in Nidda, Georg Karg, Superintendent der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und Johannes Macchabäus Scotus in Kopenhagen, der Superintendent von Holstein. Ihnen sollten als Adjunkten beigegeben werden Heinrich Stoll, Professor in Heidelberg und kurpfälzischer Generalsuperintendent, Viktorin Strigel, Professor in Jena, Andreas Musculus, Professor in Frankfurt an der Oder und Generalsuperintendent des Kurfürstentums Brandenburg, Jacob Runge, Professor in Greifswald und Generalsuperintendent des Herzogtums Pommern-Wolgast, Johannes Marbach, Präsident des Straßburger Kirchenkonventes, sowie Joachim Mörlin, Superintendent der Stadt Braunschweig. Als Supernumerarii wurden benannt: Johann Stössel, Superintendent zu Heldburg im Herzogtum Sachsen, der Leipziger Theologieprofessor Alexander Alesius Scotus, der Tübinger Theologieprofessor Jakob Beurlin, der Pommer Andreas Magerius, Petrus Prätorius aus der Markgrafschaft Brandenburg-Küstrin sowie der Superintendent der Grafschaft Mansfeld, Erasmus Sarcerius.
Selbst bei der etwas später erfolgten Ernennung der Notare189 kam das Prinzip der regionalen Ausgewogenheit zur Durchsetzung.190 In den verschiedenen Listen wird die Orientierung an dem genannten Prinzip augenfällig durch die durchgängig zu den Namen gesetzten Herkunftsangaben. Auch dürfte es dem Prinzip der regionalen und ständischen Ausgewogenheit geschuldet sein, daß ganz überwiegend Inhaber der höchsten kirchlichen Ämter nominiert wurden, die das Kirchenwesen der entsendenden Stände repräsentieren konnten. So prägt die bereits im Reichsabschied und im Nebenabschied aufgewiesene Tendenz, die Gesprächsteilnehmer als Vertreter der entsendenden Stände anzusehen, auch das Nominierungsverfahren.
189 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 25. Februar 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 396r = Ernst IV, S. 273, Nr. 226 (Regest): „Der Notarien halber werden sich obernannter Stend Räth zu furderlichster Zusammenkunfft auch vergleichen“. 190 In HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 495r–497v ist unter der Überschrift „Der Chur-, fürsten vnd Stend Baider Religion denominatio der Personen, so zu dem Colloquio zu verordnen“ das von den württembergischen Gesandten mit ihrem Bericht vom 7. März übersandte Verzeichnis der am 6. März im Religionsausschuß offiziell nominierten Gesprächsteilnehmer überliefert (vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: Ernst IV, S. 277, Nr. 228 bei Anm. 3); im folgenden als ‚Verzeichnis der offiziell Nominierten‘ bezeichnet. In dem beschriebenen ‚Verzeichnis der offiziell Nominierten‘ sind als Notare aufgeführt der Wittenberger Theologieprofessor Paul Eber, gegeben von den „chur, fürsten vnd stend der sachsischen Lande“, und Jakob Andreae, Generalsuperintendent zu Göppingen, von den „chur, fürsten und stend der oberlande“ delegiert; zusätzlich ist „pro supernumerario Notariorum“ der Tübinger Theologieprofessor Dietrich Schnepf benannt (‚Verzeichnis der offiziell Nominierten‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 496v).
1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch
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1.4.2.2 Herzog Christophs Vorbehalte und die kurpfälzische Vorschlagsliste Hält man die ursprüngliche Auswahlliste und die Liste der zunächst intern und dann offiziell Nominierten nebeneinander, so fällt zunächst das Fehlen der eigentümlichen Gruppe von Vertretern extremer Positionen auf: weder die vorgeschlagenen Schweizer noch die entschieden gnesiolutherisch orientierten Theologen Gallus und Flacius wurden nominiert. Die Schweizer waren von vornherein ausgeschlossen, weil sie nicht zu den Augsburger Konfessionsverwandten zählten. Auch Gallus und Flacius dürften zunächst einmal aus einem äußeren Grund nur geringe Aussichten auf eine Nominierung gehabt haben: Nach dem Prinzip der regionalen und ständischen Ausgewogenheit konnten schlecht mehr als zwei städtische Theologen nominiert werden. Unter den Reichsstädten aber besaß Straßburg einen gewissen Vorrang – es vertrat beispielsweise ganz selbstverständlich die evangelischen Reichsstädte im Religionsausschuß –, so daß der Regensburger Gallus hinter dem Straßburger Marbach zurückzustehen gehabt haben dürfte. Für den Braunschweiger Superintendenten Mörlin statt des in Magdeburg ohne kirchliches oder akademisches Amt wirkenden Flacius könnte neben Mörlins Amtswürde gesprochen haben, daß Flacius kurz vor dem Wechsel nach Jena stand und schon deshalb als Vertreter der niedersächsischen Städte und der Hansestädte nicht in Betracht kam. Herzog Christoph von Württemberg befand die Liste der nominierten Theologen insgesamt für gut. Er hielt es jedoch zum einen für bedenklich, daß das Herzogtum Sachsen drei Theologen entsenden sollte, womit es überrepräsentiert wäre; außerdem verfüge Strigel nicht über die nötige Erfahrung. Zum anderen stellte er die Nominierung Mörlins in Frage. Seinen Räten in Regensburg schrieb der württembergische Herzog deswegen am 1. März: „[…] bei furschlahung vnnd benennung der Theologorum zu Colloquenten, Adiuncten vnnd Supernumerariis lassen wir es diser zeitt bey der bestimmung der Personen auch beleiben, allein haben wir Bedennken das von der Jungen herrn zu Sachsen drei Personen als doctor Schnepffius, Victorinus [Strigel], Johann Stössel bestimpt, vnnd Victorinus zuuor bei solchen sachen nicht gewesen, das Doctor Maier [scil. Georg Major] an sein statt bestimpt, desgleichen an Johann Mörlinj statt M. Dauidt Chyträus alls eines fursten verordneter bestimpt möchte werden“191.
Christophs Kennzeichnung des Rostocker Theologieprofessors David Chyträus’ als eines fürstlichen Vertreters gibt einen Grund für die Ablehnung Mörlins zu erkennen: Seine Nominierung bedeutete in den Augen
191 Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 1. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 401r–408v ( = Ernst IV, S. 274 f., Nr. 226, Anm. 6 [Regest]), hier fol. 403v).
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Herzog Christophs eine Aufwertung der Städte, gegen deren Einflußerweiterung sich der Herzog auch in anderem Zusammenhang wandte.192 Eine Randbemerkung zu einem späteren Schreiben Herzog Christophs erhellt jedoch, daß noch weitere Vorbehalte gegen eine Nominierung Mörlins bestanden, die sich auf seine Person und Position bezogen: Christoph verleiht in dem betreffenden Schreiben seiner Sorge Ausdruck, aus den innerevangelischen Differenzen werde „nicht allein die höchste Confusion, sonder auch entliche zerrüttung des gantzen werkhs“193 erwachsen. Dazu ist am Rand als Parenthese hinzugesetzt: „(Beuor ab, dieweil D. Mörlin auch zu einem Colloquenten ernannt worden)“194. Hintergrund der negativen Bewertung des Braunschweiger Superintendenten in Württemberg dürfte die Rolle Mörlins im Osiandrischen Streit195 gewesen sein, denn sein Eintreten gegen Osiander konnte eine Konfrontation mit Brenz, der eine vermittelnde Position einnahm, befürchten lassen196. Der Versuch, Mörlin als Gesprächsteilnehmer zu verhindern und an seiner Stelle Chyträus zu nominieren, mißlang jedoch; die zitierte Randbemerkung blickt auf seine bereits erfolgte Nominierung zurück. Sie war dem Herzog wie auch die Ablehnung seines Vorschlags, Strigel durch Major zu ersetzen, bereits am 7. März mitgeteilt worden. Die Räte berichteten, daß sie die vom Herzog vorgeschlagenen Ersetzungen beantragt und darüber mit anderen Gesandten verhandelt hätten. Aber es habe sich herausgestellt, daß Major „den anderen Theologen in Sachsen werglichen verhasst vnd vntreglich“ sei, so daß bei seiner Teilnahme am Religionsgespräch mit Wortgefechten „vnder den hitzigen Theologen“ zu rechnen sei.197 Während man Major, der als Urheber der These von der Notwendigkeit der guten Werke zum Heil das Haupt der ganzen Auseinandersetzung und Tragödie in Sachsen gewesen sei, nicht nominieren könne, habe man auf Mörlin „seiner geschicklichait[,] darzu der Sächsischen Stett halber“ nicht verzichten können.198 192
Vgl. oben S. 62 bei Anm. 99. Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 13. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 419r–424v (= Ernst IV, S. 278 f., Nr. 228, Anm. 9), hier fol. 419v. 194 Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 13. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 419r–424v, hier fol. 419v in margine. 195 Vgl. Stupperich, Art. Mörlin, S. 194; Fligge, S. 140–142. 196 Bereits nach dem ersten württembergischen Gutachten zum Osiandrischen Streit war es zu konfrontativen Äußerungen Mörlins gegenüber Brenz gekommen (vgl. Fligge, S. 78). 197 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 409r–416v ( = Ernst IV, S. 276–278, Nr. 228 [Regest]), hier fol. 411v. 198 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 409r–416v ( = Ernst IV, S. 276–278, Nr. 228 [Regest]), hier fol. 411v. 193
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Wie bereits beim Nebenabschied zeigt sich auch hier eine gnesiolutherische Akzentuierung der Entscheidungen des Konfessionsrats: Major wird mit Rücksicht auf seine gnesiolutherischen Gegner abgelehnt; die Nominierung des gnesiolutherisch orientierten Mörlin hingegen „seiner geschicklichait“ wegen bestätigt. Damit dürfte sich wiederum der pfälzische Großhofmeister und vormalige ernestinische Rat Eberhard von der Thann durchgesetzt haben. Ähnlich dürfte es mit der von Herzog Christoph bemängelten Überrepräsentanz des Herzogtums Sachsen unter den Nominierten stehen. Tatsächlich war das Herzogtum mit Schnepf als Kolloquenten, Strigel als Adjunkten und Stössel unter den Supernumerarien sowie der vorgesehenen Entsendung eines Auditors deutlich stärker vertreten als die meisten anderen Stände; nur Kursachsen und Württemberg, die je einen Assessor, einen Kolloquenten, einen Supernumerarius und einen Notar stellen sollten, kamen auf dieselbe Anzahl von Nominierten. Das läßt sich damit erklären, daß Thann, statt pfälzische Repräsentationsansprüche durchzusetzen, die Nominierung ihm bekannter und seiner konfessionspolitischen Linie nahestehender ernestinischer Theologen betrieb. Denn die Kurpfalz wie auch das ganze Haus Pfalz sind mit der Nominierung des Heidelberger Theologieprofessors Stoll und der Entsendung eines Auditors nicht gerade stark vertreten. Auch in einer Vorschlagsliste Kurfürst Ottheinrichs für die Teilnehmer am Religionsgespräch von Anfang Dezember 1556 erschien als einziger Pfälzer Heinrich Stoll.199 Bis auf den heimischen Theologen Stoll, der an letzter Stelle genannt wird,200 sind alle in der Liste Genannten mehr oder weniger entschieden gnesiolutherisch orientiert: Ernestinische Theologen mit Amsdorf an der Spitze, sodann vier weiteren herzoglich-sächsischen Pfarrern, darunter dem Coburger Superintendenten Maximilian Mörlin, und schließlich Erhard Schnepf bilden die erste und größte Gruppe unter den Vorgeschlagenen; es folgen Flacius und Wigand, Joachim Mörlin, Westphal, Timann, Marbach, Gallus, Poach und Otho.201 Die überwiegend gnesiolutherische Orientierung der Vorgeschlagenen ist um so bemerkenswerter, als Melanchthon und Brenz unerwähnt bleiben. Hier spricht sich das gnesiolutherische Programm der pfälzischen Konfessionspolitik während des Reichstags mit aller Konsequenz aus. 199 Vgl. Kfst. Ottheinrich an seine Gesandten in Regensburg, Heidelberg 6. Dezember 1556: BayHStA K. blau 106/3, fol. 160r–168v, hier fol. 160v. Ottheinrichs Schreiben basierte auf einem Bedenken seines Kanzlers Minckwitz (vgl. Kurze, S. 107, Anm. 61), der wie Thann aus ernestinischen Diensten übernommen worden war. 200 Kurze erklärt die Aufnahme Stolls in Ottheinrichs Vorschlagsliste damit, daß Stoll „als pfälzischer Ordinarius nicht zu umgehen gewesen“ sei (Kurze, S. 107, Anm. 61). 201 Vgl. Kfst. Ottheinrich an seine Gesandten in Regensburg, Heidelberg 6. Dezember 1556: BayHStA K. blau 106/3, fol. 160r–168v, hier fol. 160v. Kurzes Wiedergabe der Vorschlagsliste (Kurze, S. 107, Anm. 61) ist unvollständig
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
Allerdings ließ sich das gnesiolutherische Programm der kurpfälzischen Konfessionspolitik durchaus nicht ohne Abstriche durchsetzen. So erkundigte sich Thann bereits am 22. Dezember beim kurfürstlichen Hof, wie er sich zur Nominierung von Brenz und Melanchthon, die ihm als unvermeidlich erschien, verhalten solle.202 Ottheinrich stellte sich nicht gegen eine Nominierung der beiden, verlangte aber, daß die Theologen sich vor dem Religionsgespräch vergleichen müßten.203 Ausdrücklich gewünscht hatten hingegen die Herzöge von Sachsen-Weimar die Ausschließung von Melanchthon und Brenz; sie blieben damit jedoch isoliert.204 Eine weitere Grenze für die Durchsetzbarkeit der gnesiolutherischen Nominierungsvorstellungen bestand darin, daß die Nominierung der in der pfälzischen Vorschlagsliste aufgeführten radikalen Verfechter gnesiolutherischer Positionen, namentlich Amsdorfs, Westphals, Gallus’ und Flacius’, nicht erreicht werden konnte. Amsdorfs Name erscheint nicht einmal in der Auswahlliste. Sollten die übrigen Namen ernsthaft diskutiert worden sein, so dürfte kursächsischer Einspruch ausschlaggebend gewesen sein.205 Daß hingegen die Nominierung der gnesiolutherisch orientierten Theologen Schnepf, Mörlin, Strigel, Stössel und Sarcerius und auch Marbachs von Kursachsen nicht verhindert wurde, spiegelt einerseits die Kräfteverhältnisse wieder, ist andererseits aber auch in den Vorschlägen begründet, die Melanchthon im Vorfeld der Reichtagsberatungen unterbreitet hatte. 1.4.2.3 Die Vorstellungen Melanchthons und Brenz’ Die Vorschläge Melanchthons liegen vor in zwei Gutachten für den kursächsischen Hof, verfaßt in der ersten Jahreshälfte 1556. Der erste Vorschlag206 Melanchthons geht von einer Beteiligung von zehn Theologen am 202 Vgl. Thann an Kfst. Ottheinrich, Regensburg 22. Dezember 1556: Kurze, S. 107, Anm. 61 (Regest) nach Münchner Akten. 203 Vgl. Kfst. Ottheinrich an seine Gesandten in Regensburg, Heidelberg 12. Januar 1557: Kurze, S. 107, Anm. 61 nach Münchner Akten. 204 Vgl. Wolf, S. 56 nach Dresdner Akten. 205 Melanchthon wußte allerdings zeitnah zu den Nominierungsberatungen Joachim Camerarius zu berichten, daß insbesondere „die Charitiner“ die von den Gesandten „gewisser Leute“ betriebene Nominierung der „Söhne Polyphems“ zurückgewiesen hätten: „In conventu pugnarunt Legati quorundam, ut Polyphemi filii inter collocutores essent, sed omnes alii ac praecipue Charitini eos repudiarunt.“ (Melanchthon an Camerarius, Wittenberg 10. März 1557: CR 9, Sp. 117 f., Nr. 6211 = MBW 8153). Die ‚Charitiner‘ sind Chiffre für die Württemberger; mit den Söhnen Polyphems sind laut MBW.R, Bd. 8, S. 47, Nr. 8153.2 Flacius und Gallus gemeint. 206 Melanchthons erstes Gutachten über ein Religionsgespräch für Kfst. August, ca. April 1556: CR 9, Sp. 5–8, Nr. 6143 = MBW 7800. Dieses Gutachten ist nicht auf Anfang 1557 zu datieren, sondern gehört zeitlich in den Zusammenhang der Eröffnung des Regensburger Reichstags (vgl. MBW.R Bd. 7, S. 424, Kommentar zu Nr. 7800). Damit ist es früher anzusetzen als das Anfang Juni anläßlich einer Beratung zwischen Kurfürst Au-
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Religionsgespräch aus. Melanchthon schlägt dafür Schnepf (Herzogtum Sachsen), Brenz (Württemberg), Gresser (Kursachsen), Sarcerius (Mansfeld), Mörlin (Stadt Braunschweig), Westphal (Hamburg), Stoll (Kurpfalz), Runge (Pommern-Wolgast), Adam Kraft oder Andreas Hyperius (Hessen) und Marbach (Straßburg) vor. Die Alternative Kraft oder Hyperius zeigt an, daß die Entsendung von nicht mehr als einem Theologen pro Stand vorgesehen ist. Die regionale oder ständische Ausgewogenheit ist jedoch zweitrangig, denn das gesamte Haus Brandenburg ist ausgelassen, während Mansfeld und drei Städte berücksichtigt sind. Entscheidender als der regionale Proporz dürften für Melanchthon die Eignung und Erfahrung der vorgeschlagenen Theologen gewesen sein. Im zweiten Gutachten207 verband Melanchthon die ständische Repräsentation mit dem Kriterium der Eignung, indem er für die Beteiligung von Theologen aller CA-verwandten Stände plädierte und weiter vorschlug, daß von den Theologen artikelweise Einmütigkeit über die Lehre hergestellt werden und die einmütige Auffassung von sechs bis zehn gewählten Sprechern gegenüber der römisch-katholischen Seite vertreten werden solle.208 So ergibt sich ein weiterer Kreis, gebildet aus dem Pfälzer Stoll, den Kursachsen Alesius und Gresser, Schnepf und Menius aus dem Herzogtum Sachsen, Musculus aus Kurbrandenburg, Petrus Prätorius aus Brandenburg-Küstrin und Karg aus Brandenburg-Ansbach, Cunemann Flinspach aus Pfalz-Zweibrücken, Brenz und Beurlin aus Württemberg, den Hessen Hyperius und Kraft oder Pistorius, den Pommern Runge und Magerius, Chyträus und Heshusen aus Mecklenburg, einem Holsteiner und schließlich dem Mansfelder Sarcerius sowie, ohne Namensnennungen, städtischen Vertretern aus Nürnberg, Augsburg, Ulm, Straßburg, Frankfurt, Magdeburg, Braunschweig, Lübeck, Hamburg und Bremen.209 Mit dem weiteren Kreis ist der ständischen Repräsentation Genüge getan. Der engere Kreis der Sprecher kommt den Personalvorschlägen des ersten Gutachtens relativ nahe: Hier wie dort schlägt Melanchthon Stoll, Gresser, Schnepf, Brenz, Hyperius, Sarcerius, Runge und Mörlin vor. Nur der Hamburger Westphal und der Straßburger Marbach werden nicht mehr
gust und Landgraf Philipp entstandene zweite Gutachten (vgl. Anm. 207; zur Datierung vgl. MBW.R Bd. 7, S. 443 f., Kommentar zu Nr. 7855). Die Reihenfolge der beiden Gutachten ist daher umgekehrt als noch bei von Bundschuh, S. 240, Anm. 282 vorausgesetzt. 207 Melanchthons zweites Gutachten über ein Religionsgespräch für Kfst. August, Dresden 5./6. Juni 1556: Bindseil, S. 387–392, Nr. 406 = MBW 7855. 208 Vgl. Melanchthons zweites Gutachten über ein Religionsgespräch, Dresden 5./6. Juni 1556: Bindseil, S. 392, Nr. 406 = MBW 7855. 209 Vgl. hierzu und zum Folgenden Melanchthons zweites Gutachten über ein Religionsgespräch, Dresden 5./6. Juni 1556: Bindseil, S. 391 f., Nr. 406 = MBW 7855.
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
erwähnt,210 dafür heißt es nun: „und ettlich auß andern Stedten, auß Bremen Doctor Albertus [scil. Albert Hardenberg]“. Die Nennung Hardenbergs statt Westphals könnte auf die Zuspitzung des zweiten Abendmahlsstreits zurückgehen, in dem Westphal sich als erbitterter Gegner Calvins exponierte, während Melanchthon sich für den ebenfalls von gnesiolutherischer Seite angegriffenen Hardenberg einsetzte. Deutet sich hier ein gewisses Zurücktreten des gnesiolutherischen Elements an, so bleiben mit Schnepf, Sarcerius und Mörlin immer noch drei Theologen auf Melanchthons Liste, die dem gnesiolutherischen Spektrum zugerechnet werden können.211 Zu beachten ist allerdings, daß es vielfach keine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Richtung gab. So konnte Melanchthon sich mit Mörlin und Schnepf in der Gegnerschaft gegen die osiandrische Rechtfertigungslehre einig wissen.212 Das Verhältnis Schnepfs zu Melanchthon läßt sich als dauerhaft respektvolle Verbundenheit charakterisieren, auch wenn es mitunter zu heftigen Konfrontationen kam.213 Sarcerius hatte bis Anfang 1553 in kursächsischen Diensten gestanden, auch die Confessio Saxonica unterzeichnet und war mit Melanchthon auf dem Weg nach Trient gewesen.214 Seit dem Übertritt in mansfeldische Dienste hatte er sich allerdings zunehmend von Melanchthon distanziert.215 Doch auch mit Sarcerius verbanden Melanchthon die genannten, nicht zu weit zurückliegenden Erfahrungen persönlicher Gemeinschaft und theologischer Übereinstimmung. Die später in Worms aufbrechenden Konfliktlinien lassen sich demnach nicht ohne weiteres in das Jahr 1556 zurückprojizieren. Dasselbe gilt erst recht von Brenz’ Vorschlag für die Besetzung eines künftigen Religionsgesprächs, den der Stuttgarter Propst bereits im Vorfeld des Augsburger Reichstags unterbreitet hatte.216 Brenz schlug als mögliche 210 Der ebenfalls nicht mehr als Sprecher erwähnte Adam Kraft ist hier im weiteren Kreis eingeordnet. 211 Mit Recht urteilt daher von Bundschuh über Melanchthons Nominierungsvorschläge: „Betrachtet man diese Liste im Licht der erbitterten Auseinandersetzungen der verschiedenen theologischen Richtungen im protestantischen Lager, so ist zwar das Bemühen Melanchthons unverkennbar, vorwiegend Männer seines eigenen Flügels beizuziehen, doch die Benennung von Schnepf, Mörlin und Sarcer, die nicht zu seinem Anhang zählten, zeigt gleichzeitig sein Bestreben, eine gewisse Ausgewogenheit der Vertretung der verschiedenen Positionen zu erzielen.“ (v. Bundschuh, S. 240 f.). 212 Vgl. Seebass, Brenz und Osiander, S. 175. 213 Vgl. Leppin, Art. Schnepf, S. 234. 214 Vgl. Kawerau, Art. Sarcerius, S. 484. 215 Vgl. Kawerau, Art. Sarcerius, S. 485. 216 Vgl. Brenz’ Gutachten über die Proposition des Augsburger Reichstags, o. O. 26. Februar 1555: Ernst III, S. 88–97, Nr. 41; ebd. S. 97 die Nominierungsvorschläge. Ein Auszug aus Brenz’ Gutachten ist, verbunden mit einem Auszug aus dem Reichstagsgutachten des politischen Rates Kaspar Ber zum Augsburger Reichstag (Ernst III, S. 4–32, Nr. 3), bei Wolf nach Dresdner und Weimarer Akten wiedergegeben (Wolf, , S. 273–275, Nr. 18). Wolf stellt den kompilierten Text unter die Überschrift „Brenz’ Bedenken wegen Ab-
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Kollokutoren vor: Melanchthon, Major, Schnepf, den Tübinger Professor Martin Frecht, der 1556 bereits starb,217 Johannes Pistorius und Johannes Marbach. Mit Major und Schnepf sind zwei Exponenten der widerstreitenden Lager im sächsischen Raum benannt. Als ein württembergischer Adjunkt käme laut Brenz’ Gutachten Matthäus Alber, Jakob Beurlin, Jakob Heerbrand oder Jakob Andreae in Betracht, als Notare Andreae oder Theodor Schnepf. Das sind die Württemberger, die zusätzlich zu Brenz in der Auswahlliste erscheinen.218 Da sie dort en bloc verzeichnet sind, könnte ein württembergischer Rat das Brenzsche Gutachten zur Hand gehabt haben, als im Konfessionsrat die Auswahlliste aufgestellt wurde.
1.4.3 Die Nominierten und ihre Nominierung im Überblick Die schriftlich ausgearbeiteten Vorstellungen Melanchthons und Brenz’ sowie die Vorschlagsliste Kurfürst Ottheinrichs zeigen, daß die Stände auf die Nominierung von Theologen vorbereitet waren und bei der Nominierung ihre jeweiligen Interessen verfolgten. Das spiegelt sich im Ergebnis der Nominierungsberatungen wieder, dem ‚Verzeichnis der offiziell Nominierten‘219, das mit der Liste der intern Nominierten220 übereinstimmt. Das ‚Verzeichnis der offiziell Nominierten‘ ist abschließend im Überblick vorzustellen und zu kommentieren. Zu Kolloquenten wurden nominiert Philipp Melanchthon, Erhard Schnepf, Johannes Brenz, Johannes Pistorius, Georg Karg und Johannes Macchabäus Scotus. Die drei Erstgenannten, an der Reformation schon früh beteiligt, waren zwar nicht unumstritten, zählten aber zu den angesehensten lebenden Theologen. Sie wie auch Pistorius hatten bereits an früheren Reichsreligionsgesprächen teilgenommen. Mit Kursachsen, dem Herzogtum Sachsen, Württemberg und Hessen repräsentieren die vier Genannten zugleich führende Stände des evangelischen Lagers. Das gleiche gilt von Georg Karg, dem Ansbacher Superintendenten, der das kur- und -fürstliche Haus Brandenburg unter den Kolloquenten repräsentiert.
haltung eines Religionsgesprächs“. Wolfs Überschrift wird dem Sachverhalt nicht gerecht (vgl. v. Bundschuh, S. 162 f., Anm. 137). Es könnte sich bei der Kompilation um eine Aktualisierung anläßlich des Regensburger Reichstages handeln, die allerdings nicht von Brenz stammen dürfte, da sich sein Name in der von Wolf wiedergegebenen Fassung zu den möglichen Kollokutoren gesetzt findet (Wolf, S. 275, Nr. 18), während Brenz sich in dem bei Ernst abgedruckten Gutachten nicht selbst vorgeschlagen hatte. 217 Vgl. Ehmer, Art. Frecht, Sp. 289. 218 Vgl. ‚Auswahlliste‘: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 50, fol. 489v. 219 Vgl. oben S. 82, Anm. 190. 220 Vgl. oben S. 81 bei Anm. 188.
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1. Der Regensburger Reichstag von 1556/57
Karg war mit Melanchthon freundschaftlich verbunden.221 Das könnte dazu beigetragen haben, daß er als Kolloquent nominiert wurde und nicht der kurbrandenburgische Generalsuperintendent und Frankfurter Theologieprofessor Musculus, der lediglich zum Adjunkten bestimmt wurde. Hinzu kam, daß Kurbrandenburg lange konfessionspolitisch laviert hatte, während die Markgrafschaft BrandenburgAnsbach einen festen Stand innerhalb des reformatorischen Lagers hatte und zudem sowohl mit den südwestdeutschen Ständen als auch den sächsischen Territorien wie auch mit den Städten, allen voran Nürnberg, geographisch und theologisch-kirchlich verbunden war.
Hinter der Nominierung des Kopenhagener Theologieprofessors und holsteinischen Superintendenten Johannes Macchabäus Scotus dürften kursächsische Interessen gestanden haben. Kurfürst August agierte konfessionspolitisch in enger Abstimmung mit seinem Schwiegervater, König Christian III. von Dänemark, so daß die Kursachsen sich von der Nominierung eines dänischen Theologen eine Stärkung ihrer Position versprechen konnten. Zusätzlich mag die Benennung eines königlichen Vertreters als der protestantischen Reputation insgesamt zuträglich angesehen worden sein. Die Reihe der Adjunkten wird durch den ersten pfälzischen Vertreter eröffnet, den Heidelberger Theologieprofessor und kurpfälzischen Generalsuperintendenten Heinrich Stoll. Daß auf ihn mit dem Jenenser Professor Viktorin Strigel sogleich der zweite Abgesandte des ernestinischen Herzogtums Sachsen folgt, verdankt sich, wie oben bereits ausgeführt,222 wahrscheinlich pfälzischer Einflußnahme. Das Herzogtum ist damit der einzige Stand, der sowohl einen Kolloquenten als auch einen Adjunkten stellt. Mit dem Kurbrandenburger Musculus findet sich auch das dritte kurfürstliche Haus berücksichtigt, während der Pommer Runge die Reihe der von Mitgliedern des Fürstenrates zu entsendenden Theologen abschließt. Runge stand spätestens seit seiner Mitwirkung in einer Theologenkommission, die im Herbst 1555 zur Schlichtung Osiandrischer Streitigkeiten nach Nürnberg berufen worden war, Melanchthon nahe.223 Der Nominierung des pommerschen Generalsuperintendenten dürfte daher die kursächsische Unterstützung sicher gewesen sein. Schließlich wurden als Städtevertreter der leitende Straßburger Prädikant Marbach und der Braunschweiger Superintendent Mörlin nominiert, womit sowohl die süddeutschen Reichsstädte als auch die norddeutschen Städte Berücksichtigung fanden. Marbachs Nominierung dürfte nachdrückliche Unterstützung von seiten der Pfalz erfahren haben, wo der Straßburger wegen seiner Mitwirkung an der Durchführung der Reformation in ho221
Vgl. Weiss, S. 22, Anm. 14 und S. 77. Vgl. oben S. 85. 223 Vgl. Gummelt, S. 60 f. Zu älteren Behauptungen, wonach eine enge Verbindung zwischen Runge und Melanchthon bereits aus Runges Wittenberger Studienjahren herrühren sollte, vgl. Gummelt, S. 58–60. 222
1.4 Die Nominierung der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch
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hem Ansehen stand.224 Die Nominierung des gnesiolutherisch orientierten Braunschweigers Mörlin stieß auf württembergischen Widerspruch, es wurde an ihr aber wie ausgeführt wohl auf pfälzisches Betreiben festgehalten.225 Bei der Nominierung der Supernumerarien scheint noch einmal auf die ständische Repräsentation geachtet worden zu sein, allerdings ohne Berücksichtigung der Städte: Der Superintendent von Heldburg, Johannes Stössel, den die Pfälzer als ihrer konfessionspolitischen Linie nahestehend betrachten konnten, steht als herzoglich-sächsischer Ersatzmann zur Verfügung. Kursächsischer Supernumerarius ist der Leipziger Theologieprofessor Alexander Alesius Scotus. In der Liste folgt der Tübinger Theologieprofessor Jakob Beurlin, so daß die drei Stände, welche die ersten drei Kolloquenten entsenden, jeweils auch einen Ersatztheologen bereithalten sollen. Ein Supernumerarius aus dem Kreis der Fürstenratsmitglieder ist der Pommer Andreas Magerius.226 Mit Petrus Prätorius aus der Markgrafschaft Brandenburg-Küstrin kam das dritte brandenburgische Territorium nunmehr bei den Supernumerarien zum Zuge. Erasmus Sarcerius schließlich, der Superintendent der Grafschaft Mansfeld, dürfte von gnesiolutherischer Seite unterstützt worden sein wegen seiner zunehmenden Distanzierung von Melanchthon, könnte aber zugleich auch kursächsischen Zuspruch erfahren haben, weil die Grafschaft Mansfeld zur politischen Einflußsphäre Kursachsens zählte. Die Supernumerarien wurden zwar intern nominiert,227 die reichsoffizielle Ernennung im Religionsausschuß unterblieb in ihrem Fall jedoch. Laut württembergischem Bericht war der Grund dafür, daß die römisch-katholische Seite noch keine Supernumerarien benannte.228 Die protestantischen Stände fühlten sich dennoch an die in ihrem eigenen Konfessionsrat erfolgte Nominierung gebunden, wie das Nachrücken von Johann Stössel und Erasmus Sarcerius gleich zu Beginn des Religionsgesprächs zeigen sollte.
Die Benennung der als Auditoren fungierenden politischen Räte erfolgte nicht unter namentlicher Angabe bestimmter Personen, sondern ständeweise.229 Mit den drei kurfürstlichen Häusern, ferner Pommern, Hessen und den Grafen der A. C. war eine repräsentative Vertretung der evan224
Vgl. oben S. 80 bei Anm. 175 f. Vgl. oben S. 83 f. 226 Das Fehlen eines hessischen Supernumerarius überrascht. Allerdings könnten gegen den in der Auswahlliste vorgeschlagenen Andreas Hyperius Vorbehalte von gnesiolutherischer Seite geltend gemacht worden sein, während der greise Adam Kraft vielleicht aufgrund seines Alters nicht mehr in Frage kam. 227 Wie von Bundschuh zu der Angabe kommt, die evangelische Seite habe keine Supernumerarii aufgestellt (v. Bundschuh, S. 242), ist unerfindlich. 228 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: Ernst IV, S. 277, Nr. 228. 229 Vgl. ‚Verzeichnis der offiziell Nominierten‘: HSA Stuttgart A 262, Bd. 50, fol. 496v. 225
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gelischen Kurfürstenrats- und Fürstenratsmitglieder vorgesehen, vervollständigt durch Württemberg und Kursachsen im Amt der Assessoren. Weil Kursachsen als Assessor benannt war, sollte der sächsische Auditor vom Herzogtum Sachsen gestellt werden. Entsprechend hatten sich die verschiedenen brandenburgischen Gesandten in Regensburg darauf verständigt, daß Kurbrandenburg den Auditor stellen sollte, nachdem BrandenburgAnsbach bereits einen Kolloquenten abzuordnen hatte.230 Zwar erwog der Herzog von Württemberg intern, welche Personen als Auditoren in Frage kämen,231 die Entscheidung blieb aber den einzelnen Ständen überlassen. Wie sehr sich die Besetzung der Auditorenämter auf den Gang der künftigen internen Verhandlungen unter den evangelischen Gesprächsteilnehmern auswirken würde, dürfte für die Gesandten in Regensburg kaum vorstellbar gewesen sein. Komplettiert wird das Bild durch die Nominierung der Notare, den Württemberger Andreae für die oberdeutschen Stände und den Kursachsen Paul Eber für die sächsischen Lande. Nicht von ungefähr werden die Notare von denselben Ständen gestellt, denen auch das Assessorenamt übertragen worden war. Ihrer repräsentativen Leitungsfunktion entsprach es, für die anderen Stände die offiziellen Aufzeichnungen anzufertigen. Das Tableau der offiziell nominierten Gesprächsteilnehmer weist eine stattliche Zahl reputierter Professoren und Generalsuperintendenten auf. Weil das Tableau vom Prinzip der regionalen und ständischen Repräsentation bestimmt ist, sind entsprechend der konfessionspolitischen Ausrichtung der Stände Vertreter verschiedener, teilweise miteinander zerstrittener theologischer Richtungen berücksichtigt, so daß insgesamt die wichtigsten Strömungen im theologischen Spektrum des deutschen Protestantismus in Worms vertreten sein würden: die Wittenberger Theologie mit Melanchthon an ihrer Spitze, das gnesiolutherische Element, vertreten durch die aufgrund des kurpfälzischen Einflusses überrepräsentierten ernestinischen Theologen sowie Mörlin und Sarcerius, und schließlich die württembergische Theologie mit ihren wichtigsten Vertretern, Brenz und Andreae. Zu einer Nominierung radikaler Exponenten der verschiedenen Richtungen in den aktuellen theologischen Kontroversen kam es hingegen nicht, weil sie durch den Einspruch der jeweiligen Gegenseite verhindert wurde. So wurden weder exponierte Vertreter einer gnesiolutherischen Orientierung wie Flacius, Gallus, Amsdorf oder Westphal nominiert noch der von gnesiolutherischer Seite angefeindete Major oder gar Vertreter der schweizerischen 230 Vgl. die späteren Erläuterungen des brandenburg-ansbachischen Rates Eisen an Mkgf. Georg Friedrich, Worms 10. September 1557: Schornbaum II, S. 163, Nr. II. 231 Vgl. Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regenburg, Stuttgart 1. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 401r–408v ( = Ernst IV, S. 274 f., Nr. 226, Anm. 6 [Regest]), hier fol. 404r. 406v.
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Abendmahlsauffassung. Mit der den Kräfteverhältnissen im Konfessionsrat geschuldeten weitgehenden Beschränkung auf eher gemäßigte Theologen nahm man allerdings von vornherein in Kauf, daß wesentliche Positionen nicht vertreten sein würden. Damit aber würden starke Kräfte von außerhalb auf den Teilnehmerkreis einwirken mit der Folge einer Verstärkung zentrifugaler Tendenzen unter den Teilnehmern. Herzog Christoph von Württemberg sah die Gefahr zentrifugaler Tendenzen sehr deutlich. Er erinnerte seine Räte daran, daß unter den Nominierten „allerhand mißverstand vnd dissentiones […] nicht allein furgefallen, sondern darüber publice in schrifften condemnationes vnd dergleichen eruolgt“ seien. Deshalb sei, wenn die Teilnehmer lediglich nach Maßgabe des Nebenabschieds von ihren Obrigkeiten einzeln instruiert würden, „nicht allein die höchste Confusion. sonder auch entlich zerrüttung des gantzen werkhs (Bevor ab, dieweil D. Mörlin auch zu einem Colloquenten ernannt worden ist) mit verkleinerung, schimpff vnd spot“ zu erwarten, zum Ärgernis „vieler guthertziger“ und zum Triumph der römisch-katholischen Gegenseite.232 Eine Abwendung der drohenden Gefahr versprach sich Christoph ausschließlich von einer Zusammenkunft der Fürsten, die eine gemeinsame Instruktion beschließen müßten. Nachdem es ihm nicht gelungen war, das Vorhaben einer Fürstenzusammenkunft während des Reichstags im protestantischen Konfessionsrat durchzusetzen, verfolgte er es in der folgenden Zeit mit ungebrochener Energie weiter.
232 Hzg. Christoph an seine Räte in Regensburg, Stuttgart 13. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 419r–424v, hier fol. 419v; die Parenthese ist am Rand hinzugesetzt (vgl. oben S. 84 bei Anm. 194).
2. Die Aufstellung von Instruktionen im Ringen um eine gemeinsame Konfessionspolitik 2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung auf das Religionsgespräch 2.1.1 Herzog Christophs Agenda für die Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten Herzog Christoph von Württemberg war neben den führenden Theologen einer der entscheidenden Akteure der evangelischen Konfessionspolitik in der Mitte des 16. Jahrhunderts; und als Konfessionspolitiker stand er, obwohl er im Rang den Kurfürsten nachgeordnet war, an der Spitze der Fürsten Augsburgischer Konfession.1 Sein konfessionspolitisches Agieren ist gut belegt durch zahlreiche erhalten gebliebene Schreiben, die zum großen Teil in Viktor Ernsts Edition des Briefwechsels Christophs erschlossen sind. Der württembergische Herzog ließ sich die kirchlichen und konfessionspolitischen Fragen sehr angelegen sein. Oft intervenierte er direkt und hielt persönlich engen Kontakt nicht nur mit seinen Gesandten auf dem Regensburger Reichstag, sondern auch später mit den württembergischen Teilnehmern am Wormser Religionsgespräch. Mit Christophs ‚Bedenken über die Einigkeit‘ liegt eine Anfang 1557 verfaßte Programmschrift der württembergischen Konfessionspolitik vor.2 Frühere Interpretationen durch Viktor Ernst und Rosemarie Müller-Streisand sehen das ‚Bedenken‘ davon geprägt, daß Herzog Christoph „das Einheitsideal der alten Kirche“3 entlehnt habe, wenn er nicht sogar einem „rekatholisierten Kirchenbegriff“4 gefolgt sei, und deuten von daher seine 1
Vgl. Koch, Weg, S. 18.20–22. Vgl. Müller-Streisand, S. 276: „Das Württ. Bedenken über Herstellung der Einheit der AK Verwandten vom April 1557 […] kann als Programmschrift für Christophs Kirchenpolitik betrachtet werden.“ Bei der Datierung hat Müller-Streisand Ernsts Hinweise nicht beachtet, denen zufolge das Bedenken schon im Januar 1557 abgefaßt wurde (vgl. Ernst IV, S. 298, Nr. 240, Anm. 1). Zur Bezeichnung des Bedenkens vgl. unten Anm. 14 sowie bei Anm. 63. 3 Ernst IV, S. XXXII. 4 Müller-Streisand, S. 276; vgl. unten bei Anm. 39. 2
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung 95
Konfessionspolitik. In kritischer Auseinandersetzung mit den früheren Interpretationen ist zu klären, was Herzog Christoph als den wichtigsten fürstlichen Akteur unter den Augsburger Konfessionsverwandten um- und antrieb und was er erreichen wollte. 2.1.1.1 Das ‚Bedenken über die Einigkeit‘ als Programmschrift der württembergischen Konfessionspolitik Herzog Christoph verfolgte das Entstehen des Regensburger Nebenabschieds mit großer Skepsis,5 die sich insbesondere auf zwei miteinander verknüpfte Punkte richtete. Zum einen hielt er eine persönliche Zusammenkunft der evangelischen Fürsten für unabdingbar, weil nur so den innerevangelischen Auseinandersetzungen Einhalt geboten werden könne. Zum anderen fürchtete er schwerwiegende Folgen, wenn die Teilnehmer am Religionsgespräch lediglich nach Maßgabe des Nebenabschieds von den entsendenden Ständen einzeln instruiert, nicht aber auf eine persönlich zwischen den Fürsten vereinbarte gemeinsame, gleichlautende Instruktion verpflichtet würden. Daher wirkte er noch in der Schlußphase des Regensburger Reichstags auf eine persönliche Zusammenkunft der Fürsten zur Vereinbarung einer gemeinsamen Instruktion hin.6 Christophs Intervention ging jedoch ins Leere, und das nicht nur, weil sein Schreiben an die Gesandten erst am 16. März in Regensburg eintraf,7 dem Tag, an dem der Reichsabschied verkündet und der Nebenabschied unterzeichnet wurde. Vielmehr erklärten seine Gesandten in ihrem Schlußbericht vom 19. März, dem sie den Nebenabschied beilegten, die evangelischen Gesandten seien sich einig gewesen, daß eine persönliche Zusammenkunft der Stände nicht nötig sei.8 Christophs Forderung hatte lediglich in Form der Zielvorgabe, daß die Fürsten, „wa es m glich“, persönlich am Vorkonvent in Worms teilnehmen sollten, in den Nebenabschied Eingang 5
Vgl. oben Abschnitt 1.3.5. Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 12. März 1557: Ernst IV, S. 280, Nr. 230. Seinen Reichstagsgesandten schrieb Christoph am 13. März 1557: „Haben wir nochmalen die fürsorg. da die Stennd nicht selbst in der Personn beisamen erscheinen. und sich einer solchen Instruktion mit gemeinen Zuthon, vnnd einhelliger Correspondention [sic!] vergleichen wurden, […] so were daraus nicht allein die höchste Confusion, sondern auch entliche zerrüttung des gantzen werkhs […] mit höchster verkleinerung, schimpff vnd spot, Des gleichen beschwerlicher ergernus vnd anstoß viler gutherziger. Aber der gegenthail vnnachlesslichs triumphierens vnd ausschreienns zugewarten.“ (Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 13. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 419r–424r, hier fol. 419rv = Ernst IV, S. 278 f., Nr. 228, Anm. 9 [Regest]). 7 Vgl. die praesentatum-Angabe bei Ernst IV, S. 279, Nr. 228, Anm. 9. 8 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 19. März 1557: Ernst IV, S. 283, Nr. 233. 6
96 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik gefunden,9 womit die persönliche Teilnahme der Fürsten im Unbestimmten gelassen war. Schon gar nicht war im Nebenabschied die von Christoph gewünschte Aufstellung einer gemeinsamen Instruktion durch die Fürsten vorgesehen, verstand der Nebenabschied selbst sich doch als Maßgabe für die Instruktionen der einzelnen Stände, wenn er nicht sogar als Ersatz für Einzelinstruktionen angesehen wurde.10 Wie wenig damit aber Christophs Drängen Genüge getan war, geht daraus hervor, daß er bereits eine Woche nach Erhalt des Nebenabschieds bei Landgraf Philipp von Hessen einen neuen Vorstoß für eine Fürstenzusammenkunft unternahm. Als Gelegenheit dafür schlug er nicht den für den 1. August anberaumten Vorkonvent in Worms vor, sondern die für Mitte Juni in Frankfurt angesetzten Verhandlungen zur Beilegung des Erbfolgestreits zwischen Nassau und Hessen um die Grafschaft Katzenelnbogen.11 Christoph schwebte vor, daß die Augsburger Konfessionsverwandten dort „ainhelliglich sich ainer instruction auf das colloquium verglüchen, auch die andere notwendige puncten unser waren christliche religion belangend, wie die spaltung under den theologis abgeschafft und aufgehaben, auch wie zu dem ain gleiche leer gefiert werden und was des mer sein möchte, einhelliglich beratschlagt und verglichen wurden“12. Damit ging der württembergische Herzog über den Regensburger Nebenabschied hinweg und setzte seine vorherigen Bemühungen um eine Fürstenzusammenkunft fort. Wenige Tage später wandte er sich in derselben Angelegenheit auch an Kurfürst August von Sachsen.13 Dem Schreiben an August legte er ein grundsätzliches Bedenken bei: „Des Herzogs zu Wirtemberg Bedencken, ein christliche brüderliche gleichhait in der Religion vnd abschaffung des gezencks vnd Schmeheschriften der Theologen belangendt“14. 9 Art. 3 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 103, Nr. 37. Vgl. oben Abschnitt 1.3.3. 10 Die württembergischen Gesandten berichteten, der vorgesehene Nebenabschied solle „den deputierten Theologen zugestelt werden/mit daneben vermanung demselben gemes sich zuverhalten“ (Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 409r–416v, hier fol. 409v = Ernst IV, S. 276, Nr. 228 [Regest]). Vgl. oben S. 76. 11 Hzg. Christoph an Ldgf. Philipp, Stuttgart 30. März 1557: Ernst IV, S. 289, Nr. 237. Den Nebenabschied hatte Christoph am 23. März erhalten (vgl. den praesentatum-Vermerk bei Ernst IV, S. 284, Nr. 233; vgl. oben in Abschnitt 1.3.5 Anm. 152). Zum Erbfolgestreit um die Grafschaft Katzenelnbogen vgl. Demandt, S. 220 f.401–405. 12 Hzg. Christoph an Ldgf. Philipp, Stuttgart 30. März 1557: Ernst IV, S. 289, Nr. 237. 13 Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 290–292, Nr. 239. 14 Wolf, S. 278–286, Nr. 20; die Überschrift ebd., S. 279; weiterer Abdruck: Ernst IV, S. 292–300, Nr. 240. Das Bedenken ist überliefert im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden als Beilage zu Christophs Brief an August vom 3. April 1557: Ernst IV, S. 290– 292, Nr. 239 (vgl. Wolf, S. 278, Anm. 2). Im folgenden wird es kurz als ‚Bedenken‘, sonst
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung 97
Das ‚Bedenken‘ läßt sich nicht genau datieren. Es ist aber bereits während des Reichstagsaufenthaltes Herzog Christophs vom 15. bis 24. Januar 1557 aufgesetzt worden.15 Darum liegt die Vermutung nahe, daß Jakob Andreae, der Herzog Christoph als Prediger nach Regensburg begleitete,16 an der Aufsetzung des ‚Bedenkens‘ beteiligt gewesen sein könnte. Ursprünglich sollte das ‚Bedenken‘ in die Beratungen des evangelischen Konfessionsrats eingebracht werden: Die württembergischen Gesandten berichteten aber am 12. Februar in ihrem ersten Schreiben nach Christophs Abreise, daß die Beratung über Christophs Vorschläge noch nicht habe stattfinden können; zugleich schickten sie eine – offensichtlich aus Stuttgart erbetene – Abschrift von Christophs ‚Bedenken‘.17 Den Grund der Verzögerung gibt der Gesandte Eißlinger in einem separaten Schreiben vom selben Tag an. Er berichtet, „daß Christophs Bedenken […] wegen des neuen Haders der sächsischen Theologen bisher noch nicht habe ausgeführt werden können“18. Dem Zeitpunkt nach kann mit dem neuen Hader nur die sogenannte Coswiger Handlung (20. bis 28. Januar 1557) gemeint sein, der gescheiterte Versuch, durch Vermittlung einer Gruppe von niedersächsischen Theologen eine Aussöhnung zwischen Flacius und Melanchthon zu erreichen.19 Die Kunde vom Scheitern der Coswiger Handlung dürfte sich rasch verbreitet haben; nach Regensburg wird die Nachricht spätestens gelangt sein, als dort vor dem 12. Februar der kursächsische Kanzler Mordeisen eintraf 20. Vermutlich erschien es den württembergischen Gesandten nicht ratsam, in einer Situtation, die von Nachrichten über einen gescheiterten Vermittlungsversuch bestimmt war, einen neuen auf Bemühungen um die Einigkeit unter den Augsburger Konfessionsverwandten gerichteten Vorschlag vorzulegen. Christoph ließ sich dadurch aber nicht beirren. Vielmehr sah er sich durch den neuerlichen Theologenstreit in der Stoßrichtung seines ‚Bedenkens‘ bestärkt, wonach Abhilfe nicht von Theologenversammlungen, sondern nur von einer persönlichen Zusammenkunft der Fürsten zu erhoffen sei. Am 16. Februar antwortete er Eißlinger, „daß er noch der beständigen aber als ‚Bedenken über die Einigkeit‘ bezeichnet; zu dieser Bezeichnung vgl. unten bei Anm. 62. Die Zitate folgen dem jüngeren Abdruck bei Ernst. 15 Vgl. Ernst IV, S. 298, Nr. 240, Anm. 1. Zu Christophs Reichstagsaufenthalt vgl. ebd, S. 249 f., Nr. 207, Anm. 1. 16 Vgl. Leben Andreaes: Ehmer, S. 66–69; vgl. dazu Müller-Streisand, S. 304. 17 Vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 12. Februar 1557: Ernst IV, S. 266, Nr. 220. 18 Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 12. Februar 1557: Kugler II, S. 47, Anm. 78 (Regest). 19 Zur Coswiger Handlung vgl. Preger II, S. 32–59; Wolf, S. 64–66; Scheible, S. 219–225; Olson, S. 312–315. 20 Vgl. Wolf, S. 54.
98 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Meinung sei, daß man die Theologen nit allein zu Hauf lassen, sondern den […] conventum principum et statum anstellen möge, wie er das in seinem Bedenken weitläufig ausgeführt habe“21. Christophs ‚Bedenken‘ scheint dennoch in der folgenden Zeit bis zum Ende des Reichstags nicht mehr vorgelegt worden zu sein. Seine Gesandten versuchten aber im Konfessionsrat, einzelne Anliegen des ‚Bedenkens‘ in die Beratungen einzubringen, die zur Vorbereitung des Nebenabschieds dienten.22 Christoph sah jedoch durch den Nebenabschied sein ‚Bedenken über Einigkeit‘ keineswegs als überholt an. Die Übersendung des ‚Bedenkens‘ an Kurfürst August nach Abschluß des Reichstages belegt das. Zugleich wird daran der programmatische Charakter des ‚Bedenkens‘ deutlich: Es formuliert Ziel und Wege der württembergischen Konfessionspolitik nicht nur für eine bestimmte Situation, sondern grundsätzlich. Gegliedert ist das ‚Bedenken über die Einigkeit‘23 in drei Teile, deren mittlerer noch einmal deutlich unterteilt ist: Am Beginn steht eine einleitende Problemschilderung mit einer knappen Skizzierung des ins Auge gefaßten Lösungsweges (Einleitung: S. 292 f.). Darauf folgt – dem Umfang nach der Hauptteil des ‚Bedenkens‘, sachlich aber untergeordnet – eine Auflistung von acht aktuellen Streitpunkten als Agenda der Verständigung (Punkte 1 bis 8: S. 293–298). Dabei gelten die ersten vier Punkte vorwiegend Lehrstreitigkeiten (Punkte 1 bis 4: S. 293–295), die letzten vier Punkte hingegen Mißständen des kirchlichen Lebens (Punkte 5 bis 8: S. 295–298). Erwägungen zum konkreten Vorgehen auf dem eingangs skizzierten Lösungsweg schließen das ‚Bedenken‘ ab (Schluß: S. 298–300). An der Gliederung des ‚Bedenkens‘ orientiert sich dessen Analyse in den Abschnitten 2.1.1.2 bis 2.1.1.5. 2.1.1.2 Christophs Einschätzung der Lage und sein Ziel Zur einleitenden Problemschilderung bedient Herzog Christoph sich heilsgeschichtlicher Kategorien: Satan und seine Anhängerschaft unter dem mit dem Papst identifizierten Antichristen auf der einen, die Augsburger Konfessionsverwandten auf der anderen Seite – in diesen Rahmen zeichnet Christoph die aktuelle Situation ein. Der Satan habe viele Jahre lang die 21 Hzg. Christoph an Eißlinger, o. O. 16. Februar 1557: Kugler II, S. 47, Anm. 78 (Regest). 22 Insbesondere die von Christoph intendierte Fürstenversammlung wurde von den württembergischen Gesandten in die Beratungen des Konfessionsrats eingebracht (vgl. Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: Ernst IV, S. 276, Nr. 228). 23 Zitate aus dem ‚Bedenken über die Einigkeit‘ werden hier und in den Abschnitten 2.1.1.2 bis 2.1.1.5 mit einem Gliederungsstichwort und der Seitenangabe nach dem Abdruck bei Ernst IV, S. 292–300, Nr. 240 im Text belegt.
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Ausbreitung der reinen Lehre hinnehmen müssen. Er habe nichts ausrichten können gegen die Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten. Daher sei er darauf verfallen, in „nebenpuncten“ Auseinandersetzungen hervorzurufen „zwischen denienigen, so in substantia durchus gemelter confession anhengig“ (Einleitung: S. 293). Sein Ziel sei, das gemeinsame Bekenntnis und seine Träger zu diskreditieren. Soweit Christophs Problemschilderung: Die Stände Augsburgischer Confession seien, obwohl zwischen ihnen auf Basis der Confessio Augustana grundsätzliche Einigkeit bestehe, durch Auseinandersetzungen über Nebenpunkte in den Mißkredit der Uneinigkeit gebracht worden. Was Christoph hier nicht eigens ausführt, sind die abträglichen Folgen des geschilderten Problems. In seiner Korrespondenz stellt er die Folgen aber immer wieder heraus. So führt er als mögliche Konsequenzen des gegnerischen Vorwurfs der Uneinigkeit seinen Gesandten in Regensburg vor Augen, daß die Gegenseite sich der Kooperation mit den Augsburger Konfessionsverwandten als „wankelhafftigen“ verweigern könnte und daß „der Religionsfride, welcher Fride auf beide Religion gestellt, todt vnd ab sein sollte“24. Christoph sieht also nicht nur die Position der Augsburger Konfessionsverwandten gegenüber ihren Gegnern als gefährdet an, sondern auch den Fortbestand des erst anderthalb Jahre zuvor erreichten Religionsfriedens. Zudem äußerte er immer wieder die Sorge, der Eindruck der Uneinigkeit werde „manchem guten, eiferigen christen, darzu den schwachgleubigen ein grossen anstoß geben“25. Christophs Ziel ist, daß „disem anstoss, auch der widertail calumnien und usschreihens begegnet und zwischen den stenden gemelter confession gutherzige, cristenliche und brüderliche gleichait und aintrechtigkait gesucht und gepflanzt, die auch künftig erhalten würde“ (Einleitung: S. 293). Die Zielbestimmung läßt im nachhinein das zuvor geschilderte Problem noch einmal in einem etwas anderen Licht erscheinen: Wenn „gleichhait und aintrechtigkait“ allererst erreicht und begründet werden müssen, so reicht der Dissens unter den Augsburger Konfessionsverwandten trotz der beteuerten grundsätzlichen Übereinstimmung offensichtlich nach Christophs Einschätzung doch tiefer, als es zunächst den Eindruck erweckte. Damit stimmt überein, daß zu den im folgenden aufgezählten strittigen Punkten zentrale Topoi wie die Rechtfertigungslehre, das Abendmahlsverständnis oder die Tauflehre und -praxis gehören. Wie weit Christophs Befürchtungen 24 Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 1. März 1557: HSA Stuttgart, A 262, Bd. 51, fol. 401r–408v ( = Ernst IV, S. 274 f., Nr. 226, Anm. 9 [Regest]), hier fol. 403r. 25 So Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 292, Nr. 239. Vgl. bereits Hzg. Christophs Memorial über eine Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten, Worms 3. November 1555: Ernst III, S. 357, Nr. 188.
100 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik tatsächlich gingen, zeigt eine schriftliche Äußerung gegenüber Kurfürst Ottheinrich. In zeitlicher Nähe zur Entstehung des ‚Bedenkens über die Einigkeit‘ teilte Christoph dem Kurfürsten die Befürchtung mit, bei Fortdauer der Theologendispute werde „sich bald dardurch ein schwerlicher Fall und scisma zutragen.“26 Das drohende Schisma abzuwenden, ist Christophs Ziel, dazu will er „gleichait und aintrechtigkait“ suchen und pflanzen. Als Weg zur Erreichung von „gleichait und aintrechtigkait“ schlägt Christoph ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst solle ein allgemeiner Konvent einberufen werden. Dem Konvent solle es obliegen, die innerevangelischen Dissenspunkte zu erörtern, womöglich die Differenzen zu überwinden oder doch zumindest Wege zu ihrer Überwindung aufzuzeigen. Damit solle der Konvent einer persönlichen Versammlung der Fürsten vorarbeiten (vgl. Einleitung: S. 293). Eine Entfaltung des hier nur knapp skizzierten Konventsprojekts bietet der Schlußteil des ‚Bedenkens‘. Die Einleitung schließt mit einer inhaltlichen Maßgabe für die Bemühungen um „glaichait und aintrechtigkait“: Christoph fordert, „das die gemelt A. C. in alweg pro regula und unwidersprechlich fundament der waren und rainen evangelischen ler Christi gelassen und darbei bestendiglich geplieben“ werde (Einleitung: S. 293). So bindet Christoph die Einigungsbemühungen zurück an den seiner Ansicht nach vorfindlichen Konsens unter den evangelischen Ständen auf der Grundlage der CA. Der Bekenntnisstand, mittlerweile durch den Augsburger Religionsfrieden auch reichsrechtlich sanktioniert, darf nicht verändert werden. Deshalb ist das Ziel auch nicht ein neues Bekenntnis, sondern Verständigung über bestimmte Streitpunkte nach Maßgabe der CA. 2.1.1.3 Lehrstreitigkeiten und die Idee eines ‚certus27 methodus docendi‘ Für welche Punkte sieht der württembergische Herzog Verständigungsbedarf? Er setzt ein beim Rechtfertigungsartikel, wobei er auf die Auseinandersetzungen um die Rechtfertigungslehre Osianders und auf den Streit über die Notwendigkeit der guten Werke verweist. An zweiter Stelle steht der Abendmahlsartikel. Hier führt Christoph nicht nur die Abendmahlskontroverse mit den Schweizern an, sondern auch Differenzen unter den Augsburger Konfessionsverwandten in der liturgischen Gestaltung des Abendmahls. Die Stellung zu Schwenkfeld ist der dritte Punkt, woran sich an vierter Stelle Taufverständnis und Taufpraxis einschließlich des Umgangs mit den Täufern anschließen. Sind die ersten vier Punkte schwerpunkt26 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart, 22. Dezember 1556: Ernst IV, S. 236, Nr. 197. 27 Zu der bei Christoph vorherschenden Behandlung von ‚methodus‘ als Maskulinum vgl. Ernst IV, S. XXVII, Anm. 2.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung101
mäßig der Lehre zuzuordnen, so folgen in den Punkten 5 bis 8 Fragen der kirchlichen Ordnung.28 Christoph beläßt es nicht bei einer bloßen Auflistung der umstrittenen Punkte. Er stellt vielmehr das jeweilige Problem aus seiner Sicht kurz dar und formuliert Vorgaben für den Weg zur Verständigung. Exemplarisch durchgeführt ist das beim Rechtfertigungsartikel als dem ersten Punkt: Christoph stuft zunächst den Osiandrischen Streit als „etwas misverstand zwischen Osiandro und seinen anhengern, desgleichen iren gegentailn“ ein (Pkt. 1: S. 294). Sodann gibt er vor, daß der Rechtfertigungsartikel „in gemelter confession also begriffen und gestelt“ werden solle, daß „in substantia und auch in forma et modo loquendi“ bisherige und künftige Mißverständnisse möglichst vermieden würden (Pkt. 1: S. 294). Die Einstufung des Streites als „misverstand“ liegt ganz auf der Linie der sonstigen württembergischen Einschätzung des Osiandrischen Streits als ‚bellum grammaticale‘29. Überraschend ist hingegen die Vorgabe, der Rechtfertigungsartikel solle „in gemelter confession also begriffen und gestelt“ werden, daß sowohl das aktuelle Mißverständnis als auch künftige Mißverständnisse vermieden würden. Die Vorgabe könnte so gelesen werden, als schwebte Herzog Christoph eine Überarbeitung der CA vor. Dagegen spricht jedoch die vorausgehende Festlegung Christophs, daß die Verständigung nach Maßgabe der CA erfolgen müsse (vgl. Einleitung: S. 293). Eine Überarbeitung der CA, gar Veränderungen an ihrem Wortlaut vertrügen sich damit schlecht. Vielmehr dürfte an eine verbindliche Klarstellung der umstrittenen Punkte gedacht sein, wie sie mit dem Frankfurter Rezess von 1558 und später mit der Konkordienformel versucht wurde. Gegenüber Melanchthon bringt Herzog Christoph Ende 1557 seine Vorstellung auf den Begriff eines „certus [sic!] metodus docendi“30. In einem Schreiben an Melanchthons Landesherrn aus demselben Monat führt Christoph den Gedanken weiter aus: Sein Bemühen ist darauf gerichtet, daß „ein bestendiger, gewisser methodus et ratio, wie bei einem jeden artikel unsers cristlichen glaubens in den kirchen und schulen zu leeren, zu predigen und zu halten, begriffen und verabschidet wurde“31. Begriff und Sache sind aber nicht erst Ende 1557 belegbar, sondern auch schon in Christophs Memorial über eine Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten vom November 28
Siehe Abschnitt 2.1.1.4. Vgl. Stupperich, Lehrentscheidung, S. 175. 30 Hzg. Christoph an Melanchthon, Urach 1. Dezember 1557: Ernst IV, S. 451, Nr. 358; vgl. auch ders. an dens., Stuttgart 20. Dezember 1557: Ernst IV, S. 457, Nr. 364. Zur Behandlung von ‚methodus‘ als Maskulinum siehe Anm. 27 in diesem Abschnitt. 31 Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 460, Nr. 366. 29
102 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik 1555: „Und were zu bedenken, das ain ainhellig vergleichung und metodos der lehr vermog A. C. angericht, die sophisticae und scholasticae cavillaciones von der canzel, auch schuelen, abgeschafft wurden.“32 Den Begriff ‚methodus‘ verwendet Christoph in der Bedeutung von ‚Lehrweise‘, wie auch die Nebeneinanderstellung von ‚methodus‘ und ‚ratio‘ im Schreiben an Kurfürst August belegt. In materialer Hinsicht soll damit für jeden Glaubensartikel eine verbindliche Lehrform festgeschrieben werden. Formal dürfte an einen ausgeführten Text gedacht sein, der durch einen förmlichen Beschluß in Geltung gesetzt würde, wenn es heißt, daß „ein bestendiger, gewisser methodus et ratio […] begriffen und verabschidet“33 werden sollen. Der Zusatz ‚certus‘ zu ‚methodus‘ dürfte in der deutschen Formulierung „ein bestendiger, gewisser methodus“ sein Äquivalent finden. Es geht bei dem Zusatz demnach um dauerhafte Verbindlichkeit, aber auch Vergewisserung angesichts des Anstoßes, den die Zerwürfnisse unter den Augsburger Konfessionsverwandten bedeuten. Aus den weiteren Ausführungen zu Lehrstreitigkeiten in Punkt 2 bis 4 ist hervorzuheben, daß Christoph in Punkt 2 trotz der erbitterten aktuellen abendmahlstheologischen Auseinandersetzungen Bemühungen um eine Konkordie mit den Vertretern der schweizerischen Abendmahlsauffassung befürwortet: Es soll „mit cristlicher, bruderlicher lieb den sachen nachgedacht und wa möglich darinnen gleichait und concordia ecclesiarum“ gesucht werden (Pkt. 2: S. 294). Das stimmt überein mit dem konfessionspolitischen Vorgehen des Herzogtums Württemberg gegenüber den Schweizern zu jener Zeit.34 Christoph rechnet allerdings auch mit der Möglichkeit eines Scheiterns einer solchen Politik. Für den Fall des Scheiterns regt er an, das „darvon ainhelliglichen beschlossen würde, welcher gestalt von solchem irthumb zu halten und zu leren sein solte“ (Pkt. 2: S. 294). Wenn also keine Konkordie mit den Schweizern erreicht werden kann, gilt es, die Reihen ihnen gegenüber fest und verbindlich zu schließen. Hier ist die künftige Entwicklung der württembergischen Haltung in der Abendmahlsfrage genau vorgezeichnet: Sie wird von Gesprächsbereitschaft gegenüber den Schweizern zu strikter Abgrenzung im Stuttgarter Abendmahlsbekenntnis von 1559 und später in der Konkordienformel führen. 2.1.1.4 Mißstände des kirchlichen Lebens und die Frage eines ‚certus ordo‘ Das gemeinsame Anliegen der Punkte 5 bis 8 ist die Schaffung einheitlicher Standards für die Ordnung des kirchlichen Lebens im Bereich der CA-ver32 Hzg. Christophs Memorial über eine Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten, Worms 3. November 1555: Ernst IV, S. 358, Nr. 188. 33 Vgl. Anm. 31; Hervorhebung B. S. 34 Vgl. Müller-Streisand, S. 282–303; Slenczka, S. 343–346.350.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung103
wandten Stände, insbesondere auf den Feldern der Kirchenzucht (Pkt. 5), der Aufsicht über die kirchlichen Amtsträger und ihre Veröffentlichungen (Pkt. 6), des Eherechtes (Pkt. 7) und der Zeremonien (Pkt. 8).35 Zwei Punkte davon sind hervorzuheben: zum einen das Zensurprojekt des sechsten Punktes, weil Christoph hier anhand des Umgangs mit unerwünschter Streitschriftenliteratur entwickelt, wie er sich die Behandlung theologischer oder kirchlicher Auseinandersetzungen vorstellt. Zum anderen ist besonders auf die im achten Punkt erhobene Forderung nach Gleichheit in den Zeremonien einzugehen, weil sich an ihr die Frage entzündet, welche Bedeutung dem ‚certus ordo‘ in der Zuordnung zum ‚certus methodus docendi‘ in Christophs konfessionspolitischem Programm zukommt. In den Vorschlägen zur Aufsicht über die kirchlichen Amtsträger und ihre Veröffentlichungen sieht Christoph den entscheidenden Ansatzpunkt zur Eindämmung der Lehrstreitigkeiten, die seiner Ansicht nach weniger sachlich begründet als vielmehr durch persönliche Verbitterung der Beteiligten hervorgerufen sind (vgl. Pkt. 6: S. 296). Abhilfe verspricht sich Christoph von einer Zensur theologischer Streitschriften, einem von ihm seit langem verfolgten Projekt.36 Im ‚Bedenken über die Einigkeit‘ geht Christoph über den Zensurplan hinaus und entwirft eine Art Regelwerk für den Umgang mit Streitigkeiten. Voraussetzung ist die Maßgabe, „das kain theologus […] ainich scriptum in re sacra publice usgeen […] oder ainer den andern anziehen oder usschreihen“ dürfe (Pkt. 6: S. 297). Vielmehr sollen Bedenken in Streit- und Zweifelsfällen zunächst der Obrigkeit vorgelegt und dann von ihr mit den eigenen kirchlichen Amtsträgern und Theologen beraten werden. Kommt es dabei zu keiner Verständigung, so sind die Nachbarstände über die Streitfrage zu konsultieren. Nur für den Fall, daß sich bei der Erörterung im eigenen Stand und den Nachbarständen der Streitfall als „hochwichtig und notwendig“ erweisen würde, sieht Christoph vor, daß „ain gemainer conventus aller stend“ in Erwägung gezogen werden solle (Pkt. 6: S. 297). Eindämmung von Konflikten durch Vermeidung ihres öffentlichen Austrags sowie durch regionale Begrenzung ist das eine Prinzip des Verfahrens, das andere ist ein gemeinsames, abgestimmtes Vorgehen der Stände, zunächst der benachbarten und in gravierenden Fällen aller Stände. In Punkt 8 seiner Agenda fordert Christoph schließlich, „das in gemainen kirchenceremoniis […] auch sovil möglich gleichait in allen orten gehalten werde“ (Pkt. 8: S. 298). In den Darlegungen Ernsts und, explizit an Ernst
35 In Pkt. 2 und Pkt. 4 werden auch schon Fragen der Abendmahls- und Taufpraxis berührt. 36 Vgl. Christophs im Nachgang zum Naumburger Konvent 1554 an Kurfürst August gerichteten Vorschläge wegen einer Zensur (Hzg. Christoph an Kfst. August, Tübingen 30. August 1554: Ernst II, S. 596, Nr. 724).
104 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik anknüpfend,37 Müller-Streisands zu Herzog Christophs Konfessionspolitik hat die Forderung aus Punkt 8 besondere Beachtung gefunden. Ernst sieht die Forderung nach Gleichheit in den Zeremonien als besonders charakteristisch an für Christophs Konfessionspolitik: „Schärfer noch als im Gebiet der Lehre tritt der Charakter der Bestrebungen Christophs in dem weiteren Umfang seines Einheitsideals zutage. Für alle Seiten des kirchlichen Lebens […] sollen für das Gebiet der evangelischen Kirche einheitliche Ordnungen geschaffen werden. Hauptsächlich verlangt er neben dem certus methodus docendi einen certus ordo für die kirchlichen Zeremonien.“38
Müller-Streisand generalisiert Ernsts Ausführungen noch und kommt so zu der Behauptung: „Dem rekatholisierten Kirchenbegriff entsprechend werden die Fragen der Kirchenordnung von Christoph den Fragen der Lehre gleichgeordnet; wie diese durch einen certus methodus docendi, sollen jene durch einen certus ordo einheitlich geregelt werden; eine wesentliche Rolle spielt dabei die Frage der Kirchenzucht und Sittenverbesserung, der Vereinheitlichung der Zeremonien und der Ehegerichtsbarkeit.“39
Der ‚certus ordo‘ ist aus Ernsts und Müller-Streisands Sicht der Inbegriff von Christophs Bestrebungen auf dem Gebiet der Kirchenordnung. Es entsteht der Eindruck einer begrifflich fundierten Gleichordnung von Lehre und Kirchenordnung, von ‚certus methodus docendi‘ und ‚certus ordo‘. Ernst und Müller-Streisand unterlassen es jedoch, den für ihre Argumentation wesentlichen Begriff ‚certus ordo‘ aus den Quellen zu belegen. Er findet sich indes soweit bekannt in den Quellen deutlich seltener als ‚certus methodus docendi‘, in den publizierten Quellen sogar nur ein einziges Mal, und zwar in Christophs Memorial über die Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten vom November 1555. Christoph erhebt darin die Forderung, daß „ain certus ordo christenlicher ceremonien bei der administration und haltung des herrn nachtmals, des taufs, gemeiner feirtag, gesangen und anderen mehr verglichen wurde“40. Der Begriff ‚certus ordo‘ dient hier durchaus nicht als Inbegriff aller Bereiche von Kirchenordnung, sondern ist beschränkt auf die Zeremonien, also die liturgischen Ordnungen. Weiter ergibt sich schon aus der unterschiedlichen Anzahl der Belege, daß ‚certus ordo‘ keineswegs stets gleichgeordnet neben ‚certus methodus docendi‘ steht. Auch in der Sache kann bei Christoph von einer Gleichordnung der Lehre und der Kirchenordnung keine Rede sein. Die Bemühungen um Vereinheitlichung auf dem Gebiet der Kirchenordnung sind zwar nicht 37
Vgl. Müller-Streisand, S. 275, Anm. 162. Ernst IV, S. XXVIII. 39 Müller-Streisand, S. 276. 40 Hzg. Christophs Memorial über die Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten, Worms 3. November 1555: Ernst III, Nr. 188, S. 358. 38
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung105
zu trennen von Christophs Drängen auf Einheit in der Lehre, doch sind sie deutlich nachgeordnet. So stehen die Punkte zu Mißständen des kirchlichen Lebens in Christophs programmatischem ‚Bedenken über die Einigkeit‘ hinter den auf Lehrstreitigkeiten bezogenen Punkten.41 Und während die Vergleichung in der Lehre ohne Abstriche gefordert wird,42 findet sich bei der Forderung nach einheitlichen Zeremonien immer wieder der Zusatz „sovil möglich“ (Pkt. 8: S. 298)43. Die in dem Zusatz implizierte Einschränkung betrifft einerseits den Umfang der Vereinheitlichung,44 andererseits auch den Grad der Vereinheitlichung. Hier ist sich Christoph der Notwendigkeit bewußt, auf regionale Gepflogenheiten Rücksicht zu nehmen. So fordert er im ‚Bedenken über die Einigkeit‘ bezogen auf die unterschiedliche Praxis, die Einsetzungworte des Abendmahls zu singen oder zu sprechen, ausdrücklich keine Vereinheitlichung, was er damit begründet, es sei zu befürchten, daß „solche gepreuch bei den kirchen absque offendiculo des gemainen mans nicht abgethon oder geendert werden mögen“ (Pkt. 2: S. 294). Konsequenz solcher Rücksichtnahme ist dann allerdings die Forderung nach gegenseitiger Akzeptanz der unterschiedlichen Praxis (vgl. ebd.), eine Forderung, die Christoph in grundsätzlicher Form bereits Ende 1555 im Blick auf ungleiche Zeremonien erhoben hatte.45 Ernst unterschätzt die erwähnten Einschränkungen, wenn er ausführt: „Allein solche widerwillige Zugeständnisse an die Wirklichkeit 41 Vgl. auch die später von Christoph gegenüber dem sächsischen Kurfürten geäußerte Zuversicht, daß „solliche christliche einhelligkeit nit allein wie gemelt in der leer, sonder auch volgentz in den andern mitteln und freien stucken christlich und wol zu finden sein“ werde (Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 461, Nr. 366; Hervorhebung B. S.). 42 Vgl. die für den Rechtfertigungsartikel erhobene Forderung nach einer Vergleichung, „welcher gestalt entlich von diesem artikel der hailigen göttlichen geschrift gemes zu leren und zu halten“ (‚Bedenken über die Einigkeit‘: Ernst IV, S. 294, Nr. 240; Hervorhebung B. S.). 43 Vgl. ferner: Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 22. Dezember 1556: Ernst IV, S. 235, Nr. 197; ders. an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 291, Nr. 239 sowie später ders. an Melanchthon, Urach 1. Dezember 1557: Ernst IV, S. 451, Nr. 358 und auch im ‚Württembergischen Bedenken zum Frankfurter Tag‘, Frühjahr 1558: Ernst IV, S. 495, Nr. 398. 44 Im späteren Bedenken zum Frankfurter Tag 1558 wird als Umfang der Vereinheitlichung angegeben, daß „nicht in allen, doch bei den furnemesten kirchensachen, als bei der administration sacramentorum, baptismo infantium, confirmatione matrimoniorum, vocatione et administratione ministrorum, desgleichen visitatione ecclesiarum und was dergleichen publicorum actuum mer weren, ein gemeine vergleichung sovil müglich getroffen und gehalten“ werden solle (‚Württembergisches Bedenken zum Frankfurter Tag‘, Frühjahr 1558: Ernst IV, S. 495, Nr. 398). 45 Christoph verlangte, wenn die Zeremonien „nach gelegenheit der landen und ander ursachen wegen […] nit geleich gehalten wurden, das doch ainer den andern darumben nit verachtet“ (Hzg. Christophs Memorial über die Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten, Worms 3. November 1555: Ernst III, S. 358, Nr. 18).
106 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik werden doch immer wieder durch den Drang nach Einheit überwogen und der certus ordo, wie er ihn vorschlägt, lässt für lokale Besonderheiten nur wenig Spielraum.“46 Dafür sind die Forderungen nach gegenseitiger Anerkennung zu grundsätzlich, die Vortragsweise der Einsetzungsworte als exemplarischer Gegenstand zu zentral und der einschränkende Zusatz „sovil möglich“ zu beständig. Christoph läßt aber auch keinen Zweifel, wo für ihn die Grenze ertragbarer Differenzen liegt: Im ‚Bedenken über die Einigkeit‘ weist er im Zusammenhang seiner Ausführungen zur Taufe auf die Riten des Exorzismus und des häufigen Signierens mit dem Kreuzeszeichen hin, die von vielen eher als Mißbräuche als „pro necessario vel christiano requisito“ angesehen würden (Pkt. 4: S. 295). Zur Lösung der Kontroverse gibt er vor, daß das, „was mit grund göttlicher schrift bei gemelten puncten nicht zuvertehedingen […], ingestelt und abgeschafft würde“, um Ärgernis zu verhüten (ebd.). Zwischen dem, was mit Rücksicht auf regionale Gepflogenheiten ohne Anstoß der Gewissen nicht verändert werden kann und deshalb hingenommen werden muß, und jenem, was als nicht schriftgemäßer Mißbrauch abgeschafft werden sollte, liegt der weite Raum, in dem Christoph so viel Vereinheitlichung wie möglich als wünschenswert erscheint. Während Christoph auf völliger Übereinstimmung in der Lehre besteht, geht es bei den Zeremonien nur um eine relative Vereinheitlichung; der ‚certus ordo‘ ist dem ‚certus methodus docendi‘ damit deutlich nachgeordnet. Exkurs: Das Feldzeichen der Einigkeit: Christophs Kirchenbegriff in der Zuordnung von Lehre und Ordnung Die festgestellte Nachordnung des ‚certus ordo‘ gegenüber dem ‚certus methodus docendi‘ entspricht dem Gefälle des Kirchenbegriffs von CA 7, demzufolge es „zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen“ ausreicht, „daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden“, während es nicht notwendig ist, „daß allenthalben gleichformige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden“47. Auch wenn im Gefälle Übereinstimmung besteht, ist eine gewichtige Verschiebung nicht zu übersehen: die Verschiebung von der Betonung der Nicht-Notwendigkeit gleicher Zeremonien zum Drängen auf deren Gleichförmigkeit ‚so vil möglich‘. Aber trotz der unübersehbaren Verschiebung stehen Christophs Intentionen nicht im Widerspruch zur CA. Denn indem die CA die Nicht-Notwendigkeit gleichförmiger Zeremonien 46 47
Ernst IV, S. XXVIIIf. CA 7: BSELK, S. 61, Z. 7–16.
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betont, negiert sie nicht deren Möglichkeit, sondern wendet sich gegen die Behauptung ihrer Heilsnotwendigkeit. Und in der Apologie der CA wird sogar eingeräumt, es sei begrüßenswert, daß die allgemeinen Riten um des Friedens willen gehalten würden.48 Dennoch ist die Verschiebung in der Stellung zu den Zeremonien erklärungsbedürftig. Weshalb legt Christoph so viel Wert auf „gleichait“ in den Zeremonien? In Christophs Korrespondenz finden sich spezifische Ausführungen dazu erst später. So stellt er Melanchthon Ende 1557 als wünschenswerte Folgen einer Überwindung der Unterschiede in Kirchenordnung und Zeremonien vor Augen, daß sie „den schwachgleubigen zu trost geraten, den widersachern aber (als die sagen, wir seien selbsten under einander nit eins; wo dann nit einheilligkeit, da seie auch Christus nit) das maul gestopt“49 würde. Die Wirkung der Unterschiede in den Zeremonien auf die römisch-katholische Seite beschäftigte Christoph aber schon länger. Im Sommer 1551, ein halbes Jahr nach Christophs Regierungsantritt, hatte der seinerzeitige Pfalzgraf Ottheinrich im Zusammenhang seiner Zustimmung zur Confessio Virtembergica eine innerevangelische Vergleichung in den Zeremonien angeregt und zur Begründung von einem früheren Augsburger Bischof berichtet, der reformatorischem Gedankengut nahestand, aber großen Anstoß an der Ungleichheit in den Zeremonien nahm.50 Christoph hatte Ottheinrichs Schreiben sogleich Brenz vorgelegt, der die Anregung des Pfalzgrafen mit großer Zurückhaltung aufnahm. Zwar gab Brenz die Möglichkeit zu, „dass Ungleichheit der Ceremonien mancherlei Rede bei dem andern Theil erwecke“51. Doch wies er Christoph nachdrücklich auf einen Vorteil solcher Unterschiede hin: „Aber die Ungleichheit der Ceremonien hat sich dennoch Nutzens nicht erwehren können und ist vornehmlich dahin dienstlich gewesen, dass daraus die christliche Freiheit in den unnöthigen Kirchengebræuchen erlernt und erkannt ist worden.“52 Seiner kraftvollen Affirmation des „nec necesse est“ aus CA 7 ließ Brenz noch den Hinweis folgen, daß wegen der christlichen Freiheit in den Zeremonien Konkordienverhandlungen mit der römisch-ka-
48 „Quamquam placet nobis, ut universales ritus propter tranquillitatem serventur.“ (ApolCA 7,33: BSELK, S. 242, Z. 35–37). Noch deutlicher in der Übertragung ins Deutsche: „Wiewohl es uns auch wohlgefällt, daß die Universalceremonien um Einigkeit und guter Ordnung willen gleichförmig gehalten werden“ (ApolCA deutsch 7,33: BSELK, S. 242, Z. 38–42). Vgl. dazu Schlink, Bekenntnisschriften, S. 279 f. 49 Hzg. Christoph an Melanchthon, Urach 1. Dezember 1557: Ernst IV, S. 451, Nr. 358. 50 Vgl. Pfgf. Ottheinrich an Hzg. Christoph, 15. Juli 1551: Ernst I, S. 232, Nr. 221. 51 Brenz an Hzg. Christoph, Sindelfingen 18. Juli 1551: Pressel, S. 312, Nr. CLXVII. 52 Brenz an Hzg. Christoph, Sindelfingen 18. Juli 1551: Pressel, S. 312, Nr. CLXVII.
108 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik tholischen Seite nicht an der Zeremonienfrage scheitern müßten.53 Dem sei auch in der Confessio Virtembergica Rechnung getragen worden. Der Blick war dabei, der Ausrichtung der CV und der konfessionspolitischen Situation entsprechend, auf die Bemühungen um Verständigung mit der romtreuen Seite gerichtet. Brenz riet dem Herzog, vorerst keine Änderungen vorzunehmen, sondern „auf den Eventum Concilii zuwarten.“54 Christoph schein Brenz’ Rat gefolgt zu sein, denn in seiner Korrespondenz spielt die Zeremonienfrage vorerst keine Rolle, auch nicht im Vorfeld des Naumburger Konvents von 1554. Erst in seinem Memorial über eine Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten vom 3. November 1555, also nach der Verabschiedung des Augsburger Religionsfriedens, wendet er sich der Zeremonienfrage wieder zu.55 Sie erscheint damit eingebettet in die Gesamtheit seiner Bemühungen um eine Konsolidierung des Zusammenhalts unter den Anhängern der nunmehr reichsrechtlich anerkannten Confessio Augustana. Obschon Christoph auf der pragmatischen Ebene Brenz’ Rat gefolgt zu sein scheint, hat er sich in der Sache dessen Argumentation nicht zu eigen gemacht. Eine Würdigung der Ungleichheit in den Zeremonien als Ausdruck christlicher Freiheit findet sich bei ihm nirgends, wie er überhaupt der zeremoniellen Ungleichheit nichts Positives abgewinnen kann. Die Wirkung der Ungleichheit auf die Gegenseite, auf die Pfalzgraf Ottheinrich Christoph aufmerksam gemacht hatte, blieb vielmehr ein wesentlicher Antrieb für Christophs Drängen auf Gleichheit in den Zeremonien. Der Aspekt der Außenwirkung nahm bei ihm allerdings eine andere Färbung an als bei Ottheinrich, denn Christophs Augenmerk galt weniger möglichen Behinderungen der Ausbreitung der Reformation, sondern vielmehr den Gefahren für die rechtliche Stellung, für die Sicherheit und das Ansehen der Stände Augsburgischer Konfession durch die destabilisierenden Wirkungen der Uneinigkeit in Lehre und Ordnung nach innen und nach außen. Hier dürfte bei Christoph die Erfahrung des in Württemberg von kaiserlicher Seite besonders brachial umgesetzten Augsburger Interims stark nachgewirkt haben.56 Die Erfahrung des Interims wird ihn zudem in der Überzeugung 53 Vgl. Brenz an Hzg. Christoph, Sindelfingen 18. Juli 1551: Pressel, S. 312 f., Nr. CLXVII. 54 Brenz an Hzg. Christoph, Sindelfingen 18. Juli 1551: Pressel, S. 313, Nr. CLXVII. 55 Vgl. Hzg. Christophs Memorial über eine Zusammenkunft der CA-verwandten Fürsten, Worms 3. November 1555: Ernst III, Nr. 188, S. 358. 56 Als die württembergischen Räte dem Herzog im Frühjahr 1554 von einem Konvent zur Überwindung der innerevangelischen Auseinandersetzungen abrieten, schrieb Christoph ihnen: „Ir habt euch auch wol zu erinnern, wo die augspurgischen confessionverwandten zur zeit, als das laidig Interim geschmiedet worden, sich zuvor zesamen gethon und ainhelliglich mit ainander verglichen hetten, es were dazu nit komen.“ (Hzg. Christoph an seine Räte, Bruchsal 9. März 1554: Ernst II, S. 432, Nr. 524). Zur Durchsetzung des Augsburger Interims in Württemberg vgl. Mehlhausen, Art. Interim, S. 233.
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bestärkt haben, daß Zeremonien durchaus nicht irrelevant seien und daß die Absicherung des evangelischen Gottesdienstes durch ständeübergreifende Übereinstimmung nötig sei. Trifft es nun zu, daß Christoph sich von einem „rekatholisierten Kirchenbegriff“57 leiten ließ, wie Müller-Streisand behauptet, womit sie Ernsts Darstellung, Christoph habe „das Einheitsideal der alten Kirche“58 entlehnt, plakativ zuspitzt? Richtig ist, daß dem württembergischen Herzog die ständeübergreifende kirchliche Einigkeit unter den Augsburger Konfessionsverwandten viel bedeutet. So beklagt er Ende 1556 gegenüber Kurfürst Ottheinrich: „Und ist herzlich zu clagen, das des antichrists hauf, deren Gott der Satan ist, einhellig sein kunden und wir, die A. C. verwandten stande, so wir Gott lob das ware wort gottes rain und lauter haben, uns nit mit ainander dermassen in lehr und ceremonieen vergleichen kunden, das wir unsers meisters und seligmachers Jesu Christi feldzeichen frei offentlichen am hellen tag (so da ist die ainigkeit) kunden tragen.“59
Die Formulierung von der Einigkeit als dem Feldzeichen Christi kehrt ein Jahr später wieder in einem Schreiben an Melanchthon, in welchem Christoph die Hoffnung äußert, eine innerevangelische Vergleichung werde bewirken, daß „den widersachern aber (als die sagen, wir seien selbsten under einander nit eins; wo dann nit einhelligkeit, da seie auch Christus nit) daz maul gestopt und [wir] also gottseliglichen daz feldzeichen Christi, so da ist die einigkeit der lieb, sament recht tragen möchten“60. In beiden Zitaten wird das Problem der Einigkeit im Vergleich zur römisch-katholischen Kirche entfaltet. Deren vorfindliche Einigkeit und ihr Vorwurf, die mangelnde Einhelligkeit der Evangelischen zeige die Abwesenheit Christi an, sind ein Anstoß für Christoph. Dem Anstoß möchte er die Einigkeit als das Feldzeichen Christi entgegensetzen. Das bedeutet aber keine Übernahme der gegnerischen Argumentation „wo da nit einhelligkait, da seie auch Christus nicht“, die Christoph nur zitatweise anführt. Für ihn steht vielmehr fest, daß die Stände Augsburgischer Konfession „das ware wort Gottes rain und lauter haben“ – nach CA 7 in Verbindung mit der evangeliumsgemäßen Sakramentsverwaltung das entscheidende Kriterium der wahren Kirche. Christoph leidet aber daran, daß das wahre Kirchesein keinen Ausdruck in sichtbarer Einigkeit findet, vielmehr von Uneinigkeit verdeckt wird. Der Begriff des Feldzeichens Christi verweist seiner Metaphorik nach auf die kämpfende Kirche in der Auseinandersetzung. 57
Müller-Streisand, S. 76; im Zusammenhang zitiert oben bei Anm. 39. Ernst IV, S. XXXII. 59 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 22. Dezember 1556: Ernst IV, S. 236, Nr. 197. 60 Hzg. Christoph an Melanchthon, Urach 1. Dezember 1557: Ernst IV, S. 451 f., Nr. 358. 58
110 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Sie sieht Christoph geschwächt, auch wenn ihr Kirchesein für ihn nicht in Frage steht. Umgekehrt ist die Einigkeit der Gegenseite für ihn keineswegs ein Ausweis ihres Kircheseins, denn er betrachtet sie, so einig auch immer sie sein mag, als „des antichrists hauf, deren Gott der satan ist“. Es kann daher durchaus nicht von einem „rekatholisierten Kirchenbegriff“ Christophs die Rede sein oder davon, Christoph habe „das Einheitsideal der alten Kirche“ entlehnt.61 Vielmehr hält Christoph am Kirchenbegriff der CA fest, auch wenn er in Anbetracht der konfessionspolitischen Lage und aufgrund der Erfahrung des Interims die Bedeutung der auch äußerlich sichtbar werdenden Einigkeit betont, die in gleichen Zeremonien Gestalt gewinnen würde. Trotz Christophs Wertschätzung für Gleichförmigkeit der Zeremonien ist aufgrund der Nachordnung des ‚certus ordo‘ gegenüber dem ‚certus methodus docendi‘ abschließend festzuhalten: Es geht Christoph, auf den Begriff gebracht, nicht um Einheit62, sondern in Übereinstimmung mit dem Kirchenbegriff der CA um Einigkeit. Deshalb wird sein Bedenken hier nicht wie von Ernst vorgeschlagen als „Bedenken über Herstellung der Einheit der A.-K.-Verwandten“63 bezeichnet, sondern als ‚Bedenken über die Einigkeit‘. 2.1.1.5 Christophs Konventsprojekt als zentrales Element seiner Konfessionspolitik Nachdem Christoph die Punkte, über die seiner Ansicht nach Verständigungsbedarf besteht, aufgeführt und erläutert hat, wendet er sich noch einmal dem bereits eingangs (Einleitung: S. 293)64 skizzierten Konventsprojekt zu (Schluß: S. 298–300). Wie kann der ins Auge gefaßte Konvent, auf dem die erforderliche Verständigung gesucht werden soll, erfolgversprechend zustande gebracht werden? Für sorgfältiger Erwägung bedürftig hält Christoph zuallererst die Frage, „ob darzu allein theologi oder mit inen politische räth“ versammelt werden sollten (Schluß: S. 298). Christoph wirft die Frage aber nicht nur auf, sondern unterbreitet auch einen differenzierten Verfahrensvorschlag: Die in Regensburg zum Reichstag versammelten Räte könnten den Ständen die von 61 Die für den römischen Kirchenbegriff konstitutiven Elemente der bischöflichen Verfaßtheit, der apostolischen Sukzession und des Traditionsprinzips spielen zudem in Christophs ekklesiologischer Konzeption keine Rolle. 62 Der Begriff ‚Einheit‘, der erst in philosophischen Diskussionen des 17. und 18. Jahrhunderts zu größerer Verbreitung gelangt (vgl. DWb s. v. Einheit), findet sich nicht bei Christoph. 63 So die Überschrift, unter die Ernst das Bedenken gestellt hat (Ernst IV, S. 292, Nr. 240). 64 Vgl. oben Abschnitt 2.1.1.2.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung111
Christoph vorgelegte und von ihnen weiter beratene Agenda der Konventsberatungen übermitteln. Das böte Gelegenheit, daß sich die Stände zunächst intern berieten, bevor sie zu einem südwestdeutschen und nordostdeutschen Regionalkonvent auf Einladung des pfälzischen respektive des sächsischen Kurfürsten zusammenträten. Zu den Regionalkonventen sollten nicht allein Theologen, sondern auch „verstendige, friedliebende, christenliche, gutherzige politische ret“ entsandt werden (ebd). Im Anschluß an die Beratungen der beiden Regionalkonvente wären deren Ergebnisse auszutauschen, woraufhin „die stende A. C. in aigner person zusamenkommen und vernere vergleichung suchen und treffen solten“ (Schluß, S. 298 f.). Allerdings befürchtet Christoph, daß zerstrittene Theologen, die sich wegen der regionalen Aufteilung der Konvente nicht begegneten, ihren Widerwillen gegeneinander weiterhin über die Sache stellen könnten. Bei einer überregionalen reinen Theologenversammlung sei hingegen zu befürchten, „das sie abermals dester hitziger in ainander wachsen möchten“ (Schluß: S. 299). Deshalb empfiehlt er als Ergebnis seiner Abwägung einen allgemeinen Konvent von Theologen und politischen Räten der CA-verwandten Stände.65 Von einem Konvent solcher Art verspricht er sich nicht wenig: „So dann solchs gehörter massen im namen des allmechtigen und allain zu seinem lob würde fürgenomen und die theologi durch die politische reth im zaum gehalten würden, were zu verhoffen, der almechtig Gott würde sein gnad, segen und benedeiung darzu gnediglichen auch verleihen und also durch diesen conventum was fruchtbarlichs usgericht mögen werden.“ (Schluß: S. 299).
Obschon Christoph hier das Vorhaben einer persönlichen Zusammenkunft der Fürsten nicht erwähnt, ist auch für den von ihm schließlich favorisierten allgemeinen Konvent die in der Einleitung vorgeschlagene Abfolge von Konvent und Fürstenversammlung vorauszusetzen, wobei der eigentliche Vollzug der Vergleichung der Fürstenversammlung vorbehalten bliebe. Dafür spricht auch die Vehemenz, mit der Christoph über Jahre hinweg auf eine persönliche Zusammenkunft der Stände als einziges erfolgversprechendes Mittel zur Überwindung der innerevangelischen Auseinandersetzungen drängte.66 Als Argument für die Notwendigkeit einer persönlichen Zusammenkunft der Stände verweist Christoph immer wieder auf die seiner Ansicht nach nicht vorhandene Verständigungsbereitschaft und -fähigkeit der Theologen. So beteuert er gegen Ende des Regensburger Reichstags, als die Grundzüge des Nebenabschieds bereits abzusehen sind, gegenüber Kurfürst Ott65 Wolf hat übersehen, daß Christoph den Vorschlag zweier Regionalkonvente problematisiert und schließlich einen allgemeinen Konvent vorschlägt (vgl. Wolf, S. 69). 66 Vgl. Ernst IV, S. XXXI mit Anm. 2; Heppe I, S. 109–116; v. Bundschuh, S. 108– 110, insbesondere S. 109, Anm. 116.119.
112 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik heinrich, „das die personlich zusammenkunft der stend von hohen nöten und in ander weg der theologorum unnötigem schreiben und schreien nicht wol begegnet werden moge.“67 Hier spricht sich Christophs Überzeugung aus, daß der Grund für das Fortdauern der Auseinandersetzungen die unzureichende Verständigungsbereitschaft der Theologen sei, wie er am selben Tag seinen Räten gegenüber ausführt: „Dann da die Theologi ausser friedliebendem gemuet in diser erweckhten zennckrey einander mit bruederlicher lieb und geduld hören, vnnd zu finden auch freundliche vergelichung und hinlegung lust und willen gehapt und getragen, oder auch noch hettenn, so were zuversichtlich in diser sachenn wol was zu finden gewesen, und noch.“68
Fligge hat das von dieser Überzeugung getragene konfessionspolitische Programm treffend gekennzeichnet: „Der Grundgedanke war, daß die Einigkeit der Fürsten die Uneinigkeit der Theologen ausgleichen […] könnte.“69 Daß die Fürsten zu entsprechenden Interventionen in theologischen und kirchlichen Angelegenheiten nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet seien, steht für Christoph außer Frage. Es bedarf keiner eigenen Begründung, sondern entspricht seinem fürstlichen Selbstverständnis, das klassischen Ausdruck gefunden hat in der Vorrede der Confessio Virtembergica von 1552. Christoph bekundet in der Vorrede unter Berufung auf Ps 2,10 f.: „Dann wiewol wir wol wissen, das zwischen dem weltlichen und Geistlichen Regiment sein underschid ist, jedoch, dweil der Psalm uns gantz ernstlich ermanet, und sagt: Laßt euch weisen ir Künig, und laßt euch züchtigen ir richter auf erden, dienet dem HERRN mit forcht, und frewet euch mit zittern, so haben wir die Göttlich stimm nicht verachtet, sonder all unser fürnemen, und fleiß, unsers bessten vermügens, der rechten waren kirchen, des Sons gottes z helffen, anrichten sollen.“70
67 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 12. März 1557: Ernst IV, S. 280, Nr. 230; vgl. später ders. an Melanchthon, Stuttgart 20. Dezember 1557: Ernst IV, S. 457, Nr. 364 sowie ders. an Ldgf. Philipp, Stuttgart 31. Dezember 1557: Ernst IV, S. 463, Nr. 368. 68 Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 13. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 419r–424v ( = Ernst IV, S. 278 f., Nr. 228, Anm. 9 [Regest]), hier fol. 419v. 69 Fligge, S. 358. 70 CV deutsch, Vorrede: Brecht/Ehmer, S. 37. In der ursprünglichen lateinischen Fassung lautet der Passus: „Etsi enim non ignoramus, suum esse discrimen inter Politicam et Ecclesiasticam, tamen cum Psalmus nos gravissime hortetur: Nunc reges, inquiens, intelligite, erudimini, qui iudicatis terram, servite Domino in timore et tremore; non debuimus coelestem vocem contemnere, sed omnem conatum et operam nostram, ad iuvandum veram ecclesiam filii Dei, pro virili nostra, conferre.“ (CV Praefatio: Brecht/Ehmer, S. 36).
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2.1.2 Südwestdeutsche Partikularverständigung: Der Frankfurter Konvent und sein Abschied In der zweiten Junihälfte 1557 kam in Frankfurt am Main eine Zusammenkunft evangelischer Fürsten und Ständevertreter zustande. Begleitet und beraten von Theologen und politischen Räten widmeten sich die versammelten Stände aktuellen und grundsätzlichen Fragen der Konfessionspolitik sowie der Vorbereitung auf das Wormser Religionsgespräch. Scheinbar wurden damit Herzog Christophs langgehegte Konventspläne endlich und doch noch rechtzeitig vor dem Religionsgespräch verwirklicht. Es handelte sich allerdings bei der Zusammenkunft um eine partikulare Versammlung von Ständen aus Südwestdeutschland und einigen angrenzenden Gebieten. Die protestantischen Stände Mittel- und Norddeutschlands waren hingegen nicht daran beteiligt. Das minderte den Entscheidungsspielraum und die Durchsetzungskraft der Frankfurter Versammlung erheblich. Dennoch kam ihren Beschlüssen, zumal für die beteiligten Stände, große Bedeutung zu, ersetzten sie doch faktisch den Regensburger Nebenabschied. 2.1.2.1 Der Weg zum Frankfurter Konvent Die Initiative zum Frankfurter Konvent ging von Herzog Christoph von Württemberg aus. Unzufrieden mit dem Regensburger Nebenabschied und besorgt über die weitere Entwicklung zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten im Vorfeld des Religionsgesprächs, entwickelte Christoph bald nach Abschluß des Reichstags in einem Schreiben an Landgraf Philipp den Vorschlag, man möge sich im Anschluß an die für den 13. Juni in Frankfurt angesetzten Verhandlungen zur Beilegung der Erbauseinandersetzungen zwischen Nassau und Hessen über die Grafschaft Katzenelnbogen in größerer Runde versammeln, um sich über eine einhellige Instruktion zum Religionsgespräch und „andere notwendige puncten unser waren christliche religion belangend“71 zu verständigen. Denselben Vorschlag unterbreitete Christoph alsbald auch dem Kurfürsten August von Sachsen,72 der neben dem Pfälzer Kurfürsten und den Herzögen von Jülich und von Württemberg als Unterhändler in der hessischnassauischen Erbauseinandersetzung fungierte.73 Christoph drückte nicht nur seine Hoffnung auf Augusts persönliches Erscheinen in Frankfurt aus, sondern trug dem sächsischen Kurfürsten auch an, „den churfursten zu 71
Hzg. Christoph an Ldgf. Philipp, Stuttgart 30. März 1557: Ernst IV, S. 289, Nr. 237. Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 290–292, Nr. 239. 73 Kursachsen war erst später zu dem Unterhändler-Kollegium dazugestoßen (vgl. Ernst IV, S. 30, Nr. 27, Anm. 4 sowie ebd., S. 66, Nr. 64, Anm. 3). 72
114 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Brandenburg, auch andere fursten diser unser religion verwandt, so umb E. l. in den sachsichen landen gesessen“, für eine Beteiligung an einem Konvent der Augsburger Konfessionsverwandten zu gewinnen.74 In Übertragung verfassungsmäßiger Verhältnisse des Reiches auf die internen Beziehungen der Stände Augsburgischer Konfession sprach Christoph den sächsischen Kurfürsten damit in dessen Funktion als kreisausschreibender Fürst des Obersächsischen Reichskreises an, zu welchem auch Pommern, Kurbrandenburg, die Markgrafschaft Brandenburg-Küstrin und das Herzogtum Sachsen zählten. Offensichtlich hielt Christoph es nicht für statthaft, sich mit dem Plan für eine Zusammenkunft am sächsischen Kurfürsten vorbei direkt an die Stände des Obersächsischen Kreises zu wenden. Denn auch nach der kursächsischen Absage unternahm er dazu keinen Versuch, beschränkte sich vielmehr darauf, eine oberdeutsche Regionalzusammenkunft zu initiieren. Die kursächsische Antwort auf Christophs Vorschlag vom 3. April ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am 15. April teilte Kurfürst August mit, daß er weder den Katzenelnbogischen Tag in Frankfurt persönlich besuchen könne noch Vorbereitungen auf das Kolloquium über die im Regensburger Nebenabschied angesetzte Vorberatung der Gesprächsteilnehmer hinaus für nötig erachte.75 Zuvor hatte bereits der kursächsische Kanzler Mordeisen dem württembergischen Rat Eißlinger mitgeteilt, August könne wegen der bevorstehenden Niederkunft seiner Gattin nicht nach Frankfurt kommen.76 Christoph parierte die sächsische Entschuldigung mit der Bemerkung, daß „s. churf. g. […] diesem handel, ob dieselbig schon selbst persönlich bey were, nit gemes noch fürstendig oder auch ein hebam seien“, was er durch Eißlinger an Mordeisen übermitteln ließ.77 In der Tat dürften den sächsischen Kurfürsten andere Gründe zu seiner Absage bewogen haben. Einer davon wird greifbar hinter der ebenfalls durch Mordeisen übermittelten Einladung an Christoph, als Pate zur künftigen Taufe nach Dresden zu kommen – und das just zum Zeitpunkt der nach Frankfurt anberaumten Verhandlungen in der katzenelnbogischen Sache. Der hessische Landgraf und Graf Wilhelm von Nassau würden ebenfalls eingeladen, so daß man nebenbei die Erbauseinandersetzung regeln könnte.78 Seinen kaum verhüllten Versuch, die katzenelnbogische Verhandlung an den Dresdner Hof zu ziehen, spielte Mordeisen bald darauf als beiläufigen
74
Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 291, Nr. 239. Vgl. Kfst. August an Hzg. Christoph, Dresden 15. April 1557: Ernst IV, S. 304 f., Nr. 246. 76 Vgl. Mordeisen an Eißlinger, Dresden 26. März 1557: Ernst IV, S. 286, Nr. 235. 77 Eißlinger an Mordeisen, Stuttgart 8. April 1557: Ernst IV, S. 300 f., Nr. 242. 78 Vgl. Mordeisen an Eißlinger, Dresden 26. März 1557: Ernst IV, S. 286, Nr. 235. 75
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persönlichen Einfall herunter.79 Doch steht offenkundig dahinter das machtpolitische Kalkül, die kursächsische Stellung im Zusammenspiel der evangelischen Stände zu stärken und insbesondere den zunehmenden Einfluß der Kurpfalz zu begrenzen: Von einer Einladung des Pfälzer Kurfürsten nach Dresden war keine Rede. Das machtpolitische Kalkül führte sogar dazu, daß Mordeisen, als er keine Möglichkeiten mehr sah, die Frankfurter Verhandlungen zu verhindern, den Kurfürsten ausdrücklich auf Möglichkeiten der Obstruktion gegen die Beilegung der Erbauseinandersetzung hinwies.80 Aus zweiter Hand ist schließlich auch der konfessionspolitische Aspekt des kursächsischen Vorgehens belegt: Der durch Spitzel gut informierte habsburgische Rat Zasius teilte König Ferdinand Anfang Juni mit, ihm sei vertraulich angezeigt worden, daß die Kursachsen nicht gewillt seien, sich durch die Kurpfalz in Religionssachen regieren zu lassen.81 Zu dem machtpolitischen Kalkül traten aber im Blick auf die Religionsverhandlungen noch weitere Gründe der Ablehnung: Sie erschienen August als „weitläufig, gefährlich und bedenklich“82, wozu Mordeisen als Befürchtung ausführte, daß durch einen Konvent vielleicht nicht alle Spaltungen unter den Theologen zu beseitigen wären, was dann sogar Verbitterungen zwischen den Fürsten und Ständen selbst nach sich ziehen könnte.83 Hier wirkten sich die Erfahrungen der gescheiterten Vermittlungsversuche in den zurückliegenden Monaten aus sowie die ablehnende Haltung Melanchthons gegenüber weiteren Versuchen, durch Verhandlungen unter den Theologen die Streitigkeiten zu überwinden. Die einzelnen Bedenken waren aber alle eingebettet in den Grundzug der kursächsischen Politik unter August, der auf die Sicherung der Garantien des Religionsfriedens und ein gutes Einvernehmen mit dem habsburgischen Kaiserhof gerichtet war.84 Eine persönliche Zusammenkunft der Stände Augsburgischer Konfession paßte dem Kurfürsten nicht in sein Konzept, weil sie beim Kaiser und bei den romtreuen Ständen den Verdacht einer protestantischen Verschwörung hätte erwecken können.85 Die Absage des sächsischen Kurfürsten war folgenreich, führte sie doch aufgrund der ihm zukommenden und von seiten der Initiatoren auch zugebilligten Schlüsselstellung unter den nord- und mitteldeutschen Ständen dazu, daß keine Beteiligung von deren Seite zustande kam. Herzog Christoph zog sogleich die entsprechende Konsequenz, indem er Augusts 79
Vgl. Mordeisen an Eißlinger, Dresden 17. April 1557: Ernst IV, S. 306, Nr. 247. Vgl. Mordeisen an Kfst. August, o. O. 17. Mai 1557: Ernst IV, S. 306, Nr. 247, Anm. 2. 81 Zasius an Kg. Ferdinand, Günzburg 1. Juni 1557: Goetz, S. 76, Nr. 53. 82 Kfst. August an Hzg. Christoph, Dresden 15. April 1557: Ernst IV, S. 304, Nr. 246. 83 Vgl. Mordeisen an Eißlinger, Dresden 17. April 1557: Ernst IV, S. 305, Nr. 247. 84 Vgl. Heidenhain, S. 9–14. 85 Vgl. Heidenhain, S. 21; Wolf, S. 10.70 f. 80
116 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Absage an den Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich übermittelte und ihm die Ausschreibung einer Zusammenkunft der südwestdeutschen Stände als nunmehr „hochnotwendig“ nahelegte,86 nachdem er den Gedanken an einen solchen Regionalkonvent bereits früher aufgebracht hatte87. Dabei beschränkte sich Christoph auf die Rolle des Anregers; offensichtlich wollte er dem Pfälzer Kurfürsten als dem Inhaber der regionalen Vorrangstellung nicht vorgreifen. So brachte er die Verbindung der Ständezusammenkunft mit dem Katzenelnbogischen Tag in Frankfurt, die er bei Hessen und Kursachsen für den allgemeinen Konvent längst angeregt hatte, gegenüber Ottheinrich gar nicht zur Sprache, sondern überließ es dem Kurfürsten, die naheliegende Verknüpfung von Erbverhandlung und Regionalkonvent vorzuschlagen88. Auch ging er auf Ottheinrichs Angebot, den Regionalkonvent gemeinsam auszuschreiben,89 nicht ein, sondern übernahm lediglich die Einladung seines Schwagers Georg Friedrich von BrandenburgAnsbach sowie der Grafen von Helfenstein, Herren der an Württemberg angrenzenden und von dort aus reformierten Herrschaft Wiesensteig.90 So eifrig Christoph als Anreger von Kurfürst Ottheinrich den Regionalkonvent förderte, so entschieden hielt er zugleich an der gesamtprotestantischen Perspektive fest. Er verband mit der Idee eines südwestdeutschen Regionalkonvents die Hoffnung, daß eine regionale Verständigung „zuversichtlich den chur und fursten in Sachsen, diser unser waren religion zuthoun, villeicht auch ursach geben möcht, sich desto eher mit uns derwegen zu vergleichen.“91 Auf die erhoffte Ausstrahlungskraft setzend, unternahm Christoph auch noch einen Versuch, Kursachsen wenigstens zur Beteiligung in der Form zu bewegen, daß es seine Gesandten zum Katzenelnbogischen Tag auch für die Verhandlungen unter den Religionsverwandten bevollmächtigte.92 Eine Antwort Kurfürst Augusts an Christoph hat sich nicht erhalten; der Kurfürst bekundete aber gegenüber Landgraf Philipp, er werde 86 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Göppingen 26. April 1557: Ernst IV, S. 305, Nr. 246, Anm. 4. 87 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 15. April 1557: Ernst IV, S. 303, Nr. 244. 88 Vgl. Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, o. O. 17. April 1557: Ernst IV, S. 303 f., Nr. 245, Anm. 3; Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 2. Mai 1557: Ernst IV, S. 319 f., Nr. 258; vgl. dazu ferner Ernsts zugehörigen Kommentar S. 320, Nr. 258, Anm 2. 89 Vgl. Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 2. Mai 1557: Ernst IV, S. 320, Nr. 258. 90 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Göppingen 11. Mai 1557: Ernst IV, S. 325, Nr. 265; Hzg. Christoph an Mkgf. Georg Friedrich, Göppingen 13. Mai 1557: Ernst IV, S. 329 f., Nr. 269. 91 Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 15. April 1557: Ernst IV, S. 303, Nr. 245. 92 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. August, Göppingen 5. Mai 1557: Ernst IV, S. 323 f., Nr. 262. Vgl. Wolf, S. 71.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung117
seine Gesandten nach Frankfurt nicht zur Teilnahme an den theologischen Verhandlungen abfertigen.93 Allerdings ließ er die württembergische Aufforderung zur Teilnahme auch noch durch Melanchthon begutachten.94 Melanchthon bestärkte den Kurfürsten in seiner ablehnenden Haltung: Erst in Worms sollten sich die Teilnehmer des Religionsgesprächs verständigen, von einem vorherigen Treffen sei abzuraten.95 Zur Begründung führt Melanchthon an, es bestehe die Gefahr einer Spaltung unter den Anhängern der CA. Die Gefahr der Spaltung sieht er insbesondere durch die Auseinandersetzungen um das Abendmahl gegeben; über alles andere könne man sich verständigen, in den Ordnungsfragen bestehe sogar Einigkeit, namentlich zwischen ihm selbst und Brenz. Eine Beilegung des Abendmahlsstreits vor dem Religionsgespräch hält er hingegen nicht für möglich und sieht die Zeit für eine notwendige interne Beratung und die sorgfältige Vorbereitung einer Geheimberatung der Fürsten als zu kurz an. Damit war die kursächsische Ablehnung, am Frankfurter Konvent teilzunehmen, besiegelt und die weitere Haltung Kursachsens im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs vorgezeichnet. Zugleich war entschieden, daß der Frankfurter Konvent aufs Ganze der Augsburger Konfessionsverwandten gesehen eine südwestdeutsche Partikularversammlung bleiben würde. 2.1.2.2 Die Teilnehmer des Konvents Als Partikularversammlung war der Frankfurter Konvent allerdings gut besucht respektive beschickt. Da waren zunächst von den Teilnehmern des Katzenelnbogischen Tags Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph sowie Landgraf Philipp und Graf Wilhelm von Nassau, deren Erbstreitigkeit gütlich hatte beigelegt werden können. Landgraf Philipp unterzeichnete zwar persönlich den Frankfurter Abschied, ließ sich auf dem Konvent aber durch seinen Kanzler vertreten und hielt sich selbst in einiger Entfernung auf.96 Hierin wirkte sich seine distanzierte Haltung zum ganzen Konventsvorhaben aus, die seiner Anlehnung an Kursachsen entsprach.97 Die Ge93 Vgl. Kfst. August an Ldgf. Philipp, o. O. 20. Mai 1557: Ernst IV, S. 323 f., Nr. 262, Anm. 1. 94 Vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 25. Mai 1557: Bindseil, S. 591, Nr. 577 = MBW 8232. 95 Vgl. Melanchthons Gutachten über das Schreiben Hzg. Christophs für Kfst. August, Wittenberg 1. Juni 1557: MBW Bd. 8, S. 78, Nr. 8242 (Regest). 96 Vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 29. und 30. Juni 1557: Ernst IV, Nr. 292, S. 363 f. 97 In seiner Antwort auf Ottheinrichs Ausschreibung des Konvents erklärte Philipp ausdrücklich, sich von Kurfürst August nicht absondern zu wollen (vgl. Ldgf. Philipp an Kfst. Ottheinrich, Marburg 15. Mai 1557: Heppe I, S. 143 mit Anm. 2 [Regest]). Umgekehrt hatte für die Initiatoren des Konvents nicht von Anfang an festgestanden, ob Philipp beteiligt werden sollte (vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Göppingen
118 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik sandten, die Kurfürst August beim Katzenelnbogischen Tag im Kollegium der Unterhändler vertreten hatten, blieben dem Konvent tatsächlich fern,98 scheinen sich aber zumindest anfänglich noch in Frankfurt aufgehalten zu haben.99 Der Herzog von Jülich war ausschließlich wegen seiner Funktion als Unterhändler in der Erbauseinandersetzung in Frankfurt.100 Eigens zum Frankfurter Konvent kamen persönlich – zusätzlich zu den genannten Teilnehmern des Katzenelnbogischen Tages – Pfalzgraf Friedrich von Simmern und sein Sohn Ludwig, Graf Georg von Württemberg, Onkel101 des württembergischen Herzogs und dessen Statthalter in der Grafschaft Mömpelgard, die Grafen Philipp von Hanau-Müntzenberg, Georg von Erbach, Heinrich von Castell, Heinrich von Limburg und Friedrich Magnus von Solms sowie zumindest zu Beginn des Konvents Markgraf Karl von Baden. Durch Gesandte oder Bevollmächtigte ließen sich vertreten Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken, Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, bei der Unterzeichnung des Abschieds auch Markgraf Karl von Baden, sodann die Grafen von Hohenlohe, Stolberg, Nassau-Wiesbaden und Nassau-Saarbrücken, Öttingen, Rheineck und Isenburg und schließlich die Städte Straßburg, Regensburg und Frankfurt sowie durch einen gemeinsamen Gesandten Lindau, Augsburg und Kempten – zu5. Mai 1557: Ernst IV, S. 320, Nr. 258, Anm. 3 [Regest]), wohl weil die Landgrafschaft nach geographischer Lage, kreisverfassungsrechtlichem Herkommen und dem ihr eigenen politischen Gewicht nicht zum südwestdeutschen Einflußbereich Württembergs und der Kurpfalz gehörte. Nachdem Philipp der Einladung Folge geleistet hatte, bemühte man sich gerade wegen des politischen Gewichts der Landgrafschaft intensiv um seine Einbindung (vgl. Heppe I, S. 152). Im Zuge dieser Bemühungen konnte es allerdings nicht ausbleiben, daß die hessischen Bedenken so aufgefaßt wurden, daß sie „durch und mit den sächsischen geredt und gehandlt“ seien, wie der zweibrückische Kanzler laut einem kurpfälzischen Protokoll äußerte (‚Kurpfälzisches Protokoll‘: Ernst IV, S. 363, Nr. 292, Anm. 15). 98 Heppe differenziert nicht zwischen Teilnehmern des Katzenelnbogischen Tags und des Frankfurter Konvents, so daß es in seiner Darstellung scheint, als hätten die kursächsischen Gesandten und der Herzog von Jülich auch an den Beratungen des Konvents teilgenommen (vgl. Heppe I, S. 144). 99 Kontakte zwischen den Konventsfürsten und den kursächsischen Gesandten sind belegt, allerdings sind Zeitpunkt und Umfang der Kontakte nicht deutlich angegeben. Doch könnte die Auskunft, man habe nicht unterlassen können, die Gesandten „alles desienigen, so alhie abgehandelt, gnugsam zu berichten“ (Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Kfst. August, Frankfurt 4. Juli 1557: Ernst IV, S. 379, Nr. 295), sogar bedeuten, daß die Gesandten bis zum Abschluß des Konvents vor Ort gewesen wären. Vgl. auch später Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 461, Nr. 366. 100 Die Angabe Kurzes, daß Herzog Wilhelm von Jülich „zwar altgläubig, aber gemäßigt dachte“ (Kurze, S. 55), läßt es im Kontext so erscheinen, als habe der Herzog am Konvent teilgenommen. Das war aber ausweislich des Protokolls und der Unterschriftenliste nicht der Fall. 101 Nicht Bruder, wie Wolf und im Anschluß an ihn von Bundschuh irrtümlich angeben (vgl. Wolf, S. 71; v. Bundschuh, S. 276).
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung119
sammengezählt annähernd 30 Stände.102 Während der Schlußphase des Konvents hatte zusätzlich auch noch das Herzogtum Preußen einen Beobachter in Frankfurt, den herzoglichen Sekretär Timotheus Gerschau.103 Alle größeren und die meisten kleineren Stände hatten einen oder auch mehrere Theologen mitgebracht respektive entsandt, so daß sich in Frankfurt insgesamt 31 Theologen einfanden, zumeist Inhaber eines kirchenleitenden Amtes.104 Darunter befanden sich fünf in Regensburg nominierte künftige Teilnehmer des Wormser Religionsgesprächs: der kurpfälzische Theologieprofessor und Generalsuperintendent Heinrich Stoll,105 der Württemberger Jakob Andreae, der brandenburg-ansbachische Superintendent Georg Karg, der Hesse Johannes Pistorius, und Johannes Marbach, der federführende Prädikant Straßburgs. Letzterer vertrat in Frankfurt nicht nur seine Heimatstadt, sondern führte auch die pfälzischen Theologen an, was ihm zugleich die Aufgabe des Sprechers aller versammelten Theologen eintrug.106 Das theologische Spektrum der Versammelten reichte von der 102 Die Angaben über die Teilnehmer weichen in der Literatur voneinander ab; so zählen Kurze und von Bundschuh ohne Angabe von Belegen noch Markgraf Christoph von Baden, Rheingraf Philipp Franz (nur Kurze) und die Grafen von Hohenlohe zu den persönlich anwesenden Ständen (vgl. Kurze, S. 55; v. Bundschuh, S. 276). Den besten Aufschluß bietet die Liste der Unterzeichner des Frankfurter Abschieds, abgedruckt nach württembergischen Quellen bei Sattler IV, Anhang S. 118 f., Nr. 40 und nach Wolfenbütteler Akten wiedergegeben bei Salig III, S. 273. Die Listen bei Sattler und Salig stimmen überein bis darauf, daß bei Salig – offensichtlich aus Versehen – Herzog Christoph von Württemberg ausgelassen ist. Freilich spiegelt sich in der Liste der Unterzeichner nur das Bild am Ende des Frankfurter Konvents. So unterzeichnete für den Markgrafen von Baden ein Gesandter, während das pfalz-zweibrückische Protokoll berichtet, Markgraf Karl habe neben Graf Georg von Württemberg die Eröffnungssitzung des Konvents einberufen (vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 19. Juni 1557: Ernst IV, S. 356, Nr. 292); die Anwesenheit des Pfalzgrafen Ludwig, des Sohnes von Pfalzgraf Friedrich von Simmern, ist ebenfalls nur hier belegt (vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 21. Juni 1557: ebd., S. 357, Nr. 292). 103 Vgl. unten im Abschnitt 2.3.1. 104 Übersichten über die beteiligten Theologen bieten Salig nach Wolfenbütteler Akten und Heppe nach hessischen Akten mit einigen Berichtigungen gegenüber Salig (vgl. Salig III, S. 258; Heppe I, S. 144 f.). Das bei Ernst abgedruckte Bedenken der in Frankfurt versammelten Theologen ist von 25 Theologen unterzeichnet (vgl. ‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 368 f., Nr. 292, Beil. 1); die Unterzeichnung durch die übrigen Theologen wurde gefordert (vgl. ebd., S. 369, Nr. 292, Beil. 1, Anm. 7). Aufgrund von Ernsts Abdruck ist in Heppes Liste der Name des Lindauer Theologen in Übereinstimmung mit Salig von ‚Stecken‘ in ‚Necker‘ zu berichtigen. 105 Zur kurpfälzischen Delegation in Frankfurt gehörte auch der kurfürstliche Hofprediger Michael Diller, der in Regensburg zwar nicht für Worms nominiert worden war, aber später für den während des Religionsgesprächs verstorbenen Pfälzer Deputierten Stoll nachrückte. 106 Zu Marbachs doppeltem Auftrag vgl. Salig III, S. 258; Heppe, S. 145. Marbachs Vorzugsstellung vor den anderen pfälzischen Theologen ist belegt durch seine Hinzuziehung zur Festsetzung der Proposition (vgl. Ernst IV, S. 356, Nr. 292, Anm. 3) und durch die Position seiner Unterschrift unter das Theologenbedenken an erster Stelle,
120 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Nähe zur Schweizer Reformation, wie sie bei dem Marburger Theologieprofessor Andreas Hyperius und dem Mömpelgarder Reformator Peter Toussain gegeben war, über die zahlreich vertretene und daher auch bestimmende Mittelposition gemäßigter Theologen, etwa Andreaes, Pistorius’ oder Kargs, bis zur gnesiolutherischen Orientierung des Regensburger Superintendenten Nikolaus Gallus, der mit zwei Sondervoten Einfluß auf den Gang der Konventsverhandlungen zu nehmen versuchte.107 Man hat die Frankfurter Versammlung mit Recht stattlich genannt.108 Beeinträchtigt war ihre Stattlichkeit allerdings durch die Partikularität infolge des Ausbleibens der nord- und mitteldeutschen Stände. 2.1.2.3 Die Verhandlungen und Beschlüsse des Konvents im Überblick Die Verhandlungen109 des Frankfurter Konvents begannen am 19. Juni und fanden ihren Abschluß mit der Unterzeichnung eines Abschieds am 2. Juli.110 Der Frankfurter Abschied111 faßt die Ergebnisse des Hauptstrangs der eigentlichen Beratungen zusammen.112 Ein von den versammelten Theo-
noch vor dem kurpfälzischen Generalsuperintendenten Stoll und dem Hofprediger Diller (vgl. ‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 368, Nr. 292, Beil. 1). Zu seiner Rolle als Sprecher aller Theologen vgl. Ernst IV, S. 362, Nr. 292, Anm. 13 sowie S. 366, Nr. 292, Beil. 1, Anm. 1. 107 Zu Gallus’ Sondervoten vgl. Voit, S. 217 f. 108 Vgl. Kugler II, S. 49; Wolf, S. 71. 109 Die einzige publizierte Quelle über die Verhandlungen ist das pfalz-zweibrückische Protokoll, teilweise abgedruckt bei Ernst IV, S. 354–366, Nr. 292. Es ist verfaßt von Ulrich Sitzinger, dem Kanzler Pfalzgraf Wolfgangs von Zweibrücken (vgl. ebd., S. 354, Nr. 292, Anm. 2). Daneben bietet Ernst punktuell Zusatzinformationen aus einem in München überlieferten kurpfälzischen Protokoll (vgl. ebd., S. 356, Nr. 292, Anm. 3). 110 In Sattlers Abdruck ist der Abschied auf den 30. Juni datiert (vgl. ‚Frankfurter Abschied‘: Sattler IV, Anhang S. 118, Nr. 40). Laut pfalz-zweibrückischem Protokoll war zwar bereits am 30. Juni Einvernehmen über den Abschied erzielt worden, unterzeichnet wurde er aber erst am 2. Juli (vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 30. Juni bis 2. Juli 1557: Ernst IV, S. 364 f., Nr. 292). 111 Zur Unterscheidung dieses Dokuments vom Abschlußdokument des Frankfurter Fürstentages von 1558 ist es sinnvoll, jenes – wie in der Geschichtsschreibung weithin üblich – als ‚Frankfurter Rezeß‘, dieses hingegen als ‚Frankfurter Abschied‘ zu bezeichnen, gegebenenfalls mit Zusatz der Jahreszahl. So bereits Salig, der vom „Franckfurtischen Abschiede, (welcher mit dem Franckfurtischen Receß a. 1558. nicht zu verwechseln)“ berichtete (Salig III, S. 275). 112 Der Abschied ist gedruckt bei Sattler IV, Anhang S. 109–119, Nr. 40. Ein Exemplar des Abschieds mit eigenhändigen Unterschriften und angehängter Instruktion findet sich im Geheimen Staatsarchiv München unter der Signatur Kasten blau 106,3c, fol. 39–56; weitere Exemplare finden sich in der Aktenüberlieferung der beteiligen Stände. Ein Vergleich des Sattlerschen Abdrucks mit dem Münchner Exemplar erwies den Abdruck als zuverlässig.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung121
logen verfaßtes Bedenken über die Proposition113 ist in Form eines Referats seines Inhalts integraler Bestandteil des Abschieds, weil die unterzeichnenden Stände beschlossen hatten, es „gegenw rtigem abschidt einzuleyben“114. Das auf die Instruierung der Teilnehmer am Wormser Religionsgespräch abzielende „Bedenkhen und Verzaichnuß“115 ist dem Abschied als Anhang angefügt,116 so daß der Abschied, das ‚Verzeichnis‘ und das ‚Theologenbedenken‘ sich gegenseitig erläutern. Zu einigen sachlich eigenständigen Beratungsgegenständen wurden noch weitere separate Beschlüsse und Verlautbarungen verabschiedet.117 Die Partikularität des Frankfurter Konvents spiegelt sich in den Konventsbeschlüssen wider: Ihnen eignet weithin der Charakter der Vorläufigkeit, weil bei der Behandlung der verschiedenen Beratungsgegenstände immer wieder festgestellt werden mußte, „daß solcher punct in gegenw rtier particular versamblung nit m ge nutzlich angehandelt, sonder muß gleicher gestalt, wie in vilen andern beschehen, zu einem zukh nfftigen und gr ssern Conuent verschoben und uffgezogen, auch anderer Stend Rath und Bedenckhen angeh rt und volgends mit gemeiner stimm procediert und gehandelt werden“118. Die konfessionspolitische und theologische Eigenart der Frankfurter Beschlüsse tritt an drei Punkten deutlich hervor: der Bekenntnisverpflichtung (2.1.2.4), der Abgrenzung gegenüber abweichenden Lehrmeinungen (2.1.2.5) und den weiterreichenden Verständigungsbemühungen (2.1.2.6). 2.1.2.4 Die Bekenntnisverpflichtung in den Konventsbeschlüssen Der Regensburger Nebenabschied hatte eine Verpflichtung der Teilnehmer am Religionsgespräch auf CA und Schmalkaldische Artikel vorgesehen. Den Ständen war angetragen worden, die Gesprächsteilnehmer entsprechend zu instruieren, anderenfalls sollten sie nicht zugelassen werden.119 In der 113 Die Kurzfassung (vgl. Ernst IV, S. 366, Nr. 292, Beil. 1, Anm. 1) des Bedenkens, die „Artikel auf die vier puncten der beschehen proposition, durch die versamlete theologos gestelt“, ist abgedruckt bei Ernst IV, S. 366–369, Nr. 292, Beil. 1 unter der Überschrift „Bedenken der Theologen in Frankfurt“; hier als ‚Theologenbedenken‘ zitiert. 114 ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 2: Sattler IV, Anhang S. 112, Nr. 40. 115 Der vollständige Titel lautet: „Bedenkhen und Verzaichnuß[,] zu einer vorberaitung des zuk nfftigen Colloquii gestellt, welcher gestalt vnsers thails verordneten[,] Colloqenten und Adjuncten[,] sich in selben verhalten und erzaigen sollen“, im folgenden als ‚Verzeichnis‘ zitiert. Es ist abgedruckt bei Sattler IV, Anhang S. 119–123, Nr. 40. 116 Vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 5: Sattler IV, Anhang S. 111, Nr. 40. 117 Vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 30. Juni 1557: Ernst IV, S. 365, Nr. 292. 118 ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 5: Sattler IV, Anhang S. 116, Nr. 40; Hervorhebung B. S. 119 Vgl. Art. 4 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 103, Nr. 37; zur Erläuterung vgl. oben im Abschnitt 1.3.3.
122 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik von Kurpfalz und Württemberg für den Frankfurter Konvent gemeinsam vorgelegten Proposition120 wurde das aufgegriffen mit den Worten, dem Regensburger Nebenabschied nach sollten die Stände die Gesprächsteilnehmer „mit einer gleichlauttenden Instruction vff die Augspurgische Confession und Schmalkaldische Artickel, dabej entlich zu beharren[,] abuertigen und dessen zuuor sich miteinander vergleichen.“121 Der Nebenabschied erfährt hier insofern „eine bewußte Umdeutung“122, als bei seiner Verabschiedung nicht an eine gemeinsame, unter den Ständen verglichene Instruktion gedacht war. Vielmehr war die Forderung Herzog Christophs nach einer solchen Instruktion in Regensburg sogar abgelehnt worden, weil die Räte der Auffassung waren, daß der Nebenabschied, verstanden als verbindliche Maßgabe für die einzelnen Instruktionen der Stände, ausreichend sei. Der im Nebenabschied vorgegebene, gnesiolutherisch akzentuierte Konnex von Augsburger Bekenntnis und Schmalkaldischen Artikeln ist jedoch in der Frankfurter Proposition zutreffend wiedergegeben. Um so erstaunlicher ist jedoch der Befund in den Frankfurter Beschlüssen: Die Schmalkaldischen Artikel werden mit keinem Wort erwähnt! Im ‚Verzeichnis‘ finden sich bekenntnisbezogene Aussagen unter Punkt 2. Sie werden eingeführt im Zusammenhang von Ausführungen zu Gesprächsform und -gegenständen des Religionsgesprächs. Den Gesprächsteilnehmern wird aufgetragen vorzuschlagen, daß die Confessio Augustana „pro materia colloquendi“ genommen werden möge. Sollte das jedoch nicht zu erreichen sein, so sollten sie erklären, „das sie sich vnserer zuuor gethonen bekhantnus und nemlich in specie der Augspurgischen Confession […] mit nichten begeben wollten“123. Vorausgeschickt ist die Begründung, daß „die Augspurgisch Confession sampt der Apollogia ein Summarischer Extract ist vnserer Christlichen waren bekhantnuß, welche vff die heilige g tliche prophetische und apostolische schrifft des alten und neuen Testaments als das recht vnuerwerfflich Hauptfundament gegrundet gestellt und vor diser außgangen, angenohmen und approbiert worden ist“124. Eine entsprechende Berufung auf die Confessio Augustana in Verbindung mit der Apologie findet sich auch im ‚Theologenbedenken‘ zur Proposition. 120 Die Proposition findet sich unter der Überschrift „Vortrag bey der oberl ndischen A. C. Verwandten St nde Zusamenkunfft zu Franckfurt. d. d. 19. Junij. 1557.“ abgedruckt bei Sattler IV, Anhang, S. 107 f., Nr. 39, im folgenden zitiert als ‚Proposition‘. Zur Abfassung der Propostion vgl. Ernst IV, S. 355 f., Nr. 292, Anm. 3. 121 ‚Proposition‘: Sattler IV, Anhang S. 107, Nr. 39. Ernst zufolge stammt die Bezugnahme auf den Regensburger Nebenabschied aus dem pfälzischen Propositionsentwurf (vgl. Ernst IV, S. 355, Nr. 292, Anm. 3), was in Anbetracht des großen Anteils der Kurpfalz am Zustandekommen des Nebenabschieds nicht verwunderlich ist. 122 Ernst IV, S. 355, Nr. 292, Anm. 3. 123 ‚Verzeichnis‘, Pkt. 2: Sattler IV, Anhang S. 120, Nr. 40. 124 ‚Verzeichnis‘, Pkt. 2: Sattler IV, Anhang S. 119, Nr. 40.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung123
Die Theologen teilen hier über ihre Beratungen mit: „Der lere halben haben sie sich alle ainhelliglich auf die A. C., so in der h. schrift gegrundet und in der Apologia weitleufiger ausgefuert worden, erclert und was derselbigen confession zuwider, verworfen, auch hiemit dieselbig ainmutiglich underschriben.“125 Im ‚Frankfurter Abschied‘ wird die Erklärung der Theologen in Art. 2 referiert, wobei die Berufung auf die Confessio Augustana erweitert ist um den Zusatz: „welche […] in anno 1530. der Kay. Mt. zu Augsburg vberantwurt ist“126. Der Zusatz dürfte auf eine Intervention des kurpfälzischen Kanzlers Erasmus von Minckwitz zurückgehen. In einer gemeinsamen Sitzung der pfälzischen Fürsten und Räte, in welcher die von einem Ausschuß127 vorbereiteten Entwürfe der Konventsbeschlüsse vorgetragen worden waren,128 hatte Minckwitz dafür plädiert, zur Augsburgischen Konfession das Jahr 30 und die Apologie hinzuzusetzen.129 Die Quellen bieten keinen Aufschluss, weshalb Minckwitz nunmehr die Apologie und nicht die in der Proposition erwähnten Schmalkaldischen Artikel zur CA hinzuzusetzen wünschte. Anders als die unzutreffende130 Darstellung des kurpfälzischen Anteils am Frankfurter Abschied bei Kurze131 vermuten lassen könnte, handelt es sich dabei aber wohl nicht um einen Kurswechsel in der kurpfälzischen Konfessionspolitik im Vergleich zum Regensburger Reichstag. Vielmehr weist der Einsatz für eine nähere Kennzeichnung der CA durch die Angabe des Jahres 1530 in die gleiche Richtung wie die Verbindung der CA mit den Schmalkaldischen Artikeln im Regensburger Nebenabschied: Es geht um die Wahrung des – aus gnesiolutherischer Sicht – ursprünglichen Sinnes der CA. Wahrscheinlich verband Minckwitz selbst dieselbe Intention auch noch mit seiner Forderung nach 125
‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 367, Nr. 292, Beil. 1. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 2: Sattler IV, S. 112, Nr. 40. 127 Vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 24. bis 26. Juni 1557: Ernst IV, S. 360 f., Nr. 292. 128 Vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 27. Juni 1557: Ernst IV, S. 362, Nr. 292. 129 Vgl. Aktennotiz Minckwitz’ über seinen Redebeitrag in der pfälzischen Sitzung am 27. Juni 1557: Ernst IV, S. 362, Nr. 292, Anm. 11. 130 Ein Grund für die unzutreffende Darstellung liegt in der Verwechslung von Apologie und CA Variata: Kurze gibt an, in Frankfurt seien „die Augsburgische Konfession und die Variata als Gesprächsgrundlage festgesetzt“ worden (Kurze, S. 56). Dieselbe Verwechslung unterläuft ihr bereits bei der Wiedergabe von Minckwitz’ Aufzeichnung vom 27. Juni, in welcher angeblich die Identität der Variata von 1540 mit der Confessio Augustana von 1530 ausführlich begründet werde (Kurze, S. 137, Anm. 10; diese Angabe wurde bereits von Henss, S. 169, Anm. 65 als Mißverständnis eingestuft). 131 Kurze veranschlagt den kurpfälzischen Anteil sehr hoch: Kanzler Minckwitz habe „die Instruktion abgefaßt und den Abschied in die ihm genehme Form gebracht“ (Kurze, S. 56). Nach dem pfalz-zweibrückischen Protokoll sind aber sowohl der Abschied als auch das anstelle einer Instruktion fungierende ‚Verzeichnis‘ im Redaktionsausschuß des Frankfurter Konvents entworfen worden, dem Minckwitz gar nicht angehörte (vgl. ‚Pfalzzweibrückisches Protokoll‘ zum 25. bis 26. Juni 1557: Ernst IV, S. 361, Nr. 292). 126
124 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Beifügung der auch im Regensburger Nebenabschied neben den Schmalkaldischen Artikeln angeführten Apologie, obschon er mit dem Votum für ihre Beifügung den anderen Ständen insofern entgegenkam, als deren Präferenz für die Apologie sich bereits im ‚Theologenbedenken‘ und in einer Ausschußberatung am 25. Juni132 abgezeichnet hatte. Minckwitz folgte somit weiter der konfessionspolitischen Linie, die er und Eberhard von der Thann, die beiden aus ernestinischen Diensten stammenden kurpfälzischen Räte, während des Regensburger Reichstags verfochten hatten. Daß die endgültige Bestallung Eberhard von der Thanns unterdessen gescheitert war133 und Thann nicht mehr in kurpfälzischem Dienst stand134, dürfte demnach auch nicht als Indiz eines grundsätzlichen Kurswechsels in der kurpfälzischen Konfessionspolitik zu sehen sein. Unübersehbar ist allerdings, daß die kurpfälzische Konfessionspolitik nach Thanns Ausscheiden weniger engagiert vertreten wurde. So verzichteten die Kurpfälzer, indem sie sich im Redaktionsausschuß vertreten ließen, auf eine wesentliche Gestaltungsmöglichkeit. Sollte Minckwitz’ Votum für die Beifügung der Apologie ohne Erwähnung der Schmalkaldischen Artikel zutreffend als Konzession an die Präferenz der Ständemehrheit interpretiert sein, dann hat die kurpfälzische Delegation unter seiner Leitung im Vergleich zu der von Thann geleiteten Gesandtschaft auf dem Regensburger Reichstag auf Zuspitzung und Konfrontation verzichtet. Der Preis dafür war, daß bei offensichtlich beibehaltener Grundhaltung wesentlich weniger an eigener Handschrift durchgesetzt werden konnte. Welche Intentionen die Mehrheit der Theologen und Stände mit der Bezugnahme auf CA und Apologie verband, läßt sich nur indirekt aus den Sondervoten des Regensburger Superintendenten Nikolaus Gallus erschließen. Bereits in seinem ersten Sondervotum, das sich auf die Proposition zum Frankfurter Konvent bezog, forderte Gallus, die CA müsse dem Wortlaut und Sinn nach gelten wie vor dem Interim.135 Seine Forderung bekräftigte Gallus noch einmal in seinem zweiten Sondervotum vom 26. Juni, mit welchem er zu dem an demselben Tag im Redaktionsausschuß verlesenen Entwurf für den Abschied Stellung nahm: Weil viele Sekten sich auf die CA beriefen, halte er es für notwendig, „das nit des buchstabens allein, sondren auch des verstands der augspurgischen confession austrucklich so fern gedacht werde, wie der ungeverlich in der Apologia weiter erkleret 132
Vgl. ‚Kurpfälzisches Protokoll‘: Ernst IV, S. 361, Nr. 292, Anm. 10. Die sächsischen Herzöge hatten die von Kurfürst Ottheinrich geforderte schriftliche Genehmigung des Dienstwechsels Thanns verweigert (vgl. Körner, S. 136). 134 Vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht von Bayern, Frankfurt 27. Juni 1557: Ernst IV, S. 351 f., Nr. 290. 135 Vgl. „Bedencken Nicolai Galli auff die Chur unnd Fürstliche Proposition“ (der Titel nach Voit, S. 218, Anm. 1), Frankfurt 22./23. Juni (das Datum nach Salig): Salig III, S. 264 (Paraphrase); im folgenden zitiert als Gallus’ Bedenken über die Proposition. 133
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung125
wird, und in Schmalkaldischen artickeln aufs concilium gen Mantua gestelt, desgleichen in gemain vnter Luthero gewesen bis zur zeit des Interims.“136 Gallus sah demnach durch den Abschied in der verlesenen Form seine ursprüngliche Forderung noch nicht als erfüllt an: Die Berufung auf CA und Apologie genügte ihm nicht zur Gewährleistung eines Verständnisses der CA wie vor dem Interim „vnter Luthero“, weshalb er auf die Nennung der Schmalkaldischen Artikel drängte. Wenn Gallus in seinen Sondervoten dafür plädierte, ein vorinterimistisches Verständnis der CA abzusichern, indem man wie vom Regensburger Nebenabschied vorgesehen die Schmalkaldischen Artikel als „engeren interpretierenden Rahmen für die CA“137 verbindlich machte, so läßt das den Rückschluß zu, daß die übrigen Theologen und Stände sein Anliegen nicht teilten. Offensichtlich war ihnen der Rahmen zu eng, ihnen dürfte an einem „weiteren Interpretationsrahmen um die CA“138 gelegen gewesen sein, wie er angesichts der theologischen und konfessionspolitischen Disparatheit der Teilnehmer des Frankfurter Konvents als gemeinsamer Nenner wohl auch nur in Frage kam. Eine Bezugnahme auf die Apologie bot sich daher an: Wegen Melanchthons Verfasserschaft konnte die Apologie einerseits den Melanchthon oder der Schweizer Theologie nahestehenden Teilnehmern als offen für eine Interpretation im Sinne der Weiterentwicklungen in Melanchthons Theologie erscheinen. Andererseits konnte die Apologie als Erläuterung des ursprünglichen Sinnes der CA von 1530 zugesagt haben, weshalb sie neben den Schmalkaldischen Artikeln auch stets Bestandteil des von gnesiolutherischer Seite geforderten engeren Interpretationsrahmens um die CA war139. Das dürfte auch der Grund dafür sein, daß selbst Gallus schließlich den ‚Frankfurter Abschied‘ mittrug, obwohl seiner Forderung nach Hinzufügung der Schmalkaldischen Artikel nicht stattgegeben worden war.140 136 „Ander Bedencken Nicolaj Galli auf verlesung des Abschiedts, noch vor dem beschluß“, 26. Juni 1557: HAB Wolfenbüttel, 64.9 Extrav., fol. 318v–320r (Abschrift), hier fol. 319r; das Datum ebd., fol. 318v in margine. Salig führt das ‚Ander Bedencken‘ irrtümlich als Bedenken über den Regensburgischen Nebenabschied ein, den die Fürsten in Frankfurt verlesen hätten lassen (vgl. Salig III, S. 267), was Heppe und Wolf übernehmen (vgl. Heppe I, S. 147; Wolf, S. 73). Im folgenden wird das zweite Sondervotum als Gallus’ Bedenken über den Frankfurter Abschied zitiert. 137 Schwarz, S. 257. 138 Schwarz, S. 259. 139 Vgl. Schwarz, S. 257. 140 Der Regensburger Gesandte Caspar Portner unterzeichnete den Abschied (vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Unterschriftenliste: Sattler IV, Anhang S. 118, Nr. 40; dort irrtümlich „Caspar Gertner“, richtig hingegen bei Salig III, S. 273; vgl. Voit, S. 217). In einem Brief an Flacius erklärte Gallus nach seiner Rückkehr aus Frankfurt, er habe zwar nicht alles durchsetzen, aber doch Schlimmeres verhindern können (Gallus an Flacius, Regensburg 19. Juli 1557: HAB Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 361 Nov., fol. 54r; vgl. Voit, S. 218 bei Anm. 9 mit falscher Datierung des Briefes auf den 11. Juli).
126 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik An Gallus’ Sondervoten wird indes die begrenzte Tragfähigkeit der Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner deutlich, verbargen sich darunter doch tiefgreifende Differenzen. Als folgenschwer sollte sich zudem erweisen, daß mit den Frankfurter Beschlüssen die Maßgabe des Regensburger Nebenabschieds, die Teilnehmer am Religionsgespräch auf CA und Schmalkaldische Artikel zu verpflichten, unterlaufen worden war. Die zum Frankfurter Konvent zusammengetretenen Stände hätten unter keinen Umständen einen Ausschluß vom Religionsgespräch akzeptiert, wie er im Regensburger Nebenabschied für den Fall vorgesehen war, daß die Gesprächsteilnehmer nicht auf CA und Schmalkaldische Artikel verpflichtet würden. Deshalb kommen ihre Beschlüsse zur Bekenntnisbindung einer Absage an die Geltung des Regensburger Nebenabschieds mindestens in diesem gewichtigen Punkt gleich. Damit aber ist vorgezeichnet, daß in Worms Abgesandte von protestantischen Ständen aufeinandertreffen würden, von denen sich ein Teil weiterhin dem Regensburger Nebenabschied verpflichtet fühlte, während ein anderer Teil ihn nicht mehr als verbindlich ansah. Für die innerevangelischen Kräfteverhältnisse ist es zudem von erheblicher Bedeutung, daß die Kurpfalz, auch wenn sie keinen bewußten Kurswechsel in der Konfessionspolitik vollzogen hatte, von der Rolle der treibenden Kraft bei der Aufstellung des Regensburger Nebenabschieds zur Position der Schirmherrschaft über den Frankfurter Konvent übergegangen war. Die Kurpfalz erscheint bei dem Übergang weniger als profilierte, aktiv gestaltende Kraft, sondern vielmehr als von den Umständen und Mehrheitsverhältnissen bestimmbare Größe. Das war in hohem Maße dem Scheitern der Verpflichtung Eberhard von der Thanns geschuldet, dem unter den kurpfälzischen Räten an Engagement und Durchsetzungskraft keiner gleichkam. Retrospektiv wird daran deutlich, auf was für schwachen Füßen der gnesiolutherisch ausgerichtete innerevangelische Führungsanspruch der Kurpfalz auf dem Regensburger Reichstag gestanden hatte. Der sich hier abzeichnende Einflußverlust der kurpfälzischen Konfessionspolitik sollte beim Wormser Religionsgespräch offen zutage treten, wo es den Pfälzern nicht gelang, die Führungsposition unter den evangelischen Ständen einzunehmen oder für eine effektive Vermittlung zu sorgen. 2.1.2.5 Die Abgrenzung gegenüber abweichenden Lehrmeinungen in den Konventsbeschlüssen Wie bei der Frage der Bekenntnisverpflichtung kam es auch auf dem Feld der Abgrenzung gegenüber abweichenden Lehrmeinungen und der damit verbundenen Beurteilung der innerevangelischen Einigkeit zu einer Relativierung des Regensburger Nebenabschieds. Der Regensburger Nebenabschied hatte dazu sehr deutlich gesprochen und „etliche Secten und
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung127
Rotten=gaister, von Sacramentiern widerteuffern Schwenckfeldern, Osiandrischen und andern“ als aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit der CA aus dem Augsburger Religionsfrieden ausgeschlossen bezeichnet.141 Derartig spezifizierte Abgrenzungen unterblieben in den Frankfurter Beschlüssen. Der Frankfurter Abschied beschränkt sich darauf, das Bedenken der Theologen wiederzugeben. Die Theologen, so referiert der Abschied deren Bedenken, „verwerffen hiemit alle jrrige secten, so angeregter g ttlicher Lehr und also der Augspurgischen Confession […] zuwider sein.“142 Im ‚Theologenbedenken‘ selbst war die Verwerfung sogar noch allgemeiner gehalten, insofern der Begriff der Sekten nicht verwendet wurde. Eine generelle Verwerfung ist hier an die Affirmation der CA angeschlossen: „Der lere halben haben sie sich alle ainhelliglich uf die A. C. […] erclert und was derselbigen confession zuwider, verworfen“143. Das ist wieder der kleinste gemeinsame Nenner: Da nicht näher bestimmt wurde, was der CA zuwider sei, konnte jeder Unterzeichner höchst Verschiedenes als verworfen oder auch nicht verworfen ansehen. Weiter erklärten die Theologen zur Frage der innerevangelischen Einigkeit, „[d]as inen diser zeit keine irrungen oder zwispalt in den oberlendischen und rheinlendischen kirchen der A. C. verwandten bewist seien“144. Mit der zitierten Formulierung gelang es ihnen, eine Stellungnahme zu aktuellen innerevangelischen Streitigkeiten zu vermeiden. Denn durch die temporale und regionale Beschränkung ihrer Aussage konnten sie das Vorhandensein eines Dissenses unter ihnen negieren – freilich unter Ausblendung jener die Binnen- und Außenwahrnehmung des Protestantismus beherrschenden Auseinandersetzungen, die ihr Zentrum im zweiten Abendmahlsstreit sowie im Streit zwischen herzoglich-sächsischen und kursächsischen Theologen hatten. Über die in den genannten Auseinandersetzungen verhandelten Streitpunkte bestand unter den in Frankfurt Versammelten keineswegs Einigkeit, denkt man nur an die Spannweite in der Abendmahlslehre zwischen Peter Toussain oder Andreas Hyperius einerseits und einem Nikolaus Gallus oder auch Johannes Marbach andererseits. Auch waren durchaus Theologen aus Südwestdeutschland an den genannten Auseinandersetzungen beteiligt, allerdings nicht mit südwestdeutschen, sondern überwiegend mit nord- und mitteldeutschen Theologen als Widerpart. Die Theologen in Frankfurt gingen allerdings nicht so weit, jeglichen Dissens unter den Augsburger Konfessionsverwandten zu negieren. Vielmehr plädierten sie in ihrem Bedenken dafür, den Theologen „unsers theils“ nach dem Religionsgespräch 141
Art. 2 NA Regensburg 1557: Sattler, Anhang S. 102, Nr. 37. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 2: Sattler, Anhang S. 112, Nr. 40. 143 ‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 367, Nr. 292, Beil. 1. 144 ‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 367, Nr. 292, Beil. 1. 142
128 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik „zu endlicher decision, widerlegung oder hinlegung allerlei eingerissener irrungen“ die Erörterung und Beilegung nicht näher bezeichneter Kontroversen aufzutragen.145 Damit war die Linie vorgezeichnet, auf der die Beschlüsse in Frankfurt insgesamt liegen sollten: Negierung eines aktuellen Dissenses unter den beteiligten Ständen und Theologen und Behauptung einer Übereinstimmung in der Hauptsache bei gleichzeitiger Sistierung der gesamtprotestantischen Auseinandersetzungen bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem Wormser Religionsgespräch. Ohne daß es in Frankfurt ausgesprochen worden wäre, wurde damit der im Regensburger Nebenabschied anberaumte Vorkonvent der evangelischen Gesprächsteilnehmer überflüssig, denn an eine Verständigung vor dem Religionsgespräch, wie auch Herzog Christoph sie ursprünglich intendiert hatte, war offensichtlich nicht mehr gedacht. Gegen die Mehrheitsmeinung stellte sich auch hier Gallus mit seinen Sondervoten. Bereits in seinem Bedenken über die Proposition bestand er auf klar ausgedrückten Abgrenzungen und verwies darauf, daß von den Irrlehren „einige zuvor schon verdammt, und im n chsten Reichs=Abschiede146 schon benennet, auch von dem Religions=Frieden ausgeschlossen“ seien.147 Mit der Behandlung der Kontroversen auf einer künftigen Synode zeigte er sich grundsätzlich einverstanden, protestierte aber dagegen, „daß die Irrungen in den S chsischen Landen sie hier nicht angehen sollten“148. In seinem zweiten Bedenken, das dem Frankfurter Abschied galt, signalisierte Gallus zwar Bereitschaft, den Abschied mitzutragen, monierte aber zugleich die seiner Auffassung nach ungenügende Abgrenzung von Irrlehre:149 „So erinnere ich gleichwol auch, das der proposition mit diesem Abschied alhie nit gnugsam geschicht, sonderlich mit dem puncten von Irrungen vnd Spaltungen, denn man auch keiner hie gedenken wil, verstehe aber auch die vrsachen, weil die parthen [sic!] furnemblich nit furhanden, vnd man niemand hiemit praeiudicieren wil, sundern allein vorbereitung machen zu kunftiger vergleichung, so lasse ichs hiemit gleich auch wol geschehen.“150
Bei allem hiermit bekundeten Verständnis für die Haltung, nicht über Abwesende urteilen zu wollen, zog Gallus selbst klare Trennlinien. So schärfte 145
‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 367, Nr. 292, Beil. 1. Hier muß entweder der Regensburger Nebenabschied oder der Augsburger Reichsabschied von 1555 gemeint sein. 147 Gallus’ Bedenken über die Propositon: Salig III, S. 265 (Paraphrase). 148 Gallus’ Bedenken über die Propositon: Salig III, S. 264 (Paraphrase). 149 Der Charakter von Gallus’ Bedenken als Sondervoten tritt hier gut hervor, insofern sich Gallus zwar bereit erklärt, den Abschied mitzutragen, aber für sich ein bestimmtes Verständnis des Abschieds festlegt. 150 Gallus’ Bedenken über den Frankfurter Abschied: HAB Wolfenbüttel, 64.9 Extrav., fol. 318v–319r. 146
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung129
er im unmittelbaren Anschluß die Bindung an CA und Schmalkaldische Artikel im vorinterimistischen Verstande ein und widersprach der Behauptung, „es sey in kirchen und schulen diser lande von 30 Jhar her nichts andres gelert vnnd gehandelt“151. Schließlich verwahrte er sich gegen die im Abschied vorgesehene Unterbindung weiterer Auseinandersetzungen bis zu einer künftigen Synode und kritisierte, daß dabei nicht unterschieden werde zwischen Irrlehren, „so allbereit zuuor in vnsern kirchen der augspurgischen confession, auch durch die gemeinen Reichs vnnd neben abschid verdampt sind, vnd den andern, welche noch sollen im Synodo vnter vns gerichtet werden“152. Er argwöhnte, daß dadurch insbesondere die früher ausgesprochenen Abgrenzungsurteile gegen die Anhänger Zwinglis unterdrückt werden sollten.153 Gallus beharrte somit auf der Gültigkeit bereits ausgesprochener Verwerfungsurteile und hielt spezifizierte Verwerfungen auch gegenwärtig für notwendig. Möglicherweise trat er für seine Position mündlich sogar noch vehementer ein als in seinen schriftlich vorgelegten Bedenken. Darauf deutet zumindest die Darstellung des Frankfurter Konvents hin, die Brenz einer preußischen Gesandtschaft Ende Juli in Stuttgart deren Bericht zufolge gab: „Dan ob wol ettlich sich viel zu specificirn und neben andren auch die Osiandristen in der ketzer zal zu referirn unterstanden, und sonderlich Nicolaus Gallus, ist denselben weder von fürsten noch theologen beygefallen worden, wie er dan auch, nemlich Brentius, allerley riegel unterschlagen hett, damit solch specification wurde verhüttet“154. Im Ergebnis waren in Frankfurt nicht nur spezifizierte Verwerfungen unterblieben, sondern es war sogar eine hohe Hürde vor künftigen Verwerfungsurteilen aufgerichtet worden. In das ‚Verzeichnis‘, die Handreichung für die Gesprächsteilnehmer in Worms, war nämlich die Forderung aufgenommen worden, man solle „niemands vnuerh rter weiß verdammen oder verurtheylen“155. Zwar war die im ‚Verzeichnis‘ erhobene Forderung an die römisch-katholische Gegenseite gerichtet als Teil einer Anweisung für den Fall, daß die Gegenseite die innerevangelischen Auseinandersetzungen aufgreifen würde. Die evangelischen Gesprächsteilnehmer sollten dann 151 Gallus’ Bedenken über den Frankfurter Abschied: HAB Wolfenbüttel, 64.9 Extrav., fol. 319r. 152 Gallus’ Bedenken über den Frankfurter Abschied: HAB Wolfenbüttel, 64.9 Extrav., fol. 319v. 153 Vgl. Gallus’ Bedenken über den Frankfurter Abschied: HAB Wolfenbüttel, 64.9 Extrav., fol. 319v. 154 Bericht Matthias Vogels für Hzg. Albrecht von Preußen über die preußische Gesandtschaft nach Württemberg: Bizer, Analecta, S. 362, Nr. 38. Zu der Rolle, die Brenz nach Vogels Angaben beanspruchte, obwohl er in Frankfurt gar nicht zugegen war, vgl. unten in Abschnitt 2.3.1.3 bei Anm. 388. 155 ‚Verzeichnis‘, 3. Punkt: Sattler IV, Anhang S. 121, Nr. 40.
130 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik erklären, „das wier in dem grundt und in den Haubtst cken gantz einig […] und das diser punct in die Hauptsach nit eintzumischen“156. Würde die Gegenseite sich damit nicht zufriedengeben, so sollte man von ihr die Angabe der bemängelten Tatbestände verlangen und gleichzeitig darauf bestehen, daß niemand ohne Anhörung verurteilt werden dürfe.157 Auch wenn die Forderung primär an die Gegenseite gerichtet war, so war damit zugleich ein Standard für das innerevangelische Vorgehen bei spezifizierten Verwerfungen vorgegeben, denn was von der Gegenseite verlangt wurde, mußte auch für das eigene Handeln gelten.158 2.1.2.6 Konventsbeschlüsse zu weiterreichenden Verständigungsbemühungen Herzog Christoph hatte ursprünglich vorgeschwebt, daß in Frankfurt die in seinem ‚Bedenken über die Einigkeit‘ aufgeführten Punkte beraten und nach Möglichkeit zu einer Entscheidung gebracht werden sollten, um auf Grundlage der so erzielten Einigkeit eine gemeinsame Instruktion zum Wormser Religionsgespräch zu beschließen.159 In der von Württemberg und der Kurpfalz gemeinsam verantworteten Proposition waren die Ziele dann bereits erheblich niedriger gesteckt, indem die beteiligten Stände lediglich aufgefordert wurden, sie sollten „sich ires gutachtens und bedenckens […] vernehmen lassen“ über die erwünschte „Vergleichung in der Leer und Ceremonien“160. Die Vergleichung selbst zu erreichen, war nicht mehr vorgesehen; der Frankfurter Konvent erhielt damit von vorneherein den Charakter lediglich einer Vorbereitung im Blick auf weiterreichende Verständigungsbemühungen. Der lediglich vorbereitende Charakter kommt auch in den Frankfurter Beschlüssen deutlich zum Ausdruck, eng verbunden mit dem Argument, 156
‚Verzeichnis‘, 3. Punkt: Sattler IV, Anhang S. 121, Nr. 40. Vgl. ‚Verzeichnis‘, 3. Punkt: Sattler IV, Anhang S. 121, Nr. 40. 158 Dieser Aspekt tritt noch deutlicher hervor in dem Formulierungsentwurf des hessischen Landgrafen, auf dessen Intervention die Klausel in das ‚Verzeichnis‘ aufgenommen worden war. Obwohl gleichfalls primär auf die Gegenseite abzielend, lautet die Klausel hier ganz allgemein: „[…] das man niemand condemnir, man hab inen dan zuvor gnugsam gehört“ (Hessische Erklärung zu den Frankfurter Beschlüssen: Ernst IV, S. 369, Nr. 292, Beil. 2). Zu den Verhandlungen über die hessischen Änderungswünsche vgl. das pfalzzweibrückische Protokoll zum 29. Juni 1557: Ernst IV, S. 363 f., Nr. 292. 159 Im Vorfeld verlieh Christoph gegenüber Kurfürst August seiner Hoffnung Ausdruck, daß sich die Fürsten in Frankfurt „christenlich und freuntlich vergleichen wellen, auch rath gefunden, das die dissidia und unnötige gezenk, auch spaltung der theologorum under inen ufgehaben und also einhelliglichen ein instruction den theologis und politischen räthen auf vorstehend colloquium gegeben werde“ (Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 292, Nr. 239). 160 ‚Proposition‘: Sattler IV, Anhang S. 108, Nr. 39. 157
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in Abwesenheit der übrigen Stände Augsburgischer Konfession habe man keine die Gesamtheit derselben Stände betreffenden Beschlüsse fassen können und wollen. So heißt es in der Präambel des ‚Abschieds‘, einer Beratschlagung der anstehenden Probleme in Glaubensfragen habe „die beschwerung entgegen gestanden, das in solchem allgemeinen Werkh […] nit f glich oder nutzlich m ge f rgeschritten, oder etwas bestendigs und fruchtbarlichs, ohne zuthun und vergleichung aller der andernn Confessionsverwandten stendt abgehandelt, beschlossen und verabschiedet werden.“161 Man habe jedoch andererseits bedacht, „das es der gantzen Handlung, so in zukh nfftigem Augusto verhoffenlich f rsteht, nit wenig f rtr glich und erschießlich sein werde. Wann sich die anwesende stend jieres gem ets Christenlich vernehmen lassen und also, souiel Jhnen obligt und geb rt, die vorbereitung machen.“162
Die Konsequenz war, daß der Frankfurter Konvent nur in bestimmten Punkten Entscheidungen fällte,163 alle anderen Punkte aber „zu ferner algemainer berathschlagung“ verschob.164 Die verschobenen Punkte umfassten, wie der weitere Abschied ausweist, nahezu alle materialen Entscheidungen von der Vereinheitlichung der Zeremonien165 über die Lehrauseinandersetzungen166 bis zur Frage einer ständeübergreifenden Kirchenzucht, von der es ausdrücklich heißt, daß sie auf dem Frankfurter Konvent als einer Partikularversammlung nicht behandelt werden könne, sondern wie viele andere Punkte auf einen künftigen, größeren Konvent verschoben werden müsse.167 So bedeutend die dem künftigen Konvent zugewiesenen Aufgaben auch waren, blieb allerdings in der Schwebe, wann und in welcher Form er stattfinden sollte. Verschiedene Vorstellungen darüber stehen im Abschied unverbunden nebeneinander. So sollte der Frankfurter Konvent laut der Präambel des ‚Abschieds‘ dazu dienen, die Vorberatung der Gesprächsteil161
‚Frankfurter Abschied‘, Präambel: Sattler IV, Anhang S. 110, Nr. 40. ‚Frankfurter Abschied‘, Präambel: Sattler IV, Anhang S. 110, Nr. 40. 163 Erledigte Punkte, zu denen Beschlüsse gefaßt wurden, waren die Einigung auf das ‚Verzeichnis‘ als Handreichung für die Teilnehmer am Religionsgespräch (vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 1: Sattler IV, Anhang S. 111, Nr. 40), die Aneignung der Aussagen des ‚Theologenbedenkens‘ über Bekenntnisverpflichtung und interne Einigkeit (Art. 2: ebd., S. 111 f.) sowie als Interimsregelungen bis zu künftigen Entscheidungen die Verständigung darauf, sich wegen Differenzen in den Zeremonien nicht anzugreifen (Art. 3: ebd., S. 113 f.), weitere Lehrauseinandersetzungen zu unterbinden (Art. 4: ebd., S. 115) und im jeweils eigenen Herrschaftsbereich auf Durchführung der Kirchenzucht zu dringen (Art. 5: ebd., S. 116). 164 ‚Frankfurter Abschied‘, Präambel: Sattler IV, Anhang S. 111, Nr. 40. 165 Vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 3: Sattler IV, Anhang S. 113, Nr. 40. 166 Vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 4: Sattler IV, Anhang S. 114, Nr. 40. 167 Vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 5: Sattler IV, Anhang S. 116, Nr. 40; oben bei Anm. 118 im Wortlaut zitiert. 162
132 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik nehmer in Worms, wie sie vom Regensburger Nebenabschied anberaumt worden war, vorzubereiten.168 Die Theologen hatten aber mit ihrem Plädoyer für eine Synode „nach dem fürsteenden colloquio“ eine andere Form und Terminierung weiterreichender Verständigungsbemühungen ins Spiel gebracht.169 Der Vorschlag der Theologen wurde im Frankfurter Abschied rezipiert, indem die Stände es für notwendig erklärten, „das ein solcher synodus von aller der Augspurgischen Confessions verwandten Stende f rnehmen Theologen in zimlicher anzal zum f rderlichsten berueffen“ werde.170 In den Schlußbestimmungen des ‚Abschieds‘ suchten die Frankfurter Konventsteilnehmer schließlich, einen Ausgleich zwischen den beiden Konzeptionen herzustellen, indem sie sich darauf verständigten, die in Frankfurt nicht beteiligten Stände zu bitten, sowohl den im Regensburger Nebenabschied vorgesehenen Wormser Konvent als auch hernach „im fall es notwendig angesehen w rde, ein andere gemaine aller Christlichen Stend versamblung“ zu unterstützen und Gesandte dafür ausreichend zu bevollmächtigen.171 Zu Recht hat Ernst auf die „unklare Fassung des Frankfurter Abschieds über diesen Punkt“ hingewiesen.172 Als Grund dafür sind zwei gegenläufige Tendenzen auszumachen: Offensichtlich fühlte sich ein Teil der Stände nach wie vor dem Regensburger Nebenabschied verpflichtet und bejahte dessen Ziel, vor Eintritt in das Religionsgespräch eine interne Verständigung zu erreichen, um der Gefahr einer Spaltung während des Gesprächs entgegenzuwirken. Man wird nicht fehlgehen, die Kurpfälzer unter den Verfechtern der weiterhin am Nebenabschied orientierten Linie zu vermuten, nachdem sie bereits für die Bezugnahme auf den Nebenabschied in der Proposition zum Frankfurter Konvent gesorgt hatten173. Im Unterschied dazu neigten viele Stände und Theologen zu einer dilatorischen Behandlung der innerevangelischen Auseinandersetzungen. Vielen dürfte auch die Wormser Vorbesprechung als ungeeigneter Rahmen für eine gesamtevangelische Verständigung erschienen sein, da dort nur die für das Religionsgespräch nominierten Theologen und Ständegesandten vertreten sein würden, so daß der Vorkonvent wie der Frankfurter Konvent nur eine partikulare Versammlung 168
Vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Präambel: Sattler IV, Anhang S. 110, Nr. 40. ‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 367, Nr. 292, Beil. 1. 170 ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 4: Sattler IV, Anhang S. 115, Nr. 40. 171 ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 6: Sattler IV, Anhang S. 117, Nr. 40. 172 Ernst IV, S. 388, Nr. 303, Anm. 1. Von Bundschuh greift zu kurz, wenn er sich bei der Bestreitung von Ernsts Einschätzung nur auf Art. 6 des Frankfurter Abschieds stützt (v. Bundschuh, S. 280, Anm. 1). Daß in Worms wie im Regensburger Nebenabschied vereinbart eine Versammlung der Gesprächsteilnehmer stattfinden sollte, ließ Art. 6 des ‚Frankfurter Abschieds‘ zwar nicht im Unklaren. Inhalt und Funktion dieser Versammlung blieben aber hier wie auch auf das Ganze des ‚Abschieds‘ gesehen im Ungewissen. 173 Vgl. Ernst IV, S. 355, Nr. 292, Anm. 3. 169
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung133
sein würde. Manche Teilnehmer des Frankfurter Konvents könnten sogar ein Interesse daran gehabt haben, Entscheidungen über die strittigen Punkte auf unbestimmte Zeit zu verschieben, um sich so einen theologischen Spielraum für Auffassungen, über die kein Konsens zu erzielen sein würde, zu erhalten. Denkbar ist das insbesondere bei den Sympathisanten einer von der CA nicht gedeckten Abendmahlsauffassung. Solchen Tendenzen wollte Gallus anscheinend entgegentreten mit seiner Forderung, „das der bewilligt vnd verheißen sÿnodus nit in die lenge aufgezogen, und recht werde furgenohmen“174. Aufschluß darüber, wie der hinsichtlich weiterreichender Verständigungsbemühungen unklar gefaßte Frankfurter Abschied von Herzog Christoph als einem der Initiatoren verstanden wurde, gibt dessen Schreiben an Herzog Johann Friedrich den Mittleren von Sachsen vom 16. August. Christoph bestritt, daß im Regensburger Reichs- oder Nebenabschied oder im Frankfurter Abschied das persönliche Erscheinen der Fürsten vorgesehen sei, zu dem sich Johann Friedrich bereit erklärt hatte. Vielmehr sehe, so Christoph an Johann Friedrich den Mittleren, der Frankfurter Abschied vor, „das alda und vorm colloquio vermög regenspurgischen nebenabschieds die bestimbte theologi sich zusamenthun und de modo et via colloquendi einhelliglich vergleichen sollen, damit unter inen (wann zu der haltung des colloquii geschritten wurdet) nit spaltige meinungen furfielen und also sie under inen selbst discordes wurden“175. Weiter sei es Bestandteil des Frankfurter Abschieds, daß den für das Religionsgespräch nominierten Theologen und Räten die Kirchenordnungen und anderes Material mitgegeben werden sollte, auf daß die Theologen „ir ratsam bedenken neben den politischen räten stellen und begreifen sollten, wie in leer und ceremoniis, auch anderm ein einhellige, christliche concordia zu treffn und ein kunftiger sinodus aller A. C. verwandter stend (da die chur und fursten in person zusamenkommen solten) anzustellen were“176.
Christoph erwartete nicht mehr, daß außer dem sächsischen Kurfürsten und ihm selbst als den deputierten Assessoren weitere Fürsten Augsburgischer Konfession nach Worms kommen würden.177 Aus württembergischer Sicht 174 Gallus’ Bedenken über den Frankfurter Abschied: HAB Wolfenbüttel, 64.9 Extrav., fol. 319v. 175 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 400 f., Nr. 313. 176 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 401, Nr. 313. 177 Vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 401, Nr. 313. Wie Ernst richtig anmerkt (Ernst, S. 401, Nr. 313, Anm. 2), ist in dem für Herzog Johann Friedrich von Sachsen bestimmten Exemplar des weitgehend gleichlautenden Schreibens Ottheinrichs und Christophs an die Herzöge von Sachsen und den sächsischen Kurfürsten vom 2. Juli die Aufforderung zur persönlichen Teilnahme offensichtlich aus Versehen stehengeblieben (vgl. Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Kfst. August, Frankfurt 2. Juli 1557: Ernst IV, 379, Nr. 295 bei Anm. 2). Sie dürfte,
134 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik hatten die Wormser Vorberatungen nurmehr die Funktion, eine gemeinsame, interne Zerwürfnisse vermeidende Strategie für das Religionsgespräch festzulegen und Vorbereitungen für die künftige Synode zu treffen.178 Offensichtlich wurde die württembergische Sicht von den übrigen am Frankfurter Abschied beteiligen Fürsten geteilt, denn keiner von ihnen schickte sich an, persönlich in Worms zu erscheinen. Das von Christoph so lange und hartnäckig verfolgte und eigentlich gerade vor dem Wormser Religionsgespräch als hochnotwendig angesehene Projekt einer persönlichen Zusammenkunft der Fürsten zur verbindlichen Entscheidung über die internen Auseinandersetzungen unter den Protestanten war damit auf unbestimmte Zeit nach dem Religionsgespräch verschoben. Ein Grund dafür war, daß die verbleibende Zeit bis zum Religionsgespräch als zu kurz erschien, um den kursächsischen Widerstand gegen eine Fürstenzusammenkunft zu überwinden. Daneben dürfte zur Verschiebung aber auch beigetragen haben, daß Christoph mit dem Frankfurter Konvent trotz aller Unbestimmtheit der Beschlüsse und trotz der Partikularität des Konvents sein Projekt zumindest partiell als verwirklicht ansah. Wie wenig tragfähig die Frankfurter Vereinbarungen jedoch in gesamtprotestantischer Perspektive waren, sollten die kommenden Monate erweisen. 2.1.2.7 Das Ergebnis des Frankfurter Konvents Was blieb nun aber vom Frankfurter Konvent im Blick auf das Wormser Religionsgespräch außer der dargelegten weitreichenden Entkräftung der Direktiven des Regensburger Nebenabschieds?179 Das greifbarste Ergebnis war das als Richtschnur für die Gesprächsteilnehmer gedachte „Bedenkhen und Verzaichnuß zu einer vorberaitung des zuk nfftigen Colloquii gestellt, welcher gestalt vnsers thails verordneten Colloquenten und Adjuncten sich in selben verhalten und erzaigen sollen“180. Allerdings zeigt der Titel der Handreichung bereits an, daß es auch hier nicht gelungen war, den ursprünglich intendierten Grad an Verbindlichkeit zu erreichen. In der Proposition waren die Stände noch aufgefordert worden, dazu Stellung zu nehmen, wie eine „[e]inhellige Instruction zum colloquio in zusammen mit den Bestimmungen des Regensburger Nebenabschieds über den Wormser Vorkonvent, der Grund gewesen sein für Johann Friedrichs Absicht, nach Worms zu kommen. 178 Vgl. Fligge, S. 365 f. 179 Heppes Einschätzung des Verhältnisses zwischen dem Regensburger Nebenabschied und den Frankfurter Beschlüssen, festgemacht an dem von ihm als „Information“ bezeichneten ‚Verzeichnis‘, ist direkt entgegengesetzt: „Im Ganzen enthielt die Information […] nichts als die Bestätigung des Regensburger Nebenvergleichs.“ (Heppe I, S. 152). Wie Heppe zu dieser Auffassung kommt, ist unerfindlich. 180 ‚Verzeichnis‘, Titel: Sattler IV, Anhang S. 119, Nr. 40.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung135
materia & forma am allerbesten zubegreifen und zustellen“181 wäre. Doch hatten die Theologen in ihrem Bedenken über die Proposition sich ausbedungen, das zu verabschiedende Dokument solle nicht als Instruktion, sondern als „ein ungefarlich bedenken“ bezeichnet werden.182 In der ausführlicheren Fassung des Bedenkens bestanden sie anschließend für den Fall inakzeptabler Zumutungen der Gegenseite auch noch darauf, „das sie sich daruber mit ires teils Assessoribus und Auditoribus haben zu vnderreden vnd zu beratschlagen, vnd darvf sich zu entschliessen, ob sie sich mit dem gegenteil solcher gestalt einlassen […] wollen.“183 Es ging den Theologen also um Bewegungsspielraum für das Gespräch. Damit bauten sie aber zugleich bindenden Vorgaben der Stände auf dogmatischem Gebiet vor. Das Ansinnen der Theologen hatte gute Aussichten auf Erfolg, hatte doch Württemberg schon am 21. Juli geraten, die vorgesehene Handreichung für die Gesprächsteilnehmer nicht als Instruktion einzustufen, sondern ihr einen niedrigeren Grad an Verbindlichkeit zuzumessen184 – eine bemerkenswerte Wendung, nachdem Herzog Christoph bislang vehement für eine gemeinsame Instruktion der Fürsten eingetreten war.185 Wenn Württemberg nun gleich zu Beginn des Frankfurter Konvents zumindest terminologisch davon abrückte, so sind dafür mehrere Gründe denkbar: Ein Grund könnte das diplomatisch motivierte Argument gewesen sein, welches bereits die württembergischen Reichstagsgesandten ihrem Herzog entgegengehalten hatten, daß nämlich die Theologen, wenn man ihnen eine Instruktion auferlegte, den Vorwurf der Gegenseite befürchten müßten, „daß sie wider dieses wercks art ex prescripto et speciali mandato handlen müssten.“186 Denkbar ist auch, daß die württembergischen Räte und Theologen frühzeitig die Stimmung unter den übrigen Konventsteilnehmern erkannten und daher eine offenere Form für besser durchsetzbar hielten als eine stark bindende Instruktion. Ein weiterer Gesichtspunkt könnte schließlich gewesen sein, daß wegen der Partikularität des Frankfurter Konvents keine gemeinsame Instruktion für alle protestantischen Stände zustande kommen konnte. Angesichts all dessen könnte es im württembergischen Interesse gelegen haben, sich eine gewisse Flexibilität im Vorgehen zu erhalten und den abwesenden Ständen nicht vorzugreifen. 181
‚Proposition‘, Punkt 1: Sattler IV, Anhang S. 108, Nr. 39. ‚Theologenbedenken‘: Ernst IV, S. 366, Nr. 292, Beil. 1. 183 Die ausführlichere Fassung des Theologenbedenkens ist unter der Überschrift „De Materia et Forma Colloquii“ abschriftlich in preußischen Aktenbeständen erhalten: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 33v–36r; hier fol. 34r. 184 Vgl. ‚Kurpfälzisches Protokoll‘: Ernst IV, S. 366, Nr. 292, Beil. 1, Anm. 2. 185 Vgl. oben Abschnitt 1.3.5 sowie S. 113 in Abschnitt 2.1.2.1 bei Anm. 71. 186 Massenbach und Eißlinger an Hzg. Christoph, Regensburg 7. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 409r–416v (= Ernst IV, S. 276, Nr. 228 [Regest]), hier fol. 409v. 182
136 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Daß den abwesenden Ständen nicht vorgegriffen werden dürfe, dafür machte sich insbesondere auch Landgraf Philipp von Hessen stark. In einer ersten von zwei Interventionen ließ Philipp erklären, „daß Alles, was hier verhandelt und beschlossen werde, für die den 1. August in Worms zusammentreffenden Theologen durchaus unverbindlich sein müße.“187 Gegen Ende des Frankfurter Konvents sorgte Philipp für Aufregung mit der Drohung, den Abschied nicht zu unterzeichnen, wenn die Unverbindlichkeit der Beschlüsse für die abwesenden Stände nicht deutlicher ausgesagt würde. Der Abschied müsse so gehalten sein, „das die andern mitreligionsverwandten churfursten, fursten und stende, welche diser zeit hie nicht zugegen, sampt diser stende botschafften, […] solchs zu mindern und zu mehrern oder gar abzuthun und ein neues aus izigem diser theologen und anderem irem selbst mehrerm bedenken zu machen hetten.“188
Der zweibrückische Kanzler wird nicht fehlgegangen sein mit seiner Vermutung, die hessische Intervention sei „durch und mit den sächsischen geredt und gehandlt.“189 Tatsächlich dürfte Philipp darauf bedacht gewesen sein, die Interessen seines engen Verbündeten, des Kurfürsten von Sachsen, zu wahren. Es ist sogar gut vorstellbar, daß er oder seine Räte in direktem Kontakt mit den immer noch in Frankfurt anwesenden kursächsischen Gesandten zum Katzenelnbogischen Tag gestanden haben. Die hessische Forderung fand, der Formulierung nach etwas abgeschwächt,190 Berücksichtigung in Artikel 6 des Frankfurter Abschieds, der über Konvent und Abschied erklärt, daß man damit keineswegs „andern abwesenden Christenlichen Churf rsten F rsten und Stenden in einem oder andern f rzugreiffen gedenkh“191. Vielmehr habe man die „einhelligkhait in der Leer betzeugen“ und einen künftigen Konvent vorbereiten wollen; auch sei man bereit, sich an schriftgemäße Vorschläge der abwesenden Stände anzuschließen.192 Noch deutlicher als die damit vorgenommene Selbstrelativierung des Frankfurter Abschieds fiel der Verbindlichkeitsvorbehalt aus, der als Schlußklausel das ‚Bedenkhen und Verzaichnuß‘ abschließt: 187 Intervention Ldgf. Philipps, 24. Juni (Datum nach Ernst): Heppe I, S. 150 (Paraphrase); vgl. Ernst IV, S. 371, Nr. 292, Beil. 2, Anm. 3. 188 Hessische Erklärung zu den Frankfurter Beschlüssen: Ernst IV, S. 370, Nr. 292, Beil. 2. Zu Philipps zweiter Intervention vgl. das ‚Pfalz-zweibrückische Protokoll‘ zum 29. und 30. Juni 1557: Ernst IV, S. 363 f., Nr. 292; vgl. ferner: Heppe I, S. 151 f. 189 Vgl. ‚Kurpfälzisches Protokoll‘: Ernst IV, S. 363, Nr. 292, Anm. 15. 190 Zu den Verhandlungen mit Philipp vgl. ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ zum 29. Juni 1557: Ernst IV, S. 363 f., Nr. 292. 191 ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 6: Sattler IV, Anhang S. 117, Nr. 40. 192 ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 6: Sattler IV, Anhang S. 117, Nr. 40.
2.1 Württembergisch-pfälzische Bemühungen um eine konzertierte Vorbereitung137
„Diese verzaichnus ist allein zu einer vnuergriffenlichen erinnerung gesteltt, damit man sich vor anfang des colloquii mit den andern abwesenden Churf rsten F rsten und Stenden, so die jeren auch zu dem colloquio ordnen sollen, desto f eglicher haber weiter zu underreden, Jr rathsam bedenkhen anzuh ren und sich mit denselben desto mithelliger zuuergleichen“193.
Was ursprünglich als bindende fürstliche Instruktion gedacht war, wurde so schließlich zu einer Art Memorandum mit ausdrücklich relativierter Verbindlichkeit. Soweit allerdings die am Frankfurter Konvent beteiligten Stände Deputierte nach Worms entsandten – das war der Fall bei Württemberg, Kurpfalz, Hessen, Brandenburg-Ansbach, Straßburg und den Grafen –, sind keine eigenen Instruktionen zum Wormser Religionsgespräch überliefert. Das könnte bedeuten, daß bei den beteiligten Ständen das Frankfurter „Bedenkhen und Verzaichnuß“ doch an die Stelle einer Instruktion trat. Daneben hätten die betreffenden Stände dann allenfalls technische Instruktionen aufgestellt, die weder in die archivalische Überlieferung Eingang gefunden noch inhaltliches Gewicht in den Wormser Verhandlungen bekommen hätten.194 Das „Bedenkhen und Verzaichnuß“ scheint somit in all seiner Unverbindlichkeit bei den beteiligten Ständen eigene Instruktionen ersetzt zu haben. Außerdem löste es in Verbindung mit dem Frankfurter Abschied für die beteiligten Stände den Regensburger Nebenabschied als maßgebliche Vereinbarung über die Vorbereitung und Durchführung des Wormser Religionsgesprächs ab. Nach Worms wurden somit die Deputierten der verschiedenen Stände auf unterschiedlicher Grundlage abgefertigt, je nachdem, ob sie den Frankfurter Abschied rezipierten oder am Regensburger Nebenabschied festhielten oder gar einen dritten Weg einschlugen – mit allen abträglichen Folgen, deren man deswegen gewärtig sein mußte.
193
‚Verzeichnis‘, Schlußklausel: Sattler IV, Anhang S. 123, Nr. 40. Das ist zu vermuten für die württembergische Instruktion, die im Zusammenhang der Abfertigung Jakob Andreaes nach Worms in einem Schreiben Herzog Christophs an seine Räte erwähnt wird (vgl. Hzg. Christoph an Plieningen, Fessler und Knoder, Hirsau 1. August 1557: Ernst IV, S. 389, Nr. 303, Anm. 3 [Regest]). Der Herzog kritisierte diese Instruktion später nach eigener Lektüre als „stumpf und irrig gnug“ (Hzg. Christoph an Plieningen, Fessler, Knoder und Wild, Pfullingen 26. August 1557: Ernst IV, S. 406, Nr. 318) und entwarf selbst eine zweite, heute verschollene, von Kugler aber noch benutzte Instruktion (vgl. Ernst IV, S. 406, Nr. 318, Anm. 2; Kugler II, S. 60 bei Anm. 106, S. 61, Anm. 109 sowie S. 72 bei Anm. 3). Christophs spätere Angaben zu seiner Instruktion für die württembergischen Deputierten beziehen sich auf die zweite Instruktion (vgl. Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 462, Nr. 366; ders. an Ldgf. Philipp, Stuttgart 31. Dezember 1557: Ernst IV, S. 463, Nr. 368). 194
138 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen 2.2.1 Verpflichtung auf den Regensburger Nebenabschied: Die Weimarer Instruktion Das ernestinische Herzogtum Sachsen-Weimar spielte unter den zum Wormser Religionsgespräch entsendenden CA-verwandten Ständen eine wichtige, für den Verlauf sogar entscheidende Rolle. Am Frankfurter Konvent war das Herzogtum jedoch nicht beteiligt und ging daher bereits in den Vorbereitungen einen eigenen Weg. Von besonderem Interesse ist dabei die herzogliche Instruktion vom 27. Juli,195 erstellt aufgrund einer Reihe teils angeforderter, teils aus eigenem Antrieb aufgesetzter Gutachten. Auf diese ‚Weimarer Instruktion‘ beriefen sich in Worms die gnesiolutherischen Dissidenten, soweit sie vom Herzogtum Sachsen deputiert waren, zur Begründung ihres abweichenden Verhaltens in den innerevangelischen Auseinandersetzungen vor Beginn und während des Religionsgesprächs. Als die herzogliche Instruktion am 27. Juli ausgefertigt wurde, war der Frankfurter Abschied in Weimar längst eingetroffen196 und auch bereits im Auftrag der Herzöge begutachtet worden197. Wie zu zeigen sein wird, macht die ‚Weimarer Instruktion‘ in wichtigen Punkten andere Vorgaben als der Frankfurter Abschied. Es griffe jedoch zu kurz, die Instruktion als einen bloßen Gegenentwurf zum Frankfurter Abschied aufzufassen. Denn ihre Grundlinien sind in einem gemeinsamen Gutachten198 der Jenaer Theologieprofessoren Schnepf, Strigel und Flacius vom 9. Juli vorgezeichnet, noch bevor die Auseinandersetzung mit dem Frankfurter Abschied einsetzen konnte, der gerade erst in Weimar eingetroffen sein dürfte. Auch kommt in der ‚Weimarer Instruktion‘ sachlich der positiven Bezugnahme auf den Regensburger Nebenabschied mehr Gewicht zu als der Abgrenzung vom Frankfurter Abschied, der nicht einmal erwähnt wird. So stellt die 195 Die herzogliche Instruktion vom 27. Juli, im folgenden zitiert als ‚Weimarer Instruktion‘, liegt vor im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar im Bestand des Ernestinischen Gesamtarchivs unter Reg. N 231, fol. 11r–21r sowie als damit übereinstimmendes Konzept unter Reg. N 235, fol. 2r–10v. Sie ist in Auszügen nach einer Wolfenbütteler Abschrift abgedruckt in CR 9, Sp. 213–215, Nr. 6302. Das Weimarer Konzept ist abgedruckt bei Wolf, S. 316–326, Nr. 34. Nach Wolfs zuverlässigem Abdruck wird im folgenden zitiert; die Zitate werden innerhalb des Abschnitts 2.2.1 durch das Kürzel ‚Weim. Instr.‘ und Seitenangabe nach Wolf im Text belegt. 196 Vgl. Ernst IV, S. 378, Nr. 295, Anm. 3; ebd., S. 382, Nr. 298, Anm. 1 f. 197 Schnepf, Strigel und Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 20. Juli 1557: Wolf, S. 301, Nr. 30 (Regest) = Ernst IV, S. 384 f., Nr. 300, Anm. 1 (ausführlicheres Regest). 198 Schnepf, Strigel und Flacius an die Herzöge von Sachsen, Jena 9. Juli 1557: Wolf, S. 300 f., Nr. 29 (Regest).
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
139
‚Weimarer Instruktion‘ kein bloßes „Echo“ auf den Frankfurter Abschied dar.199 Sie ist vielmehr ein eigenständiger Beitrag zur Vorbereitung auf das Wormser Religionsgespräch, mit dem das Herzogtum Sachsen den Vorgaben des Regensburger Nebenabschieds für die Abfertigung der Gesprächsteilnehmer nachzukommen suchte. 2.2.1.1 Das Profil der Instruktion nach ihren Beilagen Einen guten Zugang zur Eigenart der ‚Weimarer Instruktion‘ bietet eine Analyse der umfangreichen Beilagen. Ihre Reihe wird, ausgezeichnet als Beilagen A und B, eröffnet durch Auszüge aus dem Regensburger Reichsabschied und eine Abschrift des Nebenabschieds der Augsburger Konfessionsverwandten (vgl. Weim. Instr.: S. 317). Die beiden Stücke werden eingeführt als Rechtsgrundlage für das Religionsgespräch respektive den Vorkonvent der evangelischen Gesprächsteilnehmer. Der Rückgang auf den Reichsabschied als eigentliche Veranlassung des Religionsgesprächs legte sich nahe und findet sich auch in anderen Instruktionen.200 Deutlicher dem eigenständigen Profil der ‚Weimarer Instruktion‘ ist hingegen der Umgang mit dem Regensburger Nebenabschied zuzurechnen. Er wird nicht nur als Rechtsgrundlage für den Vorkonvent eingeführt, sondern durch die gesamte Instruktion hindurch immer wieder ausführlich und mit Zustimmung in der Sache zitiert (vgl. Weim. Instr.: S. 317 f.319.323). Verglichen mit den Frankfurter Beschlüssen zeigt sich hier eine gegenläufige Tendenz: Während die Frankfurter Beschlüsse den Nebenabschied in entscheidenden Punkten relativieren oder sogar außer Kraft setzen,201 macht die ‚Weimarer Instruktion‘ sich die Vorgaben des Nebenabschieds zu eigen und verstärkt sie teilweise noch. So wird die Maßgabe des Nebenabschieds, daß die Kolloquenten sich „der ordnung und form der Augspurgischen Confession und daraus anno 37 zu Schmalkalden gezogner Articul durchaus sollen verhalten[,] im wenigsten nit abhalten lassen noch daran etwas begeben,“202 bei der Wiedergabe in der Instruktion durch Näherbestimmungen deutlich verschärft: Den Kolloquenten wird nunmehr auferlegt, „sich in solchem 199 Unter der Überschrift „Das Echo aus Dresden und Weimar“ stellt von Bundschuh die kursächsischen und herzoglich-sächsischen Vorbereitungen auf das Wormser Religionsgespräch dar (v. Bundschuh, S. 279–286; die Überschrift S. 279). Indem er diese Vorbereitungen als „Reaktion der beiden sächsischen Höfe“ auf den Frankfurter Abschied einstuft (S. 279; vgl. S. 281), verkennt er ihre Eigenständigkeit und ihr Eigengewicht. 200 Vgl. die Einleitungen der auf dem Frankfurter Konvent verabschiedeten Handreichung für die Gesprächsteilnehmer (‚Verzeichnis‘, Einleitung: Sattler IV, Anhang S. 119, Nr. 40) und der kursächsischen Instruktion (‚Kursächsisches Memorial‘: Wolf, S. 291 f., Nr. 26). 201 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2. 202 Art. 4 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 103, Nr. 37.
140 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Colloquio der Ordnung vnnd form der Augspurgischen Confession vnd denn Schmalkaldischen Artickeln durchaus gentzlich zu erhallten gegenn denn Papistenn[,] In dem aller wenigsten wie geringe das sein magk, nicht zu weichenn noch etwas zu begebenn“203. Offensichtlich waren die Verfasser der ‚Weimarer Instruktion‘ mit den gnesiolutherischen Akzenten des Regensburger Nebenabschieds einig und bemühten sich, diese Akzente noch zu unterstreichen. Die positive, im einzelnen die gnesiolutherischen Akzente noch verstärkende Rezeption des Regensburger Nebenabschieds im ernestinischen Sachsen war insofern vorgezeichnet, als der Nebenabschied unter der Federführung des langjährigen ernestinischen Rates Eberhard von der Thann entstanden war. Wegen seines Übertritts in kurpfälzische Dienste war es im Zusammenhang des Regensburger Reichstags zwar zu Auseinandersetzungen zwischen Thann und den Herzögen gekommen.204 In der Sache aber war Thann auch als kurpfälzischer Großhofmeister in Regensburg ganz auf der konfessionspolitischen Linie des ernestinischen Sachsen geblieben und hatte sie im Nebenabschied zur Durchsetzung gebracht. Zudem waren mit dem Kanzler Christian Brück und dem Rat Lukas Thangel zwei führende Mitglieder der herzoglichen Kanzlei an der Erstellung und Verabschiedung des Nebenabschieds beteiligt gewesen.205 Eben in der herzoglichen Kanzlei aber dürfte die Instruktion von Juristen konzipiert worden sein,206 wie nicht nur der gut juristische Einsatz bei den Rechtsgrundlagen vermuten läßt, sondern wie es insbesondere die letzten Beilagen (vgl. Weim. Instr.: S. 325) zur Instruktion nahelegen. Dabei handelt es sich um drei Konvolute mit Akten über die Reichsreligionsgespräche von 1540 und 1541 in Hagenau, Worms und Regensburg sowie je ein Exemplar der sogenannten ‚Straßburger Reformation‘ Martin Butzers von 1544 und der von Melanchthon konzipierten ‚Wittenberger Reformation‘ von 1545, zweier auf Anforderung des Kaisers für den Wormser Reichstag 1545 erarbeiteter, aber nicht einmal zur Erörterung gelangter Entwürfe für eine einvernehmliche Regelung der Religionsverhältnisse im Reich207. Mit den genannten Stücken aus ihrem Archiv versorgte die Kanzlei die herzoglich-sächsischen Deputierten, damit sie sich über frühere Verständigungsbemühungen orientieren und daraus Schlüsse für die gegenwärtigen Verhandlungen ziehen könnten – Zeugnisse einer gründlichen 203
‚Weimarer Instruktion‘: Wolf, S. 323, Nr. 34; Hervorhebungen B. S. Vgl. Körner, S. 136. 205 Vgl. oben im Abschnitt 1.3.4 bei Anm. 149. 206 Das ist keine Selbstverständlichkeit. So wurden etwa im Herzogtum Württemberg viele wichtig Dokumente vom Herzog selbst konzipiert. Auch eine stärkere Beteiligung von Theologen wäre denkbar. 207 Vgl. dazu Wolgast, Art. Reichstage der Reformationszeit 3., S. 465; Schmidt, Melanchthon, S. 437–443; Bizer, Reformationsgeschichte, S. 139, Anm. 29. 204
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
141
und ernsthaften Vorbereitung auf das Religionsgespräch, wobei auf den besonderen Akzent, der mit der Beifügung von ‚Straßburger‘ und ‚Wittenberger Reformation‘ gesetzt wird, noch einzugehen ist, wenn der Anteil des Flacius an der Konzeption der Instruktion erörtert wird. Zuvor aber sind noch die eigentümlichsten Beilagen zur Instruktion in den Blick zu nehmen: Mit den Buchstaben C, D und E bezeichnet, werden den Räten und Theologen je ein Exemplar der CA, der Apologie der CA und der Schmalkaldischen Artikel mitgegeben (vgl. Weim. Instr.: S. 323 f.). Vergleichbare Beilagen gab es bei keinem anderen Stand. Und einem Theologen vom Format Schnepfs, der am Augsburger Reichstag 1530 teilgenommen208 und die Schmalkaldischen Artikel 1537 unterzeichnet hatte209, diese Bekenntnisschriften ins Gepäck zu legen, erscheint auf den ersten Blick erstaunlich, wenn nicht gar als eine Zumutung, da man bei ihm wie auch den übrigen Gesandten Kenntnis und Verfügbarkeit dieser Schriften voraussetzen konnte. Allerdings haben diese Beilagen außer einem vielleicht auf Reisen doch nicht zu unterschätzenden praktischen Nutzen vor allem eine symbolische Funktion. In ihnen wird das zentrale Anliegen der Instruktion greifbar: die unbedingte Bindung der Herzöge wie auch der von ihnen gestellten Deputierten auf dem Religionsgespräch an die CA, deren Apologie und die Schmalkaldischen Artikel. Das zentrale Anliegen durchzieht als feierliche Selbstverpflichtung, als Postulat gegenüber anderen Ständen und als oberste Norm für das Handeln der eigenen Gesandten die gesamte herzogliche Instruktion; die nicht weniger als fünfzehnmal erfolgende Nennung der drei Bekenntnisschriften wirkt beinahe wie ein Kehrvers. Eingeführt wird das Anliegen in Form eines Rückgriffs auf das geschichtliche Vorbild der Vorfahren und insbesonders des Vaters der jetzigen Herzöge, Johann Friedrichs des Großmütigen. Herzog Johann Friedrich der Mittlere210 erinnert daran, daß in der Religionssache „weiland vnsere vorfahrenn und herr Vatter selliger und löblicher gedechtnus darbey Innhalt der Augspurgischen Confession, Apologie vnnd erfolgten Schmalkaldischen Artickeln, vormittelst Göttlicher gnade bis an Ir Ende mit darsatzung Ihrer Lande, Leute vnnd vermugenn bestenndig verharret.“ (Weim. Instr.: S. 319). Das väterliche Vorbild und Erbe ist dem Herzog Verpflichtung: „So seint wir deren L. und gnaden durch Gottes hulf auch zu volgenn vnnd ihn Irer L. u. Gn. fusstapfen zu tretten vnd darbei vnnd also der einmal erkantenn vnnd angenommenen Reinen lehre vnnd Gottes wortt des heiligen Euangelii vormuge bemelter Augspurgischen Confession 208
Vgl. Hartmann, S. 22–27. Vgl. BSELK, S. 465, Z. 3. 210 In den überlieferten Exemplaren der ‚Weimarer Instruktion‘ ist nicht kenntlich gemacht, in wessen Namen die Instruktion ergeht. Gemäß dem Resignationsvertrag zwischen den drei jungen Herzögen vom 13. Mai 1557 führte zum Zeitpunkt der Ausfertigung der Instruktion aber bereits Johann Friedrich der Mittlere allein die Regierungsgeschäfte, was einschloß, daß alle Erlasse in seinem Namen ergehen sollten (vgl. Beck I, S. 164 f.). 209
142 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Apologie vnnd den Schmalkaldischen Artickeln auch zu bleibenn endtlich bedacht und entschlossen.“ (ebd.).
Die feierliche Selbstverpflichtung, nach dem väterlichen Vorbild bei der reinen Lehre gemäß CA und Schmalkaldischen Artikeln zu bleiben, ist der Dreh- und Angelpunkt der Instruktion: Sie gibt den Maßstab für die Beurteilung des Verhaltens der anderen Stände ab und fungiert als bindende Vorgabe für die eigenen Deputierten. Ihr Inhalt ist die Maxime der ernestinischen Konfessionspolitik, die Johann Friedrich der Ältere 1553 in seinem Testament festgeschrieben hatte, wobei er die Verpflichtung auf CA und Schmalkaldische Artikel211 mit einer Perspektive auf Zugewinn an Herrschaftsgebiet verknüpfte.212 Für Johann Friedrich den Älteren, der sich im Kopf des Testaments als „geporner Churfurst“ auswies,213 und für seine Söhne bedeutete das in erster Linie Rückgewinn der infolge der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg an die Albertiner verlorenen Gebiete und der sächsischen Kurwürde. Um Rückgewinnung ging es der ernestinischen Politik aber nicht nur in der Territorialpolitik. Auch für die Konfessionspolitik war Rückgewinnung aus ernestinischer Sicht eine wichtige Kategorie; und Territorialpolitisches ließ sich von Konfessionspolitischem gar nicht trennen. So wurden der Verlust der Kurwürde und die Gebietsverluste mit einiger Berechtigung als Folge der Standhaftigkeit in der Religionsfrage gesehen. Die um des Evangeliums willen durchstandenen Belastungen der Niederlage und Gefangennahme im Schmalkaldischen Krieg und der standhafte Widerspruch gegen das Interim verliehen dem konfessionspolitischen Vermächtnis des geborenen Kurfürsten eine besondere Dignität, der eines Märtyrers ähnlich, weshalb in der Instruktion daran erinnert wird, daß er bis an sein Ende „mit darsatzung“ von Land, Leuten und Vermögen beim evangelischen Glauben verblieben sei (Weim. Inst.: S. 319). Wie in politischer und territorialer Hinsicht, so schien auch in den kirchlichen Verhältnissen und der Theologie 211 Die im Testament nicht eigens erwähnte Apologie dürfte gerade in der Zusammenstellung von CA und Schmalkaldischen Artikeln mitgemeint sein, galten doch im Schmalkaldischen Bund schon seit 1531 CA und Apologie „gemeinsam als Lehrgrundlage“ (Sperl, Art. Augsburger Bekenntnis III. Apologie, S. 633). 212 Johann Friedrich der Ältere hatte seinen Söhnen testamentarisch auferlegt, sie sollten „aufsehens haben, doran sein und verschaffen, Damitt in Irer libden Landen, souil sie derer dotzumhal haben vnd durch Gotliche vorleihung kunfftig bekomen werden, Gottes Reynes wortt, Euangelium vnd Religion, wie es […] berurter Augsburgischen Confession, auch den Articuln gemes ist, welche durch Marthin Luther […] gestellt worden sein, vnd sich die Chur vnd Fursten der gewesen Aynunge mitt genanttem doctor Marthin seligen vnd allen iren Theologen vf gehalttenem tage zu Schmalkalden im 1537 Jhar einhelliglich verglichen, muge blieben, gefurdertt vnd erhaltten werden“ (Testament Hzg. Johann Friedrichs d. Ä.: Volz, Urkunden, S. 209, Abschnitt VI, Nr. 7; Hervorhebung B. S.). 213 Testament Hzg. Johann Friedrichs d. Ä.: Volz, Urkunden, S. 209, Abschnitt VI, Nr. 7.
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
143
eine Rückkehr zum Zustand vor Schmalkaldischen Krieg und Interim als wünschenswert und um der Sache des Evangeliums willen geboten. So heißt es in der Instruktion ausdrücklich, es wäre zu wünschen, „das es vnter vnnd mitt allen Augspurgischen Conffesion vorwandten Churfursten, fursten, stenden vnd stedten In Gottes Reinen Worts, des heil. Evangelii vnnd Christl. Religion sachen nochmals stunde, vnnd geschaffen were, wie es fur zehen Jharen vnnd fur vnsers herrn vnd vatters […] niderlage gewest, do man dieses teils ganntz einig vnd wider den Papistisch teyll fur einenn man mitt einem hertzen, Glauben vnnd mundt gestritten, gefochten vnnd gestannden“ (Weim. Instr.: S. 318).
Als geeignetes und gebotenes Mittel zur Verwirklichung des restaurativen Programms der ernestinischen Konfessionspolitik erschien die Durchsetzung der unbedingten Verpflichtung auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel gemäß der von den Vorfahren übernommenen Tradition und der testamentarischen Verfügung des Vaters. Das wird darin greifbar, daß die drei Bekenntnisschriften als Anlagen zur Instruktion nach Worms mitgegeben werden. 2.2.1.2 Die conditio sine qua non für eine Beteiligung am Religionsgespräch Läßt sich somit im Einklang mit der Grundausrichtung der ernestinischen Konfessionspolitik die unbedingte Verpflichtung auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel als zentrale Forderung der Instruktion identifizieren, so ist weiter zu klären, wie die Forderung in der Instruktion für das Wormser Religionsgespräch eingesetzt und zur Geltung gebracht wird, ausgehend von einer Analyse der sachlichen Gliederung der Instruktion. Wie bereits die einleitende Angabe der Rechtsgrundlagen,214 des Regensburger Reichsabschieds für das Religionsgespräch und des Nebenabschieds für den Vorkonvent (Weim. Instr.: S. 316–318), so ist auch die weitere Instruktion der Sache nach zweigeteilt in Anweisungen für den Vorkonvent (Weim. Instr.: S. 318–322) und Anweisungen für das Religionsgespräch selbst (Weim. Instr.: S. 322–325). Die Abfolge der beiden Teile ist nicht allein zeitlich bedingt, sondern entspricht der beabsichtigten sachlichen Zuordnung von Vorkonvent und Religionsgespräch: Im Vorkonvent muß allererst die Voraussetzung geschaffen werden, um in das Religionsgespräch mit der römisch-katholischen Seite eintreten zu können. Genau das ist der Sinn der Formulierung, mit welcher im Anschluß an die Ausführungen zum Vorkonvent die Anweisungen für das Religionsgespräch eingeleitet werden: „Do sich nu die dinnge also schicken wie wir hoffenn wollen, das mann dieses
214
Vgl. ‚Weimarer Instruktion‘: Wolf, S. 316–318, Nr. 34.
144 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik teils obangetzeigter mass das Colloquium mitt denn Bepstischen teil wirdet furnhemenn vnnd anfahen mugen […]“215. Um welche Voraussetzung aber handelt es sich? Die Instruktion versteht das Religionsgespräch als eine Veranstaltung, in der sich zwei Parteien gegenüber stehen werden: die Augsburger Konfessionsverwandten und „der papistische Hauff“ (Weim. Instr.: S. 319). Unstreitiges Ziel in der damit gegebenen Konstellation ist es für die Herzöge, daß „dem Papistischen teill […] widerstannden, Ihre falsche lehrenn opinion vnnd meinungen mit Gottes Reinem wortt vnnd heiliger schrieft […] widerlegt werdenn“ (ebd.). Dazu aber ist „Inn alewege Einigkeitt vnnd das man vf diesem teill gentzlich vorglichenn werde vnnd fur einem Man stehe, auch aus einem glauben, hertzenn vnnd munde Rede […] von nötten“ (ebd.). Innerevangelische Einigkeit also ist die entscheidende Voraussetzung für den Eintritt in aussichtsreiche Verhandlungen mit der Gegenseite auf dem Religionsgespräch. Genau die entscheidende Voraussetzung sieht die Instruktion aber als nicht gegeben an. Während die Einigkeit der Gegenseite außer Frage steht,216 erscheint die so dringend erforderliche innerevangelische Einigkeit in der Gegenwart als Desiderat. Denn entgegen dem Wunsch nach Einigkeit wie vor zehn Jahren, vor der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg ist nach der Instruktion „doch offentlich vnd am tage, was sich bald hernacher vnnd sieder des bei vielen vnder denn Confession vorwandten aus Gottes Zornn straff vnnd vorhengknus zugetragen, Dauon man aber nicht wider abzustehen vormeint, Sondern man vorharret darinnen vnnd wirdt domitt immer forttgefahren“ (Weim. Instr.: S. 318). Die Einschätzung, daß die frühere Einigkeit nicht mehr bestehe, ist hier gekleidet in einen verklausulierten Hinweis auf das Interim. Ein Grund für die unspezifische Ausdrucksweise könnte sein, daß nicht allein auf die um Interim und Adiaphora selbst geführten Auseinandersetzungen verwiesen werden soll, sondern auf die Gesamtheit der theologischen und kirchlichen Veränderungen seit Luthers Tod und der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg. Als Konsequenz aus der vorgestellten Einschätzung ergibt sich für den Vorkonvent die Aufgabe, die erforderliche Einigkeit herzustellen. Hier sah sich der sächsische Herzog ganz im Einklang mit den Vorgaben des Regensburger Nebenabschieds für den auf den 1. August angesetzten Vorkonvent (vgl. Weim. Instr.: S. 318), zu dessen zeitiger Beschickung er daher seine Deputierten beorderte – eine Vorgabe, der die Ankunft der ernesti-
215 ‚Weimarer Instruktion‘: Wolf, S. 322, Nr. 34. Das Modalverb ‚mugen‘ ist hier streng im Sinne von ‚können‘ aufzufassen, so daß die Formulierung insgesamt einen konditionalen Sinn erhält. 216 „[…] das der papistische teil ganntz vnnd durchaus einig, Solchs ist gewiss“ (‚Weimarer Instruktion‘: Wolf, S. 319, Nr. 34).
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
145
nischen Deputierten am 6. August217 verglichen mit dem Eintreffen anderer Deputierter durchaus noch entsprach und die in deutlichem Gegensatz zur kursächsischen Verzögerungstaktik steht. Die auf dem Vorkonvent herzustellende Einigkeit soll keine bloß formale Einigkeit sein, sondern eine inhaltlich qualifizierte im Sinne der überkommenen Bekenntnisverpflichtung. Deshalb gelten die weiteren Anweisungen für den Vorkonvent der Durchsetzung eines auf die Bindung an CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln gegründeten Einigkeitskonzepts. Dabei ist zunächst einmal grundsätzlich die Bindung an die drei Bekenntnisschriften auch bei den anderen Ständen vorausgesetzt, da sie durch den Regensburgischen Nebenabschied festgeschrieben sei.218 Wie es sich damit aber tatsächlich verhält, das zu eruieren wird den herzoglich-sächsischen Deputierten aufgetragen (vgl. Weim. Instr.: S. 320). Die in der Instruktion geäußerte Vermutung geht dahin, es werde sich herausstellen, „das etzliche furgebenn, das Ihre herrnn vnd sie nicht weniger gneigt, bei der Augspurgischen Confession[,] Apologie vnnd den Schmalkaldischen Artickeln zu bleiben“(ebd.). Weiter wird aber befürchtet, daß dieselben „gleichwoll von denn Eingeschlichenen Secten vnnd furgenommenen Vorenderungen nicht zu weichen noch abtzustehenn sich ausdrucklich zu erclerenn“ bereit sein würden (ebd.). Deshalb sollen die Deputierten erstens die herzoglich-sächsische Position bekunden und erklären, sie hätten Befehl, mit niemandem Gemeinschaft zu halten, der CA und Schmalkaldischen Artikeln Widersprechendes „zu defendiren[,] zu lehrenn vnnd auszubreitten“ vorhabe (ebd.). Zweitens sollen sie auf die Durchsetzung des ernestinischen Standpunkts bei den anderen Ständen hinwirken. Dazu sollen sie von allen evangelischen Gesprächsteilnehmern eine öffentliche Verpflichtung auf die drei Bekenntnisschriften
217 Vgl. Schnepf, Monner, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 16. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 104r–105v, hier fol. 104r = Wolf, S. 326, Nr. 35 (Regest). Die Datumsangabe 15. August in Wolfs Regest ist nach dem Original zu korrigieren in 6. August. 218 Es sei „[…] Inn keinen Zweiffel zu setzenn, die andern der Confession vorwandte stende, Theologen Gelerrte vnnd Rethe werden gleicher gestallt befelh habenn vnnd abgefertigt worden sein, bey der Augspurgischen Confession Apologie vnnd den Schmalkaldischen Artickeln wie obgemelt endtlich auch zuuorharren Inmassen dann der Rethe zu Regensburgk gemachter Abschied dauon Inn sonderheit ausdrucklich auch meldung thutt.“ (‚Weimarer Instruktion‘: Wolf, S. 319, Nr. 34). Die Instruktion bezieht sich hier auf die Maßgabe des Nebenabschieds für die Instruierung der Teilnehmer, daß diese sich im Religionsgespräch „der ordnung und form der Augsburgischen Confession und daraus anno 37 zu Schmalkalden gezogner Articul durchaus sollen verhalten“ (Art. 4 NA Regensburg: Sattler IV, Anhang S. 103, Nr. 37). Daß im Nebenabschied die Apologie nicht eigens erwähnt wird, ist wegen deren allgemein vorausgesetzter Zusammengehörigkeit mit der CA ohne Gewicht (vgl. oben Anm. 211).
146 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik und eine ausdrückliche und namentliche Verwerfung einzeln aufgeführter abweichender Lehren verlangen (vgl. ebd.). Die „Irrthumbe Neue vnnd allte“, deren Verwerfung gefordert wird, sind sieben an der Zahl: (1) Wiedertäufer, (2) Zwinglianer und „Sacrament schwermer“, (3) Osiander „mitt seinem Neu errichten Irrthumb von der wesentlichen Gerechtigkeit“, (4) Maior „mit seiner Neuen Corruptel de necessitate operum“, (5) „Vielerley Greuliche Irthumb Caspar Schwenkfelders“, (6) die Servetianer, welche „die allten greulichen Ketzereien wider die Person vnnd Gottheit Jhesu Christi erneuernn“ und schließlich (7) „Alle so Ihrenn falh vnnd Defection Zur Zeitt des Interims vnnd auch vor sich zugetragenn, nicht erkhennen, sondern noch verfechten vnnd verteidinngen vnd etzliche Impias Caeremonias nicht abthun wollen“ (Weim. Instr.: S. 320 f.). Die Liste wird abgeschlossen und legitimiert durch den Hinweis, daß „der Augspurgische Reichs abschied vnnd aufgerichte friede solche Sectnn zum teil namhafftig begreifft vnd ausschleust“ (Weim. Instr.: S. 321) – eine Argumentationsfigur, die ähnlich bereits schon im Regensburger Nebenabschied Verwendung gefunden hatte, wo die Begrenzung des Augsburger Religionsfriedens auf die römisch-katholische Seite und die Augsburger Konfessionsverwandten zur innerevangelischen Grenzziehung eingesetzt worden war.219 Die Bedenken hinsichtlich der Bekenntnistreue der anderen Stände bestimmen auch die Einschätzung der Erfolgsaussichten des angeordneten Vorgehens. So wird befürchtet, es werde sich „[i]n denen puncten […] bey vielenn stossenn, weil niemandts gesundigt noch unrecht gethan haben vnd also gott die Ehr […] geben will.“ (Weim. Instr.: S. 321). Es besteht aber in der Frage der Verwerfungen keinerlei Spielraum, weil „Gottes wortt vnnd Euangelium auch die Augspurgische Confession Apologia vnnd die Schmalkaldischen Artickel solchs alles ausschliessen vnnd demselben gentzlich entgegen vnnd zuwider ist“ (ebd.). Das Bekenntnis zu CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln in Verbindung mit der Verdammung der Sekten und Irrtümer ist darum alternativlos. Immerhin besteht aber die Erwartung, daß die herzoglich-sächsischen Deputierten den angeordneten Weg „sambt etzlichen andernn ConfessionVorwandten[,] die ane Zweiffell hierinnen bey Ihnen stehenn“ (ebd.), würden gehen können. Gemeinsam mit den erhofften Mitstreitern ist dann aber auch eine klare Grenze zu ziehen gegenüber den übrigen Ständen, die auch „vf vorgehennde freundtliche vnnd fleissige Auch Christliche erInnerunge [sic!] vnnd Ermahnung nicht zu gewinnen sein wollen“ (ebd.). Wie vom Regensburger Nebenabschied vorgesehen, sollen sie „ausgeschlossenn und nicht zugelassen sein“ (ebd.). 219 Vgl. Art. 2 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 102, Nr. 37, erläutert oben in Abschnitt 1.3.2 bei Anm. 52.
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
147
Das ist insofern eine extensive Auslegung des Nebenabschieds, als in jenem die Verwerfung abweichender Lehren vorausgesetzt220 und die Zulassung zumindest explizit nur von der Abfertigung auf CA und Schmalkaldische Artikel abhängig gemacht ist.221 Im Argumentationsgefälle der ‚Weimarer Instruktion‘ ist die extensive Auslegung aber konsequent, da die Instruktion eine Affirmation der Bekenntnisschriften nur in Verbindung mit der Negation von abweichenden Lehren anerkennt. Auf der pragmatischen Ebene wird hier der grundlegende Befehl, mit niemandem Gemeinschaft zu haben, der etwas den Bekenntnisschriften Entgegenstehendes vertritt, in eine konkrete Handlungsanweisung überführt. 2.2.1.3 Die Vorgaben für das Religionsgespräch selbst Der zweite Teil der Instruktion (Weim. Instr.: S. 322–325) gilt dem Religionsgespräch selbst, in das einzutreten erst nach dem erfolgreichen Abschluß des Vorkonvents möglich wäre. Am Beginn steht eine Auseinandersetzung mit dem vom Reichsabschied vorgeschriebenen Stillschweigen über die Verhandlungen. Anschließend wendet sich die Instruktion den Verhandlungen selbst zu, näherhin der Gesprächsgrundlage und der inhaltlichen Norm für das Gespräch. Ausführlich und verstärkt222 wird Artikel 4 des Nebenabschieds zitiert und seiner Maßgabe entsprechend den herzoglichen Räten und Theologen befohlen, von CA und Schmalkaldischen Artikeln als verbindlicher Grundlage des Gesprächs nicht abzugehen (Weim. Instr.: S. 323). Über den Nebenabschied hinausgehend wird ihnen auferlegt, für die Wahrung der Übereinstimmung mit CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln „Inn wortten vnnd Sinnen“ Sorge zu tragen, und zwar sowohl in der Weise, daß man „dieses teils“ dabei bleibe, als auch in der Hinsicht, daß man sich Versuchen der römisch-katholischen Seite verweigere, „Solche artickell vnnd punct mitt neuen vnuorstentlichen oder ungewenlichen wortten zu uordunkeln oder missvorstendig zumachen“ (Weim. Instr.: S. 323 f.). Eine solche buchstabengetreue Verpflichtung auf den Wortlaut der Bekenntnisschriften findet sich sonst nicht223 und ist ein schwerwiegender Schritt im Prozeß der Normierung des Bekenntnisses. Schließlich werden Vorkehrungen für den Fall getroffen, daß während des Religionsgesprächs „Imandts vnder denn Augspurgischen Confession Vorwandten vonn der Confession Apologia vnd denn Schmalkaldischen Artickeln abfallen“ sollte (Weim. Instr.: S. 324). In diesem Fall sollen die herzoglichen Deputierten sich selbst „vhestiglich vnnd stanndhaftigk“ an die 220
Vgl. Art. 2 NA Regensburg: Sattler IV, Anhang S. 102, Nr. 37. Vgl. Art. 4 NA Regensburg: Sattler IV, Anhang S. 103, Nr. 37. 222 Vgl. oben bei Anm. 203. 223 Vgl. Hauschild, S. 237.239. 221
148 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik drei Bekenntnisschriften halten, was nicht weiter überrascht. Bemerkenswert ist sodann aber die Beschreibung der Haltung, die sie gegenüber den Abfallenden einnehmen sollen: Ihnen gegenüber sollen sie „eben so stadtlich disputiren vnnd wider sie halten helffen, als gegen denn papistischenn“ (ebd.) – das bedeutet Äquidistanz gegenüber der römisch-katholischen Seite und gegenüber in Bekenntnisfragen abweichenden Evangelischen! Mit den vorgestellten Anordnungen wird die zentrale Forderung des ersten Teils der Instruktion aufgegriffen: Die im Vorkonvent zur Herstellung einer theologisch qualifizierten Einigkeit unter den Evangelischen nach innen und nach außen durchzusetzende unbedingte Verpflichtung auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel gilt es auch in den Verhandlungen des Religionsgesprächs durchzuhalten, notfalls auch in Konfrontation mit anderen evangelischen Deputierten. 2.2.1.4 Exklusion versus Inklusion: Das konfessionspolitische Profil der Weimarer Instruktion im Vergleich mit dem Frankfurter Abschied Das konfessionspolitische Profil der herzoglich-sächsischen Instruktion tritt deutlich hervor, wenn man sie mit dem Frankfurter Abschied respektive den Frankfurter Beschlüssen insgesamt vergleicht. Der augenfälligste Unterschied liegt im Bereich der Bekenntnisverpflichtung: Während die Frankfurter Beschlüsse in offenkundiger Entkräftung der Vorgaben des Regensburger Nebenabschieds auf die Nennung der Schmalkaldischen Artikel verzichten und sich lediglich auf CA und Apologie beziehen,224 ist die ‚Weimarer Instruktion‘ durchzogen von der wiederholten Verpflichtung auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel bis hin zur greifbaren Beifügung der drei Bekenntnisschriften in Anlage. Eben das Fehlen der Schmalkaldischen Artikel stellen Schnepf, Strigel und Flacius in ihrem gemeinsamen Gutachten vom 20. Juli über den Frankfurter Abschied kritisch heraus.225 So sehr das Beharren auf CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln der allgemeinen konfessionspolitischen Linie des Herzogtums Sachsen entspricht und obgleich es bereits im ersten Gutachten vom 9. Juli226 gefordert worden war, könnte die Vehemenz, mit der es in der Instruktion verfochten wird, auch als bewußte Gegenposition zum Frankfurter Abschied gelesen werden. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Abgrenzung gegenüber abweichenden Lehrmeinungen in Verbindung mit der Frage der innerevangelischen Ei224
Vgl. oben Abschnitt 2.1.2.4. Vgl. Schnepf, Strigel und Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 20. Juli 1557: Ernst IV, S. 384, Nr. 300, Anm. 1. 226 Vgl. Schnepf, Strigel und Flacius an die Herzöge, Jena 9. Juli 1557: Wolf, S. 300f, Nr. 29 (Regest). 225
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nigkeit. Die Frankfurter Beschlüsse negieren Konflikte unter den beteiligten Theologen und Ständen und empfehlen im Blick auf den möglicherweise von der Gegenseite zu gewärtigenden Vorwurf der internen Uneinigkeit als Antwort, daß man in den Hauptpunkten einig sei.227 Abweichungen von CA und Apologie werden pauschal verurteilt; eventuellen Vorhaltungen der römisch-katholischen Seite wird mit dem Grundsatz vorgebaut, niemand dürfe ungehört verdammt werden. Von den herzoglich-sächsischen Theologen hingegen war bereits in ihrem ersten Gutachten zum Wormser Religionsgespräch die namentliche Verdammung bestimmter Irrlehren zur Gewährleistung der bekenntnismäßigen Einheit unter den evangelischen Gesprächsteilnehmern eingefordert worden.228 Damit übereinstimmend bemängelten sie am Frankfurter Abschied, daß die im Gegensatz zur CA stehenden Irrtümer nicht benannt würden, und widersprachen der Behauptung der lehrmäßigen Übereinstimmung.229 Die ‚Weimarer Instruktion‘ selbst konstatierte erhebliche Zerwürfnisse unter den Protestanten und machte die Herstellung der Einheit nach innen und nach außen durch Verpflichtung auf die drei Bekenntnisschriften und namentliche Verwerfung der Irrlehren zur unabdingbaren Voraussetzung für den Eintritt in das Religionsgespräch. Daraus ergibt sich von selbst die unterschiedliche Stellung des Frankfurter Abschieds und der ‚Weimarer Instruktion‘ zu weiterreichenden Verständigungsbemühungen: Während der in diesem Punkt unklar gefaßte Frankfurter Abschied dahin tendiert, die innerevangelischen Auseinandersetzungen vorläufig zu sistieren und ihre Klärung auf eine künftige Synode zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem Religionsgespräch zu verschieben,230 besteht die ‚Weimarer Instruktion‘ darauf, daß auf dem im Regensburger Nebenabschied anberaumten Vorkonvent die Einigkeit nach innen und nach außen erreicht werden müsse; anderenfalls könne man nicht gemeinsam in das Religionsgespräch mit der romtreuen Seite eintreten. Eine Synode nach dem Religionsgespräch kommt dabei gar nicht in den Blick, denn was zu klären ist, muß vor dem Religionsgespräch geklärt sein – mit dem Ergebnis einer bekenntnismäßigen Einigkeit zu eindeutig festgelegten Bedingungen. Will man das konfessionspolitische Profil der Frankfurter Beschlüsse und der ‚Weimarer Instruktion‘ mit Schlagworten kennzeichnen, so vertreten die Frankfurter Beschlüsse eine auf Inklusion angelegte Vermittlungsposition, während die ‚Weimarer Instruktion‘ einen exklusiven Standpunkt vertritt 227
Vgl. oben Abschnitt 2.1.2.5. Vgl. Schnepf, Strigel und Flacius an die Herzöge, Jena 9. Juli 1557: Wolf, S. 300f, Nr. 29 (Regest). 229 Vgl. Schnepf, Strigel und Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 20. Juli 1557: Ernst IV, S. 384 f., Nr. 300, Anm. 1. 230 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2.6. 228
150 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik und im Konfliktfall um der Eindeutigkeit willen auf Konfrontation setzt, ganz im Einklang mit dem „gnesiolutherischen Kurs des ernestinischen herzoglichen Sachsen“231. 2.2.1.5 Flacius’ Privatgutachten vom 23. Juli und die Weimarer Instruktion „Flacius’ Werk war denn auch die den Abgesandten nach Worms […] mitgegebene herzogliche Instruktion“.232 Die Einschätzung des Anteils, den Matthias Flacius Illyricus an Abfassung und Ausrichtung der ‚Weimarer Instruktion‘ hatte, reicht in der Literatur von dem zitierten Urteil Julius Hartmanns233 bis zur differenzierteren Darstellung bei von Bundschuh, wonach Flacius’ Eingaben in Betreff der Form des Religionsgesprächs vom Herzog nicht aufgegriffen worden seien, der Herzog sich „aber die zentrale Forderung [scil. des Flacius] nach Ausschluß der Sonderlehren […] in vollem Umfang zu eigen“ gemacht habe234. Flacius’ Anteil an der Instruktion wird somit allgemein als hoch oder sogar sehr hoch eingeschätzt. Aus der Analyse der Quellen ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Flacius’ gewichtigster Beitrag zur Vorbereitung der Instruktion war sein langes lateinisches Gutachten vom 23. Juli.235 Zur Begründung seines nicht eigens angeforderten Gutachtens berief Flacius sich auf Gott, sein Gewissen und darauf, daß die Herzöge „von uns“, das heißt den Theologen, „gewissenhafte Orientierung über alle Punkte“ erbeten hätten.236 Offensichtlich empfand es Flacius als erklärungsbedürftig, daß er über die gemeinsam mit Schnepf und Strigel verfaßten Gutachten zum Religionsgespräch vom 9. Juli und zum Frankfurter Abschied vom 20. Juli hinaus sich nun noch mit einer eigenen Ausarbeitung an die Herzöge wandte. Darum verwies er eingangs auf die besondere Gefährlichkeit des Kolloquiums, wo „nicht nur offenkundige Gegner, sondern auch ungerechte Präsidenten und schließlich falsche Brüder sehr zu fürchten“237 seien. Deshalb habe es gut geschienen, „außer dem, was wir zuvor im gemeinsamen Namen, von Euren Hoheiten erbeten, angezeigt haben, gewisse Dinge besonders und mit meiner Stimme als eines einzelnen anzuzeigen.“238 Die weitere Begründung läßt eine 231
Schwarz, S. 257. Hartmann, S. 108. 233 Ähnlich Beck I, S. 296; Heppe I, S. 159. 234 V. Bundschuh, S. 285. 235 Flacius an die Herzöge, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 304–316, Nr. 32. 236 „[…] uolui Deo, meae conscientiae et Vestris Celsit[udinibus] quae diligentem admonitionem de omnibus a nobis petierunt satisfacere.“ (Flacius an die Herzöge, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 315, Nr. 32). 237 „[…] ubi non tantum manifesti aduersarij sed et iniusti praesidentes, et denique falsi fratres ualde metuendi sunt.“ (Flacius an die Herzöge, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 304, Nr. 32). 238 „Quare praeter ea, quae prius communi nomine V. C. petentibus indicauimus etiam quaedam speciatim meaque solius voce indicare visum est.“ (Flacius an die Herzöge, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 304, Nr. 32). 232
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
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gewisse Distanz zu dem gemeinsam verfaßten Gutachten erkennen: Flacius’ eigene Ausführungen würden „deswegen so viel freimütiger und klarer sein, weil mein Gewissen mich zwingt, daß ich die Gefahren für den wahren Glauben […] Euren Hoheiten […] klar anzeige.“239 Offensichtlich war ihm das in den bisherigen Gemeinschaftsgutachten nicht in vollem Umfang möglich gewesen.
Das gesamte Gutachten ist zugespitzt auf die antiadiaphoristische Frontstellung.240 Mit großem rhetorischem Aufwand versucht Flacius, die Herzöge einzuschwören auf den unbedingten Kampf gegen Interim und Adiaphorismus, für ihn Inbegriff aller theologischen Fehlentwicklungen.241 Die antiadiaphoristische Intention wird am Ende des Gutachtens verdichtet zu einem mit großer Dringlichkeit und Feierlichkeit vorgetragenen Formulierungsvorschlag für die herzogliche Instruktion: „Ich rate außerdem Euren Hoheiten an, wenn sie die Wahrheit klar bekennen und sich gegen den Irrtum verwahren wollen, daß sie in diese ihre Vorschrift oder Norm klar diesen Satz setzen, es sei von allen Kollokutoren dringend zu fordern, daß sie klar und ausdrücklich verdammen das große Interim und alle kleinen [Interims] oder alle adiaphorischen Vereinigungen, die aus dem Interim entsprungen sind.“242
Auffällig ist nun, daß der Spitzensatz des Flacius, in welchem sich das Anliegen seines Gutachtens verdichtet, keine Berücksichtigung in der herzoglichen Instruktion gefunden hat. Zwar enthält auch sie eine Verwerfungsforderung im Zusammenhang des Interims, jedoch nicht in der Einzel- und Zentralstellung, die Flacius verlangt hatte. Vielmehr steht die auf den Adiaphorismus bezogene Verwerfungsforderung an siebter und letzter Stelle in der Auflistung zu verwerfender Irrlehren. Verdammt werden sollen demnach „[a] lle so Ihrenn falh vnnd Defection Zur Zeitt des Interims vnnd auch vor sich zugetragenn, nicht erkhennen, Sondern noch verfechten vnnd verteidinngen vnd etzliche Impias Caeremonias nicht abthun wollen“ (Weim. Instr.: S. 321). Die Formulierung der Instruktion ist differenzierter als die von Flacius vorgeschlagene und scheint direkt auf Melanchthon zu zielen, der sich im 239 „Quae ideo tanto liberiora clarioraque erunt, quod conscientia mea me cogit, ut pericula verae pietatis […] C. V. […] manifesto indicem.“ (Flacius an die Herzöge, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 304, Nr. 32). 240 In dieselbe Richtung zielt auch das Gutachten des späteren ernestinischen Deputierten Basilius Monner (Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 23. Juni 1557: Wolf, S. 301–304, Nr. 31). 241 Vgl. Dingel, Flacius, S. 87 f.: „Flacius’ vielseitige und semantisch offene Verwendung der Termini ‚Interim‘ und auch ‚Adiaphora‘ […] macht deutlich, daß sie zum Inbegriff aller für ihn stets unheilvollen theologischen Veränderungen in der reformatorischen Kirche geworden waren.“ 242 „Suadeo adhuc Vestris Cel. si veritatem clare confiteri, et errorem detestari volunt, ut in sua ista notula aut formula clare ponant hanc propositionem. Flagitandum ab omnibus colloquutoribus esse, ut clare et expresso damnent magnum Interim, et omnia parva, seu omnes adiaphoicas conciliationes, quae ex INTERIM profluxerunt.“ (Flacius an die Herzöge, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 315, Nr. 32).
152 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Zuge der Coswiger Handlung im Frühjahr 1557 geweigert hatte, sich mit einer öffentlichen Schrift von seiner früheren Auffassung über die Adiaphora zu distanzieren.243 Insofern liegt eine unübersehbare Schärfe in der Formulierung der Instruktion. Zugleich fehlt ihr aber das Plakative und die durch Reduktion erzielte Durchschlagskraft von Flacius’ Vorschlag. Auch wenn Flacius’ Anliegen, den Adiaphorismus zu verurteilen, damit in der Instruktion berücksichtigt worden ist, konnte er sich mit seinem Konzept, die Vielfalt der theologischen Streitfragen zu bündeln in der Frage des Adiaphorismus, nicht durchsetzen. Aber auch sonst läßt die ‚Weimarer Instruktion‘ keinerlei Anklänge an die Argumentation und die Formulierungen von Flacius’ Gutachten erkennen. Es scheint, als sei das Gutachten von den Verfassern der Instruktion gar nicht rezipiert worden. Wie aber wäre das zu erklären? Zum einen könnten äußere Gründe eine Rolle gespielt haben. Wegen seiner Länge und des recht diffizilen Lateins war Flacius’ Gutachten nicht schnell und für ungeübte Leser auch nicht leicht zu lesen. Zwischen Freitag, dem 23. Juli, von dem Flacius’ Gutachten datiert, und der Fertigstellung der Instruktion am Dienstag, dem 27. Juli stand aber nicht viel Zeit zur Verfügung, zumal wenn man die Brieflaufzeit von Jena nach Weimar einrechnet und berücksichtigt, daß am Sonntag die Arbeit an der Instruktion geruht haben könnte. Zusätzlich sind aber auch innere, sachliche Gründe denkbar, aus denen Flacius’ Gutachten kaum oder gar nicht rezipiert worden wäre. So eindeutig die Instruktion im Sinne der ernestinischen Konfessionspolitik gnesiolutherisch ausgerichtet ist und so sehr ihre Formulierung zum Adiaphorismus direkt auf Melanchthon zielt, ist ihr die antimelanchthonische Durchformung von Flacius’ Gutachten fremd. Das kommt am deutlichsten zum Ausdruck in der Beifügung der ‚Straßburger‘ und der ‚Wittenberger Reformation‘ mit der Maßgabe, beide, „sonderlich aber die Wittenbergische mit fleis auch zu lesen, tzu erwegen vnnd sich Inn vnnd vnder der Gespreche handlunge souiel desto bass darnach zu Richtenn“ (Weim. Instr.: S. 325). Es dürfte kaum in Flacius’ Sinn gewesen sein, die herzoglichen Delegierten auf frühere, wenn auch vorinterimistische Ausarbeitungen Melanchthons oder gar Butzers zu verweisen. Offensichtlich war die herzogliche Kanzlei, deren Handschrift in dem auf ‚Straßburger‘ und ‚Wittenberger Reformation‘ bezogenen Passus der Instruktion besonders deutlich zu erkennen ist, keineswegs ganz auf das strikt antimelanchthonische konfessionspolitische Programm des Flacius festgelegt, der ja auch erst vor zwei Monaten seine Professur in Jena angetreten hatte. Wollte man das an Mitgliedern der Kanzlei festmachen, so wäre an einen Mann wie den Vizekanzler Franziskus Burchard zu denken. Burchard kann als Vertreter einer gemäßigten gnesiolutherischen Konfessionspolitik 243
Vgl. Scheible, S. 225.
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
153
angesehen werden, die zwar die Tradition der vorinterimistischen ernestinischen Konfessionspolitik fortsetzen wollte, jedoch nicht in einer exklusiv lutherischen Reduktion des Traditionsbestands, sondern in dessen vollem Umfang unter Einschluß der von Melanchthon herrührenden Anteile. Burchard selbst hatte die ‚Wittenberger Reformation‘ auf dem Wormser Reichstag 1545 übergeben.244 Er war Schüler und Freund Melanchthons, und das offenkundig auch über die Niederlage im Schmalkaldischen Krieg hinaus, obwohl er anders als Melanchthon in ernestinischen Diensten blieb.245 Anfang September 1557 verfaßte er dann ein von den Weimarer Voten der übrigen Räte und der von Flacius angeführten Theologen abweichendes Gutachten zum weiteren Vorgehen in Worms.246
Es läßt sich nicht nachweisen, ob es auf den Einfluß gemäßigter Räte wie Franz Burchard zurückging, daß die von Flacius betriebene antimelanchthonische Durchformung keinen Eingang in die ‚Weimarer Instruktion‘ fand, doch erscheint es als denkbar. Die konfessionspolitische Ausrichtung des ernestinischen Sachsen ist demnach vielschichtiger, als unter der Annahme einer übermächtigen Dominanz des Flacius vielfach dargestellt. Sie stand im Sommer 1557 zumindest teilweise noch in Spannung zur Konfessionspolitik des Flacius.
2.2.2 Weite Spielräume: Das kursächsische Memorial 2.2.2.1 Schleppender Beginn der Vorbereitungen in Kursachsen und verzögerter Aufbruch Im Kurfürstentum Sachsen sind – anders als im Herzogtum Sachsen-Weimar – Vorbereitungen für das Wormser Religionsgespräch erst getroffen worden, nachdem dort der Frankfurter Abschied mit dem Begleitschreiben Herzog Christophs und Kurfürst Ottheinrichs vom 2. Juli247 eingetroffen war. Das stimmte überein mit Melanchthons im Vorfeld des Frankfurter Konvents ausgesprochener Empfehlung, vor dem Wormser Religionsgespräch nichts zu unternehmen und die Einigung über das gemeinsame Vorgehen den in Worms zusammentretenden Räten und Theologen zu überlassen.248 244
Vgl. Schmidt, Melanchthon, S. 443. Vgl. Scheible, S. 38.228; Beck II, S. 109 f. 246 Sondervotum Franz Burchards, Weimar 8. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 64r–65r. 247 Hzg. Christoph und Kfst. Ottheinrich an Kfst. August, Frankfurt 2. Juli 1557: Ernst IV, S. 377–379, Nr. 295. 248 Vgl. Melanchthon an Mordeisen, Wittenberg 1. Juni 1557: CR 9, Sp. 162 f., Nr. 6258 = MBW 8241 sowie das Gutachten Melanchthons für Kurfürst August, Wittenberg 1. Juni 1557: MBW.R Bd. 8, S. 78, Nr. 8242 (Regest). 245
154 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Mit seiner Empfehlung hatte Melanchthon freilich nur den sächsischen Kurfürsten in der Abneigung gegen eine Beteiligung an dem geplanten Konvent bestärken, nicht aber den Konvent selbst verhindern können. Melanchthon erwartete nichts Gutes von dem Konvent. Insbesondere erregte die Teilnahme des Regensburger Superintendenten Nikolaus Gallus seinen Argwohn; daß Philipp von Hessen nicht zugegen sein wollte, erklärte Melanchthon sich mit der Annahme, der Landgraf habe gewußt, daß es um seinen, Melanchthons, Kopf gehen würde.249 Angesichts der düsteren Erwartungen müßte die Übersendung des Frankfurter Abschieds durch Kurfürst August mit Schreiben vom 14. oder 15. Juli250 Melanchthon eigentlich eine gewisse Erleichterung gebracht haben, die allerdings keinen schriftlichen Niederschlag gefunden hat.251 Vielmehr äußerte Melanchthon nun seine Befürchtungen im Blick auf das Wormser Religionsgespräch,252 denn das kurfürstliche Schreiben enthielt auch die Anordnung, am 8. August in Worms einzutreffen, um sich dort an den Vorberatungen der evangelischen Gesprächsteilnehmer zu beteiligen. Auffällig an dem kurfürstlichen Schreiben ist die Zurückhaltung in der Sache. Es beschränkt sich weitgehend auf die Information, daß der Frankfurter Konvent abgehalten worden sei sowie auf Anordnungen zur Zusammensetzung und zum Transport der kursächsischen Delegation. Eine Stellungnahme zu den Frankfurter Beschlüssen unterbleibt; auch wird eine solche von Melanchthon nicht angefordert. Die kommentarlose Übersendung der Frankfurter Beschlüsse ohne jede Problematisierung impliziert
249 Vgl. Melanchthon an Hieronymus Baumgartner, Wittenberg 26. Juni 1557 (zur Datierung vgl. MBW.R Bd. 8, S. 84): CR 9, Sp. 189 f., Nr. 6292 = MBW 8259; ders. an Hieronymus Besold, Wittenberg 26. Juni 1557 (zur Datierung vgl. MBW.R Bd. 8, S. 85): CR 9, Sp. 173–175, Nr. 6272 = MBW 8260 sowie ders. an Johannes Matthesius, Wittenberg 12. Juli 1557: CR 9, Sp. 177 f., Nr. 6277 = MBW 8269. 250 Kfst. August an Melanchthon, Dresden 14. oder 15. Juli 1557 (zur Datierung vgl. MBW.R Bd. 8, S. 89 f.): Wolf, S. 288 f., Nr. 22 = MBW 8272. 251 Fligges Angaben, daß Melanchthon Ende Juli den Frankfurter Abschied erhalten und dazu Stellung genommen habe (Fligge, S. 383), basieren auf einer unzutreffenden Datierung des CR 9, Sp. 189 f. abgedruckten Briefes an Hieronymus Baumgartner, dessen Inhalt Fligge auf S. 383 referiert, der jedoch als Quellenbeleg wegen der versehentlichen Doppelung des Endnotenzeichens 205 auf S. 383 in Fligges Endnoten (Fligge, S. 752) nicht angeführt wird. Mit dem Kommentar im Regestenwerk des Melanchthon-Briefwechsels ist der Brief an Baumgartner auf den 26. Juni zu datieren (vgl. MBW.R Bd. 8, S. 84). Seine Ausführungen beziehen sich auf das Ausschreiben zum Frankfurter Konvent, nicht aber auf den Frankfurter Abschied, wie Fligge es darstellt. 252 Vgl. Melanchthon an Camerarius, Wittenberg ca. 23. Juli 1557: CR 9, Sp. 184 f., Nr. 6284 = MBW 8282; ders. an Johannes Stigel, Wittenberg 25. Juli 1557: CR 9, Sp. 187 f., Nr. 6289 = MBW 8284 sowie ders. an Mordeisen, Wittenberg 28. Juli 1557: CR 9, Sp. 188, Nr. 6290 = MBW 8287.
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
155
allerdings den Ansatz zu einer positiven Rezeption, ohne daß der Kurfürst sich die Beschlüsse ausdrücklich zu eigen gemacht hätte.253 Komplementär zu der beschriebenen Zurückhaltung in der Sache wurde Melanchthon bewußt ein großer Entscheidungsspielraum zugestanden. So blieb es seiner Entscheidung überlassen, ob der als Notar nominierte Paul Eber bereits zum Vorkonvent hinzugezogen oder erst zur Eröffnung des eigentlichen Religionsgesprächs nach Worms geschickt werden sollte.254 Auch im Fall des in Regensburg intern als Supernumerarius nominierten Leipziger Theologieprofessors Alexander Alesius stellte der Kurfürst es in Melanchthons Ermessen, zu welchem Zeitpunkt Alesius in Worms erscheinen sollte.255 Lediglich die Verfügung über die politischen Räte behielt August sich vor: Zwei von ihnen, Dr. Georg Cracow und Heinrich von Lindenau, an dessen Stelle später Heinrich Einsiedel d. J. trat,256 wurden bereits zum Vorkonvent abgeordnet, während die Ankunft des persönlichen Vertreters des Kurfürsten in der Funktion des Assessors erst zum Beginn des Religionsgesprächs vorgesehen war.257 Zwei Punkte sind an den ersten kursächsischen Anordnungen zur Vorbereitung des Religionsgesprächs hervorzuheben: 1.) Es bestand zunächst die Absicht zur Teilnahme am Vorkonvent, denn zumindest Melanchthon und zwei politische Räte wurden dazu abgeordnet. 2.) Kursachsen maß dem Vorkonvent einen niedrigeren konfessionspolitischen Stellenwert zu als im Regensburger Nebenabschied vorgesehen, denn der persönliche Vertreter des Kurfürsten sollte am Vorkonvent, zu welchem laut dem Nebenabschied eigentlich die Fürsten persönlich oder aber ihre hochrangigen Vertreter erscheinen sollten, gar nicht teilnehmen, und auch die im Nebenabschied geforderte Teilnahme aller Theologen war nicht gewiß.258 Bis zum 26. Juli muß dann aber eine Änderung der Strategie in der kursächsischen Regierung erfolgt sein. Denn während die zeitige Abordnung
253 Entsprechend ließ August das Schreiben Christophs und Ottheinrichs vom 2. Juli offensichtlich unbeantwortet, denn weder in den kursächsischen noch in den württembergischen oder kurpfälzischen Archiven ist eine Antwort überliefert. Vielmehr geht aus einem Schreiben Christophs an Ottheinrich vom 1. August hervor, daß bislang noch keine kursächsische Antwort eingegangen war (Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Hirsau 1. August 1557: Ernst IV, S. 388, Nr. 303). 254 Vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 14. oder 15. Juli 1557: Wolf, S. 288, Nr. 22 = MBW 8272. 255 Vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 18. Juli 1557: Wolf, S. 289, Nr. 23 = MBW 8275. 256 Vgl. Räte an Melanchthon, Dresden 9. August 1557: Wolf, S. 290 f., Nr. 25 = MBW 8300. 257 Vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 18. Juli 1557: Wolf, S. 289, Nr. 23 = MBW 8275. 258 Vgl. Art. 3 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 102 f., Nr. 37.
156 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik zum Vorkonvent am 18. Juli noch feststand259 und Melanchthon in Übereinstimmung damit von seiner Abreise am 29. Juli ausging,260 verschob August mit einem Schreiben an Melanchthon vom 26. Juli die Abreise um ungefähr acht Tage.261 Begründet wurde die Verschiebung damit, daß man nicht wisse, „ob vff dieselb Zeit die andern Colloquenten auch ankomen mochten“, und daß man Melanchthon unnötiges Warten ersparen wolle.262 Daß mit dieser etwas ungefähren Begründung noch nicht alles gesagt ist, darauf deutet die Ankündigung des Kurfürsten hin, er werde seinen Rat Mordeisen zu Melanchthon schicken mit dem Auftrag, „euch vnser gemut weiter zuuormelden“. Am selben Tage wandte sich August an den hessischen Landgrafen, um die voraussichtliche Ankunft der hessischen Deputierten in Erfahrung zu bringen, „damit dan nuhn die Vnsern zugleich vnnd rechter zeit daselbst ankomen mochten“263. Auch wenn August die Motive seiner Anfrage nicht explizit erwähnt, ist doch deutlich, daß er den Landgrafen für eine abgestimmte Absendung zu gewinnen versuchte. Heppe dürfte mit der Interpretation richtig liegen, daß es dem Kurfürsten darum ging, seine Deputierten nicht „der Agitation der Flacianer bloß zu stellen“264. Die versuchte Abstimmung mit den Hessen sollte Melanchthon zudem vor Isolation oder zahlenmäßiger Unterlegenheit in den befürchteten Auseinandersetzungen bewahren. Der Vorkonvent und seine Aufgabe, Einigkeit unter den evangelischen Gesprächsteilnehmern zu erreichen, finden im kursächsischen Kalkül keine Berücksichtigung mehr. Der weitere Fortgang der kursächsischen Vorbereitungen zeigt dann bereits jene Kommunikationsprobleme in der kursächsischen Regierung, die später auch die Wahrnehmung der kursächsischen Interessen auf dem Wormser Religionsgespräch erschweren sollten. Sie ergaben sich aufgrund der Reise des Kurfürsten zu seinem Schwiegervater, König Christian III. von Dänemark, zu welcher August mit Kanzler Mordeisen in seiner Begleitung Anfang August aufbrach. Die Dänemark-Reise führte zu einer erheblichen Verlängerung der Postlaufzeiten zwischen dem Fürsten und seinen Räten und Theologen sowie zu manchen Informationslücken, weil die Korrespondenz den Räten, die in Dresden die Geschäfte führten, nur teilweise in Ab259 Vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 18. Juli 1557: Wolf, S. 289, Nr. 23 = MBW 8275. 260 Vgl. Melanchthon an Leib, Wittenberg 23. Juli 1557: CR 9, Sp. 186, Nr. 6287 = MBW 8281. 261 Vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 26. Juli 1557: Wolf, S. 289 f., Nr. 24 = MBW 8286. 262 Kfst. August an Melanchthon, Dresden 26. Juli 1557: Wolf, S. 289 f., Nr. 24 = MBW 8286. 263 Kfst. August an Ldgf. Philipp, Dresden 26. Juli 1557: StA Marburg Bstd. 3, Nr. 2801, fol. 11rv, hier fol. 11r. 264 Heppe I, S. 164.
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
157
schriften übermittelt wurde. So lag den Dresdner Räten, als sie ihr Schreiben an Melanchthon vom 9. August aufsetzten,265 offensichtlich die Mitteilung Mordeisens vom 6. August über seine Vereinbarung mit demselben über die Abreise nach Worms266 noch nicht vor; denn anderenfalls hätten sie sich bei ihrer abweichenden Anordnung wohl auf das mit Mordeisen Vereinbarte bezogen. Während nämlich Mordeisen mit Melanchthon vereinbart hatte, er solle erst abreisen, wenn die Deputierten der anderen Stände in Worms eingetroffen wären, wiesen die Dresdner Räte ihn nunmehr an, am 16. August in Leipzig einzutreffen, um von dort mit den übrigen kursächsischen Deputierten nach Worms zu reisen. Die Räte begründen ihre Anordnung damit, daß sie immer noch keinen Aufschluß über den Zeitpunkt der Absendung der hessischen Gesandten zum Religionsgespräch erhalten hätten, nun aber der Beginn desselben heranrücke. Als möglichen Grund für das Ausbleiben einer hessischen Antwort sehen die Räte die Umleitung der Post wegen der Dänemark-Reise des Kurfürsten an.267 Einen Tag später fügen sie ohne Angabe einer Quelle als Nachschrift an, sie seien „berichtet, das nicht allein der hertzogen zu Sachssen, Sondern auch des Landgraven von Hessen vor etzlichen viel tagen allbereit gegen Wormbs verreiset“268. Um so dringender sei die Einhaltung des angeordneten Abreisetermins. Melanchthon kam der Anordnung nach und verließ am 14. August Wittenberg, um pünktlich am 16. August in Leipzig einzutreffen.269 Es fällt auf, daß die Gegenstände der Vorbereitung bis hierhin fast ausschließlich technischer Natur gewesen sind. Wer wann abreisen sollte, diese Frage stand im Mittelpunkt. Eine inhaltliche Komponente ist allenfalls in der bewußten Verzögerung der Abfertigung zu erkennen. Der Gegensatz zu den zahlreichen theologischen Gutachten im Herzogtum Sachsen ist deutlich, aber auch die theologischen Erörterungen auf dem Frankfurter Konvent bieten ein anderes Bild dar. An diesem Befund ändert auch die Analyse des kursächsischen Memorials vom 11. August wenig, welches
265
Räte an Melanchthon, Dresden 9. August 1557: Wolf, S. 290 f., Nr. 25 = MBW 8300. Mordeisen an die Räte Ponickau und Kiesewetter, Wittenberg 6. August 1557: MBW.R Bd. 8, S. 95, Nr. 8287 Kommentar (Regest). 267 Vgl. Räte an Melanchthon, Dresden 9. August 1557: Wolf, S. 290, Nr. 25 = MBW 8300. 268 Nachschrift der Räte an Melanchthon, Dresden 10. August 1557: Wolf, S. 291, Nr. 25 = MBW 8300.2. Zum tatsächlichen Zeitpunkt des Eintreffens der hessischen und der herzoglich-sächsischen Deputierten in Worms vgl. unten Abschnitt 3.1. 269 Melanchthon gab am 14. August den Wittenberger Studenten bekannt, daß seine Vorlesung wegen der heutigen Abreise ausfallen müsse (Melanchthon an die Studenten, 14. August 1557: CR 9, Sp. 221, Nr. 6307 = MBW 8308). Zu den Stationen und Daten der Reise Melanchthons nach Worms vgl. MBW.R Bd. 8, S. 105 im Kommentar zu Nr. 8308. 266
158 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Melanchthon am 16. August in Leipzig durch Graf Ludwig von Eberstein ausgehändigt bekam.270 2.2.2.2 Das ‚Memorial an die Verordneten‘ vom 11. August Das ‚Memorial an die Verordneten‘271 nimmt unter den schriftlichen Anweisungen an die kursächsischen Deputierten formal eine ähnliche Stellung ein wie die ‚Weimarer Instruktion‘ in der Korrespondenz der sächsischen Herzöge mit ihren Deputierten. Die unterschiedlichen Bezeichnungen als Memorial und Instruktion sind sekundär und bedingen für sich genommen noch nicht den qualitativen Unterschied, der zwischen den beiden sächsischen Handlungsanweisungen für das Wormser Religionsgespräch besteht. Der Unterschied liegt vielmehr darin, daß sich im ‚Memorial‘ ein einziges Satzgefüge im Umfang von etwa einem Zehntel des Gesamttextes auf den Inhalt der anstehenden Verhandlungen bezieht,272 während die ‚Instruktion‘ von der ersten bis zur letzten Zeile inhaltsbezogene Vorgaben enthält. Den übrigen Raum im ‚Memorial‘ nehmen zunächst die endgültige Ernennung der Deputierten273 sowie eine Wiederholung der bereits ergangenen Anordnungen zu ihrer Abreise ein,274 erweitert um eine gegenüber den Augsburger Konfessionsverwandten abzugebende, sehr allgemein gehaltene Erklärung für ihr verspätetes Eintreffen. Es folgen noch eine Paraphrase der Bestimmungen des Regensburger Reichsabschieds zu den verschiedenen, von kursächsischen Deputierten zu bekleidenden Ämtern275 und schließlich genaue Regelungen für die postalische Korrespondenz der Deputierten mit dem Kurfürsten respektive seiner Regierung während Augusts Reise nach Dänemark276. Der wichtigste Referenztext für das ‚Memorial‘ ist dem Umfang, aber auch der Sache nach der Regensburger Reichsabschied.277 Hierin spiegelt 270 Zur Aushändigung des ‚Memorials‘ vgl. MBW.R Bd. 8, S. 105 im Kommentar zu MBW 8303. 271 Das „Memorial an die Verordneten“ vom 11. August ist nach dem im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden unter der Signatur Loc. 10321/6, fol. 4r–7v überlieferten Original zuverlässig abgedruckt bei Wolf, S. 291–295, Nr. 26 = MBW 8303. Es wird im folgenden als ‚Memorial‘ zitiert. Zur Analyse des Memorials vgl. auch v. Bundschuh, S. 280 f. 272 Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292 f., Nr. 26. 273 Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 291 f., Nr. 26. 274 Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292, Nr. 26. 275 Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 293 f., Nr. 26. 276 Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 294 f., Nr. 26. Die Berichte und Fragen der Deputierten sollten über die Kanzlei des hessischen Landgrafen nach Leipzig geleitet und von dort nach vorheriger Bestimmung der Deputierten entweder an den Kurfürsten in Dänemark oder an die Räte in Dresden weitergeschickt werden. 277 Vgl. v. Bundschuh, S. 281: „Im Grunde war die Instruktion eine Wiederholung der einschlägigen Bestimmungen des jüngsten Reichsabschieds.“
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
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sich die grundsätzlich reichstreue Haltung des auf gutes Einvernehmen mit der habsburgischen Reichsspitze bedachten albertinischen Kurfürstentums Sachsen wider.278 Während das ‚Memorial‘ über das Verhältnis zur römisch-katholischen Seite außer den technischen Hinweisen zur Funktion der Deputierten im Religionsgespräch gar keine Angaben macht, gelten die knappen Ausführungen, die sich auf den Inhalt der anstehenden Verhandlungen beziehen, der innerevangelischen Vorbereitung. Ohne jede Wertung erinnert das ‚Memorial‘ daran, daß durch die „bey Abschiede“ von Regensburg und Frankfurt eine gemeinsame Vorbereitung auf das Religionsgespräch vereinbart worden sei.279 Verhaltenes Einverständnis signalisierend wird mit „[d]emnach“ die Aufforderung an die kurfürstlichen Deputierten angeschlossen, sich mit den übrigen Deputierten zu verständigen. Die kursächsischen Deputierten sollen sich mit den anderen evangelischen Gesprächsteilnehmern „vnderreden, Welcher gestalt zue einer guethenn vorbereithung dieses Colloquij zue schreiten, Vnd sich mit ihnenn hier Innen souiel Christlich vnnd mit guothem gewissen geschehen kan, also vergleichenn, Das man gleichwol Inn den heubt Artickeln vnnd puncten vnserer heilwerttigen Christlichen Religion von der Augspurgischen Confession […] Inn nichts schreite noch weiche.“280
Weniger ließ sich kaum sagen. Die im Regensburger Nebenabschied und im Frankfurter Abschied bereits getroffenen Vereinbarungen über die evangelische Vorbereitung auf das Religionsgespräch werden entwertet durch den Auftrag, sich allererst in Worms über die Form der Vorbereitung zu verständigen. Entsprechend inhaltsleer ist die Begründung, welche die Deputierten für ihr verspätetes Eintreffen zur Vorbereitung vorbringen sollten, daß sie nämlich „lieber ehr ankomhen sein wolten, Es weren aber etzliche hochwichtige sachen vorgefallen, das sie nicht zeitlicher abgeferttiget, Auch ferne und weithe halben des weges und d. Reise ihe nicht fortkomhen muegen.“281 Reichlich unbestimmt erscheinen aber auch die sachbezogenen Anweisungen. Wenn als Reichweite der innerevangelischen Verständigung fest278 Zur Charakterisierung der kursächsischen Haltung gegenüber dem Reich vgl. Heidenhain, S. 10 f.13 f.; Gotthard, Religionsfrieden, S. 324. Von Bundschuh urteilt zutreffend: „Kurfürst August war sichtlich bemüht, das mit dem neuen Unionsversuch unvermeidlich verbundene Risiko möglichst gering zu halten und das gute Verhältnis zu König Ferdinand nicht durch zu militantes Auftreten seiner Theologen trüben zu lassen. Damit dokumentiert das kursächsische Memorial einmal mehr die entscheidenden Grundzüge der Politik Kurfürst Augusts, die auf Neutralisierung des Religionsstreits, Bewahrung des status quo, Konsolidierung der landeskirchlichen Verhältnisse und die politische Zusammenarbeit mit Habsburg angelegt war und blieb.“ (v. Bundschuh, S. 281). 279 ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292, Nr. 26. 280 ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292 f., Nr. 26. 281 ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292, Nr. 26.
160 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik gelegt wird „souiel Christlich und mit guothem gewissen geschehen kan“282, so ist das ebenso selbstverständlich wie unspezifisch. Und auch das Ziel der Verständigung, „[d]as man gleichwol Inn den heubt Artickeln vnnd puncten vnserer heilwerttigen Christlichen Religion von der Augspurgischenn Confession […] Inn nichts schreite noch weiche“283, ist ein bescheidenes Ziel, kaum mehr als ein Minimalkonsens. Als Maßgabe für die Verhandlungen mit der römisch-katholischen Seite ist die geforderte Bindung an die Confessio Augustana eine pure Selbstverständlichkeit. Das konzessive „gleichwol“ deutet jedoch an, daß die Maßgabe nicht so selbstverständlich ist, wie sie zu sein scheint. Im Hintergrund stehen ohne Zweifel die innerevangelischen Auseinandersetzungen, deren Beilegung oder zumindest Sistierung im Regensburger Nebenabschied und im Frankfurter Abschied dem Vorkonvent als Aufgabe zugewiesen worden war. Mit der Konjunktion „gleichwol“ wird das Vorhandensein innerevangelischer Differenzen zwar indirekt eingeräumt. Deren Überwindung ist aber offensichtlich für das kursächsische ‚Memorial‘ kein eigengewichtiges Ziel. Darum beschränkt es den Umfang der anzustrebenden Vergleichung auf eine operativ in den Verhandlungen mit der Gegenseite zu bewährende Bindung an die Confessio Augustana. Eine über die kontroverstheologische Herausforderung des Religionsgesprächs hinausgehende Beförderung der Einigkeit unter den Augsburger Konfessionsverwandten durch den Vorkonvent ist nicht im Blick. Darum bleiben die innerevangelischen Differenzen unerwähnt; darum kann die geforderte Vergleichung auf eine Übereinstimmung „[i]nn den heubt Artickeln und Puncten“ beschränkt bleiben. 2.2.2.3 Das Profil des Memorials und die Autorität Melanchthons Verglichen mit Umfang und Gewicht theologischer Vorgaben und konfessionspolitischer Richtlinien im Regensburger Nebenabschied, in den Frankfurter Beschlüssen und in der herzoglich-sächsischen Instruktion nehmen sich die entsprechenden Direktiven des kursächsischen ‚Memorials‘ recht dürftig aus. Das gleichen auch die Erwähnungen des Regensburger Nebenabschieds und des Frankfurter Abschieds nicht aus, deren Übersendung an den Grafen von Eberstein als den Vertreter des Kurfürsten und an Melanchthon festgehalten ist.284 Denn mit keinem Wort werden die in den beiden Abschieden getroffenen Vereinbarungen für verbindlich erklärt. Vielmehr läuft ihre umstandslose Gleichordnung wegen der im Frankfurter Abschied 282
‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 293, Nr. 26. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 293, Nr. 26. 284 Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292, Nr. 26. 283
2.2 Separatvorbereitungen im Herzogtum Sachsen und in Kursachsen
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vollzogenen Relativierung des Regensburger Nebenabschieds darauf hinaus, daß beide Abschiede als Anlagen zum ‚Memorial‘ eher eine informierende als eine instruierende Funktion erhalten. Nicht aufzuklären ist, was sich hinter dem Hinweis des ‚Memorials‘ auf mündliche Absprachen285 verbirgt; zu denken wäre an die Unterredung Mordeisens mit Melanchthon Anfang August oder auch an Besprechungen der Dresdner Räte mit dem Grafen von Eberstein. In derartigen Gesprächen dürfte es weniger um konkrete Handlungsanweisungen als um eine Verständigung über die konfessionspolitische Linie gegangen sein.
Von der Entscheidungsfreiheit Melanchthons über das Eintreffen seiner theologischen Mitstreiter in Worms bis zum Verzicht auf eine schriftliche Fixierung des mündlich Abgesprochenen weisen die verschiedenen Schritte der kursächsischen Vorbereitung auf das Wormser Religionsgespräch einen gemeinsamen Grundzug auf: Den kursächsischen Deputierten wird ein großer Spielraum für eigene Abwägungen und Entscheidungen eingeräumt. Was die Bekenntnisverpflichtung angeht, beschränkt sich das ‚Memorial‘ auf die Confessio Augustana als Vorgabe.286 Die Formulierung läßt aber durchaus Raum, die Vorgabe nicht exklusiv auszulegen, sondern etwa die CA mit der Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln als interpretierendem Rahmen zu verknüpfen. Das ist nicht vorgegeben, aber es ist auch nicht untersagt. Jede Abgrenzung gegenüber Sekten und jede Stellungnahme zur Frage der innerevangelischen Einigkeit unterbleibt. Das Vorgehen wird ganz ins Ermessen der Deputierten gestellt. Damit aber sind sie auch in der Frage der Verwerfung abweichender Lehrmeinungen ganz frei, solche vorzunehmen oder auch zu verweigern – ganz anders als die württembergischen Deputierten, die strikt auf die Vermeidung von Verwerfungen festgelegt waren, oder die unbedingt auf Verwerfungen verpflichteten herzoglichsächsischen Deputierten. Auch im Bezug auf weiterreichende Vergleichsbemühungen gibt es im ‚Memorial‘ keine Festlegungen. Wie ist der vorgestellte Befund zu erklären? Sollte die kursächsische Regierung solchen Fragen gegenüber indifferent gewesen sein? Das ist klar zu verneinen. Vielmehr dürfte die überragende Autorität Melanchthons in Kursachsen der Grund für die Zurückhaltung des ‚Memorials‘ gewesen sein. Dank Melanchthons in Kursachsen allgemein akzeptierter Autorität stimmte die kursächsische Konfessionspolitik weitgehend mit den Vorstellungen des Wittenbergers überein; die Leitlinie der kursächsischen Konfessionspolitik hatte sich in enger Abstimmung mit Melanchthon und unter seiner ständigen Begutachtung herausgebildet. Indem die kursächsische Regierung Melanchthon auf dem Wormser Religionsgespräch freie Hand ließ, konnte 285 286
Vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 294, Nr. 26. Vgl. oben bei Anm. 283.
162 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik sie somit sicher sein, daß er sein Vorgehen an den von ihm selbst mitgeprägten konfessionspolitischen Grundsätzen Kursachsen orientieren würde. Die beschriebene Haltung ist indes nicht gleichbedeutend mit einer Enthaltsamkeit der Politik in theologischen Fragen. Das belegt schon der Umstand, daß Melanchthon dem ersten Schreiben Kurfürst Augusts zufolge für die innerevangelischen Vorbereitungen mit Georg Cracow und Heinrich von Lindenau auf jeden Fall zwei politische Räte zugeordnet werden sollten, während es in sein Belieben gestellt wurde, wann die Theologen Eber und Alesius hinzugezogen würden.287 Entsprechend werden im ‚Memorial‘ die politischen Räte Cracow und Einsiedel ausdrücklich angewiesen, nicht allein den Grafen von Eberstein zu unterstützen, sondern auch Melanchthon und den weiteren kursächsischen Theologen „[i]nn vorfallenden sachenn nach ihrem besten verstand ihren Rath vnnd guethbeduncken mithzuetheilen[,] auch beistandt zueleisten vnnd vber ihnen zuehaltenn“288. Einem theologisch und konfessionspoltisch so engagiertem Mann wie Cracow eröffnete der zitierte Passus des ‚Memorials‘, komplementär zum oben beschriebenen theologischen Spielraum, einen weiten Spielraum für die politische Einwirkung in theologischen Zusammenhängen. Insgesamt läßt sich das ‚Memorial‘ somit durchaus als eine bewußt im Anschluß an die Grundlinien der kursächsischen Konfessionspolitik gehaltene Instruktion lesen, wobei den Deputierten und insbesondere Melanchthon als dem führenden Theologen weitgehend freie Hand gelassen wurde für die konkrete Adaption der konfessionspolitischen Grundlinie an die Gegebenheiten auf dem Wormser Religionsgespräch.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg 2.3.1 Intervention des großen Unbekannten: Die preußische Gesandtschaft in Württemberg Ein wichtiges, aber weithin unbeachtetes Seitenstück zu den Vorbereitungen auf das Wormser Religionsgespräch sind die Unterhandlungen einer preußischen Gesandtschaft in Württemberg vom 31. Juli bis zum 10. August 1557. Nachdem die preußischen Akten über die Verhandlungen der preußischen Gesandtschaft in Württemberg von Ernst Bizer in den ‚Analecta Brentiana‘ ediert worden sind,289 hat sie bislang lediglich Jörg Rainer Fligge für seine 287
Vgl. oben bei Anm. 254 f. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 294, Nr. 26. 289 Bizer druckt die entsprechenden Akten in Abschnitt V unter der Überschrift „Die Verhandlungen Matthäus Vogels mit Brenz, Herzog Christoph und den württembergischen Räten. 31. Juli bis 10. August“ ab (Bizer, Analecta, S. 359–373). Das ergiebigste 288
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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Studie über Herzog Albrecht von Preußen und den Osiandrismus ausgewertet,290 allerdings ohne die Bezüge zum Wormser Religionsgespräch auszuschöpfen. Eine besondere Relevanz für das Wormser Religionsgespräch ergibt sich jedoch bereits daraus, daß die preußische Gesandtschaft ursprünglich zur Teilnahme an den Verhandlungen in Worms abgefertigt worden war. 2.3.1.1 Anlaß und Auftrag der Gesandtschaft Die preußische Gesandtschaft des Sommers 1557, deren Weg nach Württemberg führte, stand wie alle konfessionspolitischen Interventionen des Herzogtums Preußen in den 1550er Jahren im Zusammenhang der Auseinandersetzungen um die Theologie Andreas Osianders. Herzog Albrecht von Preußen, der Osianders Theologie billigte und sich in weiten Teilen zu eigen machte,291 strebte eine Beilegung der Auseinandersetzungen an und sah im Zusammenhang des Wormser Religionsgesprächs dafür neue Chancen. Nicht lange nach Osianders Tod am 17. Oktober 1551 war bereits eine Zusammenkunft der evangelischen Stände als ein Modell zur Beilegung der Osiandrischen Streitigkeiten ins Gespräch gebracht worden.292 Herzog Albrecht von Preußen scheint sich jedoch lange Zeit mehr von einem Spitzengespräch zwischen Brenz und Melanchthon, den seinerzeit angesehensten Theologen, über ihre divergierende Beurteilung der Theologie Osianders293 oder aber von einer internen preußischen, allenfalls von auswärtigen Theologen moderierten Verständigung auf der Grundlage einer herzoglichen Bekenntnisschrift294 versprochen zu haben.295 Den Herzog dürfte es in seiner Haltung bestärkt haben, daß bei der ersten ständeübergreifenden Zusammenkunft CA-verwandter Theologen in den Jahren nach dem Interim, dem Naumburger Konvent im Mai 1554, die früheren ablehnenden Stellungnahmen der Teilnehmer zu Osianders Rechtfertigungslehre ausdrücklich bekräftigt wurden.296 Aktenstück ist der Bericht Vogels über die Verhandlungen (Bizer, Analecta, S. 360–370, Nr. 38), im folgenden zitiert als ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘. Die Originale sind aufbewahrt im GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993; die genauen Nachweise bei Bizer, Analecta, S. 359. 290 Vgl. Fligge, S. 362–371. 291 Vgl. Fligge, S. 110–115.584–586. 292 Herzog Christoph von Württemberg deutete einen solchen Plan bereits im Februar 1553 in einem Schreiben an Herzog Albrecht von Preußen an (vgl. Fligge, S. 193 bei Anm. 49). 293 Vgl. Fligge, S. 196, S. 222 f. 294 Vgl. Fligge, S. 216. 295 Fligges auf die Situation des Jahres 1556 gemünzte Darstellung, Herzog Albrecht habe „immer gehofft, ein Kolloquium der C. A.-Verwandten werden dem Streit um Osiander ein befriedigendes Ende setzen“ (Fligge, S. 351), ist durch seine Darstellung der vorausgegangenen Jahre nicht gedeckt. Zwischen 1553 und 1556 erscheint Herzog Albrecht bei Fligge nämlich nur als Befürworter eines – allerdings auch als Kolloquium bezeichneten – Spitzengesprächs zwischen Brenz und Melanchthon. 296 Vgl. Fligge, S. 320–322.
164 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Auch der Ausgang der von Melanchthon angeführten Theologengesandtschaft zur Schlichtung der Osiandrischen Streitigkeiten in Nürnberg, an deren Ende Osianders Lehre in einer Predigt Jakob Runges öffentlich zurückgewiesen wurde, dürfte Herzog Albrecht dem Kolloquiumsmodell nicht geneigter gemacht haben.297 Vom Sommer 1556 an läßt sich belegen, daß Herzog Albrecht eine Zusammenkunft der evangelischen Stände befürwortete. Vermutlich war Albrecht durch seinen Sekretär Timotheus Gerschau, der sich im Frühjahr 1556 mehrfach in Stuttgart aufgehalten hatte, von den im Vorfeld des Regensburger Reichstags intensivierten Bemühungen Herzog Christophs um die Einigkeit unter den Augsburger Konfessionsverwandten in Kenntnis gesetzt worden. Jedenfalls begrüßte Albrecht Ende Juli 1556 gegenüber Christoph die Pläne für eine Zusammenkunft. Die kirchliche Lage verlange danach, „damit der langwirige zwispalt in der Interimistischen Adiaphoristischen Sacramentirischen handlung vnd negocio Justificationis endlich hingelegt vnd geenttett“ werde.298 Er schicke deshalb Gerschau erneut ins Reich. Ende Oktober forderte Albrecht den württembergischen Herzog dann ausdrücklich dazu auf, „das colloquium theologorum, da christliche und ansehenliche fürstliche personen praesidieren und der andern affectiones moderieren, zu befördern“; außerdem bat er um rechtzeitige Information, da er das Kolloquium mit Gesandten beschicken wolle.299 Im Hintergrund der neuen Favorisierung des Modells einer Zusammenkunft der evangelischen Stände und ihrer Theologen dürfte die seinerzeitige Entwicklung in Preußen gestanden haben: Im Nachgang zu der im Februar abgehaltenen Riesenburger Synode300 wurde im weiteren Verlauf des Jahres 1556 deutlich, daß die Versuche einer innerpreußischen Befriedung keinen Erfolg zeitigten und damit zumindest vorläufig an ihr Ende gekommen waren.301
Albrechts Wunsch, an den innerevangelischen Einigungsbemühungen im Zusammenhang des Wormser Religionsgesprächs direkt beteiligt zu werden, fand durchaus Gehör, nicht nur bei Herzog Christoph von Württemberg, sondern auch beim Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich.302 Noch am Ende des Regensburger Reichstags setzte sich Herzog Christoph dafür ein, den preußischen Herzog zur Zusammenkunft der CA-Verwandten hinzuzuziehen.303 Sein entsprechender Befehl an die Gesandten in Regensburg ging allerdings in Stuttgart erst ab, als der Reichstag bereits beendet war.304
297
Vgl. Fligge, S. 331–335. Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, [Königsberg] 20. Juli 1556 (Konzept): GStA PK, XX. HA, HBA Konzepte A 2, K. 1112, unpaginiert; vgl. Fligge, S. 353. 299 Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 21. Oktober 1556: Bizer, Analecta, S. 359, Nr. 37. 300 Vgl. Fligge, S. 284–293. 301 Vgl. Fligge, S. 293–298. 302 Vgl. Fligge, S. 353 f. 303 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 19. März 1557: Ernst IV, S. 282 f., Nr. 232. 304 Hzg. Christoph an seine Räte in Regensburg, Stuttgart 19. März (Kopie für Kfst. Ottheinrich): Ernst IV, S. 282, Nr. 232, Anm. 3. Der Reichstag war bereits mit der Verlesung des Reichsabschieds am 16. März abgeschlossen worden. 298
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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In den zwischen Ottheinrich und Christoph abgeglichenen Listen der Stände, die zum Frankfurter Konvent eingeladen werden sollten, war Preußen dann aber nicht mehr verzeichnet, obwohl in Christophs Agenda für die Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten der „misverstand zwischen Osiandro und seinen Anhängern, desgleichen iren gegentailn“ noch an erster Stelle gestanden hatte.305 Der Grund dürfte darin zu sehen sein, daß auf dem Weg zum Frankfurter Konvent aus der von Christoph ursprünglich geplanten Zusammenkunft aller Stände Augsburgischer Konfession aufgrund der kursächsischen Verweigerung eine südwestdeutsche Regionalversammlung geworden war. Damit war an eine formelle preußische Teilnahme nicht mehr zu denken. Während mithin im Reich eine erste Zusammenkunft evangelischer Stände und ihrer Theologen ohne Beteiligung Preußens zustande kam, war aus preußischer Sicht der Druck gewachsen, zu einer Verständigung mit den Augsburger Konfessionsverwandten im Reich zu kommen. Auslöser dafür war das Bekanntwerden des Regensburger Nebenabschieds in Preußen.306 Im Nebenabschied waren die „Osiandrischen“ ausdrücklich unter die im Widerspruch zur CA stehenden und deshalb vom Augsburger Religionsfrieden ausgeschlossenen „Secten und Rottengeister“ gezählt worden, gegen welche in den Territorien entschieden durchgegriffen werden müsse.307 Die in Regensburg vorgenommene Einstufung, die auch für die Sicherheit des Herzogtums nicht ohne Belang war, mußte in Preußen um so gravierender erscheinen, als sie auch von den Regensburger Vertretern des württembergischen Herzogs mitgetragen worden war, der eine Beteiligung an Entscheidungen gegen Osiander und dessen Anhänger bisher vermieden hatte. Bereits frühzeitig war Albrecht aus unbekannter Quelle vertraulich über den Regensburger Nebenabschied unterrichtet worden.308 Sein Fürsprecher 305 Hzg. Christophs ‚Bedenken über die Einigkeit‘: Ernst IV, S. 293, Nr. 240. Vgl. dazu oben in Abschnitt 2.1.1.3 bei Anm. 29. 306 Vgl. Fligge, S. 357. 307 Art. 2, NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 102, Nr. 37. 308 Albrecht teilte Christoph am 21. Juni mit, er sei bereits eher als durch Christophs Brief vom 13. Mai (vgl. Anm. 309) darüber informiert worden, daß „das Colloquium der Theologen zu Worms“ – wie im Nebenabschied für den Vorkonvent der Augsburger Konfessionsverwandten vereinbart – „den 1. Augusti solt angehen“ (Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 21. Juni 1557: GStA PK XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 11v–13r, hier fol. 12v [Reinschrift]). In einem nahezu gleichzeitigen Schreiben Albrechts an den württembergischen Obermarschall Wilhelm von Massenbach heißt es, Albrecht haben den Nebenabschied „vortrawlich“ empfangen (Hzg. Albrecht an Wilhelm von Massenbach, Königsberg 23. Juni 1557: GStA PK XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 17v–19r, hier fol. 18r [Reinschrift]). Albrecht scheint demnach der Nebenabschied auf inoffiziellem Wege zugänglich gemacht worden zu sein. Fligges Verweis auf einen undatierten Bericht eines herzoglichen Agenten über den Regensburger Reichstag (vgl. Fligge, S. 744, Anm. 131 zu S. 357) ließ sich am angegebenen Fundort GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 984 nicht verifizieren; dort findet sich lediglich ein undatiertes Schreiben, in dem
166 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik im Reich, Herzog Christoph von Württemberg, ließ hingegen viel Zeit verstreichen, bis er dem preußischen Herzog in einem Schreiben vom 13. Mai mitteilte, was am 16. März in Regensburg vereinbart worden war.309 Er verschwieg nicht, daß in dem Nebenabschied „neben erzellung ettlicher verworffnen leren, Auch Osiandri gemeldt worden“ sei. Er ging aber sogleich auf Distanz zum Nebenabschied und verwies darauf, daß er selbst bei dessen Verabschiedung nicht zugegen gewesen sei und daß der Nebenabschied von den Räten lediglich „vff hintersichbringen“, also vorbehaltlich der nachträglichen Approbation durch ihre Herren aufgestellt worden sei.310 In anderem Zusammenhang hatte Christoph es kritisiert, daß dadurch die Bindekraft des Nebenabschieds hinter der einer gemeinsamen fürstlichen Instruktion zurückbleibe.311 Hier kam ihm die Relativierung nun zupaß, konnte er doch damit den preußischen Herzog zu beschwichtigen versuchen. Er erklärte außerdem, ihm sei nicht bewußt, wann eine allgemeine Zusammenkunft der CA-verwandten Stände zustande kommen werde, und sollte das doch der Fall sei, so halte er es für „vberflüssig […], Das des Osiandri oder anderer leer vnnd doctrina gedacht werde.“312 Christophs beschwichtigendes Schreiben vom 13. Mai wird in Königsberg nach Mitte Juni eingetroffen sein. Albrecht reagierte jedenfalls am 21. Juni darauf.313 Da hatte er aber längst, am 30. Mai nämlich, einen Brief an Christoph abgesandt, in welchem er seinen Unmut über das antiosiandrische Votum des Regensburger Nebenabschieds bekundete.314 Überbringer des die Stadt Regensburg erwähnt wird, das aber wegen aktueller Angaben über Moritz von Sachsen spätestens aus dem Jahr 1553 stammen dürfte. 309 Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Göppingen 13. Mai 1557: GStA PK XX. HA, HBA A 2, K. 54 unpaginiert; vgl. Fligge, S. 357 bei Anm. 128 f. 310 Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Göppingen 13. Mai 1557: GStA PK XX. HA, HBA A 2, K. 54 unpaginiert. 311 So hatte Christoph bereits während des Reichstags intern seine Befürchtung zum Ausdruck gebracht, daß eine als Nebenabschied gefaßte Instruktion, die „von den bottschaftern an Ire gnedigste vnd gnedige hern hindersich gebracht“ werden müsse, weit weniger bindend sein werde als eine von den Fürsten in persönlicher Versammlung gemeinsam beschlossene Instruktion (Hzg. Christoph an seine Gesandten in Regensburg, Stuttgart 13. März 1557: HSA Stuttgart A 262, Bd. 51, fol. 419r–424v, hier fol. 419r = Ernst IV, S. 278 f., Nr. 228, Anm. 9 [Regest]). Auch gegenüber Kurfürst August von Sachsen wies er darauf hin, daß auf einer Fürstenzusammenkunft der „bedacht abschied, so unsere räth allerseitz zuo Regenspurg uf hindersichbringen mit einander gemacht,“ erst noch überprüft und dann verbindlich beschlossen werden müsse (Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 292, Nr. 239). 312 Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Göppingen 13. Mai 1557: GStA PK, XX. HA, HBA A 2, K. 54 unpaginiert. 313 Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 21. Juni 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 11v–13r (Reinschrift), hier fol. 12v. 314 Der Brief selbst ist nicht auffindbar. Datum und Inhalt sind jedoch zu erschließen aus Christophs Antwort vom 4. Juli (vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Frankfurt
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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Briefes war Timotheus Gerschau, der ihn in Frankfurt am Rande des dortigen Konvents dem württembergischen Herzog zustellte, vermutlich am 30. Juni.315 Gerschau bekam in Frankfurt316 auch Gelegenheit, bei Herzog Christoph vorzusprechen und die Anliegen seines Landesherrn mündlich anzubringen.317 Beherrschende Gegenstände der Unterredung Gerschaus mit dem Herzog wie auch des herzoglichen Schreibens an Christoph vom 30. Mai waren zum einen Albrechts Beschwerde über den Regensburger Nebenabschied und zum anderen seine Ankündigung, mit einer eigenen Gesandtschaft am bevorstehenden Kolloquium in Worms teilzunehmen. Die beiden Gegenstände standen in einem inneren Zusammenhang. Denn unter dem Eindruck des antiosiandrischen Votums im Regensburger Nebenabschied mußte es Albrecht als dringend geboten erscheinen, zur Verhinderung weiteren Ungemachs in Worms seine Interessen mit Nachdruck zur Geltung zu bringen, und da er sich auf die württembergische Fürsprache anscheinend nicht mehr verlassen konnte, lag für ihn die Teilnahme einer eigenen Gesandtschaft als geeignetes Mittel zur Wahrung seiner Interessen nahe. Hieraus ergibt sich auch der eigentlichen Zweck der Sendung Gerschaus: Er sollte, wenn möglich, die Fürsprache Württembergs wiedergewinnen und die Teilnahme einer preußischen Gesandtschaft am Religionsgespräch 4. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 22v–24r [Reinschrift], hier fol. 22v). 315 Das Datum ergibt sich aus Wilhelm von Massenbachs Mitteilung, er habe am „letzten Tag Junij“ ein an ihn gerichtetes Schreiben Albrechts vom 30. Mai empfangen (Wilhelm von Massenbach an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 25r–26r [Reinschrift], hier fol. 25r). 316 Fligge hat Gerschaus Mitteilung, er habe „bei M. G. H. zu Wirtemberg die befohlene geschefft verrichtet“ (Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r [Reinschrift], hier fol. 19v; Hervorhebung B. S.; zu Datierung und Adressierung dieses Schreibens vgl. Anm. 317) dahingehend mißverstanden, daß Gerschau in Württemberg beim Herzog vorstellig geworden sei (vgl. Fligge, S. 366). Der Kontext läßt aber keinen Zweifel, daß sich Gerschaus Schilderung auf eine Begegnung in Frankfurt bezieht und daß die Angabe „zu Wirtemberg“ kennzeichnet, um welchen gnädigen Herrn es sich handelt, nämlich den Herzog von Württemberg. 317 Gerschau berichtete darüber den Mitgliedern der preußischen Gesandtschaft zu Händen Andreas Aurifabers, des herzoglichen Leibarztes (Gerschau an Andreas Aurifaber in Leipzig, „seines abwesens M. Mattheo Vogelio doselbst zu brechen [i. e. zu öffnen]“, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r [Reinschrift]). Das Datum in der Datumszeile am Ende von Gerschaus Bericht ist ausgelassen. Es ergibt sich jedoch aus Gerschaus Schlußbemerkung, er habe „heut dato aller erst das schreiben von M. G. H. zu Wirtemberg bekommen, wie das datum ausweisen wird.“ (fol. 22r). Diese Angabe muß sich auf Christophs Brief an Albrecht vom 4. Juli beziehen (Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 22v–24r [Reinschrift]), so daß auch Gerschaus Bericht am 4. Juli auf die Post gegangen sein dürfte.
168 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik in Worms anbahnen. Keineswegs war Gerschau zum Frankfurter Konvent geschickt worden; daß er dessen Schlußphase beobachten konnte, dürfte eher zufällig zustande gekommen sein, denn es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß der Frankfurter Konvent in Königsberg überhaupt im voraus bekannt geworden wäre.318 Er scheint nicht früher als durch Gerschaus Berichterstattung sowie durch die Frankfurter Briefe Christophs und Massenbachs in Preußen aktenkundig geworden zu sein; letztere erreichten Herzog Albrecht aber erst am 26. August.319 Gerschaus Bericht gelangte möglicherweise sogar erst bei der Rückkehr der preußischen Gesandtschaft im September 1557 nach Königsberg. Anders als hier entwickelt stellt Fligge die preußische Stellung zum Frankfurter Konvent dar: „Zu seinem großen Bedauern hatte Albrecht die Nachricht von dem Frankfurter Konvent, der am 13. Juni beginnen sollte, viel zu spät erfahren. Sonst hätte er eine Gesandtschaft rechtzeitig abgeordnet.“320 Damit übereinstimmend sieht Fligge dann auch einen Begründungszusammenhang zwischen dem Frankfurter Konvent und der Abfertigung einer Gesandtschaft nach Worms: „Da der Frankfurter Tag verpaßt war, fertigte Herzog Albrecht Hans Jakob Erbtruchsess von Waldburg, Mag. Matthäus Vogel und Dr. Andreas Aurifaber als Gesandte zum Wormser Kolloquium ab.“321 Es ist jedoch unwahrscheinlich und ohne Anhalt in den Quellen, daß Herzog Albrecht bis zur Abfertigung der Gesandtschaft nach Worms am 23. Juli bereits Kenntnis vom Frankfurter Konvent erhalten hätte. Die Instruktion, die Kredenzbriefe für die Gesandten sowie die weiteren Begleitschreiben erwähnen den Frankfurter Konvent mit keinem Wort. Die Gesandtschaft wurde zudem abgefertigt, bevor Gerschau überhaupt in Frankfurt eingetroffen war. Die preußische Gesandtschaft ist mithin unabhängig von der Nichtbeteiligung Preußens am Frankfurter Konvent zustande gekommen. Ihre Absendung gründete vielmehr darin, daß Herzog Albrecht aus eigenem Antrieb – um nicht zu sagen: auf eigene Faust – beschloß, das bevorstehende Kolloquium in Worms zu beschicken. Mit seinem Beschluß setzte sich der unter polnischer Lehnshoheit stehende Herzog322 souverän darüber hinweg, 318 Auf der Durchreise in Wittenberg scheint Gerschau dann allerdings schon Kenntnis vom Frankfurter Konvent erlangt und die Absicht gehabt zu haben, den Konvent noch zu erreichen und dort Herzog Christoph anzutreffen. Denn nach Melanchthons Mitteilung an Baumgartner hatte Gerschau ihm gesagt, daß er nach Frankfurt eile: „dicebat se Francorfordiam [sic!] properare“ (Melanchthon an Baumgartner, Wittenberg 26. Juni [laut MBW.R Bd. 8, S. 64]: CR 9, Sp. 190, Nr. 6292 = MBW 8251). 319 Vgl. Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 1. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 86r–93r [Reinschrift], hier 93r. 320 Fligge, S. 361. Einen Beleg für seine Darstellung führt Fligge leider nicht an. 321 Fligge, S. 362. 322 Vgl. Gundermann, S. 221 f.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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daß die Teilnahme am Wormser Religionsgespräch als einem Reichsreligionsgespräch auf die Glieder des Reichs beschränkt war und daß auch die einzelnen Gesprächsteilnehmer auf dem Regensburger Reichstag bereits namentlich bestimmt worden waren. Albrechts zum Vortrag in Worms bestimmte Erklärung über Grund und Zweck der Gesandtschaft323 sowie seine Begleitschreiben324 zeigen allerdings, daß es dem preußischen Herzog gar nicht um eine Teilnahme an dem im Reichsabschied festgesetzten Reichsreligionsgespräch zwischen römisch-katholischer und evangelischer Seite ging. Mit keinem Wort wird die reichsoffizielle Gesprächshandlung berührt. Stattdessen bezieht sich Albrecht auf seine frühere Bitte an die CA-verwandten Stände um ein Kolloquium. So begründet er Herzog Christoph gegenüber die Gesandtschaft damit, daß er nicht beschuldigt werden wolle, er habe oft um ein Kolloquium gebeten und nehme nun nicht teil.325 Sein ganzes Interesse galt mithin den innerevangelischen Verhandlungen in Worms, wie sie als Vorkonvent im Nebenabschied für den 1. August in Worms angesetzt waren. Ernst Bizer sieht daher der Gesandtschaftsabfertigung ein Mißverständnis zugrunde liegen: „Herzog Albrecht hat offenbar die Nachricht von dem Colloquium in Worms dahin mißverstanden, daß es sich dabei um ein von ihm immer wieder erhofftes innerevangelisches Gespräch handle […].“326 Es dürfte sich allerdings weniger um ein Mißverständnis gehandelt haben als darum, daß Albrecht aus seiner Interessenlage heraus die Dimension des Reichsreligionsgesprächs gar nicht wahrnahm. In Übereinstimmung damit ist Albrechts Referenztext bei der Abfertigung seiner Gesandten nicht der Reichsabschied, sondern der Neben323 Anstelle einer an die Gesandten gerichteten Instruktion bekamen diese eine zum Vortrag vor den Fürsten und Gesandten in Worms bestimmte Erklärung über Grund und Zweck der Gesandtschaft mitgegeben. Die ‚Herzogliche Erklärung‘ eröffnet die Reinschrift der Gesandtschaftsakten (GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 2r–11r); vgl. Fligge, S. 362 f. bei Anm. 147. 324 Die Reinschrift der Gesandtschaftsakten verzeichnet folgende Begleitschreiben: Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 21. Juni 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 11v–13r; Kredenzbrief für die Gesandten, Königsberg 21. Juni 1557: ebd., fol. 13v–14r; Kredenzbrief an die Herzöge von Sachsen, Königsberg 23. Juni 1557: ebd., fol. 14rv; Hzg. Albrecht an Brenz, Königsberg 23. Juni 1557: ebd., fol. 15rv; Hzg. Albrecht an Melanchthon, Königsberg o. D.: ebd., fol. 15v–16r = MBW 8256; Hzg. Albrecht an Marbach, Königsberg o. D.: ebd., fol. 17rv; Hzg. Abrecht an Wilhelm von Massenbach, Königsberg 23. Juni 1557: ebd, fol. 17v–19r. Mit Ausnahme der Schreiben an Herzog Christoph und an den württembergischen Obermarschall Massenbach haben die Begleitschreiben formellen Charakter. 325 Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 21. Juni 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 11v–13r (Reinschrift), hier fol. 12v. Entsprechend argumentierte Albrecht auch in der ‚Herzoglichen Erklärung‘ (GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 2r–11r; vgl. Fligge, S. 363). 326 Bizer, Analecta, S. 360, Einleitung zu Nr. 38.
170 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik abschied, auf den er sich in doppelter Weise bezieht: Zum einen interpretiert er wie ausgeführt den dort vereinbarten innerevangelischen Vorkonvent als allgemeines Kolloquium der Stände Augsburgischer Konfession zur Beilegung ihrer internen Auseinandersetzungen – hier wird der Nebenabschied als Rechtsgrund für die Teilnahme an den Verhandlungen in Anspruch genommen. Zum anderen ist der Nebenabschied aber auch als Gegenstand der Verhandlungen im Blick: Albrecht strebt eine Revision der im Nebenabschied vorgenommenen Einstufung der Anhänger Osianders als Sekten und Rottengeister an. Am offensten formuliert er das in seinem Schreiben an den württembergischen Obermarschall Wilhelm von Massenbach: „Derwegen gelanget an euch unser gnedigs begern, wollet verholffen sein, damit des Herrn Osiandri Namen aus dem neben Abschied gethan werde.“327 Hier wird greifbar, daß die Beschwichtigungen im Schreiben des württembergischen Herzogs vom 13. Mai328 Albrecht noch keineswegs zufriedengestellt hatten, auch wenn er es in seiner Antwort an Christoph vom 21. Juni329 nicht zur Sprache brachte. Darum konnte er auch keineswegs von der Abfertigung der Gesandtschaft absehen. Das konkrete Anliegen, das antiosiandrische Votum des Nebenabschieds zu revidieren, ist dem Gesamtziel zugeordnet, das Albrecht mit seiner Gesandtschaft verfolgt:330 Der Vorwurf, die preußische Kirche stehe im Widerspruch zur CA, soll wirksam entkräftet und so eine Aussöhnung mit den Augsburger Konfessionsverwandten herbeigeführt werden. Horizont aller Bemühungen Albrechts ist die Befriedung und Besserung der durch die anhaltenden Streitigkeiten zerrütteten kirchlichen Verhältnisse in Preußen. Mit den vorgestellten Maßgaben fertigte Herzog Albrecht seine Gesandtschaft nach Worms ab. Sie war besetzt mit dem Landhofmeister Hans Jakob Erbtruchseß von Waldburg als aristokratisch-diplomatischem Repräsentanten, dem Theologen Matthäus Vogel, Domprediger in Königsberg und Vertreter einer vermittelnden Position im Osiandrischen Streit,331 und dem überaus einflußreichen herzoglichen Leibarzt Andreas Aurifaber,332 einem der führenden Anhänger Osianders in Preußen. Aurifaber hatte trotz seiner bezogen auf den Gesandtschaftszweck informellen Position als Leibarzt eine Schlüsselstellung in der Gesandtschaft inne: An ihn richtete Gerschau offensichtlich auftragsgemäß seinen Bericht aus Frankfurt und ersuchte um
327 Hzg. Abrecht an Wilhelm von Massenbach, Königsberg 23. Juni 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 17v–19r (Reinschrift), hier fol. 18v. 328 Vgl. oben Anm. 309. 329 Vgl. oben Anm. 313. 330 Vgl. Fligge, S. 362 f. 331 Zu Vogels Person und Haltung vgl. Fligge, S. 166–169. 332 Zu Aurifabers Person, Haltung und Einfluß vgl. Fligge, S. 154–156.
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Urlaub bei ihm.333 Auch war Aurifaber bevollmächtigt, Briefe des württembergischen Herzogs an Herzog Albrecht zu öffnen.334 2.3.1.2 Gerschau in Frankfurt und das Scheitern einer direkten preußischen Beteiligung am Religionsgespräch Während die preußische Gesandtschaft sich bereits auf dem Weg ins Reich befand, war dort Timotheus Gerschau unterwegs, um die Teilnahme der Gesandtschaft an den Verhandlungen in Worms anzubahnen. Melanchthon erwähnt in einem Brief an Hieronymus Baumgartner vom 26. Juni, daß Gerschau vor wenigen Tagen auf der Durchreise nach Frankfurt bei ihm in Wittenberg gewesen sei; dabei sei über die livländischen Kriegshandlungen gesprochen worden.335 Ist daher zu vermuten, daß Gerschau von Osten, mutmaßlich direkt aus Königsberg kam, so wird diese Vermutung dadurch bestätigt, daß er in Frankfurt angelangt am 30. Juni den Brief Herzog Albrechts an Herzog Christoph vom 30. Mai überbrachte.336
Wie oben bereits gezeigt,337 galt Gerschaus Sendung zum einem der Verstimmung zwischen Preußen und Württemberg infolge des Regensburger Nebenabschieds. Zum anderen sollte er die Teilnahme der preußischen Gesandtschaft am Kolloquium in Worms anbahnen. Hinsichtlich des für Preußen so beunruhigenden und enttäuschenden antiosiandrischen Votums im Regensburger Nebenabschieds wurde Gerschau von württembergischer Seite beschwichtigt. Wie bereits in seinem Schreiben vom 13. Mai distanzierte sich der württembergische Herzog vom Regensburger Nebenabschied.338 Zur Bekräftigung seiner Distanzierung gab der Herzog Gerschau Gelegenheit, Christophs eigenhändige Anmerkungen zum Nebenabschied zu kopieren, in denen er ausdrücklich hinter die Einstufung der Osiandristen als Sektierer zurückging.339 Während für den 333 Vgl. Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 21r. 334 Vgl. Hans Jakob Erbtruchseß zu Waldburg an Hzg. Albrecht, Leipzig 18. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 57v–58v (Reinschrift), hier fol. 58r. 335 Vgl. Melanchthon an Baumgartner, Wittenberg 26. Juni (zur Datierung vgl. MBW.R Bd. 8, S. 64): CR 9, Sp. 190, Nr. 6292 = MBW 8251. 336 Vgl. zu diesem Brief Anm. 314, zu seiner Datierung Anm. 315. 337 Vgl. oben bei Anm. 318. 338 Vgl. Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 19v. 339 Vgl. Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 19v. Gerschaus eigenhändige Abschrift liegt vor in GStA PK, XX. HA, HBA A 1, K. 13, 14. Fasz., 4. Stück (Aufschrift „14–11–9“), unfoliiert; eine Reinschrift dieser Abschrift im Zusammenhang der Gesandtschaftsakten in HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 26r–30r. Vgl. dazu Fligge, S. 357 bei Anm. 130.
172 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Herzog laut seinen Anmerkungen das Verwerfungsurteil über Wiedertäufer und Schwenkfelder feststand, forderte er „[s]oviel Osiandrum belanget[,] Das sein Lehr vnd Schreiben absque vlla affectione Judiciert wurde, Auch die daruber gehort wurden, die da der sachen mehr wissens hetten, denn die Eilenden Condemnanten“340. Den Ausgang einer solchen vorurteilsfreien Beurteilung hielt er für offen, ja er rechnete mit der Möglichkeit einer Zurückweisung der „Eilenden Condemnanten“: „Wo nun befunden, das die zu reijciern, Alsdan geschehe es“341. Eine eventuelle Verurteilung Osianders hingegen thematisierte er nicht weiter. Der Herzog persönlich342 gab Gerschau auch Einblick, wie er sich in Frankfurt „mehr denn ehe zuuor“ persönlich für eine gemäßigtere Einstellung gegenüber Osiander verwendet habe, so bei Landgraf Philipp von Hessen, der daher „die sachen nimmer so gar verdammlich“ beurteile, und beim kursächsischen Kanzler Mordeisen.343 Flankiert wurden die herzoglichen Einlassungen durch Mitteilungen Jakob Andreaes über seine gleichgerichteten Interventionen bei Nikolaus Gallus während des Regensburger Reichstages sowie bei den hessischen Theologen in Frankfurt.344 In seiner Erwiderung auf das von Gerschau überbrachte, Vorhaltungen wegen des Nebenabschieds enthaltende Schreiben Herzog Albrechts vom 30. Mai345 konnte sich Christoph nach dem Austausch mit Gerschau darauf beschränken, auf sein eigenes Schreiben vom 13. Mai zu verweisen, das Albrecht mittlerweile erhalten haben müßte.346 Zur Bestätigung dessen, was Albrecht aus Frankfurt berichtet werden würde, fügte er außerdem Abschriften sämtlicher wichtigen Dokumente vom Frankfurter Konvent bei.347 Albrecht sollte sich selbst überzeugen können, daß in Frankfurt das 340 Gerschaus eigenhändige Abschrift des von Hzg. Christoph eigenhändig kommentierten Regensburger Nebenabschieds, zu Art. II des Nebenabschieds: GStA PK, XX. HA, HBA A 1, K. 13, 14. Fasz., 4. Stück (Aufschrift „14–11–9“), unfoliiert: Bl. 2r. 341 Gerschaus eigenhändige Abschrift des von Hzg. Christoph eigenhändig kommentierten Regensburger Nebenabschieds, zu Art. II des Nebenabschieds: GStA PK, XX. HA, HBA A 1, K. 13, 14. Fasz., 4. Stück (Aufschrift „14–11–9“), unfoliiert: Bl. 2r. 342 „[…] wie ich von dem Hertzog selbst vernommen […]“ (Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r [Reinschrift], hier fol. 19v). 343 Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 19v–20r. Fligge stellt es fälschlich so dar, als habe Gerschau mit den kursächsischen Gesandten gesprochen (vgl. Fligge, S. 367). 344 Vgl. Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r [Reinschrift], hier fol. 19v. 345 Vgl. oben Anm. 314 346 Vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 22v–24r (Reinschrift), hier fol. 22v–23r. 347 Die Abschriften der Frankfurter Dokumente sind in Reinschrift überliefert in GStA PK, XX. HA, HBA J 2, Vol. VI, fol. 30r–57r.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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antiosiandrische Votum des Regensburger Nebenabschieds nicht wiederholt, der Nebenabschied vielmehr implizit durch die Frankfurter Beschlüsse relativiert, wenn nicht sogar für die beteiligten Stände außer Kraft gesetzt worden war. Damit war den Beweggründen, die Herzog Albrecht zur Sendung Gerschaus und der Gesandtschaft veranlaßt hatten, viel von ihrer Brisanz genommen. Tatsächlich vermochten es die württembergischen Darlegungen – anders als Christophs Schreiben vom 13. Mai –, den preußischen Herzog zu beschwichtigen, aber freilich erst Ende August, nachdem er sie erhalten hatte.348 Auch wenn somit die Beweggründe für die Gesandtschaft noch in Frankfurt an Brisanz verloren, war Gerschau dennoch gehalten, die Gesandtschaft anzukündigen und ihre Mission vorzubereiten. Auch diesen Punkt konnte er bei Herzog Christoph direkt anbringen. Christoph aber hielt es Gerschaus Bericht zufolge „nicht fur rathsam“, von preußischer Seite „eine statliche ansehenliche botschafft“ zum Religionsgespräch zu entsenden.349 Vier Gründe führte Christoph laut Gerschau dafür an:350 Zunächst gab er zu bedenken, daß der Fortgang des anberaumten Religionsgesprächs ungewiß sei. Sodann verwies er auf die Gefahren, denen die Gesandten wegen der fortbestehenden Reichsacht gegen Albrecht351 ausgesetzt sein könnten. An dritter Stelle führte Christoph im Blick auf die kontroverstheologische Situation in Worms die Befürchtung an, „das es auch Ergerlich an dem ortte vmb der aduersariorum willen sein werde, vnd etzliche Colloquenten als D. Brentius vnd andere dadurch verdechtig gemacht.“352 In Gerschaus Wiedergabe bleibt unklar, ob mit den adversarii die römisch-katholischen Kolloquenten oder antiosiandrisch gesinnte evangelische Kontrahenten gemeint sind, wobei es zumindest Christophs sonstigem Sprachgebrauch nicht entspräche, letztere als adversarii zu bezeichnen. Klar ist aber, daß Christoph die Präsenz einer preußischen Gesandtschaft in Worms als abträglich 348 Albrecht erhielt Christophs Schreiben vom 4. Juli am 26. August und beantwortete es am 1. Oktober ausführlich (Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 1. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, J 2 975, fol. 86r–93r [Reinschrift]). Dabei ging er auch auf die Verstimmungen infolge des Regensburger Nebenabschieds ein: „Das aber E. L. den Regenspurgischen nebenabschied was den Osiandrum belangt, nicht gebilligt viel weniger eine vrsach (wie wir berichtet worden) darzu gegeben nehmen wir E. L. freuntlich entschuldigt […].“ (fol. 91v–92r). Albrecht behauptete nun sogar: „[…] dan wir one das den ersten bericht glauben zu geben bedencken gehapt, da wir ein anders E. L. in Gottes furcht zugetrawen.“ (fol. 92r). 349 Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli 1557]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 20r. 350 Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli 1557]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 20rv. 351 Die Reichsacht war 1532 wegen des Übergangs zur Reformation gegen Albrecht verhängt worden (vgl. Gundermann, S. 223). 352 Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli 1557]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975 Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 20v.
174 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik für das Anliegen Herzog Albrechts ansah und fürchtete, Brenz und andere könnten dadurch in den Verdacht des Osiandrismus geraten – eine Diskreditierung des wichtigsten theologischen Fürsprechers einer gemäßigten Haltung gegenüber Osiander, mit der auch Herzog Albrechts Interessen nicht gedient wäre. Schließlich brachte Christoph laut Gerschau vor, „das auch nichts fruchtbarlichs da selbst wurde ausgerichtet werden, nachdem man do nicht Synodice handeln konte.“353 Mit dem vierten Argument suchte er Albrechts Erwartung zu entkräften, daß in Worms der Osiandrische Streit entschieden und dadurch die Befriedung der preußischen Kirche befördert werden könne. Hier zeigt sich zugleich, daß Christoph keine Möglichkeit mehr sah, vor dem Religionsgespräch interne evangelische Auseinandersetzungen verbindlich beizulegen. Dies konnte nach seiner Auffassung nur eine Synode, die aber der Vorkonvent in Worms anders als von Herzog Albrecht angenommen keineswegs sein würde. Es liegt im Gefälle dieses Arguments, daß Christoph durch Gerschau dem preußischen Herzog als Alternative zur Beschickung des Wormser Religionsgespräch den Vorschlag übermitteln ließ, bei den Augsburger Konfessionsverwandten schriftlich um eine Generalsynode anzuhalten, „da diese und andere Controversiae georttert, vnd gleichformigkeit aufgerichtet“ werden könnten.354 Dieses Gesuch sollte Albrecht nach Worms an die Assessoren und übrigen Deputationen richten; offensichtlich meinte Christoph, daß Albrecht sich hierbei die Anwesenheit so vieler CA-verwandter Stände zunutze machen könnte. Ganz auf der Linie seiner Äußerungen gegenüber Gerschau teilte Christoph am 4. Juli dem preußischen Herzog dann auch noch schriftlich mit: „Das aber E. L. willens itzt vorstehend Colloquium besuchen zu lassen, kunden wir bei vns nicht erachten das es von notten, dan die Theologi so mit einander Colloquirn sollen albereits benent vnd vnsers ermessens nit mer darzu gelassen werden.“355 Der württembergische Herzog stellt damit betont den Charakter des Wormser Religionsgesprächs als eines Reichsreligionsgesprächs zwischen römisch-katholischer Seite und Augsburger Konfessionsverwandten auf der Grundlage des Reichsabschieds und der in Regensburg erfolgten Nominierung der Kolloquenten heraus – exakt gegenläufig zu Albrechts ausschließlichem Interesse an dem als allgemeines Kolloquium der CA-verwandten Stände interpretierten innerevangelischen Vorgespräch auf der Grundlage des Nebenabschieds. 353 Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli 1557]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 20v. 354 Gerschau an Andreas Aurifaber, Frankfurt [4. Juli 1557]: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 19r–22r (Reinschrift), hier fol. 20v. 355 Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 22v–24r (Reinschrift), hier fol. 23r.
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Auch hier schloß Christoph die Empfehlung an, Albrecht möge sich schriftlich an die Assessoren und die übrigen Teilnehmer in Worms wenden und an seine wiederholten Kolloquiumsanfragen erinnern. Zusätzlich verwies er auf die im Frankfurter Abschied ins Auge gefaßte Synode nach dem Wormser Religionsgespräch, zu der „vnser erachtens E. L. ire Theologos vnd Rette schicken mochten, vnd ire notturft daselbst furbringen lassen“356. Fligge stellt zutreffend fest: „Die Taktik Herzog Christophs lief darauf hinaus, das Vorgespräch nur zur Vorbereitung des Kolloquiums zu nutzen und die innerevangelischen Streitigkeiten auf eine andere Synode zu verschieben […].“357 Dieselbe Tendenz konnte bereits in den Frankfurter Beschlüssen nachgewiesen werden;358 hier ist sie nun aber viel deutlicher zu fassen. So kohärent Herzog Christophs mündliche und schriftliche Äußerungen waren, so wenig stimmte damit indes überein, was Christophs Obermarschall Massenbach am selben Tage an Albrecht schrieb. Wie Massenbach rekapitulierte, hatte Albrecht ihn in einem separaten Schreiben vom 30. Mai unter Ankündigung weiterer Erläuterungen durch Gerschau gebeten, er möge seine, Albrechts, Gesandte nach Worms „in gutter befurderung“ haben und ihnen eine Herberge in der Nähe der württembergischen Räte und Zugang zu den Württembergern verschaffen.359 Massenbach teilte darauf zunächst mit, daß das Religionsgespräch möglicherweise abgesagt werden müsse, weil die Gegenseite es Gerüchten zufolge nicht besuchen werde. Sollte es aber doch zustande kommen, sicherte er dann jedoch zu, so wolle er „die sachen der massen anschicken, das E. F. G. gesanten mit guter herberg vnd anderm versehen sollen sein“360. Offensichtlich war hier das Vorgehen zwischen dem Herzog und seinem Rat nicht abgestimmt. Möglicherweise geht es hierauf zurück, daß später das Herzogtum Preußen doch in Worms vertreten war, wenn auch in anderer Weise, als von Herzog Albrecht ursprünglich intendiert.361 Gerschau stellte der bereits auf dem Weg befindlichen preußischen Gesandtschaft seinen Bericht wie vereinbart über einen Mittelsmann in Leipzig zu, wo die Gesandten am 15. Juli eintrafen.362 Den Gesandten war auf356 Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 22v–24r (Reinschrift), hier fol. 23r. 357 Fligge, S. 365 f. 358 Vgl. oben in Abschnitt 2.1.2.6 bei Anm. 178. 359 Wilhelm von Massenbach an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GHStAPK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 25r–26r, hier fol. 25r. 360 Wilhelm von Massenbach an Hzg. Albrecht, Frankfurt 4. Juli 1557: GHStAPK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 25r–26r, hier fol. 25v. 361 Vgl. unten Abschnitt 3.5.5. 362 Vgl. die Zwischenbemerkung in der Reinschrift der Gesandtschaftsakten GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 10r): „Wie nun die Gesanten den 15. Julij zu Leiptzigk vormelts Gotlicher huelff, wol ankommen, Beschickten sie Hans Schmitmer
176 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik getragen worden, sich nach dem zu richten, was Herzog Christoph ihnen anraten werde.363 Den Rat des württembergischen Herzogs konnten sie dem Bericht Gerschaus sowie dem Brief Christophs an Herzog Albrecht vom 4. Juli entnehmen, den Andreas Aurifaber seiner Vollmacht gemäß öffnen durfte.364 Über ihre Schlußfolgerungen berichtet eine Zwischenbemerkung in der Reinschrift der Gesandtschaftsakten: „Demnach aber der Hertzog von Wirtenbergk etc. widerrit, das F. D. zu Preussen etc. itziger Zeitt keine ansehnliche Botschafft auffs Colloquium schicket, ward bein Geschickten365 vor ratsam gefunden das sie sich teilten, Der Herr Truchses vnd M. Matthaeus Vogel mit dreien Reuttern weiter zugen Vnd D. Andreas Aurifaber durch Wittenberg widerkerete, da auch F. D. zu Preussen etc. vorstehends Lifflendischen kriegs wegen ires Leipartztes nicht wol entperen“366.
Das Gesandtschaftsprojekt in seiner ursprünglich vorgesehenen Form war damit beendet, wie insbesondere die Rückkehr Aurifabers belegt, dem eine Schlüsselfunktion in der Gesandtschaft hätte zukommen sollen. Ob die beabsichtigte Teilnahme an den Wormser Verhandlungen damit aber bereits ganz aufgegeben war oder vorerst nur davon abgegangen wurde, durch eine „ansehnliche Botschafft“ in Worms Präsenz zu zeigen, läßt sich hingegen nicht sicher ausmachen. Einiges spricht dafür, daß Truchseß von Waldburg und Vogel in Stuttgart, wohin sie sich nun begaben, zunächst einmal das weitere Vorgehen unter den veränderten Vorzeichen erörtern wollten. Zumindest wurde die Beschickung des Religionsgesprächs bei den folgenden Unterredungen in Stuttgart und Waldenbuch mit Brenz und Herzog Christoph noch einmal zum Gegenstand.367 Faktisch war aber mit der Aufteilung in Leipzig nicht nur aller Schwung aus dem Gesandtschaftsprojekt genommen, sondern es war auch die von Herzog Albrecht intendierte direkte Beteiligung Preußens an den Wormser Verhandlungen gescheitert. 2.3.1.3 Die Unterhandlungen in Württemberg Die Unterhandlungen der preußischen Gesandtschaft in Württemberg, nunmehr reduziert auf den Theologen Matthäus Vogel und den Landhofmeister Erbtruchseß von Waldburg, erstreckten sich vom 31. Juli bis zum F. D. zu Preussen bephelich nach, der den Gesanten Brieffe vnd allerlei Acta von Franckfurt vberantwortet.“ 363 Vgl. Hans Jakob Erbtruchseß von Waldburg an Hzg. Albrecht, Leipzig 18. Juli 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 57v–58r (Reinschrift), hier fol. 58r. 364 Vgl. oben bei Anm. 334. 365 Die Wendung „bein Geschickten“ steht für ‚bei den Gesandten‘. 366 Zwischenbemerkung in der Reinschrift der Gesandtschaftsakten: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 57v. 367 Vgl. unten bei Anm. 377–381.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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10. August.368 Zunächst konferierten die Gesandten in Stuttgart mit Brenz, bevor sie am 3. August mit ihrem nach Brenz’ Rat überarbeiteten Gesuch bei Herzog Christoph in Herrenberg vorstellig wurden. Die entscheidenden Beratungen fanden am 7. August im Jagdschloß Waldenbuch statt. Herzog Christoph beriet sich dort den ganzen Vormittag mit Brenz und seinen Räten, die bereits am Vortag eingetroffen waren. Beim Mittagessen teilte der Herzog den unterdessen ebenfalls in Waldenbuch angelangten Gesandten summarisch das Ergebnis der Beratungen mit. Am Nachmittag wurden Vogel und der Erbtruchseß zu Waldburg zu einer Besprechung mit Brenz und den Räten gebeten. Eingangs erläuterte der württembergische Kanzler ausführlich die Lageeinschätzung und die Empfehlungen der Württemberger; anschließend wurden einzelne Punkte beraten und vertieft. In den folgenden Tagen wurden die Ergebnisse in einem Rezeß schriftlich fixiert; bestimmte Aspekte flossen auch in eine Reihe von Briefen an Herzog Albrecht ein. Im Verlauf der Unterhandlungen tritt deutlich die zentrale Rolle von Johannes Brenz hervor: Er half nicht nur dem preußischen Gesuch auf den Weg, sondern war dann auch maßgeblich an allen Beratungen über das Gesuch beteiligt. Damit stimmt überein, daß er sich sowohl den Gesandten als auch Herzog Albrecht gegenüber verpflichtete, im Rahmen seiner Möglichkeiten Nachteile von Preußen abzuwenden. Wie sehr Brenz sich daran gebunden fühlte, sollte sich in der Folgezeit erweisen. Die Gegenstände der Unterhandlungen lassen sich drei Themen zuordnen: Noch einmal werden in Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Auftrag der Gesandtschaft, an den Wormser Verhandlungen teilzunehmen, die württembergischen Bedenken gegen eine preußische Beteiligung dargelegt. Eng verknüpft damit ist das zweite Thema: das Problem einer Verwerfung der Osiandristen durch die Augsburger Konfessionsverwandten im Reich. Hier werden der Regensburger Nebenabschied und der Frankfurter Konvent rekapituliert. Das dritte Thema ist das weitere Vorgehen zur Befriedung der preußischen Kirche. Mit dem Fortschreiten der Unterhandlungen rückte das dritte Thema in den Mittelpunkt. Ausgangspunkt dafür war der preußische Plan, die CAverwandten Reichsstände um eine gemeinsame schriftliche Adhortation an die preußischen Stände oder zumindest die Ritterschaft zu ersuchen. Die Württemberger rieten davon ab, weil sie mündliche Verhandlungen für erfolgversprechender hielten. Sie schlugen statt dessen eine hochrangig zu besetzende Legation der Augsburger Konfessionsverwandten nach Preußen vor, durch deren Vermittlung dort eine Friedensordnung durchgesetzt wer368 Dem folgenden Überblick über Verlauf und Gegenstände der preußisch-württembergischen Verhandlungen liegt zugrunde ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 360–370, Nr. 38.
178 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik den sollte. Die preußischen Gesandten widersprachen dem unvermuteten Vorschlag nicht, verschafften sich aber Spielraum, indem sie die Frage aufwarfen, ob sie sich nicht von Herzog Albrecht neu instruieren lassen sollten, bevor sie sich zur Ausführung des Vorschlags an die CA-verwandten Stände im Reich wendeten. Die Württemberger stimmten dem zu, und so kehrten die Gesandten schließlich von Württemberg aus direkt nach Preußen zurück. Damit war die Mission der Gesandtschaft endgültig abgeschlossen. Herzog Albrecht nahm das zunächst nur widerstrebend zur Kenntnis,369 erkannte es dann aber in einem Brief an Brenz vom 20. Oktober ausdrücklich an370. Es trifft nicht zu, daß Herzog Albrecht sich erst am 20. Dezember 1558 zu dem württembergischen Vorschlag einer Legation nach Preußen geäußert haben soll, wie von Bizer mitgeteilt.371 Bizer kannte offensichtlich den in der Reinschrift der Gesandtschaftsakten überlieferten Brief Albrechts an Christoph vom 1. Oktober 1557 nicht, in dem Albrecht auch auf den Legationsvorschlag einging und Christoph wissen ließ, daß der Vorschlag ihm wegen seiner früheren Erfahrungen mit Vermittlungsversuchen durch auswärtige Gesandte bedenklich erscheine.372 Dennoch ließ Albrecht sich auf den Vorschlag so weit ein, daß er Artikel einer Instruktion für die Legation vorschlug und um die Entsendung Andreaes als Legationsmitglied bat.373 Obwohl Albrecht also tatsächlich wie von Bizer dargestellt „an dem württembergischen Plan keinen Geschmack finden konnte“374, ist das Legationsprojekt letztlich nicht an seinem Widerstreben gescheitert, sondern daran, daß die Entwicklungen in Preußen und im Reich darüber hinweggingen.
Nach dem dargebotenen Überblick über Verlauf und Ausgang der Gesandtschaftsmission in Württemberg ist nun noch einmal auf die Behandlung 369 Vgl. Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 1. Oktober 1557: GStA PK, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 86r–93r [Reinschrift], hier fol. 87rv. 370 Albrecht ließ Brenz wissen: „Was das Colloquium zu Wormbs belanget, haben wir numer eingestelt […].“ (Hzg. Albrecht an Brenz, Königsberg 26. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 115v–118v (Reinschrift), hier fol. 116r. 371 Vgl. Bizer, Analecta, S. 360, Einleitung zu Nr. 38: „Erst am 20. Dezember 1558 kommt er [scil. Herzog Albrecht] auf die Sache zurück, nachdem sie sich selbst erledigt hatte.“ Bizers Darstellung ist bereits von Fligge als unzutreffend erkannt worden (vgl. Fligge, S. 773, Anm. 2). Dennoch behauptet Fligge im Zuge seiner Behandlung der preußischen Gesandtschaft in Württemberg unter Berufung auf Bizer: „Auf den Gesandtschaftsplan hat er [scil. Herzog Albrecht] jedoch vorerst mit höflichem Schweigen geantwortet.“ (Fligge, S. 371). Das angebliche ausdauernde Schweigen Albrechts währte aber keine drei Wochen: von dem durch Vogel angekündigten Eintreffen Truchseß von Waldburgs bei Albrecht um den 12. September (vgl. Vogel an Hzg. Albrecht, Königsberg 9. September 1557: Bizer, Analecta, S. 372, Nr. 39) bis zur Absendung von Albrechts Antwort an Christoph am 1. Oktober (vgl. Anm. 372). 372 Vgl. Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 1. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 86r–93r (Reinschrift), hier fol. 88rv. 373 Vgl. Hzg. Albrecht an Hzg. Christoph, Königsberg 1. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 86r–93r (Reinschrift), hier fol. 90r–91v. 374 Bizer, Analecta, S. 360, Nr. 38.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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der ersten beiden Themen in den Unterhandlungen zurückzukommen, da sie nicht allein für den Ertrag der preußischen Gesandtschaft, sondern in hohem Maße auch für die württembergische Vorbereitung auf das Wormser Religionsgespräch von Belang gewesen ist. Zunächst zur erneuten Begründung der württembergischen Vorbehalte gegen eine Teilnahme der preußischen Gesandten am Wormser Religionsgespräch: Sie nahm großen Raum ein in der ersten Besprechung der Gesandten mit Brenz, was veranlaßt war durch die Aushändigung eines Briefes Herzog Albrechts an Brenz.375 Es dürfte sich dabei um Albrechts Begleitschreiben für die Gesandtschaft an Brenz vom 23. Juni gehandelt haben, durch welches der Herzog Brenz um seine Unterstützung für das Gesandtschaftsprojekt ersuchte.376 Wie es zuvor schon die Württemberger in Frankfurt gegenüber Gerschau getan hatten, riet aber auch Brenz laut Vogels Bericht entschieden vom Besuch des Kolloquiums ab.377 Brenz erklärte, noch sei nicht sicher, ob es überhaupt zu dem Kolloquium kommen werde. Für den Fall des Zustandekommens stellte Brenz den Gesandten den Charakter des Kolloquiums als eines Reichsreligionsgesprächs zwischen evangelischer und römischkatholischer Seite vor Augen, welches „nicht vnsers parts, sondern der papisten halben angestellt“ wäre und wozu bereits von beiden Seiten die Kolloquenten benannt seien. Insofern erwartete Brenz, daß die preußischen Anliegen, die Beilegung des Osiandrischen Streits und die Befriedung der preußischen Kirche, dort gar nicht zur Verhandlung angenommen würden. Für den Fall, daß die preußischen Anliegen wider Erwarten doch angenommen würden, gab Brenz Vogel zufolge zu bedenken, daß eine nutzbringende synodale Behandlung der Auseinandersetzung über Osianders Rechtfertigungslehre gar nicht mehr möglich sei wegen der vorausgegangenen falschen Verdächtigungen und Verbitterungen. Zum Beleg führte er laut Vogel an, daß die sächsischen Theologen ihre öffentlich ausgegangenen Urteile gegen Osiander nicht zurückziehen, sondern bestätigen würden, woran sich vermutlich die meisten oberländischen anschlössen, zumal sie sich aus Unkenntnis der Materie eines eigenen Urteils enthielten. Nüchtern wies Brenz die Gesandten auf die ungünstigen Mehrheitsverhältnisse hin; in 375 Vgl. ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 360, Nr. 38; vgl. ferner Fligge, S. 368. 376 Vgl. Hzg. Albrecht an Brenz, 23. Juni 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J 2, K. 975, Vol. VI, fol. 15rv (Reinschrift); vgl. zu diesem Schreiben Fligge, S. 364 bei Anm. 149. Fligges Gleichsetzung des Brenz überreichten Schreibens mit dem Gesuch an Herzog Christoph, über welches die Gesandten in den folgenden Tagen mit Brenz berieten (Fligge, S. 368 in Verbindung mit S. 746, Anm. 157), ist unzutreffend. 377 Vgl. hierzu und zum Folgenden ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 360 f., Nr. 38.
180 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Vogels Wiedergabe: „Die aber, so in [scil. Osiander] verstehn und candide iudicirn wolten, wurden mit solchem irem iudicio vor der meisten stimm wenigh ausrichten.“378 Es seien daher nur ein neuer Zusammenstoß und weitere Uneinigkeit zu erwarten. Zum Beleg seiner Warnung verwies Brenz mit bewegten Worten auf das Beispiel seiner eigenen Person, was für Verdächtigungen und übler Nachrede er ausgesetzt sei. Keine Auseinandersetzung in seinem Leben habe ihm mehr zugesetzt als diese, und besonders beklagenswert sei, daß er auch von Nahestehenden „also zerzaust“ worden sei, „daß er vermeint hett, wen er gar ein jud oder turckh worden wer, sie solten seuberlicher gegen im gefharen haben“379, wie Vogel seine Worte mitteilt. Daß die württembergische Position mittlerweile gut abgestimmt war, erhellt Vogels Nachricht über Brenz’ abschließenden Hinweis auf die politisch-rechtlichen Gefahren einer preußischen Visite in Worms, die Herzog Christoph dem preußischen Herzog bereits schriftlich dargelegt habe.380 Offensichtlich war Brenz die in Frankfurt entstandene württembergische Korrespondenz mit dem preußischen Herzog zugänglich gemacht worden. Das Thema wurde dann noch einmal berührt, als den preußischen Gesandten die Ergebnisse der entscheidenden Beratung des Herzogs mit Brenz und den Räten in Waldenbuch am 7. August mitgeteilt wurden. Die Württemberger bekräftigten hier im Namen des Herzogs laut Vogel noch einmal ihre Ablehnung einer preußischen Visite in Worms mit der Begründung, daß die preußische Auseinandersetzung dort nicht aufgegriffen werden würde, „weil mit den papisten furnemlich zu handlen daselbst furgenhumen und derhalben die collocutores solchen unsern handel nicht wurden annhemen“381. Fragt man hinter die für den diplomatischen Gebrauch bestimmte Argumentationsfigur zurück nach den württembergischen Motiven, so erscheint der angegebene Grund für die Ablehnung des preußischen Vorhabens geradezu als das Ziel der Ablehnung: Daß der Osiandrische Streit zur Verhandlung in Worms angenommen würde, gerade das soll vermieden werden. Denn käme die Causa Preußen dort zur Sprache, so geriete nicht nur Brenz, dessen prekäre Lage aus seiner eigenen Schilderung hervorgeht, gefährlich in die Schußlinie. Vielmehr stünde bei einem Aufbrechen der Auseinander378 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 361, Nr. 38. 379 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 361, Nr. 38. 380 Vgl. ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 361, Nr. 38. 381 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 367, Nr. 38.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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setzung um Osianders Rechtfertigungslehre genau das in Gefahr, worum sich Herzog Christoph im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs so sehr bemüht hatte: die geschlossene evangelische Front gegenüber der römischkatholischen Seite. War zum Erreichen der geschlossenen Front noch im Frühjahr eine Einigung im Rechtfertigungsartikel als erster Punkt der konfessionspolitischen Agenda Herzog Christophs erschienen,382 so schien nach der sächsischen Verweigerung einer Beteiligung an Christophs ursprünglichem Konventsprojekt jetzt die geschlossene evangelische Front nur noch erreichbar, wenn die internen Auseinandersetzungen vorläufig sistiert würden, wohin ja auch der Frankfurter Abschied tendierte. Nichts wäre einer solchen Sistierung abträglicher gewesen, als das Auftauchen einer preußischen Gesandtschaft in Worms. Entsprechend nachdrücklich wiesen sowohl Brenz als auch der Herzog darauf hin, daß das Wormser Religionsgespräch für Verhandlungen zwischen Augsburger Konfessionsverwandten und römisch-katholischer Seite anberaumt sei. Denn an substantiellen innerevangelischen Verhandlungen in Worms bestand in Württemberg augenscheinlich kein Interesse mehr – was sich auch darin ausdrückt, daß Brenz als der führende Theologe Württembergs in der ersten Augustwoche offensichtlich ohne jeden Zeitdruck mit den Preußen verhandelt und der Herzog in Waldenbuch jagt, obwohl doch vom Regensburger Nebenabschied für den 1. August die internen evangelischen Vorverhandlungen angesetzt waren. Die Preußen und zumal ihr Herzog wären allerdings mit dem bloßen formalen Verweis auf den Status des Reichsreligionsgesprächs kaum zufriedenzustellen gewesen. Denn die wichtigsten Triebfedern ihres Gesandtschaftsprojekts waren ja die Abwehr des antiosiandrischen Votums im Regensburger Nebenabschied, dessen Revision sie anstrebten, und die Befürchtung, in Worms könne eine neuerliche Verwerfung Osianders ausgesprochen werden. Sowohl Brenz als auch Herzog Christoph suchten die preußischen Befürchtungen zu zerstreuen. Brenz betonte, daß der Regensburger Beschluß rechtlich nicht bindend sei. Er trug den Gesandten auf, so Vogel, dem Herzog mitzuteilen, „das solche schriefft, so zu Regenspurgh gestelt […] kein rechter reichsabschied, sondern nur ein nebenabschied wer, der nicht von allen reichsstenden, wie auch nicht von f. Gn. zu Würtenbergh daselbst bewilligt“383. Deshalb sei der Nebenabschied auch zurückgehalten und nicht veröffentlicht worden. Herzog Christoph scheint auf den Nebenabschied bei der Audienz in Herrenberg nicht mehr eingegangen zu sein. Statt dessen gab er den Ge382
Vgl. Hzg. Christophs ‚Bedenken über die Einigkeit‘: Ernst IV, S. 293, Nr. 240. ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 362, Nr. 38. 383
182 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik sandten einen summarischen Bericht über den Frankfurter Konvent und ließ ihnen eine Abschrift der Konventsakten anfertigen.384 Bezogen auf die preußische Sorge vor einer Verwerfung Osianders erwähnte der Herzog eigens den Regensburger Superintendenten Nikolaus Gallus. Vogel gibt die betreffende Äußerung des Herzogs mit den Worten wieder, daß Gallus „in solchem Franckfurtischen conventu gern gekreet hett, aber man hett in nicht lassen aufkomen.“385 Dasselbe hatten die Gesandten ihrem Bericht zufolge etwas ausführlicher bereits von Brenz gehört. Er hatte ihnen berichtet, daß die in Frankfurt versammelten Theologen einhellig die CA unterschrieben und eine generelle Verwerfung von allem, „was derselben entgegen ist“, ausgesprochen hätten.386 Weiter gibt Vogel Brenz’ Ausführungen mit den Worten wieder: „Dan ob wol ettlich sich vil zu specificirn387 und neben andern auch die Osiandristen in der ketzer zal zu referirn unterstanden, und sonderlich Nicolaus Gallus, ist auf dem selben weder von fürsten noch theologen beygefallen worden, wie er dann auch, nemlich Brentius, allerley riegel unterschlagen hett, damit solch specification wurde verhüttet“388.
Brenz maß sich hier nach Vogels Zeugnis einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung spezifizierter Verwerfungen auf dem Frankfurter Konvent zu. Das ist insofern bemerkenswert, als Brenz in Frankfurt gar nicht persönlich zugegen war. Offensichtlich hatte Brenz sich im Vorfeld des Frankfurter Konvents darum bemüht, daß es nicht wieder wie in Regensburg zu einer Beteiligung an spezifizierten Verwerfungen von württembergischer Seite kommen würde. Läßt sich auch nicht mehr aufklären, auf welche Weise Brenz in Frankfurt „allerley riegel“ vorgeschoben hatte, so belegt die von Vogel überlieferte Selbstaussage Brenz’ doch dessen starkes Engagement gegen die spezifizierten Verwerfungen. Damit aber ist ein wichtiger Anhaltspunkt gegeben für die Aufhellung eines weiteren Zusammenhangs, in welchem zur gleichen Zeit die Frage spezifizierter Verwerfungen thematisch wurde: bei der Aufsetzung des württembergischen ‚Gutachtens über Verwerfungen 384 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 365, Nr. 38. 385 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 365, Nr. 38 386 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 362, Nr. 38. 387 Die Begriffe ‚spezificirn‘ und ‚specification‘ sind in diesem Zusammenhang die Gegenbegriffe zu dem Begriff einer Verwerfung ‚in genere‘; sie bezeichnen also spezifizierte Verwerfungen von Irrlehren unter namentlicher Nennung ihres Urhebers. 388 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 362, Nr. 38.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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in Worms‘, datierend vom 8. August.389 Fligge erwähnt das Gutachten im Kontext allgemeiner Ausführungen über den konfessionspolitischen Kurs Herzog Christophs gegenüber Preußen im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs, stellt jedoch keinen Bezug zu den Unterhandlungen der preußischen Gesandtschaft in Württemberg her.390 Ein solcher Bezug drängt sich jedoch auf, bedenkt man allein die Koinzidenz der Daten: Am 8. August, von dem das Gutachten datiert, war die preußische Gesandtschaft noch in Württemberg, mutmaßlich in Stuttgart, wo das Gutachten ausgefertigt worden ist. Am Vortag, dem 7. August, hatten in Waldenbuch, „1½ meil von Stuttgarten gelegen,“391 die entscheidenden Beratungen stattgefunden: Von fünf Uhr früh bis zum Mittagessen beriet sich der Herzog mit Brenz und den Räten; ab ein Uhr konferierten dann Brenz und die Räte mit den preußischen Gesandten. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, daß bei der ausführlichen Beratung des Herzogs mit Brenz und den Räten das von den Preußen aufgebrachte Thema einer befürchteten Verwerfung Osianders in Worms nicht zur Sprache gekommen sein sollte. Vielmehr spricht vieles dafür, daß in der Waldenbucher Beratung zumindest die Grundzüge des Gutachtens festgelegt wurden, welches dann am folgenden Tag in Stuttgart ausgefertigt worden wäre. Somit sind die Unterhandlungen der preußischen Gesandtschaft in Württemberg als wahrscheinlicher Anlaß für die Aufstellung des ‚Gutachtens über Verwerfungen in Worms‘ anzusehen. Das wird inhaltlich dadurch bestätigt, daß in den ersten beiden Punkten des Gutachtens das von Brenz und Herzog Christoph gegen eine preußische Beteiligung in Worms vorgebrachte Argument wiederkehrt, der Reichsabschied begrenze die Wormser Verhandlungen auf den Gegensatz zwischen evangelischer und römischkatholischer Lehre.392 Freilich ist das Argument hier nun gegen eventuell beabsichtigte innerevangelische Verwerfungen gewendet. Eine Veranlassung durch die preußischen Unterhandlungen ist wesentlich plausibler als die von Heppe ohne jeden Beleg vorgebrachte Behauptung, Herzog Christoph habe das Gutachten als Reaktion auf ein Pamphlet des Flacius gegen den Frankfurter Abschied aufsetzen lassen.393 Gegen den behaupteten Zusammenhang spricht zum einen das Fehlen jeglicher Anzeichen dafür, daß Flacius’ Pamphlet in Württemberg 389 ‚Württembergisches Gutachten über Verwerfungen in Worms‘, Stuttgart 8. August 1557: Wolf, S. 295–299, Nr. 27. Vgl. dazu den folgenden Abschnitt 2.3.2. 390 Vgl. Fligge, S. 366. 391 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 366, Nr. 38. 392 Vgl. ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘, Stuttgart 8. August 1557: Wolf, S. 295 f., Nr. 27. 393 Vgl. Heppe I, S. 156, übernommen bei Kugler II, S. 51 und von Kugler bei v. Bundschuh, S. 286, der das Fehlen eines Quellenbelegs bei Kugler anmerkt (v. Bundschuh, S. 286, Anm. 115).
184 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik überhaupt bekannt geworden wäre. Zum anderen schließt das Gutachten mit einer ganz arglosen, unverstellten Bekräftigung des Frankfurter Abschieds, die keinerlei vorausgegangene Infragestellung erkennen läßt, wie es für eine Reaktion auf ein Pamphlet gegen den Frankfurter Abschied doch wohl zu erwarten wäre.394
Das Gutachten legt in elf Punkten nach Auskunft seiner Überschrift dar, aus welchen Gründen „vff künfftigem Conuentu Theologorum bei dem Colloquio zu Wormbs die specifice vnnd personales condemnationes […] nit furzunemen“395 seien. Nach späteren Aussagen Herzog Christophs war das Gutachten die Grundlage für seinen Befehl an die württembergischen Deputierten auf dem Wormser Religionsgespräch, nicht in spezifizierte Verwerfungen einzustimmen.396 Damit aber war der von Preußen befürchteten Verwerfung Osianders in Worms ein so schwerer Riegel vorgeschoben, wie es den Württembergern nur irgend möglich war. Sollte darüber tatsächlich am Morgen des 7. Augusts in Waldenbuch beraten und beschlossen worden sein, dann war die abschließende Bitte der preußischen Gesandten an den Herzog, daß er „auf dem colloquio zu Worms mit andren chur und fursten in solcher unser sach fleißig zum fried handlen“ möge,397 schon über die preußischen Erwartungen hinaus erfüllt – unangesehen dessen, daß in Worms gerade die württembergische Verweigerung einer Verwerfung Osianders zu den erbittersten Auseinandersetzungen führen sollte. Brenz seinerseits konnte in Kenntnis des Gutachtens, an dessen Aufstellung er wohl am 7. August in Waldenbuch mitgewirkt hatte, dem preußischen Herzog in seinem Brief vom 10. August auf gesicherter Grundlage zusagen: „So nun das Colloquium furgehn wurde […], und sich etwas zutrüge, das E. f. d. zum einichen nachteill reichen möcht, will Ich mit gottes gnad meins vermügens kein fleiss sparen, alles zu handeln, was zum Christlichen friden und E. f. d. zu gutem dienen mag.“398 Mit Brenz’ Selbstverpflichtung, ergänzt noch um seine den Gesandten gegebene Zusage, sich in Worms mit Melanchthon über die preußischen Auseinandersetzungen zu unterreden und mäßigend auf ihn einzuwirken,399 hat die gescheiterte Gesandtschaft Herzog Albrechts zum Wormser Religionsgespräch weit mehr erreicht, als 394 Irrtümlich nennt Heppe bei seiner Wiedergabe dieses Punktes Regensburg statt Frankfurt als Ort der angeführten Beschlüsse (vgl. Heppe I, S. 156). 395 ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘, Stuttgart 8. August 1557: Wolf, S. 295, Nr. 27. 396 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 462, Nr. 366; Hzg. Christoph an Ldgf. Philipp, Stuttgart 31. Dezember 1557: Ernst IV, S. 463, Nr. 368. 397 ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 370, Nr. 38. 398 Brenz an Hzg. Albrecht, Stuttgart 10. August 1557: Pressel, S. 439, Nr. CCXLVI. 399 Vgl. ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 370, Nr. 38.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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nach dem Bekanntwerden des Regensburger Nebenabschieds zu erwarten gewesen war.400 Auf anderen Blättern steht, daß in Worms dann doch ein eigener preußischer Interessenvertreter zugegen war und wie sich Brenz’ Selbstverpflichtung in den innerevangelischen Auseinandersetzungen auswirkte.
2.3.2 Festlegung aus Prinzip: Das württembergische ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ „Bedenckhen vnd motiuen aus was beweglichen vrsachen vff künfftigen Conuentu Theologorum bei dem Colloquio zu Wormbs die specifice vnnd personales condemnationes ettlicher personen inter nostros ane vorgeende einhellige vergleichung aller der Augsburgischen Confession verwandten Stenddt nit furzunemen noch darauff zu tringen“401 – unter diesem sprechenden Titel steht einer der wichtigsten Texte für das Verständnis der internen evangelischen Verhandlungen auf dem Wormser Religionsgespräch. Die Bedeutung des württembergischen ‚Gutachtens über Verwerfungen in Worms‘ vom 8. August 1557 liegt in seiner großen Wirkung auf den Verlauf der internen evangelischen Verhandlungen. Denn in dem Gutachten war Johannes Brenz’ folgenreiche Haltung zu den später geforderten Verwerfungen vorgezeichnet. Dabei will, wie zu zeigen sein wird, das ‚Gutachten‘ selbst keine tiefgreifende theologische Grundlegung für die württembergische Haltung liefern, vielmehr ist es auf die pragmatische Begründung des beabsichtigten Vorgehens in Worms ausgerichtet (2.3.2.2). Gleichwohl wird hinter die Argumentation des ‚Gutachtens‘ selbst zurückzufragen sein nach den theologischen und konfessionspolitischen Gründen und Voraussetzungen (2.3.2.3). Doch zunächst gilt es, ausgehend von der Überlieferung und unter Berücksichtigung der Umstände und Hintergründe seiner Entstehung, den Status des Gutachtens zu bestimmen (2.3.2.1).
400 Vgl. Fligge, S. 371: „[…] ein Erfolg war der Gesandtschaft insofern beschieden, als Brenz versicherte, er werde keine Mühe sparen, in Worms für den christlichen Frieden und zum Besten Herzog Albrechts zu wirken.“ 401 Das Gutachten ist abgedruckt nach der Dresdner Abschrift (vgl. Anm. 402) bei Wolf, S. 295–299, Nr. 27; ebd., S. 295 die zitierte Überschrift. Wolfs Titulierung der Quelle als „Württembergisches Gutachten über die Verurteilung der Sekten“ ist unglücklich, da der Begriff Sekten in dem Bedenken gar nicht verwendet wird. Im folgenden wird das Bedenken als württembergisches ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ oder kurz als ‚Gutachten‘ angeführt; Zitate daraus werden im Abschnitt 2.3.2 mit dem Kürzel ‚Württ. Gtn.‘ und Seitenangabe nach Wolf im Text belegt.
186 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik 2.3.2.1 Verbindliche Maßgabe für die württembergischen Deputierten in Worms Das ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ vom 8. August 1557 ist überliefert in einer Abschrift, die von Herzog Christoph von Württemberg als Beilage zu seinem Schreiben vom 22. Dezember 1557 an Kurfürst August von Sachsen geschickt wurde;402 wenig später schickte er eine weitere Abschrift an Landgraf Philipp von Hessen403. Die Beilage fügte er bei zur Erläuterung der Gründe dafür, daß er den württembergischen Deputierten in seiner Instruktion die Beteiligung an Personalkondemnationen untersagt hatte.404 Die Übersendung des ‚Gutachtens‘ diente somit der vorbeugenden Entkräftung erwarteter oder befürchteter Vorwürfe wegen der württembergischen Haltung in Worms. Die württembergische Instruktion zum Wormser Religionsgespräch ist nicht überliefert,405 so daß die genaue Zuordnung von Instruktion und ‚Gutachten über die Verwerfungen in Worms‘ sich nicht klären läßt. Im Rückschluß von den erwähnten Schreiben an Kurfürst August und Landgraf Philipp, denen die Abschriften des ‚Gutachtens‘ beigelegt waren, läßt sich jedoch vermuten, daß in der Instruktion die Mitwirkung an Verwerfungen in Worms mit Verweis auf das ‚Gutachten‘ als Begründung untersagt worden sein dürfte. Dann ist das ‚Gutachten‘ aber keineswegs als eine bloße Vorüberlegung anzusehen, vielmehr liefert es die Begründung einer verbindlichen Maßgabe für das Vorgehen der württembergischen Teilnehmer in Worms. Anlaß, Umstände und Hintergründe der Entstehung des ‚Gutachtens‘ bestätigen die vorgetragene Einschätzung. Die Aufstellung des ‚Gutachtens‘ war veranlaßt durch die Unterhandlungen mit der preußischen Gesandtschaft in Württemberg.406 Wahrscheinlich ist das ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ zumindest in seinen Grundzügen am Vormittag des 7. August in Waldenbuch beschlossen worden, als Herzog Christoph sich mit seinen Räten zur entscheidenden Beratung über die preußischen Anliegen zurückgezogen hatte.407 Trifft das zu, dann geht Heinrich Heppe 402 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 462, Nr. 366 bei Anm. 5. 403 Vgl. Hzg. Christoph an Ldgf. Philipp, Stuttgart 31. Dezember 1557: Ernst IV, S. 463, Nr. 368 bei Anm. 3. 404 Im Schreiben an August führte Christoph die Beilage mit den Worten ein, daß er den Kurfürsten wissen lassen wolle, „ausser was vrsachen wir vnsern Rathen vnd Theologis inn irer Instruktion vfferlegt, das die sich in kein personalcondemnation […] einlassen sollen, wie solches E. L. aus beiverwarettem bedencken, freuntlich haben zu sehen.“ (Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 3088, fol. 36r–38r [Abschrift], hier fol. 37v = Ernst IV, S. 462, Nr. 366 [Regest]). 405 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2.7 Anm. 194. 406 Vgl. oben in Abschnitt 2.3.1.3 bei Anm. 390–393. 407 Vgl. oben in Abschnitt 2.3.1.3 bei Anm. 391.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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völlig fehl mit seiner Darstellung, der Herzog habe seine Theologen mit der Abfassung des ‚Gutachtens‘ beauftragt.408 Heppes Darstellung entgegen ist das ‚Gutachten‘ kein Theologengutachten, sondern vielmehr ein herzogliches Bedenken, das mit den führenden Räten409 und Brenz als dem leitenden Geistlichen des Herzogtums abgestimmt wurde. Der Grad der Verbindlichkeit des ‚Gutachtens‘ ist damit dem einer herzoglichen Instruktion durchaus vergleichbar, auch wenn das ‚Gutachten‘ nicht direkt instruiert, sondern Begründungen für das Handeln vorträgt. Den Begründungen aber kommt ein handlungsleitender Charakter mit der beschriebenen hohen Verbindlichkeit zu. 2.3.2.2 Die Argumentation des Gutachtens Wie argumentiert das ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ nun in der Sache? Die Überschrift benennt bereits das Ziel der Argumentation: Es soll gezeigt werden, aus welchen Gründen „vff künfftigem Conuentu Theologorum bei dem Colloquio zu Wormbs“, d. h. bei den innerevangelischen Beratungen anläßlich des bevorstehenden Religionsgesprächs, „die specifice vnnd personales condemnationes ettlicher personen inter nostros ane vorgeende einhellige vergleichung aller der Augsburgischen Confession verwandten Stenndt nit furzunemen noch darauff zu tringen“ (Württ. Gtn.: S. 295). Der Zugriff auf das begutachtete Thema ist konsequent konfessionspolitisch ausgerichtet, was insbesondere der Rahmen des ‚Gutachtens‘, bestehend aus der Einleitung und dem letztem der elf Punkte, unterstreicht. Die Einleitung exponiert die Gefahr, daß bei uneinheitlichem Vorgehen in der Verwerfungsfrage „die Stend und deren Theologi denen die Condemnationes nit allerdings gelieben wellen, In suspicionem getzogen werden mochten, als weren dieselbs mit solchem Irthumben befleckht oder zum wenigstem derselben fautores oder defensores“ (Württ. Gtn.: S. 295). Unausgesprochen ist dabei vorausgesetzt, daß in der Frage von Verwerfungen gegensätzliche Positionen aufeinander treffen würden – die Württemberger hatten die von Gallus in Frankfurt erhobenen Forderungen noch im Ohr410 und kannten zur Genüge die herzoglich-sächsische Position, zumal im Blick auf die seit langem verlangte Verwerfung Osianders durch Brenz. Deutlich 408
Vgl. Heppe I, S. 156. Neben Brenz teilten der Kanzler Johann Fessler, der Vizekanzler Dr. Hieronymus Gerhard und der Marschall Wilhelm von Massenbach den preußischen Gesandten am Nachmittag des 7. August die Ergebnisse der vormittäglichen Beratungen mit (vgl. ‚Vogels Bericht über die Verhandlungen in Württemberg 1557‘: Bizer, Analecta, S. 367, Nr. 38), was vermuten läßt, daß die vier Genannten an der Beratung mit dem Herzog beteiligt waren. 410 Vgl. oben S. 182 bei Anm. 385–388. 409
188 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik spricht sich die Sorge um die eigene Reputation und damit Stellung im Ständegefüge aus. Es konnte Württemberg nicht daran gelegen sein, in den Strudel der verbreiteten Ablehnung, die das Herzogtum Preußen unter den protestantischen Ständen erfuhr, hineingezogen zu werden. Das Motiv der Sorge um die eigene Stellung im Ständegefüge kehrt im letzten Punkt des ‚Gutachtens‘ wieder, welcher den Frankfurter Abschied als Ausdruck des Konsenses der oberländischen Stände anführt. In Frankfurt sei, so die württembergische Lesart, beschlossen worden, „diese nebensachen vnnd Condemnationes bei dem publico negotio Colloquii hindan zusetzen vnnd zu einer andern gelegner occasion vnd zeit zuuerschieben vnd einzustellen“ (Württ. Gtn.: S. 299). Auf die zitierte Interpretation des Frankfurter Abschied als unhintergehbare Setzung rekurrierend mündet das ‚Gutachten‘ in die Conclusio: „Derhalben nit Rathsam sein will, zuwid demselbig abschid […] Inn einich condemnation sich einzulassen vnnd vonn den andern Stennden sich abtzusondn.“ (ebd.). In Anbetracht der späteren Sonderrolle Württembergs aufgrund seiner Verweigerung von Verwerfungen in Worms mutet die nachdrückliche Ablehnung einer Absonderung von den anderen Ständen erstaunlich an. Unter Voraussetzung der württembergischen Lesart des Frankfurter Abschieds ist sie jedoch in sich stimmig: Indem Württemberg sich für die Geltung des Frankfurter Abschieds verwendet, setzt das Herzogtum sich für den Zusammenhalt zumindest der oberländischen Stände Augsburgischer Konfession ein. Damit aber versichert es sich seiner eigenen Stellung im Ständegefüge. Wie im Rahmen liegt auch in den einzelnen Punkten des ‚Gutachtens‘ der argumentative Schwerpunkt auf der Konfessionspolitik, nicht auf der Theologie. Punkt 1 und 2 führen formale Argumente gegen eine Vornahme von Verwerfungen in Worms an: Das Kolloquium in Worms sei „allein beider Strittigen, Der Euangelischen vnd Babstischen Religion halben“ angesetzt (Württ. Gtn.: S. 295); und der Wirkungskreis der zu Kolloquenten und Adjunkten bestimmten Theologen sei durch den Reichsabschied vorgegeben, weshalb sie „weitter diser Zeit nicht hanndlen und furnem sollen“ (Württ. Gtn.: S. 296). Der Verweis auf den Status des Wormser Kolloquiums als Reichsreligionsgespräch begegnet auch in den Verhandlungen mit der preußischen Gesandtschaft und dient dort dazu, die Preußen von dem Versuch einer Teilnahme am Kolloquium abzuhalten.411 Beides kommt darin überein, daß in Württemberg das Religionsgespräch nicht mehr als geeignete Gelegenheit für interne evangelische Beratungen angesehen wurde, wie es der Regensburger Nebenabschied vorgesehen und der Frankfurter Abschied zumindest noch als Möglichkeit bestehen gelassen hatte.
411
Vgl. oben S. 174 bei Anm. 355 sowie S. 180 bei Anm. 381.
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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Die bereits zitierte abschließende Wendung des zweiten Punktes, wonach die am Religionsgespräch teilnehmenden Theologen „weitter diser Zeit nicht hanndlen und furnem sollen“, ist das Präludium für die weitere Argumentation. Denn vorgetragen wird nicht eine prinzipielle Ablehnung von Personalkondemnationen, vielmehr wird dargelegt, daß Verwerfungen in der gegebenen Situation – „diser Zeit“ – inopportun und nicht ordentlich durchführbar seien. So legt Punkt 3 dar, daß Verhandlungen über die innerevangelischen Streitigkeiten und gar Verwerfungen in Worms unangebracht seien, selbst wenn die Theologen sich trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer Belastung durch die offiziellen Verpflichtungen des Religionsgesprächs wider Erwarten dazu bereit finden sollten (vgl. Württ. Gtn.: S. 296). Das ‚Gutachten‘ begründet das mit der Wirkung auf das in Worms präsente römisch-katholische Lager: „Es kündte Ja dem gegentheil kein Lustig spectaculum für die augen gestellt, kein bessere occasion exclamandj et calumniandi geben, Ja dess schwert ausser vnsern Inn der feindt hannden vberraicht vnnd alsdann vonn Jnen mit grundt gesagt worden, das wir selbs vnder vnns scismaticj verdammeten, approbiertten absoluierten einander selbs nach vnserm gefallen, were khein gewisse bestenndige Lauttere Rainne Leer Inn vnsern Kirchen […]“ (Württ. Gtn.: S. 296).
Als Folgewirkungen werden auch noch der Anstoß „bei den exteris ecclesijs“ und Zweifel „[b]ei vilen gutthertzigen schwachen Christen“ angeführt (Württ. Gtn.: S. 297). Unübersehbar kehren hier Gesichtspunkte wieder, auf welche Herzog Christoph schon seit langem immer wieder verwiesen hatte, zumal im Frühjahr 1557 gegen Ende des Regensburger Reichstages und im Vorfeld des Frankfurter Konventes.412 Die Sorge um die Auswirkungen der innerevangelischen Auseinandersetzungen auf die Gegenseite und die einfachen Kirchenglieder war eine der wichtigsten Triebfedern seines konfessionspolitischen Engagements. Gegenüber dem Frühjahr ist allerdings eine gewichtige Verschiebung festzustellen: Hatte die genannte Sorge im Frühjahr noch zur Begründung der Notwendigkeit von Einigungsbemügungen gedient, wird sie nun angeführt, um die Beschäftigung mit der „nebenspaltung inter nostros“ (Württ. Gtn.: S. 296) in Worms zu sistieren. Aus württembergischer Sicht dürfte das aber kein Widerspruch gewesen sein. Denn aus der Sorge um die möglichen Auswirkungen kam es ja gerade darauf an, eine Austragung der 412 So begründete er sein Eintreten für eine Fürstenzusammenkunft zur Aufstellung einer gemeinsamen Instruktion für das Wormser Religionsgespräch in einem Schreiben an Kurfürst August von Sachsen mit der Sorge, „das die theologen, so zu dem colloquio benent und verordnet, mit einander nit gleich einziehen werden, welches dann dem antichrist zu Rom und seinem anhang nit allein ein gros frolocken, sonder manchem guten, eiferigen christen, dazu den schwachgleubigen ein grossen anstoss geben […] wurde“ (Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 3. April 1557: Ernst IV, S. 292, Nr. 239).
190 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik innerevangelischen Auseinandersetzungen vor den Augen der Gegenseite beim Wormser Religionsgespräch zu verhindern. Nachdem die Einigungsbemühungen nicht zum erhofften Erfolg geführt hatten oder doch nur teilweise, in regionaler Beschränkung – aus württembergischer Sicht waren Frankfurter Konvent und Abschied zumindest ein partieller Erfolg –, war es nunmehr nur konsequent, auf eine Sistierung der Auseinandersetzungen in Worms hinzuwirken. Für die Sistierung der internen Auseinandersetzung sprach neben der befürchteten Außenwirkung aus württembergischer Sicht aber auch, daß sich in Worms kein geordnetes Verfahren zur Beurteilung und Beilegung der Auseinandersetzungen würde durchführen lassen. Diesem Aspekt wendet sich das ‚Gutachten‘ ab Punkt 4 zu. Als erster und gewichtigster Hinderungsgrund für ein geordnetes Verfahren wird die Abwesenheit Betroffener angesehen (vgl. Württ. Gtn.: S. 297). Dabei ist sowohl an Stände gedacht, die nicht zur Teilnahme am Wormser Religionsgespräch berufen worden waren, als auch daran, daß beschuldigte Theologen nicht vor Ort sein würden, um sich „vel defendendo vel excusando vel submittendo“ (ebd.) der Verhandlung über die ihnen zur Last gelegten Irrtümer zu unterziehen. Eine Verurteilung ohne Anhörung in Abwesenheit aber verstieße dem ‚Gutachten‘ zufolge gegen Recht und Billigkeit, wie sie von Gott gesetzt, aber auch natürlich vorgegeben sind: „Nun were es Jhe beschwerlich, Ja der Christennlichen bruedlichen lieb, Gottes beuelch vnnd der Nattürlichen billicheit zu wider aliquid in absentes non auditos non citatos furnemlichen Inn so hohen sachen furzunemen“ (ebd.). Die Punkte 6 und 8 stellen die für ein ordentliches Verfahren unzureichende Vorbereitung heraus. Nicht alle beteiligten Theologen hätten sich zuvor mit den umstrittenen Lehrmeinungen befaßt (vgl. Württ. Gtn.: S. 297); zudem müßten sämtliche einschlägige Streitschriften geprüft werden, was noch nicht erfolgt (vgl. ebd.) und unter den zeitlichen Vorgaben des Religionsgesprächs auch gar nicht möglich sei (vgl. Württ. Gtn.: S. 298). Das ‚Gutachten‘ geht hier von dem Grundsatz aus, daß jeder an einem Verfahren über die umstrittenen Lehrmeinungen beteiligte Theologe ein eigenes Urteil aufgrund unmittelbarer persönlicher und gründlicher Kenntnis des status controversiae fällen können müsse. Denn es wäre „ein freuenliche vermessenheit, daz Inn solchen hohen sachen, die so weitt reichen, daraus solche vnwiderbringliche beschwerden, weitterung vnnd geuar erfolgen mochten, also vnbedächtlich vnnd allein vff anderer Relations vnnd guettachten solte gehanndelt werden“ (Württ. Gtn.: S. 297). Wegen der hohen Brisanz ist mithin eine äußerste Sorgfalt in den Verfahrensdingen gefordert. Worin die Brisanz einer Befassung mit den umstrittenen Lehrmeinungen bestehe, entfaltet das ‚Gutachten‘ in den Punkten 5, 7, 9 und 10. Dabei entsteht ein Tableau möglicher negativer Konsequenzen.
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Punkt 5 gibt zu bedenken, daß auch Verwerfungen einzelner Theologen eine eminent politische und konfessionspolitische Dimension hätten, denn es würden „mit den personalibus condemnationibus nit allein die autores singularium oppinionum begriffen, Sonnd auch die Stennd vonn denen die autores erhalten vnnd alle derselbigen Kirchen, Schuellen, Kirchendienner vnnd underthanen bei meniglichem apud exteras et nostras ecclesias Inn Verdacht zogen wurden, Als weren sie sollichen doctrinis auch anhenngig […] vnnd also vonn der rainen Leer Gottes worts wie dj Inn der Augspurgischen Confession […] begriffen abgetretten“ (Württ. Gtn.: S. 297). Daß den Württembergern dabei die Lage des Herzogtums Preußen vor Augen stand, wird man annehmen dürfen. Der Blick geht jedoch über den namentlich nicht erwähnten Einzelfall hinaus: Die möglichen Weiterungen könnten bis hin zur „perturbation pacis publicae“ (ebd.) reichen. Punkt 7 richtet den Blick auf die um Vermittlung bemühten Theologen, die sich „In dj sachen non contentionis studio, Sed pacis et concordiae causa geschlagen vnnd die lieber Christenlich, fridlich vnnd freundlich hingelegt vnnd verglichen, dann die strittigen puncten lediglichen approbieren, noch sich der haubtsach thailhafftig oder anhenngig machen wollen“ (Württ. Gtn.: S. 298). Die Beschreibung ist transparent auf Brenz’ Haltung im Osiandrischen Streit. Befürchtet wird, daß auch solchermaßen um Vermittlung bemühte Theologen „in diese condemnationes oder sonnsten vnguetlichen verdacht“ (ebd.) gezogen werden könnten, womit ihnen nicht nur Unrecht geschähe, sondern sie auch in eine prekäre Lage gegenüber ihren Obrigkeiten gerieten. Steht im Hintergrund von Punkt 5 und Punkt 7 vor allem die Auseinandersetzung um den Osiandrismus, wendet sich Punkt 9 einem anderen großen Streitkomplex zu, nämlich den „vulnera ecclesiarum, die zu zeitten dess laidigen Interims etwas […] Ingeschlichen“ (Württ. Gtn.: S. 298), eine verklausulierende Beschreibung für das Problem des Adiaphorismus. Hier sieht das ‚Gutachten‘ die Gefahr, daß durch Verwerfungen die Wunden wieder aufgerissen werden könnten, während die betroffenen Kirchen doch gerade dabei seien, sich zu konsolidieren. Deshalb und angesichts des trotz der Belastungen des Interims rein erhaltenen Evangeliums solle man die betroffenen Kirchen nicht durch Anklagen verunsichern (vgl. Württ. Gtn.: S. 299). Punkt 10 bemüht sich zunächst um Allgemeingültigkeit – es sei „auch dem gemeinen lauff zuwider solche wichtige weitleuffige sachen a condemnationibus anzufahen“ (Württ. Gtn.: S. 299) – , wird dann aber noch einmal sehr konkret: Besondere Gefahr drohe auch, weil die ältesten und vornehmsten Theologen – gemeint, aber nicht genannt sind Melanchthon und Brenz – „von ettlichen unruewigen leutten Inn schrifften vnnd in andere weg offentlich angetzogen“ (ebd.) würden. Sollten die Unruhestifter damit Erfolg haben, so sei „woll zuerachten, […] zu was weitterung solches nicht allein, bei den Theologis, sondern auch den Stenden vnnd politico magistratu dass raichen vnnd vrsach geben möchte“.
Vor dem Tableau möglicher negativer Konsequenzen von Verwerfungen wirkt der Rückgang des letzten, rahmenden Punktes auf den Frankfurter Abschied als Setzung sehr schlüssig. Denn was könnte angesichts der beschriebenen Gefahren sinnvoller sein, als „dise nebensachen und Condemnationes bei dem publico negotio Colloquii hindan zusetzen vnnd einzustellen“ (Württ. Gtn.: S. 299), was aber nicht so gemeint sei, daß sich die am Frankfurter Abschied beteiligten Stände „vonn den andern kirchen
192 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik vnnd Stenden, absondern, derselbigen consens verwerfen oder Innprobieren, noch das sie die furgefallene vnnd Erweckhte spaltungen approbieren, Sonder wie gemellt zu besserer gelegenheit verziehen wellen“ (ebd.). Das zuletzt angeführte Zitat bestätigt noch einmal, daß es dem ‚Gutachten‘ nicht um die Begründung einer prinzipiellen theologischen Ablehnung von Verwerfungen geht. Vielmehr argumentiert es situationsbezogen und pragmatisch gegen in Worms vorzunehmende Verwerfungen, weil sie dort weder opportun wären noch ordentlich durchgeführt werden könnten, dafür aber um so mehr Gefahren in sich bürgen. Dabei ist die konfessionspolitische Zuspitzung unverkennbar: Auf dem Spiel steht aus württembergischer Sicht zum einen der Stand der Augsburger Konfessionsverwandten gegenüber der römisch-katholischen Seite, insofern der Gegenseite nichts gelegener kommen könnte als vor ihren Augen ausgetragene interne Auseinandersetzungen der Evangelischen. Zum anderen ist zugleich der Zusammenhalt der protestantischen Stände selbst aufs Äußerste gefährdet, insofern die Stände selbst von Verwerfungen auch nur einzelner ihrer Theologen betroffen wären und in offene Opposition zueinander geraten könnten. Beides kommt darin überein, daß Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten kein Selbstzweck ist, sondern eine Voraussetzung für die Durchsetzung des Evangeliums gerade auch gegenüber der römisch-katholischen Seite. 2.3.2.3 Die Fundierung des Gutachtens im Prinzipiellen Hinter der situationsbezogenen und pragmatischen, auf die konfessionspolitischen Belange zugeschnittenen Argumentation wird dann allerdings doch faßbar, wie sich die Württemberger grundsätzlich einen angemessenen Umgang mit umstrittenen Lehrmeinungen vorstellten. Weil die grundsätzlichen Vorstellungen über Lehrauseinandersetzungen für Brenz’ und Andreaes Agieren in Worms größte Bedeutung hatten, sind sie hier aufzuzeigen und von ihren Voraussetzungen her zu erhellen. Wichtigstes Kennzeichen eines angemessenen Umgangs mit umstrittenen Lehrmeinungen ist nach württembergischer Auffassung ein geordnetes Verfahren, als dessen Grundsätze sich aus dem ‚Gutachten‘ erheben lassen: Es muß vorgenommen werden durch ein repräsentatives Gremium, das heißt konkret unter Beteiligung aller Reichsstände Augsburgischer Konfession. Unabdingbar ist die Anwesenheit und Anhörung der Beschuldigten, denen die Möglichkeit der Verteidigung eingeräumt werden muß. Der status controversiae muß gründlich – konkret: durch Prüfung aller einschlägigen Streitschriften – erhoben werden. Den Verfahrensgrundsätzen ist gemeinsam eine deutliche Tendenz zur Verrechtlichtung, ja zur Rechtsförmigkeit von Lehrauseinandersetzungen. Damit zeichnet sich ab, was in Württemberg spätestens im Fall Hagen Ende
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der 1550er Jahre als geordnetes Lehrzuchtverfahren zu fassen ist413. Doch auch 1557 sind die genannten Verfahrensgrundsätze in Württemberg nicht bloße Forderung, sondern durchaus mit Leben gefüllt. Belege dafür sind die Stuttgarter Anhörung a Lascos 1556414 und Jakob Andreaes Erstlingswerk ‚Kurzer und einfältiger Bericht von des Herren Nachtmahl‘ von 1557, in welchem Andreae der Erhebung des status contoversiae großen Umfang einräumte415. Außerdem beurteilte Brenz selbst seine Haltung im Osiandrischen Streit unter Voraussetzung der beschriebenen Grundsätze. So beklagte er im Sommer 1556 gegenüber dem preußischen Theologen Vogel nach dessen Bericht, Osianders Gegner hätten, „obwohl Osiander noch lebet, doch gleichwohl nicht, wie sie leichtlich kunt und auch gesolt haben, vom im erfragt, ob das sein mainungh wer, welche sie auß seinen schrifften geschöpfft hetten. Dan wo solchs geschehen, wurde sich Osiander erklärt haben, sed condemnarunt eum non auditum prius.“416
Beim Umgang mit umstrittenen Lehrmeinungen ist den Württembergern aber nicht allein an einem geordneten Verfahren gelegen, das nach Anhörung des Beschuldigten unter Umständen durchaus zu einer Verurteilung oder zumindest Abgrenzung führen könnte, wie der Ausgang der Anhörung a Lascos und des Verfahrens gegen Hagen belegen. Mehr noch liegt ihnen an dem Versuch einer konziliatorischen Überwindung der Auseinandersetzung durch positive Setzungen. So sieht das ‚Gutachten‘ die Möglichkeit, daß die Theologen in Worms sich bei umstrittenen Artikeln „Christennlich freundlich vnnd vertreuwlichen vnderreden, die conciliationem in doctrina suchen, Darauff woll propositiones et conclusiones stellen vnnd die specifice condemnationes personarum bis zu besserer gelegennheit ohne alle geuar einstellen werden mogen“ (Württ. Gtn.: S. 298). Die Wendung „ohne alle geuar“ belegt, daß hier mehr gemeint ist als eine Zwischenlösung bis zu besserer Gelegenheit: Sachlich könnte durch gelungene Konziliation das Austragen der Auseinandersetzung überflüssig werden. Johannes Brenz hat sein Verhalten im Osiandrischen Streit als konziliatorisch in diesem Sinne verstanden: Er habe „tolerabiles interpretationes“ gesucht.417 Was er hingegen an Osianders Kontrahenten vermißt, ist die Bereitschaft, „in der lieb alles zum pesten [zu] deuten, sovil muglich“418; stattdessen seien die Kontrahenten bestimmt von „neid und haß, der alles zum 413
Vgl. Müller-Streisand, S. 328–332. Vgl. Heppe I, S. 124 f. 415 Vgl. Slenczka, S. 342. 416 ‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 335, Nr. 36. 417 Brenz an Melanchthon, Stuttgart 29. September 1557: Pressel, S. 408, Nr. CCXXII = MBW 7595. 418 ‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 335, Nr. 36. 414
194 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik ergern auslegt“419. Über die von ihm verfochtene ‚Deutung zum Besten‘ hat sich Brenz ausführlich und grundsätzlich geäußert in einem Schreiben an Melanchthon vom 15. Oktober 1555.420 Brenz’ Schreiben ist eine von Melanchthon erbetene Stellungnahme zu den Verlautbarungen einer Theologenkommission,421 die nach Nürnberg berufen worden war, um unter Melanchthons Leitung für die Beilegung der dortigen Osiandrischen Streitigkeiten zu wirken422. Brenz’ wichtigster Vorbehalt lautet, daß bestimmte neue Redeweisen, von denen auch er meine, daß sie gemieden werden sollten, „schlechthin verdammt würden“423. Nicht wenige dieser Formeln könnten nämlich, wie auch die Autoren der Nürnberger Verlautbarungen bezeugten, „als rechtgläubig verstanden werden“424. Brenz führt sodann an vier Fällen seine ‚Deutung zum Besten‘ vor.425 Er räumt durchaus ein, daß bestimmte inkriminierte Wendungen Osianders zweideutig und gefährlich seien. Deshalb müßten sie gemieden oder erklärt werden, sollten aber nicht einfach so verdammt werden.426 Deutlich markiert Brenz die Grenze einer sachgerechten Urteilsfindung: Kennt er den Sinn einer ungebräuchlichen Formulierung nicht, so will er lieber ihren Urhebern überlassen, wie sie gemeint ist.427 Die hier bereits anklingende Kritik an einer allzu starken Fixierung auf den Wortlaut ohne Berücksichtigung des Gemeinten zieht Brenz noch weiter aus. So warnt er die Autoren der Nürnberger Verlautbarungen, sie könnten trotz sachlicher Übereinstimmung in den Anschein eines Widerspruchs zu Luther geraten, der den umstrittenen Begriff der wesentlichen Gerechtigkeit auch irgendwo gebraucht habe.428 Außerdem könnten sie sich den Vorwurf einhandeln, sie rissen in der Kirche die Tyrannenherrschaft an sich, „insofern jemand, auch wenn er mit euch richtig 419 ‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 334, Nr. 36. 420 Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 413–415, Nr. CCXXV = MBW 7608. Vgl. dazu: Seebass, Brenz und Osiander, S. 181. 421 Vgl. Melanchthon an Brenz, Nürnberg 4. Oktober 1555: CR 8, Sp. 588 f., Nr. 5851 = MBW 7601; die Brenz zur Begutachtung vorgelegte Verlautbarung ist abgedruckt in CR 8, Sp. 555–564, Nr. 5847 B = MBW 7592. 422 Vgl. Fligge, S. 331–335. 423 „[…] prohibentur quaedam novae formulae, quas sentio ipse quoque vitandas. Sed paulo durius videtur, si simpliciter damnentur.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 413, Nr. CCXXV = MBW 7608). 424 „Nunnullae enim harum formularum possunt vestro etiam testimonio pie intelligi.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 413, Nr. CCXXV = MBW 7608). 425 Vgl. Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 413 f., Nr. CCXXV = MBW 7608. 426 „Sed verba (inquis) ambigua sunt et periculose dicuntur. Recte. Ideo aut vitentur aut explicentur, non autem simliciter damnentur.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 414, Nr. CCXXV = MBW 7608). 427 „Quod autem et hoc reiicis: Christus iustificat per accidens, video quidem novam esse formulam, sed quia mihi ignotum est, quo sensu dicatur, relinquo id suis Authoribus.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 414, Nr. CCXXV = MBW 7608). 428 Vgl. Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 414, Nr. CCXXV = MBW 7608.
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und rechtgläubig denkt, dennoch, wenn er nicht auch eure Worte gebraucht, verdammt wird“429. Zwar kleidet Brenz diesen Vorwurf in eine allgemein gehaltene Warnung ein, im Grunde kommt er damit aber selbst zu Wort. Denn das Vorgehen der Theologenkommission in Nürnberg muß ihm als eklatante Mißachtung der Unterscheidung zwischen litera und sententia erscheinen, der in seiner kontroverstheologisch profilierten Hermeneutik große Bedeutung zukommt430. In demselben Sinne verweist er auch auf die überlieferte Aussage, daß Irrlehre von der Auffassung herrühre, nicht aber von der schriftlichen Darstellungsweise, und daß der Sinn das Vergehen ausmache, nicht die Ausdrucksweise.431 Nach einer Warnung vor der Instrumentalisierbarkeit der in Nürnberg ausgesprochenen Verwerfung durch Streittheologen im eigenen Lager – eine Gefahr, der er sich durchaus selbst ausgesetzt sehen mußte – schlägt Brenz eine Formulierung vor, durch welche die in Nürnberg ausgesprochene Verwerfung bestimmter Redeweisen etwas gemildert werden könnte. Sie lautet: „Derhalben sollen diese Reden on und wider den obgemelten bericht, unterscheid und erklerung im Predigen und Lehren noch sonst nicht gebraucht werden.“432 Zum Abschluß hält Brenz prägnant seine eigene Position fest: „Ich, was mich anbelangt, will unterstützt durch die göttliche Gnade fortfahren, nicht allein der Wahrheit jener Lehre, die unsere Bekenntnisse enthalten, zu folgen, sondern auch die gebräuchliche Form des Lehrens beizubehalten. Aber dennoch will ich nicht einen frommen und ehrenwerten Mann verdammen, der vielleicht eine ungebräuchliche Redeweise benutzt, aber klare Auslegung und rechtgläubige Auffassung bewiesen hat.“433 Damit ist Brenz’ Haltung zu einer Verwerfung Osianders auf den Punkt gebracht, zugleich sind aber auch über den Fall Osiander hinaus die Maßstäbe für die Möglichkeit einer Verwerfung genannt: Nur aufgrund ungebräuchlicher Formulierungen wird Brenz sich dazu nicht bereitfinden, sondern erst, wenn ein Widerspruch des Gemeinten zu der in den geltenden Bekenntnissen festgehaltenen Lehre nachgewiesen ist. 429 „Est et hoc periculi metuendum, ne ŁėĞưĎēĔęē sumant hinc occasionem vociferandi et conquerendi, quod usurpetis in Ecclesiam tyrannidem, ut etiamsi quispiam vobiscum recte et pie sentiat, tamen nisi vestris quoque verbis utatur, condemnetur.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 414 f., Nr. CCXXV = MBW 7608). 430 Vgl. Deuschle, S. 164–166.199–207. 431 „Et alius quispiam dicit: De intelligentia haeresi, non de scriptura, et sensus, non sermo fit crimen.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 415, Nr. CCXXV = MBW 7608). Rückert attestiert Brenz in dieser Hinsicht eine „absolute theologische Sachgebundenheit, die ihm eine echte theologische Souveränität verleiht und ihn z. B. im Osiandrischen Streit als einzigen instand setzt, zwischen theologischem Ausdruck und theologischer Intention zu unterscheiden und auf dieser Grundlage einen bedeutenden Vermittlungsversuch zu unternehmen, ihm auch eine tiefe Einsicht in die unheilvoll aufspaltende Kraft des doch unumgänglich notwendigen theologischen Begriffs ermöglicht, der er einen bei aller Entschiedenheit doch starken und leidenschaftlichen Willen, die Geister zusammenzuhalten, entgegensetzt.“ (Rückert, S. 227). 432 Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 415, Nr. CCXXV = MBW 7608. 433 „Ego quod ad me attinet, pergam divina clementia adiutus, non solum veritatem eius doctrinae, quam continent nostrae confessiones, sequi, verum etiam usitatam formam docendi retinere. Nec tamen damnarem pium et honestum virum, qui forte inusitata loquendi forma, sed diserta explicatione et pia sentenia uteretur.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 415, Nr. CCXXV = MBW 7608).
196 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik Statt auf Verwerfung zu drängen, ist Brenz darum bemüht, einen Raum für Vermittlung zu erhalten. Darum besteht er auch auf der exakten Differenzierung der Streitgegenstände. So gehe der Osiandrische Streit, wie er nach Vogels Bericht im Sommer 1556 erklärte, nicht „de doctrina, sondern de persona“434. Denn was man Osiander vorwerfe, das wolle auch er nicht verteidigen, seines Erachtens träfen die Vorwürfe jedoch Osiander gar nicht: „Also verteidige ich und andere mher solch grob irthumb nicht, so die duri censores Osiandro zumeßen, falle denselben nicht bey, sondern disputiere allein ob Osiandro also gros geirret oder nicht.“435 Auch wenn sich bei Brenz keine prinzipielle Ablehung von Personalkondemnationen belegen läßt, dürfte doch die hier angewendete Differenzierung zwischen Lehre und Person eine der Wurzeln für seine große Zurückhaltung gegenüber Personalkondemnationen sein. Denn verurteilt man umstandslos die Person, so bleibt kein Raum mehr für Vermittlung, für Auslegung zum Besseren und für die gründliche, gewissenhafte Prüfung, ob der Beschuldigte überhaupt mit dem ihm in der Hitze des Streits zugemessenen Irrtum behaftet ist. Ein breit ausgeführtes Beispiel für die Auslegung zum Besseren legte kurz vor dem Wormser Religionsgespräch auch Jakob Andreae mit seinem ‚Kurzen und einfältigen Bericht über des Herrn Nachtmahl‘ vor,436 womit er theologisch einzulösen versuchte, was Herzog Christoph in seinem ‚Bedenken über die Einigkeit‘ konfessionspolitisch forderte437. Was sich hier Geltung verschafft, in Andreaes Abendmahlsschrift von 1557 und seinem späteren Wirken438 nicht minder als in Herzog Christophs Bedenken und Brenz’ Haltung im Osiandrischen Streit, ist die grundsätzlich 434 ‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 334, Nr. 36. 435 ‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 334, Nr. 36. 436 Viele Gegensätze in der Abendmahlslehre sieht Andreae in unzureichender Verständigung über Begriffe und deren Gehalt begründet. Legt man die nach der terminologischen Verständigung fortbestehenden Differenzen auch noch zum Besseren aus, so treten die Gegensätze hinter den Gemeinsamkeiten auf ein erträgliches Maß zurück (vgl. Slenczka, S. 342 f.344–346). 437 Im Blick auf die Abendmahlskontroverse forderte Christoph, daß „unangesehen der ernstlichen und heftigen schriften, so zu baiden tailen von Zwinglio und seinen anhengern, auch unseren kirchen in truck wider ainander bei dem artikel des hochwürdigen sacraments des herrn nachmals usgangen, dennacht mit cristlicher, bruderlicher lieb den sachen nachgedacht und wa möglich darinnen gleichait und concordia ecclesiarum gesucht“ werden solle (Hzg. Christophs ‚Bedenken über die Einigkeit‘: Ernst IV, S. 294, Nr. 240). 438 In späterem Zusammenhang bietet Andreae ein besonders deutliches Beispiel für die positiven Setzungen, denen die Württemberger den Vorzug vor Verwerfungen gaben: Seinem ersten Anlauf in Richtung des späteren Konkordienwerkes legte er – nach einer Vorform, die zwar Verwerfungen, aber keine Personalkondemnationen enthielt (vgl. Mager, S. 70–86) – 1568 fünf Artikel zugrunde, „die nur ganz pauschale und vage Antithesen […] enthielten“ (Brandy, S. 339). Die fünf Artikel boten zu den umstrittenen Lehrfragen „rein affirmative Darstellungen, die unter Verzicht auf Diskussion der Streitpunkte, die
2.3 Weitere Festlegungen des Herzogtums Württemberg
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konkordienwillige Haltung des württembergischen Luthertums. Der „Wille zur Konkordie“439 ist dem württembergischen Luthertum gewissermaßen von Anfang an eingeschrieben: Seit der ‚Stuttgarter Konkordie‘ zwischen Schnepf und Blarer gehört es zum Erfahrungsschatz und Überzeugungsbestand der Württemberger, daß es Fälle gibt, in denen divergierende Auffassungen oder Tendenzen durch Konziliation, in Form einer Konkordie ausgeglichen respektive zusammengehalten werden können. Hinzu tritt spätestens in den 1550er Jahren bei Herzog Christoph und Brenz die kontroverstheologisch geschärfte Überzeugung, daß das Verbindende zumindest unter den Lutheranern von größerem Gewicht sei als das Trennende.440 Bei Brenz selbst verbinden sich die bisher genannten Motiv noch mit der für seine Stellungnahmen zur Täuferverfolgung grundlegenden Ablehnung von Maßnahmen, durch welche „dem einzelnen der ihm von Gott lebenslang gewährte Raum zur Umkehr willkürlich genommen“441 würde. Verwerfungen, zumal in Form von Personalkondemnationen, schränkten die Umkehrmöglichkeit ein und griffen damit zugleich dem letztgültigen Urteil über strittige Lehrfragen vor, welches insbesondere bei Uneinigkeit über die Voraussetzungen erst von Gott selbst zu erwarten ist.442 Verwerfungen sind deshalb, wenn überhaupt, nur unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt des Verfahrens und nach eingehender Prüfung auszusprechen. Ordnet man das württembergische ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ den dargelegten Vorstellungen über den Umgang mit Lehrauseinandersetzungen zu, so erscheint es als eine zwar in sich selbst nicht prinzipielle, sondern vielmehr pragmatisch begründete Ablehnung von Verwerfungen in der konkreten Situation des Religionsgespräches in Worms, die aber durch prinzipielle Auffassungen fundiert ist – prinzipielle Auffassungen, deren wichtigste Elemente sind: ein geordnetes Verfahren mit starker Tendenz zur Rechtsförmigkeit, das Bemühen um konziliatorische Überwindung der Lehrdifferenzen und eine ausgeprägte Zurückhaltung gegenüber Personalkondemnationen. Die Fundierung im Prinzipiellen verleiht der durch das ‚Gutachten‘ begründeten Ablehnung von Verwerfungen in Worms trotz aller Situationsbezogenheit ihren kategorischen Charakter. Der kategorische Charakter der Ablehnung sollte sich in der Konsequenz, mit der Brenz und die übrigen Württemberger in Worms die Mitwirkung an Verwerfungen verweigerten, auswirken. Wahrgenommen wurde die Fundierung im Prinzipiellen aler für bloße Folge terminologischer Mißverständnisse ohne sachliche Relevanz hielt, den Konsens der lutherischen Theologen ‚ganz leicht‘ herbeiführen sollten“ (ebd., S. 339). 439 Mahlmann, Dogma, S. 176. 440 Vgl. Deuschle, S. 307 441 Seebass, An sint persequendi haeretici, S. 97. 442 Vgl. Deuschle, S. 133 f.296.
198 2. Aufstellung von Instruktionen im Ringen um gemeinsame Konfessionspolitik lerdings kaum oder gar nicht. Vielmehr wurde die Nachvollziehbarkeit und Übertragbarkeit der württembergischen Position dadurch behindert, daß sie allgemein als zugeschnitten auf die Rechtfertigung und Fortschreibung der bisherigen Haltung Württembergs im Osiandrischen Streit und damit auf die Wahrung der Interessen des Herzogtums Preußen angesehen wurde. Zweifelsohne ist das ‚Gutachten‘ teilweise transparent auf den Osiandrischen Streit als die für Württemberg virulenteste Lehrstreitigkeit der Zeit; in den Ausführungen zu den Punkten 5 und 7 des ‚Gutachtens‘ wurde oben darauf verwiesen. Dennoch kann man gerade wegen der Fundierung im Prinzipiellen nicht sagen, daß das ‚Gutachten‘ allein zu dem Zweck konzipiert sei, eine Verwerfung Osianders in Worms zu verhindern. Die dargestellten Gründe, sowohl die situationsbezogenen – insbesondere die aus den Gefahren der Anwesenheit der römisch-katholischen Seite geschöpften Argumente – als auch die prinzipiellen, reichen weit über die Osianderfrage hinaus, auch wenn sie daraus für die Württemberger eine besondere Dringlichkeit beziehen. Das deutlich zu machen, ist den Württembergern in Worms nicht gelungen – mit der Konsequenz, daß sie ihrem ausgeprägten Willen zur Konkordie zuwider als die eigentlichen Verhinderer der Einigkeit unter den evangelischen Teilnehmern am Religionsgespräch angesehen wurden.
3. Informelle Vorbereitungen in Worms als Bewährungsprobe für die Einigkeit der Konfessionsverwandten 3.1 Das Eintreffen der ersten Teilnehmer in Worms und das Ausbleiben der Fürsten und der Kursachsen Im Regensburger Nebenabschied war für den 1. August ein Vorkonvent der evangelischen Teilnehmer am Religionsgespräch in Anwesenheit der Fürsten oder hochrangiger Fürstenvertreter ins Auge gefaßt worden.1 Der Frankfurter Konvent hatte sich die Vorgabe des Regensburger Nebenabschieds zu eigen gemacht.2 Das ließ eine große Versammlung von nominierten Teilnehmern des Religionsgesprächs, Fürsten und hochrangigen Räten erwarten. Ganz anders nahm sich aber das Bild in Worms Anfang August aus.
3.1.1 Die Situation in Worms Anfang August Aus drei Quellen läßt sich darüber Aufschluß gewinnen, welche Stände Anfang August in Worms durch wen vertreten waren: Dr. Werner Eisen, brandenburg-ansbachischer Rat, teilte seinem Landesherrn am 3. August aus Worms mit: „[…] sovil das colloquium belangt, gib ich eur f. g. underteniger mainung zuerkennen, daß außerhalb Pfaltz und Wirttemberg (dessen theologi doch noch uf ankunft der sechsischen warten) noch niemand, so zum Colloquio unsersteils verordnet, einkommen ist […].“3 Wie die parenthetische Bemerkung über die württembergischen Theologen zu verstehen ist, ergibt sich aus Gustav Bosserts Auswertung der württembergischen Rechnung über die Kosten des Religionsgesprächs: Der politische Rat Lic. Balthasar Eißlinger traf als einziger württembergischer
1 Vgl. Art. 3 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 102 f., Nr. 37 sowie die Erläuterungen dazu oben S. 69 f. in Abschnitt 1.3.3. 2 Vgl. ‚Frankfurter Abschied‘, Art. 6: Sattler IV, Anhang S. 117, Nr. 40. 3 Werner Eisen an Mkgf. Georg Friedrich, Worms 3. August 1557: Schornbaum II, S. 161, Nr. I.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Teilnehmer bereits am 1. August in Worms ein, während die Theologen noch in Württemberg verblieben.4 Dem hessischen Oberamtmann Jobst Rau von Holzhausen hatte ein Wormser Gewährsmann als bereits am 1. August eingetroffen gemeldet: Abgesandte des Herzogs von Württemberg, des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und der Stadt Straßburg, sodann etwas später des pfälzischen Kurfürsten.5 Die Erwähnung Straßburgs über Eisens Angaben hinaus läßt sich gut dadurch erklären, daß der für Straßburg nominierte Theologe Johannes Marbach immer wieder an prominenter Stelle in pfälzischen Diensten tätig wurde,6 so daß Eisen ihn durchaus als Pfälzer wahrnehmen konnte. Die herzoglich-sächsischen Deputierten schließlich erwähnen am 16. August in ihrer Aufzählung der Anwesenden neben Marbach als zweiten Straßburger noch den nicht als Gesprächsteilnehmer nominierten „M. Jacob Herman Syndicus“ und neben Eisen den Superintendenten der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach, Georg Karg.7 Von pfälzischer Seite waren laut demselben Bericht am 16. August anwesend der als Gesprächsteilnehmer nominierte Heidelberger Theologieprofessor und pfälzische Generalsuperintendent Heinrich Stoll8, der Hofprediger Michael Diller sowie der politische Rat Walter Senfft9. Wer von den genannten Kurpfälzern bereits am 3. August in Worms präsent war und wann die einzelnen dort eintrafen, läßt sich nicht eruieren; wegen der relativen Nähe Heidelbergs ist gerade bei den Pfälzern mit Wechsel zu rechnen. Ergibt sich mit den angeführten Belegen für die Anwesenheit von Eisen und Karg, Hermann und Marbach, Eißlinger sowie kurpfälzischen Vertretern ein relativ deutliches Bild der Situation bis zum 3. August, so besteht über das Eintreffen weiterer Teilnehmer in den folgenden Tagen weniger Klarheit. Sicher belegt ist aber durch die württembergische Kastenrechnung die Ankunft Jakob Andreaes am 8. August.10 Seine Abfertigung nach 4
Vgl. Bossert, Beiträge, S. 37. Vgl. Rau von Holzhausen an Ldgf. Philipp, [Holzhausen] 7. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 4r. 6 Vgl. oben S. 80 in Abschnitt 1.4.1 bei Anm. 175 f. 7 Schnepf, Monner, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 16. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 104r–105v, hier fol. 104rv = Wolf, S. 326, Nr. 35 (Regest). Hermann fungierte auch auf dem Regensburger Reichstag als Vertreter Straßburgs (vgl. v. Bundschuh, S. 174); ebenso auf dem Frankfurter Konvent (vgl. Salig III, S. 273). 8 „Scola“ in Wolfs Regest (Wolf, S. 326, Nr. 35) ist Verschreibung für Stolls latinisierte Namensform Stolo. 9 Walter Senfft von Sulburg, einer schwäbischen Adelsfamilie entstammend und zunächst in badischen Diensten tätig, war Mitglied des neu eingerichteten kurpfälzischen Kirchenrates und führte zeitweise dessen Präsidium (vgl. Press, S. 211 mit Anm. 32 sowie S. 218 f.). 10 Vgl. Bossert, Beiträge, S. 39. 5
3.1 Das Eintreffen der ersten Teilnehmer in Worms
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Worms hatte Herzog Christoph am 1. August verfügt.11 Auf ihn folgte als nächster Württemberger laut der Kastenrechnung Johannes Brenz am 15. August.12
3.1.2 Die Situation bis Mitte August und das weitere Ausbleiben der Kursachsen Von besonderem Interesse ist der Zeitpunkt des Eintreffens der herzoglichsächsischen Deputierten. Denn mit ihrer Ankunft setzte auch ihr Wirken im Sinne der ‚Weimarer Instruktion‘ ein. Während die ältere Literatur bis zu Heppe keine genauen Angaben darüber macht,13 wird seit Gustav Wolf der 15. August als Datum ihrer Ankunft genannt.14 Das steht jedoch in deutlicher, bisher aber nicht berücksichtigter Spannung dazu, daß der württembergische Rat Eißlinger laut Kugler bereits am 13. August über die Aktivitäten der herzoglich-sächsischen Deputierten in Worms berichtete.15 Die herzoglich-sächsischen Deputierten müßten demnach vor dem 13. August in Worms eingetroffen sein. Überprüft man aber Wolfs Regest zum Schreiben der herzoglich-sächsischen Deputierten vom 16. August am Original, so wird es möglich, über Schlüsse und Vermutungen hinauszukommen. Denn laut dem in Weimar überlieferten Original waren die herzoglich-sächsischen Deputierten bereits am 6. August in Worms eingetroffen.16 Wolfs Angabe des 15. August hingegen muß auf Verschreibung oder fehlerhafter Übermittlung beru11 Vgl. Hzg. Christoph an die Hofräte in Stuttgart, Hirsau 1. August 1557: Ernst IV, S. 389, Nr. 303, Anm. 3. 12 Vgl. Bossert, Beiträge, S. 39. 13 Heppe hält sich an die von Jobst Rau von Holzhausen an Landgraf Philipp übermittelte Auskunft eines Wormser Gewährsmannes, es fehle nur noch „an der Churf. zu Sachssen, und E. F. G. [scil. Landgraf Philipps von Hessen] verordenten“ (Rau von Holzhausen an Ldgf. Philipp, [Holzhausen] 7. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 4r). Aufgrund der Angaben des Gewährsmanns, die sich im Blick auf das unerwähnt bleibende Fehlen der braunschweigischen, kurbrandenburgischen und dänischen Deputierten als unpräzise erweisen, setzt Heppe unausgesprochen auch für die herzoglich-sächsischen Deputierten voraus, daß sie vor dem 6. August eingetroffen seien (vgl. Heppe I, S. 160 bei Anm. 1). Dagegen wendet sich Fligge mit Berufung auf Wolf (vgl. Fligge, S. 751, Anm. 199). 14 Vgl. Wolf, S. 81; Fligge, S. 381 in Verbindung mit S. 751, Anm. 199; v. Bundschuh, S. 398. 15 Eißlinger an Hzg. Christoph, Worms 13. August 1557: Kugler II, S. 53, Anm. 82. Das von Kugler referierte Schreiben Eißlingers zählt zu den nicht mehr auffindbaren württembergischen Aktenstücken. 16 Schnepf, Monner, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 16. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 104r–105v, hier fol. 104r = Wolf, S. 326, Nr. 35 (Regest).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
hen.17 Die Ankunft der herzoglich-sächsischen Deputierten ist somit auf den 6. August zu datieren.18 Zusätzlich zu der eindeutigen Bezeugung in den Quellen spricht für die frühere Ankunft auch, daß Herzog Johann Friedrich am 10. August noch davon ausging, daß der Vorkonvent bereits wie vorgesehen am 1. August begonnen hätte.19 Eben davon war man in Hessen nicht überzeugt, weshalb Landgraf Philipp durch seinen Oberamtmann Jobst Rau von Holzhausen in Worms Erkundigungen einholen ließ. Auf die bis zum 7. August eingetroffene, sachlich aber nicht ganz präzise Auskunft hin, es fehle nur noch an den kursächsischen und hessischen Deputierten, berief Rau von Holzhausen den als Kolloquenten nominierten Niddaer Superintendenten Pistorius zu sich, um sich mit ihm nach Worms zu begeben.20 Laut Raus von Holzhausen und Pistorius’ gemeinsamem Bericht vom 18. August trafen sie am Samstag, dem 14. August, in Worms ein.21 Am 15. August traf sodann nicht nur Johannes Brenz ein, sondern auch der von der Stadt Braunschweig als Kolloquent zu entsendende Superintendent Joachim Mörlin,22 begleitet von seinem Koadjutor Martin Chemnitz23, und bald darauf noch der als Supernumerarius aufgestellte Mansfelder Superintendent Erasmus Sarcerius24. Immer noch fehlten aber die nominierten Teilnehmer aus Kurbrandenburg, Dänemark, Kursachsen und Pommern. Die Kursachsen um Melanchthon waren, nachdem ihre Abreise gezielt hinausgezögert worden war,25 erst am 14. August nach Worms aufgebrochen, wo sie am 28. August eintrafen.26 Etwas anders verhielt es sich bei den Pommern: Hier hatte sich die Abfertigung der Deputierten, vermut17 Ebenso verhält es sich auch mit Wolfs Angabe des 15. August in seinem Abdruck des Berichts Strigels vom 14. September (Wolf, S. 343, Nr. 48), in dessen Original (ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 166r–173v) ebenfalls der 6. August steht. 18 Das richtige Datum findet sich in den Abdrucken der ‚Großen Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten (vgl. ‚Große Protestationsschrift‘: CR 9, Sp. 285, Nr. 6350 = Heppe I, Anhang S. 13, Nr. VI = Förner, S. 76, Copia H). 19 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 10. August 1557: Ernst IV, S. 398, Nr. 310. 20 Rau von Holzhausen an Ldgf. Philipp, [Holzhausen] 7. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 4rv. 21 Rau von Holzhausen und Pistorius an Ldgf. Philipp, Worms 18. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 8r–9v, hier fol. 8r. 22 Schnepf, Monner, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 16. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 104r–105v, hier fol. 104rv = Wolf, S. 326, Nr. 35 (Regest). 23 Zu Chemnitz’ Anwesenheit in Worms vgl. Keller, Konflikt, S. 99 sowie Mahlmann, Art. Chemnitz, S. 715. 24 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 236, Nr. 6316. 25 Vgl. oben Abschnitt 2.2.2.1. 26 Vgl. MBW.R Bd. 8, S. 104 f. im Kommentar zu Nr. 8308.
3.1 Das Eintreffen der ersten Teilnehmer in Worms
203
lich wegen der nötigen Abstimmung zwischen den beiden pommerschen Herzögen Philipp und Barnim,27 bis zum 8. August verzögert.28 Als der Theologe Jakob Runge und der politische Rat Christian von Küssow am 16. August Wittenberg erreichten, waren die kursächsischen Gesprächsteilnehmer bereits abgereist.29 Die Pommern trafen schließlich zwei Tage nach den Kursachsen, am 30. August in Worms ein,30 als letzte der evangelischen Gesprächsteilnehmer. Denn die Nominierten aus Kurbrandenburg, der Theologe Andreas Musculus und ein politischer Rat als Auditor, sowie der als dänischer Deputierter vorgesehene Theologe Johannes Macchabäus Scotus blieben ganz fern und wurden schließlich von ihren Landesherrn entschuldigt.31 Das Ausbleiben insbesondere der Kursachsen mit Melanchthon an der Spitze verhinderte nach allgemeiner Auffassung die Aufnahme formeller Vorverhandlungen unter den evangelischen Gesprächsteilnehmern.32 Dennoch bedeutete die Ankunft der Hessen Rau von Holzhausen und Pistorius, des Württembergers Brenz, der Braunschweiger Mörlin und Chemnitz und des Mansfelders Sarcerius um den 15. August herum insofern einen Einschnitt, als sich nunmehr die Gesprächsmöglichkeiten vervielfachten und sich dabei auch die Kräfteverhältnisse und Konstellationen der späteren Auseinandersetzungen abzuzeichnen begannen. Zeitgleich begannen auch erste Verhandlungen auf diplomatischer Ebene, nachdem Herzog Christoph von Württemberg über den Inhalt der herzoglich-sächsischen Instruktion informiert worden war und sich beim sächsischen Herzog für deren Milderung einsetzte,33 was wiederum Konsultationen zwischen dem sächsischen Herzog und seinen Deputierten in Worms nach sich zog.34 Sowohl 27 Vgl. die zwischen dem 27. Juli und dem 2. August 1557 zwischen den Herzögen Philipp in Wolgast und Barnim auf Rügen gewechselten Briefe: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 2r–3v.4r–6v.11rv (Paginierung teilweise gestört). 28 Vom 8. August datieren die im Namen beider Herzöge ausgestellten Vollmachten und das Empfehlungsschreiben zum Wormser Religionsgespräch für die pommerschen Deputierten: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 12r–13v. 29 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Leipzig 19. August 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 9rv. 30 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v, hier fol. 14r. 31 Vgl. Salig III, S. 339. 32 Die hessischen Deputierten Rau von Holzhausen und Pistorius kommentierten das Ausbleiben der Kursachsen mit den Worten: „Vnnd allhier one Ir beisein nichts verhandelt magh werden.“ (Rau von Holzhausen und Pistorius an Lgdf. Philipp, Worms 18. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 8r–9v, hier fol. 8r). Der herzoglichsächsische Rat Basilius Monner beklagte gegenüber seinem Herzog die dadurch bedingte Verzögerung (Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 37 [Regest]). 33 Vgl. unten Abschnitt 3.3.1. 34 Vgl. unten Abschnitt 3.4.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
in Worms selbst als auch auf der Ebene der Fürsten untereinander sowie zwischen Fürsten und Deputierten setzten somit ab Mitte August informelle Vorverhandlungen ein, während es zuvor allenfalls zu ersten Sondierungen gekommen war.
3.1.3 Die Fürsten in Nähe und Distanz zum Geschehen in Worms Eigens Beachtung verdient, welches Verhältnis die Fürsten zu den Wormser Verhandlungen einnahmen und wie sie sich zu einem persönlichen Erscheinen in Worms stellten. Im Regensburger Nebenabschied war ihr persönliches Erscheinen gefordert worden. Im Frankfurter Abschied war hingegen nur noch davon die Rede, daß die im Reichsabschied als Assessoren benannten Fürsten, der Kurfürst von Sachsen und der Herzog von Württemberg, „uff das wenigst zum anfang selbst pers nlich“ in Worms erscheinen möchten35 –ein Begehren, das dem sächsischen Kurfürsten auch der Pfälzer Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph von Württemberg im Begleitschreiben zur Übersendung des Frankfurter Abschieds antrugen.36 Von Kurfürst August ist keine Stellungnahme dazu überliefert, vielmehr ist der Korrespondenz zwischen Württemberg und Kurpfalz der Unmut darüber zu entnehmen, daß eine kursächsische Antwort ausblieb.37 An die Adresse Herzog Johann Friedrichs von Sachsen bekundete Christoph zwar noch am 16. August seine Bereitschaft, nach Worms zu kommen, wenn Kurfürst August auch käme,38 stimmte in der vertraulicheren Korrespondenz mit Ottheinrich aber bereits am folgenden Tag dessen Vermutung zu, daß August wohl nicht kommen werde.39 Beide wußten offensichtlich noch nicht, daß Kurfürst August sich schon längst auf seiner Reise zu König Christian III. von Dänemark, seinem Schwiegervater, befand, zu welcher er in der ersten oder zweiten Augustwoche aufgebrochen war.40 August Entscheidung gegen eine persönliche Teilnahme in Worms muß sogar um einiges früher gefallen sein, spätestens bis zur Ausstellung der Vollmacht für 35
‚Frankfurter Abschied‘, Art. 6: Sattler IV, Anhang S. 117, Nr. 40. Vgl. Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Kfst. August, Frankfurt 2. Juli 1557: Ernst IV, S. 379, Nr. 295. 37 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Hirsau 1. August 1557: Ernst IV, S. 388, Nr. 303. 38 Vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 401, Nr. 313. 39 Laut Kugler II, S. 53, Anm. 87 schrieb Ottheinrich am 16. August an Christoph, „der Kurfürst von Sachsen werde schwerlich nach Worms kommen“, was Christoph am folgenden Tag bestätigte. 40 Die Post an den Kurfürsten wurde am 9. August bereits von Leipzig aus nach Wittenberg umgeleitet (vgl. Räte an Melanchthon, Dresden 9. August 1557: Wolf, S. 290, Nr. 25). 36
3.1 Das Eintreffen der ersten Teilnehmer in Worms
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den Grafen Ludwig von Eberstein-Neugarten als substituierten Assessor41. Sie liegt zudem vollkommen auf seiner allgemeinen Linie, denn August zeigte sich auch sonst gegenüber dem Ansinnen persönlicher Teillnahme an Reichs- oder Ständeversammlungen spröde. Aufgrund von Augusts vermutlichem Fernbleiben entschied sich auch Herzog Christoph gegen eine persönliche Teilnahme an den Verhandlungen in Worms.42 Der einzige Fürst, der weiterhin zum persönlichen Erscheinen in Worms bereit war und sich für seine Person auch entschlossen dazu zeigte, war der sächsische Herzog Johann Friedrich. In dem für Johann Friedrich bestimmten Exemplar der weitgehend gleichlautenden Begleitschreiben, die Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph zur Übersendung des Frankfurter Abschieds an den sächsischen Kurfürsten und an den sächsischen Herzog gerichtet hatten, war offensichtlich aus Versehen die eigentlich nur an den Kurfürsten gerichtete Aufforderung zur Teilnahme in Worms stehengeblieben.43 Die versehentliche Aufforderung dürfte, zusammen mit den Bestimmungen des Regensburger Nebenabschieds über den Wormser Vorkonvent, Johann Friedrichs Absicht begründet haben, nach Worms zu kommen. Ein auf Anraten seiner Ärzte angesetzter Kuraufenthalt in Markgraf-Baden44 mag seine Bereitschaft noch weiter befördert haben. In seinem Antwortschreiben auf die Übersendung des Frankfurter Abschieds bekundete Johann Friedrich jedenfalls seine Entschlossenheit zum persönlichen Erscheinen, machte es allerdings von der Teilnahme anderer Fürsten abhängig.45 Außerdem teilte er mit, daß er auch unabhängig vom Frankfurter Abschied vorgehabt habe, die von ihm zu entsendenden Gesprächsteilnehmer zum 1. August nach Worms abzufertigen, damit sie dort zunächst an der Vergleichung unter den Konfessionsverwandten mit41 Die Bevollmächtigung des Grafen von Eberstein-Neugarten ist im kursächsischen Memorial vom 11. August vorausgesetzt (vgl. ‚Memorial‘ vom 11. August 1557: Wolf, S. 292, Nr. 26). Das Konzept der „Vollmacht des Grauen von Neugarten zum Colloquio“ ist undatiert, befindet sich in den Dresdner Akten aber eingeordnet unter anderen Stücken aus der zweiten Julihälfte 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 36r–38v. 42 Christoph schrieb am 20. Juli an den Bischof von Speyer als den designierten Präsidenten des Religionsgespräch: „[…] da er nicht wisse, ob Kursachsen nach Worms komme und da Wirtemberg an den Gränzen [sic!] mit Musterplätzen vielfältig beschwert sei, so schicke er Balthasar von Gültlingen an seiner Statt als Assessor.“ (Kugler II, S. 53 f., Anm. 87). 43 Vgl. Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Kfst. August, Frankfurt 2. Juli 1557: Ernst IV, S. 379, Nr. 295 bei Anm. 2 sowie den entsprechenden Hinweis bei Ernst IV, S. 401, Nr. 313, Anm. 2. 44 In den Quellen begegnen als Ortsbezeichnungen für Johann Friedrichs Kurort sowohl „Baden“ als auch „Markgraf-Baden“. Es handelt sich dabei um das heutige BadenBaden. Quellenkonform wird im folgenden die Ortsbezeichnung „Markgraf-Baden“ verwendet. 45 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Weimar 24. Juli 1557: Ernst IV, S. 384, Nr. 300.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
wirkten. Er zeigte damit an, daß für ihn der Regensburger Nebenabschied weiter maßgeblich war. Nach seiner Ankunft in Markgraf-Baden bekräftigte er am 10. August gegenüber Ottheinrich und Christoph, von denen er noch keine Antwort erhalten hatte,46 nochmals seine Bereitschaft, nach Abschluß der verordneten Badekur persönlich nach Worms zu kommen.47 Herzog Christoph stellte in seiner Antwort auf Johann Friedrichs Schreiben vom 10. August die württembergische Lesart48 der Abschiede von Regensburg und Frankfurt vor und zeigte an, daß er allenfalls mit dem persönlichen Erscheinen der beiden Assessoren rechnete. Der Wormser Vorkonvent sollte nur noch dazu dienen, eine gemeinsame Strategie für das Religionsgespräch festzulegen, während die eigentliche Lehrvergleichung auf eine Synode nach dem Wormser Religionsgespräch vertagt und in Worms lediglich vorberaten werden sollte.49 Im gleichen Sinne wie Christoph hatte auch schon Kurfürst Ottheinrich an den sächsischen Herzog geschrieben.50 Nun nahm auch Johann Friedrich der Mittlere Abstand von dem Vorhaben, persönlich in Worms zu erscheinen, allerdings nicht ohne noch einmal zu bekunden, daß er dazu bereit gewesen wäre.51 Das Ergebnis war, daß tatsächlich während des ganzen Religionsgesprächs und seiner Vorbereitungen kein evangelischer Fürst nach Worms kam. Als einziger evangelischer Reichstand in Person erschien Graf Reinhard von Isenburg-Büdingen, der als Auditor für die Grafen der Augsburgischen Konfession nominiert war. Eine aktive Beteiligung seinerseits an den internen oder offiziellen Verhandlungen ist jedoch nur in einem Fall dokumentiert;52 möglicherweise war er auch nur für kurze Zeit in Worms, denn er wurde nach seiner Abreise, deren Zeitpunkt nicht bekannt ist, durch den Wormser Juristen Conrad Ofenbach vertreten.53 46 Christoph beantwortete Johann Friedrichs vom 24. Juli datierende Entgegnung auf die Übersendung des Frankfurter Abschieds (vgl. Anm. 45) erst am 31. August (Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Pfullingen 31. August 1557: Ernst IV, S. 409–411, Nr. 322) und damit später als Johann Friedrichs Schreiben aus Markgraf-Baden vom 10. August, welches er bereits am 16. August erwiderte (vgl. Anm. 49). Möglicherweise hatte Christoph das Schreiben vom 24. August mit Verzögerung erhalten, weil es zugleich an Ottheinrich adressiert gewesen war. 47 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 10. August 1557: Ernst IV, S. 398, Nr. 310. 48 Vgl. oben S. 133 f. in Abschnitt 2.1.2.6 bei Anm. 175–177. 49 Vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 400 f., Nr. 313. 50 Vgl. Kfst. Ottheinrich an Hzg. Johann Friedrich d. M., Nauenhirschbügel 24. August 1557: Ernst IV, S. 413, Nr. 326, Anm. 2. 51 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 4. September 1557: Ernst IV, S. 413 f., Nr. 326. 52 Vgl. Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31r. 53 Vgl. Salig III, S. 293.
3.1 Das Eintreffen der ersten Teilnehmer in Worms
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Obwohl keiner der evangelischen Fürsten in Worms persönlich anwesend war, kam den Fürsten als Akteuren auf dem Wormser Religionsgespräch große Bedeutung zu, wie zu zeigen sein wird. Das Verhältnis, welches die Fürsten zu den Wormser Verhandlungen einnahmen, war von Fall zu Fall sehr unterschiedlich; es läßt sich am besten in den Kategorien von Nähe und Distanz beschreiben. In die größte Distanz zum Geschehen in Worms begab sich Kurfürst August von Sachsen, indem er eben just zum Auftakt des Religionsgesprächs nach Dänemark abreiste. Die komplizierten Anweisungen für die Korrespondenz der kursächsischen Deputierten mit dem Kurfürsten54 lassen die späteren Kommunikationsprobleme der Kursachsen bereits erwarten. Bei Postlaufzeiten von bis zu dreieinhalb Wochen55 und Überschneidungen von Anweisungen der Dresdner Regierung mit solchen des Kurfürsten waren zielgerichtete Interventionen von kursächsischer Seite äußerst erschwert. Im Gegensatz zur nicht nur geographischen Distanz des Albertiners begab sich sein ernestinischer Widerpart, Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen, ganz in die Nähe des Schauplatzes: Während seines Kuraufenthaltes in Markgraf-Baden, knapp hundert Kilometer von Worms entfernt, und bei seinem anschließenden Besuch in dem weniger als 50 Kilometer von Worms gelegenen Meisenheim, der Residenz Pfalzgraf Wolfgangs von Zweibrücken,56 konnten dem Herzog die Briefe seiner Deputierten binnen zweier Tage respektive in Tagesfrist zugestellt werden und umgekehrt. Die Nähe Markgraf-Badens und Meisenheims ermöglichte es sogar, daß die herzoglich-sächsischen Deputierten den Herzog aufsuchten, um zu berichten und Weisungen einzuholen. Schließlich konnte 54
Vgl. oben S. 158 in Anm. 276. Das Schreiben der Deputierten vom 17. September (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59v) erreichte laut praesentatum-Vermerk den Kurfürsten erst am 13. Oktober im jütländischen Kolding; seine Antwort traf erst am 10. November in Worms ein (so dies. an dens., Worms 11. November 1557: ebd., fol. 199r). 56 Der Aufenthalt Johann Friedrichs in Markgraf-Baden ist bis zum 15. September sicher belegt (vgl. Wolf, S. 352, Nr. 49). Das erste Schreiben aus Meisenheim datiert vom 27. oder vom 29. September (vgl. Ernst IV, S. 424, Nr. 338; zur Datierung vgl. unten S. 454 bei Anm. 415 f.); dazwischen ist Johann Friedrichs Anwesenheit auf der Fürstenzusammenkunft in Friedrichsbühl bei Germersheim am 26. September bezeugt (Ernst IV, S. 420, Nr. 336). Anlaß des Besuches in Meisenheim war die Einladung Pfalzgraf Wolfgangs von Zweibrücken an den sächsischen Herzog zur Taufe seines Sohnes Friedrich (vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 4. September 1557, Cedula: Ernst IV, S. 414, Nr. 326 mit Anm. 1). Aus Meisenheim schrieb Johann Friedrich am 29. September noch an Melanchthon (MBW 8369), muß aber bald danach aufgebrochen sein, da er nach dem Zeugnis seines Hofpredigers Johann Aurifaber am 7. Oktober nach Weimar zurückkehrte (Johann Aurifaber an Kg. Christian III. von Dänemark, 21. Dezember 1557: Schumacher I, S. 315, 15. Brief Aurifabers) und für die Reise ungefähr eine Woche zu veranschlagen ist. 55
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Johann Friedrich auch rasch mit den wichtigen fürstlichen Akteuren Südwestdeutschlands in Verbindung treten; es bot sich sogar die Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung. Der Vergleich mit Kurfürst August von Sachsen macht deutlich, welche Fülle von Interventionsmöglichkeiten dem sächsischen Herzog dadurch zu Gebote stand, daß er sich in der Nähe aufhielt. Der Blick auf weitere Fürsten zeigt allerdings, daß sich Nähe und Distanz nicht allein geographisch bemessen lassen. Kurfürst Ottheinrich, in Heidelberg näher an Worms als jeder andere Fürst, war wie auch seine führenden Räte in den Monaten des Religionsgesprächs sehr stark in Anspruch genommen durch die Reorganisation der Universität Heidelberg und die Neuordnung der Regierungsgremien, die in der Einführung der neuen Kanzleiordnung am 20. Oktober gipfelte.57 So blieb er im ganzen recht distanziert gegenüber den Vorgängen in Worms.58 Landgraf Philipp und Herzog Christoph hingegen, in Marburg und Stuttgart etwa gleich weit von Worms entfernt, verfolgten beide den Verlauf der Wormser Verhandlungen sehr aufmerksam, jedoch bei völlig unterschiedlichem Informationsstand: Während Christoph laufend gut unterrichtet wurde, mußte Philipp noch Ende September bislang ausgebliebene Informationen einfordern59 und sich später – was ihm der neuzeitliche Archivbenutzer nicht verdenken kann – über unleserliche und unklare Berichte beklagen60. Die Situation in Worms Mitte August war mithin weit entfernt von dem, was man aufgrund des Regensburger Nebenabschieds hätte erwarten können. Was sich jedoch bereits abzeichnete, waren die befürchteten großen Spannungen und tiefgreifenden Differenzen unter den evangelischen Teilnehmern. Anders als im Frankfurter Abschied – zumindest nach seiner württembergischen Lesart – angestrebt, würden sie sich nicht sistieren lassen. Zugleich wurde aber durch den Frankfurter Abschied und durch den faktischen Boykott der Kursachsen der im Regensburger Nebenabschied vereinbarte Vorkonvent unterlaufen. So mußte nun nicht nur um strittige Punkte, sondern auch noch um das Verfahren zur Beilegung oder Sistierung der Streitigkeiten gerungen werden. Dieser Umstand war dazu angetan, die ohnehin schon vorhandenen Gräben noch zu vertiefen.
57
Vgl. Press, S. 214–217. Zum nachlassenden Interesse Ottheinrichs an dem Religionsgespräch schon während des Regensburger Reichstags vgl. Kurze, S. 32 mit S. 108 f., Anm. 63–65. 59 Vgl. Ldgf. Philipp an Pistorius und Friedrich von der Thann, Marburg 28. September 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 13r. 60 Ldgf. Philipp an Pistorius und Friedrich von der Thann, Rauschenberg 15. Oktober 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 65r. 58
3.2 Polarisierung der Deputierten Augsburgischer Konfession
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3.2 Polarisierung der Deputierten Augsburgischer Konfession Am Abend des 26. August traf Philipp Melanchthon mit seinen Begleitern in Frankfurt am Main ein.61 Am nächsten Tag teilte er noch von dort aus Freunden in Leipzig und Wittenberg brieflich mit, was er über die Vorverhandlungen in Worms gehört hatte: „Wir haben hier auch etwas über die Vorspiele zum Kolloquium gehört: Vorverurteilungen sind in Methone62 gegen Brenz und gegen mich gefaßt worden, von denen sie wollen, daß wir sie annehmen. Und ich zweifle nicht, daß die Methonäer unübersehbar [ihren] Haß gegen uns kundzutun vorhaben. Aber ich befehle uns Gott an.“63 So das Bild der Lage in Worms, wie es sich für Melanchthon einen Tag vor seiner Ankunft am Ort des Religionsgesprächs darstellte. Wie standen aber unterdessen die Dinge in Worms selbst?
3.2.1 Aktivitäten der ernestinischen Deputierten und ihres Protagonisten Monner Zutreffend an Melanchthons Bild der Lage ist, daß die meisten Aktivitäten dort von den herzoglich-sächsischen Deputierten ausgingen. Die früheste Nachricht darüber ist der von Kugler benutzte, heute verschollene Bericht des württembergischen Rates Eißlinger an Herzog Christoph vom 13. August64, dessen Nachhall sich aber in dem Schreiben Christophs an den sächsischen Herzog Johann Friedrich vom 16. August findet. In drei Punkten referiert Christoph darin, wie sich die herzoglich-sächsischen Deputierten in Worms dem Bericht seiner Gesandten nach hätten ver61 Vgl. das Reiseitinerar Melanchthons (MBW.R Bd. 8, S. 105 im Kommentar zu Nr. 8308). 62 Die antike Stadt Methone diente Melanchthon als Chiffre für Weimar. Ob mit der Wahl der Chiffre darauf angespielt wird, daß im antiken Methone vertriebene Anwohner aus Nauplia angesiedelt worden waren (vgl. DNP Bd. 8, Sp. 98 s. v. Methone [1]), oder ob die Chiffre wegen ihrer Assonanz an ‚ĖďĒħģ‘ – ‚trunken sein‘ gewählt wurde, ist aufgrund der dem Verfasser dieser Arbeit bekannten Belege nicht zu entscheiden. 63 „Hic etiam quaedam de colloquii prooemiis audivimus. ĚěęČęğĕďħĖċĞċ őė ĞǼ ÷ďĒĨėǹ facta sunt contra Brentium et contra me, quae volunt a nobis recipi. Nec dubito ĞęƳij ĖďĒģėċĉęğij insigniter declaraturos esse odium nostri. Sed Deo nos commendo.“ (Melanchthon an Jakob Milichius, Frankfurt 27. September 1557: CR 9, Sp. 244, Nr. 6319 = MBW 8319). Vgl. ferner Melanchthons teilweise gleichlautende Schreiben von demselben Tage an Joachim Camerarius (MBW 8319) und Petrus Vincentius (MBW 8321). Die Quelle für Melanchthons Information läßt sich nicht ausmachen, es ist jedoch ein schneller Nachrichtenfluß zwischen den Reichsstädten an Rhein und Main anzunehmen. 64 Vgl. Kugler II, S. 53 bei Anm. 86. Kugler faßt Eißlingers Bericht so zusammen: „Die Räthe und Theologen Johann Friedrichs […] traten gemäß der Instruction, die ihnen ihr Herzog ertheilt hatte, mit flacianischem Eifer auf und verlangten von allen Uebrigen die namentliche Verdammung der protestantischen Sektierer.“
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
nehmen lassen: Erstens hätten sie Befehl, nicht nur von der CA, sondern auch von der Apologie der CA und den Schmalkaldischen Artikeln keinen Fingerbreit zu weichen; zweitens könnten sie sich ihrem Befehl nach nicht in das Religionsgespräch einlassen, bevor nicht die anderen Theologen wie sie öffentlich und spezifiziert bestimmte Sekten verworfen hätten, „als nemlich anabaptistas, Serveticos, Interimisten, Adiaphoristen, Majoristen, Schwenkfeldianos, Zwinglianos und Osiandricos“; drittens sei eine ausdrückliche Anerkenntnis der interimistischen Verfehlungen durch die davon betroffenen Stände und Theologen unabdingbar.65 Bestätigung aus erster Hand bietet der Bericht der hessischen Deputierten Rau von Holzhausen und Pistorius vom 18. August: „Die gesandten der Herrn von Sachssen zu Weimar, lassen sich horen, sie hetten ein Instruction von Ihrem Herrn, welche nachuolgents Inhalts sey, Nemlich das sie von den andern stenden dieße drei stück erforderen, Vnd one Derselbigen Verwilligung, sich in keyne Handel noch Colloquium begeben sollten, Das erst ist, das man bey der Augspurgischen Confession stehen vnd pleiben wolte, Das andere, das man mit Inen die widderteuffer, Osiandristen, Maioristen, Adiaphoristen, Vnd Sacramentierer verdammen wolte, Das dritt, das in genere Reuociert werden solte, was seidt der Zeit des Interims sich Vngereumtes Zugetragen hett.“66
Offensichtlich hatten die herzoglich-sächsischen Deputierten gegenüber den anderen Teilnehmern ihre Instruktion auf drei Punkte zusammengezogen. Die ersten beiden, unbedingte Bindung an die durch Apologie und Schmalkaldische Artikel interpretierte CA sowie namentliche, spezifizierte Verdammung von Sekten, lassen sich unmittelbar aus dem Herzstück der herzoglich-sächsischen Instruktion vom 27. Juli herleiten, dem sie nicht nur in Duktus und Tendenz, sondern sogar im Aufbau entsprechen.67 Etwas anders verhält es sich mit dem dritten Punkt. Wie in Abschnitt 2.2.1.5 dargestellt, hatte die insbesondere von Flacius, aber auch von Basilius Monner geforderte antiadiaphoristische Zuspitzung in der Instruktion nicht die verlangte Berücksichtigung gefunden; es war bei einer Verwerfungsforderung unter anderen geblieben.68 Wenn nun die herzoglich-sächsischen Deputierten in Worms zusätzlich zu einer Verwerfung der „Adiaphoristen“ auch noch auf einen Widerruf der Stände und Theologen, die im Zusammenhang des Interims gefehlt hätten, bestanden, so handelt es sich dabei um mehr als eine formale Differenzierung zwischen der Verwerfung von 65 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 401 f., Nr. 313. 66 Rau von Holzhausen und Pistorius an Ldgf. Philipp, Worms 18. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 8rv. 67 Vgl. ‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juni 1557: Wolf, S. 316–326, Nr. 34; das Herzstück der Instruktion ebd., S. 320 f. 68 Vgl. oben S. 151 f. in Abschnitt 2.2.1.5 bei Anm. 240–243.
3.2 Polarisierung der Deputierten Augsburgischer Konfession
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Dritten in Abwesenheit und dem Widerruf Anwesender. Es zeigt zugleich eine sachliche Verschiebung gegenüber der Instruktion an: Die Weimarer Deputierten – oder zumindest ein Teil von ihnen – gingen hier offensichtlich über die Instruktion hinaus und verschärften mit deutlicher Implikation gegen Kursachsen und Melanchthon den Katalog der Vorbedingungen für ihre Teilnahme am Religionsgespräch. Die Weimarer Deputierten selbst berichteten ihrem Herzog am 21. August über ihre Aktivitäten. Sie teilten ihm mit, seit ihrem letzten Schreiben hätten sie „viel Personen angestochen“69, und referierten, was ihre Bemühungen ergeben hatten: Die Mehrheit der Teilnehmer werde es schwerlich dazu kommen lassen, „daß man vor der Handlung, so mit den Papisten vorgenommen soll werden, beides von den alten und neuen Irrthumen, so seit der Zeit des promulgierten Interims aufkommen, Unterredung gestatten, und Verdammung der Irrthumen zulassen werde“70. Demnach stand im Zentrum der Aktivitäten der Weimarer, wie nicht anders zu erwarten, die Verwerfungsforderung. Die Bezeichnung ihrer Akivitäten als ‚Anstechen‘ zeigt an, daß es dabei um mehr ging als um eine Erkundung des Meinungsbildes oder eine Sondierung der Stimmung unter den deputierten Gesprächsteilnehmern. Der Begriff des ‚Anstechens‘ impliziert vielmehr eine Spitze im Sinne von Einflußnahme, wenn nicht gar Agitation. Wie das ‚Anstechen‘ vor sich gegangen sein dürfte, erhellen einige wenige Schlaglichter in den Quellen. Die weimarischen Deputierten teilen in einem ihrer Berichte mit, sie hätten privatim mit kurpfälzischen, württembergischen, ansbachischen und Straßburger Deputierten gesprochen.71 Anschauung zur möglichen Gestalt solcher Privatgespräche bietet die württembergische Reisekostenrechung, derzolge Herzog Christophs Gesandter Balthasar Eißlinger am 15. August „Untertrunk“ mit anderen politischen Räten hielt, nämlich mit dem Jenaer Basilius Monner, mit Walter Senfft aus der Kurpfalz und mit einem ungenannten brandenburgischen Abgeordneten, wahrscheinlich dem ansbachischen Juristen Werner Eisen.72 Der „Untertrunk“ könnte eine der Gelegenheiten gewesen sein, bei denen Monner die Anliegen der herzoglich-sächsischen Instruktion vorbrachte. Es ist wohl kein Zufall, daß eine solche Nachricht gerade über Monner vorliegt, denn er scheint der Motor der herzoglich-sächsischen Aktivitäten gewesen zu sein. Zumindest wurde er so wahrgenommen, wie die Klagen 69 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 236, Nr. 6316. 70 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 237, Nr. 6316. 71 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 23. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 38. 72 Vgl. Bossert, Beiträge, S. 49.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
belegen, die Melanchthon und Eber schon bald nach ihrer Ankunft gegen ihn erhoben. So schrieb Melanchthon an Camerarius: „Es läuft umher wie eine Furie jener, der sich zu Recht Thrasyboulos nennt, und bittet, ihre [scil. der Weimarischen] Vorverurteilungen zu billigen.“73 Erwähnt Melanchthon überhaupt nur Monner, so beschreibt Eber ihn gegenüber Major als Protagonisten der Weimarer. Eber teilt mit, die Kursachsen hätten seit ihrer Ankunft in Worms nichts gesehen oder gehört, „außer daß die Methonäer, am meisten aber Regius Selinus, wie er sich selbst in einer gewissen, einst gegen den Kaiser publizierten Schrift genannt hat, umhergehen und von den Theologen unserer Seite verlangen sollen, daß sie die Instruktion, die jene von zuhause mit sich gebracht haben, unterstützen sollten, das heißt: daß sie Philipp drängen sollten, daß er widerrufe und den Adiaphorismus, den Maiorismus, den Osiandrismus und den Zwinglianismus verdamme, bevor er zum Kolloquium mit den anderen zugelassen werde.“74 73 „[D]iscurrit ut Furia is, qui se recte nominat ĒěċĝħČęğĕęė, et petit audire, suorum ĚěęČęğĕďħĖċĞċ.“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 247,
Nr. 6322 = MBW 8323). Thrasyboulos ist ein Pseudonym Basilius Monners – nicht Mörlins (gegen CR 9, Sp. 247, Anm. 2; richtig MBW.R Bd. 8, S. 111, Nr. 8323.1) –, unter welchem Monner im Vorjahr eine Schrift mit dem Titel „Pontificem Roman. cum suis coniuratis esse manifestum hostem ciuium Dei, tum Imperij: & ideo iure ei resistendum“ veröffentlicht hatte (Titel zitiert nach Kolb, Legal Case, S. 149, Anm. 26; zum Inhalt der Schrift vgl. ebd., S. 151–154). Monner wird sich bei der Wahl des Pseudonyms auf den athenischen Demokraten und Feldherrn Thrasyboulos bezogen haben, der im Jahr 403 v. Chr. den Sturz der 30 Tyrannen anführte (vgl. DNP 12/1, Sp. 493 f. s. v. Thrasybulos [3]). Melanchthon hingegen könnte bei seiner ironischen Zustimmung zu Monners Pseudonym auf Thrasyboulos, den von Herodot als willkürlichen Despoten geschilderten Tyrannen Milets um 600 vor Christus oder den gleichnamigen Syrakusaner Tyrannen des 5. Jahrhunderts anspielen (ebd., Sp. 493 s. v. Thrasyboulos [1 f.]), wenn er sich nicht assoziativ auf die Wortbestandteile bezog: ‚Ēěċĝħij‘ bedeutet ‚tollkühn‘, ‚Čęħĕęij‘ ließe sich spielerisch mit ‚Čęğĕďħģ‘ – ‚beraten, beschließen‘ oder ‚ČęħĕęĖċē‘ – ‚wollen, verlangen‘ in Verbindung bringen, so daß Melanchthon mit seiner Zustimmung zu dem Pseudonym Monner als einen tollkühnen Ratgeber oder einen, der Tollkühnes will, kennzeichnen hätte wollen können. 74 „Nos cum venerimus d. 28. Augusti […] ad hunc usque Egidii diem, quo haec scribebam, nihil agi vidimus aut audivimus, nisi quod Methonius [lg.: Methonii; vgl. die Edition des Briefes bei Hummel, S. 24, Nr. IX], maxime vero Reg. Selinus, ut ipse in quodam scripto contra Caesarem olim edito nominavit, circumeant, petentes a nostrae partis Theologis, ut instructioni, quam domi secum attulerunt, suffragentur, hoc est, ut Philippum adigant, ut revocet et condemnet Adiaphorismum, Maiorismum, Osiandrismum et Zwinglianismum antequam admittatur ad colloquiium cum aliis.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324). Regius Selinus ist ein anderes Pseudonym Monners, unter welchem der Jurist 1546 im Zusammenhang des Schmalkaldischen Krieges die Schrift „Von der defension vnd Gegenwehre/Ob man sich wider der Oberkeit Tyrannei vnd vnrechte Gewalt wehren/und gewalt mit gewalt vertreiben müge“ veröffentlicht hatte (Titel zitiert nach Kolb, Legal Case, S. 146, Anm. 9; zum Inhalt der Schrift vgl. ebd., S. 151). Das Pseudonym ist eine Umformung von Monners Namen: Aus ‚Basilius‘, dem Vornamen griechischen Ursprungs, wird das bedeutungsgleiche lateinische ‚Regius‘; aus dem Nachnamen, in den dazu der Bestandteil ‚Mond‘ hineingelesen ist, wird ‚Selinus‘, angelehnt an griechisch ‚ĝďĕĈėđ‘ – ‚Mond‘ (vgl. Schneider, S. 94). Der Bezug
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Ebers Beschreibung ist ausdrücklich nicht aus persönlichem Erleben geschöpft, was sich damit deckt, daß Monner nach eigener Aussage den Kontakt mit den Kursachsen mied.75 Eine direkte Bestätigung der Monner zugeschriebenen Protagonistenrolle bietet aber die herzoglich-sächsische Korrespondenz. So unterzeichnet Monner nicht nur die Berichte der Weimarer Deputierten an erster Stelle,76 sondern ergänzt die gemeinsamen Berichte auch noch durch eigene, teilweise vom selben Tage77. In einem seiner eigenen Berichte erwähnt Monner, daß er „in Privatgesprächen mit verschiedenen Gesandten, besonders mit den Kurpfälzern und Straßburgern“ die Meinung „zu bekämpfen gesucht“ habe, die Einigkeit in den Hauptartikeln unter den Augsburger Konfessionsverwandten sei bereits vorhanden78. Die eigene Wahrnehmung seiner herausgehobenen Rolle spricht im übrigen daraus, daß Monner in einem Brief an Flacius die bezeichnend unbescheidene Formulierung „ego cum collegis meis contra sentimus“ wählt.79 Belegt ist schließlich, daß Monners Aktivitäten noch deutlich über das Eintreten für die herzoglich-sächsische Instruktion hinausgingen. Ein wichtiger Beleg dafür findet sich in einem Brief des herzoglich-sächsischen Hofpredigers Johannes Aurifaber, der sich mit Herzog Johann Friedrich in Markgraf-Baden aufhielt und von dort am 13. September an einen ungenannten, ihm aber offensichtlich theologisch und konfessionspolitisch nahestehenden Briefpartner schrieb.80 Die Auswertung des genannten Briefs Aurifabers stand bisher unter dem Vorbehalt, daß der Empfänger nicht identifiziert war. Der Brief bietet m. E. aber ausreichende Hinweise, um zu einer begründeten Vermutung zu gelangen. Der Empfänger hatte offensichtlich Zugang zu einem Fürstenhof, dem auch Aurifaber sich verbunden fühlte, denn der Briefschluß gibt als Zweck des Schreibens an: „Dieses hab ich in großer Eil euch nicht verhalten wollen, auf daß meinem gn digen F rsten und Herrn ihr unterth nigen Bericht davon thun m chtet, und I. F. G. w ßte, wie es jetzt so kl glichen auf dem Colloquio stehet […].“ (Sp. 272). Da Aurifaber dem Empfänger eine Einschätzung der theologischen Lage in Oberdeutschland übermittelt – „mich auf Monners frühere Pseudonyme sowohl bei Melanchthon als auch bei Eber könnte damit im Zusammenhang stehen, daß die kursächsische Polizeiaktion gegen Monners jüngstes pseudonymes Werk bereits im Gange war (vgl. Abschnitt 4.3). 75 Vgl. Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321. 76 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 241, Nr. 6316; dies. an dens., Worms 6. September 1557: Wolf, S. 337, Nr. 45. 77 Vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326 f., Nr. 37; Regest. 78 Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 28. August 1557: Wolf, S. 328, Nr. 40 (Regest). 79 Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321. 80 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 269– 272, Nr. 6341. Zitate daraus werden innerhalb des folgenden Petit-Exkurses durch Spaltenangabe nach CR 9 im Text belegt.
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siehet es daf r an, es ist Gottes Wort aus dem Oberland schier gar weg“ (ebd.) –, dürften der Empfänger und der erwähnte Fürst in Nord- oder Mitteldeutschland ansässig sein. Weitere Anhaltspunkte liefert die Grußliste, die offenkundig Namen aus der Umgebung des Fürsten und des Empfängers anführt: „Ihr wollet meinem gn digen F rsten und Herrn mein Gebeth, und unterth nige, schuldige und verpflichtliche dienst vermelden, dergleichen den Marschal Harstal, den von Obernig, D. Maximilianum Andreas Wolff, den Pr ceptor Bonaventura und Johann Otto freundlich und dienstlich gr ßen.“ (ebd.). Träger der beiden zuerst genannten Namen sind in den 1550er und 1560er Jahren in ernestinischen Diensten belegt: Georg von Harstall als Amtmann zu Kreuzburg und Gerstungen und ab 1561 als oberster Befehlshaber auf der Festung Grimmenstein,81 Hans Veit von Obernitz zunächst als Hofmeister Herzog Johann Friedrichs des Jüngeren von Sachsen und 1560 als Rat Herzog Johann Wilhelms82. Weisen mithin die ersten beiden Namen in Richtung des ernestinischen Herzogtums Sachsen und damit auf den Weimarer Hof, so ist eine Identifizierung der übrigen Genannten noch nicht gelungen.83 Nimmt man aufgrund der vorgestellten Anzeichen an, daß Aurifabers Brief nach Weimar gerichtet war, so dürfte der erwähnte Fürst einer der beiden jüngeren Brüder des in Markgraf-Baden zur Kur weilenden Herzogs Johann Friedrich des Mittleren sein: Johann Wilhelm oder Johann Friedrich der Jüngere von Sachsen. Damit stimmt es gut überein, daß der sehr wahrscheinlich in der Grußliste gemeinte Hans Veit von Obernitz Funktionen im persönlichen Dienst der beiden jüngeren Herzöge bekleidet hat. Bedenkt man nun, daß der Empfänger des Briefes ausdrücklich die von Aurifaber übermittelten Informationen an den Fürsten weitergeben soll, so kann der Brief verstanden werden als eine indirekte, unterhalb einer offiziellen Ebene bleibende Benachrichtigung eines in Weimar verbliebenen Herzogs durch einen Vertrauten des abwesenden ältesten Herzogs. Wer aber könnte der Empfänger gewesen sein? Treffen die bisher dargelegten Vermutungen zu, so muß der Empfänger eine Person im Umfeld des herzoglichen Hofes in Weimar gewesen sein. Es könnte sich dabei um Wolf Mülich, Hofmeister in Weimar, gehandelt haben, mit dem Aurifaber auf Aufforderung Amsdorfs bereits 1556 in ähnlicher Weise kommuniziert hatte.84 Aber das bleibt bis auf weiteres nur eine Vermutung. Hingegen kann sicher davon ausgegangen werden, daß Johannes Aurifaber seinen Brief innerhalb des Kommunikationsraumes der herzoglich-sächsischen Theologie und Konfessionspolitik verfaßt und versandt hat. Der Brief kann damit als relativ ungeschützt formuliertes Zeugnis der internen Lagebeurteilung im Umfeld Johann Friedrichs des Mittleren gelten. Dem Sprachgestus und der inneren Haltung wie auch der Abschrift von derselben Hand nach scheint noch ein weiterer Brief von demselben Verfasser an denselben
81
Vgl. Beck II, S. 122. Vgl. Beck II, S. 145. „Obernig“ statt Obernitz in Aurifabers Brief kann leicht auf einer Verschreibung oder Fehllesung beruhen. 83 Hinter der Chiffre „Präzeptor Bonaventura“ könnte man den herzoglichen Rat Franz Burchard vermuten, dessen übliche Benennung als Franciscus Vinariensis in Verbindung mit dem Ruhm seiner lateinischen Beredsamkeit eine Brücke zu dem großen Franziskanertheologen Bonaventura gebildet haben könnte. 84 Vgl. Hartmann, S. 90 bei Anm. 40 in Verbindung mit S. 166, Anm. 40. 82
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Empfänger gerichtet zu sein,85 weshalb er im ‚Corpus Reformatorum‘ mit guten Gründen Aurifaber zugewiesen worden ist.86 Bei diesem Brief ist auch das Absendedatum unbekannt, auf der in Wolfenbüttel überlieferten Abschrift ist aber das Eingangsdatum 24. September vermerkt87. Die Mitteilungen des Briefes beziehen sich auf Vorgänge zwischen dem 9. und dem 15. September.88 Bei einer Brieflaufzeit zwischen Markgraf-Baden und Weimar von einer Woche dürfte dieser zweite Brief daher ungefähr am 16. September abgeschickt worden sein.
In dem Brief vom 13. September teilt Aurifaber mit: „Doct. Basilius, der gute Mann, hat viel Frommen zu Worms geschafft, und die adiaphoristischen Irrthum und Corruptelen schriftlichen, fast allen F rsten, R then und Theologen zu lesen heimlich zugeschanzet.“89 Eine handschriftliche Abhandlung im Quart-Format über den Adiaphorismus in Gestalt eines Florilegiums adiaphoristischer Zitate ist sowohl in Stuttgart als auch in Greifswald im Zusammenhang von Akten des Wormser Religionsgesprächs überliefert.90 Der pommersche Kolloquent Jakob Runge teilt dazu mit: „Die tage wird allhie ein Buchlin [in margine Verweis auf die Beilagen zu Runges Bericht: „signieret mit C“91] umbgetragen, welches Titel ist Errores Adiaphoristarum, sine nomine Autoris, den92 man hette den Jenischen oft zu verstehen geben, das viele Stende achten, der zanck von Chorrock vnd Adiaphoris gehe im grund die Lere nicht an, allein Ceremonien, vnd mochten villichte adfecte mit einlaufen.“93
Runge kennt den Autor anscheinend nicht, hält die Schrift aber für eine Replik der Weimarer Deputierten auf die moderate Beurteilung des Adiaphorismus durch andere Stände. In Württemberg hingegen war Monners Urheberschaft bekannt, wie Herzog Christophs Erläuterung bei der Übersendung der Abhandlung an Kurfürst Ottheinrich im Januar 1558 belegt.94 85 N. N. an N. N., o. O. o. D.: CR 9, Sp. 307–310, Nr. 6360; im folgenden aufgrund der hier mitgeteilten Überlegungen als ‚Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September‘ zitiert. 86 Vgl. CR 9, Sp. 310, Anm. * zu Nr. 6360. 87 Vgl. CR 9, Sp. 307, Vorbemerkung zu Nr. 6360. 88 Vgl. dazu unten S. 402 f. bei Anm. 156. 89 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341. 90 „Vertzaichnus ettlicher artickell der Adiaphoristen, so wider unser Christliche reine Leer, auß ihren bedenken und schrifften gezogen“: HSA Stuttgart A 63, Bü. 21, fol. 39r–46v; „Errores Adiaphoristarum“: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3 bei fol. 50, 14 Blätter unpaginiert. 91 Das in Anm. 90 genannte Greifwalder Faszikel ist mit „C“ gekennzeichnet. 92 Lies: ‚denn‘. 93 Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26v. 94 Um die Brisanz der innerevangelischen Lehrauseinandersetzungen zu illustrieren, schickt Christoph „eine Schrift, welche einer der hzl. sächsischen Räte, Dr. Basilio genannt, den Gesandten in Worms hin- und wider zustellte, so auch Christophs substituiertem Assessor“ (Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Stuttgart 26. Januar 1558: Ernst IV, S. 470, Nr. 373 [Regest]).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Eigentlich müßte Monners Abhandlung Herzog Christoph schon erheblich früher bekannt geworden sein; er hatte indirekt sogar zu ihrer Abfassung Anlaß gegeben: Herzog Johann Wilhelm von Sachsen schickte ihm bereits am 24. Juli 1556 ein „Vorzeichnis etlicher artikel der adiaphoristen, so wider unsere rechte, christliche, reine lere aus iren bedenken und schriften gezogen“ zu.95 Dabei erinnerte Johann Wilhelm an eine Begegnung im Vorjahr, bei welcher er auf die Adiaphora zu sprechen gekommen sei. Christoph habe seinerzeit davon „kein wissenschaft […] haben wollen“. Daraufhin habe er angeboten, für Christoph ein Verzeichnis der adiaphoristischen Irrtümer anfertigen zu lassen, welches er nun schicke. Da Ernst das Schreiben nach einem in Altenburg überlieferten Konzept ediert, bleibt eine gewisse Unsicherheit, ob Herzog Christoph es auch erhalten hat. Aber auch wenn er es nicht erhalten haben sollte, böte die Quelle wichtige Informationen über die Entstehung der Abhandlung, zumal in Verbindung mit den von Ernst mitgeteilten, leider nicht exakt nachgewiesenen, aber vermutlich demselben Altenburger Aktenzusammenhang entnommenen Nachrichten, daß die Abhandlung „von Basilius Monner, auf vorausgegangenen Befehl, Mai 8 an Johann Wilhelm geschickt“ und „von diesem Juni 21 Amsdorf zur Durchsicht vorgelegt“ worden sei96.
Monner griff offensichtlich in Worms auf eine ältere Ausarbeitung zurück, die er gezielt zur Agitation gegen die des Adiaphorismus Bezichtigten einsetzte, zuvörderst also gegen das Kurfürstentum Sachsen mit Melanchthon als seinem führenden Theologen. Dabei schreckte er auch vor konspirativen Methoden – „zu lesen heimlich zugeschanzet“97 – nicht zurück. Melanchthon beklagte sich später mit bitteren Worten darüber.98
3.2.2 Polarisierung und Gruppenbildung Die Aktivitäten der Weimarer Deputierten, zumal Monners, waren dazu angetan, die in Worms sich versammelnden Gesprächsteilnehmer zu polarisieren. Einen frühen Beleg dafür bietet der hessische Bericht vom 18. August: „Uber diesem [scil. den Aktivitäten der herzoglich-sächsischen Deputierten] sindt die anderen stende der unseren nicht wenig bekommert, Dan sie sich 95 Hzg. Johann Wilhelm an Hzg. Christoph, Weimar 24. Juni 1556: Ernst IV, S. 99, Nr. 89; der Titel der beigelegten Schrift ebd., Anm. 3. 96 Ernst IV, S. 99, Nr. 89, Anm. 3. 97 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341. 98 Gegenüber Herzog Johann Friedrich dem Mittleren beklagte Melanchthon, daß „E. F. G. Gesandter, D. Basilius allhie den Pf lzischen und Wirtenbergischen erlogene Schriften von mir vor meiner Ankunft zugestellet hat.“ (Melanchthon an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 1. Oktober 1557: CR 9, Sp. 311, Nr. 6361 = MBW 8373). Seinem eigenen Landesherrn teilte er mit: „Hernach habe ich auch etliche geschriebene Quatern gesehen, die Doctor Basilius von Jhen den Wirtenbergischen zugestellt, darin viel L gen und giftiger Calumnien sind.“ (Melanchthon an Kfst. August, Worms 2. Oktober 1557: CR 9, Sp. 320, Nr. 6367 = MBW 8375).
3.2 Polarisierung der Deputierten Augsburgischer Konfession
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In die zwey lager puncten zu dießem mal, Vornemlich, so viel den Herrn Philippum, Maiorem vnd die Schweizer betrifft“99. Wie hier Vorbehalte gegenüber den herzoglich-sächsischen Ansinnen im Vordergrund stehen, so sind in Entsprechung dazu die Berichte der ernestinischen Deputierten von der erfahrenen Ablehnung ihrer Forderungen bestimmt. Als Summe ihrer Eindrücke teilen sie mit: „Weil wir denn so viel sp ren, halten wir’s g nzlich daf r, daß sie keine Verdammung der Irrthumen und Corruptelen werden gestatten, sondern dieselbigen auf einen gemeinen Synodus verschieben […].“100 Unterstützung für ihre Forderungen fanden die Weimarer Deputierten nur bei Erasmus Sarcerius und Joachim Mörlin, wie Monner sowohl dem sächsischen Herzog als auch Flacius mitteilte.101 In Monners Mitteilungen zeichnet sich die allmähliche Formierung einer gnesiolutherischen Gruppe unter den evangelischen Teilnehmern am Religionsgespräch ab. Von außen versuchte Flacius die Gruppenbildung zu unterstützen durch Schreiben an Mörlin und Sarcerius. Er empfahl dem Braunschweiger und dem Mansfelder mit Nachdruck eine enge Verbindung mit Monner, der ein „vir bonus, pius et zelum domini habens“ sei,102 sowie mit Schnepf, so im Schreiben an Sarcerius103. Monner erscheint hier über seine Rolle als Motor der herzoglich-sächsischen Aktivitäten in Worms hinaus auch als Kristallisationspunkt der gnesiolutherischen Gruppe. Dazu wurde er aber nicht erst durch die äußere Zuschreibung von Flacius’ Seite, sondern er selbst scheint bereits zuvor die Initiative ergriffen zu haben. Denn nach dem Erhalt eines Packens von Briefen und Schriften des Flacius, darunter gewiß die Briefe vom 20. August an Sarcerius, Mörlin und Schnepf, konnte Monner jenem mitteilen, schon längst habe er, Monner, sich in ein freundschaftliches Verhältnis zu Sarcerius gesetzt, mit dem er sich zwei- oder dreimal über viele Dinge besprochen habe, die zu dem gegenwärtigen Geschäft gehörten, und mit Mörlin habe 99 Rau von Holzhausen und Pistorius an Ldgf. Philipp, Worms 18. August 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 8v–8ar. 100 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 238, Nr. 6316. 101 Vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 37; ders. an dens., Worms 25. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 39; ders. an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 245, Nr. 6321. 102 Flacius an Mörlin, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 234, Nr. 6314; vgl. ders. an Sarcerius, Jena 20. August 1557: ebd., Sp. 236, Nr. 6315. 103 Dem Umstand, daß Flacius Schnepf nur gegenüber Sarcerius erwähnte, wird man kein großes Gewicht beizumessen haben. Vielleicht setzte er voraus, daß Mörlin ohnehin in Verbindung mit Schnepf treten würde. Der Umriß der Gruppe scheint auch in Flacius’ Schreiben vom gleichen Tage an Schnepf auf, in welchem er die Übersendung von Schriftstücken an Monner und Schnepf erklärt und Schnepf Grüße an Strigel, Sarcerius und Mörlin aufträgt (vgl. Flacius an Schnepf, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 232 f., Nr. 6313).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
er dasselbe getan.104 Es korrespondiert der von Monner bereits ausgeübten Rolle und verstärkt sie, daß Flacius ihn mit zusätzlicher Munition für die künftigen Auseinandersetzungen versorgte und ihn als Multiplikator einsetzte.105 Während die gnesiolutherische Gruppe somit nach Umfang und Struktur bald recht klar erkennbar ist, erscheint die Konstellation der übrigen Deputierten wesentlich lockerer gefügt. Dabei fällt ins Gewicht, daß mit Melanchthon und der kursächsischen Delegation wichtige Antagonisten der gnesiolutherischen Gruppe noch bis Ende August ausblieben. Zudem waren die übrigen Deputierten nicht wie die gnesiolutherisch orientierten durch ein gemeinsames Anliegen vereint, sondern fanden sich erst in der Abwehr der gnesiolutherischen Forderungen zusammen. Einen Ansatz zur Gruppenbildung auch auf dieser Seite kann man darin sehen, daß die württembergischen, hessischen, ansbachischen und Straßburger Deputierten gemeinsam die Herberge „Beim Hinteren Weißen Schwan“ bezogen hatten; später stießen auch noch die Pommern dazu.106 Die gemeinsame Unterbringung bot der späteren Vermittlungsgruppe aus hessischen, ansbachischen, straßburgischen und pommerschen Deputierten zumindest günstige Voraussetzungen für eine rasche und unkomplizierte Abstimmung untereinander. Die Polarisierung durch die herzoglich-sächsischen Aktivitäten führte also nicht unmittelbar zur Herausbildung einer festgefügten Gegenformation. Ihren deutlichsten Ausdruck fand sie zunächst vielmehr darin, daß 104 „Iam pridem [scil. vor dem zuvor bestätigten Empfang eines Packens von Schriften und Briefen] insinuavi me in amicitiam D. Sarcerii, quocum bis aut ter contuli de multis rebus, quae pertinent ad praesens negocium. Idem feci cum D. Morlino, qui nostras quoque partes tuetur.“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 245, Nr. 6321). 105 Offensichtlich war Monner der Adressat und Verteiler des von Flacius übersandten Packens von Briefen und Schriften: „Hic nuncius obtulit mihi fasciculum literarum et scriptorum tuorum, quae mihi gratissima fuerunt, et communicavi reliquis meis collegis et iis, qui videntur vobiscum sentire.“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 245, Nr. 6321); vgl. im selben Brief später noch: „D. Sarcerio et Morlino dedi tua legenda.“ (ebd., Sp. 246). In Flacius’ Brief an Schnepf vom 20. August werden sowohl Schnepf als auch Monner als Empfänger einer Argumentationshilfe genannt: „[…] et nunc aliquot argumenta separatim annotata contra istam maxime usitatam corruptelam articuli iustificationis, quod novitas et vivificatio per Spiritum sanctum sit pars iustificationis […], tibi et D. D. Basilio mitto […].“ (Flacius an Schnepf, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 232, Nr. 6313). 106 Vermutet hatte das bereits Bossert aufgrund des in der württembergischen Reisekostenrechnung verzeichneten Falles, daß sich an den Kosten einer Kleiderspende für einen im Gasthof der Württemberger untergebrachten verarmten jungen Mann auch die Ansbacher, Pommern und Hessen beteiligten (Bossert, Beiträge, S. 46; vgl. auch S. 54). Bestätigung findet Bosserts Vermutung durch den Bericht Jakob Meretzkis über ein Tischgespräch am 2. Oktober in der Herberge „Beim Hinteren Weißen Schwan“, wo nach Meretzkis Angaben die Deputierten der genannten Stände gemeinsam untergebracht waren (Bericht des Jakob Meretzki: CS 15, S. 215 f. bei Nr. 1012 = MBW 8376).
3.2 Polarisierung der Deputierten Augsburgischer Konfession
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Herzog Christoph von Württemberg, von seinen Theologen und Räten frühzeitig auf die Möglichkeit einer Separation der herzoglich-sächsischen Deputierten hingewiesen, noch vor Beginn der formellen Vorverhandlungen eine ausnehmend scharfe Gegenstrategie anordnete: Seine Räte und Theologen hatten ihm am 20. August berichtet, „die Sachsen wollten von ihren Condemnationen durchaus nicht lassen, wollten sich eher von allen anderen separiren.“107 Die Württemberger hatten ihre Mitteilung mit der Empfehlung verbunden, „[m]an solle sie [scil. die Sachsen] aber in Gottes Namen ziehen lassen: das Colloquium werde sich ihrethalben nicht zerschlagen.“108 Daraufhin wies Christoph am 31. August die württembergischen Deputierten an, „die singulares, d. h. ‚die Weimarschen‘, wenn dieselben noch auf die Condemnationen dringen sollten, abzuweisen und deren vices109 mit Zuthun der kursächsischen Räthe ex supernumerariis zu ersetzen.“110
3.2.3 Ausritte und eine Dienstreise So sehr das Geschehen in Worms von der geschilderten zunehmenden Polarisierung bestimmt wurde, gab es dort in der Phase der informellen Vorverhandlungen doch auch Freiräume für sehr entspannte Aktivitäten der Deputierten, die ja von ihren offiziellen Verpflichtungen noch überhaupt nicht beansprucht wurden. Anschauung bietet wiederum die von Bossert ausgewertete Reisekostenrechnung der Württemberger. Ihr ist zu entnehmen, daß zumindest die Württemberger die freie Zeit gelegentlich zu Spazierritten nutzten. So ritten sie einmal mit den Ansbachern Karg und Eisen nach Bobenheim, besuchten am 24. August den Rosengarten am anderen Ufer des Rheins111 und unternahmen 107 Brenz, Andreae und Eißlinger an Hzg. Christoph, Worms 20. August 1557 laut Kugler II, S. 60 bei Anm. 105. 108 Brenz, Andreae und Eißlinger an Hzg. Christoph, Worms 20. August 1557 laut Kugler II, S. 60 bei Anm. 105. 109 Lateinisch ‚vicis‘ bedeutet übertragen ‚Platz, Stelle‘. 110 Instruktion Herzog Christophs an seine Räte und Theologen in Worms vom 31. August 1557 laut Kugler II, S. 60 bei Anm. 106. 111 Es ist nicht auszuschließen, daß der Ausflug in den Rosengarten am ursprünglich für die Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs vorgesehenen Tag eine symbolische Komponente hatte: Mit dem Rosengarten verbindet sich eine literarische Überlieferung, die in Zusammenhang mit dem Nibelungenlied und der Dietrich-Epik steht. Danach hatten die Berner um Dietrich im Rosengarten gegen Siegfried und seine Mannen gekämpft und sie schließlich, nicht ohne finalen Zweikampf zwischen Dietrich und Siegfried, besiegt. Die Rosengarten-Dichtung hatte ihre Blüte im 14. bis 16. Jahrhundert und erreichte eine weite Verbreitung durch Handschriften und Drucke (vgl. Heinzle, S. 169–172). Man wird also davon ausgehen dürfen, daß die gebildeten Schwaben ihren ‚Rosengarten‘ kannten. Es ist vorstellbar, daß sie mit ihrem Ausflug am 24. August bewußt auf die wie sie von Süden
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
sogar noch Anfang September zwei Ausflüge: am 2. September nach Zell an der Pfrimm, am 10. September nach Monsheim112 – alles Ziele in einem Umkreis von weniger als fünfzehn Kilometern um Worms. Voraussetzung der Ausritte war, daß die Württemberger jeder ein eigenes Pferd dabei hatten, „das doch benützt werden mußte“, wie Bossert erläutert, um jeden Anschein des Müßiggangs oder der Verschwendung von den redlichen Schwaben abzuwenden.113
Zu den Spazierritten kam im Fall von Andreae, Brenz und Eißlinger noch eine Dienstreise: Sie begaben sich am 25. August zu einem Gespräch mit Täufern an den fünf Kilometer von Worms entfernten pfalzgräflichen Hof zu Pfeddersheim, zu welchem auch Johann Marbach und kurpfälzische Theologen beordert worden waren. Die Straßburger Marbach und Hermann berichteten als Ergebnis der Unterredungen mit vierzig Täufern, darunter vier Vorstehern: „Als sie aber irer irtum genugsam uberzeuget und zum oftermal entweder gar verstumpten oder aber nichts der sachen dienstlich antworten konten, sein sie den andern tag wider hingelassen mit vermanung, die gefasste irtumb zu verlassen und sich mit unserer waren cristlichen kirchen […] wider zu versonen. Daruf sie sich […] aller handlung dieses freuntlichen gesprechs und dass sie so gütig verhort worden, bedankt mit erpietung, allem dem, was in angeregter handlung gehort, bei sich (mit anrufung gottes) weiter nachzudenken, der hoffnung, der lieb gott werd inen, was in dieser sachen zu tun und zu lassen offenbaren […]“114.
Drei Verbindungslinien lassen sich zwischen dem Pfeddersheimer Gespräch und den internen evangelischen Verhandlungen in Worms ausmachen: An erster Stelle steht die Beobachtung, daß die beteiligten Theologen sich zu einem Zeitpunkt, an dem man die informellen Vorverhandlungen auf ihrem Höhepunkt vermuten könnte, in intensiver Auseinandersetzung mit ganz anderen Fragen an einem anderen Ort befanden, wenn auch auf Anforderung des Pfälzer Kurfürsten.115 Es verrät etwas über die Prioritätensetzung auf seiten des Kurfürsten, aber auch der Theologen, daß ihr Augenmerk zu diesem Zeitpunkt nicht auf die Situation in Worms, sondern auf ein innerpfälzisches Täuferverhör gerichtet war. Eine zweite, eigener Erklärung bedürftige Verbindungslinie lässt sich in der Rückschau ziehen zu der späteren Abfassung einer Handreichung für den Umgang mit Täufern durch die im Oktober noch in Worms verbliebenen Theologen, unterzeichnet auch von gekommenen und schließlich siegreichen Berner anspielen wollten; das läßt sich jedoch nicht erhärten. 112 Vgl. Bossert, Beiträge, S. 43. 113 Bossert, Beiträge, S. 43. 114 Marbach und Hermann an den Straßburger Rat, Worms 31. August 1557: QGT IV, S. 152 f., Nr. 153. Der Bericht Marbachs und Hermanns bietet den besten Aufschluß über das Pfeddersheimer Gespräch. 115 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Hirsau 1. August 1557: Ernst IV, S. 389, Nr. 303.
3.3 Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich 221
Brenz, Andreae und Marbach.116 Diese Handreichung ist in einem signifikant anderem Ton gehalten als dem versöhnlichen, auf den nach Marbachs Bericht der Ausgang des Pfeddersheimer Gesprächs gestimmt war.117 Die dritte Verbindungslinie besteht zum Streit um die gnesiolutherische Verwerfungsforderung, der als grundsätzliche Auseinandersetzung um den rechten Umgang mit abweichenden Lehrmeinungen geführt wurde. Brenz, Andreae und Marbach pflegten in Pfeddersheim mit Vertretern einer allgemein und auch von ihnen als abweichend von der CA angesehenen Lehrmeinung einen Umgang, der weit entfernt war von pauschaler Verurteilung und unnachgiebigem Drängen auf ausdrücklichen Widerruf. Statt dessen führten sie eine ausführliche, auf Überzeugung angelegte Auseinandersetzung mit den Täufern und entließen die Verhörten nicht mit einer Verurteilung, sondern mit der Mahnung, von ihrem Irrtum abzustehen und sich mit der Kirche zu versöhnen. Die von Marbach mitgeteilte Antwort der Täufer rechnet mit der Möglichkeit, zu besserer Einsicht zu gelangen, und entspricht damit dem von Brenz verfochtenen Besserungsgedanken. Die nach Pfeddersheim beorderten Theologen kehrten somit nach Worms zurück mit der frischen Erfahrung, daß ein auf Verständigung und Versöhnung ausgerichteter Umgang mit abweichenden Lehrmeinungen Erfolg haben könnte. In Worms sollten sie wieder den gnesiolutherisch orientierten Deputierten gegenüberstehen, deren Protagonist – auf Melanchthon gemünzt – meinte, „daß keinerlei Vertraulichkeit zu erstreben sei mit Leuten dieser Art, welche die Reinheit der Lehre kontaminieren“, vielmehr müsse man diese fliehen.118 Größer hätte der Gegensatz gegen Ende der Phase der informellen Vorverhandlungen nicht sein können.
3.3 Fürsten im Bade: Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich dem Mittleren Der Sommer 1557 sah zwei einflußreiche Fürsten Augsburgischer Konfession in den Bädern Südwestdeutschlands: Im württembergischen Wildbad kurierte Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken einen Schenkelbruch, den er beim Sturz vom Pferd erlitten hatte.119 Zur selben Zeit weilte Herzog 116 ‚Prozeß, wie es soll gehalten werden mit den Wiedertäufern‘, Worms 16. Oktober 1557: QGT I, S. 161–168, Nr. 175 = MBW 8396. 117 Das ist insbesondere bei der Beurteilung von Brenz’ Stellung zu der von ihm unterzeichneten Richtlinie zu berücksichtigen (vgl. unten Abschnitt 2.3 von Teil III dieser Arbeit). 118 „[…] nec ullam amicitiam expetendam esse duco cum eius generis hominibus, qui doctrinae puritatem contaminant, imo magis fugiendos eos esse statuo […]“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321). 119 Vgl. Menzel, S. 159 f.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen in Markgraf-Baden, um auf ärztliches Anraten120 dort die warmen Bäder zu gebrauchen. Allerdings war er zunächst „mit einem solchen geschwinden Catarrho“ – einem schweren Husten – „beladen […], derwegen wir bis auf dato in das warme Bad zu gehen verhindert worden, auch uns in etlichen Tagen darein nicht begeben dörfen“121, wie der eine Fürst im Bade den anderen wissen ließ. Die Koinzidenz der beiden Badaufenthalte ist der Grund dafür, daß Herzog Christoph von Württemberg am 10. August in der irrigen Annahme, auch Johann Friedrich der Mittlere sei in Wildbad eingetroffen, einen Rat dorthin sandte, um mit dem sächsischen Herzog in Kontakt zu treten.122 Das Mißverständnis dürfte sich spätestens aufgeklärt haben, als Johann Friedrichs Schreiben aus Markgraf-Baden vom 10. August beim württembergischen Herzog eintraf.123 Ließ sich auch ein persönlicher Kontakt vorerst nicht herstellen,124 so bot Johann Friedrichs Anwesenheit in Markgraf-Baden doch eine gute Gelegenheit für rasche Korrespondenz zwischen ihm und den südwestdeutschen Landesherren: In der Zeit vom 10. August bis zum 13. September wechselten Herzog Christoph, Pfalzgraf Wolfgang und Kurfürst Ottheinrich zum einen mit ihm, zum anderen untereinander über ihn mehr als zwanzig Briefe.125
3.3.1 Interventionen Herzog Christophs und Pfalzgraf Wolfgangs Seit Johann Friedrichs erstem Schreiben aus Markgraf-Baden ist das Wormser Religionsgespräch Thema der Korrespondenz zwischen den Fürsten, insofern Johann Friedrich seine Absicht zu dessen Besuch bekundete und sich bei Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph nach dem Zeitpunkt ihres Eintreffens erkundigte.126 Das damit angeschlagene Thema gewann 120 Vgl. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 10. August 1557: Ernst IV, S. 398, Nr. 310. 121 Johann Friedrich d. M. an Pfgf. Wolfgang, Markgraf-Baden 20. August 1557: CR 9, Sp. 230 f., Nr. 6312. 122 Vgl. Hzg. Christophs Instruktion für das Anbringen seines Rates von Lüchau bei Hzg. Johann Friedrich d. M., Waldenbuch 10. August 1557: Ernst IV, S. 397, Nr. 309; zu den Umständen der Sendung vgl. ebd., Nr. 309, Anm. 1. 123 Vgl. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 10. August 1557: Ernst IV, S. 398, Nr. 310. 124 Christoph scheint die Einladung durch seinen Gesandten Vergerio am richtigen Ort wiederholt zu haben; vgl. Ernst IV, S. 414, Nr. 326, Anm. 4. 125 Die beste Übersicht über die umfangreiche Korrespondenz der vier Fürsten bietet Kugler II, S. 53–57. 126 Vgl. Johann Friedrich d. M. an Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph, Markgraf-Baden 10. August 1557: Ernst IV, S. 398, Nr. 310; vgl. oben S. 205 f. in Abschnitt 3.1.3 bei Anm. 43–51.
3.3 Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich 223
aber seine ganze Brisanz erst durch den Bericht des württembergischen Rates Eißlinger über die Aktivitäten der herzoglich-sächsischen Deputierten in Worms vom 13. August. Darin schlug Eißlinger vor, „den sächsischen Herzog durch briefliche Vorstellungen zur Milderung seiner Instruktion zu bewegen“127. Eißlingers Vorschlag kam Herzog Christoph sogleich am 16. August nach128 und ersuchte noch an demselben Tag den Pfalzgrafen Wolfgang in Wildbad, sich in demselben Sinne an Johann Friedrich zu wenden,129 was Wolfgang unverzüglich tat130. Von nun an werden die in Worms zwischen den herzoglich-sächsischen und den übrigen Deputierten verhandelten Fragen auch in einer parallelen Auseinandersetzung auf der diplomatischen Ebene zwischen den Fürsten traktiert. Christoph und Wolfgang stimmten sich dabei eng ab und gingen im Stile einer konzertierten Aktion vor,131 an der sich ab Ende August auch der pfälzische Kurfürst Ottheinrich beteiligte132. Herzog Christophs Schreiben vom 16. August ist der gewichtigste Beitrag zu der Korrespondenz zwischen den Fürsten und wurde als solcher auch von Johann Friedrich dem Mittleren wahrgenommen. Anders als das Schreiben des Pfalzgrafen Wolfgang, das er von Markgraf-Baden aus selbst beantwortete,133 schickte er Christophs Schreiben umgehend zur Erwägung durch seine Räte und Theologen nach Worms134 und drängte schon nach wenigen Tagen auf ihr Gutachten135. Hier verschränkten sich die beiden Ebenen der Auseinandersetzung miteinander, wodurch den herzoglich127 Eißlinger an Hzg. Christoph, Worms 13. August 1557 laut Kugler II, S. 53 bei Anm. 86. 128 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 400–403, Nr. 313; abgedruckt auch in CR 9, Sp. 225–227, Nr. 6309 mit falscher Zuweisung an Pfalzgraf Wolfgang als Autor und Johann Friedrich den Jüngeren als Empfänger (bereits durch Kugler II, S. 54, Anm. 80 berichtigt). 129 Hzg. Christoph an Pfgf. Wolfgang, [Tübingen] 16. August 1557 laut Kugler II, S. 54 bei Anm. 90. 130 Pfgf. Wolfgang an Hzg. Johann Friedrich d. M., Wildbad 19. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 258rv; vgl. Kugler II, S. 54 bei Anm. 91. 131 Der württembergische Herzog und der zweibrückische Pfalzgraf waren nicht nur verwandtschaftlich verbunden (vgl. Menzel, S. 159), vielmehr orientierte sich der Pfalzgraf auf den meisten Politikfeldern an Württemberg (vgl. den bei Ernst IV, S. 405 f., Nr. 317, ebd., S. 411 f., Nr. 323 u. S. 415, Nr. 328 dokumentierten Austausch von Mandaten und Ordnungen zwischen Christoph und Wolfgang). In Wildbad ließ Herzog Christoph den Pfalzgrafen als seinen persönlichen Gast versorgen (vgl. Menzel, S. 160). 132 Vgl. Kugler II, S. 56 bei Anm. 96 und Anm. 98. 133 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Pfgf. Wolfgang, Markgraf-Baden 20. August 1557: CR 9, Sp. 230–232, Nr. 6312. 134 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 19. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 35. 135 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 241–243, Nr. 6317.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
sächsischen Deputierten in Worms die ganze politische Brisanz ihres Vorgehens deutlich vor Augen trat.136 Doch zunächst zu Christophs Schreiben: Der württembergische Herzog beantwortet eingangs Johann Friedrichs Anfrage vom 10. August wegen persönlichen Erscheinens in Worms und referiert dann, was ihm durch seine Gesandten über die mit der herzoglichen Instruktion begründeten Aktivitäten der Weimarer Deputierten in Worms berichtet worden ist.137 Anschließend stellt er dem sächsischen Herzog die möglichen Konsequenzen vor Augen: Beim Festhalten an der Instruktion könne „zwischen den stenden der A. C. verwandt gar leichtlich ein erschrockenlicher zwispalt und grosse unainigkeit erwachsen“, was zu „grossem frowlocken […] bei der widerparthei“ führen und „allerhand hochbeschwerliche weiterungen“ nach sich ziehen würde.138 Den damit bereits angeklungenen kontroverstheologischen Horizont des Reichsreligionsgesprächs weiter ausführend erinnert Christoph daran, daß „der A. C. verwandte stend theologi dismals furnemblich und allein darumb zu Wormbs zusamenkommen, das sie sambtlich und einhellig wider die bäpstischen die A. C. und was derselbigen anhengig ist, mit dem hailigen wort Gottes […] vertaidingen sollen“139. Hieraus ergibt sich schlüssig Christophs Bitte an Johann Friedrich, seinen Theologen zu befehlen, „solliche beschwerliche disputationes (sonderlich dismals, als uf dem gegenwurtigen colloquio) beruwen zu lassen, […] und E. l. theologi mit der andern chur und fursten denominierten und deputierten theologen einhelliglichen zu verainigen, das bapstumb mit hailiger, göttlicher schrift zu sturzen.“140 Schließlich müsse wegen des bevorstehenden Beginns des Reichsreligionsgesprächs auch die im Frankfurter Abschied vorgesehene „vorberaitung ainhelliger condordi in leer und ceremoniis under uns“ vorerst eingestellt und eine Zusammenkunft der Stände nach dem Kolloquium vereinbart werden. Christophs Argumentation folgt ganz der in Württemberg seit dem Frankfurter Konvent verfolgten Linie: Sistierung der innerevangelischen Auseinandersetzungen zugunsten einer geschlossenen Front gegen die „bäpstischen“ ist die Devise. Angesichts der vorgerückten Zeit sollen die internen Vorberatungen nunmehr aber nicht einmal zu einer Vorbereitung der für die Zeit nach dem Religionsgespräch in Aussicht genommenen 136
Vgl. dazu unten Abschnitt 3.4.1. Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 400–402, Nr. 313. 138 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 402, Nr. 313. 139 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 402 f., Nr. 313. 140 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 403, Nr. 313. 137
3.3 Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich 225
gesamtprotestantischen Zusammenkunft dienen. Das wird in Christophs Schreiben an Johann Friedrich erstmals offiziell nach außen vertreten. Eine direkte Antwort des sächsischen Herzogs unterblieb, weil Johann Friedrich das württembergische Schreiben zunächst seinen Theologen zur Begutachtung vorlegte – er ist damit der einzige Fürst, der seine Theologen bei der Erörterung der auf der diplomatischen Ebene verhandelten Fragen einschaltete. Seine eigene aktuelle Einschätzung spricht jedoch aus seiner Antwort an Pfalzgraf Wolfgang vom 20. August, einer Reaktion mithin auf Wolfgangs Schreiben vom Vortag, bei dessen Abfassung dem Pfalzgrafen das württembergische Schreiben als Vorlage gedient hatte141. Zwar stellt Johann Friedrich seine Antwort unter den Vorbehalt, daß er wegen seines schweren Hustens nicht in der Lage sei, „jetztmals den hochwichtigen Sachen, so Gott und seine Ehre auch Gewissen belangen, zur Genüge […] nachzudenken“142. Dennoch weist er im Anschluß in argumentativer Auseinandersetzung mit Wolfgangs Schreiben dessen Bitte zurück, die Instruktion zum Wormser Religionsgespräch zu verändern. Hier zeigt sich, daß Johann Friedrich weniger „abhängig von seinen Theologen“143 war, als vielfach angenommen. Daß Johann Friedrich das württembergische Schreiben seinen Theologen zur Begutachtung vorlegte, ist daher weniger ein Ausdruck von Unsicherheit als vielmehr eine souveräne Einbeziehung sachkundiger Ratgeber. Wie argumentiert Herzog Johann Friedrich nun aber gegenüber Pfalzgraf Wolfgang? Johann Friedrich hält zunächst fest, die Abfertigung seiner Theologen und seines Rates mit der Wolfgang bekanntgewordenen Instruktion sei „auf stattlichen gehabten Rath und unsrer selbst Nachdenken geschehen“144. Er kann keinen Grund erkennen, von der Instruktion abzuweichen: „Die wissen wir nicht zu ver ndern.“ Zwar räumt er ein, „daß die Augsburg[ischen] Confessionsverwandte St nde vornehmlich darum zu Wormbs zusammenkommen, daß sie s mmtlich und einhelliglich wieder die Papstischen die Augsburgische Confession und Apologia aus g ttlicher, heiliger und prophetischer Schrift vertheidigen sollen“. Zur Rechtfertigung seines Insistierens auf die Befassung der Teilnehmer mit den innerevangelischen Auseinandersetzungen beruft er sich dann aber auf den Regensburger Nebenabschied, der festgelegt habe, „daß unser allerseits Theologen darum so zeitlich gegen Wormbs abgefertiget, damit die Irrthumen und
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Vgl. Kugler II, S. 54, Anm. 91. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Pfgf. Wolfgang, Markgraf-Baden 20. August 1557: CR 9, Sp. 231, Nr. 6312. 143 Wolf, S. 99. 144 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Pfgf. Wolfgang, Markgraf-Baden 20. August 1557: CR 9, Sp. 231, Nr. 6312; dort auch die folgenden Zitate. 142
226
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Spaltungen, so in der Lehr und andern eingerissen, zuvor abgelehnet und christlich vergleicht werden sollen.“ Im inhaltlichen Gefälle der Wendung „abgelehnet und christlich vergleicht“ spiegelt sich die ernestinisch-gnesiolutherische Option für die Vorordnung der Übereinstimmung in der Negation vor dem konsensualen Ausgleich widerstreitender Lehrmeinungen. Seine Haltung unterstreicht Johann Friedrich als sachlich geboten, indem er die seiner Ansicht nach unter den Augsburger Konfessionsverwandten eingeschlichenen Lehrverfälschungen kurz charakterisiert: Es sei dabei „nicht ohne geringe Verletzung der g ttlichen Majest t, Ehre, Zerr ttung vieler Kirchen, Verwirrung der Gewissen auch Aergerniß der Christen zugegangen, also und dergestalt, daß man nochmals in dem vornehmsten Artikel und Punkten de iustificatione, nach dem Maiorismo, Osiandrismo und anderer ihrer Anh nger Opinion zweihellig“. Ein Dissens im Hauptartikel von der Rechtfertigung aber, der Gottes Ehre und das Gewissen belangt, verträgt keinen Aufschub. Das voraussetzend stellt der sächsische Herzog dem Pfalzgrafen vor, wie gefährlich es wäre, scheinbar geeint, ohne den Dissens überwunden zu haben, in die Verhandlungen mit der römisch-katholischen Seite einzutreten: Wolfgang habe selbst zu ermessen, „was Zerr ttung daraus erfolgen, und mit was Bestand und Nutz man gegen das Papsthum unsre Augsburgische Confession verteidigen wollte, und wie wir unseren Widersachern, den Papisten, in solcher Handlung nicht allein wenig abbrechen, sondern sie noch darzu st rken w rden, daß sie uns durch die streitigen Schriften […] mit unserm eigen Schwert schlagen und berwinden k nnten.“145
Der Verweis auf den kontroverstheologischen Kontext des Reichsreligionsgesprächs erscheint hier exakt ins Gegenteil der württembergisch-pfälzischen Argumentation gewendet: Herzog Christoph und Pfalzgraf Wolfgang verlangen mit Verweis auf den Kontext des Reichsreligionsgesprächs die Hintanstellung der innerevangelischen Auseinandersetzungen; Herzog Johann Friedrich hingegen fordert deren vorrangige Bearbeitung und Überwindung durch eine auf die Verwerfung der Lehrverfälschungen gegründete Verständigung. Im Ziel einer geschlossenen evangelischen Front gegenüber der römisch-katholischen Seite besteht Übereinstimmung; über den Weg hingegen, wie die geschlossene Front erreicht werden sollte, gehen die Auffassungen diametral auseinander. Daran ändert auch der verbindliche Ton nichts, in dem Johann Friedrichs Schreiben an Wolfgang gehalten ist.
145 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Pfgf. Wolfgang, Markgraf-Baden 20. August 1557: CR 9, Sp. 231 f., Nr. 6312.
3.3 Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich 227
Der Pfalzgraf nahm das durchaus wahr und informierte Herzog Christoph über die Ablehnung seiner Bitte durch Johann Friedrich.146 Christoph ließ sich davon nicht beirren und riet zu einer Wiederholung der Intervention. Laut Kugler führte Christoph zur Begründung an, daß „die Wormser Verordneten nicht propter interna dissidia, sondern ad confundendum Antichristum zusammengeschickt, auch die übrigen Colloquenten, Auditoren und Adjunkte alle unter sich einig seien“147. Das erste Argument beleuchtet noch einmal die der ernestinischen Auffassung entgegengesetzte Zuordnung von innerevangelischem Dissens und kontroverstheologischem Kontext des Reichsreligionsgesprächs, wonach die internen Zerwürfnisse zugunsten des gemeinsamen Kampfes gegen die römisch-katholische Seite zurückzustellen seien. Das zweite Argument, die Einigkeit der übrigen Deputierten, rekurriert auf die im Frankfurter Abschied festgehaltene Einigkeit unter den Theologen der beteiligten Stände, die freilich nur unter Ausklammerung der Dissenspunkte mit und zwischen den beiden Sachsen hatte ausgesagt werden können. Auf die Anregung Christophs hin intensivierte Wolfgang seine Bemühungen und ließ das gemeinsame Anliegen, die Instruktion zu mildern, durch einen hochrangigen Gesandten, seinen Hofmeister Christoph Landschad, bei Johann Friedrich vorbringen.148 Jetzt schloß sich auch Kurfürst Ottheinrich den Interventionen Christophs und Wolfgangs an.149 Die drei Fürsten hielten sich gegenseitig über die von ihnen unternommenen Schritte und Johann Friedrichs Antworten auf dem laufenden.150
3.3.2 Die herzoglich-sächsische Gegenposition und der Ausgang der Korrespondenz Christoph selbst schrieb am 31. August noch einmal an Johann Friedrich, ließ dabei aber die in seinem letzten Schreiben vom 16. August berührte Frage der Instruktion aus und beschränkte sich darauf, auf Johann Friedrichs offensichtlich erst jetzt eingetroffene151 Antwort auf die Übersendung des Frankfurter Abschieds zu reagieren. So entschuldigte er sich für die Nichteinladung Johann Friedrichs nach Frankfurt und bekräftigte noch einmal, 146 Pfgf. Wolfgang an Hzg. Christoph, o. O. 24. August 1557 laut Kugler II, S. 55, Anm. 93. 147 Hzg. Christoph an Pfgf. Wolfgang, 25. August 1557 laut Kugler II, S. 55 bei Anm. 94. 148 Vgl. Kugler II, S. 56, Anm. 95. 149 Vgl. Kugler II, S. 56 bei Anm. 96. 150 Vgl. die bei Kugler II, S. 56, Anm. 95–100 angeführten Schreiben. 151 Vgl. oben S. 206 Anm. 46.
228
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
daß es jetzt in Worms nicht zu einer persönlichen Teilnahme der Fürsten kommen werde, daß er aber eine persönliche Zusammenkunft der Stände nach dem Religionsgespräch befürworte.152 Johann Friedrich hatte auf Christophs früheres Schreiben wegen der Instruktion noch nicht geantwortet, da er zunächst ein Gutachten seiner Deputierten in Worms angefordert hatte.153 Ein bereits zuvor unabhängig von der herzoglichen Aufforderung entstandenes, allgemeiner gehaltenes lateinisches Gutachten der Deputierten schien ihm nicht genug Aufschluß zu bieten, so daß er seinen Auftrag wiederholte.154 Das ausführliche Gutachten der Weimarer Deputierten155 sowie ihr Entwurf einer Antwort an Herzog Christoph156 datierten schließlich erst vom 29. August. Sie lagen Johann Friedrich am 2. September vor.157 Die Deputierten entwarfen eine klare Absage an Christophs Forderung, von den Vorgaben der Instruktion abzugehen. Der Entwurf der Deputierten sieht vor, Christoph gemäßigt im Ton, aber unnachgiebig in der Sache zu antworten. Johann Friedrich solle Christoph mitteilen, daß die Instruktion „aus grosswichtigen, erheblichen Ursachen gegeben“ worden sei.158 Der Entwurf sieht sodann vor, unter der aus Mt 7,15 entlehnten Überschrift „Hütet euch vor den falschen Propheten!“ – hier wird die sonst beachtete Mäßigung des Tones aufgegeben – die von den Deputierten in ihrem Gutachten dargelegten Ursachen aufzulisten159. Als Summe einer solchen Auflistung schlagen die Deputierten vor: „Aus izt gemelten grunden halten wir darfur, das sich die sachen nit leichtlich anders werden handeln lassen“ als in der Instruktion vorgesehen.160 Mit dem folgenden Gedanken des Entwurfs wird noch einmal der kontroverstheologische Kontext thematisiert: Wegen der zu befürchtenden „ufzwackung der controversien“ durch die Gegner „wäre es besser, sich vorher zu vergleichen“; Christoph könne daraus ersehen, was Johann Friedrich zu seiner Instruktion veranlaßte. Ein Höflichkeitstopos beschließt den Entwurf: „wellen herzlich gern E. L. auch andere unsere liebe 152 Vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Pfullingen 31. August 1557: Ernst IV, S. 409–411, Nr. 322. 153 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 19. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 36. 154 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 155 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 120r–137v; Wolf, S. 328 f., Nr. 41 (Regest). Vgl. dazu unten Abschnitt 3.6. 156 Monners, Schnepfs, Strigels und Stössels ‚Notel einer antwort an den herzogen von Wirtenberg, unsern gnedigen herrn‘, Worms 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 138r–140r; Wolf, S. 329, Nr. 41 Beilage; Ernst IV, S. 408 f., Nr. 321; im folgenden als ‚Notel einer Antwort‘ nach Ernst zitiert. 157 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 2. September 1557: Wolf, S. 329, Nr. 42 (Regest). 158 ‚Notel einer Antwort‘, Worms 29. August 1557: Ernst IV, S. 408, Nr. 321. 159 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.6. 160 ‚Notel einer Antwort‘, Worms 29. August 1557: Ernst IV, S. 408, Nr. 321.
3.3 Württembergisch-pfälzische Interventionen bei Herzog Johann Friedrich 229
ohaim und schweger oder wer es sein mag, ferner horen und keiner wolgegrundter meinung frevenlichen widerstand thun.“161 Für das andere Thema in Christophs Schreiben vom 16. August, die persönliche Anwesenheit der Fürsten in Worms, halten die Deputierten sich nicht für zuständig; es sei „ain politicum“, über welches Johann Friedrich sich zu erklären wissen werde.162
Herzog Johann Friedrich machte sich das Votum für die Beibehaltung der Instruktion, das dem Entwurf zugrundelag, in der Sache sogleich zu eigen und wendete es intern an, indem er den Deputierten am 2. September befahl, seiner Instruktion nachzukommen.163 Von dem Entwurf selbst scheint Johann Friedrich jedoch keinen Gebrauch gemacht zu haben. Zumindest gibt es weder in der Stuttgarter noch in der Weimarer Aktenüberlieferung Anzeichen dafür, daß ein entsprechendes Schreiben an Christoph geschickt worden wäre; auch bei Kugler findet sich darauf kein Hinweis. Ein Grund dafür könnte sein, daß Johann Friedrich am 26. August einen Packen Dokumente über das Wormser Religionsgespräch an seine Räte in Weimar geschickt hatte,164 um die Dokumente, darunter auch eine Abschrift von Herzog Christophs Brief, durch die Räte und durch im Land verbliebene Theologen begutachten zu lassen. Vielleicht wollte er vor seiner Antwort an Herzog Christoph das Eintreffen des Weimarer Gutachtens abwarten; vielleicht hatte er sich überhaupt für eine dilatorische Behandlung des württembergischen Ansinnens entschieden.
Es dürfte dem sächsischen Herzog zupaß gekommen sein, daß am 3. September „spät in der Nacht“ Christophs Schreiben vom 31. August eintraf,165 in welchem die Instruktion nicht wieder angesprochen wurde. Das württembergische Schreiben konnte Johann Friedrich der Mittlere seinerseits beantworten, ohne erneut auf die Bitte um Milderung seiner Instruktion eingehen zu müssen. Und tatsächlich ist Johann Friedrichs Antwort ganz auf die Frage des persönlichen Erscheinens der Fürsten in Worms abgestimmt, wovon er nun auch für seine Person Abstand nimmt.166 Lediglich in Form einer Nebenbemerkung erteilt Johann Friedrich eine indirekte Antwort auf Christophs früheres Schreiben. Er bezieht sich auf Kurfürst Ottheinrichs Einschätzung, daß eine persönliche Anwesenheit der Fürsten in Worms unnötig sei, und schließt daran an, er glaube, „allein auch nicht viel nützen zu können, da er Theologen und Räte mit gemessenem Befehl abgefertigt 161
‚Notel einer Antwort‘, Worms 29. August 1557: Ernst IV, S. 408 f., Nr. 321. ‚Notel einer Antwort‘, Worms 29. August 1557: Ernst IV, S. 409, Nr. 321. 163 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 2. September 1557: Wolf, S. 329, Nr. 42. 164 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an seine Räte in Weimar, Markgraf-Baden 26. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 27r–28v. 165 Vgl. zur Zeitangabe Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, MarkgrafBaden 4. September 1557: Ernst IV, S. 413, Nr. 326. 166 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 4. September 1557: Ernst IV, S. 413 f., Nr. 326. 162
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
hat und da das in Worms Disputierte dem Reichstag zum Beschluß vorgelegt wird. Lässt es dabei und wird sich dann nach A[ugsburgischer] K[onfession], Apologie und Schmalkaldischen Artikeln zu halten wissen“167. Die Berufung auf die Abfertigung der Deputierten „mit gemessenem Befehl“ und der Verweis auf Confessio Augustana, Apologie und Schmalkaldische Artikel als Normen für die Beurteilung der Wormser Ergebnisse sind eine indirekte, aber klare Ablehnung von Christophs Forderung, die Instruktion zu ändern. Für den württembergischen Herzog konnte an der Haltung des Sachsen ohnehin kein Zweifel bestehen, denn Pfalzgraf Wolfgang und Kurfürst Ottheinrich setzten Christoph von den abschlägigen Bescheiden auf ihre Interventionen bei Johann Friedrich in Kenntnis.168 Allerdings bekundete Christoph zweimal gegenüber Kurfürst Ottheinrich, daß er eine Mäßigung Johann Friedrichs für wahrscheinlich halte169 respektive ihn milder gestimmt finde als früher170. Hier könnten die dilatorische Behandlung von Christophs erstem Schreiben und die indirekt formulierte Ablehnung der württembergischen Forderung doch ihre Wirkung getan haben. Wolfgang und Christoph ließen sich jedenfalls nicht entmutigen und unternahmen weitere Versuche, auf Johann Friedrich den Mittleren einzuwirken. Der Pfalzgraf plante, den sächsischen Herzog persönlich in Markgraf-Baden aufzusuchen;171 für das Zustandekommen eines Besuchs fehlen allerdings Belege. Der württembergische Herzog schrieb dem sächsischen noch einmal am 13. September, wobei er die Mahnung, „den Streit der Theologen zu verhindern“, mit dem Versprechen verband, „nach Ablauf des Colloquiums einen Convent zu Gründung der evangelischen Kircheneinheit befördern zu wollen.“172 Die beabsichtigte Überbringung des Briefes durch Pier Paolo Vergerio als persönlichen Boten hätte dessen Wirkung verstärken sollen, führte aber wegen einer Erkrankung Vergerios erst zu einer Verzögerung und dann vermutlich dazu, daß der Brief gar nicht mehr zugestellt wurde.173 167 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 4. September 1557: Ernst IV, S. 413 f., Nr. 326 (Regest). 168 Vgl. Pfgf. Wolfgang an Hzg. Christoph, Hirsau 4. September 1557 laut Kugler II, S. 56, Anm. 97; Kfst. Ottheinrich an Hzg. Christoph, o. O. 6. September 1557 laut Kugler II, S. 56, Anm. 98. 169 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Pfullingen (vgl. HSA Stuttgart A 71, Bü. 35/36) 24. August 1557: Ernst IV, S. 404, Nr. 313, Anm. 9 (Regest). 170 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Urach (vgl. Ernst IV, S. 415, Nr. 327) 6. September 1557 laut Kugler II, S. 56 bei Anm. 100. 171 Vgl. Pfgf. Wolfgang an Hzg. Christoph, Hirsau 4. September 1557 laut Kugler II, S. 56 bei Anm. 99. 172 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., o. O. 13. September 1557 laut Kugler II, S. 56 f. bei Anm. 101 f. 173 Zur beabsichtigten Überbringung durch Vergerio vgl. Kugler II, S. 56 f., Anm. 102; zur Verhinderung der Reisepläne Vergerios durch dessen Erkrankung vgl. Ernst IV, S. 414, Nr. 326, Anm. 4. Vermutlich handelt es sich bei dem Brief an Johann Friedrich, den Vergerio laut Ernst am 20. September an Christoph schickte, damit der württember-
3.4 Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar
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Der Briefwechsel zwischen den Fürsten verlief schließlich im Sande. Was noch auf dem Plan blieb, waren gegenseitige Einladungen und Besuchsabsichten,174 und tatsächlich sollte der Austausch unter den Fürsten eine Fortsetzung bei einem Treffen in Friedrichsbühl Ende September finden.175 Vorerst aber blieb zwischen den Fürsten nach den zuletzt gewechselten Briefen alles in der Schwebe. Um so klarer hingegen waren ihre internen Festlegungen: Auf württembergischer Seite die Anweisung Herzog Christophs an seine Deputierten vom 31. August, „‚die Weimarschen‘, wenn dieselben noch auf die Condemnationen dringen sollten, abzuweisen und deren vices mit Zuthun der kursächsischen Räthe ex supernumerariis zu ersetzen.“176 Und nur drei Tage später der Befehl Herzog Johann Friedrichs des Mittleren an seine Deputierten in Worms, seiner Instruktion nachzukommen177 – also auch weiterhin auf die Verwerfungen zu dringen. Das Konfliktpotential ist offenkundig.
3.4 „Große Noth“: Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar „Große Noth“ – wie eine Überschrift eröffnen diese Worte einen Briefwechsel zwischen den ernestinischen Deputierten in Worms und Herzog Johann Friedrich dem Mittleren während der beiden Wochen vor dem Eintritt in die formellen Vorberatungen am 5. September. Mit dem Verweis auf ihre große Not rechtfertigen es die Deputierten, daß sie sich am 21. August während seines Badeaufenthaltes an den Herzog wenden, um ihm ihre Lage zu schildern und seine Weisung zu erbitten: „Große Noth dringet uns, E. F. G. in diesem ihrem vorgenommenen Werk, so zur Gesundheit reichen solle, zu molestieren, so wir doch zu dieser Zeit E. F. G. in alle Wege ver-
gische Herzog ihn übergeben lasse, um Christophs eigenen Brief vom 13. September (wie Anm. 172), den eigentlich Vergerio hätte überbringen sollen. Bis der Brief bei Christoph eintraf, hatten sich die Verhältnisse aber schon so verändert und zugespitzt, daß man nun vermutlich von der verspäteten Übersendung des Briefes absah. Dafür spricht auch, daß sich in den wohlgeordneten Weimarer Akten keine Spur des Briefes findet. 174 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 4. September, Cedula: Ernst IV, S. 414, Nr. 326 (Regest). Johann Friedrich bedankt sich für Christophs Einladung, muß sie aber ausschlagen, weil er von Pfalzgraf Wolfgang zur Taufe dessen Sohnes nach Meisenheim eingeladen worden ist. 175 Vgl. dazu unten S. 444–451 Abschnitt 5.4.4. 176 Instruktion Herzog Christophs an seine Räte und Theologen in Worms vom 31. August 1557 laut Kugler II, S. 60 bei Anm. 106. 177 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 2. September 1557: Wolf, S. 329, Nr. 42.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
schonen sollten, und gerne wollten.“178 Da die Deputierten sich hier auf eigene Intitiative179 an den Herzog wenden, vermittelt das Schreiben vom 21. August besonders guten Aufschluß über ihre Einschätzung der Lage in Worms.
3.4.1 „Den Wolf bei den Ohren halten“: Die Not der ernestinischen Deputierten Worin bestand nun die große Not der ernestinischen Deputierten? Sie schilderten dem Herzog zunächst das Ergebnis ihrer bisherigen Sondierungen in Worms. Sie hätten „viel Personen angestochen“ und vermerkten, „daß sie es schwerlich dazu werden lassen kommen, daß man vor der Handlung, so mit den Papisten vorgenommen soll werden, beides von den alten und neuen Irrthumen, so seit der Zeit des Interims aufkommen, Unterredung gestatten, und Verdammung der Irrthumen zulassen werde“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 236 f.).180 Ihrer Prognose nach würden die übrigen Deputierten „es bei dieser General-Clausel bleiben lassen, daß man sich zur Augsburgischen Confession bekenne, dargegen alles, was der zuwider sey, in genere also verdamme, daß man keines Irrthums in specie gedenke“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 237). Aufgrund der zitierten Erwartung meinten die ernestinischen Deputierten, daß es„hoch vonn then seyn will, daß wir […] vorhin entschlossen seyn, was uns zu thun geb hren wolle“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240). Dabei sehen sie sich in dem Dilemma einer Abwägung zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten mit abträglichen Konsequenzen. Einerseits: „Solle man nun mit ihnen ohne solche nothwendige vorgehende Condemnation der Irrthumen […] für einen Mann stehen, und sich mit Ihnen wider die Adversarios, die Papisten, einlassen, so wird uns gewißlich widerfahren, daß wir vor den Adversariis zu Schanden und zu Spott werden.“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 239). Anderer178 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 236, Nr. 6316. Zitate aus diesem Schreiben werden in Abschnitt 3.4.1 durch das Kürzel ‚Gr. Noth‘ und Spaltenangabe nach CR 9 im Text belegt. 179 Bei Wolf, S. 85 f. erscheint das Schreiben der ernestinischen Deputierten vom 21. August als Antwort auf Herzog Johann Friedrichs Anforderung eines Gutachtens über die württembergische Bitte um Änderung seiner Befehle (Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, Markgraf-Baden 21. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 36). Wie von Bundschuh zutreffend rekonstruiert hat (v. Bundschuh, S. 419, Anm. 95), müssen sich jedoch das Schreiben der Deputierten vom 21. August und das herzogliche Schreiben vom 19. August, dessen Eingang die Deputierten erst am 23. August bestätigten (Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Johann Friedrich d. M., Worms 23. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 38), überkreuzt haben. 180 Siehe hierzu auch die Erläuterungen oben S. 211 in Abschnitt 3.2.1 bei Anm. 69 f.
3.4 Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar
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seits: „Sollen wir uns aber von ihnen trennen, und nicht mit ihnen unsre gemeine Religion wider die Papisten […] helfen vertheidigen, welch ein groß Aergerniß und Nachtheil das geben w rde, haben E. F. G. zu bedenken, dieweil wir von dem ganzen Reich dazu deputirt und verordnet.“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240).
Die Entfaltung des Dilemmas schließt mit einem Bild ihrer großen Not: „Darum geht es uns, wie man im Spr chwort sagt, daß wir den Wolf bei den Ohren halten, und warlich hoch bedr nget werden, da die Sachen gemeldter Gestalt vorfallen w rden.“ (ebd.) Eigentlich hatten die ernestinischen Deputierten in der herzoglichen Instruktion klare Weisung für den von ihnen erwarteten Fall. Man hatte in Weimar damit gerechnet, daß viele sich zwar auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel berufen würden, aber zu einer ausdrücklichen Distanzierung von „denn Eingeschlichenen Secten vnd furgenommenen Vorenderungen“ nicht bereit wären.181 In diesem Falle sollten die herzoglichsächsischen Deputierten sich über „Gemuth vnnd meinung“ der sächsischen Herzöge erklären, die anderen Deputierten argumentativ zu gewinnen versuchen und notfalls gemäß dem Regensburger Nebenabschied auf deren Ausschließung hinwirken.182 Dabei hatte man allerdings vorausgesetzt, daß die eigenen Deputierten nicht allein stehen würden, sondern daß sie „sambt etzlichen andernn Confession Vorwandten[,] die ane Zweiffell hierinnen bey Ihnen stehenn“, in der vorgesehenen Weise agieren könnten.183 Die herzoglich-sächsischen Deputierten sahen sich in Worms aber weitgehend isoliert. Monner konnte in einem zusätzlichen Schreiben vom 21. August nur Erasmus Sarcerius und Joachim Mörlin als Deputierte nennen, die sich den Weimarischen anschließen würden.184 Am 23. August teilten die herzoglich-sächsischen Deputierten mit, daß fast alle kurpfälzischen, württembergischen, ansbachischen und Straßburger Theologen der Ansicht seien, man solle die strittigen Punkte bis zu einer allgemeinen Synode ruhen lassen und jetzt gegen die römisch-katholische Seite zusammenstehen und gemeinsam in das Religionsgespräch eintreten.185 Es handelt sich dabei durchweg um Theologen von Ständen, die am Frankfurter Abschied beteiligt waren. Der Zusammenhang mit dem Frankfurter Abschied scheint den herzoglich-sächsischen Deputierten auch nicht entgangen zu sein, denn Monner riet, obwohl dies gar nicht in Rede stand, dem sächsischen Herzog
181
‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juli 1557: Wolf, S. 320, Nr. 34. ‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juli 1557: Wolf, S. 320 f., Nr. 34. 183 ‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juli 1557: Wolf, S. 321, Nr. 34. 184 Vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 37 (Regest). 185 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 23. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 38. 182
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
von einer Annahme des Abschieds ab, weil darin Auseinandersetzungen vor einer allgemeinen Synode unterbunden würden.186 Somit sahen sich die ernestinischen Deputierten nicht nur anderen als den erwarteten Mehrheitsverhältnissen gegenüber. Sie mußten auch feststellen, daß die Geltung des in der ‚Weimarer Instruktion‘ fraglos vorausgesetzten Regensburger Nebenabschieds in Frage gestellt wurde. Deshalb legten sie trotz der klaren Weisungen der Instruktion dem Herzog ihre Erörterung der Frage vor, „was uns zu thun geb hren wolle“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240). Dabei beschränkten sie sich nicht auf eine Beschreibung der Lage in Worms, sondern boten auch eine Interpretation für die mehrheitliche Ablehnung spezifischer Verwerfungen und die Favorisierung eines allgemeinen Bekenntisses zur CA in Verbindung mit einer lediglich generellen Verwerfung. Motiviert sehen die ernestinischen Deputierten die mehrheitliche Ablehnung dadurch, daß „der eine hier, der andere dort krank liegt“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 237), konkret: Weil Melanchthon und andere eine Verwerfung des Zwinglianismus und des Adiaphorismus, Brenz und die Württemberger aber eine Verwerfung Osianders und ein Teil der Württemberger auch eine Verwerfung Majors verhindern wollten, seien alle Genannten miteinander einig, es bei einer generellen Verwerfung zu belassen, durch die niemand sich getroffen fühlen müßte. Die geschilderte Auffassung der Motive vorausgesetzt, mußten den ernestinischen Deputierten auch die vorgebrachten Argumente für die Mehrheitsposition als vorgeschoben erscheinen. Weder das Argument, es verstoße gegen kirchlichen Usus, jemanden ungehört und ohne förmliches synodales Verfahren zu verdammen, noch den Verweis darauf, daß die Theologen in Worms in zu geringer Anzahl versammelt seien, um gültige Verwerfungsurteile auszusprechen, ließen sie gelten (vgl. ‚Gr. Noth.‘: Sp. 237 f.). Vielmehr erklärten sie, daß die Mehrheitsforderung nach Verschiebung der Verwerfungen auf eine Synode von der Zuversicht motiviert sei, jetzt davonzukommen und später vor keiner Synode Rechenschaft ablegen zu müssen, weil es schwerlich zu einer Synode kommen werde (vgl. ‚Gr. Noth.‘: Sp. 238). Die ernestinischen Deputierten zeichnen dazu ein unheilsgeschichtliches Panorama: Durch die Verschiebetaktik würden, weil „die Alten absterben und vor [sic!] den Jungen und Nachkommenden nicht ernstlich gewehret w rde, solche große Irrthumen in der Kirchen bleiben und auf die armen Posteriorit ten erben, und also die Reinigkeit der Lehre in k nftiger Zeit ganz und gar verfallen“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 238 f.). Der Widerstand gegen die Verschiebetaktik, das Eintreten für spezifizierte Verwerfungen in Worms 186 Vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 37.
3.4 Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar
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besitzt aus der Perspektive der ernestinischen Deputierten heilsgeschichtliche Notwendigkeit. Darüber gerät aber keineswegs die Ebene der unmittelbaren Konsequenzen auf dem bevorstehenden Religionsgespräch aus dem Blick. Vielmehr schildern die ernestinischen Deputierten dem Herzog sehr anschaulich, wie die Protestanten „vor den Adversariis zu Schanden und zu Spott [zu] werden“ drohten, wenn sie miteinander „ohne solche nothwendige vorgehende Condemnation der Irrthumen […] für einen Mann stehen“ sollten (‚Gr. Noth.‘: Sp. 239). An den Beispielen des Rechtfertigungsartikels, des Abendmahlsartikels und des ekklesiologischen Themenfeldes der Zeremonien und der bischöflichen Jurisdiktion führen sie vor, wie die römisch-katholische Seite den Protestanten ihre internen Auseinandersetzungen vorhalten und damit offenen Streit unter ihnen anfachen könnte. Eine Verschiebung der Verwerfungen erscheint ihnen darum als kontraproduktiv. Denn der kontroverstheologische Kontext des Reichsreligionsgesprächs zwingt zur Scheidung zwischen wahrer und falscher Lehre. Wenn sich etwa die Bischöfe von Naumburg und Merseburg auf die Zugeständnisse des Leipziger Interims beriefen, könnten die herzoglich-sächsischen Deputierten nicht umhin, „daß wir die Unsrigen beschuldigen und solch unfertig und unchristlich Flickwerk verdammen“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 239). Ergo wäre es besser, die unumgänglichen Verwerfungen bereits vor Eintritt in die offiziellen Verhandlungen des Reichsreligionsgesprächs auszusprechen, um sich nicht vor der Gegenseite bloßzustellen. Die Bloßstellung vor der Gegenseite ist aber nicht die einzige Gefahr eines Eintritts in das Religionsgespräch in einer nur scheinbar geschlossenen evangelischen Front. Vielmehr lassen die Mehrheitsverhältnisse erwarten, daß die strittigen Lehren zumindest zunächst unverdammt bleiben werden. Damit aber würden sich die herzoglich-sächsischen Deputierten verdächtig machen, „als approbierten wir solche Irrthum und hätten uns mit ihnen ganz verglichen“, und das um so mehr, als „kein ffentliche, schriftliche Zeugniß unsers Widersprechens vorhanden“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240). Deutet sich hier, wenn auch als nicht gegebene Möglichkeit, die später versuchte Lösung durch eine schriftliche Protestation an, so wird doch zugleich deren begrenzte Leistungsfähigkeit festgehalten: Eine solche Protestation würde wenig Kraft haben, „da wir mit der That und Werk darwider thun w rden“ (ebd.) und weil sie wegen der im Reichsabschied vorgeschriebenen Vertraulichkeit der Beratungen des Religionsgespräches nach außen nicht bekannt würde. Von außen könnte also nur die verdächtige Einigkeit der intern so uneinigen evangelischen Seite wahrgenommen werden. Scheint somit alles gegen einen gemeinsamen Eintritt in das Religionsgespräch ohne vorhergehende Verwerfungen zu sprechen, so weisen die Deputierten den sächsischen Herzog in knappen Worten aber auch auf die
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Probleme einer Trennung als der alternativen Option hin, von der – wie oben bereits zitiert –187 „Aergerniß und Nachtheil“ zu gewärtigen seien, „dieweil wir von dem ganzen Reich dazu deputirt und verordnet“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240). Hier scheint schon das den ernestinischen Deputierten in der Folgezeit vorgehaltene Argument auf, sie dürften sich wegen der ihnen von Reichs wegen übertragenen Ämter als Colloquenten oder Adjunkten nicht von den übrigen evangelischen Deputierten sondern.188 Soweit entfalteten die ernestinischen Deputierten das Dilemma, in dem sie sich sahen und das sie als „große Noth“ empfanden. Sie gingen dann aber noch einen Schritt über die Erörterung der Lage und der beiden Handlungsmöglichkeiten hinaus, indem sie eine klare Präferenz zu erkennen gaben und den Maßstab der Entscheidung benannten: „Doch ist eine Gefahr, da sie beide gegen einander gehalten, gr ßer denn die andre, und ber Gottes Ehr und der rechten christlichen kirchen Wohlfahrt, auch dem Ewigen mehr zu halten, denn ber unsre zeitliche Wohlfahrt, es gehe wie der liebe Gott will.“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240). Der Satz ist für sich genommen uneindeutig, und das mag einer der Gründe dafür sein, daß Herzog Johann Friedrich der Mittlere in seiner Erwiderung von den Deputierten ihr „endliches, ausdr ckliches, christliches und schließliches Bedenken“ verlangte189. Im Gefälle des gesamten Schreibens der Deputierten kann allerdings kein Zweifel daran bestehen, daß sie die größere Gefahr und zugleich die drohende Verletzung von Gottes Ehre darin sehen, ohne vorhergehende Verwerfungen mit den übrigen Deputierten in die Verhandlungen des Religionsgesprächs einzutreten. Demgegenüber scheint die Trennung von den übrigen Deputierten nur eine Gefahr für die eigene „zeitliche Wohlfahrt“ darzustellen. Ein angehängtes lateinische Gutachten bestätigt das.190 Trotz ihrer klaren Präferenz sehen sich die Deputierten aber in dem Dilemma, eine der beiden Handlungs187
Vgl. oben S. 233. Die politischen Räte berichten von ihrer Auseinandersetzung mit den ernestinischen Deputierten, sie hätten „inen erinnerung gethan, das sie numher als vom Reich zum Colloquio ernente Personen demselben beizuwonen, vnd sich an beföderung des christlichen gemein werrks durch niemandts vorhinderung abhalten zu lassen schüldig weren“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politschen Räte vom 1. Oktober 1557, hier zum 11. September: fol. 24v–25r). 189 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 190 In dem lateinischen Gutachten erörtern die ernestinischen Deputierten die von ihnen verneinte Frage: „[A]n integre docentes possint bona conscientia Adiaphoristis et iis, qui Osiandri, Zwinglii et Maioris erroribus faveant, se adiungere, et cum iis, non damnatis prius dogmatibus, Augustanam confessionem contra adversarios, papistas, propugnare?“ (Titel zitiert nach CR 9, Sp. 241, Komm. zu Nr. 6316). Wegen seiner größeren Ausführlichkeit und Wirkung wird hier der Interpretation des Verwerfungsgutachtens vom 29. September der Vorzug gegeben (vgl. unten Abschnitt 3.6). 188
3.4 Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar
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möglichkeiten mit ihren abträglichen Konsequenzen ergreifen zu müssen. Darum suchen sie Rückversicherung beim Herzog und bitten ihn, er möge sie seines „Gem ths gn diglich verst ndigen, Befehl thun, und mit einhelfen rathen“ (‚Gr. Noth.‘: Sp. 240).
3.4.2 Johann Friedrichs Präferenz für die secessio Ihr Schreiben schickten die Deputierten am Tag nach der Abfassung, dem 22. August, durch einen Boten nach Markgraf-Baden zu Herzog Johann Friedrich dem Mittleren.191 Es kreuzte sich mit dessen Schreiben vom 19. August192, mit welchem Johann Friedrich den Deputierten das Schreiben des württembergischen Herzogs vom 16. August193 übermittelte. So kam es zu einer weiteren Überkreuzung der Antworten, denn während die Deputierten am 23. August den Eingang des herzoglichen Schreibens vom 19. bestätigten und es kurz beantworteten,194 entgegnete der Herzog am 24. auf das erste Schreiben der Deputierten vom 21. August195. Herzog Johann Friedrich der Mittlere mußte seine Instruktion zu diesem Zeitpunkt von zwei Seiten in Frage gestellt sehen: einmal von den südwestdeutschen Fürsten, die ihn aufforderten, von den Vorgaben der Instruktion abzugehen. Sodann durch den Bericht seiner Deputierten aus Worms, die ihm vor Augen stellten, daß sich die Instruktion nicht wie gedacht befolgen lassen würde und daß insbesondere die „nothwendige vorgehende Condemnation der Irrthumen“196 sich nicht ins Werk setzen lassen würde. Gerade deren Notwendigkeit aber hatte Johann Friedrich gegenüber Pfalzgraf Wolfgang betont.197 Entsprechend deutlich äußerte er nun seinen Unmut über das, was ihm die Deputierten aus Worms berichtet hatten: „Wir haben […] solches, daß ber hrter Corruptelen und derselbigen Condemnation halben unter den Confessionsverwandten solche Weitl uftigkeit vorwalten will nicht gerne 191 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 23. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 38. 192 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 19. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 36. 193 Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 400–403, Nr. 313. 194 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 23. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 38. 195 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 241–243, Nr. 6317. 196 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 239, Nr. 6316. 197 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Pfalzgraf Wolfgang, Markgraf-Baden 20. August 1557: CR 9, Sp. 231; vgl. dazu oben S. 225 f. Abschnitt 3.3.2 bei Anm. 142–145.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
geh rt.“198 Das lateinische Bedenken der Deputierten hatte der Herzog bei einer ersten Durchsicht so verstanden, „daß ihr dabei verharren werdet“199, gemeint muß sein: bei der Instruktion und den geforderten Verwerfungen. In der Unschärfe der Formulierung klingt durch, daß die Auffassung der Deputierten dem Herzog nicht ganz klar geworden ist – was damit übereinstimmt, daß die Deputierten ihr Dilemma zwar mitteilen und erörtern wollten, die Entscheidung aber vom Herzog erwarteten. Johann Friedrich stellt nun eine Verbindung her zu seinem bereits ergangenen Auftrag, über das württembergische Schreiben ein Gutachten abzugeben, dessen er weiter „gew rtig“ sei. Seinen Auftrag und die durch den Bericht der Deputierten notwendig gewordene Abwägung faßt er zusammen zu einer präzisen Frage an seine Deputierten: „Begehren aber gn diglich, da durch der Augsburgischen Confessionsverwandten St nden Theologen ingemein dahin geschlossen wird, daß die eingef hrten Irrthum und Corruptelen nicht ffentlich in specie, sondern ingemein verdammt werden sollen, ihr wollet uns euer endliches, ausdr ckliches, christliches und schließliches Bedenken, was uns und euch auf einem solchen Fall Gewissens halben ohne Verletzung g ttlicher Majest t, Ehr und Aergerniß zu thun geb hren will, anzeigen“200.
Statt eine Weisung zu erteilen, dringt der Herzog auf eine Klärung durch die Deputierten. Alleiniger Maßstab der Klärung soll die Vereinbarkeit mit dem Gewissen sein. Seine eigene Einschätzung gibt der Herzog allerdings zu erkennen, wenn er anschließend die aufgetragene Klärung auf die Frage zuspitzt, „ob nicht rathsamer seyn wolle, bei unsrer Instruction zu verharren, und davon zu ziehen (dafür wir es, so viel wir in dieser eilenden Sache bei uns nachdenken haben m gen, halten und achten), oder aber dem Colloquio neben der anderen Confessionsverwandten Theologen beizuwohnen, ungeachtet daß die ffentliche specificierte Condemnation und Wiederrufen der eingef hrten St nden [lg. „Secten“201] nicht geschiehet, sondern ingemein gethan werden soll.“202 Damit ist erstmals die Möglichkeit eines Abzugs der herzoglichsächsischen Deputierten vom Religionsgespräch ausgesprochen, und zwar als die vom sächsischen Herzog klar präferierte Handlungsmöglichkeit. Die Tragweite der neuen Überlegung des Herzogs gibt ein Vergleich mit der Instruktion zu erkennen. In der Instruktion war mit großer Selbstver198 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, Baden 24. August 1557: CR 9, Sp. 241 f., Nr. 6317. 199 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, Baden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 200 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, Baden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 201 So zu korrigieren nach ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 51r. 202 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, Baden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317; Hervorhebung B. S.
MarkgrafMarkgrafMarkgrafMarkgraf-
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ständlichkeit vorausgesetzt worden, daß die herzoglich-sächsischen Deputierten und alle, die mit ihnen die erforderlichen Verwerfungen aussprechen würden, als rechtmäßige Vertreter der Augsburger Konfessionsverwandten die Verhandlungen mit der römisch-katholischen Seite führen würden. Wer sich hingegen nicht zu CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln bekennen würde und nicht zu den Verwerfungen bereit wäre, sollte gemäß dem Regensburger Nebenabschied vom Religionsgespräch ausgeschlossen werden.203 An der Bewertung von Rechtmäßigkeit und Ausschließungsgründen hat sich nichts geändert, doch erscheint die frühere Auffassung dem Herzog angesichts der von den Deputierten geschilderten Mehrheitsverhältnisse nicht mehr als durchsetzbar. Wenn aber die Ausschließung der unzureichend legitimierten Vertreter von den Verhandlungen des Religionsgesprächs nicht durchsetzbar ist, hält er es für besser, auf die eigene Teilnahme, die nur in einer Minderheitenposition möglich wäre, zu verzichten. Der vom Herzog für den bezeichneten Fall befürwortete Abzug könnte wie ein Ausweichen vor der Auseinandersetzung erscheinen. Genau betrachtet handelt es sich aber um ein Rechtsmittel aus dem Zusammenhang der Verfahrensordnung der Reichstage. Es wird rechtsterminologisch als ‚Verzug‘ oder secessio bezeichnet.204 Die secessio ist der protestatio verwandt, dem gängigen Rechtsmittel, um Widerspruch gegen Mehrheitsentscheidungen des Reichstags einzulegen und zu erklären, daß man „eine Verpflichtung aus einem Beschluß nicht gegen sich gelten lassen wolle“205. Die secessio erscheint der protestatio gegenüber als das „radikalere Mittel“206, von welchem, anders als von den regelmäßig und häufig eingelegten Protestationen, nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht wurde. Das prominenteste Beispiel ist der Augsburger Reichstag von 1530, den Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Johann von Sachsen vor der Verkündung des Reichsabschieds verließen.207 „Die Vorstellung ist, daß der dennoch zustandekommende Reichsabschied nicht bindet, soweit man an den Beratungen nicht teilgenommen hat“.208 In der Rückschau könnte auch die Abreise Kurfürst Friedrichs von Sachsen vom Reichstag im Jahr 1521 vor Verkündung des Abschieds und vor Erlaß des Wormser Edikts wie eine secessio erscheinen.209 Nimmt man die auf kursächsische Initative erfolgte Abreise der protestantischen Teilnehmer vom Regensburger Religionsgespräch 1546 hinzu,210 so erscheint die secessio geradezu als ein geläufiges Mittel der ernestinischen Reichspolitik, zumal in Fragen der Konfessionspolitik, die das Gewissen betreffen. 203
Vgl. ‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juli 1557: Wolf, S. 321, Nr. 34. Vgl. Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 324. 205 Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 325. 206 Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 324. 207 Vgl. Becker, S. 149. 208 Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 324. 209 Vgl. Blaschke, S. 331. 210 Vgl. v. Caemmerer, S. 61–64. 204
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Die Anwendung des Mittels der secessio, welches ursprünglich in die Sphäre der Verfahrensordnung des Reichstages gehört, auf Reichsreligionsgespräche ist gut zu erklären. Denn die Reichsreligionsgespräche, zumal das Wormser von 1557, waren von Reichstagen beschlossen, über ihre Ergebnisse sollten Reichstage befinden, und vor allem war ihre Geschäftsordnung an der Verfahrensordnung der Reichstage orientiert. Kennzeichnend für die besondere Konfliktlage im Jahr 1557 ist nun aber folgendes: Der sächsische Herzog zieht die secessio nicht gegenüber einer römisch-katholischen Mehrheit in Betracht, sondern gegenüber Konfessionsverwandten, gegenüber der mutmaßlichen Mehrheit in der erwarteten innerevangelischen Auseinandersetzung! Es läßt sich nicht belegen, ob Johann Friedrich die aufgezeigten rechtlichen und geschichtlichen Zusammenhänge bewußt gewesen sind oder ob er aus der Situation heraus auf den Abzug der Deputierten als Handlungsmöglichkeit gekommen ist. Die Verknüpfung mit dem Ziel, „bei unsrer Instruktion zu verharren“211, und der Frage der Vereinbarkeit mit dem Gewissen weisen allerdings in die Richtung, daß die Traditionsgeschichte der secessio zumindest unbewußt wirksam gewesen sein dürfte. Noch stand aber auch die andere Handlungsmöglichkeit zur Abwägung: trotz der verweigerten spezifizierten Verwerfungen „dem Colloquio neben der andern Confessionsverwandten Theologen beizuwohnen“212. Das würde eine vorläufige Aussetzung der Instruktion, wenn nicht sogar ihre dauernde Außerkraftsetzung bedeutet haben. War die Problematik der Lage dem sächsischen Herzog nach den pfälzisch-württembergischen Interventionen und dem Schreiben der Deputierten vom 21. August bereits als gravierend erschienen, so mußte das nächste Schreiben der Deputierten, in welchem sie von der mehrheitlichen Präferenz für eine Zurückstellung der internen Auseinandersetzungen bis zu einer späteren Synode berichteten,213 diesen Eindruck bestätigen oder sogar verstärken. Der Bericht der Deputierten vom 21. August könnte der Auslöser dafür gewesen sein, daß Johann Friedrich nun auch noch ein Gutachten aus Weimar anforderte;214 jedenfalls ist das Schreiben der Deputierten vom 23. August das letzte in einem Packen am 26. August nach Weimar über211 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 212 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 213 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 23. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 38; vgl. oben S. 233 bei Anm. 185. 214 Johann Friedrich d. M. an die Räte in Weimar, Markgraf-Baden 26. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 27r–28v; erwähnt bei Wolf, S. 85, Anm. 3.
3.4 Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar
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sandter Dokumente215. Die Weimarer Räte sollten eine Synode von im Lande verbliebenen Theologen einberufen, damit die Theologen miteinander ein Gutachten über das weitere Vorgehen erstellten.
3.4.3 Die Weimarer Synode vom 6. September Die vom Herzog angeordnete Synode kam am 6. September in Weimar zustande.216 Es nahmen daran teil die Superintendenten von Coburg, Gotha und Orlamünde, Maximilian Mörlin, Simon Musäus und Caspar Molitor, der Jenaer Pfarrer und künftige Superintendent Hügel, der Weimarer Stadtpfarrer Johann Cäsius sowie Matthias Flacius. Die Theologen setzten ein lateinisches und ein damit nicht ganz deckungsgleiches deutsches Gutachten auf. Zu den Theologengutachten nahmen die Räte Stellung, wozu sich die Theologen noch einmal äußerten. Das ganze Verfahren wurde von den Räten geschildert.217 Ein Sondervotum steuerte der Rat Franz Burchard bei.218 Am 8. September wurde das gesamte Konvolut an den Herzog geschickt,219 bei dem es zwischen dem 13. und dem 15. September eintraf.220 Das Votum der Synode ist bereits vorgezeichnet in einem unangeforderten Schreiben des Flacius an Johann Friedrich vom 2. September. Flacius nennt als Anlaß seines Schreibens das Gerücht, Kurpfalz und Württemberg drängten Johann Friedrich zur Zurücknahme seiner Instruktion. Flacius spricht sich scharf dagegen aus. Er warnt davor, sich fremder Vergehen teilhaftig zu machen,221 und mahnt, man solle in dem Falle, daß die Ver-
215 Nach Weimar wurden in Abschriften geschickt: das Schreiben Herzog Christophs an Johann Friedrich vom 16. August, das Schreiben Pfalzgraf Wolfgangs an Johann Friedrich vom 19. August und die Antwort darauf vom 20. August, die Schreiben der Wormser Deputierten an Johann Friedrich vom 21. und 23. August sowie das dem früheren Schreiben beigelegte lateinische Gutachten und schließlich Johann Friedrichs Schreiben an die Deputierten vom 24. August (ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 29r–53r). 216 Die Akten über die Weimarer Synode sind zu finden in ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 56r–98v. In der Literatur vgl. Salig III, S. 300–302; Heppe I, S. 162 f. 217 Räte an Hzg. Johann Friedrich d. M., Weimar 7. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 56r–62v. 218 Lateinisches Gutachten des „Franciscus B.“ vom 8. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 64r–65r; Übersetzung desselben ebd., fol. 66r–67r. 219 Das teilt Flacius dem Regensburger Superintendenten Gallus mit (Flacius an Gallus, Jena 26. September 1557: StdtA Regensburg, Eccl. I/21, S. 12503). 220 Das teilt Aurifaber in einem ungefähr auf den 16. September zu datierenden Schreiben mit (Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360; zur Datierung dieses Schreibens vgl. oben bei Anm. 87 f.). 221 „[…] coniugendo Vos cum scortatoribus Babylonicae bestiae alienorum vos peccatorum participes facietis.“ (Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 2. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 235, fol. 29r).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
werfung der Irrlehren verweigert werde, lieber eine Protestation einlegen und „die Gemeinschaft falscher Brüder“ verlassen.222 Entsprechend verfocht auch die Weimarer Synode vom 6. September den Grundsatz, es „k nnten sich die F rstlichen S chsischen Theologen, mit denen, so sich heimlich und ffentlich abgesondert, und in den Artickeln der Augsburgischen Confession, Apologie und Smalcaldischen Artickeln […] von ihnen getrennet, und auch andere abgetrennte Secten oder Irrth mer nicht verdammen, noch verdammt haben wollten, in kein Colloquium einlassen, noch sie f r reine, treuliche, rechtm ßige Glieder, oder Verwandte der Augspurgischen Confeßion, Apologie und Smalcaldischen Artickel annehmen, erkennen, und wider die Papisten mit ihnen disputieren lassen“223. Der Katalog zu verdammender Irrlehren wurde sogar über die sieben in der herzoglichen Instruktion genannten Irrlehren hinaus auf elf ausgeweitet:224 So wurden das „alte Interim, mit allen volgenden jungen Interim“ und die „Adiaphoristen“ nun getrennt aufgeführt, außerdem die „Antinomier“225 hinzugefügt.226 An die Spitze des Katalogs wurden zwei antipäpstliche Bestimmungen gestellt, wonach verdammt werden müßten „Erstlich der Babst/vnnd alle die dem Babst/den primat zueigenen […] und ihme nicht/ fur den Wahren AnteChrist halten / und achten wollenn. Die andernn / so das Babstumb / inn allen seinen gradenn nicht wollen verdammen helffen“227. Im ganzen ist damit eine antiadiaphoristische Zuspitzung erreicht, insofern den gnesiolutherisch orientierten Kreisen um Flacius der Adiaphorismus als Vorbote des Papsttums in den Kirchen Augsburgischer Konfession galt. Als Strategie für das Vorgehen in Worms empfahlen die zur Synode zusammengetretenen Theologen schließlich, wenn „sich die Abgefallene [sic!] nicht zum Widerruf bequemeten, daß die F rstliche S chsische alsdann vor dem gantzen Colloquio eine Protestation einlegten, daß sie mit ihnen nichts zu schaffen h tten, und sich dann zur Abreise anschickten“228. Damit wurde 222 „[…] si non volunt consentire in errorum damnationem, fiat potius protestatio et deseratur falsorum fratrum societas […]“ (Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 2. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 235, fol. 29v). 223 Weimarer Theologen-Gutachten in deutscher Sprache vom 6. September 1557: Salig III, S. 301 (Regest). 224 Vgl. Heppe, S. 163, Anm. 1. 225 Ob dabei an die Auseinandersetzungen zwischen Melanchthon respektive Luther und Johann Agricola in den 1520er und 1530er Jahren gedacht ist oder schon auf den beginnenden Antinomistischen Streit rekurriert wird, läßt sich nicht feststellen. 226 Weimarer Theologen-Gutachten in deutscher Sprache vom 6. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 78r–91r, hier fol. 82v. 227 Weimarer Theologen-Gutachten in deutscher Sprache vom 6. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 78r–91r, hier fol. 82v. 228 Weimarer Theologen-Gutachten in deutscher Sprache vom 6. September 1557: Salig III, S. 301 (Regest).
3.4 Abstimmungen zwischen Worms, Baden und Weimar
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die von Herzog Johann Friedrich dem Mittleren präferierte Handlungsmöglichkeit der secessio aufgegriffen und durch das zusätzliche Rechtsmittel einer Protestation ausgebaut. Es erübrigt sich, hier auf die von der Weimarer Synode gebotenen Begründungen einzugehen. Denn die Weimarer Schriften blieben vorerst unberücksichtigt. Der Gang der Ereignisse in Worms eilte ihrem Eintreffen voraus, und als sie im Umfeld Johann Friedrichs vorlagen, wurde zunächst einer anderen als der Weimarer Strategie der Vorzug gegeben229. Wesentlich früher traf indes in Markgraf-Baden das Verwerfungsgutachten der Wormser Deputierten vom 29. August ein. Die Argumentation des Verwerfungsgutachtens wird unten in Abschnitt 3.6 gesondert vorgestellt, während zunächst in Abschnitt 3.5 noch die Ankunft Melanchthons am 28. August und ihre unmittelbaren Auswirkungen darzustellen sind.
In dem Verwerfungsgutachten gelangen die ernestinischen Deputierten zu der Konklusion, daß ohne vorherige Vergleichung zwischen den evangelischen Deputierten „wir mit denn andren gesandten, vnsers teils, nit fur ein mann gegen die Papisten stehn mogen“230 – ein klares Votum für die Fortgeltung der herzoglichen Instruktion. Genau so faßte der Herzog das Verwerfungsgutachten auch auf und befahl daher am 2. September den Deputierten, seiner Instruktion nachzukommen.231 Der herzogliche Befehl erreichte die Deputierten noch vor Beginn der formellen Vorverhandlungen am 5. September.232 Nach der vorausgegangenen Erörterung von Anwendung und Auslegung, Verbindlichkeit und Modifizierbarkeit der Instruktion gingen sie somit in die formellen Vorverhandlungen mit der herzoglichen Anweisung, an der unveränderten Instruktion festzuhalten. Scheinbar hatte sich also wenig bewegt. Doch stand das Ergebnis keineswegs fest, als die Deputierten dem Herzog ihre große Not schilderten. Vielmehr steht die Bestätigung der Instruktion am Ende eines theologisch-politischen Abstimmungsprozesses, der von eingehender und gewissenhafter Auseinandersetzung um die Sache gekennzeichnet ist – und dessen Ergebnis sich daher als schwerlich verhandelbar erweisen sollte.
229 Vgl. Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360, Sp. 309; vgl. die Erläuterung dazu unten S. 403 in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 156. 230 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 130r–137v, hier fol. 136v. 231 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 2. September 1557: Wolf, S. 329, Nr. 42. 232 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stoessel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 6. September 1557: Wolf, S. 330.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons und der kursächsischen Deputierten Auf „Bartholomæi den vier und zwantzigsten Monats Tag Augusti“ hatte der Regensburger Reichsabschied den Beginn des Religionsgesprächs in Worms festgesetzt.233 Und immerhin traf am 24. August Bischof Julius Pflug von Naumburg in der Reichsstadt am Rhein ein234, welcher anstelle des durch Krankheit verhinderten Speyrer Bischofs von König Ferdinand zum Präsidenten des Religionsgesprächs berufen worden war235. An die Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs war jedoch noch keineswegs zu denken. Denn außer etlichen Teilnehmern fehlte auch noch nahezu das ganze Präsidium, welchem ja außer dem Präsidenten jeweils zwei evangelische und römisch-katholische Assessoren und als Adjunkt des Präsidenten der kaiserliche Vizekanzler Seld angehörten. Von den Präsidiumsmitgliedern war bislang lediglich in Vertretung des Herzogs von Württemberg der ehemalige Landhofmeister Balthasar von Gültlingen eingetroffen;236 erst am 2. September waren mit der Ankunft des salzburgischen Vertreters die Mitglieder des Präsidiums vollzählig in Worms versammelt237. Die Verzögerung der Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs hätte an sich eine gute Gelegenheit sein können, doch noch vor dessen Beginn in die innerevangelischen Vorverhandlungen einzutreten, die eigentlich für den 1. August anberaumt gewesen waren. Doch erschienen interne Vorverhandlungen allen Beteiligten vor dem Eintreffen der kursächsischen Gesandtschaft als ausgeschlossen.238 In gnesiolutherisch orientierten Kreisen kursierte die Vermutung, die Ankunft der Kursachsen sei absichtlich so lange hinausgezögert worden, um die Vorverhandlungen zu verkürzen oder ganz zu vereiteln.239 Erasmus Sarcerius berichtete später, etliche Deputierte hätten sogar „deutlich gnug zu verstehenn geben, das sie ir ankunft derhalben verzogen, das sie hiermit nichts wolten zu schaffen haben“240. In ihrer 233
§ 12 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 139. Zu Pflugs Eintreffen und dem der übrigen römisch-katholischen Deputierten vgl. v. Bundschuh, S. 372–374. 235 Zum Ausfall des Speyrer Bischofs und zur Berufung Pflugs vgl. v. Bundschuh, S. 266–272. 236 Gültlingen erreichte Worms am 18. August (vgl. Bossert, Beiträge, S. 39). 237 Vgl. v. Bundschuh, S. 373. 238 Vgl. oben S. 203 im Abschnitt 3.1.2 bei Anm. 32. 239 „Ph[ilippus] ideo secius, ut ego suspicor, profectus est, ut tanto minus temporis habeatis agendi cum eo de tollendis domesticis erroribus“ (Flacius an Schnepf, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 233, Nr. 6313; vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. August 1557: Wolf, S. 328, Nr. 39; Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 2. September 1557: Wolf, S. 329, Nr. 43). 240 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 40, Nr. XIX. 234
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 245
Auffassung dürften die gnesiolutherisch Orientierten sich bestätigt gesehen haben, als nach der Ankunft der Kursachsen am 28. August noch einmal acht Tage verstrichen, bis die formellen Vorverhandlungen am 5. September schließlich aufgenommen wurden. Vor der Erläuterung der weiteren Verzögerung (3.5.3) sind aber zunächst die Ankunft der Kursachsen und die dadurch ausgelösten Entwicklungen zu schildern (3.5.1; 3.5.2).
3.5.1 Die Ankunft Melanchthons und seiner Begleiter Die kursächsische Gesandtschaft traf ein am Samstag, dem 28. August. Welche Bedeutung ihrer Ankunft beigemessen wurde, wird darin anschaulich, daß Johannes Brenz mit seinem Schwiegersohn Dietrich Schnepf 241 den Kursachsen eine halbe Meile weit entgegenritt.242 Der Ritt scheint aber bei weitem nicht die einzige Geste der Ehrerbietung gegenüber Melanchthon gewesen zu sein. Denn Basilius Monner mußte Flacius voller Ingrimm mitteilen: „Wieviele Theologen nur immer von unseren Ständen hier sind, sie haben ihn [sc. Melanchthon] ehrenvoll empfangen, ehrerbietig, und verehren ihn wie eine Gottheit.“243 Zu einer allgemeinen Begrüßung Melanchthons scheint es erst am folgenden Tag nach dem Besuch des Gottesdienstes gekommen zu sein. Wiederum in seinem Schreiben an Flacius schildert Monner die Begrüßungsszene, wobei er seine eigene Distanz stark betont: „Vorgestern, als wir von der Predigt hinausgegangen waren, begrüßten ihn alle: als Präzeptor; ich stand abseits. Und jener, als er mich sah, sagte ziemlich kühl ‚Herr Doktor‘ und hielt schlaff die Hand hin. Auf der Stelle kehrtgemacht hat er sich von mir entfernt, wobei ihn eine große Menge zu seiner Herberge geleitete. Ich aber ging 241 Der Tübinger Theologieprofessor Dietrich Schnepf, Sohn Erhard Schnepfs und Brenz’ Schwiegersohn, war als evangelischer Ersatznotar für das Wormser Religionsgespräch nominiert. Er verließ Worms aber noch vor Beginn des Religionsgesprächs am 7. September (vgl. Bossert, Beiträge, S. 39). Nach Bossert bewogen ihn zur Abreise „zunächst das peinliche Verhältnis zu seinem Vater, dem er mit den Schwaben gegenüberstand, und sein akademischer Beruf, aber auch ein heftiger Husten, da er das Klima in Worms nicht ertrug“ (ebd.). Während der Husten in der von Bossert ausgewerteten württembergischen Kostenrechnung belegt zu sein scheint (vgl. ebd., S. 43), dürfte es sich bei Bosserts Angabe zum Verhältnis zwischen Vater und Sohn Schnepf um Spekulation handeln. Die vorliegenden Quellen bieten jedenfalls keinen Aufschluß über das Verhältnis zwischen Vater und Sohn Schnepf außer dem negativen Befund, daß Erhard Schnepf in seinen bekannten Briefen aus Worms die Anwesenheit seines Sohnes mit keinem Wort erwähnt. 242 Vgl. Peucer an Milichius, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 251, Nr. 6326. 243 „Quotquot sunt hic theologi nostrarum partium eum [sc. Philippum] honorifice exceperunt, reverenter, et quasi numen adorant.“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321).
246
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
geradewegs davon in unsere [Herberge] zusammen mit Magister Stössel; die übrigen begleiteten ihn.“244
Muß man auch angesichts des Adressaten mit einer gewissen Überzeichnung der Distanznahme Monners rechnen, so zog das Eintreffen der kursächsischen Gesandtschaft zweifellos eine weitere Polarisierung nach sich. Die Polarisierung wurde auch von kursächsischer Seite wahrgenommen, wie die Briefe Melanchthons, Ebers und Peucers vom 1. September belegen.245 Ihre Wahrnehmung beschränkte sich nicht auf den ernestinisch-albertinischen Gegensatz und Monners Wirken, sondern auch Mörlin und Sarcerius wurden als potentielle Antagonisten eingeschätzt. Im Falle Mörlins ließ sich das festmachen an seiner Sonntagspredigt, wahrscheinlich jener, nach welcher sich die von Monner beschriebene Begrüßungsszene abgespielt hatte. Paul Eber schrieb Georg Major darüber: „Am Sonntag in der Frühe haben wir in der Kirche […] Doktor Mörlin predigen gehört, der uns ein bißchen kränkte durch die Widerlegung der Willensfreiheit, da er sagte, daß der im Tempel betende Pharisäer seine guten Werke nicht der Entscheidung seines Willens, sondern dem Wirken und der Macht Gottes zugeschrieben habe.“246
Der ironisch gestimmte Ton kann nicht die Wahrnehmung eines erheblichen Gegensatzes überspielen, denn Eber fährt fort, daß Mörlin „dennoch“ Melanchthon mehrmals besucht habe.247 Offensichtlich empfand er solche Besuche nicht mehr als selbstverständlich, genausowenig wie das gleich darauf mitgeteilte Vorkommnis, daß Sarcerius zusammen mit Brenz und Pistorius mit den Kursachsen gespeist hatte und dabei vieles freundlich mit Melanchthon besprochen hatte.248 Allerdings zeigen Ebers Mitteilungen über Mörlin und Sarcerius auch, daß die vorhandene Polarisierung noch nicht zur völligen Verhärtung der 244 „Nudiustertius a concione cum egressi eramus, omnes eum salutabant, ut praeceptorem; ego procul stabam. At ille, cum me videret, frigidius dicebat d. Doctor, et leviter manum adhibebat; statim aversus a me discessit, frequenti turba deducente eum in suum hospitium. Ego vero recta abibam in nostrum una cum M. Stoesselio; reliqui comitabantur eum.“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321). 245 Vgl. Melanchthon an Camerarius; ders. an Petrus Vincentius; Eber an Major; Peucer an Vincentius; ders. an Milichius; ders. an Winsheim, alle Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 247–253; Nr. 6322–6327. 246 „Die solis mane audivimus concionantem in templo […] Doctorem Morlinum, aliquantulum pungentes [lg. mit Hummel, S. 24, Nr. IX: pungentem] nostros reprehensione libertatis in voluntate, cum diceret, pharisaeum orantem in templo sua bona opera non suae voluntatis arbitrio sed Dei effectioni ac potentiae adscripisse.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324). 247 „Is tamen aliquoties praeceptorem nostrum invisit.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9: Sp. 249, Nr. 6324). 248 „Heri etiam Sarcerius nobiscum una cum Brentio et Pistorio […] pransus, et multa amanter cum Philippo collocutus est.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324).
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 247
Fronten geführt hatte, denn immerhin gab es ein gewisses Maß an gesellschaftlichem Verkehr zwischen den späteren Konfliktparteien. In dieselbe Richtung weist auch Monners Schilderung der Begrüßungsszene: Anscheinend hatten es sich Schnepf und Strigel anders als Monner und Stössel nicht nehmen lassen, Melanchthon zu begleiten. Zu einer intensiveren Begegnung wie mit Mörlin oder Sarcerius scheint es aber auch mit Schnepf und Strigel nicht gekommen zu sein, denn Peucer berichtet, daß „die Jenaer“ Melanchthon nur einmal beim Verlassen der Kirche gegrüßt hätten.249 So zeichneten sich trotz gewisser unterschiedlicher Schattierungen die groben Umrisse der nachmaligen Konfliktparteien in den Tagen nach der Ankunft der Kursachsen deutlich ab: auf der einen Seite die ernestinischen Deputierten mitsamt Mörlin und Sarcerius, auf der anderen Seite die übrigen Deputierten um Melanchthon und Brenz.
3.5.2 Formierung zweier Seiten Beide Seiten waren sich der entstehenden Konstellationen bewußt. So teilte Monner bereits am 21. August und dann wieder am 25. August seinem Herzog mit, daß Sarcerius und Mörlin sich den ernestinischen Deputierten anschlössen.250 Der Sache nach findet sich Monners Mitteilung bestätigt in einem Schreiben Mörlins an den Braunschweiger Ratsherrn Gerhard vom 2. September. Mörlin erklärt sich darin deutlich zur Notwendigkeit von Verwerfungen: „Ich hoffe, es werde geschehen, daß uns die Gegner zu dem zwingen, wozu wir auf keine Weise zuvor haben bewegt werden können. Soviel ich verstehe, bringen sie das Interim mit sich und werden unseren Meißnern ihre schlaffen Ratschlüsse und Zugeständnisse in vielen Artikeln in Erinnerung rufen. So mögen wir gezwungen werden, das Vergangene zu verdammen, auf daß uns rein erhalten bleibe das Augsburger Bekenntnis!“251
Daß Mörlin die Situation zudem für äußerst brisant hielt, belegt seine Mitteilung, er wolle seinen Koadjutor Martin Chemnitz im Einklang mit dessen 249 „Ienenses, qui semel tantum Philippum exeuntem a templo salutaverunt, […]“ (Peucer an Milichius, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 251, Nr. 6326). 250 Vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326, Nr. 37; ders. an dens., Worms 25. August 1557: ebd., S. 327, Nr. 39. Zur allmählichen Herausbildung der gnesiolutherischen Gruppe und zur Rolle Monners als deren Kristallisationspunkt vgl. oben Abschnitt 3.2.2. 251 „Spero fore ut adversarii cogent nos ad ea, ad quae nulla ratione antea potuimus induci. Quantum ego intelligo adferent secum Interim et Misnensibus nostris revocabunt in memoriam ipsorum languidas consultationes et concessiones in multis articulis. Ita cogemur damnare praeterita, ut pura nobis maneat Augustana Confessio.“ (Mörlin an Gerhard, Worms 2. September 1557: CR 9, Sp. 258, Nr. 6331).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Bitte noch länger bei sich behalten, um einen Zeugen seiner Handlungen zu haben „nicht allein bei euch, sondern auch bei den übrigen niedersächsischen Kirchen“252. Es kennzeichnet Mörlins Haltung, daß er trotz deutlich benannter theologischer Differenzen im Gespräch mit Melanchthon blieb. Mörlin bewahrte stets Respekt vor seinem früheren Lehrer;253 auch seine Kritik am Interim fiel in der Sache scharf, aber im Ton maßvoll aus254. Seine Haltung prädestinierte Mörlin zum Vermittler zwischen Flacius und Melanchthon, als welcher er federführend bei der Coswiger Handlung im Januar 1557 aufgetreten war.255 Nach der plausiblen Interpretation Stupperichs dürfte Mörlin als „entschiedenem Verfechter des antiosiandrischen Standpunkts“ an einem Ausgleich zwischen Flacius und Melanchthon, zwei erklärten Gegnern der Rechtfertigungslehre Osianders, besonders gelegen gewesen sein, um dadurch die Spaltung der antiosiandrischen Front zu überwinden.256 Nach dem Scheitern der Coswiger Handlung werden die Differenzen zwischen Mörlin und Melanchthon stärker ins Gewicht gefallen sein.257 Sie betrafen neben der Haltung zu Interim und Adiaphora vor allem die Abendmahlslehre: So waren Mörlin und Melanchthon in der Bremer Abendmahlskontroverse um Albert Hardenberg auf entgegengesetzten Seiten engagiert.258 In Worms zeichnete sich dann bald ab, daß Melanchthon und Brenz, die beide aus verschiedenen Gründen von gnesiolutherischer Seite angegriffen wurden, den geforderten Verwerfungen ablehnend gegenüberstehen würden. Von der Notwendigkeit einer Verwerfung insbesondere Osianders überzeugt, „blieb Mörlin nun keine andere Wahl, als sich zu der Partei zu bekennen, die eine klare Verurteilung Osianders durchzusetzen versuchte“259. 252 „Nihil adhuc actum. Ideo petit meus coadiutor, ut possit mecum diutius haerere. Et ego cupio testem habere mearum actionum non tantum apud vos, sed etiam apud reliquas Saxonicas Ecclesias.“ (Mörlin an Gerhard, Worms 2. September 1557: CR 9, Sp. 258, Nr. 6331; vgl. ders. an die Braunschweiger Pfarrerschaft, Worms 2. September 1557: CR 9, Sp. 259, Nr. 6332). 253 Vgl. Diestelmann, Mörlin, S. 220. 254 Vgl. Diestelmann, Mörlin, S. 76–78. Die von Stupperich in der TRE vertretene Nivellierung der Stellung Mörlins zu Luther und Melanchthon, wonach „Mörlin […] Melanchthon ebenso schätzte wie Luther selbst“ (Stupperich, Art. Mörlin, S. 194), läßt sich allerdings im Blick auf das Wormser Religionsgespräch nicht halten. 255 Vgl. Diestelmann, Mörlin, S. 221–227. 256 Stupperich, Sonderrolle, S. 172. 257 Vgl. Diestelmann, Mörlin, S. 228. 258 Vgl. Diestelmann, Mörlin, S. 262–264. 259 Stupperich, Sonderrolle, S. 172. Stupperichs Vordersatz, wonach Melanchthon nach dem Scheitern der Coswiger Handlung „aufgrund der weiterbestehenden Spannungen zwischen ihm und den Flacianern auf die Seite des von zahlreichen Osiandergegnern angefeindeten Johannes Brenz trat, obwohl dieser sich im Osiandrischen Streit auf Vermittlungsversuche verlegt hatte und noch immer in dieser Richtung arbeitete“ (ebd.),
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 249
Erasmus Sarcerius berichtet zudem in seiner Ende Dezember 1557 niedergeschriebenen Rückschau auf die Wormser Ereignisse, daß die ernestinischen Deputierten, Mörlin und er selbst bereits vor der Intervention in Heidelberg260 gemeinsam auf die Verwerfungen der Sekten gedrungen hätten.261 Demnach dürfte die Formierung der gnesiolutherischen Gruppe in den Tagen nach dem Eintreffen der Kursachsen weitgehend abgeschlossen gewesen sein. Ihr Bindeglied war die Forderung nach der Verwerfung der Irrlehren, so daß Sarcerius im Rückblick durchaus zutreffend die Selbstbezeichnung „wir verdammer der secten“262 auf die gnesiolutherische Gruppe anwenden konnte. Paul Eber hingegen konnte Georg Major am 1. September mitteilen, die Kursachsen hätten die Württemberger, Pfälzer, Hessen, MarkgräflichAnsbachischen und Straßburger so gesinnt gefunden, „daß sie offen sagen, ihnen sei von den Ihren auferlegt, daß sie sich von uns nicht trennen sollten ohne notwendige Ursachen, und daß auf keine Weise bei ihnen Beifall finden werde jener unzeitige Eifer [scil. der weimarischen Deputierten], das öffentliche Gespräch zu verhindern, dessentwegen sie vornehmlich berufen sind“263. Verbindend wirkten auf dieser Seite der Anschluß an Melanchthon und die Ablehnung der gnesiolutherischen Vorstellungen mit den geforderten Verwerfungen als deren Zentrum. Die Konstellation auf dieser Seite erscheint jedoch lockerer gefügt als die gnesiolutherische verzeichnet im Bemühen um eine komprimierte Darstellung den Sachverhalt. So fand die partielle Annäherung Brenz’ und Melanchthons nach Jahren der Entfremdung allererst in Worms statt (vgl. Kantzenbach, Beitrag, S. 122; Seebass, Brenz und Osiander, S. 183 f.). Auch trat Melanchthon nicht auf die Seite von Brenz, vielmehr fanden sich beide – bei weiterhin unterschiedlicher Beurteilung Osianders – in der Ablehnung von Verwerfungen zusammen, wobei Melanchthon im weiteren Verlauf seine Position modifizierte. Stupperich selbst gibt weiter oben eine treffendere Beschreibung, wonach sich Melanchthon im Blick auf die geforderte Verwerfung Osianders „mit Rücksicht auf Brenz, den er als Bundesgenossen gegen die Flacianer in den übrigen Punkten benötigte, im Hintergrund hielt“ (ebd., S. 172). 260 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.5.4. 261 Vgl. Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 40, Nr. XIX. 262 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 41, Nr. XIX. Siehe auch die Ausführungen zu dieser Selbstbezeichnung S. 33 f. in Abschnitt 4.1.2 der Einleitung bei Anm. 81. 263 „Sed Dei beneficio invenimus Wirtembergenses, Palatinenses, Hassiacos, Marchios, Argentinenses ita animatos ut palam dicant, sibi a suis iniunctum esse, ne a nobis se seiungant sine necessariis causis, et nullo modo sibi probari illud intempestivum studium impediendi publicam collocutionem propter quam praecipue accersiti sunt.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324). Außer den gnesiolutherischen Deputierten fehlen in Ebers Aufzählung nur die Pommern, deren Haltung keiner Erwähnung gegenüber Major bedurfte. Denn die pommerschen Deputierten Runge und Küssow waren über Wittenberg nach Worms gereist, und Runges Nähe zu Melanchthon dürfte Major bekannt gewesen sein.
250
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Gruppe; gemeinsame Aktionen wie der Vorstoß Monners und Sarcerius’ in Heidelberg sind nicht belegt.
3.5.3 Rangstreit zwischen Kurpfalz und Kursachsen Aus Sicht der gnesiolutherisch orientierten Deputierten machte die zunehmende Polarisierung einen raschen Eintritt in formelle Vorverhandlungen nur noch notwendiger. In Anbetracht der vorgerückten Zeit erwog die gnesiolutherische Gruppe sogar, es könnten vor der Eröffnung des Reichsreligionsgespräches „ein tag oder vier von denn Papistenn erlanngt werden, in denen von den dissidentibus oppinionibus vnter vns selber etwas nutzlicher gehandelt mochte werden“264. Eine solche Verschiebung sollte sich als unnötig erweisen, denn erst am 4. September kam eine Vorbesprechung des Präsidiums zustande, in welcher die Eröffnung des Religionsgesprächs allererst für den 11. September festgelegt wurde.265 Unabhängig davon aber blieb es zunächst ohne Wirkung, daß Monner die kurpfälzischen und württembergischen Räte bat, mit den internen Beratungen zu beginnen.266 Selbst als die pommerschen Deputierten am 30. August in Worms eingetroffenen waren267 und nur noch die später entschuldigten Deputierten aus Dänemark und Kurbrandenburg fehlten, kamen die internen Beratungen nicht in Gang. Der Grund dafür war eine heftige Auseinandersetzung zwischen kurpfälzischen und kursächsischen Räten über die Frage, welchem der beiden kurfürstlichen Stände die Einberufung und Leitung der internen evangelischen Beratungen zustehe. Noch vor dem Ausbruch der Auseinandersetzung hatten die in Worms anwesenden pfälzischen Räte am 31. August die kursächsischen über das ernestinische Ansuchen um Einberufung der evangelischen Deputierten informiert. Nach dem Bericht der kursächsischen Räte war man sofort übereingekommen, „das die Politici allein zusammen kummen vnd der Weimarischen vorbringen horen wollen, damit die Concertatio zwischen den Theologen verhuttet werde“268, wie es bereits zuvor von Pfälzern und
264 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 137r. 265 Vgl. Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63v. 266 Vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 3. September 1557: Wolf, S. 330, Nr. 44. 267 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r. 268 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 31. August 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 8rv.
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 251
Württembergern ins Auge gefaßt worden war269. Das anfängliche Einvernehmen war allerdings rasch dahin, als am folgenden Tag zwei pfälzische Sondergesandte in Worms eintrafen, sich bei den Kursachsen ansagten und am Morgen des 2. September bei ihnen vorsprachen.270 Über den Zweck ihrer Mission, über deren Verlauf zwei Relationen an Kurfürst Ottheinrich Auskunft geben,271 war Monner und Sarcerius bei ihrem Besuch in Heidelberg von ihren pfälzischen Gesprächspartner gesagt worden, daß Kurfürst Ottheinrich „zwei Räte nach Worms geschickt hätte, welche alle evangelischen Stände versammeln und die Einigung in den streitigen Punkten bewirken sollen“272. Nicht sicher festzustellen sind die Namen der Sondergesandten; es scheinen aber hochrangige Gesandte gewesen zu sein.273 Jedenfalls trugen sie mit großem Selbstbewußtsein den Anspruch ihres Herrn vor, die evangelischen Deputierten einzuberufen. Die Kursachsen replizierten dem pfälzischen Bericht nach aber nicht minder selbstbewußt: 269
Vgl. den Zettel zu den kurpfälzischen Relationen vom 2. und 3. September (vgl. Anm. 270 und 271): BayHStA K. blau 106/3c, unfol. im Umfang einer Folioseite. Auf die kurfürstliche Anfrage, warum die politischen Räte allein versammelt werden sollen, teilen die kurpfälzischen Gesandten mit, wegen des befürchteten Zanks zwischen den Theologen sei „durch vns, auch die Wurtemb[ergenses] vnnd andre fur rathsam bedacht worden, daß die Politische allain zusamen komen, sich einhelliglich vergleichen vnnd solche ungleichhait bei iren Theo[logis] so viel immer muglich abgelaintt vnnd gestillt hetten“. 270 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, unfol. im Umfang von viereinhalb Folioseiten. 271 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, unfol. und kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, Worms 3. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, unfol. im Umfang einer Folioseite. Die flüchtige Schrift, zahlreiche Streichungen und das Fehlen von Unterschriften deuten daraufhin, daß es sich um Konzepte handelt. Allerdings schließt die Relation vom 3. September mit den Worten „datum Wormbs in eill den 3. Septembris Ao. d. 57“, so daß es sich auch um formlose Eilberichte handeln könnte. Vgl. zu den Relationen auch Kurze, S. 139, Anm. 21 (Numerierung der Anmerkungen ab Anm. 17 fehlerhaft; Anm. 21 bezieht sich auf S. 59, Anm. 20) mit Zitaten aus den Relationen, die jedoch mit zahlreichen, teilweise sinnentstellenden Fehllesungen behaftet sind. 272 Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 3. September 1557: Wolf, S. 330, Nr. 44 (Regest). 273 In einer dem Bericht der kursächsischen Räte vom 31. August (vgl. Anm. 268) beigelegten Liste der in Worms Anwesenden finden sich in der Rubrik „Palatini“ der Jurist Walter Senfft sowie zwei Theologen, der als Adjunkt nominierte Heinrich Stoll und der einflußreiche Hofprediger Michael Diller (Anwesenheitsliste: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 9r). Zu Senffts Namen sind zwei Zusätze gesetzt: „Ad praeparationem missus“ und „In huius locum venturus est Comes Georgio ab Erbbach“. So könnte Graf Georg von Erbach einer der beiden Sondergesandten gewesen sein; seine Ankunft wäre dann am 31. August bereits erwartet worden. Mit einem Grafen von Erbach wäre die Gesandtschaft ausgesprochen hochrangig besetzt gewesen, was den von Ottheinrich beanspruchten Rang unterstrichen hätte.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
„Nachdem ir gnedigster herr der churfurst von Sachsen ein elterer standt in der Augspurgischen confession sej, dan vnser gnedigster churfurst vnd herr, Vnd darzu von gemainen reichs stenden zu einem zu einem assessorn zu dem colloquio verordnet worden. So gedechten sie, irem gnedisten herrn werde die Zusammenberuffung vnd direction der Augspurgischen confessions Verwandten stend abgesandten Rhete vnd potschafften gepuren vnd nit vnsrem gnedigsten herrn Pfaltzgraven Ottheinrichen churfursten.“274
Die Pfälzer Gesandten widersprachen beiden Argumenten.275 Aus der Dauer der Konfessionszugehörigkeit folge keine Vorrangstellung, sonst könnten auch kleinere und rangniedrigere Stände einen Vorrang beanspruchen. Der Status des sächsischen Kurfürsten als Assessor aber betreffe nur das Reichsreligionsgespräch. Zur Erwiderung bekräftigten die Kursachsen das angestammte Vorrecht ihres Herrn und suchten es mit Verweis auf die Reichsverfassung zu stützen, womit sie aber wiederum auf Widerspruch stießen: Die Kursachsen brachten vor, „ir her were der eltist in dieser religion, Vnd hette alewegen die andre stende der Augspurgischen Confession zusamen beruffen, also daß ire chf. gn. in quasi possessione solcher sachen were. Darzu so seie ire chf. gn. ein Ertzmarschalck des Reichs vnd hab also auch in reichsversamlungen die convocation; derwegen so wusten sie irem gnedigsten herrn zu nachtheil in vnsre beger nit zugewilligen.“276
Die Kurpfälzer suchten im Gegenzug den Kursachsen das Argument des Alters zu entwinden, indem sie es ad personam anwendeten: Für seine Person betrachtet sei Ottheinrich der CA „lenger zugethan vnd verwandt gewesen, dan Hertzog Augustus, der jetzig churfurst zu Sachsen“277 – eine gewagte Behauptung, denn Ottheinrich hatte sich offiziell erst 1542 zur Reformation bekannt,278 während man von Augusts Zugehörigkeit zum Augsburger Bekenntnis mindestens seit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen 1539 ausgehen kann279. Weiter bestritten die Pfälzer auch die Tragfähigkeit des Verweises auf die frühere Praxis mit dem schlichten Argument, ihr Kurfürst sei nicht zu274 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 1r. 275 Vgl. Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 1v. 276 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 1v–2r. 277 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 2r. 278 Vgl. Kurze, S. 11. 279 Augusts Vater, Herzog Heinrich von Sachsen, gehörte für seine eigene kleine Herrschaft innerhalb des albertinischen Sachsen sogar schon seit 1536/37 dem Schmalkaldischen Bund an (vgl. Bizer, Reformationsgeschichte, S. 109).
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 253
gegen gewesen, „als Sachsen sich solches vnderzogen vnd gebraucht haben soll“280 – was als Bestreitung von Präzendenzfällen nur bezogen auf Ottheinrichs Zeit als Kurfürst zutreffend sein kann. Schließlich ließen sie auch das reichsrechtliche Argument nicht gelten. Der Erzmarschallswürde des sächsischen Kurfürsten und seinem Konvokationsrecht auf Reichstagen setzten sie entgegen, ihr Herr „sei nit allein ein churfurst vnd ertztruchseß sondern auch ein Vicarius des reichs, vnd sitze vber dem Churfursten zu Sachsen“281. Sollten es sich die Kursachsen nicht anders überlegen, müßten sie Ottheinrich einschalten, schlossen die Pfälzer. Die kursächsischen Räte baten sich Bedenkzeit aus. Ihre Antwort überbrachten zwei Abgesandte um fünf Uhr den Pfälzern. Mit denselben Argumenten wie zuvor lehnten sie den kurpfälzischen Anspruch ab, verbunden mit der Bitte, „sie fur ire person entschuldigt zu halten“282. Die pfälzischen Gesandten verhehlten ihre Enttäuschung nicht und kündigten an, nun Ottheinrich in Kenntnis zu setzen,283 wie es mit der Relation vom selben Tage geschah. Betrachtet man die ausgetauschten Argumente, insbesondere die sachlich kaum haltbaren Gegenargumente der Pfälzer, so erscheint die Auseinandersetzung zumindest in Teilen beinahe grotesk. Doch kommt es weniger auf die Argumente an, als vielmehr auf den damit ausgetragenen Konflikt. Es handelt sich dabei um einen veritablen Machtkampf zwischen Kursachsen und Kurpfalz um die Führung der Augsburger Konfessionsverwandten, in Worms und darüberhinaus. Das erklärt auch die Schärfe der Auseinandersetzung. Der Konflikt ist zudem eine direkte Fortsetzung der kurpfälzischkursächsischen Rivalität auf dem Regensburger Reichstag.284 So gesehen war die Führungsfrage aber, jedenfalls aus kursächsischer Sicht, zugleich auch eine konfessionspolitische Richtungsfrage. In der kursächsischen Berichterstattung über die beschriebene Auseinandersetzung kommt das deutlich zum Ausdruck. Die Gesandten schreiben am 11. September: „Ewer Churf. g. können wir auch vnderthenigst nicht bergen, das sich im anfange die Pfeltzischen Churf. gesandten der Convocation vnd proposition zur vorbereitung des Colloquii vnderfahren wollen, welchs wir aus vilen vrsachen, sonderlich aber, weil wir erfaren, das sich die Weimarischen mit irer sunderlichen habenden In-
280 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 2r. 281 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 2v. 282 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 2v. 283 Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, [Worms] 2. September 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 3r. 284 Vgl. oben Abschnitt 1.2.2.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
struction vnd zugestelten schrifft des Illyricj bei inen angegeben, das vns allerlei nachdenken gemacht, nicht willigen wollen“285.
Nach den Erfahrungen aus Regensburg, wo die Pfälzer um Eberhard von der Thann gnesiolutherischen Anliegen zur Durchsetzung verholfen hatten, mußte die Nachricht, daß ausgerechnet die ernestinischen Deputierten sich wegen ihrer Instruktion und einer Schrift des Flacius an die Pfälzer gewandt hätten, die Kursachsen im höchsten Maße alarmieren. Aus kursächsischer Sicht galt es somit unbedingt zu verhindern, daß unter pfälzischer Direktion erneut gnesiolutherische Kreise gegen kursächsische Interessen ihren konfessionspolitischen Kurs durchsetzen könnten. Das zu verhindern, war von kursächsischer Seite die eigentliche Triebfeder der Auseinandersetzung mit den pfälzischen Gesandten. Die argumentative Auseinandersetzung hingegen war Teil einer Verzögerungstaktik. Offen berichteten die kursächsischen Räte ihrem Kurfürsten, sie hätten sich mit den Pfälzern „in disputation eingelegt, und die sache dadurch so lang vfgezogen, das der her President wie obgemelt Conuocation gehalten, domit wir als an statt E. Churf. g. als des Asessorn die anderen Stende erstlich conuocieretenn, vnd der weitleufftigkeit, so vorhanden gewesen, vorkommen möchten“286. Die aufwendige Argumentation mit dem Alter der CA-Zugehörigkeit und dem reichsrechtlichen Status hatte demnach zum Ziel, die Einberufung der evangelischen Deputierten bis zur offiziellen Übernahme des Assessorenamtes aufzuschieben. Die Erwartung war, daß den Kursachsen nach Antritt des Assessorenamtes das interne Konvokationsrecht nicht mehr bestritten werden könne, denn unter den Ständen war laut Paul Eber die Auffassung verbreitet war, „daß, da der Pfälzer nicht dazu bestimmt sei, daß er Präsident oder Assessor in diesem Kolloquium sein sollte, das Recht, die übrigen Gesandten zusammenzuberufen, den Sachsen zustehe“287. Ein von den württembergischen Räten am 3. September unternommener Vermittlungsversuch stieß zwar auf das Interesse der kurpfälzischen Gesandten.288 Die Entwicklung in Worms ging jedoch über den württembergischen Versuch hinweg. Denn am 4. September berief Julius Pflug das Präsidium 285 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 63v–64r. 286 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 64v. 287 „Illi [scil. caeteri legati] vero, cum Palatinus non sit deputatus, ut praeses sit vel assessor in hoc colloquio, dicunt, ius convocandi caeteros legatos pertinere ad Saxonicos.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 250, Nr. 6324). 288 Der württembergische Kompromißvorschlag, Kurpfalz und Kursachsen sollten abwechselnd die internen Beratungen leiten, erschien den pfälzischen Gesandten „nit vnfuglich“, und sie baten den Kurfürsten um rasche Benachrichtigung, ob sie einer solchen Lösung zustimmen dürften (Kurpfälzische Relation für Kfst. Ottheinrich, Worms 3. Sep-
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 255
erstmals zusammen. Damit aber traten Graf Ludwig von Eberstein-Neugarten für den Kurfürsten von Sachsen und Balthasar von Gültlingen für den Herzog von Württemberg auch offiziell ihr Amt als Assessoren an. Die im Präsidium besprochenen Gegenstände machten es erforderlich, die übrigen Deputierten in die Absprachen miteinzubeziehen. Nichts lag näher, als daß die vom Präsidenten informierten Assessoren dafür eine Zusammenkunft einberiefen, wie es für den 5. September sogleich geschah, und daß sie der Versammlung der Deputierten dann auch vorsaßen. Durch einen Impuls von außen klärten sich somit die Bedingungen der ersten internen Besprechung aller evangelischen Deputierten. Im Kontext des Reichsreligionsgesprächs war der Leitungsanspruch des Assessorenamtes schlichtweg plausibler als der in Regensburg noch durchgesetzte Anspruch des pfälzischen Kurfürsten auf den Vorrang unter den Ständen Augsburgischer Konfession. Der kurpfälzische Einfluß in Worms wurde durch die beschriebene Entwicklung wesentlich gemindert. Zwar unternahm Kurfürst Ottheinrich noch einen weiteren Versuch einer Intervention durch Sondergesandte. Er schickte „eine statliche Legation“ und ließ am 9. September sämtliche evangelischen Gesprächsteilnehmer zusammenrufen.289 Obwohl bei der Beratung unter kurpfälzischem Vorsitz eine substantielle theologische Diskussion geführt wurde, litt das Unternehmen doch daran, daß die Assessoren nicht teilnahmen290. Und es dürfte nicht von ungefähr geschehen sein, daß die Verhandlungen des 9. September später in der von den kursächsischen Räten aufgesetzten ‚Gemeinsamen Relation‘ nicht mit einer Silbe erwähnt wurden.291 Die Weichenstellung war bereits zuvor erfolgt und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Das scheint auch auf kurpfälzischer Seite so gesehen worden zu sein; jedenfalls verzichtete Kurfürst Ottheinrich fortan auf Interventionen in Worms. Betrachtet man jedoch die kurpfälzischen Aktivitäten bis zum 9. September, so ist das von Kurze gezeichnete Bild, Ottheinrich habe nicht nur dem Reichsreligionsgespräch, sondern auch den internen evangelischen Beratungen im Zusammenhang des Wormser Religionsgesprächs weitgehend desinteressiert gegenübergestanden,292 zu revidieren. Ottheinrich hatte zunächst durchaus die Absicht, aktiv auf die internen Beratungen tember 1557: BayHStA K. blau 106/3c, Bl. 1r). Mit dieser Anfrage bricht die einschlägige kurpfälzische Aktenüberlieferung ab. 289 Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r; vgl. unten Abschnitt 4.4. 290 Vgl. Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. 291 In der ‚Gemeinsamen Relation‘ wird nach den Verhandlungen des 5. September sogleich die Eröffnung des Religionsgesprächs am 11. September geschildert (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24r). 292 Kurze behauptet, daß Ottheinrich die ersten Sondergesandten Anfang September „mehr zur Verhütung geahnten Unheils als aus positivem Interesse“ nach Worms geschickt habe (Kurze, S. 59 bei Anm. 20).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
einzuwirken und sie durch die Übernahme der Leitung im Sinne seiner Konfessionspolitik zu beeinflussen. Mit seiner Absicht kam er jedoch nicht zum Zuge und mußte in der Auseinandersetzung mit Kursachsen die bereits konstatierte erhebliche Minderung seines Einflusses hinnehmen. Das steht nun allerdings doch in einem inneren Zusammenhang damit, daß Ottheinrichs Interesse an dem Reichsreligionsgespräch, wie Kurze zutreffend beobachtet hat, bereits während des Regensburger Reichstags nachgelassen hatte. Ottheinrich hatte seinerzeit die Übernahme des Assessorenamtes von vorneherein abgelehnt.293 Eben diese Vorentscheidung erwies sich in Worms wegen der Ausstrahlungskraft des Assessorenamtes auch auf die internen evangelischen Beratungen als nachteilig für Ottheinrichs Wirkungsmöglichkeiten.
3.5.4 Gnesiolutherischer Vorstoß in Heidelberg Wie die Verhältnisse sich für die Pfalz entwickelt hatten, mußte auch der aus den Reihen der gnesiolutherischen Gruppe unternommene Versuch, Ottheinrich zu einem direkten Eingreifen in Worms zu bewegen, Episode bleiben. Basilius Monner und Erasmus Sarcerius waren zu diesem Zweck vom 1. auf den 2. September nach Heidelberg gereist.294 Sarcerius hat in seiner späteren Rechtfertigungsschrift die Reise nach Heidelberg erwähnt, allerdings ohne mitzuteilen, daß er sich mit Monner dorthin begeben hatte.295 Nach Sarcerius war die Reise durch die Feststellung veranlaßt, daß sich die Mehrzahl der Deputierten nicht zur Vergleichung durch einhellige Verwerfungen der Irrlehren bereit finden würde: „Vnd da ich solchs vermerckt, habe ich mich aufgemacht vnd bin nach Heidelbergk gezogen, gutter meinung (das weiß gott) den Churfürsten zu bitten, eigener person nach Wormbs zu reißen vnd die Theologen zusamen zu fordern, Damit ein vergleichungk der secten für dem Colloquio geschen mochte. Da aber der Churfürst 293 Vgl. Kurze, S. 32 in Verbindung mit S. 108, Anm. 65; Erläuterungen dazu oben S. 78 in Abschnitt 1.4.1 bei Anm. 163. 294 Das Datum der Rückkehr ergibt sich aus Monners vom 3. September datierender Mitteilung, daß Sarcerius und er am Vortag aus Heidelberg zurückgekehrt seien (vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 3. September 1557: Wolf, S. 330, Nr. 44). Der Aufbruch nach Heidelberg dürfte am 1. September erfolgt sein, da Sarcerius nach einer vom 1. September datierenden Angabe Paul Ebers am Vortag noch mit Melanchthon zu Mittag gegessen hatte (vgl. Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324). 295 Da Sarcerius’ Rechtfertigungsschrift durch eine Beschwerde Kurfürst Augusts von Sachsen bei Graf Johann Georg von Mansfeld veranlaßt war (vgl. Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. September 1557: Hummel, S. 39.46, Nr. XIX), könnte Sarcerius die Erwähnung des bei den Kursachsen besonders verhaßten Monner bewußt vermieden haben.
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 257
etwas schwach vnd gleichwoll die noth sehr groß, hat er seine fürneme Rethe dahin abgefertigett, die vns Theologen zusamenbrechten, wie denn geschehenn.“296
Monners Angaben sind aufgrund der zeitlichen Nähe zum Geschehen detaillierter. Danach hatten Sarcerius und er in Heidelberg „mit dem pfälzischen Kanzler [Erasmus von Minckwitz] und dem Rat von Gutmannshausen behufs Wiederherstellung der Einigkeit unter den Evangelischen gesprochen und angeregt […], Ottheinrich und einige andere Häupter der Evangelischen möchten nach Worms kommen. Die Pfälzer hatten geantwortet, dass ihr Kurfürst vor einigen Tagen zwei Räte nach Worms geschickt hätte, welche alle evangelischen Stände versammeln und die Einigung in den streitigen Punkten bewirken sollen.“297
Beide Berichte stimmen darin überein, daß Ottheinrich zu persönlichem Erscheinen in Worms bewegt werden sollte. Offensichtlich versprachen sich Monner und Sarcerius davon eine Beförderung der gnesiolutherischen Anliegen – genau dasselbe befürchteten ja im Gegenzug die Kursachsen für den Fall, daß die Kurpfälzer die Leitung der internen Beratungen übernähmen. Monners und Sarcerius’ Ersuchen wurde jedoch mit Verweis auf Ottheinrichs prekären Gesundheitszustand abschlägig beschieden. Hinsichtlich der Sendung von Räten nach Worms überlagern sich in der Zusammenschau von Sarcerius’ und Monners Angaben die erste und die zweite pfälzische Sondergesandtschaft. Monners Bericht nach wurden er und Sarcerius in Heidelberg auf die bereits in Worms befindliche Gesandtschaft hingewiesen. Für Sarcerius stellte es sich zumindest im nachhinein so dar, daß sein Ersuchen in Heidelberg zu der Einberufung der evangelischen Deputierten unter pfälzischem Vorsitz am 9. September geführt habe. Da sich über die zweite kurpfälzische Intervention in Worms keine pfälzischen Akten erhalten haben, läßt sich das nicht verifizieren. Ein Zusammenhang erscheint aber auch nicht als ausgeschlossen. Gerade Monners Angabe, Sarcerius und er hätten sich in Heidelberg mit Kanzler Minckwitz unterredet, weist in diese Richtung. Denn der ehemalige ernestinische Kanzler Minckwitz repräsentierte unter Ottheinrichs Räten die streng gnesiolutherische Richtung, so daß er zweifelsohne ein geeigneter Adressat für die Anliegen der gnesiolutherischen Gruppe war. So könnte die zweite pfälzische Gesandtschaft nach Worms, angeregt durch das gnesiolutherische Ersuchen, auf Minckwitz’ Betreiben zustandegekommen sein. Doch wenn das der Fall gewesen sein sollte, so gelang es Minckwitz wie bereits beim Frankfurter Konvent in der konfessions296 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 40 f., Nr. XIX. 297 Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 3. September 1557: Wolf, S. 330, Nr. 44 (Regest).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
politisch heterogenen kurpfälzischen Regierung nicht, gnesiolutherischen Anliegen Geltung zu verschaffen. Denn die pfälzische Proposition zu den Verhandlungen am 9. September lag ganz auf der Linie des Frankfurter Abschieds und verlangte, „das verdammen der irrigen secten auf ein ander Zeitt [zu] sparen“298. Die gnesiolutherischen Kräfte am Heidelberger Hof verfügten offenkundig nach innen wie nach außen nicht mehr über einen Exponenten von der taktischen Finesse und der Durchsetzungkraft eines Eberhard von der Thann. So müssen am 9. September die letzten Hoffnungen der gnesiolutherisch orientierten Deputierten auf einen mächtigen Fürsprecher ihrer Anliegen zerstoben sein. Die gnesiolutherische Gruppe trat mithin in die formellen Vorverhandlungen als Minderheit ein und sollte auch weiter in der Minderheit bleiben.
3.5.5 Veränderungen in der Zusammensetzung der evangelischen Deputierten gegenüber der Regensburger Nominierung Mit dem Eintreffen der Kursachsen und der Pommern am 28. und am 30. August299 waren alle evangelischen Deputierten in Worms versammelt, die überhaupt dorthin kamen. Gänzlich fern blieben dem Religionsgespräch der in Regensburg als Kolloquent nominierte holsteinische Superintendent Johannes Macchabäus Scotus aus dem Königreich Dänemark sowie die kurbrandenburgischen Deputierten, sowohl der als Adjunkt nominierte Generalsuperintendent und Frankfurter Professor Andreas Musculus als auch ein in Regensburg noch nicht namentlich bestimmter Auditor.300 Das Fernbleiben der Nominierten zog Veränderungen nach sich: Die Stelle des kurbrandenburgischen Auditors übernahm zunächst vorläufig und dann auf Dauer der brandenburg-ansbachische Rat Dr. Werner Eisen, der eigentlich nur Georg Karg nach Worms begleiten sollte.301 Den Posten des Johannes Macchabäus Scotus sollte zunächst der Supernumerarius Erasmus Sarcerius einnehmen.302 Als dieser aber wegen seiner gesundheitlichen Pro298 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 41, Nr. XIX. 299 Vgl. oben S. 202 f. in Abschnitt 3.1.2 bei Anm. 26–30. 300 Zu ihrem Fernbleiben vgl. Salig III, S. 339; Heppe I, S. 173, Anm. 1; v. Bundschuh, S. 399. 301 Vgl. Eisen an Mkgf. Georg Friedrich, Worms 10. September: Schornbaum II, S. 163 f., Nr. II. 302 Sarcerius berichtete später: „Da ich aber nach Worms khomen, hab ich mich zum Colloquio nicht gedrungen, sondern ich bin dazu berufen worden, vnd da ich erschienen, habe ich den herren semptlich angezeiget, Ich sey zu einem Supernumerario allein vorgeschlagen. […] Also bin ich hernach vom herrn Philippo selbst aus mangel der personen für einen colloquenten dargeben, welchs ich leibsschwachheit halben abgeschlagen vnd
3.5 Weitere Polarisierung und Verzögerung nach dem Eintreffen Melanchthons 259
bleme einer Berufung zum Kolloquenten widersprach, rückte Jakob Runge aus der Adjunktenreihe zu den Kolloquenten auf, so daß neben Musculus’ Posten noch eine weitere Adjunktenstelle zu besetzen war.303 Dafür griff man auf die in Worms erschienenen Supernumerarii zurück: Johann Stössel, Superintendent zu Heldburg im Herzogtum Sachsen und nunmehr doch den Mansfelder Superintendenten Erasmus Sarcerius.304 Die Überrepräsentation ernestinischer und gnesiolutherisch orientierter Theologen, die Herzog Christoph von Württemberg bereits bei der Nominierung beargwöhnt hatte,305 setzte sich nunmehr im Kreis der evangelischen Deputierten in Worms fort – eine langfristige Auswirkung des kurpfälzischen Kurses auf dem Regensburger Reichstag, wobei verstärkend hinzukam, daß die übrigen Supernumerarien nicht zugegen waren306. Es ergab sich daher ein Kräfteverhältnis unter den Deputierten, das Johannes Aurifaber Mitte September nach den ersten schweren Zusammenstößen vergröbernd mit den Worten beschrieb: „[…] denn unsre drei Theologen [scil. die ernestinischen Theologen Schnepf, Strigel und Stössel], und D. Mörlin und Sarcerius, die f nf bei einander gestanden, und der andern sieben auf Philippi Seiten gewesen, welche nicht allein disputieren k nnen. Denn ob sie zuvor viel getrotzt haben, unsrer Theologen Statt zu ersetzen, so hat es ihnen gefehlet, denn der K nig von Denemark und Marggraf Ioachim sich entschuldiget haben, und ihre Theologen nicht geschickt. So ist Alesius Scotus und andere auch nicht ankommen.“307
Das Bild der Evangelischen in Worms wäre nicht vollständig beschrieben, wenn nicht noch eine Person erwähnt würde, deren Anwesenheit bisher in keiner Darstellung des zweiten Wormser Religionsgesprächs beachtet worden ist. Es handelt sich um den Privatsekretär des preußischen Herzogs, Timotheus Gerschau. Er gehörte nicht zum Kreis der Deputierten, seine Anwesenheit in Worms ist aber mindestens für die Zeit vom 11. September bis um den 11. November belegt.308 Er stand in Verbindung mit den würtalso von den herren Theologen zu einem adiuncten auffgenohmen.“ (Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 39 f., Nr. XIX). 303 Vgl. v. Bundschuh, S. 399. 304 Vgl. v. Bundschuh, S. 399. 305 Vgl. oben S. 83 in Abschnitt 1.4.2.2 bei Anm. 191. 306 Zum vorläufigen, dann aber dauerhaften Fernbleiben des kursächsischen Supernumerarius Alexander Alesius, dessen Abordnung nach Worms in Melanchthons Ermessen gestellt worden war, vgl. Kfst. August an Melanchthon, Dresden 18. Juli 1557: Wolf, S. 289, Nr. 23 = MBW 8275 sowie Melanchthon an Alesius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 261 f., Nr. 6335 = MBW 8322. Melanchthon scheint die Bedeutung der personellen Zusammensetzung des Deputiertenkreises unterschätzt zu haben. 307 Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 308, Nr. 6260. 308 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp von Pommern, 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v, hier fol. 18v; Brenz an Hzg. Albrecht, 11. November 1557: Pressel, S. 440, Nr. CCXLVIII.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
tembergischen Deputierten, die durch ihn den preußischen Herzog über die Wormser Vorgänge informieren wollten.309 Er dürfte zumindest der Überbringer des ‚Preußischen Berichts‘ gewesen sein. Von den übrigen Deputierten wurde seine Anwesenheit beargwöhnt, weil sie einen Zusammenhang mit Brenz’ Weigerung sahen, den Osiandrismus zu verwerfen.310 Durch Gerschau jedenfalls war das Herzogtum Preußen doch in Worms mit einem eigenen Mittelsmann präsent, obwohl Herzog Albrechts Absicht gescheitert war, sich mit einer eigenen Gesandtschaft an den Verhandlungen in Worms zu beteiligen. Überblicke über die Teilnehmer am Reichsreligionsgespräch insgesamt und über die Zusammensetzung der an den innerevangelischen Verhandlungen beteiligten und darauf einwirkenden Personen und ihre Gruppierungen bieten die Beilagen 1 und 2 im Anhang dieser Arbeit.
3.6 ‚Zwischen Schisma und Heuchelei‘: Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten Johannes Aurifaber ließ seinen unbekannten Briefpartner am 13. September wissen: „Es haben die Theologen [scil. die ernestinischen Theologen in Worms] einen herrlichen Rathschlag gestellt, warum sie bei den andern Falsariis nicht stehen k nnen.“311 Aurifaber muß dabei das ausführliche, 16 handschriftliche Folio-Seiten umfassende Gutachten der ernestinischen Deputierten vom 29. August312 im Sinn gehabt haben, denn nur auf dieses Schreiben der Deputierten und seine lateinische Vorform313 läßt sich die Bezeichnung „Rathschlag“ beziehen. Aurifaber hebt in seiner ebenso beifälligen wie robusten Zusammenfassung auf die pragmatische Konsequenz des Gutachtens ab. Die Frage, die in dem Gutachten selbst zur Erörterung stand, war aber differenzierter. Gestellt hatte sie Herzog Johann Friedrich, indem er von seinen Deputierten 309 Vgl. Brenz an Hzg. Albrecht, 11. November 1557: Pressel, S. 440, Nr. CCXLVIII; ders. an dens., 4. Januar 1558: ebd., S. 442 f., Nr. CCL. 310 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp von Pommern, 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v, hier fol. 18v; Gf. Eberstein und Cracow an Kfst. August, Worms 28. August 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 235r–237r, hier fol. 236v. Vgl. ferner die Erläuterungen unten in Abschnitt 2.3 von Teil III dieser Arbeit. 311 Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341. 312 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 130r–137v = Wolf, S. 328 f., Nr. 41 (Regest). Im folgenden wird dieses Schreiben als ‚Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten vom 29. August‘ oder kurz als ‚Verwerfungsgutachten‘ bezeichnet; Zitate daraus werden im Abschnitt 3.6 mit dem Kürzel ‚Verwerf.-Gtn.‘, Abschnittsnummer und Folioangabe nach EGA Reg. N 231 im Text belegt. 313 Vgl. dazu oben S. 236 im Abschnitt 3.4.1 bei Anm. 190.
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
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eine eindeutige Auskunft verlangte, welches weitere Vorgehen mit dem Gewissen vereinbar und vor Gott zu verantworten wäre, falls die Theologen der CA-verwandten Stände sich nicht zu öffentlichen spezifizierten Verwerfungen bereit erklären sollten, sondern nur zu einer generellen Verwerfung: Abzug oder dennoch Teilnahme am Religionsgespräch.314 Der Herzog machte keinen Hehl daraus, daß er selbst die erste der beiden Handlungsoptionen für angemessener hielt. Daher konnten sich die Deputierten in ihrem Gutachten auf die Prüfung der zweiten Option konzentrieren. Als zu erörternde Frage gaben sie deshalb in der Einleitung des Gutachtens an: „Ob man mitt gutem Gewissen / Neben anderen gesandten vnsers teils / wider die Papisten stehen vnnd handelen möge / Do nit zuvor alle alte vnnd Newe Irthumbe vnd Seckten / mit namen vordammet wurden.“ (Verwerf.-Gtn., Einleitung: fol. 130r). Die Frage verneinten sie sogleich, um anschließend die Gründe dafür darzulegen. Formal handelt es sich bei dem ‚Verwerfungsgutachten‘ um einen Brief der Deputierten an Herzog Johann Friedrich mit den üblichen Anfangs- und Schlußgrußformeln. Die direkte Anrede des Herzogs findet sich jedoch nur in den Rahmenstücken, während die Sacherörterung im Gutachtenstil gehalten ist, weshalb hier das gesamte Schreiben als Gutachten bezeichnet wird. Der äußere Aufbau des ‚Verwerfungsgutachtens‘ ist nicht ganz stringent. Auf die bereits referierte Einleitung folgen elf durchnumerierte Abschnitte unterschiedlicher Länge, die aufzeigen sollen, aus welchen „Vrsachen vnnd grunden“ die Deputierten es nicht für möglich halten, ohne vorhergehende namentliche Verwerfungen „neben anderen gesandten / gegenn die Papisten zustehen / und vnsere Christenliche Religion mit Jhnen zu vertheidingen“ (Verwerf.-Gtn.: fol. 130r). Der elfte Abschnitt übertrifft die einzelnen vorherigen Abschnitte an Länge bei weitem und weist in sich eine weitere Gliederung in Exposition, fünf Unterpunkte und Konklusion auf (fol. 133r–135r). Hieran schließt sich unnumeriert ein weiterer, zwölfter Abschnitt an (fol. 135r–136v),315 bevor das Gutachten in die Gesamtkonklusion mündet (fol 136v). Pragmatische Hinweise zur Lage in Worms und ein historisch-erbaulicher Nachtrag folgen noch (fol. 137rv); danach
314 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, Markgraf-Baden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317; zum Kontext vgl. oben S. 238 im Abschnitt 3.4.2 bei Anm. 200. 315 Der elfte Abschnitt des Verwerfungsgutachtens schließt mit einer klar abgrenzbaren Konklusion ab (Verwerf.-Gtn.: fol. 134v–135r). Ohne Numerierung, aber mit größerem Abstand als sonst zwischen Absätzen innerhalb eines Abschnitts schließen sich weitere Ausführungen an (fol. 135r–136v), deren argumentativer Bogen bis zur Gesamtkonklusion (fol. 136v) reicht, die wiederum mit größerem Abstand angeschlossen wird. Die Ausführungen zwischen elften Abschnitt und Gesamtkonklusion werden im folgenden als zwölfter Abschnitt bezeichnet.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
schließen Schlußbemerkungen, Grußformeln sowie die Unterschriften der vier Deputierten das Schreiben ab. Die Unwucht des elften Abschnitts und des unnumerierten zwölften Abschnitts weist bereits darauf hin, daß die Strukur des ‚Verwerfungsgutachtens‘ im ganzen komplexer ist, als es eine durchnumerierte Aufzählung von Gründen für die Verneinung der Ausgangsfrage zunächst erwarten lassen könnte. Die inhaltliche Betrachtung des Gutachtens bestätigt das. Denn genau besehen erörtert das Gutachten die strittigen Verwerfungen unter drei verschiedenen Hauptaspekten, von denen jedoch nur einer in der Ausgangsfrage explizit angesprochen ist. Dieser erste Hauptaspekt ist die Spezifizierung der Verwerfungen (3.6.1): Warum müssen die Irrlehren „mit namen“ verworfen werden; warum reicht eine generelle Verwerfung des im Widerspruch zu den Bekenntnissen Stehenden nicht aus? Die Gründe dafür führt das Gutachten in den numerierten Abschnitten 1 bis 5 an. Der zweite Hauptaspekt ist der Zeitpunkt der Verwerfungen (3.6.2): Warum müssen sie vor dem Religionsgespräch ausgesprochen werden; warum können sie nicht aufgeschoben werden bis zu einer Synode nach dem Religionsgespräch? Dieser Fragestellung gilt der elfte Abschnitt mit seiner eigenen Untergliederung in fünf Punkte. Als dritter Hauptaspekt kommt schließlich das Verfahren der Verwerfungen bezogen auf deren Reichweite zur Erörterung (3.6.3): Ist es zulässig, Verwerfungen in dem geforderten Umfang ohne förmlichen synodalen Prozeß auszusprechen? Die Ausführungen dazu finden sich im unnumerierten zwölften Abschnitt. Zur Erörterung der drei Hauptaspekte kommt in den Abschnitten 8 und 9 eine Abwägung der Konsequenzen hinzu, die bei einer Entscheidung im Sinne des Gutachtens oder aber bei einer gegenteiligen Entscheidung zu gewärtigen wären. Hier erfährt das Gutachten seine Zuspitzung auf die Alternative zwischen Scylla und Charybdis, zwischen dem Vorwurf des Schismas und dem Tatbestand der Heuchelei (3.6.4). Innere und äußere Gliederung führen hin auf die Gesamtkonklusion (3.6.5)
3.6.1 Zur Spezifizierung der Verwerfungen 3.6.1.1 Verwerfungen in specie versus Verwerfungen in genere Bei der Anforderung des Gutachtens gab Herzog Johann Friedrich als Mehrheitsmeinung der von den Ständen Augsburgischer Konfession deputierten Theologen an, „daß die eingeführten Irrthum und Corruptelen nicht ffentlich in Specie, sondern ingemein verdammt werden sollen“316. Der 316 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317.
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
263
entscheidende Gegensatz in Bezug auf die Verwerfungen war somit nach Auffassung des Herzog, ob die Verwerfungen ‚öffentlich in specie‘ oder aber ‚ingemein‘ vorgenommen werden sollten. Worin der Gegensatz näherhin bestand, erhellen die Mitteilungen der ernestinischen Deputierten vom 21. August, auf denen die herzogliche Angabe basierte. Die Deputierten hatten die Einschätzung mitgeteilt, die übrigen Evangelischen in Worms würden mehrheitlich darauf hinwirken, „daß kein Irrthum […] angefochten und nahmhaftig verdammet werde, sondern werden es bei dieser General=Clausel bleiben lassen, daß man sich zur Augsburgischen Confession bekenne, dargegen alles, was der zuwider sey, in genere also verdamme, daß man keines Irrthums in specie gedenke […].“317 Eine Verwerfung ‚in specie‘ zeichnete sich somit dadurch aus, daß der jeweilige „Irrthum“ „angefochten und nahmhaftig verdammet“ würde, i. e. daß er argumentativ bestritten und im Vollzug der Verwerfung ausdrücklich beim Namen genannt würde. Eine lediglich ‚ingemein‘ oder ‚in genere‘ vorgenommene Verwerfung hingegen bezöge sich nicht auf einzelne, namentlich kenntlich gemachte Irrlehren, sondern verwürfe in allgemeiner Form alles, was im Gegensatz zum affirmierten Bekenntnis steht. Beide Modi der Verwerfung könnten öffentlich vollzogen werden. Aus der Gegensatzbildung ‚öffentlich in specie‘ und ‚ingemein‘ dürfte daher die Erwartung sprechen, daß der Widerspruch gegen spezifizierte Verwerfungen sich gerade auch dagegen richten würde, solche Verwerfungen in der Situation des Reichsreligionsgesprächs öffentlich und mithin vor den römisch-katholischen Kontrahenten zu vollziehen. Das Verwerfungsgutachten setzt mit dem Herzog die Spezifizierung der Verwerfungen als notwendig voraus und fokussiert deren Erörterung daher auf die Frage, ob die Irrlehrer namentlich verdammt werden müßten. Mit Schriftbelegen versuchen die ernestinischen Deputierten, die Notwendigkeit namentlicher Damnationen der Irrlehrer zu erweisen. Aus Jesu Warnung vor den falschen Propheten (Mt 7,15) folgern sie, daß man falsche Propheten „namhafftig und bekand machen“ müsse, da sich niemand „vor vnbekandten“ hüten könne (Verwerf.-Gtn., Abschnitt 1: fol. 130r). Weiter verweisen sie auf Christus mit seinen Worten gegen Schriftgelehrte und Pharisäer, auf die alttestamentlichen Propheten mit ihrer Götzenkritik und auf Paulus mit den im zweiten Timotheusbrief überlieferten Aussagen gegen einzelne, namentlich genannte Abweichler318 als maßgebliche und verpflichtende Vorbilder dafür an, daß Irrlehrer beim Namen genannt werden müßten (Abschnitt 2–4: fol. 130r–131v). Auch das Beispiel der Kirchenväter, welche „mit namen/die Ketzer Jhrer zeit/verdammet“ hätten, wird angeführt (Abschnitt 4: fol. 131v). 317 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 237, Nr. 6316; Hervorhebung B. S. 318 2 Tim 1,15; 2,17.
264
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Als Ziel der namentlichen Verdammung von Irrlehrern gibt das Gutachten an: „[…] damit man sie kenne / vnnd wisse sie zu fliehen und meiden“ (Verwerf.-Gtn., Abschnitt 4: fol. 131v). Der fünfte Abschnitt der Begründungen expliziert den Gedanken, man müsse die Irrlehrer kennen, noch weiter. Anders als die vorausgegangenen Abschnitte setzt er nicht mit einem Schriftzitat ein, sondern beginnt mit der Feststellung: „Es ist von notten in ecclesiasticis certaminibus/Das man wisse/welche vnsere vertrawte freund/ vnd mitgehilffen / welche hinwider / vnsere Feind vnnd widerpart seyen“ (Abschnitt 5: fol. 131v). Die angefügte Begründung fällt sehr pragmatisch und allgemein aus: „Dann niemandt steht gern Jnn einer Schlacht gegen die feinde / neben eim Solchen / vor dem er Sich / Ja so hoch / besorgen müsse / als vor seinem offentlichen feinde.“ Es folgen noch biblische Belege für die Verpflichtung zur Solidarität mit allen Gottesfürchtigen (Ps 119,63) und für den geforderten Haß nicht allein auf öffentliche Feinde, sondern auch auf falsche Brüder (Ps 26,4). 3.6.1.2 Die ekklesiologische Dimension der Verwerfungen Die Verortung der Problematik „in ecclesiasticis certaminibus“ (Verwerf.Gtn., Abschnitt 5: fol. 131v), in kirchlichen Streitigkeiten, zeigt an, in welchen systematischen Zusammenhang für die Verfasser des ‚Verwerfungsgutachtens‘ die erörterten Fragen gehören: Die Verwerfungen haben für die ernestinischen Deputierten eine eminent ekklesiologische Dimension. Letztlich sollten sie ihrer Auffassung nach der Scheidung zwischen falscher und wahrer Kirche dienen, die sie um der unverfälschten Verkündigung des Evangeliums willen für notwendig hielten. Es war zur Zeit des Wormser Religionsgesprächs evangelisches Gemeingut, daß im Modus von Verwerfungen Abgrenzung gegenüber Irrlehre vollzogen werden müsse. Umstritten waren hingegen außer Verfahrensfragen insbesondere die Reichweite der Verwerfungen, welche Lehrmeinungen also zu verwerfen seien, sowie grundsätzlich die Bedeutung der Verwerfungen für die Wahrung kirchlicher Einigkeit. Die ernestinischen Deputierten bieten in ihrem Gutachten für Herzog Johann Friedrich keine explizite Darlegung ihrer grundsätzlichen Auffassung über die Bedeutung der Verwerfungen. Die Ausführungen in Abschnitt 5 des Verwerfungsgutachtens zeigen aber an, daß ihrer Auffassung nach den Verwerfungen „in ecclesiasticis certaminibus“ wegen ihrer orientierenden Funktion eine hohe Bedeutung zukommt. Die Verwerfungen klären den Verlauf der Fronten, und das um so präziser, je distinkter Lehrverfälschungen als solche kenntlich gemacht werden, was spezifizierte Verwerfungen besonders gut zu leisten vermögen.
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
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Gerade in der kontroverstheologischen Frontstellung des Reichsreligionsgesprächs, die von vornherein geprägt war durch die wechselseitige Bestreitung des Anspruchs, wahre Kirche zu sein, erschien deshalb die Klärung auch des binnenprotestantischen Frontverlaufs durch spezifizierte Verwerfungen als unumgänglich. Denn die Verpflichtung zur entschiedenen Abgrenzung betraf „nit allein / die ofentliche feinde / die Papisten / die vns weniger Schaden zufugen kunnen dan andere/Sunder auch die falschen bruder/die es mit allerley Sectirern hallten/mitt Jhnen vnter der decke liegenn/ vnd vnderm schein des friedens verblumete / betrugliche / vnnd geferliche Conciliationes vnnd vergleichung furgeben“ (Abschnitt 5: fol. 131v–132r). Die Beschreibung der falschen Brüder ist transparent auf die aus gnesiolutherischer Sicht unerträgliche Verwischung der Fronten zwischen wahrer und falscher Kirche durch die vorgeblich nur Adiaphora betreffenden Kompromisse zur Zeit des Interims. 3.6.1.3 Spezifizierte Verwerfungen und Personalkondemnationen Spezifizierte Verwerfungen hielten die ernestinischen Deputierten mithin für unabdingbar, gerade auch im Blick auf den Adiaphorismus (vgl. Verwerf.-Gtn., Abschnitt 12: fol. 135r). Geht das sehr klar aus dem Gutachten hervor, so ist hingegen wesentlich weniger deutlich, welche Form die spezifizierten Verwerfungen genau haben sollten, i. e. ob dabei an Personalkondemnationen gedacht war. Die Ausgangsfrage des Gutachtens läßt es in der Schwebe, ob in der Formulierung „[…] Do nit zuvor alle alte vnnd Newe Irthumbe vnd Seckten /mit namen vordammet wurden […]“ (Einleitung: fol. 130r; Hervorhebung B. S.) die Namen der Irrtümer und Sekten oder die Namen der Irrlehrer gemeint sind. Die Konkretionen in den Abschnitten der Begründung weisen in eine andere Richtung. So heißt es im ersten Abschnitt, man müsse sagen: „Dieser Nemlich / Cinglius Osiander etc. ist ein falscher Prophet.“ (Verwerf.-Gtn., Abschnitt 1: fol. 130r). Eine entsprechende Formulierung findet sich im dritten Abschnitt in der Reflexion über die Konsequenzen, die sich ergeben, wenn „mann […] die lehrer […] mit namen nennet vnd verdammet/als Zwinglium/Osiandrum vnd andere“ (Abschnitt 3: fol. 131r). Scheint somit an strikte Personalkondemnationen gedacht zu sein, so belegt die Fortsetzung der zuletzt angeführten Stelle jedoch, daß das Gutachten die Wendung ‚mit Namen verdammen‘ nicht stringent gebraucht. Es wird dort nämlich darauf verwiesen, daß „solche falsche lehrer / Jm Regensburgischen NebenAbschied/mit namen verworffen und verdammet werden“ (Abschnitt 3: fol. 131r). Im Regensburger Nebenabschied aber finden sich keine eigentlichen Personalkondemnationen von Irrlehrern, vielmehr ist dort in Form von Gruppenbezeichnungen die Rede von „Sa-
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
cramentiern widerteuffern Schwenckfeldern, Osiandrischen und anderen“, die sich neben der Augsburger Konfession eingeschlichen hätten und aus dem Religionsfrieden ausgeschlossen seien.319 Läßt sich das noch als ungefähre Zitation des Nebenabschieds aus dem Gedächtnis erklären, so zeigt sich ein nicht stringenter Gebrauch der Wendung ‚mit Namen verdammen‘ aber auch innerhalb des Verwerfungsgutachtens, wenn es im neunten Abschnitt unter Verweis auf eigene frühere Schriften heißt, man habe darin „mit namen verdammet die Lehr Osiandri, Zwinglij, Maioris, Adiaphoristarum etc.“ (Abschnitt 9: fol. 132v–133r; Hervorhebung B. S.). Der angeführte Beleg ist zusätzlich aufschlußreich, weil es hier unter „mit namen verdammet“ subsumiert wird, daß man „die Lehr […] Adiaphoristarum“ verworfen habe. Damit ist ein äußerst heikler Punkt berührt, denn als Hauptvertreter oder sogar Urheber des unbedingt zu verwerfenden Adiaphorismus galt den gnesiolutherisch orientierten Kreisen niemand anderes als Philipp Melanchthon. Die Frage, ob das Verwerfungsgutachten auf Personalkondemnationen zielt, läßt sich daher zuspitzen auf die Frage, ob daran gedacht war, den in Worms anwesenden Melanchthon wegen des Adiaphorismus als Person und mit Namen zu verwerfen. 3.6.1.4 Das Problem einer namentlichen Verwerfung Melanchthons Das Verwerfungsgutachten wie auch die sonstigen Stellungnahmen der ernestinischen Deputierten geben über die Frage einer namentlichen Verwerfung Melanchthons nicht ausdrücklich Aufschluß. Auffällig ist aber, daß in der zuletzt zitierten Aufzählung auf die Genitivattribute „Osiandri, Zwinglij, Maioris“ kein Name folgt, etwa ‚Melanchthonis‘ oder ‚Philippi‘, sondern die Gruppenbezeichnung „Adiaphoristarum“. Und auch dort, wo Formulierungen im Verwerfungsgutachten der Form von Personalkondemnationen sehr nahekommen, werden nur Zwingli und Osiander als namentliche Beispiele angeführt. Offensichtlich bestand eine Scheu davor, auch im Blick auf Melanchthon eine Personalkondemnation zu fordern oder vorzuschlagen. Da Melanchthon, der führende Theologe der protestantischen Vormacht Kursachsen, in Worms anwesend war und ihm von der Mehrheit der evangelischen Deputierten wie auch von den römisch-katholischen Kontrahenten die Führungsrolle unter den evangelischen Theologen zuerkannt wurde, hätte es nicht nur großen Mutes, sondern mehr noch einer erstaunlichen Ungerührtheit gegenüber den faktischen Aussichten auf Realisierung bedurft, eine direkte Personalkondemnation Melanchthons zu verlangen. Einem Mann wie Basilius Monner wäre eine solche Ungerührtheit an sich 319
Art. 2 NA Regensburg 1557: Sattler IV, Anhang S. 102, Nr. 37.
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
267
zuzutrauen. Aber selbst Flacius und die Magdeburger hatten nie verlangt, daß Melanchthon sich selbst namentlich wegen des Adiaphorismus verdammen sollte320. Auf einer gemeinsamen öffentlichen Verwerfung des Leipziger Interims oder zumindest einer Verwerfung der Adiaphoristen durch Melanchthon hatten sie hingegen in der Coswiger Handlung Anfang 1557 bestanden.321 Der bisherigen Linie entsprechend werden auch die ernestinischen Deputierten keine Personalkondemnation Melanchthons angestrebt haben, sondern vielmehr eine explizite Verwerfung des Adiaphorismus oder der Adiaphoristen. So erklärten Schnepf, Strigel, Stössel, Monner und Sarcerius später in ihrer ‚Großen Protestationsschrift‘, sie wollten „verdammen und für verdammt halten […] auch die Adiaphoricas actiones“322. Das ist nun allerdings keine Personalkondemnation, und mustert man die ‚Große Protestationsschrift‘ sowie die Bekenntnis- und Verwerfungserklärung an den Präsidenten vom 23. September durch, so finden sich dort auch sonst keine direkten Kondemnationen einzelner Personen.323 Direkter Gegenstand der Verwerfungen sind vielmehr die „Secten und Corruptelen“324. Namen von Personen finden sich in den Verwerfungsaussagen nur im Genitiv oder in Form von Adjektivderivaten325 hinzugesetzt zu den Begriffen wie ‚Sekte‘,
320 Eine Personalkondemnation Melanchthons wurde erst im Jahr 1577 von den preußischen Bischöfen Heßhusen und Wigand in ihrer Zensur des Torgischen Buches im Rahmen der Konkordienverhandlungen gefordert (vgl. Gensichen, S. 120 f.). 321 Vgl. Preger II, S. 50.57. 322 ‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 288, Nr. 6350 = Heppe I, Anhang S. 16 f., Nr. VI. 323 Die scheinbar einzige Ausnahme – „So viel nun erstlich den Osiandrum belangt, haben wir sämtlich und sonderlich neben viel andern Kirchen und Schulen ihn darum verdammet […].“ (‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 289, Nr. 6350) – ist nach Überprüfung an Weimarer Abschriften der Protestationsschrift (ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231 , fol. 219r–240v; Reg. N 237, fol. 22r–33v) in „Osiandrismum“ zu korrigieren (so auch Heppe I, Anhang S. 17, Nr. VI). Daß ebenfalls rückblickend auf die nicht erlangte „specialis condemnatio Osiandri, Cinglii [etc.]“ rekurriert wird (‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 289, Nr. 6350 = Heppe I, Anhang S. 16, Nr. VI; das „etc.“ nach Heppe), dürfte in Anbetracht des übrigen Befundes eher als eine verkürzte Ausdrucksweise aufzufassen sein, als daß hier eine andere Form der Verwerfung gemeint wäre. 324 Die gnesiolutherischen Deputierten wollen mit ihrer Protestation „etliche Ursachen und Argumenta anzeigen, warum wir bis anher so hart gedrungen auf eine specialem condemnationem gedachter Secten und Corruptelen“ (‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 290, Nr. 6350 = Heppe I, Anhang S. 17, Nr. VI; Hervorhebung B. S.; weitere Belege passim in der‚ Großen Protestationsschrift‘). 325 So in der Formulierung „contra sectam Zvvinglianam“ in der späteren gnesiolutherischen Bekenntnis- und Verwerfungserklärung (Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner, S. 65, Copia B = Heppe I, Anhang S. 26, Nr. VIII).
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
‚Lehre‘ oder ‚Irrtum‘sowie in Bildungen mit dem Morphem ‚-ismus‘ wie ‚Osiandrismus‘ und ‚Zwinglianismus‘. Die Personennamen dienen hier zur Kennzeichnung der verschiedenen Sekten und Verfälschungen durch die Angabe ihrer Urheber, ohne daß die Personen selbst direkter Gegenstand der Verwerfungen würden. Der geschilderte Befund darf nicht überbewertet werden, denn wie bei Luther ist auch bei späteren evangelischen Theologen bis in die Zeit der Konkordienformel die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Verwerfung der Irrlehre und Verwerfung der Irrlehrer, zwischen Person und Sache im Verwerfungsvollzug nicht voll durchgebildet.326 Darauf dürften auch die terminologischen Schwankungen im Verwerfungsgutachten zurückzuführen sein. Sachgrund der relativen Unbestimmtheit sind die gleichrangigen Überzeugungen, daß einerseits die Irrlehre nicht von der Person des Irrlehrers zu trennen sei,327 andererseits die Irrlehrer sich ihr Urteil aber nach biblischem Zeugnis (Tit 3,11) bereits selbst gesprochen hätten und Folgerungen aus der Verwerfung der Irrlehre für die Person des Irrlehrers in das von der Lehrzucht zu unterscheidende Gebiet der Kirchenzucht gehörten328. Für das Verständnis der innerevangelischen Auseinandersetzungen in Worms ist der Befund dennoch von Belang, weil von württembergischer Seite Vorbehalte gegen Personalkondemnationen im engeren Sinn geltend gemacht wurden. So erläuterte das württembergische ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ die Gründe, aus denen die Württemberger sich vorab festlegten, „specifice und personales condemnationes ettlicher personen inter nostros“329 abzulehnen. Genau im Insistieren der ernestinischen Deputierten „auf verdammung etlicher angezogner personen“ sah der württembergische Herzog im Verbund mit Kurfürst Ottheinrich später die Ursache für die im Abzug der gnesiolutherischen Deputierten manifestierte Spaltung der Theologen in Worms.330 Schnepf und Strigel, vom sächsischen Herzog zu einer Stellungnahme gegen die württembergisch-pfälzischen Vorhaltungen aufgefordert, erklärten: „Wir haben vil mher auff die falsche dogmata, dann auff die personas gedrungen, welche vns zvm teil vnbekandt sein gewesen, zum teil nichts in ungutten mit vns biss anher nit zu thun gehapt“331. Weiter erläuterten 326
Vgl. Gensichen, S. 52.80.115.121 f.158. Vgl. Gensichen, S. 115. 328 Vgl. Gensichen, S. 52. 329 Württembergisches ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ vom 8. August 1557: Wolf, S. 295, Nr. 27. 330 Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., o. O. 16. November 1557: Ernst IV, S. 441, Nr. 353. 331 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., [Jena] 15. Dezember 1557: Wolf, S. 364, Nr. 54. 327
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
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sie, weshalb der Vorrang der Lehrverwerfung vor der Verwerfung der Lehrenden nun aber keinen völligen Verzicht auf deren namentliche Erwähnung bedeutete: „[…] das wir aber die personas neben den falschen vnd schedlichen dogmatibus aussdruckenlich gemeldet haben, ist nit vnbillich beschehen, dieweil man alzeyt soll vnd muss die causam melden, so oft man gründlich de effectu reden will, gleich wie man pfleget die fruchten nach den bemen, so sie getragen, zu nennen“332. Die Namensnennungen in den Verwerfungsaussagen sollten demnach dazu dienen, die Urheber der Lehrverfälschungen anzugeben. Die referierte Auskunft zweier Mitverfasser der ‚Großen Protestationsschrift‘ bestätigt den Befund in den in Worms eingereichten gnesiolutherischen Protestationen. Den gnesiolutherischen Deputierten in Worms ging es somit nicht um Personalkondemnationen im engeren Sinn, sondern um – so auch ihr Vorzugsterminus – spezifizierte Verwerfungen der Lehrverfälschungen. Zu der geforderten Spezifizierung gehörte für sie allerdings in der Regel die Namensnennung der Urheber der Irrlehren. Im Blick auf den Adiaphorismus konnten sie darauf aber auch verzichten: Hier genügte ihnen zur Spezifizierung die ausdrückliche Erwähnung des Begriffes ‚Adiaphora‘ oder seiner Derivate wie ‚adiaphorisch‘, ‚Adiaphorismus‘ und ‚Adiaphoristen‘; an eine namentliche Verwerfung Melanchthons hingegen war nicht gedacht. Den Württembergern ging indes eine Spezifizierung durch Namensnennung zu weit; solchermaßen spezifizierte Verwerfungen galten ihnen als Personalkondemnationen, gegen die sie sich vorab festgelegt hatten. Zu einem Austausch über Sinn und Form der Verwerfungen, in dem die unterschiedlichen Auffassungen so erläutert worden wären, daß beiden Seiten zumindest klar hätte werden können, was der Standpunkt der Gegenseite und seine Begründung waren, ist es in Worms aber nicht gekommen. Eine solche voraussetzungsbezogene Reflexion über Verwerfungen fand jedoch auch sonst nicht statt; Auseinandersetzungen um Verwerfungen blieben dem Streit um die Lehren, deren Verwerfung strittig war, verhaftet.333 Erst im Zuge des Konkordienwerkes sollte es hier zu weiteren Klärungen kommen.334
332 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., [Jena] 15. Dezember 1557: Wolf, S. 364, Nr. 54. 333 Gensichen kommt in seiner Bilanz zur Entwicklung des Verwerfungsproblems zwischen der Vorlage der CA 1530 und dem Naumburger Fürstentag 1561 zu dem Ergebnis, „daß die Ketzerverwerfung als solche auch in diesen drei Jahrzehnten […] nicht eigentlich Gegenstand der theologischen Reflexion geworden ist. […] Seine Lösung [scil. die Lösung des Verwerfungsproblems] wird nicht so sehr in Diskussionen um Sinn, Reichweite und Gewicht der Verwerfungen gemacht [sic!], als vielmehr im Kampf um die in Frage stehenden Lehrpunkte selbst.“ (Gensichen, S. 110). 334 Vgl. Gensichen, S. 145 f.
270
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
3.6.2 Tempus condemnandi: Zum Zeitpunkt der Verwerfungen Die zeitliche Komponente ist bereits in der Ausgangsfrage des Verwerfungsgutachtens berücksichtigt, ob man sich mit gutem Gewissen am Reichsreligionsgespräch beteiligen könne, wenn „nit zuvor“ die erforderlichen Verwerfungen ausgesprochen würden (Verwerf.-Gtn., Einleitung: fol. 130r). Ein grundsätzlicher, biblisch begründeter Bescheid dazu findet sich bereits im sechsten Abschnitt der Begründungen: „Es wirt furgewendet, das die zeit Jtzunden nit leiden wolle/das man der Sectarum halben / handlung furnheme/Darwider bedacht soll werdenn/das 2. Timo: 4 steht/ Insta opportune Jmportune335 etc. darum zu aller zeit/Secten vnd falsche Lehren verworffen sollen werden/vnn Jhe eher/Jhe beßer.“ (Abschnitt 6: fol. 132 r).
Ist demnach grundsätzlich jederzeit tempus condemnandi, so wird im elften Abschnitt eigens diskutiert, ob die Verwerfungen nicht, wie vielfach gefordert, zumindest bis nach dem Religionsgespräch, näherhin bis zu einer künftigen Synode (vgl. Abschnitt 11.4: fol. 134r) aufgeschoben werden sollten. In fünf Unterpunkten begründen die ernestinischen Deputierten, weshalb sie einen solchen Aufschub ablehnen. An erster Stelle verweisen sie dabei auf das vorgeschrittene Alter und die „durch grosse arbeitt vnnd allerley trubsall“ verursachte Schwächung einiger der in Worms versammelten evangelischen Theologen (Abschnitt 11.1: fol. 133v). Im Blick dürften dabei insbesondere der 60jährige Melanchthon und der 58jährige Brenz sein. Sollten die Alten und Geschwächten ableben, so würde es als pietätlos betrachtet werden, dann noch Entscheidungen gegen sie zu fällen. „Darumb ist viell sicherer/Jtzunden als bald/dieweill wir beyeinander noch sein/die falsche dogmata zu damnieren […]“ (fol. 133v). Das Wormser Religionsgespräch erscheint so gesehen geradezu als Kairos, um rechtzeitig zu den geforderten Verwerfungen zu kommen. Unausgesprochen steht dahinter die Erwartung, daß es eine vergleichbare Theologenzusammenkunft so bald nicht wieder geben werde. Das zweite Argument bezieht sich auf die orientierende Funktion der Verwerfungen für die durch theologische Auseinandersetzungen verwirrten einfachen Gläubigen und deren „[s]chwache gewissen“ (Abschnitt 11.2: fol. 133v–134r). Im Blick auf solche Gläubigen sei kein Aufschub zu dulden, „damit nitt Jhr blute von vnsern handen erfordert mocht werden“ (fol. 134r). Die Anspielung auf Ez 3,18336.20 oder 33,6.8 unterstreicht den Ernst der Forderung. Zugleich ist sie aufschlußreich für das Selbstverständnis der ernestinischen Deputierten: Sie sehen ihre Verwerfungsforderung als Ausübung des prophetischen Wächteramtes an. Die Begründung der 335 2 Tim 4,2 Vg.: „praedica verbum insta opportune inportune argue obsecra increpa in omni patientia et doctrina […]“ („Predige das Wort, steh dazu, es sei zur Zeit oder zur Unzeit; widerlege, flehe, tadele mit aller Geduld und Lehre […]“). 336 Ez 3,18: „Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt des Todes sterben! und du warnst ihn nicht und sagst es ihm nicht, um den Gottlosen vor seinem gottlosen Wege zu warnen, damit er am Leben bleibe, – so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.“ (Hervorhebung B. S.).
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
271
Notwendigkeit von Verwerfungen mit dem notwendigen Schutz der Gewissen der Gemeindeglieder ist im übrigen auch von Luther wiederholt besonders herausgestellt worden.337 Als dritten Grund gegen einen Aufschub führen die ernestinischen Deputierten an, ein Aufschub könnte die römisch-katholische Seite insofern stärken, als man sich dem Vorwurf aussetzte, der sonst von sicherer Basis aus wortgewaltig geführten Auseinandersetzung mit den „Sectarijs“ in der direkten Konfrontation auszuweichen (Abschnitt 11.3: fol. 134r). Der vierte Punkt hat die politische Großwetterlage zum Gegenstand, in der wegen äußerer Bedrohung durch Krieg und Unruhe und wegen der inneren Unstimmigkeiten zwischen den evangelischen Ständen das Zustandekommen einer künftigen Synode sehr fraglich sei (vgl. Abschnitt 11.4: fol. 134r). An fünfter Stelle äußern die Deputierten schließlich die Befürchtung, daß sie wegen der im Regensburger Reichsabschied festgeschriebenen Geheimhaltung der Verhandlungen des Religionsgesprächs bis zum nächsten Reichstag „bey allen gutthertzigen“, also den gleich ihnen Gesinnten, in Verdacht geraten könnten, wenn nicht wenigstens vor dem Religionsgespräch und somit noch publizierbar die interne evangelische Auseinandersetzung ausgetragen würde (Abschnitt 11.5: fol. 134r). Worauf sich der Verdacht richten könnte, bleibt unausgesprochen. Es liegt jedoch nahe, daß es den durch die Gegnerschaft zum Interim verbundenen Sympathisanten der ernestinischen Deputierten als verdächtig hätte erscheinen müssen, wenn die ernestinischen Deputierten sich gemeinsam mit den als Adiaphoristen geltenden Theologen in geheime Verhandlungen mit der römisch-katholischen Seite eingelassen hätten, ohne daß zuvor eine aus gnesiolutherischer Sicht nur in Form von Verwerfungen vorstellbare Überwindung des Adiaphoristischen Streits und anderer innerevangelischer Differenzen erreicht und öffentlich bekundet worden wäre. Das war um so mehr zu erwarten, als die ernestinischen Deputierten davor gewarnt worden waren, daß die römisch-katholische Seite sich die innerevangelischen Differenzen zunutzen machen wolle, um die verschiedenen evangelischen Richtungen gegeneinander auszuspielen, etwa mit der Frage, ob sie der CA von 1530 oder aber Melanchthons Confessio Saxonica den Vorzug gäben (vgl. Abschnitt 11.5: fol. 134rv). Der letztgenannte Aspekt wird in der Konklusion des gesamten elften Abschnitts noch einmal besonders herausgestellt. Dem eigenen Resümee, es sei „allwege von nötten […] / das wir zuuor von den Sachen reden vnnd vns miteinander / do es muglich were / vergleichen mochten“, stellen die ernestinischen Deputierten hier die entgegengesetzte Auffassung gegenüber, daß es besser wäre, „vnuerglichen“ in das Religionsgespräch einzutreten, „damit nit das ganntz Colloquium zerschlagen mocht werdenn“ (Abschnitt 11: fol. 134v–135r). Für den Fall eines Eintritts in das Religionsgespäch ohne vorherige interne Verständigung erwarten die Verfasser des Verwerfungsgutachtens aber, daß die römisch-katholische Kontrahenten sicherlich „vnns widereinander vor Jren augen hetzenn/vnd vnns Jhnen zum frewden Spiell furstellen und machen wurden“ (fol. 135r).
Ist nach Ansicht der ernestinischen Deputierten, wie von ihnen vorab unter Berufung auf 2 Tim 4,2 festgestellt, jederzeit tempus condemnandi, so gilt das erst recht im Blick auf das bevorstehende Religionsgespräch. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel sahen sich daher vor die Aufgabe gestellt, ihrer 337
Vgl. Gensichen, S. 54 bei Anm. 179; unten S. 276 zitiert in Anm. 348.
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
Auffassung bei allen evangelischen Deputierten praktische Anerkennung in Form der geforderten gemeinsamen Verwerfungen zu verschaffen. Anderenfalls war es ihres Erachtens nicht möglich, gemeinsam in das Religionsgespräch einzutreten.
3.6.3 Zur Reichweite und zum Verfahren der Verwerfungen Auch zum Verfahren der Verwerfungen bietet das Verwerfungsgutachten eine biblische Grundlegung, indem es im siebten Abschnitt auf die Zurechtweisung des Petrus durch Paulus in Antiochia nach Gal 2,11–14 verweist: „Mann lese mit vleis/vnnd erwage grundtlich das 2. Capitel zunn Galatern/ Jn welchem Paulus / ofentlich vor Jederman / straffet Petrum / so bald er Jhme befinndet Strefflich / schauet sein gar nitt / darumb das er nitt Richtig einher giennge / nach der warheit des Evangelii etc.“ (Verwerf.-Gtn., 7. Abschnitt: fol. 132r). Ohne daß es weiter ausgeführt würde, ergeben sich aus den Hervorhebungen am biblischen Beispiel für das Verwerfungsverfahren die Folgerungen, daß es öffentlich, ohne Ansehen der Person und gegebenenfalls auch gegen Autoritäten durchzuführen sei. Außerdem dient das Beispiel implizit zur Illustration dessen, daß ein einzelner, sobald er einen Verstoß gegen die Wahrheit des Evangeliums feststellt, die erforderliche Lehrzucht üben kann. Auf das Verfahren der Verwerfungen kommt das Gutachten noch einmal ausführlich im unnumerierten zwölften Abschnitt zurück. Vorangestellt sind hier Ausführungen zu der von den ernestinischen Deputierten für erforderlich gehaltenen Reichweite der Verwerfungen: Es gehe nicht nur um den Adiaphorismus, sondern auch um Zwinglianismus, Osiandrismus, Majorismus und andere Irrlehren (Verwerf.-Gtn., Abschnitt 12: fol. 135r). Unausgesprochen wird hier wohl die Auffassung abgewehrt, im Rahmen des Religionsgesprächs als einer Auseinandersetzung mit der römisch-katholischen Seite reiche es aus, Vorkehrungen gegen eine Wiederholung der adiaphoristischen Verfehlungen zu treffen. Weiter heißt es, die angeführten „Irthumbe“ müßten „zu mal vnnd miteinander […] reijciert vnnd verdammt werden“; anderenfalls sei die alte, vorinterimistische Einigkeit nicht wiederzuerlangen (ebd.). In der Argumentation des Gutachtens tritt die ekklesiologische Dimension der Verwerfungen noch einmal besonders deutlich hervor. Ohne die Verwerfungen sämtlicher Irrlehren im Verbund – freilich in Form spezifizierter Verwerfungen – kann die durch die Irrlehren zerstörte vera unitas ecclesiae338 338 Vgl. CA 7: „Et ad veram unitatem eccelsiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum.“ (BSELK, S. 61, Z. 6–9).
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
273
nicht wiedererlangt werden, denn erst wenn die Irrlehren sämtlich und im Verbund verworfen sind, ist das für die unitas ecclesia konstitutive consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum339 wieder gegeben. Ziel der geforderten Verwerfungen ist demnach nicht Trennung, sondern Rückkehr zur Einigkeit. Die ekklesiologische Dimension wird durch die Metapher des einen Leibes unterstrichen, die das Gutachten anfügt: Nur bei Verwerfung sämtlicher Irrlehren im Verbund werde man „nitt ein zerissener Rock pleibenn/Sunder mit hertzen vnnd munde/Jm grund vnd der Warheit/vereiniget/zu einem rechtschaffenen Leib widerumb ergenzett werdenn“ (Abschnitt 12: fol. 135r; Hervorhebung B. S.).
Mit der beschriebenen ekklesiologischen Begründung der Verwerfungen ist es auch zu erklären, daß die ernestinischen Deputierten sich später nicht auf den Vorschlag einlassen konnten, ihre Verwerfungen erst bei den einzelnen Artikeln auszusprechen. Im Blick auf ihre umfangreiche Forderung nach Verwerfungen rechnen die ernestinischen Deputierten mit dem Einwand, daß ein förmlicher synodaler Prozeß nötig sei, um Verwerfungen auszusprechen. Näherhin könnte sich der Einwand einerseits darauf richten, daß niemand ungehört, ohne synodales Verhör mit anschließender Beratung und Verurteilung verworfen werden dürfe, andererseits darauf, daß die Anzahl der in Worms Versammelten zu gering für Verwerfungen sei, die nur „ein gantzer volkommener Synodus“ aussprechen dürfe (Abschnitt 12: fol. 135v). Solche Einwände waren in der Tat bereits erhoben worden, wie die Deputierten dem Herzog bereits am 21. August berichtet hatten,340 wobei sie bereits den ersten Einwand mit Argumenten zurückgewiesen hatten, die im Verwerfungsgutachten wörtlich wiederholt sind. Schriften und Bücher seien eine viel bessere Beurteilungsgrundlage als mündliche Verhandlungen (Abschnitt 12: fol. 135v). Zudem lehrten die Beispiele der Auseinandersetzungen mit dem Papsttum, mit Zwingli und mit Osiander, daß Verwerfungen durchaus ohne synodale Prozesse ausgesprochen werden könnten (fol. 135v–136r). Schließlich argumentieren die Verfasser des Verwerfungsgutachtens auch noch mit den negativen Konsequenzen: „So wurde der Teuffel seer gutt machen haben / wurde wol die gantze wellt vnuerhindert / mit seinem kott beschmeisset haben / Ehe man zu einem legitimo Synode / der nitt ohne grossen vntreglichen kostenn gehaltenn kundt werden/kummen möchte“ (fol. 136r). Im Rahmen der vor339 Mindestens die abendmahlstheologischen Kontroversen und die Auseinandersetzungen um das Täufertum betrafen neben der Verkündigung des Evangeliums auch die Sakramentsverwaltung. 340 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 237 f., Nr. 6316; vgl. oben S. 234 im Abschnitt 3.4.1 nach Anm. 186.
274
3. Informelle Vorbereitungen in Worms
gestellten Argumentation ist der Verweis auf die Kosten einer Synode zwar als Appell an den Geldbeutel des fürstlichen Empfängers des Gutachtens gewiß wirkungsvoll. Das eigentliche Gewicht aber liegt auf dem Begriff ‚unverhindert‘. Verwerfungen haben die Funktion, so die zugrundeliegende Auffassung, den Teufel an seinem verderblichen Wirken, der Zerstörung der Kirche durch die Verbreitung von Irrlehre, zu hindern. Wo der Teufel aber in dieser Weise am Werk ist, da ist Gefahr im Verzug und mithin ein Aufschub bis zu einer Synode keineswegs zu dulden. Die dargestellte Argumentation steht, ohne daß es ausdrücklich angezeigt würde, in der Tradition Martin Luthers, welcher der Gemeinde, aber auch jedem einzelnen Christen das Recht und die Pflicht zum Lehrurteil zugesprochen hatte.341 Von dem unmittelbaren, in der Existenz des Christen verankerten Zugriff Luthers auf die Frage der Verwerfungen rührt der konfessorische Impetus her, mit dem die gnesiolutherischen Deputierten in Worms auf den geforderten Verwerfungen bestanden und die Verwerfungen geradezu als ‚confessiones contra‘342 bezeichnen konnten.343 Der konfessorische Impetus der gnesiolutherischen Deputierten stand in Worms in schärfstem Gegensatz zur württembergischen Haltung, der an einem geordneten Verfahren gelegen war und die sich durch eine starke Tendenz zur Rechtsförmigkeit von Lehrauseinandersetzungen auszeichnete, weshalb es den Württembergern ausgeschlossen erschien, jemanden 341 Vgl. Gensichen, S. 54 f. Luthers Auffassung hat klassischen Ausdruck gefunden in seiner Schrift ‚Das eyn Christliche versamlung odder gemeynde recht vnd macht habe/ alle lere tzu vrteylen/vnd lerer tzu beruffen eyn vnd abtzusetzen/Grund vnd vrsach aus der Schrift‘ von 1523 (WA 11,408–416), in der es programmatisch heißt: „[…] Christus […] nympt den Bischoffen/gelerten vnd Concilien beyde recht vnd macht tzu vrteylen die lere / vnd gibt sie yderman/vnd allen Christen ynn gemeyn.“ (WA 11,409). 342 Strigel erklärte am 9. September seinem eigenen Bericht nach gegenüber Melanchthon, er und die übrigen gnesiolutherischen Theologen könnten nicht von ihren „vorgethanen confessionibus wider das Interim Osiandrum, Cinglium, Majorem vnd anders“ abgehen (Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48; Hervorhebung B. S.). In demselben Sinne rekurriert die ‚Große Protestationsschrift‘ auf „unsre vorgethane Confessiones“ (‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 286, Nr. 6350 = Heppe I, Anhang S. 14, Nr. VI). In der Bekenntnis- und Verwerfungserklärung an den Präsidenten heißt es dann: „[…] profitemur, nos retinere sententiam earum Confessionum, quae vel a nobis, vel ab alijs pijs & doctis viris, contra Thameri & Schwenckfeldy deliria, Serueti […] blasphema scripta[,] contra Interim & adiaphoricas actiones […], contra Osiandri dogma de iustificatione[,] contra sectam Zvvinglianam, & contra propositionem Majoris […], denique contra omnes corruptelas Euangelij, quæ hactenus editæ, & viua voce in templis aut scholis repetitæ, & inculcatæ sunt […]“ (Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner, S. 65, Copia B = Heppe I, Anhang S. 26, Nr. VIII [fehlerhaft]; Hervorhebung B. S.). 343 Nach Gensichen zeichnet es das gnesiolutherische „Verständnis der Verwerfung“ aus, daß es die „ständige Beziehung der reinen Lehre auf das aktuelle Bekennen sicherstellt“ (Gensichen, S. 114 f.).
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
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ungehört zu verwerfen.344 Die Württemberger standen mit ihrer Haltung allerdings nicht allein. Vielmehr hatte die Forderung, niemanden ungehört zu verwerfen, auf Betreiben des hessischen Landgrafen auch in die Handreichung für die Deputierten in Worms Eingang gefunden, die auf dem Frankfurter Konvent verabschiedet worden war.345 Die evangelischen Deputierten gingen daher mit unvereinbaren Auffassungen und Vorgaben über das für Verwerfungen erforderliche Verfahren in die internen Verhandlungen und das Reichsreligionsgespräch.
3.6.4 Abwägung der Konsequenzen „Wir schiffen draun346 Jnn diessem Rathschlag zwischen zweien gefherlichen felsen/ deren einer Schisma / das ist trennung / Der andere aber Hypocrisis / das ist heucheley / genennet mag werden“ (Verwerf.-Gtn., Abschnitt 8: fol. 132r). Mit der Ortsbestimmung zwischen Scylla und Charybdis eröffnen die ernestinischen Deputierten ihre Abwägung der Konsequenzen im achten und neunten Abschnitt des Verwerfungsgutachtens. Zwei mögliche Handlungsoptionen werden einander gegenübergestellt: entweder sich zu distanzieren von „denn andern / So die Sectas vnnd errores Jtzunden / nit in specie vnnd nominatim verdammen wollen“, oder sich zu arrangieren „mit vnsern allten freunden vnnd verwandten“ und nachzugeben (ebd.). Welche der beiden Handlungsoptionen sie aber auch ergreifen, rechnen die Verfasser des Verwerfungsgutachtens mit schwerwiegenden Konsequenzen. Im Falle der Distanzierung erwarten sie, als „Schismaticj / Das ist / abgetrente / vnnd gemeiner zwitracht vrsacher / “ beschuldigt zu werden (Abschnitt 8: fol. 132r). Arrangierten sie sich aber mit den Verweigerern der Verwerfungen, so würden sie sich „warlich / mit der347 vntreglichen vnd greulichen mackel der heucheley befleckenn“ (Abschnitt 8: fol. 132r–132v). In der Gegenüberstellung ist bereits ein deutlicher Unterschied zwischen den erwarteten Konsequenzen markiert: Als Schismatiker würden die ernestinischen Deputierten im Falle der Distanzierung nach ihrer Auffassung zu Unrecht beschuldigt. Der Heuchelei hingegen meinen sie sich tatsächlich schuldig zu machen, wenn sie nachgäben. Den Tatbestand der Heuchelei sähen sie darin erfüllt, daß sie bei einem Verzicht auf die Verwerfungen „die Jrrenden nit vermanen vnd straffen / sunder mit gotlosem 344
Vgl. oben den Abschnitt 2.3.2. Vgl. oben S. 129 im Abschnitt 2.1.2.5 bei Anm. 155. 346 Die Interjektion ‚traun‘ bedeutet ‚in Wahrheit!, fürwahr!, wahrhaftig!‘ (DWb Bd. 21, Sp. 1526 s. v. ‚traun‘). 347 Das Genus von ‚mackel‘ folgt hier offensichtlich der femininen lateinischen Form ‚macula‘. 345
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3. Informelle Vorbereitungen in Worms
stillschweigenn / Jhre halstarrigkeit / vnnd vnbußfertigkeit stercken“ (Abschnitt 8: fol. 132v),348 mithin wider besseres Wissen nicht gegen die Irrlehre einschreiten würden. Zudem gerieten sie, wie der neunte Abschnitt eigens entfaltet, in Widerspruch zu ihren früher verlautbarten Verwerfungen, was ihnen ebenfalls den berechtigten Vorwurf der Heuchelei eintragen würde: „Als die wir daheim auf vnserm mist / Lewen vnd kune helden / draussen aber forchtsame hirsch oder verzagte hasen weren.“ (Abschnitt 9: fol. 133r). Somit steht für die ernestinischen Deputierten in der Abwägung der Konsequenzen der „falsche bezicht / von wegen des Schismatis vnnd trennung“ im einen Fall der „wahre[n] vnd wolgegrundte[n] beclagung der heucheley“ im anderen Fall gegenüber (Abschnitt 8: fol. 132v). Ihre Präferenz ist klar: Lieber wollen sie sich zu Unrecht als Schismatiker bezichtigen lassen, als daß sie sich tatsächlich Heuchelei zuschulden kommen lassen. Auch Drohungen ihrer Kontrahenten mit einem „eusserlichen Krieg“349 vermögen sie davon nicht abzubringen, weil das Angedrohte aus ihrer Sicht geringer wiegt im Vergleich mit dem „Jnnerlichen Krieg des gewissens“, in den sie durch einen Verzicht auf die Verwerfungen gerieten (ebd.).
3.6.5 „Fiat iustitia & pereat mundus.“ Die Konklusion des Gutachtens Das Verwerfungsgutachten begründet die vorangestellte Verneinung der Ausgangsfrage, ob ein Eintritt in das Religionsgespräch mit den übrigen Deputierten Augsburgischer Konfession ohne vorherige gemeinsame spezi348 Auch wenn sie das nicht ausführen, dürfte den Verfassern des Verwerfungsgutachtens an der Vermahnung der Irrenden, die bei einem Verzicht auf die Verwerfungen unterbleiben würde, nicht nur um der Irrenden selbst willen gelegen sein. Vielmehr dürfte die Vermahnung der Irrenden insbesondere auch auf den Schutz derer, die jene verführen könnten, und der Kirche zielen. Das läge auf der Linie Luthers, für den „bei der Begründung der Verwerfungsurteile die Sorge um die zweifelnden Gewissen und für die kommenden Generationen der Gemeinde an erster Stelle vor dem Gedanken, daß man vielleicht auch einige der Irrenden selbst zur Wahrheit zurückbringen könne“ (Gensichen, S. 54), stand. 349 Direkte Kriegsdrohungen gegen die ernestinischen Deputierten sind nicht belegt, allerdings ließen spätere Warnungen an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. So heißt es in der ‚Gemeinsamen Relation‘ mit Bezug auf die Unterredungen des 22. September, die gnesiolutherischen Deputierten seien „mit sonderem vleis erinnert worden, des Vnrats so sich durch das[,] ir eigensinnig dürftig fornemen[,] zwischen vnser genedigsten vnd g. f. herrn vnd obern zutragen möchte“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 27v–28r). Noch deutlicher wurde am selben Tag der kursächsische substituierte Assessor Graf Eberstein-Neugarten. Er ermahnte die gnesiolutherischen Deputierten, sie sollten „auch sonderlich des haus Sachsen erbeinigung bedencken“ und sich nicht von den kursächsischen Deputierten absondern „in erwegung das solches nit zu kleiner verbitterung zwischen den herrn gereichen würde“ (ebd., fol. 28rv). Entsprechende Drohungen sind auch schon früher vorstellbar.
3.6 Das Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten
277
fizierte Verwerfungen mit dem Gewissen vereinbar sei. Es kann daher nicht verwundern, daß die Gesamtkonklusion zu einem entsprechenden Ergebnis kommt. Dem Herzog, der ihr „endliches, ausdr ckliches, christliches und schließliches Bedenken“ verlangt hatte,350 bekunden die Deputierten, sie seien „einmuttig/endtlich vnd außdruckenlich“ der Auffassung, es sei nötig, daß „man vor dem Colloquio / die vorgleichung vnter vns selber suche“. Sollte das aber nicht zum Erfolg führen, so steht für sie fest, „das wir mit denn andren gesandten / vnsers theils / nit fur ein mann gegen die Papisten stehn mogen351“ (Verwerf.-Gtn., Konklusion: fol. 136v). Im Gefälle des Gutachtens kann kein Zweifel daran bestehen, daß die geforderte Vergleichung nach Auffassung der ernestinischen Deputierten nur durch den gemeinsamen Vollzug der spezifizierten Verwerfungen erreicht werden könnte, auch wenn das hier nicht noch einmal eigens ausgeführt ist. Abschließend unterstreichen die Deputierten, daß sie sich der Konsequenzen ihrer Haltung vollkommen bewußt sind: „Wissen ser wol / habens auch aufs vleissigst vnnd engstigst / fur vnd fur betrachtet / Was fur grosse Ergernissen / der vnsern vnnd sterkung der Papisten solche trennung geberen werde“ (Konklusion: fol. 136v). Hier ist schon sehr deutlich vorausgesetzt, daß die geforderte Vergleichung durch gemeinsame spezifizierte Verwerfungen kaum mehr zu erreichen sein wird. Davon lassen sich die Verfasser des Verwerfungsgutachtens aber nicht beirren. Vielmehr berufen sie sich zur Begründung dafür, daß sie trotz der zu befürchtenden Konsequenzen an ihrer Auffassung festhalten, auf die ursprünglich wohl juristischen Zusammenhängen entstammende Maxime „Fiat iustitia & pereat mundus.“352 sowie auf die biblische Mahnung „Vae homini per quem scandalum venit.“353 Weil die ernestinischen Depuierten ihre Position „aus Rechten grund vnd Warheit“ begründet sehen, sind sie überzeugt, „das wir an allem dem/so gemelte Trennung kunftig geberen mochte / vor Gott vnd allen guthertzigenn Christen wol entschuldigt seyen“ (Konklusion: fol. 136v).
350 Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 24. August 1557: CR 9, Sp. 242, Nr. 6317. 351 Das Modalverb ‚mögen‘ ist hier strikt im Sinne von ‚können‘ aufzufassen. 352 „Das Recht möge geschehen, auch wenn die Welt darüber vergehen sollte.“ Zum Hintergrund der Redewendung vgl. Büchmann, S. 426. 353 Mt 18,7 Vg. „Wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt.“
4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der formellen Vorberatungen 4.1 Drama in vier Akten1: Formelle Vorberatungen am 5. September „Gestern, nämlich am 5. September, hat die erste Zusammenkunft der Unseren stattgefunden, nämlich sowohl der Gesandten, die von unseren Fürsten geschickt sind, als auch der Theologen, die wir aufs engste verbunden sein sollten zur Erklärung der wahren Lehre.“2, so teilte Melanchthon am 6. September dem Fürsten Joachim von Anhalt mit. Im Nachhinein nimmt sich der ‚primus congressus‘ vom 5. September als Eröffnung formeller Vorberatungen aus. Die Kennzeichnung als formell bezieht sich auf die förmliche Einberufung aller evangelischen Gesprächsteilnehmer zu einer gemeinsamen Sitzung und auf die Durchführung der Sitzung in den zeitüblichen Formen der Verhandlungsführung, i. e. Proposition und Umfrage. Einberufung und Sitzungsleitung lagen, nach dem offiziellen Eintritt in ihre Funktion auf der Ebene des Reichsreligionsgesprächs nunmehr anscheinend unangefochten,3 bei den evangelischen Assessoren: Graf Ludwig von Eberstein in Vertretung des sächsischen Kurfürsten und Balthasar von Gültlingen in Vertretung des württembergischen Herzogs.
Allerdings war die von den Assessoren für den 5. September auf ein Uhr ins Rathaus einberufene Sitzung eigentlich nicht als Eröffnung von internen, auf die innerevangelischen Zerwürfnisse bezogenen Vorberatungen gedacht. Es sollten lediglich die vom Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs, dem Naumburger Bischof Julius Pflug, am Vortag gemachten Mitteilungen weitergegeben und die dem Präsidium zur Erörterung vorgelegten Punkte 1 Die Gliederung des Abschnitts nach Akten eines Dramas ist angeregt durch eine Formulierung Melanchthons, der gegenüber dem Fürsten Joachim von Anhalt die Anklage seiner selbst als ersten Akt der Versammlung am 5. September bezeichnete (vgl. Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329; im Wortlaut zitiert unten S. 284 in Anm. 39). 2 „Heri, videlicet die quinto Septembris, primus congressus factus est Nostrorum, videlicet et Legatorum qui a nostris principibus missi sunt, et Theologorum qui coniunctissimi esse debebamus ad verae doctrinae explicationem.“ (Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329). 3 Vgl. dazu oben Abschnitt 3.5.3.
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
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beraten werden. In der Wiedergabe durch die ernestinischen Deputierten in ihrem Bericht vom 6. September: „Liessen sich auch die Herrn Assessores weiter vornhemen, Das Herr Julius als itzunder verordneter President mitt Ihnen von allerley vorbereittung zum Colloquio gehandelt hette, Welches sie auch vnns wollten itzunder antzeigen, Damit wir vns darauff bedenncken vnd vnsnser gutbeduncken auch mochten darthun.“4 Der ausführliche, von Erhard Schnepf verfaßte Bericht5 der ernestinischen Deputierten vom 6. September ist neben Melanchthons sehr viel kürzerem Schreiben an Fürst Joachim von Anhalt vom selben Tage die im geringsten zeitlichen Abstand vom Geschehen entstandene Quelle für die Verhandlungen des 5. September. Schnepfs Bericht bietet guten Aufschluß über den Ablauf der Verhandlungen, gibt die Argumente der ernestinischen Deputierten ausführlich wieder und belegt die Einschätzung der gegnerischen Argumente und der Lage durch die ernestinischen Deputierten. Zwei kurze Privatschreiben ernestinischer Deputierter vom 8. September ergänzen das von Schnepf gezeichnete Bild.6 Das Schreiben des herzoglich-sächsischen Hofpredigers Johannes Aurifaber vom 13. September7 aus Herzog Johann Friedrichs Kurort Markgraf-Baden ist ein Bericht aus zweiter Hand, der in erster Linie Aufschluß über die Sicht der Verhandlungen im Umkreis des sächsischen Herzogs bietet, weniger hingegen über die Verhandlungen selbst.8 Zu den ernestinischen Quellen kommen weitere Berichte aus dem Kreis der übrigen Deputierten. So berichteten die kursächsischen Räte dem Kurfürsten am 11. September summarisch über die Vorberatungen.9 Wesentlich ausführlicher fällt die Schilderung der Zusammenkunft am 5. September in der von den kursächsischen Räten erstellten ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober aus.10 Trotz des zeitlichen Abstandes finden sich hier detaillierte Wiedergaben insbesondere der Rede Melanchthons und der Argumentation der Assessoren, was sich offensichtlich der Verwendung von Konzepten oder Mitschriften verdankt. Neben Schnepfs Bericht ist die ‚Gemeinsame Relation‘ die wichtigste Quelle für die Verhandlungen des 5. September. Auch der pommersche politsche Rat Christian Küssow berichtete am 4 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 6. September 1557: Wolf, S. 331, Nr. 45. 5 Der Bericht ist von Monner, Schnepf, Strigel und Stössel unterzeichnet (Wolf, S. 337, Nr. 45). Im Kommentar zum Regest von MBW 8328 wird irrtümlich Strigel als Verfasser des Berichts angegeben (MBW.R Bd. 8, S. 114). Mit der Wendung „ich Doctor Schnepff“ gibt sich aber Schnepf durchgängig als Verfasser des Berichts zu erkennen (vgl. Wolf, S. 332–335, Nr. 45 passim). Im folgenden wird der Bericht angeführt als ‚Schnepfs Bericht vom 6. September 1557‘. 6 Ein weimarischer Deputierter an N. N., Worms 8. September 1557: CR 9, Sp. 262 f., Nr. 6336; ein weimarischer Deputierter an N. N., Worms 8. September 1557: CR 9, Sp. 263 f., Nr. 6337. 7 Johann Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 269–272. Zum Empfänger des Briefs vgl. oben S. 213–215 in Abschnitt 3.2.1. 8 Das ist bei dem Gebrauch, den Fligge von Aurifabers Schilderung macht (Fligge, S. 392 f. bei Anm. 239 f. und bei Anm. 243), nicht ausreichend beachtet. 9 Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r; zu den Verhandlungen des 5. September: fol. 64r–65v. 10 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 18r–24r.
280 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen 11. September über die Vorverhandlungen.11 Seine Schilderung bietet jedoch nichts, was über die bisher angeführten Quellen hinausginge. Mit Verweis auf Küssows Schreiben hat Runge den 5. September in seinem Bericht vom 2. Oktober nur kurz behandelt;12 auch der ‚Preußische Bericht‘ beschränkt sich auf eine summarische Darstellung der Grundpositionen des aufgebrochenen Konflikts13. Für Melanchthons Einschätzung der Verhandlungen sind neben dem Brief an den Fürsten von Anhalt noch sein Brief an Hardenberg vom 10. September14 sowie seine späteren Gesamtberichte15 über das Wormser Religionsgespräch aufschlußreich, in denen allerdings zwischen den Verhandlungen des 5. und des 9. September nicht geschieden wird.
4.1.1 Vorspiel und erster Akt: Geschäftsordungsfragen und ernestinische Erklärungen Nach Christian Küssows Bericht legten die Assessoren fünf Punkte zur Erörterung vor: „erstlich de loco colloquij, zum andern de tempore, zum dritten, de praeparatorijs, zum vierten de Propositione, ob deselbe latinus oder wies geschenn sollt, in scriptis oder mundtlich, zum funfften de forma iuramentj.“16 Die Beratung der vorgelegten Punkte war der eigentliche Zweck der Versammlung und stand an ihrem Beginn. Schnepf berichtet, daß über die Geschäftsordnungsfragen – Ort und Zeit, Proposition und Formulierung des Eides – zunächst separate Beratungen der Theologen und politischen Räte abgehalten worden seien, bevor man sich dann im Plenum auf eine gemeinsame Linie für die weiteren Beratungen des Präsidiums verständigt habe.17 Die Theologen kamen überein, die Bestimmung von Ort und Zeit den Assessoren zu überlassen,18 während die politischen Räte das Rathaus als Ort, eine rasche Aufnahme der Verhandlungen und als Verhandlungszeiten den frühen Morgen und den Vormittag vorschlugen19. Beide Deputiertenkollegien sprachen sich für mündlichen Vortrag und schriftliche Aushändigung der Proposition aus.20 Gegen die Eidesformel hatten die Theologen wegen des auferlegten Stillschweigens Bedenken, die Assessoren sahen 11 Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v, hier fol. 15r–18r. 12 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24rv. 13 ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 1v–2v. 14 Melanchthon an Hardenberg, Worms 10. September 1557: CR 9, Sp. 264 f., Nr. 6333 = MBW 8329. 15 Vgl. Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Februar 1558: CR 9, Sp. 451 f., Nr. 6468 = MBW 8539; Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 456–458 = MBW 8540. 16 Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 15v. 17 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 331 f., Nr. 45. 18 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 331, Nr. 45. 19 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 15v. 20 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 331, Nr. 45; Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 15v.
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
281
hier jedoch keinen Spielraum, stellten aber in Aussicht, den Präsidenten um eine offizielle Erläuterung der Formel zu ersuchen.21
Anschließend an die Beratung über die vorgelegten Punkte scheint im Plenum eine reihum erfolgende Abgabe von Erklärungen der einzelnen Ständegesandtschaften begonnen worden zu sein. Gemäß der Sessionsordnung des Reichstages, die auf die innerevangelischen Verhandlungen übertragen wurde, erklärte sich zunächst ein kurpfälzischer Deputierter, nach welchem – unter Auslassung des umfragenden Assessors Kursachsen – der herzoglich-sächsische politische Rat Basilius Monner an die Reihe kam.22 Seine Erklärung leitete die heftige Auseinandersetzung im weiteren Verlauf der Sitzung ein. Es wäre deshalb von Interesse zu wissen, mit welcher Vorgabe er sich äußerte. Aus den Quellen geht aber nicht eindeutig hervor, welchen Gegenstand die Umfrage hatte. Nach der ‚Gemeinsamen Relation‘ hatten die Assessoren bei der Eröffnung der Sitzung „sunderlich […] von den theologis erklerung gefodert, ob und wie sie zum colloquio gefast weren“23. Als Antwort der Theologen wird nur mitgeteilt, sie hätten erklärt, „das sie vermittels göttlich gnaden vnd hilffe bei der Augspurgischen confession bleiben wolten“24. Direkt anschließend werden die Erklärungen des kurpfälzischen Deputierten und Monners referiert, so daß sie als Antworten auf die Eingangsfrage erscheinen. In Schnepfs Bericht hingegen folgt Monners Einlassung unvermittelt auf die Schilderung der Plenarberatung über die Verfahrensfragen, was den Eindruck erweckt, als habe er selbst die Initiative ergriffen.25 Es läßt sich mithin nicht sicher rekonstruieren, unter welcher Vorgabe Monner seine Erklärung abgegeben hat. Doch dieser Befund selbst ist wiederum von einiger Aussagekraft: Offensichtlich sprengte Monners Erklärung den vorgegebenen Rahmen. Und im Nachhinein erschien sie mitsamt der anschließenden Auseinandersetzung als so entscheidend, daß in den Berichten, die in einigem zeitlichen Abstand verfaßt wurden, die Beratung über die Verfahrensfragen, der eigentliche Zweck der Zusammenkunft, völlig in den Hintergrund trat. Das signalisiert zu einem denkbar frühen Zeitpunkt, nämlich noch vor Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs, eine Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Reichsreligionsgespräch auf die in21 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 331 f., Nr. 45; Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 15v–16r. 22 „Darauf hat sich der pfeltzische gesante […] erkleret. Der Weimarisch gesante aber Doctor Basilius angezeigt […]“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 18v; vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 16rv). 23 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 18r. 24 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 18v. 25 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 332, Nr. 45.
282 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen ternen evangelischen Auseinandersetzungen. Gerade angesichts der Maxime der kursächsischen Konfessionspolitik, sich die innerevangelischen Auseinandersetzungen durch Nichtbeachtung vom Leibe zu halten, muß die hier erfolgte Verlagerung der Aufmerksamkeit als dramatisch erscheinen. Außerdem scheiterte schon bei dieser ersten Zusammenkunft die von Kursachsen und Pfälzern verfolgte Strategie, die befürchtete Auseinandersetzung dadurch unter Kontrolle zu halten, daß die Beratung der bereits angemeldeten herzoglich-sächsischen Anliegen auf die politischen Räte beschränkt werden sollte.26 Die Strategie der kurfürstlichen Gesandtschaften war vermutlich noch nicht aufgegeben. Daß dennoch zur ersten Zusammenkunft auch die Theologen einberufen wurden, ließ sich wegen der mit allen Deputierten zu erörternden Verfahrensfragen nicht vermeiden. Die vorgesehene Beschränkung der Beratung auf Verfahrensfragen dürfte deshalb eine Sicherheitsmaßnahme im Dienste der genannten Strategie gewesen sein. Doch erwiesen sich der Zusammenhang von Sache und Verfahren sowie der innerevangelische Klärungsbedarf angesichts der bevorstehenden kontroverstheologischen Verhandlungen als stärker und entfalteten ihre eigene, von den Assessoren nur schwer steuerbare Dynamik. Was brachte Monner nun vor? Nichts anderes als in den informellen Vorbereitungen. Schnepf berichtet dem sächsischen Herzog, daß Monner „erzelete, Wasserley Mandat wir von Ew. f. g. empfangen hetten, Nemlich, das wir sollten pleyben bey der Augspurgischen Confession, Apologia vnd Schmalkaldischen Artickeln vnd dargegen damniren alle Lehre, so solchen Artickeln zuwider wehren, Nit allein in einer gemein vnd generaliter, Sunder nominatim vnd in Spatie [sic!], Als nemlich alle Sorten der Widertäuffer, Alle Sorten der Zwinglianer, die lehre vnnd Proposition Maioris de necessitate operum ad Salutem, den Osiandrismum, den Adiaphorismum, Schwenckfelder, Servitium vnd mit weiter ausfürung.“27
Der zitierte Passus von Schnepfs Bericht bietet die Substanz von Monners Erklärung in einer Zusammenfassung, welche die Übereinstimmung mit der herzoglichen Instruktion hervorhebt. Näher an Monners Vortrag selbst führt die vermutlich aufgrund protokollartiger Notizen angefertigte ‚Gemeinsame Relation‘ heran. Danach berief sich Monner zunächst auf den Regensburger Nebenabschied28 als Grundlage der herzoglichen Instruktion und führte den Nebenabschied sofort noch einmal als Rechtsgrundlage der 26
Vgl. dazu oben S. 250 f. in Abschnitt 3.5.3 bei Anm. 268. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 332, Nr. 45. 28 Der ‚Gemeinsamen Relation‘ nach bezog sich Monner zusätzlich auch auf den Frankfurter Abschied (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 18v). Das kann nur so gemeint gewesen sein, wie Monner an anderer Stelle vermerkte, auch der Frankfurter Abschied setze Einigkeit in den Hauptartikeln vor Beginn des Religionsgespräches voraus (Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 28. August 1557: Wolf, S. 328, Nr. 40). Ansonsten stand Monner dem Frankfurter Abschied ab27
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
283
Verwerfungsforderungen an.29 Als charakteristisch muß erschienen sein, daß Monner die verwerfungswürdigen Sekten durch die Angabe kennzeichnete, sie seien in den zehn Jahren seit der Niederlage Johann Friedrichs des Großmütigen aufgekommen.30 Und auf den letzten ernestinischen Kurfürsten kam er nach Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ sogleich noch einmal zu sprechen, indem er erklärte, daß die Herzöge von Sachsen „nicht allein bei der Auspurgischen confession vnd Apologie, Sunder auch den Schmalkaldischen von D. Luthero geschrieben Artickeln, Jn massen ir geliebter herr vnd vatter mit darsetzung seiner lande vnd leute, die zeit seines gefengnus vnd hernach bestendiglich gethan, bleiben wolten.“31 Ließen sich Monners Ausführungen soweit als Affirmation der ernestinischen Konfessionspolitik auffassen, so wurden die Verwerfungsforderungen als speziell gegen das albertinische Sachsen und seine Theologen gerichtet verstanden: Während in Schnepfs Bericht der „Adiaphorismus“ in der Aufzählung der von Monner genannten Sekten an vorletzter Stelle steht, bilden in der aus kursächsischer Perspektive berichtenden ‚Gemeinsamen Relation‘ „Adiaphoristica, Interimistica“ sowie „das Leipzisch Interim, vnd andere mher vordechtige Actiones vnd conciliationes“ einen Rahmen um die Aufzählung der übrigen Sekten.32 Die ursprüngliche Reihenfolge und Akzentsetzung lassen sich nicht rekonstruieren, aber deutlich ist, daß Monners Verwerfungsforderungen von kursächsischer Seite als antiadiaphoristisch zugespitzt empfunden wurden. Im weiteren Verlauf des Religionsgesprächs setzte es sich bei den nicht der gnesiolutherischen Gruppe angehörenden Deputierten durch, vier gnesiolutherische Verwerfungsforderungen zu zählen, was erstmals in Melanchthons Brief an Albert Hardenberg vom 10. September belegt ist: „Sie sagen, daß sie nicht bei uns stehen würden, wenn nicht Verwerfungen geschrieben würden von diesen vier Artikeln: über das Mahl, über die Osiandrische Lehre, über die Überlegung, ob gute Werke notwendig sind zur Seligkeit, und über die Adiaphora.“33 Dieselben vier Verwerfungsforderungen führen auch Runges Bericht vom 2. Oktober, der ‚Preußische Bericht‘ und die späteren Gesamtberichte Melanchthons an.34 Die Differenz zu den lehnend gegenüber (vgl. Monner an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326 f., Nr. 37). 29 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 18v–19r. 30 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 19r. 31 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 19r. 32 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 19r. 33 „Negant se nobis adfuturos esse, nisi condemnationes scribantur de his quatuor articulis: ĚďěƯ ĎďĉĚėęğ, ĚďěƯ ƃĝēċėĎěēĔęȘ ĎĦčĖċĞęij, ĚďěƯ Ğǻij ĮěĆĝďģij ďŭ ŁčċĒƩ ŕěčċ ŁėċčĔċȉĆ őĝĞē ĚěƱij ĝģĞđěĉċė, ĔċƯ ĚďěƯ ŁĎēċĮĦěģė.“ (Melanchthon an Hardenberg, Worms 10. September 1557: CR 9, Sp. 265, Nr. 6338 = MBW 8335). 34 Vgl. Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 1v; Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Febuar 1558: CR 9, Sp. 451, Nr. 6468 = MBW 8539; Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540.
284 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen sieben von gnesiolutherischer Seite vorgebrachten Verwerfungsforderungen erklärt sich daraus, daß die Verwerfungen der Wiedertäufer, Schwenckfelds und Servets nicht strittig waren, diese Gruppen oder Personen vielmehr allgemein als bereits verworfen galten.
An Monner schloß sich sogleich Schnepf an, um seinem eigenen Bericht nach „die Sachen weitter ausszufuren unnd anzuzeigen, Aus was grosswichtigen Vrsachen von notten sein wollte, das wir vns zuuor, ehe dann wir vns mit den Papisten zum Gesprech einliessen vntereinander vorglichen“35. Dazu verwies er mit Nachdruck auf den kontroverstheologischen Kontext des Reichsreligionsgespräches und die daraus resultierenden Gefahren: „[…] dann das würde gewisslich volgen, So wir also vnuerglichen uns mit dem Gegenteil, den Papisten einlassen wurden, Das sie vns solche vnsere misshelligkeit[,] zannck zwischen vns zu erwecken[,] furwerffen wurden“36. Konzentriert sich Schnepf in der Wiedergabe seiner Erklärung für den sächsischen Herzog ganz auf den Aspekt des reichsoffiziellen Kontexts, so scheint er in der Sitzung wesentlich weiter ausgeholt und auch noch einmal die herzogliche Instruktion erläutert zu haben.37 Melanchthon weist in einem seiner Gesamtberichte sogar erst Schnepf die Verwerfungsforderungen zu.38 Der Wittenberger empfand zudem Schnepfs Rede als sehr scharf und nahm sie als Anklage seiner Person im Stile des Flacius wahr: „Es ist aber der erste Akt eine Anklage meiner Person gewesen, so gut wie abgeschrieben aus Flacius’ Schmähschriften, verkündet mit der Stimme Schnepfs.“39 Laut Schnepfs Bericht kam es nach seiner Erklärung zu einer ersten Reaktion von seiten anderer Theologen, möglicherweise in Fortsetzung der begonnenen Umfrage. Die namentlich nicht angeführten Theologen bekannten sich zu CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln und erklärten sich zu einer generellen Verwerfung von abweichender Lehre bereit. „Aber das sie solche errores in specie vnd namhaftig verdammen sollten, Als Zwinglium, Osiandrum, Maiorismum, Adiaphorismum des hetten sie bedenncken“40. Mörlin und Sarcerius, die zu den Verwerfungen eine andere Haltung einnahmen, scheinen sich nicht geäußert zu haben. Vielleicht erhielten sie, wie
35
Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 332, Nr. 45. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 332, Nr. 45. 37 Die ‚Gemeinsame Relation‘ berichtet: „Gleicher gestalt [scil. wie Monner] der D Schnepius darauf also baldt angefangen zureden, vnd sein D Basilij vorbringen bestetigt, auch den stenden, habenden iren beuelch mit mheren worten nochmalts erzelt“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 19v). 38 Vgl. Melanchthons ‚Historia‘: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540. 39 „Fuit autem primus Actus, Accusatio mei pene descripta ex Flacii maledicis scriptis, pronunciata voce Sneppii.“ (Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329). 40 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 332 f., Nr. 45. 36
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
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es auch im Reichstagskontext bei Vertretern von Städten und Grafschaften vorkam, nicht das Wort.
4.1.2 Zweiter Akt: Beratung hinter verschlossenen Türen Schnepf bemühte sich bei den Assessoren um die Gewährung einer Replik auf die Einlassungen der anderen Theologen. Es wurde ihm aber verwehrt zu replizieren. Stattdessen zeigten die Assessoren den ernestinischen Deputierten an, „nachdem sie die andern Theologos vnnd politicos auch hetten gehoret, wolten sie uns auch beantwortten“. Von der weiteren Anhörung wurden die ernestinischen Deputierten ausgeschlossen: „Vnnd musten wir vier also ausstretten, die andern aber alle beides[,] Theologici und politici[,] plieben drinnen bey den Herrn Assessorn.“41 Die Assessoren machten hier sehr entschieden Gebrauch von der Verfahrenshoheit, die sie für sich beanspruchten und die ihnen zugestanden wurde. Dabei aber kam es unweigerlich zu einer gegenseitigen Überlagerung ihrer Leitungsfunktion und ihrer ständischen Eigeninteressen. In richterlichem Gestus, näher betrachtet jedoch durchaus parteiisch motiviert schlossen sie die ernestinischen Deputierten als Betroffene von der Anhörung der Gegenseite aus und kündigten ihnen eine Entscheidung nach der Anhörung beider Seiten an. Durch den Ausschluß der ernestinischen Deputierten geriet die Anhörung der übrigen Deputierten zu einer Beratung aller derjenigen, die sich nicht zur gnesiolutherischen Gruppe hielten: einer Parteiberatung hinter verschlossenen Türen unter Vorsitz und aktiver Teilnahme der Assessoren. Bestätigt wird die vorgetragene Deutung durch den Umstand, daß Schnepfs Bericht zufolge Sarcerius und Mörlin die hinter den verschlossenen Türen abgehaltene Anhörung respektive Beratung verließen: „Gleichwol mitlerweil Tratten die beide D. Sarcerius vnnd Doctor Morlin auch aus, Aus was vrsachen aber khunnen wir nit wissen, Allein das Doctor Morlin haus42 vns ansprach vnnd lieste sich vernehmen, Er wolt es mit Vnns halten vnnd bey Vns stehen.“43 Die Aussage Schnepfs über die Unkenntnis der Ursachen wird sich nicht auf die Gesinnung und die Motive Sarcerius’ und Mörlins beziehen, denn daran konnte, zumal nach Mörlins Solidaritätsbekundung, kein Zweifel bestehen. Nicht wissen konnten die ernestinischen Deputierten hingegen, wie es dazu gekommen war, daß die beiden ausgeschlossen worden waren oder sich selbst zum Gehen entschlossen hatten. Die Wendung von einer Anhörung aller übrigen Deputierten zu einer Parteiberatung der nicht 41
Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. Das Adverb ‚haus‘ dürfte eine Variante zum schwäbischen ‚hausse‘ – ‚außen‘ sein (vgl. Schwäbisches Wörterbuch Bd. 3, Sp. 1294 s. v. ‚hausse‘). 43 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 42
286 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen gnesiolutherisch orientierten Deputierten bietet sich als Erklärung an. Dann aber hatten Mörlin und Sarcerius hinter den verschlossenen Türen nichts mehr zu suchen, was nicht nur die Assessoren und anderen Deputierten so gesehen haben werden, sondern auch sie selbst. Ihr Abgang scheint allerdings kein großes Aufsehen erregt zu haben, denn die anderen Quellen erwähnen den Vorgang nicht oder vermerken nur allgemein, daß Mörlin und Sarcerius sich den ernestinischen Deputierten angeschlossen hätten44. Das Übergehen des Vorfalls in den kursächsischen Quellen läßt sich aber auch damit erklären, daß die kursächsischen Räte daran interessiert gewesen sein dürften, die ernestinischen Deputierten isoliert erscheinen zu lassen. Möglich war eine solche Darstellung aber nur, wenn Mörlin und Sarcerius tatsächlich ohne großen Eklat abgegangen waren. Ihr Schritt, den Verhandlungssaal zu verlassen und sich zu den ernestinischen Deputierten zu stellen, ließ freilich dennoch die bereits eingetretene Formierung zweier Seiten nun auch im Rahmen der formellen Beratungen manifest werden. Einen Blick hinter die verschlossenen Türen erlaubt die ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte.45 Danach beschränkte sich dort die Anhörung ganz auf die politischen Räte. Sie sprachen sich übereinstimmend gegen das ernestinische Begehren aus, erst nach interner Vorbereitung und den geforderten Verwerfungen in das Reichsreligionsgespräch einzutreten. Die Berufung der ernestinischen Deputierten auf den Regensburger Nebenabschied wurde zurückgewiesen mit dem Argument, der Nebenabschied sei „kein Decretum des Reichs, sonder allein ein Memorial, welchs auf hinvorbringen an die Chur vnd fursten vnd derselben Ratification gerichtet were, welchs aber gar nicht ervolget“46. Entsprechend seien etliche Stände nur auf den Reichsabschied abgefertigt und nicht auf eine interne Präparation eingestellt. Und auch die Stände, die ursprünglich mit innerevangelischen Vorberatungen gerechnet hatten und solche Vorberatungen auch begrüßt hätten, meinten nun, daß in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit „die neben Tractation eingefallener missverstandt bis zu gelegener zeit vnd anderer Malstadt in abwesen gegenthails ingestelt werden müsse“47. Die Voten der politischen Räte fielen ganz im Sinne der Assessoren aus.48 Sie konnten ihre eigene Linie nunmehr als durch die offiziellen Ständevertreter bestätigt ansehen. Das Kollegium der politischen Räte ist hier, wenn 44 Vgl. Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24r; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 2v. 45 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 19v–20r. 46 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 19v. 47 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20r. 48 Die ‚Gemeinsame Relation‘ hält fest, daß „von den maisten stenden dermassen geschlossen, damit die Assessores auch zufrieden gewesen“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20r).
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auch im Beisein der Theologen, erstmals in der Funktion eines erweiterten Leitungsgremiums für die evangelischen Deputierten faßbar – wobei geflissentlich übergangen wurde, daß der Vertreter des Herzogtums Sachsen von der ersten Beratung aller anderen politischen Räte als einziger ausgeschlossen war.
4.1.3 Dritter Akt: Melanchthons Entgegnung auf die ernestinischen Erklärungen Auf Beschluß der Assessoren sollten nach den politischen Räten auch die Theologen noch einmal zu Wort kommen, „weil die Weimarischen gesandten […] in irem vorbringen nicht allein Chur vnd fursten, Sonder auch derselben theologos angetast, als ob sie alle in den zehen Jharen die reine lehre des Euangelij nicht erhalten, sonder von derselbigen abgewichen, vnd allerley secten einreissen lassen“49, wie die ‚Gemeinsame Relation‘ referiert. Direkt anschließend ist eine Rede Melanchthons ausführlich wiedergegeben.50 Unerwähnt bleibt, daß dazu die ernestinischen Deputierten – und mit ihnen doch wohl auch Mörlin und Sarcerius – wieder in den Verhandlungssaal geholt worden waren, wie Schnepf berichtet: „Nachdem wir nun eben eine gutte Zeitt haussen vnnd wieder rein gefordert wurden, fiengge D. Philippus ane, mit ganntz Ernnsten Wortten“51. Die Übereinstimmungen in Sache und Aufbau belegen, daß Schnepf und die ‚Gemeinsamen Relation‘ dieselbe Rede Melanchthons wiedergeben.52 Zwei Punkte sind hervorzuheben: Zum einen hielt Melanchthon seine Rede in der Rolle eines Sprechers aller derjenigen Theologen, die nicht auf die Seite der ernestinischen Deputierten getreten waren. Denn nach Beschluß der Assessoren sollten die Theologen gehört werden, es sprach aber nur Melanchthon. Es ist nicht zu erkennen, wie ihm die Sprecherfunktion übertragen wurde. Aber seine weithin anerkannte Autorität, die starke Stellung seines mit dem Assessorenamt betrauten Landesherrn und die Tatsache, daß Melanchthon sich selbst von den ernestinischen Forderungen schwer getroffen fühlte, dürften eine hinreichende Dynamik entfaltet haben, um die Sache ganz selbstverständlich auf ihn zulaufen zu lassen. Zum anderen ergab 49
‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20rv. Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20r–22r. 51 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 52 Melanchthons Rede bei der Versammlung der evangelischen Delegierten am Nachmittag des 5. September ist unter der Nr. 8328 im MBW aufgeführt. Die ‚Gemeinsame Relation‘ ist als Quelle für Melanchthons Rede aussagekräftiger als der im Kommentar zu MBW 8328 allein angegebene Bericht Schnepfs, der dort irrtümlich als „Bericht Strigels“ bezeichnet wird (MBW.R Bd. 8, S. 114; vgl. dazu oben S. 279, Anm. 5). 50
288 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen sich durch die Wiederhinzuziehung der ernestinischen Deputierten eine eigentümliche Konstellation: Den ernestinischen Deputierten mußte – und sollte wohl auch – die von Melanchthon vorgetragene Rede als offiziöse Erwiderung im Namen der bei den Assessoren verbliebenen Deputierten erscheinen, wenn nicht gar als ein theologischer Bescheid anstelle der in Aussicht gestellten Antwort der Assessoren. In einem gewissen Gegensatz zur Sprecherrolle Melanchthons und dem intendierten offiziösen Charakter seiner Rede scheint der persönliche Ton zu stehen, den der Wittenberger zu Beginn anschlug: „Ich nehme wahr, daß man mir mit einem wie nur immer beschaffenen Haß hart zusetzt. Gerne will ich ausscheiden aus der ganzen Handlung“, so zitiert ihn Schnepf.53 Bei der Einschätzung des angeschlagenen Tones ist aber zu beachten, daß im Falle Melanchthons persönliche, sachliche und aus der Vertretung seines Landesherrn herrührende Autorität wie auch Betroffenheit nicht voneinander zu trennen sind. Melanchthon spricht in einem Rahmen wie dem hier gegebenen nie nur für sich selbst, sondern immer auch als der theologische Repräsentant Kursachsens und als prägende Gestalt an der Wittenberger Universität mit der entsprechenden Ausstrahlungskraft auf den gesamten Protestantismus. Im Gefüge von Melanchthons gesamter Rede hatte der von Schnepf zitierte Eingang die Funktion einer Distanzierung von den ernestinischen Erklärungen, die er damit als gegen ihn persönlich gerichtete Attacken darstellte. Im Gegenzug hob er nach Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ seine Übereinstimmung mit den übrigen Theologen hervor durch die Bekundung, „das er wie zuuor von den theologis allen vorbracht were worden, bei der Augspurgischen Confession und Apologia bleiben wolte, von derselben auch nicht gewichen where“54. Er bemühte sich in der Bekenntnisfrage sogar, zu den ernestinischen Deputierten eine Brücke zu bauen: Er „truge auch kein bedencken der Schmalkaldischen Artickel halben, Allein das dieselben kurtz vnd nicht genugsam erkleret weren, Sonderlich im artickel des glaubens vnd Sacraments“55.
53 „Video me premj qualicunque odio libenter discedere uolo ex tota actione“ (Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45). Die Authentizität des Zitats, das in der ansonsten ausführlicheren Wiedergabe der Rede Melanchthons durch die ‚Gemeinsame Relation‘ nicht vorkommt, wird bestätigt durch Melanchthons Schreiben an Joachim von Anhalt vom 6. September. Darin teilt er dem Fürsten mit, er habe am Vortag neben anderem gesagt, daß es ihm sehr willkommen wäre, wenn er von der ganzen Handlung dieser Zusammenkunft ferner ausgeschlossen würde (vgl. Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329). 54 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20v; dieser Abschnitt abgedruckt bei Volz, Urkunden, S. 105, Anm. 10. 55 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20v.
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
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Noch uneingeschränkter klingt die entsprechende Passage in Melanchthons eigener Wiedergabe seiner Rede für Fürst Joachim von Anhalt: „Ich habe kurz geantwortet, daß Übereinstimmung aller über die Lehre bestehe, daß wir alle annehmen und festhalten die Konfession mitsamt der Apologie und das Bekenntnis Luthers, geschrieben vor dem Konzil von Mantua.“56 Freilich konnte Melanchthon dem Fürsten gegenüber die Schmalkaldischen Artikel nicht ohne weiteres kritisieren, waren sie doch 1537 von den fürstlich legitimierten Vertretern der anhaltischen Pfarrerschaft mitunterzeichnet worden57. In der Versammlung am 5. September hingegen erläuterte Melanchthon den Vorbehalt hinsichtlich der Abendmahlslehre nach Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ noch durch einen historischen Exkurs: Luther habe seinerzeit im Abendmahlsartikel – in Aufnahme der Wittenberger Konkordie – formulieren wollen, „das mit brodt vnd mit dem wein, der leib vnd das blut vnsers herrn Jesu Christi gegeben wurde“. Er sei jedoch „durch vngestimmigkait des Amsdorffs“ zur Änderung in die spätere Fassung der Schmalkaldischen Artikel veranlaßt worden. Als sich daraufhin Melanchthon erkundigt habe, warum Luther nicht bei der Synekdoche bliebe, habe „Amsdorff inen den Philippum gefraget, was dan Sinechdoche were, er verstunde es nicht“58. Die für die Vorgeschichte der Abendmahlsformulierung in den Schmalkaldischen Artikeln wichtige Angabe Melanchthons kann hier nicht im Blick auf den historischen Vorgang ausgewertet werden.59 Anders als bisher ist jedoch künftig zu berücksichtigen, welches Interesse Melanchthon mit dem historischen Exkurs in Worms verband: Er wollte die Übereinstimmung mit Luther – hier: mit der von Luther angeblich ursprünglich vorgesehen Fassung der Abendmahlsformulierung in den Schmalkaldischen Artikeln – hervorheben bei gleichzeitiger Distanzierung von Amsdorf als dem Verursacher einer unangemessenen Verschärfung, dem es zudem an der nötigen begrifflichen Durchdringung der Abendmahlslehre gefehlt habe.
Die affirmativen Aussagen zu den Bekenntnissen ergänzte Melanchthon laut der ‚Gemeinsamen Relation‘ um die grundsätzliche Feststellung, „das ime mit vnbestandt zugemessen würde, das er in der lehr etwas geendert, oder sunsten gottlosen Secten jhe approbiert hätte“60. Daß er zugleich auch seine Landesherrn und in Sonderheit Moritz von Sachsen gegen Vorwürfe in Schutz nahm,61 bestätigt die unlösliche Verbindung von persönlicher und offizieller Stellungnahme bei Melanchthon. Nach der Standortbestimmung wandte sich Melanchthon den einzelnen Kontroverspunkten zu. Er setzte ein beim Adiaphorismus als demjenigen 56 „Respondi brevi, Consensus esse omnium de doctrina. Amplecti nos omnes et retinere confessionem cum Apologia et confessio Lutheri scripta ante Mantuanam Synodam.“ (Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329). 57 Vgl. BSELK, S. 464 f., Anm. 7. 58 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 20v–21r. 59 Zum historischen Vorgang und der Bewertung von Melanchthons Angabe vgl. Volz, Urkunden, S. 105 f., Anm. 9–11 in Verbindung mit Volz, Schmalkaldische Artikel, S. 11– 13; Bizer, Verständnis, S. 73–75 sowie Wenz, Theologie, Bd. 1, S. 538 f. 60 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21r. 61 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21r.
290 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Punkt, der ihn selbst am stärksten betraf. Offen räumte er ein, er habe Pfarrern den Rat gegeben, nicht „Chorrocks vnd festen halben“ ihre Gemeinden zu verlassen.62 In Melanchthons eigener Wiedergabe findet sich noch die Präzisierung, der Rat habe sich auf „Bräuche“ bezogen, die „ihrer Art nach nicht schädlich“63 seien. Der Beurteilung durch die anwesenden Theologen aber überließ er die Frage, „ob er daran recht oder Vnrecht gethan“64, wobei er sich regelrecht juristischer Terminologie bedient zu haben scheint.65 War damit von Melanchthons Seite ein sehr ernster Ton angeschlagen, so genügten seine Ausführungen den ernestinischen Deputierten dennoch keineswegs. Sie befanden, daß Melanchthon den Adiaphorismus zu einem „Kinderspiel Spiell vnnd gauckelwerck“ verkleinert habe, mithin zu etwas, „an deme gar nichtes oder ja wenig gelegen were“66. Das aber widersprach diametral der gnesiolutherischen Auffassung, wonach die interimistischen Kompromisse nur vorgeblich Adiaphora, in Wirklichkeit aber und zumal in casu confessionis die Wahrheit des Evangeliums betroffen hätten. Auch mit seinen anschließenden Ausführungen zur Abendmahlslehre konnte Melanchthon die ernestinischen Deputierten nicht zufrieden stellen. Schnepf fand dafür die Formel: „[…] so gering er den Adiaphorismum gemacht, so hoch amplificirt er den Zwinglianismum“67. Die ‚Amplifikation‘ bestand laut Schnepf darin, daß Melanchthon auf die weite Verbreitung der schweizerischen Abendmahlsauffassung hinwies und damit begründete, weshalb „von so wenig Personen“, wie in Worms versammelt waren, nichts entschieden werden könne.68 Außerdem gab Melanchthon zu bedenken, daß in Bezug auf das Abendmahl „viell ungerembter Reden von vielen gehoret“ würden.69 Die ‚Gemeinsame Relation‘ führt das näher aus. Danach forderte Melanchthon statt einer bloßen Verwerfung der Zwinglianer die Aufstellung umfänglicherer Artikel über die Abendmahlslehre, „weil hin vnd wider sehr Vngeschicklich geredt, vnd geschrieben wurde. Quod panis sit essentiale corpus Christi, das in veterj Ecclesia nhie von keinem geschrieben oder gelehret where. So were es auch nicht lange, das Amsdorff vff die Adoration70 hart getrungen hette.“71 62
‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21r. „[…] ritus, suo genere non vitiosos“ (Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329). 64 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21r. 65 „[…] provocavi etiam ad iudicium ceterorum qui adsunt“ (Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329). 66 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 67 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 68 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 69 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 70 „Adoration“ am Rand gesetzt für gestrichenes „Circumgestation“ im Text. 71 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v. 63
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
291
Melanchthon ging also zur Vorwärtsverteidigung über, indem er angesichts der ihm abverlangten Verwerfungen im Gegenzug die Verwerfung irriger Lehraussagen aus dem gnesiolutherischen Lager forderte. Bezogen auf Majors These von der Notwendigkeit der guten Werke brachte er das laut ‚Gemeinsamer Relation‘ sogar auf die Formel: „Da man aber den einen condemnieren wolte, So muste man den anderen auch condemniren.“72 Wieder diente ihm Amsdorf als Exponent verwerflicher Auffassungen auf der Seite seiner Gegner: „Dan es hette Amsdorff anfenglich geschrieben, die güte werrk wheren schedtlich zu der selickait. Dergleichen hetten andere mher vngereumbt ding geschrieben, vnd sonderlich man solte gute werrk thun, wan es die gelegenhait gibt, et summa ars christianorum est nescire legem.“73 Ein Widerhall der beschriebenen offensiven Verteidigungsweise findet sich bei Schnepf auch im Referat von Melanchthons Einlassungen zur Abendmahlslehre: „Thett alhie etlich mal meldung des gutten allten Mans Bischoffs Ambsdorff, zeiget an wie derselbe vngereumet etwann von Sacrament geredet hette.“74 Von einem entsprechenden Vermerk zu Melanchthons Äußerungen über Majors These wird Schnepf abgesehen haben, weil für den Bericht an Herzog Johann Friedrich die Distanzierung Melanchthons von Major von größerem Interesse war. Denn Melanchthon erklärte, „das er ihme dem D. Maior solche Rede opera sunt necessaria ad salutem zu brauchen widerraten hette“ und daß er von Kurfürst August mit der Begutachtung von Majors These beauftragt worden sei.75 Das war der einzige Punkt in Melanchthons Rede, der die ernestinischen Deputierten halbwegs zufriedenstellte. Keineswegs befriedigen konnte die ernestinischen Deputierten hingegen Melanchthons Stellungnahme zum Osiandrismus. Schnepf behauptete sogar, es habe eine solche gar nicht gegeben: „Den Osiandrismum vberging er [scil. Melanchthon] sogar mit stilschweigen, das er desselbigen auch mit keinem einigen wortlin meldung thatte“76. Eine Erklärung dafür war schnell zur Hand: „Dann er scheuete denn Vngunst, den er damit erlangen hette mögen Vnd wolte die Wirtenbergischen als D. Brentzium vnd Balthas von 72
‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v. Der Satz „summa ars christianorum est nescire legem.“ geht auf eine Formulierung Luthers im großen Galaterkommentar zurück (WA 40 I, S. 43, Z. 25 f.), die in den 1550er Jahren von Anton Otho aufgenommen wurde (vgl. Seeberg IV/2, S. 488 bei Anm. 4; Lohse, S. 119 bei Anm. 9). Otho war Melanchthon als Verfechter der Aussage bekannt (vgl. Melanchthon an Johannes Gigas, Wittenberg 4. Juli 1557: CR 9, Sp. 176, Nr. 6274 = MBW 8264). 74 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 333, Nr. 45. 75 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45; vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v. 76 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45. 73
292 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Gultlingen den Assessorn nit betrüben“77. Melanchthons Verhalten erschien den ernestinischen Deputierten um so unbilliger in Anbetracht der scharfen Kritik, die der Wittenberger in seinem Römerbrief-Kommentar vom Vorjahr an Osiander geübt hatte.78 Die ‚Gemeinsame Relation‘ scheint Schnepf zu bestätigen: In ihrer Wiedergabe derselben Rede wird Osiander nicht erwähnt. Einzig der ‚Preußische Bericht‘ teilt zu Melanchthons Rede am 5. September mit, zu Osiander habe er darauf verwiesen, „daß seine Schriften vorlägen“79. Sicherer bezeugt ist eine derartige Äußerung Melanchthons bei der nächsten internen Verhandlung am 9. September.80 Das stimmt gut damit überein, daß Schnepf am 9. September Melanchthon unter Verweis auf dessen frühere schriftliche Äußerungen zu einer Stellungnahme zu provozieren versuchte.81 Jedoch hat Strigel, Berichterstatter für die ernestinischen Deputierten, darauf wiederum keine Stellungnahme vernommen: „Aber D. Philippus anttworttet nichts darauf vnd thatt gar keine meldung Osiandri wieder in gutem noch In bosem.“82 Daß Melanchthon sich aber so geäußert hatte, wie im ‚Preußischen Bericht‘ mitgeteilt, bestätigt er in seinen späteren Gesamtberichten: „Von Osiandro w ren unsre klare Schriften am Tag“, zitiert er sich.83 Allerdings ist in den Gesamtberichten nicht deutlich unterschieden zwischen den Verhandlungen des 5. und des 9. September. Zwei mögliche Erklärungen bieten sich für die geschilderte Quellenlage an: Einerseits könnte der ‚Preußische Bericht‘, wie Melanchthons Gesamtberichte aus der Rückschau formuliert, eine Äußerung, die Melanchthon erst auf Schnepfs Provokation hin am 9. September vorbrachte, in seine summarische Wiedergabe der Rede Melanchthons vom 5. September eingetragen haben. Andererseits könnte Melanchthon sich auch bereits am 77
Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45. Der berührte Römerbriefkommentar ist die ‚Enarratio Epistolae Pauli ad Romanos‘ von 1556 (CR 15, Sp. 797–1052). Der kritischen Auseinandersetzung mit Osianders Rechtfertigungslehre, von Melanchthon als „Osiandri error[…]“ (Sp. 855) oder „corruptela Osiandrica“ (Sp. 880) gekennzeichnet, kommt tatsächlich große Bedeutung in der ‚Enarratio‘ zu (vgl. insbesondere ebd., Sp. 855 f. 880. 901 f.). 79 „[…] de Osiandro dixit extare sua scripta“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 2r). 80 Nach Runges Bericht sagte Melanchthon am 9. September, „[v]on Osiandro weren unser Kirchen Urteil am tage“ (Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v). Der ‚Preußische Bericht‘ teilt mit: „Philippus dicit Extare sua scripta, se ab ea mente nunquam discessurum.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3r). 81 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. 82 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. 83 Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Februar: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539. Entsprechend in der ‚Historia‘: „De secundo articulo [scil. der Lehre Osianders als zweiter nach ernestinischer Forderung zu verwerfender Irrlehre] extare nostra scripta, quibus perspicue refutatur Osiandri doctrina.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540). 78
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
293
5. September in derselben Weise über Osiander geäußert haben. Dann wäre seine Äußerung von Schnepf entweder nicht wahrgenommen oder aber für nicht berichtenswert gehalten worden, weil sie hinter den Erwartungen der ernestinischen Deputierten zurückblieb. Melanchthon selbst könnte hingegen den Verweis auf frühere Schriften als Möglichkeit dafür angesehen haben, in der Sache bei seiner bisherigen Haltung zu Osiander zu bleiben, gleichzeitig aber die Konfrontation mit Brenz zu vermeiden. Verhielte es sich so, dann hätte Melanchthons differenzierte Vorgehensweise sich den gnesiolutherischen Opponenten zumindest am 5. September noch nicht erschlossen. Nachdem er auf die einzelnen umstrittenen Lehrfragen eingegangen war, kehrte Melanchthon nach Auskunft der ‚Gemeinsamen Relation‘ am Schluß seiner Rede noch einmal zu den Verwerfungen als solchen zurück: An förmlichen Lehrentscheidungen müßten mehr Personen als die jetzt in Worms Versammelten beteiligt werden.84 Außerdem kündigte er eine Protestation zur Eröffnung des Religionsgesprächs an, in welcher er „das Interim, vnd alle andere actiones, so der confession zu wieder geschehen sein möchten, verwürffe, damit sie ia billich, wo man sonst friedt vnd einikait suchte, gesetigt sein solten.“85 Die Wendung von der erwarteten Sättigung mag auf Melanchthon zurückgehen oder ein Kommentar der Verfasser der ‚Gemeinsamen Relation‘ sein – sie blieb nicht mehr als ein Postulat. Die kursächsischen Räte mußten jedenfalls das Gegenteil konstatieren: „Es seint aber die Weimarischen damit nicht gesettigt gewesen“86. Während nämlich die politischen Räte – mit der ungenannten Ausnahme Monners – zufrieden waren mit Melanchthons Ausführungen,87 hätte Schnepf für die ernestinischen Deputierten gerne Gelegenheit zu einer Replik erhalten, was ihm die Assessoren aber wiederum verwehrten.88 Stattdessen wurden die Theologen in ihre Herbergen entlassen; allein die ernestinischen Deputierten mußten im Rathaus den
84
Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v–22r. Vgl. dazu unten S. 308 f. die Gegenüberstellung von Melanchthons Entwurf seiner Eröffnungsrede und den ‚Articuli constituendi consensus‘ in Abschnitt 4.2.3. Zur weiteren Auseinandersetzung um die angekündigte Protestation vgl. die Ausführungen in Abschnitt 4.5.1; dort S. 359 in Anm. 411 Überlegungen zu den Abfassungsverhältnissen. Literaturhinweise zur Eröffnungssitzung des Religionsgesprächs unten S. 368 in Abschnitt 5.1 Anm. 5. 86 Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 65r. 87 Vgl. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 64v–65r; Melanchthon an Fst. Joachim von Anhalt, Worms 6. September 1557: CR 9, Sp. 260, Nr. 6333 = MBW 8329. 88 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45. 85
294 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Ausgang einer weiteren Beratung der Assessoren mit den politischen Räten abwarten.89
4.1.4 Vierter Akt: Bescheid der politischen Räte, ernestinische Replik und Abbruch Hinter verschlossenen Türen verständigten Assessoren und politische Räte sich auf einen Bescheid an die ernestinischen Deputierten über die Gründe, „[w]arumb die andere stende der Auspurgischen confession irem furhaben keinen beifal geben konten“90. Die ‚Gemeinsame Relation‘ referiert den Bescheid, anscheinend anhand eines Konzeptes, in fünf Punkten.91 An erster Stelle wiederholten die politischen Räte ihr pragmatisches Argument, daß die aufgebrachten Fragen zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden müßten, weil sowohl der für die Vorberatung angesetzte Termin wie auch der vorgesehene Eröffnungstag des Reichsreligionsgesprächs verstrichen seien. Zweitens verstoße es gegen den Regensburger Reichsabschied, wenn sich die ernestinischen Deputierten von den übrigen Theologen der Stände Augsburgischer Konfession absonderten und damit das Reichsreligionsgespräch verhinderten. Der von allen Ständen bewilligte Reichsabschied aber habe, so drittens, unbedingten Vorrang vor dem Nebenabschied, „so nhur Relation weiß auf der Chur vnd fursten Ratification gerichtet“, welche aber nicht erfolgt sei; und daher binde der Reichsabschied die ernestinischen Teilnehmer „als zum colloquio deputierte publicae personae“, jede andere Verpflichtung und Instruktion überbietend. Viertens sollten die ernestinischen Deputierten die politischen Konsequenzen bedenken sowie als unmittelbare Auswirkung auf dem Religionsgespräch erwägen, was es „den widersachern fur ein frolocken machen wurde, wan sie diese zwiespalt erfüren“; sie könnten zudem sogar in den Verdacht geraten, daß es ihnen mit der zu Beginn gemeinsam mit den übrigen Theologen abgegebenen Erklärung, bei der CA zu bleiben, nicht ernst wäre. Schließlich sei fünftens im Regensburger Nebenabschied nicht Verwerfung, sondern Vergleichung vereinbart worden, was so interpretiert wird, „das die Theologi vnsers thails vor dem Colloquio zusammen komen, vnd sich miteinander freuntlich vergleichen, vnd vereinigen solten, das sie bei der Augsburgischen confession bleiben wollten“. Das aber sei „nuhn allbereit im ersten Congressu“, also der Versammlung dieses Tages, erfolgt, und „so where dadurch albereit dem Regensburgischen neben abschiedt 89
Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 22r. 91 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 22r–23v; dort auch sämtliche in den folgenden beiden Absätzen angeführten Zitate. 90
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
295
genug geschehen, sonderlich weil das andere gezeng von den Adiaphoris vnd propositione Maioris nhur ein logomachia vnd aus neidt vnd priuat affecten hergeflossen where.“ Bis auf die zuletzt zitierte Einschätzung vermeidet der Bescheid der politischen Räte sorgsam jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den ernestinischen Forderungen. Argumentiert wird vielmehr formal und juristisch, insbesondere hinsichtlich der minderen Geltung des Regensburger Nebenabschieds, sowie mit den politischen und konfessionspolitischen Konsequenzen. Hier bestätigt sich, daß es ganz Melanchthons Rede zugedacht gewesen war, die Sachargumente einzubringen, und daß alles getan wurde, um eine direkte Austragung der theologischen Auseinandersetzungen in Rede und Widerrede zu vermeiden. Die ernestinischen Deputierten nahmen deutlich wahr und berichteten ihrem Herzog, daß der Grundton des Bescheids auf Warnung, ja sogar Drohung gestimmt war: „Vnd liessen aber hiemit die Assessorn allerley erInnerung, Warnung auch zum teill trewung92 mitlauffen, die E. F. G. vnnd wir woll bedenncken möchten Vnd sunderlich die grossen Ergernussen, die wir damit wurden anrichten, Item die Vngnade des Romischen Kunigs, deren wir vnns zu befahren hetten, dieweill durch vnns der Span eingeworffen.“93
Schließlich teilt Schnepf noch eine konkrete Androhung mit, die in der ‚Gemeinsamen Relation‘ unerwähnt bleibt: „Vnd da wir ja nitt wollten, hetten sie wol andere personen vorhanden, mit denen sie Vnsere Stedt gar wol ersetzenn mochten.“94. Ein Bericht der kursächsischen Räte bestätigt Schnepfs Darstellung.95 Damit aber kam die zuvor schon vom württembergischen Herzog und seinen Deputierten in Erwägung gezogene96 Ausschließung der ernestinischen Deputierten nun auch im Rahmen der Vorverhandlungen auf den Tisch. Nun wurde Schnepf eine Replik gewährt. Was er seinem eigenen Bericht nach vortrug, war in erster Linie eine Auseinandersetzung mit Melanchthons Rede: Er sprach sich gegen Melanchthons Bagatellisierung des Adiaphorismus aus und führte dessen Gefährlichkeit weit ausholend an 92 ‚trewung‘ – Variante zu ‚Dräuung‘, ‚Drohung‘ (vgl. DWb Bd. 2, Sp. 1349 s. v. ‚drohung‘). 93 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 335, Nr. 45. 94 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 335, Nr. 45. 95 Die kursächsischen Räte berichten, daß „Inen [scil. den ernestinischen Deputierten] diese entliche antwort gegeben wurden [sic!], das es die andern stende musten geschehen lassen, sie wolten aber nichts desto weniger im Colloquio vorfaren, vnd die zaal der Collocutores mit den supernumerarien ersetzen.“ (Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 65r). 96 Siehe oben S. 219 Abschnitt 3.2.2 bei Anm. 108f.
296 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Text und Inhalt des Leipziger Interims vor.97 Auch die Schädlichkeit des Osiandrismus stellte er dar und monierte, daß Melanchthon entgegen seinen früheren Äußerungen darüber hinweggegangen sei.98 Schließlich bekräftigte er die Bindung an die herzogliche Instruktion und faßte die Verwerfungsforderung in einen förmlichen Einspruch: „Endlich langt Ich damit zu Ende, das Ich E. F. G. Instruction widerumb repetiret und confirmieret, Dieweill wir dieses aber nit erlangen kundten, Musten wir die Sachen dem treuen Gott beuelen Vnnd wollten hiemit protestiert haben. Das wir offt gemelte Irthumbe vnnd Ketzereyen verdampten vnnd für verdampt wollten haben“99.
Schnepfs Ausführungen schlossen sich Strigel und Stössel ausdrücklich an.100 Auch Monner sprach noch einmal. Auf die Einlassungen der anderen politischen Räte über die Bindekraft der ernestinischen Instruktion entgegnete er laut Schnepfs Bericht: „So wollte vnns auch so wenig gebüren von vnser Instruction zu weichen, Als Ihnen den Herrn Assessorn vnd andern politicis von Ihren Instructionen.“101 Damit war der Stand der Auseinandersetzung auf eine Formel gebracht, und man ging auseinander – gegen sechs Uhr,102 fast fünf Stunden nach Eröffnung der Zusammenkunft. Über das Auseinandergehen selbst liegen freilich widersprüchliche Mitteilungen vor. Während Schnepf schreibt, daß die ernestinischen Deputierten abgetreten seien, weil nichts weiter zu erreichen gewesen sei,103 berichtet die ‚Gemeinsame Relation‘ von einem Eklat. Die Assessoren und politischen Räte hätten sich durch Schnepfs Rede – Beiträge Strigels, Stössels oder Monners werden gar nicht erwähnt – derart brüskiert gesehen, daß sie „stracks aus dem Radt one einige gegebene antwort vffgestanden, vnd daruon gegangen“ seien.104 Als Grund der Empörung wird in Sonderheit der Schluß von Schnepfs Rede angegeben: „[…] vnd war der Schluß seiner […] rede dahin gerichtet, das sieder dem gefengnuß ires g. f. vnd h. vatters, die […] lhere der Auspurgischen Confession von den anderen stenden nicht behalten, sonder allerlej verfeslchung [sic!] eingereimet where, mit angehaffter protestation, das sie obernante Secten vnd Jrthumb hiemit in spetie, sambt den auctoribus condemnieren, verwerffen, vnd der Auspurgischen confession ausschließen theten.“105
97
Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 335 f., Nr. 45 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 336, Nr. 45. 99 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 336, Nr. 45. 100 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 336, Nr. 45. 101 Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 336, Nr. 45. 102 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 337, Nr. 45. 103 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 336 f., Nr. 45. 104 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24r. 105 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 23rv. 98
4.1 Formelle Vorberatungen am 5. September
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Sollte Schnepf also doch nicht „alles mit linden bescheidenen Wortten“106 vorgetragen haben, wie er sich selbst attestierte? Von der Warte seiner Gegner aus war das wohl kaum der Fall; sie faßten seine Ausführungen auf als „erzelung dessen, so Illiricus wieder die stende geschrieben“107. Und dennoch muß auch der Bericht über den angeblichen Eklat mit Vorsicht gelesen werden: Denn Schnepfs Mitteilungen über die Äußerungen Strigels, Stössels und Monners können nicht völlig aus der Luft gegriffen sein, weshalb sich die Assessoren und politischen Räte jedenfalls nicht direkt nach Schnepfs Rede erhoben haben können. Demnach wird das Auseinandergehen eher ein kalkulierter Abbruch als ein spontaner Ausbruch gewesen sein. Der Abbruch aber erfolgte genau an dem von Monner markierten Punkt, an dem Auffassung gegen Auffassung, Instruktion gegen Instruktion stand. Treffend ist daher die summarische Bemerkung des ‚Preußischen Berichts‘: „Die Assessoren versuchen, ihren Ratschlag und ihre Autorität geltend zu machen, aber nichts ist an diesem Tag entschieden worden.“108 Mithin war das Ende ein offener Ausgang. Gegen die Intention der Assessoren verlangte die Zusammenkunft des 5. September nach einer Fortführung. Insofern wurde sie zur Eröffnung formeller Vorberatungen. Wie es weitergehen sollte, war freilich ungewiß. Sofort kamen Gerüchte über eine Entzweiung unter den evangelischen Deputierten auf,109 was den Handlungsdruck erhöht haben dürfte. Die ernestinischen Deputierten entwickelten deshalb im Schlußteil von Schnepfs Bericht bereits verschiedene Handlungsmöglichkeiten. So schlugen sie dem Herzog vor, eine Rechtfertigungsschrift drucken zu lassen110. Außerdem brachten sie wiederum die Option der secessio111 aus Worms ins Spiel, nunmehr bereits verbunden mit konkreten Fragen zur Organisation der Abreise: Der Herzog müsse sie für den Fall, daß sie abreisen sollten, wissen lassen, „durch wasserley fuhre solchs geschehenn möchte, dann dieser Lannde Pferde Sein nitt an die teysselwägen112 gewehnet. Es wirdt auch der Zerung halben sein eigen bedencken haben.“ Schließlich erinnerten sie den Herzog noch einmal an die politische Dimension der Auseinandersetzung, daß nämlich ihr Vorgehen als gegen das albertinische Sachsen gerichtet aufgefaßt werden könnte. Abschließend ermunterten sie 106
Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 336, Nr. 45. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 23v. 108 „Adsessores student interponere suum consilium et auctoritatem, sed nihil eo die decernitus.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 2v). 109 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 337, Nr. 45. 110 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 337, Nr. 45; dort auch die folgenden Zitate in diesem Absatz. 111 Vgl. oben Abschnitt 3.4.2. 112 Der Wortbestandteil ‚teyssel‘ ist eine Variante zu ‚Deichsel‘ (vgl. DWb Bd. 2, Sp. 908 s. v. ‚deichsel‘). 107
298 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen aber den Herzog und sich selbst mit Bibelworten zur Standhaftigkeit: „Es heisset aber: si Deus pro nobis, quis contra nos? Et castra metabitur Angelus Domini in circuitu timentium […]“113. Die Überlegungen der ernestinischen Deputierten sind zusammen zu sehen mit dem, was die Assessoren und politischen Räte ihnen angedroht hatten, daß nämlich ihr Verhalten politische Weiterungen nach sich ziehen könne und daß man sie ausschließen und ersetzen werde. Damit ist von beiden Seiten bereits das ganze Arsenal an Drohungen, Sanktionen und Abwehrmaßnahmen für die weiteren Auseinandersetzungen aufgefahren. Zunächst aber geschah nichts. Zwar begann eine Vermittlungsgruppe, sich Gedanken über einen Verständigungsversuch zu machen.114 Die gnesiolutherische Gruppe aber war von der Causa Monner in Anspruch genommen.115 Die evangelischen Assessoren wandten sich wieder der Vorbereitung des Reichsreligionsgesprächs zu. Sie traten am 6. September in Verhandlungen mit den Assessoren der Gegenseite wegen der gewünschten Erläuterung der Eidesformel.116 Es scheint, als hätten die Assessoren den aufgebrochenen innerevangelischen Dissens vorerst dilatorisch behandeln wollen. Und tatsächlich kam der nächste Impuls zu weiteren Verhandlungen von außen. Es waren Gesandte des Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich, die für den 9. September die nächste Versammlung der evangelischen Deputierten einberiefen.
4.2 Intermezzo: Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel Bereits am Abend des 5. September könnte der pommersche Theologe Jakob Runge auf dem Weg vom Rathaus zur Herberge „Beim Hintern Weißen Schwan“ bei seinen Kollegen aus Hessen, Straßburg und Brandenburg-Ansbach vorgefühlt haben, ob sie nicht miteinander einen Vermittlungsversuch machen wollten. Man hatte ohnehin denselben Weg: Die Delegationen der genannten vier Stände, außerdem noch die Württemberger, waren gemeinsam in der Herberge untergebracht.117 So bestand auch Gelegenheit, den Gedanken ohne besondere Verabredung beim Abendessen oder beim abendlichen Umtrunk weiterzuverfolgen, vielleicht mit der Einschränkung, 113
Die angeführten Bibelworte sind Röm 8,31 und Ps 34,8 = Vulgata Ps 33,8 entnom-
men. 114
Vgl. den folgenden Abschnitt 4.2. Vgl. unten Abschnitt 4.3. 116 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Worms 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 16r. 117 Vgl. oben S. 218 bei Anm. 106. 115
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
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daß man die Württemberger nicht gerade dabei haben wollte, weil sie zu den Konfliktparteien zählten, zwischen denen zu vermitteln war. Aber dann bestand ja immer noch die Möglichkeit, sich auf die eigenen Kammern zurückzuziehen. Die Quellen teilen freilich nichts mit über die äußeren Umstände des von Runge initiierten Vermittlungsversuches. Die Hauptquelle ist sein eigener Bericht vom 2. Oktober. Darin vermerkt der pommersche Generalsuperintendent im direkten Anschluß an seine summarische Schilderung der Auseinandersetzungen des 5. September: „Do haben Pistorius der Landtgrefische vnd Doctor Marbach der Strasburgische vnd M. Karg der Marggrefische Theologus vnd Ich auf mein Anregen auf wege gedacht, wie eine Consensio vnter vns gemacht vnd so schadliche geferliche Ergernis verhutet.“118 Angaben zu Zeit und Ort, aber auch zur Konstituierung der vierköpfigen Vermittlungsgruppe fehlen. Allein daß die Initiative von ihm ausging, teilt Runge mit.
4.2.1 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ Was verband Pistorius, Marbach, Karg und Runge außer der gemeinsamen Unterkunft, nach der sie im folgenden als Gruppe ‚Weißer Schwan‘ bezeichnet werden? Und wie kamen gerade sie dazu, sich der Vermittlung zwischen den evangelischen Kontrahenten in Worms anzunehmen? Andere äußere Gründe für eine Verbindung der Theologen als die gemeinsame Unterkunft scheiden aus. So waren die vier keine Altersgenossen. Die Altersspanne reicht von dem 1502 oder 1503 geborenen und also in den Fünfzigern stehenden Pistorius119 über den Mittvierziger Karg und den 36jährigen Marbach bis hin zu Runge, der 1557 erst sein 30. Lebensjahr vollendete. Sie gehörten auch im weiteren Sinne nicht einer Reformatorengeneration an, denn Pistorius war schon Geistlicher in Nidda, als in Hessen die Reformation eingeführt wurde, wohingegen die anderen drei bereits unter reformatorischen Vorzeichen aufwuchsen oder zumindest ihr Studium aufnahmen. Karg, Marbach und Runge haben in Wittenberg studiert, jedoch nicht gleichzeitig. Ob sich die vier vor 1557 persönlich begegnet sind, ist nicht bekannt; im Juni 1557 aber haben Marbach, Pistorius und Karg am Frankfurter Konvent teilgenommen, allerdings ohne daß sich dort eine engere Verbindung zwischen ihnen feststellen ließe. Auch zwischen den entsendenden Ständen gab es keine besonders engen Beziehungen. Die ausgeprägteste Verbindung hatte zwischen Straßburg und der Landgrafschaft Hessen bestanden, aber die besondere Qualität dieser Verbindung war eng an die Person Butzers geknüpft gewesen und gehörte daher seit dessen Emigration und Tod der Vergangenheit an. 118 119
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v. Vgl. Günther, S. 11 in Verbindung mit S. 66, Anm. Ä11.
300 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Was Pistorius, Marbach, Karg und Runge als Vermittlungsgruppe zusammenführte, dürften demnach Sachgründe und ein gemeinsames Anliegen gewesen sein. Einen Hinweis gibt Runge, wenn er festhält: „Die Stende, Marggraf von Anspach, Pommern, Hessen, Strasburg, haben oft bezeugt, das Gott lob vnsere Kirchen mit berurten gezencken nicht zu thuen haben.“120 Hier wird ein gemeinsamer Standpunkt jenseits der Auseinandersetzungen zwischen der gnesiolutherischen Gruppe, den Kursachsen und den Württembergern beansprucht, und das nicht nur aktuell in Worms, sondern auch unabhängig vom Religionsgespräch und bezogen auf die Kirchentümer der Stände. Geradezu programmatisch formuliert Runge im Resümee seines Berichts vom 2. Oktober als gemeinsame Position der vier Delegationen, „vns noch den Weimarischen, noch den Wirtembergischen, noch den Drestischen anhengig zu machen, sondren zum friden zu raten“121. Nun war es keineswegs so, daß Brandenburg-Ansbach, Pommern, Hessen und Straßburg von den theologischen Auseinandersetzungen der Zeit unberührt geblieben wären. Georg Karg etwa war einer der beiden Protagonisten in einem Ansbacher Abendmahlsstreit, über den die in Worms versammelten Theologen ein von seinem Landesherrn angefordertes Gutachten aufsetzten.122 Außerdem hatte Karg nach seinem Amtsantritt als Generalsuperintendent der Markgrafschaft schwierige Auseinandersetzungen bei der Abschaffung des Auctuariums, der brandenburg-ansbachischen Kompromißlösung zwischen Augsburger Interim und eigener Kirchenordnung, zu bestehen gehabt.123 Bezeichnend ist aber, daß es keine direkten Wechselwirkungen zwischen den Auseinandersetzungen um das Auctuarium in der Markgrafschaft und den sonstigen adiaphoristischen Streitigkeiten gegeben zu haben scheint.124 Auch die pommersche Auseinandersetzung mit dem Stettiner Osiandristen Artopoeus wurde weitgehend innerständisch geregelt.125 Allerdings konsultierte Jakob Runge 1555 deswegen Melanchthon und reiste mit dem Wittenberger noch während des in Pommern laufenden Verfahrens nach Nürnberg, um sich an der Beilegung der dortigen osiandristischen Streitigkeiten zu beteiligen.126 Hier trat Runge mit einer Predigt hervor, die den öffentlichen Abschluß des Wirkens der Theologengesandtschaft in Nürnberg bildete.127 Das ist jedoch der einzige Fall, in dem sich einer der vier Theologen Karg, Runge, Pistorius und Marbach vor 1557 öffentlich und jenseits der Grenzen des eigenen Standes an einer der gesamtprotestantischen Auseinandersetzungen der Zeit beteiligt hatte.
120
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 33r. 122 Vgl. Weiss, S. 167 f.; vgl. ferner unten S. 385 f. im Abschnitt 5.1.4 bei Anm. 73–82. 123 Vgl. Weiss, S. 53–60. 124 Vgl. Weiss, S. 106. 125 Vgl. Fligge, S. 339–344. 126 Vgl. Fligge, S. 341 f. 331–335. 127 Vgl. Gummelt, S. 61; Fligge, S. 334 f. 121
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
301
Aber trotz Berührungen mit den theologischen Auseinandersetzungen der Zeit konnten die vier Theologen mit einigem Recht eine gewisse Neutralität oder doch zumindest Distanz zu den Auseinandersetzungen für sich beanspruchen. Bot solche bisherige Neutralität eine gute Voraussetzung für Vermittlungsbemühungen, so mußte es als weiterer Vorteil erscheinen, daß auf persönlicher und ständischer Ebene enge Verbindungen zu verschiedenen Beteiligten an den in Worms aufgebrochenen Auseinandersetzungen bestanden. Zwischen Württemberg und einerseits Brandenburg-Ansbach sowie andererseits Straßburg gab es nicht nur die geographische Nähe; hinzu kamen im Fall Brandenburg-Ansbachs dynastische Verbindungen128 und Brenz’ früheres Wirken dort, im Fall Straßburgs die Verständigung im Vorfeld der Beschickung des Konzils von Trient. Bei Marbach ist zudem zu bedenken, daß er in Worms als Quasi-Hoftheologe der Kurpfalz fungierte,129 des engsten konfessionspolitischen Verbündeten Württembergs. Die Landgrafschaft Hessen stand ohnehin in enger politischer und konfessionspolitischer Verbindung sowohl mit Württemberg als auch mit Kursachsen, darüber hinaus aber war der Wormser Deputierte Pistorius seit dem Augsburger Reichstag 1530 mit Melanchthon persönlich bekannt und hatte dort wie auf den Religionsgesprächen der 1540er Jahre eng und vertrauensvoll mit Melanchthon zusammengewirkt.130 Auch Karg und Runge hatten bereits mit Melanchthon zusammengearbeitet: Karg hatte für Brandenburg-Ansbach nicht nur die Confessio Saxonica unterzeichnet, sondern hatte auch gemeinsam mit der kursächsischen Delegation zum Konzil von Trient reisen wollen und deshalb mit Melanchthon in Nürnberg gewartet.131 Daß auch Jakob Runge mit der kursächsischen Konzilsdelegation unterwegs gewesen sein soll, trifft indes vermutlich nicht zu.132 Eine engere Verbindung Runges mit Melanchthon rührt aber von der bereits erwähnten Mitwirkung an der Beilegung der osiandristischen Streitigkeiten in Nürnberg her.133
Was jedoch fehlt, sind Verbindungen zu den Mitgliedern der gnesiolutherischen Gruppe oder engere Beziehungen auf der Ebene der jeweiligen Stände. Naheliegend wäre eine Verbindung zwischen den Städtevertretern Marbach und Mörlin gewesen, jedoch ist lediglich ein Austausch zwischen Mörlins Koadjutor Chemnitz und dem Straßburger bezeugt.134 Zum Herzogtum Sachsen unterhielt keiner der vier Stände, von denen die um Vermittlung 128 Herzog Christoph von Württemberg war mit Anna Maria von Brandenburg-Ansbach, einer Halbschwester des Markgrafen Georg Friedrich, verheiratet. 129 Vgl. oben S. 80 bei Anm. 175 f. 130 Vgl. Günther, S. 16–18, S. 26–29; Mirbt, Art. Pistorius I., S. 416. 131 Vgl. Weiss, S. 48–50. 132 Vgl. Gummelt, S. 59 f. 133 Vgl. oben S. 300 bei Anm. 126 f.; vgl. ferner Gummelt, S. 62 f. 134 Chemnitz bat Marbach Ende Mai 1558 um die Rückgabe des in Worms überlassenen Manuskripts einer Abendmahlsschrift (vgl. dazu Mahlmann, Dogma, S. 205 f.) und fügte hinzu: „Et grata et iucunda mihi fuit illa familiaritas, quae mihi tecum intercessit in urbe Vangionum, Wormatia.“ (Chemnitz an Marbach, Braunschweig 29. Mai 1558: Fecht II, S. 79 f., hier S. 79). Die Überlassung des Manuskripts zeigt, daß Marbach und Chemnitz
302 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen bemühten Theologen entsandt waren, engere Beziehungen, auch nicht zur Grafschaft Mansfeld. Die wichtigste Anknüpfungsmöglichkeit in Richtung der gnesiolutherischen Gruppe bot Runges in Nürnberg öffentlich bekundete Ablehnung des Osiandrismus. Betrachtet man also die Stellung der vier Mitglieder der Vermittlungsgruppe im Beziehungsgeflecht der evangelischen Deputierten in Worms, so scheinen sie eher für eine Vermittlung zwischen Württembergern und Kursachsen disponiert zu sein als für eine Schlichtung des Konflikts um die Verwerfungsforderungen der gnesiolutherischen Gruppe. Markiert das die eine Grenze für die Möglichkeiten der Vermittlungsgruppe, so war die andere durch ihre theologische Ausrichtung gesetzt; sie war durch den Anschluß an Melanchthon gekennzeichnet, wie sich aus der Analyse der Vermittlungstexte ergibt. Trotzdem unternahm die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ mehrere Vermittlungversuche.135
4.2.2 Der erste Vermittlungsversuch der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ Wie lief der erste Vermittlungsversuch aus der Herberge „Beim hinteren weißen Schwan“ ab? Am Anfang standen laut Runges Bericht gemeinsame Überlegungen der vier Theologen unter dem Eindruck des Eklats vom 5. September, wie Schlimmeres zu verhüten sei.136 Offensichtlich einigte man sich darauf, daß Runge eine Reihe von Verständigungsartikeln entwerfen sollte, denn Runge teilt seinem Herzog weiter mit: „Domal habe ich Artikel gestellet, die ich E. F. G. zuschicke verzeichnet mit A.“137 Die Sigle A verweist im Aktenzusammenhang auf eine Abschrift von Konsensartikeln, die überschrieben ist: „Articuli constituendi consensus inter Theologos Augustanae Confessionis quos Ienenses, D. Morlinus et Sarcerius amplecti noluerunt“138. Die ‚Articuli constituendi consensus‘ sind demnach von Runge in Verbindung mit Pistorius, Marbach und Karg aufgesetzt worden und gehören in Worms in engeren Kontakt getreten waren, so daß Chemnitz’ freundliche Worte keine bloße Floskel gewesen sein dürften. 135 Zu den weiteren Vermittlungsversuchen vgl. unten Abschnitt 5.4.1. 136 Vgl. oben S. 299 bei Anm. 118. 137 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v. 138 Im pommerschen Aktenzusammenhang: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 51rv; im folgenden bezeichnet als ‚Articuli constituendi consensus‘ respektive kurz als ‚Articuli‘ oder Konsensartikel. Die ‚Articuli constituendi consensus‘ sind nach einer mit der pommerschen Abschrift übereinstimmenden Marburger Abschrift (vgl. Anm. 141) abgedruckt bei Heppe I, Anhang S. 27–29, Nr. X. Weil Heppes Abdruck sich bei der Überprüfung am Marburger Archivale als weitgehend zuverlässig erwies, werden die ‚Articuli constituendi consensus‘ im folgenden nach Heppe zitiert; kleinere Korrekturen gegenüber Heppe sind gegebenenfalls angemerkt.
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
303
in den Kontext der Vorverhandlungen. Die einschlägige Literatur bis hin zur Darstellung von Bundschuhs ordnet sie hingegen – mit Ausnahme Fligges139 – im Nachgang Heppes den Hauptverhandlungen zu, näherhin den Verhandlungen des 22. September.140 Dafür gibt es allerdings auch einen Anhalt in den Quellen. Denn die ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte verweist, bezogen auf die Verhandlungen des 22. September, mit der Sigle C auf die ‚Articuli constituendi consensus‘ als von den Theologen vorgeschlagene „mittell“, um den Bruch zwischen den evangelischen Deputierten zu verhindern.141 Runges Angaben ist jedoch der Vorzug zu geben. Hierfür spricht zunächst, daß Runge selbst federführend an der Aufstellung der ‚Articuli constituendi consensus‘ beteiligt war, während die politischen Räte in der ‚Gemeinsamen Relation‘ lediglich aus zweiter Hand über ein Konsenspapier der Theologen berichten und auf dessen Abschrift verweisen. Sodann ordnet Runge den Verhandlungen des 22. September ein anderes, nur von ihm überliefertes Konsenspapier zu,142 die von Melanchthon aufgesetzte ‚Forma protestationis‘143. Aufgrund der Erschließung der pommerschen Quellen konnte im Kommentar zu den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels die seit Heppe geläufige Zuordnung der ‚Articuli constituendi consensus‘ zu den Verhandlungen des 22. September korrigiert werden.144 Eine zusätzliche Bestätigung für die Zuordnung der ‚Articuli constituendi consensus‘ zu den Vorverhandlungen bietet der ‚Preußische Bericht‘, der in wörtlicher Aufnahme des Titels mitteilt: „Am 10. Tag legen D. Marbach, Pistorius und Runge dem Philipp, Brenz und den Jenensern schriftlich aufgesetzte Artikel zur Konsensbildung vor.“145 Warum der ‚Preußische Bericht‘ Karg nicht unter den Urhebern der Vergleichsartikel nennt, läßt sich nicht
139
Vgl. Anm. 145. Vgl. Heppe I, S. 197; Wolf, S. 97; v. Bundschuh, S. 459 f. bei Anm. 91. 141 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29v; die mit „C“ signierten ‚Articuli constituendi consensus‘ finden sich im Marburger Aktenzusammenhang in Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 45r–46r. Zur Datierung des in der ‚Gemeinsamen Relation‘ Berichteten auf den 22. September (Wolf, S. 97; v. Bundschuh, S. 459) vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50. 142 Vgl. Runges Verweis mittels Sigle D (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28v). 143 Melanchtons ‚Forma protestationis‘: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r = MBW 8360, mit Sigle D gekennzeichnet. 144 Vgl. MBW.R Bd. 8, S. 127 f. im Kommentar zu MBW 8362. 145 „Die X. D. Marbachius. Pistorius & Rungius, articulos constituendi consensus conscriptos offerunt Philippo Brentio & Ienensibus.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v; Hervorhebung B. S.). Auf derselben Angabe beruht auch Fligges eigenständige Erwähnung von Vergleichsartikeln, die von Marbach, Pistorius und Runge ausgearbeitet worden seien (vgl. Fligge, S. 396 f. bei Anm. 256). 140
304 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen feststellen, jedoch ist hier dem detaillierteren Bericht Runges aus erster Hand der Vorzug zu geben.146 Dürfte somit feststehen, daß die ‚Articuli constituendi consensus‘ in den Kontext der Vorverhandlungen gehören und im Nachgang zu den Verhandlungen des 5. September entstanden sind, so bleiben demgegenüber die näheren Umstände ihrer Einbringung oder Beratung weitgehend unklar. Der pommersche Rat Christian von Küssow teilte zwar am 11. September seinem Herzog mit, „daz uff denn 6. septembris etliche theologj vnderhandlunng vorgenomen“147, darunter mit Namen Brenz, Melanchthon, Pistorius, Runge und Marbach, während die ernestinischen Theologen sowie Mörlin und Sarcerius nicht erwähnt werden. Auch weiß Küssow von einer Intervention der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ bei der Unterhandlung zu berichten, daß nämlich „etliche theologj alß Pistorius Hessiacus, M. Jacobus Rungius vnnd Marbachius Argentinensis sich in den handell geschlagenn“148. Auf den Inhalt ihrer Intervention geht Küssow nicht näher ein; aus seinen Mitteilungen über Erwiderungen Melanchthons und Brenz’ läßt sich aber erschließen, daß die Intervention sich an die beiden gerichtet hatte und daß von ihnen Erklärungen über Osiander, die Abendmahlslehre und Major verlangt worden waren. Melanchthon erklärte sich laut Küssow zur Zufriedenheit der Intervenierenden, wovon Brenz abgesetzt wird, der sich nicht zu einer Distanzierung von Osiander bereit gefunden habe.149 Allem Anschein nach handelt es sich bei der von Küssow geschilderten Unterhandlung um ein Krisengespräch unter denjenigen Theologen, die sich am Vortag nicht zu den von Monner und Schnepf geforderten Verwerfungen bereit erklärt hatten. Von Konsensartikeln aber ist in Küssows Mitteilungen über den 6. September nicht die Rede. Auch bei den Verhandlungen unter kurpfälzischem Vorsitz am 9. September, als es zur ersten direkten Auseinandersetzung unter den Theologen in den formellen Vorberatungen kam, scheinen die Konsensartikel keine Rolle gespielt zu haben. Laut dem ‚Preußischen Bericht‘ legten ihre Urheber sie vielmehr erst am 10. September Melanchthon, Brenz und den herzog146 Der ‚Preußische Bericht‘ stellt zudem an anderer Stelle, wenn auch ohne Namensnennung, einen positiven Bezug Kargs zu den Konsensartikeln fest: „Theologi, Palatini, & Marchionis, vehementer optassent omnes in eos [scil. articulos] consentire.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 4r). 147 Küssow an Hzg. Philipp, Frankfurt am Main 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v; hier fol. 18r. Was den beim Religionsgespräch als Auditor fungierenden Küssow am 11. September, dem Tag der Eröffnung des Religionsgesprächs, nach Frankfurt führte, ist nicht bekannt. 148 Küssow an Hzg. Philipp, Frankfurt am Main 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v; hier fol. 18r. Wie im ‚Preußischen Bericht‘ bleibt Karg unerwähnt; vielleicht hielt er sich zunächst im Hintergrund. 149 Vgl. Küssow an Hzg. Philipp, Frankfurt am Main 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v; hier fol. 18rv.
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
305
lich-sächsischen Theologen vor.150 In einer gewissen Spannung dazu scheint Runges eigene Schilderung zu stehen. Denn Runge berichtet vor seiner Darstellung der Verhandlungen des 9. September über die ‚Articuli constituendi consensus‘ und ihre Aufnahme.151 Allerdings muß die Abfolge nicht chronologisch gemeint sein. Sie könnte vielmehr auch dadurch veranlaßt sein, daß Runge im sachlichen Anschluß an seine Mitteilung des Entschlusses zum Vermittlungsversuch sogleich über dessen Fortgang berichten wollte. Zudem ist die Anfügung des Berichts über die Verhandlungen des 9. September recht unbestimmt152 und läßt es als möglich erscheinen, daß sich die Gespräche über die ‚Articuli‘ und die Verhandlungen unter kurpfälzischem Vorsitz zeitlich überschnitten haben. Obgleich somit die Abfolge in Runges Bericht nicht unvereinbar ist mit der Zeitangabe des ‚Preußischen Berichts‘ für die Vorlage der Konsensartikel, so bietet dennoch auch deren Ansetzung auf den 10. September einige Schwierigkeiten: Wieso ist es zu keiner erkennbaren Wechselwirkung mit den Verständigungsversuchen zwischen Melanchthon, Strigel und Mörlin am selben Tag gekommen? Blieb Brenz Zeit für eine Stellungnahme zu den Konsensartikeln, wenn die Württemberger am 10. September ausweislich der württembergischen Kastenrechnung einen Ausflug nach Monsheim, immerhin elf Kilometer von Worms entfernt, unternahmen?153 Sollten sich die Gespräche über die ‚Articuli‘ und die kurpfälzisch initiierten Verhandlungen überschnitten haben, so wären zwei Verhandlungsstränge relativ unverbunden nebeneinander hergelaufen: einerseits formelle Verhandlungen unter Vorsitz von Fürstenvertretern am 5. und 9. September, andererseits informelle Verhandlungen zwischen den Theologen. Festzuhalten bleibt somit, daß die Konsensartikel in den Kontext der Vorverhandlungen gehören, nach dem 5. September aufgesetzt worden sind und daß sich der Zeitpunkt ihrer Vorlage nicht sicher bestimmen läßt. Auch haben sie in den formellen Verhandlungen keine Rolle gespielt, scheinen vielmehr informellen Verhandlungen unter den Theologen verhaftet geblieben zu sein. Während die Verhandlungen auf allen Ebenen bis dahin aber von stetig zunehmender Polarisierung geprägt waren, sind die Konsensartikel das erste Zeugnis eines aus den Reihen der Theologen initiierten Versuches, den aufgebrochenen Dissens zu mäßigen. 150
Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v; S. 303 in Anm. 145 im Wortlaut zitiert. Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v–26r: Die Mitteilungen über die ‚Articuli constituendi consensus‘ finden sich fol. 24v, der Bericht über die Verhandlungen des 9. September fol. 25r–26r. 152 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r: „In dem schicket der Pfaltzgraff Churfurst ein statliche Legation, lesset den IX. Septembris zusamen ruffen […].“ (Hervorhebung B. S.). 153 Vgl. Bossert, Beiträge, S. 43. 151
306 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen
4.2.3 Die Konsensartikel Die ‚Articuli constituendi consensus‘ der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ sind der Gattung und Sprachform nach eine Konsenserklärung, in lateinischer Sprache verfasst und in der 1. Person Plural konzipiert als Erklärung der Kollokutoren, Adjunkten und Supernumerarien, mithin sämlicher zum Wormser Religionsgespräch deputierter Theologen Augsburgischer Konfession. Wären die Artikel angenommen worden, hätten sie sicher von allen Theologen unterzeichnet werden sollen. Bis auf den letzten Absatz, der eine indirekte Bitte an die Fürsten und Magistrate enthält, lassen die Artikel keine bestimmte externe Adressierung erkennen. Sie sind demnach in erster Linie an die potentiellen Unterzeichner selbst gerichtet, die einen Konsens untereinander aufgerichtet hätten, indem sie die Artikel mit ihrer Unterschrift approbiert hätten. So verstanden sind die Konsensartikel in präzisem Sinne „articuli constituendi consensus“, also „Artikel zur Konsensbildung“, wie es die Überschrift besagt, unter welcher die Kopien der Artikel verbreitet wurden. Nach erzielter Übereinkunft hätten sie zur Bekundung nach außen dann freilich auch Dritten vorgelegt werden können, etwa den eigenen politischen Räten, den heimischen Obrigkeiten oder auch der römisch-katholischen Seite im Religionsgespräch. Die Konsenserklärung ist in fünf Artikel unterteilt, wobei die Zählung explizit erst mit dem zweiten Artikel einsetzt.154 Der vorausgehende erste Artikel hebt sich nicht nur formal von der Artikelreihe ab, sondern eröffnet sie als grundlegende Einleitung. Charakteristisch ist die vorgeschlagene Selbstbezeichnung der Träger der Erklärung: „Wir Kollokutoren, Adjunkten und Supernumerarien, von unseren erlauchtesten Fürsten und Magistraten hierher geschickt gegen die Päpstlichen als die gemeinsamen Feinde […]“155. Damit werden die Träger bei den ihnen zugewiesenen Funktionen im Reichsreligionsgespräch behaftet, und die folgende Erklärung wird in den Horizont der akuten kontroverstheologischen Situation gestellt. Impliziert ist der Appell, die internen Auseinandersetzungen zugunsten einer gemeinsamen Front gegenüber der römisch-katholischen Seite zurückzustellen. Anschließend werden in feierlichem Duktus das einmütige Festhalten an der CA und den Schmalkaldischen Artikeln sowie die Verwerfung aller im Widerspruch zur CA stehenden Sekten und Meinungen bezeugt. Eine besondere Note bekommt der Passus dadurch, daß die Bezugnahme auf CA und Schmalkaldische Artikel mit dem Zusatz versehen ist, man halte an ihnen fest „in dem Sinne, der in der Apologie der Konfession dargelegt 154
„Secundo […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X). „Nos collocutores adjuncti et supernumerarii ab illustrissimis principibus et magistratibus nostris huc missi adversus ponitficios comunes hostes […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 27, Nr. X). 155
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
307
ist“156. Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ erklärt damit die von Melanchthon verfaßte Apologie der CA zur maßgeblichen Explikation nicht nur der CA, sondern auch der sechs Jahre nach dem Erscheinen der Apologie verabschiedeten Schmalkaldischen Artikel.157 Die Zuordnung unter Absehung von der Entstehungsreihenfolge zeigt an, daß CA und Schmalkaldische Artikel nicht gegen Melanchthon in Anspruch genommen werden sollen – ein deutlich anderes Interesse, als es die gnesiolutherisch orientierten Theologen mit ihrem Insistieren auf der verbindlichen Anerkennung derselben drei Bekenntnisschriften verfolgten. Ihnen ging es ja darum, der CA mit der Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln einen interpretierenden Rahmen zu geben, der sie vor Verfälschungen der Lehre Luthers, wie man sie nicht zuletzt Melanchthon unterstellte, bewahren sollte. Das abschließende Satzgefüge des einleitenden Artikels räumt zunächst ein, daß die Einberufung einer Synode „vieler schwerwiegender Ursachen wegen“ notwendig und zu wünschen sei, ohne näher anzugeben, was die Ursachen seien und welche „Sachen“ auf der Synode untersucht werden sollten.158 Das wird erst in den folgenden Artikeln ausgeführt, in denen immer wieder die Überweisung von Kontroverspunkten an die künftige Synode vorgesehen ist. Hier in der Einleitung hat der Verweis auf die Synode eine doppelte Funktion: Einerseits soll damit konzediert werden, daß der zuvor feierlich behauptete Konsens nicht unbestritten ist. Andererseits wird aber zugleich angezeigt, daß nach Meinung der Verfasser die bestehenden Divergenzen zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Worms nicht zu überwinden sind. Um der zweifachen negativen Einschätzung, zum einen des behaupteten Konsenses und zum anderen der aktuellen Verständigungsmöglichkeiten, nicht zu viel Raum und damit mögliche Resonanz zu geben, schreiten die Verfasser der Konsensartikel sogleich fort zu dem, was dennoch bereits jetzt getan werden kann: der gemeinsamen öffentlichen Erklärung, daß man die Bestimmungen des Trienter Konzils und des Interims verdamme „als im Widerspruch stehend zum Bekenntnis unserer Kirchen, das dem Kaiser in Augsburg im Jahr 1530 überreicht worden ist.“159 Das ist die einzige förm156 „[…] testamur nos pio et comuni consensu amplecti nostram Augustanam Confessionem et Schmalcaldicos articulos eo sensu, qui in apologia confessionis explicitus est“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 27, Nr. X). 157 Ähnlich erklärte die pommersche Kirchenordnung von 1563, an deren Abfassung Runge federführend beteiligt war (vgl. Heyden, Art. Runge 1., Sp. 1220), daß die Schmalkaldischen Artikel durch Melanchthons Loci auszulegen seien (vgl. Hauschildt, S. 246). 158 „Quamquam autem et necessarium et optandum est propter multas graves causas cogi synodum pastorum ex nostris ecclesiis, cui adsint viri pii et sapientes, in qua res plene et integre cognoscantur, […].“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X). 159 „[…] profitemur nos damnare tum decreta concilii Tridentini tum ejus libri cujus titulus est Interim, pugnantia cum confessione ecclesiarum nostrarum, quae Caesari exhibita est a. 1530.“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X).
308 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen liche Verwerfung in den Konsensartikeln, was die Interpretation nahelegt, daß hier besonders kräftig verworfen wird, um zu kaschieren, daß ansonsten die von gnesiolutherischer Seite geforderten Verwerfungen unterbleiben. Für die Stichhaltigkeit der vorangestellten Behauptung einer Bekenntnisorientierung im Konsens ist schließlich die Zielangabe aufschlußreich, die mit der Verwerfungserklärung verbunden ist. Die Verwerfung der Konzilsbeschlüsse und des Interims soll geschehen, „damit zu dieser Zeit zwischen uns ein Konsens im Grundsätzlichen ausgesprochen wird um der Vermeidung von Ärgernis und Gefahr willen“160. Es besteht demnach „in fundamento“ noch keineswegs Konsens. Ein solcher Konsens muß vielmehr für die aktuelle Gefahrensituation erst ausgesprochen werden, und zwar durch die Verwerfung der Konzilsbeschlüsse und des Interims, also durch Abgrenzung gegenüber der römisch-katholischen Seite. Das ist nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner, ein Minimalkonsens, der nicht auf positive Übereinstimmung, sondern lediglich auf Abgrenzung gegenüber einem externen Gegner gegründet ist. Unübersehbar sind die teilweise wörtlichen Übereinstimmungen zwischen dem ersten Konsensartikel und Melanchthons Entwurf seiner Rede in Sessio I. des Reichsreligionsgesprächs am 11. September: ‚Articuli constituendi consensus‘
„[…] testamur nos pio et communi consensu amplecti nostram Augustanam Confessionem et Smalcaldicos articulos eo sensu, qui in apologia confessionis explicitus est, et damnare omnes sectas et oppiniones cum ea pugnantes. […] profitemur nos damnare tum decreta concilii Tridentini tum ejus libri cujus titulus est Interim, pugnantia cum confessione ecclesiarum nostrarum, quae Caesari Augustae exhibita est a. 1530.“161
Melanchthons Entwurf seiner Eröffnungsrede „[…] quia necesse est, ostendi, quid profiteamur hoc in summa praefari voluimus, nos pio consensu amplecti scripta prophetica et Apostolica, et quidem in hac ipsa sententia, quum comprehendunt symbola, Apostolicum, Nicenum et Athanasium [sic!], eamque doctrinam affirmamus comprehensam esse in confessione Ecclesiarum nostrarum, quae est exhibita Imperatori Carolo V., in conuentu Augustano anno 1530. Hanc confessionem fatemur nos omnes pio consensu amplecti, nec ab ea nec discessimus nec discessuri sumus. […] Reiicimus etiam errores et sectas pugnantes cum illa confessione cum veteres, tum recentes, et
160 „[…] ut hoc tempore inter nos in fundamento exprimatur consensus vitandi scandali et periculi caussa […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X). 161 ‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 27 f., Nr. X; Hervorhebungen B. S.
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
‚Articuli constituendi consensus‘
309
Melanchthons Entwurf seiner Eröffnungsrede nominatim decreta impia facta in Tridentina Synodo, ut nominant et librum, cui [sic!] titulus est Interim, et alias actiones pugnantes cum confessione nostra […].“162
Die Übereinstimmungen sind zu groß, als daß die beiden Texte für unabhängig voneinander gehalten werden könnten. Andererseits sind die Unterschiede zu gewichtig für eine direkte Abhängigkeit. Ein mögliches Bindeglied ist der mündliche Austausch zwischen den Verfassern der Konsensartikel und Melanchthon, etwa am 6. September163. Eine indirekte Abhängigkeit könnte aber auch darauf zurückgehen, daß Melanchthon der ‚Gemeinsamen Relation‘ zufolge in der formellen Vorverhandlung am 5. September bekanntgegeben hatte, „das er itzo ein protestation zum eingang des colloquij gestellet, darin er sich genugsam erklerete, das er das Interim, vnd alle andere actiones so der confession zu wieder geschehen sein möchten, verwürffe“164. Wenn Melanchthon hier seinen Entwurf ausführlicher zitiert haben sollte als in der Wiedergabe der ‚Gemeinsamen Relation‘ erkennbar, so könnte die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ sich in den Konsensartikeln an die Ankündigung Melanchthons angelehnt haben.
Auf den einleitenden ersten folgen vier materiale Artikel, die jeweils einen der von den gnesiolutherisch orientierten Deputierten aufgebrachten Hauptkontroverspunkte zum Gegenstand haben, in der Reihenfolge Majorismus, Osiandrismus, Abendmahlskontroverse und Adiaphorismus.165 Jeder Artikel bis auf den zum Adiaphorismus beginnt mit einer positiven Lehraussage. Mehr oder weniger ausführlich, teils direkt und teils indirekt werden sodann die Auseinandersetzungen um den jeweiligen Punkt angeführt. Mit sachbezogenen Stellungnahmen zu den angeführten Kontroversen halten sich die Verfasser der Konsensartikel zurück; mehr Gewicht legen sie auf die Beteuerung dessen, was ungeachtet aller Kontroversen zum gegenwärtigen Zeitpunkt gemeinsam ausgesagt werden kann. Entscheidungen der Kontroversen aber oder gar Verwerfungen werden bewußt vermieden. Vielmehr führen alle Artikel – bis auf den zum Osiandrismus, der aber mit dem zum Majorismus zusammengesehen werden muß – hin auf die von der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ favorisierte Maßnahme, die jeweilige Kontroverse zur weiteren Behandlung an die künftige Synode zu überweisen. 162 Melanchtons Entwurf seiner Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs, o. D. (zur Datierung vgl. unten S. 359 Anm. 411): CR 9, Sp. 279, Nr. 6345 = MBW 8334; Hervorhebungen B. S. 163 Vgl. oben S. 304 bei Anm. 147. 164 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 22v. 165 Zur Zählung von vier gnesiolutherischen Verwerfungsforderungen vgl. oben S. 283 f. bei Anm. 33.
310 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Sicher nicht ohne Bedacht ist das stets mit dem Verb ‚reicere‘ formuliert, so beispielsweise im zweiten Artikel: „[…] rejicimus eas [scil. propositiones M. Maioris] ad futuram synodum […]“166. Der Terminus ‚reicere‘ kann auch als gemäßigter Wechsel- oder Komplementärbegriff für ‚condemnare‘ oder ‚damnare‘ gebraucht werden, so einmal auch an anderer Stelle in den Konsensartikeln167, aber auch von Melanchthon168 und neben ‚damnare‘ selbst von Flacius169. Es scheint, als habe die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ die Verwerfungsforderung der gnesiolutherisch orientierten Deputierten in dissimulierender Manier wenigstens terminologisch zu berücksichtigen versucht.
In der Sache kommt die durchgängig favorisierte Überweisung der Kontroverspunkte an eine künftige Synode aber einer Ablehnung der Forderung nach unverzüglichen Verwerfungen gleich. Es liegt im Gefälle der Anlage der Einzelartikel, daß die Artikelreihe in die Bekundung mündet, man bitte die Fürsten und Magistrate Augsburgischer Konfession, möglichst bald eine Synode einzuberufen.170 Benno von Bundschuh gibt als Charakteristik der ‚Articuli constituendi consensus‘ an, daß sie „den Gnesiolutheranern in jeder Hinsicht entgegenzukommen suchten“171, und schreibt damit Gustav Wolfs Urteil fort, wonach die Artikel „sehr gemässigt gehalten den Flacianern ausserordentlich weit entgegenkamen.“172 Genau besehen trifft das jedoch nicht zu. Auf die implizite Ablehnung unverzüglicher Verwerfungen wurde bereits hingewiesen. Auch namentlich spezifizierte Verwerfungen, wie die gnesiolutherisch Orientierten sie so vehement forderten, oder gar Personalkondemnationen fehlen und werden nicht als mögliches Ergebnis einer künftigen Synode in den Blick genommen. Am weitesten gehen die Verfasser der Konsensartikel im zweiten Artikel, in welchem sie eine die Notwendigkeit guter Werke zum Heil miß166 „[…] wir überweisen diese [scil. die Sätze Magister Majors] an die künftige Synode […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 2: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X; vgl. Art. 4 f.: ebd., S. 29). 167 „[…] rejicimus Antinomorum de lege oppiniones […].“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 2: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X. 168 Vgl. Melanchthons Entwurf seiner Eröffnungsrede: „Reiicimus etiam errores et sectas pugnantes cum illa confessione cum veteres tum recentes, et nominatim decreta impia facta in Tridentina synodo […] et librum cui titulus est Interim, et alias actiones pugnantes cum confessione nostra.“ (Melanchthons Entwurf seiner Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs, o. D.: CR 9, Sp. 279, Nr. 6345 = MBW 8334). 169 Flacius berichtet in seinem Brief vom 9. August an die Deputierten über frühere Versuche geheimer Verständigung mit der römisch-katholischen Seite (Flacius an die Deputierten in Worms, Jena 9. August 1557: CR 9, Sp. 205 f., Nr. 6301). Das gleiche habe man auch in Augsburg 1530 und in Regensburg 1541 versucht, es sei aber „von Luther scharf und heftig verworfen und zurückgewiesen worden […].“ („Idem […] acriter et graviter est damnatus et reiectus a Luthero […].“ [ebd., Sp. 206; Hervorhebung B. S.). 170 Vgl. ‚Articuli constituendi consensus‘, Schluß: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X. 171 V. Bundschuh, S. 460. 172 Wolf, S. 97.
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
311
billigen und bekunden, die entsprechenden Propositionen Majors173 nicht zu gebrauchen.174 Dabei trifft die Mißbilligung175 den Lehrgegenstand, die Notwendigkeit guter Werke zum Heil, nicht aber die Person des Lehrenden, auch wenn unter Nennung seines Namens eine Distanzierung von seinen Thesen ausgesprochen wird. Die Verfasser der Konsensartikel vermeiden offensichtlich selbst dort, wo sie sich deutlich distanzieren, bewußt jeden Anklang an Personalkondemnationen. Bei aller Deutlichkeit der Distanzierung von Majors These der Notwendigkeit guter Werke zum Heil dürften die Ausführungen des zweiten Artikels auch in der Sache die gnesiolutherisch orientierten Theologen kaum befriedigt haben. Denn der zweite Artikel nimmt nach einer vorangestellten Bekräftigung der Rechtfertigung allein aus Glauben nicht nur die umstrittene These Majors ins Visier, sondern auch die entgegengesetzten Zuspitzungen seiner Gegner, allen voran Amsdorfs, aus deren Lager sogar vier Sätze zitiert werden.176 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ nimmt somit keineswegs mit der von gnesiolutherischer Seite geforderten Eindeutigkeit Stellung gegen Major, sondern versucht, einen Standpunkt über den Parteien des Majoristischen Streits einzunehmen.
173
Fligge gibt irrtümlich an, daß Major in den Artikeln nicht genannt worden sei (vgl. Fligge, S. 397). 174 „[…] necessitatem bonorum operum ad salutem ratione prorsus improbamus, et has propositiones M. Majoris non utimur […].“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 2: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X). 175 Daß die Mißbilligung der Notwendigkeit guter Werke zum Heil mit dem aus CA 10 bekannten, dort als Abmilderung von ‚damnamus‘ geltenden ‚improbamus‘ formuliert ist, wird man nicht überbewerten dürfen. Denn das „improbamus“ in den ‚Articuli constituendi consensus‘ ist zum einen durch „ratione prorsus“ („mit Grund ganz und gar“) verstärkt, zum anderen ist es anders als in CA 10 nicht auf die Lehrenden, sondern auf den Lehrgegenstand bezogen. 176 Außer Majors These von der Notwendigkeit guter Werke zum Heil führen die Konsensartikel als umstrittene Sätze an: „[…] [1.] quod opera bona non solum non sint necessaria ad salutem, sed etiam perniciosa; item [2.] summam christianam artem esse nescire legem; item, [3.] quod bona opera non sint debitum cum ultro veniant; item [4.] man soll gute Werke thun, wenn’s einem gelegen ist.“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 2: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X). Zur Herkunft des zweiten Satzes vgl. oben S. 291, Anm. 73. Augenfällig sind die Berührungen zwischen dem auf Major bezogenen Passus der Konsensartikel und Melanchthons Ausführungen zum Majoristischen Streit am 5. September. Der ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte nach hatte Melanchthon zunächst erklärt, Majors Proposition nicht zu gebrauchen, dann aber gefordert, wenn man „den einen condemnieren wollte, so muste man den anderen auch condemnieren.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v). Zur Illustration seiner Forderung brachte Melanchthon drei antimajoristische Spitzensätze vor, deren ersten er auf Amsdorf zurückführte (ebd.; im Wortlaut zitiert S. 291 im Abschnitt 4.1.2 bei Anm. 73). Die Spitzensätze stimmen mit dem ersten, zweiten und vierten der in den ‚Articuli‘ angeführten Sätze überein.
312 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Eindeutiger in der Sache fällt die im dritten Artikel vorgetragene Abweisung aus, auch wenn sie sprachlich in eine positive Aussage gefaßt ist. Abgewiesen wird die Begründung der Rechtfertigung durch die einwohnende wesentliche Gerechtigkeit, wie sie Osiander vorgeworfen wurde: „Zum dritten glauben wir, bekennen und werden es mit Gottes Hilfe gegen wen auch immer verteidigen, daß der Mensch gerechtfertigt wird, das heißt Gott angenehm wird und die Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit und ewiges Leben erlangt nicht wegen der einwohnenden wesentlichen Gerechtigkeit, sondern allein wegen des Gehorsams Christi durch den Glauben […].“177
Die Übereinstimmungen, wie sie zumindest zwischen Melanchthon, seinen Anhängern und den gnesiolutherisch orientierten Theologen in der Haltung zu Osiander bestanden, ließen es zu, hier so eindeutig zu formulieren. Der Rücksicht auf Brenz und die Württemberger dürfte es indes geschuldet sein,178 daß Osiander unerwähnt bleibt und daß ausdrücklich die Berechtigung der biblisch vorgebildeten Aussagen über die Einwohnung Gottes im Herzen des Glaubenden und über den Glaubenden als Tempel Gottes eingeräumt wird, allerdings unter der Voraussetzung, daß die angeführten Aussagen nur auf die bereits Gerechtfertigten zu beziehen seien.179 Mit der Anführung des Osiander Vorgeworfenen ohne Erwähnung seiner Person sind Brenz und Andreae beim Wort genommen, die wiederholt und auch in Worms erklärt hatten, sie wollten nicht die Osiander vorgeworfenen Irrtümer verteidigen, sie hielten es aber nicht für erwiesen, daß Osiander so gelehrt habe.180 Im vierten Artikel wenden sich die Konsensartikel der Abendmahlskontroverse zu. Die Kontroverse selbst wird allerdings nur in einem Nebensatz gestreift. Er ist der Überweisung an die Synode untergeordnet und so unbestimmt wie möglich formuliert: „Und wenn man meint, daß Dinge
177 „Tertio credimus, profitemur et adjuvante Deo adversus quosvis tuebimur, hominem justificari, h. e. Deo fieri acceptum et consequi remissionem peccatorum, justitiam et vitam aeternam non propter inhabitantem essentialem justiciam, sed propter solam obedientiam Christi per fidem […].“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 3: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X). 178 Daß im dritten Artikel die Überweisung der Kontroverse an die Synode unterbleibt, dürfte eher auf die im zweiten Artikel bereits erfolgte Überweisung von Kontroversen im Bereich der Rechtfertigungslehre zurückzuführen sein, als daß es ebenfalls der Rücksichtnahme auf die Württemberger geschuldet wäre. 179 Vgl. ‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 3: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X. 180 Nach Strigels Bericht hatte Brenz am 9. September in der Verhandlung unter kurpfälzischem Vorsitz erklärt: „Das sage ich aber, wirdett Imand Osiandrum beweisen, das ehr die lehr de Imputatiua Jusitita widerfochttenn vnnd derselbenn nicht Ihrenn geburlichenn ortt gelassenn habe, So wiel Ich der ergstenn feind Osiandri einer sein […].“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48); zu ensprechenden Äußerungen Andreaes vgl. unten Abschnitt 4.4.2.5.
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
313
in dieser Angelegenheit nicht genügend erklärt seien, überweisen wir sie an die Synode.“181 Umrahmt ist die minimale Konzession eines möglichen Dissenses von wuchtigen Bekenntnisaussagen. Als Referenztexte zum Abendmahl werden aufgeboten der Katechismus Luthers – ohne nähere Spezifizierung nach großem oder kleinem Katechismus –, die CA und der Schmalkaldische Artikel, letzterer tatsächlich im Singular, was anzeigen könnte, daß die Erwähnung nicht bloß als allgemeiner Verweis auf die Schmalkaldischen Artikel verstanden werden soll, sondern als Bezugnahme auf deren Abendmahlsartikel im besonderen. Wirkt das wie ein strikt lutherischer Interpretationsrahmen um die CA, womit man der gnesiolutherischen Gruppe in der Tat weit entgegengekommen wäre, so spricht gegen ein solches Verständnis jedoch der Zusatz, daß die genannten Bekenntnistexte „eo sensu“, in jenem Sinne festgehalten würden, wie er in der Apologie, in Melanchthons ‚Loci communes‘ und in der Wittenberger Konkordie enthalten sei.182 Letztlich werden hier also auch Luthers Katechismen und der Schmalkaldische Abendmahlsartikel gemeinsam mit der CA in einen melanchthonischen Interpretationsrahmen gestellt, so daß sie nicht mehr kritisch gegen Melanchthons Abendmahlsauffassung angeführt werden können. Hinter die akuten Abendmahlskontroversen zurückzugehen versucht sodann die abschließende Bekundung, daß man untereinander bis auf weiteres den Konsens der CA bewahre.183 Bekräftigt wird das durch die Beteuerung vollkommener Einigkeit „gegen die Transsubstantiation der Papisten und den Götzendienst in der Messe und die heidnische Anbetung des Brotes“.184 Die verglichen mit dem sonstigen Ton der Konsensartikel auffällig scharf formulierte Abweisung römisch-katholischer Auffassungen – im ersten Artikel war noch von „pontificii“, Päpstlichen, anstatt von „papistae“ die Rede – hat offensichtlich den Zweck, durch die scharfe Abgrenzung gegenüber Dritten die internen Auseinandersetzungen zu relativieren. Zudem könnte aber auch noch eine Spitze gegen abendmahlstheologische Zuspitzungen auf gnesiolutherischer Seite impliziert sein. Denn die ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte gibt als Äußerung Melanchthons in der öffentlichen Sitzung am 5. September wieder, es sei nicht lange her, „das
181 „Et si quae in eo negotio non satis explicata esse existimantur. rejicimus ea ad synodum.“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 4: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X). 182 ‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 4: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X. 183 „[…] inter nostros interea tuemur consensum Augustanae confessionis […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 4: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X). 184 „[…] adversus papistarum transsubstantiationem et idolatriam in missa et ethnicam panis adorationem prorsus, Deo sit laus, sumus concordes et consentientes […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 4: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X).
314 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Amsdorff vff die Adoration hart getrungen hette.“185 Wiederholt hatte Melanchthon zuvor bereits in Privatbriefen über Westphal und andere geäußert, sie leisteten mit ihrer Abendmahlsauffassung einer „ŁěĞęĕċĞěďĉċ“, einem Brotkult, Vorschub.186 Daß die Konsensartikel auch hierauf zielen, wird noch wahrscheinlicher durch den Abschluß des vierten Artikels. Dort heißt es, daß man an dem Satz festhalte, „nichts habe außerhalb des eingesetzten Gebrauchs die Bedeutung eines Sakraments.“187 Die von Melanchthon aufgestellte und von ihm 1541 auf dem Regensburger Reichsreligionsgespräch gegen Eck verfochtene Formel scheint im Frühjahr 1557 von Joachim Westphal in Mißkredit gebracht worden zu sein,188 was auf die gleiche Konfliktlinie gehört wie umgekehrt Melanchthons Polemik gegen die „ŁěĞęĕċĞěďĉċ“. Vor dem geschilderten Hintergrund konnte Melanchthons Formel im Sommer 1557 nicht mehr neutral oder als nur gegen die römisch-katholische Seite gerichtet zitiert werden. Ihre Zitierung mußte vielmehr als implizite Zustimmung zu Melanchthons Position in der Abendmahlskontroverse erscheinen. Der Abendmahlsartikel ist somit ganz in Melanchthons Sinn gehalten und zeigt keine Spuren eines Entgegenkommens gegenüber den gnesiolutherisch orientierten Theologen. Wie der vierte gilt auch der fünfte Artikel einer Kontroverse, bei der Melanchthon selbst in der Kritik stand: dem Adiaphoristischen Streit. Die Verfasser der Konsensartikel sind erkennbar bemüht, die Kontroverse als unbedeutend hinzustellen.So behaupten sie zum einen, daß sich der Streit über die Adiaphora an sich nicht auf die Lehre, sondern auf die Veränderung von Riten beziehe189 – was von gnesiolutherischer Seite niemals hätte zugestanden werden können. Zum anderen verweisen sie die Auseinander185 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 21v. Das Wort „Adoration“ ist am Rand gesetzt für gestrichenes „Circumgestation“ im Text. Vgl. oben S. 290, Anm. 70. 186 Vgl. Melanchthon an Hardenberg, Wittenberg 20. Juni (Datierung nach MBW): CR 9, Sp. 167, Nr. 6264 = MBW 8254; vgl. Ritschl IV, S. 19 f. bei Anm. 82–87. 187 „[…] et retinemus hanc propositionem: Nihil habet rationem[,] extra usum institutum, sacramenti.“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 4: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X). 188 Vgl. Melanchthon an Heinrich Buscoducensis, Wittenberg 22. Mai 1557: CR 9, Sp. 156, Nr. 6250 = MBW 8226; ders. an Hardenberg, Wittenberg 20. Juni (Datierung nach MBW): CR 9, Sp. 167, Nr. 6264 = MBW 8254; ders. an Ambrosius Claviger, Wittenberg 2. Juli 1557: CR 9, Sp. 175, Nr. 6273 = MBW 8263. Ob auch schon der Verweis auf die Formel in einem früheren Schreiben Melanchthons an Hardenberg (Melanchthon an Hardenberg, Wittenberg 18. April 1557: CR 9, Sp. 138, Nr. 6230 = MBW 8195) durch Westphal angestoßen ist, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Vgl. ferner Ritschl IV, S. 20 f. 189 „Quinto cum certamen de adiaphoris per se non ad doctrinam[,] se[d] ad mutationem rituum pertineat […]“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 5: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X; die Verbesserungen in eckigen Klammern nach Heppes Marburger Vorlage: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 46r).
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
315
setzung aus dem Zuständigkeitsbereich der Theologie in die ferne Sphäre der Politik, indem sie erklären, es würden von Hofbeamten herrührende Überlegungen angeklagt, die den meisten unbekannt seien.190 Mit den beiden vorgestellten Hinweisen begnügen sich die Verfasser der Konsensartikel, um ihr Urteil zu begründen, daß der ganze Adiaphoristische Streit an die Synode zu überweisen sei. Allenfalls im Nachsatz scheint auf, wie gravierend der Streit tatsächlich war, wenn nämlich betont wird, daß man auf der Synode mit höchstem Eifer eine fromme und der Kirche dienliche Einigung suchen müsse.191 Wem wie Flacius die Termini ‚Interim‘ und ‚Adiaphora‘ als „Inbegriff aller […] verhängnisvollen Veränderungen in der reformatorischen Kirche“192 galten, den konnten die abwiegelnden Ausführungen der Konsensartikel zum Adiaphoristischen Streit keineswegs zufriedenstellen. Auch im Artikel zum Adiaphoristischen Streit ist somit kein Entgegenkommen gegenüber der gnesiolutherischen Seite festzustellen. Als Ergebnis der Analyse der Konsensartikel ergibt sich somit: Die Verfasser der Konsensartikel versuchten, in allen Kontroverspunkten den Anschluß an Melanchthon zu wahren. Ein eigenständiges Interesse, den gnesiolutherisch orientierten Deputierten in der Sache entgegenzukommen, verfolgten sie hingegen nicht. Vielmehr markierten sie auch gegenüber der gnesiolutherischen Seite die Grenzen dessen, was sie für theologisch zulässig hielten, so insbesondere im Blick auf die soteriologischen und abendmahlstheologischen Streitfragen. Sie vermieden aber jede direkte Konfrontation. So wählten sie für ihre Ausführungen zu den Kontroversen konziliante Formulierungen; der Verzicht auf eine namentliche Verwerfung Osianders im dritten Artikel, um die Württemberger nicht zu verprellen, ist das deutlichste Beispiel dafür. Weiter betonten sie nachdrücklich alles gemeinsam Aussagbare, sei es in der Abgrenzung gegen die römisch-katholische Seite, sei es im Rückgang hinter die Kontroversen auf Grundaussagen, die von niemandem bestritten wurden wie „sola fide sumus justi“193. Schließlich umgingen sie jede Entscheidung, indem sie durchgängig vorschlugen, die Kontroverspunkte zur weiteren Erörterung und Entscheidung an eine künftige Synode zu überweisen. Das leitende Interesse der Verfasser der Konsensartikel gibt der bereits zitierte Finalsatz im ersten Artikel an: „[…] ut hoc tempore inter nos in fun-
190 „[…] accusantur deliberationes ortae ab aulicis, quae plerisque ignotae sunt […]“(‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 5: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X). 191 „[…] et in ea [scil. synodo] compositionem summo studio quaerendam esse, quae sit pia et ecclesia utilis.“ (‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 5: Heppe I, Anhang S. 29, Nr. X). 192 Dingel, Flacius, S. 88. 193 ‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 2: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X.
316 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen damento exprimatur consensus vitandi scandali et periculi caussa […]“194. Der Konsens, den die Artikel konstituieren sollten, wäre demnach ein vorläufiger gewesen: „hoc tempore“. Er hätte sich auf die Grundlage ohne deren strittige Entfaltungen beschränkt: „in fundamento“. Ziele wären die Vermeidung eines Gesichtsverlusts in der kontroverstheologischen Situation und Schutz vor politisch-rechtlichen Folgen gewesen: „vitandi scandali et periculi caussa“. Es ging der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ also um einen pragmatischen Konsens für die Situation des Reichsreligionsgesprächs. Ein solcher pragmatischer Konsens aber konnte den gnesiolutherisch orientierten Deputierten durchaus nicht genügen, denn für sie war der Eintritt ins Reichsreligionsgespräch eben nur unter der Voraussetzung möglich, daß zuvor in Affirmation und Negation völlige Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten bekundet würde.195
4.2.4 Die Aufnahme der Konsensartikel Wie wurden die Konsensartikel von den Theologen aufgenommen, denen die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ sie vorlegte? Runge und der ‚Preußische Bericht‘ stimmen darin überein, daß Melanchthon sie „adprobieret“, gebilligt habe.196 Zur Begründung verweist Runge darauf, daß Melanchthon sich schon früher zum Osiandrischen und Majoristischen Streit sowie über das Abendmahl „gnugsam erkleret“ und „das mit Adiaphoris“ immer wieder als „gauckelwerck“ bezeichnet habe.197 Offensichtlich hielt Runge die Konsensartikel für übereinstimmend mit Melanchthons früheren Erklärungen zu den verschiedenen Streitfragen und erwartete daher dessen Zustimmung. Auf die Übereinstimmungen und Berührungen zwischen den Konsensartikeln und Äußerungen Melanchthons in Worms ist oben bereits hingewiesen worden.
Auch Brenz erklärte sich Runge und dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge mit den Konsensartikeln einverstanden. Der heikle Punkt war in seinem Fall die Behandlung Osianders, worauf beide Schilderungen eingehen. Bei Runge heißt es: „Brentius hat dieselben Artikel auch adprobieret, ohn das er begeret Osiandri zuverschweigen.“198 Während hier in der Schwebe bleibt, 194 ‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, Anhang S. 28, Nr. X; übersetzt oben S. 308 bei Anm. 160, dort auch Angaben zum unmittelbaren Kontext des Finalsatzes. 195 Siehe oben Abschnitt 2.2.1.2. 196 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v; im ‚Preußischen Bericht‘ heißt es: „Philippus eos [scil. articulos] adprobauit […].“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v). 197 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v. 198 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v
4.2 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ und ihre Konsensartikel
317
ob Brenz sich überhaupt zu Osiander äußerte, teilt der ‚Preußische Bericht‘ mit, auch Brenz habe die Artikel gebilligt, „[…] aber so, daß Osiander nicht namentlich erwähnt würde.“199 Was wie ein Widerspruch erscheint, muß sich nicht notwendig ausschließen. Vielmehr könnte die unterschiedliche Darstellung darauf beruhen, daß die Berichterstatter Verschiedenes hervorheben wollten: Runge hätte es dann für hervorhebenswert gehalten, daß Brenz kein Veto einlegte gegen Aussagen der Konsensartikel, die sich auf Osiander bezogen. Dem ‚Preußischen Bericht‘ hingegen hätte daran gelegen, daß Brenz seine Billigung der Konsensartikel davon abhängig machte, ob Osiander namentlich erwähnt würde. Das muß nicht bedeuten, daß in einer früheren Fassung Osiander namentlich erwähnt worden war. Es könnte auch indirekt bestätigen, daß Brenz den Konsensartikeln in ihrer überlieferten Form deshalb zustimmte, weil seine Bedingung erfüllt war. Wie die gnesiolutherische Gruppe die Konsensartikel aufnahm, hat Eingang gefunden in die Überschrift, unter welcher die Artikel kopiert wurden: „Articulos constituendi consensus inter theologos Augustanae confessionis quos Jenenses, D. Morlin et Sarcerius amplecti noluerunt“200. Die Überschrift stilisiert die kopierten Artikel zum Beleg für die Starrsinnigkeit der gnesiolutherischen Antagonisten, die solchem Entgegenkommen wie in den Artikeln dokumentiert nur sture Ablehnung entgegensetzten. Runge, auf den die Überschrift der Kopien zurückgehen könnte, stellt es ähnlich dar: „Die Jenischen Theologen mit iren Verwandten haben sie [scil. die Artikel] stracks nicht annemen wollen, sondern auf irem fürnemen beharret, so es opponieret Conscientiam, ire Instruction, vnd Confessionem esse necessariam.“201 Schwer wiegt der in Runges Darstellung enthaltene Vorwurf, die gnesiolutherisch orientierten Theologen seien ohne Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Konsensartikel „stracks“ bei ihrer vorgefaßten Haltung geblieben und hätten nur ihre bekannten Argumente wiederholt. Etwas differenzierter schildert hingegen der ‚Preußische Bericht‘ die gnesiolutherische Aufnahme, indem er Begründungen für die Ablehnung anführt. Danach wollten die Jenaer die Artikel nicht annehmen „zum einen wegen der adiaporistischen Kontroverse, zum anderen, weil sie eine klarere Erklärung in einigen Punkten vermißten.“202 Die Darstellung des
199 „Philippus eos [scil. articulos] adprobauit, Brentius quoque, sed ita ne Osiander nominaretur.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v). 200 Zum Beleg vgl. oben S. 302, Anm. 138. 201 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v. 202 „Jenenses amplecti noluerunt, tum propter adiaphoristicam controversiam, tum quod clariorem explicationem in aliquot punctibus requirebant.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v–4r).
318 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen ‚Preußischen Berichts‘ erscheint bei näherer Betrachtung der Konsensartikel durchaus als wahrscheinlich. Im Ergebnis stimmen Runge und der ‚Preußische Bericht‘ überein: Die gnesiolutherische Gruppe verweigerte sich einem Vergleich auf der Grundlage der Konsensartikel. Eine zusätzliche, indirekte Bestätigung findet sich darin, daß die gnesiolutherisch orientierten Deputierten in ihren Berichten vom Wormser Religionsgespräch, den privaten gleichermaßen wie den offiziellen, mit keinem einzigen Wort die Konsensartikel erwähnen. Offensichtlich erschienen sie ihnen vollkommen unerheblich und deshalb keiner Erwähnung wert. Die Mitglieder der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ sahen das freilich anders und ließen sich durch die ungünstige Aufnahme der Artikel nicht von ihrem Vermittlungsvorhaben abbringen. Nach Runges Darstellung schlugen sie der gnesiolutherischen Gruppe vor, in Anbetracht der Übereinstimmung im Grundsätzlichen – Orientierung an CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln und generelle Verwerfung alles Entgegengesetzten einschließlich des Interims – vorerst die Auseinandersetzungen einzustellen. Im Gegenzug boten sie an, während des Religionsgesprächs intern über Osiander und Major zu beraten. Dabei bezogen sie deutlich Position, indem sie ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, Brenz und Andreae würden „sich weisen lassen“203. Für das Einwirken auf die Württemberger stellten sie ihre und Melanchthons Unterstützung in Aussicht. Selbst einen Vergleich in der Abendmahlsfrage erklärten sie für möglich. Doch auch der erneute Versuch schlug fehl: „Dis war abermal vmb sonst“204. Runge äußert zur Ablehnung der Konsensartikel die Vermutung, „das die sachen allerseids nicht pure Theologicae sind“.205 Zum Scheitern der weiteren Vermittlungsbemühungen merkt er an: „[…] vnd scheinete, das es zum mehren teil vmb die Adiaphora zu thun were.“206 Seiner Wahrnehmung nach verhinderte also der ernestinisch-albertinische Gegensatz eine wirksame Vermittlung. Solange die gnesiolutherische Gruppe unter Monners Ägide stand, dürfte das tatsächlich der Fall gewesen sein.
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten „Doct. Basilius, der gute Mann hat viel Frommen zu Worms geschafft […].“207 – „Er ist nämlich ein guter Mann, fromm und besitzt Eifer für den 203
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. 205 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v. 206 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. 207 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271. 204
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
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Herrn.“208 – „[…] es läuft herum wie eine Furie jener, der sich zu Recht Thrasyboulos nennt, und bittet, ihre Vorverurteilungen zu billigen.“209 An Basilius Monner und seinem Wirken in Worms schieden sich die Geister. Ob die Urteile über ihn aber zustimmend oder ablehnend ausfielen, stimmen sie darin überein, daß Monner eine Zentralstellung in der gnesiolutherischen Gruppe zukam, daß er der Motor der gnesiolutherischen Agitation in Worms war.210 Noch die Verhandlungen des 5. September zeigten ihn unangefochten in der Stellung des Protagonisten der gnesiolutherischen Gruppe: Es war Monner, der die gnesiolutherische Forderung nach spezifischen Verwerfungen vor Beginn des Religionsgesprächs in die Beratungen über dessen Vorbereitung einbrachte und damit den vorgesehenen Rahmen sprengte. Am folgenden Tag unterzeichnete Monner sodann den von Schnepf verfaßten Bericht über die Verhandlungen des Vortags; wie gewohnt setzte er seine Unterschrift an erster Stelle unter den Bericht.211 Diese Unterschrift aber ist der letzte sichere Beleg für Monners Präsenz und Wirken in Worms. Die nächste Nachricht über ihn datiert erst vom 12. September und blickt auf seine bereits erfolgte Abreise zurück: Schnepf und Stössel teilten an diesem Tag dem sächsischen Herzog mit, daß die Verhandlungen nach Monners Abreise einen ungünstigen Verlauf genommen hätten und Strigel deshalb nach Markgraf-Baden zum Herzog unterwegs sei.212 In der Literatur zum zweiten Wormser Religionsgespräch wird der Abgang des gnesiolutherischen Protagonisten Monner aus Worms zwar vermerkt.213 Er wird aber weder erklärt noch für die Interpretation des 208 „Est enim vir bonus, pius et zelum Domini habens“, so Flacius an Mörlin über Monner zur Begründung seines Wunsches, daß Mörlin einen vertrauten Umgang mit Monner pflegen möge (Flacius an Mörlin, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 234, Nr. 6314); vgl. die beinahe wortgleiche Empfehlung Monners durch Flacius an Sarcerius (Flacius an Sarcerius, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 236, Nr. 6315). 209 „[…] discurrit ut furia is, qui se recte nominat ĒěċĝħČęğĕęė et petit audire, suorum ĚěęČęğĕďħĖċĞċ.“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 247, Nr. 6322 = MBW 8323). Zu Monners Pseudonym Thrasyboulos vgl. oben S. 212, Anm. 73. 210 Vgl. oben Abschnitt 3.2.1. 211 Vgl. Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M.: Wolf, S. 337, Nr. 45. 212 Vgl. Schnepf und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M.: Wolf, S. 338, Nr. 47. 213 Salig merkt in seiner Aufzählung der Teilnehmer des Religionsgesprächs zu Monner an: „[…] und weil derselbe bald wieder weg zog, ward ihm Lucas Daniel, I.[uris] V.[triusque] Doctor nachgeschicket, der aber auch nicht lange blieb […]“ (Salig III, S. 292). In seiner Schilderung des Religionsgesprächs kommt Salig darauf nicht wieder zurück. Ebenso verhält es sich bei Heppe (vgl. Heppe I, S. 174). Bei Wolf findet der Abgang Monners überhaupt nur im Regest zum Schreiben Schnepfs und Strigels an Herzog Johann Friedrich vom 12. September Erwähnung (vgl. Wolf, S. 338, Nr. 47). Von Bundschuh vermerkt, daß die beiden herzoglich-sächsischen politischen Räte Basilius Monner und Lucas Thangel nicht als Teilnehmer am Religionsgespräch vereidigt worden seien, „da sie in den Tagen vom 11. bis 20. September, d. h. während der eigentlichen
320 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Gesprächsverlaufs fruchtbar gemacht. Das ist um so erstaunlicher, als in Aurifabers Schreiben aus Markgraf-Baden vom 13. September214 und in Melanchthons Brief an Camerarius vom 18. September215, zwei gut zugänglichen Quellen, Monners Abgang nicht nur erwähnt, sondern auch übereinstimmend erklärt ist.
4.3.1 Der Grund für Monners Flucht aus Worms Johannes Aurifaber teilte am 13. September seinem unbekannten Briefpartner mit: „Man hat den Unsern [scil. den ernestinischen Deputierten] gedrauet, die zu bestricken,216 wie sie von guten Leuten sind gewarnt worden. Darum hat man Doct. Basilium, den [sic!] die Meißner um des B chlein willen gar todfeind sind, anher geschickt.“217 Die ernestinischen Deputierten in Worms hatten demnach eine Warnung vor einer bevorstehenden Gefangennahme erhalten, durch die Monner besonders gefährdet erschien. Was es mit dem „Büchlein“ auf sich hatte, durch welches Monner sich die erbitterte Gegnerschaft der „Meißner“, i. e. der Kursachsen, zugezogen hatte, setzt Aurifaber bei seinem Briefpartner als bekannt voraus. Bekannt war es auch Melanchthon, der sich in einer chiffrenreichen Mitteilung an Camerarius über Monners Abreise ebenfalls auf dessen Autorschaft für ein Buch bezieht, das in Kursachsen als Provokation aufgefaßt wurde: „Es ist von hier weggegangen jener, den ich neulich Thrasyboulos genannt habe – obgleich er richtiger ein Thrasydeilos ist – , weil er erfahren hat, daß der Drucker gefangen festgehalten wird, der ‚die Wagen von Schmähungen
Verhandlungen, nicht in Worms anwesend waren“ (v. Bundschuh, S. 415 f.; vgl. S. 433, Anm. 16). Thangel sei nach Monners Abreise an dessen Stelle getreten (vgl. ebd., S. 416; vgl. die weitere Erwähnung Thangels S. 470). Auch in der jüngsten Publikation zu Monner, Robert Kolbs Aufsatz über Monners widerstandsrechtliche Anschauungen, werden zwar sowohl Monners Teilnahme am Wormser Religionsgespräch (Kolb, Legal Case, S. 148) als auch die kursächsische Polizeiaktion gegen Monners pseudonyme Publikation „Bedencken von dem Kriege“ (ebd., S. 149 f.) erwähnt, aber eine Verbindung zwischen beidem wird nicht hergestellt. Auch bleibt der Abgang Monners aus Worms unbeachtet. 214 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden, 13. September 1557: CR 9, Sp. 269– 272, Nr. 6341. 215 Melanchthon an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353; zur Datierung vgl. die Datumsangabe im Text, von der die CR-Datierung auf den 16. September in der Kopfzeile irrtümlich abweicht. Das Regest des MelanchthonBriefwechsels zu diesem Schreiben (MBW.R Bd. 8, S. 123 f., Nr. 8353) bietet wichtige Hinweise für die Rekonstruktion und Interpretation der Causa Monner. 216 ‚Man hat den Unsern gedroht, sie gefangen zu nehmen […].‘ Zu ‚drauen‘ vgl. DWb, Bd. 2, Sp. 1343 s. v. ‚dräuen, drohen‘; zu ‚bestricken‘ ebd., Bd. 1, Sp. 1685 s. v. ‚bestricken‘. 217 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden, 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341.
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
321
gegen die Stämme der Mysier‘ herausgegeben hat.“218 Die ‚Mysier‘ dienen Melanchthon als Chiffre für die Meißner, i. e. die albertinischen Sachsen. Mit der Formulierung ‚Wagen von Schmähungen gegen die Stämme der Mysier‘ charakterisiert Melanchthon Monners Werk metaphorisch als antialbertinische Schmähschrift.219 Melanchthons Hinweis auf die Verhaftung des Druckers ist der entscheidende Anhaltspunkt für die weitere Erhellung der Zusammenhänge, wird doch hier die Verknüpfung von Monners Abgang mit einem aufsehenerregenden Fall von Bücherzensur auf der Frankfurter Herbstmesse 1557 möglich, der gut dokumentiert und erforscht ist.220 Es handelt sich dabei um die kursächsische Polizeiaktion gegen den Basler Drucker Nikolaus Brylinger. Brylinger war ausgemacht worden als Verleger der vom kursächsischen Hof äußerst ungnädig aufgenommenen Abhandlung „Bedencken vonn dem Kriege / der Anno / ec. sechs / sieben / vnd viertzig im land z Meissen vnd Sachsen gef hrt ist / wo für er z halten sey / gestalt. Durch Cchristian [sic!] Alemann […]“221, die in Basel bei seinem Schwiegersohn Bartholomäus Stähelin gedruckt und auf der Frankfurter Ostermesse 1557 verbreitet worden war.222 Das ‚Bedenken von dem Kriege‘ erregte am kursächsischen Hof in Dresden höchsten Unmut. Denn es stellte das albertinische Agieren im Schmalkaldischen Krieg unter dem späteren Kurfürsten Moritz als widerrechtliche Beteiligung an der von Kaiser und Papst ausgegangenen Verfolgung des wahren Glaubens dar – und im Gegenzug den gewesenen ernestinischen Kurfürsten Johann Friedrich den Älteren als glaubensstarkes Opfer eben dieser Verfolgung sowie die Teilnahme der Glieder des Schmalkaldischen Bundes am Krieg als juristisch und theologisch gerechtfertigten Widerstand.223 Im Jahr 1557 konnte eine solche Darstellung in Dresden keineswegs nur als eine strittige historische Bewertung aufgefaßt werden. Vielmehr mußte sie als Bestreitung der Legitimität des Übergangs von Kurwürde und Kurlanden auf die albertinische Linie erscheinen, die auf eine Revision der Wittenberger Kapitulation
218 „Abiit hinc is, quem nuper ĒěċĝħČęğĕęė nominavi, cum verius sit ĒěċĝħĎďēĕęij, quia rescivit retineri captivum Typographum, qui edidit łĖĆĘċij ČĕċĝĮđĖēįė ĔċĞƩ ŕĒėęğij Ėğĝįė.“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353). Zur unlängst erfolgten Bezeichnung Monners als Thrasyboulos durch Melanchthon und zu diesem Pseudonym Monners vgl. die Hinweise S. 319, Anm. 209. Mit der wortspielerischen Veränderung von Thrasyboulos in Thrasydeilos zeiht Melanchthon Monner der Feigheit. 219 Im Regest des Melanchthon-Briefwechsels wird die Chiffre aufgelöst als „[Monners] Schmähschrift gegen [Moritz von] Sachsen“ (MBW.R Bd. 8, S. 124, Nr. 8354.3). 220 Vgl. Kirchhoff, S. 36–47; Kolb, Legal Case, S. 149 f. 221 VD 16 M 6168; im folgenden zitiert als ‚Bedenken von dem Kriege’. 222 Vgl. Kirchhoff, S. 37. 223 Vgl. die gründliche Analyse der im ‚Bedenken von dem Kriege‘ vorgetragenen Argumentation bei Kolb, Legal Case, S. 155–160.
322 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen und die Restitution der früheren ernestinischen Stellung abzielte.224 Welch hohe politische Brisanz man der Abhandlung in Dresden zumaß, wird an den reichsweiten Nachforschungen deutlich, die Kurfürst August anstellen ließ.225 Der habsburgische Rat Zasius wußte König Ferdinand sogar zu berichten, August habe in der ersten Aufregung mit Waffengewalt gegen die herzoglich-sächsische Residenz Weimar vorgehen wollen, weil er einen ernestinischen Rat als Verfasser vermutete.226 Tatsächlich rührte die besondere Brisanz von dem ernestinisch-albertinischen Antagonismus her. Bezogen auf diesen Antagonismus mußte die Publikation sogar als Verletzung des Naumburger Vertrags von 1554 erscheinen, der eine friedliche Koexistenz der beiden wettinischen Linien garantieren sollte und ein Verbot von Publikationen einschloß, die der Gegenseite abträglich wären.227 Der politischen Brisanz seiner Abhandlung war sich offenkundig auch der Autor des ‚Bedenkens von dem Kriege‘ bewußt, weshalb er für seine Publikation ein Pseudonym wählte: Christian Alemann, vermutlich ein lateinisch-französischer228 Programmname, mit dem der Autor sich als christlichen Deutschen respektive als Vertreter des christlichen Deutschlands kennzeichnen wollte. Schon bald, wenn nicht sogar sofort229 fiel in Kursachsen der Verdacht auf Basilius Monner als den wirklichen Verfasser. Melanchthon jedenfalls drückte am 28. Mai in einem Brief an Johannes Matthesius die Erwartung aus, Matthesius werde, wenn er „jene Obszönitäten“ gelesen habe, zu dem Urteil kommen, daß der tatsächliche Autor Basilius Monner sei, nun als Christian Alemann, während er zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges als Regius Selinus publiziert habe.230 Beinahe zeitgleich, am 30. Mai, sandte Kurfürst August einen Rat zu den Herzögen von Sachsen-Weimar, der mit den Herzögen verhandeln und die Fortdauer von Monners Aufenthalt in Jena überprüfen sollte.231
224 Kolb bezeichnet Monners Argumentation mit Recht als „a powerfull challenge to the legitimacy of the new Albertine establishment“ (Kolb, Legal Case, S. 145). Zu den ernestinischen Restitutionshoffnungen vgl. Wartenberg, S. 165–167. 225 So geht aus der Korrespondenz Herzog Christophs von Württemberg mit Herzog Albrecht von Bayern hervor, daß er von Kurfürst August ein Exemplar des ‚Bedenkens von dem Kriege‘ zugeschickt bekommen hatte mit der Bitte, Erkundigungen nach dem Druckort, möglicherweise Basel, und nach dem Verfasser des Buches einzuziehen (vgl. Hzg. Christoph an Hzg. Albrecht von Bayern, Stuttgart 10. Juli 1557: Ernst IV, S. 352, Nr. 290, Anm. 2 [Regest] = Goetz, S. 83, Anm. 2 [Regest]). 226 Vgl. Zasius an Kg. Ferdinand, Speyer 22. Juli 1557: Goetz, S. 93, Anm. 2 (Regest). Auch der württembergische Sondergesandte Pier Paolo Vergerio behauptete gegenüber dem Basler Buchdrucker Oporinus, das Buch habe beinahe einen Krieg verursacht: „Sic pene excitavit bellum.“ (Vergerio an Oporinus, 20. Juli 1557: Steinmann, S. 93, Anm. 76). 227 Vgl. Beck I, S. 139.141 f. sowie Kolb, Legal Case, S. 149 f. 228 Monner hat sich in den 1530er Jahren längere Zeit in Frankreich aufgehalten, nach Beck als Gesandter, nach Schneider zu Studienzwecken (vgl. Beck II, S. 142; Schneider, S. 96 f.), und dürfte daher des Französischen mächtig gewesen sein. 229 Vgl. Anm. 226. 230 „Tempore belli erat Regius Selinus nunc est Christian Aleman: si legisti illas delicias, significes nobis tuum iudicium, autor est Basilius Monnerus.“ (Melanchthon an Matthesius, Wittenberg 28. Mai 1557: CR 9, Sp. 162, Nr. 6257 = MBW 8236). Zu Monners früherem Pseudonym Regius Selinus vgl. S. 212, Anm. 74. 231 Vgl. Kirchhoff, S. 37. Kirchhoffs Datumsangabe „30. Mai 1577“ ist offenkundig Verschreibung für ‚30. Mai 1557‘.
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
323
Statt eines direkten Zugriffs auf Monner, den die Herzöge ohnehin nicht zugelassen hätten, konzentrierten sich die kursächsischen Untersuchungen jedoch auf die Ermittlung des Verlegers und des Druckorts durch Verhör der Leipziger Buchhändler232 sowie durch reichsweite Nachforschungen233, um die Weiterverbreitung des Buches zu unterbinden und durch Vernehmung des Verlegers Gewißheit über Monners Autorschaft zu erlangen. Durch die Aussagen der Leipziger Buchhändler konnte Brylinger als Verleger ermittelt werden.234 Gegen ihn wurde nun eine regelrechte Polizeiaktion in Gang gesetzt, auszuführen durch den kurfürstlichen Sekretär Valerius Cracow235 auf der Frankfurter Herbstmesse. Kaum war Brylinger am 7. September in Frankfurt eingetroffen, wurde er am 8. September bereits mit Zustimmung des Frankfurter Rates verhört und anschließend auf kursächsische Kosten und Verantwortung inhaftiert.236 Seine Haft sollte sich, nicht zuletzt aufgrund von Kommunikationsproblemen in der kursächsischen Regierung infolge der DänemarkReise des Kurfürsten, bis zum 26. November hinziehen.237 Dabei hatte das Verhör Brylingers keinen sicheren Aufschluß über den Verfasser des „Bedenkens von dem Kriege“ gebracht, da der Verleger sich darauf zurückzog, das Manuskript von seinem Basler Kollegen Oporinus bekommen zu haben. Daraufhin wurde auch Oporinus am 10. September verhört. In dem Verhör verdichteten sich die Anzeichen für eine Herkunft des Manuskripts aus dem Herzogtum Sachsen; allerdings vermied Oporinus eine Nennung des Absenders, sagte jedoch zu, in Basel in seiner Korrespondenz nachzusehen.238 Seiner Zusage kam er zurück in Basel unverzüglich nach und händigte dem Basler Rat zur weiteren Übermittlung nach Frankfurt zwei Briefe Monners aus.239 Durch diese Briefe, die aus dem Jahr 1556 datierten, hatte Monner zunächst wegen des Drucks eines deutschen und eines lateinischen Manuskripts mit Oporinus Kontakt aufgenommen und später deren Übersendung angekündigt, „seine Autorschaft dabei nur schwach verhüllend“240. 232
Vgl. Kirchhoff, S. 37 f. Vgl. Anm. 225. 234 Vgl. Kirchhoff, S. 37. 235 Kirchhoff hält den mit den Ermittlungen betrauten kursächsischen Sekretär für den „spätere[n] durch sein trauriges Schicksal zur Zeit der kryptocalvinistischen Wirren bekannte[n] Geh. Rath Georg Cracau“ (Kirchhoff, S. 38; Hervorhebung B. S.); ebenso Kolb (vgl. Kolb, Legal Case, S. 150). Georg Cracow, der 1557 bereits zum Rat, allerdings noch nicht zum Kanzler (gegen Kolb, Legal Case, S. 150), ernannt worden war (vgl. Muther, Art. Cracow, S. 540), war im fraglichen Zeitraum nach Worms zum Religionsgespräch abgeordnet; so sind die kursächsischen Relationen vom 31. August und vom 11. September eigenhändig von ihm unterzeichnet (vgl. Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 31. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 8v; Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 66r). In den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels wird der mit den Ermittlungen in Frankfurt betraute kurfürstliche Sekretär als Valerius Cracow identifiziert (vgl. MBW.R, Bd. 8, S. 136, Nr. 8381). 236 Vgl. Kirchhoff, S. 39. 237 Vgl. Kirchhoff, S. 43–46. 238 Vgl. Kirchhoff, S. 40. 239 Vgl. Oporinus an Melanchthon, Basel 6. Oktober 1557: MBW.R 8, S. 136, Nr. 8381 (Regest) sowie Kirchhoff, S. 44. 240 Kirchhoff, S. 36. Vgl. die weiteren Ausführungen ebd., S. 36 f. sowie die Ausschnitte aus Monners Briefen ebd., S. 57, Anm. 8 f. 233
324 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Oporinus sah voraus, daß Monner aus der Übermittlung der Briefe nach Frankfurt große Schwierigkeiten entstehen würden.241 Und tatsächlich gründete die kursächsische Seite ihre spätere, letztlich vergebliche Anstrengung eines Verfahrens gegen Monner, welche sie bis zu einer Appellation an den Kaiser verfolgte,242 auf den Nachweis, daß Monner das Manuskript des ‚Bedenkens von dem Kriege‘ an Oporinus geschickt hatte243.
Monner, ohne Zweifel der Verfasser des inkriminierten ‚Bedenkens von dem Kriege‘, wird sofort erkannt haben, in welcher Gefahr er schwebte, als er von der kursächsischen Polizeiaktion gegen seinen Verleger Brylinger erfuhr. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß in Dresden sogar ein Zugriff auf Monner beim Wormser Religionsgespräch geplant gewesen sein könnte, denn Valerius Cracow war vorsorglich auch mit Beglaubigungsschreiben an die Räte von Oppenheim, Worms und Speyer ausgestattet worden.244 Was Monner genau erfahren hat, läßt sich aber nicht feststellen. Aurifabers Angaben lassen eher auf allgemeine Warnungen vor einem bevorstehenden Zugriff schließen,245 etwa aufgrund von Valerius Cracows Sondierungen in Frankfurt vor dem Eintreffen Brylingers, die schwerlich unbemerkt bleiben konnten.246 Melanchthon hingegen erklärt Monners Abgang damit, daß der Jurist von der Festnahme des Buchdruckers erfahren habe.247 Bei Melanchthons Erklärung stellt sich allerdings im Hinblick auf den vermutlichen Zeitpunkt von Monners Abgang aus Worms die Frage, wie schnell die Nachricht von Brylingers Inhaftierung ihn in Worms, gut 75 Kilometer von Frankfurt entfernt, erreicht haben kann. Zu beachten ist außerdem, daß Melanchthon Monner sehr fern stand, so daß seine Erklärung kaum auf Monner zurückgehen dürfte, sondern auch sekundär an dessen erfolgten Abgang herangetragen sein könnte.
241
Vgl. Oporinus an Melanchthon, Basel 6. Oktober 1557: MBW.R 8, S. 136, Nr. 8381. Vgl. Kirchhoff, S. 47; Kolb, Legal Case, S. 150. 243 Vgl. Beck II, S. 142. 244 Vgl. Kirchhoff, S. 38. Die Abfertigung an die genannten Räte könnte allerdings auch eine Vorkehrung für den Fall gewesen sein, daß Brylinger sich in Frankfurt dem kursächsischen Zugriff entziehen würde. 245 „Man hat den Unsern [scil. den ernestinischen Deputierten in Worms] gedrauet, die zu bestricken, wie sie von guten Leuten sind gewarnt worden.“ (Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden, 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341). Von wem die Warnungen herrührten, führt Aurifaber nicht weiter aus. Es könnte sich bei den „guten Leuten“ um gnesiolutherisch orientierte Besucher der Herbstmesse gehandelt haben oder auch um gnesiolutherische Kreise in Frankfurt, deren Existenz durch die Korrespondenz des Hamburger gnesiolutherischen Theologen Joachim Westphal mit dem Frankfurter Pfarrer Hartmann Beyer und dem Drucker Peter Braubach gut belegt ist (vgl. die Edition ihres Briefwechsels durch von Schade). 246 Valerius Cracow waren umfangreiche Sondierungen in Frankfurt aufgetragen; vgl. Kirchhoff, S. 38 f. 247 „[…] quia rescivit [scil. Monner] retineri captivum Typographum […]“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353). 242
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
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Jedenfalls sah sich Monner veranlaßt, Worms zu verlassen und sich bei seinem Landesherrn in Sicherheit zu bringen. Zu diesem Entschluß konnten ihn gewiß bereits allgemeine Warnungen aus Frankfurt veranlassen, erst recht aber Nachrichten über Brylingers bevorstehende oder erfolgte Festnahme. Denn wie Aurifaber zu berichten wußte, daß die Kursachsen Monner „um des B chlein willen gar todfeind“ seien,248 so muß auch dem Autor selbst das Ausmaß der kursächsischen Feindschaft gegen ihn bewußt gewesen sein.
4.3.2 Zeitpunkt und Ziel von Monners Abgang aus Worms Sämtliche Berichte über die formellen Vorberatungen des 5. September verzeichnen Monners aktive Beteiligung am Verhandlungsgeschehen des Tages. Am Tag darauf unterzeichnete Monner noch den von Schnepf aufgesetzten Bericht der ernestinischen Deputierten über Verlauf und Ausgang der Kontroversen des Vortags.249 Aus den folgenden Tagen liegen keine Nachrichten mehr über ihn vor bis zu seiner Erwähnung durch Schnepf und Stössel am 12. September, die sich auf Monners Abreise und den ungünstigen Verlauf der Verhandlungen seither beziehen,250 aber darüber keine genaueren Angaben machen. Das Schreiben Schnepfs und Stössels an den sächsischen Herzog vom 12. September kündigte die Entsendung Strigels zum Herzog nach Markgraf-Baden an.251 Dorthin aber muß sich auch Monner begeben haben, wie aus Aurifabers von ebendort abgeschickter Mitteilung hervorgeht, man habe Monner „anher geschickt“252. Das vorausgesetzt läßt sich aus Strigels Berichterstattung in Markgraf-Baden, wie sie sein Bericht vom 14. September dokumentiert, ein Rückschluß auf den Zeitpunkt ziehen, bis zu welchem Monner Worms verließ. Denn Strigels Bericht setzt ein mit der Schilderung der Sitzung unter kurpfälzischem Vorsitz am 9. September, die für zwei Uhr nachmittags einberufen worden war.253 Hätte Monner die Sitzung in Worms noch miterlebt, dann hätte Strigel in Markgraf-Baden darüber nicht mehr ausführlich mündlich und schriftlich berichten müssen, denn Monner hätte den Herzog 248 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden, 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341. 249 Vgl. oben S. 319 bei Anm. 211. 250 Vgl. oben S. 319 bei Anm. 212. 251 Vgl. Schnepf und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M.: Wolf, S. 338, Nr. 47 (Regest). 252 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341. 253 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 338, Nr. 48.
326 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen bereits über das Vorgefallene in Kenntnis setzen können und hätte das gewiß auch getan, wie er auch zuvor dem Herzog eigene Berichte hatte zukommen lassen254. Der vorgetragene Rückschluß findet eine Bestätigung ex negativo darin, daß die Berichte über die Verhandlungen des 9. September keinerlei Beteiligung Monners an den Kontroversen erwähnen, was angesichts von deren Gegenständen und Monners Temperament nur vorstellbar erscheint, wenn Monner dabei gar nicht anwesend war.255 Monner hat demnach Worms frühestens am 6. September verlassen, nachdem er den Bericht über die Verhandlungen des Vortages unterzeichnet hatte, spätestens aber am Vormittag oder Mittag des 9. September vor Beginn der nachmittäglichen Sitzung unter kurpfälzischem Vorsitz. Der eingegrenzte Zeitraum stimmt gut überein mit der mutmaßlichen sukzessiven Zuspitzung der kursächsischen Polizeiaktion gegen Brylinger in Frankfurt im Vorfeld von dessen Ankunft am 7. September und unmittelbar danach. Berücksichtigt man die Entfernung zwischen Frankfurt und Worms von gut 75 Kilometern, so scheint es allerdings eher unwahrscheinlich, daß Monners Abreise direkt durch die Nachricht von der erfolgten Festnahme Brylingers verursacht sein sollte wie von Melanchthon dargestellt. Denn es hätte eines teuren Eilboten bedurft, um die Nachricht von Brylingers Festnahme am 8. September bis zum Vormittag des 9. September nach Worms zu bringen.
Einen zusätzlichen Anhaltspunkt bietet das Schreiben Herzog Johann Friedrichs des Mittleren an seine Deputierten in Worms vom 9. September. Da es an die Theologen und den politischen Rat in Worms adressiert ist, scheint Monner vor der Absendung des Schreibens nicht in MarkgrafBaden eingetroffen zu sein. Monner wäre demnach frühestens an eben diesem 9. September in Markgraf-Baden eingetroffen. Bei einer Reisedauer von zwei Tagen erscheint es daher als wahrscheinlich, daß Monner Worms
254 Vgl. Monner an Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: Wolf, S. 326 f., Nr. 37; Monner an Johann Friedrich d. M., Worms 25. August 1557: Wolf, S. 327, Nr. 39; Monner an Johann Friedrich d. M., Worms 28. August 1557: Wolf, S. 328, Nr. 40; Monner an Johann Friedrich d. M., Worms 3. September 1557: Wolf, S. 330, Nr. 44. 255 Mit einer Abreise Monners vor der Sitzung des 9. September läßt sich auch eine Fehlinformation in Aurifabers Schreiben vom 13. September erklären. Aurifaber behauptet, daß Religionsgespräch habe am 9. September beginnen sollen und die ernestinischen Deputierten seien von der Teilnahme daran ausgeschlossen worden (Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341). Beides trifft nicht zu. Die Behauptung könnte aber auf Vermutungen Monners über die weitere Entwicklung in Worms basieren, und zwar aufgrund des Informationsstandes, den er vor seiner Abreise hatte. Das würde aber bedeuten, daß Monner aus Worms vor der offiziellen Bekanntgabe der Ansetzung der Eröffnungssitzung für den 11. September abgereist wäre. Die Bekanntgabe aber fand am Mittwoch, dem 8. September, um 9 Uhr vormittags statt (vgl. Melanchthon an Peucer, Worms 8. September 1557: CR 9, Sp. 261, Nr. 6334 = MBW 8330).
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
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nicht vor dem 7. September, wenn nicht sogar frühestens am 8. September verlassen hat.256 Über Monners Anwesenheit in Markgraf-Baden verlautet in den Quellen außer der zitierten Mitteilung Aurifabers in seinem Schreiben vom 13. September257 nichts. Da Monner sich in Gefahr befand, ist das auch nicht verwunderlich. Jede Indiskretion hätte ihn erneut angreifbar gemacht. Daß Monner in Markgraf-Baden und bei Herzog Johann Friedrich dem Mittleren blieb, findet aber eine externe Bestätigung in einem Schreiben des pfalz-zweibrückischen Kanzlers Ulrich Sitzinger an Melanchthon vom 21. Oktober. Sitzinger berichtet darin rückblickend, daß Herzog Johann Friedrich kürzlich mit Monner und Aurifaber in Zweibrücken gewesen, nach einem Tag aber wieder abgereist sei, um seine Tante Maria, die Gemahlin des Herzogs von Pommern, in Weimar zu empfangen.258 Sitzinger bezieht sich damit offensichtlich auf den Besuch Herzog Johann Friedrichs in der pfalz-zweibrückischen Residenz Meisenheim am 28. und 29. September.259 Wenn Monner sich Ende September noch in der Begleitung des Herzogs befand, so wird er auch in der Zwischenzeit in der Nähe des Herzogs geblieben sein. Tatsächlich dürfte ihm außerhalb des herzoglich-sächsischen Territoriums der Aufenthalt in der Nähe seines Landesherrn die größtmögliche Sicherheit vor einem kursächsischen Zugriff geboten haben. Darum steht zu vermuten, daß er auch mit Johann Friedrich dem Mittleren, der am 7. Oktober in Weimar eintraf,260 ins Herzogtum Sachsen zurückkehrte. Dort angekommen wird Monner bald nach Jena zurückgekehrt sein, denn im herzoglich-sächsischen Hoheitsgebiet konnten seine kursächsischen Widersacher ohne Einwilligung des Herzogs nichts gegen ihn ausrichten. Dennoch hatte er nach seiner Rückkehr intensive Bemühungen von kursächsischer Seite um die Anstrengung eines Verfahrens gegen ihn zu gewärtigen, konnte sich aber auf die Protektion seines Landesherrn verlassen, der
256 Zum Vergleich: Das Schreiben Schnepfs und Stoessels an Herzog Johann Friedrich vom 12. September (Schnepf und Stoessel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 12. September 1557: Wolf, S. 338, Nr. 47) ist wahrscheinlich Viktorin Strigel mitgegeben worden, als er nach Markgraf-Baden zum Herzog aufbrach. Sein Abreisetag war demnach der 12. September. Am 13. September soll er in Markgraf-Baden eingetroffen sein (vgl. N. N. an N. N., o. O. o. D.: CR 9, Sp. 274, Nr. 6342). Die etwa 100 Kilometer lange Strecke konnte Strigel demnach mit einer Übernachtung vom einen auf den anderen Tag bewältigen. 257 Vgl. oben S. 320 bei Anm. 217. 258 Vgl. Ulrich Sitzinger an Melanchthon, Zweibrücken 21. Oktober 1557: MBW.R Bd. 8, S. 147, Nr. 8405.2 (Regest). 259 Vgl. dazu oben S. 207, Anm. 56. 260 Vgl. Johannes Aurifaber an Kg. Christian III. von Dänemark, o. O. 21. Dezember 1557: Schumacher I, S. 315, 15. Brief Aurifabers.
328 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen die albertinischen Gesuche um die Eröffnung eines Prozesses dilatorisch behandelte.261 Monner brachte sich also bei Herzog Johann Friedrich dem Mittleren in Sicherheit, als er Worms verließ. Zumindest anfangs scheint jedoch mit dem Gedanken gespielt worden zu sein, daß er noch einmal zum Religionsgespräch zurückkehren könnte. Johannes Aurifaber schrieb am 13. September seinem unbekannten Briefpartner im Anschluß an die Mitteilung des Abgangs Monners aus Worms: „Aber ich hoff, er soll bald wieder hinein cum publica et solenni protestatione tum Principis tum Theologorum262, und dann sie alle abziehen.“263 Offenkundig war das die von Aurifaber – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt – favorisierte Option für das weitere Vorgehen in Worms: Abzug der ernestinischen Deputierten unter feierlichem Protest. Monner hätte er dabei wohl durch die Autorität des herzoglichen Auftrags geschützt gesehen. Auch Melanchthon rechnete mit einer Rückkehr Monners oder befürchtete sie vielmehr. An Camerarius schrieb er über den Fortgegangenen: „Aber ich vermute, daß er den Schrecklichen mitbringen wird, an dem wir, wenn er hierher käme, dann wirklich die Gestalt der Aristophanischen Synode erkennen würden, der ein Walfisch vorsteht.“264 Mit der sarkastischen Tiermetapher „Walfisch“ bezeichnet Melanchthon vermutlich Herzog Johann Friedrich den Mittleren,265 der schon in seiner Jugend gesundheitliche Probleme wegen seines stetig zunehmenden Körperumfangs hatte.266 Die 261
Vgl. Beck II, S. 142; Kirchhoff, S. 47; Kolb, Legal Case, S. 150. „[…] mit öffentlicher und feierlicher Protestation sowohl des Fürsten als auch der Theologen […]“. 263 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271, Nr. 6341. 264 „Sed suspicor adducturum esse ĞƱė Ďďȉėċ, qui sic huc venerit, tum vero imaginem cernemus Synodi Aristophanicae, cui Balaena praeest.“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353). Melanchthon spielt hier möglicherweise auf die ‚Wahre Geschichte‘ Lukians von Samosata an, in welcher auf den Abstecher in Aristophanes’ Wolkenkukucksheim die Abenteuer im Bauch des riesigen Wals folgen (vgl. Schmalzriedt, Art. Lukian: Al th di g mata, S. 681). 265 So wird die Tiermetapher auch in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels aufgelöst (vgl. MBW.R Bd. 8, S. 124, Nr. 8353.4). Die in einer Wolfenbütteler Abschrift des Briefes an Camerarius belegte Variante „Illyricum“ statt „ĞƱė Ďďȉėċ“ (vgl. CR 9, Sp. 282, Nr. 6346, Anm. 4) ist offenkundig eine sekundäre Deutung. Die Tiermetapher „Walfisch“ ließe sich auch schwerlich auf den hageren Flacius beziehen, dem ansonsten die Metapher „Kuckuck“ zugeordnet war. 266 Vgl. Beck I, S. 13. Alternativ könnte sich die Tiermetapher „Walfisch“ auch auf den ebenfalls schwergewichtigen Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich beziehen. Bei anderer Gelegenheit bezieht Melanchthon die Wendung von der Aristophanischen Synode unter Vorsitz eines Walfisches ausdrücklich auf den Pfälzer Kurfürsten und den sächsischen Herzog (Melanchthon an Peucer, Worms 8. September 1557: CR 9, Sp. 261, Nr. 6334 = MBW 8330). Allerdings würdigt Melanchthon Ottheinrich nach den Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September wegen seiner Appelle zur Mäßigung (vgl. Melan262
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
329
Befürchtung, daß Monner mit dem sächsischen Herzog zurückkehren werde, könnte einen Anhalt gehabt haben in der von Monner zumindest intern, vielleicht aber auch extern geäußerten Überzeugung, daß es gut wäre, wenn einige Fürsten in Worms präsent wären, verbunden mit der Zuversicht, daß sein Landesherr dafür zu gewinnen sein werde267. Monners direkte Einwirkungsmöglichkeiten auf das Geschehen in Worms fielen allerdings geringer aus als von Aurifaber erhofft und von Melanchthon befürchtet: In den herzoglich-sächsischen Quellen zum weiteren Geschehen in Worms gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß eine Rückkehr Monners erwogen worden wäre. Vielmehr war es später ein anderer politischer Rat, Lukas Thangel, der nach Worms reisen mußte, um den Schlußprotest im Namen des Herzogs einzulegen.268 Angesichts der fortdauernden Inhaftierung Brylingers in Frankfurt wäre es vermutlich inopportun gewesen, wenn sich Monner vor seiner Rückkehr ins Herzogtum Sachsen in irgendeiner Weise öffentlich hervorgetan hätte. Weshalb Herzog Johann Friedrich nicht sogleich nach Monners Abgang einen anderen politischen Rat als Auditor nach Worms deputierte, läßt sich aus den Quellen nicht erheben. Eine mögliche Erklärung ist, daß er zunächst keinen anderen zur Verfügung hatte. Thangel wäre in diesem Fall erst später zu Johann Friedrichs Gefolge hinzugestoßen. Bei einer Postlaufzeit und Reisezeit von jeweils ungefähr einer Woche zwischen Markgraf-Baden und Weimar konnte ein unmittelbar nach Monners Eintreffen beim Herzog aus Weimar herbeibeorderter Ersatzmann erst um den 25. September Markgraf-Baden erreichen. Zusätzlich sind aber auch inhaltliche Gründe für den Verzicht auf die Deputierung eines anderen politischen Rates denkbar. So könnte zum einen tatsächlich noch eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt worden sein, Monner an der Seite des Herzogs nach Worms zurückkehren zu lassen. Zum anderen könnte die Erwartung einer raschen Auflösung des Religionsgesprächs bestanden haben, was eine Ersetzung Monners als unnötig hätte erscheinen lassen.
Monners einzige verbleibende Möglichkeit der Einflußnahme nach seinem Abgang aus Worms dürfte die Beratung des Herzogs gewesen sein. Das ist jedoch nicht zu unterschätzen, da der Herzog an den entscheidenden Wendepunkten im weiteren Verlauf des Religonsgesprächs von den in Worms verbliebenen ernestinischen Deputierten konsultiert wurde. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß die zweifache Entsendung Strigels zum sächsischen Herzog auch das Ziel hatte, beim Herzog mit Monner persönlich über das weitere Vorgehen zu beraten. Das ist quellenmäßig nicht belegbar, was aber auch der Diskretion im Interesse der Sicherheit Monners vor einem kurchthon an Hardenberg, Worms 10. September 1557: CR 9, Sp. 265, Nr. 6338 = MBW 8335; ders. an Camerarius, Worms 12. September 1557: CR 9, Sp. 269, Nr. 6340). 267 „Bonus esset, ut principes aliquot nostrarum partium hic essent, sicut ego dedi operam, ut id fieret. Noster non defuturus esset officio.“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 247, Nr. 6321). 268 Vgl. dazu unten S. 460 bei Anm. 444.
330 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen sächsischen Zugriff geschuldet sein könnte.269 Unwahrscheinlich ist jedenfalls, daß der Herzog auf den Rat seines früheren Erziehers, der zugleich über Jahre hinweg einer seiner wichtigsten Berater gewesen war, verzichtet haben sollte. Und dennoch war es ein Unterschied, ob Monner direkt vor Ort agieren und intervenieren konnte, oder ob er den Prozeß aus der Ferne ohne direkte Einwirkungsmöglichkeit begleiten mußte.
4.3.3 Die Auswirkungen von Monners Abgang Eine scheinbar nur formale Auswirkung von Monners Abgang war, daß die gnesiolutherische Gruppe nunmehr ausschließlich aus Theologen bestand: Schnepf, Strigel, Stössel, Mörlin und Sarcerius. Das hatte jedoch zur Folge, daß die Gruppe fortan nicht mehr über einen eigenen Vertreter oder Fürsprecher im Gremium der politischen Räte Augsburgischer Konfession verfügte. Das Rätegremium aber beanspruchte die Richtlinienkompetenz für die Gesamtheit der evangelischen Deputierten, und die beiden substituierten Assessoren vertraten in Absprache mit den Räten die evangelische Seite im Präsidium des Reichsreligionsgesprächs. Zwar ist fraglich, ob und wie lange einem dissentierenden Monner Mitwirkung und Gehör im Rätegremium zugestanden worden wäre. Möglicherweise hätte er sich bald in der Position eines Beklagten vorgefunden und wäre von den Beratungen der politischen Räte ausgeschlossen worden. Aber als politischem Rat und Juristen hätten ihm dennoch andere Möglichkeiten der Interessenvertretung zu Gebote gestanden als den Theologen, und sei es nur, daß er den übrigen Fürstenvertretern auf Augenhöhe begegnen konnte.270 Zudem hätte das den gnesiolutherischen Theologen wiederholt vorgehaltene Argument, sie seien von Reichs wegen zum Religionsgespräch deputiert, nicht aber als Ständevertreter, auf Monner nicht in gleicher Weise angewendet werden können. Denn anders als die theologischen Kolloquenten und Adjunkten waren die Auditoren nicht in Person auf dem Regensburger Reichstag nominiert worden, vielmehr hatte man dort nur festgelegt, welche Stände Auditoren entsenden sollten. In der Anlage des Auditorenamtes gab es mithin auch ein gewisses Element von legitimer ständischer Vertretung.
Der durch die Ordnung des Religionsgesprächs vorgegebene konfessionspolitische Spielraum der gnesiolutherischen Gruppe wurde somit durch Monners Abgang erheblich eingeschränkt. 269
Vgl. dazu oben S. 327 bei Anm. 257. Ein Beispiel für eine solche Begegnung auf Augenhöhe ist der „Untertrunk“, den der württembergische Rat Eißlinger am 15. August mit anderen politischen Räten, namentlich mit Monner, dem Kurpfälzer Senfft und dem Ansbacher Eisen hielt (vgl. Bossert, Beiträge, S. 49; vgl. dazu ferner oben S. 211 in Abschnitt 3.2.1 bei Anm. 72). 270
4.3 Die Causa Monner – vom Abgang eines Protagonisten
331
Die gnesiolutherische Gruppe in Worms verlor mit Monners Abgang aber nicht nur ihren politischen Vertreter, sondern auch ihren Protagonisten, der zugleich ihr Wortführer und Kristallisationspunkt gewesen war. Die Wortführerschaft übernahm nunmehr Schnepf, der zuvor bereits als Sprecher der drei ernestinischen Theologen aufgetreten war. Neben ihn trat allerdings in zunehmendem Maße Mörlin. Damit deutet sich sogleich auch eine inhaltliche Verschiebung an: Während Monner auf den ernestinisch-albertinischen Antagonismus fixiert war, den Adiaphorismus als Inbegriff aller theologischen Fehlentwicklungen betrachtete und somit in Melanchthon den theologischen Hauptgegner sah, verlief insbesondere für Mörlin, geprägt durch seine Königsberger Erfahrungen, die entscheidende Frontlinie zwischen den Gegnern und den Verteidigern Osianders. In seinen Augen mußten daher Brenz und Andreae die theologischen Hauptgegner sein; der Dissens mit Melanchthon über das Abendmahl und die Adiaphora hingegen wurde für Mörlin teilweise dadurch relativiert, daß er sich mit dem Wittenberger in der Ablehnung der Osianderschen Rechtfertigungslehre einig war. Tatsächlich verlagerte sich gleich in der ersten Verhandlung ohne Monner, der Sitzung unter kurpfälzischen Vorsitz am 9. September, der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf die umstrittene Forderung nach einer Verwerfung Osianders. Mit Monner verließ zudem der entschiedenste Parteigänger des Flacius unter den evangelischen Deputierten Worms: Monner hatte den engsten Kontakt mit Flacius gepflegt und sich auch mehr als die anderen ernestinischen Deputierten als dessen Sachwalter betrachtet und engagiert, welcher Rolle die besondere Wertschätzung korrespondierte, die Flacius Monner entgegenbrachte.271 Am engsten scheint Monner in dieser Haltung mit Johann Stössel verbunden gewesen zu sein, der gleich ihm den gesellschaftlichen Umgang mit Melanchthon verweigerte.272 Stössel trat aber während des gesamten Religionsgesprächs nicht mit eigenen Beiträgen hervor, auch nicht nach Monners Abgang, während die beiden anderen, Melanchthon weniger abgeneigten ernestinischen Theologen durchaus prägend zu wirken vermochten: Schnepf als einer der Wortführer der gnesiolutherischen Gruppe neben Mörlin, Strigel als Initiator des Versuches einer Verständigung mit Melanchthon und als zweimaliger Abgesandter zum sächsischen Herzog. Monners Abgang bedeutete demnach eine erhebliche Schwächung der stark an Flacius orientierten, strikt auf Abgrenzung gegenüber Melanchthon bedachten Richtung unter den gnesiolutherischen Deputierten in Worms. In der Folge kam es zu einer deutlichen Mäßigung des Tons, in 271
Vgl. oben S. 217 f. im Abschnitt 3.2.2 bei Anm. 101–105. Vgl. Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321 sowie oben S. 245 f. bei Anm. 244. 272
332 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen welchem die gnesiolutherischen Anliegen vorgetragen wurden, und auch in der Sache zu einer geschmeidigeren Vertretung der Anliegen, festzumachen etwa an Strigels Vermittlungsversuch. Ein zusätzlicher Grund dafür dürfte allerdings gewesen sein, daß Monners Abgang und dessen Umstände dazu angetan waren, die verbleibenden ernestinischen Deputierten nachhaltig zu verunsichern. Davon scheint etwas nachzuschwingen in der Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘, derzufolge Schnepf am 11. September „mit grosser demut“ darum bat, einen Vertreter zum sächsischen Herzog entsenden zu dürfen.273 Ob hinter der Bitte auch die Absicht steckte, in Markgraf-Baden wieder Tuchfühlung mit dem geflohenen Monner aufzunehmen, muß allerdings offen bleiben.274 Nach innen bewirkte Monners Abgang somit einerseits eine Verunsicherung, andererseits eine Veränderung der Kräfteverhältnisse unter den gnesiolutherischen Deputierten. Nach außen wirkte sich beides in einer Mäßigung des Auftretens der gnesiolutherischen Theologen aus. Die Mäßigung wiederum führte zu einer einstweiligen Entspannung der Atmosphäre zwischen den evangelischen Deputierten insgesamt. Nicht zufällig pries Melanchthon am 18. September in seinem Schreiben an Camerarius zunächst in höchsten Tönen, daß es mittlerweile keine Uneinigkeit zwischen den evangelischen Deputierten mehr, sondern sogar einen „angenehmen Umgang“ miteinander gebe,275 und berichtete anschließend von Monners Abgang.276 Das eine hing für ihn mit dem anderen zusammen. Bei der Niederschrift der Zeilen an Camerarius durch Melanchthon war jedoch Strigel gerade erst vom sächsischen Herzog zurückgekehrt und der Eklat des 20. September noch nicht eingetreten – es mußte sich erst noch erweisen, wie dauerhaft die nach Monners Abgang aus Melanchthons Sicht erreichte „dulcis consuetudo“ der Evangelischen tatsächlich war.
4.4 Bewegung zwischen den Fronten: Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September „Aber dis war alles abermals vmb sonst.“277 Mit diesen Worten resümiert Jakob Runge die von kurpfälzischer Seite initiierten Verhandlungen des 273
‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v. Vgl. oben S. 329 f. bei Anm. 269. 275 „Nunc inter nostros collegas non solum dissensio nulla est, sed etiam dulcis consuetudo est […].“ (Melanchton an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353). 276 Vgl. Melanchton an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353; oben S. 321 zitiert in Anm. 218. 277 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26r. 274
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
333
9. September. Sein Urteil wurde allgemein geteilt. In seltener Übereinstimmung berichten sowohl Strigel, in diesem Fall Berichterstatter für die ernestinischen Deputierten, als auch der ‚Preußische Bericht‘, daß die Deputierten „re infecta“, unverrichteter Dinge, auseinandergegangen seien.278 Die Literatur zum zweiten Wormser Religionsgespräch, soweit sie die Verhandlungen des 9. September überhaupt berücksichtigt,279 schreibt überwiegend die zeitgenössischen Einschätzungen fort. So urteilt von Bundschuh: „Es wiederholte sich indessen das gleiche Schauspiel [scil. wie am 5. September] […], die Fronten blieben versteift.“280 Die Interpretation und die Beurteilung der Verhandlungen am 9. September in der Literatur überzeugen jedoch nicht, auch wenn sie mit den überlieferten zeitgenössischen Einschätzungen übereinstimmen. Durchweg fehlt eine Erklärung für den Kontrast zwischen dem großen Gestus der kurpfälzischen Initiative und dem Ausgang der Verhandlungen. Auch der Verlauf der Verhandlungen ist zu wenig berücksichtigt. Wirkungen, die sich im Anschluß an die Verhandlungen einstellten, werden unterbewertet oder übersehen. Eine gründliche Analyse aller verfügbaren Quellen unter Berücksichtigung der formellen Vorberatungen als des Kontextes vermag hingegen aufzuzeigen, daß die Verhandlungen des 9. September trotz ihrer vordergründigen Ergebnislosigkeit für Bewegung zwischen den Fronten sorgten.
4.4.1 Der kurpfälzische Leitungsanspruch und seine Grenzen Die Verhandlungen des 9. September wurden durch die zweite pfälzische Sondergesandtschaft281 mit schwungvoll-großartigem Gestus einberufen und eröffnet: „In dem schicket der Pfaltzgraff Churfurst eine statliche 278 „Nachdeme wir nu unsere Protestation vor den Pfaltzgrefischen gesandten vnd den andern Theologis gethann hatten, gingen wir widerumb re infecta zu Haus.“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48). „[…] re infecta disceditur.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v). 279 Heppe lagen keine Quellen oder Nachrichten über die Verhandlungen des 9. September vor, weshalb sie in seiner Darstellung nicht vorkommen. Wolf hingegen berücksichtigt als erster die Verhandlungen des 9. September (vgl. Wolf, S. 91 f.), weil er sich auf Strigels Bericht vom 14. September stützen konnte. Im Anschluß an Wolf gehen auch Fligge und von Bundschuh auf die Verhandlungen des 9. September ein (Fligge, S. 395 f.; v. Bundschuh, S. 422 mit Anm. 104), wobei Fligge zusätzlich auf die Angaben des ‚Preußischen Berichts‘ zurückgreift. Scheible schließt sich eng an Runges Bericht vom 2. Oktober an (vgl. Scheible, S. 229 f.). 280 V. Bundschuh, S. 422. Fligge resümiert: „Damit ging auch diese Sitzung ergebnislos zu Ende.“ (Fligge, S. 396). Wolf hingegen stellt lediglich fest: „Eine Einigung kam auch jetzt nicht zustande.“ (Wolf, S. 92). 281 Zur ersten pfälzischen Sondergesandtschaft vgl. oben Abschnitt 3.5.3.
334 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Legation, lesset den IX Septembris zusamen ruffen vnsers teils Adsessores, Auditores, Collocutores & Adiunctos“, teilt Jakob Runge darüber mit.282 Auch in Strigels Bericht schwingt noch etwas von der kurfürstlichen Grandeur der pfälzischen Intervention nach: „Denn neunden Septembris schicketen die Pfaltzgreuischen Legatenn ahn vns vnd andere, einen schreiber vnd Batten vns, das wir vmb zwey hora nach mittag auff dem Rathaus wollten erscheinen, vnnd daselbst Ires gnedigsten Churfürsten vnd Herren bedenckenn anhorenn“283. Wenn Kurfürst Ottheinrich auch nicht persönlich in Worms erschien, wozu Monner und Sarcerius ihn zu bewegen versucht hatten284 und womit Melanchthon rechnete285, ließ er sich doch hochrangig vertreten. Wen Ottheinrich zu seiner Vertretung bestimmt hatte, läßt sich allerdings nicht sicher ermitteln, da sich keine pfälzischen Akten über die Verhandlungen des 9. September erhalten haben und die anderen Quellen keine Namen nennen. Offenkundig handelte es sich aber um eine eigens nach Worms abgefertigte Gesandtschaft, die von den anderen Ständen als stattlich empfunden wurde. Stattlich war die Gesandtschaft zum einen der Zahl nach, denn Aurifaber berichtet, wenn auch aus zweiter Hand, Ottheinrich habe „vier seiner R the gegen Worms geschickt“286. Zum anderen bezeichnet Sarcerius die pfälzischen Gesandten im Rückblick als „fürneme Rethe“, was auf adelige Mitglieder der kurpfälzischen Regierung schließen läßt. Er erwähnt außerdem, daß „ein pfalzgrafischer Doctor angefangen“, i. e. die Verhandlung eröffnet habe.287 Nachdem die evangelischen substituierten Assessoren ihr Amt angetreten hatten,288 war eine hochrangig besetzte Sondergesandtschaft für Kurfürst Ottheinrich eine Möglichkeit zu versuchen, noch einmal seinen Anspruch auf die Direktion der internen Beratungen der Evangelischen durchzusetzen. Doch zeigten sich in Worms sogleich die Grenzen seines Unterfangens. Denn obwohl nach Runges Bericht die evangelischen „Adsessores, Auditores, Collocutores & Adiunctos“ sämtlich einberufen worden waren, mußte die anberaumte Verhandlung „ohn die Adsessorn“ geführt werden, weil sie nicht erschienen.289 Immerhin nahmen die kursächsischen und württembergischen Theologen teil, vielleicht auch die übrigen politischen Räte der 282
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 338, Nr. 48. 284 Vgl. oben Abschnitt 3.5.4. 285 Vgl. Melanchthon an Peucer, Worms 8. September 1557: CR , Sp. 261, Nr. 6334 = MBW 8330. 286 Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 307, Nr. 6360. 287 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 41, Nr. XIX. 288 Vgl. oben S. 254 f. bei Anm. 287 f. 289 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. 283
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
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beiden Stände außer den Assessoren selbst. Mithin ging es den Kursachsen und Württembergern nicht um totale Obstruktion gegen die kurpfälzische Initiative, vielmehr waren die Assessoren vor allem auf die Wahrung ihrer mittlerweile erlangten Prärogative bedacht. Im Hintergrund stand freilich nach wie vor der kursächsisch-kurpfälzische Rangstreit mit seinen reichsund konfessionspolitischen Implikationen. Das Verhalten der Assessoren minderte die Erfolgsaussichten der kurpfälzischen Intervention von vornherein erheblich, weil die Bindekraft von Ergebnissen einer Verhandlung, an der teilzunehmen die Assessoren sich weigerten, in Frage stehen mußte.290 Außerdem verspielten die drei führenden evangelischen Stände die Möglichkeit eines konzertierten Einwirkens auf den Konflikt unter den Deputierten. Das fällt um so mehr ins Auge, als die kurpfälzische Intervention in der Sache durchaus auf der Linie des bisherigen Vorgehens der Assessoren lag. Im Zentrum der kurpfälzischen Proposition, die als direkte Botschaft des Kurfürsten formuliert war, stand nämlich die Mahnung an die Deputierten, ihren Konflikt „einzustellen vnd in einigkeit wider die Papisten zu procedieren“291. Im Ton und anhand gewisser Akzentuierungen lassen sich allerdings auch Differenzen gegenüber dem unter Leitung der Assessoren erteilten Bescheid der politischen Räte an die ernestinischen Deputierten vom 5. September feststellen. So betonte der Kurfürst, er hätte es „gerne gesehen, das vor dem Colloquio vergleichung vnter vns geschehen were“292. Daher hätte er es auch begrüßt, wenn die Deputierten am 1. August in Worms zugegen gewesen wären293. Ottheinrich bezieht sich damit stärker auf das im Regensburger Nebenabschied vereinbarte Vergleichsprojekt als der Bescheid der politischen Räte vom 5. September, der lediglich konstatiert hatte, daß die für Vorberatungen vorgesehene Zeit verstrichen sei294. Anders akzentuierte der Kurfürst auch die Perspektiven für künftige Verhandlungen über die umstrittenen Fragen. Während die politischen Räte mit dürren Worten erklärt hatten, daß man die Auseinandersetzungen „auf ein andere zeit verschieben“ müsse,295 stellte der Kurfürst eine Generalsynode der Augsburger Konfessionsverwandten 290 Von Bundschuh verkennt diese Gemengelage, wenn er die Sitzung vom 9. September unter dem Vorzeichen schildert, daß „die protestantischen Assessoren ihre Bemühungen“ verdoppelt hätten, „doch noch eine Kompromißlösung zu finden“ (v. Bundschuh, S. 422). 291 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r; vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 338 f., Nr. 48 sowie den ‚Preußischen Bericht‘: Bl. 2v–3r. Die Wiedergabe der kurpfälzischen Proposition durch Runge, durch Strigel sowie durch den ‚Preußischen Bericht‘ stimmt gut überein. 292 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r. 293 Laut ‚Preußischem Bericht‘ ließ Ottheinrich mitteilen, „[q]uod nostros ad Calendas Augusti in vrbe Vangionum adesse placuisset“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 2v). 294 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 22r. 295 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 22r.
336 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen in Aussicht: „Seine Churfürstlichen Gnaden wolten gewis verschaffen, das die Stende der Augpurgischen Confession einen General Synodum ansetzen wurden, darin so beschwerliche ergerliche Jrrungen dijudicieret vnd hingelegt, auch von andern der Kirchen notigen stucken so zu Franckfurt bedacht weren, gehandelt.“296 Ottheinrich zeigt sich hier als der getreuste Verfechter des Frankfurter Abschieds auch noch zu einem Zeitpunkt, als Herzog Christoph den Abschied wegen der fehlenden kursächsischen Unterstützung längst als überholt ansah297. Unbeschadet der besonderen Akzentuierungen besteht im Kern aber Übereinstimmung mit der von den Assessoren verfolgten Linie. Auch die kurpfälzische Intervention zielt auf Sistierung der innerevangelischen Auseinandersetzungen während des Reichsreligionsgesprächs. Entsprechend fielen die Reaktionen aus. Die Deputierten mit Ausnahme der drei ernestinischen Theologen sowie Mörlins und Sarcerius’ begrüßten den kurpfälzischen Vortrag und bedankten sich dafür.298 Schnepf hingegen erklärte für die ernestinischen Deputierten, daß sie an ihrer bisherigen Position festzuhalten gedächten, also weiterhin den Eintritt ins Reichsreligionsgespräch von einer vorherigen, durch gemeinsame Verwerfungen bekundeten Verständigung unter den evangelischen Deputierten abhängig machen wollten. Strigel berichtet darüber mit deutlicher Spitze gegen die aus seiner Sicht obrigkeitshörige Haltung der anderen Deputierten: „Als nu die andern Theologi Inen gemelttes bedencken nicht allein wolgefallen liessen, Sonndern auch dafür Vnderthenigen Danck sagettenn, Stunde doctor Schneppius auff und referierte sich beide auff den Regenspurgischen neben abschied vnnd auff vnnserer gnedigen Fursten vnd herren ernste Instruction mit angeheffter Protestationn, Welche den funfften Septembris am Sonntag zuuor etlich mal geschenn war.“299
Der weitere Verlauf der Verhandlung läßt vermuten, daß die kurpfälzische Regierung über die Verlautbarung der kurfürstlichen Proposition hinaus keine brauchbare Strategie für die einberufene Zusammenkunft der Deputierten entwickelt hatte. Vielleicht war man in Heidelberg davon ausgegangen, daß die Autorität des kurfürstlichen Wortes alle weiteren Auseinandersetzungen überflüssig machen würde. Schon mit Schnepfs Erklärung entglitt den kurpfälzischen Gesandten aber das Heft des Handelns, und keiner der drei Berichte bietet Anzeichen dafür, daß es den Gesandten gelungen wäre, die Sitzungsleitung noch einmal an sich zu ziehen. Hier mag sich ausgewirkt haben, daß den Kurpfälzern die formale Leitungsautorität des 296
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25r–v. Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. Ottheinrich, Hirsau 1. August 1557: Ernst IV, S. 388, Nr. 303. 298 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3r. 299 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. 297
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
337
Assessorenamtes fehlte und sie diesen Mangel auch nicht durch persönliche Anwesenheit des Kurfürsten wettmachen konnten.
4.4.2 Erste direkte Auseinandersetzung zwischen den Theologen in formellem Rahmen Ein bemerkenswerter Effekt des beschriebenen Leitungsvakuums war, daß es erstmals im Rahmen formeller Verhandlungen zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen den Theologen kam, was die Assessoren am 5. September mit Erfolg zu vermeiden bemüht gewesen waren. Die Verhandlungen des 9. September waren daher keine bloße Wiederholung des am 5. September Geschehenen, wie von Bundschuh es darstellt300. 4.4.2.1 Schnepfs Provokation Die Initiative zur direkten Auseinandersetzung ging von Schnepf aus. Im unmittelbaren Anschluß an seine Stellungnahme zur kurpfälzischen Proposition wandte er sich direkt an Melanchthon und an Brenz. Strigel, dessen Darstellung durch den ‚Preußischen Bericht‘ bestätigt wird,301 berichtete dem sächsischen Herzog sehr lebhaft und nicht ohne Genugtuung über Schnepfs Coup: „Vnnd domit ehr Jhe die sachenn befordertt vnd das Rosslein wie man sagtt lauffend machett, sprach ehr mit nahmen ahn D. Philippum vnd D. Brentium. ‚D. Philippe,‘ sagett ehr, ‚Ir habtt nit allein In der schulen, sondern auch durch einen offentlichen Truck Osiandri lehr verdammet, wie solchs In euerm Commentario in Epistolam ad Romanos zu befinden ist. Was habtt Ir dan fur Bedencken, das Ir euere meynung Itzunndt nicht wiederholett?‘ Aber D. Philippus antworttet nichts darauff vnd thatt gar keine meldung Osiandri wieder [sic!] In gutem noch In bosem. Darnach sprach ehr D. Brentium ahn: ‚D. Brentii, Ir habtt In euern scriptis offtmals Cinglii meynung vom nachtmal refutiertt, billich were es, Das Ir diese Refutation Itzundtt vor vns auch thettet.‘“302
Schnepf gelingt es hier, die internen Überlegungen der ernestinischen Deputierten in einen Vorstoß auf der Verhandlungsebene zu überführen. Denn schon lange waren die ernestinischen Deputierten zu der Ansicht gelangt, daß den geforderten Verwerfungen vor allem die gegenseitige Rücksichtnahme der zu verschiedenen Abweichungen hinneigenden Theologen im Wege stehe. 300
Vgl. v. Bundschuh, S. 422; oben zitiert bei Anm. 280. Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3r. 302 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. 301
338 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Gegenüber Herzog Johann Friedrich hatten sie das auf die Formel gebracht: „Dieweil denn der eine hie, der andere dort krank liegt, werden sie unsers Erachtens dahin mit h chstem Fleiß arbeiten, daß kein Irrthum […] angefochten und nahmhaftig verdammet werde“303. Dabei dachten sie insbesondere an Melanchthon, der „von dem Zwinglischen Irrthum sehr verdacht“ sei, und an „Brentius und die andern Wirtembergischen“, die Osiander nicht verdammen lassen würden.304 Als Melanchthon in seiner Rede am 5. September auf Osiander nicht näher einging, sahen sich die ernestinischen Deputierten in ihrer Auffassung bestätigt. Schnepf echauffierte sich deshalb in seinem Bericht für Herzog Johann Friedrich über Melanchthons Zurückhaltung, die er als Rücksichtnahme auf die Württemberger deutete und in scharfem Gegensatz zu den veröffentlichten Stellungnahmen des Wittenbergers zur Osianderschen Rechtfertigungslehre sah.305 Diesen Gegensatz brachte Schnepf nun in der Verhandlung am 9. September zur Sprache. In spiegelverkehrter Entsprechung versuchte er außerdem, Brenz, der seit dem – von Schnepf mitunterzeichneten –306 ‚Syngramma Suevicum‘ als Verfechter der Abendmahlsauffassung Luthers gegen die Schweizer wahrgenommen worden war,307 zu einer Stellungnahme gegen „Cinglii meynung vom nachtmal“ herauszufordern. Ohne Frage bezieht Schnepfs Vorstoß seine besondere provokatorische Kraft aus dem Umstand, daß die Haltungen von Melanchthon und Brenz zu Zwingli und Osiander eben nicht übereinstimmten, sondern jeweils in einem sachlichen Gegensatz zueinander standen. Von Bundschuhs Interpretation, Schnepf habe versucht, „Brenz und Melanchthon gegeneinander auszuspielen“308 respektive „ gegeneinander aufzubringen“309, greift aber zu kurz. Schnepf geht es um mehr, als daß die beiden führenden Antagonisten der ernestinischen Deputierten jeweils in einer Lehrfrage Stellung gegen den anderen bezögen. Er zielt darauf, die geschlossene Front der Ablehnung gegen das Aussprechen von Verwerfungen aufzubrechen, indem er die führenden Antagonisten bei ihren veröffentlichten Stellungnahmen zu umstrittenen Lehrfragen behaftet. Dabei kommt es ihm gelegen, daß er durch die Wahl der streitigen Lehrgegenstände zusätzlich einen Keil zwischen Melanchthon 303 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 237, Nr. 6316; vgl. die Erläuterungen dazu oben in Abschnitt 3.4.1 (S. 174). 304 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 237, Nr. 6316. 305 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 334, Nr. 45; vgl. S. 291 f. bei Anm. 76–78. 306 Vgl. Leppin, Art. Schnepf, S. 233. 307 Vgl. Brecht, Art. Brenz, S. 175. 308 V. Bundschuh, S. 422. 309 V. Bundschuh, S. 422, Anm. 104.
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
339
und Brenz treiben und die Gegensätze, die zwischen den beiden bestehen, öffentlich vorführen kann. 4.4.2.2 Melanchthons Reaktion Wie reagierten die beiden Angesprochenen auf Schnepfs Vorstoß? Zunächst zu Melanchthon:310 Nach Strigels Bericht beantwortete er Schnepfs Vorhaltung nicht: „Aber D. Philippus anttworttet nichts darauff und thatt gar keine meldung Osiandri wieder [sic!] In gutem noch In bosem.“311 Der ‚Preußische Bericht‘ hingegen teilt eine Erwiderung Melanchthons mit: „Philipp sagt, daß seine Schriften vorlägen; er werde von dieser Meinung niemals abrücken.“312 Dem ‚Preußischen Bericht‘ ist der Vorzug zu geben. Seine Darstellung hat für sich, daß Melanchthon nach seinem eigenen313 wie auch nach Runges314 Zeugnis in den Vorberatungen auf vorliegende Schriften verwies, auch wenn Runges Bericht eine spätere Äußerung vom selben Tage wiederzugeben scheint315 und Melanchthons Selbstzeugnis nicht sicher einem bestimmten Abschnitt der Vorberatungen zugeordnet werden kann. Die Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘ ist aber auch sachlich plausibel, denn ein Verweis auf vorliegende Schriften ermöglichte es Melanchthon, an der eigenen Position festzuhalten, ohne sich auf eine Sachdiskussion einlassen zu müssen. Auch konnte er es dadurch vermeiden, ausdrücklich gegen Brenz Stellung zu beziehen, wie von Schnepf intendiert. An Strigels Darstellung befremdet hingegen bei näherem Hinsehen, daß Schnepf die unterbliebene Antwort Melanchthons einfach hingenommen und sich unverzüglich an Brenz gewandt haben soll. Hätte er nicht, da er ohnehin gerade den Gang der Verhandlung bestimmte, darauf bestehen 310 Außer Betracht kann hier zunächst die von Runge wiedergegebene Rede Melanchthons bleiben (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v–26r = MBW 8332): Sie muß im Ablauf der Verhandlungen des 9. September an einen späteren Ort gehören, weil Melanchthon sich auf vorangegangene Äußerungen der Württemberger zu Osiander bezieht, die bei Runge folgenden Ausführungen Brenz’ aber die erste Stellungnahme dazu von württembergischer Seite in den formellen Vorberatungen sind. 311 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48; oben S. 337 bereits mit dem Kontext zitiert bei Anm. 302. 312 „Philippus dicit Extare sua scripta, se ab ea mente nunquam discessurum.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3r). 313 In seinem deutschen Gesamtbericht teilt Melanchthon mit, daß er gesagt habe, „[v]on Osiandro w ren unsere Schriften am Tage“ (Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Febuar: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539). Vgl. Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540 sowie Melanchthon an Kfst. August, Worms 2. Oktober 1557: CR 9, Sp. 319, Nr. 6346 = MBW 8375. 314 Laut Runge erklärte Melanchthon am 9. September 1557: „Von Osiandro weren vnser Kirchen Urteil am tage.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v = MBW 8332). 315 Vgl. Anm. 310.
340 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen müssen, daß Melanchthon seine Frage beantworte solle? Eine Antwort im Sinne des ‚Preußischen Berichts‘ aber erklärt die unverzügliche Hinwendung zu Brenz. Denn eine solche Antwort war durchaus dazu angetan, Schnepf zufriedenzustellen – wenn sich, anders als im Fall der möglichen gleichsinnigen Äußerung Melanchthons vom 5. September, dessen Intention vermittelte. Der Unterschied zum 5. September würde dann darin liegen, daß Melanchthons entsprechende Äußerung dort in weiter ausholende Ausführungen zu verschiedenen Punkten eingebettet und deshalb überhörbar gewesen wäre, während Schnepf ihn ja am 9. September direkt auf seine Stellungnahme gegen Osiander im Römerbrief-Kommentar ansprach. Wenn Melanchthon daraufhin auf seine veröffentlichten Schriften verwies und sich zu ihnen bekannte, so bekam Schnepf nunmehr unüberhörbar, was er verlangte. Eine indirekte Bestätigung finden die vorgetragenen Überlegungen durch die Nachrichten über Brenz’ Reaktion. Seine Reaktion fiel nicht nur besonders heftig aus, sondern setzte zudem bei Osiander ein, nicht bei Zwingli, wie es Schnepfs Frage an Brenz eigentlich nahegelegt hätte.316 Der ‚Preußische Bericht‘ faßt Brenz’ Reaktion sogar mit den Worten zusammen: „Aufgebracht sagt Brenz viel, um Osiander zu entschuldigen“317. Es ist fraglich, ob Schnepfs Fragen und sein Dringen auf eine Refutation Osianders durch Melanchthon dazu ausgereicht haben können, Brenz so aufzubringen. Seine Reaktion läßt sich viel besser unter der Annahme erklären, daß er Melanchthons Antwort als eine Bekräftigung von dessen früheren Stellungnahmen gegen Osianders Rechtfertigungslehre aufgefaßt hat. Dafür ist aber vorauszusetzen, daß Melanchthon so geantwortet hat, wie der ‚Preußische Bericht‘ es darstellt. Einer Erklärung bedarf dann aber, weshalb Strigel es so darstellt, als habe Melanchthon Schnepfs Vorstoß unbeantwortet gelassen. Melanchthons Antwort selbst oder zumindest ihr brisanter Sachgehalt müssen Strigel entgangen oder von ihm als irrelevant betrachtet worden sein. Ein Grund dafür könnte sein, daß der Fokus seines Berichts auf die Konfrontation mit Brenz gerichtet ist. Der Provokationsversuch Schnepfs gegenüber Melanchthon tritt dahinter völlig zurück. Verursacht könnte das gerade dadurch sein, daß Melanchthon Schnepf nicht widersprach, sondern implizit ein gewisses, aus Schnepfs Sicht zufriedenstellendes und aus Brenz’ Sicht brisantes Maß an sachlicher Übereinstimmung im Blick auf Osiander bekundete. Wenn die Rekonstruktion der Entgegnung zutrifft, so ist von Bundschuhs Einschätzung der Verhandlungen am 9. September zu korrigieren. 316
Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. „Brentius commotus multa dicit ad excusandum Osiandrum […].“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3rv). 317
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
341
In Unkenntnis des ‚Preußischen Berichts‘ urteilt von Bundschuh: „[D]ie Fronten blieben versteift.“318 Indem aber Melanchthon Schnepfs Vorstoß mit einer impliziten Bekundung sachlicher Übereinstimmung beantwortete, kam Bewegung in die bislang festgefügt erscheinenden Konstellationen des Konflikts. Eine doppelte Bestätigung dafür bieten zum einen Brenz’ Ausbruch, der mit der bloßen Provokation durch Schnepf nicht zu erklären ist, und zum anderen der Umstand, daß just nach Sitzungsende am Abend des 9. September erfolgversprechende Verständigungsbemühungen zwischen der gnesiolutherischen Gruppe und Melanchthon in Gang kamen. 4.4.2.3 Brenz’ Entgegnung Nun zu Brenz und seiner Reaktion auf Schnepfs Vorstoß, bei deren Analyse wie gezeigt die Wirkung von Melanchthons Antwort zu berücksichtigen sein dürfte. Johannes Aurifaber berichtet unter Berufung auf Strigel: „[…] unsere Theologen haben […] sich auf ihre Instruction berufen, und war ein greulich Gerauf und Zank dar ber unter unsern Leuten und den andern Theologen worden, dergleichen nie gewesen. Insonderheit haben sie mit dem Brentio einen großen L rm gehabt“319. Gerade als Bericht aus zweiter Hand bestätigt Aurifabers Darstellung, daß zumindest für Strigel die Konfrontation mit Brenz das herausragende Ereignis in den Verhandlungen des 9. September war. Das legt auch die quantitative Gewichtung in Schnepfs eigenem Bericht nahe; die Wiedergabe von Brenz’ Rede320 macht mehr als die Hälfte des gesamten Berichts über den 9. September aus. Zwei Gründe dafür lassen sich ausmachen: zum einen die große Heftigkeit, mit der Brenz sprach; laut Strigel erwiderte Brenz auf Schnepfs Vorstoß „mit hefftigenn worttenn“321. Die Heftigkeit klingt noch in Aurifabers Darstellung nach und wird auch durch den ‚Preußischen Bericht‘ bestätigt322. Zum anderen war Brenz’ Rede am 9. September im Rahmen der formellen Vorverhandlungen seine erste Einlassung überhaupt zu den Verwerfungsforderungen der gnesiolutherischen Seite. Strigel bietet Brenz’ Ausführungen in wörtlicher Rede dar, was einen sehr lebendigen und unmittelbaren Eindruck vermittelt. Bei der Analyse ist jedoch der Vorbehalt zu beachten, unter den Strigel selbst den Wortlaut seiner Wiedergabe stellt.323 Es handelt sich danach weder um eine Mitschrift, noch liegt eine Mitschrift zugrunde, vielmehr hat Strigel Brenz’ Ausführungen aus dem Gedächtnis wiedergegeben, 318
V. Bundschuh, S. 422. Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 307, Nr. 6360. 320 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339–342, Nr. 48. 321 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48 322 Vgl. oben bei Anm. 317. 323 Vgl. die Wiedergabe und Erläuterung dieses Vorbehalts oben S. 25 f. bei Anm. 46. 319
342 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen und das möglicherweise erst im Abstand mehrerer Tage. Strigels in wörtliche Rede gefaßte Wiedergabe kann daher keinesfalls umstandslos mit Brenz’ eigenen Worten gleichgesetzt werden, wie es Fligge tut.324 Es ist vielmehr große Vorsicht bei der Auswertung einzelner Formulierungen anzuwenden, wie auch Duktus und Tendenz von Brenz’ Ausführungen in Strigels Wiedergabe einer genauen Überprüfung bedürfen.
Wie bereits dargelegt setzte Brenz’ Entgegnung auf Schnepfs Vorstoß laut Strigel nicht bei der Haltung zu Zwinglis Abendmahlslehre ein, auf welche Schnepf den Württemberger angesprochen hatte. Statt dessen äußerte er sich zunächst in großer Erregung zu Osiander: „Souiel den Osiandrum belangett, wiel ich keins weges an Imands vrtheil gebunden sein, Wiel Ihnen auch nicht verteidingen, Das sage ich aber, wirdett Imand Osiandrum beweisen, das ehr die lehr de Imputatiua Justitia wiederfochttenn vnnd derselben nicht Ihren geburlichen ortt gelassenn habe, So wiel Ich der ergstenn feind Osiandri einer sein, Es heissett aber da Probandi.“325
So zumindest hat Strigel den Beginn der Brenzschen Erwiderung aus dem Gedächtnis wiedergegeben. Für den Verfasser des ‚Preußischen Berichts‘ ließ sich Brenz’ Entgegnung sogar als aufgebracht vorgetragene, umfangreiche Entschuldigung Osianders zusammenfassen.326 Oben wurde bereits die Vermutung vorgetragen,327 daß Brenz hier nicht allein auf Schnepfs Vorstoß replizierte, sondern zugleich auf Melanchthons Anwort, die er dann als Bekräftigung der früheren Stellungnahmen Melanchthons gegen Osianders Rechtfertigungslehre aufgefaßt hätte. Der erste Satz der Brenzschen Entgegnung in Strigels Wiedergabe weist genau in diese Richtung. Denn wenn Brenz laut Strigel erklärte, daß er „keins weges an Imands vrtheil“ über Osiander gebunden sein wolle, so ist das im Gefälle der vorgetragenen Rekonstruktion von Melanchthons Antwort so aufzufassen, daß Brenz auch nicht an Melanchthons Urteil über Osiander gebunden sein will. Das steht ganz im Einklang mit der von Brenz stets und gerade auch gegenüber Melanchthon behaupteten Unabhängigkeit in der Beurteilung Osianders.328 Auch die übrigen Aussagen zu Osiander in Strigels Wiedergabe liegen ganz auf der Linie von Brenz’ bisheriger Argumentation.
324
Vgl. Fligge, S. 395 bei Anm. 251. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. 326 Vgl. das S. 340 in Anm. 317 angeführte Zitat (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3rv). 327 Vgl. oben S. 340 bei Anm. 316 f. 328 Vgl. als gewichtigstes Beispiel vor dem Wormser Religionsgespräch Brenz’ kritische Stellungnahme zu den Entscheidungen und Verlautbarungen der von Melanchthon geleiteten Kommission, die im Herbst 1555 zur Beilegung lokaler osiandrischer Streitigkeiten nach Nürnberg berufen worden war (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 15. Oktober 1555: Pressel, S. 413–415, Nr. CCXXV). 325
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
343
Brenz hatte ja schon früher erklärt, daß er Osiander nicht verteidigen wolle,329 weil sich dieser nach Brenz’ Auffassung gar nicht zuschulden kommen lassen hat, was ihm zur Last gelegt wird. „Also verteidige ich und andere mher solch grob irthumb nicht, so die duri censores Osiandro zumeßen, falle denselben nicht bey, sondern disputire allein ob Osiander also gros geirret oder nicht“, so hatte Brenz sich nach dem Bericht des preußischen Theologen Matthäus Vogel im Sommer 1556 vernehmen lassen.330
In Brenz früheren Äußerungen ist eine inhaltliche Distanzierung von der Osiander angelasteten Irrlehre impliziert, die jenem aus Brenz’ Sicht zu Unrecht unterstellt wurde. Dieselbe Distanzierung kommt sehr pointiert zum Ausdruck in der von Strigel mitgeteilten Formulierung, Brenz wolle „der ergstenn feind Osiandri einer sein“, wenn nachgewiesen würde, daß Osiander tatsächlich die Lehre von der iustitia imputativa und ihre zentrale Bedeutung bestritten habe.331 Der Zusatz „Es heissett aber da Probandi.“ unterstreicht, daß Brenz das Vorgeworfene keineswegs für erwiesen, ja eigentlich für nicht erweisbar hielt. Ganz ähnlich äußerte sich auch Jakob Andreae im weiteren Verlauf der Verhandlungen am 9. September.332 Brenz bekräftigte demnach am 9. September seine bisherige Haltung zu Osiander mit großem Nachdruck. Das aber bedeutete, daß er in die geforderte Verwerfung Osianders nicht einwilligen würde. Die zugestandene Einschränkung, daß er sich gegen Osiander wenden wolle, wenn die jenem angelasteten Irrtümer nachgewiesen würden, hatte im Gefälle sämtlicher bisheriger Stellungnahmen Brenz’ zu Osiander den Charakter einer unerfüllbaren Bedingung. Die Jakob Andreae zugeschriebene, von ihm allerdings später bestrittene Spitzenaussage, die Befürworter einer Verwerfung „sollten nicht erleben, daß sie [scil. die Württemberger] den Osiandrum verdammen wollen“333, bringt der Sache nach die von Brenz vorgezeichnete Haltung in schroffer Deutlichkeit auf den Punkt. Erst an zweiter Stelle wandte sich Brenz laut Strigels Bericht Zwingli zu, auf den Schnepf ihn ja direkt angesprochen hatte. Er räumte ein, gegen den Schweizer geschrieben zu haben, vermied es aber, eine Verurteilung Zwinglis zu befürworten, indem er zu bedenken gab, daß in der gegebenen Situation die nötige gründliche Befassung damit nicht möglich sei:
329 So in einem Brief an Melanchthon: „Defensionem Osiandri nunquam suscepi nec unquam suscipiam.“ (Brenz an Melanchthon, Stuttgart 29. September 1555: Pressel, S. 409, Nr. CCXXII). 330 ‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 335, Nr. 36. 331 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48; im Zusammenhang zitiert oben bei Anm. 325. 332 Vgl. dazu unten S. 349 f. bei Anm. 366. 333 Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 307, Nr. 6360; vgl. dazu unten S. 349 bei Anm. 363.
344 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen „Weitter was den Cinglium betrifft, Bekenne ich, das Ich etwas wieder Ihn geschrieben habe, Es hatt aber itzund ein andere gelegenheit mit dem Judiciren und gehortt mehr berichts darzu, weil einer nimis crasse, der ander nimis subtiliter von dieser sachen redett und schreibett. Darumb wiel [sic!] die notturft erfordern, das man den sachen lenger vnnd eigentlicher nachdenke, Welches aber jn so kurtzer Zeith nicht geschehenn kann.“334
Mit der zitierten Antwort vermied Brenz eine Brüskierung Melanchthons, und zwar weit mehr, als Melanchthon es umgekehrt in seiner oben rekonstruierten Antwort auf Schnepfs Vorstoß in Sachen Osiander getan hatte. Man wird das aber nicht einer größeren Rücksichtnahme Brenz’ auf den Wittenberger Präzeptor zuschreiben dürfen. Vielmehr folgte Brenz seiner Überzeugung, daß Verwerfungen in Worms überhaupt vermieden werden müßten, weil sie in der Situation des Reichsreligionsgespräch inopportun wären und unter den gegebenen Bedingungen nicht ordentlich durchgeführt werden könnten. Diese Überzeugung hatte in dem württembergischen ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ vom 8. August den Rang einer verbindlichen Vorgabe für das Vorgehen der württembergischen Deputierten erhalten.335 Ganz in den Bahnen des ‚Gutachtens über Verwerfungen‘ bewegen sich auch Brenz’ weitere Aussagen, wie sie Strigel wiedergibt. Das läßt die Wiedergabe Strigels zumindest ihrer Tendenz nach als sehr zuverlässig erscheinen. Brenz ließ es offensichtlich nicht bewenden bei Aussagen zu Osiander und Zwingli, den von Schnepf in seinem doppelten Vorstoß angeregten Themen, sondern ging noch darüber hinaus, indem er sich auch Major und den Adiaphora zuwandte.336 Damit aber geriet seine Entgegnung auf Schnepf nunmehr zu einer umfassenden Stellungnahme zu den gesamten von gnesiolutherischer Seite erhobenen Forderungen, was wiederum erklärt, warum Strigel den Brenzschen Ausführungen so viel Gewicht in seinem Bericht einräumte. Was Major und die Adiaphora anging, erklärte Brenz laut Strigel, daß er hierüber nicht ausreichend orientiert sei, weil er die Streitschriften noch nicht gelesen habe und weil die württembergische Kirche „gott lob“ von den Kontroversen nicht betroffen und bislang auch nicht von außen damit befaßt worden sei.337 Über die von Strigel mitgeteilte formale Argumentation hinaus berichtet der ‚Preußische Bericht‘, Brenz und Andreae hätten bekräftigt, daß Majors These von der Notwendigkeit der guten Werke zum Heil „nicht einfach verdammt werden könne
334
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 339, Nr. 48. Vgl. oben Abschnitt 2.3.2. 336 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 340, Nr. 48. 337 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 340, Nr. 48. 335
4.4 Verhandlungen auf kurpfälzische Initiative am 9. September
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[…], da ja Paulus sage: ‚Mit dem Mund geschieht das Bekenntnis zum Heil.‘“338 Mit der Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘ berührt sich das – allerdings im ganzen recht unzuverlässige – ‚Kurze Verzeichnis‘ unbekannter Provenienz, demzufolge Brenz über Major gesagt haben soll: „Dieweil offenbar, das D. Maioris Propositio auch von Paulo gesetzet, vnnd darüber des Maioris erklerung recht vnd warhafftig dermassen, das alle gottselige vnnd gelerte Theologi damit zufrieden, so sey es nicht Christlich, in, den Maiorem, vnuerhört, vnd dieweil er im fundament nicht irret, zuvordammen.“339 Über promajoristische Tendenzen bei den Württembergern340 hatten zuvor bereits die ernestinischen Deputierten ihrem Herzog berichtet: Es seien „auch etliche unter den Wirtembergischen, so Maiorem mit seiner Proposition de necessitate bonorum operum nicht gedenken fallen zu lassen“341. Die Angaben des ‚Preußischen Berichts‘ und des ‚Kurzen Verzeichnisses‘ stehen in Spannung zu Strigels Darstellung. Zudem stellt sich die Frage, warum Strigel in seinem Bericht eine positive Stellungnahme Brenz’ zu Majors These unerwähnt gelassen haben sollte. Eine mögliche Erklärung bietet aber die Erwähnung Andreaes neben Brenz im ‚Preußischen Bericht‘. Strigel verzichtet in seinem schriftlichen Bericht ausdrücklich auf eine Wiedergabe der noch darzulegenden Äußerungen Andreaes im weiteren Verlauf der Verhandlungen des 9. September.342 So könnte das Votum für Major auf Andreae zurückgehen. Andreae, der sich zu Osiander schärfer als Brenz geäußert haben soll,343 könnte sich auch zu Major ungeschützter geäußert haben als der bei aller Erregung doch stets um Ausgleich bemühte Brenz.
An seine ausweichende Stellungnahme zu Majors These und zum Adiaphorismus schloß Brenz nach Strigels Bericht noch eine summarische Begründung in vier Punkten an, warum er die geforderten Verwerfungen ablehne:344 Erstens sei die Zeit zu kurz; zweitens verlange das sachliche Gewicht der Streitpunkte, zu denen mit Rechtfertigung und Abendmahl zwei hohe Artikel zählten, eine gründlichere Erörterung; drittens seien die betreffenden Streitschriften vielen nicht bekannt, was jedoch für eine Beurteilung der Kontroversen erforderlich wäre; viertens sei für eine förmliche Verwerfung eine größere Synode erforderlich; zudem müsse eine förmliche 338 „Et simul adfirmant [scil. Brenz und Andreae], Non posse simpliciter damnari hanc propositionem ‚Bona opera sunt necessaria ad salutem.‘, cum Paulus dicat: ‚Ore fit confessio ad salutem.‘“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v). Die Bezugsstelle bei Paulus ist Röm 10,10b in der Vg-Fassung: „ore autem confessio fit in salutem“. 339 ‚Kurzes Verzeichnis‘: GStA PK, XX. HA, HBA A 1, K. 13, Vol. 14, Fasz. 9 unpaginiert, Bl. 2v. 340 Eine Notwendigkeit guter Werke zum Heil hat Brenz soweit bekannt nie vertreten, auch wenn er die Bedeutung der Glaubensfrüchte unterstrich. Ein Eintreten Brenz’ für Major dürfte deshalb vermutlich darin begründet sein, daß er Major ad bonam partem interpretierte. Die hier vorgetragene Einschätzung verdankt der Verfasser dieser Arbeit mündlichem Austausch mit Herrn Dr. Matthias Deuschle, Berlin. 341 Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Johann Friedrich d. M., Worms 21. August 1557: CR 9, Sp. 237, Nr. 6316. 342 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. 343 Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3rv; im Wortlaut zitiert S. 351 in Anm. 370. 344 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 340, Nr. 48.
346 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Synode beide Seiten hören, „[d]amit sich Niemand zu beklagen hette, es were Ihme zu kurtz gescheen Vnnd er were vnerhortter sache verdammet wurden“345. Brenz faßte seine Darlegung laut Strigel in der Feststellung zusammen, nun müsse für jeden zu verstehen sein, „[w]arumb die Condemnation etlicher personen oder der Irrige meynung, so sie vorgeben, vns auff dissmal nicht allein bedenklich sondern auch gantz vnmoglich“346 sei. Abschließend wandte er sich, so Strigel, direkt an seine Kontrahenten: „Bedencket aber selbst, liebe herren, was es fur ein ungereumbte vnnd Vnuorschempte Suchung sey, Das Ir mir vnd andern dorffet zumutten vnd hart darauff dringenn, Das wir sollenn Inn eilh die ding verdammen, welcher nahmen vnd Tittel vns nicht genugsam bekand seind.“347 Die Übereinstimmungen mit dem württembergischen ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ sind offenkundig. Insbesondere nimmt das Argument, die Streitschriften seien nicht hinreichend bekannt, mit zwei Punkten im ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ ähnlich viel Raum und Gewicht ein wie in Strigels Wiedergabe von Brenz’ Rede.348 Neu ist das Argument, das Gewicht der Streitpunkte sei zu groß für eine Entscheidung in Worms, weil davon Hauptartikel betroffen seien. Die offizielle württembergische Lesart hatte bisher gelautet, daß nur in „etlichen fürfallenden nebenpuncten spaltung und weiterung“349 bestünden. Sollte hier eine veränderte Einschätzung vorliegen, so fügt sie sich dennoch nahtlos ein in das Grundanliegen des ‚Gutachtens über Verwerfungen in Worms‘: Die Auseinandersetzungen sollen sistiert, interne evangelische Verwerfungen in Worms im Angesicht der römisch-katholischen Seite sollen verhindert werden. Das läßt sich sowohl damit begründen, daß die Streitpunkte von geringer Bedeutung seien und deshalb Aufschub vertrügen, als auch damit, daß das Gewicht der umstrittenen Fragen eine gründlichere Behandlung zu einem späteren Zeitpunkt verlange. Mit Brenz’ Erklärung, Verwerfungen von Personen oder Lehrmeinungen seien den Württembergern hier und jetzt „ganntz vnmoglich“350, war der Gegensatz zwischen den gnesiolutherischen Verwerfungsforderungen und der württembergischen Position in unüberbietbarer Klarheit ausgesprochen, und das coram publico bei den formellen Vorverhandlungen. Somit trugen 345
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 340, Nr. 48. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 340, Nr. 48. 347 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. 348 Vgl. das württembergische ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘, 6. und 8. Pkt.: Wolf, S. 297 f., Nr. 27. 349 Herzog Christophs ‚Bedenken über die Einigkeit‘: Ernst IV, S. 293, Nr. 240; vgl. die Rede von der „nebenspaltung“ im ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘: Wolf, S. 296, Nr. 27. 350 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 340, Nr. 48. 346
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die am 9. September geführten Verhandlungen unter kurpfälzischem Vorsitz zur überfälligen Klärung der Fronten bei. 4.4.2.4 Stellungnahmen weiterer Theologen und Mörlins Attacke gegen die Württemberger Bei der Klärung der Fronten wurde nicht nur der sachliche Gegensatz zwischen Forderung und Verweigerung von Verwerfungen anschaulich. Vielmehr bezogen auch die übrigen Theologen nun ausdrücklich und erkennbar Stellung. Von Strigels Warte aus stellte es sich so dar: „Als nu D. Brentius […] solches geredett, sind Ihme die andern Theologie [sic!] alle ausgenommen D. Sarcerium vnnd D. Morlinum zugefallenn vnnd hochbeteurrt, sie wissenn Inn Ihren Kirchen nichts vonn solchen disputationibus vnnd haben die scripta contraria noch nicht gelesenn.“351 Das kann zusammengelesen werden mit einer Mitteilung Jakob Runges, die sich zwar nicht speziell auf den 9. September bezieht, aber auf die Vorverhandlungen insgesamt: „Die Stende, Marggraf von Anspach, Pommern, Hessen, Strasburg, haben oft bezeugt, das Gott lob vnsere Kirchen mit berurten gezencken nicht zu thuen haben.“352 Mag das für sich genommen wie eine neutrale Positionsbestimmung erscheinen, so wurde es nach Brenz’ Vorgang mit Recht von der gnesiolutherischen Gruppe als Stellungnahme gegen die geforderten Verwerfungen aufgefaßt, denn Brenz hatte sich ja unter anderem ebenfalls darauf berufen, daß seine Kirche von einigen der Kontroversen nicht betroffen sei. Sarcerius und Mörlin hingegen stellten sich am 9. September ausdrücklich und öffentlich auf die Seite der ernestinischen Deputierten. Wohlwollend berichtet Strigel: „Aber der Dr. Sarcerius thatte auff vnnser meynung ein dapffere vnnd stattliche Rede Vnnd hatt sich Inn diesem Falh als ein Ehrlicht man gehalten.“353 Aus dem anschließenden Votum Mörlins gibt Strigel dann sogar einen an Brenz gerichteten Passus in direkter Rede wieder, wobei der Wortlaut der Wiedergabe unter demselben Vorbehalt stehen dürfte, unter welchen Strigel zuvor seine Wiedergabe von Brenz’ Ausführungen gestellt hatte.354 Laut Strigel sagte Mörlin zu Brenz: „Lieber her Brenti; Wan Ir wustett wie es Inn Preussen zuginge vnd was Osiander fur Jhamer darinn gestifftet, so wurde euch das Hertz vergehenn. Ich kondte einem 351
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24v; siehe dazu oben S. 300 in Abschnitt 4.2.1 bei Anm. 120. 353 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. 354 Vgl. oben S. 341 f. bei Anm. 323. Auch von diesem Zitat macht Fligge in seiner Darstellung der Verhandlungen des 9. September einen allzu umstandslosen Gebrauch (vgl. Fligge, S. 396 bei Anm. 252). 352
348 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen dauon sagen vnd warhafftigen bericht thun, Als der ich selbest im feuer gesteckett Vnnd da Ir, her Brenti, mit euer Authoritet das feuer nicht leschett, so wird es noch wol ein lange Zeitt brunnen.“355
Mörlin rekurriert hier auf seine persönlichen Erfahrungen als Antagonist Osianders in Preußen, als welcher er im Februar 1553 seiner Stellung als Königsberger Domprediger enthoben und des Landes verwiesen worden war.356 Seiner zutreffenden Auffassung nach hatten die unter Brenz’ Federführung entstandenen württembergischen Gutachten von 1551 und 1552 die Position der Anhänger Osianders in Preußen erheblich stabilisiert, weil der Herzog die Gutachten als Bestätigung für Osianders Rechtfertigungslehre auffaßte.357 Mörlins Berufung auf die Lage in Preußen sowie auf seine eigene Betroffenheit verschärft den Ton der Auseinandersetzung merklich: War die Frage einer Verwerfung des Osiandrismus bisher als theologische Streitfrage behandelt worden, so kommt nun eine kirchenpolitische und persönliche Dimension in die Auseinandersetzung hinein, wie es von Mörlin mit dem direkten Appell an Brenz offensichtlich beabsichtigt war. Mörlins Vorhaltungen mußten Brenz besonders treffen, weil der Stuttgarter Propst das Bemühen um Vermittlung und „moderation“358, Mäßigung, als seinen Part im Osiandrischen Streit ansah. Möglicherweise erfuhr Brenz sogar noch eine weitere Diskreditierung, denn nach Sarcerius’ rückblickendem Gesamtbericht brachten die gnesiolutherisch orientierten Theologen auch vor, es wäre „vnverborgen, das etliche vnser Theologen geschenck u. gaben empfangen hetten, den Osiandrismum zu approbieren vnd zu vertedigen“359. Für eine solche Einlassung fehlt allerdings eine Bestätigung in den mit geringerem zeitlichem Abstand verfaßten Quellen. 4.4.2.5 Andreaes Replik und seine spätere Apologie Von württembergischer Seite kam es zu einer scharfen Replik auf Mörlins Attacke. Strigel verzichtete allerdings in seinem schriftlichem Bericht auf eine Wiedergabe der Replik: „Was aber hierauff D. Jacobus Fabri geantworttet habe, achte ich vor vnnottig hie zu melden.“360 Der Grund dafür dürfte sein, daß er dem Herzog die Replik bereits im mündlichen Vortrag 355
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. Vgl. Fligge, S. 192. 357 Vgl. Fligge, S. 183–191. 358 So Brenz zu Vogel nach dessen ‚Bericht über seine Verhandlungen mit Brenz im Sommer 1556: Bizer, Analecta, S. 335, Nr. 36. 359 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 41, Nr. XIX. 360 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. 356
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anschaulich geschildert hatte. Der Nachhall seiner Schilderung findet sich in dem Schreiben Johannes Aurifabers, das von Strigels Rapport beim sächsischen Herzog handelt. Danach hatte Strigel berichtet, daß Mörlin und Sarcerius den ernestinischen Deputierten „treulichen beigestanden“ hätten „und in dem Osiandrismo den Brenz also ge ngstiget, daß er vor Zorn nicht hat reden k nnen, sondern sein Geselle, Doctor Iacobus Andreas von G ppingen ihn vertreten gehabt, und herausgefahren, sie sollten nicht erleben, daß sie den Osiandrum verdammen wollen.“361 Auf Strigels mündliche Schilderung dürfte es ebenfalls zurückgehen, daß Herzog Johann Friedrich in seinem Beschwerdebrief an Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph vom 27. oder 29. September362 vorbrachte: „Auch sein [scil. Brenz’] Kollege D. Faber soll erklärt haben, man solle den Tag nicht erleben, wo er oder ein anderer die Osiandrische Lehre verdammen wolle.“363 Andreae indes hat, von Herzog Christoph zur Rechenschaft über die Vorhaltungen des sächsischen Herzogs aufgefordert,364 die ihm zur Last gelegte Äußerung heftig bestritten. In seinem der Forschung bisher nicht bekannten Rechtfertigungsschreiben vom 10. Oktober legt er vielmehr dar, er habe bei der Zusammenkunft unter pfälzischem Vorsitz „auff Mörlins votum meine meinung von Osianders Lehr, vngeferlich mit diesen worten“ gesagt: „Es werden dem Osiander viell grewlicher Irrthumb zugelegt, die er weder lebendig gelerrt, noch in seinen Buchern gefunden werden, Aber so viell den hauptpuncten belangt, sagte Ich, Wann auß allen Osiandri buchern ein Sententia Pagina Periodus colon comma, oratio dictio syllaba ja auch ein litera kundte herfurgebracht werden, das Osiander jemals gelertt habe: Nos coram Deo Iustificari, hoc est Remissionem peccatorum consequi non propter obedientiam Christi solam per fidem, sed propter essentialem Iustitiam Dei in nobis per fidem habitantem, […] so sei ich erbottig, sein Lehr alß haereticam vnd ketzerisch zuuerwerfen. Dieweill aber Osiander niemals, ne quidem per febrim365 so votiertt, Auch (wie ich verhoffe) auß allen seinen buchern nicht moge dargethan werden, so falle ich denen Theologis zu, die der meinung seind, man soll itzt der zeitt mit den condemnationibus still stehen, biß man die Controversiam auß beider theill buchern gnugsam erkenne vnd alsdann was Gots wortt vnd der reinen Lehr zu wider einhelliglich verworffen werde, Dann ich fur mein person
361 Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 307 f., Nr. 6360. 362 Zur unsicheren Datierung des Schreibens an Ottheinrich und Christoph vgl. Ernst IV, S. 424, Nr. 338, Anm. a sowie die Überlegungen unten S. 454 in Abschnitt 5.5.1 bei Anm. 415 f. 363 So Hzg. Johann Friedrich d. M. an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 423, Nr. 338 (Regest); vgl. ders. an Melanchthon, Meisenheim 29. September 1557: CR 9, Sp. 303, Nr. 6356 = MBW 8369. 364 Vgl. dazu S. 466 im Exkurs über die ‚Große Protestationsschrift‘ innerhalb von Abschnitt 5.2 bei und in Anm. 479. 365 ‚[…] nicht einmal im Fieber […]‘.
350 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen weder Osiandrum in dem er unrecht hatt, noch jemands wer der sein mocht, so was irrigs auff die bahn bracht verthedingen wolle.“366
Andreae hätte sich demnach im Gegensatz zu den Vorhaltungen des sächsischen Herzogs ausdrücklich zu einer Verwerfung der Lehre Osianders bereiterklärt – freilich nur unter der von ihm selbst für unerfüllbar gehaltenen Bedingung, daß die Osiander zur Last gelegten Verfälschungen nachgewiesen werden könnten. Zur Beglaubigung seiner Darstellung beruft sich Andreae auf die übrigen Teilnehmer an den Verhandlungen: „Deß werden mir Zeugnus geben alle Politische Rhett vnd Theologenn, so darbei gewesen seind.“367 Von den ernestinischen Theologen fühlt er sich hingegen schwer ins Unrecht gesetzt: „Daß aber die Weimarischen Theologj hinderrucks mein, und mich vnangeredtt […] ihrem herrn in genere berichtenn, Allß ob ich mich hett hören lassen, Ich wollte Osiander allerdings verthedingen, So ich allein vom statu controversiae geredtt, welchen sie noch nicht verstehen, kan menniglich abnhemen, wie vnguetlich mir von ihnen beschehen“368.
Sogar an das Gewissen der ernestinischen Theologen appelliert Andreae: „[…] wie ich denn auch ihr eigen gewissen hiemitt anrede, Daß sie dergleichen aus meinem mundt niemals gehort haben.“369 Soweit die Quellenlage. Sie ist insofern prekär, als auf der einen Seite nur Aurifabers Bericht aus zweiter Hand und die als Hörensagen gekennzeichnete Passage aus Herzog Johann Friedrichs Beschwerdebrief vorliegen, während es auf der anderen Seite lediglich Andreaes Selbstzeugnis gibt, das den Charakter einer mit großem rhetorischem Aufwand vorgetragenen Apologie hat. Andreaes Darstellung besitzt allerdings die größere Plausibilität. Denn schwerlich hätte Andreae sich gegen die Fakten auf die übrigen Gesprächsteilnehmer berufen können, deren Zeugnis von Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph mühelos hätte eingeholt werden können. Damit ist freilich nicht gesagt, daß Andreae sich genau so geäußert hat, wie er es in seiner Rechtfertigungsschrift mitteilt. So schickt er selbst der Wiedergabe seines Redebeitrags die Einschränkung voraus, er habe „vngeferlich mitt diessen worten“ auf Mörlins Votum reagiert. Hier ist nun nicht nur der zeitliche Abstand von gut einem Monat zu berücksichtigen, sondern 366 Andreaes Rechtfertigungsschrift (Fragment), Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol. 26r–29r, hier fol. 27rv. 367 Andreaes Rechtfertigungsschrift (Fragment), Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol. 26r–29r, hier fol. 27v. 368 Andreaes Rechtfertigungsschrift (Fragment), Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol. 26r–29r, hier fol. 28v–29r. 369 Andreaes Rechtfertigungsschrift (Fragment), Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol. 26r–29r, hier fol. 29r.
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es ist auch damit zu rechnen, daß Andreae den Vorfall in einem für ihn günstigen Licht dargestellt haben dürfte. So teilt der ‚Preußische Bericht‘ mit, Andreae habe sich in Sachen Osiander „schärfer“ geäußert als Brenz, der bereits als „erregt“ geschildert wird.370 Das klingt nach einem deutlich weniger wohlgesetzten Redebeitrag als demjenigen, den Andreae in seiner Rechtfertigungsschrift darbietet. Wenn Andreae aber ungefähr den in der Rechtfertigungsschrift mitgeteilten Inhalt, diesen jedoch in heftigen Worten vorgebracht haben sollte, so könnte Strigel das in seinem mündlichen Bericht durchaus verkürzend und zusammenfassend so dargestellt haben, als habe Andreae gesagt, mit ihm werde es keine Verurteilung Osianders geben. Aurifabers Wiedergabe von Strigels Bericht dürfte somit zumindest den Eindruck, den Andreaes Äußerung auf die gnesiolutherische Seite gemacht hatte, zutreffend wiedergegeben haben, auch wenn Andreae mit Recht die ihm in Herzog Johann Friedrichs Beschwerdebrief zur Last gelegte Formulierung bestreiten konnte. Andreae zufolge haben auf seine Rede hin „D. Mörlin samptt den Weimarischen Theologen, so zuuor hefftig wider Osiandrum vnd andere geschrieen, glatt still geschwiegen“371. Er versteht das offenkundig so und will es auch so verstanden wissen, als habe er die gnesiolutherisch orientierten Theologen in der Sache überwunden. Den gnesiolutherisch orientierten Theologen lag jedoch nichts ferner, als von einer Verwerfung des Osiandrismus abzusehen, wie nicht nur die Beschwerdebriefe Herzog Johann Friedrichs zeigen, sondern auch ihre ‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September, in welcher der Osiandrismus die Reihe der verworfenen Irrlehren eröffnet372. Strigel berichtet zudem, daß die ernestinischen Deputierten am Ende der Verhandlungen des 9. September formellen Protest eingelegt hätten,373 der allerdings in genereller Form gehalten gewesen sein könnte. Möglicherweise kam auch schlichtweg beim Umfragemodus die Reihe nicht noch einmal an Mörlin. Andreaes massives Votum könnte aber auch dazu geführt haben, daß die gnesiolutherische Seite von einer Replik absah, weil nunmehr die miteinander unvereinbaren Positionen in aller Deutlichkeit ausgesprochen waren. Wie auch immer Andreae sich ausgedrückt hatte – als Botschaft war jedenfalls angekommen, daß es mit ihm, 370 ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3rv: „Brentius commotus multa dicit ad excusandum Osiandrum, et post eum acrius D. Iacobus.“ 371 Andreaes Rechtfertigungsschrift (Fragment), Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol. 26r–29r, hier fol. 28r. 372 Vgl. die ‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 289, Nr. 6350. 373 Strigel teilt darüber mit: „Nachdem wir nu unsere Protestation vor den Pfaltzgrefischen gesandten vnd den andern Theologis gethann hatten, gingen wir widerumb re infecta zu Haus.“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48).
352 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen und dabei verstand man ihn als Sprachrohr von Brenz, keine Verwerfung Osianders in Worms geben werde. 4.4.2.6 Melanchthons Rede in der Schlußphase der Verhandlungen Strigels Bericht erweckt den Eindruck, als seien mit Andreaes Erwiderung auf Mörlin die Verhandlungen des 9. September beendet gewesen. Er verzeichnet danach nur noch die Protestation und den Abgang der ernestinischen Deputierten. Der ‚Preußische Bericht‘ hingegen führt noch die württembergischen Voten an, daß Majors These von der Notwendigkeit der guten Werke nicht einfach verdammt werden könne. „Dadurch“ – hier dürften sowohl die promajoristischen Äußerungen als auch die zuvor erwähnten Voten der Württemberger in Sachen Osiander gemeint sein – seien Schnepf, Strigel und Mörlin „heftig gereizt und aufgebracht worden“, „und nachdem ein schwerer und scharfer Streit entstanden war“, sei man unverrichteter Dinge auseinandergegangen.374 So großflächig der ‚Preußische Bericht‘ angelegt ist, wirkt seine Schilderung doch so, als sei mit Andreaes Redebeitrag noch nicht das Ende der Debatte erreicht gewesen. Nach Andreaes Redebeitrag, bei dem Strigel ja selbst eine Verkürzung in seiner Darstellung anzeigt,375 läßt sich zudem am besten die Rede unterbringen, die Melanchthon dem Bericht Jakob Runges zufolge am 9. September gehalten haben soll. Denn bei der Erörterung der Frage, wie schnell man zu einer verbindlichen Erklärung über die strittigen Lehraussagen kommen könnte, bezog sich Melanchthon laut Runge auf vorangegangene Stellungnahmen der württembergischen Deputierten zu Osiander: Nachdem „die Wirtembergischen“ erklärt hätten, „sie konten Osiandren nicht condemnieren, ehe sie in seinen Bucheren sehen die errores, so ime zugemessen sind“, müsse man bedenken, daß eine solche „Collation […] ir zeit“376 brauche. Eine solche Aussage Melanchthons ist nur nach den oben dargestellten Stellungnahmen Brenz’ und Andreaes denkbar, denn zuvor hatte es zu einer möglichen Verurteilung Osianders von württembergischer Seite keine offiziellen Äußerungen gegeben, auf die Melanchthon sich in der zitierten Form hätte beziehen können. Folgt man Runge mit der wegen des zeitlichen Abstands zwischen Geschehen und Abfassungsdatum gebotenen Vorsicht, so war Melanchthons Rede ausgelöst durch ein ernestinisches Votum, wonach die Einigung auf eine verbindliche Erklärung über die strittigen Lehraussagen „nit viel zeit“ 374 „Hac re graviter fuerunt irritati et exacerbati Sneppius. Victorinus et Morlinus. Et orta gravi et acerba contentione re infecta disceditur.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v). 375 Vgl. oben S. 348 bei Anm. 360. 376 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v = MBW 8332.
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bedürfe.377 Melanchthon konzedierte darauf laut Runge, „das etliche sachen mochten leicht sein“378. Das gelte von Majors These, von der er sich bei gleichzeitiger Forderung einer gerechten und differenzierten Behandlung ihres Urhebers erneut distanzierte, und von den Adiaphora. Zu Osiander verwies er nochmals auf die veröffentlichten kirchlichen Urteile, zeigte dann aber auf, daß man hier wegen der württembergischen Forderung, die Osiander angelasteten Irrtümer allererst in seinen Schriften nachzuweisen, nicht schnell zu einer einvernehmlichen Stellungnahme kommen könne.379 Zuletzt wandte er sich nach Runges Bericht auch noch der Abendmahlslehre zu. Er gab das gewaltige Ausmaß des Abendmahlsstreits zu bedenken und verwies nicht nur auf die weitläufige Auseinandersetzung zwischen Calvin und Westphal, sondern auch auf die internationale Dimension des Abendmahlsstreits sowie darauf, daß „viel elende veriagte vnd wegen der Religion getodte lewte“380 betroffen seien. Damit bezog er sich auf die im Sommer 1557 wieder verschärfte Verfolgung der Hugenotten. Auch sei es nicht damit getan, sich kritisch gegen Calvin zu wenden, vielmehr gebe es auch bei dessen Kontrahenten kritikwürdige Aussagen und Tendenzen – in Runges Wiedergabe: „Und ob wol Calvinus nicht aller dinge genug oder recht sich explicierte, jedoch hette Westphalus mit seinem haufen auch novas et inusitatas loquendi formas, damit fast der Papisten Transsubstatio [sic!] vnd localis inclusio comprobieret oder gestercket wurde.“381 Von hier aus lag der Schluß nahe: „Solche wichtige sache wolte warlich Zeit furderen, vnd musten mehr lewte darbei sein. Vnd die sache furdere rechte explication, oder die Kirche vnd Regimente wurden grewlichen schaden daher erfaren.“382 Der Schluß ist dem Wortlaut von Runges Bericht nach unmittelbar nur auf den Streit um die Abendmahlslehre bezogen, dürfte aber rückwirkend für die Gesamtheit der strittigen Lehrfragen gelten. Das wird bestätigt durch Selbstzeugnisse Melanchthons, in denen er ohne genauere Datierung berichtet, was in den Vorverhandlungen auf die Verwerfungsforderungen erwidert worden sei. In einem Schreiben Melanchthons an 377
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v = MBW 8332. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v = MBW 8332. 379 Vgl. oben bei Anm. 376. 380 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v = MBW 8332. 381 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 25v = MBW 8332. Vgl. dazu noch Melanchthons Selbstzeugnisse in seinen späteren Gesamtberichten, denen zufolge er in den Vorverhandlungen gesagt hatte: „So man aber gleichwohl Condemnationes machen wollte, und erstlich de Zwinglianis, so m ßten Artikel gestellt werden von der ganzen Sach, darin nicht allein die Zwingliani, sondern auch die Papisten damnirt werden, die viel grausamer Idolatrie in der Welt eingef hrt h tten.“ (Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Febuar: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539; vgl. Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540). Die zitierte Aussage ist keinem bestimmten Datum, sondern allgemein den Vorverhandlungen zugeordnet. 382 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26r = MBW 8332. 378
354 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Kurfürst August vom 2. Oktober heißt es, man habe nach einer Beteuerung des einmütigen Festhaltens an der Confessio Augustana ausgeführt: „[S]o man condemnationes machen wollte, m ßte man eigentliche Artikel stellen, nicht allein das Unrechte zu verwerfen, sondern asservationes383 [sic!], was recht sey, und wie davon eintr chtiglich zu reden. Zu Stellung solcher Artikel geh rten mehr Personen denn wir, und sonderlich die zankbegierigen, die Ursach suchen zu cavilliren384, welches mir Doctor Erhard Schnepp selbst auch zugefallen.“385
In der angeführten Aussage finden sich entscheidende Argumente aus dem Schluß der Wiedergabe von Melanchthons Rede am 9. September durch Runge wieder: Nur eine größere Versammlung kann verbindliche Lehrentscheidungen treffen, und es bedarf auch positiver Erklärungen zu den strittigen Fragen – das nun aber nicht nur auf den Abendmahlsartikel, sondern generell auf die geforderten Verwerfungen bezogen. Durch den Abgleich mit Runges Darstellung können Einzelaussagen, die Melanchthon allgemein den Vorverhandlungen zugewiesen hat, genauer zugeordnet werden, was einen besseren Einblick den Gang der Vorverhandlungen eröffnet.Von besonderem Interesse ist, was Melanchthon über einen Wortwechsel mit den ernestinischen Deputierten respektive mit Schnepf als deren Wortführer berichtet.386 Wenn Melanchthon seine allgemeinen Aussagen über Verwerfungen bei den Verhandlungen des 9. September vorbrachte, so muß auch der Wortwechsel mit Schnepf an demselben Tag stattgefunden haben. Denn der Wortwechsel ergab sich nach Melanchthons Darstellung unmittelbar aus seinem Votum, daß über die strittigen Fragen Artikel mit positiven Lehraussagen aufgestellt werden müßten, wozu aber mehr Personen erforderlich seien als die in Worms Versammelten. Die verschiedenen Mitteilungen Melanchthons stimmen darin überein, daß Schnepf konzediert habe, es bedürfe einer größeren Versammlung, um Artikel aufstellen zu können. Ob damit auch schon das Aufstellen von Artikeln anstelle bloßer Verwerfungen befürwortet wurde, bleibt in Melanchthons Schreiben an Kurfürst August vom 2. Oktober offen. Die deutsche Fassung des späteren Gesamtberichts deutet auch hier ein Entgegenkommen der ernestinischen Deputierten an, die auf Melanchthons Einforderung von Artikeln erklärt haben sollen, „es w ren noch keine Artikel gestellet, aber wir sollten uns derhalben unterreden“387. Nach Melanchthons Bericht soll 383 Wahrscheinlich verschrieben statt ‚asseverationes‘ – ‚Beteuerungen‘ oder ‚assertiones‘ – ‚Behauptungen‘. 384 Lehnbildung von lat. ‚cavillor‘ – ‚sticheln, ohne Grund behaupten‘. 385 Melanchthon an Kfst. August, Worms 2. Oktober 1557: CR 9, Sp. 319, Nr. 6364 = MBW 8375. 386 Vgl. Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Febuar: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539 sowie Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540. 387 Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Febuar: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539.
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Schnepf zudem nicht nur die Notwendigkeit einer Beteiligung von mehr Personen eingeräumt, sondern zur Begründung gesagt haben, „es w ren große Sachen“388. In der lateinischen Fassung des Gesamtberichts hält Melanchthon schließlich fest, Schnepf habe „dasselbe“ gesagt wie er, nämlich „daß wir wenige seien und daß nicht ohne Gefahr Artikel geschrieben werden könnten“389. Diese Variante läßt es wiederum als möglich erscheinen, daß Schnepf sich mit dem Verweis auf die geringe Anzahl der in Worms Versammelten lediglich gegen das Aufstellen von Artikeln aussprechen wollte. Angesichts der Quellenlage ist es nicht möglich, Wortlaut und Intention von Schnepfs Votum exakt zu rekonstruieren. Festzuhalten bleibt aber, daß Melanchthon seinen eigenen Berichten nach bei den Vorverhandlungen einen Wortwechsel mit Schnepf hatte, wobei Schnepf im Zusammenhang der Verwerfungsfrage partielle Übereinstimmung bekundete – zumindest hat Melanchthon es so wahrgenommen. Verglichen damit wirkt eine Äußerung von Brenz erratisch, die Runge in seinem Bericht über den 9. September referiert und die gleichfalls noch in die Schlußphase der Verhandlungen gehören könnte. Brenz riet laut Runge für den Fall, daß die römisch-katholische Seite die innerevangelischen Divergenzen zum Thema machen würde, daß man wie in Augsburg 1530 antworten sollte: Als Eck seinerzeit Widersprüche in Luthers Schriften vorführte, hätten „die Vnseren“ geantwortet, „Sie weren da, nicht das sie Luterum, sondern die Augsburgische Confession defendieren solten“390. Brenz’ Vorschlag, begründet in seiner Überzeugung, daß in Worms nicht der Ort für innerevangelische Klärungsprozesse sei, mußte den gnesiolutherisch orientierten Deputierten als ein Umgehen der Sachauseinandersetzung erscheinen und war daher für sie inakzeptabel. So nimmt es nicht wunder, daß Runge direkt auf die Wiedergabe von Brenz’ Äußerung den abschließenden Kommentar folgen läßt: „Aber dis war alles abermal vmb sonst.“391 Es war der offene Konflikt zwischen den Württembergern und der gnesiolutherischen Gruppe, der die Verhandlungen des 9. September fruchtlos erscheinen ließ.392
388
Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Febuar: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539. „Idem postea Sneppius dixit, nos paucos esse, nec sine periculo articulos scribi posse.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457 = MBW 8540). 390 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26r = MBW 8332. 391 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26r = MBW 8332. 392 Auch in Strigels Bericht und dem ‚Preußischen Bericht‘ folgt das übereinstimmende abschließende Urteil, daß man unverrichteter Dinge – „re infecta“ – auseinandergegangen sei, jeweils auf die Schilderung der württembergisch-gnesiolutherischen Konfrontation (vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3v). 389
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4.4.3 Der Ausgang der Verhandlungen des 9. September Es ist jedoch nicht so, daß es am 9. September keinerlei Bewegung in den Vorverhandlungen gegeben hätte. Nimmt man vielmehr zu der von Melanchthon wahrgenommenen Bekundung einer partiellen Übereinstimmung mit Schnepf noch Melanchthons eigene Bekräftigung seiner früheren kritischen Stellungnahmen gegen Osiander hinzu, so ist das bislang vorherrschende Bild festgefügter Fronten in den Vorverhandlungen – Melanchthon und Brenz mit jeweiligem Anhang versus gnesiolutherische Gruppe – überholt. Die Fronten waren keineswegs so festgefügt. Es gab insbesondere zwischen Melanchthon und der gnesiolutherischen Gruppe eine gewisse Annäherung und die Aufnahme eines Dialogs, während es zwischen der gnesiolutherischen Gruppe und den Württembergern zum Eklat kam. Gleichzeitig wurden zwischen Melanchthon und Brenz Differenzen erkennbar, vor allem in der Beurteilung Osianders, aber auch in der grundsätzlichen Haltung zu den geforderten Verwerfungen, zu denen Brenz sich unter keinen Umständen bereit finden wollte, wohingegen Melanchthon bestimmte Bedingungen formulierte und Gesprächsbereitschaft signalisierte. Der kurpfälzischen Verhandlungsleitung ist es aber offenkundig nicht gelungen, die vorhandene Bewegung zwischen den Fronten umzumünzen in Impulse für eine umfassende Verständigung der evangelischen Deputierten. Die stattliche Gesandtschaft des Kurfürsten besaß weder das Verhandlungsgeschick noch die Durchsetzungskraft eines Eberhard von der Thann, vor allem aber fehlte ihr der Rückhalt in einer entschiedenen konfessionspolitischen Option der kurpfälzischen Regierung. Somit ist es eigentlich der kurpfälzische Versuch, doch noch bestimmenden Einfluß auf die innerevangelischen Verhandlungen in Worms zu gewinnen, von dem nach dem 9. September gesagt werden mußte: Er hat nichts gebracht und war insofern umsonst. Und so ist fortan auch ein Verzicht auf direkte Interventionen in Worms aus dem nahen Heidelberg zu beobachten. Die Bewegung hingegen, welche durch die kurpfälzische Initative in die Vorverhandlungen gekommen war, sollte fortwirken, wenn auch außerhalb der formellen Beratungen.
4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute Die Verhandlung auf kurpfälzische Initiative am 9. September hatte Bewegung in die Vorverhandlungen gebracht und die zuvor festgefügten Fronten aufgelockert. Das ist der Hintergrund, vor dem Viktorin Strigel nach Schluß
4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute
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der Verhandlung im Aufbruch zur Herberge an Melanchthon und Marbach herantrat und mit Melanchthon ins Gespräch kam. Strigel hat am folgenden Tag eine Aufzeichnung über das Gespräch angefertigt, die er unter der Sigle A seinem Bericht für Herzog Johann Friedrich vom 14. September beifügte.393 Die Datierung des aufgezeichneten Gesprächs ergibt sich aus Strigels Mitteilungen an Herzog Johann Friedrich über den 9. September, an deren Ende es heißt: „Was sich aber fur Reden zwischen D. Philippo vnd mir Victorino noch dennselbigen abend zugetragen, Ehe wir zu haus gangen, findett man mit A. vorzeichnet.“394 Die Aufzeichnung selbst hatte Strigel bereits am 10. September angefertigt, wie sich aus der einleitenden Zeitangabe „[n]ach der gestrigen handlung“ ergibt.395 Die zeitnahe Aufzeichnung spricht für deren Zuverlässigkeit, auch wenn Strigel die Zitate aus dem Gespräch wieder unter den Vorbehalt stellt, daß er sie aus dem Gedächtnis wiedergebe.396
Aus dem Gespräch zwischen Melanchthon und Strigel entwickelte sich ein letzter Vermittlungsversuch vor der Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs. Er hat bei Wolf, Fligge und von Bundschuh sowie in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels Erwähnung gefunden,397 ist aber bisher seinem Gehalt nach unverstanden geblieben. Denn es ist bislang nicht gelungen, hinreichend aufzuklären, worauf sich die entscheidenden Termini ‚Protestation‘, ‚formula subscriptionis‘ und ‚notula‘ beziehen. Der folgenden Darstellung liegt eine neue Bestimmung von Bedeutung und Bezugspunkten dieser Termini zugrunde, gestützt durch Aktenfunde im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar.
4.5.1 Strigels Kompromißvorschlag Strigels Aufzeichnung nach teilte Melanchthon ihm und Marbach398 am Abend des 9. September nach Verhandlungsschluß mit, es sei eine neue Protestation verfaßt worden. Als Inhalt der Protestation gab Melanchthon laut Strigel an, darin würden verdammt „alte vnd newe corruptelas, insonderheitt aber vnd mitt namen die impia decreta concilii Tridentini, das buch, welches man nennet das Interim vnd alle acta non [lg.: „alias 393 Strigels Aufzeichnung über sein Gespräch mit Melanchthon und Marbach ist nach dem Weimarer Original abgedruckt bei Wolf, S. 347 als Anhang zu Nr. 48 unter der Sigle A; sie wird im folgenden zitiert als ‚Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557‘. 394 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341, Nr. 48. 395 Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48. 396 Vgl. oben S. 26 bei und in Anm. 48. 397 Vgl. Wolf, S. 92; Fligge, S. 396.400; v. Bundschuh, S. 422 f. sowie MBW 8333, 8334, 8336. 398 Melanchthons Anrede „Liebe Herren“ kann nach Strigels Schilderung der Gesprächssituation nur Strigel und Marbach gemeinsam gegolten haben.
358 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen actiones“399] tentatas400 et subscriptas tempore Interim contra Augustanam confessionem.“401 Von Fligge und in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels wird die von Melanchthon erwähnte „Protestation“ identifiziert mit den ‚Articuli constituendi consensus‘,402 welche von Runge in Verbindung mit Pistorius, Marbach und Karg verfaßt worden waren. Zwei Gründe sprechen dagegen: 1.) Melanchthon berichtete Strigels Bericht nach von der Aufstellung der neuen Protestation in der 1. Person plural: „[…] wir haben ein Protestation gestellet, darinnen wir verdammen […]“. Er gibt sich damit zumindest als Mitverfasser, wenn nicht sogar als Verfasser der Protestation zu erkennen. Das ist nicht vereinbar mit den Nachrichten Runges und des ‚Preußischen Berichts‘ über die ‚Articuli constituendi consensus‘, an deren Abfassung Melanchthon gerade nicht beteiligt war, die ihm vielmehr zur Billigung vorgelegt wurden. 2.) Auch wenn Melanchthons Angaben zum Inhalt der Protestation Berührungen mit der Eröffnung der ‚Articuli constituendi consensus‘ aufweisen, sind die Übereinstimmungen mit seinem Entwurf für die Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs und mit seiner dort gehaltenen Rede größer. So findet sich nur dort im Bezug auf Trient die scharfe Formulierung „impia decreta“ wieder,403 während in der Eröffnung der ‚Articuli constituendi consensus‘ schlicht von „decreta“ die Rede ist404. Auch für Melanchthons Angabe, in der Protestation würden „alte und newe corruptelas“ verdammt, findet sich nur im Redeentwurf und in der Rede Melanchthons ein Äquivalent.405 Die angeführten Übereinstimmungen zwischen Melanchthons Angaben zum Inhalt der Protestation und seinem Entwurf für die Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs sowie der Rede selbst lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß er mit der Protestation den Redeentwurf oder das Konzept der Rede selbst meinte. Die Annahme, mit der Protestation sei der Redeentwurf oder das Redekonzept gemeint, wird gestützt durch weitere Nachrichten Strigels in Ver399 Korrektur des Abdrucks bei Wolf nach ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol 174r. 400 Lies ‚temptatas‘ für ‚tentatas‘ von ‚tempto/tento‘ in der Bedeutung ‚versuchen, zu erreichen versuchen‘. 401 Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48. 402 Vgl. Fligge, S. 396 bei Anm. 256; MBW.R Bd. 8, S. 116, Nr. 8333. 403 Melanchthons Entwurf für die Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs: CR 9, Sp. 279, Nr. 6345 = MBW 8334; Melanchthons Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs: CR 9, Sp. 266, Nr. 6338 = MBW 8337. 404 ‚Articuli constituendi consensus‘, Art. 1: Heppe I, S. 28, Nr. X. 405 „Reiicimus etiam errores et sectas pugnantes cum confessione nostro cum veteres tum recentes […].“ (Melanchthons Entwurf für die Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs: CR 9, Sp. 279, Nr. 6345 = MBW 8334; Hervorhebung B. S.; vgl. Melanchthons Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs: CR 9, Sp. 266, Nr. 6338 = MBW 8337).
4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute
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bindung mit einem Weimarer Aktenfund. Danach erhielten Mörlin und er am folgenden Tag von Melanchthon „eine Protestation mit eigener Hand geschrieben, welcher Copia mit C. vortzeichnett ist.“406 Strigel verwies späterhin noch einmal auf dieselbe Kopie, indem er über Melanchthons Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs mitteilte: „[…] D. Philippus […] repetirett die summam Ehegemeltter Protestation mit C. vortzeichnett.“407 Die Beilage unter der Sigle C., von Wolf als abgängig ausgewiesen,408 konnte in den Weimarer Aktenbeständen ausfindig gemacht werden.409 Der Fund bestätigt, was bereits aufgrund von Strigels Angabe über Melanchthons Rede in der Eröffnungssitzung zu vermuten war: Die Strigel und Mörlin am 10. September ausgehändigte „Protestation“ stimmt weitgehend mit dem bekannten Konzept für Melanchthons Rede in der Eröffnungssitzung410 überein. Angesichts der oben angeführten Übereinstimmungen gibt es keinen Grund anzunehmen, daß Melanchthon sich im Gespräch am Abend des 9. September auf eine andere Protestation bezogen haben sollte als auf diejenige, welche er am nächsten Morgen Strigel und Mörlin überreichte, mithin auf sein Konzept der Eröffnungsrede.411 Strigel wählte seiner eigenen Darstellung nach im Gespräch am Abend des 9. September für seine Antwort auf Melanchthons Eröffnung über die Protestation eine ehrerbietige Anrede und räumte zunächst in moderatem Ton 406
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 342, Nr. 48. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 343, Nr. 48. 408 Vgl. die archivalische Anmerkung bei Wolf, S. 347, Anm. 1. 409 ‚Responsio ad praefationem R. d. praesidentis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 211r–213v; auf fol. 211r gekennzeichnet mit Sigle C. 410 Melanchthons Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs: CR 9, Sp. 266–268, Nr. 6339 = MBW 8337. 411 Zu derselben Einschätzung kommt auch von Bundschuh (vgl. v. Bundschuh, S. 423, Anm. 105), während in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels die am 9. September angesprochene Protestation mit den ‚Articuli constituendi consensus‘, die am 10. September überreichte Protestation hingegen mit dem Entwurf für die Eröffnungsrede identifiziert wird (vgl. MBW.R Bd. 8, S. 116f, Erläuterungen zu Nr. 8333 f.). Hier liegt allerdings auch eine korrekturbedürftige Datierung des Redeentwurfs Melanchthons zugrunde. Denn nach Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ hatte Melanchthon bereits in der formellen Vorverhandlung am 5. September erklärt, er habe „itzo ein protestation zum eingang des colloquij gestellett, darin er sich genugsam erklerete, das er das Interim, vnd alle andere actiones, so der confession zu wieder geschehen sein möchten, verwürffe […]“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 22r; vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 2r). Es liegt nahe, Melanchthons Mitteilung auf die in CR 9, Sp. 279–281, Nr. 6345 = MBW 8334 abgedruckte Deklaration zu beziehen. Die Deklaration wäre dann aber bereits vor dem 5. September abgefaßt worden. Die Bekanntmachung der Proposition zum Religionsgespräch am 8. Oktober (vgl. Melanchthon an Peucer, Worms 8. September 1557: CR 9, Sp. 261, Nr. 6334 = MBW 8330) erscheint so gesehen nicht als Anlaß zur Aufsetzung der Deklaration MBW 8334, sondern zu deren Umarbeitung in MBW 8337, das Konzept der Rede in der Eröffnungssitzung, was gut damit zusammenstimmt, daß MBW 8337 sich von MBW 8334 durch die explizite Bezugnahme auf die Proposition unterscheidet. 407
360 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen den Wert einer generellen Verwerfung ein: „Reuerende domine preceptor, Es ist wol ettwas, das solches also in genere geschicht“412. Sogleich appellierte er aber auch an Melanchthons Verständnis für die Forderung der gnesiolutherischen Deputierten nach Spezialkondemnationen und begründete sie mit der Bindung an ihre früheren „Bekenntnisse“413 gegen das Interim, Osiander, Zwingli, Major und anderes mehr – Strigel stellt sich und seine Mitstreiter hier weniger als aktive Verfechter der Spezialkondemnationen dar, vielmehr als Getriebene, die aus Sachzwängen heraus, um der Kohärenz ihrer theologischen Positionierung willen nicht anders handeln können.414 Anschließend unterbreitete Strigel einen überraschenden Vorschlag zur Verständigung auf ein einvernehmliches Vorgehen, indem er Melanchthon fragte: „[…] kondtet ir dann, her praeceptor, leiden, das wir ewer protestation propter consensum vnterschriben vnd vns auff vnsere confessiones referirten vnd mitt namen meldeten, was wir zwvor geschriben hetten?“415 Strigels in eine Frage gekleidete Vorschlag lief darauf hinaus, daß Melanchthons Protestation von Strigel und seinen Mitstreitern – vermutlich aber auch von den übrigen evangelischen Deputierten oder doch zumindest den Theologen – unterzeichnet werden sollte, wobei Strigel und die gleichgesinnten Deputierten sich in erläuternden Zusätzen zu ihren Unterschriften auf ihre früheren Verlautbarungen berufen würden.416 Strigel schlug damit eine Verfahrensweise vor, die Melanchthon wohlvertraut war, hatte er doch selbst seine Unterschrift unter die Schmalkaldischen Artikel mit einem erläuternden Zusatz versehen, in welchem er seinen Vorbehalt gegen die Aussagen zum Papsttum festhielt.417 Aus Strigels Sicht mußte es als Vorteil seines Kompromißvorschlags erscheinen, daß die Forderung nach speziellen Verwerfungen nicht preisgegeben, sondern vielmehr die gnesiolutherische Zustimmung zur gemeinsamen Protestation unter den öffentlich kundgegebenen Vorbehalt gestellt würde, daß die früher ausgesprochenen namentlichen Verwerfungen die generelle Verwerfung der Protestation notwendigerweise ergänzten. So sehr es bei Strigels Vorschlag um die Wahrung der gnesiolutherischen Anliegen ging, 412
Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48. Strigel gebraucht den Terminus ‚confessiones‘ hier vermutlich bereits in dem weiten Sinne, wie er hernach in der ‚Formula subscriptionis‘ expliziert wurde, i. e. auch persönliche veröffentlichte oder öffentliche Stellungnahmen gegen die genannten Irrlehren umfassend (vgl. unten S. 363 in Anm. 430). 414 „Ir höret aber was vns dringet zw der speciali condemnatione, nemblich das wir nicht wissen von vnseren vorgethanen confessionibus wider das Interim Osiandrum, Cinglium, Majorem vnd anders […] zw wachen [sic!; wohl für ‚weichen‘] […].“ (Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48; Hervorhebung B. S.). 415 Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48. 416 So auch Fligge, S. 396 und v. Bundschuh, S. 423, ungenau hingegen Wolf, S. 92. 417 Vgl. den Zusatz zu Melanchthons Unterschrift unter die Schmalkaldischen Artikel: BSELK, S. 463, Z. 10 – S. 464, Z. 4. 413
4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute
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ist andererseits nicht zu übersehen, daß diese Anliegen nunmehr von ihm sehr viel flexibler und geschmeidiger vertreten wurden, als es vor Monners Flucht der Fall gewesen war. Melanchthon signalisierte Einverständnis und verlangte im Gegenzug einen Verzicht auf die Forderung nach unverzüglicher Entscheidung über die theologischen Kontroversen; in Strigels Wiedergabe: „ […] liebe herren, wer wolt euch das wehren, es begert euch niemandes von ewer Confession abzwtreiben, Gebt vns doch auch rawm, das wir nicht subito iudicieren von diesen controversiis.“418 Die angebahnte Verständigung zwischen Strigel und Melanchthon hätte nicht das Ende der Auseinandersetzung zwischen den evangelischen Deputierten bedeutet, hätte aber ein Moratorium begründet. Auf der Grundlage dieses Moratoriums hätte man zunächst einmal gemeinsam ins Religionsgespräch eintreten und dann weiter sehen können. Entsprechend positiv und zuversichtlich fiel das Fazit aus, mit dem Strigel seine Aufzeichnung über das Gespräch mit Melanchthon abschloß: „Ist nw das des herrn praeceptoris meinung gewesen, so wollen wir es noch einmal freunthlich anhoren vnd vns weiter mit seiner Ehrwirden unterreden.“
4.5.2 Die ‚Formula subscriptionis‘ Wie geschrieben, so getan: Am Morgen des 10. September gingen Strigel und Mörlin zu Melanchthon und beriefen sich auf seine Aussagen vom vorigen Abend. Melanchthon begegnete ihnen wohlwollend und zeigte sich „für seine person nicht vngeneigt […] vns ein formulam subscriptionis an statt einer Protestation nachzugebenn“419. Die von Strigel hier mitgeteilte Differenzierung hat sich bereits Johannes Aurifaber nicht erschlossen, der den Markgraf-Badener mündlichen Bericht Strigels so auffaßte, daß Melanchthon, Mörlin und Strigel sich beinahe darauf verständigt hätten, „daß die Unsern ein Protestation thun sollten.“420 Das trifft aber ebensowenig zu wie die von Fligge und von Bundschuh vorgetragene Interpretation, Melanchthon sei nicht abgeneigt gewesen, eine „Erklärung über die Streitfragen mitzuunterzeichnen.“421 Dieser Interpretation steht schon entgegen, daß nach Strigels Darstellung Melan418
Strigels Aufzeichnung vom 10. September 1557: Wolf, S. 347, Anhang zu Nr. 48. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 341 f., Nr. 48. 420 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. August 1557: CR 9, Sp. 308, Nr. 6360. 421 V. Bundschuh, S. 423 bei Anm. 106; vgl. Fligge, S. 396 bei Anm. 255. Während von Bundschuh meint, daß die Erklärung „von den Weimarern“ konzipiert werden sollte, stellt es Fligge so dar, daß Melanchthon Strigel und Mörlin den Entwurf einer Erklärung mitgegeben habe, und zwar die ‚Articuli constituendi consensus‘ (so Fligge, S. 396 bei Anm. 256; vgl. dazu oben S. 358 bei Anm. 402), daß aber zusätzlich „die Weimarer und Mörlin einen Gegenvorschlag machten“ (ebd.; vgl. dazu unten Anm. 426). 419
362 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen chthon „vns“, also Mörlin und Strigel, eine ‚formula subscriptionis‘ „nachzugebenn“, i. e. zuzugestehen bereit war.
Versteht man, wie es die wörtliche Bedeutung nahelegt, unter ‚formula subscriptionis‘ eine Subskriptionsformel, dann erscheint das von Strigel mitgeteilte Zugeständnis Melanchthons im wesentlichen als eine Bestätigung der von Strigel am Vorabend ins Gespräch gebrachten Lösung. Melanchthon räumte demnach Strigel, Mörlin und ihren Verbündeten ein, daß sie seine Protestation, das heißt den Entwurf oder das Konzept seiner Eröffnungsrede, mit einem erläuternden Zusatz, der Subskriptionsformel, unterschreiben könnten. Nicht vollständig aufzuklären ist hingegen die von Strigel erwähnte Alternative. Wenn Melanchthon die Subskriptionsformel „an stadtt einer Protestation“ zugestand, dann scheint am Morgen des 10. September auch die Möglichkeit besprochen worden zu sein, daß die gnesiolutherischen Deputierten ihre abweichende Auffassung in einer Protestation bekunden könnten, ähnlich wie es ihnen am folgenden Tag offiziell gestattet wurde422. Melanchthon gab jedenfalls am Morgen des 10. September der Subskriptionsformel den Vorzug, wenn er das auch erklärtermaßen nur „fur seine Personn“ und nicht verbindlich für die Gesamtheit der evangelischen Deputierten tun konnte. Ganz im Einklang mit der vorgetragenen Interpretation steht der Fortgang von Strigels und Mörlins Bemühungen. Bevor sie Melanchthon verließen, händigte der Wittenberger ihnen ein eigenhändiges Exemplar seiner Protestation aus.423 Sodann konzipierten Strigel und Mörlin „ein notulam“, die unter der Sigle B. Strigels Bericht beigelegt war, sich aber angeblich nicht erhalten hat.424 Von der Wortbedeutung her ist eine ‚notula‘ als Diminutiv zu ‚nota‘ eine kleine Notiz oder eine Anmerkung425. Wortbedeutung und Kontext legen es nahe, daß Strigels und Mörlins ‚notula‘ nichts anderes war als der Entwurf für die Subskriptionsformel, die Melanchthon am Morgen zugestanden hatte.426 So wird auch verständlich, weshalb Mörlin die ‚notula‘ 422
Vgl. unten S. 375 in Abschnitt 5.1.2 bei Anm. 34 f. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 342, Nr. 48. Zur Identität dieser Protestation mit dem Entwurf oder dem Konzept von Melanchthons Rede in Sessio I. des Religionsgesprächs vgl. oben S. 359 bei Anm. 410. 424 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 342, Nr. 48 sowie Wolfs archivalische Anmerkung ebd., S. 347, Anm. 1. 425 Vgl. Habel/Gröbel, Sp. 256 s. v. ‚notula‘. 426 Von einer Identität zwischen ‚formula subscriptionis‘ und ‚notula‘ geht auch Wolf aus, der sich ansonsten auf eine Paraphrase von Strigels Bericht beschränkt, ohne anzugeben, was er unter der ‚formula subscriptionis‘ versteht (vgl. Wolf, S. 92). Fligge sieht in der ‚notula‘ den herzoglich-sächsischen Gegenvorschlag zu den ‚Articuli constituendi consensus‘ (vgl. Fligge, S. 396), die Melanchthon seiner Interpretation nach Mörlin und Strigel mitgab (vgl. dazu oben Anm. 421); ähnlich von Bundschuh, der die 423
4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute
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am Abend des 10. September Melanchthon zur Billigung vorlegte. Er erhielt darauf, so Strigels Bericht, von Melanchthon „freundlichen bescheid“427. Volle Bestätigung finden die vorgetragenen Überlegungen durch die Entdeckung der mit B. gekennzeichneten Beilage zu Strigels Bericht in den Weimarer Aktenbeständen, erfolgt im Zuge der Archivrecherchen für die vorliegende Arbeit. Denn Strigels mit B. signierte ‚notula‘ steht unter der Überschrift „Formula subscriptionis“.428 Die ‚Formula subscriptionis‘ ist angelegt als persönliche Erklärung zur Unterzeichnung der Protestation, i. e. der von Melanchthon konzipierten Stellungnahme für die Eröffnungssitzung: „Ich N. N. unterschreibe diese Protestation und tue zugleich förmlich dar […]“429. Die folgenden Darlegungen beginnen mit einem Bekenntnis zur prophetischen und apostolischen Lehre und deren Summe, die in der CA von 1530, deren Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln zusammengefaßt sei. Hieran schließt sich eine erneute Berufung auf bestimmte einzeln angeführte „Bekenntisse“ an. Näherhin handelt es sich um Bekenntnisse, „die in Sachsen und Thüringen gegen das Interim und adiaphorische Aktionen, welche dem Augsburgischen Bekenntnis widersprechen, gegen Osianders Lehre von der Rechtfertigung, gegen die Zwinglianische Sekte, desgleichen gegen den Satz ‚Gute Werke sind notwendig zum Heil.‘, und schließlich gegen alle Verfälschungen des Evangeliums, entweder von mir oder von anderen frommen und gelehrten Männern bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht und durch mündliche Belehrung in Kirchen oder Schulen wiederholt und eingeschärft worden sind“.
Am Ende der ‚Formula subscriptionis‘ steht die Beteuerung des Unterzeichnenden, sich und alle seine Schriften dem Urteil der wahren Kirche zu unterwerfen, aber nicht einen Fingerbreit von der bisher gemäß den angeführten Bekenntnissen verfochtenen Auffassung zu weichen, „bis das Wort Gottes mich zwingt, diese Auffassung zu ändern“.430 ‚notula‘ als „von den Weimarern zu konzipierende Erklärung über die Streitfragen“ versteht (v. Bundschuh, S. 423 bei Anm. 106). 427 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 342, Nr. 48. 428 ‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r; ebd. gekennzeichnet mit Sigle B. 429 Zum Beleg dieses Zitats und der weiteren Zitate aus der ‚Formula subscriptionis‘ vgl. die folgende Anm. 430 „Ego N. N. huic protestationj subscribo & testatum facio, me amplectj & profiterj doctrinam propheticam & Apostolicam eiusque doctrinae summam, comprehensam in Confessione Augustae exhibita Imperatorj Carolo quinto Anno 1530, & in Apologia eiusdem, & in Articulis Smalcaldis Anno domini 1537 a Reuerendo viro Doctore Martino Luthero propositis, ac subscriptione praecipuorum Theologorum confirmatis, Simul etiam repeto sententiam earum confessionum, quae in Saxonia & Thuringia contra Interim & Adiaphoricas actiones pugnantes cum confessione Augustana, contra Osiandrj dogma de Iustificatione[,] contra sectam cinglianam, item contra propositionem Bona opera sunt necessaria ad salutem, denique contra omnes corruptelas Euangelii, vel a me, vel ab alijs pijs & doctis viris hactenus editae, & viva voce in templis aut scholis repetitae & inculcatae
364 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen Herzstück der ‚Formula subscriptionis‘ ist die Aufzählung der Bekenntnisse gegen die verschiedenen Lehrabweichungen, in welcher die Abweichungen beim Namen genannt werden. Ohne Rekurs auf ihre früheren spezifizierten Abgrenzungen wäre das mit Melanchthon vereinbarte Verfahren für die gnesiolutherisch orientierten Deputierten überhaupt nicht akzeptabel gewesen, mußten sie doch auch so schon auf aktuell vollzogene Verwerfungen verzichten. Daß hinwieder zumindest Melanchthon ihre ‚notula‘ in der vorgelegten Form für akzeptabel hielt, war der Eindruck, den die gnesiolutherische Gruppe am Abend des 10. September gewonnen hatte. Infolgedessen erwarteten die Mitglieder der gnesiolutherischen Gruppe, daß sie noch vor der Eröffnungssitzung des Religionsgesprächs am kommenden Tag, in welcher Melanchthon seine Protestation vortragen würde, der Protestation durch Unterzeichnung der ‚Formula subscriptionis‘ unter Wahrung ihres Standpunktes beitreten könnten. Keine Auskunft geben die Quellen darüber, ob es Wechselwirkungen zwischen den Verhandlungen Strigels und Mörlins mit Melanchthon und der Vorlage der ‚Articuli constituendi consensus‘ durch die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ gegeben hat, die nach Angabe des ‚Preußischen Berichts‘ ebenfalls am 10. September stattgefunden haben soll.431 Es hat den Anschein, als seien die Verhandlungsstränge der beiden Vermittlungsversuche parallel verlaufen. Dabei ist zu bedenken, daß die ‚Articuli constituendi consensus‘ aus gnesiolutherischer Sicht gerade nicht zu leisten vermochten, was die gnesiolutherische Gruppe sich von dem Subskriptionsvorhaben versprach, nämlich eine Verständigung auf ein einvernehmliches Vorgehen, ohne die Forderung nach speziellen Verwerfungen preisgeben zu müssen.
4.5.3 Die Aufnahme der ‚Formula subscriptionis‘ Am nächsten Morgen zeigte sich jedoch, daß die ‚Formula subscriptionis‘ wie auch das Verfahren überhaupt bei den übrigen Deputierten nicht die nötige Akzeptanz fanden: Wie vom Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs anberaumt, fanden sich die Deputierten am 11. September gegen sieben Uhr morgens im Rathaus zur Eröffnung des Religionsgesprächs ein. Die evangelischen Deputierten waren zunächst noch in einem Nebenraum des Sitzungssaales beieinander. Dort sprachen die gnesiolutherisch orientierten Deputierten Melanchthon auf seine Äußerungen vom Vortag an, die sie als sunt, & me meaque scripta omnia iudicio verae ecclesiae subjcio, nec transuersum unguem ab ea sententia, quam hactenus iuxta illas confessiones propugnauj discessurus sum, donec verbum dei me hanc sententiam mutare cogat.“ (‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r). 431 Vgl. dazu oben S. 304 f. bei Anm. 150.
4.5 ‚Formula subscriptionis‘: Kompromißversuch in letzter Minute
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Zustimmung zu ihrem Vorhaben der Subskription unter notifiziertem Vorbehalt aufgefaßt hatten. Doch Melanchthon zeigte sich nun abweisend,432 was die gnesiolutherische Gruppe in der Befürchtung begründet sah, daß die römisch-katholischen Kontrahenten eine nur unter ausdrücklichem Vorbehalt erfolgte Subskription „zu Ihrem Vortheil unnd unserm nachtheil“ gebrauchen könnten.433 Ob sich die Intervention der gnesiolutherischen Deputierten bei Melanchthon öffentlich vor allen im Raum anwesenden Evangelischen oder nur zwischen den Beteiligten abspielte, geht aus Strigels Bericht nicht hervor. Brenz zumindest bekam sie mit und wies Strigel nach dessen Darstellung barsch zurecht: „Ir liessets wol bleibenn, man wirdett Euch nicht allwegen ein besonders machen, wir sind hie nicht zu Noriberg [sic!]434.“ Mit diesen Worten brachte Brenz seine Ablehnung der beabsichtigten Subskription mit notifiziertem Vorbehalt deutlich zum Ausdruck. Der Hinweis, man sei hier nicht in Nürnberg, wirkt erratisch, ist darum aber als besonders authentisch wiedergegeben einzuschätzen. Mit Fligge dürfte er als Anspielung auf die Absetzung der Osiandristen in Nürnberg im Jahr 1555 aufzufassen sein.435 So verstanden wird an der Äußerung faßbar, was Brenz dermaßen gegen das gnesiolutherische Vorhaben aufbrachte: In der Subskriptionsformel wurde auf frühere Stellungnahmen gegen Osianders Rechtfertigungslehre ver-
432 Strigel berichtet darüber: „Ehe wir aber die Proposition anhoreten und noch jn einem sondern gemach waren, erJnnerten wir D. Philippum seiner gestrigen Vertrostung. Hierauff gab er vns solche antthwortt, das wir wol vermerkten, das gethane suchung umbsonnst wehre […].“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 342, Nr. 48). 433 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 342, Nr. 48. Da Strigel hier nicht direkt Melanchthon zitiert, sondern die Schlußfolgerung aus dessen Antwort mitteilt, scheint der Wittenberger sich eher ausweichend geäußert zu haben (vgl. Fligge, S. 400, v. Bundschuh, S. 423). Die Mitteilung Strigels, aus Melanchthons Antwort hätten sie entnommen, „das gethane suchung vmbsonnst wehre, Weil die Papisten Vnnser Subscription zu Ihrem Vortheil unnd unserm nachtheil gebrauchen wurden“, belegt noch einmal, daß Strigels Bemühungen vom 9. bis zum 11. September einer Subskription von Melanchthons Protestation unter notifiziertem Vorbehalt gegolten hatten. Fligge kommt aufgrund seiner Vermengung der Verhandlungen über die ‚Articuli constituendi consensus‘ mit den Verhandlungen zwischen Strigel und Melanchthon (Fligge, S. 396 f., vgl. dazu oben S. 360, Anm. 421 sowie bei Anm. 431) zu der unzutreffenden Darstellung, die Weimarer hätten Melanchthon an Verhandlungen vom Vortag erinnert, „in denen er eine Neufassung des Adiaphorismusartikels [scil. in den ‚Articuli constituendi consensus‘] nicht völlig ausgeschlossen hatte“ (Fligge, S. 400). Hier ist zum einen der Gegenstand der gnesiolutherischen Erinnerung falsch bestimmt, zum anderen gibt es keine Belege für entsprechende Verhandlungen zwischen Melanchthon und den gnesiolutherischen Deputierten über eine Neufassung des Adiaphorismusartikels in den ‚Articuli constituendi consensus‘. 434 Die übliche lateinische Namensform von Nürnberg ist Norimberga. 435 Vgl. Fligge, S. 400 bei Anm. 268.
366 4. Scharfe Markierung der Grenzen der Einigkeit im Zuge der Vorberatungen wiesen.436 Das aber konnte Brenz nicht dulden. Der Hinweis auf Nürnberg zeigt zudem an, daß Brenz sich nicht allein gegen das gnesiolutherische Vorhaben zur Wehr setzen zu müssen meinte, sondern sich vermutlich zugleich auch einer hinter seinem Rücken angebahnten Verständigung zwischen der gnesiolutherischen Gruppe und Melanchthon entgegenstellen wollte. Denn die Theologengesandtschaft, die im Herbst 1555 in Nürnberg Osianders Rechtfertigungslehre öffentlich zurückgewiesen hatte – durch eine Predigt Jakob Runges –, war von Melanchthon geleitet worden!437 Die von gnesiolutherischer Seite vorgeschlagene vorläufige Verständigung auf ein einvernehmliches Vorgehen, die zunächst Melanchthons Zustimmung gefunden zu haben schien, stieß also auf massiven Widerspruch bei Brenz. Für ihn dürfte Strigels Ansinnen an Melanchthon überraschend gewesen sein, was ihn gewiß erzürnte. Sein Widerspruch gründete aber in der grundsätzlichen Ablehnung einer Verwerfung Osianders, verbunden mit der Ablehnung, überhaupt in Worms Verwerfungen auszusprechen, was ganz im Einklang mit den württembergischen Festlegungen im Vorfeld des Religionsgesprächs steht. Ob Brenz’ Widerspruch auch der Auslöser für Melanchthons Sinneswandel hinsichtlich des Subskriptionsvorhabens der gnesiolutherischen Gruppe war, läßt sich aufgrund der Quellenlage nicht entscheiden. Brenz’ Widerspruch wird allerdings sicher nicht die einzige Ursache für Melanchthons Sinneswandel gewesen sein. Denn auch die berechtigte Sorge, daß die römisch-katholische Seite den Subskriptionsvorbehalt aufgreifen und gegen die evangelische Seite verwenden könnte, wird dazu beigetragen haben. Was aber auch immer Melanchthon zu seinem Sinneswandel bewogen haben mag, die Hoffnungen der gnesiolutherisch orientierten Deputierten auf eine Verständigung in letzter Minute, die durch Melanchthons wohlwollende Aufnahme von Strigels Vorschlag geweckt worden waren, erfüllten sich jedenfalls nicht. Vielmehr mußten die evangelischen Deputierten sich zur Eröffnung des Religionsgesprächs in das offizielle Sitzungszimmer begeben, ohne daß sie ihren internen Dissens auch nur vorläufig beigelegt hatten.438
436 Vgl. ‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r; zitiert S. 363 in Anm. 430. 437 Zum Wirken der von Melanchthon geleiteten Theologengesandtschaft in Nürnberg vgl. Fligge, S. 331–335. 438 Richtig stellt von Bundschuh fest: „Ohne den am Vortag nahe scheinenden Ausgleich gefunden zu haben, nahm das eigentliche Religionsgespräch am Morgen des 11. September 1557 mit der Eröffnungssitzung seinen Anfang.“ (v. Bundschuh, S. 423 bei Anm. 107; vgl. auch Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 660). Wolf hingegen setzt irrtümlich die nach der Eröffnungssitzung geführten Verhandlungen vor deren Beginn an (vgl. Wolf, S. 92 f.) und kommt deshalb zu der unzutreffenden Aussage: „Notdürftig geeint trat man in das Religionsgespräch ein.“ (Wolf, S. 93).
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten 5.1 Ringen um ein Moratorium während der ersten Sitzungen des Religionsgesprächs Samstag, 11. September 1557, sieben Uhr – für diesen Termin war die Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs angesetzt worden. Während viele der Eröffnung bereits mit Ungeduld entgegensahen, war das Herannahen des Termins für die ernestinischen Deputierten in höchstem Maße prekär, hatte Herzog Johann Friedrich der Mittlere doch auf das Verwerfungsgutachten der Deputierten hin seine ursprüngliche Instruktion bekräftigt1 und war bei seiner Haltung auch geblieben2, nachdem die ernestinischen Vorstellungen in den Verhandlungen des 5. September sich nicht hatten durchsetzen können. Deshalb galt weiterhin und unverändert, was die ‚Weimarer Instruktion‘ forderte: einmütiges Bekenntnis aller evangelischen Deputierten zu CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln sowie spezifizierte Verwerfungen der Irrlehren vor einer Beteiligung am Religionsgespräch mit der römisch-katholischen Seite.3 Die Forderungen der ‚Weimarer Instruktion‘ waren keineswegs erfüllt, als die ernestinischen Deputierten sich in der Frühe des 11. September zum Wormser Rathaus aufmachten. Dennoch hatten diese vor, an der Eröffnungssitzung teilzunehmen, weil sie erwarteten, die Notwendigkeit der spezifizierten Verwerfungen wenigstens in der Subskriptionsformel dokumentieren zu können, die sie zu Melanchthons Rede in der Eröffnungssitzung konzipiert hatten. Außerdem hielten sie die Eröffnung anscheinend für eine unverbindliche Veranstaltung protokollarischen Charakters, so daß sie meinten, sich durch die Teilnahme noch nicht förmlich auf die Gesprächshandlung mit der römisch-katholischen Seite einzulassen. Beide Erwartungen wurden jedoch enttäuscht. Nicht nur, daß Melanchthon die ernestinischen Deputierten und Mörlin vor Sitzungsbeginn 1 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Schnepf, Strigel und Stössel, Markgraf-Baden 2. September 1557: Wolf, S. 329, Nr. 42. 2 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Monner, Schnepf, Strigel und Stössel, MarkgrafBaden 9. September 1557: Wolf, S. 338, Nr. 46. 3 Vgl. oben Abschnitt 2.2.1.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
abschlägig beschied.4 In der Sitzung mußten sie sodann nach Verlesung der königlichen Proposition und den Erwiderungen beider Seiten5 zu ihrem Erschrecken hören, daß der Präsident bereits für Montag, den 13. September, also für den übernächsten Tag, die nächste Sitzung ansagen ließ, in welcher über den Eid und die Geschäftsordnung beraten werden sollte.6 Die ernestinischen Deputierten mußten also gewahr werden, daß mit der Eröffnungssitzung ein rascher Prozeß in Gang gesetzt war, der keinen Spielraum ließ für weitere Bemühungen, doch noch die Erfüllung ihrer Vorbedingung für eine Beteiligung am Religionsgespräch sicherzustellen. Sie sahen sich deshalb in der Gefahr, „übereilt“ zu werden7, und mußten sich unverzüglich um Schadensbegrenzung bemühen.
5.1.1 Ernestinische Intervention nach der Eröffnungssitzung Direkt im Anschluß an die Eröffnungssitzung,8 als die evangelischen Gesprächsteilnehmer sich in einem „beygemach“ des Sitzungssaals zu weiteren Beratungen9 einfanden, baten die ernestinischen Deputierten nach Strigels Darstellung die Assessoren und politischen Räte, „sie wolten uns doch nicht ubereilenn“, sondern beim Präsidenten eine Verschiebung der nächsten Sitzung erwirken.10 In der Zwischenzeit wollten sie Herzog Johann Friedrich den Mittleren informieren und selbst die Situation weiter erwägen. Zur Begründung verwiesen sie darauf, so Strigel, daß sie sonst in Konflikt mit ihrer Instruktion gerieten, von der sie „ohne vorwissen vnd bewilligung“ des Herzogs nicht abweichen könnten. Ihnen Bedenkzeit einzuräumen er-
4
Vgl. oben Abschnitt 4.5.3. Zur Eröffnungssitzung vgl. Heppe I, S. 175–178; Wolf, S. 93; v. Bundschuh, S. 426–430. 6 Zur Ansage der folgenden Sitzung vgl. v. Bundschuh, S. 430. 7 Strigel schilderte dem sächsischen Herzog das Ende der Eröffnungssitzung so: „Endlich aber da der her President vns allen hatt lassen antzeigen, das die Personen zum Colloquio verordenett wiederumb auff den negsten Montagk, welcher ist der 13te Septembris, erscheinen sollten, Da dan von der forma Juramenti vnd andern Preparatorijs soltte gehanndelt werden, sind wir Euer fürstl. gnaden gesandte neben Dr. Morlein vber die massen erschrockenn vnnd haben leichtlich konnen abnehmen, Warauff gespilett were, nemlich uns damit zu vbereilen.“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 343, Nr. 48). 8 Wolf zieht irrtümlich die nach der Eröffnungssitzung geführten Verhandlungen mit der Auseinandersetzung um die Subskriptionsformel vor Beginn der Sitzung zusammen (vgl. Wolf, S. 92 f.); vgl. oben S. 366, Anm. 438. 9 Laut der ‚Gemeinsamen Relation‘ sollten die beiden Seiten je für sich „von der antwort [scil. bezüglich der vom Präsidenten festgesetzten Gegenstände der nächsten Sitzung] deliberiren“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24r). 10 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 343, Nr. 48. 5
5.1 Ringen um ein Moratorium
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klärten sie für angemessen, nachdem sie annähernd fünf Wochen auf andere Deputierte gewartet hätten. Auffällig ist der vergleichsweise moderate Ton, in dem die ernestinischen Deputierten nach Strigels Schilderung ihr Anliegen vorbrachten: eben als Bitte, nicht als Forderung oder Antrag. Auch scheint ein Abweichen von der ursprünglichen Instruktion nicht mehr völlig ausgeschlossen; nur bedürfte es der herzoglichen Billigung. Die Mäßigung des Tones ist unverkennbar. Noch stärker stellt das die ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte heraus. Ihrer Darstellung nach berichteten die ernestinischen Deputierten, gewissermaßen um Verständnis für ihr Dilemma heischend, daß sie den Herzog über den Verlauf der Vorverhandlungen unterrichtet und ihn um einen Bescheid gebeten hätten, aber zur Antwort nur die Instruktion bestätigt worden sei.11 Deshalb hätten sie, so die ‚Gemeinsame Relation‘ weiter, die anderen Deputierten „vmb Rath gebetten, wes sie sich vorhalten solten, damit sie ires g. f. vngnade meiden, vnd wieder des Reichs abschiedt nicht handeln, noch ir gewissen beschweren möchten.“ Insbesondere Schnepf habe „mit grosser demut“ gebeten, daß sie Strigel und Mörlin zum sächsischen Herzog schicken dürften.12 Die ernestinischen Deputierten werden in der ‚Gemeinsamen Relation‘ geradezu als kleinlaut dargestellt. Aufgrund von Strigels Darstellung ist sicher davon auszugehen, daß die ernestinischen Deputierten einen gemäßigten Ton anschlugen. Ein Grund dafür dürfte sein, daß sie mit Monners Abgang ihres am stärksten auf Polarisierung setzenden Sprechers verlustig gegangen waren. Als weiterer Grund ist anzunehmen, daß sie sich nach der Eröffnungssitzung, die anders verlaufen war als von ihnen erwartet, tatsächlich in einem schweren Dilemma sahen. Denn einerseits wußten sie sich weiterhin den herzoglichen Vorgaben verpflichtet, andererseits schien nun das Religionsgespräch unweigerlich seinen Lauf zu nehmen, ohne daß die in der Instruktion festgeschriebenen Vorbedingungen erfüllt gewesen wären. Das war in ihrer Instruktion nicht vorgesehen, was zumindest eine Überprüfung der herzoglichen Vorgaben erforderlich machte. In Anbetracht der veränderten Situation versprachen sich die ernestinischen Deputierten anscheinend von einer moderaten Vertretung ihres Anliegens eher als von offener Konfrontation, erst einmal Zeit zu gewinnen. Die Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘ erweckt indes den Eindruck, als hätten die ernestinischen Deputierten unter dem Druck der Ereignisse kleinlaut zu erkennen gegeben, daß ihr bisheriges Vorgehen längst nicht mehr auf eigener Überzeugung, sondern nur noch auf den ungeänderten 11 12
Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24rv. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
herzoglichen Befehlen beruht habe. Es ist nicht auszuschließen, daß die politischen Räte die Einlassungen der ernestinischen Deputierten so auffaßten. Die Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘ könnte aber auch von dem Interesse geleitet sein, für ihre Adressaten das gnesiolutherische Vorgehen als unberechtigt hinzustellen. Die ernestinischen Deputierten wären dafür die besten Kronzeugen. Die weitere Entwicklung am 11. September und in der folgenden Zeit läßt es jedoch als zweifelhaft erscheinen, daß die gnesiolutherische Gruppe ihre Position grundsätzlich geändert hätte. Heinrich Heppe, der nur die Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘ kennt, nicht aber den Bericht Strigels, zieht die in der ‚Gemeinsamen Relation‘ angelegten Interpretationslinien in seiner Wiedergabe kräftig aus: „Das Flacianische Herz der Sachsen schien jetzt gebrochen. Mit schwerer Bekümmernis erklärten sie, Alles, was biß dahin zwischen ihnen und den übrigen Deputirten verhandelt sei, hätten sie an den Herzog berichtet, und um weitere Verhaltungsregeln gebeten; aber zu ihrem größten Leidwesen wären sie wiederholt an ihre Instruction gewiesen. Wollte man ihnen einen Rat geben, wie sie den Regensburger Nebenabschied umgehen könnten ohne die Gnade ihres Fürsten zu verscherzen und ihr Gewissen zu beschweren, so wollten sie denselben dankbar annehmen.“13 Die hervorgehobenen affektiven Wertungen sind ohne Anhalt in Heppes Quelle. Auch von einer beabsichtigten Umgehung des Regensburger Nebenabschieds, was allerdings ein völliger Bruch mit der bisherigen Linie gewesen wäre, verlautet in der Quelle überhaupt nichts. Vielmehr erbaten die ernestinischen Deputierten nach Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘ einen Rat, wie sie ohne Beschwerung des Gewissens sowohl ihrem Herzog als auch dem Reichsabschied gerecht werden könnten:14 dem Herzog, dessen Instruktion einer Beteiligung am Religionsgespräch ohne Erfüllung der bekannten Vorbedingungen entgegenstand, und dem Reichsabschied, auf dessen Grundlage das Religionsgespräch nunmehr bereits eröffnet war, woraus sich im Rahmen der Ordnung des Religionsgesprächs bestimmte Verpflichtungen für sie ergaben.
5.1.2 Der Bescheid der politischen Räte und die gnesiolutherischen Bedingungen Nachdem die ernestinischen Deputierten ihre Bitten vorgebracht hatten, berieten die Assessoren und politischen Räte längere Zeit15 unter sich. Ihre Antwort ist von Strigel ausführlich, in der ‚Gemeinsamen Relation‘
13
Heppe I, S. 171; Hervorhebungen B. S. Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v, oben S. 369 zitiert vor Anm. 12. 15 „Auff solche vnnsere bitte […] hieltten die herren Assessors vnnd andere Politici einenn langenn Rath“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 343, Nr. 48). Fligge gibt irrtümlich an, die Antwort der Assessoren und politischen Räte sei „nach kurzer Beratung“ erfolgt (Fligge, S. 403). 14
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knapper referiert.16 Dabei fällt jedoch auf, daß Strigel im Unterschied zur ‚Gemeinsamen Relation‘ die direkten Antworten auf die konkreten Bitten der ernestinischen Deputierten nicht mitteilt. Wie die Bitten beschieden wurden, ist daher der ‚Gemeinsamen Relation‘ zu entnehmen. Auf die Bitte, Strigel und Mörlin zum sächsischen Herzog zu senden, erwiderten die Assessoren und politischen Räte der ‚Gemeinsamen Relation‘ zufolge, ihnen stehe es nicht zu, jenen „zuverlauben“, i. e. sie zu beurlauben.17 Der Antwort liegt zugrunde das später angeführte Argument, daß die Bittsteller „numher als vom Reich zum Colloquio ernente Personen demselben beizuwohnen […] schüldig“ seien.18 Das Argument steht einerseits grundsätzlich einer Beurlaubung entgegen, andererseits weist es implizit die Zuständigkeit dem Präsidenten des Religionsgesprächs zu. Das andere Ansinnen, beim Präsidenten eine Verschiebung der nächsten Sitzung des Religionsgesprächs zu beantragen, wiesen die Assessoren und politischen Räte als ungebührlich zurück, wobei sie sich außer auf die Ordnung des Religionsgesprächs auch darauf bezogen, daß die ernestinischen Deputierten zuvor beim Präsidenten auf einen raschen Beginn gedrungen hätten.19 War damit auf die konkreten Bitten der ernestinischen Deputierten geantwortet, so ließen die Assessoren und politischen Räte laut der ‚Gemeinsamen Relation‘ noch weitere Ausführungen folgen,20 angefangen mit dem Argument, daß die Ernennung durch das Reich die Pflicht zur Teilnahme am Religionsgespräch begründe. Zudem dürften die Deputierten sich von der Mitwirkung „durch niemandts vorhinderung abhalten“ lassen. Schließlich bekundeten die Assessoren und politischen Räte, sie hätten erwartet, daß der sächsische Herzog die Deputierten gemäß dem Reichsabschied instruiert hätte. Gemeinsamer Gegenstand der Ausführungen war die brisante Frage nach der Bindekraft der herzoglichen Instruktion im Verhältnis zu den Verpflichtungen der Deputierten aus dem Reichsabschied. Strigel gibt in seinem Referat die Ausführungen zur Frage nach der Bindekraft der Instruktion im Verhältnis zu den Verpflichtungen aus dem Reichsabschied sehr viel ausführlicher und detaillierter, zudem säuberlich gegliedert in sechs Punkte wieder, während der Bescheid auf die konkreten Bitten bei ihm gar nicht vorkommt. Die Ursache der ganz anderen Schwerpunktsetzung und Darstellungsweise wird sein, daß Strigels Bericht vom sächsischen Herzog angefordert wurde, um die Entscheidungen der ernesti16 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 343–345, Nr. 48; ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v–25r. 17 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v. 18 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v–25r. 19 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v. Für ein ernestinisches Drängen beim Präsidenten auf raschen Beginn des Religionsgesprächs fehlen ansonsten Belege. 20 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 24v–25r.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
nischen Deputierten in Worms über ihr weiteres Vorgehen und speziell ihren Umgang mit den Vorgaben der ‚Weimarer Instruktion‘ zu überprüfen. Deshalb mußte der Darstellung von Gründen und Gegengründen in Strigels Bericht besondere Bedeutung zukommen. Die ersten drei von Strigel referierten Punkte der Antwort der Assessoren und politischen Räte21 begründen den Vorrang des Reichsabschieds vor einer fürstlichen Einzelinstruktion. Der Reichsabschied lasse, da er ausnahmslos von allen Ständen bewilligt worden sei, keinen Raum für eine „Particular Innstruction“ eines einzelnen Standes, zumal es sich bei dem Religionsgespräch nicht um eine Privatangelegenheit zwischen einzelnen Fürsten, sondern um ein Reich und Kirche betreffendes „Publicum negocium“ handele. Außerdem folge aus dem Status der Gesprächsteilnehmer, die nicht von ihren Landesherren, sondern von Reichs wegen ernannt und deputiert seien, daß sie auf dem Religionsgespräch nicht die Interessen ihrer Herren zu vertreten, „Sonndernn vornemlich Gott, dem Herren, dem Romischen Reich und der allgemeinen Kirche“ zu dienen hätten.
Der vierte Punkt22 gilt dem Regensburger Nebenabschied als dem wichtigsten Bezugstext der herzoglich-sächsischen Instruktion. Er sei lediglich ein unverbindliches Bedenken, mit dem man sich nicht weiter aufhalten solle. Im fünften Punkt23 ist das Dilemma berücksichtigt, in welches die ernestinischen Deputierten gerieten, wenn sie sich entgegen ihrer Instruktion ohne Erfüllung der Vorbedingungen in das Religionsgespräch einließen. Nach Strigels Darstellung sagten die Assessoren und politischen Räte zu, daß sie den ernestinischen Deputierten mündlich oder auch schriftlich ein Zeugnis ihrer intensiven Bemühungen um die Durchsetzung der Instruktion geben würden. Bei Strigel wirkt es so, als hätten die Assessoren und politischen Räte die Zusage im Rahmen ihrer Antwort von sich aus gegeben. Die politischen Räte selbst hingegen stellen es in ihrer ‚Gemeinsamen Relation‘ so dar, daß die ernestinischen Deputierten sich im weiteren Verlauf der Beratung für den „fall der not“ ein solches Zeugnis ausbedungen hätten, was ihnen daraufhin zugesagt worden sei.24 Möglicherweise ist hier in der großflächigen Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘ etwas eingetragen worden, 21
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 343 f., Nr. 48. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 344, Nr. 48. 23 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 344 f., Nr. 48. 24 „Vff solche erinnerung [scil. die Ausführungen der politischen Räte] haben sie [scil. die ernestinischen Deputierten] gewilligt vngeachtet irer habenden Instruction dem Colloquio friedtlich beizuwhonen, vnd von den anderen stenden nicht abzuweichen[,] Allein das inen gestatt würde, Jemandts aus irem mittell zu jren G. h. zu schicken[,] Wir inen auch ires streits vnd das sie die Instruction […] mit vleis anbracht, im fall der not zeugnus geben, vnd eine protestation von inen annemen wolten, Welchs man entlich […] gewilliget.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25r; Hervorhebung B. S.). 22
5.1 Ringen um ein Moratorium
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was nach der übereinstimmenden Darstellung Runges und des ‚Preußischen Berichts‘ erst den Verhandlungen des 15. September zugehörte.25 Trotz der genannten Differenz stimmen Strigels Bericht und die ‚Gemeinsame Relation‘ darin überein, daß am 11. September von Seiten der politischen Räte den ernestinischen Deputierten ein Zeugnis ihrer Bemühungen in Aussicht gestellt worden sei. Anders als in der ‚Gemeinsamen Relation‘ dargestellt, scheint das Zugeständnis aber nicht von den ernestinischen Deputierten ausbedungen worden zu sein. Fraglich ist aber, ob der Punkt so ausführlich behandelt wurde, wie es nach Strigels Darstellung den Anschein hat. Strigel geht nämlich sogleich dazu über, den Inhalt des künftigen Zeugnisses ausführlich zu referieren. Hier mögen Formulierungen aus der Beratung am 11. September eingegangen sein, aber es ist kaum anzunehmen, daß der Inhalt des Zeugnisses bereits so detailliert besprochen und vereinbart worden wäre. Wahrscheinlicher ist, daß Strigel die Gelegenheit nutzt, im Rahmen seines Referats selbst den ernestinischen Deputierten ein Zeugnis ihrer intensiven, aber vergeblichen Bemühungen um die Instruktion ausstellen zu können. Insbesondere der Schlußpassus des ‚Zeugnisses‘, das Strigel bezeichnender Weise aus der Perspektive der ernestinischen Deputierten in indirekter Rede referiert, geht über Zeugnisaussagen weit hinaus und liest sich eher so, als würben hier die politischen Räte, wenn nicht sogar die ernestinischen Deputierten selbst beim sächsischen Herzog um Verständnis dafür, daß sie nicht weiter an der Instruktion festhielten: „Weil wir dann nicht aus verachtung vnnserer hohen Obrigkeit noch aus leichtfertigen vrsachen, sondern cogente Publica necessitate26 die sachen nicht weitter hetten bringen konnen, So wurde vns freilich kein vorstendiger vordenncken konnen, wan wir gleich neben denn Andern dem Colloquio beywonettenn vnd das gemeyne Christliche vnd lobliche werck nicht vorhindertenn, sonndern nach vnserm vermugen furderttenn. Dartzudenn Gott ohne Zweiffel seinen gotlichen segen geben wurde.“27
Ob ein Zeugnis der Räte, zu dem es nie kam, genauso ausgefallen wäre, ist fraglich. Höhere Wahrscheinlichkeit hat hingegen der sechste und letzte von Strigel referierte Punkt28 für sich. Die Assessoren und politischen Räte hätten abschließend die politischen Konsequenzen vor Augen geführt, die eine Verhinderung oder Störung des Religionsgespräch, welche man unumgänglich der Reichsspitze melden müsse, nach sich ziehen könnte: „Derwegen 25 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26rv; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 6v–7r; vgl. dazu unten Abschnitt 5.1.4. 26 ‚[…] aus zwingender öffentlicher Notwendigkeit […]‘. 27 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 345, Nr. 48. 28 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 345, Nr. 48.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
sollten wir uns wol fursehenn vnd bedenckenn, das wir nichtt Landtt vnd Leuth in grosse gefahr brechttenn Vnnd wan der Jhamer anginge, das wir alsdan villeicht mochten ein bosses gewissen dauonn habenn.“ Ähnliche Drohungen wurden von den politischen Räten wiederholt vorgebracht.29 Sicher ist es nicht ohne Bedacht geschehen, daß Strigel auch die Warnung vor einer möglichen Belastung des Gewissen mitteilte. Er bereitete damit das partielle Abrücken von den Vorgaben der Instruktion vor, deren strikte Beachtung von den ernestinischen Theologen bisher zur Gewissenspflicht erklärt worden war. Auf die Erwiderung der Assessoren und politischen Räte hin verständigten sich die drei ernestinischen Theologen sowie Mörlin und Sarcerius miteinander.30 Sie beschlossen, daß sie sich, so Strigels Formulierung, „zu dem Colloquio gebrauchen lassen“31 wollten. Sie stellten allerdings noch zwei Bedingungen für ihre Teilnahme. Der Bericht der kursächsischen politischen Räte vom 11. September, die mit dem geringsten zeitlichen Abstand entstandene Quelle, gibt darüber Auskunft. Die kursächsischen Räte berichten, die ernestinischen Deputierten hätten „entlich nach langer disputation dahin geschlossen/das sie dem Colloquio, ungeachtet Jrer Jnstruction beiwohnen wolten/Jedoch gebeten das sie Jemandts aus Jrem mittel zu Jrem gnedigen fursten vnd hern abfertigen vnd s. f. g. solchs vermelden möchten/ Vnd darneben gebeten von Jnen ein protestation, das sie Jrer [sic!] Instructio mit vleis anbracht, anzunehmen“32.
Die Anträge der ernestinischen Deputierten sind hier als Bitten dargestellt und mögen auch als solche vorgebracht worden sein. In der Sache handelte es sich jedoch um Bedingungen, wie es auch aufgefaßt wurde, denn die politischen Räte stimmten den Anträgen um der Einigkeit der Deputierten willen zu33. Einigkeit war offensichtlich nur unter der Bedingung zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, daß den ernestinischen ‚Bitten‘ entsprochen wurde. 29 So insbesondere in den Verhandlungen am 5. und am 22. September (vgl. zum 5. September Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 335, Nr. 45; zum 22. September die ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 27v–28v). 30 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 345 f., Nr. 48. Daß Sarcerius und Mörlin einbezogen waren, berichtet Aurifaber aufgrund des mündlichen Berichts Strigels in Markgraf-Baden (vgl. Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360). 31 Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48. 32 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 65v. 33 Den Anträgen wurde entsprochen, „damit einigkeit erhalten“ würde (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 65v); vgl. die entsprechende Wendung der ‚Gemeinsamen Relation‘ bei Anm. 35.
5.1 Ringen um ein Moratorium
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Die erste Bedingung war somit, daß die ernestinischen Deputierten doch einen der Ihren zum sächsischen Herzog schicken dürften. Als zweite Bedingung verlangten sie, daß die Assessoren und politischen Räte sich bereit fänden, eine Protestation von ihnen anzunehmen.34 Die politischen Räte erklärten sich „zu erhaltung güter einikait“ mit den Bedingungen einverstanden.35 Damit war der Weg frei für eine gemeinsame Teilnahme aller evangelischen Deputierten an der nächsten Sitzung des Religionsgesprächs. Ein Moratorium schien erreicht zu sein.
5.1.3 Weitere Zugeständnisse und Protestationsvorbehalt: Vermeintliches Einvernehmen über ein Moratorium Mit den Vereinbarungen des 11. September schien ein Maß an Verständigung erreicht zu sein, wie es nach dem Verlauf der bisherigen Verhandlungen kaum zu erwarten gewesen war. Hierauf dürfte es sich auch beziehen, wenn Melanchthon in seinem späteren lateinischen Gesamtbericht bemerkte: „Darauf sind wir zusammen zum Kolloquium mit den Päpstlichen geschritten, und es schien zwischen den Unseren allen freundliche Einigkeit zu bestehen.“36 Melanchthons vorsichtige Formulierung deutet jedoch daraufhin, daß es mit der Einigkeit zumindest in der Rückschau nicht so weit her war, wie es den Anschein hatte. So bedarf es für eine angemessene Beschreibung des erreichten Standes noch eines genaueren Blickes auf die Stellung der beiden Konfliktparteien zu den getroffenen Vereinbarungen. Aus den Reihen der Theologen, die sich nicht zur gnesiolutherischen Gruppe hielten, liegen dazu nur von Melanchthon Mitteilungen vor. Seine spätere Ansicht, daß Einigkeit zu bestehen schien, wurde bereits zitiert. Entsprechend urteilte er auch direkt nach dem 11. September.
34
Zu Form und Gehalt der Protestation vgl. unten S. 382–384 bei Anm. 63–68. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25r. Das Einverständnis erklärte für die politischen Räte offensichtlich der kursächsische substituierte Assessor Graf Eberstein-Neugarten, weshalb Strigel dem sächsischen Herzog berichtete: „Es hatt vns auch der Edle vnnd wolbegornne Graff, herr zu Eberstein vnd Newgartenn […] zugelassen ein Protestation vonn vnsern Actis zu thun […].“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48). 36 „Deinde simul ad colloquium cum Pontificiis accessimus, et videbatur inter nostros omnes dulcis concordia esse.“ (Melanchthons Historia, Februar 1558: CR 9, Sp. 458, Nr. 6469 = MBW 8540). Vor der zitierten Bemerkung stellt Melanchthon, im Gesamtbericht großzügig mit der chronologischen Reihenfolge umgehend, bereits den erst am 15. September und mit Strigels Rückkehr erreichten Stand der internen Auseinandersetzungen dar. Der Verweis auf die gemeinsame Teilnahme am Religionsgespräch läßt es jedoch zu, die Bemerkung auch schon auf die vermeintliche Verständigung am 11. September zu beziehen. 35
376
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Am 12. September schrieb er an Camerarius: „Zwischen den Unseren besteht Konsens über das Bekenntnis.“37 Von den ernestinischen Verwerfungsforderungen konnte er jetzt im Plusquamperfekt berichten – „[…] hatten Verwerfungen verlangt […]“ –, weil die Verschiebung dieser Verwerfungen von den politschen Räten als notwendig erachtet worden sei.38 Und auch am 18. September stellte er weiterhin fest, es gebe nunmehr keine Uneinigkeit zwischen den evangelischen Deputierten, sondern sogar einen „angenehmen Umgang“ miteinander.39
Die politschen Räte als wichtigstes Gegenüber der gnesiolutherischen Gruppe in den Beratungen des 11. September, unter kursächsischer Führung eng verbunden mit Melanchthon, waren erleichtert über die getroffenen Vereinbarungen. Was sie zuvor befürchtet hatten, geht im Rückschluß aus dem hervor, was sie zur Rechtfertigung ihrer Konzessionen an die gnesiolutherischen Deputierten anführten. Man habe, berichteten die kursächsischen Räte, die Konzessionen bewilligt, „damit einigkeit erhalten / und den wiedersachern aus der vnsern dissension kein frolocken gemacht / vnd die sachen/so in der Preparation hetten gehandelt werden sollen/vff ein andere stelle vnd zeit verschoben wurden“40. Einigkeit zwischen den evangelischen Deputierten schien hergestellt, der befürchtete Eklat schien vermieden, und das Manko, daß der Vorkonvent zur innerevangelischen Verständigung nicht in der vorgesehenen Weise stattgefunden hatte, schien durch Verschiebung auf eine Synode zu einem geeigneteren Zeitpunkt wettgemacht. Für die gnesiolutherische Gruppe und insbesondere die ernestinischen Deputierten stellte sich die Lage komplexer dar. Denn ihre nunmehr erklärte Bereitschaft zur weiteren Teilnahme am Religionsgespräch bedeutete ein zumindest partielles Abrücken von ihrer bislang strikt verfochtenen Position, daß es für sie nicht mit dem Gewissen vereinbar sei, ohne vorherige Verständigung auf das gemeinsame Bekenntnis zu CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln sowie auf die geforderten Verwerfungen am Religionsgespräch teilzunehmen. Wie gezeigt,41 bereitete Strigel in seinem Bericht für Herzog Johann Friedrich den Mittleren das Abrücken bereits vor, indem er der Argumentation der Assessoren und politischen Räte viel Raum gab, insbesondere aber, indem er deren Hinweis auf eine mögliche 37 „Inter nostros de Confessione consensus est.“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 12. September 1557: CR 9, Sp. 208, Nr. 6340 = MBW 8339). 38 „ęŮ ĖďĒģėċȉęē petiverant quasdam condemnationes. Sed in hauc paucitate nostrorum, Legati omnes censuerunt nunc differendas esse eas condemnationes.“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 12. September 1557: CR 9, Sp. 268 f., Nr. 6340 = MBW 8339). 39 „Nunc inter nostros collegas non solum dissensio nulla est, sed etiam dulcis consuetudo est […].“ (Melanchthon an Camerarius, Worms 18. September 1557: CR 9, Sp. 282, Nr. 6346 = MBW 8353; vgl. dazu oben S. 332 im Abschnitt 4.3.3 bei Anm. 275). 40 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. August 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 65v. 41 Vgl. oben Abschnitt 5.1.2.
5.1 Ringen um ein Moratorium
377
Gewissensbelastung durch die zu gewärtigenden politischen Folgen einer Verhinderung oder Störung des Religionsgesprächs wiedergab. Damit war ein neuer Aspekt in die Abwägung der Gewissensfrage hineingebracht, der sogleich in Anspruch genommen wurde, um den Schwenk der ernestinischen Deputierten verständlich zu machen. Strigel berichtete dem Herzog als Ergebnis der Beratungen zwischen den Deputierten, daß es besser wäre, wenn sie sich selbst und ihre Reputation gefährdeten, als daß Land und Leute ihretwegen in Gefahr gerieten.42 Auch zuvor, etwa in ihrem Verwerfungsgutachten, hatten die ernestinischen Deputierten sich bereit gezeigt, um des Gewissens willen die persönlichen Konsequenzen ihrer Haltung auf sich zu nehmen. Nur hatte das bislang für die Konsequenzen des Festhaltens an der Verwerfungsforderung gegolten, während es nun auf die Konsequenzen des Abrückens von derselben Forderung bezogen wird. Strigel scheint allerdings bewußt gewesen sein – wenn er und mit ihm Schnepf und Stössel nicht sogar derselben Auffassung waren –, daß der Verweis auf die Gefährdung von Land und Leuten in den Augen des Herzogs und seiner Umgebung kein hinreichender Gewissensgrund für ein Abrücken von der Verwerfungsforderung sein konnte. Dafür hatte in der ernestinischen Konfessionspolitik das Vorbild des gewesenen Kurfürsten Johann Friedrich des Älteren und seiner Vorfahren zu viel Gewicht. Von ernestinischen Ahnen war in der ‚Weimarer Instruktion‘ eigens gesagt, daß sie „mit darsatzung Ihrer Lannde Leute vnnd vermugenn beständig“ an der reinen Lehre gemäß CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikeln festgehalten hätten43. Strigel führte deshalb schriftlich und mündlich weitere Argumente an, um den Entschluß der ernestinischen Deputierten zur Beteiligung am Religionsgespräch zu begründen. In den schriftlichen Bericht fand noch der Hinweis Eingang, daß das Religionsgespräch nach den Bestimmungen des Regensburger Reichsabschieds unverbindlich sei und daher noch Einspruchsmöglichkeiten bestünden – auf dem nächsten Reichstag44, wie hier allerdings unerwähnt bleibt. Hinzu kamen in Strigels mündlichem Bericht in Markgraf-Baden Mitteilungen über weitere Zugeständnisse, welche die 42 Strigels Formulierung, „[e]s were Jhe besser das wir Arme diener vnsere Corporen famam vnd vnnsere armut In die gefahr setztenn, Denn das Land vnd Leuth vmb vnsretwillenn In grosse gefahr kommen soltten“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 345 f., Nr. 48; Hervorhebung B. S.), knüpft direkt an die kurz zuvor mitgeteilte Mahnung der Assessoren und politischen Räte an, die ernestinischen Deputierten sollten sich „wol fursehenn vnd bedenckenn, das wir nicht Landtt vnd Leuth Jn grosse gefahr brechtenn Vnnd wan der Jhamer anginge, das wir alsdan vielleicht ein bosses gewissen dauonn habenn“ (ebd., S. 345). 43 ‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juli 1557: Wolf, S. 319, Nr. 34. 44 Vgl. § 11 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 139 sowie die Ausführungen dazu oben S. 48 in Abschnitt 1.1.3.1.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
gnesiolutherische Gruppe seiner Darstellung nach erlangt hatte. Belegt sind Strigels mündliche Mitteilungen durch das zweite Schreiben Aurifabers an einen unbekannten Briefpartner45 sowie durch die ‚Badener Instruktion‘ Herzog Johann Friedrichs vom 15. September46. Aurifabers Darstellung ist von Wolf als „[i]n Bezug auf die Wormser Verhandlungen ungenau“ abqualifiziert worden.47 Dabei hat Wolf jedoch übersehen, daß einige der Angaben Aurifabers übereinstimmen mit Angaben der ‚Badener Instruktion‘ und somit gut belegt sind. Die weiteren Zugeständnisse waren laut Aurifaber und der ‚Badener Instruktion‘ im einzelnen: Bald nach dem Religionsgespräch solle eine Synode über die in Frage stehenden Irrlehren befinden, deren Abhaltung man befördern und deren Urteil man akzeptieren wolle.48 Ferner sollten die früheren Verwerfungen der gnesiolutherischen Theologen nicht in Frage gestellt werden; auch wolle man die Irrlehren im Religionsgespräch nicht „sch tzen“, was wohl so viel wie ‚aktiv verteidigen‘ bedeutet, und wenn die Irrlehren von der römisch-katholischen Seite aufgebracht würden, werde man Wege finden, damit so umzugehen, daß es niemandem zum Schaden gereiche.49 Außerdem wolle man verhandlungsfreie Zeiten während des Religionsgesprächs nutzen, um intern über die Irrlehren zu beraten,50 beginnend beim Osiandrismus51. Auch wenn Aurifaber und die ‚Badener Instruktion‘ die genannten Zugeständnisse in einem Zug mit der von den politischen Räten zugestandenen Protestation darstellen,52 kann es sich dabei kaum um offizielle Konzessionen der politischen Räte, aller Deputierten oder auch nur der übrigen 45 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 307– 310, Nr. 6360, hier Sp. 308 f. 46 Instruktion Johann Friedrichs des Mittleren für seine Theologen in Worms, Markgraf-Baden 15. September 1557: Wolf, S. 347–352, Nr. 49, hier S. 348 f. Die Instruktion wird im folgenden zitiert als ‚Badener Instruktion‘. 47 Wolf, S. 93, Anm. 1. 48 Vgl. Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 308; ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 348, Nr. 49. 49 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 308 f.; vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 348, Nr. 49. 50 Vgl. Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309; ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 349, Nr. 49. 51 „Zum Dritten, so hat sich Philippus und die andern erboten, im stehenden Colloquio, da man nicht alle Tag colloquiren mag, die Corruptelen vornehmen, und vom Osiandrismo anfangen, und Positiones stellen, und darvon unterrede.“ (Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360). 52 Bei Aurifaber sind die angeführten Zugeständnisse von eins bis drei durchnumeriert, worauf an vierter Stelle die Protestation folgt (vgl. Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309). Dieselbe Reihenfolge findet sich ohne Numerierung auch in der ‚Badener Instruktion‘ (vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 349, Nr. 49).
5.1 Ringen um ein Moratorium
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Theologen gehandelt haben. Dagegen spricht schon, daß weder in Strigels schriftlichem Bericht noch im Bericht der kursächsischen Räte oder der ‚Gemeinsamen Relation‘ etwas davon verlautet. Darüber hinaus dürften Brenz und Andreae schwerlich zu der Zusage bereit gewesen sein, strittige Lehren nicht aktiv zu verteidigen. Ebensowenig ist vorstellbar, daß sie zugesagt hätten, mit internen Beratungen während des Religionsgesprächs ausgerechnet beim Osiandrismus zu beginnen. Gut möglich erscheint hingegen, daß die gnesiolutherische Gruppe entsprechende informelle Zusagen von Melanchthon und ihm nahestehenden Theologen erhalten hatte. Darauf deutet auch die zweimalige Erwähnung Melanchthons in Aurifabers Wiedergabe der mündlichen Mitteilungen Strigels hin. Nicht nur das Angebot, in den verhandlungsfreien Zeiten über die strittigen Lehren zu beraten, wird auf Melanchthon zurückgeführt,53 sondern er wird im Zusammenhang des zweiten Zugeständnisses, der Zusage über den Umgang mit den Verwerfungen während des Religionsgesprächs, mit den Worten zitiert: „Ich tadele eure Verwerfung nicht, und die Handlungen der Unseren billige ich nicht.“54
In der Sache erscheinen derartige Zugeständnisse Melanchthons durchaus als möglich, hatte sich der Wittenberger doch bereits in den Tagen vor dem 11. September bei der Kompromißsuche entgegenkommend gezeigt. Außerdem vergab er sich mit den Zusagen wenig, denn sie bedeuteten keine Einwilligung dazu, in Worms Verwerfungen vorzunehmen, sondern nur dazu, über die strittigen Lehren zu beraten. Zu den Zusagen könnte es gekommen sein, während die politischen Räte unter sich über die von den ernestinischen Deputierten nach der Eröffnungssitzung vorgebrachten Bitten berieten. Dann wäre es auch nicht weiter verwunderlich, daß die Zusagen in den Berichten der politschen Räte keine Erwähnung finden. Offen muß bleiben, ob Strigel den partikularen Charakter der Zusagen in seinem mündlichen Bericht bewußt kaschierte und weshalb er die Zusagen in der schriftlichen Fassung seines Berichts nicht anführte. Welches Gewicht den Zusagen dennoch für die Begründung des Abrückens von den Vorgaben der ‚Weimarer Instruktion‘ vom sächsischen Herzog und seiner Umgebung zugemessen wurde, belegt ihre übereinstimmende Anführung auf einer Ebene mit der zugestandenen Protestation bei Aurifaber und in der ‚Badener Instruktion‘. Strigel, Schnepf und Stössel scheinen jedoch trotz aller offiziellen Zugeständnisse und informellen Zusagen in Sorge gewesen zu sein, daß die angeführten Begründungen für ihr Abrücken von der strikten Befolgung der 53
Vgl. Anm. 51. „[…] und hat Philippus gesagt: ego vestram condemnationem non improbo, nec nostrorum actiones probo.“ (Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360). Zur Bewertung der angeblichen Aussage Melanchthons vgl. unten S. 422 in Abschnitt 5.3.1 Anm. 250. 54
380
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
‚Weimarer Instruktion‘ nicht hinreichend sein könnten. Die genannte Sorge scheint der Hintergrund von Strigels Beteuerung zu sein, daß ernestinischen Deputierten hofften, „[e]s konne solches [scil. die Beteiligung am Religionsgespräch] ohne abbruch vnser vorgethanen Confessionn mit guettem gewissen beschehenn.“55 Der Grund dürfte sein, daß nach Auffassung der ernestinischen Theologen die in ihrem Verwerfungsgutachten dargelegten Gewissensgründe weiterhin galten; ihre Geltung wird jedenfalls mit keinem Wort bestritten. Eine Kursänderung war demnach nur zu rechtfertigen, wenn sich zeigen ließ, daß die Gegebenheiten in Worms andere waren, als im Verwerfungsgutachten vorausgesetzt, und sich die darin begründeten Gewissensentscheidungen deshalb nicht auf die aktuelle Situation anwenden ließen. Ob das der Hinweis auf die Unverbindlichkeit des Religionsgesprächs und die Mitteilung der Zugeständnisse und Zusagen zu leisten vermochten, dessen waren sich die ernestinischen Theologen offensichtlich nicht gewiß. Bezeichnend für das erreichte Maß an Verständigung ist, daß für die ernestinisch-gnesiolutherische Stellung zu den erzielten Vereinbarungen Elementen eine hohe Bedeutung zukam, die in den Berichten der politischen Räte gar nicht vorkamen: eben den von Strigel mündlich mitgeteilten Zusagen. Ob die politischen Räte die Zusagen, die von Melanchthon und ihm nahestehenden Theologen gegeben worden zu sein scheinen, ratifiziert hatten, ist nicht bekannt; es ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt davon wußten. Feststehen dürfte hingegen, daß ein Teil der Theologen, namentlich Brenz und Andreae, mit den Zusagen nicht einverstanden sein konnte. Herzog Johann Friedrich und seine Umgebung hingegen gingen anscheinend davon aus, daß die Zusagen verbindliche Konzessionen der übrigen Deputierten seien. Es zeigt sich, daß die Konfliktparteien nicht zu der nötigen Konvergenz im Verständnis ihrer Verständigung gelangt waren. Mag man im Fall der Zusagen die Verantwortung dafür Strigel zuweisen, der den partikularen Charakter der Zusagen nicht deutlich genug herausstellte, so bestand aber auch im Gesamtverständnis der Verständigung mangelnde Konvergenz. Die politischen Räte faßten die erzielten Vereinbarungen so auf, daß damit nicht nur Einigkeit unter den Theolgen erreicht,56 sondern auch eine dauerhafte Verschiebung der ernestinisch-gnesiolutherischen Verwerfungsforderungen mindestens bis zum Ende des Religionsgesprächs vereinbart worden sei: ein Moratorium bis zum Abschluß des Religionsgesprächs. Wie fest sie davon 55
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48. Die kursächsischen politischen Räte leiteten den nächsten Absatz ihres Berichts vom 11. September mit den Worten ein: „Nachdem nun die Theologj vnsers theils dermassen einigk wurden […]“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 65v). 56
5.1 Ringen um ein Moratorium
381
ausgingen, ergibt sich aus der Fortsetzung ihrer Berichte. Denn dort bekundeten sie, wie unerwartet es sie traf, als wenig später die Verwerfungsforderungen wieder auf den Tisch kamen.57 Für die gnesiolutherischen Deputierten hingegen standen die am 11. September erzielten Vereinbarungen unter einem doppelten Vorbehalt. Zum einen bedurfte sie noch der Genehmigung durch den sächsischen Herzog. Dazu hatten sie sich mit Erfolg die Entsendung eines Vertreters nach Markgraf-Baden ausbedungen, was sie als implizite Anerkennung ihres Vorbehalts durch die politischen Räte auffassen konnten, auch wenn den politischen Räten eben diese Dimension ihrer Zustimmung nicht bewußt gewesen zu sein scheint. Zum anderen behielten sich die gnesiolutherischen Deputierten für den „falh der nott“ vor, die ihnen zugestandene Protestation vorzulegen, wenn nicht sogar drucken zu lassen.58 Der Bezugspunkt ‚Fall der Not‘ findet auch Erwähnung in den Ausführungen der ‚Gemeinsamen Relation‘ zu den am 11. September erzielten Vereinbarungen. Dort ist er allerdings nur lose auf die Protestation, vor allem aber auf das angeblich von den ernestinischen Deputierten eingeforderte Zeugnis bezogen: Die Deputierten hätten von den politischen Räten verlangt, daß „[w]ir inen auch ires streits und das sie die Instruction […] mit vleis anbracht, im fall der not zeugnus geben, vnd eine protestation von inen annemen wolten“59. Obwohl die Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ über die Zeugnisforderung ungenau zu sein scheinen,60 ist damit doch belegt, daß der Bezugspunkt ‚Fall der Not‘ nach Auffassung beider Konfliktparteien Bestandteil der Vereinbarungen des 11. September war. Bezeichnend ist allerdings wiederum, daß die Konfliktparteien den ‚Fall der Not‘ zumindest später mit Verschiedenem verknüpften: die eine mit der Protestation, die andere mit dem Zeugnis.
Auch wenn der ‚Fall der Not‘ offensichtlich als Bezugspunkt Vereinbarungen des 11. September eingegangen war, unterblieb eine Klärung der Frage, was eigentlich als ‚Notfall‘ anzusehen sei. Zu vermuten steht, daß die politischen Räte sich unter dem Notfall eine Bedrängnis vorstellten, in 57 „Es hat sich aber vber unser zuvorsicht zugetragenn / ob wol die Weimarischen […] zugesagt / Jre Adiaphorische sachen alhir ferner Jm Colloquio nicht zu eifern vnd alleine eine protestation vns zu vbergeben/das D. Schneppius, Morlinus vnnd Magister Stösselius […] vns vnd den andern stenden eine Notel […] vbergeben dorinnen sie die Adiaphoristen / vnd Doctor Maiorem etc. ausdrucklich Condemnierten […]“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59v, hier fol. 58r; vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25v). 58 Strigel berichtete dem sächsischen Herzog, daß der kursächsische substituierte Assessor Graf Eberstein den gnesiolutherischen Deputierten zugestanden habe, sie sollten „macht habenn Inn falh der nott dieselbige [i. e. die Protestation] furtzulegen oder Inn den Druck vorferttigenn.“ (Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48). 59 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25r; Hervorhebung B. S. 60 Vgl. oben S. 372 f. bei Anm. 24.
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welche die ernestinischen Deputierten aufgrund ihres Abrückens von den Vorgaben der Instruktion gegenüber ihrem Herzog geraten könnten. Was die gnesiolutherischen Deputierten hingegen darunter verstanden, läßt sich daraus erschließen, daß sie im Notfall die Möglichkeit haben wollten, ihre Protestation zu veröffentlichen. Der Notfall wäre für sie demnach gegeben, wenn sie sich durch ihre Beteiligung am Religionsgespräch diskreditiert sähen – das sollte im weiteren Verlauf der Fall sein, sobald die römisch-katholische Seite die internen Divergenzen der Augsburger Konfessionsverwandten thematisierte. Die Auffassungen, was als Notfall anzusehen sei, gingen also erheblich auseinander. Zudem sollte die Protestation in einer zwischen den Konfliktparteien ebenfalls nicht abschließend geklärten Weise auf die Verwerfungsforderungen bezogen sein. Daher konnten die am 11. September erzielten Vereinbarungen im Licht des zweiten Vorbehaltes von der gnesiolutherischernestinischen Seite leicht so aufgefaßt werden, als habe man sich auf einen vorläufigen Aufschub der Verwerfungsfrage bis zu einem Notfall, wie man ihn selbst verstand, geeinigt: ein Moratorium bis zum Fall der Not. Diese Lesart findet sich in verschärfter Form in Aurifabers sekundärer Darstellung der erreichten Zugeständnisse: „Zum Vierten so soll den Unsern eine freie ffentliche Protestation verg nnet werden, welche im Fall der Noth auch in Druck soll gegeben werden, dadurch unsere Theologen bei m nniglich entschuldiget sein m chten, daß sie mit ihrem Beiwohnen des Colloquii in keine Corruptelen gewilligt, sondern bei ihrer alten Condemnation geblieben, auch noch dabei sollten gelassen werden.“61 Daß die Protestation frei und öffentlich geschehen sollte und bereits feststünde, sie im ‚Fall der Not‘ drucken zu lassen, geht über die Angaben in Strigels schriftlichem Bericht hinaus. Aurifaber hat hier bereits Modifikationen eingetragen, welche der sächsische Herzog in der ‚Badener Instruktion‘ für die Protestation festlegte.62
Einigkeit schließlich sahen die gnesiolutherischen Deputierten mit den erzielten Vereinbarungen keineswegs als erreicht an, da es zu den gemeinsamen Bekenntisaussagen und Verwerfungen nicht gekommen war. Das war der eigentliche Grund dafür, daß sie auf einer Protestation bestanden. Die politischen Räte verstanden die Protestationsforderung so, daß die ernestinischen Deputierten sich durch die Protestation gegen Vorwürfe absichern wollten, sie wären den Vorgaben ihrer Instruktion nicht nachgekommen.63 Eine Funktion der geforderten Protestation war das für die gnesiolutheri61 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360. 62 Vgl. dazu unten Abschnitt 5.1.5. 63 Die kursächsischen Räte berichteten am 11. September, die ernestinischen Deputierten hätten gebeten, „von Jnen ein protestation, das sie Jrer [sic!] Instructio mit vleis anbracht, anzunehmen […]“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 65v).
5.1 Ringen um ein Moratorium
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schen Deputierten durchaus. Wenn Strigel in seinem Bericht aber formuliert, Graf Eberstein-Neugarten habe ihnen „zugelassen[,] ein Protestationn vonn vnsern Actis zu thun“64, so ist das in einem umfassenderen Sinn gemeint, als daß mittels der Protestation lediglich Rechenschaft über die bisherigen Bemühungen der ernestinischen Deputierten in Worms abgelegt werden sollte. Vielmehr sind die Termini ‚Protestation‘ und ‚Acta‘ in Strigels Formulierung emphatisch gebraucht. Mit ‚Protestation‘ ist daher das im Zusammenhang der Reichstage geläufige Rechtsmittel der protestatio gemeint, des förmlichen Einspruchs gegen Beschlüsse einer Mehrheit mit dem Ziel, der fortdauernden Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des eigenen Standpunktes rechtsverbindlich Ausdruck zu verleihen.65 Auch der Terminus ‚Acta‘ ist in Strigels Formulierung emphatisch gemeint und bezeichnet daher über die bloßen Handlungen hinaus auch deren sachlichen Gehalt, insbesondere also die von den gnesiolutherischen Deputierten verfochtenen Verwerfungen. Die „Protestationn vonn vnsern Actis“ zielte somit darauf, förmlich und rechtsverbindlich zu bekunden, daß trotz der widrigen Mehrheitsverhältnisse an der Notwendigkeit und Berechtigung der geforderten Verwerfungen festgehalten werde. So gedachten die gnesiolutherischen Deputierten zum Ausdruck zu bringen, daß ihre Beteiligung am Religionsgespräch nicht bedeute, sie hielten die Einigkeit unter den Deputierten Augsburgischer Konfession für gegeben. Für das vorgestellte emphatische Verständnis der Termini ‚Protestation‘ und ‚Acta‘ spricht, daß sonst der immense notarielle Aufwand, der laut Strigel für die Protestation vereinbart worden war, nicht zu erklären wäre. Die gnesiolutherischen Deputierten sollten von einem der evangelischen Notare beim Religionsgespräch drei Exemplare ihrer Protestation „Inn forma Instrumenti66 […] vorferttigen“, i. e. förmlich beurkunden lassen, von denen eines bei den Assessoren, eines bei den ernestinischen Deputierten
64
Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48. Vgl. Schlaich, S. 325. Schlaichs Erläuterungen zum Rechtsmittel der protestatio sind sehr instruktiv für die Interpretation der gnesiolutherischen Forderung nach einer Protestation: „Bei der protestatio handelt es sich um eine Erklärung, die den eigenen Standpunkt in betonter Weise verdeutlichen, Mißdeutungen des Verhaltens – insbesondere die Mißdeutung des eigenen Schweigens – vermeiden und so präjudizielle Wirkungen ausschließen will.“ (ebd.). 66 Eine Bedeutung von ‚instrumentum‘ ist ‚Urkunde‘, so daß sich für ‚in forma instrumenti verfertigen‘ die Bedeutung ‚förmlich beurkunden‘ ergibt. Wie die förmliche Beurkundung der Protestation vorgestellt war, geht aus späteren Angaben der ernestinischen Deputierten hervor, wonach die Notare „drey Instrumenta solcher protestation zurichten vnd wie sich geburet, Mit Ihrer Hand vnnd Signatur muniren“ sollten (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50); dabei ist ‚muniren‘ entweder als Fehlschreibung zu ‚mundiren‘, i. e. ‚reinschreiben‘, anzusehen oder aber als Ableitung von ‚munire‘ in der Bedeutung ‚verwahren, sichern‘. 65
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
und eines bei Mörlin deponiert werden sollte.67 Nur einer Protestation im emphatischen Sinne des Rechtsmittels der protestatio war dieser Aufwand angemessen. Den politischen Räten ist entweder trotz des vereinbarten notariellen Aufwands die emphatische Bedeutung entgangen, welche die gnesiolutherischen Deputierten ihrer Protestation beilegten, oder sie spielten die Bedeutung in ihren Berichten bewußt herunter. Denn die kursächsischen Räte gaben in ihrem Bericht vom 11. September lediglich an, daß die ernestinischen Deputierten mit der Protestation bekunden wollten, „das sie Jrer [sic!] Instructio mit vleis anbracht“68 hätten. In der ‚Gemeinsamen Relation‘ wurde die Gewährung der Konzessionen an die gnesiolutherische Gruppe dann sogar mit der Auffassung begründet, daß an einer solchen Protestation „wenig oder nichts gelegen“ wäre.69 Die Gegensätze im Verständnis der Vereinbarungen vom 11. September sind gravierend. Wurde auf der einen Seite die Einigkeit als erreicht angesehen, so wollte die andere Seite dokumentieren, daß eben dies nicht der Fall sei. Gingen die gnesiolutherischen Deputierten nur von einem vorläufigen Aufschub der Verwerfungsfrage aus, so betrachteten die politischen Räte sie als dauerhaft verschoben; Moratorium bis zum Fall der Not und Moratorium bis zum Abschluß des Religionsgesprächs standen unvermittelt als konkurrierende Auffassungen neben- und gegeneinander. Die Vereinbarungen vom 11. September verdeckten die Differenzen lediglich. Es war nur eine vermeintliche Verständigung erreicht. Die spätere ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten ist im übrigen, anders als von Bundschuh es darstellt,70 nicht sogleich aufgesetzt und bei einem Notar eingereicht worden,71 wenn auch bald nach dem 11. September mit Vorüberlegungen oder Vorarbeiten begonnen worden sein mag.
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Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48. Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 11. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/7, fol. 63r–66r, hier fol. 65v; ausführlicher zitiert oben S. 382 in Anm. 63. 69 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25r. 70 Vgl. v. Bundschuh, S. 424 f. bei Anm. 109 in Verbindung mit S. 461 bei Anm. 94. 71 Die bei Andreae als Notar eingereichte ‚Große Protestationsschrift‘ ist nach Darstellung der ernestinischen Theologen erst auf die vom 15. September datierende ‚Badener Instruktion‘ des sächsischen Herzogs hin und demnach erst nach Strigels Rückkehr aus Markgraf-Baden am 17. oder 18. September verfaßt worden (vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50); siehe den Exkurs über die ‚Große Protestationsschrift‘ unten in Abschnitt 5.5.2. Die gnesiolutherische ‚Notel‘, über welche es am 15. September zum Streit kam (vgl. dazu unten Abschnitt 5.1.4), hat als an die römisch-katholische Seite gerichtete Erklärung einen anderen Charakter als die am 11. September zugestandene Protestation. 68
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5.1.4 Gefährdung, Erneuerung und Präzisierung des Moratoriums Die Vereinbarungen des 11. September vermochten trotz der Einigkeitsbekundungen in Melanchthons Briefen an Camerarius72 nicht, die Gräben zu schließen, die zwischen den evangelischen Deputierten lagen. Ein erster Beleg dafür ist das in den folgenden Tagen entstandene Theologen-Gutachten über den Ansbacher Abendmahlsstreit. Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach hatte im Juni 1557 der theologischen Fakultät in Wittenberg die Akten der Kontroverse zwischen seinem Superintendenten Georg Karg und Wilhelm Tettelbach, dem Dekan des Ansbacher Stifts, zur Begutachtung zugesandt.73 Gegenstand der Kontoverse war die Frage, ob Leib und Blut Christi in den Bauch der Kommunikanden gelangten, was Karg in seinem Katechismus zu Tettelbachs Empörung verneint hatte, da Leib und Blut Christi als geistliche Speise nicht in den Bauch, sondern in das Herz gingen.74 Melanchthon hatte die Ansbacher Akten, sei es aus Zeitmangel vor der Abreise zum Religionsgespräch, sei es, weil er sich durch die Mitwirkung von Theologen anderer Stände absichern wollte, nach Worms mitgebracht.
Auf Grundlage eines am 12. September von Brenz und Melanchthon aufgesetzten Entwurfes75 wurde ein Gutachten erstellt,76 das mit einem vom 14. September datierenden Anschreiben77 an den Markgrafen geschickt wurde. Bis auf den persönlich betroffenen Karg und den betagten Pfälzer Stoll, an dessen Stelle aber der pfälzische Hofprediger Diller unterschrieb,78 unterzeichneten das Gutachten und das Anschreiben alle in Worms als Teilnehmer des Religionsgesprächs anwesenden evangelischen Theologen, soweit sie sich nicht zur gnesiolutherischen Gruppe hielten: Melanchthon, Brenz, Andreae, Marbach, Pistorius, Diller, Eber und Runge. 72
Vgl. oben S. 376 bei Anm. 37–39. Vgl. Mkgf. Georg Friedrich an die theologische Fakultät der Universität Wittenberg: MBW.R Bd. 8, S. 80 f., Nr. 8249 (Regest). 74 Zum Ansbacher Abendmahlsstreit vgl. Weiss, S. 79–82. 75 Entwurf Brenz’ und Melanchthons für ein Gutachten über den Ansbacher Abendmahlsstreit, Worms 12. September 1557: CR 9, Sp. 276 f., Nr. 6344 A = MBW 8340. 76 Gutachten über den Ansbacher Abendmahlsstreit: CR 9, Sp. 277 f., Nr. 6344 B = MBW 8344. 77 Melanchthon, Brenz, Andreae, Marbach, Pistorius, Diller, Eber und Runge an Mkgf. Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, Worms 14. September 1557: CR 9, Sp. 275, Nr. 6343 = MBW 8343. 78 Diller trat zwar erst am 6. Oktober die Nachfolge des am 28. September im Alter von 67 oder 68 Jahren verstorbenen kurpfälzischen Generalsuperintendenten Stoll in dessen Funktion als Adjunkt beim Religionsgespräch an; vgl. v. Bundschuh, S. 409 f.479. Dillers Anwesenheit in Worms, nicht weit entfernt von Heidelberg, ist aber auch schon Mitte August belegt; vgl. oben S. 200 in Abschnitt 3.1.1. So scheint Diller auch schon vor Stolls Tod zumindest gelegentlich als Vertreter der Kurpfalz, vielleicht sogar als Vertreter Stolls in Worms präsent gewesen zu sein, auch wenn er noch keine offizielle Funktion beim Religionsgespräch wahrnehmen konnte. 73
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Schnepf, Strigel79, Stössel, Mörlin und Sarcerius hingegen erscheinen nicht als Unterzeichner des Gutachtens; wahrscheinlich waren sie auch an dessen Ausarbeitung nicht beteiligt. Es scheint ihnen aber zumindest vorgelegt worden zu sein, und nach Melanchthons Angaben bekundeten sie sogar, „daß es recht sey“.80 Ob sie dennoch mit dem Inhalt des Gutachtens81 nicht einverstanden waren oder aus welchen anderen Gründen sie nicht unterzeichneten, läßt sich nicht feststellen.82 Manifest ist aber, daß die evangelischen Theologen in Worms mit den Vereinbarungen vom 11. September durchaus nicht zu einer Übereinstimmung gefunden hatten, die eine gemeinsame Bearbeitung respektive Beantwortung der traktierten theologischen Streitfrage zugelassen hätte. Immerhin war es aber vorerst möglich geworden, gemeinsam an den nächsten Sitzungen des Religionsgesprächs teilzunehmen. So leisteten die gnesiolutherischen Deputierten bis auf den abwesenden Strigel und den während der Sitzung von einem Schwächanfall betroffenen Sarcerius genauso wie die übrigen evangelischen und die römisch-katholischen Deputierten am 13. September die von den Teilnehmern des Religionsgesprächs geforderte eidesstattliche Erklärung.83 Damit war ihr Entschluß zur Teilnahme am Religionsgespräch auch formal vollzogen und offiziell dokumentiert. Auch in die folgende, dritte Sitzung am 14. September, zu deren Beginn die eidesstattliche Verpflichtung Sarcerius’ nachgeholt wurde,84 gingen die gnesiolutherischen Theologen an der Seite der anderen evangelischen Ge-
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Strigel war am 14. September ohnehin nicht in Worms, sondern in Markgraf-Baden. Melanchthon teilte dem sächsischen Kurfürsten mit, er habe auf die ansbachische Anfrage hin „ein klar wahrhaftig wohlgegr ndet decretum gemacht, das alle andre subscribirt, ohne die Jenischen und ohne Morlin, so die doch bekannt, daß es recht sey.“ (Melanchthon an Kfst. August, Worms 19. Oktober 1557: CR 9, Sp. 344, Nr. 6380 = MBW 8398). 81 Das Gutachten bezeichnete die von Tettelbach verfochtene Aussage, daß der Leib Christi in den Bauch gelange, als „absurda phrasis“ (Gutachten über den Ansbacher Abendmahlsstreit: CR 9, Sp. 277, Nr. 6344 B = MBW 8344). Im Anschreiben wurde empfohlen, Tettelbach die weitere Propagierung der angeführten Aussage zu untersagen; Karg habe man zum Frieden ermahnt (Melanchthon, Brenz, Andreae, Marbach, Pistorius, Diller, Eber und Runge an Mkgf. Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, Worms 14. September 1557: CR 9, Sp. 275, Nr. 6343 = MBW 8343). 82 Auch Melanchthon konnte nur feststellen: „Ob sie nun aus Furcht oder Ungunst die Subscriptio geweigert, lasse ich in seinem Werth.“ (Melanchthon an Kfst. August, Worms 19. Oktober 1557: CR 9, Sp. 344, Nr. 6380 = MBW 8398). 83 Zur zweiten Sitzung des Religionsgesprächs am 13. September vgl. v. Bundschuh, S. 431–433; Heppe I, S. 178–180. Zur eidesstattlichen Erklärung, deren Wortlaut bei v. Bundschuh, S. 431 f., Anm. 13 abgedruckt ist, vgl. oben S. 52 im Abschnitt 1.1.3.2 bei Anm. 57. 84 Vgl. v. Bundschuh, S. 434, Anm. 18. Außer Sarcerius wurde auch noch der pommersche Auditor Christian von Küssow verpflichtet. 80
5.1 Ringen um ein Moratorium
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sprächsteilnehmer. Gegenstände der Sitzung waren Procedere und Materie des Religionsgesprächs.85 Dabei ging die römisch-katholische Seite in Vorlage, indem sie durch den Merseburger Bischof Michael Helding als ihren Sprecher zum einen ein schriftliches Verfahren beantragte und zum anderen ein von Canisius erarbeitetes Verzeichnis der Gesprächsgegenstände, den ‚Index articulorum controversorum‘86, einbrachte. Die evangelische Seite, als deren Sprecher Melanchthon fungierte, ließ es hinsichtlich des Procedere dabei bewenden, ihre Vorbehalte gegen das komplizierte schriftliche Verfahren zu Protokoll zu geben; die Entscheidung überließ sie aber dem Präsidium, das dem römisch-katholischen Antrag stattgab und schriftliche Verfahrensweise anordnete87. Hinsichtlich der Materie erbat sich die evangelische Seite Heldings Einbringungsrede und sagte für die nächste Sitzung ihre Antwort zu, wobei Melanchthon nach einer ersten kurzen Prüfung bereits befand, daß der ‚Index Articulorum‘ weitgehend mit dem Aufriß der CA übereinstimme.88
Helding hatte in seiner Einbringungsrede weit ausgeholt. Eingangs hatte er ausführlich die friedfertigen Absichten seiner Seite beteuert.89 Die eigentlichen Ausführungen zur Materie des Religionsgesprächs eröffnete er sodann mit der Erinnerung, daß vor vierzig Jahren religiöse Übereinstimmung bestanden habe. Seither aber seien Meinungen aufgekommen, die ebensosehr vom universalen Konsens wie voneinander abwichen.90 Angesichts der unüberschaubaren Meinungsvielfalt sei nun aber die strikte Bestimmung des Reichsabschieds zu beachten, daß das Religionsgespräch nur zwischen zwei Seiten vorgenommen werden solle, „deren eine die alte und allgemein angenommene Lehre der Kirche, die andere das Augsburgische Bekenntnis bewahrt“, und daß ferner nur über Kontroversen zwischen diesen beiden Seiten eine Verständigung versucht werden solle „und über keine anderen“91. Mit der referierten Exposition bereitete Helding den Boden 85 Zur dritten Sitzung des Religionsgesprächs am 14. September vgl. v. Bundschuh, S. 433–438; Heppe I, S. 180–183. 86 Vgl. v. Bundschuh, S. 437. 87 „Die schriftlich vorbereiteten Voten sollten öffentlich verlesen, der Gegenpartei zur Einsichtnahme ausgehändigt und danach den Notaren zur Protokollierung übergeben werden.“ (v. Bundschuh, S. 433 f.). 88 Vgl. Heppe I, S. 182 f.; v. Bundschuh, S. 437. 89 Vgl. Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 26–30, hier S. 26f; vgl. die Wiedergabe bei Heppe I, S. 181 f. 90 „[…] emerseruntque […] opiniones, tàm ab vniuersali consensu, quam à se inuicem, discrepantes.“ (Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 26–30, hier S. 27). 91 „[…] respiciendum nobis arbitramur, ad Decretum recessus Imperialis, cuius haec diserta lex est: Vt […] consultatio suscipiatur, tantùm inter duas partes, quarum altera veterem & receptam Ecclesiæ doctrinam, altera Augustanam Confessionem tuetur; Deinde vt super ijs tantum controversijs conciliatiatio [sic!] tentetur, quæ inter has duas partes vertuntur, & super nullis alijs.“ (Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 26–30, hier S. 27 f.).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
dafür, daß er bei der anschließenden Erläuterung der Konzeption des ‚Index articulorum controversorum‘ die Bedingung aufstellen konnte, beide Seiten sollten gleichermaßen alle anderen wahrheitswidrigen Meinungen und Behauptungen, die im Index als nicht dazugehörend übergangen worden seien, freimütig verdammen.92 Das zielte unverkennbar auf Lehrabweichungen im reformatorischen Spektrum, die von den Augsburger Konfessionsverwandten selbst als nicht von der CA gedeckt angesehen wurden. War die Stoßrichtung von Heldings Forderung bereits sehr deutlich, so spezifizierte Helding sie noch weiter und richtete sie ins Affirmative gewendet explizit an die evangelischen Deputierten: „Weil aber die allenthalben veröffentlichten Bücher bezeugen, daß ziemlich viele, die bekennen, sie hingen dem Augsburgischen Bekenntnis an, unter sich über große Sachen nicht übereinstimmen, fordern wir berechtigterweise von den anwesenden erlauchtesten und gelehrtesten Herren Kollokutoren und Adjunkten der anderen Seite, daß sie aufrichtig und ohne Rückhalt bekennen sollen, daß sie an dem Augsburgischen Bekenntnis, welches im Jahre 1530 der kaiserlichen Majestät in Augsburg überreicht worden ist, der Sache und dem Sinn nach festhalten und nichts anderes, als was in ihm begriffen ist, verteidigen, behaupten und verfechten wollen.“93 Nur wenn das erreicht würde, seien Fortschritte in Richtung Verständigung und Einigkeit möglich.94
Die protestantische Lehrverwirrung kontrastierend mit der bis vor vierzig Jahren allgemein anerkannten, vom Anfang der Kirche bis jetzt tradierten Lehre, deren Zentralstellung wiederherzustellen der einzige Weg zur Einigkeit sei, leitete Helding schließlich zu den konkreten Vorschlägen für das weitere Procedere über, wie anhand des ‚Index articulorum‘ die einzelnen Artikel erörtert werden sollten.95
92 „[…] hac tamen conditione, vt omnes alias oppiniones, & assertiones, Catholicæ & Euangelicæ veritati contrarias, quæ in Indice, quasi ad ipsos quoque non pertinentes, omissæ fuerint, vtraque Pars, ex æquo, libera voce damnet.“ (Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 26–30, hier S. 28). 93 „Cum autem nonnullos, qui Confessioni Augustanae adhaerere sese profitentur, inter se de magnis rebus dissentire editi passim libri testentur, nos iusta ratione a praesentibus amplissimis et doctissimis viris collocutoribus et adiunctis alterius partis postulamus, ut ingenue et palam profiteantur sese Confessionem Augustanam, quae anno 1530 Caesareae Maiestati Augustae exhibita fuit [sic!], re et nomine amplecti et nihil aliud, nisi quod in ea comprehenditur, tueri, asserere et propugnare velle“ (Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: v. Bundschuh, S. 436, Anm. 23 nach Heldings eigenhändigem Original in den Wiener Originalakten des Religionsgesprächs; mit Abweichungen auch bei Förner, S. 28). 94 „Hæc vbi ab altera parte impetrauerimus, […] vnà cum illis, ad tentandam Conciliationem & concordiam progrediemur.“ (Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 26–30, hier S. 28). 95 Vgl. die Rede Heldings in Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 26–30, hier S. 28 f.; zur Erläuterung vgl. v. Bundschuh, S. 434–436.
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Helding hatte den Finger direkt in die offene Wunde der evangelischen Seite gelegt, indem er äußerst geschickt aus den Bestimmungen des Reichsabschieds die doppelte Forderung nach Verwerfung abweichender Lehrmeinungen und nach einem eindeutigen Bekenntnis zur CA ableitete. So gelang es ihm, seine Forderung, die dazu angetan war, die innerevangelischen Konfliktparteien gegeneinander aufzubringen, als motiviert durch die Sorge um die von Reichs wegen aufgetragene Verständigung darzustellen. Hier scheint bereits in den ersten Anfängen des Religionsgesprächs die später von römisch-katholischer Seite propagierte Argumentationsfigur auf, das Religionsgespräch sei daran gescheitert, daß die legitime Zugehörigkeit der Gegenseite zu den Augsburger Konfessionsverwandten in Zweifel gestanden habe. Für die gnesiolutherischen Deputierten mußte Heldings Forderung Wasser auf ihre Mühlen sein. Wie sie geargwöhnt hatten,96 war der römischkatholischen Seite vollkommen bewußt, welche Sprengkraft die innerevangelischen Divergenzen hatten. Zudem hatte Helding – das ist die eigentliche Pointe seines Vorstoßes – seiner doppelten Forderung eine solche Gestalt gegeben, daß sie sich weitgehend mit den eigenen Forderungen der gnesiolutherischen Deputierten nach klaren Bekenntnisaussagen und spezifizierten Verwerfungen der Irrlehren deckte: Was sie für unabdingbar hielten und wozu sie selbst bereit waren, wurde nunmehr von der römisch-katholischen Seite offiziell eingefordert. Heldings Vorstoß blieb nicht unerwidert. Laut Protokoll ließ Melanchthon am Ende der dritten Sitzung seinem vorläufigen Urteil über den ‚Index articulorum‘, der weitgehend mit dem Aufriß der CA übereinstimme, noch die Feststellung folgen, daß die evangelischen Deputierten alle an der CA festhielten, zumal sämtliche dem besagten Bekenntis widersprechenden Irrtümer und Schriften zurückgewiesen worden seien.97 Die Erwiderung Melanchthons vermochte jedoch die gnesiolutherischen Theologen keineswegs zufriedenzustellen. Denn es blieb wiederum bei einer generellen Verwerfung, was für Schnepf, Stössel, Mörlin und Sarcerius die Bekundung der Bindung an die CA entwertete. In den Augen der gnesiolutherischen Theologen war nunmehr, mit Heldings Vorstoß und Melanchthons ungenügender Erwiderung, der Fall der Not eingetreten und damit ihrem Verständnis nach das Moratorium 96 Schnepf hatte in den Vorverhandlungen am 5. September erklärt, es „würde gewisslich volgen, So wir also vnuerglichen vns mit dem Gegenteil, den Papisten einlassen wurden, Das sie vns solche vnsere misshelligkeit[,] zannck zwischen vns zu erwecken[,] furwerffen wurden.“ (Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 332, Nr. 45). 97 „Philippus inspecto Catalogo […] articulorum, dixit, ordinem non multum discrepare ab eo, qui in Augustana Confessione continetur, quam & omnes suos, amplecti asserebat, reiectis omnibus erroribus & scriptis, dictae Confessioni repugnantibus.“ (Protokoll der Sessio III. des Religionsgesprächs am 14. September 1557: Förner, S. 30).
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beendet. Bereits am nächsten Tag, dem 15. September, kam es – wie dem ‚Preußischen Bericht‘ zu entnehmen ist – dazu, daß Schnepf im Namen der gnesiolutherischen Deputierten morgens vor Beginn der Sitzung mit Nachdruck erklärte, die Verfälschungen und Irrtümer müßten ausdrücklich benannt und zurückgewiesen werden; von dieser Ansicht könne er nicht abgehen.98 Die Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘ mit ihrer Datumsangabe ermöglicht eine exakte Zuordnung der verstreuten Nachrichten99 über eine erneute, auf die Verwerfungen bezogene Konfrontation nach dem 11. September und vor Strigels Rückkehr aus Markgraf-Baden. Da die Quellen keine näheren Angaben zu Zeit, Ort und Anlaß der Konfrontation machen, sind die Nachrichten darüber bisher weder sachlich noch zeitlich richtig zugeordnet worden.100 Die korrekte Zuordnung ermöglicht es aber zum einen, die Brisanz von Heldings Vorstoß am 14. September richtig einzuschätzen.101 Zum anderen wird deutlich, wie konsequent die gnesiolutherischen Deputierten auf die Befristung des Moratoriums bis zum Fall der Not sahen, der ihrer Auffassung nach mit Heldings Vorstoß eingetreten war. Schriftlich vorbereitet hatten die gnesiolutherischen Deputierten eine Erklärung, mit der sie gegenüber dem Präsidenten und der römisch-katholischen Seite ihre spezifizierten Verwerfungen aussprechen wollten. Die kursächsischen Räte beschrieben die Erklärung als „eine Notel102/wie sie [scil. 98 „Die XV. [scil. 15. September] Antequam ad Colloquij locum progredimur, Sneppius cum suis repetit acerrime, expresse esse Corruptelas & Errores pugnantes nominandos & rejiciendos. ac testatur se non posse ab hac mente discedere.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 6v). 99 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. Dezember 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58r–59r; ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25v–26r; Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26rv. 100 Nur Fligge verzeichnet eine Konfrontation am 15. September vor Sitzungsbeginn, allerdings mit Berufung auf einen in Dessau überlieferten Brief Peucers an Milichius vom 17. September (vgl. Fligge, S. 409 mit S. 762, Anm. 286). Eine Verbindung mit der im Bericht der kursächsischen Räte vom 17. September erwähnten, Melanchthon ausgehändigten Protestschrift (erwähnt bei Fligge, S. 404) stellt Fligge aber nicht her. Heppe verzichtet ganz auf eine Zuordnung (vgl. Heppe I, S. 192), während Wolf und im Anschluß an ihn auch von Bundschuh eine Anspielung des Canisius auf die innerevangelischen Divergenzen in der fünften Sitzung des Religionsgesprächs am 16. September (vgl. v. Bundschuh, S. 444 bei Anm. 46) als das auslösende Moment für die Konfrontation betrachten (vgl. Wolf, S. 95 f.; v. Bundschuh, S. 453), zu welcher es demnach erst nach dieser Sitzung, mithin am 16. oder 17. September gekommen wäre. 101 Von Bundschuh meint, Canisius’ Forderung am 16. September sei schärfer gehalten gewesen als Heldings Anspielung vom 14. September; vgl. v. Bundschuh, S. 444, Anm. 46. Recht betrachtet steht Heldings Vorstoß aber der Forderung des Canisius an Schärfe nicht nach. 102 ‚Notel‘ ist eine Lehnbildung von lateinisch ‚notula‘ und bezeichnet allgemein eine schriftliche Aufzeichnung, allerdings häufig mit notarieller Konnotation (vgl. DWb Bd. 13,
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die gnesiolutherischen Deputierten] sich vor Jre person / kegen dem widertheil/vber des hern Philippi Responsion ercleren wolten / […] dorinnen sie die Adiaphoristen / vnd Doctor Maiorem etc. ausdrucklich Condemnierten“103. Das Ungenügen an Melanchthons Erwiderung auf Heldings Vorstoß war offensichtlich deutlich zum Ausdruck gebracht worden, denn die Formulierung „vber des hern Philippi Responsion“ dürfte so aufzufassen sein, daß die gnesiolutherischen Deputierten sich über Melanchthons Antwort hinaus erklären wollten. Bei der Antwort Melanchthons, über die hinaus die gnesiolutherischen Deputierten sich erklären wollten, ist zunächst einmal an dessen knappe Erwiderung auf Heldings Vorstoß vom Vortag zu denken. Ob auch schon die von Melanchthon konzipierte ausführliche Erwiderung auf Heldings Rede vom Vortag, die Georg Karg später am selben Tag in der vierten Sitzung des Religionsgesprächs vortragen sollte, im Blick war, läßt sich nicht feststellen. Sollten die gnesiolutherischen Deputierten Melanchthons Ausarbeitung aber vor der Konfrontation am Morgen des 15. September gekannt haben, so genügte auch sie ihnen nicht.
Hinsichtlich der Übergabe der ‚Notel‘ differieren der Bericht der kursächsischen Räte und die unter ihrer Federführung verfaßte ‚Gemeinsame Relation‘, während die anderen Quellen keine Angaben dazu machen. Klar ist aber, daß sie den Räten bekannt wurde. Am 17. September berichteten die kursächsischen Räte, die gnesiolutherischen Deputierten hätten die ‚Notel‘ „vns vnd den andern stenden […] vbergeben“104; in der ‚Gemeinsamen Relation‘ vom 1. Oktober hingegen heißt es, sie hätten „eine Notell, waser gestalt sie Jre confession vnd vielgedachte condemnation vor den Papisten thun wolten dem herrn Philippo zugestelt“105. Vielleicht wurde die ‚Notel‘ Melanchthon vorab zugestellt, was aber letztlich auch darauf gezielt hätte, die ‚Notel‘ durch ihn den übrigen evangelischen Deputierten zukommen zu lassen.
Lassen sich die genauen Umstände der Vorlage der ‚Notel‘ nicht ausmachen,106 so stimmen die Quellen aber darin überein, daß es zu einer Sp. 904 s. v. ‚Notel‘). Der Terminus eignet sich daher, um eine förmliche Erklärung, wie die gnesiolutherischen Deputierten sie im Rahmen des Religionsgesprächs abgeben wollten, zu bezeichnen. Die notariell konnotierte Bedeutung von ‚Notel‘ kommt der einer Protestation recht nahe, wie die am 15. September verhandelte Erklärung in Runges Bericht und im ‚Preußischen Bericht‘ bezeichnet wird. Die Erklärung ist aber nicht mit der am 11. September zugestandenen Protestation gleichzusetzen. 103 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58r. 104 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58r. 105 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25v. Auf die zitierte Angabe stützen sich die Darstellungen Heppes und Fligges (vgl. Heppe I, S. 192; Fligge, S. 404). 106 Sicher unzutreffend ist allerdings Wolfs Angabe, die ‚Notel‘ sei allein von Mörlin und Stössel übergeben worden (vgl. Wolf, S. 45), worauf von Bundschuhs Behauptung
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
heftigen Auseinandersetzung107 kam. Gegenstand der Auseinandersetzung war die Absicht der gnesiolutherischen Deputierten, ihre Erklärung als Protestation vor dem Präsidenten und der römisch-katholischen Seite abzugeben. Die äußerst alarmierten politischen Räte hielten ihnen durch die Kursachsen vor, so deren Bericht, daß ihr Vorhaben die Vereinbarungen des 11. September verletzen würde und mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Augsburger Konfessionsverwandten und das Religionsgespräch zu rechnen sei.108 Hier ist eindeutig eine Geltung des Moratoriums bis zum Abschluß des Religionsgesprächs vorausgesetzt. Die anderen Berichte teilen als weitere Argumente der politischen Räte mit, daß „solche dinge die Papisten nichts sonder vnsere Kirchen angiengen“109 und daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine allgemeine Bekundung der Übereinstimmung zwischen den Evangelischen ausreichend sei110. Nur mit Mühe und Not gelang es, die gnesiolutherischen Deputierten von der unverzüglichen Ausführung ihres Vorhabens abzuhalten. Die schließlich erreichte Übereinkunft sah vor, daß sie ihre für den Präsidenten und die römisch-katholische Seite bestimmte Protestation den Assessoren übergeben sollten.111 Im Gegenzug sollten ihnen die Assessoren ein Zeugnis ausstellen, „das sie allhie nicht geschwigen sondern irer Jnstruction getrewlich nachgesetzet“112. Durch ein solches Zeugnis gegen etwaige Vorhaltungen wegen ihres Stillhaltens geschützt, sollten die gnesiolutherischen Deputierten nach der Intention der politischen Räte gegenüber der römisch-katholischen Seite basiert, Mörlin und Stössel hätten die Erklärung konzipiert (vgl. v. Bundschuh, S. 453). Die kursächsischen Räte berichten in ihrem von Wolf als Beleg angegebenen Bericht vom 17. September (vgl. Wolf, S. 96, Anm. 1), „das D. Schneppius, Morlinus vnnd Magister Stösselius vor sich vnd Jm nahmen Magistri Victorinj, welcher dazumal nicht kegenwertig gewesen […] vns vnd den andern stenden eine Notel […] vbergeben“ hätten (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58r). Daß Sarcerius hier nicht erwähnt ist, dürfte im Zusammenhang seiner gesundheitlichen Probleme während des Wormser Religionsgesprächs zu sehen sein (vgl. dazu oben S. 386 bei Anm. 83 sowie bei v. Bundschuh, S. 531). 107 Dem ‚Preußischen Bericht‘ nach handelte es sich um einen nicht nur heftigen, sondern auch langen Streit: „longam et acerbam contentionem“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 6v). 108 Vgl. Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. Dezember 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58v. 109 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26r. 110 „Adsessores & Politici, indicant hoc tempore satis esse si fiat generalis professio de nostro consensu.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 6v). 111 Runge berichtet: „Vnd sie dahin bewegt, das sie gemelte Protestation solten bei vnsern Adsessoribus deponieren.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26r). Daß es sich um die zur Vorlage vor der römisch-katholischen Seite bestimmte Protestation handelte, geht sehr klar aus dem entsprechenden Passus des ‚Preußischen Berichts‘ hervor: „Post longam et acerbam contentionem, sic transigitur, vt Ienenses Protestationem suam quam coram Papistis decreuerunt edere, tradant nostris Adsessoribus“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 6v–7r). 112 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26rv; vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 7r.
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in dieser Angelegenheit künftig nichts verlauten lassen113. Auch wenn die gnesiolutherischen Deputierten selbst ihr Stillhalten noch unter eine entscheidende Bedingung stellten,114 war mit der Übereinkunft doch zunächst einmal ein neues Moratorium erreicht.115 In der neuen Übereinkunft sind Elemente aufgegriffen, die bereits am 11. September vereinbart oder besprochen worden waren, freilich in veränderter Form. Statt eine Protestation an die evangelischen Assessoren und politischen Räte zu richten, ist hier vorgesehen, die zur Vorlage vor der römisch-katholischen Seite bestimmte Protestation bei den evangelischen Assessoren zu deponieren. Das am 11. September angebotene Zeugnis ist nun fest zugesagt als Gegenleistung für den Verzicht auf die Vorlage der Protestation vor der römisch-katholischen Seite. Dennoch wäre auch dann die Protestation eigentlich zur Vorlage im Kontext des Reichsreligionsgesprächs bestimmt geblieben; sie wäre nur sistiert gewesen. Es ist fraglich, ob den politischen Räten bewußt war, was sie damit sanktionierten. Ohne es zu wollen – vielmehr wollten sie eine Protestation vor der römisch-katholischen Seite durch die Übereinkunft ja gerade verhindern –, nahmen sie mit der Übereinkunft doch grundsätzlich als gegeben hin, daß die gnesiolutherischen Deputierten vom Rechtsmittel der protestatio nicht mehr nur intern im Kreis der Augsburger Konfessionsverwandten Gebrauch machen wollten, sondern auf der reichsoffiziellen Ebene des Religionsgesprächs. Das aber würde praktisch bedeuten, daß sie den Vorbehalt gegen die Entscheidung der evangelischen Mehrheit beim Präsidenten als dem Vertreter von König und Reich respektive bei der römisch-katholischen Seite geltend machten und damit Augsburger Konfessionsverwandte gegen Augsburger Konfessionsverwandte zu stehen kämen. Diese Gefahr war mit der Übereinkunft nur scheinbar gebannt. Außerdem stimmten die gnesiolutherischen Deputierten der Übereinkunft nur unter der Bedingung zu, daß es ihnen, wenn die römisch-katholische Seite bei der Erörterung der Artikel wieder die Distanzierung von Irrlehren verlangen sollte, alsdann frei stünde, die von ihnen als er-
113 In Runges Darstellung ist das als Bedingung angefügt: „Allein diser dinge solte fur den Bepstischen nicht gedacht werden.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 26v). Der ‚Preußische Bericht‘ schildert Stillhalten und Annahme des Zeugnisses als den gnesiolutherischen Deputierten abverlangte doppelte Selbstverpflichtung: „[…] polliceantur se post hac quieturos, & testimonium rei act esse accepturos ab Adsessoribus.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 7r). 114 Vgl. dazu bei Anm. 116 f. 115 Die ‚Gemeinsame Relation‘ konstatiert als Ergebnis der Bemühungen um ein Nachgeben der gnesiolutherischen Deputierten, man habe „so viel bei ihnen ausgerichtet, das sie mit derselben notell innengehalten.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25v).
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forderlich betrachteten Verwerfungen auszusprechen.116 Der ‚Preußische Bericht‘ gibt dazu Schnepfs Einlassung wieder: „Schnepf sichert zu, daß sie ruhig sein würden, wenn nicht die Papisten namentlich drängen sollten. Dann nämlich könnten sie des Gewissens halber, der Befehle der Fürsten halber und wegen ihrer Gemeinden nicht schweigen.“117 Damit war eine Befristung des erneuerten Moratoriums sehr deutlich ausgesprochen und unmißverständlich präzisiert, worin der Fall der Not bestünde, in dem sich die gnesiolutherischen Deputierten an das Moratorium nicht mehr gebunden fühlten. Anders als am 11. September begriffen die politischen Räte nunmehr, daß die gnesiolutherischen Deputierten das Moratorium lediglich als ein befristetes ansahen und wann für sie der Fall der Not gegeben wäre. Die Räte versuchten daher, die aufgestellte Bedingung zurückzuweisen, hatten aber keinen Erfolg.118 Vielmehr mußten sie den Vorbehalt hinnehmen, um wenigstens das befristete Moratorium zu erhalten.119 Waren sie aber am 11. September noch davon ausgegangen, daß mit den getroffenen Vereinbarungen Einigkeit zwischen den evangelischen Deputierten hergestellt wäre,120 gaben sie sich nun keinen Illusionen mehr darüber hin, wie stabil das erreichte Stillhalteabkommen sei. Die kursächsischen Räte teilten ihrem Kurfürsten daher am 17. September mit: „Wiewol wir es […] an vnserem vleis nicht erwinden lassen wollen / das solchs [scil. die von den gnesiolutherischen Deputierten für den Fall der Not vorbehaltenen Schritte] abermals abgeschaft vnd vorhutet werde/So konnen wir es doch nicht gewisse sein /vnd müssen diese vorsorg tragen/das es one gantz ergerliche vnd be116 Die kursächsischen Räte berichteten darüber: „Hirauf [scil. auf die Vereinbarung hin] Schneppius vnd Mörlinus von Jrem furhaben abermals abgestanden. Jedoch mit dieser bedingung, das wan die Adversarij ferner Jn den Articulis von denen sachen disputiern vnd der Adiaphoren/Proposition Maioris/oder der Zwinglianer gedencken wurden/das sie alsdan nicht schweigen/sonder vf Jr ebentewer die dogmata vnd personen condemnieren wolten […]“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58v; vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 25v–26r). 117 „Sneppius promittet se quieturos, nisi Papist nominatim flagitent. Tum enim per Conscientiam per Mandata Principum. & propter suas Ecclesias tacere non posse.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 7r). 118 Die kursächsischen Räte berichteten, sie hätten die gnesiolutherischen Deputierten „nochmals gebeten, […] das sie ir pillich betrachten vnd den gemeinen nutz Jren privatis odijs vnd adfectibus vorzihen solten/Sie seint aber vf Jrer meynung bestanden“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 58v–59r). 119 Die ‚Gemeinsame Relation‘ teilt kaschierend mit, man habe das gnesiolutherische Begehren „in seinen ort gestellet, damit allein im eingang des Colloquij keine widerwertigkeit zwischen vns gespüret würde“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 26r). 120 Vgl. oben S. 376 bei Anm. 40.
5.1 Ringen um ein Moratorium
395
schwerliche dissension /wan es zu denselbigen Articulis kompt zwischen Jnenen [sic!] vnd den vnsern nicht abgehen wirt.“121
Darüber hinaus ließen sie den Kurfürsten wissen, daß es ihres Erachtens besser wäre, wenn sich das Religionsgespräch auflöste, bevor es zu solcher Uneinigkeit käme, und baten den Kurfürsten um Bescheid, wie sie „zuuorhütung der besorgten spaltunge“ verfahren sollten.122 Die Bitte der Räte sollte den Kurfürsten jedoch erst nahezu einen Monat später am 13. Oktober auf seiner Rückreise von Kopenhagen in der jütländischen Hafenstadt Kolding erreichen.123 Nochmals fast ein Monat verging, bis der erbetene Bescheid schließlich am 10. November die kursächsischen Deputierten erreichte – als Kopie auf dem Umweg über die kursächsische Kanzlei in Dresden, weil das nach Worms gesandte Original auf der Post verloren gegangen war.124 Über die ursprüngliche Anfrage der kursächsischen Räte war die Entwicklung in Worms längst hinweggegangen; ihre Sorge hatte sich als berechtigt erwiesen. Am 15. September aber ging in Worms nach der morgendlichen Erneuerung und Präzisierung des Moratoriums zunächst einmal der Sitzungsbetrieb des Religionsgesprächs weiter. Die vierte Sitzung hatte zwei Schwerpunkte: Zum einen trug Georg Karg die Erwiderung der evangelischen Seite auf Heldings Rede vom Vortag vor, zum anderen wurde mit einer weiteren Rede Heldings die materiale Erörterung der kontroversen Artikel eröffnet, wobei Helding seinen knappen, auf das Tridentinum gestützten Ausführungen zum ersten Artikel „De peccato originis“ eine ausführliche Grundsatzerklärung über Schrift und Tradition als Normen der theologischen Urteilsfindung vorausschickte.125 Von besonderem Interesse für die hier verfolgten Zusammenhänge ist, wie Karg im Namen der evangelischen Deputierten auf Heldings Forderung nach klaren Bekenntnisaussagen und eindeutigen Distanzierungen von den Irrlehren replizierte. Gemäß der Aufschlüsselung von Heldings Rede, die 121 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 59r. 122 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r–59r, hier fol. 59r. 123 Vgl. den auf „Collingen 13. Oktober“ lautenden Präsentatum-Vermerk auf dem Schreiben der kursächsischen politischen Räte an Kurfürst August vom 17. September 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 56r. Daß August sich beim Erhalt des Briefes auf der Rückreise befand, ergibt sich aus seinem Antwortschreiben (vgl. Kfst. August an die Räte in Worms, Kolding 15. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 109r–111v, hier fol. 109r). 124 Vgl. die diesbezüglichen Mitteilungen im Schreiben von Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 12. November 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 199r–201r, hier fol. 199r. 125 Zur vierten Sitzung des Religionsgesprächs am 15. September vgl. v. Bundschuh, S. 438–442.451 f.; Heppe I, S. 183–187.
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der von Melanchthon ausgearbeiteten evangelischen Erwiderung zugrunde lag, handelte es sich um den dritten Punkt der Heldingschen Einlassungen.126 Karg resümierte ihn daher mit den Worten: „An dritter Stelle werden uns unsere Meinungsverschiedenheiten vorgehalten.“127 Zur Entgegnung berief er sich darauf, daß man auf den Einwand bereits zuvor eingegangen sei, und wiederholte in enger sprachlicher Anlehnung an Melanchthons Rede in der Eröffnungssitzung, was jener zum Festhalten an der CA von 1530 und in Form einer generellen Zurückweisung über die der CA widersprechenden Meinungen erklärt hatte.128 Anschließend ging Karg allerdings über die Wiederholung der generellen Zurückweisung hinaus. Zunächst räumte er unter Verweis auf die große Schwäche der menschlichen Natur ein, daß sich zuweilen Verwirrungen ereigneten, und das selbst bei Rechtgläubigen, welche jedoch heilbar seien.129 Solchen verwirrten, aber heilbaren Rechtgläubigen stellte er sodann diejenigen gegenüber, „die außerhalb unserer Kirchen sind“: „Von diesen aber, die außerhalb unserer Kirchen sind, ist offenbar, daß jene überaus schwärmerischen Menschen: Servet, Thamer, die Wiedertäufer, Stenckfeld130, die Entheiliger der Sakramente, die Verderber der Lehre von der Rechtfertigung und viele Betrüger von uns beständig zurückgewiesen worden sind und daß die Jugend durch die beste Unterweisung geschützt worden ist, damit sie jene Tollheiten beurteilen könne und verwünsche.“131
Melanchthon hatte hier einen Weg gefunden, einerseits zu einigen namentlichen Nennungen zu kommen, andererseits aber keine direkten Verwerfungen auszusprechen. So vermied er die Termini ‚damnare‘ und ‚condemnare‘ und benutzte stattdessen das bedeutungsoffenere ‚refutare‘. Das ‚refutare‘ 126 Vgl. Rede Kargs in Sessio IV. des Religionsgesprächs am 15. September 1557: Förner, S. 31. 127 „Tertio loco, nobis obijciuntur nostrae dissensiones.“ (Rede Kargs in Sessio IV. des Religionsgesprächs am 15. September 1557: Förner, S. 32). 128 „Ad hanc obiectionem, antea respondimus. Nos omnes in nostris Ecclesijs pio & firmo consensu, amplecti Confessionem exhibitam Carolo Imperatori, in conuentu Augustano, Anno 1530. ab ea confessione nec discessimus, nec discessuri sumus: At reijcimus opiniones, cum ea pugnantes, nec de fundamento, inter nos, in nostris Ecclesijs dissensio est.“ (Rede Kargs in Sessio IV. des Religionsgesprächs am 15. September 1557: Förner, S. 32 f.). 129 „Etsi, vt semper magna infirmitas est, humanæ naturæ, interdum errata aliqua accidunt, etiam piorum, qui tamen sunt sanabiles.“ (Rede Kargs in Sessio IV. des Religionsgesprächs am 15. September 1557: Förner, S. 33). 130 Gebräuchliche Verballhornung des Namens Caspar Schwenckfelds. 131 „De his verò, qui sunt extra nostras Ecclesias, manifestum est, illos fanaticos homines plurimos, Seruetum, Thamerum, Anabaptistas, Stenckfeldium/prophanatores Sacramentorum, deprauatores doctrinæ de Iustificatione, & multos Præstigiatores à nobis constanter refutatos esse, & præmunitam esse iuuentutem, optima doctrina, vt illos furores iudicare possit, & execretur.“ (Rede Kargs in Sessio IV. des Religionsgesprächs am 15. September 1557: Förner, S. 33).
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aber wurde nicht direkt vollzogen, so daß etwa ausgesagt worden wäre: ‚refutamus N. N.‘. Vielmehr wurde nur indirekt und retrospektiv auf die bereits erfolgte Refutation der namentlich angeführten Irrlehrer zurückverwiesen. Auch die Namensnennung wurde so in der Schwebe gelassen, daß keinem Anwesenden damit zu nahe getreten würde. Denn die Abgrenzung gegenüber Servet, Thamer, den Täufern und Schwenckfeld war protestantisches Allgemeingut; ihre Namen konnte Melanchthon unbesorgt anführen. Darüberhinaus aber wählte er mit „prophanatores Sacramentorum“ und „deprauatores doctrinae de Iustificatione“ bedeutungsoffene Umschreibungen, unter welchen wer wollte – wie die gnesiolutherischen Deputierten und die römisch-katholische Seite –, einerseits Zwingli und Calvin, andererseits Osiander und Major, vielleicht sogar die Adiaphoristen verstehen konnte. Wer das hingegen ablehnte – wie insbesondere Brenz und Andreae im Blick auf Osiander als ‚depravator doctrinae de Iustificatione‘ –, dem blieb es möglich, die jeweils protegierten Personen nicht von der Abgrenzung getroffen zu sehen. Eingezeichnet waren die indirekten, retrospektiven Abgrenzungen zudem in eine Grundunterscheidung, welche „nos omnes, in nostris Ecclesijs“, zwischen denen Konsens bestehe und bei denen es allenfalls heilbar Verwirrte gebe, von den Schwärmern „extra nostras ecclesias“ abgrenzte. Essentielle Gegensätze zwischen den evangelischen Deputierten in Worms wurden damit negiert; den bekenntnismäßigen Konsens beschädigende Irrlehren hingegen wurden von vornherein außerhalb des Kreises der Augsburger Konfessionsverwandten lokalisiert. Melanchthon war bei der Konzeption der von Karg vorgetragenen Erwiderung auf Heldings Vorstoß mit der Spezifizierung von Irrlehren im reformatorischen Lager weiter gegangen als in seiner Rede in der Eröffnungssitzung. Dennoch konnten seine Ausführungen die gnesiolutherischen Deputierten nicht zufriedenstellen, verlangten sie doch den direkten, expliziten Vollzug spezifizierter Verwerfungen und drangen über die nicht strittigen Verwerfungen Servets, Thamers, der Täufer und Schwenckfelds hinaus insbesondere auf spezifizierte Verwerfungen Osianders, Maiors, der Sakramentierer und der Adiaphoristen. Außerdem sahen sie den Konsens zwischen den in Worms vertretenen Augsburger Konfessionsverwandten keineswegs als gegeben an, sondern hielten es für notwendig, daß er durch gemeinsame positive Bekenntnisaussagen und die gemeinsamen Verwerfungen allererst wiederhergestellt werde. Im Rahmen des erneuerten und präzisierten Moratoriums mußten sie es allerdings zunächst einmal ohne öffentlichen Protest bei dem von Karg Vorgetragenen bewenden lassen. Indirekt bestätigt wird die vorgetragene Einschätzung dadurch, daß auch die römisch-katholische Seite mit Kargs Ausführungen keineswegs zufriedengestellt war. Vielmehr insistierte Canisius in der nächsten Sitzung
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am folgenden Tag132 in seiner Entgegnung darauf, daß es in den Kirchen Augsburgischer Konfession Lehrgegensätze in wichtigsten Artikeln gebe. Damit begründete er die erneute Forderung nach klaren und deutlichen Verwerfungen, die er stark verklausuliert vortrug als Bitte, eine gemeinsame Verwerfung all dessen nicht zu verweigern, worin die Evangelischen nicht von der römisch-katholischen Seite abwichen und was dennoch der allgemeinen Wahrheit widerspreche133 – will sagen: die Evangelischen sollen gemeinsam mit den römisch-katholischen Deputierten das verwerfen, was der Wahrheit widerspricht, aber nicht die Auseinandersetzung mit der römisch-katholischen Seite betrifft, ergo die Abweichungen innerhalb des reformatorischen Spektrums. Eigentlich hätten die gnesiolutherischen Deputierten die als Bitte vorgetragene Forderung zum Anlaß nehmen können, das neue Moratorium für beendet zu erklären, denn es war ja ausdrücklich befristet bis zu einem neuerlichen Drängen der römisch-katholischen Seite auf Verwerfungen. Daß sie das nicht taten,134 dürfte weniger Canisius’ Verklausulierung geschuldet sein als vielmehr dem Umstand, daß bald nach der fünften Sitzung Strigel mit der ‚Badener Instruktion‘ nach Worms zurückkehrte.
5.1.5 Bestätigung und Modifikation des Moratoriums durch die ‚Badener Instruktion‘ Das am 11. September vereinbarte Moratorium hatte für die gnesiolutherischen Deputierten unter dem Vorbehalt gestanden, daß der sächsische Herzog es bewilligen müsse. Die politischen Räte hatten den Vorbehalt faktisch anerkannt, indem sie sich damit einverstanden erklärten, daß Strigel den Herzog in Markgraf-Baden aufsuchte.
132 Zur fünften Sitzung des Religionsgespräch am 16. September vgl. v. Bundschuh, S. 443–451.452; Heppe I, S. 187–189. 133 „Tantum hoc vnum adijcimus, quod ad dictam, puræ Confessionis Augustanæ attinet doctrinam, nos etiam petere, sicut & antea petiuimus; Quia doctrina, in Ecclesijs, quæ Confessionem hanc profitentur, admodum variat, atque interim etiam pugnat, in grauissimis articulis, vt ijdem omnia, in quibus ipsr [sic! – vermutlich Verschreibung für ‚ipsi‘] à nobis non dissentiunt, & tamen contraria sunt Catholicæ veritati, quam nos defendimus, nobiscum etiam, disertè & perspicue damnare, minimè grauentur […].“ (Canisius’ Rede in Sessio III. des Religionsgesprächs des Religionsgesprächs am 16. September 1557: Förner, S. 39–42, hier S. 40). 134 Zur unzutreffenden Zurückführung der Auseinandersetzung um die gnesiolutherische ‚Notel‘ auf Canisius’ Rede vom 16. September bei Wolf und von Bundschuh vgl. oben S. 390 in Anm. 100.
5.1 Ringen um ein Moratorium
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Strigel scheint gleich am folgenden Tag aufgebrochen zu sein,135 ein kurzes Schreiben Schnepfs und Stössels an den Herzog im Gepäck136. Einer unsicheren Quelle nach soll er am 13. September in Markgraf-Baden eingetroffen sein,137 was in Anbetracht der Entfernung von ca. 100 Kilometern durchaus als möglich erscheint. Es stimmt damit überein, daß Strigels schriftliche Fassung seines Berichts vor dem Herzog vom 14. September datiert.138
Strigel erstattete zunächst mündlich139 Bericht über die Entwicklung in Worms nach Monners Abreise, beginnend mit den Verhandlungen unter pfälzischem Vorsitz am 9. September, bei denen sowohl seine eigene schriftliche Fassung des Berichts als auch dessen Wiedergabe durch Aurifaber einsetzen.140 Aurifabers Wiedergabe dürfte wegen ihrer gelegentlichen Abweichungen von Strigels schriftlichem Bericht auf dessen mündlicher Fassung basieren, weshalb zu vermuten steht, daß Aurifaber bei Strigels mündlicher Berichterstattung anwesend war. Die Bezugnahme auf Monners Abreise im Eingang der ‚Badener Instruktion‘141 könnte zudem ein Anzeichen dafür sein, daß auch Monner hinzugezogen wurde, jedoch fehlen dafür weitere Belege, was allerdings durch Monners Gefährdung bedingt sein könnte142. Schon die Tatsache, daß Strigel seinen mündlich vorgetragenen Bericht auch noch niederschreiben mußte, zeigt an, daß der Herzog und seine Umgebung sich nicht leicht damit taten, zu Direktiven für die neue Situation zu kommen. Auch von Strigels Niederschrift seines Berichts am 14. September bis zur Fertigstellung der herzoglichen Instruktion verging noch einmal ein Tag, und Aurifaber berichtete schließlich, Strigel sei „bis auf den 3ten Tag
135 Heppe gibt irrtümlich an, Strigel sei bereits vor dem 5. September nach MarkgrafBaden gereist (vgl. Heppe I, S. 194; bereits richtiggestellt von Wolf, S. 94, Anm. 2). 136 Schnepf und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 12. September 1557: Wolf, S. 338, Nr. 47 (Regest). 137 Ein undatierter anonymer Bericht an einen unbekannten Empfänger aus herzoglichsächsischem Kontext teilt mit, Strigel sei „am Mondtag nach Mari Geburt [i. e. 13. September] auch gen Baden kommen von Worms.“ (N. N. an N. N. , o. O. o. D.: CR 9, Sp. 274, Nr. 6342). 138 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 346, Nr. 48. 139 Auf der Rückseite des Originals von Strigels Bericht vom 14. September ist vermerkt: „Der Theologen zu Wormbs schriftlicher Bericht durch Magister Victorinum Strigeln erstlich mundlich referiret […]“ (ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 175v). 140 Vgl. Strigels Bericht vom 14. September 1557: Wolf, S. 338–341, Nr. 48; Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 307 f., Nr. 6360. 141 Die ‚Badener Instruktion‘ beginnt mit der Feststellung: „Wir haben angehoret, Was sich zwuschenn vnsern […] abgesandten vnd der andern Augsburgischer Confessionsverwandter Theologen vnd deren Auditorn vnd adjuncten der ausgegossenen Secten vnd Corruptelenn und derselbigen Condemnation halben die vergangene tage nach abreissen vnsers Rats Doctor Basilien Monners zugetragen […].“ (‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 347 f., Nr. 49). 142 Vgl. dazu oben S. 329 f. im Abschnitt 4.3.2 bei Anm. 269.
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alhier aufgehalten worden“143, was sich auf den 16. September beziehen dürfte144 – alles Anzeichen schwieriger Beratungen. Die Schwierigkeit bestand darin, daß sich die ernestinischen Deputierten im Gegensatz zu den Grundsätzen sowohl der ‚Weimarer Instruktion‘ Herzog Johann Friedrichs als auch ihres eigenen Verwerfungsgutachtens vom 29. August zur Teilnahme am Religionsgespräch entschlossen hatten, wenn auch nur unter Vorbehalt. Die fortdauernde Gültigkeit der ‚Weimarer Instruktion‘ aber wurde in der ‚Badener Instruktion‘ unter Verweis auf das Verwerfungsgutachten ausdrücklich festgehalten: Der Herzog erklärte, er könne „aus denen Vrsachen, so vnns vndter dem Dato zu Wormbs den neun vnd zwantzigistenn des vergangenenn Monats Augusti durch gemelte vnsere Theologen aus gottlicher Phrophetischer [sic!] heiliger Schrifft angezeiget, Von derselbigen vnnser Instruction [scil. der ‚Weimarer Instruktion‘ vom 27. Juli], wir werden den eines andernn aus berurter gottlicher heiliger Schrifft berichtett, nicht abstehenn.“145
Die sachliche Notwendigkeit des in der Instruktion Geforderten war somit nach Auffassung des Herzogs durch das Verwerfungsgutachten als in der Schrift begründet erwiesen worden; daran festzuhalten war eine Pflicht des in Gottes Wort gebundenen Gewissens, von der nur höher zu gewichtende Schriftgründe entbinden könnten. Vollkommen im Einklang damit erklärte der Herzog, er hätte „nichts libers gewold, den das die Ding bey vnser Theologen vnd Pollitischen Radt Rattschlage, auch vnser Instruction […] hett mugen erhaltten werden“146. Daher konnte der Entschluß der ernestinischen Deputierten zur Teilnahme am Religionsgespräch nur gebilligt werden, wenn sich zeigen ließ, daß die Gegebenheiten in Worms andere waren, als in der ‚Weimarer Instruktion‘ vorausgesetzt, und daß die Teilnahme am Religionsgespräch so gestaltet würde, daß sie nicht gegen die ‚Weimarer Instruktion‘ verstieße. Den Nachweis dafür zu führen, bemühte sich Strigel in seinem mündlichen und seinem schriftlichen Bericht, in welchen er der Argumentation der politischen Räte und den erlangten Zugeständnissen viel Raum gab. In der Rekapitulation der Gründe für den Teilnahmeentschluß durch die ‚Badener Instruktion‘ werden hervorgehoben die zugesagte Synode, das Zugeständnis, daß den gnesiolutherischen Deputierten ihre vorherigen Verwerfungen unbenommen bleiben und die Sekten im Religionsgesprächt nicht verteidigt werden sollten, das Angebot zu Beratungen über die Irrlehren während des 143 Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360. 144 Den vermutlichen Anreisetag nicht mitgerechnet war Strigels erster Tag in Markgraf-Baden der 14. September. 145 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 348, Nr. 49. 146 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 349, Nr. 49.
5.1 Ringen um ein Moratorium
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Religionsgesprächs, die eingeräumte Protestation, der Status als Deputierte von Reichs wegen und die im Reichsabschied festgeschriebene Unverbindlichkeit des Religionsgesprächs.147 Trotz schwerwiegender Bedenken billigte der sächsische Herzog in der ‚Badener Instruktion‘ schließlich die Teilnahme der ernestinischen Deputierten am Religionsgespräch: „Dieweill wir […] bedencken […], das sie mitt gutem gewissenn vff obangezeigete Protestation dem Colloquio beywhonen konnen, so wollen wir es in dem Nhamen Gottes auch dhun. Vnd wollen demnach, das sie von solchem Colloquio nicht abtziehen […].“148 Dabei kam der Protestation eine besondere Bedeutung zu. Nach Auffassung des Herzogs und seiner Umgebung war sie nunmehr die conditio sine qua non einer Teilnahme am Religionsgespräch und garantierte erst die Vereinbarkeit der Teilnahme mit dem Gewissen: Die Billigung erfolgte nur „mit disser aussdrugklichen Condicion, das In allerwege vnsere Theologen und Pollitisch Rett neben Doctor Morlin vnd Sarcerio, do sie darbey sein wollen, alsbald beide vor den Augsburgischen Confessionsverwandten, desgleichen gegen den Presidenten, Collocutorn, Auditorn vnd den andern verordentten Personen ein satte genugsame Clare ausdruckliche Protestation thun, welche nach gehaltenem Colloquio in Druck gegeben werden solle.“149
Inhalt der Protestation sollte sein, daß der sächsische Herzog mit der Teilnahme seiner Deputierten am Religionsgespräch keineswegs die namentlich aufzuführenden Sekten und Lehrverfälschungen anerkannt habe, sondern sie weiterhin für verdammt halte.150 Das war nun allerdings eine vollkommen andere Protestation, als die politischen Räte sie zugestanden zu haben meinten. Nicht Rechenschaft über die Bemühungen der ernestinischen Deputierten um die Durchsetzung ihrer Instruktion sollte mit der Protestation abgelegt werden. Vielmehr sollte sie als Protestation im emphatischen Sinne des Rechtsmittels der protestatio rechtsverbindlich die Auffassung des Herzogtums Sachsen über die verworfenen Irrlehren zum Ausdruck bringen. Hatten die gnesiolutherischen Deputierten die von ihnen erfolgreich geforderte Protestation wahrscheinlich selbst bereits im emphatischen Sinne aufgefaßt, so verschärfte der Herzog das Instrument der Protestation in der ‚Badener Instruktion‘ nochmals, indem er von vornherein anordnete, daß die Protestation nicht nur vor den Augsburger Konfessionsverwandten, sondern auch vor dem Präsidenten und der römisch-katholischen Seite eingelegt und nach dem Religionsgespräch veröffentlicht werden sollte. 147
Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 348 f., Nr. 49. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 349 f., Nr. 49. 149 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49. 150 Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49. 148
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Allerdings räumte er seinen Deputierten am Ende der Instruktion noch einen Ermessensspielraum ein, ob die Protestation gegenüber der römischkatholischen Seite während des Religionsgesprächs zurückgehalten werden solle, um eine Zerschlagung des Gesprächs zu vermeiden; darüber sollten die Deputierten sich miteinander beraten.151 Die Protestation sollte nach ihrer Aufsetzung durch die Deputierten dem Herzog vorgelegt werden, es sei denn, daß sie unverzüglich eingelegt werden müßte.152 Weiter ordnete der Herzog an, daß die ernestinischen Deputierten im Religionsgespräch bei der Behandlung von Artikeln, die Irrlehren beträfen, offiziell ihre Verwerfungen der betreffenden Irrlehren bekunden sollten.153 Schließlich wurde den Deputierten noch eingeschärft, auf die zugesagte Synode und die Beratungen über die Irrlehren während des Religionsgesprächs hinzuwirken.154 Als Maxime für die Teilnahme der Deputierten formulierte die ‚Badener Instruktion‘: Die Deputierten sollten „sich in solchem Colloquio also ertzeigen vnd haltten, das sie in alle wege vnwanckelbar bey der Augsburgischen Confession, Apologiam und Schmalkaldischen Articuln bleiben […] Und dem allen in dem wenigsten Ichtes zugegen nicht nachgeben, sundern dieselbigen mit Gottes wort, heiligen Prophetischen Apostolischen schrifften defendiren vnd erhalten vnd hinwieder alle Secten vnd Irrthumer verdammen vnd verwerffen.“155
Diese Bestimmung der ‚Badener Instruktion‘ war sehr eng angelehnt an die ‚Weimarer Instruktion‘. Es ist allerdings der Unterschied zu beachten, daß in der ‚Weimarer Instruktion‘ die Verwerfungen der Sekten und Irrtümer direkt angeordnet und von den übrigen Deputierten eingefordert wurden, während es hier nun heißt, die eigenen Deputierten sollten zu erkennen geben – „sich also ertzeigen vnd haltten“ –, daß sie die Sekten und Irrtümer verdammen und verwerfen. Dennoch stellt sich die Frage, worin sich die ‚Badener Instruktion‘ von der ‚Weimarer Instruktion‘ unterscheidet. Außerdem ist zu klären, wie sich die Anordnungen der ‚Badener Instruktion‘ zu den Vereinbarungen des 11. September zwischen den politischen Räten und den gnesiolutherischen Deputierten verhalten. Für die Bestimmung des Unterschiedes zwischen ‚Weimarer‘ und ‚Badener Instruktion‘ ist eine Mitteilung Johannes Aurifabers über den Markgraf-Badener Beratungsprozeß aufschlußreich. Aurifaber berichtet, daß während Strigels Anwesenheit in MarkgrafBaden das Gutachten der Weimarer Synode vom 6. September und das 151
Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 351 f., Nr. 49. Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 351, Nr. 49. 153 Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49. 154 Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 351, Nr. 49. 155 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350 f., Nr. 49. ‚Ichtes‘ bedeutet ‚irgendein Ding‘ (vgl. DWb Bd. 10, Sp. 2035 s. v. ‚ichtes‘). 152
5.1 Ringen um ein Moratorium
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Gutachten der Weimarer Hofräte eingetroffen seien, und erklärt weiter, daß die Gutachten mit den in Markgraf-Baden angestellten Überlegungen nicht übereingestimmt hätten.156 Die Weimarer Gutachten plädierten für ein kompromißloses Festhalten an den Vorgaben der ‚Weimarer Instruktion‘ respektive sogar für deren Verschärfung.157 Ohne spezifizierte Verwerfungen keine Beteiligung am Religionsgespräch gemeinsam mit den übrigen evangelischen Deputierten, sondern lieber Abzug unter Protest – das war im Anschluß an die ‚Weimarer Instruktion‘ ihre Devise, mit Ausnahme des Sondervotums von Franz Burchard. In der ‚Badener Instruktion‘ ist im Unterschied zum Gutachten der Weimarer Synode von Abzug nur in verneinter Form die Rede, wenn der Herzog seinen Willen bekundet, „das sie [scil. die ernestinischen Deputierten] von solchem Colloquio nicht abtziehen“158. Die Teilnahme am Religionsgespräch wird genehmigt, obwohl es nicht zum gemeinsamen Vollzug der spezifizierten Verwerfungen durch alle evangelischen Deputierten gekommen ist. Die Auflösung des Junktims zwischen den gemeinsam zu vollziehenden spezifizierten Verwerfungen und der Teilnahme am Religionsgespräch ist der entscheidende Unterschied zur ‚Weimarer Instruktion‘. An der Notwendigkeit der spezifizierten Verwerfungen wird indes nach wie vor festgehalten. Nur wird ihre Durchsetzung bei den anderen Ständen aufgeschoben bis zu einer Synode nach dem Religionsgespräch, auch wenn dafür bereits so viel wie möglich an Vorbereitung während des Religionsgesprächs geschehen soll. Der ernestinische Standpunkt soll unterdessen durch förmliche Protestationen gewahrt werden, einerseits bei der Behandlung der einzelnen Artikel, andererseits durch eine Gesamtprotestation vor den Augsburger Konfessionsverwandten, vor der römisch-katholischen Seite und nach Abschluß des Religionsgesprächs in gedruckter Form vor der Öffentlichkeit. Die ‚Badener Instruktion‘ bestätigt einerseits das in Worms zwischen gnesiolutherischen Deputierten und politischen Räten am 11. September vereinbarte Moratorium hinsichtlich der Verwerfungsforderungen. Anders als am 11. September ist das Moratorium nun sogar auch nach ernestinischgnesiolutherischem Verständnis nicht mehr bis zum Fall der Not befristet, sondern der Abschluß des Religionsgesprächs ist der neue Horizont. Die Konzession eines Stillhaltens bis zum Abschluß des Religionsgesprächs ist jedoch darin begründet, daß die ‚Badener Instruktion‘ andererseits das am 11. September vereinbarte Moratorium entscheidend modifiziert, indem 156 Aurifaber ließ seinen unbekannten Briefpartner wissen, daß „der Theologen in D ringen und der politischen R the Bedenken auch einkommen ist, das auch mit vnsern Bedenken alhier nicht bereingestimmet“ (Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360). 157 Zu den Weimarer Gutachten vgl. oben Abschnitt 3.4.3. 158 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
sie, wie gezeigt, die Protestation emphatisch im Sinne des Rechtsmittels der protestatio versteht. Außerdem soll die Protestation nunmehr nicht nur in einem wie auch immer definierten Fall der Not eingelegt werden, sondern unabhängig von der Entwicklung in Worms in jedem Fall „alsbald“159 vorgebracht werden: ohne Protestation keine Teilnahme am Religionsgespräch. Strigel kehrte am 17. oder 18. September nach Worms zurück,160 wie sich daraus ergibt, daß Schnepf und Stössel am 18. September dem Herzog schriftlich für die ‚Badener Instruktion‘ dankten und sich erleichtert zeigten, von Strigel bei seiner Rückkehr vernommen zu haben, daß der Herzog ihren Entschluß zur Teilnahme am Religionsgespräch nicht ungnädig aufgenommen habe161. Auf die ‚Badener Instruktion‘ hin gingen die gnesiolutherischen Deputierten nun allererst daran, ihre ‚Große Protestationsschrift‘ aufzusetzen.162 Den ihnen eingeräumten Ermessensspielraum nutzend, trafen sie dabei die Entscheidung, die angeordnete Protestation allein an die Augsburger Konfessionsverwandten zu richten, sie der römisch-katholischen Seite gegenüber aber bis zum Abschluß des Religionsgesprächs zurückzuhalten. Das geht zum einen aus der ‚Großen Protestationsschrift‘ selbst hervor, die mit der Anrede „Wolgeborne, edle Grafen, gestrenge, ehrenfeste, ehrwürdige, hoch- und wolgelehrte, gnädige, besondre günstige Herrn assessores, auditores und theologi sammt andern unseres Teils Verordneten dieses colloquii.“163 eindeutig allein an die evangelischen Deputierten gerichtet ist. Zum anderen bietet der Bericht der ernestinischen Theologen vom 25. September eine Bestätigung dafür, insofern Schnepf, Strigel und Stössel dort ausführen, sie hätten „dieselbige protestation den Assessorn, Auditorn vnd Theologen vnsers theils offeriret Mit vndertheniger bitt, Sie wolten dieselbigen [sic!] annehmen, bey sich verwaren, dann sie nit sollte an tag komen, So lang dis Colloquium wehrete“164. Auch die beabsichtigte Vervielfältigung und Beurkundung durch die evangelischen Notare wird mit der Geheimhaltung der Protestation begründet.165 159 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49; im Zusammenhang zitiert oben S. 401 bei Anm. 149. 160 Wie Fligge auf den 19. September als Datum der Rückkehr Strigels kommt (vgl. Fligge, S. 410), ist nicht nachzuvollziehen. 161 Vgl. Schnepf und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 18. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 192r, erwähnt bei Wolf, S. 352, Anm. 1. 162 Die ernestinischen Theologen berichteten Herzog Johann Friedrich darüber am 25. September 1557: „Auf E. F. G. beuehl [scil. die ‚Badener Instruktion‘] haben wir alsbald ein Protestation gestellet […].“ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50). 163 ‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September 1557: Heppe I, Anhang S. 12, Nr. VI = CR 9, Sp. 284, Nr. 6350; Hervorhebung B. S. 164 Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50; Hervorhebung B. S. 165 „Vnd damit solche Protestatio dester geheimer mochte pleiben, Begerten wir, Sie wolten vnns vnsere Notarios darzu leyen vnnd vermögen, Das sie, die Notarien, vmb Ihre geburliche belohnung drey Instrumenta solcher protestation zurichten vnd wie sich
5.1 Ringen um ein Moratorium
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Im Sinne der Entscheidung, die Protestation allein an die Augsburger Konfessionsverwandten zu richten, stellte Strigel auch den übrigen evangelischen Deputierten das Ergebnis seiner Mission nach Markgraf-Baden dar. Denn der ‚Gemeinsamen Relation‘ zufolge entnahmen die übrigen Deputierten aus Strigels Mitteilungen nicht nur, daß der sächsische Herzog die Teilnahme der ernestinischen Deputierten am Religionsgespräch gebilligt habe, sondern auch, daß er befohlen habe, die Protestation „ad partem“ zu überreichen und zu deren Geheimhaltung die Vorlage der Protestation „durch niemants anders dan von vnsers tails Notarien“ bestätigen zu lassen.166 Den politischen Räten und den Theologen, die sich nicht zur gnesiolutherischen Gruppe hielten, mußte das sehr willkommen sein, nachdem sie sich am 15. September noch mit der Absicht der gnesiolutherischen Deputierten konfrontiert gesehen hatten, eine Protestation beim Präsidenten und der römisch-katholischen Seite einzulegen. So wurde die Annahme der Protestation in der von Strigel dargestellten Form bewilligt.167 Damit schien nun wirklich ein Moratorium bis zum Abschluß des Religionsgesprächs erreicht zu sein. Und offensichtlich hatten die gnesiolutherischen Deputierten tatsächlich die Absicht, die ‚Große Protestationsschrift‘ bis dahin zurückzuhalten. Nur sollte sich zeigen, daß sie sich davon unberührt weiter vorbehielten, gegebenenfalls vor der römisch-katholischen Seite die für erforderlich gehaltenen Verwerfungen auszusprechen, wie Schnepf es am 15. September angekündigt hatte und wie es ihnen für die Erörterung der Artikel widerwillig zugestanden worden war168. Die gnesiolutherischen Deputierten gingen anscheinend davon aus, daß die Übereinkunft vom 15. September auch weiterhin gelten würde. Das Moratorium bezog sich daher nach gnesiolutherischer Auffassung, die allerdings nicht explizit vorgetragen worden zu sein scheint, nur auf die Verwerfungsforderungen an die Augsburger Konfessionsverwandten als Bedingung der eigenen Teilnahme am Religionsgespräch, nicht aber darauf, daß sie unter Umständen für sich selbst im Religionsgespräch Verwerfungen aussprechen würden. Die politischen Räte hingegen glaubten, daß die Verwerfungen nunmehr mit herzoglicher Genehmigung dauerhaft eingestellt seien.169 Es war somit wiederum nicht zu einer Konvergenz im Verständnis der Vereinbarungen über das Moratorium gekommen. geburet, Mit Ihrer Hand vnnd Signatur muniren wollten.“ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50). 166 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 27rv. 167 „Darauf inen vorwilliget, gehorter gestalt die protestation anzunemen.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 26v). 168 Vgl. oben S. 393 f. bei Anm. 116 f. 169 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 26v; Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 2. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 68r–71v, hier fol. 68r.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
5.2 Tempus confessionis: Der Eklat vom 20. September und seine Folgen Das Religionsgespräch wurde nach der fünften Sitzung am 16. September für einige Tage unterbrochen, weil mehrere römisch-katholische Deputierte erkrankt waren.170 Daher trat man erst am Nachmittag171 des 20. September zur sechsten Sitzung zusammen, die den entscheidenden Eklat herbeiführte.
5.2.1 Die römisch-katholische Provokation Einziger Tagesordnungspunkt der sechsten Sitzung war außer der eidesstattlichen Verpflichtung einiger mittlerweile eingetroffener Deputierter, darunter auch Strigel,172 die von Petrus Canisius vorgetragene Erwiderung der römisch-katholischen Seite auf Kargs letzte Rede vom 16. September. Thema jener Rede Kargs war, auf Heldings Ausführungen über Schrift und Tradition am 15. September replizierend, die Frage nach den Normen theologischer Urteilsfindung gewesen.173 Karg hatte in der wiederum von Melanchthon konzipierten Rede das sola scriptura klar verfochten und die Grenzen einer Berufung auf die Kirchenväter aufgezeigt. Hier setzte Canisius an, indem er die Berufung auf den Konsens der Kirche und den Rückgang auf die Kirchenväter für notwendig zur rechten Auslegung dunkler Schriftstellen erklärte.174 Ausführlich und das provokatorische Potential seiner Argumentation geschickt entfaltend exemplifizierte er die Notwendigkeit des Rückgangs auf die Tradition an den innerevangelischen Auseinandersetzungen, die eben nicht aus der Schrift allein entschieden werden könnten.175 Als erstes Beispiel führte er den Streit um das Verständnis der Einsetzungsworte des Abendmahls an. „Wenn also die Schrift ausreichend wäre, um diesen Streit beizulegen, bliebe auch diese Frage nicht so lange zwischen den Gelehrten ungeklärt, und die Einigkeit könnte leicht wiedergewonnen werden.“176 Ebenso sei es mit dem Streit um die Zahl der Sakramente. Als weitere Beispiele führte Canisius an, daß Osiander 170
Vgl. v. Bundschuh, S. 454. Vgl. das Protokoll der Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 50–64, hier S. 50. 172 Vgl. v. Bundschuh, S. 453 f. 173 Zu Kargs Rede in Sessio V. des Religionsgesprächs am 16. September vgl. v. Bundschuh, S. 445–451.452 ; Heppe I, S. 188 f. 174 Vgl. Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 55 f.; vgl. dazu v. Bundschuh, S. 455 f.; Heppe I, S. 190. 175 Vgl. Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 53 f.; vgl. dazu v. Bundschuh, S. 454 f. bei Anm. 75 f. 176 „Quod si scriptura esset satis, ad hanc litem dirimendam, non tamdiu inter doctos 171
5.2 Der Eklat vom 20. September und seine Folgen
407
die Gerechtigkeit Gottes als wesentliche Gerechtigkeit, andere sie aber als Imputation bezeichneten, daß nach Stancarus Christus nur nach seiner menschlichen Natur, nach Osiander hingegen nur nach seiner göttlichen Natur rechtfertige. Er verwies auf die von Major verfochtene, von Flacius und Gallus aber abgelehnte Notwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit sowie darauf, daß die Letztgenannten den unfreien Willen, andere hingegen den freien Willen lehrten. „In der Grundlage, sagen sie, stimmen wir überein und sind einig“, zitierte er die evangelischen Deputierten, um ironisch zu erklären: „Wenn diese Meinungsverschiedenheiten nicht die Grundlage christlicher Lehre betreffen, bekennen wir, daß wir nicht verstehen, was die Grundlage der christlichen und katholischen Lehre sei.“177
Canisius’ Ausführungen kulminierten in der aus der Vätertradition entlehnten Feststellung, alle Häretiker suchten sich aus der von Gott eingegebenen Schrift Vorwände für ihren Irrtum zusammen, indem sie das, was vom Heiligen Geist zutreffend gesagt sei, durch ihre Bosheit verdürben.178 Es folgten noch ausführliche Erörterungen zu den in Kargs Rede problematisierten Väterworten und Traditionsstücken,179 bevor Canisius seine Rede mit der Aufforderung beendete, gemeinsam zur Auslegung der Väter und zum fortwährenden Konsens der katholischen Kirche zurückzukehren180. An Canisius schloß sich direkt Helding an. Er erinnerte an die bereits mehrfach vorgetragene Bitte, die Gegenseite möge deutlich aussprechen und namentlich anzeigen, welche Lehren sie von ihrem Augsburgischen Bekenntnis ausschlössen und welche darin enthalten sein sollten. Die bisherigen Einlassungen dazu beurteilte er als unzureichend, wobei er sich auf die von Karg am 15. September vorgetragenen namentlichen Distanzierungen bezog, und forderte daher weitere namentliche Ausschließungen: „Jene haben freilich Schwenckfeld, Servet, Thamer, die Wiedertäufer namentlich ausgeschlossen, aber damit dem Reichsabschied Genüge geschehe, meinen wir, sei von ihnen zu erfragen, ob sie gleichermaßen auch die Zwinglianer und Calvinianer im Abendmahl, die Osiandriner in der Rechtfertigung, die Illyricaner in Betreff des
etiam hæc quæstio penderet, & concordiam reperiri, facilè potuisset.“ (Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 55). 177 „In fundamento, inquiunt, consentientes & concordes sumus. Si hae dissensiones de fundamento Christianæ doctrinæ non sunt, fatemur nos, quod Christianæ & Catholicæ doctrinæ fundamentum sit, non intelligere.“ (Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 56). 178 „Breviter si Cyrillo credimus, omnes hæretici de scriptura divinitus inspirata, sui colligunt erroris occasiones, ea quæ à Spiritu sancto rectè dicta sunt, sua malitia corrumpentes.“ (Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 56). 179 Vgl. Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 57–62. 180 Vgl. Canisius’ Rede in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 51–62, hier S. 62.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
freien Willens und der guten Werke, die Picarden181 in vielen Dingen als von ihnen selbst Abweichende von ihrem Bekenntnis ausschließen.“182
Die gezielte Provokation verfing unmittelbar. Melanchthon replizierte heftig und machte aus seiner Verärgerung über Canisius’ Rede keinen Hehl: „Verehrtester Herr Präsident, verehrte Herren und großmütige Männer! Eure verehrtesten und hochberühmten Herrschaften haben gehört, daß ein sehr großsprecherischer Redner gegen uns losgelassen worden ist. Wenn sie also auf diese Weise mit uns streiten wollen, werden wir es ihm vollauf vergelten.“183 Weiter bekundete er, man habe eine andere Weise der Unterredung erwartet; das Erlebte sei nicht der Weg zur Wahrheitsfindung oder zu einer wechselseitigen Vergleichung. Die unterbliebene materiale Erwiderung zur Erbsünde monierte er und erbat Canisius’ Rede schriftlich, um nach interner Beratung darauf zu antworten.184 Helding ergriff erneut das Wort, beteuerte den Friedenswillen der römisch-katholischen Seite und wies die Verantwortung für die Auseinandersetzung der Gegenseite zu.185 Heldings Einlassung quittierte Melanchthon seinerseits mit den Worten: „Wir werden es euch reichlich vergelten, [daran] sollt ihr nicht zweifeln.“186 Nach diesem Schlagabtausch blieb Vizekanzler Seld nur noch, im Namen des Präsidenten der evangelischen Seite die erbete-
181 ‚Picarden‘ ist eine vermutlich in Süddeutschland aufgekommene Bezeichnung für häretische Begarden, die zur abwertenden Benennung für die Böhmischen Brüder wurde (vgl. Segl, Art. Picarden, Sp. 295). 182 „Illi verò Schvvenckfeldium, Seruetum, Thamerum, Anabaptistas nominatim excluserunt, sed vt Decreto Imperiali satisfiat, ab ijs quærendum existimamus, an similiter etiam Zvvinglianos & Caluinianos in Eucharistia, Osiandrinos in iustificatione, Illiricanos, de libero arbitrio & bonis operibus, Picardos in multis rebus, ab ipsis dissidentes [mit v. Bundschuh, S. 458, Anm. 87 nach dem eigenhändigen Originalkonzept Heldings zu ‚discedentes‘ zu verbessern], à sua Confessione excludant“ (zweiter Redebeitrag Heldings in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 62 f., hier S. 63). 183 „Reuerendissime Domine Præses, Reuerendi Domini & Magnifici viri, Reuerendissimæ & inclytæ Dominationes Vestræ audiuerunt, nobis esse immissum satis grandiloquum Oratorem, quod si volunt isto modo nobiscum certare, nos abundè eum remunerabimur.“ (Redebeitrag Melanchthons in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 63). 184 Vgl. den Redebeitrag Melanchthons in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 63. 185 Helding brachte vor: „Clarissimi Domini, nos antea testati sumus, de nostra voluntate, quod nolumus descendere ad contentionem, nisi eò pertrahamur, & putant nostræ Collegæ, nobis causam esse pr bitam, sed inposterum libenter acquiescemus, si liceat nobis per alteram partem.“ (dritter Redebeitrag Heldings in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 63). Wie von Bundschuh dazu kommt, Heldings Äußerung als Beschwichtigungsversuch einzustufen (vgl. v. Bundschuh, S. 458), ist unerfindlich. 186 „Nos largiter vos remunerabimur, ne dubitetis.“ (Melanchthons Einwurf am Ende von Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 63).
5.2 Der Eklat vom 20. September und seine Folgen
409
ne Bedenkzeit einzuräumen und beide Seiten zur Mäßigung zu ermahnen.187 Damit war die Sitzung aufgehoben.
5.2.2 Evangelische Reaktionen Die römisch-katholische Provokation versetzte diejenigen evangelischen Deputierten, die sich nicht zur gnesiolutherischen Gruppe hielten, in große Beunruhigung. Und das „nicht so sehr wegen der Papisten“, wie der ‚Preußische Bericht‘ festhält, sondern wegen der befürchteten Auswirkungen auf den Zusammenhalt der evangelischen Seite: Vorausgesehen wurde „entweder ein Schisma unter uns, was dem Haufen des Antichrists Gelegenheit geben würde, das Kolloquium abzubrechen mit ungeheurem Skandal und zur Schande unserer Kirchen, oder, wenn es eine Fortsetzung gäbe, daß dennoch Trennung unter uns sein werde und fortgesetzter Kampf, und daß man innerhalb der trojanischen Mauern kämpfen werde und außerhalb.“188
Es bestand also die Befürchtung, daß an den dezidierten Verwerfungsforderungen der römisch-katholischen Seite die mühsam geschlossene Front der Augsburger Konfessionsverwandten zerbrechen würde, sei es öffentlich oder sei es nur intern, was aber beides als äußerst besorgniserregend angesehen wurde. Und tatsächlich meldeten die gnesiolutherischen Theologen, als die evangelischen Deputierten nach Beendigung der sechsten Sitzung unter sich waren, umgehend an, nun müßten im Rahmen des Religionsgesprächs die erforderlichen Verwerfungen ausgesprochen werden. Der ‚Preußische Bericht‘ als einzige Quelle für diese Begebenheit teilt zunächst mit, daß sich nach der Auflösung der Sitzung alle zu internen Besprechungen versammelt hätten. Weiter heißt es: „Sodann bekundete Schnepf mit seinen Genossen, daß sie ihre Protestation öffentlich in der Sitzung des Kolloquiums hören lassen wollten, und sie drängten, daß in allgemeinem Konsens die Verwerfungen Zwinglis, Calvins, Osiandri, Stancari, Stenkfelds, der These Majors, der Interimisten und der Adiaphoristen geschehen mögen.“189 187 Vgl. Selds Schlußvotum in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 63 f. 188 Die Darstellung des ‚Preußischen Berichts lautet im Zusammenhang: „Ea res [scil. die Verwerfungsforderungen der römisch katholischen Seite] duriter nos commouit, non adeo propter Papistas, quam quod metuimus, vt inter nos consilijs essemus concordes. Pr vidimus eum futurum aut schisma inter nos, quod occasionem pr beret gregi Antichristi abrumpendi colloquium, cum ingenti scandalo & dedecore nostrarum ecclesiarum, aut si fiat continuatio, tamen fore separationem inter nos & continuum bellum, & fore vt Iliacos intra muros pugnetur. & extra.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 7v–8r). 189 „Tum Sneppius cum suis socijs testantur [sic!] se velle suam Protestationem publicare in Colloquij Consessu, & flagitant vt communi consensu fiant condemnationes Cinglij,
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Flacius respektive seine Anhänger, deren Ausschließung Helding ja ebenfalls verlangt hatte, erscheinen selbstverständlich nicht in der Aufzählung Schnepfs. Nicht leicht zu beurteilen ist, in welchem Sinn hier von Protestation die Rede ist. Sollten die gnesiolutherischen Deputierten nunmehr angekündigt haben, ihre ‚Große Protestationsschrift‘ der römisch-katholischen Seite vorzutragen? Das vertrüge sich schlecht mit der Differenzierung zwischen ‚Protestation‘ und ‚Confession‘, wie sie im eigenen Bericht der ernestinischen Deputierten über die Ereignisse derselben Tage vorausgesetzt ist. Daher ist es wahrscheinlicher, daß der Terminus ‚protestatio‘ in die Wiedergabe durch den Autor des ‚Preußischen Berichts‘ eingeführt worden ist, der darunter in einem weiteren Sinn auch die beabsichtigten öffentlichen Verwerfungen verstehen konnte. In den Darstellungen des Wormser Religionsgesprächs hat die interne Besprechung am 20. September bisher keine Erwähnung gefunden, auch nicht bei Fligge, der den ‚Preußischen Bericht‘ kennt. Vielmehr wird seit Wolfs Edition des Berichts der ernestinischen Deputierten vom 25. September allgemein angenommen,190 daß die gnesiolutherischen Deputierten erst am 21. September ihre Absicht bekundet hätten, die Verwerfungen öffentlich vorzunehmen191. Da jedoch alles, was aus anderen Berichten über die Verhandlungen des 21. und des 22. September hervorgeht, auch im ‚Preußischen Bericht‘ denselben Tagen zugeordnet vorkommt, dürfte die Nachricht über die Besprechung am 20. September nicht eine fehldatierte Dublette, sondern eine zuverlässige Zusatzinformation sein.192
Klar sprachen die gnesiolutherischen Deputierten nach Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘ am 20. September in Zusammenfassung ihrer Absichtsbekundung aus, nun sei es Zeit für das Bekenntnis: „tempus confessionis“.193 Weiter heißt es, über die Angelegenheit sei ein harter und ausgedehnter Streit zwischen ihnen und den politischen Räten ausgebrochen, es sei aber nichts beschlossen worden.194 Gewiß beriefen sich die politischen Räte dabei auf ihr Verständnis des Moratoriums, wonach die gnesiolutherische Gruppe Calvini, Osiandri, Stancari, Stencfeldij, Propositionis Maioris, Interimistarum & Adiaphoristarum.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8r). Der ‚Preußische Bericht‘ verwendet über weite Strecken das Präsens historicum. 190 Vgl. Wolf, S. 96; Fligge, S. 411; v. Bundschuh, S. 458 f.; MBW.R Bd. 8, S. 126 im Kommentar zu Nr. 8359. Bei Heppe, der sich nur auf die Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ stützen kann, finden sich detaillierte Angaben erst wieder zu den Verhandlungen des 22. September (vgl. Heppe I, S. 195–197). 191 Die ernestinischen Deputierten berichten, sie hätten „am Diennsttag hernach, welches der 21. Septembris war, denn Theologis angetzeiget vnnd offentlich vns vornehmen lassen, Wir wurden zu einer offentlichen vnnd specificam condemnationem durch der Colloquitoren partis adversae furtrag vnd einbringen gedrungen.“ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50). 192 Vgl. dazu auch noch Anm. 194. 193 „Aiunt nunc esse tempus confessionis.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8r). 194 „Hac de re inter eos & politicos orta fuit dura & prolixa contentio. Sed nihil constituitur.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8r).
5.2 Der Eklat vom 20. September und seine Folgen
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zugesagt hätte, die Verwerfungen bis zum Abschluß des Religionsgesprächs zurückzuhalten. Die gnesiolutherischen Theologen hingegen werden sich darauf berufen haben, daß ihnen wiederholt zugestanden worden sei, ihre Verwerfungen auszusprechen, wenn der Verlauf des Religionsgesprächs sie dazu nötigen sollte, zumal sich ihrem Verständnis nach das Moratorium nur auf die Verwerfungsforderungen an die Augsburger Konfessionsverwandten bezog. Da die Positionen unvereinbar waren, mußte man auseinander gehen, ohne eine Verständigung über das weitere Vorgehen erreicht zu haben.
5.2.3 Die ‚Forma protestationis‘ als Dokument maximaler Annäherung zwischen Melanchthon und den gnesiolutherischen Deputierten Aus der Konfrontation zwischen den gnesiolutherischen Theologen und den politischen Räten nach Abschluß der sechsten Sitzung scheinen sich die übrigen evangelischen Theologen herausgehalten zu haben. Zumindest nach Melanchthons Auffassung war aber mit der römisch-katholischen Provokation und der Reaktion der gnesiolutherischen Deputierten eine Lage entstanden, in der ihm ein weiteres Festhalten an der bisherigen Position, die geforderten öffentlichen spezifizierten Verwerfungen möglichst zu vermeiden, nicht mehr möglich erschien. Um das Heft des Handelns selbst in der Hand zu behalten, ging er daran, den Entwurf einer kurzen Erklärung mit spezifizierten Verwerfungen aufzusetzen: die ‚Forma195 protestationis‘. Über die Aufsetzung der ‚Forma protestationis‘ erklärte sich Melanchthon in einem Anschreiben zur Übermittlung des Entwurfs an den kursächsischen Rat Georg Cracow: „Ich habe schwerwiegende Gründe, weshalb ich wünsche, daß uns zugelassen werde, daß wir miteinander eine Erklärung über unsere Übereinstimmung vorlegen. Und wenn die Jenaer die Spezifizierung fordern werden, wünsche ich, daß sie zugestanden werde, wie ich diese auf die gemäßigste Weise geschrieben habe, weil ich weder verteidigen will den zweideutigen Satz über die Werke und auch nicht die Leipziger Rhapsodie verteidige und ihr auch niemals zugestimmt habe, auch nicht unterschrieben, obwohl auch jene verfälscht herausgegeben worden ist. Ich bitte, daß du Jakob [Runge] anhörst und meine Meinung dem erlauchten Grafen [Eberstein] und dem Herrn Einsiedel darlegst.“196 195 Als Bedeutung von ‚forma‘ist hier ‚Entwurf‘ anzunehmen (vgl. Georges I, Sp. 2816 s. v. forma II. B.). 196 „Habeo graves causas, quare velim nobis concedi, ut simul ederemus formulam de consensu nostro, et si postulabunt Ienenses specificationem concedi eam vellem ut haec scripsi modestiss., quia non defensitans ĞƭėĚďěƯŕěčģėŁĖĮĉČęĕęėĚěĦĞċĝēė, Nec defendo ĞƭėȗċĢȣĎĉċėĕēĢēĔƭė nec unquam adsensi, nec subscripsi etsi et illa corrupte edita est. quaeso audias Iacobum et exponas meam mentem Illustri Comiti, et domino Einsidel.“ (Melanchthon an Georg Cracow, Worms 21. September 1557: Bindseil, S. 463 f., Nr. 472
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Die Übermittlung der ‚Forma protestationis‘ an die kursächsischen politischen Räte dürfte vor der noch zu schildernden Beratung der Theologen am 21. September erfolgt sein, denn sonst wäre deren Ausgang vermutlich in dem Anschreiben an Cracow berücksichtigt worden.197 Offensichtlich hatte Melanchthon sich zumindest mit Jakob Runge, der das Anschreiben und den Entwurf überbrachte, über die ‚Forma protestationis‘ abgestimmt. Die schwerwiegenden Gründe erläuterte Melanchthon in dem Anschreiben an Cracow nicht. Es dürfte sich aber um die im ‚Preußischen Bericht‘ mitgeteilte Befürchtung der nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählenden Theologen gehandelt haben, daß durch die römisch-katholische Provokation die mühsam geschlossene evangelische Front wieder aufbrechen würde.198 Aus dem Anschreiben an Cracow geht eindeutig hervor, daß die Initiative zur Verständigung auf Grundlage der ‚Forma protestationis‘ von Melanchthon, mithin von theologischer Seite ausging, während die politischen Räte dafür erst gewonnen werden mußten. Melanchthons lateinischer Entwurf ist, soweit bekannt, nur in Form einer Abschrift als Beilage ‚D‘ zu Jakob Runges Bericht vom 2. Oktober im Landesarchiv Greifswald erhalten, überschrieben mit „Forma protestationis proposita à D. Philippo“.199 Entdeckt wurde die Abschrift bei der Kollation von Greifswalder Aktenstücken für die Edition des MelanchthonBriefwechsels. In Verbindung mit Angaben in Runges Bericht200 konnte die Abschrift in den MBW-Regesten Melanchthon als Autor zugeordnet und von Scheible in seiner Melanchthon-Biographie berücksichtigt werden.201 Möglich wurde es zudem, die auf einer falschen Beilagen-Zuordnung in der ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte beruhende Angabe Heppes und aller folgenden Darstellungen des Wormser Religionsgesprächs mit Ausnahme Fligges zu korrigieren, daß am 22. September die ‚Articuli constituendi consensus‘ in die Beratungen der evangelischen Deputierten eingebracht worden seien.202
= MBW 8359; zur Identifizierung der erwähnten Personen vgl. die Angaben im Regest des MBW). 197 Zur Datierung vgl. auch MBW.R Bd. 8, S. 126, Kommentar zu Nr. 8359. 198 Vgl. oben S. 409 bei Anm. 188. 199 Die Abschrift ist überliefert in LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r. Im folgenden wird der unter Nr. 8360 in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsel verzeichnete Entwurf als Melanchthons ‚Forma protestationis‘ bezeichnet. 200 Runge teilt in seiner Darstellung der Verhandlungen des 22. September mit: „Darauf reichet er [scil. Melanchthon] eine forma, die den Papisten zu vberantworten were, verzeichnet mit D“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28v). 201 Vgl. MBW.R Bd. 8, S. 126 im Kommentar zu Nr. 8360; Scheible, S. 232 f. 202 Vgl. MBW.R Bd. 8, S. 127 f. im Kommentar zu Nr. 8362. Zur unzutreffenden Angabe über die ‚Articuli constituendi consensus‘ vgl. die Erläuterungen oben S. 303 im Abschnitt 4.2 bei Anm. 141–144.
5.2 Der Eklat vom 20. September und seine Folgen
413
Zumindest der Inhalt der ‚Forma protestationis‘, wenn nicht sogar sie selbst wurde auf Initiative Melanchthons bereits am 21. September203 von den evangelischen Theologen ohne Beisein der politischen Räte beraten, wie sich aus wörtlichen Anklängen in der Wiedergabe von Melanchthons Beitrag zur Beratung am 21. September durch den ‚Preußischen Bericht‘ ergibt. Daß es am 21. September eine Zusammenkunft der Theologen gab, findet sich im Bericht der ernestinischen Deputierten vom 25. September bestätigt.204 Die ‚Gemeinsame Relation‘ und Runge hingegen vermelden nichts davon. Als Erklärung bietet sich an, daß die ‚Gemeinsame Relation‘ aus der Perspektive der Räte geschrieben ist und daß Runge wahrscheinlich die ‚Gemeinsame Relation‘ vorliegen hatte,205 als er seinen Bericht über die Ereignisse nach dem Eklat vom 20. September niederschrieb, so daß er sich hier an deren Darstellung orientiert haben könnte, was um so leichter möglich war, als über die ‚Forma protestationis‘ am 22. September noch einmal beraten wurde.
Zweck der Theologenzusammenkunft am 21. war dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge, über eine Erwiderung zu beraten,206 sicher nicht nur auf Canisius’ Rede vom Vortag, sondern auch auf die davon nicht zu trennenden Verwerfungsforderungen Heldings. Im Blick darauf forderte Melanchthon, so der ‚Preußische Bericht‘ weiter, daß man mit Spezifizierung sagen solle, man verwerfe falsche Auffassungen, von wo auch immer sie ausgegangen seien,207 worauf er eine Aufzählung von Urhebern falscher Auffassungen folgen ließ208. Auch wenn es in der Wiedergabe der Aufzählung durch den ‚Preußischen Bericht‘ Abweichungen gegenüber der ‚Forma protestationis‘ gibt209, stimmen Struktur und Formulierung doch so weit überein, daß die Annahme plausibel erscheint, Melanchthon habe hier bereits die ‚Forma 203 Anders in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels, die davon ausgehen, dass die ‚Forma protestationis‘ erst in die Plenarverhandlung der evangelischen Deputierten eingebracht worden sei (vgl. MBW.R Bd. 8, S. 126, Kommentar zu Nr. 8360). 204 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50. 205 Darauf weist ein Querverweis Runges auf die ‚Gemeinsame Relation‘ in seiner Schilderung der Plenarverhandlungen am 22. September hin: „Das werden E. F. G. volkomener aus dem Bericht der Adsessoren vernehmen.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r). 206 Der ‚Preußische Bericht‘ teilt mit: „Die XXI. Philippus Conuocatis Theologis deliberat de responsione.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8v). 207 „[…] & hortatur, vt in specie dicatur, Nos reijcere falsas opininiones [sic!], à quocunque sint ort “ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8v). 208 Der ‚Preußische Bericht‘ gibt als von Melanchthon aufgezählt wieder: Zwingli, Thamer, Schwenckfeld, Stancarus, Osiander, die Interimisten, die Verteidiger der These von der Heilsotwendigkeit der guten Werke und die Antinomer (vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8v). 209 In der ‚Forma protestationis‘ fehlen Schwenckfeld und die Adiaphoristen, dafür erscheint dort Stancarus. Zwingli wird erst an vierter Stelle aufgezählt, und der Adiaphorismus erscheint an letzter Stelle (vgl. Melanchthons ‚Forma protestationis‘, Worms 20. oder 21. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r = MBW 8360).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
protestationis‘ eingebracht. Zur Erläuterung seines Antrags führte Melanchthon aus, daß er – wohl in den innerevangelischen Auseinandersetzungen – affektgeleitetes Handeln und politische Verwicklungen wahrnehme. Deshalb wolle er selbst lieber einen Schlag hinnehmen, als nicht zur Einigkeit zu helfen und der Gegenseite Gelegenheit zu Skandal und Anklage zu geben, so der ‚Preußische Bericht‘.210 Melanchthon sah sich demnach selbst getroffen von den in seiner ‚Forma protestationis‘ enthaltenen Verwerfungen. Tatsächlich ging er mit der ‚Forma protestationis‘, verglichen mit seinen bisherigen Verlautbarungen im Rahmen des Religionsgesprächs und auch mit den von ihm gebilligten ‚Articuli constituendi consensus‘, erheblich weiter in Richtung der gnesiolutherischen Forderungen als zuvor. So zählt die positive Bekenntnisaussage, mit welcher die ‚Forma protestationis‘ beginnt, im Unterschied zu den vorherigen Formulierungen Melanchthons neben CA und Apologie erstmals auch die Schmalkaldischen Artikel auf,211 und zwar in direktem Anschluß, was auch über die ‚Articuli constituendi consensus‘ hinausgeht, in denen CA und Schmalkaldische Artikel durch die Apologie interpretiert worden waren212. Die anschließende Verwerfungsaussage beläßt es nicht bei der generellen Verwerfung aller dem Augsburger Bekenntnis widersprechender Auffassungen, sondern gibt spezifiziert die Urheber an, von denen die Auffassungen herrühren, nämlich von Servet, Thamer, Stancarus, Zwingli und Osiander, den Verteidigern der These von der Heilsnotwendigkeit der guten Werke, den Antinomern und den Verteidigern der Adiaphoristen.213 210 „Vidit eum alios alijs adfectibus duci & admisceri aulas. Ideo ipse quoque plagam accipere maluit quam deesse concordi , & pr bere occasionem scandali & periculi apud Papistas […].“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8v). Für die Zuverlässigkeit der Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘ bürgen die Übereinstimmungen mit Melanchthons späterem lateinischem Gesamtbericht, in dem es heißt: „Malui enim hanc plagam accipere pacis studio […], quam videre defuisse publicae causae contra adversarios.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 461, Nr. 6469 = MBW 8540). 211 „Wir, die wir hierher geschickt sind, bezeugen, daß wir festhalten an der Lehre Christi, der Propheten und der Apostel und den Symbolen und dem Kaiser Karl in Augsburg 1530 überreichten Bekenntnis, dessen Apologie und den von Luther verfaßten Schmalkaldischen Artikeln.“ – „Nos qui huc missi sumus testamur amplecti doctrinam Christi Prophetarum et Apostolorum, et Symbola. & Confessionem exhibitam Imperatori Carolo August 1530. eius Apologiam & Smalcaldicos Articulos conscriptos à Lutero.“ (Melanchthons ‚Forma protestationis‘, Worms 20. oder 21. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r = MBW 8360). 212 Vgl. oben S. 306 f. in Abschnitt 4.2.3 bei Anm. 156. 213 Abhängig vom einleitenden „testamur“ heißt es weiter: „[…] und daß wir verwerfen die Auffassungen, die ihm [scil. dem Augsburger Bekenntnis] widersprechen, von woher auch sie entstanden sind oder entstehen mögen, von Servet, Thamer, Stancarus, Zwingli, Osiander, von den Verteidigern der These ‚Gute Werke sind notwendig zum Heil.‘, und von den Antinomern und von den Verteidigern der Adiaphoristen.“ – „[…] et reijcere Opiniones cum ea pugnantes à quocunque ort sunt vel orientur. Serveto. Thammero.
5.2 Der Eklat vom 20. September und seine Folgen
415
Mit der Angabe der Urheber in der beschriebenen Form vermeidet Melanchthon eine direkte Verwerfung der Irrlehrer. Das ist die von Melanchthon in seinem Anschreiben an Cracow angekündigte Spezifizierung in gemäßigster Form.214 Anders als noch in der von Karg in der vierten Sitzung des Religionsgesprächs vorgetragenen Rede215 werden aber in der ‚Forma protestationis‘ die Irrlehren direkt verworfen. Außerdem werden nicht nur Servet, Thamer und Stancarus,216 die unstrittig als Irrlehrer galten, sondern auch Osiander und Zwingli beim Namen genannt. Die namentliche Erwähnung Majors sowie die – allerdings nicht einmal von den gnesiolutherischen Deputierten verlangte – Nennung einzelner Adiaphoristen oder gar seiner selbst umgeht Melanchthon hingegen, indem er hier von Verteidigern der These von der Heilnotwendigkeit der guten Werke und Verteidigern der Adiaphoristen spricht. Dann stellt sich allerdings die Frage, worauf genau die Aussage zu beziehen ist, man verwerfe der CA widersprechende Auffassungen, die von den „Verteidigern der Adiaphoristen“ ausgegangen seien. Denn eine Verwerfung der Adiaphoristen hatte Melanchthon bislang abgelehnt. Im Zuge der Coswiger Handlung hatte Melanchthon sich im Januar 1557 darauf festgelegt, er wolle nicht „die Unseren“, von denen einige bereits verstorben seien, verdammen, die lieber an Riten festhalten wollten, an denen auch Luther festgehalten habe, als daß fromme Pfarrer und unglückliche Familien vertrieben würden und Verheerung in den Gemeinden entstünde; keineswegs wolle er, daß durch irgendein Präjudiz seinerseits höchst ehrenwerte Männer belastet würden, die an jenen Beratungen beteiligt gewesen
Stancaro. Cinglio. Osiandro. à defensoribus Propositionis, Bona Opera sunt necessaria ad salutem, & ab Antinomis, & à defensoribus Adiaphoristarum.“ (Melanchthons ‚Forma protestationis‘, Worms 20. oder 21. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r = MBW 8360). 214 „[…] ut haec [scil. specificatio] scripsi modestiss. […]“ (Melanchthon an Georg Cracow, Worms 21. September 1557: Bindseil, S. 463, Nr. 472 = MBW 8359; zum Kontext vgl. oben S. 411 f. bei Anm. 196). 215 Vgl. Kargs Rede in Sessio IV. des Religionsgesprächs am 15. September 1557: Förner, S. 31–39, hier S. 33 sowie die Erläuterungen dazu oben S. 395–397 in Abschnitt 5.1.4 bei Anm. 126–131. 216 Daß in der ‚Forma protestationis‘ anders als in Kargs Rede am 15. September Schwenckfeld und die Täufer nicht erwähnt werden, könnte daran liegen, daß Helding jene am 20. September als bereits durch Kargs Rede verworfen betrachtet hatte (vgl. Heldings zweiten Redebeitrag in Sessio VI. des Religionsgesprächs am 20. September 1557: Förner, S. 62 f., hier S. 63, oben S. 408 zitiert in Anm. 182). Allerdings hätten dann auch Servet und Thamer in der ‚Forma protestationis‘ nicht erneut genannt werden müssen. Erneut zeigt sich hieran wie auch an der erstmaligen Nennung von Stancarus durch Melanchthon, daß das eigentliche Augenmerk den vier Hauptstreitpunkten Osiandrismus, Abendmahlslehre, Majorismus und Adiaphorismus galt.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
seien217 - den Beratungen, die zu adiaphoristischen Zugeständnissen führten. Mit dieser Begründung hatte er die von den Magdeburgern verlangte direkte Distanzierung vom Adiaphorismus abgelehnt.218 Offensichtlich hätte er den beschriebenen Personenkreis von einer direkten Verwerfung des Adiaphorismus oder der Adiaphoristen getroffen gesehen. Ob er auch sich selbst zu dem betroffenen Kreis zählte, bleibt in der Schwebe.219 Denn einerseits lehnte er mit Nachdruck eine persönliche Verantwortung für das sogenannte ‚Leipziger Interim‘ ab,220 andererseits bekannte er, daß er Kursachsen und Franken geraten habe, nicht wegen der Änderung von Riten, die an sich nicht glaubenswidrig seien, die Gemeinden zu verlassen221. Auch die in der ‚Forma protestationis‘ gewählte Formulierung vermeidet eine direkte Verwerfung in Bezug auf den Adiaphorismus, denn weder die ‚errores Adiaphoristarum‘222 noch die Adiaphoristen selbst sind ihr Gegenstand. Vielmehr scheint Melanchthon, um die von ihm abgelehnte direkte Verwerfung zu vermeiden, mit der Formulierung „Verteidiger der Adiaphoristen“ auf sich selbst zu zielen. In dieselbe Richtung weisen auch die im ‚Preußischen Bericht‘ mitgeteilte Aussage Melanchthons über den Schlag, den er hinnehmen wolle,223 sowie die von Runge überlieferten Spitzenäußerungen Melanchthons bei der Einbringung der ‚Forma protestationis‘ in die Plenarverhandlung der evangelischen Deputierten am folgenden Tag, mit denen Melanchthon seine Bereitschaft bekundete, sich selbst verdammen zu lassen224. Wollte man denkbaren Subtilitäten bis ins letzte nachgehen, könnte man allerdings fragen, ob Melanchthon in der ‚Forma protestationis‘ nicht ei217 „[…] nec volo […] damnare nostros, quorum aliqui mortui sunt, qui retinero eos ritus, quos Lutherus retinuit, maluerunt, quam pelli pios pastores et miseras familias, et fieri vastitatem in Ecclesiis. Nequaquam volo meo aliquo praeiudicio honestissimos viros, qui fuerunt in illis deliberationibus gravari.“ (Melanchthon an die niedersächsischen Vermittler über die verschärften Vergleichsartikel, Wittenberg 27. Januar 1557: CR 9, Sp. 3, Nr. 6177 = MBW 8114). 218 Vgl. Preger II, S. 55; Scheible, S. 225. 219 Scheible bezieht die Angaben auf den verstorbenen Fürsten Georg von Anhalt (vgl. Scheible, S. 255), was aber zu eng gefaßt sein dürfte. 220 Vgl. oben S. 411 in Anm. 196. 221 In seinem späteren Gesamtbericht über das Wormser Religionsgespräch führte Melanchthon aus: „[…] fateor hoc me consilium dedisse nostris et Francicis Ecclesiis, ne propter mutationem rituum non impiorum suo genere, desererent Ecclesias.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 461, Nr. 6469 = MBW 8540). 222 Die Magdeburger hatten in Coswig den Vermittlern Artikel vorgelegt, in deren zweitem es hieß: „Reiiciantur et damnentur omnes […] errores Papistarum, Interimistarum, Adiaphoristarum et Maioristarum […].“ (Protokoll der Coswiger Handlung: CR 9, Sp. 54, Nr. 6174). Diese Fassung der Vergleichsartikel hatten die Vermittler allerdings Melanchthon nicht vorgelegt; vgl. Preger II, S. 50–53. 223 Vgl. oben S. 414 bei Anm. 210. 224 Vgl. unten S. 424 Abschnitt 5.3.1 bei Anm. 259.
5.2 Der Eklat vom 20. September und seine Folgen
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gentlich eine leere, gegenstandslose Verwerfung formulierte, indem er die von den „Verteidigern der Adiaphoristen“ herrührenden, der CA widersprechenden Auffassungen für verworfen erklärte, obwohl er selbst der Meinung gewesen sein dürfte, daß von jenen keine der CA widersprechenden Auffassungen herrührten. Es ist nicht gänzlich auszuschließen, daß Melanchthon eine solche Lesart zumindest für sich selbst offenhalten wollte. Plausibler als die Annahme einer insgeheim gegenstandslosen Verwerfung ist jedoch die durch Melanchthons Selbstaussagen und die gnesiolutherische Aufnahme gestützte entgegengesetzte Lesart, daß der Wittenberger sich in der ‚Forma protestationis‘ weiter in Richtung einer direkten Verwerfung des Adiaphorismus bewegte als noch in Coswig und jemals zuvor. Denn Melanchthon erklärte später, daß er in Worms Verwerfungen geschrieben hatte unter ausdrücklicher Berücksichtigung all jener Verwerfungen, deren Vorlage von „diesen Kollegen“, i. e. den gnesiolutherischen Deputierten, verlangt worden war. Und weiter: „Ich hatte auch verdammt die ‚Adiaphoristica‘, wie sie es nennen, damit sie nicht sagten, daß ich um meiner Angelegenheiten willen verhindert hätte, was jene verlangten, die dies vorlegten, obwohl ich dennoch die Lügen, die von Illyricus über mich und andere vortreffliche Leute, von denen einige gestorben sind, verbreitet worden sind, keineswegs anerkenne.“225
Hier ist trotz deutlicher Markierung des Vorbehalts hinsichtlich der „Lügen“ des Flacius klar ausgesagt, daß Melanchthon eine Verwerfung in Bezug auf den Adiaphorismus intendiert hatte. Dem korrespondiert Sarcerius’ Einschätzung in seinem späteren Rechenschaftsbericht, „das der herr philippus letzlich auch der meinung gewesen, alle secten […] specificiret […] zuuerdammen“226, also auch die Adiaphoristen. Damit war im entscheidenden Punkt des Adiaphorismus ein Höchstmaß an Annäherung zwischen Melanchthon und den gnesiolutherischen Deputierten erreicht. Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß es zwischen ihnen über andere Punkte durchaus noch zu Auseinandersetzungen hätte kommen können. So hätte die Erwähnung der Antinomer in der ‚Forma 225 „Scripseram tamen ego condemnationes, in quibus expresse comprehenderam omnes istas, quas collegae isti voluerant. Condemnaveram etiam adiaphoristica, ut nominant, ne impedivisse me mea causa dicerent, quae flagitabant illi, qui haec proponebant, cum tamen mendacia ab Illyrico sparsa de me et aliis praestantibus viris, quorum aliqui mortui sunt, minime agnoscam.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 461, Nr. 6469 = MBW 8540). 226 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 45, Nr. XIX. Damit übereinstimmend bestätigen Schnepf und Strigel, „das der Brentius mehr dan die andern die specialem condemnationem verhindert habe vnd do es ohn Ihnen gewesen were, hette dozumal D. Philippus vmb einigkeit willen sich anderer gestalt erzeigt vnd verhalten.“ (Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 363, Nr. 54).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
protestationis‘ strittig sein können. Denn für Melanchthon fielen unter das Verdikt des Antinomismus Theologen wie Poach, Otho und Amsdorf, welche die gnesiolutherischen Deputierten gewiß nicht verworfen sehen wollten, während hinwiederum zumindest Flacius gegen Melanchthon selbst den Vorwurf des Antinomismus erhob.227 Eine Klärung des Gegenstandsbezugs der betreffenden Verwerfungsaussage hätte daher sehr kontrovers verlaufen können. Ebensowenig ist auszuschließen, daß die gnesiolutherischen Theologen sich mit dem Verzicht auf die Nennung Majors nicht ohne weiteres abgefunden hätten oder daß ihnen die Verwerfung der „Verteidiger der Adiaphoristen“ doch zu indirekt gewesen wäre. Auch hätten sie vielleicht durchzusetzen versucht, daß außer Zwingli auch Calvin genannt würde, wozu sich Melanchthon wohl kaum bereitgefunden hätte. Doch scheint es zu solchen Kontroversen mit den gnesiolutherischen Deputierten über einzelne Formulierungen der ‚Forma protestationis‘ gar nicht erst gekommen zu sein. Denn folgt man dem ‚Preußischen Bericht‘, so machte Brenz sogleich deutlich, daß Melanchthons Entwurf für ihn nicht zustimmungsfähig sei: „Brenz hat in diesen Entwurf nicht einwilligen wollen, sondern er hat gewollt, daß dieser entweder unter Vorbehalt geschrieben oder die Sache an den Rat der Politiker zurückverwiesen werde.“228 Aufgrund der württembergischen Vorabfestlegungen gegen namentliche Verwerfungen und insbesondere der Ablehnung einer Verwerfung Osianders war Brenz’ Ablehnung zu erwarten; angesichts dessen wirkt die Option eines Vorbehalts fast schon überraschend entgegenkommend. Ein solcher Vorbehalt, sei es gegen alle Verwerfungen oder sei es speziell gegen die Verwerfung Osianders, hätte indes die Aussagen der ‚Forma protestationis‘ in den Augen der gnesiolutherischen Deputierten sehr stark relativiert, weil ihnen ja gerade an einmütigen Verwerfungen gelegen war. Vor allem aber scheint Melanchthon nicht gewillt gewesen zu sein, die ‚Forma protestationis‘ gegen Brenz durchzusetzen. Melanchthon resümierte daher später schlicht den Ausgang des Verständigungsversuchs auf Grundlage der ‚Forma protestationis‘ mit den Worten: „Aber Brenz hat nicht gewollt, daß Osiander namentlich getadelt würde.“229 Brenz’ Ablehnung bekam damit die Bedeutung eines Vetos. Hieraus erklärt sich die starke
227
Zum wechselseitigen Vorwurf des Antinomismus vgl. Mau, Art. Gesetz V., S. 86 f. „Brentius in eam formam consentire noluit, sed voluit aut hypotheticam scribi aut rem ad Consilium Politicorum reijci.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8v). Dem lehngebildeten Adjektiv ‚hypotheticus‘ dürfte hier die Bedeutung von ‚ƊĚƱĒďĝēij‘ als ‚Vorbehalt‘ zugrundeliegen; vgl. auch die Paraphrase bei Fligge, S. 411. 229 „Sed Brentius Osiandrum nominatim taxari noluit.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 461, Nr. 6469 = MBW 8540). 228
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
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Erregung der gnesiolutherischen Deputierten über Brenz’ Votum, welche der ‚Preußische Bericht‘ schildert: „Durch diesen Rat [scil. Brenz’ Votum] wurden Schnepf und die anderen aufgebracht, so sehr, daß Victorinus [Strigel], im Begriff wegzugehen, zu Brenz gesagt hat: ‚Wir sehen, daß Philipp gern alles tun wollte, wenn es durch die anderen gestattet würde. Aber du allein bist es, der alles stört.‘“230
Der ‚Preußische Bericht‘ gibt auch Brenz’ Erwiderung wieder, die nicht weniger heftig ausfiel: „Im Gegenteil, ihr seid die Störenfriede!“231 Daraufhin verließen die gnesiolutherischen Theologen unter lauten Unmutsbekundungen die Beratung, so der ‚Preußische Bericht‘ weiter, wobei insbesondere Mörlin, aber auch andere sich heftig über Brenz und seine Kollegen beschwerten. Sie bekräftigten, daß Brenz mit seinen Versöhnungsversuchen den Gemeinden in Preußen mehr geschadet habe als Osianders Disputation selbst und daß der preußische Herzog unzweifelhaft etwas anderes hätte tun wollen, wenn er nicht durch Brenz’ Autorität und Überredungen oder Ratschläge auf Abwege geführt worden wäre.232 Verlauf und Ausgang der Beratung unter den Theologen über Melanchthons ‚Forma protestationis‘ entsprachen somit keineswegs jener Übereinstimmung, die Melanchthon im letzten Satz der ‚Forma‘ postuliert hatte: „Und mit Gottes Hilfe werden wir das Augsburgische Bekenntnis, in welchem wir im Grundsatz übereinstimmen, gegen die Verteidiger des Antichrist schützen.“233
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß Nachdem die evangelischen Theologen am 21. September unter sich beraten hatten, nahmen am 22. September die politischen Räte wieder das Heft in die Hand. Alle evangelischen Deputierten wurden einberufen zu einer 230 „Hoc consilio irritantur Sneppius, & alij, adeo vt Victorinus abiturus dixerit Brentio. Videmus Philippum facile facturum omnia si liceat per alios. Sed Tu vnus es, qui turbas omnia.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9r). 231 „Brentius respondens inquit. Jmo vos estis turbatores.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9r). 232 „Cum sic cum stomacho & tumulto à nobis discederent, Morlinus & alij vehementer de Brentio & eius collegis conquesti sunt. Adfirmantes, Eum suis Conciliationibus plus nocuisse Ecclesijs in Borussia, quam ipsam Osiandri disputationem. Principem haud dubie aliud facturum fuisse. Nisi auctoritate & persuasionibus sive Consilijs Brentij esset seductus.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9r). 233 „Et deo adiuvante, Augustanam Confessionem, in qua in fundamento sumus consentientes adversus Antichristi defensores tuebimur.“ (Melanchthons ‚Forma Protestationis‘, Worms 20. oder 21. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r = MBW 8360; Hervorhebung in der Übersetzung B. S.).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
formellen internen Besprechung in „der sechssischen herberge“234, wohl der Unterkunft der kursächsischen politischen Räte. Die Besprechung begann vormittags und sollte sich mit Unterbrechungen über den ganzen Tag erstrecken.235 An ihrem Ende stand der öffentliche Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten. Der Verlauf der Besprechung und die aufgekommenen Kontroversen sind durch verschiedene Quellen gut belegt.236 Ein zutreffendes Bild des für die Wormser Ereignisse entscheidenden Geschehens am 22. September ergibt sich aber erst aus der Zusammenschau aller verfügbaren Quellen. Die eingeschränkte Quellenbasis der bisherigen Untersuchungen237 hat zu erheblichen Verzeichnungen geführt, die der Korrektur bedürfen. So stützt Heppe sich ausschließlich auf die ‚Gemeinsame Relation‘ der politschen Räte, die wichtige Teile des Gesprächsverlaufs ausblendet und eine unzutreffende Verbindung238 zwischen der Besprechung am 22. September und den ‚Articuli constituendi consensus‘ herstellt. Die einschlägigen Ausführungen Wolfs und von Bundschuhs sind weitgehend von Heppe abhängig, auch wenn beide zusätzlich die herzoglich-sächsischen Quellen heranziehen. Fligge hätte aufgrund seiner Kenntnis des ‚Preußischen Berichts‘ über Heppes und Wolfs Rekonstruktionen hinauskommen können. Es ist ihm aber nicht gelungen, die Informationen der ‚Gemeinsamen Relation‘ und des ‚Preußischen Berichts‘, den er lediglich paraphrasiert, richtig aufeinander zu beziehen. Die wichtige Schilderung Runges schließlich hat bislang nur in den Regesten des Melanchthon-Briefwechsels und, soweit sie Informationen über Melanchthon enthält, in Scheibles Melanchthon-Biographie Berücksichtigung gefunden.239
5.3.1 Plenarbesprechung der evangelischen Deputierten am Vormittag des 22. September Erster und mutmaßlich eigentlicher Gegenstand der Besprechung war die Erwiderung auf Heldings und Canisius’ Einlassungen in der sechsten Sit234 Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50. 235 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50. 236 Aufschluß bieten folgende, hier in chronologischer Reihenfolge aufgeführte Quellen: Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50; ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 26v–29v; Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v–30v; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9r–11r; Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 358 f., Nr. 54. Melanchthons spätere Gesamtberichte gehen nicht eigens auf die Besprechung des 22. September ein. 237 Heppe I, S. 195–197; Wolf, S. 96–98; Fligge, S. 412–414; v. Bundschuh, S. 459 f. 238 Vgl. oben S. 303 in Abschnitt 4.2.2 bei Anm. 141. 239 Vgl. MBW.R Bd. 8, S. 122 f., Nr. 8362 mit Kommentar; Scheible, S. 232 f.
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
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zung des Religionsgesprächs, die von Melanchthon für die nächste, noch nicht terminierte Sitzung240 konzipiert worden war.241 Melanchthons Ausarbeitung, in der er sehr klar das Schriftprinzip verteidigte und die Abgrenzung gegenüber der römisch-katholischen Seite überaus deutlich zum Ausdruck brachte,242 wurde verlesen. Sie fand allgemeine Zustimmung, ausdrücklich auch von seiten der gnesiolutherischen Deputierten, wie Runge und der ‚Preußische Bericht’mitteilen: „[…] vnd ist dieselbe Schrift gelesen, vnd von allen adprobieret. Vnd sagten die Jenischen, das sie Jhnen von hertzen wolgefiele vnd Gott danckten, das er vns D. Philippum itzt wider die Papisten als ein Organum Dei gegeben hette.“243 Aus den Worten der „Jenischen“ spricht noch die mittlerweile erreichte Annäherung zwischen Melanchthon und den gnesiolutherischen Deputierten. Eines vermißten Schnepf, Strigel, Stössel und Mörlin – Sarcerius fehlte am 22. September schwer erkrankt –244 allerdings in Melanchthons Ausarbeitung: die von römisch-katholischer Seite angemahnten spezifizierten Verwerfungen. Einem späteren Rückblick Schnepfs und Strigels nach scheinen die gnesiolutherischen Deputierten zunächst beantragt zu haben, daß die Verwerfungen in die Erwiderung eingefügt würden.245 Es wurde ihnen aber nicht bewilligt. Die Notwendigkeit der Verwerfungen stand für sie jedoch so unumstößlich fest, daß sie wiederum die Absicht bekundeten,
240 Gehalten wurde die Erwiderungsrede erst am 7. Oktober (vgl. MBW.R Bd. 8, S. 137 f., Nr. 8382 mit Kommentar sowie v. Bundschuh, S. 480). 241 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9rv. Im Schreiben der ernestinischen Deputierten vom 25. August und in der ‚Gemeinsamen Relation‘ tritt die Beratung über die Erwiderung auf Helding und Canisius völlig hinter den folgenden Auseinandersetzungen zurück, so daß sie gar nicht erwähnt wird. 242 So ist es zu erschließen aus der Rede, die Melanchthon später auf Grundlage des am 22. September besprochenen Konzepts hielt (Melanchthons Rede in Sessio VII. des Religionsgesprächs am 7. Oktober 1557: Förner, S. 89–96 = MBW 8382; vgl. v. Bundschuh, S. 480–483). 243 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v. Die lateinische Wiedergabe des ‚Preußischen Berichts‘ stimmt nahezu vollständig mit Runges Bericht überein: „Recitatur Responsio, eam omnes adprobant, et expresse dixerunt Ienenses & Morlinus eam sibi toto pectore placere. & Deo gratias agere, quod Philippum [sic!] servet Ecclesi qui tamquam Organon Dei possit opponi aduersarijs.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9rv). Fligge faßt den verlesenen Text irrtümlich als internen Vermittlungsvorschlag auf (Fligge, S. 413). 244 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 354, Nr. 50. 245 Schnepf und Strigel berichten rückblickend über den 22. September, daß sie darauf beharrt hätten, ihre Verwerfungen in öffentlicher Sitzung des Religionsgesprächs auszusprechen, weil „sie [scil. die Mehrheit der evangelischen Deputierten] solche vnsere confession [i. e. die Verwerfungen] vnserm gemeinen scripto vnd antwort [i. e. der Replik] auff der Papisten eingebrachte Libell [i. e. Canisus Rede in Sessio VI. des Religonsgesprächs] inserieren nit wolten“ (Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 358, Nr. 54).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
die Verwerfungen nunmehr auszusprechen. Laut Runge erklärten sie mit ausführlicher Begründung: „[…] deweil die Papisten hetten gefordert[,] man solte[,] ehe man zum Colloquio schritte[,] condemnieren Calvinum, Osiandrum, Stancarum, Jlliricum & Gallum, So musten sie vnd wolten ire Confession thuen, vnd Zwingel, Calvinum, Osiandren, Maiorem vnd die Adiaphoristen verdammen“246.
Die Assessoren fragten daraufhin die übrigen Theologen nach ihrer Haltung zu den geforderten Verwerfungen; als erster äußerte sich Melanchthon.247 Nach ihm sprach Brenz,248 und schließlich nahmen Runges Bericht zufolge auch Pistorius, Marbach, Karg und Runge selbst Stellung, anscheinend gemeinsam,249 wie sie auch während der Vorberatungen als Gruppe die ‚Articuli constituendi consensus‘ vorgelegt hatten. Melanchthon äußerte sich verhalten, aber nicht abweisend.250 Der ‚Preußische Bericht‘ teilt darüber in knappen Worten mit: „Philipp sagt, daß es [scil. daß Verwerfungen geschähen] ihm nicht lästig sein würde, auch wenn diese Sache anderen nicht gefalle. Er wünscht, daß die Sache auf die Artikel verschoben werde und daß in ihnen [i. e. bei der Erörterung der einzelnen Artikel] ein jeder an seinem Ort freimütig sage, was er meine und wieviel er wolle.“251
246
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v. Der Schritt der Assessoren wird nur von Runge mitgeteilt: „Darauf fragen die Adsessores vns andren Theologen, vnd sagt erstlich Philippus […].“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v). Mit Runge übereinstimmend läßt aber auch der ‚Preußische Bericht‘ auf die gnesiolutherische Verwerfungsforderung Stellungnahmen der anderen Theologen folgen (vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v). Die ‚Gemeinsame Relation‘ hingegen übergeht die theologischen Stellungnahmen und läßt die auf den 22. September bezogene Schilderung überhaupt erst mit den Argumenten beginnen, welche die politischen Räte den gnesiolutherischen Deputierten später vorhielten (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 27r–28r; vgl. dazu unten S. 428 in Abschnitt 5.3.2 bei Anm. 278). Äußerungen von seiten der nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählenden Theologen erwähnt die ‚Gemeinsame Relation‘ nur sporadisch (vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 28r.29v). 248 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 29r; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v. 249 „Wir andren[,] Pistorius, der Strasburgische, Marggrefische Theologus vnd ich sprechen, […]“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 29r). 250 Laut Johannes Aurifaber hatte Melanchthon sich bereits um den 11. September herum ähnlich geäußert. „[…] und hat Philippus gesagt: ego vestram condemnationem non improbo, nec nostrorum actiones probo.“ (Johannes Aurifaber an N. N., MarkgrafBaden ca. 16. September 1557: CR 9, Sp. 309, Nr. 6360; zum Kontext vgl. oben S. 379 in Abschnitt 5.1.3 bei Anm. 54). Angesichts der Tendenz der hier darzustellenden Aussagen Melanchthons vom 22. September erscheint die von Aurifaber – vermutlich aufgrund des mündlichen Berichts Strigels in Markgraf-Baden – mitgeteilte Äußerung Melanchthons durchaus als möglich. 251 „Philippus dicit sibi id non fore molestum. Aut si ea res non placeat alijs. Suadet rem differi ad Articulos & in ijs quemque suo loco dicere libere quod sentiat & quantum velit.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v.). 247
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
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Wesentlich ausführlicher und differenzierter ist Runges Wiedergabe252 der Stellungnahme Melanchthons.253 Auch Runge zufolge sprach Melanchthon sich nicht grundsätzlich gegen die Verwerfungen aus: „Er sei fur seine person wol zu friden.“ Der Kirche werde es allerdings nichts nützen.254 Vorbehalte meldete er an gegen schlichte Verwerfungsaussagen nach dem Muster „Ego damno Zwinglium, Calvinum, Osiandrum“. Statt bloßer Verwerfungen, die nur der Gegenseite nützten und Verwirrung bei den Gläubigen stifteten, müsse man vielmehr „die dogmata explicieren, vnd setzen Adfirmativas propositiones, mit etlichen gewissen argumenten, das ein iglicher konte wissen, was man an Zwingel und Calvino verdampte, widerumb auch was ein Christ widerumb [sic!] glauben solle.“255 Übereinstimmend mit dem ‚Preußischen Bericht‘ gibt Runge als Melanchthons Rat wieder, daß die Entscheidung der strittigen Fragen auf die Erörterung der einzelnen Artikel verschoben werden sollte.256 Runge zufolge ging Melanchthon dann aber auch noch einmal näher auf die geforderten Verwerfungen Majors und des Adiaphorismus ein.257 Die von Runge dazu mitgeteilten Äußerungen berühren sich weithin mit Melanchthons Argumentation in den formellen Vorberatungen am 5. September258: Laut Runge ging Melanchthon erneut auf Distanz zur These von der Heilsnotwendigkeit der guten Werke, die aber auch Major nicht verteidige. Wiederum verwies er auch auf ungereimte Aussagen der Kontrahenten Majors. Zum Adiaphorismus erklärte er, so Runge weiter, daß er sich keine Lehrverfälschung zuschulden habe 252 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v–28v. Im Regestenwerk des Melanchthon-Briefwechsels ist Melanchthons Rede aufgrund von Runges Bericht unter Nr. 8362 verzeichnet. 253 Da Runge in seinem Bericht die Beratung unter den Theologen am 21. September übergeht (vgl. oben S. 413 in Abschnitt 5.2.3 bei Anm. 205), in welcher Melanchthon sich auch schon zu demselben Thema geäußert hatte, ist nicht auszuschließen, daß in Runges Wiedergabe der Rede vom 22. September auch Aussagen eingeflossen sein könnten, die Melanchthon nicht an diesem Tag, sondern bereits am Vortag vorgebracht hatte. Weil der Tenor von Melanchthons Rede nach Runges Bericht jedoch mit der Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘ übereinstimmt und wichtige Aussagen auch durch die ‚Gemeinsame Relation‘ bestätigt werden, ist Runges Wiedergabe dennoch im ganzen als zuverlässig zu beurteilen, zumal die Aussagen unabhängig vom Datum ohnehin auf Melanchthon zurückzuführen wären. 254 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27v. 255 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28r. Verkürzt hat die referierte Argumentation auch in der ‚Gemeinsamen Relation‘ Erwähnung gefunden, derzufolge die gnesiolutherischen Deputierten von den anderen Theologen aufgefordert wurden, sie sollten „Cathegoricos articulos doctrinae stellen, domit man sich der condemnation vergleichen konte.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 28r; vgl. ohne Zuordnung zu einem bestimmten Datum auch Melanchthons ‚Bericht‘, 28. Februar 1558: CR 9, Sp. 452, Nr. 6468 = MBW 8539). 256 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28r. 257 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28rv. 258 Vgl. oben S. 289–291 bei Anm. 62–73.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
kommen lassen. Er habe lediglich den fränkischen Pfarrern empfohlen, lieber einige Zeremonien anzunehmen, sofern es nicht gegen den Glauben verstieße, als ihre Gemeinden zu verlassen. Von der kurbrandenburgischen Interimspolitik und dem Leipziger Interim, das von Herzog Moritz nicht publiziert und von den Magdeburgern verfälscht gedruckt worden sei, distanzierte er sich. Ihm sei es vor allem darum gegangen, die vielen Pfarrer und ihre Familien nicht unnötiger Gefahr auszusetzen.
Melanchthons Ausführungen zum Adiaphorismus und zugleich seine gesamte Stellungnahme mündeten laut Runge in die Beteuerung, auch wenn Flacius und dessen Anhänger „Jhm und manchen [sic!] guten Man grosse gewalt“ angetan hätten, wolle er trotzdem weichen und sich und die Adiaphora verwerfen lassen. Den emotional aufgeladenen Höhepunkt und Schlußpassus der Rede gibt Runge schließlich sogar in direkter Rede wieder: „Condemnate & me[,] ich frage nichtes darnach. et si vultis occidere. Jch will es Gotte geben, vnd wolte das man doch ein mal friede hielte vnd schonete der Kirchen, und der herschaften.“259 Sodann habe Melanchthon die ‚Forma protestationis‘ vorgelegt,260 die Runge in Abschrift als Beilage anfügte. Auf eine Beilage zur Schilderung der Besprechung am 22. September verweist auch die ‚Gemeinsame Relation‘. Zur Einführung der Beilage heißt es dort, die gnesiolutherischen Deputierten seien „[d]arneben [scil. neben den Ermahnungen der politischen Räte] von den theologis mit dreuem vleis vermanet vnd inen etliche mittell inhalt beiligend schriefft, so mit C vorzeichnet forgeschlagen wurden“261. Im Aktenzusammenhang verweist die Sigle C auf die ‚Articuli constituendi consensus‘ der Gruppe ‚Weißer Schwan‘, die aber nicht in die Besprechung am 22. September eingebracht worden sind, sondern in die Vorberatungen.262 Auf den angeführten Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ beruhen die unzutreffenden Darstellungen in der Literatur von Heppe bis von Bundschuh.263 Trotz der beschriebenen Ungenauigkeit bestätigen die Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘, daß am 22. September von den nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählenden Theologen ein Text in die Besprechung eingebracht worden ist. Der eingebrachte Text waren aber nicht die ‚Articuli constituendi consensus‘, sondern wie von Runge dargestellt Melanchthons ‚Forma protestationis‘, über welche die Theologen am Vortag bereits unter sich beraten hatten.
Die Formulierungen, mit denen Melanchthon laut Runge die ‚Forma protestationis‘ einbrachte, stimmen der Tendenz nach überein mit dem, was 259 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28v. Der erste Satz lautet mit Übersetzung der lateinischen Teile und Übertragung ins Neuhochdeutsche: „Verwerft auch mich, ich frage nichts danach, selbst wenn ihr mich töten wollt.“ 260 „Darauf reichet er eine forma, die den Papisten zu vberantworten were, verzeichnet mit D“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 28v). Die Sigle D verweist im Greifswalder Aktenzusammenhang auf Melanchthons ‚Forma protestationis‘ (LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 59r; vgl. oben S. 412 bei Anm. 199). 261 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29v. 262 Vgl. oben S. 303 bei Anm. 140–144. 263 Vgl. oben S. 420 bei Anm. 238.
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
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der Wittenberger dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge am 21. September bei der Vorstellung der ‚Forma‘ gesagt hatte, daß er nämlich lieber selbst einen Schlag hinnehmen wolle, als nicht zur Einigkeit zu helfen und der Gegenseite Gelegenheit zu Skandal und Anklage zu geben.264 Melanchthon bekräftigte also am 22. September im Rahmen formeller Verhandlungen vor den politischen Räten noch einmal sein Entgegenkommen gegenüber den gnesiolutherischen Deputierten und ihren Verwerfungsforderungen. Dabei ging er „bis an die Grenze der Selbstverleugnung“, wie Benno von Bundschuh zutreffend formuliert hat.265 Wie am Vortag im Kreis der Theologen sprach sich aber wiederum Brenz gegen die von den gnesiolutherischen Deputierten geforderten und von Melanchthon nach Maßgabe der ‚Forma protestationis‘ zugestandenen Verwerfungen aus. Runge hält lediglich fest: „Brentius stimmet hirgegen, das er in solche Condemnation nicht konte willigen“266. Der ‚Preußische Bericht‘ gibt Brenz’ Votum detaillierter wieder: „Brenz hat widersprochen, indem er bekräftigt hat, daß keine Verwerfungen namentlich gemacht werden dürften; es sei eine gefährliche Sache und ohne Beispiel in der Kirche, Ungehörte zu verwerfen. Und er wolle nicht, daß ihm dieses Gesetz auferlegt werde, daß, wenn einige jemanden verwürfen zu Recht oder Unrecht, sie ihn selbst gleichzeitig zur Verwerfung zwängen.“267
Aus Brenz’ Votum spricht im Einklang mit den württembergischen Vorfestlegungen seine prinzipielle Ablehnung jeglicher namentlicher Verwerfungen in Worms. Für Brenz’ ablehnende Haltung war es ohne Belang, ob die Verwerfungen von den gnesiolutherisch orientierten Theologen gefordert oder von Melanchthon zugestanden wurden. Daher sahen sowohl Schnepf und Strigel als auch Melanchthon später in Brenz denjenigen, der eine Verständigung verhindert hatte. Schnepf und Strigel erklärten, „das der Brentius mehr dan die andern die specialem condemnationem verhindert habe vnd do es ohn Ihnen gewesen were, hette dozumal D. Philippus vmb einigkeit willen sich anderer gestalt erzeigt vnd verhalten.“268 264 „[…] ipse [scil. Melanchthon] quoque plagam accipere maluit quam deesse concori , & pr bere occasionem scandali & periculi apud Papistas […]“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 8v; vgl. die Erläuterungen dazu oben S. 414 in Abschnitt 5.2.3 bei Anm. 210). 265 V. Bundschuh, S. 459, belegt durch Verweis auf Melanchthons sowie Schnepfs und Strigels Rückblicke auf das Wormser Religionsgespräch (vgl. v. Bundschuh, S. 459 f., Anm. 90). 266 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 29r. 267 „Brentius contradixit, adfirmans Nullas essa faciendas Condemnationes Nominatim, esse rem periculosam & novi exempli in Ecclesia, non Auditos damnare, Et sibi nolle hanc legem imponi, vt si quidam aliquem damnent iuste ver iniuste, ipsum simul ad Condemnationem cogant.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v). 268 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 363, Nr. 54.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Damit übereinstimmend berichtete Melanchthon selbst im Rückblick: „Da sie aber nicht zufrieden gewesen [scil. die gnesiolutherischen Deputierten mit der Möglichkeit, ihre Verwerfungen bei der Erörterung der einzelnen Artikel auszusprechen], habe ich gewilligt, eintr chtige condemnationes mit ihnen zu machen, habe ein Form gestellet [i. e. die ‚Forma protestationis], die aber Brentius von wegen Osiandri nicht hat gewilliget“269.
Obwohl sie sich Verwerfungen nicht wie Brenz prinzipiell verweigerten, bekundten auch die Theologen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ erhebliche Vorbehalte. Pistorius, Marbach, Karg und Runge erklärten Runges Bericht270 zufolge gemeinsam – möglicherweise durch einen Sprecher –, daß Verwerfungen vor der römisch-katholischen Seite unnötig und gefährlich seien. Insbesondere wiesen sie darauf hin, daß die Gegenseite sich die innerevangelischen Auseinandersetzungen und Verwerfungen propagandistisch zunutze machen könne. Sie bestritten, daß jetzt „tempus Confitendi“, Zeit zum Bekennen, sei. Unter den gegebenen Bedingungen würde vielmehr ihrer Ansicht nach die von römisch-katholischer Seite verlangte Verwerfungserklärung kein Bekenntnis sein, sondern Verrat an der eigenen Sache, was bedeuten würde, „den feinden das schwerdt [zu] reichen, damit sie vns wurgen“. Sie waren deshalb der Auffassung, „das wir es nicht schuldig weren. auch mit guetem gewissen vmb so grosser gefaher nicht thuen konten.“. Das Bekenntnis der Wahrheit sollte besser „hernach geschehen in iedem artikel“. Für den Fall, daß man sich nicht über alle Artikel einigen könne, empfahlen sie, man solle „gleichwol wider die Papisten zusamen einig stehen“, was aufgrund der bestehenden Übereinstimmung in Lehre, Predigt und Glauben gemäß CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikel auch möglich sei. Explizit abgelehnt wurde Melanchthons ‚Forma protestationis‘ von den Theologen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ nicht. Soweit Runges Bericht zu erkennen gibt, fand die ‚Forma protestationis‘ aber bei ihnen auch keine ausdrückliche Unterstützung, obschon die vorgetragenen Vorbehalte gegen Verwerfungen vor allem den gnesiolutherischen Verwerfungsforderungen gegolten haben dürften. Die gnesiolutherisch orientierten Theologen ließen sich freilich davon nicht beeindrucken. Laut Runge räumten sie zwar ein, es bestehe Einigkeit „in vnser Confession, so viel die Adfirmativa betrifft“. Es sei aber auch die einmütige Verwerfung aufgebrachter falscher Lehrmeinungen „per Negativam“ nötig.271 Abschließend erklärten sie nach Runges Dar269 Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Februar 1558: CR 9, Sp. 455, Nr. 6468 = MBW 8539; vgl. Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 461, Nr. 6469 = MBW 8540. 270 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 29rv; dort auch sämtliche weiteren Zitate in diesem Absatz. 271 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 29v.
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
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stellung, „es dringe sie ire Conscientia. Jre Jnstruction vnd das itzto were Tempus Confitendi.“272 Damit war noch einmal deutlich ausgesprochen, daß die gnesiolutherischen Deputierten aus Gewissensgründen, aus Loyalität gegenüber der Obrigkeit und aus theologischer Überzeugung nicht von der beabsichtigten Vorlage ihrer Verwerfungen Abstand nehmen würden. Nachdem sich zuvor bereits herausgestellt hatte, daß sich wegen Brenz’ Widerspruchs auch mittels der ‚Forma protestationis‘ keine Verständigung würde erzielen lassen, konnte am Ende der Plenarbesprechung über die Gefechtslage kein Zweifel mehr bestehen.
5.3.2 Separatbesprechungen der politischen Räte und des Grafen Eberstein mit den gnesiolutherischen Deputierten an Vor- und Nachmittag des 22. September Nach der Plenarbesprechung beratschlagte das Gremium der politischen Räte zunächst intern über das weitere Vorgehen.273 Anschließend wurden die gnesiolutherischen Deputierten zu einer separaten Besprechung vor die Räte zitiert.274 Was die politischen Räte Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel vorhielten, bieten Runge und der ‚Preußische Bericht‘ in stark verkürzter Form. Die Quintessenz der Vorhaltungen war demnach, daß die gnesiolutherisch orientierten Theologen zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Vorlage ihrer Verwerfungen absehen und erst bei der Erörterung der einzelnen Artikel Stellung zu den strittigen Lehrmeinungen beziehen sollten.275 Unter den Argumenten, welche die politischen Räte anführten, heben Runge und der ‚Preußische Bericht‘ besonders den Hinweis hervor, daß einige Deputierte ausdrücklich instruiert seien, keine Verwerfungen zuzulassen.276 Runge verweist in seiner Schilderung auf die ‚Gemeinsame Relation‘, aus welcher der pommersche Herzog die Ausführungen der politischen Räte in der Separatbesprechung „volkomener“ vernehmen werde.277 Runges 272
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 29v. Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v. 274 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v. Im Bericht Schnepfs, Strigels und Stössels vom 25. September sowie in der ‚Gemeinsamen Relation‘ ist der Unterschied zwischen Plenar- und Separatbesprechung nicht zu erkennen. 275 „Vnd ermanen [die Assessoren und Auditoren] sie [scil. die gnesiolutherischen Deputierten] darauf mit allerlei Argumenten von dem furhaben abezutreten. Jedoch solte […] inn frei sein in einem artikel ire meinung zu sagen. Und eine igliche irrige Opinion. Zu vergleichen. oder zu verdammen“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r; vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 9v–10r). 276 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r; vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 10r. 277 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r. 273
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Verweis ist berechtigt, denn die ‚Gemeinsame Relation‘ referiert die Argumentation der politischen Räte ausführlich und in vier Punkte gegliedert, möglicherweise anhand eines Konzeptes.278 Vor dem Vortrag der einzelnen Argumente wurden die gnesiolutherischen Deputierten laut der ‚Gemeinsamen Relation‘ an ihre nach Strigels Rückkehr aus Markgraf-Baden gegebene Zusage erinnert (fol. 27r). Nach Auffassung der politischen Räte hatten die gnesiolutherischen Deputierten damals zugesagt, daß sie ihre Verwerfungen bis zum Ende des Religionsgesprächs zurückhalten würden, niedergelegt in der den evangelischen Assessoren zu übergebenden Protestation.279 Als erstes Argument, warum die Vorlage der Verwerfungen im Reichsreligionsgespräch nicht gestattet werden könne, wurde sodann angeführt, daß die Instruktionen der anderen Stände keine Verwerfungen zuließen (fol. 27r). Zweitens verstießen Verwerfungen gegen den im Reichsabschied festgelegten Charakter des Religionsgesprächs, auf dem keine Rechtstatbestände geschaffen werden sollten (fol. 27rv). Drittens würden die Verwerfungen der römisch-katholischen Seite einen günstigen Vorwand liefern, um das Religionsgespräch abzubrechen. Römisch-katholischen Verwerfungsforderungen sollte besser mit dem Hinweis begegnet werden, daß die evangelischen Theologen dazu nach dem Reichsabschied nicht verpflichtet seien (fol 27v). Viertens wurden die gnesiolutherischen Theologen gewarnt wegen „des Vnrats so sich durch das ir eigensinnig dürftig fornemen zwischen vnser genedigsten vnd g. f. herrn vnd obern zutragen möchte“ – eine kaum verhohlene Drohung mit politischen Konsequenzen (fol. 27v–28r).
Die Argumentation der politischen Räte beschränkte sich auf formale und an der konfessionspolitischen Opportunität orientierte, pragmatische Gesichtspunkte. Damit vermochten die Räte die gnesiolutherischen Deputierten, denen es um eine Gewissensfrage ging, nicht zu überzeugen. Sie beharrten auf ihrem Standpunkt. Dem ‚Preußischen Bericht‘ nach erklärte Schnepf, „daß er mit den Genossen von ihrem Vorhaben weder abweichen wolle noch könne noch dürfe, selbst wenn die Welt zusammenbräche.“280 Die gnesiolutherisch orientierten Theologen knüpften damit an die Entschiedenheit an, mit welcher die ernestinischen Deputierten ihr Verwerfungsgutachten in die Konklusion „Fiat iustitia & pereat mundus.“281 hatten münden lassen. 278 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 27r–28r. Die mit Folioangaben im Text belegten Zitate des folgenden Petit-Absatzes entstammen der angeführten Passage der ‚Gemeinsamen Relation‘. 279 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 26rv; ferner die Erläuterungen dazu oben S. 405 in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 169. 280 „Sed Sneppius respondet Se cum Socijs nec velle nec posse, nec debere à suo propositio discedere etiamsi fractus illabatur orbis.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 10r). Entsprechend in Runges Bericht: „Aber Sneppius mit den seinen beharren auf irem sinn vnd sagen. sie wollen, vnd mussen it irer Protestation itz vnd fort, vor den Papisten, solte auch die welt darob fallen.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r). 281 Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten vom 29. August 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 130r–137v, hier fol. 136v; vgl. die Erläuterungen dazu oben in Abschnitt 3.6.5.
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
429
Dennoch stellten die politischen Räte ihre Anstrengungen noch nicht ein und gaben den gnesiolutherischen Deputierten Bedenkzeit über Mittag bis zwei Uhr.282 Darüber hinaus unternahm in der Zwischenzeit der kursächsische substituierte Assessor Graf Ludwig von Eberstein-Neugarten noch einen eigenen Versuch, die gnesiolutherische Gruppe umzustimmen. Er bediente sich dazu seiner aus der Vertretung des sächsischen Kurfürsten herrührenden Autorität und führte den Theologen die Konsequenzen vor Augen, die ihr Vorgehen für das Verhältnis zwischen den beiden sächsischen Häusern haben könnte. Die ‚Gemeinsame Relation‘ geht an dieser Stelle vom sonst vorwiegend in der 3. Person gehaltenen Bericht über zu einer persönlichen Schilderung des Grafen Eberstein: „Vber dieses alls hab ich Graf Ludwig sie in sonderhait fur mich erfordert, vnd hefftig an stadt des Churf. zu Sachsen etc. mit höchstem vleis ermanet, das sie das gros ergernuss, so hie durch von inen angerichtet wurde, bedrachten, auch sonderlich des haus Sachsen erbeinigung bedencken, vnd sich von vns nicht sondern wolten. in erwegung[,] das solches nit zu kleiner verbitterung zwischen den herrn gereichen würde. Dan es ihe an dem where, das sie durch solche condemnation fornemlich meines genedigsten herrn Landt, die Schulenn zu Wittenberg, vnd Leipzig, vnd in summa die gantze Landschafft, darwieder sie von den Adiaphoris viel bücher geschrieben, angreiffen. vnd als abdrünnige der Auspurgischen Confession schmeheten, darob sein Churf. g. ie kein gefallen tragen könten.“283
Aber auch das massive Ausspielen der kursächsischen Karte fruchtete nichts. Vielmehr scheint die Drohgebärde des Assessors, dem die anderen politischen Räte später sekundierten,284 die gnesiolutherisch orientierten Theologen noch darin bestärkt zu haben, die Vorordnung ihrer Gewissensentscheidung vor dem politischen Kalkül betont herauszustellen, als sie nach zwei Uhr unbeirrt an ihrer Verwerfungsabsicht festhielten. Der ‚Gemeinsamen Relation‘ zufolge erklärten sie, „[d] as sie von irem fornhemen nicht könten noch wolten abstehen, darumb das sie theologj vnd nicht Politicj vnd das sie keiner herrn vnd fursten gunst darin ansehen, sonders solches, auf ir ebentheuer, thun vnd wagen wolten, Dan sie es in irem gewissen nicht zu verantworten wüsten, Weil sie in iren kirchen vnd schulen wider die vnsere geleret, das sie es auch allhie nicht offentlich sagen solten, fragten auch nach der einikait nichst [sic!], weil sie Gott mher dan die Menschen förchten müssen.“285
282
Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30r; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 10r. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 28rv. 284 Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 10rv. 285 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 28v–29r. Die Aussage, Gott mehr fürchten zu müssen als die Menschen, greift Apg 5,29 als biblischen locus classicus der Widerstandslehre auf. 283
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Die Wiedergabe durch die ‚Gemeinsame Relation‘ dürfte recht zuverlässig sein, insofern deren Verfasser die daraus sprechende ungebeugte Haltung der gnesiolutherischen Deputierten nicht gerade als Erfolg für sich verbuchen konnten.
5.3.3 Der Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten Trotz oder auch gerade wegen der offensiven Unbeirrtheit, mit welcher die gnesiolutherische Gruppe ihren Standpunkt verfocht, zog sich die Auseinandersetzung noch so lange hin, daß die ernestinischen Deputiertem ihrem Herzog später mitteilten, man habe sie „den gantzen tag Vormittag vnd Nachmittag wol zermarttert“.286 Weil die politischen Räte aber dennoch nichts erreichen konnten, berieten sie sich noch einmal miteinander.287 Das Ergebnis ihrer Beratung war der Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten von der weiteren Teilnahme am Reichsreligionsgespräch. Er wurde der gnesiolutherischen Gruppe sogleich mitgeteilt. Die ernestinischen Deputierten berichten darüber summarisch, die Räte hätten schließlich „mitt viel spitzigen vnnd scharffen wortten uns excludirt vom Colloquio vnnd verbotten, das wir nitt mehr in das Colloquium sollten kommen.“288 Der übereinstimmenden Darstellung Runges, der ‚Gemeinsamen Relation‘ und des ‚Preußischen Berichts‘ nach verwiesen die Räte zur Begründung ihrer Entscheidung darauf, daß sich die gnesiolutherischen Deputierten durch ihr hartnäckiges Beharren auf den Verwerfungen selbst von den übrigen Deputierten abgesondert hätten. Der daraus folgende Ausschluß selbst wurde ausgesprochen in Form der Ankündigung, daß man die Stellen der gnesiolutherischen Deputierten im Religionsgespräch anderweitig besetzen werde. Im ‚Preußischen Bericht‘ ist der Bescheid der Räte in direkte Rede an die gnesiolutherischen Deputierten gefasst: „Weil ihr euch also absonderliche Dinge herausnehmt und hartnäckig von allen anderen abweicht gegen alle Notwendigkeit, wodurch ihr euch selbst von den übrigen absondert, deshalb befehlen wir die Sache Gott und werden uns Mühe geben, daß dem Kolloqium nicht etwas Schädliches aus diesem Grund widerfahre; und daß an eurer Stelle andere zum Ersatz geschickt werden, dafür werden wir Sorge tragen.“289 286 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50. 287 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29r. 288 Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 353, Nr. 50 289 „Quia igitur vos vobis sumitis, res singulares & a reliquis omnibus pertinaciter dissentitis, praeter omnem necessitatem, quo facto vos ipsos a reliquis seiungitis. Ideo rem
5.3 „Hoc modo Schisma inter nos factum est“: Der Ausschluß
431
Die ‚Gemeinsame Relation‘ gibt die Bekundung des Ausschlusses mit der Formulierung wieder, daß die Räte erklärt hätten, sie „wolten […] mit dem Colloquio fortfaren, und an ire [scil. der gnesiolutherischen Deputierten] stadt einen anderen Colloquenten verordnen, damit on zwispalt einhelliglich mit dem gegenthail handeln vnd des Reichs abschiedt nach for einen man stehen konte.“290 Eine weitere scharfe Ankündigung der politischen Räte wird zwar nur von Schnepf und Strigel rückblickend mitgeteilt: Die Räte hätten gedroht, wenn die gnesiolutherischen Deputierten neben ihnen im Religionsgespräch erschienen, „[s]o wolten sie von vns auffstehen vnd ferner gar nichts mit vns in eincherlei [sic!] sachen zu thun haben“291. Die Ankündigung entspricht aber dem Tenor des übrigen Bescheids und berührt sich mit späteren Überlegungen der Räte292, so daß Schnepfs und Strigels Darstellung plausibel erscheint. Bei aller Entschiedenheit ließen es die politischen Räte dennoch nicht an einem Appell fehlen, sich doch noch eines anderen zu besinnen.293 Die gnesiolutherischen Deputierten gingen darauf aber wiederum nicht ein, sondern kündigten an, die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses durch den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs überprüfen zu lassen. Laut Schnepfs und Strigels Rückblick erklärten sie, „do sie [scil. die Räte] auf solchen Ihren [sic!] angemassten aussschlissen, dessen sie doch kein macht hetten, verharren und bestehen wurden, wurde uns die not dringen, solches an den her [sic!] Pre-
commendamus Deo & operam dabimus, ne quid detrimenti Colloquio ea de causa accidat, inque vestrum locum alios submitti curabimus.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 10v–11r; vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29r; Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v). 290 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29r. Runge verzeichnet keine Ankündigung des Ausschlusses, sondern läßt die Wiedergabe des Bescheides der politischen Räte damit enden, daß sie den gnesiolutherischen Deputierten keineswegs gestatten könnten, ihre Protestation oder Verwerfung im Religionsgespräch vorzutragen (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v). Der von Runge nicht erwähnte Ausschluß ist aber die sachliche Konsequenz des Berichteten, welcher auch die Betrübnis der Theologen entspricht, die Runge anschließend schildert (ebd.; zitiert unten in Anm. 297). 291 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54. 292 Die kursächsischen Räten erwogen am 2. Oktober als Option für den Fall, daß der Präsident die gnesiolutherischen Deputierten noch einmal zu einer Sitzung des Religionsgesprächs einberiefe und jene dann ihre Verwerfungen vortrügen, dann „von inen auf[zu] stehen / vnd also dardurch Ewer Churf. g. Landtschaft, Schulen vnd Kirchen Reputation wider ire schmehunge [zu] erhalten“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 2. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 68r–71r, hier fol. 69rv; vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 33v). 293 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29v.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
sidenten zu bringen vnd vns bey Imhe zu ercleren, ob solche jre vermeinte exclusion in kraft mochte gehen“294.
Für die Zuverlässigkeit der nur von Schnepf und Strigel überlieferten Nachricht über die Ankündigung der gnesiolutherischen Deputierten spricht, daß Schnepf und Strigel darauf bezogen eine heftige Reaktion der Räte schildern, die im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung nicht unterzubringen ist, weil es zu keiner direkten Konfrontation zwischen den Räten und den gnesiolutherischen Deputierten mehr kam. Schnepf und Strigel zufolge brachen die Räte in heftige Beschimpfungen aus: „[…] drauf [scil. auf die Ankündigung der gnesiolutherischen Deputierten] vns mit vil schmehworten begegnet, ettlich hiessen vns hingehen zun Papisten vnd dem abtrunnigen Staphylo, von andern gesagt wurde, wir mochten solches dem hern Presidenten nit allein clagen, sunder, so wir wolten, Imhe auch ein gantzs buch davon schreyben.“295
Das ganze Ausmaß des Bruches zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten, der mit dem Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten eingetreten war, faßt der ‚Preußische Bericht‘ am Schluß seiner Schilderung der Ereignisse des 22. September mit den lapidaren Worten zusammen: „Hoc modo Schisma inter nos factum est.“296 – „Auf diese Weise ist das Schisma zwischen uns zustande gekommen.“
5.4 Versuche der Schadensbegrenzung Der Ausgang der Auseinandersetzung zwischen den gnesiolutherischen Deputierten und den politischen Räten wurde von den übrigen evangelischen Theologen mit großer Bestürzung aufgenommen.297 Der befürchtete Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten war eingetreten; daß er auch öffentlich würde, schien nun kaum mehr zu vermeiden, mit unabsehbaren Folgen für den Fortgang des Religionsgesprächs. Dennoch unternahm die Gruppe der um Vermittlung bemühten Theologen aus dem Gasthaus ‚Beim hintern Weißen Schwan‘ zwei weitere Versuche, die gnesiolutherisch 294 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54. 295 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54. 296 ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11r; vgl. dazu auch die Ausführungen oben S. 3 in Abschnitt 1 der Einleitung bei Anm. 2. 297 Runge hält fest: „Do wir Theologi solches vernommen, hats vns hart betrubt vieler vrsachen halben.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v). Vom Ausschluß scheinen die anderen Theologen erst am Morgen des 23. September durch die gnesiolutherischen Theologen erfahren zu haben (vgl. unten S. 436 bei Anm. 315).
5.4 Versuche der Schadensbegrenzung
433
orientierten Theologen von der Vorlage ihrer Verwerfungen im Kontext des Religionsgesprächs abzubringen (5.4.1). Die Vermittlungsbemühungen waren aber vergeblich: Die gnesiolutherischen Deputierten wandten sich an den Präsidenten des Religionsgesprächs, um sich gegen den von den politischen Räten ausgesprochenen Ausschluß zu verwahren (5.4.2). Ihr Schritt löste weitere Versuche der Schadensbegrenzung auf allen Ebenen aus, angefangen beim Präsidenten über das Gremium der evangelischen politschen Räte bis hin zu den Fürsten, die nun von den Deputierten eingeschaltet wurden (5.4.3; 5.4.4).
5.4.1 Vermittlungsbemühungen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ Jakob Runge, dem pommerschen Generalsuperintendenten, war von seinem Herzog auferlegt worden, er sollte in Worms „mit allem vleis zur einigkait vnter den vnseren helfen“, da von den Verhandlungen mit der römischkatholischen Seite nichts zu hoffen wäre, wie er selbst den Auftrag des Herzogs rekapituliert.298 Die mit dem Scheitern der Besprechungen am 22. September eingetretene Wendung konnte und wollte Runge daher nicht auf sich beruhen lassen. Einig wußte er sich darin mit den anderen Theologen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘, die sich ja bereits während der Vorberatungen gemeinsam um eine Verständigung auf Grundlage der ‚Articuli constituendi consensus‘ bemüht hatten. Runge, Pistorius, Marbach und Karg schoben angesichts der drohenden Gefahr ihren nächsten Vermittlungsversuch nicht auf die lange Bank: Bereits am frühen Morgen des 23. September sprachen Marbach und Pistorius bei den gnesiolutherischen Deputierten vor und versuchten, sie von der Vorlage der Verwerfungen abzuhalten. Schnepf und Strigel berichteten später darüber: „Den nachvolgenden tag [i. e. am 23. September] kamen morgens fru zu vns der Marpach vnd Pistorius fur sich selber wie sie furgaben, wolten uns dahin bereden, das wir vnser Confession vnd reprehension der Secten wolten fallen lassen“299. Indem Marbach und Pistorius betonten, sie kämen „fur sich selber“, versuchten sie der naheliegenden Vermutung vorzubeugen, daß sie im Auftrag der politischen Räte handelten. Runge und Karg aber standen erklärter- oder unerklärtermaßen hinter ihnen, denn es dürfte auf den von Marbach und Pistorius unternommenen Vermittlungsversuch zu beziehen sein, wenn Runge festhält: „Es sind auch etlich aus vnserem mittel an sie abegefertigt.“300 298
Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 24r. Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54. 300 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v. 299
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Der Intervention Marbachs und Pistorius’ war jedoch kein Erfolg beschieden. Die gnesiolutherischen Deputierten zeigten ihnen an, so Schnepf und Strigel später, „welche not vns auff dem hals lege, vmb deren willen wir von vnserm furhaben nit wussten abzustehn.“301 Die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ ließ sich jedoch durch den Fehlschlag von ihren Bemühungen nicht abhalten und trat unverzüglich auch noch in schriftlicher Form an die gnesiolutherisch orientierten Deputierten heran. „Do haben wir, Pistorius, Marbachius, Marchius [i. e. Karg] vnd Jch an sie geschrieben“, so Runge in seinem Bericht, dem er eine Kopie ihres Schreibens beifügte.302 Die Kopie des Schreibens hat sich im Greifswalder Aktenzusammenhang erhalten; sie ist durch die Sigle E eindeutig zuzuordnen.303 Es handelt sich um die gut sieben Folio-Seiten umfassende Abschrift eines Schreibens an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel, das vom 24. September datiert. Als Unterzeichner sind Marbach, Pistorius und Runge angeführt.304 Johannes Fecht hat dasselbe Schreiben mit der irreführenden Verfasserangabe „Ministri Ecclesiae in Urbe Vangionum“ abgedruckt,305 woraus Heppe geschlossen hat, die Wormser Pfarrerschaft habe sich schriftlich an die gnesiolutherischen Deputierten gewandt306. Das ist aber nicht der Fall gewesen.
Die Theologen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ steuerten direkt auf das Thema zu, das sie umtrieb, und eröffneten das Schreiben mit dem starken Satz: „Mit ungeheurem Schmerz haben wir wahrgenommen, daß ein Schisma zwischen uns entsteht, und wir zweifeln nicht, daß ihr mit uns in großer Traurigkeit seid wegen dieser äußerst schmerzlichen Verwundung der Kirche.“307 Den damit angeschlagenen Ton behielten die Verfasser im ganzen Schreiben bei.308
301 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54. 302 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v. 303 Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, die Sigle E ebd., fol. 55r sowie in Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v. 304 Warum Karg in der Abschrift nicht als Unterzeichner erwähnt ist, läßt sich nicht feststellen. In Runges Bericht wird er als Mitverfasser des Schreibens genannt (vgl. das bei Anm. 302 angeführte Zitat). Vielleicht hielt Karg, wegen seiner Rolle im Ansbacher Abendmahlsstreit umstritten, sich hier bewußt zurück (vgl. oben S. 303 f. in Abschnitt 4.2.2 bei Anm. 146 und in Anm. 148). 305 Fecht, S. 67–70. 306 Vgl. Heppe I, S. 204. 307 „Cum ingenti dolore intelleximus schisma inter nos fieri, nec dubitamus vos nobiscum esse in magna moesticia propter tristissimum hoc Ecclesi vulnus.“ (Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 55r). 308 Die in den folgenden beiden Petit-Absätzen angeführten, durch Folio-Angaben im Text belegten Zitate sind sämtlich dem besprochenen Schreiben (Marbach, Pistorius und
5.4 Versuche der Schadensbegrenzung
435
Dem Eröffnungssatz ließen sie eine Beteuerung theologischer Übereinstimmung folgen von der Abendmahlslehre über die Haltung zu Osiander und Major bis hin zur Ablehnung des Tridentinums und des Interims (fol. 55r). Allein zu den Adiaphora bestünden unterschiedliche Einschätzungen, aber eine Unterwerfung unter die Jurisdiktion der papsttreuen Bischöfe hätten auch sie niemals gebilligt (fol. 55rv). Auf der beschriebenen Grundlage lasse sich über alle strittigen Fragen Verständigung erzielen; im Blick auf den Osiandrismus beabsichtige man, mit Brenz und Andreae eine Vergleichung zu erzielen (fol. 55v–56r). Denn es werde leicht nachzuweisen sein, daß Osiander gelehrt habe, was ihm zur Last gelegt werde, wie es die Württemberger forderten (ebd.). Unterstützung bekundeten die Verfasser des Schreibens aber zugleich für die Aufforderung der Fürsten, die Auseinandersetzung auf eine künftige Synode zu verschieben (fol. 56r). Eventuellen Verwerfungsforderungen der römisch-katholischen Seite in Worms solle man so begegnen, wie Eck in Augsburg 1530 beschieden wurde, als er Widersprüche in Luthers Schriften monierte: Man sei nicht dazu da, Luther, sondern das Augsburgische Bekenntnis zu verteidigen. Hier griff die Gruppe ‚Weißer Schwan‘ einen Ratschlag von Brenz auf.309 Eigens setzten sich die Theologen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘, welche die bisherige Auseinandersetzung noch einmal aufrollten, mit der Auffassung der gnesiolutherischen Deputierten auseinander, daß mit der römisch-katholischen Verwerfungsforderung das „tempus Confessionis“ eingetreten sei (fol. 56v–57r). Sie erinnerten daran, daß eingeräumt worden sei, sich bei der Erörterung der einzelnen Artikel über die Streitpunkte zu erklären. Nicht ohne Spitzfindigkeit behaupteten sie, wenn sie sich im Blick auf die römisch-katholischen Verwerfungsforderungen mit den gnesiolutherischen Deputierten verbunden hätten, so wäre es auch nötig gewesen, daß sie Gallus und Flacius verworfen hätten, was sie aber nicht hätten tun wollen.310
Hinsichtlich der Verwerfungsabsicht markierten Runge, Pistorius, Marbach und Karg deutlich die Grenze der ansonsten angeblich weitgehenden Übereinstimmung311 mit den gnesiolutherisch orientierten Theologen. In dieser Angelegenheit hätten sie deren Genossen nicht sein können.312 Zur Begründung verwiesen sie auf die großen Gefahren, die den Ständen AugsRunge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v) entnommen. 309 Vgl. oben S. 355 bei Anm. 390. 310 „Qua in re si nos vobiscum coniunxissemus, pr ter cetera incommoda oportuisset etiam nos Gallum & Illiricum condemnare quod facere noluimus.“ (Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 57r). 311 Nur in der Bewertung der beabsichtigten Protestation seien sie von den gnesiolutherischen Deputierten abgewichen: „Non alia igitur de causa à vobis dissensimus, quam quod putavimus, vestram illam Protestationem intempestinam futuram & periculosissimam tum huic colloquio, tum communi caus .“ (Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 57r). 312 „In ea re socij vestri non potuimus.“ (Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 57v).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
burgischer Konfession aus den beabsichtigten Verwerfungen erwachsen könnten.313 Ausdrücklich beteuerten sie, daß sie die Gewissensentscheidung der gnesiolutherischen Deputierten und die von deren Fürsten ausgegangenen Mandate nicht verurteilten, sondern nur ihre einhellige Auffassung und die Gründe anzeigten, warum sie nicht Teilnehmer dieser Absonderung sein könnten.314 Bestürzt zeigten sie sich darüber, daß die gnesiolutherischen Deputierten mitgeteilt hatten – wahrscheinlich gegenüber Marbach und Pistorius am Morgen des 23. September –, daß sie, i. e. die gnesiolutherischen Deputierten, ausgeschlossen worden seien. Jede Beteiligung daran wiesen die Theologen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ zurück und drückten ihre Hoffnung aus, daß dieser Umstand geheilt werden könne, wenn die gnesiolutherischen Theologen nur bei ihnen bleiben wollten.315 Alles Werben vermochte jedoch kein Einvernehmen herbeizuführen:316 Der Aufruf der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ zur Verständigung blieb unbeantwortet und wurde in den Berichten der gnesiolutherischen Deputierten über die Wormser Begebenheiten mit keinem Wort erwähnt. Als er die gnesiolutherischen Theologen am 24. September erreichte, war es ohnehin schon zu spät. Denn diese Gruppe konnte am 24. September gar nicht mehr auf die Vorlage der Verwerfungen verzichten, weil sie bereits am Vortag eine Verwerfungserklärung beim Präsidenten des Religionsgesprächs eingereicht hatte.
5.4.2 Die Appellation der gnesiolutherischen Deputierten an den Präsidenten und ihre Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Trifft Schnepfs und Strigels spätere Darstellung zu, so hatten die gnesiolutherischen Deputierten bereits unmittelbar nach der Mitteilung ihres Ausschlusses durch die politischen Räte angekündigt, daß sie die Rechtmäßigkeit ihres Ausschlusses durch den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs
313 Vgl. Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 57v. 314 „Vestram Conscientiam & mandata Illustrissimorum vestrorum Principum […] minime iudicamus, tantum consensum nostrum & causas ostendimus, cur nequeamus esse socij huius seiunctionis […].“ (Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 57v–58r). 315 „Quod autem dicetis vos remotos esse, ea res a nobis non profecta est, & magnum nobis dolorem intulit, sed speramus, si velitis nobiscum manere, hoc ipsum Deo adiuvante sanari posse.“ (Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 58r). 316 Runge resümierte die Vermittlungsbemühungen mit den Worten: „Aber nichts anders bei Jhnen erlangt.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v).
5.4 Versuche der Schadensbegrenzung
437
überprüfen lassen würden.317 Genau das taten Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel sogleich am 23. September, dem Tag nach ihrer Exklusion, indem sie sich mündlich und schriftlich an den Präsidenten Julius von Pflug wandten.318 Der schwer erkrankte Sarcerius schloß sich Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel erst am 24. September mit einer schriftlichen Erklärung an und bat den Präsidenten zugleich krankheitshalber um seine Entlassung.319 Am 25. September verließ er Worms,320 so daß die gnesiolutherische Gruppe fortan nur noch aus den drei ernestinischen Theologen Schnepf, Strigel und Stössel sowie dem Braunschweiger Mörlin bestand. Im Zentrum der gnesiolutherischen Intervention beim Präsidenten am 23. September stand eine förmliche Appellation321, die auch gemäß der schriftlich niedergelegten Form vorgetragen worden zu sein scheint322. In der Appellation schilderten die gnesiolutherischen Deputierten zunächst aus ihrer Sicht, was vorgefallen war:323 Aufgrund der von römisch-katholischer Seite am 20. September erhobenen Forderung nach Verwerfung aller von der CA abweichender Sekten und Irrtümer hätten sie es als ihre Pflicht angesehen, ihr „Bekenntnis von solchen Sekten öffentlich und bestimmt“324 abzulegen. Das hätten ihnen aber die evangelischen Assessoren und Auditoren nicht zugelassen, sondern hätten fast einen ganzen Tag mit Streiten und Widersetzen verbracht und geurteilt, daß es auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben sei. Schließlich seien die Unterzeichner der Appel317 Vgl. Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54 sowie die Erläuterungen dazu oben S. 431 f. in Abschnitt 5.3.3 bei Anm. 294. 318 Am ausführlichsten ist der Schritt der gnesiolutherischen Deputierten geschildert in ihrem eigenen Bericht vom 25. September (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. August 1557: Wolf, S. 353 f., Nr. 50). Er findet aber auch in allen anderen durchlaufenden Berichten Erwähnung (vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 29v–30r; Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 30v; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11r). 319 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. August 1557: Wolf, S. 354, Nr. 50 sowie Sarcerius’ Eingabe an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 24. September 1557: Förner, S. 65 f., Copia C = Heppe I, Anhang S. 27, Nr. IX. 320 Vgl. v. Bundschuh, S. 531. 321 Appellation Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 23. September 1557: Förner, S. 64, Copia A = Heppe I, Anhang S. 24 f., Nr. VII; im folgenden nach Förner zitiert. 322 Der Text der Appellation ist in Schnepfs, Strigels und Stössels Schilderung ihrer Intervention beim Präsidenten als „vnnser anbringen“ eingefügt (vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. August 1557: Wolf, S. 353 f., Nr. 50). 323 Vgl. Appellation Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 23. September 1557: Förner, S. 64, Copia A. 324 „[…] existimavimus muneris nostri esse, vt Confessionem nostram de talibus sectis publicè & disertè faceremus.“ (Appellation Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 23. September 1557: Förner, S. 64, Copia A).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
lation „ausgeschlossen worden aus der Gemeinschaft“325 der evangelischen Deputierten, weil sie auf ihrem Vorhaben beharrten. An den Präsidenten richteten die gnesiolutherischen Deputierten sodann die Bitte, sie über zwei Punkte zu unterrichten: zum einen, ob die evangelischen Deputierten – „die Leute unserer Seite“ – das Recht hätten, sie auszuschließen, zum anderen, ob sie im Fall eines rechtmäßigen Ausschlusses der weiteren Teilnahme am Religionsgespräch enthoben seien und nach Hause zurückkehren dürften.326 Weil sie als Ausgeschlossene ihr Bekenntnis über die Irrtümer und Sekten, die der CA widersprächen, nicht in öffentlicher Sitzung vorlegen könnten, überreichten sie es dem Präsidenten als Anlage zu ihrer Appellation und baten, es in die Akten des Religionsgesprächs aufzunehmen.327 Schließlich appellierten sie noch an den Präsidenten, er möge sie anhören, wenn die politischen Räte eine andere Ursache ihrer Ausschließung vorgeben sollten. Die beigefügte Bekenntnis- und Verwerfungserklärung lehnt sich eng an die vor Beginn des Religionsgesprächs von Strigel und Mörlin aufgesetzte ‚Formula subscriptionis‘328 an. Wie die ‚Formula subscriptionis‘ beginnt die Bekenntnis- und Verwerfungserklärung mit einer Bekundung des Festhaltens an der CA, deren Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln, in der Formulierung weithin wörtlich übereinstimmend mit der ‚Formula subscriptionis‘. Ein Unterschied ist allerdings, daß die Bekenntnis- und Verwerfungserklärung als gemeinsame Eingabe an den Präsidenten im Plural formuliert ist, während die ‚Formula subscriptionis‘ als persönlicher Zusatz zur Unterzeichnung von Melanchthons Eröffnungsrede konzipiert war. Auf die affirmative Bekenntnisaussage folgt die Abgrenzung gegen Irrlehren, wie in der ‚Formula subscriptionis‘ formuliert als Bekräftigung des Sinnes früherer „Bekenntnisse“ gegen einzeln angeführte Lehrverfälschungen,329 deren Urheber namentlich genannt werden. Gegenüber 325 „Tandem nos quatuor subscripti […] exclusi ab eorum consortio sumus“ (Appellation Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 23. September 1557: Förner, S. 64, Copia A). 326 „Petimus itaque reuerenter, à Reuerendissima Dominatione vestra doceri, vtrum nostrae partis homines habeant ius nos excludendi […]. Deinde vtrum ab ijs sic exclusi, liberati sumus, ab actionibus Colloquij, & liceat nobis domum redire […].“ (Appellation Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 23. September 1557: Förner, S. 64, Copia A). 327 Vgl. Appellation Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels an den Präsidenten des Religionsgesprächs, Worms 23. September 1557: Förner, S. 64, Copia A. Bei dem angeführten Bekenntnis handelt es sich um die mit der Appellation beim Präsidenten eingereichte Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September (Förner, S. 65, Copia B = Heppe I, Anhang S. 26, Nr. VIII; im folgenden nach Förner zitiert). 328 ‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r. Die ‚Formula subscriptionis‘ ist oben in Abschnitt 4.5.2 erläutert; dort ist sie S. 463 f. in Anm. 430 auch im Wortlaut zitiert zu finden. 329 „[…] simul etiam profitemur, nos retinere sententiam earum Confessionum, quæ vel à nobis vel ab allijs & doctis viris […] editæ […] sunt […].“(Bekenntnis- und Verwerfungs-
5.4 Versuche der Schadensbegrenzung
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der ‚Formula subscriptionis‘ ist die Liste der Irrlehren330 erweitert um „Thamers und Schwenkfelds Wahnvorstellungen“ sowie „Servets […] gotteslästerliche Schriften“331. Auch die Beteuerung, man unterwerfe sich dem Urteil der wahren Kirche und werde nicht von der bisher verfochtenen Auffassung abweichen, bis das Wort Gottes dazu zwinge, ist aus der ‚Formula subscriptionis‘ übernommen. Über die ‚Formula subscriptionis‘ hinaus geht die abschließende Bitte, die Bekenntnis- und Verwerfungserklärung durch die Notare in die Akten aufzunehmen.332
Was die gnesiolutherischen Deputierten als Zusatz zu Melanchthons Rede in der Eröffnungssitzung hatten zu Protokoll geben wollen, legten sie nunmehr dem Präsidenten des Religionsgesprächs vor. Bei der Interpretation des Vorgangs ist aber ein Unterschied zwischen der ‚Formula subscriptionis‘ und der Bekenntnis- und Verwerfungserklärung zu beachten: die zur affirmativen Bekenntisaussage hinzugefügte Wendung „una cum cæteris collegis, partis nostræ“333 – „gemeinsam mit den übrigen Kollegen unserer Seite“. Während die Vorlage der Verwerfungen von den evangelischen politischen Räten als zum Ausschluß führende Absonderung beurteilt und dargestellt wurde, suchten die gnesiolutherischen Deputierten mit dem angeführten Zusatz eine fortbestehende Einigkeit in der positiven Bekenntnisgrundlage festzuhalten. Die gnesiolutherisch orientierten Theologen verfolgten demnach bei der Vorlage der Bekenntnis- und Verwerfungserklärung nicht das Ziel, die entstandene Trennung zu vertiefen. Was sie im Unterschied zu den übrigen Deputierten aus Gewissensgründen und aufgrund ihrer obrigkeitlichen Vorgaben für geboten hielten, versuchten sie vielmehr so auszuführen, daß erklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner, S. 65, Copia B); „[…] Simul etiam repeto sententiam earum Confessionum, quae […] vel a me, vel ab alijs pijs & doctis viris hactenus editae […] sunt […].“(‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r). 330 In der ‚Formula subscriptionis‘ umfaßt die Liste der Irrlehren das Interim und die „Adiaphorischen Aktionen“, Osianders Rechtfertigungslehre, die „Zwinglianische Sekte“, den Satz von der Heilnotwendigkeit guter Werke und alle Verfälschungen des Evangeliums (‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r). 331 „[…] Thameri & Schwenckfeldy deliria, Serueti […] blasphema scripta […]“ (Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner, S. 65, Copia B). 332 „[P]etimus etiam, vt hæc in acta, per Dominos Notarios, referantur.“ (Bekenntnisund Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner, S. 65, Copia B). 333 „Nos infrascripti [sic!] profitemur, & testatum facimus, nos vna cum cæteris Collegis, partis nostræ, amplecti & sonare doctrinam Propheticam & Apostolicam, eiusque doctrinæ summam […]“ (Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner, S. 65, Copia B; Hervorhebung B. S.). In der ‚Formula subscriptionis‘ lautet der entsprechende Passus: „Ego N. N. huic protestationj subscribo & testatum facio, me amplectj & profiterj doctrinam propheticam & Apostolicam eiusque doctrinae summam […]“ (‚Formula subscriptionis‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 210r).
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trotz der bestehenden Differenzen noch Verbindendes erkennbar bliebe. Auch bei der Appellation an den Präsidenten ging es nicht in erster Linie darum, das Vorgehen der evangelischen politischen Räte zu diskreditieren. Intendiert war vielmehr vor allem anderen, die von den Räten verfügte Ausschließung rückgängig zu machen. Insofern war der Schritt, sich mit der Appellation und der Bekenntnis- und Verwerfungserklärung an den Präsidenten zu wenden, darauf gerichtet, den durch die Ausschließung entstandenen Schaden zu begrenzen. Julius von Pflug als Präsident des Religionsgesprächs erklärte auf die Eingaben der gnesiolutherischen Gruppe hin, er werde das Vorgebrachte bedenken, könne aber von sich aus nichts unternehmen und müsse mit den Assessoren darüber beraten.334
5.4.3 Präsidiale Intervention und Dissens zwischen den evangelischen politischen Räten Noch am Nachmittag des 23. September berichtete der Präsident den Assessoren beider Seiten über die Appellation der gnesiolutherischen Gruppe, aber die evangelischen Assessoren bestritten seine Zuständigkeit in dieser Frage.335 Pflug beendete daraufhin die Beratung im Präsidium, da er sich weiter bedenken wollte.336 Die evangelischen Assessoren zogen aus der vom Präsidenten erhaltenen Information über die Eingaben Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels eine erste Konsequenz und schickten den gnesiolutherischen Deputierten ihre Protestationsschrift zurück.337 Am Vormittag des 24. September bestellte der Präsident die evangelischen Assessoren allein zu sich und setzte ihnen auseinander, daß sie seinem Verständnis des Regensburger Reichsabschieds nach nicht zur Ausschließung der gnesiolutherischen Deputierten berechtigt gewesen seien.338 Die evangelischen Assessoren wußten wenig zu entgegnen und baten um Bedenkzeit.339 334 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel, Worms 25. September 1557: Wolf, S. 354, Nr. 50 sowie die auf dem Privatprotokoll des Vizekanzlers Seld beruhenden Angaben bei v. Bundschuh, S. 462 f. bei Anm. 97. 335 Vgl. v. Bundschuh, S. 463. Das Vorgehen des Präsidenten ist durch von Bundschuh sorgfältig aus den Quellen, insbesondere dem Privatprotokoll des Vizekanzlers Seld, rekonstruiert worden, so daß sich die vorliegende Untersuchung hierin von Bundschuhs Ergebnissen anschließen kann. 336 Vgl. v. Bundschuh, S. 464. 337 Vgl. unten S. 465–468 im Exkurs über die ‚Große Protestationsschrift‘ und ihr Schicksal in Abschnitt 5.5.2. 338 Vgl. v. Bundschuh, S. 464 f. nach Selds Privatprotokoll; vgl. auch ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11rv. 339 Vgl. v. Bundschuh, S. 465.
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Der genaue Ablauf der anschließenden internen evangelischen Beratungen ist ungewiß. Dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge berieten die politischen Räte am 25. September unter sich.340 Ob damit auch die bei Runge erwähnte Befragung der Theologen durch die politischen Räte verbunden war, muß offenbleiben. Denn laut Runge hatte der Präsident die evangelischen Assessoren neben dem Bescheid über die Unrechtmäßigkeit der Exklusion aufgefordert, sie sollten nach „irer Theologen meinung […] fragen, ob Dieselben die Jenischen bei sich leiden mochten, oder nicht“341. Zur daraufhin erfolgten Einberufung der nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählenden Theologen könnte es daher auch schon bald nach der Unterredung der Assessoren mit dem Präsidenten gekommen sein, vielleicht noch am 24. September. Die auf Aufforderung des Präsidenten „in gegenwertigkeit aller Adsessoren vnd Auditoren“ nach ihrer Haltung zu den gnesiolutherischen Deputierten befragten Theologen antworteten laut Runge „eintrechtig […], Wir mochten sie wol bei uns leiden, vnd hetten mit betrubnis solche spaltung vnd weiterung vernommen.“342 Somit mußten die politischen Räte sich nicht nur mit der Bestreitung der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens durch den Präsidenten, sondern auch mit gegenläufigen Präferenzen der Theologen konfrontiert sehen. Der Beratungsbedarf war daher immens. Bei den internen Beratungen im Kreis der evangelischen politischen Räte aber wurden weitere Risse sichtbar. Kursachsen und Württemberger, welche die Assessoren stellten, verteidigten laut Runge zunächst den Ausschluß und die beabsichtigte Ersetzung der gnesiolutherischen Deputierten und beriefen sich erneut auf ihre Instruktionen, die keine Verwerfungen zuließen.343 Die anderen, von der Kurpfalz, Brandenburg-Ansbach, Pommern, Hessen und den Grafen Augsburgischer Konfession gestellten Auditoren hingegen verwiesen nunmehr auf mögliche Weiterungen bis hin dazu, daß die betroffenen Stände sich auf Reichsebene über den Ausschluß ihrer Deputierten beklagen könnten, und hielten sich insgesamt bedeckt.344 Dem ‚Preußischen Bericht‘ nach erklärten sie sich sogar für unzuständig.345 340
Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11v. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31r. 342 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31r. 343 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31r. 344 „Die andrn Auditores […] haben geraten, Nachdem die Jenischen itzt hetten gethaen, das man vor hette besorget […], Vnd der handel zu weiterung gereichet […], die sache auch die herschaften anlangen wurde, die sich im Reich konten beclagen, das man iren Gesandten geburliche Session vnd Protestation wolte nemen, So wusten sie sich nicht weiter darein zu lassen, allein gebeten auf wege zu dencken, damit das Colloquium nicht zerschlagen, vnd ferner vnrath vnter fursten verhutet.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31r). 345 „[…] Auditores […] dicunt ad se negocium illud non pertinere.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 1v). 341
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Nun kam es – Runge zufolge aufgrund der Erklärung der Auditoren –346 zu einer erheblichen Modifikation der kursächsischen Haltung:347 Die kursächsischen politischen Räte erklärten, man solle nicht weiter mit dem Präsidenten über die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses disputieren, sondern auf die rasche Einberufung der nächsten Sitzung des Religionsgesprächs hinwirken, in welcher die Erwiderung der evangelischen Theologen auf die römisch-katholischen Beiträge des 20. September zu den Akten genommen werden solle. Käme es in der Sitzung zu einer Protestation von seiten der gnesiolutherischen Deputierten, so sollten die anderen evangelischen Deputierten sich dagegen verwahren und ihre Anstrengungen auf eine Fortsetzung des Religionsgesprächs mit der Erörterung der einzelnen Artikel richten. Der ‚Preußische Bericht‘ spitzt in seiner knapperen Schilderung die modifizierte Haltung der Kursachsen noch weiter zu und stellt sie als übereinstimmend mit Melanchthons Präferenzen dar: „Die Gesandten des Kurfürsten von Sachsen sind der Meinung gewesen, es sei den Jenaern zu gestatten, daß sie ihre Protestation öffentlich vorlegten, und diese Unbequemlichkeit müsse man ertragen. Und dasselbe hat Philipp [Melanchthon] gemeint und gewünscht.“348
Hier ist nicht mehr von einem Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten die Rede, und die Verhinderung der gnesiolutherischen Protestation erscheint nicht mehr als das vorrangige Ziel. Offensichtlich hatten die Auditoren die möglichen abträglichen Konsequenzen des Ausschlusses so eindrucksvoll ausgemalt, daß verglichen damit den kursächsischen politischen Räten die gnesiolutherische Protestation als das geringere Übel erschien. Vorbereitet war die Modifikation der kursächsischen Haltung durch die verständigungsbereite Haltung Melanchthons vor dem 22. September. Über die Einschätzung der gnesiolutherischen Protestation als des geringeren Übels im Vergleich mit möglichen Konsequenzen des Ausschlusses mußte es freilich zum Dissens mit den Vertretern des Herzogtums Württemberg kommen. Runge berichtet: „Darin [scil. in den kursächsischen Vorschlag] wolten die Wirtembergischen stracks nicht willigen, als da irer Jnstruction entgegen“349. Auch der ‚Preußische Bericht‘ hält fest, daß es mit Verweis auf ein fürstliches Mandat zu Widerspruch gegen den kur-
346 „Dadurch [scil. durch die zuvor wiedergegebene Erklärung der Auditoren] die Sechsischen Curfürstlichen[,] Adsessor, vnd Rate[,] bewogen […]“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31v). 347 Vgl. zum Folgenden Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31v. 348 „Legati Electoris Saxoni in ea fuerunt sententia, permittendum esse Ienensibus, vt Protestationem publice ederent, idque incommodum esse ferendum, Atque idem sensit & suasit Philippus.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11v). 349 Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31v.
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sächsischen Vorschlag kam, wobei die Berechtigung der evangelischen Seite zur Exklusion mit Nachdruck verfochten wurde.350 So wiederholte sich im Gremium der politischen Räte, was sich zuvor bereits mehrfach zwischen den Theologen ereignet hatte: Die kursächsischen Räte suchten wie Melanchthon, im Interesse einer Schadensbegrenzung den Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten zu vermeiden. Sie waren deshalb bereit, notfalls die gnesiolutherischen Deputierten gewähren zu lassen. Die württembergischen Räte hingegen verweigerten sich wie Brenz und Andreae strikt jeglichem Entgegenkommen gegenüber der gnesiolutherischen Gruppe und beharrten auf ihrer Instruktion, die keine Verwerfungen zulasse. Auch der Umgang mit dem aufgebrochenen Dissens zwischen den evangelischen Räten folgte dem Muster des Umgangs der Theologen mit ihren Meinungsverschiedenheiten: Wie Melanchthon wollten auch die kursächsischen Räte nicht so weit gehen, wegen des Dissenses über die Behandlung der gnesiolutherischen Forderungen einen Bruch mit den Württembergern zu riskieren. Deshalb sahen sie, obwohl die übrigen Räte ihrer Position näher standen als der württembergischen, von einer Durchsetzung ihres Vorschlags ab und ließen es geschehen, daß dem Präsidenten im württembergischen Sinne repliziert wurde. Es deutet allerdings auf eine fortbestehende Distanz der kursächsischen Räte zum nunmehr eingeschlagenen Weg hin, daß sie sich an der noch am 25. September erfolgten Überbringung der Replik nicht beteiligten: Die Überbringung und den Vortrag der Replik übernahmen die Württemberger, begleitet vom brandenburg-ansbachischen und vom hessischen Auditor.351 In ihrer Replik beharrten die evangelischen Räte darauf, daß sie aufgrund des Reichsabschieds zur Ersetzung von Deputierten berechtigt seien.352 Dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge nominierten sie auch sogleich Marbach als Kolloquenten anstelle Schnepfs.353 Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens erhoben sie außerdem heftige Vorwürfe gegen die gnesiolutherischen Deputierten. Die Vorwürfe galten nicht nur dem ungestümen, im Gegensatz zum versöhnlichen Charakter des Religionsgesprächs stehenden Verlangen nach Verwerfungen.354 350 „Alij econtra disputabant, Se per mandatum sui Ducis id non posse ferre. & disputabant ex Decreto Imperij nostros habere ius remouendi, cum tamen alijs omnibus diuersum videretur.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11v). 351 Vgl. v. Bundschuh, S. 465. Auch im ‚Preußischen Bericht‘ klingt an, daß es um die Replik einen Dissens gegeben hatte und nur ein Teil der Räte beim Präsidenten vorstellig wurde: „Tandem tamen mittuntur ex eorum numero ad Pr sidentem […]“. 352 Vgl. v. Bundschuh, S. 465 f. 353 „[…] loco Sneppij alium collocutorem. Doctorem Marbachium nominant.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11v–12r). 354 Vgl. das Privatprotokoll des Vizekanzlers Seld: v. Bundschuh, S. 465, Anm. 107.
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Nach Angaben des Vizekanzlers Seld erklärten die Räte darüber hinaus, „es sei auch offenkundig, daß jene [scil. die gnesiolutherischen Deputierten] vom Augsburgischen Bekenntis und vom Abschied der Stände [i. e. dem Reichsabschied] abwichen, desgleichen, daß sie keine friedfertigen Männer seien, sondern zänkische und demnach nicht qualifiziert, das Religionsgespräch fortzusetzen [i. e. fortgesetzt am Religionsgespräch teilzunehmen]“355.
Vom Präsidenten verlangten die Räte schließlich, daß er die gnesiolutherischen Deputierten zur nächsten Sitzung des Religionsgesprächs weder einladen noch zulassen solle.356 Der Präsident antwortete, daß er das Vorgebrachte erwägen werde.357 Die präsidiale Intervention hatte nicht zu einer Entschärfung der entstandenen Krise geführt. Vielmehr war auch noch ein interner Dissens zwischen den evangelischen Räten aufgebrochen, obgleich die Räte nach außen geschlossen agierten.
5.4.4 Die Einbeziehung der Fürsten und das Treffen von Friedrichsbühl Ein weiterer Versuch der Schadensbegrenzung war die Einbeziehung verschiedener Fürsten durch Wormser Deputierte. Die Fürsten sollten nicht nur ins Bild gesetzt werden über die Entwicklung in Worms, sondern man erhoffte sich von ihnen auch neue Anweisungen, wie in der verfahrenen Lage vorzugehen sei. Der Bericht der ernestinischen Deputierten vom 25. September358 gehörte allerdings eher zur fortlaufenden Berichterstattung an Herzog Johann Friedrich den Mittleren, als daß die Deputierten ihn vorgelegt hätten, um neue Anweisungen zu erhalten; die ‚Badener Instruktion‘ bot vorerst noch genug Orientierung. Anders verhielt es sich mit der Absendung von Vertretern der jeweiligen Deputationen an den Herzog von Württemberg und den Pfälzer Kurfürsten. So hält die ‚Gemeinsame Resolution‘ fest, die abgesandten Vertreter hätten den Fürsten das Vorgefallenene berichtet „vnd vmb resolution angesuchet“359.
355 „Palam quoque esse, quod illi recedant ab Augustana Confessione et a recessu comitiorum, item quod non sint viri pacifici, sed rixosi et sic non qualificati ad colloquium continuandum.“ (Privatprotokoll des Vizekanzlers Seld: v. Bundschuh, S. 465, Anm. 107). 356 Vgl. v. Bundschuh, S. 466. 357 Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12r. 358 Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352–355, Nr. 50. 359 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 31v.
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Für die württembergischen Deputierten wurde der herzogliche Rat Balthasar Eißlinger, der Beigeordnete des württembergischen substituierten Assessors von Gültlingen, nach Stuttgart abgefertigt. Die Mission beim Pfälzer Kurfürsten übernahm der kurpfälzische Auditor Friedrich Thun von Leiningen persönlich. Die Entsendung hochrangiger Vertreter360 zeigt an, wie schwerwiegend den Deputierten das in Worms Vorgefallene erschien. Unklar ist, wann genau Eißlinger und Thun aus Worms aufbrachen. Zeitpunkt und Umstände des Aufbruchs sind aber von Belang für die nähere Bestimmung des Zwecks und des Inhalts der Missionen, über die sich keine Quellen aus erster Hand erhalten haben. Es muß jedoch offenbleiben, wann Eißlinger aus Worms aufbrach, während sich der Aufbruch Thuns ziemlich sicher auf den 25. oder 26. September datieren läßt. Die ‚Gemeinsame Relation‘ ordnet die Absendung lediglich allgemein den Verhandlungen zwischen den evangelischen politischen Räten und dem Präsidenten in den Tagen nach dem 23. September zu: „In hangender aber dieser disputation haben die Pfaltzgreuischen vnd Wirtembergischen iemandts aus irem mittell zu iren gnst. vnd g. herrn abgefertigt“361. Bossert gibt aufgrund der württembergischen Rechnung über die Kosten des Religionsgesprächs an, Eißlinger sei am 23. September aufgebrochen.362 Auf Bosserts Angabe beruht von Bundschuhs Darstellung, daß die evangelischen politschen Räte „noch am Tage der Übergabe der flacianischen Beschwerdeschrift an Pflug [i. e. am 23. September] den Kurfürsten von der Pfalz und den Herzog von Württemberg durch Eilkuriere“ informiert hätten.363 Von Bundschuhs Darstellung bedarf aber der Korrektur, denn abgesehen vom noch darzustellenden Scheitern der Mission Eißlingers ist durch zwei voneinander unabhängige Quellen belegt, daß es erst am 26. September zur Information des Pfälzer Kurfürsten und des württembergischen Herzogs durch Thun von Leiningen in Friedrichsbühl bei Germersheim kam.364 Die circa fünfzig Kilometer weite Strecke von Worms nach Friedrichsbühl war aber gut in einem Tag zu bewältigen. Selbst wenn Thun den Kurfürsten zunächst in Heidelberg zu erreichen versuchte, wird er
360 Die Einbeziehung der Fürsten geschah also nicht „durch Eilkuriere“, wie von Bundschuh es darstellt (v. Bundschuh, S. 467), auch wenn Eißlinger sich schneller Pferde bediente (vgl. unten in Anm. 365). 361 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 31v. 362 Bossert, Beiträge, S. 37. 363 V. Bundschuh, S. 467 mit Anm. 110 in Verbindung mit S. 403 mit Anm. 64. 364 Der ‚Preußische Bericht‘ gibt an: „Die XXVI. [scil. Septembris] Legatus Electoris Palatini Narrationem rei act perfert ad suum Principem quem forte inuenit in Oppido Friderici Biel.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12r). An dem im ‚Preußischen Bericht‘ angegebenen Datum schrieb Herzog Christoph aus Friedrichsbühl seinen Wormser Deputierten: „Wir sind anheut dato den 26. dieses allhier durch unseres […] Vetters und Bruders Herrn Otto Heinrich Pfalzgrafen Kurfürsten etc. Rath Friedrich Thien […] berichtet worden, was abermals durch die fürstlichen sächsischen theologos bei dem Präsidenten in Schriften angebracht […]“ (Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Heppe I, Anhang S. 29 f., Nr. XI = Ernst IV, S. 419, Nr. 336 f. [tw. Regest]; im folgenden nach Ernst zitiert).
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Worms nicht vor dem 25. September, wenn nicht sogar erst am 26. September verlassen haben. Für die im Widerspruch zur Angabe der württembergischen Kostenrechnung stehende Darstellung des ‚Preußischen Berichts‘, daß Eißlinger am 26. September nach Stuttgart geeilt sei,365 fehlt indes eine weitere Bestätigung. Daß Herzog Christoph sich in Friedrichsbühl aufhielt, als Eißlinger in Stuttgart eintraf,366 trägt zur Bestimmung des Zeitpunkts von Eißlingers Aufbruch nichts aus, weil die genaue Dauer von Christophs Aufenthalt in Friedrichsbühl nicht bekannt ist.
Da der Zeitpunkt von Eißlingers Aufbruch nicht sicher festzustellen ist, kann auch nicht entschieden werden, ob Runges Darstellung zutrifft, daß die Sendung an den württembergischen Herzog durch den am 24. oder 25. September aufgekommenen Dissens zwischen den kursächsischen und den württembergischen Räten ausgelöst wurde.367 Denn sollte Eißlinger bereits am 23. September aufgebrochen sein, so hätte er den Dissens zwischen den Räten gar nicht mehr mitbekommen. Träfe Runges Darstellung hingegen zu, so wäre sie ein starkes Indiz dafür, welche Brisanz die württembergischen Deputierten dem Dissens zumaßen. Auch wenn also ungewiß ist, ob dieser Dissens Gegenstand der Sendung Eißlingers war, ist sicher davon auszugehen, daß er beauftragt war, über die gnesiolutherische Appellation an den Präsidenten und die Vorlage der Bekenntnis- und Verwerfungserklärung zu berichten. Ein Hinweis Kuglers zu einem Schreiben Herzog Christophs an die württembergischen Deputierten vom 30. September deutet zudem daraufhin, daß Eißlinger ein Bedenken über die Exklusion und Ersetzung der gnesiolutherischen Deputierten zu überbringen hatte.368 Eißlingers Mission verlief aber äußerst ungünstig: Auf schnellen Pferden369 binnen dreier Tage nach Stuttgart geeilt, mußte er dort angekommen erfahren, daß Herzog Christoph ins fast einhundert Kilometer entfernte 365 „Eodem die [scil. dem 26. September] & Orator Wirtembergicus celeribus equis Stuggardiam properat.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12r). 366 Vgl. unten bei Anm. 370. 367 Runge schreibt im Anschluß an seine Schilderung des Dissenses: „[…] hirauf fertigen die Wirtembergischen Post abe an iren hertzogen, bittend vmb erclerung berurter Instruction.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31v). Der Terminus ‚Post abfertigen‘ ist hier nicht in engem Sinne zu verstehen, als ob die Württemberger nur an den Herzog geschrieben, nicht aber einen Vertreter zu ihm gesandt hätten, denn Runge fährt fort: „Der Pfaltzgrafische Auditor verreiset auch zu seim Churfursten […].“ (ebd.; Hervorhebung B. S.). 368 Kugler teilt nach wie stets bei ihm nicht näher bezeichneten handschriftlichen Quellen mit: „Am 30 [sic!] September schrieb Christoph seinen Verordneten in Worms, daß er sich ihr Bedenken von der ‚Exclusion und Ersetzung der Weimaraner‘ gefallen lasse.“ (Kugler II, S. 61, Anm. 108). Zu den von Kugler noch benutzten, später verschollenen Quellen vgl. oben S. 17 bei Anm. 8 f. 369 Vgl. Anm. 365.
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Friedrichsbühl gereist war.370 Unverzüglich ritt er dem Herzog hinterher, fiel aber vom Pferd und brach sich die Schulter so schwer, daß er für Wochen ausfiel und in seiner Wormser Aufgabe durch Dr. Johannes Krauß ersetzt werden mußte.371 Ob schriftliche Mitteilungen der württembergischen Deputierten durch einen anderen Boten zum Herzog befördert wurden oder der Herzog solche Mitteilungen und vielleicht auch Eißlingers Bericht erst bei seiner Rückkehr nach Stuttgart erhielt, läßt sich nicht ausmachen. Fest steht hingegen, daß Herzog Christoph trotz Eißlingers Mißgeschick bereits am 26. September von der Entwicklung in Worms erfuhr: als Teilnehmer des Fürstentreffens in Friedrichsbühl, wo Friedrich Thun von Leiningen dem Pfälzer Kurfürsten Bericht erstattete. Versammelt waren dort als Gäste des Kurfürsten neben dem württembergischen Herzog auch Christophs Schwager Markgraf Johann Georg von Brandenburg372, Sohn Kurfürst Joachims von Brandenburg, sowie Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen,373 der anscheinend seine Kur in Markgraf-Baden beendet hatte und anschließend über die pfalz-zweibrückische Residenz Meisenheim nach Weimar zurückkehrte374. Das Treffen der Fürsten im Jagschloß Friedrichsbühl war geselliger Natur. Veranlaßt war das Fürstentreffen vermutlich durch eine Rundreise, die den brandenburgischen Kurprinzen und seine Gemahlin, eine Schwester der württembergischen Herzogin, bereits an verschiedene Stationen in Südwestdeutschland geführt hatte, teilweise begleitet von Herzog Christoph375. Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen wird dazu gebeten worden sein, weil er sich in der Nähe befand und weil bereits mehrfach und insbesondere von Herzog Christoph eine Begegnung mit dem Ernestiner ins Auge gefaßt worden war376. 370
Vgl. Bossert, Beiträge, S. 37 f. Vgl. Bossert, Beiträge, S. 38 sowie Melanchthon an Eißlinger, Worms 2. November 1557: CR 9, Sp. 360 f., Nr. 6392 = MBW 8415; als Adressat des anteilnehmenden Schreibens Melanchthons ist mit dem MBW-Regestenwerk Eißlinger zu bestimmen. 372 Zur unzutreffenden Angabe Heppes, Kuglers und Wolfs, ein Johann Georg von Baden habe an dem Fürstentreffen teilgenommen, vgl. Ernst IV, S. 420, Nr. 336, Anm. 3 sowie v. Bundschuh, S. 486, Anm. 111. 373 Zu den Teilnehmern des Fürstentreffens vgl. Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Ernst IV, S. 420, Nr. 336. 374 Zum Itinerar Herzog Johann Friedrichs vgl. oben S. 207, Anm. 56. 375 Vgl. Cedula zum Schreiben Hzg. Christophs an Hzg. Albrecht von Bayern, Urach 18. September 1557: Ernst IV, S. 418, Nr. 332 sowie Hzg. Christoph an Mkgf. Karl von Baden, Tübingen 19. September 1557: Ernst IV, S. 419, Nr. 333. 376 Vgl. Hzg. Christophs Instruktion für die Sendung seines Rates Hans Siegmund von Lüchau zu Hzg. Johann Friedrich d. M., Waldenbuch 10. August 1557: Ernst IV, S. 397 f., Nr. 309; Hzg. Johann Friedrich d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 10. August 1557: Ernst IV, S. 398, Nr. 310; Cedula zum Schreiben Hzg. Christophs an Hzg. Johann Friedrich d. M., Tübingen 16. August 1557: Ernst IV, S. 403, Nr. 313; Cedula zum Schreiben Hzg. Johann Friedrichs d. M. an Hzg. Christoph, Markgraf-Baden 4. September 1557: Ernst IV, S. 414, Nr. 326. Vgl. auch Kugler II, S. 57. 371
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Durch Friedrich Thun von Leiningen informiert wandten Kurfürst Ottheinrich, Herzog Christoph und Markgraf Johann Georg sich gemeinsam an den Herzog von Sachsen und drängten ihn unter Hinweis auf eine mögliche Zerschlagung des Religionsgesprächs, seinen Theologen in Worms Einhalt zu gebieten.377 Die Auseinandersetzung sollte bis zu einer künftigen Synode zurückgestellt werden.378 Herzog Johann Friedrich der Mittlere hatte den erst am Nachmittag des 25. September379 aus Worms abgeschickten Bericht Schnepfs, Strigels und Stössels noch nicht empfangen können und wurde daher von den Nachrichten aus Worms überrascht. Wie Johann Friedrich auf den unverhofften Antrag der Fürsten reagierte, schilderte der nach Worms zurückgekehrte kurpfälzische Auditor Thun von Leiningen am 28. September380 den anderen Räten. Seine Schilderung ist in der ‚Gemeinsamen Relation‘ referiert.381 Johann Friedrich räumte demnach ein, daß er seine Theologen erst kürzlich instruiert habe. Weiter erklärte er aber, er wolle nicht hoffen, daß die Theologen „sich vnderstanden haben solten, vor den Papisten eine offentliche sonderliche protestation zu thun“, denn das habe er ihnen nicht befohlen.382 Zwar bestand er darauf, daß man nicht darüber hinweg sehen könne, daß viele Sekten im Geltungsbereich der Augsburger Konfession aufgekommen seien und auch von vielen protegiert würden. Er sagte aber zu, die Dinge zu erwägen, und beteuerte seine Gutwilligkeit, so Thun von Leiningen nach Darstellung der ‚Gemeinsamen Relation‘.383 Johann Friedrich selbst resümierte wenige Tage später in einem Schreiben an Ottheinrich und Christoph, er habe den Antrag der Fürsten mit dem 377 Vgl. Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Ernst IV, S. 420, Nr. 336. 378 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 421, Nr. 338. 379 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September: Wolf, S. 355, Nr. 50. 380 „Die XXVIII. [scil. Septembris] Reuersus Legatus Palatinensis narrat quid acciderit.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12r). 381 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 32rv. 382 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 32r. Mit den Angaben der ‚Gemeinsamen Relation‘ über Thuns Bericht übereinstimmend hält auch Jakob Runge fest, daß der Herzog von Sachsen auf das Ansinnen der drei anderen Fürsten antwortete, „[e]r habe seinen Theologen nicht bevolen, vorberurte Protestation vor die Papisten, sondern allein vnter den vnsern vorzubringen.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 31v). In demselben Sinne hatte sich Thun zufolge in Friedrichsbühl auch der sächsische Hofprediger Aurifaber vernehmen lassen, wie die ‚Gemeinsame Relation‘ zusätzlich mitteilt: „Es hat auch des Pfaltzgrevischen bericht nach, des Hertzog von Sachsen hoffprediger gesagt, das ire theologi nur beuelch hetten, eine protestation bei den Auspurgischen confession stenden, vnd nicht bei den Papisten einzulegen oder in einigen weg von den Vnsern abzutreten.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 32v). 383 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 32v.
5.4 Versuche der Schadensbegrenzung
449
Angebot beantwortet, sich von seinen Deputierten berichten zu lassen und sich daraufhin zu erklären384 – eine Antwort, mit der er sich erst einmal Zeit verschaffen konnte. In Friedrichsbühl waren Johann Friedrich und Aurifaber zur Beschwichtigung der Fürsten aber offensichtlich doch noch weiter gegangen und hatten eine vom Text der ‚Badener Instruktion‘ nicht gedeckte Interpretation der herzoglichen Befehle gegeben, derzufolge die Protestation nur an die evangelische Seite hätte gerichtet werden sollen.385 Das war aber in der ‚Badener Instruktion‘ nur eine ins Ermessen der Deputierten gestellte Alternative zur eigentlich vorgesehenen öffentlichen Protestation vor beiden Seiten gewesen.386 Die gnesiolutherischen Deputierten hatten sich zwar für die Option entschieden, die Protestation nur an die evangelische Seite zu richten, und hatten das gegenüber den übrigen Deputierten als vom Herzog angeordnet dargestellt.387 Das konnte Johann Friedrich vor Erhalt des Berichts Schnepfs, Strigels und Stössels vom 25. September aber nicht wissen. Seine und Aurifabers Einlassungen dazu in Friedrichsbühl müssen deshalb, wenn sie in der ‚Gemeinsamen Relation‘ und in Runges Bericht richtig wiedergegeben sind, als taktischer Beschwichtigungsversuch beurteilt werden. Bei den anderen Fürsten blieb denn auch eine erhebliche Skepsis gegenüber Johann Friedrichs Ausführungen bestehen. Herzog Christoph wertete sie als „vertröstung“388 und versuchte weiter auf Johann Friedrich einzuwirken, als er dem sächsischen Herzog bei dessen Abreise von Schloß Friedrichsbühl das Geleit gab389. Den württembergischen Deputierten teilte er noch am 26. September aus Friedrichsbühl seine Einschätzung der Lage mit. Die Sorge des Herzogs war, daß die gnesiolutherischen Deputierten aus einem „privataffect“ heraus weiterhin wie bisher agieren würden.390 In diesem Fall sollten die Deputierten beim Präsidenten um Fortsetzung des Religionsgesprächs und Ersetzung der gnesiolutherischen Deputierten anhalten. Der Herzog erinnerte daran, daß der Kurfürst von Sachsen und er zu Assessoren bestimmt seien und ihnen deshalb „die direction […] vor
384 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 421, Nr. 338. 385 Vgl. oben bei und in Anm. 382. 386 Vgl. die ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350–352, Nr. 49 sowie die Erläuterungen dazu oben S. 401 f. in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 149–151. 387 Vgl. oben S. 404 in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 163–166. 388 Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Ernst IV, S. 420, Nr. 336. 389 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 33r. 390 Vgl. Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Ernst IV, S. 420, Nr. 336.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
andern stenden“ zustehe.391 Die württembergischen Deputierten sollten sich deshalb in Abstimmung mit den kursächsischen Räten beim Präsidenten dafür einsetzen, daß es wegen der gnesiolutherischen „privatabsonderung“ nicht zu einem Abbruch des Religionsgesprächs komme, wodurch der Herzog anstrebte, „das der unglimpf uns nicht zugelegt werde“392, i. e. daß die Assessoren und die evangelische Seite insgesamt durch das gnesiolutherische Vorgehen und dessen Folgen nicht in den Mißkredit gerieten, für das Scheitern des Religionsgesprächs verantwortlich zu sein. Das Schreiben des württembergischen Herzogs wurde allen Deputierten zugänglich gemacht, die nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählten.393 Neben dem Bericht des zurückgekehrten kurpfälzischen Auditors Thun von Leiningen bildete es die Grundlage weiterer Beratungen zwischen den evangelischen Räten vom 28. September. Dabei kam es nach Angaben des ‚Preußischen Berichts‘ sogar zu einer Befragung der Theologen durch Paul Eber im Auftrag des kursächsischen substuierten Assessors Graf Ludwig von Eberstein. Der Graf ließ die Theologen fragen, ob sie hofften, daß die gnesiolutherischen Theologen bei der Erörterung der einzelnen Artikel mit ihnen übereinstimmen würden. Trotz abweichender Voten lautete die gemeinsame Antwort dahin, daß Hoffnung auf Übereinstimmung bestünde.394 Daraufhin erörterten die Räte die Frage, ob die gnesiolutherischen Deputierten nicht wieder aufgenommen werden sollten, zumal in Anbetracht der Gefahr, daß der Präsident sie ohnehin gegen den Willen der anderen evangelischen Deputierten weiter am Religionsgespräch teilnehmen lassen könnte. Wegen des Widerstands einiger Räte wurde aber kein Beschluß gefaßt.395 Die Räte konnten sich lediglich darauf verständigen, daß sie sich im Falle eines Vortrags der gnesiolutherischen Protestation im Religonsgespräch durch Verlassen der Sitzung distanzieren würden, um dadurch ihre Mißbilligung auszudrücken.396 Offensichtlich rechneten die Räte und Theologen in zunehmendem Maße damit, daß die gnesiolutherischen Deputierten doch weiter am Religionsgespräch beteiligt bleiben würden, 391 Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Ernst IV, S. 421, Nr. 336. 392 Hzg. Christoph an die württembergischen Räte und Theologen in Worms, Friedrichsbühl 26. September 1557: Ernst IV, S. 421, Nr. 336. 393 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 32r. 394 „Comes Ludowicus per Eberum interrogat Theologos, an sperent, Ienenses in Articulis secum consensuros. Etsi autem alij aliud sperarent, tamen tandem statuitur, spem esse si maneant nos vna cum illis facile esse consensuros.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12rv). 395 „Ideo inter Politicos habita fuit deliberatio an essent rursus adsumendi pr sertim cum periculum esset, ne Pr sidens inuitis nostris eos retineret, Sed cum quidam repugnarent, nihil fuit decretum.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12v). 396 Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 33v.
5.5 Die Sezession
451
und suchten nun nach Wegen, auch in diesem Fall den zu befürchtenden Schaden möglichst zu begrenzen. Beim Präsidenten drangen die Theologen am 28. September und die evangelischen Assessoren am 30. September auf eine rasche Fortsetzung des Religionsgesprächs, unabhängig davon, ob die gnesiolutherischen Deputierten nun beteiligt bleiben würden oder nicht.397 Sie ahnten aber nicht, welche Wendung das gnesiolutherische Vorgehen mittlerweile genommen hatte.
5.5 Die Sezession Am 30. September erfuhren die evangelischen Assessoren vom Präsidenten, daß in Richtung der angemahnten Fortsetzung des Religionsgesprächs bisher deshalb nichts weiter geschehen sei, weil die ernestinischen Deputierten „iemantz aus irem mittel“ zum sächsischen Herzog geschickt hätten, um „waiter resolution“ zu erlangen.398 Der Emissär – wohl nicht nur der ernstinischen Deputierten, sondern der gnesiolutherischen Gruppe insgesamt – war wieder Victorinus Strigel, dessen Anwesenheit beim sächsischen Herzog in der zweibrückischen Residenz Meisenheim für den 28. September belegt ist. Auch wenn über die Veranlassung und die genauen Umstände von Strigels Mission in Meisenheim wenig bekannt ist, ist sie doch eigens in den Blick zu nehmen (5.5.1). Denn was in Meisenheim besprochen wurde, war Voraussetzung für den letzten Schritt der gnesiolutherischen Deputierten in den Wormser Auseinandersetzungen: ihren Abzug unter förmlichem Protest (5.5.2). Eine besondere Rolle im Zusammenhang des Abzugs, mehr noch aber in den späteren Darstellungen des Abzugs und der vorausliegenden Auseinandersetzungen spielt die ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten, worauf gesondert einzugehen ist (Exkurs in 5.2.2).
397
Vgl. ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 34r. Laut der ‚Gemeinsamen Relation gab der Präsident den Assessoren zu verstehen, „das der mangel an den Weimarischen were, welche s. f. g. [i. e. den Präsidenten] mit der antwort aufhielten, darumb das sie iemantz aus irem mittel zu irem g. h. waiter resolution [sic!] abgesandt.“ (‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 34rv). In dem sich teilweise mit der ‚Gemeinsamen Relation‘ überlappenden Fortsetzungsbericht der politischen Räte vom 10. November ist der letzte Gliedsatz korrigiert: „[…] darumb das sie iemandts aus irem mittell zu irem genedigen herrn vmb waiter Resolution abgesandt.“ (Fortsetzung der ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte vom 10. November 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 108r–110r, hier fol. 108r; Hervorhebung B. S.). 398
452
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
5.5.1 Strigel in Meisenheim Folgt man den Angaben des Präsidenten gegenüber den evangelischen Assessoren, so hatten die ernestinischen Deputierten respektive die Mitglieder der gnesiolutherischen Gruppe Strigel399 aus eigenem Antrieb um weiterer „resolution“ willen nach Meisenheim gesandt.400 Ziel seiner Mission war demnach, das weitere Vorgehen mit dem Herzog abzustimmen, wenn nicht sogar die Weisung des Herzogs für eine Situation zu erbitten, in der sich die Deputierten keinen Rat mehr wußten. Das Anliegen der Deputierten dürfte sich getroffen haben mit dem Bedürfnis des Herzogs, sich nach der Intervention der anderen Fürsten in Friedrichsbühl alsbald auch von seinen Deputierten berichten zu lassen, was in Worms vorgefallen war. Für die verbreitete Darstellung, Johann Friedrich habe Strigel zur Berichterstattung nach Meisenheim berufen,401 gibt es aber keinen Beleg. Wann und wo der Bericht der ernestinischen Deputierten vom 25. September den Herzog erreichte, ist nicht bekannt. Im Eingangsteil seines Schreibens an Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph vom 27. oder 29. September erinnert Johann Friedrich der Mittlere an sein Friedrichsbühler Erbieten, einen Bericht einzuholen und daraufhin Stellung zu nehmen zu den Forderungen der anderen Fürsten.402 Das Schreiben selbst zeigt den Herzog durch den Bericht der Deputierten vom 25. September unterrichtet.403
Wenn die gnesiolutherische Gruppe Strigel aus eigenem Antrieb nach Meisenheim gesandt hat, so stellt sich die Frage, was der Anlaß dafür gewesen ist. Unter der Voraussetzung, daß Strigel nicht lange vor dem 28. September, für den seine Anwesenheit in Meisenheim belegt ist,404 von Worms aufgebrochen sein kann,405 bietet sich folgende Erklärung an: Am 27. September replizierte der Präsident auf die Eingabe der evangelischen Räte vom 399 Worauf Heppes Angabe beruht, neben Strigel sei auch Schnepf in Meisenheim vorstellig geworden (vgl. Heppe I, S. 200), ist unerfindlich. 400 Vgl. oben bei und in Anm. 398. 401 Vgl. Wolf, S. 100; v. Bundschuh, S. 468. 402 Vgl. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 421 f., Nr. 338; zur Datierung des Schreibens vgl. unten S. 454 bei Anm. 415. 403 Vgl. die übereinstimmende Schilderung der Rücksendung der ‚Großen Protestationsschrift‘ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50; Hzg. Johann Friedrich d. M. an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 422, Nr. 338). 404 Vgl. unten bei Anm. 410. 405 Dafür spricht, daß Strigel am 25. August noch in Worms den Bericht an den Herzog unterzeichnete (vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 355, Nr. 50) und daß er den Herzog in Meisenheim überhaupt erst nach dem Friedrichsbühler Fürstentreffen vom 26. September antreffen konnte. Die Entfernung zwischen Worms und dem weniger als fünfzig Kilometer entfernten Meisenheim konnte zu Pferd bequem an einem Tag bewältigt werden.
5.5 Die Sezession
453
25. September.406 Die Replik war vorbereitet durch Beratungen Pflugs mit den römisch-katholischen Assessoren am 26. September, deren Ergebnis war, daß den gnesiolutherischen Deputierten die weitere Teilnahme am Religionsgespräch gestattet werden müsse.407 Aufgrund weiterer Sondierungen ging Pflug in der Replik davon aber ab und erklärte, er wolle sich fehlender Zuständigkeit halber in die internen evangelischen Auseinandersetzungen nicht einmischen und werde sich deshalb so verhalten, als wüßte er nicht davon.408 Der Präsident folgte hierin der Argumentation der evangelischen politischen Räte. Auch ohne die Annahme gezielter Indiskretionen ist es gut möglich, daß die gnesiolutherischen Deputierten vom Kurswechsel des Präsidenten erfuhren, und das durchaus auch schon vor der Ausfertigung der Replik. Sollte es so gewesen sein, so mußten sie nunmehr die Hoffnung auf eine Korrektur ihrer Ausschließung durch den Präsidenten fahrenlassen. Dann aber war es höchste Zeit, den Herzog zu informieren und zu konsultieren. Zu dieser Auffassung könnten die Deputierten allerdings in Anbetracht der ausbleibenden Replik des Präsidenten auf ihre Eingaben ohnehin gekommen sein. Strigel begab sich jedenfalls nach Meisenheim zum sächsischen Herzog, der dorthin als Gast des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken zur Taufe von dessen Sohn Friedrich geladen war409. Am 28. September setzte Strigel dort für den Herzog ein Schreiben über die Abberufung der ernestinischen Deputierten auf.410 Gustav Wolf hat das betreffende Schriftstück als ein Gutachten aufgefaßt und es daher als „Strigels Gutachten über Abberufung der Theologen“411 bezeichnet. Damit ist jedoch die Eigenart des Schriftstücks verkannt. Denn es handelt sich um ein aus der Perspektive des Herzogs verfaßtes Schreiben, das die Gestalt einer Erklärung oder auch – bis auf die fehlenden Elemente einer Inscriptio und der Schlußformeln – eines Briefes hat. Erst in einem Zusatz auf der letzten Seite meldet sich Strigel selbst zu Wort und läßt den Herzog wissen: „Auff dise oder dergleichen meinung möchte mein Gnediger Fürst vnd Herr Fürstlicher Durchlauchtiger zw X. X. schreiben, doch alles auff ver406 Vgl. Bf. Julius Pflug von Naumburg als Präsident des Reichsreligionsgesprächs an die evangelischen Assessoren und Auditoren, Worms 27. September 1557: Förner, S. 66, Copia D; die Datierung nach v. Bundschuh, S. 470, Anm. 116. Vgl. ferner die Erläuterungen bei v. Bundschuh, S. 469 f. 407 Vgl. v. Bundschuh, S. 468 f. 408 Vgl. v. Bundschuh, S. 469. 409 Vgl. oben S. 207, Anm. 56. 410 Das von Strigel aufgesetzte Schreiben ist überliefert im ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r. Es wird im folgenden zitiert als Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557. 411 So die Überschrift über Wolfs sehr stark verkürzendem Regest (Wolf, S. 355, Nr. 51); übernommen von v. Bundschuh, S. 468, Anm. 112.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
bösserung ihrer Fürstlichen Genaden vnd derselben löblichen redte gestellet. […] E. F. G. vntertheniger vnd gehorsamer diener Victorinus Strigelius.“412 Strigels Zusatz bestätigt in aller Deutlichkeit, daß das Vorausgehende ein von Strigel herrührender Entwurf für ein Schreiben des Herzogs ist. Wer – möglicherweise neben anderen – mit dem Platzhalter „X. X.“ als Adressat des Schreibens gemeint war, ergibt sich aus Übereinstimmungen zwischen Strigels Entwurf und dem Meisenheimer Schreiben Johann Friedrichs des Mittleren an Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph. Während der Anfangsteil des Schreibens an Ottheinrich und Christoph sich an den Bericht der ernestinischen Deputierten vom 25. August anlehnt,413 ist der Schlußteil weitgehend aus Strigels Entwurf übernommen414. Aus den dargelegten Übereinstimmungen des Schreibens an Ottheinrich und Christoph mit Strigels Entwurf vom 28. September ergibt sich, daß das Schreiben an die Fürsten nicht vor dem 28. September abgeschickt worden sein kann. Von den beiden im überlieferten Konzept des Schreibens angegebenen Daten 27. und 29. September415 ist daher dem 29. September der Vorzug zu geben. Die Angabe des 27. September, die auch in den verschickten Fassungen des Schreibens stehen blieb,416 könnte aber dadurch zu erklären sein, daß bereits an diesem Tag aufgrund des mittlerweile eingetroffenen Berichts der Deputierten vom 25. September mit der Ausarbeitung des Schreibens begonnen wurde, und zwar bevor Strigel eintraf. Nach seiner Ankunft wäre das Schreiben dann aufgrund von Strigels Entwurf vom 28. September fertiggestellt worden, bevor es am 29. September an die Adressaten abgeschickt wurde.
Gegenstand des von Strigel entworfenen herzoglichen Schreibens ist die Abberufung der ernestinischen Deputierten aus Worms. Der Entwurf beginnt mit einleitenden Bemerkungen über die Verschwiegenheitspflicht der Deputierten – bezeichnet als „vnsere Theologi zw Wormbs neben D. Sarcerio 412 Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 3r. 413 Vgl. oben S. 452, Anm. 403. 414 In der Wiedergabe durch Ernst lautet der Schlußteil des Schreibens an Ottheinrich und Christoph: „Die Seinigen [scil. die Theologen Johann Friedrichs des Mittleren] haben nichts Neues vorgebracht, sondern wollten nur verdammen, was sie schon vor einigen Jahren verdammt haben; auch kann ihnen niemand verdenken, dass sie ihre Konfession nicht nur um ihrer Person, sondern auch um ihrer Kirchen und Schulen willen bestätigten und sich nicht stillschweigend den Korruptelen verwandt machten, wie auch der Reichsabschied nicht Stillschweigen, sondern solches Handeln im Kolloquium verlangt, wie sie es am jüngsten Tag zu verantworten gedenken. Beide [scil. Ottheinrich und Christoph] mögen es also nicht als unfreundlich vermerken, wenn er die Seinigen abzufordern verursacht wird.“ (Hzg. Johann Friedrich d. M., Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 423 f., Nr. 338 [Regest]; Hervorhebung B. S.). Bis auf die hervorgehobene Phrase folgt der zitierte Passus genau dem Entwurf Strigels von dessen zweitem Argument zur Rechtfertigung der Verwerfungsforderungen bis zum Ende (vgl. unten bei Anm. 420 und 424). 415 Vgl. oben S. 349 in Abschnitt 4.4.2.5 in Anm. 362. 416 Vgl. oben S. 349 in Abschnitt 4.4.2.5 in Anm. 362.
5.5 Die Sezession
455
vnd D. Morlino“417 – , die sich nach deren Auffassung nicht auf „beyhendel[…], so sich zwischen ihnen selbest zwtragen“ erstrecke.418 Anschließend wird in dem Entwurf ausführlich rekapituliert, daß die gnesiolutherischen Deputierten am 22. September von den evangelischen politischen Räten ausgeschlossen worden seien, wie es – angefangen mit der römisch-katholischen Verwerfungsforderung vom 20. September – dazu gekommen sei und was die gnesiolutherischen Deputierten seither unternommen hätten.419 Hierauf folgt eine knappe Rechtfertigung der gnesiolutherischen Verwerfungsforderung mit drei Argumenten:420 erstens sei jedermann, wie durch Zitation von Mt 10,32 und 1 Petr 3,15 belegt wird, zum Bekenntnis in Affirmation und Negation verpflichtet; zweitens verwürfen die Theologen nur, was sie zuvor bereits verworfen hätten, und das nicht allein um der Kohärenz ihrer eigenen Position willen, sondern auch im Blick auf ihre Kirchen und Schulen; drittens sei ihnen vom Reichsabschied auferlegt, so zu handeln, wie sie es für verantwortbar vor Gottes Urteil im Jüngsten Gericht hielten421. Ist mit dem dritten Grund bereits die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gewissen berührt, so hält der Entwurf auch noch eigens fest: „Nw wurde es ihnen [scil. den ernestinischen Theologen] gantz beschwerlichen furfallen, wann sie nicht also handelten[,] Wie sie gottes wort vnd ernster befehl, der Kirchen nodt vnd ihre gewissen treiben“422. Nach einer ausdrücklichen Billigung des Vorgehens der Theologen423 mündet der Entwurf – unter nochmaligem Verweis auf die Ausschließung als das auslösende Moment – in die Bekundung des Vorhabens, die Theologen abzuberufen, wenn sich die Dinge nicht noch anders entwickelten: „Weil dan die sachen also gelegen das vnsere Theologi von dem Colloquio sollen ausgeschlossen sein, so sind wir bedacht, wo nicht ander gelegenheit fürfellet, sie abzufordern“424. 417 Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 1r. 418 Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 1r. 419 Vgl. Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 1r–2r. 420 Vgl. Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 2rv. 421 Vgl. § 22 RA Regensburg 1557: NSamml. III, S. 140. 422 Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 2v. 423 „Aus disen vnd andern vnsachen können wir vnsere [sic!] Theologos noch der zeitt nicht vordencken, das sie auff den fall[,] der ihnen am bösten bekant ist, ihre notturft furbringen wie sie es getrawen vor gottes gericht vnd der Kirchen zu verantworten.“ (Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 2v). 424 Strigels Entwurf für ein Schreiben über die Abberufung der Theologen vom 28. September 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 246, fol. 1r–3r, hier fol. 2v.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Im Sinne von Strigels Entwurf schrieb Herzog Johann Friedrich der Mittlere an Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph.425 Das Schreiben des sächsischen Herzogs an Melanchthon vom selben Tag426 hingegen war ein Versuch, den Dingen in Worms doch noch eine andere Wendung zu geben, so daß die Abberufung sich erübrigen würde. Mit massiven Beschuldigungen gegen Brenz427 und einem nicht weniger massiven Appell an Melanchthon, seiner Verantwortung als Mitverfasser der CA, der Apologie und der Schmalkaldischen Artikel gerecht zu werden,428 versuchte Johann Friedrich der Mittlere, den Wittenberger von den Württembergern zu separieren und dadurch einer Verständigung auf Verwerfungen zum Durchbruch zu verhelfen. In welchem Maße Strigel an der Aufsetzung des Schreibens an Melanchthon beteiligt war, läßt sich nicht feststellen, obwohl anzunehmen ist, daß er zumindest gesprächsweise einbezogen wurde. Strigel könnte das Schreiben an Melanchthon zudem selbst nach Worms befördert haben, wenn er denn an diesem oder dem folgenden Tag die Rückreise aus Meisenheim angetreten haben sollte, wie zu vermuten steht.429 425
Vgl. oben S. 454 bei Anm. 414. Hzg. Johann Friedrich d. M. an Melanchthon, Meisenheim 29. September 1557: CR 9, Sp. 301–305, Nr. 6356 = MBW 8373. 427 Die Beschuldigungen gipfeln in der Aussage, daß „Brentii vnd Anderer seines Anhangs Gem th“ darauf ausgerichtet sei, „daß sie auch auf den Fall eines Synodi dieselbige verf hrerische Lehre [scil. „Osiandrische und andere Corruptelen der Augsburgischen Confession“] nicht zu improbieren, sondern vielmehr zu defendiren, oder aufs wenigste also zu verschleifen gemeint sind, damit dieser Irrthum nicht an den Tag k me, sondern weiter heimlich zu Schaden vieler Gewissen ausgebreitet werden m chte“ (Hzg. Johann Friedrich d. M. an Melanchthon, Meisenheim 29. September 1557: CR 9, Sp. 302, Nr. 6756 = MBW 8373; ebd. auch die in eckiger Klammer zur Erläuterung angeführte Formulierung). Brenz’ Verweigerung von Verwerfungen und insbesondere einer Verwerfung Osianders wird so interpretiert, daß er vorhabe, „von wegen seines Irrthums der Wahrheit nicht zu weichen, sondern zu seiner Glori die armen Gewissen in solchem eingef hrten Irrthum stecken zu lassen, damit er der Mann befunden werde, der niemals geirret, sondern alleweg den rechten Weg gegangen habe.“ (ebd., Sp. 303). 428 „Dieweil es aber mit unsrer Augsburgischen Confession die Gelegenheit hat, daß dieselbe in den vornehmsten Artikeln wieder diese sch dlichen Corruptelen und Secten strebet, Ihr auch der gewesen, so solche Confession und Apologie, auch Schmalkaldische Artikel im Namen der andern St nde mit habt helfen stellen und verfassen […]: als ermahnen wir Euch auch hiermit ganz gn diglich begehrende, Ihr wollet als Diener des g ttlichen allein seligmachenden Worts Euer Gewissen erretten, und auf die Wege in diesem Colloquio gedenken, damit solche Corruptelen und Secten nicht also verdruckt, sondern offentlich entbl ßt und aufgedeckt, […] und in Verbleibung derselbigen uns nicht Ursach gegeben werde, die Unsern abzufordern.“ (Hzg. Johann Friedrich d. M. an Melanchthon, Meisenheim 29. September 1557: CR 9, Sp. 303, Nr. 6756 = MBW 8373). 429 Die detaillierten Angaben des ‚Preußischen Berichts‘ zum Ablauf der Ereignisse vom Schreiben des sächsischen Herzogs an Melanchthon bis zum Abzug der gnesiolutherischen Deputierten sind mit Vorsicht zu gebrauchen, weil mindestens zweimal die Datierungen um einen Tag verschoben sind: So datiert Johann Friedrichs Schreiben an Melanchthon vom 29. September, während es im ‚Preußischen Bericht‘ heißt: „Eodem die [i. e. am 28. September; vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12r] sub vesperam Dux Saxoni scribit 426
5.5 Die Sezession
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Soweit die vorhandenen Quellen zu erkennen geben, hat Herzog Johann Friedrich der Mittlere während Strigels Aufenthalt in Meisenheim noch keinen förmlichen Befehl zur Abberufung der ernestinischen Deputierten aus Worms gegeben.430 Die Abberufung wurde aber angebahnt. Die ursprüngliche Präferenz des sächsischen Herzogs für die secessio, falls eine gemeinsame spezifizierte Verwerfung der Lehrabweichungen durch die Augsburger Konfessionsverwandten nicht möglich wäre, kam nun wieder zum Tragen, nachdem alle Verständigungsversuche bis hin zum Moratorium auf Grundlage der ‚Großen Protestationsschrift‘ ohne Erfolg geblieben waren. Alle Zeichen standen daher auf Sezession.
5.5.2 Der Abzug der gnesiolutherischen Deputierten Wann Strigel von Meisenheim nach Worms zurückkehrte, ist nicht gewiß.431 Er dürfte aber kaum zugegen gewesen sein, als Julius Pflug in seiner Funktion als Präsident des Religionsgesprächs die gnesiolutherischen Deputierten am Vormittag des 29. September zu sich bestellte. Pflug ließ ihnen durch Vizekanzler Seld die Replik432 auf ihre Appellation vom 23. September vortragen, die ihnen auf ihr Ersuchen hin anschließend auch in schriftlicher Form ausgehändigt wurde. Die ernestinischen Deputierten berichteten nach ihrer Rückkehr aus Worms dem sächsischen Herzog in Weimar, daß die Replik nach einigen Tagen Verzögerung Philippo […].“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12v). Ferner erfolgte die Übergabe der ‚Großen Protestationsschrift‘ am 1. Oktober (vgl. unten S. 468 f. bei Anm. 486), der ‚Preußische Bericht‘ aber verzeichnet sie unter dem 30. September (vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 13r). Vor der Schilderung des Abzugs der gnesiolutherischen Deputierten findet sich dann eine Korrektur: Das sogar um zwei Tage abweichende Datum 30. September ist gestrichen und durch das richtige Datum 2. Oktober ersetzt (vgl. ebd.). Es steht daher zu vermuten, daß die zwischen den beiden angeführten Fehldatierungen und vor der Korrektur plazierte Angabe, der herzoglich-sächsische Gesandte Thangel – „legatus Dux Saxoni Doctor Daniel“ (ebd., Bl. 12v–13r) – sei am 29. September nach Worms gekommen, ebenfalls um einen Tag von Thangels tatsächlicher Ankunft abweicht. Thangel wäre demnach am 30. September in Worms eingetroffen. Sollten Strigel und Thangel sich gemeinsam von Meisenheim nach Worms begeben haben, was naheliegend gewesen wäre, dann müßten sie am 29. oder spätestens am Morgen des 30. September in Meisenheim aufgebrochen sein. Das Schreiben an Melanchthon hätten sie also mitnehmen können. 430 Von Bundschuh schließt seine Ausführungen zu Strigels Mission in Meisenheim mit der Behauptung: „Den in Worms verbliebenen Colloquenten befahl er [scil. Herzog Johann Friedrich der Mittlere] die Heimreise.“ (v. Bundschuh, S. 468). Dafür gibt es jedoch keine Belege. 431 Vgl. oben Anm. 429. 432 Bf. Julius Pflug von Naumburg als Präsident des Reichsreligionsgesprächs durch Vizekanzler Seld an Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel, Worms 29. September 1557: Förner, S. 66 f., Copia E.
458
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
„zu letzst / auff S. Michels tag [i. e. den 29. September] gefallen/auff welchen tag wir von dem herren presidenten/in seinen hofe vormittag erfordert/haben die Antwort angehoret / […] Es wurd aber solche Antwort von D. Selden/aus einem Zedell verlesen / Als wir aber deren Copey begereten/wurde sie auff stunde/vns in schriffte zugestellet“433.
In der Replik verwies Pflug auf seine Bemühungen um eine Beilegung der Kontroverse bei den Assessoren Augsburgischer Konfession, die aber von der Notwendigkeit, die Deputierten auszuschließen, überzeugt geblieben seien.434 Im Blick auf die Vergeblichkeit seiner Bemühungen, auf den Charakter der Kontroverse als eines außerhalb des Reichsreligionsgesprächs aufgekommenen Streits sowie darauf, daß es nicht seines Amtes sei, Deputierte zuzulassen oder zurückzuweisen,435 ließ der Präsident erklären, er habe beschlossen, „ferner keine Hand mehr anzulegen in dieser Angelegenheit“436. Für das eingereichte Bekenntnis, die Bekenntnis- und Verwerfungserklärung der gnesiolutherischen Deputierten vom 23. September, stellte er lediglich in Aussicht, es sorgfältig zu verwahren und „irgendwann zu seiner Zeit“ dem König darüber und über die ganze Angelegenheit zu berichten.437 Die gnesiolutherischen Deputierten mußten zur Kenntnis nehmen, daß der Präsident weder gegen das Veto der evangelischen Assessoren ihren Status als Teilnehmer des Reichsreligionsgesprächs restituieren würde noch gewillt war, ihre Bekenntnis- und Verwerfungserklärung zu den Akten 433 Schriftliche Fassung der von Thangel, Schnepf und Strigel am 11. Oktober in Weimar mündlich vor Herzog Johann Friedrich d. M. vorgetragenen Relation, an den Herzog aus Jena übersandt am 16. Oktober 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 201rv, hier fol. 201r; im folgenden zitiert als ‚Schriftliche Fassung der Relation Thangels, Schnepfs und Strigels vor Hzg. Johann Friedrich d. M. in Weimar am 11. September 1557‘. Die Übersendung aus Jena am 16. Oktober ergibt sich aus dem Begleitschreiben (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 16. Oktober 1557: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 200r). 434 Vgl. Bf. Julius Pflug von Naumburg als Präsident des Reichsreligionsgesprächs durch Vizekanzler Seld an Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel, Worms 29. September 1557: Förner, S. 66 f., Copia E. 435 Vgl. Bf. Julius Pflug von Naumburg als Präsident des Reichsreligionsgesprächs durch Vizekanzler Seld an Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel, Worms 29. September 1557: Förner, S. 67, Copia E. 436 „Ideo Reuerendissima Dominatio sua [i. e. der Präsident], statuit huic negotio vlterius non apponere manum.“ (Bf. Julius Pflug von Naumburg als Präsident des Reichsreligionsgesprächs durch Vizekanzler Seld an Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel, Worms 29. September 1557: Förner, S. 67, Copia E). 437 „Quod autem ad Confessionem vestram, Reuerendissimæ […] Dominationi suæ [i. e. dem Präsidenten] porrectem attinet, Reuerendissima Dominatio sua parata est, eam non solum diligenter asseruare, & fideli memoria tenere, verum etiam tum de ea, tum de hoc toto negotio, aliquando, tempore suo, Regiæ Romanæ Maiestati […] particularem & exactam facere relationem.“ (Bf. Julius Pflug von Naumburg als Präsident des Reichsreligionsgesprächs durch Vizekanzler Seld an Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel, Worms 29. September 1557: Förner, S. 67, Copia E).
5.5 Die Sezession
459
zu nehmen. Nachdem es weder in den Vorberatungen noch während der ersten Sitzungen des Religionsgesprächs gelungen war, sich mit den übrigen Deputierten der Augsburger Konfessionsverwandten auf gemeinsame Verwerfungen zu verständigen, wurde den gnesiolutherischen Deputierten nun auch noch die Möglichkeit genommen, die für erforderlich gehaltenen Verwerfungen im Rahmen des Reichsreligionsgesprächs auszusprechen. Daher lag jetzt die Zuflucht zur secessio nahe als einem der wenigen, wenn nicht sogar dem einzigen verbleibenden Mittel rechtlicher Selbstbehauptung, mit dem die Rechtsverbindlichkeit und Geltung des nach dem Abzug Beschlossenen – im vorliegenden Fall die Geltung möglicher Ergebnisse des Religionsgesprächs – zumindest in bezug auf die Abgezogenen selbst bestritten werden konnte438. Und in der Tat scheint auf die Replik des Präsidenten hin die Entscheidung für den Abzug der gnesiolutherischen Deputierten gefallen zu sein. In ihrer eigenen Replik auf die Replik des Präsidenten erklärten sie jedenfalls: „[…] weil Wir aber auß der negsten Antwort/die Vns durch Ewer F rstl. Gn. ist Schrifftlich zugestellt [i. e. Pflugs Replik vom 29. September] / vermercken, daß sie [scil. die übrigen evangelischen Deputierten] auff ihr [sic!] vnbilligen f rhaben verharren / so m ssen Wir jhre solche Exclusion mit gewalt / wie sie von jhnen f rgenommen / […] dahin stellen / jhnen weichen / vnd Vns widerumb anheymbs begeben.“439
Damit stimmt die von Schnepf, Strigel und Thangel bei ihrer Rückkehr abgegebene Darstellung überein, daß die gnesiolutherischen Deputierten sich nach der Aushändigung der Schriftfassung der Replik, aber wohl noch am 29. September an den Präsidenten wandten und ankündigten, es sei um des sächsischen Herzogs und ihrer selbst willen notwendig, daß sie in ein oder zwei Tagen auf die Replik hin noch schriftliche Eingaben an den Präsidenten richteten; der Präsident erklärte sich zur Annahme der angekündigten Schriften bereit.440 Es dürfte dabei sogleich an einen Schlußprotest anläßlich des nunmehr unvermeidlich erscheinenden Abzugs aus Worms gedacht 438 Zum Rechtsmittel der secessio vgl. die Erläuterungen oben S. 239 in Abschnitt 3.4.2 bei Anm. 204–210. 439 Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel an den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs sowie die römisch-katholischen Assessoren und Auditoren, Worms [1.] Oktober 1557: Förner, S. 67–72; zur Datierung und zu dieser Schrift vgl. unten S. 461 in und bei Anm. 447. 440 „Hernach [scil. nach der Aushändigung der Replik in schriftlicher Form] liessen wir vns vernehmen bey dem h. Presidenten/E. f. g./auch vnsere noturften/wurde erfordern[,] das wir bey Ihren/g. [scil. dem Präsidenten] in ein tag oder zwey vngeuerlich/ auff entpfangene Antwort [scil. die Replik des Präsidenten]/noch ettliche schrifften einbrechten / die sein f. g. anzunemen sich gantzs willig erbotten“ (‚Schriftliche Fassung der Relation Thangels, Schnepfs und Strigels vor Hzg. Johann Friedrich d. M. in Weimar am 11. September 1557‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 201rv, hier fol. 201r).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
gewesen sein. Die zwei Tage später, am 1. Oktober, tatsächlich eingereichten Schriften441, mit deren Ausarbeitung nach der Ankündigung unverzüglich begonnen worden sein dürfte, enthalten denn auch neben der Schilderung des Vorgefallenen nur eine einzige Forderung: die Forderung nach Aufnahme der vorgelegten Protestationen in die Akten des Reichsreligionsgesprächs. Von Wiederzulassung zum Religionsgespräch oder Revision des Ausschlusses ist hingegen mit keinem Wort die Rede. Bei der am 29. September erfolgten Ankündigung schriftlicher Eingaben in ein oder zwei Tagen könnte es auch dazu gekommen sein, daß die gnesiolutherischen Deputierten hinwiesen auf einen zum sächsischen Herzog entsandten Vertreter aus ihren Reihen, dessen Rückkehr sie abwarten müßten, wie es der Präsident den evangelischen Assessoren dann am 30. September weitergab442. Das muß aber nicht bedeuten, daß erst mit Strigels Rückkehr – oder Thangels Ankunft – die Entscheidung zum Abzug gefallen wäre. Die gnesiolutherischen Deputierten trugen sich bereits seit den Vorberatungen mit Gedanken an Abzug443, wußten um die ursprüngliche Präferenz des sächsischen Herzogs für die secessio und hatten sich mit Strigel vor dessen Reise nach Meisenheim abgestimmt. Sie werden deshalb nicht gezögert haben, auf die Replik des Präsidenten hin von sich aus den Entschluß zum Abzug zu fassen. Was Strigel ihnen sodann nach seiner Rückkehr aus Meisenheim berichten konnte, wo er für den Herzog das Schreiben über die Abberufung der ernestinischen Theologen aufgesetzt hatte, wird sie in ihrem Entschluß bestärkt haben. Auch die Ankunft des herzoglich-sächsischen politischen Rates Dr. Lukas Thangel in Worms444 könnte für das Abzugsvorhaben der gnesiolutherischen Deputierten bestärkend gewirkt haben. Denn mit Thangel verfügten sie erstmals seit dem Abgang Monners wieder über einen politisch-juristischen Sachwalter ihrer Anliegen vor Ort, der die Formalitäten des Abzugs regeln konnte. Denkbar ist auch, daß Thangel vom sächsischen Herzog mit speziellen Vollmachten zur Abberufung der ernestinischen Theologen ausgestattet worden war, aber dafür gibt es keine Belege. Am 1. Oktober jedenfalls übernahm es Thangel, die angekündigten Schriften der gnesiolutherischen Deputierten dem Präsidenten zu überbringen. In der schriftlichen Fassung der von den ernestinischen Deputierten nach ihrer Rückkehr vorgetragenen Relation heißt es dazu: „Also haben wir auff den 441
Vgl. unten in Anm. 447 und 450. Vgl. oben bei und in Anm. 398. 443 Vgl. Schnepfs Bericht vom 6. September 1557: Wolf, S. 337, Nr. 45 sowie die Erläuterungen dazu oben S. 297 in Abschnitt 4.1.4 bei Anm. 111. 444 Vgl. Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 32r; ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 12v–13r. Zur Datierung der Ankunft Thangels auf den 29. September durch den ‚Preußischen Bericht‘ vgl. oben S. 457 in Anm. 429. 442
5.5 Die Sezession
461
volgenden freytag [i. e. am 1. Oktober] Ihrer f. g. [i. e. dem Präsidenten] drey schrifften / in ein Conuolut verpackt / durch D. Tangell lassen vberantworten“445. Julius Pflug selbst berichtete dem König, daß „den ersten October des hochgebornen fursten herrn Johans Friedrich des Mitlern etc. rhätt, einer[,] Doctor Tanigel genannt, mir ein verschlossen schreiben, so an mich, auch die assessores und auditores colloquij gestellt, sampt zweien andern schrifften, deren copeien […] F. G. H. bezeichnet[,] vbergeben, vnd sich dabei erclert, das allain die assessores vnd auditores der alten Religion gemeint sein sollen.“446 Die erste der drei für den Präsidenten und die römisch-katholischen Assessoren und Auditoren bestimmten Schriften ist eine deutsche Schrift,447 gerichtet an den Präsidenten und die römisch-katholischen politischen Räte, die von den ernestinischen Deputierten später als „ein protestation / auff gegeben Antwort des h. Presidenten“448 bezeichnet wurde, mithin eine Replik auf die Replik des Präsidenten vom 29. September sein sollte. Sie enthält auch die förmliche Abzugserklärung der Deputierten.449 An den Präsidenten allein ist die zweite, in lateinischer Sprache abgefaßte Schrift gerichtet,450 formal ebenfalls eine Replik auf Pflugs Replik vom 29. September. Das Nebeneinander zweier Repliken, deren Inhalt zudem weitgehend übereinstimmt, dürfte so zu erklären sein, daß neben die formgerechte lateinische, allein an den Präsidenten gerichtete Replik eine auf breitere öffentliche Wirkung abzielende Version gestellt werden sollte. Vermutlich sollte dadurch wie auch durch die Adresssierung des gesamten Konvoluts an den Präsidenten und die römisch-katholischen Assessoren und Auditoren451 einer Vertuschung durch den Präsidenten vorgebeugt werden. Die beiden angeführten Schriften gehen in der Sache weit über die in Repliken übliche Auseinandersetzung mit einem vorausgegangenen Bescheid hinaus, indem sie ausführlich und unter Preisgabe zahlreicher Interna 445 ‚Schriftliche Fassung der Relation Thangels, Schnepfs und Strigels vor Hzg. Johann Friedrich d. M. in Weimar am 11. September 1557‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 201rv, hier fol. 201r. 446 Bf. Julius Pflug von Naumburg an Kg. Ferdinand, Worms 27. Oktober 1557: Pollet IV, S. 324, Nr. 757. 447 Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel an den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs sowie die römisch-katholischen Assessoren und Auditoren, Worms [1.] Oktober 1557: Förner, S. 67–72, Copia F. Zur Herkunft der unzutreffenden Datumsangabe des 2. Oktober bei Förner vgl. v. Bundschuh, S. 471, Anm. 118. 448 ‚Schriftliche Fassung der Relation Thangels, Schnepfs und Strigels vor Hzg. Johann Friedrich d. M. in Weimar am 11. September 1557‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 201rv, hier fol. 201v. 449 Vgl. oben S. 459 bei Anm. 439. 450 Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel an den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs, Worms 1. Oktober 1557: Förner, S. 72–75, Copia G. 451 Vgl. oben bei Anm. 446.
462
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
über die Auseinandersetzungen zwischen den Deputierten Augsburgischer Konfession um die Verwerfungsforderungen berichten. Als einzige in den beiden Schriften erhobene Forderung wird die Aufnahme der Eingaben in die Akten verlangt: Damit die Reichsstände „auff k nfftigen Reichstag sehen m gen / an wem der mangel gewesen“, beantragen die Deputierten, der Präsident möge „die vorigen / vnd auch die jetzigen Schrifften ad acta bona fide registriren“452. Die Forderung nach Aufnahme in die Akten gilt auch für die dritte von Thangel am 1. Oktober überreichte Schrift: eine Kopie der ‚Großen Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten vom 20. September, einer Schrift mit bewegtem Schicksal, wie die ernestinischen Deputierten in der schriftlichen Fassung ihrer Weimarer Relation ausführten: „[…] zum letzsten vbergaben wir auch hiemit [scil. mit den beiden Repliken] ein Copey / der vorigen protestation / So wir bey den vnsern / der Augspurgischen Confession verwandten eingebracht / welche erstlich von den vnsern angenommen, vnd von vnseren Notarijs zu instrumentirn bewilliget / Aber hernach widerumb vninstrumentiert heim geschickt“453. Exkurs: Die ‚Große Protestationsschrift‘ vom 20. September und ihr Schicksal Die ‚Große Protestationsschrift‘454 der gnesiolutherischen Deputierten war veranlaßt durch die ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September. In dieser hatte der sächsische Herzog als conditio sine qua non einer Teilnahme der ernestinischen Deputierten am Religionsgespräch ohne vorhergehende Verständigung der Augsburger Konfessionsverwandten auf gemeinsame Verwerfungen festgelegt, daß seine „Theologen und Pollitisch Rett neben Doctor Morlin vnd Sarcerio, do sie darbey sein wollen, alsbald beide vor den Augsburgischen Confessionsverwandten, desgleichen gegen Presidenten, 452 Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel an den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs sowie die römisch-katholischen Assessoren und Auditoren, Worms 1. Oktober 1557: Förner, S. 71, Copia F; vgl. Schnepf, Mörlin, Strigel und Stössel an den Präsidenten des Reichsreligionsgesprächs, Worms 1. Oktober 1557: Förner, S. 75, Copia G. 453 ‚Schriftliche Fassung der Relation Thangels, Schnepfs und Strigels vor Hzg. Johann Friedrich d. M. in Weimar am 11. September 1557‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 201rv, hier fol. 201v. 454 Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel an die übrigen Deputierten Augsburgischer Konfession, Worms 20. September 1557: Förner, S. 75–86, Copia H = CR 9, Sp. 284–295, Nr. 6350 = Heppe I, Anhang S. 12–24, Nr. VI. Die in den Quellen und Abdrucken unter verschiedenen Überschriften stehende Schrift der gnesiolutherischen Deputierten wird im folgenden als ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten vom 20. September 1557 bezeichnet. Die Zitate folgen dem am besten zugänglichen Abdruck in CR 9; gelegentliche Korrekturen nach Förner oder Heppe werden gegebenenfalls angemerkt.
5.5 Die Sezession
463
Collocutorn, Auditorn vnd den andern verordneten Personen ein satte genugsame Clare ausdruckliche Protestation thun, welche nach dem Colloquio in Druck gegeben werden solle.“455 Inhalt der Protestation sollte nach dem Willen des Herzogs sein, daß die Beteiligung am Religionsgespräch nicht als Billigung der Sekten und Irrlehren verstanden werden dürfe, sondern die Sekten und Irrlehren weiter für verworfen gehalten würden.456 Den Theologen hatte der Herzog schließlich noch einen Ermessensspielraum eingeräumt, ob die Protestation während des Religionsgesprächs vor der römisch-katholischen Seite zurückgehalten werden sollte.457 Nachdem Strigel am 17. oder 18. September mit der ‚Badener Instruktion‘ aus Markgraf-Baden nach Worms zurückgekehrt war, entschieden sich die ernestinischen Deputierten für die Option, die Protestation allein an die Augsburger Konfessionsverwandten zu richten.458 Die Annahme der Protestation als einer nur an die eigene Seite gerichteten Erklärung wurde den gnesiolutherischen Deputierten auch von den evangelischen politischen Räten bewilligt, die sich dadurch gegen die Vorlage von Verwerfungen im Beisein der römisch-katholischen Seite geschützt wähnten.459 Unverzüglich machten sich die Deputierten an die Ausarbeitung der ‚Großen Protestationsschrift‘,460 die in einer in München überlieferten Abschrift auf den 20. September datiert ist461. Sodann wandten sie sich mit der Protestationsschrift an die evangelischen Assessoren, Auditoren und Theologen462 und baten um die Annahme und Verwahrung der Protestationsschrift.463 Um der Geheimhaltung bis zum Abschluß des Religionsgesprächs willen beantragten sie zugleich, durch die evangelischen Notare gegen Gebühr die Protestationsschrift in dreifacher Ausfertigung „mit Ihrer [scil. der 455 ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49 (Hervorhebung B. S.); vgl. die Erläuterungen dazu oben S. 401 in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 148 f. 456 Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 350, Nr. 49. 457 Vgl. ‚Badener Instruktion‘ vom 15. September 1557: Wolf, S. 351 f., Nr. 49. 458 Vgl. oben S. 404 in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 162–165. 459 Vgl. oben S. 405 in Abschnitt 5.1.5 bei Anm. 167. 460 Die ernestinischen Deputierten berichteten dem Herzog darüber: „Auf E. F. G. beuehl [i. e. die ‚Badener Instruktion‘] haben wir alsbald ein Protestation gestellet“ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50). 461 Vgl. CR 9, Sp. 295, Nr. 6350. 462 Dem Bericht der ernestinischen Deputierten vom 25. September nach wurde die Protestationsschrift „den Assessorn, Auditorn vnd Theologen vnsers teils offeriret“ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50). Ob die übrigen Theologen dabei zugegen waren, ist allerdings fraglich, denn sonst ist stets von einer Übergabe an die Assessoren die Rede. Auch wurden die Offerte und die weiteren Anträge der gnesiolutherischen Deputierten von den Assessoren und Auditoren beantwortet (vgl. ebd.). 463 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50.
464
5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
Notare] Hand und Signatur muniren“ zu lassen.464 Die Assessoren und Auditoren genehmigten, was die gnesiolutherischen Deputierten erbeten und beantragt hatten.465 Daraufhin traten die gnesiolutherischen Deputierten an die Notare Jakob Andreae und Paul Eber heran. Die Notare waren offensichtlich bei der Offerte der Protestationsschrift an die Assessoren und Auditoren nicht zugegen gewesen, denn sie nahmen, so die ernestinischen Deputierten, „darob bedacht“466, erklärten also, das Ansinnen erst prüfen zu müssen.467 Ob die Notare sich mit den Assessoren und Auditoren abstimmten oder eigene Überlegungen anstellten, muß offenbleiben. Das Ergebnis hingegen war den ernestinischen Deputierten zufolge, daß „[d]enn andern tag“ Jakob Andreae „[d]as Exemplar der Protestation“ von ihnen entgegennahm und die Instrumentierung, i. e. die förmliche Beurkundung in Aussicht stellte.468 Da die ernestinischen Deputierten für die Offerte der Protestationsschrift kein Datum mitteilen, läßt sich aus ihrem Bericht auch nicht erschließen, welches Datum der folgende Tag hatte, an dem Andreae die Protestationsschrift entgegennahm. In der herzoglich-sächsischen und der pommerschen Aktenüberlieferung zum Wormser Religionsgespräch haben sich jedoch Abschriften der ‚Großen Protestationsschrift‘ erhalten, die mit „Protestatio exhibita Assessoribus, Auditoribus et Theologis nostrae partis 21. Septembris anno 1557 Wormatiae“ überschrieben sind.469 Treffen die Angaben der Überschrift zu, so wurde die Protestationsschrift am 21. September übergeben. Aus der Überschrift geht allerdings nicht zweifelsfrei hervor, ob die Übergabe an die Notare470 oder die einen Tag vorausliegende Offerte an die Assessoren und Auditoren gemeint ist. 464
Vgl. oben S. 383 f. in Abschnitt 5.1.3 bei Anm. 66 f. Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50. 466 Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50. 467 Einer wahrscheinlich auf dem verlorenen Anfang von Andreaes Rechtfertigungsschrift (vgl. unten S. 466 f. bei und in Anm. 479) beruhenden Angabe Kurfürst Ottheinrichs und Herzog Christophs zufolge hatte Paul Eber Bedenken gegen die Annahme der Protestationsschrift gehabt, in der „allerhand ungereumbts begriffen“ gewesen sei (Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., o. O. 16. November 1557: Ernst IV, S. 442, Nr. 353). 468 „Denn andern tag aber hatt der Notarien einer, Nemlich Doctor Jacobus Fabri [i. E. Jakob Andreae] [,] ein wirttenbergischer Theologus, Das Exemplar der protestation von vnns angenommen vnd das zu Instrumentiren verheisen“ (Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352, Nr. 50). 469 LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 105r, ThHStA Weimar, EGA Reg. N 237, fol. 22r. Unter derselben Überschrift liegt auch in der brandenburg-ansbachischen Aktenüberlieferung eine Abschrift der ‚Großen Protestationsschrift‘ vor (vgl. Schornbaum II, S. 166, Anm. 1). 470 Auch die Übergabe an die Notare könnte als Aushändigung an Assessoren, Audi465
5.5 Die Sezession
465
Die ‚Große Protestationsschrift‘ könnte daher entweder am 20. September den Assessoren und Auditoren offeriert und am 21. September den Notaren übergeben worden sein oder jeweils einen Tag später. Allerdings waren die gnesiolutherischen Deputierten den ganzen 22. September über durch Verhandlungen mit den politischen Räten in Anspruch genommen. Ob ihnen daneben noch Zeit blieb, die Protestationsschrift Andreae zu übergeben, ist fraglich. Plausibler erscheint daher die Annahme, daß die Übergabe an Andreae am 21. September erfolgte und die Offerte an die politschen Räte bereits am 20. September, auf den auch die in München überlieferte Abschrift der Protestationsschrift datiert ist471. Dafür spricht auch, daß die ernestinischen Deputierten erst über die Protestationsschrift und dann über den Eklat in der sechsten Sitzung des Religionsgesprächs am 20. September berichten.472 Da die sechste Sitzung erst nachmittags stattfand,473 könnten die gnesiolutherischen Deputierten noch am Vormittag des 20. September mit der Protestationsschrift an die Assessoren und Auditoren herangetreten sein. Sollte es so gewesen sein, so war die entscheidende Voraussetzung des Moratoriums, das zwischen den gnesiolutherischen Deputierten und den politischen Räten nach Strigels Rückkehr aus Markgraf-Baden vereinbart worden war,474 noch vor dem Eklat in der sechsten Sitzung erfüllt, so daß das Moratorium vollends in Kraft treten konnte. Zu der von Andreae in Aussicht gestellten Instrumentierung der Protestationsschrift kam es jedoch nicht. Vielmehr erhielten die gnesiolutherischen Deputierten die Protestationsschrift zurück, nachdem sie wegen des Ausschlusses, der von den evangelischen politischen Räten am 22. September ausgesprochen worden war, am 23. September beim Präsidenten ihre Appellation in Verbindung mit ihrer Bekenntnis- und Verwerfungserklärung eingereicht hatten. Die politischen Räte führen in der Fortsetzung der ‚Gemeinsamen Relation‘ vom 10. November dazu aus, daß die gnesiolutherischen Deputierten „den andern morgen [scil. am 23. September] zum toren und Theologen, mithin die Gesamtheit der evangelischen Deputierten bezeichnet worden sein, insofern die Notare die Protestationsschrift für die Deputierten entgegennahmen. 471 Vgl. oben S. 463 bei Anm. 461. 472 Vgl. Schnepf, Strigel und Stössel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Worms 25. September 1557: Wolf, S. 352 f., Nr. 50. In Schnepfs und Strigels späterem Rückblick heißt es sogar: „Als aber D. Jacob die protestation zu instrumentieren angenummen vnd sich gleichwol die Instrumentierung ein weyl verzogen, Ist mitlerweyl von den Papisten eingebracht, dardurch wir zur verdammung der Secten wie obengemeldet gedrungen, vber welcher wir von vnser Politicis excludiret“ (Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. September 1557: Wolf, S. 362, Nr. 54). Die Angabe ist aber mit Vorsicht zu gebrauchen, da es Schnepf und Strigel in dem zitierten Passus mehr um den sachlichen Zusammenhang als um die chronologische Reihenfolge geht. 473 Vgl. oben S. 406 in Abschnitt 5.2 bei Anm. 171. 474 Vgl. oben S. 405 in Abschnitt 5.1.5 nach Anm. 167.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
herren Praesidenten gelauffen, vnd s f g ihre condemnation vberantwortet haben“, wodurch sie, die Räte, „verursacht“ gewesen seien, „inen ire vermainte vnd mutwillige Protestation wiederumb zuzuschicken, vnd anzeigen zu lassen, weil sie bei derselben zu beruhen, vnd ainigkeit zu halten nicht bedacht, so möchten sie ire protestation […] widerumb zu sich nemen“475. Damit übereinstimmend stellten Schnepf und Strigel in ihrem späteren Rückblick klar, daß die Verweigerung der Instrumentierung „nit vor vnser ausschlissung, sunder nach der ausschlissung vnd nach vnserem ansuchen, so wir bey dem h. Presidenten gethan, dem wir auch […] vnser Confession vnd verdammung der Secten ubergeben, geschehen, dann dazumal hatt allerst D. Fabri [i. e. Andreae] vns die Protestation wider vnverfertigt oder vninstrumentirt zu hauss geschickt, als deren nunmehr nit weyter von nöten solte sein, weyll wir vnser bekanntnuss dem hrn. Presidenten schon vbergebenn“476. Über die Rücksendung der Protestationsschrift kam es zu einer regelrechten Auseinandersetzung zwischen dem Herzogtum Sachsen und dem Herzogtum Württemberg, die weite Kreise zog: Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen beschwerte sich bereits am 29. September in seinem Schreiben aus Meisenheim bei Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz und Herzog Christoph von Württemberg darüber, „das doctor Faber [i. e. Andreae] nach wenigen tagen den unsern zuwider obgemelter assessorn, auditorn und theologen zusage das exemplar uninstrumentirt in ire herberge geschickt“477 habe. Das Schreiben Johann Friedrichs des Mittleren wurde bald den in Worms verbliebenen Deputierten bekannt gemacht.478 Das dürfte der Hintergrund dafür sein, daß Andreae sich in einer vom 10. Oktober datierenden Rechtfertigungsschrift mit den gegen ihn im Schreiben des sächsischen Herzogs erhobenen Vorwürfen auseinandersetzte.479 Zur Beschwerde des sächsischen Herzogs wegen der 475 Fortsetzung der ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte vom 10. November 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 108r–110r, hier fol. 109v–110r. 476 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 362, Nr. 54. 477 Hzg. Johann Friedrich d. M. von Sachsen an Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph, Meisenheim 29. September 1557: Ernst IV, S. 422, Nr. 338. 478 Vgl. Runges Bericht für Hzg. Philipp von Pommern vom 17. November 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 69r–76v, hier fol. 70v. 479 Andreaes Apologie endet mit den Worten: „Dieweill denn die sachen also vnd nicht anders geschaffen, ist meine dienstliche bitt an die Chur vnd furstliche gesandten, sie wolten mich vnderthenigst vnd vnderthenig bei Jhren gnedigsten vnd gnedigen herrn entschuldigen, Dann mir in beiden puncten [scil. den ernestinischen Vorwürfen wegen der Rücksendung der Protestation und der Weigerung, Osiander zu verwerfen] vngutlich beschicht, vnd die Sechssischen Weimarischen Theologen Jhrem herrn die vnwarheitt bericht haben, Thu mich denselbigen Chur vnd furstlichen gnaden vnderthenigst vnd vnderthenig befelhen“ (Andreaes Rechtfertigungsschrift [Fragment], Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol 26r–29r, hier fol. 29r). Primäre
5.5 Die Sezession
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Rücksendung der Protestation erklärte Andreae, er habe die Protestation seit den Verhandlungen der politischen Räte mit den gnesiolutherischen Deputierten über deren Absicht, die Verwerfungen im Religionsgespräch vorzubringen, nicht mehr gesehen. Später habe er vom württembergischen substituierten Assessor erfahren, daß die Assessoren den gnesiolutherischen Deputierten die Protestation in ihre Herberge zurückgeschickt hätten, als nichts mehr zu erreichen gewesen sei.480. Die politischen Räte bestätigten der Sache nach Andreaes Darstellung in der Fortsetzung ihrer ‚Gemeinsamen Relation‘;481 Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph schrieben gemäß Andreaes Ausführungen an Herzog Johann Friedrich den Mittleren.482 Der sächsische Herzog legte Schnepf und Strigel das Antwortschreiben Ottheinrichs und Christophs vor. Sie erläuterten den Vorgang noch einmal aus ihrer Sicht und beharrten darauf, daß Andreae die Protestation zurückgeschickt habe: „Das aber er, D. Jacob, selber vns die protestation widerumb in vnser herberig geschickt hat, Ist vor Gott wahr, Es were dan, das derjhonige, so sie vns wider uberantwort hat, nit recht die sachen geworben hette, den der selbig vngeuerlich (so vil mir dessen eingedencke mag sein) mit solchen worten sie vns vberantwort hat: Adressaten der Rechtfertigungsschrift waren demnach die in Worms anwesenden Deputierten der Augsburger Konfessionsverwandten. Über die Deputierten wollte Andreae aber auch die Stände Augsburgischer Konfession erreichen. Der Pfälzer Kurfürst und der württembergische Herzog machten für ihr Antwortschreiben an den sächsischen Herzog von Andreaes Rechtfertigungsschrift Gebrauch (vgl. unten bei und in Anm. 482). Wahrscheinlich hatten Ottheinrich oder Andreaes Landesherr Christoph im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des Schreibens des sächsischen Herzogs vom 29. September von Andreae Rechenschaft gefordert, wie der Terminus „gegenbericht“ in ihrer Antwort an den sächsischen Herzog vermuten läßt (Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., o. O. 16. November 1557: Ernst IV, S. 442, Nr. 353; vgl. ebd., S. 443 die Aussage, man habe wegen Johann Friedrichs Vorwürfen gegen Brenz „darauf sein gegenbericht eingenommen“). 480 Wörtlich führte Andreae aus, daß er „von der Zeitt an[,] alß vnsers theils herrn Assessorn vnd Auditorn mitt Jhnen gehandeltt, sie solten mitt Jhrer vntzeitigen Protestation Jtzt der Zeit still stehn, vnd dieselbig bei den vnsern bleiben lassen, […] Jhr Protestation nicht mehr gesehenn, Sonder hernach von den Wirtenbergischen substituierten herrn Assessorn“ – der Plural dürfte sich auf den substituierten Assessor Gültlingen und seinen Beigeordneten Eißlinger beziehen – „vernommen, Als sie nichts bei Jhnen erhalten mogen, […] haben sie [scil. die Assessoren] Jhnen dieselbige widerumb in Jhr herberg geschickt“ (Andreaes Rechtfertigungsschrift [Fragment], Worms 10. Oktober 1557: GStA PK, XX. HA, HBA J2, K. 993, 10. Fasz., fol 26r–29r, hier fol. 26v). 481 Vgl. oben S. 465 f. bei Anm. 475. 482 Ottheinrich und Christoph teilten dem sächsischen Herzog mit, es sei „ganz one, das er, Fabri, die protestation inen [scil. den ernestinischen Deputierten] an ire herberg geschickt, sonder (wie er hernacher vernommen) dasselbig von unsers thails assessorn und auditorn […] beschehen, darumb dann ime [scil. Andreae] hirin zuvil […] zugemessen wurde, also das er derhalb bei E. l. disfalls billich entschuldigt sein soll.“ (Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., o. O. 16. November 1557: Ernst IV, S. 442 f., Nr. 353).
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
‚Hie schickt euch D. Jacob widerumb die Protestation.‘“483 Somit steht Aussage gegen Aussage – genau genommen die Aussage des namentlich nicht bekannten Überbringers gegen die Aussagen Andreaes und der politischen Räte. Eine Erklärung für die widersprüchlichen Aussagen könnte somit in Schnepfs und Strigels Hinweis auf den Überbringer der Protestation liegen. Vielleicht war seine Mitteilung bei der Übergabe der Protestation tatsächlich unpräzise oder falsch. Das allerdings könnte dadurch verursacht gewesen sein, daß Andreae bekanntermaßen als Notar mit der Protestation befaßt gewesen war. Die Schilderung Andreaes und der politischen Räte hat somit die größere Wahrscheinlichkeit für sich, zumal bei den gnesiolutherischen Deputierten eine zunehmende Tendenz zur anti-württembergischen Zuspitzung zu beobachten ist. Auch wenn sich die Umstände der Rücksendung nicht genauer aufklären lassen, steht fest, daß die ‚Große Protestationsschrift‘ den gnesiolutherischen Deputierten bald nach ihrer am 23. September erfolgten Appellation beim Präsidenten zurückgeschickt wurde. Allen einschlägigen Darstellungen in der Sekundärliteratur zufolge wurde sie sodann am 27. September von den gnesiolutherischen Deputierten an den Präsidenten des Religionsgesprächs und die römisch-katholischen Assessoren und Auditoren übergeben.484 Einziger Anhalt für diese Angabe ist, soweit erkennbar, daß die in die Akten des Reichsreligionsgesprächs eingegliederten Abschriften der ‚Großen Protestationsschrift‘ überschrieben sind mit „Protestatio exhibita assessoribus, auditoribus et theologis catholicae partis 27. Septembris anno 1557 Wormatiae“485. Ansonsten findet eine Übergabe der Protestationsschrift am 27. September nirgends in den Quellen Erwähnung, vielmehr wird die Übergabe an den Präsidenten durchweg auf den 1. Oktober datiert.486 Aufgrund des Quellenbefundes ist der Datierung auf den 1. Oktober der Vorzug zu geben, zumal sich für die Überschrift der Kopien in den Akten des Reichsreligionsgesprächs eine plausible Erklärung anbietet. Denn es besteht eine augenfällige Übereinstimmung zwischen der Überschrift in den Akten des Reichsreligionsgesprächs mit der Überschrift jener Abschriften, 483 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 363, Nr. 54. 484 Vgl. Heppe I, S. 197; Wolf, S. 101; v. Bundschuh, S. 461, Anm. 94. Fligges Datierung der Übergabe auf den 29. September (Fligge, S. 415) ist wohl eine Verschreibung statt 27. September. 485 Heppe I, Anhang S. 12, Nr. VI; Förner, S. 75, Copia H. 486 Vgl. ‚Schriftliche Fassung der Relation Thangels, Schnepfs und Strigels vor Hzg. Johann Friedrich d. M. in Weimar am 11. September 1557‘: ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 201rv, hier fol. 201v; Bf. Julius Pflug von Naumburg an Kg. Ferdinand, Worms 27. Oktober 1557: Pollet IV, S. 324, Nr. 757; Fortsetzung der ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte vom 10. November 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 108r–110r, hier fol. 108r; Runges Bericht für Hzg. Philipp von Pommern vom 17. November 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 69r–76v, hier fol. 70r.
5.5 Die Sezession
469
die sich in der Aktenüberlieferung einiger beteiligter evangelischer Reichsstände erhalten haben487: Bis auf die Datumsangabe 27. statt 21. September und das Genitivattribut „catholicae partis“ anstelle von „nostrae partis“ lauten die Überschriften gleich. Das Zahlzeichen „1“ aber kann leicht zu „7“ verschrieben werden, zumal der Sache nach die Übergabe der Protestationsschrift an den Präsidenten und die römisch-katholischen politischen Räte auf jeden Fall nach der Aushändigung an die evangelischen Deputierten erfolgte. Die vermeintliche Korrektur oder Präzisierung des Genitivattributs „nostrae partis“ in der vorfindlichen Überschrift zu „catholicae partis“ bei neuerlicher Abschrift aber lag nahe, nachdem die Protestationsschrift an den Präsidenten und die römisch-katholischen politischen Räte übergeben worden war. Die Datierung in den angeführten Darstellungen beruht demnach sehr wahrscheinlich auf einer sachlich unzutreffenden Angabe in den Akten des Reichsreligionsgesprächs und ist daher zu korrigieren. Ihre eigentliche Wirkung entfaltete die ‚Große Protestationsschrift‘ erst, nachdem sie am 1. Oktober dem Präsidenten überreicht und von ihm am 2. Oktober bestimmungsgemäß den römisch-katholischen politischen Räten zur Kenntnis gegeben488 worden war. Denn die römisch-katholischen Deputierten erkannten sogleich, welcher propagandistische Nutzen aus der Protestationsschrift gezogen werden konnte,489 die ihnen nicht nur detaillierten Einblick in die internen Auseinandersetzungen der Augsburger Konfessionsverwandten bot,490 sondern auch ausführliche Begründungen für die Notwendigkeit der Verwerfung von Osiandrismus, Zwinglianismus, Majorismus und Adiaphorismus enthielt491. Von größtem Wert war auch der in der Protestationsschrift gewährte Einblick in die Einstellung der Augsburger Konfessionsverwandten zum Wormser Religionsgespräch, wurde doch darin das den gnesiolutherischen Deputierten wiederholt vorgehaltene Argument zitiert, „dieses Colloquium sey allein um der Papisten 487
Vgl. oben S. 464 bei Anm. 469. Pflug teilte dem König mit, er habe „solche schreiben und schrifften gleich den nachvolgenden Tag [i. e. am 2. Oktober] in beywesen derselben assessorn vnd auditorn [scil. den römisch-katholischen] erbrechen vnd vorlesen lassen“ (Bf. Julius Pflug von Naumburg an Kg. Ferdinand, Worms 27. Oktober 1557: Pollet IV, S. 324, Nr. 757). Damit übereinstimmend heißt es in der Protestation der römisch-katholischen Assessoren und Auditoren vom 6. Oktober 1557: „Oblatæ fuerunt nobis Assessoribus & Auditoribus veteris Religionis, Sabbatho nouissimo [i. e. am 2. Oktober], literæ, eædemque quatuor sigillis obsignatæ, adiunctis illis duobus scriptis, vno germanico, altero latino […].“ (Protestation der römisch-katholischen Assessoren und Auditoren, Worms 6. Oktober 1557: Förner, S. 86, Copia I). 489 Vgl. v. Bundschuh, S. 473–475. 490 Vgl. ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 284–288, Nr. 6350. 491 Vgl. ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 289–294, Nr. 6350. 488
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
willen vorgenommen, und der Streit sey auf dismal nicht [ergänze: „wider“] die Sectarios, sondern wider das Papstthum gerichtet, derwegen man auch andre disputationes solle f hren [richtig: „fahren“] lassen, und allen Fleiß dahin wenden, wie man dem Papstthum stattlich Abbruch thun m chte“492. Folgerichtig engagierte sich die römisch-katholische Seite mit besonderem Nachdruck für die Aufnahme der Schriften, welche die gnesiolutherischen Deputierten hinterlassen hatten, in die Akten des Reichsreligionsgesprächs.493 Das Ziel wurde dadurch erreicht, daß die römisch-katholischen Deputierten die Verlesung der Schriften durchsetzten, als am 6. Oktober die erste Sitzung des Religionsgesprächs seit der Unterbrechung infolge des Eklats vom 20. September stattfand. Auch wenn die evangelische Seite gegen die Verlesung durch Verlassen des Sitzungssaales protestierte, konnte von der römisch-katholischen Seite sogar die Protokollierung der Verlesung durchgesetzt und damit die Aufnahme in die Akten erreicht werden.494 So wurden schließlich doch noch die von den gnesiolutherischen Deputierten für unabdingbar gehaltenen Verwerfungen in das Religionsgespräch eingebracht. Dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge erfragten die gnesiolutherischen Deputierten am 1. Oktober auch noch beim Präsidenten – vermutlich durch Thangel, der ihre Schriften überbrachte –, ob es ihnen erlaubt sei abzuziehen. Nach ausführlicher Beteuerung seines guten Willens habe der Präsident schließlich erklärt, seinetwegen sei es ihnen erlaubt, so der ‚Preußische Bericht‘.495 Pflug selbst zeigte sich in seinem Bericht an König Ferdinand ein wenig überrascht über den Abzug der gnesiolutherischen Deputierten,496 was allerdings nicht ausschließt, daß die Deputierten ihn um Erlaubnis gefragt haben könnten. Thangel führte in Worms noch verschiedene Gespräche mit anderen Auditoren, bei denen er sich laut Runge über Brenz und die kursächsischen 492 ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten vom 20. September 1557: CR 9, Sp. 287, Nr. 6350; die Korrekturen in eckigen Klammern nach Förner, S. 78, Copia H sowie Heppe I, Anhang S. 15, Nr. VI. 493 Vgl. v. Bundschuh, S. 475–479. 494 Vgl. v. Bundschuh, S. 479. 495 „Et cum ex Pr sidente discere cuperent, an sibi hinc discedere liceret, Ille[,] etsi molliter & prolixe de sua voluntate & studio qu dam esset pr fatus, tamen addidit Per se ipsis licere.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 13r). 496 Pflug gibt an, es habe sich „befunden, das zwischen der selben Zeit [i. e. während er mit den römisch-katholischen Assessoren und Auditoren über das weitere Vorgehen beriet] vnd nemlich den 2 October, gedachter Doctor Tanigel sampt der supplicierenden collocutorn vnd adiuncten vnerwartet vernern antwort sich von hinnen erhept vnd, wie ich berichtet, heimwarts geczogen seind.“ (Bf. Julius Pflug von Naumburg an Kg. Ferdinand, Worms 27. Oktober 1557: Pollet IV, S. 324, Nr. 757; Hervorhebung B. S.).
5.5 Die Sezession
471
Räte beklagte,497 wobei er den Kursachen vermutlich die Ausschließung der gnesiolutherischen Deputierten besonders anlastete. In Thangels Gesprächen scheint es aber nicht mehr darum gegangen zu sein, die Ausschließung zu revidieren. Denn gegenüber dem hessischen Auditor Friedrich von der Thann bekundete Thangel498 am 1. Oktober, „das sie [scil. die ernestinischen Deputierten] morgents wiederumb als ausgeschlossene personen von dem colloquio heimwarts verraisen wollen“499. Daß Thangel sich an die anderen Auditoren wandte, war anscheinend vielmehr darauf gerichtet, die ernestinische Rechtsposition zu behaupten und die Verantwortung für das entstandene Schisma von sich, i. e. näherhin von den gnesiolutherischen Deputierten und dem Herzogtum Sachsen, zu weisen. Sogar an den Grafen Eberstein, den kursächsischen substituierten Assessor, versuchte Thangel nach Angaben der kursächsischen Räte durch den hessischen und den pommerschen Auditor noch heranzutreten.500 Der Graf ließ Thangel mitteilen, daß er nur in Angelegenheiten des Hauses Sachsen zu einer separaten Unterredung bereit sei, wenn es aber das Religionsgespräch beträfe, müßten die übrigen politischen Räte auch zugegen sein. Widerstrebend erklärte sich Thangel dazu bereit, vor dem gesamten Gremium der politischen Räte vorzusprechen, aber nur wenn er dazu aufgefordert würde. Als der hessische und der pommersche Auditor aber in Frage stellten, daß die politischen Räte eine solche Aufforderung aussprechen würden, bekundete Thangel daraufhin nicht dem Assessor oder den versammelten Räten, sondern dem pommerschen und dem hessischen Auditor gegenüber, „er hette sambt den Theologis beuelich, offentlich vor den Papisten die Condemnation zuthun/Do nw die andern solchs neben Jnen nicht thun wolten/ So weren sie alhir nicht nutze. sondern wolten daruon zihen“501 – „welchs 497 Runge berichtet, daß Thangel „heftig in privat bei etlichen Auditoribus auf des Churfursten zu Sachsen legaten vnd auf Brentium wegen Osiandri sachen geredet habe“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 32r). 498 Von der Thann nennt Thangel nicht, sondern führt aus, daß „sie mich heut berichtet“ (Friedrich von der Thann an Ldgf. Philipp, Worms 1. Oktober 1557: Neudecker, Beiträge, S. 140, Nr. LIX; Hervorhebung B. S.), was streng genommen auf „die Weimerische Säxische Theologi“ (ebd.) zu beziehen ist. Aufgrund der Darstellung der kursächsischen Räte, „das der […] Fursten zu Sachsen gesandter Doctor Lucas Tangell zu dem Pommerischen vnd hessischen gesandten kommen/vnd Jnen vormeldet, was er [i. e. welcher] gestalt sie vom hern Presidenten Jren abschiedt genommen“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 5. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 89r–90v, hier fol. 89r), ist aber davon auszugehen, daß Thann von Thangel informiert wurde. 499 Friedrich von der Thann an Ldgf. Philipp, Worms 1. Oktober 1557: Neudecker, Beiträge, S. 140, Nr. LIX. 500 Vgl. Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 5. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 89r–90v, hier fol. 89v–90r. 501 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 5. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 89r–90v, hier fol. 90r.
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5. Maximale Annäherung und öffentlicher Bruch
desselbigen tags also geschehen“502, wie die kursächsischen Räte festhielten. Die erbetene Audienz beim Grafen Eberstein hätte demnach wohl der offiziellen Bekundung des Abzugs dienen sollen. Um die Audienz beim Grafen Eberstein muß sich Thangel in der Frühe des 2. Oktober bemüht haben. Denn noch am Vormittag brachen die gnesiolutherischen Deputierten auf, nachdem sie dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge bei einem Frühstück in Gegenwart einiger evangelischer Auditoren unter Tränen ihren Schmerz bekundet hatten. Strigel soll dabei ausdrücklich erklärt haben, daß man bei Melanchthon nichts vermißt habe. „Wenn es an ihm [scil. Melanchthon] gelegen hätte, hätten sie leicht bleiben können“, so Strigel laut dem ‚Preußischen Bericht‘. Im Gegenzug sprachen die gnesiolutherischen Deputierten sich abermals hart über Brenz und Andreae aus und kündigten an, der ganzen Kirche bekannt zu machen, „wer der Haupturheber und was die Hauptursache des zerstörten Kolloquiums gewesen sei.“503 So wurde schließlich die Sezession vollzogen: „Am zweiten Oktober also zur elften Stunde ziehen die Jenaer von hier ab, und mit ihnen Mörlin und Sarcerius.“504 Der Bruch zwischen den evangelischen Deputierten in 502 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 5. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 89r–90v, hier fol. 90r. Von der zitierten Angabe aus sind die vorausgehenden Datierungen in demselben Bericht der kursächsischen Räte zu überprüfen. Die Räte eröffnen den Bericht mit der Mitteilung, „[n]achdem an E. Churf. gnaden wir ehe gestern den andern Octobris [i. e. am 2. Oktober] die Post abgefertiget, hat sich zugetragen, das der […] Fursten zu Sachsen gesandter Doctor Lucas Tangell zu dem Pommerischen vnd hessischen gesandten kommen“ (ebd., fol. 89r). Der erste Vorstoß Thangels bei den Auditoren wäre demnach am 2. Oktober erfolgt und das Herantreten an den Grafen Eberstein, das auf „[d]en volgenden tagk“ datiert wird (ebd., fol. 89v), erst am 3. Oktober. Der folgende Tag ist aber gleichzeitig der Tag des Abzugs, der sicher am 2. Oktober stattfand (vgl. unten bei und in Anm. 503), so daß die vorausgehenden Datierungen als um einen Tag nach hinten verschoben anzusehen sind. 503 Der betreffende Passus des ‚Preußischen Berichts‘ lautet im ganzen: „Die igitur secunda Octobris hora vndecima hinc discedunt Ienenses, & cum ipsis Morlinus et Sarcerius, posteaquam in prandio[,] cui aliquot ex nostris Auditoribus interfuerunt, cum lachrimis s pe de suo dolore & animi testati essent, & diserte dixerat Victorinus [Strigel] se in Philippo nihil desiderasse. Si per eum stetisset, se facile mansuros fuisse. Duriter autem multa dixerunt de Brentio eiusque collega [i. e. Andreae], & adfirmarent [sic!] se velle toti Ecclesi patefacere, quis fuerit pr cipuus autor & qu pr cipua causa perturbati colloquij.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 13rv). 504 ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 13r; der lateinische Wortlaut zitiert in Anm. 503. Die Angabe von Tag und Uhrzeit kann als besonders zuverlässig gelten, weil ihr im ‚Preußischen Bericht‘ die vermutlich aufgrund einer Überprüfung gestrichene Angabe „Die XXX. [scil. Septembris] hora Decima vel vndecim [sic!]“ voransteht (ebd.). Die Erwähnung von Sarcerius, der bereits am 25. September abgereist war (vgl. oben S. 437 in Abschnitt 5.4.2 Anm. 320), ist hingegen ein Versehen. Dieses Versehen ist vermutlich dadurch veranlaßt, daß die Wendung „Ienenses, & cum ipsis Morlinus et Sarcerius“ zu einer frequenten Bezeichnung für die gnesiolutherische Gruppe geworden war. Mitteilen wollte der ‚Preußische Bericht‘ wohl, daß die gesamte gnesiolutherische Gruppe abgezogen sei.
5.5 Die Sezession
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Worms, das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten nahm damit auch äußerlich Gestalt an und wurde für jedermann offenkundig.
Daß die gnesiolutherischen Deputierten am 2. Oktober abzogen, wird auch bestätigt durch folgende Quellen: Bf. Julius Pflug von Naumburg an Kg. Ferdinand, Worms 27. Oktober 1557: Pollet IV, S. 324, Nr. 757 (vgl. oben S. 470 in Anm. 496); Fortsetzung der ‚Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte vom 10. November 1557: StA Marburg, Bstd. 3, Nr. 1255, fol. 108r–110r, hier fol. 108r; Runges Bericht für Hzg. Philipp von Pommern vom 17. November 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 69r–76v, hier fol. 70r.
III. Auswertung und Ausblick
1. Zusammenfassung Der Bogen ist abgeschritten: vom Regensburger Nebenabschied, mit dem das zumindest formal höchste Maß an konfessionspolitischer Übereinstimmung zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs erzielt wurde, bis zum Wormser Schisma, in welchem sich mit dem Zerbrechen der kirchlichen Einigkeit auch das vorläufige Ende einer gemeinsamen Konfessionspolitik der Augsburger Konfessionsverwandten manifestierte.1 Es konnte gezeigt werden, daß der Regensburger Nebenabschied, der unter der Dominanz einer von früheren ernestinischen Räten geprägten kurpfälzischen Konfessionspolitik deutlich gnesiolutherisch akzentuiert war, für einen Teil der Augsburger Konfessionsverwandten schon bald durch den Frankfurter Abschied abgelöst wurde. Er war inspiriert von der konfessionspolitischen Agenda Herzog Christophs von Württemberg. Christoph wollte durch einen Konvent der CA-verwandten Fürsten eine verbindliche Verständigung über strittige Lehrfragen und über Probleme der Kirchenordnung nach Maßgabe der Confessio Augustana erreichen. Sein Ziel war, die durch andauernde Streitigkeiten verstellte Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten wieder als Feldzeichen Christi aufrichten zu können. Wegen der kursächsischen Weigerung, sich am Frankfurter Konvent zu beteiligen, blieb dessen Abschied jedoch eine südwestdeutsche Partikularverständigung auf eine Sistierung der Auseinandersetzungen bis zu einer Synode zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem Religionsgespräch. Damit aber war der Regensburger Nebenabschied in einem entscheidenden Punkt außer Kraft gesetzt, denn in ihm war vorgesehen gewesen, daß die evangelischen Deputierten noch vor dem Religionsgespräch eine Verständigung erzielen sollten. Dieser Maßgabe blieb aber das ernestinische Herzogtum Sachsen weiterhin verpflichtet. Es instruierte seine Deputierten unter der Voraussetzung der Geltung des Nebenabschieds, am Religionsgespräch nur teilzunehmen, wenn zuvor in Affirmation und Negation Übereinstimmung zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten erzielt wäre. Das albertinische Kursachsen hingegen räumte seinen Deputierten 1
Zur Kennzeichnung dieser beiden Pole vgl. oben S. 4 f. in Abschnitt 1 der Einleitung.
1. Zusammenfassung
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im Blick auf die überragende Autorität Melanchthons weite Spielräume für ihr Agieren in Worms ein. Über den Frankfurter Abschied hinausgehende Festlegungen traf schließlich das Herzogtum Württemberg selbst, indem es sich – veranlaßt durch eine Gesandtschaft Herzog Albrechts von Preußen, aber fundiert durch prinzipielle Überzeugungen – zu einer generellen Ablehnung von Verwerfungen in Worms entschloß. Im Ergebnis trafen die evangelischen Deputierten mit ganz unterschiedlichen und zum Teil gegenläufigen bindenden Vorgaben in Worms ein. Der im Regensburger Nebenabschied vorgesehene evangelische Vorkonvent kam nicht zustande, weil Kursachsen die Ankunft seiner Deputierten in Worms bewußt hinauszögerte. Dabei spielte die stände- und konfessionspolitisch aufgeladene Sorge vor pfälzischer Dominanz nach Regensburger Muster eine nicht unerhebliche Rolle, wie auch noch pfälzisch-sächsische Rangstreitigkeiten in Worms belegen sollten. In der Zeit bis zum Eintreffen der Kursachsen kam es in Worms aber bereits zu einer starken Polarisierung unter den evangelischen Deputierten. Großen Anteil daran hatten die Aktivitäten des ernestinischen Juristen Basilius Monner. Er wurde nicht nur zum Kristallisationspunkt der gnesiolutherischen Gruppe, sondern verfocht auch als deren Protagonist mit besonderem Nachdruck die Auffassung, daß eine Verpflichtung auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel sowie spezifizierte Verwerfungen bestimmter Irrlehren unabdingbare Voraussetzung eines gemeinsamen Eintritts der evangelischen Deputierten in das Reichsreligionsgespräch seien. Dafür stieß er bei Mörlin und Sarcerius, die mit den ernestinischen Deputierten die gnesiolutherische Gruppe bildeten, auf Zustimmung, bei den übrigen Deputierten hingegen auf Zurückhaltung oder – insbesondere bei den gegen Verwerfungen festgelegten Württembergern – auf strikte Ablehnung. So entwickelten sich bereits die informellen Vorbereitungen zu einer Bewährungsprobe für die Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten, und das sowohl in der Interaktion der Deputierten in Worms als auch auf diplomatischer Ebene zwischen den Fürsten. Die ernestinischen Deputierten mußten indes bei ihren Sondierungen in Worms feststellen, daß sie sich wider Erwarten in der Minderheit befanden. Auf Anfrage des sächsischen Herzogs bestätigten sie aber in einem eigens angefertigten Verwerfungsgutachten die in der ‚Weimarer Instruktion‘ festgeschrieben Richtlinien als aus Gewissensgründen geboten. Die Polarisierung der informellen Vorbereitungsphase setzte sich nach dem Eintreffen der Kursachsen in den formellen Vorberatungen fort, obwohl die politischen Räte mit Ausnahme Monners bemüht waren, einer direkten Austragung der Auseinandersetzungen entgegenzuwirken. Es ließ sich jedoch nicht vermeiden, daß die konträren Auffassungen, insbesondere zu den von gnesiolutherischer Seite geforderten Verwerfungen,
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1. Zusammenfassung
in die Beratungen der Deputierten hineingetragen wurden. In einer Sitzung unter kurpfälzischem Vorsitz am 9. September kam es dann zur ersten direkten Konfrontation der Theologen in formellem Rahmen, die sich schnell zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den gnesiolutherisch orientierten Theologen und den Württembergern Brenz und Andreae um eine Verwerfung des Osiandrismus zuspitzte. Scharf wurden die Grenzen der Einigkeit markiert. Zugleich entstand aber auch Bewegung zwischen den Fronten. Dazu mag auch beigetragen haben, daß Basilius Monner vor den Verhandlungen des 9. September wegen einer kursächsischen Polizeiaktion gegen den Verleger einer von ihm verfaßten Abhandlung über den Schmalkaldischen Krieg aus Worms geflohen war und sich bei seinem Landesherrn an dessen Kurort Markgraf-Baden in Sicherheit gebracht hatte. Jedenfalls initiierte Victorinus Strigel im Anschluß an die Verhandlungen des 9. September einen Kompromißversuch in letzter Minute vor der Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs. Parallel bemühte sich auch die Vermittlungsgruppe um Jakob Runge aus dem Gasthaus ‚Beim Hintern Weißen Schwan‘ um eine Verständigung auf Grundlage eigens verfaßter Konsensartikel, was aber wegen der Unverbindlichkeit der Artikel ein Intermezzo blieb. Der von Strigel initiierte Kompromißversuch hingegen scheiterte an Brenz’ Einspruch. So hatten die evangelischen Deputierten keine Einigung erzielt, als am 11. September das Reichsreligionsgespräch eröffnet wurde. Die ernestinischen Deputierten gerieten dadurch in eine schwierige Lage, weil ihre Vorbedingung für eine Beteiligung am Religionsgespräch nicht erfüllt war. Dennoch traten sie vorbehaltlich einer Genehmigung durch ihren Herzog und unter der Bedingung, die Notwendigkeit von spezifizierten Verwerfungen in einer Protestation rechtsverbindlich bekunden zu können, in das Religionsgespräch ein. Es kam zu einer Art Moratorium, das aber unterschiedlich aufgefaßt wurde: von gnesiolutherischer Seite als begrenzt bis zum Fall der Not, der dann gegeben wäre, wenn die römisch-katholische Seite auf innerevangelischen Abgrenzungen bestehen würde; von den evangelischen politischen Räten als Moratorium bis zum Ende des Religionsgesprächs. Die gnesiolutherische Auffassung wurde vom sächsischen Herzog in der ‚Badener Instruktion‘ für die ernestinischen Deputierten bestätigt. Da die erzielte Verständigung so unterschiedlich verstanden wurde, mußte es zu einem Aufbrechen der fortbestehenden Divergenzen kommen, als die römisch-katholische Seite als gezielte Provokation die innerevangelischen Gegensätze im Kontext des Reichsreligionsgesprächs zur Sprache brachte und von den evangelischen Deputierten Klärungen durch Verwerfungen verlangte. Damit sahen die gnesiolutherisch orientierten Deputierten den Fall der Not eingetreten und das tempus confessionis gekommen.
1. Zusammenfassung
479
Melanchthon war zur Erhaltung der evangelischen Geschlossenheit bereit, den gnesiolutherischen Deputierten sehr weit entgegenzukommen, und erklärte sich bei der Vorlage seiner ‚Forma protestationis‘ sogar mit abgrenzenden Formulierungen in Bezug auf den Adiaphorismus einverstanden, die er bisher abgelehnt hatte. Mit der ‚Forma protestationis‘ war eine maximale Annäherung zwischen ihm und den gnesiolutherischen Deputierten erreicht. Brenz hingegen erhob wiederum Einspruch. Da Melanchthon aber nicht gewillt war, die ‚Forma protestationis‘ gegen Brenz durchzusetzen, bekam sein Einspruch die Bedeutung eines Vetos. Eine Verständigung auf Grundlage der ‚Forma protestationis‘ war damit verwehrt. In den anschließenden Auseinandersetzungen zwischen den gnesiolutherischen Deputierten und den evangelischen politischen Räten konnte es daher nur noch darum gehen, ob die gnesiolutherische Gruppe ihr Vorhaben in die Tat umsetzen würde, die für erforderlich gehaltenen Verwerfungen auf eigene Verantwortung im Kontext des Religionsgesprächs vorzubringen. Trotz massiver Drohungen ließen sich die gnesiolutherisch orientierten Theologen von diesem Vorhaben aber nicht abbringen, weil sie es aus Gewissensgründen für notwendig hielten. Daraufhin schlossen die politischen Räte sie am Nachmittag des 22. September von der weiteren Beteiligung am Religionsgespräch aus, womit der zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten eingetretene Bruch öffentlich wurde. Versuche der Schadensbegrenzung auf allen Ebenen – von erneuten Vermittlungsversuchen der Gruppe ‚Weißer Schwan‘ über die gnesiolutherische Appellation an den Präsidenten bis hin zu Versuchen, beim Fürstentreffen von Friedrichsbühl auf Herzog Johann Friedrich den Mittleren von Sachsen einzuwirken – blieben ohne Erfolg. Als für die gnesiolutherischen Deputierten feststand, daß ihre Ausschließung nicht revidiert würde, entschlossen sie sich zum Abzug, den sie unter förmlichem Protest rechtsförmig als Sezession gestalteten. Besondere Mühe verwandten sie darauf, daß ihre spezifizierten Verwerfungen zu den Akten genommen würden. Am 2. Oktober verließen sie Worms – das Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten war manifest.
2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten Die in der Zusammenfassung dargestellten Ergebnisse sind abschließend ins Verhältnis zu setzen zur bisherigen Sicht der innerevangelischen Auseinandersetzungen aus Anlaß des Wormser Religionsgesprächs. Dazu ist es instruktiv, den Anteil wichtiger Akteure am öffentlichen Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten zu klären. Denn in der Bewertung dieses Anteils bündelt sich häufig die Gesamtsicht der Wormser Ereignisse, und das um so mehr, je umstrittener ein Akteur ist. Aus diesem Grund wird hier auf eine eigene Darstellung des Anteils Melanchthons, des zweifelsohne geschichtlich Bedeutendsten unter den Evangelischen in Worms, verzichtet. Über Melanchthons Rolle läßt sich schnell Konsens erzielen: Er war in Worms „bis an die Grenze der Selbstverleugnung“1 um Integration im Interesse evangelischer Geschlossenheit bemüht, ohne aber bereit zu sein, für eine Verständigung mit den gnesiolutherischen Deputierten einen Bruch mit Brenz in Kauf zu nehmen. Wesentlich umstrittener hingegen ist der Anteil des in Worms gar nicht anwesenden Akteurs Flacius, der nicht nur seine Zeitgenossen zu äußerst gegensätzlichen Reaktionen herausgefordert hat, sondern auch noch die nachgeborenen Geschichtsschreiber zu spalten vermag. Grund genug, auf seinen tatsächlichen Anteil an Verlauf und Ausgang des Wormser Religionsgesprächs eigens einzugehen (2.1). Im Anschluß sind dann noch diejenigen in den Blick zu nehmen, die aufgrund der Ergebnisse dieser Arbeit als die Hauptkontrahenten der inner-evangelischen Auseinandersetzungen in Worms anzusehen sind: die gnesiolutherischen Deputierten auf der einen (2.2) und Johannes Brenz auf der anderen Seite (2.3).
1
V. Bundschuh, S. 459.
2.1 Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Religionsgesprächs
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2.1 Der tatsächliche Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Wormser Religionsgesprächs Wenn es vor und auf dem Wormser Religionsgespräch zu keiner Verständigung unter den evangelischen Theologen kam, „so trugen neben der in der Natur der Sache liegenden Unersprießlichkeit aller Religionsgespräche die Hauptschuld des Mißlingens die Teilnehmer aus Thüringen, die Schuld der moralischen Urheberschaft aber ihr Heerführer aus der Ferne, Matthias Flacius.“2 Dieses Urteil, welches Julius Hartmann in seiner Schnepf-Biographie von 1870 in Kategorien seiner Zeit fällt, durchzieht mutatis mutandis die Darstellungen zum Wormser Religionsgespräch von 1557. Vorgebildet ist das geläufige Urteil bereits in zeitgenössischen Einschätzungen, insbesondere den Einschätzungen der kursächsischen Teilnehmer am Wormser Religionsgespräch.3 Bis auf wenige Ausnahmen4 gilt seither der Antagonismus zwischen gnesiolutherisch orientierten Theologen oder Räten und Anhängern Melanchthons als eigentliche Ursache und Zentrum der innerevangelischen Auseinandersetzungen. Benno von Bundschuh hat dafür die Formulierung gefunden: „Der Dissens zwischen Melanchthonianern und Flacianern bestimmte sowohl nachhaltig den späteren Gesamtverlauf [scil. des Wormser Religionsgesprächs] als auch die internen protestantischen Vorbesprechungen.“5 Die Zuschreibung der Rolle des spiritus rector der in Opposition zu Melanchthon stehenden Theologen an Flacius schlägt sich nieder in der verbreiteten Bezeichnung der Gnesiolutheraner als Flacianer bis hin zu von Bundschuhs Untersuchung von 1988. Flacianer versus Melanchthonianer, das ist somit Grundfigur nahezu aller einschlägigen Darstellungen.
2
Hartmann, S. 107. Die kursächsischen politischen Räte schrieben Kurfürst August nach der Ausschließung der gnesiolutherischen Deputierten: „Vnd konnen E. Churf. g. wir mit aller warheit vnderthenigst berichten /das die Weimarischen neben irem anhangk zu diesem beginnen nicht die geringste vrsache gehabt, sondern solch nur aus Jnstruction des Jlliricj[,] daruor wirs halten müssen[,] vnd etzlicher eigensinniger hitziger köpfe/hessigkeit vnd thumkuenheit beschehen […]“ (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, Worms 2. September 1557: HSA Dresden, Loc.10321/6, fol. 68r–71r, hier fol. 70r; Hervorhebung B. S.). Melanchthon bezeichnete in einem seiner späteren Gesamtberichte seine gnesiolutherischen Kontrahenten als ‚Flaciani‘ (vgl. Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 457, Nr. 6469 = MBW 8540). 4 Fligge sieht aufgrund seiner auf den Osiandrismus fokussierten Fragestellung deutlicher als andere, daß auch der Auseinandersetzung mit Brenz um eine Verwerfung Osianders große Bedeutung zukam (vgl. Fligge, S. 371.418–420). Koch urteilt: „Wäre Brenz bereit gewesen, Osiander zu verurteilen, so wäre ein wichtiger Schritt zur Einigkeit vollzogen gewesen.“ (Koch, Weg, S. 23). 5 V. Bundschuh, S. 417. 3
482
2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
Im Gefolge der grundlegenden Arbeiten des sich selbst als deutschreformiert verstehenden hessischen Kirchengeschichtlers Heinrich Heppe wird dabei das Wirken der „Flacianer“ zumeist negativ gewertet, was auch schon bei Christian August Salig und Gottlieb Jakob Planck vorgezeichnet ist.6 Die gnesiolutherischen Deputierten in Worms erscheinen in dieser Perspektive als die von Jena aus ferngesteuerten Diener des Flacius; Bossert spricht sogar „vom übermächtigen, fast dämonischen Einfluß des geschäftigen Flacius“7. Flacius selbst aber anvanciert zum großen Abwesenden des Wormser Religionsgesprächs, zum „Heerführer aus der Ferne“.8 Denn er zählte ja, anders als Melanchthon oder auch Brenz, nicht zu den am Religionsgespräch und den internen evangelischen Verhandlungen direkt beteiligten Theologen, auch war er nach allgemeiner Auffassung während des Gesprächs nicht in Worms oder in der Nähe der Reichsstadt. Allerdings postuliert Oliver K. Olson in seiner Monographie „Matthias Flacius and the Survival of Luther’s Reform“ mit aller gebotenen Vorsicht die Möglichkeit einer Anwesenheit von Flacius in der Nähe von Worms. Olson verweist dazu auf die Erinnerungen Jakob Andreaes,9 der in seinen Ausführungen zum Wormser Religionsgespräch in der Tat behauptet, Flacius sei nahe bei Worms gewesen10. Diese Nachricht verdiene Beachtung, meint Olson und erläutert seine Auffassung mit dem Hinweis: „Flacius’ reputation for gliding like a wraith over the German landscape ist not wholly without foundation.“11 Zugleich bedauert Olson aber die schmale Quellenbasis und gibt zu erkennen, was er für wahrscheinlicher hält: „If there were more evidence, our story would be more dramatic. Lacking that evidence, however, we must think of a nervous Flacius in Jena awaiting the outcome.“12 Das Plädoyer für die Möglichkeit einer Anwesenheit von Flacius ist nicht der einzige besondere Akzent bei Olson, der seinen Darlegungen zum Wormser Religionsgesprächs13 einen prominenten Platz einräumt als 6
Vgl. oben S. 8–10 der Einleitung bei und in Anm. 5 sowie bei Anm. 13. Bossert, Beiträge, S. 50 f. 8 Bereits Salig bedient sich eines militärischen Bildes: „Flacius thate bey dieser Sache, als w re sie seine eigne. Er schrieb, ehe die Chur=S chsischen Deputirten und Melanchthon zu Worms anlangten, an Schnepfius, an D. M rlin und Sarcerius, damit sie ja, wie die Soldaten durch Trommeln und Pfeifen, also durch seine Briefe, in best ndiger courage erhalten w rden.“ (Salig III, S. 296). 9 Vgl. Olson, S. 332 bei Anm. 11. 10 Andreae berichtet: „Accidit autem eodem tempore [scil. während des Wormser Religionsgesprächs], sic instigante inquietissimo homine Flacio Illyrico, qui urbi Vangionum [i. e. Worms] vicinus erat, ut Saxonici theologi Iohannis Friderici Vinaria missi condemnationes quorundam urgerent.“ (Leben des Jakob Andreae: Ehmer, S. 74; Hervorhebung B. S.). 11 Olson, S. 332. 12 Olson, S. 332 f. 13 Olson, S. 329–333. 7
2.1 Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Religionsgesprächs
483
Abschluß des ersten und bislang einzigen Bandes seines auf zwei Bände angelegten Werkes. Zwar stimmt Olson mit der übrigen Literatur darin überein, daß er Flacius größten Einfluß auf Verlauf und Ausgang des Religionsgesprächs zuschreibt. Er schwimmt jedoch gegen den Strom, indem er diesen Einfluß positiv wertet. Sein Resümee und zugleich der letzte Satz des ersten Bandes lautet: „[I]n 1557, once again – thanks in large part to Matthias Flacius – Luther’s reform had survived.“14
2.1.1 Die Frage einer Teilnahme des Flacius am Wormser Religionsgespräch Flacius’ Name wurde, soweit bekannt, zum ersten Mal Ende 1556 in Verbindung mit dem künftigen Religionsgespräch erwähnt: in einer an die pfälzischen Gesandten auf dem Regensburger Reichstag übermittelten Liste von Theologen, die der Pfälzer Kurfürst als Teilnehmer eines Religionsgesprächs favorisierte15 – einer Liste von ausschließlich gnesiolutherisch orientierten Theologen, wie es der aktuellen Linie der kurpfälzischen Konfessionspolitik entsprach, die von ehemals ernestinischen Räten formuliert wurde. Zeitgleich gab es intensive Bemühungen von kurpfälzischer Seite, Flacius an die Heidelberger Universität zu berufen.16 Im evangelischen Konfessionsrat ist Flacius dann im Februar 1557 tatsächlich zur Nominierung vorgeschlagen worden,17 wahrscheinlich von der kurpfälzischen Gesandtschaft, jedoch ohne Erfolg. Melanchthons Darstellung nach lehnten insbesondere die Württemberger den Antrag ab, Flacius zu nominieren.18 Die Darstellung Melanchthons entbehrt nicht einer gewissen Plausibilät, denn Herzog Christoph hat sich später gegen die bereits erfolgte Nominierung des gnesiolutherisch orientierten, allerdings insbesondere auch als Exponent der Osiander-Gegner geltenden Braunschweiger Superintendenten Mörlin ausgesprochen.19 Daneben darf aber auch das Gewicht des vermutlich ebenfalls erfolgten kursächsischen Einspruchs nicht unterschätzt werden. Einer Nominierung des Flacius, der wenige Wochen zuvor in der Coswiger Handlung aus der Sicht Melanchthons und der kursächsischen Regierung unannehmbare Bedingungen für 14
Olson, S. 333. Kfst. Ottheinrich an seine Gesandten in Regensburg, Heidelberg 6. Dezember 1556: BayHStA K. blau 106/3, fol. 160r–168v, hier fol. 160v; vgl. die näheren Angaben dazu oben S. 85 in Abschnitt 1.4.2.2 der Darstellung bei Anm. 199–201. 16 Vgl. Preger II, S. 105–108. 17 Vgl. oben S. 81 in Abschnitt 1.4.1 der Darstellung bei Anm. 184. 18 Vgl. Melanchthon an Camerarius, Wittenberg 10. März 1557: CR 9, Sp. 117 f., Nr. 6211 = MBW 8153; vgl. oben S. 86 in Abschnitt 1.4.2.2 der Darstellung in Anm. 205. 19 Vgl. oben S. 83 f. in Abschnitt 1.4.2.2 der Darstellung bei Anm. 192–196. 15
484
2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
eine Aussöhnung gestellt hatte, konnten die Kursachsen nicht zustimmen. Mörlin hingegen dürfte trotz seiner gnesiolutherischen Ausrichtung bei den Kursachsen leichter durchzusetzen gewesen sein, war er doch immerhin bei der Coswiger Handlung als Vermittler aufgetreten. Hinzu traten wahrscheinlich Gründe des ständischen und regionalen Proporzes, die eher für den Braunschweiger Mörlin als für den Magdeburger Flacius sprachen. Es kam jedenfalls auf dem Reichstag nicht zu einer Nominierung des Flacius für das Religionsgespräch. Daran änderte sich auch nichts, als Flacius Ende April 1557 von Magdeburg nach Jena übersiedelte, wohin ihn die ernestinischen Herzöge von Sachsen als Professor berufen hatten.20 Zwar war das ernestinische Sachsen aufgrund der kurpfälzischen Protektion gnesiolutherisch orientierter Kandidaten mit zwei Theologen, einem politischen Rat und einem Ersatztheologen unter den entsendenden Ständen überrepräsentiert, doch war die offizielle Nominierung durch den Religionsausschuß des Reichstages bereits erfolgt, als Flacius in den ernestinischen Dienst trat. So blieb Flacius eine direkte Teilnahme am Religionsgespräch verwehrt. Ob er sie erstrebt hätte, ist nicht bekannt. Von Gallus war Flacius darüber informiert worden, daß sie beide und der Magdeburger Wigand auf dem Regensburger Reichstag als mögliche Teilnehmer vorgeschlagen worden seien.21 Eine Stellungnahme von Flacius dazu ist nicht überliefert.
2.1.2 Flacius’ angebliche Anwesenheit in der Nähe von Worms Zu prüfen bleibt dennoch die Frage, ob sich Flacius, wie von Andreae berichtet, während des Religionsgesprächs in der Nähe von Worms aufgehalten hat. Immerhin haben sich auch zahlreiche andere nicht nominierte Theologen während des Religionsgesprächs nach Worms begeben oder dort länger aufgehalten, so etwa Martin Chemnitz22, David Chyträus23, Zacharius Ursinus, Theodor Beza und Guillaume Farel,24 um nur die prominentesten zu nennen. Die Anwesenheit aller Genannten hat sich allerdings in Quellen niedergeschlagen, die während des Religionsgesprächs entstanden sind. Von einer Anwesenheit des Flacius in Worms oder in der Nähe, die mutmaßlich viel Aufsehen erregt hätte, verlautet jedoch nirgends etwas außer in den 20
Vgl. Preger II, S. 108; Olson, S. 323. Vgl. Voit, S. 214. 22 Vgl. oben S. 202, Anm. 23. 23 Vgl. Hartmann Beyer an Joachim Westphal, Frankfurt 17. September: Sillem, S. 291, Nr. 155. 24 Zur zeitweisen Anwesenheit von Ursinus, Beza und Farel in Worms vgl. Sturm, S. 87–99. 21
2.1 Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Religionsgesprächs
485
Erinnerungen Jakob Andreaes, die wahrscheinlich erst ungefähr dreißig Jahre später aufgezeichnet worden sind und aufgrund von mancherlei Verwechslungen und Irrtümerm25 mit besonderer Vorsicht ausgewertet werden müssen. Bereits daher erscheint es als unwahrscheinlich, daß Flacius sich in der Nähe von Worms aufgehalten haben soll. Über Wahrscheinlichkeiten hinaus führt aber ein bisher in diesem Zusammenhang nicht beachtetes Schreiben des Flacius an Gallus26, das im Regensburger Stadtarchiv überliefert ist. In dem eigenhändigen lateinischen Schreiben teilt Flacius dem Regensburger Superintendenten seinen Kenntnisstand über den bisherigen Verlauf des Kolloquiums mit. Das Schreiben datiert aus Jena vom 26. September 1557. Durch schriftliche Informationen aus Worms ist Flacius über den Verlauf der dortigen Verhandlungen bis zum 5. September im Bilde.27 „Was hierauf gefolgt ist, weiß ich nicht“28, muß er Gallus mitteilen. Auch ist ihm nicht bekannt, wie der in MarkgrafBaden zur Kur weilende Herzog Johann Friedrich der Mittlere mit dem am 8. September von Weimar aus zugeschickten Gutachten der Weimarer Synode29 weiter verfahren ist.30 Mag Flacius’ „reputation for gliding like a wraith over the german landscape“31 noch so gut begründet sein, kann mithin seine Anwesenheit in der Nähe von Worms während des Religionsgespräches ausgeschlossen werden. Denn bis zum 26. September ist er offenkundig nicht in Worms oder in der Nähe von Worms gewesen; und wenn er sich noch am 26. September dorthin aufgemacht hätte, so wäre er entweder unterwegs auf die ernestinischen Deputierten gestoßen oder hätte sie doch zumindest in Worms nicht mehr angetroffen, da sie bereits am 2. Oktober von dort abgezogen waren. Nach
25
Vgl. Ehmer, Leben, S. 11. Flacius an Gallus, Jena 26. September 1557: StdtA Regensburg Eccl. I/21, S. 12502– 12504; erwähnt bei Voit, S. 219, Anm. 3. 27 Flacius hatte seine Informationen einem in Abschrift beigelegten Schreiben aus Worms vom 8. September entnommen, dessen Verfasser und Empfänger in der Abschrift nicht angegeben sind (N. N. an N. N., Worms 8. September 1557: StdtA Regensburg Eccl. I/21, S. 12506–12508). Gegenüber Gallus führte Flacius das Schreiben mit den Worten ein: „Mitto epistolam actionem illam & crisim prolixius narrantem.“ (Flacius an Gallus, Jena 26. September 1557: StdtA Regensburg Eccl. I/21, S. 12502–12504, hier S. 12503). Vermutlich war Flacius selbst der Empfänger des Schreibens, das nach einer Wolfenbütteler Abschrift auch im Corpus Reformatorum abgedruckt ist (Vinariensis ad N. N., Worms 8. September 1557: CR 9, Sp. 262 f., Nr. 6336). Einer anderen Wolfenbütteler Abschrift zufolge war Strigel der Absender des Schreibens (vgl. Fligge, S. 757, Anm. 249). 28 „Quid inde consequutum ignoro.“ (Flacius an Gallus, Jena 26. September 1557: StdtA Regensburg Eccl. I/21, S. 12502–12504, hier S. 12503). 29 Vgl. oben Abschnitt 3.4.3 der Darstellung. 30 „Quid porro princeps egerit ignoro“ (Flacius an Gallus, Jena 26. September 1557: StdtA Regensburg Eccl. I/21, S. 12502–12504, hier S. 12503). 31 Olson, S. 332. 26
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2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
ihrem Abzug bestand für Flacius aber ohnehin kein Grund mehr, sich im Umfeld des Rest-Kolloquiums aufzuhalten. Bestätigt findet sich hingegen durch das Schreiben an Gallus das auch von Olson für wahrscheinlicher gehaltene Szenario eines nervösen Flacius, der in Jena auf den Ausgang des Gesprächs wartet. Das zweimalige „ignoro“32 weist zweifelsohne in diese Richtung. Der Angabe in Andreaes Erinnerungen aber dürfte eine Verwechslung zugrundeliegen. Denn in relativer Nähe zu Worms hielt sich während des Religionsgesprächs zeitweise der ernestinische Herzog Johann Friedrich der Mittlere auf, der schon damals, in den folgenden Jahren aber noch mehr als von Flacius bestimmt angesehen wurde. In der Rückschau nach ungefähr dreißig Jahren könnte das für Andreae miteinander verschwommen sein, was seine unzutreffende Darstellung gut erklären würde.
2.1.3 Flacius’ Versuche der Einflußnahme auf das Wormser Religionsgespräch Schon bald nach seinem Amtsantritt in Jena – seine Antrittsvorlesung hielt er am 17. Mai 155733 – wurde Flacius mit den herzoglich-sächsischen Vorbereitungen auf das Wormser Religionsgespräch befaßt. Die Herzöge forderten bei ihren Jenaer Theologieprofessoren Schnepf, Strigel und Flacius zwei Fakultätsgutachten an: zunächst allgemein über das anberaumbte Religionsgespräch, sodann über den ihnen mittlerweile zugestellten Frankfurter Abschied, auf den sich die südwestdeutschen Augsburger Konfessionsverwandten zur gemeinsamen Vorbereitung auf das Religionsgespräch unter Führung Herzog Christophs und Kurfürst Ottheinrichs verständigt hatten. Das erste Gutachten der drei Professoren vom 9. Juli bekräftigte die seit Jahren ausgeformte konfessionspolitische Leitlinie der Ernestiner im Blick auf das Religionsgespräch: Eingeschärft wurde die Bindung an CA, Apologie und Schmalkaldischen Artikel, ergänzt um die Forderung nach namentlicher Verwerfung bestimmter Irrlehren zur Gewährleistung der bekenntnismäßigen Einigkeit unter den Gesprächsteilnehmern.34 Hieraus ergeben sich auch schon die im zweiten Gutachten vom 20. Juli vorgetragenen Hauptkritikpunkte an dem sich nur auf CA und Apologie beziehenden Frankfurter Abschied, der Konflikte unter den beteiligten Ständen negierte und auf den befürchteten römisch-katholischen Vorwurf der Uneinigkeit zu antworten empfahl, daß man in den Hauptpunkten einig 32
Vgl. in Anm. 28 und 30. Vgl. Preger II, S. 108; Olson, S. 323. 34 Vgl. Schnepf, Strigel und Flacius an die Herzöge von Sachsen, Jena 9. Juli 1557: Wolf, S. 300 f., Nr. 29. 33
2.1 Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Religionsgesprächs
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sei. Die Jenaer Professoren bemängelten außer dem Fehlen der Schmalkaldischen Artikel, daß die im Gegensatz zur CA stehenden Irrtümer nicht benannt würden, und widersprachen der Behauptung der lehrmäßigen Übereinstimmung unter den Augsburger Konfessionsverwandten. Ansonsten fiel das Gutachten über den Frankfurter Abschied moderat aus: Die Professoren entdeckten darin manches Unterstützenswerte und lobten sogar ausdrücklich die Instruktion für die Gesprächsteilnehmer.35 Flacius, dessen Berufung zumal bei Strigel auf Vorbehalte gestoßen war,36 erscheint hier ganz in die Fakultätsdisziplin eingebunden. Das entspricht seinem sonstigen Bemühen in jenen Monaten, sich in ein gutes Benehmen mit Schnepf und Strigel zu setzen. Er versuchte das beispielsweise, indem er sie lobend in seinen Vorlesungen erwähnte.37 Offenkundig ist aber, daß Flacius zu dieser Zeit in Jena noch nicht etabliert war und um seinen Stand innerhalb der Fakultät zu ringen hatte. Ebenso kämpfte er auch um seinen Einfluß bei Hof. Das wird greifbar in seinem langen unangeforderten lateinischen Zusatzgutachten für die Herzöge,38 das er am 23. Juli, drei Tage nach dem zweiten Fakultätsgutachten, abschloß. Schon in der Vorlage des Zusatzgutachtens als solcher ist eine Distanzierung von den Fakultätskollegen impliziert,39 aber auch inhaltlich gibt es gewichtige Differenzen zu den vorausgegangenen Gutachten, allem voran die komplette Durchformung und Zuspitzung des Gutachtens auf die brilliant formulierte Warnung vor den adiaphoristischen Bestrebungen Melanchthons hin.40 Entgegen der verbreiteten Auffassung, daß die ‚Weimarer Instruktion‘ „Flacius’ Werk“ gewesen sei,41 scheint das Zusatzgutachten des Flacius aber bei der Ausarbeitung der Instruktion gar nicht berücksichtigt worden zu sein. Denn die Instruktion bewegt sich ganz in den Bahnen des Fakultätsgutachtens vom 9. Juli und ist nicht in der von Flacius intendierten Weise antiadiaphoristisch durchgeformt, so daß die Auseinandersetzung um die 35 Vgl. Schnepf, Strigel und Flacius an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 20. Juli 1557: Ernst IV, S. 394 f., Nr. 300, Anm. 1 = Wolf, S. 301, Nr. 30. 36 Vgl. Preger II, S. 116–119. 37 Vgl. Preger II, S. 119. 38 Flacius an die Herzöge von Sachsen, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 304–316, Nr. 32; vgl. oben Abschnitt 2.2.1.5 der Darstellung. 39 Vgl. oben S. 150 f. in Abschnitt 2.2.1.5 der Darstellung bei Anm. 239. 40 Flacius schreckt dabei vor persönlichen Verunglimpfungen Melanchthons nicht zurück und zieht alle rhetorischen Register bis hin zu einem fiktiven Gespräch zwischen dem Naumburger Bischof Julius Pflug und Melanchthon, in welchem Pflug den Wittenberger bei seinen früheren Zugeständnissen behaftet (vgl. Flacius an die Herzöge von Sachsen, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 308 f., Nr. 32). Zu dem mit großer Dringlichkeit und Feierlichkeit als Formulierungsvorschlag für die herzogliche Instruktion vorgetragenen antiadiaphoristischen Spitzensatz des Gutachtens vgl. oben S. 151 in Abschnitt 2.2.1.5 der Darstellung bei und in Anm. 242. 41 Hartmann, S. 108; vgl. oben S. 150 in Abschnitt 2.2.1.5 der Darstellung bei Anm. 232–234.
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2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
vielfältigen aktuellen theologischen Streitfragen in der Wendung gegen den Adiaphorismus gebündelt worden wären.42 Neben äußeren Gründen wie der Länge und der diffizilen sprachlichen Gestalt43 des Zusatzgutachtens dürfte dafür ausschlaggebend gewesen sein, daß die herzogliche Kanzlei noch nicht vollständig auf das konfessionspolitische Programm des Flacius festgelegt war. Festmachen läßt sich das an Franziskus Burchard, dem ernestinischen Vizekanzler, der als Vertreter einer gemäßigt gnesiolutherischen Konfessionspolitik anzusehen ist.44 Die konfessionspolitische Ausrichtung des ernestinischen Sachsen war im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs vielschichtiger, als dies unter der verbreiteten Annahme einer umfassenden Dominanz des Flacius erscheint. Zumindest teilweise bestanden noch deutliche Spannungen zur Konfessionspolitik und Theologie des Flacius, wie auch Flacius seine Vorstellungen nicht einfach durchsetzen konnte. Daß Flacius die Durchsetzung seiner Vorstellungen nicht zu seiner Zufriedenheit gelungen war, wird bestätigt durch die rastlosen Aktivitäten, die er zu Beginn der Wormser Verhandlungen im August 1557 entfaltete. Er ließ den herzoglich-sächsischen Gesprächsteilnehmern eine mittlere Flut von Schriften zukommen, teilweise für alle evangelischen Teilnehmer in Worms bestimmt,45 teilweise direkt an einzelne gerichtet46. Herkömmlicherweise wird dies als Ausweis seines immensen Einflusses zumindest auf die Gnesiolutheraner interpretiert. Die Vorstellung ist, daß der „Heerführer aus der Ferne“47 mittels dieser Schreiben seine Truppen in Worms dirigierte.48 Doch dürfte genau das Gegenteil der Fall sein: Flacius schrieb so unablässig, weil er sich seines Einflusses gerade nicht sicher war und weil er sein Anliegen auch durch die herzoglich-sächsische Instruktion noch nicht ausreichend abgesichert fand. Der beste Beleg dafür ist das lange lateinische Sendschreiben an alle evangelischen Gesprächsteilnehmer in Worms vom 9. August.49 Unter ausgiebiger Verwendung von Textbausteinen aus seinem 42
Vgl. den Nachweis oben S. 151 f. bei Anm. 242 f. Die Länge und Diffizilität von Flacius’ Eingaben erwies sich für deren Rezeption an Höfen auch sonst mitunter als hinderlich. Olson bemerkt dazu: „Whereas Luther was able to win over a courtier or a German prince with a joke, from Flacius the government learned to expect only sober, rational arguments, long, systematic written Latin memoranda.“ (Olson, S. 328). 44 Vgl. oben S. 152 f. in Abschnitt 2.2.1.5 der Darstellung bei Anm. 244–246. 45 Vgl. in Anm. 50. 46 Vgl. in Anm. 54. 47 Hartmann, S. 107; oben S. 481 bei Anm. 2 im Zusammenhang zitiert. 48 Vgl. Salig III, S. 296 f.; Hartmann, S. 108 f.; Wolf, S. 86; Fligge, S. 386 f.; v. Bundschuh, S. 417. 49 Flacius an die evanglischen Deputierten in Worms, Jena 9. August 1557: CR 9, Sp. 199–213, Nr. 6301 = MBW 8299. Die irreführende Überschrift „Flacius ad Ienenses“ über dem Abdruck in CR 9 ist bereits von Wolf richtig gestellt worden (vgl. Wolf, S. 82, Anm. 1). 43
2.1 Anteil des Flacius an Verlauf und Ausgang des Religionsgesprächs
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lateinischen Zusatzgutachten für die Herzöge beschwört Flacius darin die Gesprächsteilnehmer, sich nicht auf die adiaphoristischen Versuchungen einzulasssen. Betrachtet man die Aufnahme des Sendschreibens, so hatte Flacius durchaus Grund zur Sorge über seinen Einfluß. Denn das Sendschreiben zirkulierte zwar unter den evangelischen Deputierten,50 wurde aber bewußt ignoriert: Jakob Runge berichtet am 2. Oktober, daß es noch nicht gelesen worden sei!51 Die herzoglich-sächsischen Teilnehmer könnten ein eigenes Exemplar erhalten und dies auch gelesen haben. Aber auch sie teilten nicht alle den schroffen Kurs des Flacius gegenüber Melanchthon. So begrüßten Schnepf und Strigel Melanchthon durchaus ehrerbietig, als er in Worms eintraf; allein Monner und Stössel hielten sich fern, wie Monner umgehend an Flacius berichtete.52 Monner erscheint hier und auch sonst als der wichtigste, wenn nicht sogar der einzig sichere Gewährsmann des Flacius in Worms. Es war daher nicht ohne Grund geschehen, daß Flacius mit drei persönlichen Schreiben vom 20. August nicht nur Schnepf, sondern besonders auch Mörlin und Sarcerius an Monner verwiesen hatte.53 Die Rolle 50 Paul Eber teilte Georg Major darüber am 1. September mit: „Misit huc literas, ut ex signo aestimatur, Flacius inscriptas ad omnes collocutores adiunctos supernumerarios nostrae partis, quae cum essent exhibitae primum Palatinensibus, illi eas non resignatas miserunt Wirtebergensibus et porro Hassiacis et Argentinensibus, illi rursus Palatinensibus, qui eas adhuc retinent, nec aperire nec legere, nisi iussi a toto coetu nostrorum.“ (Eber an Major, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324). An die Pfälzer war das Sendschreiben des Flacius von den ernestinischen Deputierten übermittelt worden, was die kursächsischen politischen Räte aufs höchste alarmierte und einer der Beweggründe für ihre Auseinandersetzung mit den Pfälzern um die Leitung der internen evangelischen Verhandlungen war (vgl. oben S. 253 f. in Abschnitt 3.5.3 der Darstellung bei Anm. 285). Die Pfälzer selbst zeigten dem ‚Preußischen Bericht‘ zufolge in der von ihnen initiierten Versammlung am 9. September den Empfang des Schreibens an und stellten seine Verlesung zur Debatte. Es wurde aber befunden, daß es erst in Anwesenheit aller gelesen werden sollte, was am 9. September nicht gegeben war. Der betreffende Passus des ‚Preußischen Berichts‘ lautet: „Offert [scil. der Pfälzer Kurfürst durch seine Gesandten] Literas inscriptas Omnibus Delectis ad Colloquium, quas aiebat ad se ex Jena esse missas. Erant ill Illirici, & permittit Theologorum arbitrio an legend sint. […] Sentiunt [scil. die anwesenden Deputierten] literas esse servandas, donec omnes conueniant, Aberant enim quidem.“ (‚Preußischer Bericht‘: Bl. 3r). 51 Runge berichtet: „Jlliricus schicket auch einen Brieff an alle verordneten zum Colloquio, in welchen eine Schrift eingeschlossen, ist aber noch nicht gelesen.“ (Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 27r). 52 Vgl. Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 246, Nr. 6321 sowie die Erläuterungen oben S. 246 f. in Abschnitt 3.5.2 der Darstellung bei Anm. 244 und 249. 53 Schnepf und Monner waren die Adressaten von Darlegungen Flacius’ über den Maiorismus und den „Meniismus“ (vgl. Flacius an Schnepf, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 232, Nr. 6313). An Mörlin schrieb Flacius: „Cupio tibi D. D. Basilium [i. e. Monner] esse quam familiarissimum. Est enim vir bonus, pius et zelum Domini habens.“ (Flacius an Mörlin, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 234, Nr. 6314); Entsprechendes schrieb er auch an Sarcerius (Flacius an Sarcerius, Jena 20. August 1557: CR 9, Sp. 236, Nr. 6315). Vgl. dazu die Angaben oben S. 217 f. in Abschnitt 3.2.2 der Darstellung bei Anm. 101–105.
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dieser Schreiben für die Bildung der gnesiolutherischen Gruppe in Worms darf aber nicht überbewertet werden, denn Monner hatte bereits zuvor mit Erfolg in derselben Richtung gewirkt.54 Dem mühsamen Ringen des Flacius um Einflußnahme auf den Verlauf der Verhandlungen in Worms korrespondiert dort ein recht eigenständiges Vorgehen der gnesiolutherisch orientierten Deputierten. Sie sondierten zunächst die Lage und die Stimmung der übrigen Teilnehmer und traten dann von sich aus an den in Markgraf-Baden zur Kur weilenden Herzog.55 Weit entfernt davon, sich von Jena aus fernsteuern zu lassen, legten sie eigene Gutachten über das weitere Vorgehen vor.56 Flacius hingegen kam erst wieder ins Spiel, als der Herzog zusätzlich durch seine Weimarer Räte den führenden im Lande verbliebenen Theologen die Frage vorlegen ließ, ob man sich doch ohne vorhergehende Verdammung der Irrlehren durch die Augsburger Konfessionsverwandten in Verhandlungen mit der römisch-katholischen Seite einlassen könne. Die Räte beriefen Anfang September eine Synode in Weimar ein,57 bei der nun allerdings von einer Dominanz des Flacius zu sprechen ist. Denn Flacius konnte seine Linie und seine Formulierungsvorschläge ohne wesentliche Abstriche durchsetzen: Die Möglichkeit gemeinsamer Verhandlungen ohne vorhergehende Verwerfungen wurde kategorisch abgelehnt; der Katalog zu verwerfender Irrlehren noch ausgeweitet und antiadiaphoristisch zugespitzt. Einem Mann wie Franziskus Burchard, der eine gemäßigt gnesiolutherische Konfessionspolitik verfolgte, blieb jetzt nur noch Raum für ein abweichendes Sondervotum. Doch auch diesmal gelang es Flacius nicht, dem Gang der Dinge seinen Stempel aufzuprägen. Das unter seinem maßgeblichen Einfluß entstandene Gutachten der Weimarer Synode wurde im Umfeld des Herzogs in Markgraf-Baden zunächst bewußt zugunsten einer anderen Strategie zurückgestellt.58 In Worms traf es zudem schlicht zu spät ein, denn es wurde erst am 20. September von Markgraf-Baden aus weitergeschickt nach
54 Am 31. August bestätigte Monner den Empfang eines Bündels von Briefen und Schriften des Flacius und deren Mitteilung an die ernestinischen Deputierten sowie Mörlin und Sarcerius und führte dazu weiter aus: „Iam pridem insinuavi me in amicitiam D. Sarcerii, quocum bis aut ter contuli de multis rebus, quae pertinent ad praesens negocium. Idem feci cum D. Morlino, qui nostras quoque partes tuetur.“ (Monner an Flacius, Worms 31. August 1557: CR 9, Sp. 245, Nr. 6321). 55 Vgl. oben den Abschnitt 3.4.1 der Darstellung. 56 Vgl. oben den Abschnitt 3.6 der Darstellung sowie S. 236 in Abschnitt 3.4.1 der Darstellung bei und in Anm. 190. 57 Zur ‚Weimarer Synode‘ und ihren Ergebnissen vgl. oben den Abschnitt 3.4.3 der Darstellung. 58 Vgl. oben S. 403 in Abschnitt 5.1.5 der Darstellung bei Anm. 156.
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Worms59. Dort hatten jedoch nicht nur ohne vorhergehende Verwerfung von Irrlehren, aber mit Beteiligung der gnesiolutherischen Deputierten bereits sechs Sitzungen des offiziellen Religionsgesprächs stattgefunden, sondern es kam auch just am 20. September zum entscheidenden, von Canisius und Helding provozierten Eklat in der 6. Sitzung. Das Weimarer Gutachten paßte also nicht mehr auf die Situation, in der es eintraf. Es trifft daher nicht zu, was Irene Dingel in der Theologischen Realenzyklopädie zur Wirkung des Gutachtens der Weimarer Synode ausführt: „Noch kurz vor Beginn des Kolloquiums drohte das ganze Unternehmen an dem Einspruch einer unter dem Einfluß des Flacius stehenden Theologenkommission in Weimar zu scheitern.“60 Dingels weitere Ausführungen erwecken zudem den unzutreffenden Eindruck, als seien die Ergebnisse der Weimarer Synode in die Instruktion der ernestinischen Deputierten eingeflossen: „Stein des Anstoßes war die Weigerung der hinter Melanchthon stehenden Theologen, namentliche Verwerfungen gegen die nach Luthers Tod aufgetretenen ‚Irrlehrer‘ auszusprechen. Angesichts dieser Differenz wollten sich die radikalen Bekenner nicht in ein Gespräch mit den übrigen CA-Verwandten einlassen, und in diesem Sinne lautete auch die Instruktion der Delegation aus Sachsen-Weimar.“61
Zu spät in Worms eingetroffen konnte das Gutachten der Weimarer Synode in den Tagen der Krise zwischen dem 20. September und dem 2. Oktober allenfalls noch stabilisierend in Flacius’ Sinne auf die bedrängten gnesiolutherischen Deputierten in Worms wirken. Das allerdings dürfte aus Flacius’ Sicht um so nötiger gewesen sein, als Flacius’ Gewährsmann Monner bereits seit der zweiten Septemberwoche nicht mehr in Worms war,62 so daß auch er keine Möglichkeit mehr hatte, direkt auf die Wormser Entwicklungen Einfluß zu nehmen. Nach Monners Abgang ist denn auch bei den in Worms verbliebenen gnesiolutherischen Deputierten zwischen dem 9. und dem 20. September eine größere Konzilianz und Kompromißbereitschaft als zuvor erkennbar.63 Die Deputierten nahmen davon jedoch aufgrund des Eklats in der 6. Sitzung wieder Abstand. Flacius hatte daran aber keinen direkten Anteil; und wie sein Schreiben vom 26. September an Gallus belegt, war er noch nicht einmal im Bilde über die Entwicklung in Worms, denn seine letzten Informationen stammten vom 8. September64, also einem Zeit59 Auf einem im herzoglich-sächsischen Aktenzusammenhang überlieferten Umschlag um die Weimarer Gutachten ist vermerkt: „den Theologen gegen Wormbs geschickt den 20ten Septembris“ (ThHStA Weimar, EGA Reg. N 231, fol. 63v). 60 Dingel, Art. Religionsgespräche IV, S. 661. Ob das Religionsgespräch oder die zuvor geschilderten Bemühungen um eine Beilegung der innerevangelischen Auseinandersetzungen als „das ganze Unternehmen“ bezeichnet werden, bleibt in der Schwebe. 61 Dingel, Art. Religionsgespräche IV, S. 661. 62 Vgl. oben Abschnitt 4.3 der Darstellung. 63 Vgl. S. 332 in Abschnitt 4.3.3 der Darstellung bei Anm. 274 f., ferner S. 360 f. in Abschnitt 4.5.1 nach Anm. 417 sowie S. 369 in Abschnitt 5.1.1 nach Anm. 12. 64 Vgl. oben S. 485 in Anm. 27 f.
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punkt, der sogar noch vor der großen innerevangelischen Vorbesprechung unter pfälzischem Vorsitz am 9. September lag. Flacius konnte also wenig ausrichten in Worms. Umgekehrt handelten die gnesiolutherischen Deputierten dort nicht ferngelenkt, sondern eigenständig. Insbesondere faßten sie dann auch selbst den Entschluß zur Abreise.65 Flacius war wiederum nicht beteiligt am Zustandekommen des Entschlusses. Bezeichnend ist auch, daß der Konflikt, über den es zur Ausschließung der gnesiolutherischen Deputierten und dann infolge der Ausschließung zu ihrem Abzug kam, nicht die Auseinandersetzung mit Melanchthon um den Adiaphorismus war, an welcher Flacius sich so abarbeitete. Vielmehr kam es zur Ausschließung wegen des unlösbaren Konfliktes mit Brenz um die Verurteilung Osianders.66 Wichtigster Exponent der gnesiolutherischen Deputierten in dem Konflikt mit Brenz aber war Mörlin, nicht Flacius’ Fakultätsgenosse Schnepf oder einer der anderen beiden herzoglich-sächsischen Theologen Strigel und Stössel. Flacius’ Einfluß war somit weit geringer als allgemein vorausgesetzt, die Eigenständigkeit der gnesiolutherischen Deputierten hingegen weit größer. Das Vorgehen der gnesiolutherischen Deputierten in Worms dürfte aber letzlich durchaus in Flacius’ Sinne gewesen sein. Denn sie stimmten mit ihm überein in der Ablehnung einer auf Inklusion und Nivellierung der innerprotestantischen Auseinandersetzungen angelegten Vermittlungsposition und verfochten statt dessen mit aller Konsequenz einen exklusiven Standpunkt, der auf Konfrontation in der Sache um der Eindeutigkeit und der Wahrheit willen zielte. Deshalb ist zu bezweifeln, daß die Verhandlungen einen erheblich anderen Verlauf genommen hätten, wenn Flacius an ihnen in Worms beteiligt gewesen wäre oder sie aus der Nähe hätte begleiten können – mit Ausnahme dessen vielleicht, daß Melanchthon sich gegenüber Flacius schwerer zu Zugeständnissen bereitgefunden hätte als gegenüber Schnepf, Strigel und Mörlin. Doch dies gehört schon in den Bereich der Spekulation. Belege aus den Monaten des Religionsgesprächs gibt es hingegen für die gegenseitige Wertschätzung zwischen Flacius und den herzoglich-sächsischen Gesprächsteilnehmern. So schrieb Flacius an Gallus über die vier Teilnehmer aus dem Herzogtum Sachsen: „[…] sie scheinen recht gut im Herrn gesinnt zu sein.“67. Umgekehrt schloß Schnepf die Grußliste in einem Brief 65
Vgl. oben S. 459 in Abschnitt 5.5.2 der Darstellung bei Anm. 440. In Flacius’ Gutachten vom 23. Juli wird Brenz nicht in erster Linie wegen der Begünstigung des Osiandrismus angegriffen, sondern – sachlich zu Unrecht – der Billigung des Adiaphorismus bezichtigt (Flacius an die Herzöge von Sachsen, Jena 23. Juli 1557: Wolf, S. 306, Nr. 32). Der Osiandrismus und Osiander werden hingegen eher beiläufig erwähnt (ebd., S. 306.313). 67 „[…] satis uidentur bene animati in Domino.“ (Flacius an Gallus, Jena 26. September 1557: StdtA Regensburg Eccl. I/21, S. 12502–12504, hier S. 12503). 66
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an den Jenaer Pfarrer Hugel mit den Worten ab: „Diesen allen sollst du unseren Tempelwächter hinzufügen, von dem ich meine, daß er ein guter Mann sei.“68 Nach Lage der Dinge kann mit „Tempelwächter“ niemand anderes als der einzig in Jena verbliebene Theologieprofessor Flacius gemeint sein. Der von Schnepf gewählte Begriff changiert zwischen Anerkennung für die Rolle des Flacius während der Abwesenheit seiner Fakultätskollegen und ironischer Distanz. Die ironische Distanz könnte anzeigen, daß latent doch mehr Differenzen bestanden als gemeinhin angenommen und umgekehrt auch die jeweilige Eigenständigkeit größer war als vermutet. Dann wäre es nicht so, wie Ernst Koch meint, daß Schnepf und Strigel als andere aus dem Religionsgespräch gekommen seien, als sie hineingegangen waren.69 Sie gingen vielmehr schon als andere hinein, als man bisher angenommen hat. Die zunächst noch latenten Differenzen wurden dann nach der Rückkehr aus Worms offenbar. Während Flacius die zweieinhalbmonatige Abwesenheit seiner Kollegen hatte nutzen können, um seine Stellung an der Universität und bei Hofe zu festigen und auszubauen, hatten Schnepf und Strigel in Worms die Konsequenzen des Abgrenzungskurses, einer exklusiven gnesiolutherischen Orientierung am eigenen Leib erlebt. So sehr sie auch nach ihrer Rückkehr zu ihrem Vorgehen in Worms standen und es in der dort gegebenen Situation für notwendig erklärten, sträubten sie sich doch dagegen, dieser theologischen und konfessionspolitischen Position in dem von Flacius und Monner angeregten Konfutationsbuch Bekenntnisrang zuzuerkennen.70 So kam es über die Aufstellung und Durchsetzung des Konfutationsbuchs zu erheblichen Differenzen unter den Jenaer Theologen, die sich fortsetzten bis hin zu Strigels großer Auseinandersetzung mit Flacius Anfang der 60er Jahre, in deren Folge er schließlich Jena verließ und mit den Melanchthonianern in einer Front gegenüber Flacius zu stehen kam. Flacius versuchte sich unterdessen durch seine rege Schreibtätigkeit eine Art Deutungshoheit über das Wormser Religionsgespräch zu verschaffen.71 Damit dürfte er selbst den Grund dafür gelegt haben, daß die meisten Historiker ihm überragenden Einfluß auf das Wormser Religionsgespräch zuschreiben.
68 „Quibus omnibus Aedituum nostrum adiunges, quem bonum virum esse iudico.“ (Schnepf an Hugel, Worms 1. September 1557: CR 9, Sp. 256, Nr. 6329). 69 Vgl. Koch, Strigel, S. 402. 70 Vgl. Wolf, S. 128.151; Leppin, Art. Schnepf, S. 234; Koch, Strigel, S. 402. 71 Zur Streitschriftentätigkeit des Flacius im Nachgang zum Wormser Religionsgespräch vgl. v. Bundschuh, S. 555. Auch durch Briefe versuchte Flacius, seine Sicht des Wormser Religionsgesprächs zu verbreiten (vgl. Flacius an Kg. Christian III. von Dänemark, Jena 23. September 1557: Schumacher II, S. 276.278, Abschnitt IV, 1. Brief = CR 9, Sp. 297 f., Nr. 6353; ders. an dens., Jena 1. Januar 1558: Schumacher II, S. 286.292–296, Abschnitt IV, 2. Brief).
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2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
Wenn seit längerem wird gesehen, daß die überkommene Kennzeichnung aller gnesiolutherisch orientierten Theologen als Flacianer unzutreffend ist, so zeigt das Wormser Religionsgespräch, welche tiefgreifende innere Differenzierung auch zwischen gnesiolutherisch orientierten Theologen im ernestinischen Sachsen bestand, und das bei ihrem spektakulärsten Auftritt in den Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden. In der beschriebenen inneren Differenzierung liegt das Potential für die zentrifugale Dynamik des ernestinischen Gnesioluthertums der folgenden Jahre und Jahrzehnte. Wer Olsons Dankbarkeit72 gegenüber Flacius für dessen Beitrag zur Erhaltung der lutherischen Reformation im Jahr 1557 teilen wollte, müßte ihn im Gefälle des Dargelegten ausweiten auch auf Monner, Schnepf, Strigel, Stössel, Mörlin und Sarcerius. Sie sind im Blick auf das Wormser Religionsgespräch als authentische, eigenständige Vertreter der gnesiolutherischen Anliegen zu würdigen.
2.2 Die gnesiolutherischen Deputierten und der Primat der theologischen Überzeugung vor der konfessionspolitischen Opportunität Den gnesiolutherischen Deputierten ist nächst Flacius, ihrem angeblichen „Heerführer aus der Ferne“73, der größte Anteil an dem in Worms erfolgten Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten zugeschrieben worden. Die kursächsischen Räte urteilten schon am 2. Oktober 1557, daß „durch die Weimarischen dis hoch beschwerlich ergernus angerichtet“ worden sei.74 Später schrieben Kurfürst Ottheinrich und Herzog Christoph dem sächsischen Herzog Johann Friedrich dem Mittleren nahezu ohne diplomatische Verklausulierung, „das […] zu solhem unrath [i. e. den Auseinandersetzungen und dem Bruch in Worms] nicht geringe ursach entstanden aus dem, das E. l. verordneten auf verdammung etlicher angezogner personen ganz unzeitlich getrungen“, und das ungeachtet aller Versuche einer gütlichen Verständigung, der Zulassung einer Protestation und der Möglichkeit, sich bei der Erörterung der einzelnen Artikel zu erklären.75 Von hier ist es nicht weit bis zu Hartmanns Urteil, daß „die Hauptschuld des Mißlingens die Teilnehmer aus Thüringen“ trugen.76 72
Vgl. Olson, S. 333; im Wortlaut zitiert oben S. 483 bei Anm. 14. Hartmann, S. 107. 74 Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow an Kfst. August, 2. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 68r–71r, hier fol. 69v. 75 Kfst. Ottheinrich und Hzg. Christoph an Hzg. Johann Friedrich d. M., o. O. 16. November 1557: Ernst IV, S. 441, Nr. 353. 76 Hartmann, S. 107. 73
2.2 Die gnesiolutherischen Deputierten und der Primat der Theologie
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Die gnesiolutherischen Deputierten selbst sahen die Dinge natürlich anders. Als Herzog Johann Friedrich der Mittlere Schnepf und Strigel das Schreiben Ottheinrichs und Christophs vorlegte und sie mit den pfälzischwürttembergischen Vorhaltungen konfrontierte, verwahrten sie sich dagegen und stellten ihre eigene Sicht dar, indem sie noch einmal ausführlich die Auseinandersetzungen in Worms schilderten77. Insbesondere wiesen sie zurück, daß sie „auss vnser selbst gesuchter sunderung vom Colloquio abkummen“78 wären, und setzten dagegen, daß sie „von den Assessorn vnd Auditorn vnsers teils […] von dem Colloquio ausgeschlossen worden“79 seien, was nicht einmal mehr der Präsident habe rückgängig machen können80. Auch den Vorwurf, sie hätten gegen Vorgaben ihres Herzogs und den Reichsabschied ihr „abenthewer machen vnd bestehen wollen“81, wiesen sie entschieden zurück, da sie ihr Vorgehen durchaus im Einklang mit den herzoglichen Instruktionen und dem Reichsabschied sahen82. Der zuletzt angeführte Vorwurf hatte freilich darin einen Anhalt, daß die gnesiolutherischen Deputierten in Worms gegenüber den politischen Räten nach deren zuverlässiger Darstellung erklärt hatten, sie wollten „auf ir ebentheuer“83 an der Vorlage von Verwerfungen gegenüber der römischkatholischen Seite festhalten. Dabei war es ihnen aber nicht um abenteuerlichen Wagemut gegangen, sondern sie hatten herausstellen wollen, daß sie aus Gewissensgründen auf eigene Verantwortung zu handeln bereit waren. Die in demselben Zusammenhang gefallene Äußerung der gnesiolutherischen Deputierten, „das sie theologj vnd nicht Politicj vnd das sie keiner herrn vnd fursten gunst darin ansehen […] wolten“, drückt treffend aus, wie sie theologische Überzeugung und konfessionspolitische Opportunität einander zugeordnet sahen: Der theologischen Überzeugung kam unbedingt der Primat vor der konfessionspolitischen Opportunität zu. Deshalb 77 Vgl. Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 357–362, Nr. 54. 78 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 357, Nr. 54; vgl. ebd. S. 360. 79 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 359, Nr. 54. 80 Vgl. Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 360, Nr. 54. 81 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 357, Nr. 54. 82 Vgl. Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 360, Nr. 54. 83 ‚Gemeinsame Relation‘ der politischen Räte vom 1. Oktober 1557: fol. 28v; im Zusammenhang zitiert und erläutert oben S. 429 in Abschnitt 5.3.2 der Darstellung bei Anm. 285. Die kursächsischen Räte hielten noch in einem weiteren Bericht fest, daß die gnesiolutherischen Deputierten „solchs vf ir ebenteuwer/wie sie es zum offtern genant/ vorgenohmen“ hätten (Gf. Eberstein, Einsiedel und Cracow, Worms 2. Oktober 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 68r–71r, hier fol. 70r).
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beharrten sie durchgängig auf den theologisch als erforderlich angesehenen Verwerfungen, obwohl ihnen von Anfang an die Gefahr vor Augen stand,84 daß die Verwerfungsforderung eine geschlossene Front der evangelischen Deputierten im Religionsgespräch unmöglich machen könnte. Es gehört zu den Besonderheiten der ernestinischen Konfessionspolitik unter Johann Friedrich dem Mittleren, daß sie sich im Rahmen ihrer Grundausrichtung den Primat der theologischen Überzeugung zu eigen machte. Praktisch wirkte sich das so aus, daß der Herzog vor der Abfassung seiner Instruktionen und Befehle theologische Gutachten einholte, die er dann auch berücksichtigte. Als die Auseinandersetzungen in Worms sich zuspitzten, machte er den Deputierten keine Vorgaben. Statt dessen fragte er die Deputierten, welches Vorgehen sie mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten,85 und richtete sich nach ihrer Antwort. Das herzogliche Verfahren der Entscheidungsfindung sicherte dem Wormser Vorgehen der ernestinischen Deputierten wie auch der gnesiolutherischen Gruppe insgesamt den politischen Rückhalt. Es war nicht die Absicht der gnesiolutherischen Deputierten, das Religionsgespräch zu sprengen. Vielmehr richteten sich ihre Aktivitäten nach dem Ausschluß, den die evangelischen politischen Räte gegen sie ausgesprochen hatten, auf eine Revision der Ausschließung, um weiter am Religionsgespräch teilnehmen und in dessen Rahmen die für erforderlich gehaltenen Verwerfungen aussprechen zu können.86 Erst als feststand, daß sie nicht wieder zugelassen würden, entschlossen sie sich zur Sezession.87 Sie ließen es aber nicht bei einem stillen Abzug bleiben, sondern setzten sich noch einmal mit aller Kraft dafür ein, daß ihre Verwerfungserklärungen Bestandteil der Akten des Reichsreligionsgesprächs würden.88 Die spezifizierten Verwerfungen bestimmter Irrlehren sind mithin bis zuletzt der Dreh- und Angelpunkt des gnesiolutherischen Wirkens in Worms. Sarcerius hat daher in seinem Rückblick zu Recht die Deputierten der gnesiolutherische Gruppe als „wir verdammer der secten“ apostrophiert.89 Wie in der Analyse des Verwerfungsgutachtens der ernestinischen Deputierten gezeigt,90 gründete das Beharren auf den Verwerfungen in der Überzeugung, daß die orientierende Funktion der Verwerfungen unverzichtbar sei, um die Scheidelinie zwischen wahrer und falscher Kirche möglichst deutlich zu markieren. Das aber 84
Vgl. oben die Abschnitte 3.4.1 und 3.6.4 der Darstellung. Vgl. oben S. 238 in Abschnitt 3.4.2 der Darstellung bei Anm. 200. 86 Vgl. oben Abschnitt 5.4.2 der Darstellung. 87 Vgl. oben Abschnitt 5.5.2 der Darstellung. 88 Vgl. oben Abschnitt 5.5.2 der Darstellung. 89 Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. September 1557: Hummel, S. 41, Nr. XIX. Vgl. dazu oben S. 30 in Abschnitt 4.1.2 der Einleitung bei Anm. 81. 90 Vgl. oben Abschnitt 3.6.1 der Darstellung, dort insbesondere Abschnitt 3.6.1.2. 85
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hielten die gnesiolutherisch orientierten Theologen um der unverfälschten Verkündigung des Evangeliums willen für geboten und, geprägt von den Auseinandersetzungen um das Interim, in der kontroverstheologischen Situation des Reichsreligionsgesprächs für vollkommen unabdingbar. Bei der praktischen Durchsetzung ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit spezifizierter Verwerfungen zeigten die gnesiolutherischen Deputierten sich im Laufe des Religionsgesprächs, zumal nach Monners Abgang, durchaus flexibel. Der Kompromißversuch auf Grundlage der ‚Formula subscriptionis‘ und die Verständigung auf die Übergabe der ‚Großen Protestationsschrift‘ an die evangelischen Assessoren sind die wichtigsten Beispiele dafür. Nach dem von römisch-katholischer Seite provozierten Eklat am 20. September sahen sie aber keine Möglichkeit mehr, noch länger auf spezifizierte Verwerfungen im Kontext des Religionsgesprächs zu verzichten, wobei erst mit den schriftlichen Eingaben anläßlich ihrer Sezession, die später in die Akten des Reichsreligionsgesprächs aufgenommen wurden, ihre Bemühungen zum Ziel kamen. Allerdings waren sie darüber zu keiner innerevangelischen Verständigung gelangt. Das Gegenteil war der Fall, und mit der Übergabe der ‚Großen Protestationsschrift‘ an den Präsidenten und die römisch-katholischen politischen Räte wurde der innerevangelische Dissens vor der Gegenseite im Religionsgespräch sowie der Reichsöffentlichkeit schonungslos offengelegt. Zu beachten ist aber, daß die gnesiolutherischen Deputierten noch in der Bekenntnis- und Verwerfungserklärung, die sie unmittelbar nach ihrem Ausschluß beim Präsidenten einreichten, eine bei allen Differenzen fortbestehende Einigkeit in der positiven Bekenntnisaussage festzuhalten versuchten: „Wir Unterzeichneten bekennen und bezeugen, daß wir gemeinsam mit den übrigen Kollegen unserer Seite festhalten und verkünden die prophetische und apostolische Lehre und die Summe dieser Lehre, die zusammengefaßt ist in dem Bekenntnis, das in Augsburg dem hochgerühmten Kaiser Karl V. im Jahr [15]30 überreicht worden ist, und in der Apologie desselben und den Artikeln, die [15]37 in Schmalkalden von dem ehrwürdigen Mann, Herrn Doktor Martin Luther, aufgestellt und durch die Unterschrift der vorzüglichsten Theologen bestätigt worden sind […].“91
91 „Nos infrascripti profitemur, & testatum facimus, nos vna cum cæteris Collegis, partis nostræ, amplecti & sonare doctrinam Propheticam & Apostolicam, eiusque doctrinæ summam comprehensam in Confessione Augustæ inclito Romani Imperij [sic!; lg. Imperatori] Carolo Quinto, anno. 30. exhibita, & in Apologia eiusdem & articulis Schmalkaldiæ 37. à Reuereno Viro Domino Doctore Martino Luthero, propositis ac subscriptione præcipuorum Theologorum confirmatis […].“ (Bekenntnis- und Verwerfungserklärung Schnepfs, Mörlins, Strigels und Stössels vom 23. September 1557: Förner S. 65, Copia B; Hervorhebung B. S.). Vgl. oben S. 439 in Abschnitt 5.4.2 der Darstellung bei Anm. 333.
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2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
Was auf die affirmative Aussage folgte, waren die nach gnesiolutherischer Auffassung unbedingt hinzuzusetzenden negativen Feststellungen zu bestimmten Lehrabweichungen im Modus spezifizierter Verwerfung. Darüber bestand ein 1557 in Worms und in den kommenden Jahren unüberbrückbarer Dissens. Am Scheidepunkt aber war immerhin markiert, daß es dennoch Gemeinsamkeit im Grundsätzlichen gab oder doch wieder geben könnte.
2.3 Brenz’ Verhalten und der Einfluß Preußens Die Hartnäckigkeit, mit der Johannes Brenz in Worms allgemein Verwerfungen und insbesondere eine Verwerfung des Osiandrismus ablehnte, stand der Hartnäckigkeit der gnesiolutherischen Verwerfungsforderung nicht nach. Deshalb kam es in Worms zwischen der gnesiolutherischen Gruppe und den Württembergern zu den erbittertsten Konfrontationen92. Die Erregung wurde noch gesteigert93 durch die verbreitete Wahrnehmung, daß es Brenz war, an dessen Veto die mehrfach zum Greifen nahe scheinende Verständigung zwischen Melanchthon und der gnesiolutherischen Gruppe scheiterte: nicht nur im Fall der ‚Formula subscriptionis‘,94 sondern auch im Fall der ‚Forma protestationis‘95. So bestätigten Schnepf und Strigel dem sächsischen Herzog nach dem Religionsgespräch: „Wir haben auch e. g. dessen mit warheytt berichtet, das der Brentius mehr dan die andern die specialem condemnationem verhindert habe vnd do es ohn Ihnen gewesen were, hette dozumal D. Philippus vmb einigkeit willen sich anderer gestalt erzeigt vnd verhalten.“96 Sarcerius urteilte genauso.97 Die 92 Vgl. oben in den Abschnitten 4.4.2.3 bis 4.4.2.5 und S. 419 in Abschnitt 5.2.3 der Darstellung bei Anm. 230–232. 93 Zu den heftigsten Ausfällen gegen Brenz ließ sich Herzog Johann Friedrich der Mittlere in seinem Schreiben an Melanchthon vom 29. September hinreißen (Hzg. Johann Friedrich d. M. an Melanchthon, Meisenheim 29. September 1557: CR 9, Sp. 301–305, Nr. 6356 = MBW 8373); vgl. dazu oben S. 456 in Abschnitt 5.5.1 der Darstellung bei Anm. 426–428. 94 Vgl. oben Abschnitt 4.5.3 der Darstellung. 95 Vgl. oben Abschnitt 5.2.3 der Darstellung. 96 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 363, Nr. 54. 97 Am Ende seiner Rechtfertigungsschrift erklärte Sarcerius: „Doch so will ich das E. G. auch nicht verhalten, das der herr philippus letzlich auch der meinung gewesen, alle secten von [sic!; lg.: vor] den papisten specificiret, vmb verhüttunge willen der zertrennung, zuuerdammen, wo er von Brentio nicht wer abgehaltenn worden, welchen er auch vmb gottes willen gebeten, er wolle die secten helffen verdammen. Hierauf Brentius geanthwortet, er wolle es nicht thun, vnd da nu solches der Herr Philippus gehöret, hatt er die sach also mit betrübtem hertzen bleiben lassen.“ (Sarcerius an Gf. Johann Georg von Mansfeld, Eisleben 26. Dezember 1557: Hummel, S. 45, Nr. XIX).
2.3 Brenz’ Verhalten und der Einfluß Preußens
499
Urteile von gnesiolutherischer Seite lassen sich zusammenfassen in der vom ‚Preußischen Bericht‘ mitgeteilten Beschuldigung, Brenz sei der „pr cipuus autor […] perturbati colloquij“98, der Hauptverursacher des zerstörten Kolloquiums, wie die gnesiolutherischen sich am Tag ihres Abzugs aus Worms angeblich vernehmen ließen. Doch auch Melanchthon schloß eine spätere Schilderung seiner vergeblichen Bemühungen um eine Verständigung auf Grundlage der ‚Forma protestationis‘ lapidar mit den Worten ab: „Aber Brenz hat nicht gewollt, daß Osiander namentlich getadelt würde.“99 Zusätzlichen Argwohn gegen Brenz und die Württemberger erregte die Präsenz des preußischen Sekretärs Timotheus Gerschau in Worms. Der Argwohn ist gerade bei nicht zur gnesiolutherischen Gruppe zählenden Deputierten belegt. Der pommersche politische Rat Christian von Küssow schrieb bereits am 11. September: „Der Hertzog Vonn Preussen hatt seinen secretarium thimotheum [sic!] anher geschicket[,] lest magnis pollicitationibus100 bey brentio vnnd denn andernn Wirtenbergensibus anhalten[,] ne colloquentes patiantur statuj contra Osiandrum101[.] gott gebe gnade zur eynickheitt“102. Auch die kursächsischen Räte sahen das württembergische Eintreten zugunsten Osianders im Zusammenhang mit Gerschaus Wirken in Worms. Sie führten aus, daß „die Wirtembergischen […] Osiandrum hefftig defendieren / darzu sie auch durch des herztogen von Preussen gesandten Secretrarium alhir gesterket vnd angehalten sein / welcher die gantze zeit vber alhir zu Wormbs gewartet“103. Brenz selbst hingegen sah sich keineswegs Gerschaus Einfluß ausgeliefert. Vielmehr schrieb er an Herzog Albrecht von Preußen, Andreae und er hätten Gerschau so lange in Worms aufgehalten, damit der Herzog durch den Sekretär über die Wormser Geschehnisse unterrichtet werde.104 Nimmt man das zusammen mit Brenz’ früherer Einschätzung, daß Gerschau „wol 98 ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 13v; vgl. oben S. 472 in Abschnitt 5.5.2 der Darstellung bei Anm. 503. 99 „Sed Brentius Osiandrum nominatim taxari noluit.“ (Melanchthons ‚Historia‘, Februar 1558: CR 9, Sp. 461, Nr. 6469 = MBW 8540). 100 ‚[…] läßt mit großen Versprechungen […]“. 101 ‚[…] damit die Kolloquenten nicht dulden, daß etwas gegen Osiander beschlossen wird […]‘. 102 Küssow an Hzg. Philipp von Pommern, Frankfurt 11. September 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 14r–19v, hier fol. 18v. 103 Gf. Eberstein und Cracow an Kfst. August, Worms 28. August 1557: HSA Dresden, Loc. 10321/6, fol. 235r–237r, hier fol. 236v. 104 „Mein Collega Doctor Jacob Andre und ich seyen von dem jungen fursten hertzog Johanns friederich zu Sachsen etc. bey pfaltz und Wirtenberg meinen gnedigsten und gnedigen herrn verklagt. Was nun hierin und sonst in diser sach gehandellt, so vill dasselb zu offenbaren gebüret, haben Doctor Jacob und Ich E. F. D. Secretario Timotheo vermeldet, welchen auch wir beid diser ursach halben so lang alhie uffgehallten, damit E. f. d. durch den bemelten Secretarium der sachen berichtet werden möcht.“ (Brenz an Hzg. Albrecht, Worms 11. November 1557: Pressel, S. 440, Nr. CCXLVIII).
500
2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
ein sehr fleißiger gesell“ sei, man aber in theologischen Angelegenheiten „nicht also mit im conferirn“ könne,105 so dürfte Brenz tatsächlich in Bezug auf Gerschau der Herr des Verfahrens gewesen sein. Gerade an dem Umstand, daß Brenz selbst für die umfassende Information des Herzogs sorgte, wird aber deutlich, in welch hohem Maße er sich Herzog Albrecht verpflichtet fühlte. Es bedurfte gar keines preußischen Lobbyisten, um ihn in seinem Eintreten gegen die von Preußen gefürchtete Verwerfung des Osiandrismus zu bestärken. Brenz löste in Worms schlicht ein, was er Albrecht unmittelbar vor dem Beginn des Religionsgespräch zugesagt hatte: Er wolle, wenn sich beim Religionsgespräch „etwas zutrüge, das E. f. d. zum einichen nachteill reichen möcht, […] mit gottes gnad meins vermügens kein fleiss sparen, alles zu handeln, was zum Christlichen friden und E. f. d. zu gutem dienen mag.“106 Wie gezeigt, entsprach das ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ als Maßgabe für das Agieren der württembergischen Deputierten Brenz’ Zusage und war gegründet in prinzipiellen Überzeugungen Brenz’ und Herzogs Christoph über den Umgang mit Lehrabweichungen im allgemeinen und in Brenz’ Stellung zu Osiander im besonderen.107 Brenz, Andreae und die übrigen württembergischen Deputierten hielten in Worms strikt an dem vorab festgelegten Kurs fest und ließen sich darin auch nicht beirren, als nur noch Brenz’ Veto einer Verständigung zwischen der gnesiolutherischen Gruppe und Melanchthon entgegenstand. Auch sie ordneten also ihre theologische Überzeugung der konfessionspolitischen Opportunität über, denn in Worms wäre es spätestens bei der Vorlage der ‚Forma protestationis‘ opportun gewesen, nicht weiter durch die Verweigerung von Verwerfungen der Formierung einer geschlossenen evangelischen Front im Wege zu stehen. Die württembergischen Deputierten gerieten dadurch sogar in eine gewisse Spannung zur konfessionspolitischen Agenda Herzog Christophs, die auf Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten ausgerichtet war, weshalb Christoph zunächst auf Verständigung und dann, als die Zeit für eine Verständigung zu knapp wurde, auf Sistierung der innerevangelischen Auseinandersetzungen setzte. Sich der Formierung einer geschlossenen evangelischen Front entgegenzustellen, war von Christoph hingegen gewiß nicht intendiert. Der Herzog selbst empfand daher nach 105 Brenz hatte im Sommer 1556 Matthias Vogel gegenüber laut dessen Bericht erklärt: „Mocht auch leiden, das ir [scil. Vogel] in theologicis negotiis allwegen werdt heraußgeschickt worden, und wo auch furthon mein herr in Preußen theologica negotia alhie außzurichten hat, ir herauß geschickt wurdt. Timotheus ist wol ein ser fleißiger gesell und helt warlich getreulich an, ich kan aber nicht also mit im conferirn.“ (‚Bericht Vogels über seine Verhandlungen mit Brenz 1556‘: Bizer, Analecta, S. 336, Nr. 36). 106 Brenz an Hzg. Albrecht, Stuttgart 10. August 1557: Pressel, S. 439, Nr. CCXLVI; vgl. dazu oben S. 184 in Abschnitt 2.3.1.3 der Darstellung bei Anm. 398. 107 Vgl. oben Abschnitt 2.3.2.3 der Darstellung.
2.3 Brenz’ Verhalten und der Einfluß Preußens
501
Abschluß des Wormser Religionsgesprächs das Verhalten seiner Deputierten als erklärungsbedürftig und machte anderen Fürsten das ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ zugänglich, damit sie die Gründe für die Verweigerungshaltung seiner Deputierten wüßten.108 Brenz hingegen zeigte sich im Blick auf das Schisma sehr gelassen. An Christoph schrieb er noch von Worms aus im Ton der Paraklese: „Es gehe nun wie es wöll, so soll doch durch gottes gnad sollich gezenk dem heiligen Evangelio auch unschædlich sein: der Herr Christus kennet die seinen und wirdt jm seine schæfflin niemands auss der handt reyssen. So kan die wellt nymer on ergernuss sein, und wurd das unkraut für und für under dem guten weitzen gesæet. Was nun ausgereutet durch fugliche gepurliche mittell werden mag, das ist Gott zudancken. Was aber nicht füglich sein mag, das muss man Gott biss zu der erndt ausszureuten bevelhen. Hierauff wölle E. F. G. sich diser grossen ergernuss nicht hoch entsetzen, Sonder in das Register verzeichnen, darin vill andere ungereumpte stück, so dem Evangelio begegnen, eingeschriben werden.“109
Die Wormser Erfahrungen hinterließen allerdings doch auch Spuren bei Brenz. Besonders mußte ihm zusetzen, daß in Sachen Osiander auch nach dem Abzug der gnesiolutherischen Deputierten keine Ruhe einkehrte. So verfaßte Melanchthon eigens für Andreae und Brenz ein Gutachten über Osianders Rechtfertigungslehre.110 Jakob Runge berichtet zudem, daß es am 12. Oktober sogar zu einer direkten Konfrontation zwischen Melanchthon und ihm auf der einen sowie Brenz und Andreae auf der anderen Seite gekommen sei. Schließlich habe Brenz in seiner Bedrängnis eine Disputation zwischen Andreae und Runge in Anwesenheit der anderen Theologen vorgeschlagen, was auch in die Tat umgesetzt worden sei. Runge rühmt sich, als Sieger aus der Disputation hervorgegangen zu sein und behauptet sogar, die Unterlegenen hätten ihn um seine Freundschaft gebeten, was er nur mit der Auflage gewährt habe, daß sie „forthin Osiandri sachen nicht sterckten“.111 Runges Darstellung wird nicht ganz ohne Anhalt sein, 108 Vgl. Hzg. Christoph an Kfst. August, Stuttgart 22. Dezember 1557: Ernst IV, S. 462, Nr. 366; ders. an Ldgf. Philipp, Stuttgart 31. Dezember 1557: Ernst IV, S. 463, Nr. 368. 109 Brenz an Hzg. Christoph, Worms 28. November 1557: Pressel, S. 442, Nr. CCXLIX. 110 Melanchthons Gutachten für Andreae und Brenz, Worms nach dem 22. September 1557: MBW.R Bd. 8, S. 128 f., Nr. 8363 (Regest). 111 Runges Darstellung im Wortlaut: „Vnd nachdem wir in vnser RattStub entwichen, hat sich zugetragen, das zwischen D. Philippo vnd mir Jacobo Rungio an einem, Vnd Brentio, vnd Doctore Jacobo pfarhern zu Goppingen am andren teil, wegen Osiandri Lahr. in beiwesen der Auditoren, harte disputation eingefallen ist, Vnd do Brentius mit den seinen betrengt ward, thet er den furschlag, Doctor Jacobus solte mit Rungio darvon allein in beiwesen der andren Theologen conferieren, Welches Rungius auf Ratt der Sechsischen Legaten vnd der Auditoren, mit im angefangen, vnd darin den defensoribus Osiandri dermassen voce & scriptis zugesetzt, das da sie zuvor offentlich on scheu alle fur Bacchanten oder Falsarios gescholten hetten, so wider Osiandren geschrieben, danach
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2. Wichtige Akteure und ihr Anteil am öffentlichen Bruch
sie ist aber erkennbar von dem Bemühen geprägt, sich bei seinem Herzog als dem Empfänger des Berichts in ein günstiges Licht zu stellen. Daß Andreae und gar Brenz klein beigegeben haben sollen, ist wenig wahrscheinlich. Im November jedenfalls scheiterte Melanchthons Versuch, in der von ihm aufgesetzte ‚Fomula consensus‘ die theologische Übereinstimmung der in Worms verbliebenen evangelischen Theologen zu fixieren, wiederum an Brenz’ Veto gegen Aussagen, die sich gegen Osianders Rechtfertigungslehre richteten.112 Brenz mußte sich daher in Worms wegen seiner Haltung zu Osiander weitgehend isoliert sehen. Vielleicht ist es diesem Umstand zuzuschreiben, daß er im Widerspruch zu seiner sonstigen Verweigerung von Verwerfungen, zur allgemeinen Linie der württembergischen Täuferpolitik und zu seinem eigenen Vorgehen beim Pfeddersheimer Täuferverhör113 am 16. Oktober eine Verwerfungen enthaltende Erklärung über scharfe Maßnahmen gegen Täufer bis hin zur Todesstrafe unterzeichnete.114 Der Schmerz und das Unverständnis über seine Isolation sprechen aus einem Schreiben Brenz’ an Herzog Albrecht von Preußen nach der Rückkehr vom Wormser Religionsgespräch: „[…] dweill Ich In [scil. Osiander] nicht will stracks hin sine legitima cognitione verdammen, So werde Ich von freunden und feinden so hessig und bitter angezogen, das mich wunder nimpt, wie vernünfftig leut der gmeinen Regell: Audiatur altera pars, so gar vergessen könden. Bin also hiedurch der massen in verdacht gekommen, das Ich für gantz parteisch, wie woll mir hieran ungütlich geschicht, gehallten wurdt, vnd demnach E. f. d. mit meinem Judicio oder zuthun fürohin wenig erhallten wurde.“115
Gleichzeitig wandte sich Brenz auch an Andreas Aurifaber, den Leibarzt des preußischen Herzogs und führenden Anhänger Osianders. Ihm schilderte er das Dilemma, in dem er sich befand: „Was von mir verlangt wird, daß ich Osiander gänzlich mit seiner gesamten Lehre verdammen soll, kann ich mit gutem Gewissen nicht tun, weil ich nämlich die Sache still vnd smeidig geworden sind, vnd sich erboten mit Rungio friede vnd freundtschaft zu haben, Der solchs angenommen mit der Condition, so sie forthin Osiandri sachen nicht sterckten vnd zu zuruttung der Kirchen in Pommern damit nicht vrsach geben.“ (Runges Bericht für Hzg. Philipp von Pommern vom 17. November 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 69r–76v, hier fol. 70v–71r; Streichung des Wortes „mir“ im Original). 112 Vgl. Melanchthon an Kfst. August, Wittenberg Mitte Januar 1558: CR 9, Sp. 411, Nr. 6425 = MBW 8494. 113 Vgl. dazu oben S. 220 f. in Abschnitt 3.2.3 der Darstellung bei Anm. 114–117. 114 „Prozeß, wie es soll gehalten werden mit den Wiedertäufern“, Worms 16. Oktober: MBW.R Bd. 8, S. 141 f., Nr. 8369 (Regest). Vgl. zur Einordnung des ‚Prozesses‘ Seebass, An sint persequendi, S. 88–90.97. Seebass kommt zu dem Ergebnis, daß „Brenz hier nicht die eigene Meinung vertrat, sondern mit Rücksicht auf politische Überlegungen und die erstrebte Übereinstimmung mit den Wittenberger Theologen einem Kompromiß zustimmte“ (ebd., S. 97). 115 Brenz an Hzg. Albrecht, Stuttgart 4. Januar 1558: Pressel, S. 443, Nr. CCL.
2.3 Brenz’ Verhalten und der Einfluß Preußens
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noch nicht so weit durch eine genaue Untersuchung geprüft habe und sehe, daß Osianders Auffassung durch mannigfaltige Verdrehungen in vielen Punkten entstellt wird. Und ich kann auf der anderen Seite auch nicht Osiander gänzlich von jedem Irrtum freisprechen. Das also habe ich bisher getan, daß ich weder verworfen noch freigesprochen, sondern eine gebührende Prüfung verlangt habe.“116
Es gehört zur Tragik des Wormser Religionsgesprächs, daß es Brenz in Worms nicht gelungen ist, sein Dilemma verständlich zu machen und die Gewissensgründe seiner Haltung offenzulegen. Seine Vorbehalte erschienen darum als kategorische Ablehnung einer Verwerfung des Osiandrismus und als propreußische Parteinahme. So erzeugten sie nur weiteren Druck. Offensichtlich war für Brenz aber durch Worms ein Punkt erreicht, an dem es ihm fraglich erschien, ob er weiter an seiner bisherigen Haltung festhalten könne. Dabei ist eine gewisse Ratlosigkeit nicht zu verkennen, wie er sich fortan verhalten sollte. Eine erste Konsequenz scheint gewesen zu sein, daß Jakob Andreae mit der ‚legitima cognitio‘, der gebührenden Prüfung, beauftragt wurde. Ein ausführliches Gutachten „[e]tlicher mißverständ halben, zwischen den Weimarischen Theologis, und D. Andreas Osiander, Georg Maiorn, und etlichen Adiaphoristen“ zeugt davon.117 Andreae und Brenz rieten von der Veröffentlichung des Gutachtens ab, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.118 Unterdessen trat in Preußen allmählich eine gewisse Beruhigung der Auseinandersetzung um Osiander ein,119 wodurch die Osianderfrage auch im Reich zunehmend an Brisanz verlor und Brenz aus der Schußlinie geriet. In den folgenden Jahren sollten ihn die Auseinandersetzungen um die christologischen Voraussetzungen der Abendmahlslehre verstärkt in Anspruch nehmen, die ihn in immer stärkeren Gegensatz zu Melanchthon brachten.120 Eine wirkliche Beilegung der Auseinandersetzung um Osianders Rechtfertigungslehre stand aber weiter aus und erfolgte erst durch die Verständigung auf die Konkordienformel.121 Die Feder führte dabei kein anderer als Jakob Andreae, der 1557 in Worms an Brenz’ Seite gegen eine Verwerfung Osianders gefochten hatte. 116 „Quod a me exigitur, ut omnino Osiandrum cum universa sua doctrina damnem, bona consciencia facere non possum, quippe quod causam nondum tam exacto iudicio cognoverim et videam Osiandri sentenciam variis calumniis multis in locis depravari. Nec possum ex altera parte Osiandrum omnino ab omni errore absolvere. Illud ergo hactenus egi, ut nec damnarem nec absolverem, sed legitimam cognicionem requirerem.“ (Brenz an Andreas Aurifaber, Stuttgart 4. Januar 1558: Pressel, S. 445, Nr. CCLI. 117 Andreae an Hzg. Christoph, Göppingen 24. Januar 1558: HSA Stuttgart A 63, Bü. 21, fol. 116r–124v. Vgl. Fligge, S. 431 f. 118 Vgl. Andreae an Hzg. Christoph, Göppingen 26. Januar 1558: HSA Stuttgart A 63, Bü. 21, fol. 129r–130v; Brenz an Hzg. Christoph, o. O. o. D.: ebd., fol. 131r–132r. 119 Vgl. Fligge, S. 449. 120 Vgl. Brecht, Art. Brenz, S. 176. 121 Vgl. Stupperich, Lehrentscheidung.
3. Der öffentliche Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten als Schisma und seine Auswirkungen 3.1 Zur Kennzeichnung des Bruchs als Schisma Die Bezeichnung des öffentlichen Bruchs zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten in Worms als ‚Schisma‘ findet sich, soweit bekannt, im ‚Preußischen Bericht‘ sowie bei Jakob Runge und der von ihm geführten Vermittlungsgruppe ‚Weißer Schwan‘.1 Brenz spricht hingegen von „der unsern spaltung“2, Melanchthon von „trennung“3 und die ernestinischen Theologen ebenfalls von „disser vnser der Euangelischen trennung“4. Es stellt sich daher die Frage, ob mit der Verwendung des Begriffs ‚Schisma‘ im ‚Preußischen Bericht‘ und bei Runge mehr und anderes gemeint ist als eine Trennung, wie sie ja offensichtlich darin bestand, daß sich mit dem Abzug der gnesiolutherisch orientierten Theologen ein Teil der evangelischen Deputierten von den anderen getrennt hatte. Das wichtigste Indiz dafür, daß mehr und anderes gemeint ist als die Trennung der Deputierten, ist die Verwendung des Begriffes selbst. Hätten diejenigen, die ihn gebrauchten, nur ein hoch- oder fachsprachliches Äquivalent für ‚Trennung‘ gesucht, so hätten die Begriffe ‚separatio‘ oder auch ‚seiunctio‘ näher gelegen. Auch wenn es eine eingehende und umfassende Begriffsgeschichte zum Terminus ‚Schisma‘ nicht gibt,5 dürfte feststehen, daß er anders als der semantisch offenere Terminus ‚Trennung‘ die Implikation einer kirchentrennenden Wirkung hat. Das wird 1557 nicht 1 Vgl. ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11r; vgl. ebd. Bl. 8r; Marbach, Pistorius und Runge an Schnepf, Sarcerius, Mörlin, Strigel und Stössel: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 55r–58v, hier fol. 55r.55v.56r; Runges Bericht vom 2. Oktober 1557: fol. 32v.33r; Runges Bericht für Hzg. Philipp von Pommern vom 17. November 1557: LA Greifswald, Rep. 5, Tit. 1, Nr. 3, fol. 69r–76v, hier fol. 75r; vgl. auch oben S. 3 in Abschnitt 1 der Einleitung bei Anm. 2 f. 2 Brenz an Hzg. Christoph, Worms 28. November 1557: Pressel, S. 441, Nr. CCXLIX. 3 „[…] und ist also ein Trennung unter uns worden.“ (Melanchthons ‚Bericht‘, Dessau 28. Februar: CR 9, Sp. 455, Nr. 6468 = MBW 8539). 4 Schnepf und Strigel an Hzg. Johann Friedrich d. M., Jena 15. Dezember 1557: Wolf, S. 361, Nr. 54. 5 Vgl. aber Löhr, Art. Schisma, S. 129–131.
3.1 Zur Kennzeichnung des Bruchs als Schisma
505
anders gewesen sein als heute. Denn auch wer 1557 von einem Schisma sprach, konnte das nicht tun, ohne daß das Schisma zwischen Rom und Konstantinopel oder die mittelalterlichen Papst-Schismen assoziiert worden wären. Wo von einem Schisma die Rede ist, steht die Einheit oder – um die Begrifflichkeit der Zeit zu verwenden – die Einigkeit der Kirche in Frage, wenn sie nicht sogar zerstört ist. Genau das aber sahen der ‚Preußische Bericht‘ und Runge mit dem öffentlichen Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten in Worms offensichtlich als gegeben an. Es stellt sich dann allerdings die Frage, was die Eigenart eines Schismas im Horizont des Kirchenbegriffs der Confessio Augustana ist. In der Kirchenväterzeit hatte sich eine Unterscheidung zwischen ‚Schisma‘ und ‚Häresie‘ herausgebildet, wonach unter ‚Schisma‘ nur eine Trennung hinsichtlich der kirchlichen Organisation, unter ‚Häresie‘ hingegen eine Trennung hinsichtlich der kirchlichen Lehre zu verstehen ist,6 die freilich auch die Institution betrifft. „Für die Position der römischen Kirche“ wurde zudem „der Versuch kennzeichnend, als Schismatiker solche zu brandmarken, die nicht mit dem römischen Bischof in Gemeinschaft stehen“7. Es liegt auf der Hand, daß dieser Begriff des Schismas sich auf die innere Verfaßtheit der Augsburger Konfessionsverwandten in der Mitte des 16. Jahrhunderts kaum anwenden läßt, weil die evangelische Kirche gar nicht ständeübergreifend organisiert war und die kirchliche Organisation in den einzelnen Ständen sich zwar zunehmend verfestigte, aber zumindest noch als provisorisch galt oder häufig noch provisorisch war. Mit der Verwendung des Begriffs ‚Schisma‘ muß daher etwas anderes intendiert gewesen sein, als eine Trennung hinsichtlich der kirchlichen Institution anzuzeigen. Nach CA 7 genügt das ‚consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum‘, also die Übereinstimmung in der Verkündigung des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente, zur ‚vera unitas ecclesiae‘.8 Im Umkehrschluß ist die wahre Einigkeit der christlichen Kirche dann nicht mehr gegeben, wenn keine Übereinstimmung in der Verkündigung des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente mehr besteht. Solche Übereinstimmung sahen der ‚Preußische Bericht‘ und Runge nach dem in Worms erfolgten Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten offensichtlich nicht mehr als gegeben an und damit die Einigkeit der Kirche als zerstört. Woran ließ sich das festmachen? Zur Klärung dieser Frage ist zu bedenken, daß das Schisma präzise bezogen auf den Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten vom Religionsgespräch durch die evangelischen politischen Räte konstatiert wurde.9 Wenn das Schisma 6
Vgl. Löhr, Art. Schisma, S. 130 f. Löhr, Art. Schisma, S. 131. 8 Vgl. CA 7: BSELK, S. 61, Z. 6–9. 9 Vgl. oben S. 432 in Abschnitt 5.3.3 der Darstellung bei Anm. 296. 7
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3. Der öffentliche Bruch zwischen den Konfessionsverwandten als Schisma
hieran festgemacht wurde, dann besteht es genau genommen darin, daß die Confessio Augustana als der bekenntismäßig fixierte Ausdruck der Übereinstimmung10 in der Verkündigung des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente nicht mehr gemeinsam gegenüber der römisch-katholischen Seite vertreten werden konnte, wie es im Reichsreligionsgespräch vorgesehen und erforderlich war. Als das durch die Ausschließung, welche die evangelischen politischen Räte vornahmen, Beschlußkraft erlangt hatte, war das Schisma eingetreten. „Hoc modo Schisma inter nos factum est.“11 Zu begreifen sind die Wormser Vorgänge, die am 22. September im Schisma kulminierten, freilich nur, wenn man die vorausliegende Entwicklung berücksichtigt: das Auseinanderdriften von Theologen, Universitäten und Ständen Augsburgischer Konfession nach Luthers Tod, Schmalkaldischem Krieg und Interim. Thomas Kaufmann hat gezeigt, daß die mit dem Adiaphoristischen Streit eröffnete „endlose Sequenz theologischer Scharmützel […] das zweite Schisma der Wittenberger Reformation – nach dem ersten, mit Karlstadts Namen verbundenen“ – bedeutete.12 Wie das gleichfalls von Kaufmann als weiterer Begriff eingeführte „Schisma der Wittenberger Theologie“13, seiner Begriffsbestimmung nach aufgebrochen über den Adiaphora und verbunden mit dem Widerspruch der Magdeburger Theologen gegen die Kursachsen wegen des Leipziger Interims,14 so war auch das noch umfassendere „zweite Schisma der Wittenberger Reformation“ längst eingetreten, als die evangelischen Deputierten sich im Sommer 1557 nach Worms begaben. In Worms aber wurde das Schisma formell vollzogen, indem offiziell festgestellt wurde, daß die gemeinsame Vertretung der Confessio Augustana gegenüber der römisch-katholischen Seite nicht mehr möglich war. Das zog die Trennung der evangelischen Deputierten und den Abzug der gnesiolutherischen Gruppe nach sich, und damit wurde das Schisma der Wittenberger Reformation als Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten im reichsoffiziellen Kontext des Wormser Religionsgesprächs offenkundig. Wie steht es aber mit der praktischen kirchentrennenden Wirkung des Wormser Schismas? Da es keine ausgebildeten ständeübergreifenden kirchlichen Strukturen bei den Augsburger Konfessionsverwandten gab, ist sie schwer festzustellen. Auch gibt es keine Zeugnisse über den wechselseitigen Besuch oder das Fernbleiben von Abendmahlsfeiern während des Wormser Religionsgesprächs, wiewohl belegt ist, daß auch die Gottesdienste zu einem 10 Vgl. die Eröffnungsformulierung der CA: „Ecclesiae magno consensu apud nos docent […]“ (CA 1: BSELK, S. 50, Z. 3 f.). 11 ‚Preußischer Bericht‘: Bl. 11r. 12 Kaufmann, Ende, S. 280; kursive Hervorhebung bei Kaufmann. 13 Kaufmann, Ende, S. 420; bei Kaufmann kursiv hervorgehoben. 14 Vgl. Kaufmann, Ende, S. 12, Anm. 51 sowie S. 420.
3.2 Auswirkungen des Wormser Schismas
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Feld der Auseinandersetzung wurden.15 Bekannt sind ansonsten Amsdorfs Ratschläge an den Dresdner Hofkapellmeister Johann Walter, sich vom Abendmahl adiaphoristisch gesinnter Pfarrer fernzuhalten,16 und die Auseinandersetzung um die Übernahme eines Patenamtes durch den Jenaer Juristen Wesenbeck wegen seiner Auffassungen über die Willensfreiheit.17 Ob und wie sich das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten im kirchlichen Leben auswirkte, bedürfte einer eigenen Untersuchung.
3.2 Auswirkungen des Wormser Schismas 3.2.1 Der doppelte Ausgang des Wormser Religionsgesprächs für die Augsburger Konfessionsverwandten Der Ausschluß der gnesiolutherischen Deputierten, hier beschrieben als das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten, wurde für die römisch-katholische Seite zum Anlaß, den Abbruch des Wormser Religionsgesprächs zu betreiben, wie Benno von Bundschuh eingehend und überzeugend dargestellt hat.18 Dennoch vergingen von der Sezession der gnesiolutherischen Deputierten am 2. Oktober an noch mehr als zwei Monate, bis auch die übrigen evangelischen Deputierten Anfang Dezember Worms verließen19. Die Zeit bis dahin war bestimmt von langwierigen Auseinandersetzungen mit der römisch-katholischen Seite über die Fortsetzung des Religionsgesprächs. Es gab aber auch viel Leerlauf, als das Eintreffen der königlichen Resolution abgewartet werden mußte.20 Auf Initiative einerseits Kurfürst Augusts von Sachsen und König Christians von Dänemark, andererseits Herzog Christophs von Württemberg und Kurfürst Ottheinrichs von der Pfalz versuchten die verbliebenen evangelischen Deputierten die Zeit jedoch auch zu nutzen, um untereinander Verständigung in den strittigen Fragen zu suchen.21 Die von Melanchthon entworfene ‚Formula consensus‘ ist das Ergebnis dieser Bemühungen. Bemerkenswerterweise beginnt sie mit einer positiven Bezugnahme auf die CA, deren Apologie und die Schmalkaldischen Artikel.22 Melanchthon 15 Vgl. Eber an Major, 1. September 1557: CR 9, Sp. 249, Nr. 6324; Johannes Aurifaber an N. N., Markgraf-Baden 13. September 1557: CR 9, Sp. 271 f., Nr. 6341. 16 Vgl. Brinkel, S. 136.138; Brinzing, S. 86 f.; Kaufmann, Anfänge, S. 215. 17 Vgl. Preger II, S. 135 f. 18 Vgl. v. Bundschuh, S. 473–506. 19 Vgl. v. Bundschuh, S. 504. 20 Vgl. v. Bundschuh, S. 492. 21 Vgl. Wolf, S. 111 f. 22 Melanchthons ‚Formula Consensus‘ vom 11. November 1557: CR 9, Sp. 365 f., Nr. 6399 = MBW 8425.
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3. Der öffentliche Bruch zwischen den Konfessionsverwandten als Schisma
knüpfte damit an die ‚Forma protestationis‘23 an und suchte die ‚Formula consensus‘ für Zustimmung von gnesiolutherischer Seite offenzuhalten. Es kam jedoch nicht zu einer Verständigung auf die ‚Formula consensus‘, weil Brenz wieder Veto gegen die Abgrenzung von Osianders Rechtfertigungslehre einlegte.24 Melanchthons Bemühungen waren dennoch nicht vollkommen vergeblich, denn die ‚Formula consensus‘ wurde für ihn zum Ausgangspunkt seiner – allerdings stark modifzierten – Vorschläge für den ‚Frankfurter Rezeß‘.25 In Frankfurt gelang es dann im März 1558, zwischen der Kurpfalz, Kursachsen, Kurbrandenburg, Pfalz-Zweibrücken, Württemberg und Hessen diesen ‚Frankfurter Rezeß‘ zu vereinbaren.26 Im Herzogtum Sachsen stieß der ‚Frankfurter Rezeß‘ hingegen auf erbitterte Ablehnung.27 Das Wormser Schisma bestand fort. Für die aus Worms abgezogenen gnesiolutherischen Deputierten nahm das Wormser Religionsgespräch einen anderen Ausgang als die Vereinbarung des ‚Frankfurter Rezesses‘. Schon bald nach ihrer Rückkehr wurden im Herzogtum Sachsen Forderungen laut, ein Bekenntnis zu verfassen, in dem die in Worms verweigerten Verwerfungen in aller Klarheit ausgesprochen würden.28 Gegen Vorbehalte Schnepfs, Strigels und des Jenaer Superintendenten Hugel entstand schließlich unter Flacius’ Federführung das ‚Weimarer Konfutationsbuch‘, welches Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen dem ‚Frankfurter Rezeß‘ entgegensetzte.29 Es schrieb von ernestinischer Seite das Wormser Schisma fest. Bei der Erstellung des Konfutationsbuchs zeigten sich allerdings Bruchlinien und zuvor latente Differenzen zwischen den gnesiolutherisch orientierten Theologen in Jena.30 Nicht alle waren bereit, einer exklusiv gnesiolutherischen Orientierung Bekenntnisrang zuzuerkennen.
3.2.2 Externe Auswirkungen des Wormser Schismas Das Wormser Schisma gab der Gegenreformation Auftrieb. Benno von Bundsch hat das Wormser Religionsgespräch deshalb sogar als „Wendepunkt zwischen Reformation und Gegenreformation“ bezeichnet,31 was aber in dieser Zuspitzung angesichts der Komplexität der Gegenreforma23
Vgl. oben S. 414 in Abschnitt 5.2.3 der Darstellung bei Anm. 211. Vgl. oben S. 502 bei Anm. 112. 25 Vgl. Dingel, Frankfurter Rezeß, S. 127–131. 26 Vgl. Dingel, Frankfurter Rezeß, S. 130. 27 Vgl. Dingel, Frankfurter Rezeß, S. 140. 28 Vgl. Wolf, S. 128. 29 Vgl. Leppin, Bekenntnisbildung; Kolb, Bekenntnis. 30 Vgl. oben S. 493 bei Anm. 70. 31 V. Bundschuh, S. 566. 24
3.2 Auswirkungen des Wormser Schismas
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tion zu viel gesagt sein dürfte. Unübersehbar ist jedoch, wie das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von römisch-katholischer Seite zu gegenreformatorischer Propaganda genutzt wurde.32 Es ließ sich trefflich gegen die Augsburger Konfessionsverwandten wenden, daß diese selbst nicht einig darüber waren, wer sich zu Recht auf das Augsburgische Bekenntnis berief. Eine mittelbare Folge des Wormser Schismas war, daß die kaiserliche Reunionspolitik endgültig an ihr Ende kam. Denn nach dem geplatzten Wormser Religionsgespräch ist auf Reichsebene kein weiterer Versuch zur Wiedervereinigung der Religionsparteien mehr unternommen worden.33 Die Anstrengungen der Reichsspitze richteten sich nun vielmehr darauf, den Augsburger Religionsfrieden aufrechtzuerhalten. Das Wormser Schisma bot aber gewissermaßen bereits einen Vorgeschmack auf die spätere Aufgabe, einander theologisch ausschließende Inanspruchnahmen der Confessio Augustana unter einem politischen Begriff der Augsburger Konfessionsverwandtschaft in die Religionsfriedensordnung zu integrieren. Auch auf das Verhältnis zwischen Wittenberger und Schweizer Reformation wirkte sich das Wormser Schisma mittelbar aus. Denn die in Worms verbliebenen evangelischen Theologen legten am 21. Oktober unter dem Druck ständiger Bestreitung ihrer rechtmäßigen Berufung auf die CA durch die römisch-katholische Seite, die sich dazu auf die Einlassungen der gnesiolutherischen Deputierten berief, eine Protestation vor.34 Diese Protestation enthielt eine Formulierung, die man auf Schweizer oder zumindest Genfer Seite gerade von Melanchthon nicht erwartet hatte: „Und weder unsere Kirchen noch wir billigen Zwinglis Lehre oder irgendwelche Meinungen, die unserem Bekenntnis widersprechen […].“35 Als in der Schweiz bekannt wurde, daß in Worms die Lehre Zwinglis unter Melanchthons Mitwirkung von den verbliebenen Theologen als einzige Lehrabweichung mit namentlicher Nennung des Urhebers mißbilligt worden war, fühlten sich die Züricher in ihrer skeptischen Beurteilung von Verständigungsmöglichkeiten mit den Augsburger Konfessionsverwandten bestätigt, während Calvin sich in seinen Hoffnungen enttäuscht sah.36 Eine Verständigung zwischen Wittenberger und Schweizer Reformation war damit in weite Ferne gerückt. 32 Von Bundschuh widmet der „Flug- und Streitschriftenliteratur nach dem Ende des Colloquiums“ ein eigenes Kapitel (vgl. v. Bundschuh, S. 533–556), in dem aber auch die Beiträge von evangelischer Seite berücksichtigt sind. 33 Vgl. Dingel, Art. Religionsgespräche IV., S. 662. 34 Vgl. v. Bundschuh, S. 489. 35 „Nec Ecclesiae nostrae nec nos Zwinglii dogma, aut ullas oppiniones pugnantes cum nostra confessione, probamus […].“ (Protestation der in Worms verbliebenen evangelischen Theologen, Worms 21. Oktober 1557: CR 9, Sp. 296, Nr. 6382 = MBW 8403). 36 Vgl. Gauss, S. 252–255; Sturm, S. 102–104.
510
3. Der öffentliche Bruch zwischen den Konfessionsverwandten als Schisma
Das Wormser Schisma erwies sich auch in dieser Hinsicht als Katalysator zentrifugaler Tendenzen.
3.3 Die Bedeutung des Bruchs als Schisma Die schwerlich zu unterschätzende Bedeutung37 des in Worms erfolgten öffentlichen Bruchs zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten liegt darin, daß er ein Schisma war. Insofern es nicht mehr möglich war, die Confessio Augustana gegenüber der römisch-katholischen Seite gemeinsam zu vertreten, wurde schlagartig die Brisanz der Differenzen offengelegt, welche der innerevangelische Pluralisierungsprozeß nach Luthers Tod mit sich gebracht hatte. Es konnte niemandem mehr verborgen sein, was für ein tiefer Spalt sich aufgetan hatte und welche Gefahren den Augsburger Konfessionsverwandten, die erst zwei Jahre zuvor im Religionsfrieden die reichsrechtliche Anerkennung erlangt hatten, daraus erwachsen könnten. Deshalb setzten trotz der weiteren Ausdifferenzierung38 sofort nach Abschluß des Wormser Religionsgesprächs verstärkte Bemühungen um eine Verständigung unter den Augsburger Konfessionsverwandten ein,39 initiiert vom Herzogtum Württemberg, dem späteren Motor des lutherischen Konkordienwerks. Es galt, wieder dahin dazu zu kommen, daß die Confessio Augustana gemeinsam vertreten und bekannt werden konnte. Die nach Worms verstärkten Verständigungsbemühungen mündeten über manche Fehlschläge und zahlreiche Zwischenstationen in den Konkordienverhandlungen der 1560er und 1570er Jahre. Ihr erfolgreicher Abschluß 1577/80 ist in seiner eigentlichen Bedeutung erst erfaßt, wenn beachtet wird: Das Konkordienwerk legte nicht einfach innerlutherische Streitigkeiten bei. Vielmehr überwand es ein manifestes Schisma: das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557.
37
Vgl. Koch, Weg, S. 23; wörtlich zitiert S. 3 in Abschnitt 1 der Einleitung in Anm. 1. Vgl. Abschnitt 3.2. 39 Vgl. Koch, Weg, S. 24. 38
Anhang 1: Tableau der Teilnehmer am Reichsreligionsgespräch aufgrund der Angaben bei v. Bundschuh, S. 377–417 mit Hervorhebung (fett) der gnesiolutherisch orientierten Deputierten als Stellvertreter des Königs Präsident Julius Pflug, Vizekanzler Dr. Georg Seld, Bischof von Naumburg jurist. Beistand des Präsidenten römisch-katholische Assessoren
evangelische Assessoren
1. als Stellvertreter des Kurfürsten von Trier Jakob v. Eltz, Domdekan in Trier, ihm beigeordnet als Adjunkten die Trierer Barth. v. d. Leyen, Domscholaster, u. Barth. Latomus, kurfürstl. Rat 2. als Stellvertreter des Erzbischofs v. Salzburg D. Martin Herkules Rettinger, Bischof von Lavant, dem Salzburger Eigenbistum St. Andrä im Lavanttal
1. als Stellvertreter des Kurfürsten von Sachsen Gf. Ludwig v. Eberstein-Neugarten, ihm beigeordnet als Adjunkten Heinr. v. Einsiedel d. J., kursächs. Oberhofrichter u. Amthauptmann, u. Dr. Georg Cracow, kursächs. Rat 2. als Stellvertreter des Herzogs von Württemberg Balth. v. Gültlingen, Erbkämmerer und Obervogt zu Wildberg bis zum 22. Nov., abgelöst durch Gf. Heinr. v. Castell, ehemals Würzburger Domkapitular, seit 1555 in württemberg. Diensten, beigeordnet als Adjunkt der hzgl.e Oberrat Lic. iur. Balth. Eißlinger bis zu seinem Armbruch am 26. Sept., abgelöst durch Dr. Joh. Krauß, Oberrat
römisch-katholische Kolloquenten
evangelische Kolloquenten
1. D. Michael Helding, Bischof v. Merseburg 2. Joh. Delphius, Weihbischof in Straßburg, mit den Jesuiten verbunden 3. D. Jodokus Ravesteyn gen. Tiletanus, Löwener Prof., von Philipp II. als Colloquent durchgesetzt 4. D. Martin Balduin Rythovius, Löwener Prof., ebenfalls von Philipp II. durchgesetzt
1. M .Ph. Melanchthon, kursächs. Prof. in Wittenberg 2. D. Erhard Schnepf, seit seiner Vertreibung aus Württemberg infolge des Interims in herzogl.-sächs. Diensten, Prof. für Hebräisch in Jena 3. D. Joh. Brenz, Propst zu Stuttgart 4. Joh. Pistorius, Superintendent zu Nidda/Ldgfsch. Hessen
512
Anhang
5. D. Petrus Canisius SJ, Provinzial der oberdt. Provinz der SJ 6. M. Friedr. Staphylus, 1552 konvertiert, Rat des Bf.s v. Breslau u. Kg. Ferdinands
5. M. Georg Karg, brandenburg-ansbachischer Generalsuperintendent 6. M. Jakob Runge, Prof. der Theol. in Greifswald und pommerscher Generalsuperintendent
römisch-katholische Adjunkten
evangelische Adjunkten
1. D. Franz Sonnius, Löwener Prof., Inquisitor der Provinzen Holland, Seeland u. Friesland, von Philipp II. durchgesetzt 2. Sen. Georg Witzel, ehemals protest. Pfr., seit 1538 im Dienst röm-kath. Herren, seit 1553 in Mainz ansässig 3. D. Nik. Goudanus SJ, Mitarbeiter des Canisius, Dozent für scholast. Theol. an Univ. Wien 4. Joh. Cressenicus OP, bayr. Hofprediger 5. D. Matth. Sittardus OP, Aachener Stadtprediger, gelegentlich im Dienst des Hzg.s v. Jülich 6. Joh. Sylvanus, Würzburger Hofprediger
1. M. Heinr. Stoll, Prof. der Theol. in Heidelberg und kurpfälz. Generalsuperintendent, † 28. Sept.; sein Nachfolger der pfälz. Hofprediger Michael Diller 2. D. Joh. Marbach, federführender Prädikant Straßburgs 3. M. Erasmus Sarcerius, Superintendent der Grafschaft Mansfeld 4. D. Joach. Mörlin, Sup.int. der Stadt Braunschweig 5. M. Victorinus Strigel, Prof. in Jena 6. M. Joh. Stössel, Superintendent in Heldburg, Herzogtum Sachsen
römisch-katholische Auditoren
evangelische Auditoren
1. für den Kurfürsten v. Mainz D. Daniel Mauch, Domscholaster v. Worms 2. für den Kurfüsten von Köln Petrus Zons, Dechant in Bonn u. Assessor am Reichskammergericht, abgelöst am 16. Sept. durch Lic. theol. Gottfr. Rhedanus. 3. für den Hzg. von Bayern Dr. Simon Thadd. Eck, bayr. Kanzler, jüngerer Halbbruder Joh. Ecks, am 12. Okt. abgelöst durch den hzgl. Rat Dr. Hier. Kais 4. für den Hzg. v. Jülich Geh. Rat Konr. Heresbach
1. für den pfälz. Kurfürsten Dr. Friedr. Thun v. Leiningen 2. für den Mkgf.en von Ansbach Dr. Werner Eysen 3. für die Hzg.e von Pommern Dr. Christian v. Küssow 4. für den Ldgf.en von Hessen Friedr. v. d. Thann, Adjunkt: Oberamtmann Jobst Rau v. Holzhausen 5. für die Grafen der A. C. Reinhard Gf. v. Isenburg-Büdingen [6. für die Hzg.e von Sachsen Dr. Basilius Monner bis zu seinem Abgang nach dem 5. Sept.]
römisch-katholische Notare 1. D. Joh. Zumweg gen. a Via, Domprediger in Worms 2. Nikolaus Driel, Scholasticus an einem Mainzer Stift
evangelische Notare 1. D. Jakob Andreae, Generalsuperintendent in Göppingen 2. Paul Eber, Prof. in Wittenberg, Prediger an der Stadtkirche
Brdbg.Ansbach
Straßburg
Jakob Runge Christian Küssow
Erasmus Sarcerius Mansfeld
Georg Karg Werner Eisen
Johannes Marbach [Jakob Hermann]
Pommern
[Matthias Flacius Illyricus]
Hzg. Joh. Friedrich der Mittlere v. Sachsen
Erhard Schnepf Victorinus Strigel Johann Stössel
Reinhard Gf. v. Isenburg-Büdingen Grafen der AC
Heinrich Stoll/ Michael Diller Pfälzischer Kfst. Friedrich Thun v. Ottheinrich Leiningen [Senfft, Campanus]
Hzg. Albrecht v. Preussen Timotheus Gerschau
Hzg. Christoph v. Württemberg
Johannes Brenz Jakob Andreae
Balth. v. Gültlingen/ Gf. Heinrich v. Castell Balthasar Eislinger / Johann Krauß
Basilius Monner/ [Lucas Thangel]
Gf. Ludwig v. Eberstein-Neugarten Heinr. v. Einsiedel Georg Cracow
Joachim Mörlin [Martin Chemnitz] Braunschweig
Philipp Melanchthon Paul Eber
Johannes Pistorius Friedrich v. d. Thann [Jobst Rau v. Holzhausen
Ldgf. Philipp v. Hessen
Kfst. August v. Sachsen [Kg. Christian III. v. Dänemark]
Anhang 2: Die Teilnehmer an den internen Verhandlungen der Augsburger Konfessionsverwandten und die aus dem Hintergrund mitwirkenden Fürsten
Anhang
513
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Register Kursive Ziffern zeigen Erwähnungen nur in Fußnoten an.
1. Bibelstellen Psalmen 2,10 f. 26,4 34,8 119,63
Römerbrief 112 264 298 264
8,31 10,10b
Galaterbrief 2,11–14 272
Ezechiel 3,18 3,20 33,6 33,8
270 270 270 270
2. Timotheusbrief 1,15 2,17 4,2
Matthäus 7,15 10,32 18,7
263 263 271
Titusbrief 228, 263 455 277
3,11
268
1. Petrusbrief 3,15
Apostelgeschichte 5,29
298 345
455
429
2. Orte und Territorien mit den zugehörigen geographischen Adjektiven, ohne Ortsbezeichnungen in den archivalischen Angaben albertinisches Sachsen siehe Sachsen, Kurfürstentum Alsfeld 82 Altenburg 216 Amsterdam 79 Anhalt, Fürstentum 65, 289 Ansbach 89, 300, 385 Augsburg ohne Augsburger Interim, Augsburger Konfession, Augsburger Konfessionsverwandte, Augsburger Religionsfriede, Augsburger Reichstag
(siehe Sach- und Themenregister) 40, 42,43, 45, 60 f., 63, 66, 68, 87, 118, 123, 307, 309, 355, 388, 414, 435, 497 Augsburg, Fürstbistum 46, 50, 54, 107 Baden siehe Markgraf-Baden Baden, Markgrafschaft 65 Basel 321, 322, 323, 324 Bayern, Herzogtum 46 f., 54 Bobenheim 219
528
Register
Brandenburg, Kurfürstentum 42, 46, 54, 57, 65, 80–82, 87, 89 f., 92, 114, 201, 202 f., 250, 258, 424, 447, 508 Brandenburg-Ansbach, Markgrafschaft 18, 22, 46, 65, 80, 82, 87, 89 f., 92, 119, 137, 199 f., 211, 218 f., 249, 258, 298, 300 f., 330, 347, 386, 441, 443, 464 Brandenburg-Küstrin, Markgrafschaft 65, 80, 82, 91, 114 Braunschweig 18, 32, 79, 82 f., 87, 90 f., 201, 202 f., 217, 247, 248, 301, 437, 483 f. Bremen 79, 87 f. Bruchsal 108 Cannstatt 81 Coburg 79, 85, 241 Coswig ohne Coswiger Handlung (siehe Sach- und Themenregister) 416, 417 Dänemark, Königreich 80, 90, 156–158, 201, 202–204, 207, 250, 258, 323 Dessau 280, 283, 292, 339, 353–355, 390, 426, 504 Dresden 9, 11, 21, 24, 36 f., 81, 87, 96, 114 f., 117, 139, 155, 156 f., 158, 204 f., 259, 321 f., 324, 395 Eisenach 80 Eisleben 19, 32 f., 244, 249, 256–259, 334, 348, 417, 496, 498 Erfurt 79 ernestinisches Sachsen siehe Sachsen (-Weimar), Herzogtum Frankfurt am Main ohne Frankfurter Konvent, Frankfurter Abschied, Frankfurter Rezeß (siehe Sach- und Themenregister) 63, 87, 96, 113–137, 153, 166, 167 f., 170–173, 174–176, 179 f., 182, 184, 187 f., 204 f., 209, 227, 304, 321, 323–326, 329, 508, 484, 499 Frankfurt an der Oder 80, 82, 90, 258 Frankreich, Königreich 322 Friedrichsbühl 207, 231, 444–449, 450, 452, 479 Genf 509 Germersheim 207, 445 Gerstungen 214 Göppingen 82, 116 f., 166, 503 Gotha 21, 241 Greifswald 23 f., 82, 215, 412, 424, 434 Grimmenstein, Festung 214
Habsburg 115, 159, 322 Hagenau 140 Hamburg 79, 87, 324 Heidelberg 17, 66 f., 73 f., 82, 85, 86, 90, 200, 208, 249–251, 256–258, 336, 356, 385, 445, 483 Heldburg 81 f., 91, 259 Henneberg, Grafschaft 65 Herrenberg 177, 182 Hessen, Landgrafschaft 9, 21, 37, 46, 54, 65, 68, 79 f., 82, 87, 89, 91, 96, 113, 116, 118, 130, 136 f., 156, 157, 172, 200, 202 f., 210, 216, 218, 249, 298–301, 347, 441, 443, 471, 472, 482, 508 Hirsau 137, 155, 201, 204, 220, 230, 336 Holstein 82, 87, 90, 258 Jena 20, 32, 43, 73, 82 f., 90, 138, 148–151, 152, 211, 215, 217 f., 241, 244, 247, 268 f., 302 f., 310, 317, 319, 322, 327, 386, 392, 411, 417, 420 f., 425, 431–434, 437, 441, 442, 450, 458, 465 f., 468, 472, 482, 484–487, 488 f., 490, 492, 493, 495, 498, 504, 507 f. Jülich, Herzogtum 54 Kassel 9, 21 Katzenelnbogen, Grafschaft 96, 113 Kempten 118 Köln, Kurfürstbistum 44, 46, 54 Königsberg (Franken) 80 Königsberg (Herzogtum Preußen) 24, 164 f., 166, 168, 169, 170 f., 173, 178, 331, 348 Konstantinopel 505 Kolding (Jütland) 207, 395 Kopenhagen 82, 90, 395 Kreuzburg 214 Kurbrandenburg siehe Brandenburg, Kurfürstentum Kurpfalz siehe Pfalz, Kurfürstentum Kursachsen siehe Sachsen, Kurfürstentum Lauingen 66 Leipzig 81 f., 91, 155, 157 f., 167, 171, 175 f., 203 f., 209, 323, 429 Leitmeritz 42 Lindau 63, 118, 119 Lübeck 80, 87 Lüneburg 80 Mainz 23, 55 Mainz, Kurfürstbistum 46, 50, 54
2. Orte und Territorien Magdeburg 5, 32, 35, 79, 83, 87, 267, 416, 424, 484, 506 Mansfeld, Grafschaft 17, 19, 32, 63, 80, 82, 87 f., 91, 202 f., 217, 259, 302 Marburg 9, 21, 24, 36, 117, 120, 208 Markgraf-Baden 19, 25, 44, 116, 205–207, 213–215, 216, 222 f., 225 f., 228–229, 230, 231 f., 236, 237, 238, 240 f., 243, 259–262, 277, 279, 318, 319 f., 324, 325–327, 328, 329, 332, 334, 341, 343, 349, 361, 367, 374, 377, 378 f., 381, 382, 384, 386, 390, 398 f., 400, 402 f., 405, 422, 428, 447, 463, 465, 478, 485, 490, 507 Mecklenburg, Herzogtum 65, 80, 87 Meisenheim 207, 231, 327, 349, 447, 448 f., 451–457, 460, 466, 498 Meißen (Chiffre für Kursachen) 247, 320 f. Merseburg 235, 387 Methone (Chiffre für Weimar) 209, 212 Mömpelgard, Grafschaft 118, 120 Monsheim 220, 305 München 11, 24, 463, 465 Nassau, Grafschaften 96, 113, 118 Naumburg ohne Naumburger Konvent, Naumburger Vertrag (siehe Sach- und Themenregister) 235, 269, 487 Nauplia 209 Nidda 82, 202, 299 Nordhausen 79 Nürnberg 63, 87, 90, 164, 194 f., 300–302, 342, 365 f. Österreich, Erzherzogtum 42, 46 f., 50 Oppenheim 324 Orlamünde 241 Öttingen, Grafschaft 118 Passau, Fürstbistum 54 Pfalz, Kurfürstentum ohne die Quellenangabe ‚Kurpfälzisches Protokoll‘ 17, 20, 43–46, 50, 51, 54, 57, 58–61, 63, 65, 66 f., 71–74, 78, 80, 82 f., 85–87, 90–92, 94, 111, 115, 118, 119, 120, 122–124, 126, 130, 132, 137, 140, 155, 200, 204, 211, 213, 220 f., 233, 240 f., 249–259, 268, 281 f., 301, 304 f., 312, 325 f., 328, 330, 331–337, 349, 356, 385, 399, 441, 445, 448, 450, 476–478, 483 f., 489, 492, 495, 508 Pfalz-Neuburg, Fürstentum 80
529
Pfalz-Zweibrücken, Herzogtum ohne die Quellenangabe ‚Pfalz-zweibrückisches Protokoll‘ 46, 65, 87, 118, 120, 136, 226, 240, 327, 447, 451, 508 Pfeddersheim 22, 220 f., 502 Pfullingen 137, 206, 228, 230 Pommern, Herzogtum 3, 17, 23–25, 43, 54, 65, 80, 82, 87, 90 f., 114, 202 f., 215, 218, 249, 250, 258, 279, 298–300, 303 f., 307, 327, 347, 386, 427, 433, 441, 464, 471, 499, 502 Polen 168 Preußen, Herzogtum ohne die Quellenangabe ‚Preußischer Bericht‘ 3, 10 f., 17, 21, 24, 25, 37, 68, 119, 129, 135, 162–186, 187, 188, 191, 193, 198, 259 f., 267, 343, 348, 419, 498–503 Regensburg ohne Regensburger Nebenabschied, Regensburger Reichsabschied, Regensburger Reichstag (siehe Sach- und Themenregister) 4, 24, 41, 43–45, 49, 56 f., 58, 59, 60 f., 62 f., 66, 68, 70, 73–76, 78 f., 81, 82, 83, 84–86, 91, 92, 93, 95, 97, 98 f., 110, 112, 118 f., 121, 124, 125, 135, 140, 154 f., 165 f., 174, 182, 184, 239, 241, 254 f., 258, 314, 310, 477, 483, 485 Riesenburg 164 Rom 42, 189, 212, 505 Rosengarten 219 Rügen 203 Sachsen(-Weimar), Herzogtum / ernestinisches Sachsen (siehe auch Weimar) 3, 6, 8 f., 17, 19, 21–24, 32, 33, 43, 46, 54, 57, 63, 65, 58, 60, 68, 71–74, 79–87, 89–92, 97, 114, 124, 127, 138–153, 157 f., 160 f., 179, 187, 200–203, 207, 209–219, 223 f., 226 f., 231–244, 246 f., 249 f., 254, 257, 259–277, 279–283, 285–287 f., 290– 298, 301, 304 f., 318–323, 325, 327–329, 331, 333, 335–338, 347 f., 350–352, 354, 362, 363, 367–377, 379–384, 390 f., 399, 400–405, 410, 413, 420, 421, 428–430, 437, 444, 445, 448, 451–455, 457, 460–466, 467, 471, 476–478, 483–486, 488 f., 491 f., 494, 496, 504, 508 Sachsen, Kurfürstentum / albertinisches Sachsen 6, 9, 17, 19, 21–24, 32, 36 f., 42–46, 50 f., 54, 57, 58–62, 65, 69, 73, 78, 80 f., 82, 84–92, 97, 111, 113, 114–117, 127, 134, 136, 139, 142, 145,
530
Register
153–162, 165, 172, 179, 181, 199, 201–204, 205, 207 f., 211–213, 216, 218 f., 227, 231, 239, 244–247, 249–258, 259, 266, 276, 279, 281–283, 286, 288, 293, 295, 297, 300–302, 318, 320–325, 327–331, 334–336, 374, 375, 376, 379, 380–382, 384, 390, 392, 394 f., 411 f., 416, 420, 429, 431, 441–443, 446, 449 f., 470 f., 476–478, 481, 483 f., 489, 494, 499, 506, 508 Salzburg, Fürsterzbistum 46, 50, 65, 77, 244 Schwäbisch-Gmünd 46 Schweiz 50, 67 f., 83, 92, 100, 102, 120, 125, 217, 290, 338, 343, 509 Speyer 322, 324 Speyer, Fürstbistum 49, 205 Stendal 81 Stettin 300 Straßburg ohne ‚Straßburger Reformation‘ (siehe Sach- und Themenregister) 18, 46, 100, 79, 81 f., 83, 87, 90, 118 f., 137, 200, 211, 213, 218, 220, 233, 249, 298–301 Stuttgart 4, 17, 24, 58, 62, 64, 68 f., 75, 78, 79, 82, 83 f., 88, 92 f., 95 f., 97, 99–101, 102, 105, 109, 111, 113 f., 116, 118, 129, 130, 137, 164, 166, 176 f., 183, 184, 186, 189, 193, 194 f., 201, 208, 215, 229, 322, 342 f., 348, 445–447, 500–503 Trient ohne Konzil von Trient (siehe Sachund Themenregister) 88 Trier, Kurfürstbistum 46, 54 Tübingen 103, 133, 204, 206, 210, 223 f., 237, 447 Ulm 63, 87 Urach 101, 105, 107, 109, 230, 447 Waldenbuch 176 f., 180 f., 183 f., 186, 222, 447
Weimar ohne ‚Weimarer Instruktion‘ (siehe Sach- und Themenregister) 8, 9, 11, 21, 24, 32, 33, 68, 72, 138, 152 f., 201, 205, 207, 209, 211–217, 219, 224, 228 f., 231, 233, 240–243, 249 f., 253, 279, 281, 287, 293, 300, 322, 327, 329, 350 f., 357, 359, 361, 363, 365, 381, 402 f., 446, 447, 451, 457, 458 f., 461, 462, 466, 468, 471, 481, 485, 490 f., 494, 503, 508 Wetterau 46, 65 Wien 11, 16 Wiesensteig, Herrschaft 166 Wildbad 221–223 Wittenberg ohne ‚Wittenberger Kapitulation‘, ‚Wittenberger Konkordie‘, ‚Wittenberger Reformation‘ (siehe Sach- und Themenregister) 6, 7, 10, 19, 30, 34, 35, 36, 81 f., 86, 90, 92, 117, 153 f., 156, 157, 161, 168, 171, 176, 203, 204, 209, 249, 284, 288, 291, 292, 299 f., 313, 314, 322, 331, 338, 344, 362, 365, 379, 385, 416, 417, 425, 429, 456, 483, 487, 502, 506, 509 Wolfenbüttel 8, 21, 24, 215 Wolgast 203 Worms passim Württemberg, Herzogtum 17, 20–24, 25, 43, 46, 55, 57 f., 59, 60 f., 62, 63, 65, 68 f., 72, 73, 75–78, 80–87, 89, 91 f., 94–112, 114, 116 f., 119, 122, 129, 130, 133–135, 137, 140, 155, 161–201, 203, 205, 206, 208 f., 211, 215, 218–226, 229 f., 232, 233 f., 238, 240 f., 244, 245, 249–251, 254 f., 259 f., 268 f., 274 f., 295, 298–302, 305, 312, 315, 318, 330, 334 f., 338, 342–348, 352 f., 355 f., 366, 418, 425, 435, 441–443, 445–450, 456, 466–468, 477 f., 483, 495, 498–503, 508, 510 Zell an der Pfrimm 220 Zürich 81, 509
3. Historische Personen Zu den Kurfürsten und Fürstbischöfen von Mainz, Köln, Passau, Salzburg, Speyer und Trier vgl. die im Register der Orte und Territorien angegebenen Verweise. Agricola, Johann 242 Alber, Matthäus 80, 89 Albrecht, Herzog von Bayern 42, 124, 322, 447
Albrecht, Herzog von Preußen 10, 129, 163–179, 184, 185, 259, 260, 348, 419, 477, 499 f., 502 Alemann, Christian (Pseudonym Basilius Monners) 321 f.
3. Historische Personen Alesius, Alexander, genannt Scotus 80, 82, 87, 91, 155, 162, 259 von Amsdorf, Nikolaus 35, 68, 85 f., 92, 214, 216, 289–291, 311, 314, 418, 507 Andreae, Jakob, auch Faber oder Fabri genannt 20, 80, 82, 89, 92, 97, 119 f., 137, 172, 178, 192 f., 196, 200, 219, 220 f., 312, 318, 331, 343–345, 348–352, 379 f., 384, 385, 386, 397, 435, 443, 464–468, 472, 478, 482, 484–486, 499–503 Anna Maria von Brandenburg-Ansbach 301 Aristophanes 328 Artopoeus, Petrus 300 August, Kurfürst von Sachsen 17, 18, 24, 32, 34, 42, 50, 65, 69, 78, 86 f., 90, 96, 98, 99, 101, 102, 103, 105, 111, 113–118, 130, 133, 136, 137, 153, 154–158, 159, 160, 162, 166, 184, 186, 189, 201, 204 f., 207 f., 216, 250, 252–255, 256, 259 f., 278 f., 291, 293, 295, 322 f., 339, 354, 374, 376, 380–382, 384, 386, 390–392, 394 f., 405, 429, 431, 442, 449, 452, 471 f., 481, 494, 499, 501 f., 507 Aurifaber, Andreas 167, 168, 170 f., 172–174, 176, 502, 503 Aurifaber, Johannes 19, 35, 68, 71, 72, 207, 213–215, 216, 241, 243, 259 f., 279, 318, 320, 324–329, 334, 341, 343, 349–351, 361, 374, 378 f., 382, 399, 400, 402, 403, 422, 448, 449, 507 Barnim, Herzog von Pommern 54, 65, 203 Baumgartner, Hieronymus 154, 168, 171 Ber, Kaspar 88 Besold, Hieronymus 154 Beurlin, Jakob 80, 82, 87, 89, 91 Beyer, Hartmann 324, 484 Beza, Theodor 484 Blarer, Ambrosius 197 Bonaventura 214 Braubach, Peter 324 Brenz, Johannes 2, 10, 19, 24–26, 79, 82, 84–89, 92, 107 f., 117, 129, 162 f., 169, 173 f., 176–185, 187, 191–197, 201–203, 209, 219, 220 f., 234, 245–248, 249, 259, 260, 270, 291, 301, 303–305, 312, 316–318, 331, 337–349, 351 f., 355 f., 365 f., 379 f., 385, 386, 397, 417, 418 f., 422, 425–427, 435, 443, 456, 467, 470, 471, 472, 478–480, 481, 482, 492, 498–504, 508 Brück, Christian 73, 140
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Brylinger, Nikolaus 321, 323–326, 329 Bugenhagen, Johannes 81 Bullinger, Heinrich 19 Burchard, Franz(iskus), auch Franciscus Vinariensis genannt 152 f., 214, 241, 403, 488, 490 Buscoducensis, Heinrich 314 Butzer, Martin 140, 152, 299 Caesius, Johann 241 Calvin, Johannes 19, 81, 88, 353, 397, 407, 409, 410, 418, 422 f., 509 Camerarius, Joachim 19, 86, 154, 209, 212, 246, 319, 320, 321, 324, 328, 329, 332, 376, 385, 483 Canisius, Petrus 2, 13, 19, 22, 387, 390, 397, 398, 406–408, 413, 420, 421, 491 von Castell, Heinrich Graf 118 Chemnitz, Martin 202 f., 247, 301, 484 Christian III., König von Dänemark 90, 156, 204, 207, 327, 493, 507 Christoph, Herzog von Württemberg 4, 13, 17 f., 22 f., 50, 55, 57 f., 59, 61, 62, 63 f., 65 f., 67, 68–70, 72–74, 75–79, 81 f., 83–85, 91, 92–118, 119, 122, 124, 128, 130, 133–135, 137, 140, 153, 155, 162 f., 164–187, 189, 196 f., 200 f., 202, 203– 206, 207, 208 f., 210, 211, 215 f., 219, 220, 222–231, 237, 241, 244, 255, 259, 268, 278, 295, 301, 322, 336, 346, 349 f., 444–450, 452, 454, 456, 464, 466 f., 476, 483, 486, 494 f., 500 f., 503 f., 507 Christoph, Markgraf von Baden 119 Chyträus, David 80, 83 f., 87, 484 Claviger, Ambrosius 314 Cracow, Georg 19, 24, 32, 155, 162, 207, 250, 254, 260, 279, 293, 295, 323, 374, 376, 380–382, 384, 390–392, 394 f., 405, 411 f., 415, 431, 471 f., 481, 494 f., 499 Cracow, Valerius 323 f. Dietrich von Bern 219 Diller, Michael 119 f., 200, 251, 385, 386 Eber, Paul 19, 82, 92, 155, 162, 212 f., 246, 249, 254, 256, 385, 386, 450, 464, 489, 507 von Eberstein(-Neugarten), Ludwig Graf 24, 32, 34, 158, 160–162, 205, 207, 250, 254, 255, 260, 276, 278, 279, 293, 295, 323, 374–376, 380–382, 383, 384, 390–392, 394 f., 405, 411, 427, 429, 431, 450, 471 f., 481, 494 f., 499
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Eck, Johann 314, 355, 435 von Einsiedel, Heinrich 24, 32, 155, 162, 207, 250, 254, 279, 293, 295, 323, 374, 376, 380–382, 384, 390–392, 394 f., 405, 411, 431, 471 f., 481, 494 f., 499 Eisen, Werner 54, 92, 199 f., 211, 219, 258, 330 Eißlinger, Balthasar 58 f., 61–63, 70, 73, 75 f., 78 f., 81 f., 84, 91, 95 f., 97, 98, 114, 115, 135, 199–201, 209, 211, 219, 220, 223, 330, 445–447, 467 von Erbach, Graf Georg 118, 251 Faber siehe Andreae, Jakob Fabri siehe Andreae, Jakob Fabri, Johann 80 Farel, Guillaume 484 Ferdinand I., römischer König 9, 11, 16, 28, 41–45, 47–51, 53, 64, 77, 115, 159, 244, 295, 322, 368, 393, 458, 461, 468 f., 470, 473, 507 Fessler, Johann 137, 187 Flacius, Matthias, genannt Illyricus 6, 11, 13, 19, 33, 35, 81, 83, 85 f., 92, 97, 125, 138, 141, 148–153, 183, 210, 213, 217 f., 221, 241 f., 244, 245, 246, 248, 254, 267, 284, 297, 310, 315, 319, 328 f., 331, 407, 408, 410, 417 f., 422, 424, 435, 480–494, 508 Flinspach, Cunemann 87 Franciscus Vinariensis siehe Burchard, Franz Frecht, Martin 89 Friedrich, Kurfürst von Sachsen 239 Friedrich, Pfalzgraf von Simmern 118, 119 Friedrich, Pfalzgraf von Zweibrücken 453 Gallus, Nikolaus 22, 35, 81, 83, 85 f., 92, 120, 124–129, 133, 154, 172, 182, 187, 241, 407, 422, 435, 484–486, 491 f. Georg, Fürst von Anhalt 416 Georg, Graf von Württemberg 118, 119 Georg Friedrich, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 54, 65, 92, 116, 118, 199, 258, 301, 385, 386 Gerhard, Paul 247, 248 Gerhard, Hieronymus 187 Gerschau, Timotheus 25, 119, 164, 167 f., 170–176, 179, 259 f., 499 f. Gigas, Johannes 291 Grafen der Augsburgischen Konfession 54, 91, 137, 206, 441
Gresser, Daniel 81, 87 von Gültlingen, Balthasar 22, 244, 255, 278, 445, 467 von Gutmannshausen 257 Hagen, Bartholomäus 192 f. von Hanau-Müntzenberg, Philipp Graf 118 Hans, Markgraf von Brandenburg-Küstrin 65, 80 Hardenberg, Albert 19, 88, 248, 280, 283, 314, 329 von Harstall, Georg 214 Heerbrand, Jakob 80, 89 Heinrich, Herzog von Sachsen 252 von Helfenstein, Grafen 116 Helding, Michael, Bischof von Merseburg 2, 235, 387–391, 395–397, 406–408, 410, 413, 415, 420, 421, 491 von Henneberg, Grafen 65 Hermann, Jakob 200, 220 Heshusen, Tilmann 87, 267 Heyles, Philipp 59 von Hohenlohe, Grafen 118, 119 Hügel (Hugel), Andreas 241, 493, 508 Hyperius, Andreas 80, 87, 91, 120, 127 von Isenburg-Büdingen, Graf Reinhard 118, 206 Jesus 263 Joachim, Fürst von Anhalt 65, 278–280, 284, 288, 289, 290, 293 Joachim, Kurfürst von Brandenburg 65, 114, 447 Johann, Kurfürst von Sachsen 239 Johann Albrecht, Herzog von Mecklenburg 65 Johann Friedrich der Ältere, der Großmütige, Kurfürst, später Herzog von Sachsen 6, 71 f., 141–143, 283, 296, 321, 377 Johann Friedrich der Jüngere, Herzog von Sachsen (siehe auch von Sachsen, Herzöge) 214 Johann Friedrich der Mittlere, Herzog von Sachsen (siehe auch von Sachsen, Herzöge) 3, 13, 17–19, 20, 24, 26, 60, 133, 134, 138, 141, 144, 145, 148 f., 150, 151, 200 f., 202–209, 210, 211, 213 f., 216, 217, 221–243, 244, 247, 250 f., 256 f., 260–264, 268, 269, 273, 277, 279, 282, 283, 284, 291, 295, 297 f., 303,
3. Historische Personen 319, 325–332, 337 f., 345, 348–351, 357, 367 f., 369–371, 373, 375 f., 377–380, 381 f., 383 f., 398–405, 410, 413, 417, 420 f., 425, 430, 431–434, 437, 444, 447–449, 451–467, 468, 477–479, 485 f., 487, 490, 494–496, 498, 499, 504, 508 Johann Georg, Markgraf von Brandenburg 447 f. Johann Georg, Graf von Mansfeld 19, 32 f., 63, 244, 249, 256–259, 334, 348, 417, 496, 498 Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen (siehe auch von Sachsen, Herzöge) 214, 216 Karg, Georg 80, 82, 87, 89 f., 119 f., 200, 219, 258, 299–303, 304, 358, 385, 386, 391, 395–397, 406 f., 415, 422, 426, 433–435 Karl V., Kaiser 11, 34, 42, 115, 140, 212, 307 f., 321, 363, 388, 396, 414, 497 Karl, Markgraf von Baden 65, 118, 119, 447 Karlstadt, Andreas 6, 506 Kiesewetter, Hieronymus 157 Knoder, Johann 137 Kraft, Adam 80, 87, 89, 91 Krauß, Johannes 447 von Küssow, Christian 203, 249 f., 259 f., 279 f., 281, 298, 304, 386, 499 Landschad von Steinach, Christoph 227 a Lasco, Johannes 193 Leib, Christoph 156 von Lindenau, Heinrich 155, 162 von Limburg, Heinrich 118 Ludwig, Pfalzgraf von Simmern 118, 119 von Lüchau, Hans Siegmund 222, 447 Lukian von Samosata 328 Luther, Martin 12, 14, 30, 34–36, 58, 78, 125, 142, 144, 194, 242, 248, 268, 271, 274, 276, 283, 289, 291, 307, 310, 313, 338, 355, 363, 414, 415, 416, 435, 482 f., 488, 491, 497, 506, 510 Magerius, Andreas 82, 87, 91 Major, Georg 68, 81, 83–85, 89, 92, 146, 212, 217, 234, 236, 246, 249, 254, 256, 266, 272, 274, 282, 291, 295, 304, 310 f., 318, 344 f., 352 f., 360, 381, 391, 394, 397, 407, 409, 410, 415, 418, 422 f., 435, 489, 503, 507
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Marbach, Johannes 18, 79 f., 82 f., 85–87, 89 f., 119, 127, 169, 200, 220 f., 299–304, 357 f., 385, 386, 422, 426, 433–436, 443, 504 Maria, Herzogin von Pommern 327 Marsilius, Caspar 80 von Massenbach, Severin 58 f., 61–63, 70, 73, 75 f., 78 f., 81 f., 84, 91, 95–98, 135 von Massenbach, Wilhelm 165, 167, 168, 169, 170, 175, 187 Matthesius, Johannes 154, 322 Maximilian (nicht identifiziert) 214 Melanchthon, Philipp 2, 6, 9–13, 17, 18–24, 26, 30 f., 33, 79, 82, 85–92, 97, 101, 105, 107, 109, 112, 115, 117, 125, 140, 151–158, 160–164, 168 f., 171, 184, 191, 193, 194, 195, 202 f., 204, 207, 209, 211 f., 213, 216, 218, 221, 234, 242, 243–249, 256, 259, 266 f., 269–271, 274, 278–280, 283 f., 287–293, 295 f., 300– 305, 307–316, 317, 318–324, 326–329, 331 f., 334, 337–344, 349, 352–367, 375 f., 378, 379 f., 385–387, 389, 390, 391, 396 f., 406, 408, 411–426, 438 f., 442 f., 447, 456, 457, 472, 477, 479–483, 487, 489, 491–493, 498–504, 507–509 Menius, Justus 87, 489 Meretzki, Jakob 218 Milichius, Jakob 209, 245, 246 f., 390 von Minckwitz, Erasmus 73, 85, 123 f., 257 Mörlin, Joachim 15, 19, 32–35, 79 f., 82–88, 90–93, 202 f., 212, 217, 218, 233, 246–249, 259, 267, 274, 284–287, 301 f., 304 f., 317, 319, 330 f., 336, 347–352, 359, 361 f., 364, 367, 369, 371, 374, 381, 384, 386, 389, 391 f., 394, 401, 419, 421, 427, 434, 435 f., 437 f., 439, 440, 455, 457–459, 461, 462, 472, 477, 483 f., 489, 490, 492, 494, 497, 504 Mörlin, Maximilian 79, 85, 241 Molitor, Caspar 241 Moritz, Herzog, später Kurfürst von Sachsen 60, 166, 289, 321, 424 Monner, Basilius, auch unter den Pseudonymen Christian Alemann, Regius Selinus und Thrasyboulos 3, 19, 32, 35, 145, 151, 200–203, 209–213, 215–218, 221, 223, 228 f., 231 f., 233, 234, 236– 238, 240, 243 f., 245–247, 250 f., 256 f., 260–263, 266 f., 271, 273, 277, 279, 281–284, 293, 296–298, 304, 318–332, 334, 338, 345, 361, 367, 369, 399, 460, 477 f., 489–491, 493 f., 497
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Mordeisen, Ulrich 97, 114 f., 153 f., 156 f., 161, 172 Mülich, Wolf 214 Musäus, Simon 241 Musculus, Andreas 80, 82, 87, 90, 203, 258 f. Necker 119 von Obernitz, Hans Veit 214 Ofenbach, Conrad 206 Oporinus, Johannes 322, 323 f. Osiander, Andreas 10, 25, 67 f., 84, 100, 146, 163–165, 170, 172–174, 179–184, 187, 193–196, 198, 234, 248, 249, 265 f., 267, 273, 274, 284, 292 f., 304, 312, 315–318, 331, 338–353, 356, 360, 363, 365 f., 397, 406 f., 413, 414 f., 418 f., 422 f., 435, 439, 456, 466, 481, 483, 492, 499–503, 508 von Öttingen, Ludwig Graf 63, 118 Otho, Anton 79 f., 85, 291, 418 Ottheinrich – bis 1556 Pfalzgraf (Pfalz-Neuburg) 61, 65, 66, 107 f., 252 – ab 1556 Kurfürst von der Pfalz 4, 18, 43, 58–61, 65 f., 67, 68–70, 73, 74 f., 76, 78, 80, 85 f., 89, 95, 100, 105, 109, 111, 113, 115–117, 118, 124, 133, 153, 155, 164 f., 200, 204–206, 208, 215, 220, 222 f., 227, 229 f., 251–258, 268, 298, 328, 334–337, 349 f., 356, 444 f., 447 f., 449, 452, 454, 456, 464, 466 f., 483, 486, 489, 494 f., 507 Otto, Johann 214 Paceus, Valentin 81 Paul IV., Papst 42 Paulus 263, 272, 345 Petrus 272 Peucer, Caspar 19, 245, 246 f., 326, 328, 334, 359, 390 von Pflug, Julius, Bischof von Naumburg, Präsident des Wormser Religionsgesprächs 2, 16, 19, 22, 235, 244, 254 f., 267, 274, 278 f., 281, 364, 368, 371, 390, 392 f., 401, 405, 408, 431, 433, 436–447, 449–453, 457–462, 465, 468–470, 473, 479, 487, 495, 497 Philipp, Landgraf von Hessen 14, 17 f., 24, 54, 58, 65, 69, 73, 87, 96, 112, 113 f., 116 f., 118, 130, 136, 137, 154, 156 f., 158, 172, 184, 186, 200 f., 202, 203, 208, 210, 217, 239, 245, 275, 471, 501
Philipp, Herzog von Pommern 3, 54, 65, 203, 250, 259 f., 280 f., 298, 302, 304, 327, 427, 433, 466, 468, 472, 473, 499, 502, 504 Philipp Franz, Rheingraf 119 Pistorius, Johannes 79, 82, 87, 89, 119 f., 202 f., 208, 210, 217, 246, 299–304, 358, 385, 386, 422, 426, 433–436, 504 von Plieningen, Dietrich 137 Poach, Andreas 79, 85, 418 von Ponickau, Hans 157 Portner, Caspar 125 Prätorius, Petrus 82, 87, 91 Rau von Holzhausen, Jobst 200, 201, 202 f., 210, 217, Regius Selinus (Pseudonym Basilius Monners) 212, 322 von Rheineck, Graf 118 Rosinus, Bartholomäus 80 Runge, Jakob ohne Fußnotenverweise auf ‚Runges Bericht vom 2. Oktober 1557‘ 3, 17, 25, 37, 80, 82, 87, 90, 164, 203, 215, 249, 259, 280, 283, 298, 299–305, 307, 316–318, 332, 334, 339, 347, 352– 355, 358, 366, 373, 385, 386, 411–413, 416, 420–427, 430, 431, 433–435, 436, 441 f., 446, 449, 466, 468, 470, 473 478, 489, 501, 504 f. von Sachsen, Herzöge 60, 65, 68, 72 f., 83, 86, 124, 133, 138, 140 f., 144, 148 f., 150 f., 158, 169, 210, 214, 233, 283, 322 f., 471, 484, 486 f., 489, 492 Sarcerius, Erasmus 15, 17, 19, 32–35, 63, 80, 82, 86–88, 91 f., 202 f., 217, 233, 244, 246 f., 249–251, 256–259, 267, 284–287, 302, 304, 317, 319, 330, 334, 336, 347–349, 374, 386, 389, 392, 417, 421, 434, 435 f., 437, 462, 472, 477, 482, 489, 490, 494, 496, 498, 504 Schmitmer, Hans 175 Schneidewin, Heinrich 60, 73 Schnepf, Dietrich / Theodor 80, 82, 89, 245 Schnepf, Erhard 2, 3, 13, 15, 19, 20, 22, 32–35, 43, 68, 73, 79, 82 f., 85–89, 138, 141, 145, 148, 149, 150, 197, 200–202, 211, 213, 217, 218, 223, 228 f., 231–233, 236–238, 240, 243 f., 245, 247, 250, 259, 260–263, 267 f., 269, 271, 273 f., 277, 279–285, 287 f., 290–297, 303, 304, 319, 325, 327, 330–332, 336–344, 345, 352,
3. Historische Personen 354–356, 367, 369, 374, 377, 379, 381, 383 f., 386, 389 f., 392, 394, 399, 404 f., 409 f., 413, 417, 419, 420, 421, 425, 427 f., 430, 431–437, 438 f., 440, 443, 444, 448 f., 452, 457 f., 459, 460–465, 466–468, 481, 482, 486 f., 489, 492–495, 497, 498, 504, 508 von Schwenkfeld, Caspar, auch verballhornt als Stenkfeld 67 f., 100, 146, 396, 409, 410, 439 Scotus, Alexander Alesius siehe Alesius Scotus, Johannes Macchabäus 80, 82, 89 f., 203, 258 Seld, Georg Siegmund 244, 408, 409, 440, 443, 444, 457 f., Senfft von Sulburg, Walter 200, 211, 251, 330 Servet, Michael 284, 396 f., 407, 414 f., 439 Siegfried 219 Sitzinger, Ulrich 118, 120, 136, 327 von Solms, Friedrich Magnus Graf 118 Stähelin, Bartholomäus 321 Stancarus, Franciscus 407, 409, 410, 413, 414 f., 422 Staphylus, Friedrich 432 Stenkfeld siehe Schwenkfeld, Caspar Stigel, Johannes 154 Stössel, Johann 3, 15, 19, 32–35, 81–83, 85 f., 91, 145, 200–202, 211, 213, 217, 223, 228 f., 231–233, 236–238, 240, 243, 246 f., 250, 259, 260–263, 267, 271, 273 f., 277, 279, 296 f., 303, 319, 325, 330 f., 338, 345, 367, 377, 379, 381, 383 f., 386, 389, 391 f., 399, 404, 405, 410, 413, 420, 421, 427, 430, 434, 435 f., 437, 438 f., 440, 444, 448 f., 452, 457–459, 461–465, 489, 492, 497, 494, 504 von Stolberg, Graf von 118 Stoll, Heinrich 82, 85, 87, 90, 119, 120, 200, 251, 385 Stolz, Johann 68, 71, 72 Strigel, Victorinus 3, 15, 19, 20, 25 f., 32–35, 68, 80, 82–86, 90, 138, 145, 148– 150, 200–202, 211, 213, 217, 223, 228 f., 231–233, 236–238, 240, 243, 247, 250, 259, 260–263, 267 f., 269, 271, 273 f., 277, 279, 287, 292, 296 f., 303, 305, 312, 319, 325, 327, 329–352, 355, 356–383, 384, 386, 390, 392, 398–400, 402, 404–406, 410, 413, 417, 419, 420, 421, 422, 425, 427 f., 430, 431–440, 444, 448 f., 451–460, 461 f., 463–468, 472, 478, 485, 486 f., 489, 492–495, 497, 498, 504, 508
535
Tettelbach, Wilhelm 385, 386 Thamer, Theobald 274, 396 f., 407, 408, 413, 414 f., 439 Thangel, Lukas, auch als Daniel oder Tanigel 60, 73, 140, 319 f., 329, 457 f., 459–462, 468, 470–472 von der Thann, Eberhard 50, 51, 60, 66–68, 72–74, 85 f., 124, 126, 140, 254, 258, 356 von der Thann, Friedrich 24, 208, 471 Thrasyboulos (Pseudonym Basilius Monners) 212, 319 f., 321 Thun von Leiningen, Friedrich 445, 447 f., 450 Timann, Johann 79 f., 85 Toussain, Peter 120, 127 Ursinus, Zacharias 484 Vannius, Valentin 81 Vergerio, Pier Paolo 222, 230, 231, 322 Vermigli, Petrus Martyr 81 Vincentius, Petrus 209, 246 Vogel, Matthias / Matthäus 129, 162 f., 167, 168, 170, 176–185, 187, 193, 194, 196, 343, 348, 500 von Waldburg, Hans Jakob Erbtruchseß 168, 170, 171, 176 f., 178 Walter, Johann 507 Wesenbeck, Matthias 507 Westphal, Joachim 35, 79 f., 85–88, 92, 314, 324, 353, 484 Wetterauer Grafen 46, 65 Wigand, Johann 79 f., 85, 267, 484 Wild, Kaspar 137 Wilhelm, Graf von Nassau 114, 117 f. Wilhelm, Herzog von Jülich 113, 118 Winsheim, Sebastian Theodor 246 Witzel, Georg 51 Wolff, Andreas 214 Wolfgang, Pfalzgraf / Herzog von Zweibrücken 18, 65, 118, 120, 207, 211, 221–227, 230, 231, 241, 237, 241, 453 Zanchi, Hieronymus 81 Zasius, Johann Ulrich 44, 115, 322 Zwingli, Huldrych / Ulrich 68, 129, 196, 236, 265 f., 273, 284, 338, 340, 342–344, 360, 397, 409, 413, 414 f., 418, 423, 509
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Register
4. Spätere Autoren bei über bloße Verweise hinausgehender Erwähnung Barton, Peter F. 33 Beck, August 13, 322 Bizer, Ernst 24, 169, 178 Bossert, Gustav 22, 218, 220, 245, 482 von Bucholtz, Franz Bernhard 9 von Bundschuh, Benno 10–12, 21, 27, 30, 33, 87 f., 91, 118 f., 132, 139, 150, 159, 183, 232, 303, 310, 319, 333, 335, 337 f. 340 f., 357, 359, 361, 362 f., 366, 384, 390–392, 398, 408, 420, 424 f., 440, 445, 457, 481, 507 f., 509
Keller, Rudolf 34 f. Kirchhoff, Albrecht 322 f. Klueting, Harm 11 f. Koch, Ernst 3, 8, 12, 14, 31, 34, 481, 493, 510 Körner, Hans 73 Kolb, Robert 35, 320–323 Kugler, Bernhard 13, 17, 137, 183, 201, 222 f., 229, 446, 447 Kurze, Barbara 73, 85, 118 f., 123, 251, 255 f.
Decot, Rolf 23 Deetjen, Werner Ulrich 6 Deuschle, Matthias 345 Dingel, Irene 12, 14, 28 f., 491
Langensteiner, Matthias 14
Ernst, Viktor 17, 22 f., 94, 103–105, 109 f., 119, 132, 133, 216 Fecht, Johannes 434 Fligge, Jörg Rainer 10–12, 17, 24, 26, 33, 112, 154, 162 f., 165 f., 167, 168, 172, 175, 178 f., 183, 201, 279, 303, 311, 333, 342, 347, 357 f., 361, 362, 365, 370, 390, 404, 410, 412, 420, 421, 468, 481 Förner, Friedrich 21, 461 Ganzer, Klaus 23 Gensichen, Hans-Werner 269 Hartmann, Julius 13, 150, 481, 494 Heckel, Martin 14 Heidenhain, Arthur 14 Heppe, Heinrich 8–10, 12, 13, 21, 24, 27, 29, 33, 36, 118 f., 125, 134, 156, 183, 184, 186 f., 201, 302, 303, 319, 333, 370, 390, 399, 410, 412, 420, 424, 434, 447, 452, 482 Hollerbach, Marion 28 Janssen, Johannes 9 Kaufmann, Thomas 5 f., 14, 30–34, 506 Kawerau, Gustav 10
zur Mühlen, Karl-Heinz 23 Müller, Gerhard 11, 12 Müller-Streisand, Rosemarie 94, 104, 109, Olson, Oliver K. 13, 482 f., 486, 494 Pfnür, Vinzenz 12 Planck, Gottlieb Jakob 8–10, 482 Pressel, Theodor 24 Rieß, Florian 13 Rückert, Hanns 195 Salig, Christian August 8 f., 13, 119 f., 125, 319, 482 Sattler, Christian Friedrich 23, 56, 65, 71, 119, 125 Seebaß, Gottfried 23, 502 Scheible, Heinz 13, 22, 333, 412, 416, 420 Schneider, Max 322 Schlaich, Klaus 383 Schornbaum, Karl 22 Stupperich, Robert 248, 249 Trenkle, Theodor 22 Wolf, Gustav 8–12, 14, 21, 23 f., 27, 29, 33, 55, 88 f., 111, 118, 125, 185, 200, 201 f., 232, 310, 319, 333, 357, 358, 359, 360, 362, 366, 368, 378, 390–392, 398 f., 410, 420, 447, 453, 488
5. Sachen und Themen
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5. Sachen und Themen Abendmahl / Abendmahlslehre (siehe auch Adoration, Artolatrie, Transsubstantiation) 6, 19, 99 f., 117, 127, 133, 196, 235, 248, 273, 289–291, 304, 309, 312–316, 318, 331, 345, 353 f., 406 f., 415, 435, 503, 506 f. – Abendmahlsauffassung Luthers 338 – Abendmahlsauffassung, schweizerische (siehe auch „Calvinianer“, „Sakramentierer“, „Zwinglianismus“) 67, 92 f., 100, 102, 290, 342 – Abendmahlsliturgie 100, 103, 105 – Abendmahlsbekenntnis, Stuttgarter siehe Stuttgarter Abendmahlsbekenntnis Abendmahlsstreit 164 – Ansbacher 300, 385 f., 434 – zweiter 88, 102, 117, 127, 196, 309, 312 f., 353 Abzug siehe secessio Adiaphora 5 f., 144, 151, 152, 215 f., 248, 265, 269, 290, 295, 314–316, 318, 331, 344, 353, 394, 424, 429, 435, 506 – „Adiaphorismus“, „Adiaphoristen“ 68 f., 151 f., 191, 210, 212, 215 f., 234, 236, 242, 265–269, 271 f., 274, 282–284, 289 f., 309, 344, 363, 365, 381, 391, 397, 409, 410, 413, 414–418, 422–424, 439, 469, 487, 489, 492, 503, 507 – Adiaphoristischer Streit 5 f., 144, 164, 271, 295, 300, 314 f., 317, 381, 506 – antiadiaphoristische Zuspitzung 151, 210, 242, 283, 314, 331, 487 f., 490 Adjunktenamt siehe unter Wormer Religionsgespräch 1557 Adoration, Anbetung des Brotes 290, 313, 314 Akten des Religionsgesprächs siehe unter Wormser Religionsgespräch 1557 „alte Religion“ (siehe auch „andere Religion“, „wahre uralte christliche Religion“) 50 f., 65 f., 461 „andere Religion“ (siehe auch „alte Religion“, „wahre uralte christliche Religion“) 65 Antagonismus, ernestinisch-albertinischer 6, 58, 142, 227, 246, 276, 297, 318, 321–325, 327 f., 331, 429 „Antichrist“ 98, 109 f., 189, 227, 409, 419 Antinomismus 418
– Antinomisten / Antinomer 242, 310, 413, 414, 415, 417 – Antinomistischer Streit 242 Apologie der Confessio Augustana 34 f., 71, 107, 122–125, 141–149, 161, 210, 225, 230, 233, 239, 242, 282–284., 288 f., 306–308, 313, 318, 363, 367, 376, 377, 402, 414, 426, 438, 456, 477, 486, 497, 507 ‚Articuli constituendi consensus‘, Konsensartikel 16, 293, 298–318, 358, 359, 361 f., 363 f., 365, 412, 414, 420, 422, 424, 433, 478 „Artolatrie“, Brotkult 314 Assessorenamt siehe unter Wormer Religionsgespräch 1557 Auctuarium 300 Auditorenamt siehe unter Wormer Religionsgespräch 1557 Augsburger Bekenntnis siehe Confessio Augustana Augsburger Interim siehe unter Interim Augsburger Konfessionsverwandte passim Augsburger Religionsfrieden (1555) 2–5, 7, 14, 40–43, 45, 49 f., 57, 65, 62, 67 f., 99 f., 108, 115, 127, 146, 165, 191, 210, 225 f., 232, 266, 494, 509 f. Ausschluß vom Religionsgespräch siehe unter Wormser Religionsgespräch 1557 ‚Badener Instruktion‘ siehe unter Instruktion ‚Beim Hinteren Weißen Schwan‘, Gasthaus 218, 298, 302, 432, 478 Begarden 408 Bekenntnis siehe auch Apologie der Confessio Augustana, Confessio Augustana, Confessio Saxonica, Confessio Virtembergica, Konfutationsbuch, Konkordienformel, Schmalkaldische Artikel, Stuttgarter Abendmahlsbekenntnis – Augsburger Bekenntnis siehe Confessio Augustana – Bekenntnis- und Verwerfungserklärung der gnesiolutherischen Deputierten an den Präsidenten siehe unter Verwerfung – Bekenntnisnormierung 147
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– Bekenntnisschriften 71, 141, 143, 145, 147–149, 307 – Bekenntnisstand 100 – Bekenntnisverpflichtung 66–69, 71, 73, 121–126, 131, 145, 148, 161 – casus confessionis 290 – „confessiones contra“ 274 – konfessorischer Impetus 274 – tempus confessionis, tempus confitendi 406, 410, 426 f., 435, 478 Böhmische Brüder 408 „Calvinianer“ (siehe auch Calvin im Personenregister) 407 casus confessionis siehe unter Bekenntnis ‚certus methodus docendi‘ 100–104, 106, 110 ‚certus ordo‘ siehe unter Kirchenordnung Chorrock (siehe auch Adiaphora) 215, 290 Christologie 503 Christus 100, 107, 109, 146, 194, 263, 274, 289 f., 312, 349, 385, 386, 407, 414, 476, 501 Confessio Augustana ohne Augsburger Konfessionsverwandte, ohne die genitivische Wendung Augsburgischer Konfession zur Kennzeichnung der Zugehörigkeit zur CA 4, 34 f., 57, 63, 65–68, 70–76, 99–101, 106–110, 117, 121–127, 129, 133, 138–149, 159–161, 165, 170, 182, 191, 210, 221, 225 f., 230, 232–234, 236, 239, 242, 247, 252, 254, 263, 266, 271, 281–284, 288, 289, 293 f., 296, 306–309, 310, 313, 318, 354 f., 358, 359, 363, 367, 376 f., 387–389, 396, 398, 402, 407, 408, 414 f., 417, 419, 426, 429, 435, 437 f., 444, 448, 456, 476 f., 486 f., 497, 505–507, 509 f. – Apologie der CA siehe Apologie der Confessio Augustana – Confessio Augustana von 1530 34 f., 123–125, 271, 307, 308, 363, 388, 396, 414 – Confessio Augustana variata 123 – Kirchenbegriff / CA 7 106 f., 109 f., 272 f., 505 Confessio Saxonica 88, 271, 301 Confessio Virtembergica 107 f., 112 corpus doctrinae 71 Coswiger Handlung 97, 152, 248, 267, 415–417, 483 f.
Deputierte – Begriff 29 – Deputation von Reichs wegen 29, 51, 233, 236, 294, 330, 372, 401 – Ersetzung von Deputierten 51, 54 f., 219, 231, 259, 295, 298, 443, 446, 449 – Nominierung 47, 51, 77–93, 119, 132 f., 155, 174, 199–203, 206, 245, 251, 258–260, 330, 443, 483 f. „deutsch-reformiert“ 10, 482 ‚Deutung zum Besten‘ siehe interpretatio ad bonam partem Dietrich-Epik 219 Eherecht 103 Einheit, „Einheitsideal“ (siehe auch Einigkeit) 94, 105–110, 505 – Begriff 110 Einigkeit, innerevangelische / der Augsburger Konfessionsverwandten, unter den evangelischen Deputierten (siehe auch Ekklesiologie sowie Kirchenbegriff / CA 7 unter Confessio Augustana) 3–5, 7, 65, 67, 72 f., 74, 94, 97, 99, 106–110, 112, 126 f., 131, 144 f., 149, 156, 160 f., 164 f., 192, 198, 199, 213, 227, 235, 257, 264, 272 f., 278, 282, 316, 335, 374, 375 f., 382–384, 388, 394, 406, 414, 417, 425, 426, 439, 476 f., 478, 481, 486, 497 f., 500, 505 – Begriff 110, 505 – ‚Bedenken über die Einigkeit‘ Herzog Christophs 70, 94–112, 165, 196, 346 Ekklesiologie (siehe auch Kirchenbegriff / CA 7 unter Confessio Augustana) 94, 104, 106–110, 235, 264 f., 272 f., 496 f., 504–507 evangelisch passim Exorzismus siehe Taufexorzismus unter Taufe Exklusion siehe Ausschluß von der Teilnahme unter Wormser Religionsgepräch 1557 Exklusion (als Gegenbegriff zu Inklusion) 148–150 „Flacianer“ 11, 33, 156, 209, 248 f., 310, 370, 445, 481 f., 494 – Begriff 33, 481, 494 forma instrumenti (siehe auch Instrumentierung) 383 ‚Forma protestationis‘ siehe unter Protestation
5. Sachen und Themen ‚Formula consensus‘ 507 f. ‚Formula subscriptionis‘, Subskriptionsformel 34, 356 f., 360, 361–367, 438 f., 497 f. Frankfurter Abschied (1557) 23, 113, 117, 120–139, 148–150, 153 f., 159 f., 172 f., 175, 181, 183 f., 188, 190 f., 199, 204 f., 206, 208, 224, 227, 233, 258, 282, 336, 476 f., 486 f. Frankfurter Konvent (1557) 13, 20, 22 f., 76, 113–138, 139, 153 f., 157, 165, 168, 172, 177, 182, 189 f., 199, 200, 224, 257, 275, 299 Frankfurter Rezeß (1558) 101, 120, 508 Frankfurter Tag / Fürstentag (1558) 105, 120, 508 Freistellung 43–46, 53, 59 f., 62 Fürstenzusammenkunft siehe unter Konventsprojekt Gegenreformation 508 f. Gegensatz, ernestinisch-albertinischer siehe Antagonismus, ernestinischalbertinischer Geistlicher Vorbehalt siehe Freistellung ‚Gemeinsame Relation‘ ohne Quellenbelege in den Fußnoten 9, 17, 24, 36, 255, 279, 281–283, 286–296, 303, 309, 313, 332, 369–373, 379, 381, 384, 391, 405, 412 f., 420, 422 f., 424, 427–431, 445, 448 f., 460, 462, 465, 467 Gesprächsteilnehmer siehe Deputierte Gewissen 75, 106, 150 f., 225 f., 238–240, 261, 270 f., 276, 277, 350, 370, 374, 376 f., 380, 394, 400 f., 427–429, 436, 439, 455, 456, 477, 479, 495 f., 502 f. gnesiolutherisch orientiert, gnesiolutherisch, „Gnesiolutheraner“ 25, 29–36, 68, 72, 74, 80 f., 83, 85 f., 88, 91 f., 120, 122 f., 125 f., 138, 140, 150, 152, 202, 217 f., 221, 226, 242, 244 f., 247, 248–250, 254, 256–259, 265–269, 271, 274, 276, 283–286, 290 f., 293, 298, 300–302, 307–319, 324, 330–332, 341, 344, 346–348, 351, 355 f., 360, 362, 364–366, 370, 375 f., 378–386, 389–394, 397 f., 400–405, 409–412, 414 f., 417–419, 421, 422 f., 424–444, 446, 449–453, 455, 456, 457–460, 462–465, 467–472, 473, 476–484, 488, 490–501, 504–509 – Terminologie 29–36
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‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten siehe unter Protestation Gruppe ‚Weißer Schwan‘ 218, 298–318, 364, 422, 424, 426, 432–436, 478 f., 504 ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ siehe unter Verwerfungen gute Werke siehe These von der Notwendigkeit guter Werke zum Heil unter „Majorismus“ Häresie (siehe auch Irrlehre) 349, 407, 408 – Begriff 505 Hugenotten 353 Husten 222, 225, 245 Instruktion ohne Reichstagsinstruktionen 4 f., 20, 75 f., 93–96, 113, 122, 123, 130, 135, 137, 139, 158, 162, 166, 186 f., 189, 294, 297, 372, 428, 441, 487 – ‚Badener Instruktion‘ 378 f., 382, 384, 398–405, 444, 449, 462 f., 478, 496 – kursächsisches ‚Memorial an die Verordneten‘ 139, 153, 157–162, 205, 441 – ‚Weimarer Instruktion‘ 138–153, 158, 160, 201, 203, 210–213, 223–225, 227–231, 233 f., 237–243, 254, 282, 284, 296, 367–374, 377, 379 f., 382, 400, 402 f., 477, 487 f., 491, 495 f. – württembergische Instruktionen 186 f., 219, 231, 441, 443 Instrumentierung (siehe auch ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten unter Protestation sowie Notare unter Wormser Religionsgespräch 1557) 464–466 Interim 2, 14, 30 f., 35 f., 42, 108, 110, 124 f., 142–144, 146, 151, 163, 191, 211, 232, 242, 247 f., 265, 271, 274, 290, 293, 307–309, 310, 315, 318, 357 f., 359, 360, 363, 424, 435, 439, 497, 506 – Augsburger (1548) 34, 36, 50, 108, 300 – Leipziger 6, 235, 267, 283, 296, 411, 416, 424, 506 – „Interimismus“, „Interimisten“ 210, 283, 409, 410, 413, 416 – Interimistischer Streit (siehe auch Adiaphoristischer Streit unter Adiaphora) 164 interpretatio ad bonam partem 193 f., 196, 345 Irrlehre, Irrlehren, „Irrungen“, „Irrtümer“, „falsche Lehren“, „Kor-
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ruptelen“ (siehe auch Häresie) 34, 68, 128 f., 144, 146, 149, 151, 182, 190, 195 f., 211, 215–217, 218, 225, 232, 234 f., 237 f., 242, 249, 256, 258, 262–265, 267–270, 272–274, 276, 291, 292, 312, 338, 343, 346, 349, 351, 353, 357 f., 360, 363, 367, 378, 382, 389 f., 393, 395, 397, 399, 401 f., 407, 413, 426, 427, 437–439, 454, 456, 463, 465, 477, 486 f., 490 f., 496 Irrlehrer 263–265, 268, 276, 397, 415, 491 Jurisdiktion, bischöfliche 235, 435 Katechismen Luthers 313 – Großer Katechismus 313 – Kleiner Katechismus 313 Katzenelnbogenscher Erbfolgestreit 96, 113–118 Kirchenbegriff siehe Ekklesiologie, Einigkeit, siehe ferner Kirchenbegriff / CA 7 unter Confessio Augustana Kirchenordnung (siehe auch Zeremonien) 101–104, 106–110, 117, 133, 223, 476 – ‚certus ordo‘ 102–110 – Brandenburg-Ansbach 300 – Pommern 1563 307 – ‚Straßburger Reformation‘ 140 f., 152 – ‚Wittenberger Reformation‘ 140, 152 f. Kirchenväter 263, 406 f., 505 Kirchenzucht 103 f., 131, 268 Knochenbruch – Schenkel 221 – Schulter 447 Kolloquenten siehe unter Wormer Religionsgespräch 1557 Kolloquium siehe Begriff unter Religionsgespräch Konfessionspolitik 6 f., 20, 23, 78, 90, 92, 94, 108, 110, 113, 121, 125, 155, 160, 185, 187 f., 191 f., 213, 253, 239, 295, 330, 335 – der Augsburger Konfessionsverwandten 7, 12, 14, 18, 94, 113, 476 – gemeinsame / konzertierte der Augsburger Konfessionsverwandten 4 f., 7, 20, 40, 62, 64–77, 94, 476 – albertinische / kursächsische 115, 161 f., 253, 282, 477 – ernestinische / herzoglich-sächsische 6, 72, 140, 142 f., 148–150, 152 f., 214, 239, 283, 377, 486, 488, 496 – hessische 14, 301
– kurbrandenburgische 90 – kurpfälzische 73 f., 80, 85 f., 91, 123 f., 126, 140, 254, 256 f., 301, 356, 476, 483 – preußische 163 – württembergische / Herzog Christophs 4, 22, 69, 76, 94–98, 102–104, 110, 112, 181, 183, 187–189, 196, 301, 476, 500 – gemäßigt gnesiolutherische 152, 488, 490 – konfessionspolitische Opportunität 428, 494–498, 500 – konfessionspolitisches Profil des Frankfurter Abschieds 148–150 – konfessionspolitisches Programm des Flacius 152 f., 488, 493 Konfessionsrat 14, 57–64, 66, 68, 70, 74, 77 f., 85, 89, 91, 93, 97 f., 483 Konfutationsbuch 493, 508 Konkordie 102, 107, 133, 196, 197 f. – Stuttgarter Konkordie 197 – Wittenberger Konkordie 289, 313 Konkordienformel 35, 101 f., 268, 503 Konkordienwerk 196, 267, 269, 510 Konsens, Übereinstimmung (siehe auch ‚Articuli constituendi consensus‘, ‚Formula consensus‘) 67, 99 f., 106, 128, 133, 149, 160, 188, 192, 197, 226, 272, 273, 289, 299, 304, 306–308, 313, 316, 318, 360, 376, 386 f., 392, 396, 397, 406 f., 409, 411, 419, 426, 435, 436, 450, 476, 487, 502, 505 f. Konsensartikel siehe ‚Articuli constituendi consensus‘ Kontroverstheologie 7, 160, 173, 195, 197, 224, 226–228, 235, 265, 282, 284, 306, 316, 497 Konventsprojekt, württembergisches (siehe auch Frankfurter Konvent) 66, 70, 100, 108, 110–116, 131, 134, 136, 165 f., 181, 224 f., 228, 476 – Fürstenzusammenkunft, persönliche Zusammenkunft der Fürsten 69 f., 75, 93, 95–97, 100 f., 104, 108, 111–113, 115, 134, 164, 166, 189, 228 – Regionalkonvent 111, 116, 121, 165 – Vorkonvent siehe unter Wormser Religionsgespräch 1557 Konzil 47 f. – Mantua 125, 289 – Trient (siehe auch Tridentinum) 88, 108, 301, 307–309, 310, 357 f.
5. Sachen und Themen Konziliation (siehe auch interpretatio ad bonam partem, Religionsvergleich) 151, 193, 197, 265, 283, 387 f., 419 Korruptelen siehe Irrlehren Lehrurteil 274 Lehrzucht 193, 268, 272 Lehrzuchtverfahren 193 ‚Loci communes‘ Melanchthons 313 Magdeburger Theologen 5, 32, 267, 416, 424, 506 „Majorismus“, „Majoristen“ (siehe auch Major im Personenregister) 68 f., 210, 212, 226, 236, 266, 272, 309, 318, 344, 415 f., 469, 489 – Majoristischer Streit 84, 100, 311, 316 – Proposition Majors, These von der Notwendigkeit guter Werke zum Heil 84, 100, 146, 210, 274, 282–284, 291, 295, 304, 310 f., 344 f., 352 f., 360, 363 394, 407–409, 410, 411, 413, 414 f., 423, 439 „Melanchthonianer“ 481, 493 Memorial, kursächsisches siehe unter Instruktion „Meniismus“ 489 Moratorium 361, 367, 375–405, 410 f., 457, 465, 478 Naumburger Fürstentag 1561 269 Naumburger Konvent 1554 103, 108, 163 Naumburger Vertrag 1554 322 Nebenabschied 20, 56 – Begriff 55 f., 181 – Regensburger Nebenabschied 4 f., 20, 23, 52, 55–57, 60, 62–78, 82, 85, 93, 95 f., 98, 111, 113 f., 121–126, 127, 128, 132–134, 137–140, 143–149, 155, 159–161, 165–167, 169–174, 177, 181, 185, 188, 199, 204–206, 208, 225, 233 f., 239, 265 f., 282, 286, 294 f., 335, 370, 372, 476 f. Nibelungenlied 219 Nominierung siehe unter Deputierte Notare siehe unter Wormer Religionsgespräch 1557 ‚Notel‘ 381, 384, 390–393, 398 Notwendigkeit guter Werke zum Heil siehe unter „Majorismus“ „Osiandrismus“, „Osiandristen“, Anhänger Osianders (siehe auch Preußen
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im Orts- und Territorienregister sowie Osiander im Personenregister) 10, 67 f., 101, 127, 129, 163, 165 f., 170 f., 174, 177, 182, 191, 210, 212, 226, 260, 266–268, 272, 282, 291, 296, 300, 302, 309, 312, 348, 351, 363, 365, 378 f., 407, 408, 415, 435, 469, 471, 478, 481, 492, 498, 500, 502 f. – osiandrische Rechtfertigungslehre 88, 100, 146, 163 f., 166, 172, 179, 181, 218, 236, 248, 266, 274, 292, 312, 331, 337 f., 340, 342 f., 348–350, 363, 366, 406 f., 419, 435, 439, 456, 501–503, 508 – Osiandrischer Streit 25, 84, 101, 163, 165, 174, 179 f., 191, 193, 196, 195, 198, 248, 283, 291, 316, 348 f., 503 – osiandristische Streitigkeiten in Nürnberg 90, 164, 194 f., 300–302, 342, 365 f. Passauer Vertrag 43, 45, 47 Papst, Papsttum (siehe auch „Antichrist“) 42, 48, 51 f., 98, 226, 273, 321, 360, 470, 505 persönliche Zusammenkunft der Fürsten siehe unter Konventsprojekt Personalkondemnation siehe unter Verwerfung Pfeddersheimer Gespräch / Pfeddersheimer Täuferverhör 220 f., 502 Pfeddersheimer Wein 22 Picarden (siehe auch Begarden) 408 Präeminenz 59 f., 255 preußische Gesandtschaft 21, 24, 129, 162–186, 188, 260, 477 ‚Preußischer Bericht‘ ohne bloße Quellenangaben 3, 10, 24, 25, 37, 260, 292, 297, 303–305, 316–318, 333, 335, 337, 339– 342, 344 f., 351 f., 355, 358, 364, 373, 390, 391–393, 409 f., 413 f., 418–423, 425, 427, 430, 432, 442, 443, 445, 446, 450, 456 f., 460, 472, 499, 504 f. Protestation, protestatio 34, 45, 235, 239, 242 f., 267, 269, 293, 296, 309, 328, 333, 336, 351, 352, 357–364, 372, 374 f., 378 f., 381–384, 391, 392 f., 401–405, 409 f., 428, 431, 435, 439, 441, 442, 448–450, 460–463, 469, 478, 494, 509 – Bedeutung als Rechtsmittel 56, 239, 243, 383 f., 391, 393, 401, 404 – ‚Forma protestationis‘ 303, 411–419, 424–427, 479, 498–500, 508
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Register
– ‚Große Protestationsschrift‘ der gnesiolutherischen Deputierten ohne Quellenbelege in den Fußnoten 34, 267, 269, 351, 384, 404 f., 410, 440, 451, 457, 462–470, 497 Rätegremium siehe unter Wormser Religionsgespräch 1557 Rangstreitigkeiten, kurpfälzisch-kursächsische (siehe auch Präeminenz) 59 f., 61, 115, 250–256, 332–337, 477, 489 Rechtfertigungsartikel, Rechtfertigungslehre ohne osiandrische Rechtfertigungslehre (siehe dazu unter „Osiandrismus“) 99–101, 105, 181, 218, 226, 235, 311, 312, 345, 396 f. Regensburger Nebenabschied siehe unter Nebenabschied Reichsabschied 53, 56, 64, 181, 239 – Augsburg 1555 2, 40 f., 43, 67, 128, 146 – Regensburg 1557 4 f., 15 f., 20, 23, 27, 29, 40 f., 45–56, 62–65, 70, 77, 82, 89, 95, 128, 133, 139, 143, 147, 158, 164, 169, 174, 183, 188, 204, 235, 244, 271, 286, 294, 369–372, 377, 387, 389, 401, 407, 428, 431, 440, 443 f., 454, 455, 495 – Religionsartikel des Regensburger Reichsabschieds von 1557 40, 46–55 Reichsacht 173 Reichsreligionsgespräch 2, 11, 23, 28 f., 79, 89, 169, 174, 179, 181, 188, 240, 506 – Begriff 28 f. – Reichsreligionsgespräche der 1540er Jahre 11, 28 f., 79, 89, 301 – Hagenau 1540 2, 140 – Regensburg 1541 140, 310, 314 – Regensburg 1546 239 – Worms 1540/41 2, 140 – Worms 1557 siehe Reichsreligionsgespräch unter Wormser Religionsgespräch 1557 Reichstag (siehe auch Reichsabschied) 28, 48 f., 52, 55 f., 58, 60 f., 63, 230, 239 f., 253, 271, 281, 285, 377, 383, 462 – Augsburg 1530 34, 123, 141, 239, 301, 308, 307, 310, 355, 363, 388, 396, 414, 435, 497 – Augsburg 1547/48 57, 60, 88 – Augsburg 1555 40, 42, 43, 45, 57 f., 60–62, 67 f., 88 – Augsburg 1559 16, 48, 55
– Regensburg1556/57 2, 4–7, 13 f., 20, 22 f., 40–95, 98, 111, 113, 123 f., 126, 140, 164, 165 f., 169, 189, 200, 208, 253–256, 259, 330, 483 f. – Reichstagsgepflogenheiten 46, 52, 56, 58, 61, 63, 239 f., 281, 285, 383 – Religionsausschuß in Regensburg 1556/57 45–53, 61, 62, 70 f., 74 f., 82, 83, 91, 484, – Session, Sessionsordnung 46, 58, 63, 73, 79, 281 – Worms 1521 239 – Worms 1545 140, 153 Reisekostenrechnung, württembergische 22, 199–201, 305, 218, 219, 245, 445 f. Religionsartikel siehe unter Reichsabschied Religionsausschuß siehe unter Reichstag Religionsfrieden siehe Augsburger Religionsfrieden Religionsgespräch (siehe auch Reichsreligionsgespräch, Wormser Religionsgespräch 1557) – Begriff 27–29 Religionsvergleich, Religionsvergleichung (siehe auch Konziliation, Reunionspolitik) 40, 41, 42, 44–46 Restauration (siehe auch ernestinische Konfessionspolitik unter Konfessionspolitik) 142 f. Reunionspolitik, kaiserliche 2, 509 Riesenburger Synode 164 römisch-katholisch 2, 9, 12, 15, 19, 28 f., 42, 44, 43, 46–50, 52, 54 f., 56, 57, 65–67, 70, 77, 87, 91, 93, 107, 109, 129, 143, 146–149, 159 f., 169, 173 f., 179, 181, 183, 189, 192, 198, 226 f., 233, 235, 239 f., 244, 263, 266, 271 f., 306, 308, 310, 313–315, 346, 355, 365–367, 378, 382, 384, 386 f., 389 f., 392 f., 397 f., 401–406, 408–412, 421, 426, 428, 433, 435, 437, 442, 453, 455, 459, 461, 462, 463, 468–470, 478, 486, 495, 497, 506 f., 509 f. „Sakramentierer“ (siehe auch Abendmahlsauffassung, scheizerische unter Abendmahl sowie „Zwinglianer“) 67 f., 127, 210, 265 f., 397 Sakramentsverwaltung, administratio sacramentorum 104, 105, 109, 272, 273, 505 Satan (siehe auch Teufel) 67, 98, 109 f.
5. Sachen und Themen Schisma 3, 7, 100, 260, 262, 275 f., 409, 419, 432, 434, 471, 501, 504–510 – Begriff 504 f. – Papst-Schismen 505 – Schisma der Wittenberger Reformation – erstes Schisma der Wittenberger Reformation 6, 506 – zweites Schisma der Wittenberger Reformation 6, 506 – Schisma der Wittenberger Theologie 5, 506 – Schisma zwischen Rom und Konstantinopel 505 – Schismatiker 3, 275 f., 505 – Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten 3–7, 473, 476, 479, 506–510 Schmalkaldische Artikel 32, 34, 35, 67, 69, 71–75, 121–126, 129, 140–148, 161, 210, 230, 233, 239, 242, 282–284, 288 f., 306–308, 313, 318, 360, 363, 367, 376 f., 402, 414, 426, 438, 456, 477, 486 f., 507 – Abendmahlsartikel 289, 313 Schmalkaldischer Bund 58, 60, 142, 252, 321 Schmalkaldischer Bundestag 1537 78, 142 Schmalkaldischer Krieg 2, 34, 36, 70, 142–144, 153, 212, 321 f., 478, 506 Schriftprinzip (siehe auch sola scriptura) 421 Schweizer siehe schweizerische Abendmahlsauffassung unter Abendmahl sowie Schweiz im Orts- und Territorienregister „Schwenkfeldianismus“, „Schwenkfeldianer“ , „Schwenkfelder“ (siehe auch Schwenkfeld im Personenregister) 67 f., 100, 127, 146, 172, 210, 266, 274, 282, 439 secessio, Sezession, Abzug, Verzug 25, 32, 237–241, 243, 261, 268, 297, 328, 403, 451, 456, 457, 459–461, 470, 472 f., 479, 486, 492, 496 f., 499, 501, 504, 506, 507 – Begriff, rechtliche Bedeutung 239 f. „Sekten“, „Sektierer“ 34, 50, 67–69, 72, 124, 126 f., 145 f., 161, 165, 170, 185, 210, 233, 238, 242, 249, 256, 258, 265, 267 f., 270 f., 275, 283, 287, 289, 296, 306, 308, 310, 358, 399, 400–402, 417, 433, 437 f., 448, 456, 463, 465, 466, 470, 496, 498 „Servetianer“ (siehe auch Servet im Personenregister) 146, 210
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Session, Sessionsordnung siehe unter Reichstag sola scriptura (siehe auch Schriftprinzip) 406 Städte 18, 28, 32, 46, 61–63, 65, 79 f., 82–84, 87, 90 f., 118 f., 200, 202, 209, 285, 301 status controversiae 101, 190, 192 ‚Straßburger Reformation‘ siehe unter Kirchenordnung Streitschriften (siehe auch Zensur) 65, 103, 190, 192, 344–346, 493, 509 Sturz vom Pferd 221, 447 Stuttgarter Abendmahlsbekenntnis 1559 102 Stuttgarter Konkordie siehe unter Konkordie Subskriptionsformel siehe ‚Formula subscriptionis‘ Supernumerarien siehe unter Wormer Religionsgespräch 1557 Synekdoche 289 Synergismus, Synergisten 68 f. – Synergistischer Streit 33 ‚Syngramma Suevicum‘ 338 Synode ohne Tridentina Synodus (siehe dazu Trient unter Konzil) 273 f., 345 f. – Aristophanische Synode 328 – künftige Synode der Augsburger Konfessionsverwandten nach dem Religionsgespräch 128 f., 132, 134, 149, 174 f., 179, 206, 217, 224 f., 233 f., 240, 262, 270 f., 274, 307, 309 f., 312 f., 315, 335 f., 376, 378, 400, 402 f., 435, 448, 456, 476 – Riesenburger Synode siehe Riesenburger Synode – synodaler Prozeß siehe unter Verwerfung – Weimarer Synode siehe Weimarer Synode Täufer, „Wiedertäufer“ (siehe auch Pfeddersheimer Täufergespräch) 67 f., 100, 127, 146, 172, 197, 210, 220 f., 266, 273, 282, 284, 396 f., 407, 408, 415, 502 Taufe 106, 114, 207, 231, 453 – Tauflehre 99 f. – Taufpraxis 99 f., 103, 104 – Taufexorzismus 106 tempus condemnandi siehe unter Verwerfung tempus confessionis, tempus confitendi siehe unter Bekenntnis
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Register
Teufel (siehe auch Satan) 273 f. Torgisches Buch (siehe auch Konkordienformel, Konkordienwerk) 267 Traditionsprinzip 110, 395, 406 Transsubstantiation 313, 353 Tridentinum (siehe auch Trient unter Konzil) 307–309, 310, 357 f., 395, 435 Türkengefahr 43 Türkenhilfe 40, 41–45, 59 Universität 506 – Heidelberg 208, 483 – Jena 493 – Wittenberg 19, 288, 385 Vermittlung siehe Coswiger Handlung, ‚Formula subscriptionis‘, Konziliation, Vermittlungsgruppe Vermittlungsgruppe siehe Gruppe ‚Weißer Schwan‘ Verwerfung, Verwerfungen, Verdammung, Kondemnation 10, 34, 67 f., 93, 127–129, 130, 146 f., 149, 151, 161, 172, 177, 181–198, 209, 210–212, 217, 219, 226, 231 f., 234–243, 247–249, 256, 258, 260–277, 283 f., 286, 290 f., 292, 293 f., 296, 302, 304, 306–310, 311, 315, 318 f., 331, 336–338, 341, 343–349, 350–358, 360, 364, 366 f., 376–384, 388, 389 f., 391, 394, 396–398, 399, 400–403, 405, 407, 409–411, 413–418, 421–430, 431, 433, 435–437, 439, 441, 443, 454, 455–457, 459, 462 f., 465, 466, 467, 469 f., 471, 477–479, 481 f., 490 f., 494–503, 508 – generelle Verwerfung 127, 182, 210, 232, 234, 238, 261–264, 284, 306, 318, 360, 389, 396, 414 – namentliche Verwerfungen 146, 149, 209, 210, 261–269, 275, 282, 284, 310, 315, 338, 360, 394, 396 f., 401, 407, 408, 418, 425, 486, 491, 499, 509 – spezifizierte / spezielle Verwerfungen 33 f., 68, 127, 129 f., 182, 184 f., 187, 193, 210, 232, 234, 238, 240, 261–269, 272, 275–277, 282, 284, 310, 319, 360, 364, 367, 389 f., 397, 403, 410, 411, 413–415, 417, 421, 425, 457, 477–479, 496–498 – Personalkondemnationen 184–187, 189, 191, 193, 196 f., 265–269, 296, 310 f., 346, 415, 423 – Reichweite von Verwerfungen 262, 264, 269, 272 f.
– synodaler Prozeß, Verfahren 129, 130, 149, 189, 193, 197, 234, 262, 272–275, 293, 345 f., 354, 423 – tempus condemnandi (siehe auch tempus confessionis, tempus confitendi) 262, 270–272 – „Verdammer der Sekten“, „Condemnanten“ 33 f., 172, 249, 496 – Verwerfungsforderung 146, 149, 151, 210–212, 217, 221, 231, 238, 248 f., 270, 272 f., 283 f., 286, 291, 292, 296, 302, 304, 308, 309, 310, 337, 341, 343, 345–347, 353 f., 356, 376 f., 380–383, 389, 394, 403, 405, 409, 411, 413, 422, 425 f., 428, 435, 437, 443, 454, 455, 459, 462, 477, 479, 486, 496, 498 – Bekenntnis- und Verwerfungserklärung der gnesiolutherischen Deputierten an den Präsidenten 267, 274, 436, 438–440, 446, 458, 465, 497 – ‚Verwerfungsgutachten der ernestinischen Deputierten‘ 236, 243, 260–277, 367, 377, 380, 400, 428, 477, 496 – württembergisches ‚Gutachten über Verwerfungen in Worms‘ 182 f., 184, 185–198, 268, 344, 346, 366, 418, 425, 477, 500 f. Verzug siehe Secessio Vorkonvent siehe unter Wormser Religionsgespräch 1557 Wächteramt, prophetisches 270 „wahre uralte christliche Religion“ (siehe auch „alte Religion“, „andere Religion“) 65 Walfisch 328 ‚Weimarer Instruktion‘ siehe unter Instruktion Weimarer Synode 6, 241–243, 402 f., 485, 490 f. ‚Weißer Schwan‘ siehe ‚Beim Hinteren Weißer Schwan‘, Gruppe ‚Weißer Schwan‘ Willensfreiheit 246, 507 Wittenberger Kapitulation 321 ‚Wittenberger Konkordie‘ siehe unter Konkordie ‚Wittenberger Reformation‘ siehe unter Kirchenordnung Wormser Edikt 239 Wormser Religionsgespräch 1557 passim – Adjunktenamt 50–52, 54, 188, 236, 330
5. Sachen und Themen – Akten des Reichsreligionsgesprächs 15 f., 21, 23, 48, 52 f., 55, 438 f., 442, 458, 460, 462, 468–470, 479, 496 f. – Assessorenamt 49 f., 52 f., 78, 92, 155, 252, 254–256, 285, 287, 334 f., 337, 440 – Auditorenamt 50, 52, 54, 92, 330 – Ausschluß von der Teilnahme 67, 71, 74, 126, 146, 219, 233, 239, 288, 295, 298, 419, 430–433, 436–443, 446, 459, 453, 455, 471, 479, 481, 492, 495–497, 505–507 – Eid, Eidesformel 52 f., 280, 298, 368 – Notare 15, 50, 54 f., 79, 82, 85, 89, 92, 155, 245, 383 f., 387, 404 f., 439, 462–465, 468 – Präsidentenamt 49 f., 52 f., 371, 393, 431, 436, 440, 457, 461, 470, 495 – Präsidium 15, 50, 52 f., 78, 244, 250, 254 f., 278, 280,330, 387, 440 – Rätegremium 287, 330, 418, 427, 433, 443, 471 – Reichsreligionsgespräch 3, 5, 7, 9, 15 f., 21 f., 28 f., 70, 169, 174, 179, 181,
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188, 224, 226 f., 235, 240, 244, 250, 252, 255 f., 260, 263, 265, 270, 275, 278, 281, 284, 286, 294, 298, 306, 308, 316, 330, 336, 344, 357, 367 f., 393, 428, 430, 458–460, 468–470, 477 f., 496 f., 506 – Supernumerarien 51, 54, 70, 76, 79, 82 f., 85, 91, 155, 202, 219, 231, 258 f., 295, 306, 489 – Vorkonvent der evangelischen Gesprächsteilnehmer 69, 95 f., 128, 132, 134, 139, 143–145, 147–149, 155 f., 160, 165, 169 f., 174, 199, 202, 205 f., 208, 376, 477 Zensur 65, 103, 321 Zeremonien (siehe auch Kirchenordnung) 103–110, 130 f., 133, 215, 224, 235, 424 „Zwinglianismus“, „Zwinglianer“ (siehe auch Abendmahlsauffassung, schweizerische) 68, 146, 210, 212, 234, 267, 268, 272, 274, 282, 290, 337 f., 353, 363, 394, 407, 439, 469