Das Vermächtnis der Besatzung: Deutsch-griechische Beziehungen seit 1940 9783412504564, 9783412503628


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Das Vermächtnis der Besatzung: Deutsch-griechische Beziehungen seit 1940
 9783412504564, 9783412503628

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GRIECHENLAND IN EUROPA Kultur – Geschichte – Literatur Herausgegeben von Chryssoula Kambas und Marilisa Mitsou Band 2

DAS VERMÄCHTNIS DER BESATZUNG Deutsch-griechische Beziehungen seit 1940

Kateřina Králová

Aus dem Griechischen übersetzt von Odysseas Antoniadis und Andrea Schellinger

2016 BÖHLAU VERLAG · KÖLN · WEIMAR · WIEN

Die Drucklegung wurde freundlicherweise ermöglicht aus Mitteln des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds des Auswärtigen Amts.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Die Übersetzung folgt der Ausgabe: Kateřina Králová: Στη σκιά της Κατοχής. Οι ελληνογερμανικές σχέσεις την περίοδο 1940 – 2010 Griechische Übersetzung, Athen: εκδόσεις ΑΛΕΞΑΝΔΡΕΙΑ, 2013 Erstpublikation in tschechischer Sprache unter dem Titel: Nesplacená minulost, Prag: Karolinum, 2012

Umschlagabbildung: Kanzler Konrad Adenauer besucht die Insel Santorin. 1. März 1954 BArch B 145 Bild-00048501 / o. Ang.

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Wissenschaftliche Redaktion: Andrea Schellinger, Karlsruhe; Chryssoula Kambas, Osnabrück Schlussredaktion: Maria Schmiegelt, Osnabrück Korrektorat: Patricia Simon, Langerwehe Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50362-8

Inhalt Vorbemerkung zu Band 2 der Reihe „Griechenland in Europa“  . . ...........................  7 Vorwort zur deutschen Ausgabe  .................................................................................  9 Einführung  .....................................................................................................................  13 1. Griechenland und das „Dritte Reich“  ...................................................................  1.1 Deutsch-griechische Beziehungen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs  ....................................................................................  1.2 Der deutsche Einmarsch  . . ................................................................................  1.3 Griechische Kollaborationsregierungen  .. ......................................................  1.3.1 Winter 1941/42  .....................................................................................  1.3.2 Von Tsolakoglou zu Rallis  . . ...................................................................  1.3.3 Kollaborationsgruppierungen  ..............................................................  1.4 Wirtschaftliche Ausplünderung  .....................................................................  1.4.1 Einsatz griechischer Zwangsarbeiter  ...................................................  1.5 Politik des Schreckens  . . ....................................................................................  1.5.1 Kommeno  ...............................................................................................  1.5.2 Kalavryta  .................................................................................................  1.5.3 Distomo  .. .................................................................................................  1.6 Das Schicksal der griechischen Juden  . . ..........................................................  1.6.1 Die deutsche Besatzungszone und die Juden von Thessaloniki  .......  1.6.2 „Endlösung“  . . ..........................................................................................  1.6.3 Der Holocaust nach der italienischen Kapitulation  .. ........................  1.7 Kriegsfolgen  ...................................................................................................... 

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2. Der Wiederaufbau Griechenlands nach dem Krieg  ............................................  2.1 Von der Besatzung zum Bürgerkrieg  ..............................................................  2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen im Griechenland der Nachkriegszeit  . . ..........................................................................................  2.3 Strafverfolgung von Kollaborateuren  ............................................................  2.4 Rechtliche Rahmenbedingungen für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern  . . ...................................................................................  2.5 Humanitäre Hilfe und Wiederaufbau nach dem Krieg  ..............................  2.6 Rotes Kreuz und UNRRA  . . ............................................................................  2.7 Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde  . . ......................................................  2.8 Die Wiederaufnahme der deutsch-griechischen Beziehungen  .................. 

83 83

23 26 31 34 36 39 42 47 50 53 55 57 59 64 69 75 79

88 90 95 100 101 107 117

6 | Inhalt

3. Strafverfolgung von NS-Kriegsverbrechern  .........................................................  3.1 Internationale Allianzen  . . ................................................................................  3.2 Strafverfolgung von Kriegsverbrechern in Griechenland  ...........................  3.2.1 Erste Phase: Bestrafung  .........................................................................  3.2.2 Zweite Phase: Begnadigung  ..................................................................  3.2.3 Dritte Phase: Die Übergabe von Strafverfahren  . . ..............................  3.3 Der Fall Merten  ................................................................................................  3.3.1 Merten in Haft  .. ......................................................................................  3.3.2 Vom Prozess zur Freilassung  .................................................................  3.3.3 Mertens Gegenschlag  .. ...........................................................................  3.4 Strafverfahren nach Übergabe des Aktenmaterials  .. .................................... 

123 123 129 131 136 143 149 151 158 165 172

4. Reparationen und Entschädigungen  .....................................................................  4.1 Internationale Abkommen  . . ............................................................................  4.1.1 Das Pariser Reparationsabkommen  .....................................................  4.1.2 Das Londoner Schuldenabkommen  . . ..................................................  4.2 Entstehung von Opferinitiativen  ...................................................................  4.2.1 Entschädigungsforderungen der Holocaustüberlebenden  ...............  4.2.2 Zivilgesellschaftliche Unterstützung für NS-Opfer  ..........................  4.3 Globalabkommen zu Entschädigungsleistungen  .........................................  4.3.1 Der Bonner Vertrag mit Griechenland  ...............................................  4.3.2 Das griechische Verteilungsgesetz  .. ...................................................... 

183 183 184 190 193 196 202 209 213 218

5. Perspektiven einer umfassenden Aufarbeitung der deutsch-griechischen Beziehungen nach der deutschen Wiedervereinigung  . . ......................................  5.1 Die Verhandlungen auf politischer Ebene  ....................................................  5.1.1 Der Fall Distomo  ...................................................................................  5.1.2 Recht, Politik, Moral  ............................................................................. 

223 228 231 238

Nachwort  . . ......................................................................................................................  245 Quellen- und Literaturverzeichnis  .. ............................................................................  253 Personenindex  .. ..............................................................................................................  277

Vorbemerkung zu Band 2 der Reihe „Griechenland in Europa“ Nachdem Band 1 unserer Reihe seinen thematischen Schwerpunkt auf die Asymme­trien des Erinnerns an Die Okkupa­tion Griechenlands im Zweiten Weltkrieg gesetzt hatte, bietet der nun vorliegende Band 2 die Geschichtsnarra­tion des primären Geschehens, frei­lich in gedrängter Form. Die Konzentra­tion liegt auf Bereichen bis zum Ende des griechischen Bürgerkriegs, soweit sie mit dem seitens der deutschen Besatzer angerichteten Raubbau an gesellschaft­licher Infrastruktur und den brutalen Übergriffen auf die griechische Zivilbevölkerung zusammenhängen. Darauf aufbauend verfolgt das Buch die Etappen des Aushandlungsprozesses ­zwischen beiden Ländern in Wiedergut­machungsfragen. Ein nicht unerheb­licher Teil der Studie widmet sich den interna­tionalen Konferenzen und ihren recht­lich bindenden Beschlüssen. Bis heute bildet das zweibändige Werk Im Kreuzschatten der Mächte (1986) von Hagen Fleischer für die Zweite-­Weltkriegs-­Forschung interna­tional die unumgäng­ liche Basis, da hier das militärisch-­politische Gesamtgeschehen von Besatzung und Widerstand in Griechenland erfasst ist. Zusammen mit der überarbeiteten griechischen Fassung Στέμμα και Σβάστικα (Krone und Hakenkreuz, 1988) und außerordent­lich zahlreichen auf Deutsch, Eng­lisch und Griechisch erschienenen Aufsätzen hat der Athener Historiker eine genuin quellenkritisch reflektierte Darstellung zur weiteren Zeitgeschichte des deutsch-­griechischen Verhältnisses infolge der Besatzung bereitgestellt. Die deutsche Zweite-­Weltkriegs-­Forschung jedoch hat den Anschluss daran bislang nicht wirk­lich gefunden. Griechenland wird als eine Sondersparte abgehakt, vom Kerngeschäft der Zweite-­Weltkriegs-­Forschung scheinbar abgelegen, im Gegensatz etwa zur US -amerikanischen Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg. Deren bekanntester Vertreter Mark Mazower stellt Griechenland selbstverständ­lich auch ins Zentrum. Doch auch sein populäreres Narra­tiv gab deutschsprachigen Lehrund Forschungs­einrichtungen keinen Anstoß, den Zweiten Weltkrieg in Südost­europa als Teil des eigenen Aufgabenbereiches zu erkennen. In Anbetracht hiesiger, beacht­lich gewachsener Defizite dazu, mit gravierenden Auswirkungen auf die universitäre Lehre zum Thema, vom Schulunterricht ganz zu schweigen, bedarf es einer zur interna­tionalen Forschungsliteratur vermittelnden, leserfreund­ lichen, hand­lichen und nichtsdestotrotz gut fundierten Darstellung. Kateřina Královás Buch, das 2012 als tschechische Disserta­tion im Verlag der Karls-­Universität Prag und 2013 im Athener Verlag Alexandria auf Griechisch übersetzt erschien, scheint uns diese Aufgabe bestens erfüllen zu können. Was sie bereits in Griechenland tat, wird sie für den deutschsprachigen Raum leisten können: eine politisch interessierte Öffent­lichkeit anzusprechen, manchem Forscher den Weg zu spezifischen Quellen zu bahnen, nicht zuletzt aber auch Geschichtsstudenten an das Thema „Griechenland und Deutschland

8  |  Vorbemerkung zu Band 2

seit 1940“ heranzuführen. Insbesondere bedeutet die vorliegende Übersetzung des Buches, dass der interna­tionalen Sekundärliteratur über die Besatzung Griechenlands durch das Achsenbündnis und zur Entschädigungsdebatte nun auch ins Deutsche die Tür geöffnet wird. Wir freuen uns sehr, dass innerhalb kurzer Zeit das Erscheinen ­dieses zweiten Bandes der Reihe mög­lich wurde. Erheb­liche Anstrengungen gingen dem voraus. Mit der Anstrengung – und der Kunst – des Übersetzens gelang der gleicherweise in Sachfragen kompetenten Übersetzerin Andrea Schellinger, Anstoß zu zahlreichen Präzisierungen gegenüber der griechischen Fassung zu geben. Übersetzen heißt Neu­ erstehenlassen in der Zielsprache. Der Übersetzergemeinschaft Schellinger-­Antoniadis spreche ich meinen großen Dank für ihre bewundernswert schnelle, dabei qualitative Spracharbeit aus. Der Autorin Kateřina Králová danke ich für ihren großartigen Arbeitseinsatz, wie er in ­diesem Prozess des Übersetzens anfiel. Sie hat andere, gleicherweise dring­liche Aufgaben zeitweise zurückgestellt, damit das Buch im Zeitrahmen der Förderung realisiert werden konnte. Auch den Mitarbeitern des Böhlau Verlags war deswegen einiges abverlangt. Ihnen ist für die erneute hervorragende Zusammenarbeit zu danken. Dem Deutsch-­Griechischen Zukunftsfonds – und seinen zuständigen Referenten und Mitarbeitern der Verwaltung, die auf unbürokratische Weise stets behilf­l ich waren – sprechen Herausgeberinnen und Verlag für die Förderung ­dieses Buches ihren Dank aus. Möge das Werk des Zukunftsfonds die bisher zwiespältig gebliebene Aussöhnung ­zwischen der griechischen und der deutschen Na­tion überwinden, möge es zu einer auf Kenntnissen basierten Versöhnung führen, über die Untaten des Zweiten Weltkriegs hinweg. Derart, wie es mit der von den griechischen Märtyrer-­Gemeinden oftmals gewählten Wendung ausgedrückt ist: „Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen.“ Chryssoula Kambas

Osnabrück, im Dezember 2015

Vorwort zur deutschen Ausgabe „Wenn tatsäch­lich alle Fragen gelöst und geregelt sind, dann möge Deutschland sich mit uns an einen Tisch setzen und den Friedensvertrag ­zwischen unseren beiden Ländern unterzeichnen. Genug der Ausflüchte und der gegen Griechenland gerichteten Bezichtigungen“, ließ im April 2015 der über neunzigjährige linksorientierte Politiker Manolis Glezos, Ikone des griechischen Widerstands und seit 1996 Vorsitzender des Na­tionalrats für die Schuldeneinforderung von Deutschland (Εθνικό Συμβούλιο Διεκδίκησης Γερμανικών Οφειλών) über griechische Medien verlauten. Doch geht es bei solchen Erklärungen immer nur um Vergangenheit? Kann man kriegsbedingte Verluste und Schäden überhaupt finanziell ausgleichen und gar Verbrechen auf ­diesem Weg wiedergutmachen? Geht es dabei um die Opfer und Geschädigten oder eher um politisches und wirtschaft­liches Tauziehen? Den Befürwortern und Gegnern einer deutsch-­griechischen Aufarbeitung der Vergangenheit mag eine Antwort auf diese Frage mühelos gelingen. Auch geschieht es derzeit nicht zum ersten Mal, dass beide Seiten neue Maßnahmen und Schritte zur Bewältigung der jüngsten gemeinsamen Geschichte ins Spiel bringen, wie sie die vorliegende Publika­tion dem Leser näherzubringen versucht. Als ich vor etwa einem Jahr von den Herausgeberinnen der Reihe „Griechenland in Europa“ des Böhlau Verlags auf eine Übersetzung meines Buchs ins Deutsche angesprochen wurde, ging so etwas wie ein Traum in Erfüllung. Wer hätte sich noch vor fünf Jahren vorstellen können, dass d ­ ieses Thema in Deutschland auf ein so starkes Interesse stößt? Doch löst ­dieses Interesse, so muss ich gestehen, aus heutiger Sicht und Lage auch gemischte Gefühle bei mir aus. Mit der deutschen Ausgabe schließt sich – jedenfalls aus Sicht der Verfasserin – ein imaginärer Kreis: 2002 zurück in Prag vom Studium in Deutschland, wo ich für die Thematik der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wissenschaft­lich sensibilisiert wurde und mich in großen Zügen damit vertraut machen konnte, schlug ich als Disserta­tionsthema eine Fallstudie über die jüngeren und jüngsten deutsch-­griechischen Beziehungen vor. Besonders spannend erschien mir zu jenem Zeitpunkt die Aufgabe, mit einer eingehenden Untersuchung über ein anderes Land eine vergleichende Perspektive auf mein eigenes zu entwickeln. In den Schulen der Tschechoslowakei meiner Jugend hatte man viel über Lidice erfahren, doch nie etwas von Distomo und Kalavryta gehört. Zu deutschen Quellen hatte ich durch das Studium direkten Zugang; Kenntnisse der griechischen Sprache konnte ich beim Verfassen der Disserta­tion relativ schnell erwerben. In der Beschäftigung mit Griechenland war mir vor allem auch daran gelegen, an seinem Beispiel zu zeigen, ob überhaupt und in welcher Form wir uns mit den tra­gischen Langzeitfolgen von bewaffneten Konflikten abfinden und zu einer neuen Verständigung finden können. In d­ iesem Kontext stellte sich auch die Frage, ­welchen

10  |  Vorwort zur deutschen Ausgabe

Anteil politische Richtungsentscheidungen an Wirtschaftskoopera­tionen oder gar Justiz­urteilen haben oder umgekehrt: ob und unter w ­ elchen Umständen wirtschaft­ liche Interessen politische Vertreter dazu bringen, sich einer auch schwierigen Vergangenheit zu stellen. Die griechische Übersetzung der Untersuchung war 2013 erschienen, inmitten der griechischen Staatsschuldenkrise, die u. a. Reformen und massive Kürzungen im sozia­ len Bereich nach sich zog, anfangs jedoch auch Hoffnung auf einen Neuanfang machte. Nun, wo die deutsche Ausgabe erscheint, haben wir es innerhalb von Europa mit den Folgen einer globalen Krise zu tun, angesichts derer die griechische in den Hintergrund tritt. Auch die Opfer der damit einhergehenden bewaffneten Konflikte werden einmal Nachkriegsregelungen einfordern. Ich möchte dennoch nicht resignieren und auf dem Gedanken bestehen, dass die Untersuchung von komplexen Problemen, die sich auch Jahrzehnte nach Kriegsende mit neuer Dring­lichkeit stellen, künftig zur Lösung entsprechender Fragen beitragen kann. An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen, all denen zu danken, ohne deren Unterstützung die Recherchen, die Niederschrift als Disserta­tion und schließ­lich die deutsche Übersetzung wohl kaum hätten entstehen können. Während der Forschungsphase haben mich meine Kollegen und Freunde ermutigt und mir stets mit Rat und Tat geholfen, bei ­diesem sensiblen Thema Bodenhaftung zu behalten. Während des gesamten Arbeitsprozesses haben mich die Professoren der Prager Karls-­Universität Jiří Pešek, mein ehemaliger Doktorvater und unermüd­licher Unterstützer, sowie J­ aroslav Kučera über Jahre hinweg unterstützt, zuerst bei der Fertigstellung, ­später bei der Übersetzung des Buchs ins Griechische und jetzt ins Deutsche. Professor Kučera, seit langem mit der Auf­ arbeitung der tschechisch-­deutschen Beziehungen befasst, brachte mir die Bedeutung der in ­diesem Rahmen verwendeten Termini mit viel Geduld wissenschaft­lich näher. Professionelle Übersetzer, die auch Aktualisierungen berücksichtigen und Fachfragen nachgehen, fand ich im Team Antoniadis-­Schellinger. Meinem Mann ist es zu verdanken, dass ich in den tiefen Gewässern der Rechtswissenschaft und Rechtstermino­logie auf Tschechisch sowie auf Deutsch nicht ganz untergegangen bin. Auch das gewissenhafte Korrekturlesen meiner Doktorandin Nikola Karasová, Koautorin eines Beitrags zu den Repara­tionsforderungen in dem von Ulf-­Dieter Klemm und Wolfgang S­ chultheiß herausgegebenen Band Die Krise in Griechenland darf nicht unerwähnt bleiben. Ihnen allen gebührt ein herz­liches Dankeschön. Unter den griechischen Historikern haben mir in der Anfangsphase Nikos ­Marantzidis, Professor am Fachbereich für Balkanistik, Slavistik und Orientalistik der Universität von Makedonien in Thessaloniki, sowie Alexis Menexiadis, ehemaliger Doktorand der Athener Universität, die Bekanntschaft mit zahlreichen Historikern ermög­licht, die sich mit der Zeitgeschichte Griechenlands beschäftigen. Ich danke ihnen nicht nur für ihre Ratschläge, sondern auch dafür, dass sie mir bereitwillig Zugang

Vorwort zur deutschen Ausgabe  |  11

zu griechischen Archivquellen verschafft haben und oft als Überbringer griechischer Titel und Forschungen z­ wischen Tschechien und Griechenland eingesprungen sind. Mein Dank gilt weiter Leon Saltiel, Giorgos Antoniou und Stratos Dordanas, die mich ebenfalls mit vielen weiteren Wissenschaftlern in Verbindung gebracht und wesent­lich bei Quellenrecherchen und dem Verfassen von Textteilen unterstützt haben. Auch Hagen Fleischer bin ich zu Dank verpflichtet, der, stets entgegenkommend, einige heikle Aspekte meiner Forschung mit mir diskutiert hat. Viele, die mir beim Verfassen ­dieses Buches geholfen haben, führe ich hier nicht eigens auf – ihnen allen bin ich Dank schuldig. Ohne die Einrichtungen und den einschlägigen Buchbestand der Universität Yale, die mir während eines Fulbright-­Stipendiums auf Einladung von Professor Stathis ­Kalyvas zur Verfügung gestellt wurden, wäre die Arbeit in d­ iesem Umfang nicht mög­lich geworden. In den Vereinigten Staaten wurde mir darüber hinaus Gelegenheit geboten, mich mit hochqualifizierten Forschern auszutauschen, von denen ich umstandslos Unterstützung erfuhr. So sind etwa die Begegnungen mit Mark Mazower eine unvergess­liche Erfahrung für mich, ebenso die mit John Iatrides, dessen Kommentare zur griechischen Übersetzung gerade für die deutsche Ausgabe besonders nütz­lich waren. Während der Arbeit an der deutschen Übersetzung fand ich abermals Unterstützung in den USA: Für ein Fellowship im Zeitraum 2015/16 danke ich dem Jack, Joseph and Morton Mandel Center for Advanced Holocaust Studies, United States Holocaust Memorial Museum. Durch den Aufenthalt im Museum mit seinem exzellenten Arbeitsumfeld sowie ausgezeichneten Experten und Bibliothekaren wurden mir wichtige Überarbeitungen und Erweiterungen für die vorliegende deutsche Fassung ermög­licht. Die Forschungsarbeit in euro­päischen und amerikanischen Archiven, die sowohl die ursprüng­liche tschechische Publika­tion, veröffent­licht im Jahre 2012, als auch die nun vorliegende deutsche Ausgabe überhaupt erst ermög­licht hat, wäre ohne die finanzielle Unterstützung mehrerer Institu­tionen undenkbar: Die griechische Staat­liche Stipendienstiftung (IKY) förderte meinen Aufenthalt in Thessaloniki 2003/04. Das Stipendium Sasakawa Young Leaders Fellowship Fund machte kurzfristige Forschungsaufenthalte in Deutschland, Österreich und Griechenland im Jahr 2006 mög­lich. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) richtete meinen Aufenthalt an der Heinrich Heine-­Universität Düsseldorf im Studienjahr 2006/07 aus. Die Beschäftigung mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Griechenland hat die Stipendienstiftung der Karls-­Universität unterstützt. Mit meinen Kollegen und ganz besonders mit Chryssoula Kambas stimme ich überein, wie dring­lich die mitunter hitzige Debatte über die deutsch-­griechischen Beziehungen im Schatten des Zweiten Weltkriegs gerade zu d ­ iesem Zeitpunkt mit historischen Daten und Quellen zu speisen und stützen sein sollte. Meine Hoffnung geht dahin, dass die vorliegende Publika­tion als Anregung für jüngere Fachkollegen dienen könnte, unerforschte historische Quellen wissenschaft­lich zu erschließen oder

12  |  Vorwort zur deutschen Ausgabe

aktuelle Entwicklungen nachzuvollziehen. Es wäre mir aber auch eine große Genugtuung, wenn alle, die gerne mehr über die historischen Hintergründe der aktuellen Irrita­tion in den deutsch-­griechischen Beziehungen wissen möchten, in d­ iesem Buch Material dafür fänden. Zuletzt muss erwähnt werden, dass die vorliegende deutsche Ausgabe eine überarbeitete Version der tschechischen bzw. griechischen Publika­tion darstellt. Dies ergab sich aus der Notwendigkeit, einschlägige in den letzten Jahren veröffent­lichte Untersuchungen zu berücksichtigen. Die Hauptthesen und die Grundstruktur des Buches sind jedoch erhalten geblieben. Kateřina Králová, Oktober 2015

Washington D. C.

Einführung Anfang des 21. Jahrhunderts gehören Deutschland und Griechenland gemeinsam mit 26 weiteren Ländern zum vereinten Europa. In beiden Staaten gilt dieselbe Währung, man entscheidet in gemeinsamen Gremien und kooperiert auf vielen Ebenen. Die bilateralen Beziehungen ­zwischen Deutschland und Griechenland sind jedoch älter als die interna­tionalen und euro­päischen Organisa­tionen, denen beide Länder nach dem Zweiten Weltkrieg beigetreten sind. Sie haben sogar eine weit zurückreichende Vorgeschichte. Schon im Mittelalter bezogen sich deutschsprachige Länder auf die altgriechische Tradi­tion. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielte die Bewegung der Philhellenen eine maßgeb­liche Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass das erste Oberhaupt des neugriechischen Staats dem bayerischen Königshaus der Wittelsbacher angehörte.1 Schon seit der industriellen Revolu­tion und ­später vor allem in der Zwischenkriegszeit hielt Deutschland eine stabile Posi­tion auf dem griechischen Markt. Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs war es für Griechenland gar der wichtigste Handelspartner.2 Vermut­lich könnte ein kurzer historischer Rückblick auf die bilateralen deutsch-­ griechischen Beziehungen zu dem Eindruck führen, dass diese stets unproblematisch waren – gäbe es nicht das Erbe des Zweiten Weltkriegs. Von der deutschen Okkupa­tion, die schwere Schäden und tiefe Spuren in allen gesellschaft­lichen Bereichen hinterlassen hat, war das Leben großer Teile der griechischen Bevölkerung betroffen. Denn die Besatzung ging einher mit weitreichenden Repressalien, der Vernichtung der jüdischen Gemeinde, Hungerkrisen sowie der Abschöpfung der griechischen Wirtschaftsleistung. Trotz des schwierigen Erbes, das die NS-Besatzung hinterlassen hatte, wurde Griechenland einer der ersten deutschen Nachkriegsverbündeten, und die Bonner Republik entwickelte sich für Athen zum unersetz­lichen wirtschaft­lichen und politischen Partner. So traten im kollektiven Gedächtnis der Griechen die schreck­lichen Erinnerungen an die Besatzungszeit angesichts der frisch eingeschriebenen Greuel des griechischen Bürger­kriegs in den Hintergrund. Die innen- und außenpolitischen Veränderungen nach dem Krieg ließen Athen das Unbehagen hintanstellen, das man Deutschland gegenüber empfand. Unter dem Einfluss des sich stets weiter anspannenden Ost-­West-­Konflikts konnte sich die politische Großwetterlage in Griechenland weitgehend auch gesamtgesellschaft­lich durchsetzen und das kollektive Gedächtnis beeinflussen. Die Erinnerungen an den ehemaligen 1 Siehe z. B. Christopher M. Woodhouse: The Philhellenes, Rutherford: Fairleigh Dickinson University Press, 1971. 2 Vgl. z. B. Mark Mazower: Greece and the Inter-­War Economic Crisis, Oxford: Clarendon, 1991; Mogens Pelt: Tobacco, Arms and Politics: Greece and Germany from World Crisis to World War, 1929 – 41, Kopenhagen: Museum Tusculanum, 1998.

14 | Einführung

Hauptfeind wurden marginalisiert, und auf der Bühne erschien ein neuer Gegner: die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten, die den Athener Regierungen zufolge inzwischen die Hauptbedrohung für Griechenland darstellen sollten. In dem Maß, wie sich die Entspannungspolitik innerhalb der neuen bipolaren Welt durchsetzte, interna­tionalisierte sich allmäh­lich das ursprüng­lich bilaterale Problem der deutsch-­ griechischen Vergangenheitsbewältigung. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, trat diese interna­tionale Dimension noch deut­licher in den Vordergrund. Gleichwohl gibt es durchgehend ein starkes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis z­ wischen Griechenland und Deutschland. Zwar war die griechische Regierungspolitik während des Kalten Kriegs stabil prowest­ lich, doch ging beim Umgang mit den Kriegsfolgen ein tiefer Riss durch die griechische Gesellschaft. Wie in anderen Ländern, die unter einer na­tionalsozia­listischen Besatzung gelitten hatten, stößt man auch in Griechenland auf Täter und Opfer von Kriegsverbrechen sowie auf Personen, die unter den Umständen der Besatzungszeit mehr oder weniger „Zuschauer“ des deutschen NS -Regimes waren.3 Deren Haltung und Rolle nach dem Krieg änderten sich entsprechend ihrer Einstellung zur politischen Linken bzw. Rechten. Die einstigen Sieger – der linke Widerstand in Griechenland – waren spätestens nach dem Bürgerkrieg zu Besiegten geworden, indes zahlreiche Kollaborateure niemals zur Rechenschaft für ihre Taten gezogen wurden. Doch weder erlittenes Leid und Elend noch die Kriegsverbrechen verblassten ein für allemal in der Erinnerung der Besatzungsopfer. Absicht des vorliegenden Buchs ist es, die Aufarbeitung der Vergangenheit in Verbindung mit der Rolle zu untersuchen, die der Na­tionalsozia­lismus in den deutsch-­ griechischen Beziehungen spielte. Es konzentriert sich auf die Vorgehensweisen der griechischen Gesellschaft im Umgang mit den Besatzungsfolgen; dabei geht es hauptsäch­ lich um die Ahndung von deutschen Besatzungsverbrechen und die Entschädigung der griechischen Zivilopfer. Diese Th ­ emen werden jeweils in ihren politischen, sozia­len, kulturellen, wirtschaft­lichen und juristischen Dimensionen analysiert, wie schon in meiner Disserta­tion, auf deren Grundlage ­dieses Buch entstanden ist.4

3 Der US-Historiker und Holocaustexperte Raul Hilberg bezieht sich in seinem Buch Perpetrators, Victims, Bystanders: The Jewish Catastrophe 1933 – 1945, New York: Aaron Asher Books, 1992 (dt.: Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933 – 1945. Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl, Frankfurt a. M.: S. Fischer 1992) neben Tätern und Opfern auch auf die Gruppierung der „Zuschauer“ und verweist im Fall der letzteren auf nicht vorhandenes Verantwortungsbewusstsein. Die Kategorie „Zuschauer“ oder „Betrachter“ kann auch in Fällen indirekter Kollabora­tion mit den Besatzungskräften verwendet werden. 4 Kateřina Králová: Vyrovnání s nacistickou minulostí v kontextu řecko-­německých vztahů (Die Handhabung der Vergangenheit im Rahmen der deutsch-­griechischen Beziehungen), Disserta­tion Karls-­Universität Prag, 2010.

Einführung | 15

Die Untersuchung beschränkt sich weder auf die Regierungspolitik der beiden Länder unter dem Aspekt von Verhandlungen noch auf offizielle Verlautbarungen, historische Entwicklungen oder Einzelfälle von Überlebenden. Sie hat darüber hinaus die öffent­lich geführte deutsch-­griechische Debatte und den Dialog der wichtigsten politischen Entscheidungsträger im Blick, aber auch die von NS -Opfern und deren Vertretern eingesetzten Mittel, wobei es ­diesem Personenkreis in der Regel um eine zumindest symbo­lische Entschädigung ging. Auch ist die Untersuchung der Art und Weise auf der Spur, mit der die Justiz – auf regionaler, na­tionaler und interna­tionaler Ebene – sich mit den von griechischen Anklägern vorgebrachten Ansprüchen befasste. Eine Schlüsselrolle bei diesen Entwicklungen spielte die Vorgehensweise der politischen Entscheidungsträger in Deutschland und Griechenland, denn letztere bestimmten nicht nur die jeweilige Verhandlungsrichtung, sondern sie legten auch fest, wie man den Initia­tiven von Vereinen und Bürgerverbänden gegenübertrat. Die politischen Akteure beider Länder waren unter dem Druck einschlägiger lokaler und interna­tionaler, meist zivilgesellschaft­licher Organisa­tionen zuletzt immer häufiger dazu gezwungen, den engen Rahmen diplomatischer Verhandlungen hinter sich zu lassen und zumindest auf symbo­lischer Ebene eine neue Versöhnungspolitik zu betreiben. Entlang dieser Forschungsachse befasst sich das Buch zugleich auch ansatzweise mit ausgewählten relevanten Theorieansätzen für die Aufarbeitung des Na­tionalsozia­lismus, wie sie nach Kriegsende entwickelt wurden und das Thema aus unterschied­lichen Perspektiven erörtern. Nicht wegzudenken aus der westdeutschen Geschichtswissenschaft sind die Debatten um die Deutung des Na­tionalsozia­lismus oder s­ päter die Diskussion über den Entstehungskontext der „Endlösung der Judenfrage“;5 jedoch gehen diese Thematiken weit über den Rahmen des vorliegenden Buchs hinaus. Anfäng­lich stellte man Wehrmacht und Bevölkerung als instrumentalisiert und der Machtausübung Hitlers

5 Im Folgenden werden die Termini Judenverfolgung bzw. Judenvernichtung für das Vorgehen der Besatzer gegen Juden während des Kriegs verwendet, da sich zu jenem Zeitpunkt noch keine anderen Termini für diesen Genozid herausgebildet hatten. Wenn der Prozess der Organisierung des Genozids an den Juden nach der na­tionalsozia­listischen Terminologie mit „Endlösung der Judenfrage“ wiedergegeben ist, handelt es sich durchweg um die Zitierung der unmenschlichen Sprache der Täter, was entsprechend mit den Anführungszeichen gekennzeichnet ist. Dasselbe gilt für „Sühnemaßnahmen“, den euphemistischen Terminus der NS-Militär- und Verwaltungssprache zur Verdeckung des willkür­lichen Massenmords an Zivilisten. Im Zusammenhang mit der Bestrafung der Täter und den Entschädigungen für jüdische Überlebende wird die Bezeichnung Holocaust bzw. Holocaustopfer und Holocaustüberlebende verwendet. „Überlebende“ meint alle Juden, die die Verfolgung in besetzten Gebieten mit unterschied­ lichen persön­lichen Erfahrungen und auf unterschied­liche Weise überstanden haben. Vgl. zur NS-Sprache und späteren divergierenden Begriffswahl Holocaust – Shoah – Judenverfolgung Atina Grossmann: Jews, Germans, and Allies: Close Encounters in Occupied Germany, Princeton: Princeton University Press, 2007.

16 | Einführung

total untergeordnet dar. In der westdeutschen Gesellschaft der 1950er Jahre zählte diese Heran­gehensweise an das Hitlerregime zu den massiven Abwehrmechanismen gegenüber der eigenen Vergangenheit, die sich in den folgenden Jahrzehnten weiter behaupteten. 6 Der Strukturalismus der 1970er Jahre, der geschichtswissenschaft­liche Disput z­ wischen Funk­tionalisten und Inten­tionalisten zu Beginn der 1980er Jahre 7 und in der Folge die Synthese ihrer Schlussfolgerungen 8 stellen bis heute ein nütz­liches Instrumentarium für die Holocaustforschung dar, verbleiben jedoch auf der Ebene der ­Theorie. Für den theoretischen Kontext der vorliegenden Arbeit wurden einschlägige Ansätze der Geschichtswissenschaft hinzugezogen; deren Bedeutung liegt in der Prägung von bestimmten meist deutschen Termini, die inzwischen auch in den Sozia­lwissenschaften anderer Länder eingeführt sind. Es handelt sich hauptsäch­ lich um den Begriff der Aufarbeitung oder auch Vergangenheitsbewältigung, der in den Nachkriegsjahrzehnten für die Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle spielte und auch Verwendung in anderen Sprachen fand.9 Während man sich in Deutschland mittlerweile durchgehend mit einer Kultur der Empathie für die Opferseite identifiziert, beeindruckt es im Fall der Besatzung Griechenlands, wie selten und dabei ganz vereinzelt der Frage der Schuldbewältigung nachgegangen wurde. In Griechenland selbst identifizierte man sich jedoch durchgehend mit der Opferkultur, die in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit der Besatzung dominant war. Von dieser Problematik ist auch die deutsche Nachkriegspolitik der Entschädigungen gekennzeichnet. In Form finanzieller Hilfeleistungen, ­später als ethisch konnotierte Anerkennung von Verantwortung zusammen mit politischen 6 Mehr zur Nachkriegsrekonstruk­tion der Geschichte vgl. z. B. Klaus-­Michael Mallmann: Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Der Täterdiskurs in Wissenschaft und Gesellschaft, in: Klaus-­Michael Mallmann; Andrej Angrick (Hg.): Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruk­ tionen, Darmstadt: Wissenschaft­liche Buchgesellschaft, 2009, S. 292 – 318. 7 Hans Mommsen: Die Realisierung des Utopischen. Die „Endlösung der Judenfrage“ im „Dritten Reich“, Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 381 – 420; Ernst Nolte: Das Vergehen der Vergangenheit: Antwort an meine Kritiker im sogenannten Historikerstreit, Berlin: Ullstein, 1987. 8 Yehuda Bauer: Rethinking the Holocaust, New Haven, London: Yale University Press, 2001. 9 Vgl. z. B. Peter Reichel: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland: Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München: C. H. Beck, 2007; Marcus Hawel: Die normalisierte Na­tion: Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland, Hanno­ver: Offizin, 2007; neuerdings besonders Lily Gardner Feldman: Germany’s Foreign Policy of Reconcilia­tion: From Enmity to Amity, Lanham: Rowman & Littlefield, 2012. Zur Versöhnung allgemein siehe z. B. auch David J. Whittaker: Conflict and Reconcilia­tion in the Contemporary World, London: Routledge, 1999; Yaacov Bar-­Siman-­Tov: From Conflict Resolu­tion to Reconcilia­tion, New York: Oxford University Press, 2004. Zum Terminus siehe z. B. Thorsten Eitz; Georg Stötzel: Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“: die NS-Vergangenheit im öffent­lichen Sprachgebrauch, Hildesheim: Olms, 2007.

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Aussöhnungsgesten vorgebracht, zielte die Versöhnungspolitik auf eine Unterstützung für die zivilen Opfer der Besatzung beim Versuch, die Folgen des vom NS -Regime verursachten Elends zu überwinden, um schließ­lich eine Versöhnung von Täter und Opfer zu ermög­lichen.10 Zum besseren Verständnis der Arbeit hier einige zusätz­liche Erläuterungen zur Terminologie: Wenn im Text von Deutschland die Rede ist, ist immer Westdeutschland oder – nach 1990 – das vereinte Deutschland gemeint. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, zumal nur in begrenztem Ausmaß Beziehungen z­ wischen Griechenland und der DDR bestanden und die Überprüfung der NS-Vergangenheit dabei nur untergründig hineinspielte. Erst 1973, also während der griechischen Militärdiktatur, nahm Athen diplomatische Beziehungen zu Ostberlin auf. Damals waren die Gespräche zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechern und Entschädigungszahlungen vonseiten Westdeutschlands letzt­lich schon beendet, wobei die DDR die Posi­tion vertrat, dass sie selbst durch Repara­tionen an die Sowjetunion und Polen ihrer Pflicht und Schuldigkeit aus der Vergangenheit ein für allemal nachgekommen sei. So stand das Thema Entschädigungszahlungen nie wirk­lich auf der Tagesordnung der ostdeutsch-­griechischen Beziehungen, da den Regierungen Griechenlands klar war, dass derartige Forderungen bei den Satellitenstaaten der Sowjet­union kaum auf Verständnis stoßen könnten.11 Das vorliegende Buch besteht aus fünf Kapiteln. Im ersten wird eine zusammenfassende Darstellung der Besatzungszeit versucht, die für das Verständnis des historischen Kontexts deutsch-­griechischer Nachkriegsbeziehungen unverzichtbar ist. Das Kapitel befasst sich mit der deutschen Besatzungspolitik, vor allem mit den Maßnahmen der Besatzungsbehörden im Rahmen der Judenverfolgung sowie mit den Folgen der militärischen, politischen und wirtschaft­lichen Entscheidungen des „Dritten Reichs“ für Griechenland und seine Bevölkerung allgemein. Untersucht werden die Vorgehensweisen der deutschen Politik in Griechenland, die zur Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen führte, sei es infolge der Hungersnot, durch den Holocaust sowie sonstige Verfolgungen und Repressalien gegen die Zivilbevölkerung oder durch die Zerstörung elementarer Infrastrukturen, erzwungene Hyperinfla­tion und wirtschaft­liche Ausplünderung. Es befasst sich auch mit der Koopera­tionsbereitschaft der griechischen Kollabora­tionsregierungen, die ebenfalls an der Machtausübung teilnahmen. Dabei 10 Vgl. Hans Günter Hockerts; Claudia Moisel; Tobias Winstel (Hg.): Grenzen der Wieder­ gutmachung. Die Entschädigung für NS -Verfolgte in West- und Osteuropa 1945 – 2000, Göttingen: Wallstein, 2006, sowie Gardner Feldman, Germany’s Foreign Policy of Reconcilia­tion, 2012. 11 Zu den Beziehungen z­ wischen Griechenland und der DDR vgl. Andreas Stergiou: Im Spagat ­zwischen Solidarität und Realpolitik: Die Beziehungen z­ wischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE, Mannheim: Bibliopolis, 2001.

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ist anzumerken, dass neben den deutschen Besatzern auch deren lokale Handlanger in erheb­lichem Maß für die Zerstörung Griechenlands mitverantwort­lich sind. Im nächsten Kapitel geht es um die Phase unmittelbar nach Kriegsende, in der Deutschland und Griechenland sich von den verheerenden Kriegsfolgen zu erholen versuchten. Im Mittelpunkt steht die Problematik der Integra­tion von Zivilopfern in die griechische Nachkriegsgesellschaft. Während in Westdeutschland unter Aufsicht der drei west­lichen Siegermächte ein wirtschaft­licher und politischer Konsolidierungskurs eingeleitet und damit eine Gleichstellung im interna­tionalen Kontext vorbereitet wurde, hatte Griechenland mit einem bewaffneten Folgekonflikt innerhalb des Landes zu tun. Aufgrund der Interven­tion zunächst Großbritanniens und dann der Vereinigten Staaten entmachteten Athen und die inzwischen zurückgekehrte Monarchie Ende der 1940er Jahre den kommunistischen Widerstand. Doch auch nach dem Ende des Bürgerkriegs fiel dessen Schatten noch jahrzehntelang auf die griechische Gesellschaft und prägte maßgeb­lich die Innen- und Außenpolitik des Landes. Obschon Deutschland und Griechenland sich in dieser Zeit mit unterschied­lichen Problemlagen auseinandersetzten, legten beide Regierungen nach dem Krieg mithilfe des Westens den Grundstein für die Restaura­tion von politischem System und gesellschaft­lichen Institu­tionen. Die beiden folgenden Kapitel untersuchen juristische Fragen, erwachsen aus der deutschen Besatzung Griechenlands und deren Aufarbeitung, in ihrem jeweiligen poli­ tischen Kontext. Zunächst geht es um Strafverfolgung und Verurteilung von Kriegsverbrechern in Griechenland und Deutschland, wobei jeweils auf die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs stattgefundenen Prozesse in beiden Ländern eingegangen wird. Auch wird die Rolle externer Akteure erläutert sowie der Frage nachgegangen, inwieweit die Gerichte unabhängig von den jeweiligen Regierungen operieren konnten oder ob in die Arbeit der Justiz interveniert wurde. Als typisches Beispiel für den Umgang mit der Strafverfolgung von Kriegsverbrechern in Deutschland und Griechenland wird der in Griechenland bekannteste Fall des Kriegsverbrechers Max Merten ausführ­lich erörtert. Für die öffent­liche Debatte und die Geschichtsschreibung ist er weitgehend verknüpft mit dem Thema der Entschädigungszahlungen an NS-Opfer, von denen im nächsten Kapitel die Rede ist. Dort geht es schwerpunktmäßig um Kriegsrepara­tionen, Entschädigungen und Wiedergutmachungsleistungen für die in Griechenland begangenen na­tionalsozia­ listischen Verbrechen. Erörtert werden interna­tionale Verhandlungen sowie Repara­ tionsabkommen, die nach Kriegsende in Paris und London unterzeichnet wurden. Bei diesen Verhandlungen spiegelt sich unweiger­lich die Spaltung Europas als Folge des Ost-­West-­Konflikts wider. Auch kommen hier die Aussagen der Opfer sowie die Initiativen von Opferverbänden zu Wiedergutmachungsansprüchen gegenüber Deutschland zur Sprache. Die Verhandlungen über die Entschädigung ziviler Kriegsopfer werden in Zusammenhang mit der deutschen Gesetzgebung und den bilateralen deutsch-­ griechischen Beziehungen erörtert.

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Diese Phase ist mit der Unterzeichnung der „Globalabkommen“ für die Opfer von Verfolgung aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung Anfang der 1960er Jahre faktisch abgeschlossen. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 kam man von griechischer Seite aus erneut auf Entschädigungsforderungen der Besatzungsopfer zurück; davon handelt das letzte Kapitel. Da das Archivmaterial der letzten 20 Jahre de jure noch nicht zugäng­lich ist, fasst die Arbeit unter Heranziehung insbesondere von Medienberichten oder Gerichtsurteilen die Haupttendenzen in den deutsch-­griechischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Kriegs zusammen. Sie schließt mit einer Beurteilung der interna­tionalen Tendenzen zum Thema Wiedergutmachungsleistungen und Versöhnungsschritte, wobei jeweils auf den Standpunkt der griechischen und deutschen Regierungen verwiesen wird. Die hier aufgeführten ­Themen konnten hauptsäch­lich auf der Basis einer langjährigen Archivforschung strukturiert und gegliedert werden. Gelegent­lich werden Presseoder Zeitzeugenberichte hinzugezogen. Was die deutschen Quellen angeht, so beziehe ich mich hauptsäch­lich auf Aktenmaterial aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA Berlin), aber auch auf Dokumente der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung Ludwigsburg (ZSt Ludwigsburg), aus denen die meisten Gerichtsunterlagen von Kriegsverbrecherprozessen zum Zweiten Weltkrieg stammen. Benutzt wurden auch angelsäch­sische Primärquellen aus den Archiven Na­tional Archives of Records (NA) in Washington, Na­tional Archives of the United Kingdom – Public Records Office (TNA ) sowie der Wiener Library (WL) in London. Dem zuletzt genannten Archiv hat der britische Historiker Mark Mazower einen wichtigen Teil der Akten überlassen, die er für eigene Forschungen herangezogen hatte, sowie verschrift­lichte Interviews mit griechischen Opfern von NS-Massakern und mit Vertretern interna­tionaler Organisa­ tionen im besetzten Griechenland. Die Berücksichtigung offizieller griechischer Archive ist ein schwieriges Unterfangen. Dies liegt an der umständ­lichen und hinder­lichen Bürokratie, aber auch an der mangelnden Koopera­tionsbereitschaft des Archivpersonals ausländischen Forschern gegenüber.12 Einige Dokumente konnten in den Archiven für Zeitgenös­sische Sozia­l­­g eschichte (Αρχεία Σύγχρονης Κοινωνικής Ιστορίας, ASKI ) eingesehen werden. Sie betrafen jedoch überwiegend die Geschichte der Kommunistischen Partei Griechenlands (Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδας, ΚΚΕ ) bzw. der Widerstandsbewegung und waren letzt­lich für die Erfordernisse der Arbeit nicht unmittelbar relevant. Mehrere wichtige Archivsammlungen wurden der Autorin von griechischen Historikerkollegen, die sich mit verwandten Th ­ emen befassen, uneigennützig zur Verfügung gestellt;

12 Siehe zu ­diesem Thema auch die Bemerkungen von Hagen Fleischer in: Hagen Fleischer; Despina Konstantinakou: Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung, 2006, S. 376 f.

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manche Unterlagen konnten über persön­liche Kontakte beschafft werden. Dank einiger Kollegen, die sich mit Verbrechen des Na­tionalsozia­lismus und Entschädigungen in der ehemaligen Tschechoslowakei befassen, gelangten auch Unterlagen aus tschechischen Archiven in meine Hände. Die zweite Gruppe an Quellen betrifft amt­liche Unterlagen, vor allem Gesetzgebung und Verordnungen, die einesteils im deutschen Bundesgesetzblatt, auf griechischer Seite im Gesetzblatt der Besatzungsregierung (Ελληνική Πολιτεία), im Griechischen Regierungsblatt (Φύλλο Εφημερίδας Κυβερνήσεως, ΦΕΚ) und in den Parlamentsprotokollen (Πρακτικά της Βουλής) schrift­lich wiedergegeben sind. Die interna­tionalen Abkommen sowie die Entscheidungen der zuständigen deutschen und interna­tionalen Gerichte aus den letzten Jahren waren in ihrer ursprüng­lichen Form und Sprache über die einschlägigen Internetseiten zugäng­lich. Die Knappheit an relevantem Archivmaterial, vor allem seit der deutschen Wiedervereinigung, konnte teilweise durch die Verwendung von Berichterstattungen in Zeitungen und Zeitschriften aufgefangen werden. Für eine erste Einführung in das Thema ist die Kenntnis der einschlägigen Forschungsliteratur unerläss­lich, vor allem der Arbeiten von Hagen Fleischer und Heinz Richter über die Besatzungszeit.13 Auch John Hondros und Mark Mazower haben bedeutende Arbeiten zur Besatzung in eng­lischer Sprache publiziert.14 Bemerkenswert ist bei den genannten Historikern, dass sie – als nicht gebürtige Griechen – das Thema der deutschen Besatzung Griechenlands als Erste aufgegriffen und weithin bekannt gemacht haben. Dadurch wurde eine Wissensgrundlage zu unterschied­lichen Aspekten der deutschen Besatzung Griechenlands geschaffen, derer sich die Wissenschaft auch weiterhin bedienen kann. Für zwei zentrale ­Themen des Buchs – Repara­tionen und Bestrafung der Kriegsverbrecher – fielen zwei Monografien besonders ins Gewicht.15 In beiden werden aufschlussreich das einschlägige Nachkriegsgeschehen analysiert und die Lage in Deutschland sowie in den betroffenen Ländern zusammengefasst, jeweils mit einer 13 Heinz A. Richter: Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion 1936 – 1946, Frankfurt a. M.: Euro­päische Verlagsanstalt, 1973; Hagen Fleischer: Im Kreuzschatten der Mächte – Griechenland 1941 – 1944: Okkupa­tion – Resistance – Kollabora­tion, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1986. 14 John Louis Hondros: Occupa­tion and Resistance: The Greek Agony, 1941 – 44, New York: Pella, 1983; Mark Mazower: Inside Hitler’s Greece, Yale: Yale Nota Bene, 2001; Mark M ­ azower: Salonica, City of Ghosts: Christians, Muslims and Jews, 1430 – 1950, London: HarperCollins, 2004; Mark Mazower (Hg.): After the War was Over. Reconstructing the Family, Na­tion, and State in Greece, 1943 – 1960, Princeton, N. J.: Princeton University Press, 2000. 15 Norbert Frei (Hg.): Transna­tionale Vergangenheitspolitik – Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006 sowie auch der bereits erwähnte Band von Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung, 2006.

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großen Materialfülle für mög­liche komparative Untersuchungen. Beide enthalten ausführ­liche Beiträge von Hagen Fleischer zu Griechenland.16 Sieht man einmal von Fleischer ab, so befasst sich die griechische Geschichtswissenschaft nur sporadisch mit der Ahndung von Kriegsverbrechen, den Entschädigungen und der Wieder­g utmachung für Opfergruppen; wenn überhaupt, dann zeichnen sich die einschlägigen Narrative nicht eben durch Nachvollziehbarkeit aus.17 Mit Ausnahme von NachwuchswissenschaftlerInnen, deren Untersuchungen meist in Deutschland verfasst wurden, lassen sich nur wenige Historiker anführen, die sich auch zu einem späteren Zeitpunkt mit Besatzung und Nachkriegszeit auseinandergesetzt haben.18 Doch die Krise in Griechenland hat eine facettenreiche Diskussion über die deutsch-­ griechische Kriegs- und Nachkriegsvergangenheit in Gang gebracht. Es bleibt abzuwarten, ­welche Auswirkungen die aktuellen Entwicklungen auf die Wahrnehmung und Reflexion dieser historischen Ereignisse im akademischen Bereich, aber auch darüber hinaus haben werden. 16 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 375 – 457; Hagen Fleischer: „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage – Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechen­ land, in: Frei (Hg.), Transna­tionale Vergangenheitspolitik, 2006, S. 474 – 535. 17 Die Auslegung griechischer Historiker folgt einer antideutschen Linie, während Fleischer in seinen deutschen und griechischen Texten meist die schwankende und opportunistische Haltung der griechischen Regierungen kritisiert. Siehe z. B. Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S.  433 – 435. 18 Susanne-­Sophia Spiliotis: Der Fall Merten, Athen 1959: Ein Kriegsverbrecherprozess im Spannungsfeld von Wiedergutmachungs- und Wirtschaftspolitik, Magisterarbeit Ludwig-­Maximilians-­Universität München, 1991; Olga Lazaridou: Von der Krise zur Normalität: Die deutsch-­griechischen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der poli­tischen und wirtschaft­lichen Grundlagen (1949 – 1958), Disserta­tion Rheinische Friedrich-­Wilhelms-­Universität Bonn, 1992; Monika Yfantis: Die deutsch-­griechischen Beziehungen 1949 – 1955, Disserta­tion Heinrich-­Heine-­Universität Düsseldorf, 1999; ­Stratos N. ­Dordanas: Αντίποινα των Γερμανικών αρχών κατοχής στη Μακεδονία 1941 – 1944 (Vergeltungsak­tionen der deutschen Besatzungsmacht in Makedonien 1941 – 1944), Disserta­ tion Universität Thessaloniki, 2002, publiziert als: Stratos N. Dordanas: Το αίμα των αθώων. Αντίποινα των γερμανικών αρχών κατοχής στη Μακεδονία 1941 – 1944 (Das Blut der Unschuldigen: Vergeltungsak­tionen der deutschen Besatzungsmacht in Makedonien 1941 – 1944), Athen: Estia, 2007, sowie weitere publizierte Disserta­tionen: Tullia Santin: Der Holocaust in den Zeugnissen griechischer Jüdinnen und Juden, Berlin: Duncker & Humblot, 2003; Dimitrios K. Apostolopoulos: Die griechisch-­deutschen Nachkriegs­ beziehungen, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 2004; Vaios Kalogrias: Okkupa­tion, Widerstand und Kollabora­tion in Makedonien 1941 – 1944, Mainz, Ruhpolding: Philipp Rutzen, 2008; Anestis Nessou: Griechenland 1941 – 1944. Deutsche Besatzungspolitik und Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung – eine Beurteilung nach dem Völkerrecht, Göttingen: ­Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, dessen Forschung der deutschen Übersetzung dieser Arbeit als eine terminolo­g isch und sach­lich sehr präzise Grundlage diente.

1. Griechenland und das „Dritte Reich“ 1.1 Deutsch-griechische Beziehungen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs In den 1920er Jahren traten die Beziehungen ­zwischen Griechenland und Deutschland in eine Phase der Intensivierung.1 Die damalige wirtschaft­liche Zusammenarbeit beider Länder konnte zu einer gewissen Stabilisierung der politischen Lage in Griechenland beitragen, die in der Zwischenkriegszeit besonders wechselhaft war. Unmittelbar nach Abschluss eines bilateralen Handelsabkommens im März 1928 wurde ein griechischer Handelsbilanzüberschuss gegenüber Deutschland erzielt. Dank der Einführung eines Clearingsystems nahm der Warenaustausch Mitte der 1930er Jahre weiter zu;2 für Athen war es auf diese Weise mög­lich, relativ unabhängig von Devisenreserven mit Berlin zu verkehren. Sukzessive kamen bekannte deutsche Konzerne nach Griechenland, darunter AEG, Siemens und I. G. Farben, eröffneten Niederlassungen und richteten Produk­ tionsstätten ein.3 Die deutsch-­griechische Zusammenarbeit in der Zwischenkriegszeit, anfangs wirtschaft­lich, in der Folge auch politisch, erwies sich als richtungsweisend für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen nach dem Krieg und soll deshalb eingehender erläutert werden. In der Zwischenkriegszeit war Ioannis Metaxas zum Führer der royalistisch-­ rechtsextremen Freisinnigen Partei avanciert. Metaxas, ideolo­g isch sowohl vom italienischen Faschismus als auch vom deutschen Na­tionalsozia­lismus geprägt, verhehlte keineswegs seine deutschfreund­liche Haltung.4 Während eines Studiums in Deutschland – wie viele seiner Zeitgenossen und Nachfolger, etwa Tsaldaris, G. Papandreou, Kanellopoulos, Simitis oder Papoulias, im Fall von Metaxas an der Preußischen Kriegsakademie – hatte er bereits vor dem Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs enge Beziehungen zu ­diesem Land entwickelt.5 Nach seiner Ernennung zum Premierminister wurden außer den wirtschaft­lichen auch die politischen Kontakte

1 Zu den Wirtschaftsbeziehungen z­ wischen Griechenland und Deutschland vgl. die Arbeiten von Mark Mazower: Greece and the Inter-­War Economic Crisis, Oxford: Clarendon, 1991 oder Pelt: Tobacco, Arms and Politics, Copenhagen: Museum Tusculanum Press (u. a.), 1998. 2 Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen 1949 – 1955, 1999, S. 20. 3 Lazaridou, Von der Krise zur Normalität, 1992, S. 293. 4 Lazaridou, Von der Krise zur Normalität, 1992, S. 84. 5 Zur Ausbildung von Metaxas siehe Panayiotis J. Vatikiotis: Popular Autocracy in ­Greece, 1936 – 41: A Political Biography of General Ioannis Metaxas, London: Routledge, 1998, S.  39 – 48.

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zum „Dritten Reich“ forciert. Schon einen Monat nach der Machtübernahme durch Metaxas kam Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels nach Griechenland.6 Sein Besuch löste einen Schub für den Ausbau politischer Beziehungen ­zwischen beiden Ländern aus. Auch wurde 1939 an der Universität Athen eine Abteilung für Deutsche Sprache und Literatur unter Leitung des Germanisten Rudolf Fahrner eingerichtet.7 Generell stieg das griechische Interesse am Erlernen der deutschen Sprache. Die Außenstelle der Deutschen Akademie in Athen, Vorgängerin des heutigen Goethe-­Instituts, richtete gleich nach ihrer Gründung 1934 Deutschkurse ein, für die sich anfangs allerdings nur 18 Schüler fanden. Doch kurz vor dem Krieg wurden elf Außenstellen der Akademie (sogenannte Lektorate) über ganz Griechenland verteilt betrieben. In manchen Regionen waren sie sogar gefragter als die entsprechenden eng­lischen oder franzö­sischen Einrichtungen.8 Auch die deutsch-­griechischen Handelsbeziehungen wuchsen während des Metaxas-­ Regimes weiter an. Die griechischen Exporte nach Deutschland verzeichneten 1936 und 1937 eine jähr­liche Steigerung um 27 Prozent. Deutschland importierte Tabak und Erze (Nickel, Bauxit, Chrom), aber auch landwirtschaft­liche Produkte, Griechenland dagegen Kohle, Eisen und Industriegüter.9 1938 beliefen sich die Ausfuhren nach Deutschland auf 40 Prozent des gesamten griechischen Exportvolumens. Die Vergabe von wichtigen Staatsaufträgen an deutsche Unternehmen und die Heranziehung deutscher Berater für den Bau von Küstenbefestigungen unterstrichen das griechische Interesse sowohl an der Entwicklung bilateraler Handelsbeziehungen als auch an einer militärischen Zusammenarbeit.10

6 Siehe Hagen Fleischer: Die „Viehmenschen“ und das „Sauvolk“. Feindbilder einer dreifachen Okkupa­tion: der Fall Griechenland, in: Wolfgang Benz; Gerhard Otto; Anabella Weismann (Hg.): Kultur – Propaganda – Öffent­lichkeit: Inten­tionen deutscher Besatzungspolitik und Reak­tionen auf die Okkupa­tion, Berlin: Metropol, 1998, S. 135. 7 Anzumerken ist, dass die Fachbereiche für Eng­lische und Franzö­sische Philologie ihren Betrieb erst nach dem Krieg aufnahmen. Siehe Hagen Fleischer: Der Neubeginn in den deutsch-­ griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Bewältigung der jüngsten Vergangenheit, in: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies IMXA, 1991, S. 81 – 84. 8 Ebd. 9 Roland Schönfeld: Wirtschaft­liche Koopera­tion unter Krisenbedingungen – Deutsch-­ griechische Handelsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit, in: Bernhard Hänsel (Hg.): Die Entwicklung Griechenlands und die deutsch-­griechischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, München: Südosteuropa-­Gesellschaft, 1990, S. 131. 10 Ebd., S. 134. Zu den von beiden Seiten ausgehenden Komplika­tionen im deutsch-­griechischen Handel siehe Paul N. Hehn: A Low Dishonest Decade: The Great Powers, Eastern Europe, and the Economic Origins of World War II, 1930 – 1941, New York: Continuum, 2002, S. 105 und S. 251 f.

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Gleich im Jahr darauf ist jedoch ein entscheidender Einschnitt in den Beziehungen beider Länder zu verzeichnen:11 Direkt nach Kriegsausbruch bat Metaxas, der ­Mussolinis Expansionsabsichten fürchtete, sowohl Deutschland als auch Großbritannien um Unterstützung. London, wo der griechische König Georg II. längere Zeit unter dem Schutz des eng­lischen Königs Georg VI. gelebt hatte, sollte zu einer Art Sicherheits­ ventil werden für den Fall, dass die deutsche Expansionspolitik sich gegen Griechenland richtete. Bei den Verhandlungen mit Berlin verwies Metaxas immer wieder auf seinen Ruf als langjähriger Befürworter einer deutschfreund­lichen Politik und hob auch seinen persön­lichen Beitrag zum Aufbau wirtschaft­licher und politischer Beziehungen hervor. Hitler jedoch zeigte sich nicht willens, Griechenland zuliebe die Expansionspläne des verbündeten Italien infrage zu stellen.12 Metaxas versuchte nun, die Kommunika­tionskanäle zu beiden Mächten offenzuhalten; langfristig erwies sich dieser Vorsatz jedoch als unhaltbar. Großbritannien, tradierte Schutzmacht Griechenlands, deren Unterstützung Metaxas wegen der Interven­tionen besonders des griechischen Königs nicht einfach zurückweisen konnte, drängte auf eine Einschränkung der Athener Kontakte zum deutschen Regime. Metaxas Doppeldiplomatie führte oft zu widersinnigen Situa­tionen; so stärkte z. B. Berlin durch Rüstungslieferungen an Griechenland militärisch im Grunde London. Der größte Teil der griechischen Handelsmarine fuhr weiterhin unter britischer Flagge, und die britischen Schiffe, die an griechischen Häfen anlegten, wurden mit deutscher Kohle versorgt. Griechische Tanker transportierten Treibstoffe aus Rumänien für den Bedarf der britischen Kriegsmarine, und das Rüstungsunternehmen ΕΕPΚ (Εταιρία Ελληνικού Πυριτιδοποιείου και Καλυκοποιείου, ­später: PYRKAL ), aufgebaut mit Hilfe deutscher Technologie und Anleitung, produzierte Muni­tion ausschließ­lich für die Briten. Die Reichsregierung war sich des steigenden britischen Einflusses in Griechenland wohl bewusst, sodass sie umschwenkte und sich aus einem geplanten Vertragsabschluss mit dem Konzern Rheinmetall-­Borsig AG über Rüstungsexporte nach Griechenland zurückzog. In der Folge wurden auch Kohle- und Eisenlieferungen nach Griechenland stark reduziert, während die griechischen Exporteure trotz erheb­lichen Drucks aus Berlin Chrom an London lieferten, mit Verweis auf die besseren britischen Angebote.13 Hitler war zusehends beunruhigt über die verstärkten Kontakte ­zwischen Athen und London und befürchtete eine mög­liche britische Militärpräsenz in Griechenland. In einem solchen Fall sah er die deutschen Interessen am Schwarzen Meer 11 Kateřina Králová: Between Tradi­tion and Modernity: Greek-­German Rela­tions in Retro­ spect, Studia Territorialia: Acta Universitatis Carolinae 4 (2009), S. 97 – 117. 12 Siehe Pavel Hradečný (Hg.): Dějiny Řecka (Geschichte Griechenlands), Prag: ­Nakladatelství Lidové noviny, 1998, S. 421. 13 Schönfeld, Wirtschaft­liche Koopera­tion unter Krisenbedingungen, 1990, S. 246 – 255.

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bedroht, vor allem im Hinblick auf die rumänischen Ölfelder, die für die deutsche Rüstungsindustrie von hoher Wichtigkeit waren.14 Darüber hinaus hatte Berlin im Winter 1940/41 mit den Vorbereitungen für das anstehende „Unternehmen ­Barbarossa“ begonnen und war aus ­diesem Grund nicht daran interessiert, eine neue euro­päische Front zu eröffnen. Eher war man um eine freund­liche Neutralität des strate­g isch wichtigen Griechenland bemüht, das im Optimalfall sein Territorium für Marine- und Luftbasen der deutschen Wehrmacht zur Verfügung stellen sollte. An eine direkte Invasion war vorerst nicht gedacht, vielmehr wollte man zunächst einen neuen Verbündeten in Südosteuropa gewinnen. Als dann der Angriff der Italiener auf Griechenland begann und die italienische Opera­tion schließ­lich in einem Fiasko endete, hatte Hitler kaum eine andere Wahl als die militärische Interven­tion auf dem Balkan.15

1.2 Der deutsche Einmarsch Nach der Besetzung Albaniens durch Italien im April 1939 nahmen die Mutmaßungen von Metaxas über einen italienischen Angriff langsam Gestalt an, und im Sommer 1940 konkretisierten sich die Expansionspläne Mussolinis in Richtung Griechenland. Am 18. Jahrestag des faschistischen „Marschs auf Rom“, dem 28. Oktober 1940, überbrachte der italienische Botschafter Emanuele Grazzi ein unverfrorenes Ultimatum, in dem unter anderem die Zustimmung der griechischen Regierung zur Installierung italienischer Truppenverbände in Griechenland gefordert wurde. Der griechische Premierminister lehnte das Ultimatum ab, entschlossen, dem italienischen Druck nicht nachzugeben, und ordnete zeitgleich mit dem Angriff italienischer Streitkräfte auf Griechenland die allgemeine Mobilmachung an.16 14 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 78. 15 Mehr zur Metaxas-­Diktatur siehe z. B. Robin Higham; Thanos Veremis: The Metaxas Dictatorship: Aspects of Greece, 1936 – 1940, Athen: Hellenic Founda­tion for Defense and Foreign Policy and Speros Basil Vyronis Center for the Study of Hellenism, 1993; Hannibal Velliadis: Metaxas – Hitler. Griechisch-­deutsche Beziehungen während der Metaxas-­ Diktatur 1936 – 1941, Berlin: Duncker & Humblot, 2006; Victor S. Papacosma: Ioannis Metaxas and the „Fourth of August“ dictatorship in Greece, in: Bernd Jürgen Fischer (Hg.): Balkan Strongmen: Dictators and Authoritarian Rulers in South East Europe, West Lafayette: Purdue University Press, 2007, S. 164 – 198. 16 Mehr zum italienischen Angriff auf Griechenland siehe z. B. Hellenic Army General Staff (Hg.): Abridged History of the Greek-­Italian and Greek-­German War, Athen: Hellenic Army General Staff, Army History Directorate, 1997; Macgregor Knox: Mussolini Unleashed 1939 – 1941: Politics and Strategy in Fascist Italy’s Last War, Cambridge: Cambridge University Press, 1982, S. 189 – 230.

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Kurz nach dem ersten Einfall faschistischer Streitkräfte in griechisches Territorium wurde die Offensive abgewehrt und die griechische Armee ging zum Gegenangriff über. Mussolinis Debakel wurde von den west­lichen Alliierten begeistert aufgenommen, und viele bezeichneten es als die erste Kriegsniederlage der Achsenmächte in Europa.17 In der Folge des italienischen Angriffs löste Churchill sein Versprechen ein, Athen militärisch zur Seite zu stehen, und sandte einige britische Divisionen, unterstützt von der Royal Air Force. Genau genommen begann so das Engagement der Alliierten auf dem Balkan. Für Hitler ging es nicht nur darum, das Gesicht der Achsenmächte zu wahren, sondern auch eine neue makedonische antideutsche Front zu vermeiden, ähn­lich wie die, die im ­Ersten Weltkrieg letzt­lich zur deutschen Nieder­lage beigetragen hatte.18 Entgegen der angebotenen Bereitschaft, z­ wischen Rom und Athen zu vermitteln, leitete Berlin nun die Offensive gegen Griechenland ein. Ioannis Metaxas, zermürbt vom Druck der Großmächte sowie der ausweglosen Lage seines Landes, erkrankte und starb am 27. Januar 1941. Sein Nachfolger war Alexandros Koryzis; wenig s­ päter sollte er angesichts des deutschen Angriffs auf Griechenland psychisch zusammenbrechen und unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Streitkräfte Hand an sich legen.19 Das deutsche „Unternehmen Marita“ gegen Griechenland wurde am Ostersonntag, dem 6. April 1941, von bulgarischem Territorium aus gestartet. Der Angriff erfolgte mit sechs gut ausgerüsteten Infanteriedivisionen, zwei motorisierten Divisionen, zwei Panzerdivisionen von insgesamt 1200 Kampffahrzeugen sowie Luftstreitkräften mit mehr als 700 Flugzeugen. Die deutschen Truppen bestanden aus über 680.000 Mann. Nach kurzem Vorstoß durch Makedonien besetzten die Deutschen am 9. April 1941 Thessaloniki. Die griechische Armee, zusammen mit austra­lischer und neuseeländischer Verstärkung ungefähr eine halbe Million Mann, setzte dem deutschen Angriff keinen nennenswerten Widerstand entgegen.20 Nach dem Fall der strate­gisch wichtigen Stellung Metsovo unterzeichnete General G ­ eorgios Tsolakoglou, Befehlshaber der in Epirus eingekesselten griechischen Truppen­ einheiten, am 20. April 1941 die Kapitula­tionserklärung, entgegen den Befehlen des

17 Giorgos Margaritis: Ο πόλεμος του 1940 – 1941 (Der Krieg 1940 – 1941), in: Iστορία του Νέου Ελληνισμού 1770 – 2000, 8ος τόμος: H εμπόλεμη Ελλάδα, 1940 – 1949 (Geschichte des Neuen Griechentums 1770 – 2000, Band 8: Griechenland im Krieg, 1940 – 1949), Athen: ­Ellinika Grammata, 2003, S. 9 – 32. Siehe auch Heinz A. Richter: The Impact of Opera­ tions Marita and Merkur on Barbarossa. The Six Missing Weeks in Front of Moscow. Myth or Historical Truth?, in: Macedonia and Thrace, 1941 – 1944: Occupa­tion-­Resistance-­Libera­tion: Interna­tional Conference, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies IMXA, 1998, S.  15 – 28. 18 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 51. 19 Mehr zum Beginn des deutschen Angriffs siehe Heinz A. Richter: Griechenland im ­Zweiten Weltkrieg August 1939–Juni 1941, Bodenheim: Syndikat, 1997. 20 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 263 (Anm. 99).

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Abb. 1  Athen, Mai 1941: Die Hakenkreuzflagge wird auf der Akropolis gehisst. BArch, Bild 101I-164 – 0389 – 23A/Scheerer

Oberkommandos der griechischen Streitkräfte. Die Athener Regierung – Premier­ minister Tsouderos und König Georg II. – setzte sich nach Kreta ab. Daraufhin evakuierte man ebenfalls britische Einheiten sowie einen Teil der griechischen Armee. Griechische Offiziere, die auf dem Festland geblieben waren, darunter auch der spätere Nachkriegspremierminister General Alexandros Papagos, wurden verhaftet und in deutsche Konzentra­tionslager verschleppt. Am 27. April 1941 erreichten die deutschen Truppen Athen. In den darauffolgenden Tagen eroberten sie die Peloponnes und hatten somit das gesamte griechische Festland besetzt.21

21 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 4.

Der deutsche Einmarsch  |  29

Abb. 2  Unmittelbar vor dem Beginn des Massakers an den Bewohnern der Gemeinde Kontomari auf Kreta, 2. Juni 1941. BArch, Bild 101I-166 –­ 0525 – 12/Franz Peter Weixler

Als einziger Teil des griechischen Territoriums war nun ledig­lich Kreta nicht unter deutscher Kontrolle. Am 20. Mai begann unter dem Namen „Opera­tion Merkur“ die Luftlandung auf der Insel unter dem kommandierenden General der Luftwaffe Kurt Student.22 König Georg und die Regierung Tsouderos flüchteten nach Ägypten. Nach zehn Tagen schonungsloser Gefechte mit zahlreichen Verlusten auf beiden Seiten

22 Mehr zum Kampf um Kreta siehe Antony Beevor: Crete: The Battle and the Resistance, Boulder: Westview Press, 1994; Callum MacDonald: The Lost Battle – Crete 1941, ­London: MacMillan, 1995.

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besetzte die Wehrmacht dann am 1. Juni 1941 auch Kreta. Die dortige Zivilbevölkerung, die sich der deutschen Invasion widersetzte, war mit Vorgehensweisen von äußerster Härte konfrontiert, darunter Vergeltungsak­tionen (sogenannten Sühnemaßnahmen) auf Befehl von General Student. Dabei wurden ganze kretische Dörfer ausgerottet, mit der Begründung, dass deren Bewohner an Kriegshandlungen teilgenommen oder deutsche Fallschirmjäger misshandelt hätten.23 Zu Beginn des Griechenlandfeldzugs beabsichtigte Hitler nicht die Annexion des Landes. Es ging ihm vielmehr darum, die britischen Streitkräfte zurückzudrängen und mehr Handlungsspielraum im Mittelmeer zu gewinnen. Dafür wurde eine lokale Marionettenregierung zusammengestellt. Ihre Kontrolle und Beaufsichtigung wurden am 28. April 1941 dem erfahrenen deutschen Diplomaten Günther Altenburg als Bevollmächtigtem des Reichs für Griechenland übertragen. Bis Oktober 1943 versah Altenburg ­dieses Amt und wechselte anschließend als Leiter der Balkan-­Dienststelle (Dienststelle Altenburg) nach Wien. In Griechenland wurde er abgelöst von seinem bisherigen Stellvertreter Kurt-­Fritz von Graevenitz, der nun die politische Kontrolle der deutschen Besatzungszone übernahm und im Mai 1944 zum Generalkonsul befördert wurde. In Thessaloniki, das während der gesamten Besatzungsdauer ausschließ­ lich unter deutscher Verwaltung stand, war Fritz Schönberg schon ab November 1937 Konsul; im Juni 1939 wurde er zum Generalkonsul ernannt und verblieb dort bis zur italienischen Kapitula­tion.24 Danach wurde Thessaloniki in die deutsche, von Athen aus zentral verwaltete Besatzungszone integriert. Die deutschen Diplomaten in Athen waren dem Reichsaußenministerium unterstellt. Sie kooperierten jedoch mit den deutschen Streitkräften, besonders mit dem Reichssicherheitshauptamt, das in Griechenland über eigene Beauftragte verfügte. Zum Wehrmachtsbefehlshaber Südost ernannte Hitler Generalfeldmarschall W ­ ilhelm List. Ihm unterstanden die Territorialbefehlshaber Serbien, Thessaloniki-­Ägäis und Südgriechenland. Bei List bzw. seinen Nachfolgern General Walter Kuntze und anschließend General­oberst Alexander Löhr (später Oberbefehlshaber Südost) lag auch die Verantwortung für die Koordina­tion der Opera­tionen mit der italienischen und bulgarischen Armee.25 ­Deutschland wollte nicht noch mehr Truppenverbände einsetzen,

23 Z. B. wurde am 2. Juni 1941 die männ­liche Bevölkerung der Gemeinde Kontomari umgebracht und am 3. Juni 1941 das Dorf Kandanos dem Erdboden gleichgemacht. Siehe Beevor, Crete: The Battle and the Resistance, 1994, S. 235 – 237. 24 Irith Dublon-­Knebel: German Foreign Office Documents on the Holocaust in Greece 1937 – 1944, Tel Aviv: Tel Aviv University, 2007, S. 21 (Anm. 50, 52, 204). 25 Angesichts der bevorstehenden italienischen Kapitula­tion wurde die über den Balkanraum verteilte Heeresgruppe reorganisiert und unter dem Kommando von Generalfeldmarschall Maximilian Reichsfreiherr von Weichs von Griechenland nach Serbien verlegt. Siehe ­Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 131 – 134;

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um ganz Griechenland vollständig zu kontrollieren. Daher wurde der größte Teil des griechischen Territoriums den Verbündeten Italien und Bulgarien überlassen. Letzteres strebte seit den Balkankriegen eine Revision seiner Grenzen und den direkten Zugang zum Mittelmeer an. Deutschland selbst jedoch behielt sich die strate­gisch entscheidenden Gebiete vor. Im Wesent­lichen gerieten das gesamte griechische Festland ab Thessaloniki in west­ liche Richtung sowie die Mehrzahl der Kykladen unter italienische Kontrolle. Auch die Ionischen Inseln wurden von Italien annektiert. Ostmakedonien und Thrazien, zusammen mit den strate­gisch wichtigen Inseln Thasos und Samothraki, wurden Bulgarien überlassen. Der Befehlshaber Saloniki-­Ägais, Generalleutnant Curt von Krenzski, behielt sich die Kontrolle von Zentralmakedonien, der Chalkidiki, eines schmalen Streifens thrakiotischen Territoriums an der griechisch-­türkischen Grenze, sowie der Inseln Chios, Mytilini, Limnos und Skyros vor. Der Piräus, die Inseln des Saronischen Golfs, Kythira und Antikythira, Milos sowie der größte Teil Kretas unterstanden dem Militärbefehlshaber Südgriechenland, General Hellmuth Felmy, s­ päter General Wilhelm Speidel. Nach der Kapitula­tion Italiens wurden die bis dahin italienisch kontrollierten Gebietsteile der deutschen Wehrmacht überlassen.26 Nach dem erfolgreich durchgeführten „Unternehmen Marita“ im Frühjahr 1941 zog die deutsche Heeresverwaltung die meisten Verbände aus Griechenland ab. Im März 1942 bestanden die deutschen Truppen in Griechenland nur noch aus 75.000 Mann. Anfang 1943 wurde aus dem Armeeoberkommando 12 unter Wilhelm List die Heeresgruppe E aufgestellt, bis Kriegsende befehligt von Generaloberst Alexander Löhr. In der Folge der italienischen Kapitula­tion wurde die deutsche Truppenpräsenz in Griechenland wieder erheb­lich verstärkt und erreichte 275.000 Mann, unterstützt von 55.000 bulgarischen Soldaten in Nordgriechenland. Das komplizierte System der Dreifachbesatzung mit sorgfältig abgesteckten Beziehungen ­zwischen italienischen und deutschen Truppen sowie zu den Besatzungsregierungen bezeichnete der US-amerikanische Historiker Alexander Dallin treffend als „autoritäre Anarchie“.27

1.3 Griechische Kollaborationsregierungen Mit Beginn der deutschen Besatzung Griechenlands wurde im April 1941 die erste Besatzungsregierung gebildet, die formal die Kontrolle über das griechische Walther Hubatsch (Hg.): Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939 – 1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht, Koblenz: Bernard & Graefe, 1983. 26 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 133 f. 27 Alexander Dallin: German Rule in Russia, 1941 – 1945. A Study of Occupa­tion Policies, London, New York: Macmillan, St. Martin’s Press, 1957, S. 98.

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Staatsgebiet ausübte. Bis zum Herbst 1944 kam es unter der Besatzung insgesamt zu drei Regierungsbildungen in der griechischen Hauptstadt. Mehrheit­lich stammten deren Mitglieder aus den Reihen der Militärs; auch nahmen einige Demokraten, Liberale sowie Sozia­listen teil. Man kann jedoch nicht behaupten, die drei Premierminister Georgios Tsolakoglou, Konstantinos Logothetopoulos und Ioannis Rallis hätten sich na­tionalsozia­listischen Überzeugungen angeschlossen. Mit den Besatzern kooperierten sie eher aus Opportunismus, antikommunistischer Überzeugung oder einfach aus persön­lichem Vorteilsdenken heraus, in Verbindung mit der Erwartungshaltung, die deutsche Seite würde intervenieren, um brutale Übergriffe ihrer bulgarischen und italienischen Verbündeten gegen die griechische Bevölkerung zu unterbinden.28 Während Rom nach Unterzeichnung der griechischen Kapitula­tionserklärung die Einrichtung eines italienisch dominierten Protektorats plante, akzeptierte Berlin am 26. April 1941 als „Geschenk des Himmels“ Tsolakoglous Vorschlag einer Regierungsbildung.29 Die deutsche Seite sah in General Tsolakoglou einen unpolitischen, gefügigen Offizier, der aufgrund militärischer Erfolge in den Balkankriegen und im Albanienkrieg gegen Italien bei seinen Landsleuten einen guten Ruf hatte. Die Italie­ ner dagegen missbilligten eine Regierungsbildung, an deren Spitze ein General aus dem Griechisch-­Italienischen Krieg stehen sollte. Doch Hitler lehnte die Forderung der Italiener nach einer aus deren griechischen Gesinnungsgenossen gebildeten Regierung ab, da diese Personen im Land so gut wie keinen Rückhalt besaßen. So wurde die erste Besatzungsregierung schließ­lich Ende April 1941 vereidigt.30 Der ursprüng­liche Vorschlag Tsolakoglous zur Zusammensetzung seines Kabinetts umfasste ausschließ­lich Armeeoffiziere. Italien beharrte darauf, dass die griechische Regierung nicht nur aus Militärs bestehen könne. Daher wurden vier Ressorts im Nachhinein an Zivilisten vergeben. Die Besatzungsregierung übernahm ab 29. April ihre Geschäfte; die griechische Armee wurde aufgelöst. Natür­lich hatten die Achsenmächte nicht die Absicht, Griechenland das Recht auf Ausübung einer unabhängigen Außenpolitik zuzugestehen, sodass diese Regierung keinen Außenminister vorwies.

28 Rainer Eckert: Vom „Fall Marita“ zur „wirtschaft­lichen Sonderak­tion“: die deutsche Besatzungspolitik in Griechenland vom 6. April 1941 bis zur Kriegswende im Februar/März 1943, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1992, S. 59 – 69; Christopher M. Woodhouse: Apple of Discord. A survey of recent Greek politics in their interna­tional setting, London: Hutchinson, 1948, S. 27 f. 29 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 130. 30 Raimondos Alvanos: Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), in: Iστορία του Νέου Ελληνισμού 1770 – 2000, 8ος τόμος (Geschichte des Neuen Griechentums 1770 – 2000, Band 8), 2003, S. 131.

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Faktisch stand sie unter der Kontrolle des deutschen Botschafters Altenburg, seines italienischen Kollegen Pellegrino Ghigi und des Generals Wilhelm List.31 Am 7. Mai 1941 wurde durch Kabinettsentscheidung aus dem Königreich Griechenland der Griechische Staat (Ελληνική Πολιτεία). Am folgenden Tag rief T ­ solakoglou erstmals das neue Kabinett zusammen und übernahm persön­lich die Befugnisse, die früher dem König oblagen. Ideolo­g isch hielt sich Tsolakoglou an einen wachsenden Antimonarchismus, der nicht nur auf die verbreitete Unzufriedenheit mit der autoritären Politik Georgs II . zurückging. Dieser hatte Metaxas zum Premier­minister gemacht und dabei die Diktatur oktroyiert. Unmut über den Monarchen war bereits dadurch entstanden, dass er die griechische Außenpolitik vor Kriegsausbruch einseitig auf Großbritannien festgelegt und dadurch den bewaffneten Konflikt mit Deutschland herbeigeführt hatte. Man bezeichnete die neue Regierung als eine der „Na­tionalen Notwendigkeit“, die als einzige Op­tion für staat­liche Integrität präsentiert wurde. Dieses Ideologem ruhte jedoch auf morschen Pfeilern, insofern die territoriale Integri­ tät Griechenlands bereits verletzt und das Staatsgebiet unter drei Besatzungsmächten aufgeteilt war.32 Was auch immer der Regierungsapparat der Kollabora­tion verfolgte, es baute auf Duldung und Koopera­tion seitens der Beamten und Minister aus der Zeit der Metaxas-­Diktatur auf.33 Wenigstens anfäng­lich besaß die Regierung auch die Unterstützung der griechischen Großindustriellen, die die guten Handelsbeziehungen ­zwischen beiden Ländern aus der Vorkriegszeit im Blick hatten.34 Tsolakoglou erklärte, das Hauptziel seiner Regierung bestehe in der Bewahrung der territorialen Integrität Griechenlands unter deutscher Verwaltung. In einem privaten Gespräch mit Altenburg bemerkte er, die fortgesetzte italienische Militärpräsenz in Griechenland könne mög­licherweise zu ausgedehnten Unruhen führen.35 Als seine Absicht fehlschlug, gegen die italienische Besatzung anzugehen, reichten zwei seiner Minister – nichtmilitärische Kabinettsmitglieder – zwei Tage nach der Vereidigung ihr Rücktrittsgesuch ein.36

31 Raimondos Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S.  130 – 133; siehe auch Eckert, Vom „Fall Marita“ zur „wirtschaft­lichen Sonderak­tion“, 1992, S.  59 – 62. 32 Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S. 65 f. 33 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 78. 34 NA, RG 59/868 00/1126 – Notes on the German Army’s Methods of Acquiring Property in Greece (20. 7. 1941). 35 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 131. 36 Eckert, Vom „Fall Marita“ zur „wirtschaft­lichen Sonderak­tion“, 1992, S. 59 – 62.

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1.3.1 Winter 1941/42

Das Vertrauen der griechischen Zivilbevölkerung in die Kollabora­tionsregierung war von Anfang an gering. Es brach immer mehr ein, nicht so sehr wegen des nicht eingelösten Versprechens, die territoriale Integrität des Landes zu wahren, vielmehr aufgrund der miserablen Wirtschaftslage. Der harte und schwierige Winter 1941/42 in Griechenland war begleitet vom Ausbruch einer Hungersnot, der nach zuverlässigen Berechnungen ungefähr 250.000 Menschen zum Opfer fielen.37 Doch sollte auch diese Zahl nur unter Vorbehalt in Betracht gezogen werden, denn häufig wurden die Hungertoten wegen mangelnder Mittel heim­lich außerhalb der Friedhöfe beerdigt, oft in Massengräbern. Athen bot zu jener Zeit ein Bild des Jammers: Auf den Straßen sah man Tausende von Bettlern und unterernährten Menschen ausgemergelt den Hungertod erwarten oder auch bis zum Skelett abgemagerte Waisenkinder, denen die Eltern noch zu Lebzeiten ihre eigenen Lebensmittelmarken überlassen hatten.38 Trotz dringender Eingaben sogar von Altenburg zeigte Berlin nicht die mindeste Bereitschaft, sich mit Lebensmittellieferungen nach Griechenland zu befassen. Hitler schob die trostlose Versorgungslage Italien in die Schuhe. Ihm zufolge hätte Italien als wichtigste Besatzungsmacht sich dieser Angelegenheit annehmen sollen. Er beschuldigte London, dass aufgrund der von den Briten verhängten Seeblockade die Übersendung von humanitärer Hilfe für Griechenland durch das Rote Kreuz nicht mög­lich sei. Der wahre Grund für Hitlers Desinteresse sollte jedoch in der Planung für die Opera­tionen gegen die Sowjetunion gesucht werden, denn diese setzten eine Bündelung sämt­licher Kräfte sowie genügend Vorräte für den Ostfeldzug voraus.39 In Griechenland, das nicht einmal vor dem Krieg über ausreichende Getreidemengen verfügt hatte, war die Sommerernte 1941 ungefähr ein Drittel geringer als üb­lich ausgefallen. Einige wichtige fruchtbare Landstriche, wie etwa Ostmakedonien und Thrazien, lagen in der bulgarischen Besatzungszone, deren Verwaltung eine Liefe­ rung an die übrigen besetzten Zonen Griechenlands verboten hatte.40 Die griechische

37 Manche Quellen, etwa BBC , berichten von einer halben Million Todesopfern. Die griechischen Hochrechnungen gehen gar bis zu 800.000. Siehe Hagen Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 117. Laut Hionidou hängt die Zahl der Toten auch davon ab, wie die Zeitspanne der Hungerkrise definiert wurde. Die Angabe, es sei zu 250.000 Hungertoten gekommen, bezieht sich nur auf den Zeitraum 1941 – 1943. Siehe Violetta Hionidou: Famine and Death in Occupied Greece, 1941 – 1944, Cambridge: Cambridge University Press, 2006, S. 25 f. 38 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 30 – 52. 39 TNA, FO 371/33175/R 2710 – Memorandum (5. 3. 1942); TNA, FO 371/33175/R 600 – Starva­tion stalks in the streets of Salonica (7. 1. 1942). 4 0 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece.

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Regierung bemühte sich im Sommer 1941, Getreidereserven anzulegen, jedoch ohne Erfolg. Die Landwirte hielten mit einem Großteil ihrer Ernte aus Angst vor dem anstehenden Winter zurück und erhofften sich durch steigende Nachfrage einen höheren Marktpreis für Getreide. Zuständige Regierungsbeamte, die ihre Missionen immer wieder für den Eigenbedarf nutzten, konnten ledig­lich ein Viertel der erforder­lichen Getreidemenge sicherstellen.41 Die Regale in den Geschäften wurden leergeräumt, die Infla­tion galoppierte mit rasender Geschwindigkeit und in den Städten entstand bald ein Schwarzmarkt. Der mittellose Teil der Bevölkerung hatte keinen Zugang zu Nahrungsmitteln; er überlebte ledig­lich mit Speisungen durch Hilfsorganisa­tionen, die auf private und klerikale Initiative hin sowie ­später auch vom Ministerium für Sozia­ les eingerichtet wurden. 1942 lebten ungefähr drei Viertel der Hauptstadtbewohner von diesen Speisungen.42 Im Jahr darauf nahm angesichts des bevorstehenden Winters die Besorgnis überhand. Oft wurden tagelang keine Lebensmittel ausgeteilt, und die Reserven waren erschöpft. Die Brotra­tion über Marken ging auf 100 Gramm pro Tag zurück.43 Das Distribu­tionsnetz brach zusammen, einmal, da Treibstoffe nicht mehr zur Verfügung standen, dann aber auch wegen der Sabotageakte griechischer Partisanen. Die Versorgung der Hauptstadt mit Elektrizität beschränkte sich auf die Nachtstunden. Fabriken und Schulen blieben ab Dezember 1941 wegen Energiemangels ebenfalls geschlossen. In dieser Phase schaffte man täg­lich ungefähr 600 bis 700 Tote von Athener Straßen weg; im Januar 1942 stieg diese Zahl auf 1000 pro Tag. Sogar im März 1942 verhungerten pro Tag noch ungefähr 200 Menschen.44 Für die griechische Bevölkerung ging es damals um nichts weniger als ums nackte Überleben.45 Deutschland wandte sich erneut an Italien und forderte eine ausreichende Lebensmittelversorgung für die Griechen. Italien jedoch hatte seinerseits eine geringere Ernte eingefahren und war, um den Nahrungsbedarf der eigenen Bevölkerung zu decken, weitgehend von Importen aus dem „Reich“ abhängig. So machte Berlin es zur Bedingung für neue Lebensmittelsendungen nach Italien, dass Hilfstransporte mit Nahrungsmitteln nach Griechenland geschickt würden, und sagte zu, dafür auch einen Teil der eigenen Reserven zur Verfügung zu stellen. Während Italien der Verpflichtung nachkam, in der kritischen Phase 1941/42 Griechenland mit Nahrungsmitteln zu 41 Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S. 67. 42 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece; Hionidou, Famine and Death in Occupied Greece, 2006, S. 125. 43 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. Der Bericht erwähnt, dass Brot in Griechenland ein Grundnahrungsmittel darstellt und mit 1,5 kg Tagesbedarf pro Person angesetzt wird. 4 4 TNA, FO 837/1231, T 500 – The Food Situa­tion and Greece (6. 1. 1942). 45 TNA, FO 371/33175/R2710 – Memorandum (5. 3. 1942).

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versorgen, sandte Deutschland nur ein Viertel der zugesagten Menge. Die Vertreter der Westalliierten waren der Ansicht, die Hungerkrise in Griechenland könne nur mit humanitären Hilfsak­tionen des Interna­tionalen Roten Kreuzes überwunden werden, dessen Gesandte sich seit 1940 in Griechenland aufhielten.46 Nach langwierigen Verhandlungen entschloss sich die Londoner Regierung im Februar 1942 dafür, die Seeblockade der griechischen Küsten zu lockern. Den Vertretern des Roten Kreuzes aus dem neutralen Schweden wurde die Aufgabe übertragen, Lebensmittel zu beschaffen und in Griechenland auszuteilen. Anfäng­liche Getreidelieferungen aus der Türkei konnten nur einen minimalen Teil des Bedarfs decken. Erst als ab August 1942 große Getreidemengen aus Kanada eintrafen, verbesserte sich die Situa­tion.47 1.3.2 Von Tsolakoglou zu Rallis

Die Regierung von General Tsolakoglou verlor wegen der Hungerkrise auch den letzten Rückhalt in der Bevölkerung. Man warf ihr Mangel an grundlegendem poli­tischem Verantwortungsgefühl, Korrumpierbarkeit und Beteiligung von Ministern am Schwarzmarkthandel vor.48 Tsolakoglou hatte bereits ab Mai 1941 Sondergerichte gegen die Korrup­tion geschaffen, von denen letzt­lich kein nennenswerter Schwarzhändler verurteilt wurde; vielmehr überwog die Meinung, dass diese Gerichte dazu herhalten sollten, ledig­lich über ein paar arme Kerle ohne politische Verbindungen zu richten.49 Deutschland bestand trotz der bedrückenden Vorgänge im Winter 1941/42 auf der Zahlung von Besatzungskosten, sodass sich die Krise noch verschärfte und der griechische Finanzminister Sotirios Gotzamanis, unterstützt von Altenburg, in Berlin und Rom vorsprach. Auch dieser Versuch konnte nichts gegen Hitlers Entscheidung ausrichten. Premierminister Tsolakoglou machte sich wiederholt mit Verlautbarungen und Drohungen, er werde gegebenenfalls zurücktreten, für den Schutz der griechischen Bevölkerung stark. Die angespannte politische Lage wurde zusätz­lich belastet durch persön­liche Differenzen z­ wischen Tsolakoglou und Gotzamanis, den die Italiener gern auf dem Stuhl des Premierministers gesehen hätten. Zwar versicherten die Deutschen Tsolakoglou ihrer Unterstützung, doch waren sie bereits auf der Suche nach einer geeigneteren Person, die ihn ersetzen sollte.50 Tsolakoglou stellte weitere Forderungen an Berlin, vermut­lich, um sein Ansehen bei der griechischen Bevölkerung zu verbessern, trug damit jedoch letzt­lich zu seinem 4 6 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. 47 TNA, FO 837/1231, T 500 – Greece: The Blocade (14. 2. 1942). Vgl. Mazower, Inside ­Hitler’s Greece, 2001, S. 48. 48 Vgl. z. B. TNA, FO 837/1231, T 500 – The Food Situa­tion and Greece (6. 1. 1942). 49 Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S. 68. 50 PA-AA, R 29 613, Bl. 347 – 349 – Neubacher/Altenburg an AA (1. 11. 1942).

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eigenen Rücktritt bei. Am 12. November 1942 verlangte er von der Besatzungsverwaltung die Ablösung von Finanzminister Gotzamanis sowie die Zustimmung zur Auswahl neuer Minister. Auch forderte er die Senkung der Besatzungskosten und einen Schlussstrich unter verschiedene Willkürmaßnahmen der Besatzungsmächte. Nach deutsch-­ italienischer Rücksprache wurde Tsolakoglou am 1. Dezember 1942 „aus gesundheit­ lichen Gründen“ zum Rücktritt gezwungen und Konstantinos Logothetopoulos am folgenden Tag zum neuen Premierminister ernannt. Im Kabinett seines Vorgängers war ihm das Ressort für Sozia­les übertragen worden.51 Logothetopoulos besaß nicht eine Spur von politischem Charisma und stellte einen von Italien und Deutschland gemeinsam akzeptierten Kompromiss in einer Situa­tion dar, in der die Italiener eigent­lich Gotzamanis für diese Rolle favorisierten, Hitler jedoch an dessen Eignung zweifelte, und die Deutschen eher auf Ioannis Rallis setzten.52 Logothetopoulos war Berlin auch wegen seiner deutschfreund­lichen Haltung genehm: Vor dem ­Ersten Weltkrieg hatte er in München Medizin studiert und anschließend in Deutschland gelehrt. Als er nach Griechenland zurückkehrte, erhielt er eine Professur für Gynäkologie an der Universität Athen. Von Vorteil aus deutscher Sicht war auch seine Ehe mit der deutschen Ärztin Elisabeth Hell.53 Der neue Premierminister behielt sich zusätz­lich die Ressorts für Sozia­les, Bildung und Gesundheit vor. Gotzamanis blieb Wirtschafts- und Finanzminister und war, als der Posten des Vizepremiers abgeschafft wurde, im Grunde nach wie vor der wichtigste Mann in der Regierung.54 Im Kabinett von Logothetopoulos, von Anfang an ein Provisorium, saßen zum Großteil dieselben Personen wie in der Vorgängerregierung. Die neue Regierung geriet wegen der sich zuspitzenden innen- und außenpolitischen Entwicklungen unter immer stärkeren Druck. Sowohl in Nordafrika als auch in der Sowjetunion nahm der Krieg eine für das Reich ungünstige Wendung. Von der griechischen Bevölkerung, die das Kriegsende herbeisehnte, wurden die Nachrichten aus Afrika und von der Ostfront mit Begeisterung aufgenommen und stärkten die antideutsche Haltung. Im Herbst 1942 sprang im griechischen Gebirgsland die britische Militärmission ab, um eine Koopera­tion mit linken und rechten Widerstandsorganisa­tionen einzuleiten. Zwei Monate ­später, am 26. November 1942, sprengten griechische Partisanen zusammen mit der britischen Sondereinsatztruppe (Special Opera­tions Executive, SOE ) die Brücke am Gorgopotamos-­Fluss und unterbrachen dadurch die Bahnverbindung 51 Διάγγελμα του πρωθυπουργού Στρατηγού Γ. Τσολάκογλου προς τον Ελληνικόν λαόν (1. 12. 1942) (Botschaft des Premierministers General G. Tsolakoglou an das griechische Volk, 1. 12. 1942), Griechisches Regierungsblatt ΦΕΚ A’ 305/1942. 52 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 80. 53 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 197. 54 Eckert, Vom „Fall Marita“ zur „wirtschaft­lichen Sonderak­tion“, 1992, S. 68.

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von Belgrad über Thessaloniki nach Athen, mittels derer der Hauptnachschub für General Rommels Truppen nach Afrika erfolgte. Trotz der anschließenden harten Vergeltungsak­tionen gegen die Zivilbevölkerung wurde die Sprengung der Brücke schnell zum Fanal der griechischen Widerstandsbewegung sowie der erfolgreichen subversiven Aktivitäten der SOE .55 Von da an änderte Berlin seine Taktik und gab sich nunmehr als Schutzmacht der besetzten Gebiete vor der drohenden kommunistischen Gefahr aus.56 Doch für diese neue politische Posi­tionierung war das Kabinett Logothetopoulos nicht geeignet. Wieder begannen die Besatzungsmächte darüber zu beraten, wie man eine neue, nicht nur aus Militärangehörigen bestehende Regierung bilden könne. Die Italiener setzten weiterhin auf Gotzamanis als Premierminister. Gegen diese Wahl hätte sich jedoch die gesamte griechische Öffent­lichkeit gestellt, schon wegen dessen slawomazedonischer Herkunft; diese Tatsache war Altenburg nicht entgangen, der Hitler vor der Gefahr eines Erstarkens des griechischen Widerstands warnte.57 Schließ­lich einigten sich Italien und Deutschland auf den von Berlin favorisierten Kandidaten Ioannis Rallis, einen Angehörigen der tradi­tionell konservativen Oberschicht. Rallis war Politiker mit jahrelanger Erfahrung als Abgeordneter, Finanz- und Außenminister. Mehr als NS -Deutschland machte ihm der wachsende Einfluss der Kommunistischen Partei zu schaffen.58 Seine Regierung wurde am 7. April 1943 vom Erzbischof Damaskinos vereidigt. Die Deutschen gewährten ihm im Gegensatz zu seinen Vorgängern beacht­lichen Handlungsspielraum. So hatte Rallis etwa freie Kabinettswahl. Obschon seine Reden weiterhin der deutschen Zensur unterlagen, ließ man ihm die Mög­lichkeit, sich über Rundfunk und Presse häufig an die griechische Bevölkerung zu wenden.59 Der dritte Besatzungs­ premier war keine Enttäuschung für Hitler. Zwar hielt der eingeschworene Royalist Rallis Kontakt zur griechischen Exilregierung, zog aber eine harte antikommunistische Linie durch, die auf die Zerschlagung der linken Widerstandsbewegung abzielte. Dies rang der deutschen Besatzungsverwaltung lobende Anerkennung ab.60

55 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 138 – 143; André Gerolymatos: Red Acropolis, Black Terror: the Greek Civil War and the origins of Soviet-­American rivalry, 1943 – 1949, New York: Basic Books, 2004, S. 70. 56 Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S. 70 f. 57 PA AA, Büro Staatssekretär, Griechenland IV, Bl. 194 – 224. Siehe dazu auch Spyros ­Marchetos: A Slav Macedonian Greek Fascist? Deciphering the Ethnicophrosyne of S­ otirios Gotzamanis, in: Alexandra Ioannidou; Christian Voss (Hg.): Slavic Studies after the EU Enlargement: Challenges and Prospects, Berlin: Peter Lang, 2009. 58 Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S. 242. 59 Zur Regierung Rallis siehe PA AA, Büro Staatssekretär, Griechenland IV, Bl.  237 – 283. 60 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 81.

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1.3.3 Kollaborationsgruppierungen

Natür­lich gab es auch unter Griechen Anhänger des Na­tionalsozia­lismus. Schon vor dem Krieg waren kleinere Organisa­tionen gegründet worden, die die NS-Ideologie befürworteten, wobei dann selbst die Besatzungsmächte verächt­lich auf deren ungeschickte Handhabungen reagierten. Frühe na­tionalistische Gruppierungen, die sich an der deutschen NSDAP orientierten, waren in Griechenland bereits in den 1930er Jahren entstanden, ­darunter Na­tionaler Souveräner Staat (Εθνικόν Κυρίαρχον Κράτος, EKK), die paramilitä­ rische Forma­tion Eiserner Frieden (Σιδηρά Ειρήνη), die Griechische Na­tionalsozia­listische Partei (Ελληνικό Εθνικοσοσιαλιστικό Κόμμα, EEK), gegründet 1932 von Georgios Merkouris, der s­ päter von der Rallis-­Regierung zum Leiter der griechischen Na­tionalbank ernannt wurde, sowie die Na­tionale Sozia­listische Patriotische Organisa­tion (Εθνική Σοσιαλιστική Πατριωτική Οργάνωση, ESPO) mit Spyros Sterodimos an der Spitze.61 1927 betrat die rechtsextreme Na­tionale Vereinigung Griechenlands (Εθνική Ένωσις Ελλάδος, EEE) mit aggressiv antisemitischen Posi­tionen die politische Bühne in Thessaloniki. Ihr Gründer war Georgios Kosmidis, ein Geschäftsmann ohne besondere Kenntnisse und Qualifika­tionen, der angeb­lich ausschließ­lich türkisch sprach. Wie die meisten Mitglieder dieser Organisa­tion zählte er zu den eher dem Mittelstand zuzurechnenden Flüchtlingen, die im Zuge des Bevölkerungsaustauschs nach dem Lausanner Vertrag Ende Januar 1923 nach Thessaloniki gekommen waren.62 Diese Flüchtlinge hatten ihr gesamtes Hab und Gut in der Türkei zurücklassen müssen und waren anfangs mit der Überfremdungsangst der lokalen Bevölkerung in Griechenland konfrontiert. In der Reak­tion darauf liegt vielleicht einer der Gründe für den erbitterten Antisemitismus, den die EEE vertrat.63 Sie war, ähn­lich wie auch die anderen extremistischen Gruppierungen Griechenlands, von internen Querelen zerrissen und von schwachen Persön­lichkeiten geleitet. 1933 erfolgte die Spaltung der Vereinigung, und ein Teil der Basis, mitgerissen von Hitlers Erfolgen, gründete die Na­tionalsozia­listische Partei – Na­tionale Vereinigung Hellas (Εθνικοσοσιαλιστικό Κόμμα – Εθνική Ένωσις Ελλάς). Diese Formierung der EEE war die einzige Organisa­tion ihrer Art, die an verschiedenen Parlamentswahlen in den 1930er Jahren mit einer eigenen Liste teilnahm. Das enttäuschende Wahlergebnis von 1936 trug dazu bei, dass sich die Organisa­ tion auflöste; offiziell bestätigt wurde dies direkt nach der Machtübernahme von Metaxas.64 61 George Th. Mavrogordatos: Stillborn Republic: Social Coali­tions and Party Strategies in Greece, 1922 – 1936, Berkeley: University of California Press, 1983, S. 255 – 259. 62 Mark Mazower: Salonica, City of Ghosts: Christians, Muslims and Jews 1430 – 1950, ­London: HarperCollins, 2004, S. 413. 63 Katherine E. Fleming: Greece – A Jewish History, Princeton: Princeton University Press, 2008, S. 94. 6 4 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 588. Vgl. Martin Blinkhorn: Fascists and Conservatives: The Radical Right and the Establishment in Twentieth-­Century Europe,

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Nach der Besetzung Griechenlands durch die Wehrmacht wurde die Na­tionale Vereinigung Hellas ab Mai 1941 erneut aktiv. Die Anhänger richteten neben einem Jugendverband auch Stoßtrupps ein, deren Leitung ihrem neuen starken Mann Oberst Georgios Poulos übertragen wurde. Der an Hitler-­Deutschland orientierte Poulos forderte direkt nach der Besetzung Thessalonikis durch deutsche Truppen die lokale Bevölkerung über die Presse dazu auf, mit den Besatzern ein freundschaft­liches Verhältnis aufzubauen. Sein überspannter Enthusiasmus irritierte sowohl die griechische als auch die deutsche Seite. Letztere war besorgt, die unbedachten Interven­tionen von Poulos könnten womög­lich das Prestige der Deutschen untergraben. So wurde diese Organisa­tion verboten, doch mit Duldung der Besatzungsmächte machte Poulos selbst insgeheim weiter.65 Besonders nütz­lich für die deutsche Verwaltung erwies sich bald der aus Freiwilligen bestehende paramilitärische Poulos-­Verband, dessen Führer durch Antikommunismus sowie durch Bereitwilligkeit und grenzenlose Einsatzbereitschaft für die Direktiven der deutschen Besatzungsmacht hervorstach. Poulos Männer wurden schnell als die fanatischsten griechischen Helfershelfer der Besatzungsmächte bekannt und agierten weitaus brutaler als ihre Auftraggeber.66 Als im Herbst 1944 die deutschen Truppen aus Griechenland abrückten, zogen auch Poulos und seine Männer mit.67 Die wichtigsten von den Besatzern instruierten Kampftrupps wurden jedoch nach der Vereidigung von Premier Ioannis Rallis gegründet. Die Hauptaufgabe seiner Regierung sah er darin, die linke griechische Widerstandsbewegung in die Knie zu zwingen. Rallis übernahm diese Aufgabe unter Berufung auf die kommunistische Gefahr und begann mit Hilfe des deutschen Besatzungsheers im Frühjahr 1943 mit der Rekrutierung von Mitgliedern der „Sicherheitsbataillone“ (Τάγματα Ασφαλείας), die ausschließ­lich aus griechischen Mannschaften bestanden. Diese Korps gehörten dem Innenministerium an und unterstanden Oberst Leonidas Dertilis; im Mai des Folgejahres wurde er Opfer des Systems, das er unterstützte: General Bakos, Verteidigungsminister in der ersten Kollabora­tionsregierung, denunzierte ihn bei den deutschen Behörden als Reichsfeind, indem er sich auf dessen britenfreund­liche Haltung im E ­ rsten Weltkrieg berief.68 Dertilis wurde verhaftet und nach Wien verbracht, wo die Beschuldigungen, die seine Kontrahenten gegen ihn erhoben hatten, im Einzelnen untersucht werden sollten, und trat damit wohl oder übel von der politischen Bühne Griechenlands ab.69 Routledge, 2003, S. 203. 65 Stratos Dordanas: Έλληνες εναντίον Ελλήνων. Ο κόσμος των Ταγμάτων Ασφαλείας στην κατοχική Θεσσαλονίκη 1941 – 1944 (Griechen gegen Griechen. Die Sicherheitsbataillone im besetzten Thessaloniki 1941 – 1944), Thessaloniki: Epikentro, 2006, S. 50 – 57 und S. 117 – 119. 66 TNA, WO 208/713 – Greek Security Battalions (25. 7. 1944). 67 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 357. 68 NA, RG 226/190, Box G, file 6 – The Greek Security Battalions (18. 5. 1944). 69 NA, RG 226/XL 39252 (28. 6. 1944).

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Faktisch waren die Sicherheitsbataillone dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS unterstellt. Zwischen 8. September und 4. Oktober 1943 wurden sie vom SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop kommandiert. Sein Nachfolger als Oberbefehlshaber der Sicherheitsbataillone war Walter Schimana, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei.70 Größtenteils waren sie mit Waffen ausgerüstet, die zuvor demobilisierte italienische Einheiten nach der Kapitula­tion abgeliefert hatten. Personell bestanden die Sicherheitsbataillone aus fanatischen Anhängern der extremen Rechten, aus Gestalten der Unterwelt, Kriminellen, Opportunisten sowie aus ehemaligen, glühend antikommunistischen Militärs; doch es gab darunter auch Angehörige von Todesopfern im Kampf gegen Partisanen. Ebenfalls ein Motiv, sich in die Reihen der Sicherheitsbataillone einzugliedern, stellte der Sold dar, mit dem sich auch die Existenz der unmittelbaren Verwandtschaft halbwegs absichern ließ.71 Zur Kollabora­ tionsbereitschaft dieser Freiwilligenbataillone trug in gewisser Weise auch die Propa­ ganda bei, dass der antikommunistische Kampf stillschweigend von Amerikanern und Briten unterstützt würde, die, wie man verbreitete, Rallis mit Waffen und Muni­tion verstärkten.72 Per Regierungserlass wurden im März 1944 allen griechischen Soldaten und Offizieren, die nicht den Sicherheitsbataillonen beitraten, der Dienstgrad und das Recht auf Sozia­lversicherung entzogen. Darüber hinaus veröffent­lichte man Namenslisten, sodass sich die Betroffenen der Gefahr von Repressalien ausgesetzt sahen.73 Das Gesetz 260/1943 „zur Aufstellung von vier Evzonenregimentern“, unterschrieben von Premierminister Rallis und veröffent­licht im Juni 1943, sah den Einsatz von je zwei dieser griechischen Einheiten (insgesamt 2400 Männer) in Athen und Thessaloniki vor.74 Die deutsche Besatzungsverwaltung reduzierte diese Zahl zunächst um die Hälfte und legte als Ak­tionsfeld ledig­lich Athen fest, bemerkte jedoch bald, wie vorteilhaft diese griechischen bewaffneten Gruppierungen waren, die den Deutschen zuarbeiteten, und bediente sich ihrer zunehmend. Den Griechen war das Gelände bestens bekannt, sodass sie, im Gegensatz zu den Wehrmachtssoldaten, durch die Partisanenlinien stoßen konnten. Im Sommer 1944 verfügten die Sicherheitsbataillone über 13 Einheiten von insgesamt 17.000 Mann. Zusammen mit weiteren nicht militärisch organisierten Gruppierungen bewegte sich die Zahl deutschfreund­licher Söldnertrupps im Sommer 1944 ­zwischen 25.000 und 30.000 Mann und kam damit beinahe an den Umfang bewaffneter Einheiten des kommunistischen Widerstands (30.000 bis 35.000) heran.75 70 71 72 73 74 75

Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S. 108. TNA, WO 208/713 – Greek Security Battalions (25. 7. 1944). NA, RG 226/154, Box 40/601 – Statement of expedi­tion in Evvia (11. 4. 1944). Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 82. Dordanas, Έλληνες εναντίον Ελλήνων (Griechen gegen Griechen), 2006, S. 37. Stathis N. Kalyvas: Armed Collabora­tion in Greece, 1941 – 1944, European Review of History 15,2 (April 2008), S. 131 f.

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Den Sicherheitsbataillonen gelang es trotz deutscher Unterstützung nicht, die Verbände des linken Widerstandes im griechischen Bergland zu zerschlagen. Im Gegenteil: Sie wurden ihrerseits zum Hauptangriffsziel der Partisanen und verzeichneten hohe Verluste. Darüber hinaus eilte den Sicherheitsbataillonen der Ruf voraus, dass sie Gewaltakte und Plünderungen begingen und man von deren Anführern mit Behinderung des Einsatzes humanitärer Organisa­tionen und Festnahmen zu rechnen habe.76 Zur letzten Ak­tion kam es im Herbst 1944, als die Sicherheitsbataillone die Hauptverkehrsadern beim Abzug deutscher Truppen vor Partisanenangriffen schützten. So trugen sie zum geordneten Rückzug der Wehrmachtseinheiten vom griechischen Terri­ torium bei, wobei die kompromittierten Söldnerkollaborateure vielfach zusammen mit den Besatzern abzogen.77

1.4 Wirtschaftliche Ausplünderung Zum Niedergang Griechenlands während der Besatzungszeit trug nicht nur das poli­ tische Vorgehen der Kollabora­tionsregierungen bei, sondern auch die Wirtschaftskrise, deren Folgen wegen der Politik der Besatzungsmächte immer härter wurden. Die deutschen Truppen, die am 6. April 1941 in Griechenland einmarschiert waren, hatten nur minimale Vorräte bei sich. Griechenland bot Zugang zu neuen Reserven. Die Soldaten verpflegten sich in Privathaushalten und Restaurants, ohne irgendein Entgelt dafür zu entrichten. Sie beschlagnahmten alles: von Lebensmitteln und Feinkost bis hin zu Wertsachen, die sie häufig nach Hause ins „Reich“ schickten. Wurden die erhaltenen Dienstleistungen gelegent­lich bezahlt, dann oft mit wertlosen, von den Besatzern selbst in Griechenland gedruckten Banknoten. Wie in einem Dokument vom Sommer 1941 überliefert, machte damals in Athen eine Geschichte die Runde, der zufolge ein deutscher Offizier von einem Autoverkäufer verlangte, mit der Bezahlung ein wenig zu warten, bis die frisch gedruckten Reichsmarkscheine getrocknet ­seien.78 Die deutsche Besatzung Griechenlands war von Beginn an, und zwar noch vor der Aufteilung des Territoriums in Besatzungszonen, von einer unverhohlenen Plünderei begleitet, die bis Ende August 1941 andauerte. Vom Eintreffen deutscher Besatzungstruppen 76 TNA, FO 371/42366, W 13768 – Memorandum: Emil Sandström (10. 7. 1944). 77 Alvanos, Οι κατοχικές κυβερνήσεις (Die Besatzungsregierungen), 2003, S. 71 f.; Dordanas, Έλληνες εναντίον Ελλήνων (Griechen gegen Griechen), 2006, S. 444 – 453. 78 NA, RG 59/868 00/1126 – Notes on the German Army’s Methods of Acquiring Property in Greece (20. 7. 1941); siehe auch Bundesarchiv (Hg.): Europa unterm Hakenkreuz: Die Okkupa­tionspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn (1941 – 1945), Band 6, Berlin, Heidelberg: Hüthig Verlagsgemeinschaft, 1992, S. 64; Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 23 f.

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waren hauptsäch­lich Athen, der Piräus und Thessaloniki betroffen. Mazower beschreibt Fälle, in denen deutsche Soldaten griechischen Bürgern, die ihnen auf Athener Straßen begegneten, Uhren und Schmuck entwendeten.79 Der griechische Diplomat Alexis Kyrou erwähnt in seinen Erinnerungen, wie er sein Büro, in das er nach wenigen Wochen der Besatzung zurückkehrte, geplündert vorfand. Die deutschen Dienststellen requirierten in seinem Fall, was auch immer transportierbar war – Tische, Stühle, Tresore; was sich nicht transportieren ließ, wurde zerstört oder den Flammen übergeben.80 Das Verhalten der deutschen Besatzer und die enormen Gütertransporte nach Deutschland trugen entscheidend zum Ausbruch der Hungerkrise bei, deren Ausmaße für damalige euro­päische Verhältnisse unfassbar waren. In Griechenland kursierte das Gerücht, der Hunger sei die deutsche Geheimwaffe zur systematischen Ausrottung der griechischen Na­tion.81 Der dramatische Nahrungsmangel beeinträchtigte sogar auch die Besatzer selbst. So wurden etwa Ende 1941 für in Athen ansässige Reichsbürger, die nicht der Wehrmacht angehörten, Lebensmittelmarken für nur 160 Gramm Butter und drei Schöpfkellen Milch pro Woche ausgegeben, wobei Letztere nur Kindern und alten Menschen zustanden. In Wochenra­tionen wurden auch Brot, Zucker, Reis und Eier verteilt. Für ein wenig Obst oder Gemüse musste man vor den Läden stundenlang Schlange stehen. Die Restaurants und Tavernen hatten den Betrieb praktisch eingestellt.82 Nachdem Anfang 1942 auf Nachrichten über die Ausmaße der humanitären Katastrophe hin Druck ausgeübt worden war, lockerte sich die Seeblockade der britischen Marine – ein im Zweiten Weltkrieg einmaliger Fall.83 Der schwedische Gesandte des Roten Kreuzes Sture Linnér beschrieb Jahre ­später einen Vorfall in Volos 1943, bei dem er persön­lich auf den Straßen dieser Stadt einen Menschen mit einem Hund um ein Stück Brot kämpfen sah. Der Mensch war so geschwächt, dass der Hund ihn am Ende tötete.84 Trotz der Sendung interna­tionaler Hilfslieferungen konnte die hungernde Bevölkerung nicht zuverlässig mit Lebensmitteln im Wert von mehr als 1040 Tageskalorien versorgt werden. So waren die Griechen dazu verurteilt, an den Grenzen menschlichen Durchhaltevermögens zu vegetieren.85

79 Ebd. 80 Alexis A. Kyrou: Όνειρα και πραγματικότητες: Σαράντα πέντε χρόνια διπλωματικής ζωής (Träume und Realitäten: Fünfundvierzig Jahre Diplomatenleben), Athen: P. Kleisiounis, 1972, S. 207. 81 TNA, FO 371/33175, R 600 – Starva­tion Stalks in the Streets of Salonica (7. 1. 1942). 82 DAI-A, Kasten 7 – Deutsches Archäolo­gisches Institut Athen an Prof. Kolbe (11. 8. 1941). 83 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. 84 WL, 1360/5/5 – Eyewitness testimonies from a variety of witnesses to the German occupa­ tion of Greece, 1943 – 1944 (Sture Linnér). 85 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. In den entscheidenden Wintermonaten 1941 – 1942 fiel der Kalorienwert der Tagesra­tionen unter 900, siehe Hondros, Occupa­tion

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Abgesehen von der Unterernährung musste Griechenland auch mit einer Reihe von Krankheiten als Folge des Nahrungs- und Heizstoffmangels sowie miserabler hygienischer Bedingungen fertig werden. Malaria etwa, in Griechenland schon immer eine der epidemischen Krankheiten, hatte man vor dem Krieg erfolgreich zurückdrängen können. Im April 1943 stellten Beobachter aus dem Ausland jedoch fest, dass mehr als zwei Millionen Menschen an Malaria litten. Die Tuberkulosefälle wurden auf ungefähr 300.000 geschätzt. Bedroh­liche Ausmaße nahmen Ruhr, Krätze, Streptokokkenbefall und Syphilis an. Regio­ nal begrenzt wurden auch Windpocken- und Typhusepidemien verzeichnet. Ein Drittel der Griechen soll an epidemischen Infek­tionskrankheiten gelitten haben. Die Versorgung mit Medikamenten war trotz der Sendungen des schweizerischen Roten Kreuzes äußerst unzureichend. Als vollkommen ungenügend erwies sich die Zahl der Krankenhausbetten; so standen im Herbst 1943 in Athen ca. 2500 und außerhalb der Hauptstadt nicht mehr als 1000 Betten zur Verfügung. Dutzende von Sanatorien waren von den Besatzungstruppen geplündert und anschließend von den Besatzungsbehörden konfisziert worden oder hatten wegen fehlender Nahrungsmittel notgedrungen den Riegel vorgeschoben.86 Abgesehen von der Tatsache, dass Besatzungssoldaten sich persön­lich bereicherten und die Besatzungsverwaltung – mit fatalen Konsequenzen für die griechische Bevölkerung – bei der Beschlagnahmung von Lebensmitteln rigoros vorging, schafften die Deutschen bedenkenlos Erze, Rohstoffe, Halbfabrikate, Treibstoffe, Werkzeugmaschinen und Transportfahrzeuge von Griechenland nach Deutschland. Dabei nahm Deutschland keinerlei Rücksicht auf die Forderungen seiner italienischen Verbündeten und berücksichtigte auch nicht den Bedarf im besetzten Griechenland. Sämt­liche wichtigen Produk­ tionsstätten wurden inzwischen von deutschen Firmen kontrolliert. Dabei taten sich ganz besonders die Konzerne Krupp, I. G. Farben, Rheinmetall-­Borsig sowie die Tabakfabriken Reemtsma AG und Austrohellenique Kapnos hervor. Berlin zeigte auch starkes Interesse an der Ausplünderung der landwirtschaft­lichen Produk­tion. Der Wehrwirtschaftsstab ließ während der Besatzung 305 Tonnen Seidenkokons, 5000 Tonnen Rohbaumwolle, 10.500 Tonnen Olivenöl und 80.000 Tonnen Tabak beschlagnahmen. Unmittelbar nach dem Einmarsch in Griechenland erließ das deutsche Oberkommando der Wehrmacht (OKW) den Befehl, die gesamte Tabakernte aus 1939 und 1940 zum Preis von 1938 an Deutschland abzugeben.87 Aufgrund der galoppierenden Infla­tion erwarben deutsche Geschäftsleute die griechischen Tabakvorräte für ein Linsengericht. Dabei gingen sie and Resistance, 1983, S. 72. Unter normalen Umständen benötigt ein Erwachsener pro Tag mindestens 2500 Kalorien. Ben Shephard merkt an, dass Ra­tionen von 2000 Kalorien die minimale Schutzgrenze gegen Krankheiten und Hungeraufstände bilden. Siehe Ben Shephard: „Becoming Planning Minded“: The Theory and Practice of Relief 1940 – 1945, Journal of Contemporary History 43 ( Juli 2008), S. 416. 86 WL, 1360/1/14 – General Summary of the State of Health of Greek Popula­tion (März 1944). 87 Bundesarchiv (Hg.), Europa unterm Hakenkreuz, 1992, S. 65.

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bedenkenlos mit Gewalt gegen diejenigen Bauern vor, die ihre Produk­tion nicht abliefern wollten.88 Zwischen dem 1. Mai und dem 30. September 1941 wurden Güter im Wert von 70 Millionen Reichsmark nach Deutschland geschafft.89 Erst im September 1942 liefen die Exporte von Nahrungsmitteln nach Deutschland aus.90 Besonders schwerwiegende Folgen für die griechische Wirtschaft hatte die Hyperinfla­ tion: Während im Juni 1941 24 Mio. Drachmen im Umlauf waren, belief sich die Geldmenge ein Jahr s­ päter bereits auf 109,8 Mio. Drachmen. Die Preise stiegen in astronomische Höhen, Händler nahmen keine Banknoten mehr entgegen; man ging zur Tauschwirtschaft über, und der Handel wurde auf der Grundlage alternativer Tauscheinheiten wie etwa Zigaretten, Öl oder Getreide durchgeführt.91 Zum Kriegsende hin verschlechterte sich die Situa­tion soweit, dass selbst Löhne und Gehälter analog in Nahrungsmitteleinheiten entrichtet wurden. Der durchschnitt­liche Monatslohn eines Arbeiters entsprach schwedischen Quellen zufolge fünf Kilo Mehl, zwei Kilo Hülsenfrüchten, 1,3 Kilo Trockenobst, einem halben Kilo Olivenöl, einem halben Kilo Oliven und einem Stück Seife. Bezeichnend ist, dass der Preis für eine Zeitung von zwei Drachmen vor Kriegsbeginn auf 20.000 Drachmen im Mai 1944 anstieg.92 Der Wechselkurs des US-Dollars betrug kurz vor Kriegsende 400 Millionen Drachmen, während das Verhältnis vor dem Krieg 1:150 betrug.93 Im Anschluss an die Konfiszierung von Lebensmittelvorräten und sonstigen Gütern verlegte sich die Besatzungsverwaltung auf elaboriertere Formen wirtschaft­licher Ausplünderung. Wie in anderen Ländern begann man auch in Griechenland damit, Besatzungskosten zu erheben. So übernahm die griechische Staatsverwaltung die finanziellen Aufwendungen für den Verbleib der Besatzer. Als die Athener Kollabora­tionsregierung erklärte, sie sei trotz wiederholter Steuererhöhungen nicht in der Lage, den geforderten Betrag aufzubringen, wandte man sich an die Bank von Griechenland mit der Weisung, man möge dort die Notenpresse rotieren lassen. Dies schraubte die Forderungen der Besatzer zur Deckung der Aufenthaltskosten immer höher.94 Im Dezember 1942 war der Geldumlauf um 1575 Prozent höher als 1940, wobei Griechenland 1942 bei einem BIP von 756 Mio. Reichsmark den Betrag von 2551,2 Mio. Reichsmark für Besatzungskosten aufbringen musste. Nach einer Aufstellung der Reichsbank wurden die Griechen mit bis zu 78 Reichsmark pro Kopf an Besatzungskosten belastet – der höchste Betrag in allen NS-besetzten Ländern.95

88 PA AA, B 10/2197 – Anklage wegen wirtschaft­lichen Kriegsverbrechen in Griechenland gegen Dr. Hess und Wenkel (12. 7. 1952). 89 Bundesarchiv (Hg.), Europa unterm Hakenkreuz, 1992, S. 65. 90 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. 91 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 65 f. 92 TNA, FO 371/42366, W 13772 – Infla­tion and Famine in Greece (2. 9. 1944). 93 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. 94 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 66 f. 95 Bundesarchiv (Hg.), Europa unterm Hakenkreuz, 1992, S. 66.

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Ab Anfang 1942 stiegen die Zwangsexporte von Erzen, vor allem Chrom, weiter an. Die Rechnung dafür wurde ledig­lich formal über Clearingkonten beg­lichen. Zur Begleichung sowie zur Deckung eigener Ausgaben nötigte Berlin im März 1942 Athen die Unterzeichnung eines bis 1944 befristeten Darlehensvertrags auf. Diese Besatzungsanleihe wurde mit einem Artikel der Haager Landkriegsordnung von 1907 gerechtfertigt, demzufolge Okkupa­tionsmächte von besetzten Ländern die dabei entstehenden Aufwendungen einfordern konnten.96 Doch Berlin fügte den in Griechenland entstandenen direkten Besatzungskosten geschickt weitere hinzu, ­welche die Kriegsführung außerhalb des griechischen Territoriums etwa im Nordafrikafeldzug sowie auch den Bau von Befestigungsanlagen auf Kreta betrafen.97 Im Herbst 1942 lag Griechenland wirtschaft­lich derart am Boden, dass die Lage sogar für die Besatzungsbehörden schwierig wurde. Altenburg war gezwungen, direkt bei Hitler zu intervenieren. Die Italiener fassten erneut die Idee eines griechischen Protektorats ins Auge. Doch Berlin hatte nach wie vor Bedenken, was die Durchsetzung einer Militärverwaltung betraf, und unternahm mit Hilfe der griechischen Regierung einen letzten Versuch zur Normalisierung der Lage. Nach dem Besuch von G ­ otzamanis in Berlin erklärte der Kopf der deutschen Außenpolitik Ribbentrop, dass sich die Situa­ tion durch Verhandlungen mit der griechischen Regierung nicht ändere. Als alternative Op­tion benannte er die Entsendung einer Gruppe von Wirtschaftsfachleuten, deren Aufgabe in der wirtschaft­lichen Stabilisierung Griechenlands bestehen sollte. Im Oktober wurde Hermann Neubacher, von 1938 bis 1940 Wiener Bürgermeister, zum Sonderbeauftragten für wirtschaft­liche und finanzielle Fragen in Griechenland ernannt. Ihm ging aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit an der Spitze des I. G.-Farben-­Konzerns der Ruf des Wirtschaftsexperten voraus.98 Mit einer Reihe von Maßnahmen, z. B. Exportverboten nach Deutschland und einer wesent­lichen Reduk­tion der Besatzungskosten, gelang es Neubacher innerhalb von zwei Wochen, die Infla­tionsrate entscheidend zu drücken. Gleichzeitig stellte er die Lieferung eines elementaren Lebensmittelkontingents sicher und erließ ein Verbot, Agrarprodukte nach Deutschland auszuführen. Einen beträcht­lichen Anteil

96 Laws of War: Laws and Customs of War on Land (Hague IV); October 18, 1907, Avalon Project at Yale Law School on The Laws of War, http://avalon.law.yale.edu/20th_century/ hague04.asp (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). 97 Zur Besatzungsanleihe nach dem Kreditabkommen von Rom am 14. März 1942 siehe ΑΥΕ, Έκθεση Λαμπρούκου (Archiv des Außenministeriums, Lamproukos-­Bericht), S. 9 – 11; siehe auch Angelos Angelopoulos: To οικονομικό πρόβλημα της Ελλάδος. Θέση και αντιμετώπιση (Das wirtschaft­liche Problem Griechenlands. Standpunkt und Bekämpfung), Athen: ­Detorakis, 1945, S.  34 – 39. 98 Zu Neubacher siehe Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 174 – 177; ­Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 69 – 72.

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an seinem Erfolg hatten auch die regelmäßigen Hilfsak­tionen des Interna­tionalen Roten Kreuzes.99 Die Niederlage der Wehrmacht in Nordafrika wertete die strate­gische Rolle Griechenlands auf, sodass Berlin sich entschloss, seine militärische Präsenz aufzustocken. Eine erneute Erhöhung der dem Land aufgebürdeten Besatzungskosten war die Folge. Neubacher reiste nach Berlin, um persön­lich beim OKW -Chef Wilhelm Keitel zu intervenieren. Doch konnte er sich dort wegen der nunmehr unwägbaren Kriegslage mit seinem Anliegen nicht durchsetzen.100 In den Folgemonaten zeigte sich, dass die anfäng­lichen Erfolge Neubachers nicht von Dauer waren. Die z­ wischen Februar 1943 und Januar 1944 umlaufende Geldmenge wurde von 400 Mio. auf 4 Mrd. Drachmen erhöht; im Juni 1944 war sie auf 68,6 Mrd. angestiegen.101 Außer Tauschhandel gab es keine Mög­lichkeit, sich Grundnahrungsmittel oder andere lebensnotwendige Güter zu verschaffen. Es dauerte sehr lange, bis sich die griechische Gesellschaft nach der Ausplünderung durch die Deutschen wieder erholt hatte. Der wirtschaft­liche Aderlass war einer der Hauptgründe für die darauffolgenden Turbulenzen, die in die politische Destabilisierung des Landes und den Bürgerkrieg mündeten. 1.4.1 Einsatz griechischer Zwangsarbeiter

Der deutschen Kriegsindustrie diente Griechenland hauptsäch­lich als Rohstofflieferant. Dafür sowie zur geplanten Modernisierung der Infrastruktur, die Griechenland effektiver mit dem „deutschen Lebensraum“ verbinden sollte, benötigte man entsprechend Arbeitskräfte, vor allem in bestimmten Gebieten (Kreta, Makedonien, Athen/Piräus).102 Die Besatzungsverwaltung rechnete damit, ­dieses Arbeitspotential umstandslos auftreiben zu können, zumal in Griechenland schon vor dem Krieg eine hohe Arbeitslosigkeit zu verzeichnen war; 1941 etwa standen in Thessaloniki von 250.000 Einwohnern 30.000 ohne Beschäftigung da.103 Die Lage der arbeitslosen Bevölkerung spitzte sich aufgrund der Wirtschaftskrise und Hyperinfla­tion sowie nach dem faktischen Zusammenbruch lokaler Märkte und der daraus resultierenden Hungersnot weiter zu. Die unter Wehrmachtskontrolle geleistete Arbeit an Großbaustellen wie Straßen- und Eisenbahnbau, 99 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. 100 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 72. 101 Paul Hahn: Die griechische Währung und währungspolitische Maßnahmen unter der Besetzung 1941 – 1944, Tübingen: Institut für Besatzungsfragen, 1957, S. 11 – 41. 102 Christos Hatziiossif: Griechen in der deutschen Kriegsproduk­tion, in: Ulrich Herbert (Hg.): Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZHäftlinge in Deutschland 1938 – 1945, Essen: Klartext, 1991, S. 214 – 229. 103 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 76.

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besonders aber im Bergbau sowie in der Textil- und Tabakindustrie rief bei Teilen der griechischen Bevölkerung außer Misstrauen auch Widerstandsbereitschaft hervor, die sich in Streik und Sabotage äußerte.104 Steigende Infla­tion und der Wertverfall der Drachme führten dazu, dass das Arbeitskräftepotential des Landes sich der Landwirtschaft zuwandte. Daher unternahm die Besatzungsverwaltung den Versuch, lokale Kräfte zum Arbeitseinsatz vor Ort zu zwingen. Schon im Sommer 1941 wurden allein auf Kreta ungefähr 20.000 Personen zwangsverpflichtet. Mitte 1942 mobilisierte man auf der Peloponnes und Kreta ungefähr 100.000 Arbeitskräfte. Wegen der Hungerkrise und des anstehenden Winters, der schwierigen Wirtschaftslage sowie des noch weitgehenden Fehlens fester Strukturen im organisierten Widerstand registrierten die Besatzer 1942 die meisten freiwilligen Meldungen für einen Arbeitseinsatz in Griechenland. Dennoch blieb die Zahl der mobilisierten Kräfte hinter den Erwartungen der Besatzungsbehörden zurück.105 Die Besatzer mussten sich nicht nur mit Sabotageakten auseinandersetzen, sondern hatten es mit dem niedrigen Leistungsvermögen körper­lich erschöpfter Arbeitskräfte und auch häufig mit deren eigenmächtigem Fernbleiben zu tun. So ging man im Herbst 1942 zu direkten Zwangsaushebungen über. Am 30. Januar 1943 wurden per Verordnung alle Griechen ­zwischen 16 und 45 Jahren zur Arbeit „zugunsten des Reichs“ verpflichtet. Personen, die arbeitslos waren oder deren Tätigkeit als nicht nütz­lich oder einträg­lich für deutsche Besatzungsinteressen erachtet wurde, mussten gleich ­welchen zugewiesenen Arbeitsplatz annehmen. Diese Verordnung führte zu ausgedehnten Streiks und Demonstra­tionen, bei denen die Griechen gegen die Arbeitspflicht protestierten.106 Später gab man den Einsatz von hauptsäch­lich in Minen mobilisierten Arbeitskräften wegen der Opera­tionen der Widerstandsbewegung auf, bei denen die meisten Bergwerksanlagen systematisch angegriffen und zerstört wurden.107 Zur wenig ergiebigen „Freiwilligenmobilisierung“ innerhalb Griechenlands gesellte sich eine weitere Schlappe für die Deutschen; sie betraf die Rekrutierung von Arbeitskräften für den Einsatz im Gebiet des „Reichs“. Die Einberufung begann im Januar 1942, wobei man in Aussicht stellte, dass griechische Freiwillige mit der gleichen Behandlung wie ihre deutschen Kollegen rechnen könnten. Den Interessenten wurde gutes Geld, Urlaub und Feiertage, Zuschläge und Krankenversicherung zugesagt. Trotz der in Griechenland vorherrschenden Angst vor Hunger und extensiver Gewalt trugen sich ledig­lich 104 Zur Zwangsarbeit in Griechenland vgl. z. B. Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz: Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Dritten Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 2001, S. 69 f. Siehe auch Hatziiossif, Griechen in der deutschen Kriegsproduk­tion, 1991, S. 222 – 224. 105 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 76 f. 106 Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, 2001, S. 69 f. 107 Hatziiossif, Griechen in der deutschen Kriegsproduk­tion, 1991, S. 231.

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etwa 12.000 Personen in die entsprechenden Listen ein. Im Mai 1942 verließ das erste Aufgebot an Arbeitskräften Athen. Weitere folgten, auch vom benachbarten Hafen Piräus sowie von Patras und Thessaloniki aus. Verschiedent­lich beteiligten sich neben Männern auch Frauen. Manche der Rekrutierten hatten persön­lich adressierte Einberufungsbescheide erhalten, andere wurden wahllos bei Razzien in verschiedenen Stadtvierteln aufgegriffen und anschließend nach Deutschland verschickt.108 1943 trugen sich ledig­lich 3400 Freiwillige in die deutschen Listen ein, sodass im Herbst ­dieses Jahres so gut wie alle Personen, die ins Reich verschickt wurden, zwangsrekrutiert worden waren.109 Auch griechische Sicherheitsorgane beteiligten sich an den Zwangsrekrutierungen der deutschen Besatzer. Ebenfalls wurden KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene aus Griechenland ins „Deutsche Reich“ geschickt. Erst als 1944 die Bau- und Konstruk­tionsarbeiten in Griechenland eingestellt wurden, erübrigten sich die Rekrutierungen. Gleichwohl mussten nun fast alle griechischen Bürger mit Repressalien rechnen, nicht nur durch die Besatzer und deren lokale Handlanger, sondern auch durch Partisanen, die auf Kollabora­tion mit Vergeltungsak­tionen reagierten.110 So kam es, dass einige Griechen die Arbeit im „Reich“ als eine vergleichsweise sichere Überlebenschance auffassten.111 Während der Besatzung wurden ungefähr 23.000 griechische Freiwillige und 12.000 zwangsmobilisierte Personen in Reichsgebiete verbracht. Die meisten kamen nach Bayern und Österreich.112 Jedoch erwiesen sich die griechischen Arbeitskräfte als nicht besonders effizient. Viele kamen in einem bereits problematischen Gesundheits­zustand in Deutschland an, einige täuschten auch Krankheiten vor. Die Kasernierung der Zwangsarbeiter brachte Diebstahl, Schwarzmarkthandel oder Sabotage mit sich, aber auch Fälle besonderer Dienstleistungen gegen bessere Verpflegung häuften sich; darüber hinaus kam es zu Scharmützeln. Wurde einem Griechen Urlaub gegeben, fuhr er nach Hause und kehrte nicht zurück.113

108 WL, 1360/5/3 – Conscrip­tion of Greeks by Germans in Athens (30. 8. 1944). 109 Hatziiossif, Griechen in der deutschen Kriegsproduk­tion, 1991, S. 226 – 229. 110 Materialien zum Thema KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen, zusammengestellt von der Sek­tion Böblingen-­Herrenberg-­Tübingen des Vereins „Gegen Vergessen/Für Demokratie e. V.“, ADV Böblingen, http://www.adv-­boeblingen.de/zrbb/pdf/tailf/34.7.pdf (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). 111 NA, RG 226/190, 3/34 – Mobiliza­tion of Workers for Germany, Posi­tion of Democrats etc. (28. 8. 1944). 112 Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, 2001, S. 69 f. 113 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 73 – 78; BA, R 58/176 – Stimmen zum Einsatz von griechischen Arbeitskräften; BA, R 58/186 – SD Berichte zu Inlandsfragen: Erfahrungen mit griechischen Zivilarbeitern im Reich (1. 7. 1943).

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1.5 Politik des Schreckens Vor der Besatzung waren die Beziehungen ­zwischen Deutschen und Griechen von gegenseitiger Achtung geprägt, deutscherseits nachvollziehbar als Bewunderung der Geschichte Griechenlands von der Antike bis hin zum Kriegserfolg gegen Italien von 1940, während auf griechischer Seite der Respekt dem deutschen Fleiß sowie der Ausrichtung auf Fortschritt und Korrektheit galt. Damit konnotierte Eigenschaften hatten bis in die Vorkriegszeit unterschwellig die griechische Wahrnehmung Deutschlands geprägt.114 Die vergleichsweise offene und grundsätz­lich philhellenische Haltung der Na­tionalsozia­listen kommt auch darin zum Ausdruck, dass nach der Niederlage der griechischen Armee die kriegsgefangenen Soldaten und Unteroffiziere – im Gegensatz zur Vorgehensweise bei den besiegten Armeen Polens oder Frankreichs – entwaffnet und schlicht nach Hause geschickt wurden, was danach allerdings zum schnellen Entstehen der Partisanenbewegung beitrug.115 Auf diese Weise wollte sich das Deutsche Reich als genaues Gegenteil Italiens zeigen. Obschon von Griechenland eigent­lich besiegt, richtete sich Italien mit voller Unterstützung Deutschlands bald als Besatzungsmacht ein, was von der griechischen Bevölkerung als mora­lische Demütigung aufgefasst wurde.116 Nach dem Beginn des Luftangriffs auf Kreta veränderte sich die gegenseitige deutsch-­ griechische Wahrnehmung erheb­lich. Der Widerstand der kretischen Bevölkerung gegen die Eroberung hatte Signalwirkung für die Entstehung von Partisanengruppen auf dem griechischen Festland. Die Deutschen merkten, dass anfäng­liche griechische Sympathiebekundungen in der Regel der Not gehorcht hatten. Seit September 1941 fanden folgende Parteien in der Na­tionalen Befreiungsfront (Εθνικό Απελευτερωτικό Μέτωπο, EAM) zusammen, die bereits in der Vorkriegszeit existierten: Union für Volksdemokratie (Ένωσις Λαϊκής Δημοκρατίας, ELD), Sozia­listische Partei Griechenlands (Σοσιαλιστικό Κόμμα Ελλάδας, SKE ), Agrarpartei Griechenlands (Αγροτικό Κόμμα Ελλάδας, AKE ) und Kommunistische Partei Griechenlands (Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδας, KKE ). Während der verbleibenden Besatzungszeit bildete die EAM den organisatorischen Verbund von linkem und liberalem Widerstand. Im Februar 1942 entstand deren militärische Forma­tion, das Griechische Volksbefreiungsheer (Ελληνικό Λαϊκός Απελευθερωτικός Στρατός, ELAS).117

1 14 TNA, FO 371/33175, R 600 – Starva­tion Stalks in the Streets of Salonica (7. 1. 1942). 115 Hagen Fleischer: Deutsche „Ordnung“ in Griechenland 1941 – 1944, in: Loukia ­Droulia; Hagen Fleischer (Hg.): Von Lidice nach Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror, ­Berlin: Metropol, 1999, S. 153 f. 116 Siehe z. B. TNA, FO 371/33175, R 600 – Starva­tion Stalks in the Streets of Salonica (7. 1. 1942). 117 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 157.

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Darüber hinaus entstanden im Herbst 1941 weitere Widerstandsorganisa­tionen, etwa der Na­tionale Republikanische Griechische Verband (Εθνικός Δημοκρατικός Ελληνικός Σύνδεσμος, EDES ) und die Na­tionale und Sozia­le Befreiung (Εθνική και Κοινωνική Απελευθέρωση, EKKA). EDES, wie EAM im September 1941 ins Leben gerufen, sollte nicht nur die zweitwichtigste Partisanenorganisa­tion werden, sondern auch der bedeutendste Gegner von EAM/ELAS bei der sich anbahnenden Bürgerkriegsauseinandersetzung. Anfangs koordinierten beide Organisa­tionen von Fall zu Fall ihre Aktivitäten. Mit Unterstützung der britischen SOE konnten sie einige Sabotageak­tionen erfolgreich durchführen. Nach der italienischen Kapitula­tion im Herbst 1943 verschärften sich die gelegent­lichen Konflikte ­zwischen ELAS und EDES zu einer frontalen Auseinandersetzung. Damals erklärte der EDES-Kommandeur Napoleon Zervas die EAM/ELAS zu seinem Hauptgegner und scheute sich nicht, selbst mit den deutschen Besatzern zu kooperieren.118 Einige seiner Mitstreiter sowie ein Teil der EKKA schlossen sich sogar den Sicherheitsbataillonen unter Walter Schimana an.119 Die Besatzungstruppen versuchten, den Widerstand mit Gewalt zu zerschlagen. Das brutale Vorgehen betraf nicht nur die Partisanentrupps im griechischen Bergland, sondern wendete sich auch gegen die Zivilbevölkerung. Mit Einschüchterungsmethoden versuchten die Besatzer, die Versorgung der Partisanen im griechischen Bergland zu unterbinden. Dabei setzten die Deutschen gemäß den Berliner Weisungen unter anderem Geiselerschießungen ein und zögerten nicht, ganze Dörfer niederzubrennen.120 Nach der Vereidigung der Regierung Rallis erhielten die Wehrmachtseinheiten Unterstützung von den Sicherheitsbataillonen. Doch brachten die Repressalien die griechische Bevölkerung gerade nicht auf Distanz zu den linken Partisanen; im Gegenteil empfanden immer mehr Menschen eine Affinität zum Widerstand.121 Die Vergeltungsak­tionen nahmen nach der italienischen Kapitula­tion zu und wurden härter, vor allem angesichts der seit Stalingrad absehbaren deutschen Kriegsniederlage, 1 18 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 140 f. 119 TNA, WO 208/713 – Greek Security Battalions (25. 7. 1944). 120 Befehl von Keitel am 16. Februar 1941, mit dem er die Erschießung von hundert Geiseln für jeden toten und fünfzig Geiseln für jeden verwundeten Deutschen anordnete. Case No. 47, The Hostages Trial: Trial of Wilhelm List and Others, United Na­tions War Crimes Commission: Law Reports of Trials of War Criminals. Vol. VIII (1949), Library of Congress, http:// www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/Law-­Reports_Vol-8.pdf (letzter Zugriff: 18. 07. 2015) sowie Tagesbefehl von General Keitel am 16. Dezember 1942: „Die Truppe ist […] berechtigt und verpflichtet, in d­ iesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es zum Erfolg führt“, zitiert nach Ernst Klee und Willi Dressen: „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939 bis 1945, Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1989, S. 7. 121 NA, T 311/179/1259 – Politische Auswirkungen von Unternehmungen gegen die Banden (8. 1. 1944).

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einer Perspektive, die die Kampfmoral der deutschen Soldaten untergrub. Den Untergang vor Augen, verübten sie vermehrt und hemmungslos extreme Greueltaten. Zwar kam es unter italienischer und bulgarischer Besatzung ebenfalls zu „Vergeltungsmaßnahmen“,122 doch der deutsche Terror in Griechenland entzog sich jeg­lichem mensch­ lichen Fassungsvermögen. Während der Besatzung wurden Hunderte griechische Dörfer zerstört. 30.000 Griechen verloren ihr Leben im Zusammenhang mit „Sühnemaßnahmen“ in Dörfern und Kleinstädten, deren Bewohner beschuldigt wurden, EAM / ELAS unterstützt zu haben. Vernichtungsak­tionen wie etwa im tschechischen Dorf Lidice oder dem franzö­sischen Oradour-­sur-­Glane hat es in Griechenland mindestens sechzig Mal gegeben.123 Der deutschen Militärführung gelang es jedoch während der gesamten Besatzungszeit nicht, die griechische Widerstandsbewegung endgültig unter Kontrolle zu bringen. Die sogenannte Bergregierung (Κυβέρνηση του Βουνού), gebildet im März 1944 in den von EAM /ELAS kontrollierten Gebieten, hatte sich beim Rückzug der deutschen Armee im Herbst 1944 auf nahezu 75 Prozent des griechischen Festlands durchgesetzt.124 Für viele Griechen wurde sie während der Besatzung zum einzigen Schutz vor den Aggressoren und ihren griechischen Handlangern. Zu unfassbaren Brutalitäten kam es in den wohl bekanntesten Fällen von Kommeno, Kalavryta und Distomo. Auf diese Ortschaften konzentrierte sich in der Nachkriegszeit das deutsche publizistische Interesse, zumal deren Bewohner aktiv das Thema der Entschädigungen aufgriffen.

122 Siehe z. B. die Niederschlagung des kommunistischen Aufstands und die darauffolgenden Massenerschießungen von 350 männ­lichen Einwohnern der Kleinstadt Doxato sowie 135 männ­lichen Einwohnern der Landgemeinde Choristi Ende September 1941. Xanthippi Kotzageorgi-­Zymari; Thassos Hadjianastassiou: Memoirs of Bulgarian Occupa­ tion of Eastern Macedonia: Three Genera­tions, in: Mazower (Hg.): After the War was Over, 2000, S. 292. Zu den italienischen Vergeltungsak­tionen vgl. z. B. TNA, FO 371/33175, R 4278 (25. 6. 1942) sowie zu denen beider (italienischer und bulgarischer) Besatzungkräfte siehe Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 67 – 72 und S. 180 – 183. 123 Sigrid Skarpelis-­Sperk: Last – Verantwortung – Versöhnung. Politische Perspektiven für das zukünftige Verhältnis Deutschlands zu Griechenland, in: Karl Giebeler; Heinz A. Richter; Reinhard Stupperich (Hg.): Versöhnung ohne Wahrheit? Deutsche Kriegsverbrechen in Griechenland im Zweiten Weltkrieg, Mannheim: Bibliopolis, 2001, S. 86. Vgl. auch Greek Office of Informa­tion: Greece – Basic Statistics, Leeds, London, Johannesburg: Tapp & Toothill Ltd., 1949, S. 23. In der Anklageschrift des VII. Nürnberger Nachfolgeprozesses („Geiselmord-­Prozess“) zu Griechenland ist im Fall von Wilhelm List die Rede von „tausenden Lidices“. Vgl. Opening Statement of the Hostage Case, 15 July-­A-MJ-14 – 5-Primeau (Schaeffer) Court 5, Case 7, The Nuremberg Trial Transcript Collec­tion – University of North Dakota, http://www.und.edu/instruct/calberts/Nuremberg/NurembergMain.html (letzter Zugriff: 15. 07. 2015). 124 Hradečný, Dějiny Řecka (Geschichte Griechenlands), 1998, S. 451.

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1.5.1 Kommeno

Die westgriechische Landgemeinde Kommeno an den Ausläufern des Pindos-­Gebirges unweit des Ionischen Meeres stand während der Besatzung unter italienischer Verwaltung. Schwarzhändler überquerten den nahe gelegenen Fluss und tauschten ihre Waren, in der Regel Treibstoffe und Fertigprodukte, gegen die Ernte der Dorfbewohner ein. Den Italienern war dieser Umstand gleichgültig. Sie postierten in Kommeno einen Zollbeamten, ledig­lich um die Situa­tion im Auge zu behalten. Selbst als die Partisanen mit der Konfiszierung von Lebensmitteln und anderen Gütern im Ort begannen, gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich die Italiener einmischen wollten.125 Das Dorf selbst stand nicht im Mittelpunkt bewaffneter Auseinandersetzungen. Seine Lage bot sich nicht für den Partisanenkampf an, doch lag es an einer Verkehrsader ­zwischen Ioannina und Arta. Auf deutscher Seite argwöhnte man, dass an dieser Stelle eine Landung der Alliierten erfolgen und dadurch die Südflanke der „Festung Europa“ gefährdet sein könne. Aus ­diesem Grund erließ OKW-Chef Keitel im Sommer 1943 den Befehl, dass auch „im Kampfraum ergriffene Bevölkerung erschossen“ werden dürfe.126 Landgemeinden, die in bewaffnete Konflikte verwickelt ­seien oder Widerständlern Zuflucht böten, sollten dem Erdboden gleichgemacht werden.127 Am 12. August 1943 stieß eine durchziehende deutsche Wehrmachtspatrouille beim Dorfplatz von Kommeno auf bewaffnete Partisanen. Kaum hatten die Deutschen die Partisanen gesichtet, zogen sie sich aus dem Dorf zurück. Obgleich es nicht zu einem Schusswechsel kam, verließen die verängstigten Einwohner, die bis zu d­ iesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrung mit deutschen Soldaten gemacht hatten, in Erwartung von Vergeltungsak­tionen ihr Dorf und suchten Zuflucht in nahe gelegenen Wäldern. Zu derartigen Ak­tionen waren die Deutschen den Sommer über in Nachbardörfern erschienen, hatten etwa in Sellades Häuser niedergebrannt und zwölf Bauern aus der Gegend als „Sühnemaßnahme“ für Sabotageak­tionen der Partisanen erschossen.128 Den Einwohnern von Kommeno jedoch versicherten die Italiener, dass keinerlei Gefahr für sie bestehe.

125 Zu den Vergeltungsak­tionen in Kommeno vgl. hauptsäch­lich Hermann Frank Meyer: ­Kommeno: Erzählende Rekonstruk­tion eines Wehrmachtsverbrechens in Griechenland, Köln: Romiosini, 1999. 126 BA/MA: RW 4/v. 763 – Befehle Keitels vom 8. Juli bzw. 18. August 1943. 127 Hermann Frank Meyer: Mousiotitsas – Kommeno – Lyngiades 1943, in: Gerd R. ­Ueberschär (Hg.): Orte des Grauens, Darmstadt: Primus, 2003, S. 147 – 149. 128 WL, 1360/5/5 – Eyewitness testimonies from a Variety of Witnesses to the German Occupa­tion of Greece, 1943 – 1944 (Georgios Bageorgos), siehe ebenfalls „Επέτειος των 12 εκτελεσθέντων Σελλαδιτών“ ( Jahresfeier für die 12 hingerichteten Bürger von Sellades), Oi Selladites online, http://www.sellades.com/sel/index.php/news/page-­news/99 – 12 (letzter Zugriff: 18. 07. 2015).

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Die deutsche Patrouille übersandte eine entsprechende Meldung an die 1. Gebirgsjägerdivision in Ioannina, deren Führung nach Rücksprache mit dem deutschen Generalstab in Athen eine Vergeltungsak­tion in Kommeno zur exemplarischen Bestrafung anordnete. Am 15. August, Mariä Himmelfahrt, einem der höchsten griechisch-­ orthodoxen Feiertage, machte sich die 12. Kompanie des Gebirgsjägerregiments 98 unter Oberst Josef Salminger zum Angriff bereit. In Kommeno fand an ­diesem Tag eine Hochzeit statt, zu der auch Leute aus Nachbargemeinden eingeladen waren. Das Dorf wurde in den frühen Morgenstunden des 16. August von der 12. Kompanie unter dem Kommandanten Oberleutnant Willi Röser und Major Reinhold Klebe, Kommandant des 3. Bataillons des 98. Regiments und Leiter der Opera­tion, umstellt. Die ungefähr 100 deutschen Soldaten der Opera­tion waren mit Handgranaten, Maschinenpistolen, Maschinengewehren und sonstigen Schusswaffen ausgerüstet. Gegen den Waffeneinsatz regte sich nicht der geringste Widerstand. Die Partisanen, die anzutreffen man erwartet hatte, waren nicht in Kommeno. Willi Röser tötete persön­lich den Dorfpopen, der sich ihm mit Erklärungsversuchen näherte. Dorfbewohner, die zu entkommen versuchten, wurden erschossen. Einigen Hundert gelang die Flucht über den Fluss, den die Deutschen unbewacht gelassen hatten, da sie eine Überquerung für unmög­lich hielten.129 Gegen Mittag war das Dorf vollständig zerstört. Auf den Straßen lagen die Leichen Dutzender Männer, Frauen und Kinder. Manche Einwohner wurden lebendig in ihren Häusern verbrannt. Viele Tote lagen auf dem Weg zum Fluss, ermordet beim Versuch, der deutschen Einkesselung zu entkommen. Unter den Opfern des Massakers befanden sich auch viele Hochzeitsgäste, die wie der Bräutigam aus den Nachbardörfern stammten.130 Die deutschen Soldaten plünderten in der Folge das verwüstete Kommeno, brannten die Häuser nieder und nahmen als Beute auch das Großvieh mit.131 Von ca. 600 Dorfbewohnern verloren bei dieser Vergeltungsak­tion 317 ihr Leben, darunter 20 Familien, von denen kein einziges Mitglied überlebte. Unter den Todesopfern waren auch 74 Kinder bis zu zehn Jahren.132 Auf italienische Interven­tion hin leitete man ein Ermittlungsverfahren zum Massaker ein. Weder Salminger noch Röser wurden belangt, man ordnete ledig­lich ihre Versetzung an. Salminger starb ­später bei einem Autounfall: Sein Fahrzeug prallte auf einen Telegrafenmast, den EDES -Partisanen als Sperre über die Straße nach Ioannina gelegt hatten. Aufgrund 129 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 190 – 200. 130 WL, 1360/5/5 – Eyewitness Testimonies from a Variety of Witnesses to the German Occupa­ tion of Greece, 1943 – 1944 (Theodoros Mallios). 131 BArch.-ZSt., Ludwigsburg, 508 AR 1462/68 – Ermittlungsverfahren in Sache Kommeno, S. 43, S. 53 f., S. 81, S. 107 und S. 182. 132 Stefanos Pappas: Η σφαγή του Κομμένου (Das Massaker von Kommeno), Athen: Pelasgos, 1976, S.  37 – 45.

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von Salmingers Tod wurden neue „Sühnemaßnahmen“ durchgeführt, bei denen weitere Griechen ums Leben kamen.133 1.5.2 Kalavryta

Das Kleinstädtchen Kalavryta war am 13. Dezember 1943 Ziel einer deutschen als „Unternehmen Kalawrita“ bezeichneten Vergeltungsak­tion.134 Das Massaker war die Reak­tion auf eine Opera­tion der ELAS Ende Oktober 1943, bei der Partisanen in der Nähe des Städtchens 78 Wehrmachtssoldaten gefangengenommen hatten.135 Anfangs hielt man die Gefangenen in der Schule von Kalavryta fest. Die Deutschen verhandelten zunächst über einen Austausch gegen inhaftierte Widerstandskämpfer. Doch die Partisanen lehnten einen Austausch im Verhältnis 1:1 ab. Anfang Dezember bombardierte ein deutsches Flugzeug das Partisanenlager. Daraufhin erschossen die Partisanen ihre Gefangenen nahe der Straße nach Kalavryta. Drei Soldaten gelang jedoch die Flucht, drei weitere verbrachte man in die Krankensta­tion von Kalavryta. Sie wurden schließ­ lich von den Partisanen als Vergeltung für den Tod eines ihrer Mitkämpfer umgebracht und von den Kalavrytanern auf dem ört­lichen Friedhof beerdigt. So kam das „Unternehmen Kalavryta“ ins Rollen.136 Auch die Kalavrytaner waren auf deutsche Vergeltungsak­tionen gefasst. Am 5. Dezember kesselten deutsche Soldaten das Gebiet um ihr Städtchen in einem Umkreis von zehn Kilometern ein und durchkämmten es systematisch.137 Sie fanden keine Partisanen vor. Später brannten sie ein paar Häuser nieder, sodass die Kalavry­ taner meinten, nun sei die Ak­tion beendet. Nur so ist zu erklären, dass bis zu den Morgenstunden des folgenden Tages kein einziger Bewohner den Ort verlassen hatte. Als die Wehrmachtsoldaten unter dem Kommando von Willibald Akamphuber in die Gemeinde einmarschierten, stießen sie nicht auf den geringsten Widerstand. Den Gefechtsberichten zufolge äußerten sich die Einwohner eher deutschfreund­lich.138 133 Meyer, Mousiotitsas – Kommeno – Lyngiades 1943, 2003, S. 151. 134 Mehr zu Kalavryta bei Hermann F. Meyer: Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-­Division durch Serbien und Griechenland, Mannheim: Bibliopolis, 2002. 135 PA AA, B 26/133 – Vermerk (Bonn, 6. 2. 1960). Die Angaben weichen voneinander ab: H. F. Meyer spricht von 81 Gefangenen, siehe Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 204, während im Abschlussbericht zur Opera­tion 75 Gefangene erwähnt werden, siehe NA, M 893/4/245 – Abschluss- und Erfahrungsbericht. Unternehmen „Kalawrita“ (19. 1. 1944). 136 NA, M 893/4/245 – Abschluss- und Erfahrungsbericht. Unternehmen „Kalawrita“ (19. 1. 1944). 137 PA AA, B 26/133 – Vermerk (Bonn, 6. 2. 1960). 138 In den Berichten wird erwähnt, wie die ört­liche Bevölkerung mit offenkundiger Höf­lichkeit und deut­lich vorgetragener Koopera­tionsbereitschaft zu beweisen versuchte, dass sie mit den Partisanen nicht das Geringste zu hat. Siehe NA, M 893/4/245 – Abschluss- und Erfahrungsbericht. Unternehmen „Kalawrita“ (19. 1. 1944).

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Dennoch brachten die Soldaten Frauen, Kinder und alte Leute in das Schulgebäude und schlossen sie dort ein. Dann brannten sie sämt­liche Häuser des Städtchens nieder. Die Männer wurden zu einem Hügel beim Friedhof getrieben und dort erschossen. Nur 13 Verwundete überlebten unter den Leichen ihrer ermordeten Mitbürger. Von den über hundert Witwen, die ihre Männer selbst begraben mussten, hat nach Kriegsende keine einzige wieder geheiratet.139 Das Blutbad von Kalavryta, angeordnet von General Karl von Le Suire, Kommandant der 117. Gebirgsjägerdivision, wurde zwar von General Felmy missbilligt, war jedoch nach Berliner Weisungen durchgeführt worden, in denen – wie bereits erwähnt – die Anwendung aller Mittel zur Zerschlagung des Partisanenwiderstandes verfügt wurde, ohne Vergeltungsak­tionen gegen Zivilpersonen auszuschließen. Parallel zu den „Sühnemaßnahmen“ an den Kalavrytanern fand eine ähn­liche Ak­tion („Unternehmen Büffel“) gegen 24 Landgemeinden und drei Klöster der Gegend statt, darunter auch gegen das Agia-­Lavra-­Kloster, das in Griechenland seit dem Befreiungskampf gegen die Osmanen Anfang des 19. Jahrhunderts hohen Symbolwert hatte. Deutschen Angaben zufolge haben beim Massaker in Kalavryta und Umgebung 696 Menschen ihr Leben verloren.140 Der Vergeltungsak­tion in Kalavryta folgte ein öffent­licher Aufschrei gegen die deutschen Besatzer, und die Bevölkerung wandte sich nun verstärkt der linken Widerstandsbewegung zu. In einem Schreiben an den Militärbefehlshaber Griechenlands, General Speidel, verwies darauf sogar der Premierminister der Kollabora­tionsregierung Rallis, verbunden mit der Bemerkung, dass er unter den gegebenen Bedingungen nicht in der Lage sei, die griechische Bevölkerung von der kommunistischen Gefahr zu überzeugen und genügend Kandidaten für die Sicherheitsbataillone zu rekrutieren.141 Speidel verteidigte in seiner Antwort zwar das deutsche Vorgehen und verwies auf die Opfer, die auch das „Reich“ für diesen Krieg bringe, in einem Schreiben an seinen Dienstvorgesetzten Generaloberst Alexander Löhr machte er jedoch auf die ungünstigen Auswirkungen solcher Opera­tionen aufmerksam.142

139 Zum Massaker von Kalavryta vgl. Eberhard Rondholz: Kalavryta 1943, in: Überschär (Hg.), Orte des Grauens, 2003, S. 60 – 70, hier S. 64. Vgl. ebenfalls Eberhard Rondholz: Rechtsfindung oder Täterschutz? Die deutsche Justiz und die „Bewältigung“ des Besatzungsterrors in Griechenland, in: Droulia u. a. (Hg.), Von Lidice nach Kalavryta, 1999, S. 251 f.; Manolis Glezos u. a. (Hg.): Η Μαύρη Βίβλος της Κατοχής (Schwarzbuch der Besatzung), Athen: Ethniko Symvoulio gia tis diekdikiseis ton ofeilon tis Germanias pros tin Ellada, 22006. 140 PA AA, B 26/133 – Vermerk (Bonn, 6. 2. 1960). 141 NA, T 311/179/1259 – Brief an seine Exzellenz Den Befehlshaber Griechenlands (19. 12. 1943). 142 NA, T 311/179/1259 – Politische Auswirkungen von Unternehmungen gegen die Banden (8. 1. 1944). Siehe NA, T 311/179/1263 – Anlage 2 zu Mil.Befh. Grld. Nr. 18/44 (29. 12. 1943).

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1.5.3 Distomo

Eine ähn­liche Vergeltungsopera­tion fand auch in Distomo statt, einem Dorf in der Nähe von Delphi.143 Auf der Straße zum Nachbardorf Stiri kam es am 10. Juni 1944 zu einem Gefecht z­ wischen dem 34. ELAS-Regiment und Männern der 4. SS-Polizei-­ Panzergrenadierdivision. Es gab Tote auf beiden Seiten.144 Kompaniechef Fritz ­Lautenbach ordnete umgehend eine Vergeltungsmaßnahme gegen Distomo an, in der Annahme, dort befinde sich der Partisanenstützpunkt. Bevor man ausrückte, informierte man Kurt Rickert in der Kommandantur des Städtchens Livadia, der seine Genehmigung erteilte. In Distomo wurden anfangs zwölf Geiseln erschossen und anschließend so gut wie alle im Dorf verbliebenen Einwohner ermordet, unabhängig von Alter und Geschlecht, insgesamt 218 Personen. Sämt­liche Häuser wurden aufs Gründ­lichste durchsucht und in der Folge niedergebrannt. Dieselbe SS-Einheit, von der die „Sühne“-Order in Distomo durchgeführt wurde, richtete im April 1944 ein weiteres Blutbad dieser Art in der Landgemeinde Klissoura an.145 Wenige Tage darauf erreichte eine Delega­tion des schwedischen Roten Kreuzes aus Athen Distomo und berichtete, dass entlang der Straße zum Dorf zahlreiche Männer-, Frauen- und Kinderkörper lagen, weitere – teilweise noch lebend – an Bäumen festgena­gelt waren.146 Aus Zeugenvernehmungen bei einer Untersuchung nach dem Krieg, die von der Aussage des schwedischen Delegierten bestätigt wurden, geht hervor, dass die NS-Greuel in Distomo einem sadistischen Amoklauf g­lichen. Einwohner verbrannten lebendig in ihren Häusern, Frauen wurden vor ihrer Erschießung vergewaltigt, Kinder und Säuglinge gemetzelt. Einer schwangeren Frau war der Bauch aufgeschlitzt und ihre Eingeweide um den Körper gewickelt worden; neben ihr lag zerschmettert der Fötus. An anderer Stelle stieß man auf einen Säuglingsschädel, der von einem Soldatenstiefel zertreten war, oder 143 Zum Fall Distomo siehe z. B. Dieter Begemann: Distomo 1944, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Orte des Grauens, 2003, S. 30 – 36, hier S. 30. 144 PA AA, B 11/1027 – Anlage I zu Bericht 515 – 10 No. 865/52 vom 4. August 1952. Auch hier sind Unterschiede bei der Zahl der Opfer festzustellen, vgl. z. B. Norman Paech: Der juristische Schatten der Wehrmachtsverbrechen in Griechenland, Yahoo Groups: Wehrmacht atrocities in Greece https://groups.yahoo.com/neo/groups/wehrmacht_atrocities_in_greece/ conversa­tions/messages/195 (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). 145 Siehe Eberhard Rondholz: „Schärfste Maßnahmen gegen die Banden sind notwendig …“ –Partisanenbekämpfung und Kriegsverbrechen in Griechenland: Aspekte der deutschen Okkupa­tionspolitik 1941 – 1944, in: Ahlrich Meyer (Hg.): Repression und ­Kriegsverbrechen. Die Bekämpfung von Widerstands- und Partisanenbewegungen gegen die deutsche Besatzung in West- und Südeuropa, Beiträge zur na­tionalsozia­listischen Gesundheits- und Sozia­lpolitik, Berlin, Göttingen: Verlag der Buchläden Schwarze Risse, Rote Straße 1997, S. 162. 146 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 212.

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Abb. 3  General Hellmuth Felmy (1885 – 1965), Fotografie um 1935. Felmy, Befehlshaber Südgriechenlands, unterstellt dem Wehrmachtsbefehlshaber Südost, wird 1947/48 im 7. Nachfolgeverfahren der Nürnberger Prozesse zu 15 Jahren Haft wegen Beteiligung am Blutbad von Klissoura (5. April 1944) verurteilt. „Während dieser grausamen Ak­tion wurden 280 Bewohner des Dorfes, überwiegend Alte, Frauen und Kinder erschossen und Teile des Ortes niedergebrannt.“ (Deutsches Generalkonsulat Thessaloniki. http://www.griechenland. diplo.de/Vertretung/griechenland/de/Generalkonsulat__Thessa loniki/2015__Kranzniederlegung__Klissoura__29 – 03.html (letzter Zugriff: 06. 12. 2015)). BArch, Bild 183 – 1998 – 0720 – 501/o. Ang.

auf eine ganze Familie, deren Leben beim Gebet vor dem häus­lichen Ikonostas ausgelöscht wurde. Die Reihe der Verbrechen dieser SS-Einheit ließe sich lange fortsetzen.147 147 PA AA, B 11/1027 – Anlage I zu Bericht 515 – 10 No. 865/52 vom 4. August 1952. Vgl. auch WL, 1360/5/5 – Eyewitness Testimonies from a Variety of Witnesses to the German Occupa­ tion of Greece, 1943 – 1944 (Sture Linnér) und Rondholz, Rechtsfindung oder Täterschutz?, 1999, S.  246 – 254.

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Lautenbach gab eine Falschmeldung ab, in der von einem Angriff mit Maschinenpistolen und anderen Waffen auf seine Männer in Distomo die Rede war. Er befürchtete wohl eine eventuelle Untersuchung für den Fall, dass die Vergeltungsak­tion als unverhältnismäßig eingeschätzt würde. Als General Felmy über die Falschangaben des Berichts informiert wurde, ordnete er tatsäch­lich eine Untersuchung an und übertrug die Vernehmung dem SS-Brigadeführer Schmedes. Lautenbach wurde vom stellvertretenden Divisionskommandanten Standartenführer Karl Schümers mit der Erklärung in Schutz genommen, dass in bester Absicht gehandelt worden sei. Einer Disziplinarmaßnahme wegen Meldefälschung gegen Lautenbach wurde zwar zugestimmt, ihre Durchführung verlief jedoch im Sande.148 Anschließend versetzte man Lautenbach, der dann 1944 in Ungarn fiel.149 General Felmy wurde im Juni 1941 Militärbefehlshaber Südgriechenlands und verblieb in dieser Posi­tion bis August 1942. In dieser Zeit war er zuständig für die drei deutschen Bataillone und Polizeieinheiten. Vom 10. Mai 1943 bis Kriegsende war Felmy Kommandierender General des LXVIII. Armeekorps, ab 9. September 1943 ebenfalls Kommandant der Heeresgruppe Südgriechenland, zu der auch die 117. Gebirgsjäger­ division gehörte.150 Für die Durchführung der „Vergeltungsak­tionen“ während der deutschen Besatzung Griechenlands wurde niemand bestraft. Felmy war nach dem Krieg einer der Angeklagten der Nürnberger Prozesse und wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, doch bereits 1951 freigelassen. Zu den Anklagepunkten gegen ihn gehörten auch Kriegsverbrechen zu Lasten der griechischen Zivilbevölkerung.

1.6 Das Schicksal der griechischen Juden Ein weiteres tra­gisches Kapitel der deutschen Besatzung handelt von der „Endlösung der Judenfrage“. In d ­ iesem Zusammenhang wurden mehr als 80 Prozent der in Griechenland lebenden Juden ermordet. Schon seit 1938 waren die NS-„Rassenforscher“ damit beschäftigt, die jüdische Minderheit auf griechischem Territorium zu erfassen. Zu Beginn der deutschen Besatzung war also bereits bekannt, dass man es in Griechenland

148 Vgl. ebd. Außerdem Willi Dressen: Deutsche Sühnemaßnahmen und Vergeltungsak­tionen in Griechenland im Spiegel der deutschen Strafverfolgung, in: Giebeler u. a. (Hg.), Versöhnung ohne Wahrheit?, 2001, S. 37 f. 149 Begemann, Distomo 1944, 2003, S. 34. 150 Case No. 47, The Hostages Trial: Trial of Wilhelm List and Others, United Na­tions War Crimes Commision: Law Reports of Trials of War Criminals. Vol. VIII, 1949, 47, Library of Congress, http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/Law-­Reports_Vol-8.pdf (letzter Zugriff: 18. 07. 2015).

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mit insgesamt ca. 70.000 bis 80.000 Juden zu tun haben würde.151 Jüdische Gemeinden gab es in 26 Städten des Festlands und der Inseln inklusive Dodekanes. Allerdings war die Zusammensetzung des jüdischen Bevölkerungsanteils nicht homogen. Noch immer lebten in Griechenland – mehrheit­lich auf den Ionischen Inseln, in Athen, Chalkida und Ioannina – sprach­lich und gesellschaft­lich akkulturierte kleine Romanioten-­Gemeinden.152 Ihre Präsenz im Lande lässt sich zurückverfolgen bis in die hellenistische Zeit. Darüber hinaus gab es auch eine gewisse Anzahl von Aschkenasim, die Ende des 14. Jahrhunderts aufgrund von Pogromen in Zentral- und Osteuropa nach Griechenland geflüchtet waren. Sie hatten sich im Laufe der Zeit mit den Romanioten oder den zahlreicheren Sepharden nahezu assimiliert.153 Entschieden größer im Vergleich zu den Romanioten und den Aschkenazim war die Gemeinde der Sepharden, die Judenspanisch (Spanio­lisch) sprachen und im Osma­nischen Reich ansässig geworden waren,154 nachdem das Ausweisungsedikt der 151 Zum letzten Zensus in Griechenland vor dem Krieg, durchgeführt 1928, weisen die Angaben Abweichungen auf. Der Athener Rabbiner erwähnt im Januar 1944 die Zahl von 90.000 Juden. TNA , GFM 33/2518 – Oberrabbiner von Griechenland über die deutsche Judenverfolgung (28. 11. 1944). In einer Erklärung des Rabbiners wenige Monate s­ päter ( Juni 1944) ist von 100.000 Juden die Rede, NA , RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their present situa­tion (14. 6. 1944). In einem Bericht des britischen Foreign Office wird die Vorkriegszählung von 100.000 Juden aufgeführt, TNA , FO 371/42900, WR 1896 – Jews in Greece (5. 12. 1944). In Aktendokumenten der 1960er Jahre zu deutschen Entschädigungszahlungen an Griechenland wird angeführt, dass es sich um „ungefähr“ 70.000 Juden handele, PA AA , B81/353 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungs­ verhandlungen (2. 2. 1960). Die meisten Historiker gehen von 70.000 bis 80.000, eventuell 77.000 aus, einer Zahl, die auch im Prozess gegen Adolf Eichmann zur Sprache kam. Siehe beispielsweise Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 240; Fleming, Greece – Α Jewish History, 2008, S. 202; Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 21. Fleischer nennt eine wesent­lich geringere Gesamtzahl (etwas über 70.000), vgl. Hagen ­Fleischer: Griechenland, in: Wolfgang Benz (Hg.): Dimension des Völkermords: Die Zahl der jüdischen Opfer des Na­tionalsozia­lismus, München: Oldenbourg, 1991, S. 247 f. 152 Fleischer, Griechenland, 1991, S. 242. 153 Nikos Stavroulakis: The Jews of Greece, Athen: Talos Press, 1990. Vgl. (anonym): ­Saloniki, ’Ir va-­Em Be-­Yisrael (Saloniki, Madre d’Israel), Tel Aviv und Jerusalem: Ha-­Makhon usw., Thessaloniki, 1967. 154 Details über den Zuzug der sephardischen Juden nach Thessaloniki siehe z. B. Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 46 – 63. Zur Sprache siehe Eyal Ginio: „Learning the Beauti­ ful Language of Homer“: Judeo-­Spanish Speaking Jews and the Greek Language and Culture between the Wars, Jewish History 16, no. 3 (2002), S. 235 – 262. Zum Terminus „Judenspanisch“ siehe Fleischer, Griechenland, 1991, S. 243 (Anm. 4). Zur wissenschaft­lichen Debatte über „judeospanisch“ und „ladino“ vgl. auch David M. Bunis: „Ladino“ or Not „Ladino“?, UW Stroum Jewish Studies, http://jewishstudies.washington.edu/sephardic-­studies/david-­ bunis-­ladino-­or-­not-­ladino (letzter Zugriff: 18. 07. 2015).

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­spanischen Könige von 1492 sie von der Iberischen Halbinsel vertrieben hatte. In der Hafenmetropole Thessaloniki und anderswo fanden sie nicht nur eine neue Bleibe, sondern auch dank der religiösen Toleranz im Osmanischen Reich gute Voraussetzungen für ihre gesellschaft­lichen, wirtschaft­lichen und kulturellen Entfaltungsmög­lichkeiten. Ihre Sprache und den Ritus behielten sie bei. Nach den Balkankriegen und der Eingliederung Thessalonikis in den griechischen Staat blieben einige Juden bei ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft – der türkischen, italienischen, spanischen und auch anderen.155 Da die überwiegende Mehrheit von ca. 70 Prozent der griechischen Juden Sepharden Thessalonikis waren und die Holocaustüberlebenden dieser Stadt nach dem Krieg entschlossen und gezielt Entschädigungsansprüche an Deutschland geltend machten, wird ihnen im Folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Tradi­tionell betrieben die Juden in Griechenland vielfach Handelsgeschäfte. Auch waren wichtige Industriebetriebe in ihrem Besitz. In Thessaloniki bestand die jüdische Bevölkerung mehrheit­lich aus kleinen Angestellten, Krämern, Hausierern, Handwerkern und vor allem einfachen Arbeitern. Alles in allem ist kaum zu unterstellen, dass Juden in Griechenland ausschließ­lich zum wohlhabenden Bürgertum zählten. Gerade in Thessaloniki gehörten vielfach Tagelöhner und Hafenarbeiter zum jüdischen Bevölkerungsanteil.156 Viele von ihnen waren bettelarm und ihre Existenz hing zu einem Großteil von Hilfeleistungen der jüdischen Gemeinde ab. Andererseits besaßen die griechischen Juden bestimmte Rechte, die in anderen Ländern nicht als selbstverständ­ lich galten: Während der Zwischenkriegszeit bis einschließ­lich 1940/41 leisteten sie etwa Wehrdienst im König­lichen Heer oder verfügten über Abgeordnete im griechischen Parlament.157 Nach dem Großbrand von 1917 waren viele mittellose Thessaloniker Juden gezwungen, von ihren zentral gelegenen Wohnungen in schnell hochgezogene Wohnviertel abseits des Zentrums umzusiedeln. Unmittelbar nach der militärischen Niederlage 155 Laut einem Bericht von Fritz Schönberg, dem deutschen Generalkonsul in Thessaloniki, ­lebten dort im Frühjahr 1943 281 Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft, 511 besaßen spanische, 39 türkische und einige wenige portugie­sische, argentinische, ägyptische, Schweizer und andere Pässe. Schönberg erwähnt, dass die Juden im Osmanischen Reich ihre Staatsbürgerschaft je nach dem Bestreben des Sultans verhandelten, mit einem Land Handelsbeziehungen aufzubauen, sodass einige Händler auf diese Weise mit bestimmten Privilegien ausgestattet wurden. TNA, GFM 33/2518 Judenfrage (15. 3. 1943). Zu den bilateralen Vereinbarungen des Osmanischen Reichs mit anderen Staaten und der Rolle seiner Juden siehe Stanford J. Shaw: The Jews of the Ottoman Empire and the Turkish Republic, New York: New York University Press, 1991, S. 115 – 119; Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 33 (Anm. 117). 156 Vgl. Rena Molho: Οι Εβραίοι της Θεσσαλονίκης 1856 – 1919. Μια ιδιαίτερη κοινότητα (Die Juden Thessalonikis 1856 – 1919. Eine besondere Gemeinde), Athen: Patakis, 2014, S. 217 – 220. 157 TNA, FO 371/42900, WR 1896 – Jews in Greece (5. 12. 1944).

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Griechenlands von 1922 und dem Bevölkerungsaustausch von Christen gegen Moslems siedelte man teilweise in denselben Randgebieten von Thessaloniki auch griechisch-­ orthodoxe Flüchtlingskontingente aus Kleinasien an; dadurch wurde die Lage der Juden deut­lich prekärer. Als Folge des Brandes und der sonstigen Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit entschlossen sich zahlreiche Thessaloniker Juden zur Auswanderung, sodass die jüdische Bevölkerungszahl der Stadt, die im Jahr 1913 ca. 80.000 (bei insgesamt 150.000 Einwohnern) betrug, bis 1940 zurückging auf 56.500 bei einer Gesamtzahl der Bewohner Thessalonikis von etwa 250.000.158 Ausgelöst durch die harten Existenzbedingungen nach dem griechisch-­türkischen Krieg schloss sich ein Teil der Thessaloniker Bevölkerung betont radikalen Überzeugungen an. 1927 wurde etwa die bereits erwähnte Na­tionale Vereinigung Griechenlands gegründet, deren Kürzel EEE von manchen mit „Griechen, löscht Juden aus“ (Έλληνες, εξοντώστε Εβραίους) wiedergegeben wurde.159 Die EEE hatte in Thessaloniki immerhin 3000 Mitglieder, wurde jedoch griechenlandweit kaum beachtet und nicht einmal bei den Thessaloniker Kommunalwahlen von 1934 besonders favorisiert.160 Zu Beginn des Sommers 1931 kam es zu einer Welle von Gewalt und Vandalismus gegen die jüdische Bevölkerung und deren Hab und Gut; am 29. Juni 1931 eskalierte die Lage und entwickelte sich zu einem antisemitischen Pogrom im jüdischen Stadtviertel Kampel. Die Hetzkampagne der EEE gegen Juden und Kommunisten sekundierte die na­tionalistisch orientierte Zeitung Makedonia, deren Herausgeber Petros Levantis Mitglied, Abgeordneter und Leitfigur der griechischen Liberalen, war.161 Zwar stellte sich die Regierung auf die Seite der Thessaloniker Juden, indem sie eine Polizei­sondereinheit zum Schutz der jüdischen Bevölkerung entsandte und den Pogromopfern Entschädigungen ausrichtete. In einem Prozess 1932 wurden die Hauptakteure des Pogroms jedoch freigesprochen.162 Rassistischer Antisemitismus etablierte sich allerdings kaum in Griechenland; unter der griechischen Bevölkerung war vielmehr eine Form von tradi­tionellem Antijudaismus verbreitet.163 Wenn die Liberale Partei von Eleftherios Venizelos den jüdischen

158 Michael Molho; Joseph Nehama (Hg.): In memoriam: gewidmet dem Andenken an die jüdischen Opfer der Naziherrschaft in Griechenland, Essen: Peter Katzung, 1981, S. 413. 159 Dordanas, Έλληνες εναντίον Ελλήνων (Griechen gegen Griechen), 2006, S. 117. 160 WL, 1360/1/1 – The Jews of Greece (anonymous, o. J.), S. 9. Siehe auch Mazower: Salonica. City of Ghosts, 2004, S. 388. 161 Mavrogordatos, Stillborn Republic, 1983, S. 258 – 260. 162 Fleming:, Greece – a Jewish History, 2008, S. 99. Vgl. Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S.  384 – 386. 163 Siehe z. B. zum Thema des Ritualmords Fleming, Greece: A Jewish History, 2008, S. 34 – 41. Zu einem historischen Rückblick auf den tradi­tionellen Antijudaismus inklusive Griechenlands siehe Joshua Trachtenberg: The Devil and the Jews: The Medieval Concep­tion of

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­ ählern mangelnden Patriotismus vorhielt, richteten sich diese Vorhaltungen eher W gegen die politische Orientierung von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. Dies war zumindest Mavrogordatos nach nicht auf eine antisemitische Einstellung der Venizelisten zurückzuführen.164 Bei den Wahlen von 1920, die angesichts der Fortsetzung des Kriegs mit der Türkei sowie dessen tra­gische Konsequenzen für Griechenland richtungsweisend waren, stand die überwiegende Mehrheit der Thessaloniker Juden hinter den Royalisten. Im Nachhinein wurde die Verantwortung für die militärische Niederlage den jüdischen Wählern angelastet.165 Als Venizelos Partei erneut die Macht übernahm, änderte sie die Wahlverordnungen und legte ein Wahlkollegium eigens für die Thessa­ loniker Juden fest, in dem ledig­lich zwei ihrer Vertreter für das Parlament kandidieren konnten.166 Auch wurde durch Erlass der Samstag als offizieller Ruhetag abgeschafft, um dadurch den jüdischen Einfluss auf das ­sozia­le Leben Thessalonikis zu drosseln.167 Dennoch war nicht einmal während des autoritären Metaxas-­Regimes von 1936 bis 1941 ein Anstieg antisemitischer Einstellungen zu verzeichnen. Im Gegenteil löste Metaxas unter anderem etwa die EEE auf und garantierte den griechischen Juden recht­liche Gleichbehandlung.168 Als Reak­tion auf den italienischen Angriff gegen Griechenland rief die jüdische Presse ihre Leser dazu auf, das Vaterland zu verteidigen; die jüdische Gemeinde stellte sich damit hinter Ioannis Metaxas.169 Fast 13.000 Soldaten aus jüdischen Familien wurden 1941 für die griechische Armee rekrutiert. Ungefähr 500 fielen an der Albanienfront, 4000 wurden in Gefechten verwundet. Oberst M ­ ordechai Frizis war einer der ersten hochrangigen Offiziere der griechischen Armee, die ihr Leben in Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs verloren und dadurch von einer Märtyreraura umgeben waren. Nach dem Einmarsch der Deutschen suchten nicht wenige jüdische Soldaten Griechenlands Zuflucht in den Bergen und schlossen sich den Partisanen an.170 the Jew and its Rela­tion to Modern Antisemitism, Philadelphia: Jewish Publica­tion Society, 2002, S.  124 – 139. 164 Mavrogordatos, Stillborn Republic, 1983, S. 255 – 259. 165 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 381. Allgemein war man auch der Ansicht, dass die Juden in Griechenland dem Osmanischen Reich weitgehend loyal gegenüberstanden; dies führte etwa kurz nach der Gründung des neugriechischen Staats auf der Peloponnes zu Massakern an Juden. Vgl. Fleming, Greece: A Jewish History, 2008, S. 15 – 17 oder auch Fleischer, Griechenland, 1991, S. 243. 166 Hering, Gunnar, Die politischen Parteien in Griechenland 1821 – 1936, Bd. 2, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 1992, S. 915. 167 WL, 1360/1/1 – The Jews of Greece (anonym, o. J.). 168 Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 364. Dennoch untersagte Metaxas den Beitritt von Juden zu bestimmten Organisa­tionen, z. B. zum Na­tionalen Jugendbund EON. 169 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 20. 170 Mavrogordatos, Stillborn Republic, S. 255.

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1.6.1 Die deutsche Besatzungszone und die Juden von Thessaloniki

In der jüdischen Gemeinde Thessalonikis ging von Beginn der Besatzung an die Angst um. Mentes Molho berichtet: „Als am 8. April 1941 die Einwohner Thessalonikis von der Kapitula­tion Griechenlands und dem Einmarsch der Deutschen erfuhren, der am kommenden Tag erfolgen sollte, verbreitete sich Bestürzung und Schrecken. Vor allem die Juden fürchteten sich. In den kommenden Stunden regelten sie hastig einige Angelegenheiten, versuchten wie die übrige Bevölkerung, sich ein paar Lebensmittelreserven zu beschaffen und schlossen sich dann in ihren Häusern ein.“ 171 Die gegen Juden gerichteten Maßnahmen in der deutschen Besatzungszone gestalteten sich anfangs jedoch recht zurückhaltend. Auch aus ­diesem Grund verließen nur wenige von ihnen das Land. Wer gleich in der ersten Besatzungsphase ging, suchte oft Zuflucht in der Türkei, Palästina und Ägypten.172 In den darauffolgenden Monaten griffen Furcht und Schrecken zunehmend um sich. Ab Sommer 1942 war Max Merten als Kriegsverwaltungsrat der Kopf der deutschen Besatzungsverwaltung. Die Verwaltung verbot die Herausgabe jüdischer Zeitungen, ordnete die Beschlagnahmung von Radiogeräten jüdischer Einwohner an und betrieb zugleich verstärkt antijüdische Propaganda. Diese fand ein Sprachrohr vor allem in der bereits kursierenden Zeitung Apogevmatini sowie im ab 15. April 1941 neu erscheinenden Blatt Nea Evropi.173 Letzteres publizierte außer den Mitteilungen der Besatzungsbehörden auch Kommentare und Artikel, die sich ab März 1943 immer öfter mit Juden befassten und gegen sie ausgerichtet waren. Merten wusste sich dabei unterstützt von der Sicherheitspolizei (SiPo) und dem Sicherheitsdienst (SD), beide von Kriminalkommissar Walter Paschleben geleitet.174 Gleichzeitig traten erneut die EEE und weitere antijüdische Organisa­tionen auf den Plan.175 Die deutschen Besatzer schlossen die großen jüdischen Buchhandlungen und begannen mit Verhaftungen der wohlhabenden jüdischen Elite Thessalonikis. Auch führende Mitglieder des Jüdischen Gemeinderats wurden festgenommen und vielfach durch bereitwillige kooperierende Personen ersetzt. Schon Mitte Mai 1941 wurde der aus Polen stammende Oberrabbiner Dr. Zvi Koretz inhaftiert. Die Besatzungsverwaltung bezichtigte ihn der antideutschen Propaganda und verbrachte ihn nach Wien. Die 171 Mentes M. Molho: Asset of Jewish Salonika, in: Steven Bowman (Hg.): The Holocaust in Salonika: Eyewitness Accounts, New York: Sephardic House, 2002, S. 212 f. 172 WL, 1360/1/1 – The Jews of Greece (anonymous, o. J.). 173 Andrew Apostolou: „The Excep­tion of Salonika“: Bystanders and Collaborators in North Greece, Holocaust and Genocide Studies 14/2 (Herbst 2000), S. 175. 174 Henry A. Zeiger: The Case Against Adolf Eichmann, New York: The New American Library 1960, S. 108. 175 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 349.

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meisten Verhafteten wurden jedoch bald freigelassen; allmäh­lich entspannte sich die Lage, und die Juden hofften nun, ihr Leben sei nicht in Gefahr.176 In den ersten Monaten unternahm Berlin den Versuch, die verbündeten Mitbesatzer Italien und Bulgarien von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass der jüdische Bevölkerungsanteil verringert werden müsse. Bulgarien stimmte schließ­lich der Durchführung antijüdischer Maßnahmen in seiner Besatzungszone zu und deportierte in der Folge fast alle Juden von dort ins Vernichtungslager Treblinka.177 Italien lehnte bis zu seiner Kapitula­tion 1943 derartige Maßnahmen in seiner Zone ab. Die italienischen Besatzer bemühten sich sogar des Öfteren, den Juden der deutschen Besatzungszone behilf­lich zu sein, vor allem, wenn sie im Besitz italienischer Ausweispapiere oder spanischer Pässe waren.178 Aufgrund der italienischen Interven­tionen in Verbindung mit der deutschen Haltung, sich in die Judenpolitik der deutschen Verbündeten und neutraler Länder nicht einzumischen, gelang es manchem Thessaloniker Juden, vor allem wenn sie die Staats­ bürgerschaft dieser Länder besaßen, den Maßnahmen einstweilen aus dem Weg zu gehen. Diese Maßnahmen betrafen in erster Linie die Verwaltung von Vermögenswerten oder deren Übereignung auf andere Personen. Bis zum 15. März 1943 mussten die politischen Vertreter der neutralen und mit Deutschland verbündeten Staaten kundtun, wie diejenigen Juden behandelt werden sollten, die Staatsbürger der betreffenden Länder waren. Italien konnte Deutschland davon überzeugen, Juden mit italienischer Staatsangehörigkeit in die italienisch besetzte Zone gehen zu lassen. Spanien prüfte die Mög­lichkeit, Juden mit spanischem Pass auf einem Schiff des Interna­tionalen Roten Kreuzes wegzuschaffen, das zuvor humanitäre Hilfe für Griechenland geliefert hatte, eine Op­tion, die Berlin jedoch ablehnte.179 Die Deutschen erhielten bei der Durchführung ihrer antijüdischen Politik nicht durchgehend aktive Unterstützung von ihren einheimischen Helfern. Aus der Quellen­ lage geht hervor, dass etwa der erste Besatzungspremier General Tsolakoglou der Ansicht war, in Griechenland gebe es keine „Judenfrage“, vielmehr sollten die Juden des Landes mit den Griechen recht­lich gleichgestellt sein.180 Gegen den Standpunkt

176 Molho, Asset of Jewish Salonika, 2002, S. 213. 177 Fleming, Greece: A Jewish History, 2008, S. 125 – 128. 178 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 11 f.; Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 365. 179 TNA, GFM 33/2518 – Aufzeichnung (22. 7. 1943), Eigentum spanischer Juden in Griechenland (21. 2. 1944), Behandlung der Juden im Ausland (11. 6. 1942), Vermögens-­Transak­tionen italienischer Juden (19. 6. 1943 und 16. 7. 1943); Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 87. 180 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 25. Samuel Ovavin vergleicht in seinem Bericht, verfasst im Sommer 1944 in der Türkei, wo er Zuflucht gefunden hatte, die

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Tsolakoglous protestierte Laskaris Papanaoum, einer der nichtjüdischen Handlanger der Besatzer. Zu Deutschland hatte er als Geschäftsführer eines jüdischen Betriebs für Lederverarbeitung in Hamburg vermut­lich schon vor dem Krieg Verbindungen.181 Aus deutscher Sicht gewann er durch die Ehe mit einer Deutschen noch an Zuverlässigkeit. Zurück in Griechenland, arbeitete er ab 1938 im öffent­lichen Dienst und lieferte den Deutschen wichtige Informa­tionen. Kurz vor dem Einmarsch überreichte er ihnen detaillierte Stadtpläne von Thessaloniki, die es den Besatzern ermög­lichten, strate­g isch wichtige Stellen der Stadt einzunehmen. Auch wurden aufgrund seiner Denunzierungen zahlreiche Personen, die aktiv gegen das Reich arbeiteten, verhaftet und hingerichtet.182 Zwar setzte sich Papanaoum neben weiteren griechischen Antisemiten von Anfang an für die Anwendung der Nürnberger Rassengesetze auch in Griechenland ein; die Besatzer jedoch legten, unüblich zu ihrem Vorgehen in anderen Ländern, bei der Judenverfolgung eine gewisse Toleranz an den Tag, in der Absicht, s­ päter die bestmög­lichen Ergebnisse zu erzielen. Schritt für Schritt konfiszierten sie die Vermögenswerte der jüdischen Gemeinden, Organisa­tionen und Zivilpersonen.183 Anfang 1941, noch vor der Besatzung Griechenlands, wurde das Sonderkommando Rosenberg eingerichtet, das der Haupt­abteilung III – Sonderaufgaben beim Berliner Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) unter der Leitung von Herrmann von I­ ngram direkt unterstand. Aufgabe dieser Dienststelle war es, die Tätigkeiten von Reichsfeinden zu eruieren und nachzuweisen, ob es sich um weltanschau­liche oder politische Gegner handelte. Im Abschlussbericht der Hauptabteilung vom 15. November 1941 wird detailliert auf Juden, Rotarier und Freimaurer verwiesen und erwähnt, dass zu den Logenmitgliedern sowohl Tsolakoglou als auch Logothetopoulos gehörten.184

181 182 183 184

Posi­tionen Tsolakoglous mit denen seines Nachfolgers Konstantinos Logothetopoulos. WL 1360/6/6 – A Brief History of German Persecu­tion of Jews in Greece (27. 5. 1944). PA AA, Inland II A/B 5632, R 99419 – Das Judentum in Griechenland (20. 4. 1942). Dordanas, Έλληνες εναντίον Ελλήνων (Griechen gegen Griechen), 2006, S. 350 – 361. Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 237 f. USHMM, Fond 1401, Abschrift 1, Folder 9 – RG 11.001M, Reel 131 Abschlussbericht über die Tätigkeit des Sonderkommandos Rosenberg in Griechenland (15. 11. 1941). Fünf Gruppen des Sonderkommandos Rosenberg wurde die Untersuchung klerikaler ­Themen (einschließ­lich Berg Athos) sowie entsprechender Archiv- und Bibliotheksmaterialien übertragen. D ­ arüber hinaus sollten sie die Vorgeschichte des antiken Griechenland in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäolo­gischen Institut (DAI) erforschen. Siehe Kateřina Králová: Německá kulturní politika pod Akropolí: Německý archeologický institut v Athénách (Deutsche Kulturpolitik in Griechenland: Das Deutsche Archäolo­gische Institut in Athen), in: Lucie Filipová; Jiří Pešek (Hg.): Německé historické ústavy v zahraničí. Německá kulturní zahraniční politika (Deutsche historische Institute im Ausland. Deutsche auswärtige Kulturpolitik), Prag: Karolinum, 2012, S. 277.

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Abb. 4  „Entsprechend der Übereinkunft der griechischen und deutschen Behörden beginnt von heute an die Erfassung der Juden Griechenlands und ihre Verwendung zur Ausführung nütz­licher Arbeiten.“ Kriegsberichterstatter Dick, Thessaloniki, Juli 1942. BArch, Bild 101I-168 – 0894 – 19A/Dick

In Griechenland lokalisierte Wertobjekte, wie etwa wertvolle hebräische Bücher und Handschriften, Kunstgegenstände oder das Archivmaterial der jüdischen Gemeinden und Synagogen, sollten dem neugegründeten Institut zur Erforschung der Judenfrage überlassen werden.185 Absonder­lich genug, dass ausgerechnet der jüdischen Gemeinde die Versorgung des Sonderkommandos Rosenberg oblag.186 Die von ihm erstellten Unterlagen ermög­lichten eine schnelle und effiziente Beschlagnahmung von Sakralobjekten und anderen Wertgegenständen der Gemeinde. In der Folge kam es immer häufiger zu Situa­tionen, in denen Juden von Deutschen oder deren griechischen Handlangern eingeschüchtert und erpresst wurden. Mittellose Juden ohne Verbindungen zum griechischen Hinterland fielen scharenweise der 1941/42 grassierenden Hungerkrise zum Opfer.187 Ende 1942 begann man allmäh­lich 185 Das Institut sollte zum Beispiel eine eventuelle arische Abstammung der sephardischen Juden überprüfen. Es lehnte jedoch die Mög­lichkeit ab, sie von der „Endlösung“ auszunehmen. Siehe Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 42. 186 Ebd. Siehe auch Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 35. 187 Pavel Hradečný: Holocaust řeckých Židů za druhé světové války (Der Holocaust der griechischen Juden im Zweiten Weltkrieg), in: Miloš Pojar (Hg.): Stín šoa nad Evropou (Der

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auch in der deutschen Besatzungszone mit antijüdischen Verordnungen und der Internierung von Juden, die sich aus Großdeutschland nach Griechenland geflüchtet hatten, um von dort aus Palästina zu erreichen.188 Auf die anfäng­lich eher passive Vorgehensweise der deutschen Besatzer im Umgang mit Juden in Griechenland folgte im Sommer 1942 eine offen antijüdische Kampagne. Die erste öffent­liche Maßnahme ist im Juli 1942 zu verzeichnen, als der Befehlshaber Saloniki-­Ägäis Curt von Krenzski den Einsatz des männ­lichen Teils der jüdischen Bevölkerung u. a. bei der berüchtigten paramilitärischen Bautruppe Organisa­tion Todt anordnete. Dieser Zwangsarbeitseinsatz erfolgte mit Einverständnis des griechischen Generalgouverneurs für Makedonien, Vasileios Simonidis.189 Auf die in der Zeitung Apogevmatini veröffent­lichte Aufforderung hin versammelten sich am Morgen des 11. Juli 1942 ungefähr 9000 Männer der jüdischen Bevölkerung z­ wischen 18 und 45 Jahren zur Erfassung auf dem Freiheits-­Platz im Zentrum von Thessaloniki, unter ihnen auch ehemalige Soldaten aus dem Griechisch-­Italienischen Krieg. Dort wurden sie schikaniert und gedemütigt, wobei anwesende Angehörige der Besatzungsverwaltung diese Vorgänge mit dem Fotoapparat festhielten.190 Die erfassten Männer setzte man u. a. bei Infrastrukturprojekten zugunsten des „Reichs“ ein, vor allem beim Ausbau der Straßenverbindung Thessaloniki-­Athen.191 Der in Thessaloniki akkreditierte Generalkonsul Schönberg sandte einen Bericht über die Ak­tion zur Arbeitsverpflichtung samt Foto nach Athen, in dem er seine Verwunderung über den jüdischen Einfluss auf das städtische Wirtschaftsleben äußerte. Zur Bekräftigung hatte er dem Schreiben eine Liste deutscher Firmen beigelegt, die mit Thessaloniker Juden Handelsbeziehungen unterhielten. Altenburg leitete den Bericht in der Folge nach Berlin weiter.192 Der Zwangsarbeitseinsatz der Juden hatte minimale Effizienz, zumal die Sterb­lichkeit unter ihnen in den ersten zweieinhalb Monaten auf 12 Prozent anstieg. Die deutsche Besatzungsverwaltung zeigte sich geneigt, mit der Führung der jüdischen Gemeinde eine Vereinbarung über den Freikauf von Zwangsarbeitern zu treffen. Die Hauptrolle bei den entsprechenden Verhandlungen hatte der Kriegsverwaltungsrat Max Merten. Er erklärte sich bereit, die 5500 Zwangsarbeiter gehen zu lassen, sollte die jüdische Gemeinde den Schatten der Shoah über Europa), Prag: Židovské muzeum, 2001, S. 160. 188 TNA, FO 371/48295 – GFM 33/2518 Behandlung der Juden im Ausland (11. 6. 1942). 189 Apostolou, „The Excep­tion of Salonika“, 2000, S. 177 f. 190 Vgl. z. B. die Beschreibung in WL 1360/6/6 – A Brief History of German Persecu­tion of Jews in Greece (27. 5. 1944). 191 Siehe z. B. TNA, GFM 33/2518 – Behandlung der Judenfrage im Ausland; hier: Griechenland (18. 8. 1942). 192 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, T28.

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astronomischen Betrag von 3,5 Mrd. Drachmen entrichten.193 Als Geste der „Nachsicht“ reduzierte er schließ­lich das Entgelt für den Freikauf auf 2,5 Mrd. Drachmen (ca. 100.000 US-Dollar).194 Außerdem verlangte er, den alten jüdischen Friedhof der deutschen Verwaltung zu überlassen, die das Gelände für Wehrmachtszwecke zu n ­ utzen beabsichtigte. Auch von den Stadträten Thessalonikis wurde die Beschlagnahmung des Friedhofs unterstützt.195 Auf dem 35 Hektar großen Areal befanden sich fast 500.000 Gräber. Die jüdische Gemeinde akzeptierte unter gewaltigem Druck das „Angebot“, sodass die Zerstörung des jüdischen Friedhofs im Dezember 1942 vonstattenging.196 Das Friedhofsgelände wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Gräber geschändet und die Grabsteine als Baumaterial verwendet.197 Die Thessaloniker Juden sollte von nun an ein Schicksal erwarten, das sich ihre Repräsentanten so nie vorgestellt hatten. 1.6.2 „Endlösung“

Ende 1942 beschloss SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann im Reichssicherheitshauptamt, die „Endlösung der Judenfrage“ auch in den deutsch kontrollierten Gebieten Griechenlands einzuleiten, ohne Rücksicht auf den Standpunkt der Verbündeten des „Reichs“. Im Januar 1943 entsandte Eichmann seinen Vertreter Rolf Günther mit dem Auftrag, die erforder­lichen Informa­tionen einzuholen und die entsprechende Opera­ tion in Zusammenarbeit mit den Offizieren von Wehrmacht, Sicherheitspolizei (SiPo), Sicherheitsdienst (SD) und SS vor Ort zu koordinieren.198 Mit der Durchführung der Angelegenheit wurden Dieter Wisliceny und Alois Brunner betraut, die beide einschlägige Erfahrungen vorweisen konnten. Brunner hatte in Wien bei der Vernichtung der dortigen jüdischen Bevölkerung mitgewirkt, Wisliceny die Deporta­tion der Juden von Bratislava koordiniert.199 193 NA, RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their present situa­ tion (14. 6. 1944); die deutschen Akten führen acht- bis neuntausend jüdische Zwangsarbeiter auf, wobei Juden italienischer oder spanischer Staatsangehörigkeit ausgenommen waren, da nicht zur Zwangsarbeit herangezogen. Siehe auch TNA, GFM 33/2518 – Behandlung der Judenfrage im Ausland; hier: Griechenland (18. 8. 1942). 194 Eckert, Vom „Fall Marita“ zur „wirtschaft­lichen Sonderak­tion“, 1992, S. 175. 195 Mehr zur Verwüstung des Friedhofs sowie zur Mitwirkung der griechischen Stadtverwaltung in: Leon Saltiel: Dehumanizing the Dead: The Destruc­tion of Thessaloniki’s Jewish Cemetery in Light of New Sources, Yad Vashem Studies, Vol. 42, No. 1 ( Juli 2014), S. 1 – 15. 196 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 79 f. 197 Mazower: Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 397 – 399. Siehe auch Leon Saltiel, Dehumanizing the Dead, 2014, S. 15. 198 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 36. 199 Zu Brunner vgl. z. B. Georg M. Hafner; Esther Schapira: Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist, Reinbek: Rowohlt, 2002;

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Die beiden Offiziere sollten bis zum 25. Februar eine Liste sämt­licher Thessaloniker Juden erstellen. Ein Zeitraum von sechs bis acht Wochen wurde für die eigent­liche Ausführung festgesetzt, nach dessen Ende Wisliceny auf seinen Posten in Bratislava zurückkehren sollte.200 Die SS-Hauptsturmführer Wisliceny und Brunner trafen Anfang Februar 1943 als Leiter des Sonderkommandos der Sicherheitspolizei für Judenangelegenheiten Saloniki-­Ägäis in Thessaloniki ein.201 Gleich nach ihrer Ankunft kontaktierten sie den Kriegsverwaltungsrat Merten, der sich bereit erklärte, sie in jeder Hinsicht zu unterstützen.202 Die Leitung des Sicherheitsdienstes (SD ) in Thessaloniki informierte Anfang ­Februar 1943 Oberrabbiner Koretz, der ein Jahr zuvor aus der Wiener Haft zurückgekehrt war, dass in der deutschen Besatzungszone nunmehr ähn­liche Maßnahmen wie in anderen euro­päischen Ländern unter Besatzung eingeleitet würden. Der Sicherheitsdienst ernannte Koretz, welcher fließend Deutsch sprach, auch zum Oberhaupt der Kultus­gemeinde Thessalonikis und des weiteren Umkreises. Anschließend mussten alle Juden über fünf Jahre den gelben Davidstern tragen, sich registrieren lassen und einen jüdischen Sonderausweis beschaffen. Auch ihre Geschäfte und Wohnungen wurden ähn­lich gekennzeichnet. In den folgenden zehn Tagen erfolgte per Erlass für Juden in der deutschen Besatzungszone die Ausgangssperre nach Sonnenuntergang. Auch untersagte man den Kontakt zu Nichtjuden, die Nutzung öffent­licher Verkehrsmittel sowie der Fernsprecher.203 Am 3. März 1943 erschien auf der Titelseite des Blatts Nea Evropi ein Artikel mit der Überschrift „Judenfrage: Das griechische Volk verlangt endgültige Bereinigung“.204 Er gilt als offizielles Startsignal und Auftakt für den Genozid der griechischen Juden in der deutschen Besatzungszone. Die Juden wurden gezwungen, detaillierte Listen ihrer Vermögenswerte zu erstellen, einschließ­lich der Gegenstände des täg­lichen Gebrauchs, um dann die Schlüssel für ihre Immobilien abzugeben.205 Zugleich war auch die Übereignung von Vermögen auf Dritte verboten. Für den Fall des Ungehorsams waren strenge Spyros Kouzinopoulos: Υπόθεση Αλόις Μπρούνερ (Der Fall Alois Brunner), Thessaloniki: Ianos, 2005; zu Wisliceny siehe Katarína Hradská: Prípad Dieter Wisliceny: Nacistickí poradcovia a židovská otázka na Slovensku (Dieter Wisliceny: Die NS–Berater und die Judenfrage in der Slowakei), Bratislava: AEP, 1999. 200 TNA, GFM 33/2518 – Rademacher an die Deutsche Gesandtschaft Pressburg (5. 2. 1943). 201 Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S. 292. 202 Susanne-­Sophia Spiliotis: Der Fall Merten und die deutsch-­griechische „Aufarbeitung“ der Besatzungsherrschaft in Griechenland während des Zweiten Weltkrieges, in: Giebeler u. a. (Hg.), Versöhnung ohne Wahrheit?, 2001, S. 68 – 77. 203 Molho, Asset of Jewish Salonika, 2002, S. 215 – 217. 204 Nea Evropi, 3. März 1943. 205 NA, RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their present situa­ tion (14. 6. 1944); vgl. Νea Evropi, 6. März 1943.

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Strafen angedroht. Die Thessaloniker Juden wurden sukzessive im Baron-­Hirsch-­Ghetto abgesondert, das die Besatzungsverwaltung im gleichnamigen Stadtviertel eingerichtet hatte. Entstanden war das Viertel vor dem Krieg, um jüdische Flüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen. Um das Ghetto errichtete man einen Zaun mit drei Toren. Zwei führten in die Stadt, das dritte jedoch zu den Eisenbahnschienen. Am 6. März 1943 wurde den Juden untersagt, das Ghetto zu verlassen. Wer das Verbot übertrat, musste mit der Todesstrafe rechnen. In der Folge wurden die Menschen von dort direkt nach Auschwitz-­Birkenau deportiert.206 Am 27. Februar versicherte Merten dem Oberrabbiner Thessalonikis, die Internierung der jüdischen Bevölkerung im Ghetto stelle eine provisorische Maßnahme dar. Vermut­lich setzte Koretz leichtgläubig darauf, Gehorsam seitens seiner Glaubens­ genossen könne Gefahr abwenden, sodass er absolute Fügsamkeit gegenüber deutschen Anordnungen für geboten erachtete. Vermut­lich hegte er auch die Hoffnung, dass in Thessaloniki womög­lich die Briten die Situa­tion noch einmal retten könnten.207 Nur ganz wenige Thessaloniker Juden wagten, sich dem zu widersetzen und anderswo Schutz zu suchen. Manchen glückte die Flucht nach Athen oder in die italienische Besatzungszone, andere gingen in die Berge und schlossen sich den Partisanentruppen an.208 Im Großen und Ganzen wollten die Juden Thessalonikis ihre Angehörigen unter diesen schwierigen Bedingungen nicht im Stich lassen, da zum einen das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl stark ausgebildet war, zum andern aufgrund der sprach­lichen Hürde nach wie vor eine gewisse Distanz den Griechen gegenüber vorherrschte. Wären sie jedoch geflohen oder hätten sich versteckt, so hätten nicht nur sie selbst sich in akute Lebensgefahr begeben, sondern auch ihre Verwandtschaft gefährdet sowie Personen, die ihnen einen Unterschlupf geboten hätten.209 Letzt­lich gelang es insgesamt nur ein paar Tausend ört­lichen Juden, aus Thessaloniki zu fliehen.210 Wisliceny erklärte 206 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 26 – 30. Vgl. auch WL 1360/6/6 – A Brief History of German Persecu­tion of Jews in Greece (27. 5. 1944) und das Interview mit Mari und Nikos Alvo (Thessaloniki, 9. 6. 2008). 207 Schönberg an Altenburg, 16. 4. 1943, 6.3.3.2./11294118 – 19/ITS Digital Archive, USHMM. 208 Bei Isaac Aron Matarasso: Greek Jews of Salonika under German Occupa­tion, in: Steven Bowman (Hg.): The Holocaust in Salonika: Eyewitness Accounts, New York: Sephardic House, 2002, S. 153 und Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 411, wird erwähnt, die Partisanenbewegung Makedoniens sei in jener Phase nicht konsolidiert genug gewesen, um der jüdischen Bevölkerung effizient helfen zu können. 209 Martin Gilbert: The Righteous: The Unsung Heroes of the Holocaust, New York: Henry Holt & Co., 2004, S. 244; vgl. Bekanntmachung in der Zeitung Nea Evropi, mit der die Adop­ tion von jüdischen Kindern als verboten angezeigt wurde, genau wie jeg­liche Hilfestellung für Juden. Jedem, der ­dieses Verbot ignoriere, drohe eine Inhaftierung im Pavlos-­Melas-­Gefängnis, Νea Evropi, 1. April 1943. 210 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 145.

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­später, dass die Opera­tion in Thessaloniki ohne die aktive Mitarbeit der deutschen Militärverwaltung so effizient nicht hätte durchgeführt werden können.211 Aufgrund eines Erlasses von Wisliceny und Brunner richtete der Generalgouverneur für Makedonien Simonidis am 8. März 1943, also noch vor Beginn der Deporta­tionen, die Dienststelle für die Verwaltung Israelitischer Vermögen (Υπηρεσία Διαχειρήσεως Ισραηλιτικών Περιουσιών, YDIP) ein. Ihr wurde vom griechischen Staat die treuhänderische Verwaltung jüdischer Immobilien übertragen: Fabriken, Ladengeschäfte sowie sonstige Handels- und Wohnimmobilien. Zum Leiter ernannte man Ilias Douros, einen höheren Finanzbeamten und bis dahin Direktor des Thessaloniker Grundbuchamts. Ebenfalls maßgeb­lich beteiligt waren einflussreiche griechische Bürger, zum Beispiel ein Juraprofessor, Bankdirektoren, der Vorstandsvorsitzende der Handelskammer und Vereinsvertreter. Die YDIP transportierte sämt­liche beweg­lichen Vermögenswerte aus den beschlagnahmten Immobilien in 27 Lagerhäuser. Schließ­lich forderte die YDIP ca. 2000 ehemalige Besitzer der faktisch beschlagnahmten Immobilien auf, in ihren Geschäften zu erscheinen, damit ihre Vermögenswerte insgesamt erfasst werden könnten.212 Mit dieser bürokratischen Prozedur der sogenannten Treuhandverwaltung jüdischer Vermögen und mit der Versicherung, Eigentum würde gleich nach der Rückkehr aus dem Generalgouvernement Polen wieder zurückerstattet, streuten die Besatzer den Juden gezielt Sand in die Augen. Die Einrichtung der YDIP war nichts als ein Vorwand. Lager, Wohnhäuser und Ladengeschäfte wurden geplündert. Hilfestellung dafür kam von YDIP-Vertretern und lokalen Handlangern der Deutschen; einige von ihnen kamen auf diese Weise zu erheb­lichem Vermögen. Die Nutzer der Immobilien wurden zwar zu Mietzahlungen an die Stadt „zugunsten der jüdischen Besitzer“ verpflichtet; faktisch jedoch kontrollierte niemand entsprechende Einzahlungen. In vielen Fällen hinderten die Deutschen die YDIP sogar daran, jüdisches Vermögen an „provisorische Treuhänder“ zu übertragen. Dabei handelte es sich in der Regel um Personen, die ihr eigenes Vermögen in der bulgarischen Zone verloren hatten. Nicht zuletzt überließ die deutsche Verwaltung zahlreiche Immobilien ihren griechischen Schergen, unter anderem auch dem bereits erwähnten Papanaoum.213

211 TNA, FO 645/162  – Testimony of Dieter Wisliceny at Nuremberg, 2/4/46 (Part 30 in Trial of the Major War Criminals before the Interna­tional Military Tribunal). Vol. IV. Proceedings: 12/17/1945 – 1/8/1946, Nürnberg: IMT, 1947. 212 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 414 f. Eingerichtet wurde die YDIP laut Gesetz 205/1943 vom 29. 3. 1943: Περί διαχειρίσεως των παρά των Αρχών Κατοχής κατασχομένων και εγκαταλειπομένων Ισραηλιτικών περιουσιών (Zur Verwaltung der durch die Besatzungsbehörden beschlagnahmten und zurückgelassenen israelitischen Vermögenswerte), Griechisches Regierungsblatt ΦΕΚ A’ 160/1943. 213 Molho, Asset of Jewish Salonika, 2002, S. 224; WL 1360/6/6 – A Brief History of German Persecu­tion of Jews in Greece (27. 5. 1944).

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Abb. 5  Das alte Güterbahnhofsgelände von Thessaloniki, von wo aus die Deporta­tionszüge mit den Juden starteten. Der Text der Gedenktafel erinnert an das unmenschliche Geschehen: „Dedicated to the sacred memory of the 50.000 Greek Jews of Thessaloniki who from March until August 1943 were taken by the nazi conquerors to the old railway sta­tion, piled up into closed livestock wagons and were deported to the camps of Auschwitz-­Birkenau where they met a martyr’s death.“ Persön­liche Sammlung der Autorin

Am 15. März verließ der erste Transport mit ungefähr 2600 jüdischen Bürgern die Stadt Thessaloniki in Richtung Auschwitz-­Birkenau.214 Wöchent­lich brachen vier Transporte auf. Die Fahrt in den Norden unter unmenschlichen Bedingungen dauerte sieben bis neun Tage. In den für Viehtransporte hergestellten Wagons gab es weder Sitzplätze noch Fenster oder Toiletten. Wasser und Nahrung wurden nur in minimalen Mengen ausgegeben. Wie infam die Praktiken seitens der Initiatoren der Judenvernichtung waren, wird auch an der Zusammensetzung der Transporte deut­lich: Um den Eindruck zu erwecken, dass man keine Absicht habe, den Gefügigen oder Vermögenden etwas anzutun, wurde der mittellose Teil der jüdischen Bevölkerung, in der Regel Anhänger marxistischen Gedankenguts, mit den ersten Zügen verschickt.215 Letzten Endes hatten jedoch fast alle Juden der Stadt ein und dasselbe Schicksal. Die Vernichtung der Thessaloniker Juden erfolgte in insgesamt nur fünf Monaten. Ausnahmen wurden nicht gemacht, weder bei Kindern noch bei schwangeren Frauen oder alten und kranken Personen.216 Den Juden wurde erlaubt, ein Handgepäck von 20 kg mitzunehmen, das aber weder Wertsachen noch Geld enthalten durfte.

214 TNA, GFM 33/2518 – Deutsches Generalkonsulat von Schönberg (15. 3. 1943). 215 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 30. 216 NA, RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their Present Situa­ tion (14. 6. 1944).

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Symptomatisch für den Zynismus der deutschen Besatzer war der „Umtausch“ von letzten Ersparnissen dieser Menschen in gefälschte polnische Geldscheine, verbunden mit dem Hinweis, mit diesen Devisen könne man dann in Krakau, dem angeb­lichen Reiseziel, einen neuen Anfang machen.217 Der erste Transport erreichte Auschwitz-­Birkenau am 20. März 1943. 1700 Personen wurden direkt nach dem Eintreffen ins Gas geschickt, 417 Männer und 192 Frauen für körper­lich ausreichend geeignet erachtet und dem Arbeitslager zugewiesen. Die meisten starben schon in den ersten Tagen an den Folgen von Hunger oder Schinderei. Einige kamen zu Menschenversuchen in Block 10 unter. Entsprechend verlief der Schicksalsweg der Folgetransporte. Alles in allem deportierte man aus Thessaloniki 45.000 Personen, davon wurden 85 Prozent sofort nach der Ankunft in Auschwitz-­Birkenau ermordet.218 Bei den Deporta­tionen der Juden aus Thessaloniki wurden die Besatzer auch von jüdischen Helfershelfern unterstützt. Dieses Mitwirken am Genozid stellt das schwärzeste Kapitel in der Geschichte des griechischen Judentums dar. Viele der jüdischen Schergen ließen sich durch Feigheit und persön­liche Berechnung zur Zusammenarbeit verleiten, in der Hoffnung, man schenke ihnen und ihren Angehörigen das Leben. Nach der Einrichtung des Baron-­Hirsch-­Ghettos wurde von den Besatzern die sogenannte Judenmiliz (Πολιτοφυλακή) aufgestellt, deren Mitglieder verschiedene Privilegien erhielten. Sie konnten z. B. das Ghetto verlassen sowie andere Juden aus ihren Häusern holen. Zusammen mit den Besatzern sorgten sie für Ordnung, spürten Flüchtige auf und übten Gewalt gegen ihre Glaubensgenossen aus. War einer der Milizionäre nicht „eifrig“ genug bei der Sache, wurde er abgestraft.219 Zum Milizleiter ernannte man Jacques Albala, der lange Jahre in Wien gelebt hatte und sehr gut Deutsch sprach. Später wurde er auch Vorsitzender des Judenrats als Nachfolger des Oberrabbiners Koretz;220 die Milizleitung übernahm dann Vital Chasson.221 Doch nicht einmal die Handlanger der Deutschen, wie etwa die Vertreter des Thessaloniker Judenrats und ihre Familien, wurden letzt­lich von den Deporta­ tionslisten gestrichen. Einigen gelang die Flucht, andere jedoch endeten zusammen mit ihren Glaubensgenossen in Konzentra­tionslagern. Am 2. August 1943 ging der achtzehnte und vorletzte Transport mit den „privilegierten“ Juden los, ausnahmsweise einmal nicht in Richtung Auschwitz-­Birkenau, sondern ins Konzentra­tionslager Bergen-­Belsen. Zu den Passagieren d ­ ieses Zugs zählten außer den „Privilegierten“ auch 367 Juden spanischer Staatsbürgerschaft. Mit ­diesem Transport wurden auch 217 Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S. 239. 218 Hafner u. a., Die Akte Alois Brunner, 2002, S. 111. 219 Matarasso, Greek Jews of Salonika under German Occupa­tion, 2002, S. 147 f. 220 Minna Rozen: Jews and Greeks Remember Their Past: The Political Career of Tzevi Koretz (1933 – 43), Jewish Social Studies: History, Culture, Society 12,1 (2005), S. 111 – 166. 221 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 376.

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der Oberrabbiner Koretz und seine Familie deportiert. Der letzte Transport mit 1800 Männern, die die Zwangsarbeit in Griechenland überlebt hatten, fuhr wenige Tage ­später nach Auschwitz-­Birkenau ab. Damit war die planmäßige Umsetzung der „Endlösung der Judenfrage“ zunächst beendet.222 Gleichzeitig teilten die Juden in anderen Städten der deutschen Besatzungszone das Schicksal ihrer Thessaloniker Glaubensgenossen: Florina (330 der nach dem Zensus von 1940 insgesamt 400 Mitglieder der jüdischen Gemeinde kamen um), Veria (680 von 850), Didymoticho (730 von 1000) und Nea Orestiada (180 von 197). Meist verlud man sie in Lastwagen Richtung Thessaloniki und deportierte sie von dort aus mit dem einen oder anderen Transport nach Auschwitz-­Birkenau. Die meisten wurden ermordet, nur wenige retteten ihr Leben mit Hilfe von Partisanen, konnten sich verstecken oder emigrierten. Nach dem Krieg hatten bei keiner dieser kleineren Gemeinden Initiativen zur Neubelebung irgendeinen Erfolg.223 1.6.3 Der Holocaust nach der italienischen Kapitulation

Nach der Kapitula­tion Italiens im September 1943 hatte Hitler freie Hand für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der bis dahin italienischen Besatzungszone. Wisliceny wurde als treibende Kraft der neuen Opera­tion abermals nach Griechenland entsandt. Er nahm sich zusammen mit Jürgen Stroop, einer finsteren Gestalt – 1943 hatte er die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto betrieben – die Athener Juden vor. Die Planung für die Deporta­tion der Athener Juden verlief nach demselben Schema wie in Thessaloniki. Wisliceny beorderte den Athener Oberrabbiner Ilias Barzilai und verlangte von ihm, umgehend eine Liste sämt­licher Athener Juden zu erstellen, inklusive der Angaben zu deren Vermögen. Barzilai folgte jedoch nicht dem Beispiel des Thessaloniker Oberrabbiners und ignorierte die Anweisung. Selbst wenn er dazu bereit gewesen wäre, hätte er es nicht durchführen können, da das Archiv der Athener jüdischen Gemeinde zerstört worden war – mög­licherweise bei einem Brand­ anschlag, den die nazifreund­liche ESPO im Juli 1942 gegen die Büros der jüdischen Gemeinde verübt hatte.224 Barzilai berief den Jüdischen Gemeinderat zu einer Geheimversammlung ein und empfahl dessen Mitgliedern, sie mögen ihre Glaubensgenossen darin unterstützen, 222 Photini Constantopoulou; Thanos Veremis: Documents on the History of the Greek Jews: Records from the Historical Archives of the Ministry of Foreign Affairs, Athen: Kastaniotis, 1999, S. 415; Apostolou, „The Excep­tion of Salonika“, 2000, S. 193. 223 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.),1981, S. 122 und S. 351. Siehe auch „PRE-­WAR COMMUNITIES“ auf der Homepage des Zentralrats der Juden Griechenlands (KIS), http://www. kis.gr (letzter Zugriff: 16. 06. 2015). 224 TNA, FO 371/42900, WR 1896 – Jews in Greece (5. 12. 1944).

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sich den NS -Verfolgungen zu entziehen. Zur Rettung der Athener Juden trug wesent­ lich Erzbischof Damaskinos bei, der etwa der Schließung von Scheinehen ­zwischen Juden und Christen sowie der Durchführung von Scheintaufen zustimmte. Schon Ende 1941, als Mitglieder des Sonderkommandos Rosenberg in Athen eintrafen, begann Oberrabbiner Barzilai mit Vertretern von EAM /ELAS Gespräche über die Gewährung von Schutz auf dem Territorium des „Freien Griechenland“, worauf die Partisanen den Athener Juden zu Hilfe kamen.225 Der Rabbiner selbst nutzte das Anerbieten der Widerständler und setzte sich mit seiner Familie in die Berge ab. Seinem Beispiel folgten weitere Glaubensgenossen und erweiterten so die Reihen des griechischen Widerstands.226 Die deutsche Seite hatte mit ­diesem Verhalten Barzilais nicht gerechnet. Stroop erließ die Anweisung, Juden müssten sich innerhalb von fünf Tagen an ihrem ständigen Wohnsitz einfinden und in den entsprechenden Matrikeln registrieren lassen; sollten sie ­diesem Befehl nicht Folge leisten, würden sie erschossen. Von den 7000 bis 8000 Juden, die Ende 1943 in Athen lebten (die Zahl hatte sich ­zwischen 1941 und 1943 wegen der Zuzüge aus anderen Gebieten der deutschen Zone in die Hauptstadt mehr als verdoppelt) erschien ledig­lich ein Viertel. Dabei handelte es sich hauptsäch­lich um mittellose Personen. Wer sich nicht registrieren ließ, verlor den Zugang zu Hilfsspeisungen und musste notgedrungen bis zum Ende der Besatzung im Untergrund leben. Auch konnte er nicht an den humanitären Sendungen des Roten Kreuzes partizipieren, da er fürchten musste, dass seine Identität von der Gestapo oder den Helfershelfern der Deutschen in den Sicherheitsbataillonen aufgedeckt würde.227 Nach d ­ iesem partiellen Misserfolg wurde Stroop im Oktober 1943 von Walter Schimana abgelöst. Im Januar 1944 berief man auch Wisliceny ab. Schimana wurde

225 NA, RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their Present Situa­ tion (14. 6. 1944). 226 Barzilai erwähnt in seiner Zeugenaussage, dass sich schon im Sommer 1943 mindestens 1000 Juden unter EAM -Schutz befanden, von denen ihm zufolge ungefähr 100 bis 150 aktiv an bewaffneten Auseinandersetzungen teilnahmen. NA , RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their Present Situa­tion (14. 6. 1944). Siehe auch WL 1360/6/6 – A Brief History of German Persecu­tion of Jews in Greece (27. 5. 1944), TNA , FO 371/42900, WR 1896 – Jews in Greece (5. 12. 1944); Mazower, Inside Hitler’s ­Greece, 2001, S. 250. Nach der italienischen Kapitula­tion waren es 650 Personen. Vgl. Joseph Matsas: The Participa­tion of the Greek Jews in the Na­tional Resistance, 1940 – 1944, Journal of the Hellenic Diaspora, No. 17 (1991). Bowman wiederum behauptet sogar, dass „Schätzungen z­ wischen 1000 und 2000“ nicht notwendig übertrieben s­ eien. Steven B. Bowman: The Agony of Greek Jews, 1940 – 1945, Stanford: Stanford University Press, 2009, S. 162. 227 NA, RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their Present Situa­ tion (14. 6. 1944).

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unterstützt vom SS -Standartenführer Walter Blume, dem neuen Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SiPo/SD ) in Athen. Blume eilte aufgrund seiner Ak­tionen als Führer des Sonderkommandos 7a der Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei in Russland und Weißrussland ein besonders schlechter Ruf voraus.228 Die Vorbereitungen zur Deporta­tion der Athener Juden begannen am 24. März 1944. In der Athener Synagoge verhafteten die Deutschen etwa 350 Juden, die sie dort unter dem Vorwand zusammengeholt hatten, es werden Matzen für Pessach ausgegeben. Die Zahl erhöhte sich ­später noch durch deren Familienmitglieder.229 In der Nacht zum 24. März wurde auch die jüdische Bevölkerung der ehemaligen italienischen Zone des Festlands in weiteren griechischen Städten zusammengetrieben, etwa in Agrinio, Patras, Arta, Preveza, Chalkida, Volos, Larissa, Trikala, Kastoria und Ioannina.230 Dazu kamen die jüdischen Flüchtlinge aus Makedonien. Die Menschen wurden entweder nach Athen gebracht oder, vor allem vom Sammellager in Larissa aus, auf dem Weg nach Norden in die Transporte aufgenommen. So gut wie alle Deportierten erwartete das g­ leiche Schicksal: der Tod in Auschwitz-­Birkenau. Bis zum Spätsommer 1944 folgten die Glaubensgenossen derjenigen griechischen Inseln (Korfu, Rhodos, Kos), die zuvor unter italienischer Kontrolle waren.231 Hervorzuheben wäre, dass besonders in Thessalien und Zentralgriechenland (Larissa, Trikala, Volos und Chalkida) sowie auf Zakynthos viele Menschen dank ihrer umsichtigen geist­lichen Führung sowie mit Hilfe von Widerständlern und des Netzwerks lokaler nichtjüdischer Freunde dem Tod entgingen.232 Etwa 1700 Juden wurden in das Konzentra­tionslager Chaidari verbracht. Dort waren während der Besatzung außer Juden und Partisanen auch Personen wegen deutschfeind­ licher Ak­tionen inhaftiert. Nach der italienischen Kapitula­tion kamen zahlreiche italienische Soldaten dazu. Die Lagerbauten befanden sich in einem katastrophalen Zustand, ihrer Ausstattung fehlte es am Notwendigsten. Die jüdischen Inhaftierten 2 28 Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 366. 229 Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 37 f. 230 Einige jüdische Gemeinden entkamen der Deporta­tion dank des rechtzeitigen Einsatzes und Beistands ihrer Nachbarn (Karditsa, Katerini) sowie von EAM/ELAS, andere jedoch – z. B. die historische Gemeinde der romaniotischen Juden in Ioannina – wurden von den Nazis buchstäb­lich ausgerottet. Siehe Michail Molho; Iosif Nehama: In memoriam: Aφιέρωμα εις την μνήμην των Ισραηλιτών θυμάτων του Ναζισμού εν Ελλάδι (Zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nazismus in Griechenland), Thessaloniki: Israelitiki Koinotita Thessalonikis, 1976, S. 229 – 240. Siehe auch Christoph U. Schminck-­Gustavus: Winter in Griechenland. Krieg – Besatzung – Shoah 1940 – 1944, Göttingen: Wallstein, 2010. 231 Mehr zu den Inseln in: Michael Matsas: The Illusion of Safety: The Story of the Greek Jews during World War II, New York, NY: Pella, 1997, S. 116 – 124. Die Juden von Chania (Kreta) wurden von deutschen Besatzern im Juni 1944 vor Ort ermordet. Ebd., S. 153 – 156. 232 Fleischer, Griechenland, 1991, S. 263 – 267.

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verbrachte man in die Gebäudekeller. Es mangelte an Nahrungsmitteln und Wasser; beides wurde u. a. aufgrund deutscher Sparmaßnahmen beim Treibstoffverbrauch nur sehr unregelmäßig geliefert.233 Das Lager Chaidari ist wegen der Grausamkeit seines Kommandanten Paul Radomski in die Geschichte eingegangen. Er soll Augenzeugen zufolge jederzeit die Peitsche eingesetzt bzw. Häftlinge mit seiner Pistole ohne Zögern und Skrupel erschossen haben.234 Im Februar 1943 wurde Radomski abgelöst von Karl Fischer, der ihm an Brutalität nicht nachstand. Das Verhalten ihrer Kommandeure übernahmen bedenkenlos auch die dortigen Wärter.235 Häufig wurden Lagerhäftlinge, zu denen bei weitem nicht nur Juden zählten, im Zusammenhang mit Vergeltungsak­tionen für Partisanen­angriffe gegen deutsche Truppen vor ein Exeku­tionskommando gebracht, wobei Keitels Weisung eingehalten wurde: 50 Exeku­tionen für jeden verwundeten Deutschen, 100 erschossene Griechen für jeden toten Deutschen.236 Athener Juden wurden, wenn sie die unmenschlichen Haftbedingungen im Lager Chaidari überlebten, im April und Juni 1944 in zwei Zügen nach Auschwitz-­Birkenau deportiert. In denselben Zügen fuhren auch ihre Glaubensgenossen aus anderen Teilen Griechenlands bzw. von einigen Inseln mit.237 Ungefähr 250 Athener Juden mit spanischen Pässen verbrachte man ins Lager Bergen-­Belsen. Von dort holten spanische Behörden die griechischen Sepharden mit spanischer Staatsbürgerschaft Ende Juli 1944 in nordafrikanische Flüchtlingslager.238 Diese Personen gehören zu den ganz wenigen, die den Holocaust überlebt haben. Wegen des hohen Maßes an gesellschaft­licher Integra­tion und mit Unterstützung der griechischen Bevölkerung gelang es vielen Athener Juden, dem Schlimmsten zu entrinnen. Sie tauchten bei christ­lichen Freunden unter, wurden mit falschen Ausweis­ papieren ausgestattet, ließen sich taufen oder setzten sich in die Berge ab.239 Manchem gelang – gegen Entgelt und oft mit Hilfe von Partisanen – die Flucht in ein anderes 233 Theodoros Mich. Tserpes: Το Άγιο Χαϊδάρι: Ημερολόγιο Κατοχής (Heiliges Chaidari: Besatzungstagebuch), Athen: Diogenis, 2007, S. 185. 234 NA, M 893/18 – Vatikiotty to the Director of Greek Na­tional War Crime Office (14. 9. 1945). 235 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 230. 236 NA, M 893/18 – Vatikiotty to the Director of Greek Na­tional War Crime Office (14. 9. 1945). Vgl. auch Tserpes, To Άγιο Χαϊδάρι, 2007, S. 209. 237 Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 366 f. 238 TNA, FO 371/51171/WR452/274/48 – Letter from Mason to Dr. Schonfeld (6. 3. 1945); in dieselben Lager wurden auch die Thessaloniker Juden mit spanischen Pässen verbracht. Siehe auch Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 49. 239 Zu den Personen, die den griechischen Juden zu falschen Ausweispapieren verhalfen und nach dem Krieg zu Recht den Titel der „Gerechten unter den Völkern“ erhielten, gehören 271 Griechen, darunter auch der Athener Erzbischof Damaskinos und der Athener Polizeipräsident Angelos Evert. Siehe Králová, Řečtí Židé a holocaust (Die griechischen Juden und der Holocaust), 2007, S. 11.

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Land. Dort trat der eine oder andere den alliierten Streitkräften bei und beteiligte sich am Kampf gegen Hitler.240 Trotzdem hatte der Holocaust tra­gische Folgen für Griechenlands jüdische Bevölkerung. Mehr als drei Viertel wurden, wie bereits erwähnt, im Laufe des Zweiten Weltkriegs umgebracht, die seit alters her bestehenden jüdischen Gemeinden in Epirus, auf Kreta, Korfu, Kos und Rhodos unwiederbring­lich vernichtet.241 Und die Sephardengemeinde von Thessaloniki, einer Stadt, die man das Jerusalem des Balkans 242 nannte, ist nahezu ausgelöscht.

1.7 Kriegsfolgen „Während der NS -Besatzung hat Griechenland vielleicht mehr als jedes andere Land gelitten“, bemerkt das American Joint Distribu­tion Committee in ihrem Bericht von 1945 über Griechenland.243 Der Lebensstandard der Griechen und die Wirtschaftslage bei Kriegsende werden häufig sogar mit dem Zustand vor den Balkankriegen 1912/13 verg­lichen. Die zugäng­lichen Quellen machen die Auswirkungen der Besatzung von 1941 bis 1944 anhand folgender Daten anschau­lich: Vor Kriegsausbruch hatte Griechen­land ungefähr acht Millionen Einwohner. Die menschlichen Verluste durch Krieg und Besatzung belaufen sich auf 500.000, also 6 bis 7 Prozent der griechischen Bevölkerung.244 In Gefechten verloren 75.000 Soldaten und Partisanen ihr Leben. Fast 30.000 Griechen wurden von den Besatzungskräften erschossen. Zu den zivilen Opfern gehörten hauptsäch­lich Kommunisten, Freimaurer und Juden, aber auch Tausende von Bürgern, die von den deutschen Besatzern zunächst weder politisch noch „ras­sisch“ klassifiziert worden waren. In griechischen Besatzungslagern und -gefängnissen waren 95.000 Personen inhaftiert worden.245 Ungefähr 1800 der 14.000 außerhalb Griechenlands internierten Griechen verloren ihr Leben im Ausland, meist in deutschen Konzentra­tionslagern.246 Die Hungerkrise im Winter 1941/42 kostete ungefähr 250.000 Menschen das Leben. Tausende starben an Kriegsfolgen und

240 TNA, FO 371/42900, WR 1896 – Jews in Greece (5. 12. 1944), Interview mit Mari und Nikos Alvo (Thessaloniki 9. 6. 2008). 241 Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, 1986, S. 366 f. 242 Rena Molho: „La Jerusalem des Balkans“: Salonique, 1856 – 1919, Disserta­tion Thessaloniki: Prix de l’Académie d’Athenes, 2000. 243 AJDC, NY AR 194554/1/1/1/2117 – JDC Primer, 1945: J. D. C. Primer Part II Geography of the J. D. C. (August 24, 1947). 244 Greek Office of Informa­tion, Greece – Basic Statistics, 1949, S. 22. 245 PA AA, B 81/353 –Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (8. 2. 1960). 246 PA AA, B 26/133 – Sitzung des Bundestagsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten am 26. Januar 1961, 17 Uhr (25. 1. 1961).

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Krankheiten. Manchem gelang es, auszuwandern. Chaidari und weitere Zwangsarbeitslager, etwa in Thiva (Theben) und Lianokladi, von der offiziellen Geschichtsschreibung bisher nur sporadisch erwähnt, wurden Orte massenhaften Sterbens.247 Von den 70.000 bis 80.000 Juden im Griechenland der Vorkriegszeit überlebten etwa 10.000 den Holocaust. Nur 2000 der etwa 12.500 Griechen, die deutsche Konzentra­ tionslager lebend verließen und in ihre Heimat zurückkehrten, gehörten der jüdischen Bevölkerungsgruppe des Landes an.248 Ungefähr 1500 Dörfer wurden niedergebrannt oder teilzerstört. Mehr als eine ­Million Menschen verloren das Dach über dem Kopf. Verkehrsadern, Straßen, Brücken und Bahnlinien konnten praktisch nicht mehr benutzt werden. 249 Auch nach Kriegsende musste sich das Land mit der Hyperinfla­tion auseinandersetzen, die während der Besatzung aufgekommen war. Viele Güter des täg­lichen Gebrauchs, deren Preis während des Kriegs in schwindelerregende Höhen gestiegen war, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin unerschwing­lich. Der griechischen Notenbank fehlten Reserven eines hohen Millionenbetrags an Reichsmark, den Deutschland in Form von Besatzungsanleihen oder als Beitrag zum Unterhalt der Besatzungskräfte einbehalten hatte.250 Der Wirtschaft mangelte es außer an erforder­lichen Geldmitteln auch an Arbeitskräftepotential. Daher zählte man in Europa Griechenland neben Polen, Italien und selbst Deutschland mit Recht zu denjenigen Ländern, die am stärksten unter dem Krieg gelitten hatten.251 Eine Normalisierung der griechischen Nachkriegswirtschaft und die Bereinigung der Beziehungen zu Deutschland ­zwischen 1946 und 1949 waren durch den Bürgerkrieg praktisch unmög­lich. Vielfach überlagerte dieser interne Konflikt die Erinnerungen an die Besatzungszeit.252

247 NA, RG 226/G190/Box 73/File 27 – Statement on the Jews in Greece and their Present Situa­ tion (14. 6. 1944). Zu den Opfern des Holocaust vgl. z. B. Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 240; Fleming, Greece – A Jewish History, 2008, S. 164. 248 PA AA, B81/353 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (2. 2. 1960). 249 Vgl. z. B. TNA, FO 371/53157 – Conference de Paris sur les repara­tions: Exposé de M. S­ barounis (17. 12. 1945); Greek Office of Informa­tion, Greece – Basic Statistics, 1949, S. 23; Dordanas, Αντίποινα των Γερμανικών Αρχών Κατοχής (Vergeltungsak­tionen der deutschen Besatzungsmacht), 2007, S. 749. 250 Greek Office of Informa­tion, Greece – Basic Statistics, 1949, S. 23 – 28. Zur Besatzungsanleihe siehe auch Angelopoulos, To οικονομικό πρόβλημα της Ελλάδος (Das wirtschaft­liche Problem Griechenlands), 1945. 251 Jessica Reinisch: Introduc­tion: Relief in the Aftermath of War, Journal of Contemporary History 43 ( Juli 2008), S. 372. 252 Zum griechischen Bürgerkrieg siehe z. B. Giorgos Margaritis: Ιστορία του Ελληνικού Εμφυλίου Πολέμου (Geschichte des griechischen Bürgerkriegs), Athen: Vivliorama, 2000;

Kriegsfolgen | 81

Die griechische Regierung, aus dem ägyptischen Exil zurück in Athen, orientierte sich u. a. infolge des Abkommens von Jalta an den „Schutzmächten“ Großbritannien und USA . Spätere Regierungen folgten den Spuren ihrer politischen Vorgänger und übten sich in fanatischem Antikommunismus. Damit setzten sie in den 1950er Jahren in gewisser Weise die Politik der deutschfreund­lichen Besatzungsregierungen fort. Politische Säuberungen trafen zahlreiche Akteure des linken Widerstands. Der antikommunistische Patriotismus der Nachbürgerkriegsregierungen suchte die Verantwortung für die Zerstörung Griechenlands, w ­ elche die deutsche Besatzung verursacht hatte, ihren inneren Feinden, den Kommunisten anzuhängen. So war die rechtslastige Regierung im Griechenland der Nachkriegszeit die erste in Europa, die schon 1951 eine bilaterale Wiederherstellung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland umsetzte.253

David H. Close (Hg.): The Greek Civil War: Studies of Polariza­tion, London: Routledge, 1993; David H. Close: The Origins of the Greek Civil War, London: Longman, 1995. 2 53 Siehe Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 77 – 81.

2. Der Wiederaufbau Griechenlands nach dem Krieg 2.1 Von der Besatzung zum Bürgerkrieg Die Wiederherstellung der Beziehungen ­zwischen Athen und Bonn Anfang der 1950er Jahre bahnte sich auf dem Hintergrund des verschärften Ost-­West-­Konflikts an. Voran­ gegangen waren in Griechenland erbitterte Kämpfe z­ wischen linksgerichteten Partisanen und der royalistisch orientierten regulären Armee; sie hatten die Gesellschaft in zwei einander kompromisslos gegenüberstehende, unversöhn­liche Lager gespalten. Dimension und Dynamik der Gewalt in ­diesem innenpolitischen Konflikt überschatteten weitgehend die Erinnerungen aus der NS -Besatzung. Die bewaffnete Auseinandersetzung z­ wischen prokommunistischem und antikommunistischem Lager in Griechenland stellte den sowohl innen- als auch außenpolitisch ausschlaggebenden Faktor der folgenden Jahrzehnte dar. Obschon man anfäng­lich der Auffassung war, mit Hilfe der Großmächte könne die Situa­tion in Griechenland konsolidiert werden, ohne dass es abermals zu gewaltsamen Zusammenstößen kommen müsse, brachen nach dem bis heute als „Befreiung“ bezeichneten Abzug der deutschen Truppen erneut bürgerkriegsähn­liche Unruhen aus. Nachdem sich die letzten deutschen Soldaten am 12. Oktober 1944 aus Athen zurückgezogen hatten, war die ganze Stadt auf den Beinen. In einer Meldung an die Wehrmachtsverwaltung für Südosteuropa wird berichtet: „Fast jedermann trug kleine eng­lische oder amerikanische Papierfähnchen in den Händen, um seine Sympathie für die erwarteten neuen Machthaber auszudrücken. Schulmädchen in weißen Kleidern und mit Blumensträußen standen in den Hauptstraßen und wollten die Angloamerikaner begrüßen.“ 1 Die Partisanen, unterstützt von der Bevölkerung, kontrollierten praktisch die ganze Stadt; ihnen schlossen sich Männer der Evzonen-­Garde an. Nachmittags fand am zentralen Athener Omonia-­Platz eine Parade der ELAS-Einheiten statt, bei der die Partisanen britische Uniformen trugen. Die Versammlung endete so fried­lich und geordnet, wie sie begonnen hatte, ohne dass es zu Ausschreitungen oder Plünderungen kam.2 Noch bevor die deutschen Streitkräfte vollends abgezogen waren, entbrannten jedoch in den Straßen der Hauptstadt bewaffnete Auseinandersetzungen ­zwischen der EAM und den Antikommunisten; ihnen lasteten die linken Kontrahenten an, mit den Deutschen kollaboriert zu haben und mit dem König bzw. der Exilregierung zu sympathisieren. In dieser aufgeladenen Atmosphäre untersagte die Exilregierung noch

1 NA, T 311/196 – Beobachtungen in Athen am 12.10.44 (4. 11. 1944). 2 Ebd. Vgl. auch John O. Iatrides: Revolt in Athens: the Greek Communist „Second Round“, 1944 – 1945, Princeton, N. J.: Princeton University Press, 1972, S. 186 f.

84  |  Der Wiederaufbau Griechenlands nach dem Krieg

vor ihrer Rückkehr nach Griechenland Übergriffe auf Wehrmachtssoldaten, verbunden mit der Warnung, eine Verletzung dieser Anordnung würde strengstens bestraft. Auch wurde ein Sonderbeauftragter ernannt, der mit der deutschen Besatzungsverwaltung verhandeln und die Aufrechterhaltung der öffent­lichen Ordnung überwachen sollte. Angeb­lich waren die griechischen Exilpolitiker bereits zu ­diesem Zeitpunkt übereingekommen, unabhängig vom Kriegsausgang die wirtschaft­liche, kulturelle und politische Zusammenarbeit mit Nachkriegsdeutschland fortzusetzen.3 Begleitet von 13.000 britischen Soldaten, kehrte die Exilregierung am 18. Oktober 1944 nach Athen zurück.4 Doch trotz britischer Unterstützung gelang es ihr nicht, in Griechenland wieder Ordnung zu schaffen. So steuerte das Land unvermeid­lich auf eine politische Krise zu. Zumindest anfäng­lich stellte der liberale Premierminister Georgios Papandreou auch für die linksgerichtete Partisanenbewegung eine politisch akzeptable Wahl dar. Schon im April 1944 hatte er im Exil d­ ieses Amt übernommen; auf seine Initiative hin war es im Mai desselben Jahres in Beirut zum Libanon-­Abkommen über die Grundlagen der Nachkriegsordnung in Griechenland gekommen. Das Abkommen führte zur Bildung einer als „Regierung der Na­tionalen Einheit“ bezeichneten Koali­ tionsregierung mit Vertretern eines breiten politischen Spektrums, darunter auch der EAM. Als Georgios Papandreou jedoch die endgültige Entwaffnung der Partisaneneinheiten bis 10. Dezember anordnete, traten die EAM-Minister am 2. Dezember 1944 von ihren Posten zurück.5 Papandreous Verordnung löste einen erneuten Ausbruch bürgerkriegsähn­licher Zusammenstöße aus. Die Kämpfe im Anschluss an eine gewaltsam aufgelöste Demonstra­ tion weiteten sich am 4. Dezember 1944 in die Vorstädte Athens aus und gingen als die „Dezemberereignisse“ (Δεκεμβριανά) in die griechische Geschichte ein. Doch diesmal prallten nicht unterschied­liche Widerstandsgruppen aufeinander, wie in der letzten Phase der deutschen Besatzung, sondern linksorientierte Partisanen trafen auf eine reguläre Armee. Gegner der ELAS -Offensiven waren neben den griechischen promonar­chistischen Militär- und Ordnungskräften sowie den paramilitärischen Verbänden auch die von der legitimen Athener Regierung unterstützte britische Armee.6 Im Januar 1945 hatte die EAM nach wie vor die Bevölkerung in weiten Teilen des griechischen Festlands und fast 90 Prozent der Hauptstadtbewohner hinter sich. Papandreou, ledig­lich auf Druck der Briten im Amt, reichte schließ­lich seinen 3 NA, T 311/196 – Politische Lage Athen (9. 10. 1944). 4 Flora Tsilaga: UNRRA’s Relief Efforts in Post-­war Greece: Political Impartiality versus Military Exigencies, in: Richard Clogg (Hg.): Bearing Gifts to Greeks: Humanitarian aid to Greece in the 1940s, New York: Palgrave Macmillan, 2008, S. 195. 5 Vgl. z. B. Richard Clogg: Parties and Elec­tions in Greece: The Search for Legitimacy, Durham: Duke University Press, 1988, S. 13 f. 6 Mehr zu den Dezemberereignissen siehe Iatrides: Revolt in Athens, 1972.

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Rücktritt ein.7 Umgehend ernannte man an seiner Stelle den liberalen General Nikolaos ­Plastiras zum Premierminister; er hatte sich vor allem im Griechisch-­Türkischen Krieg (1919 – 1922) und als nomineller Vorsitzender von EDES hervorgetan.8 Die Ernennung von Plastiras stand den Plänen der KKE für eine künftige Machtübernahme diametral entgegen. Erst ab dem 12. Februar 1945, nachdem das Varkiza-­Abkommen ­zwischen EAM und der Plastiras-­Regierung unterzeichnet sowie – am Tag zuvor – der Waffenstillstand ­zwischen der britischen Militärverwaltung und EAM/ELAS ausgehandelt worden war, beruhigte sich die Lage. Im Abkommen von Varkiza wurden u. a. ein Plebiszit über die künftige Staatsform sowie freie Wahlen in Aussicht gestellt. Auch erzielte man Übereinstimmung darüber, alle politischen Häftlinge zu amnestieren und Kollaborateuren den Prozess zu machen. Unter diesen Bedingungen lieferte ELAS die Waffen ab, ließ alle Geiseln frei und demobilisierte die Partisanenverbände.9 Längst war jedoch über Griechenlands Schicksal in einer Geheimabsprache z­ wischen London und Moskau entschieden worden, ohne dass der Widerstand und die Exilregierung daran beteiligt gewesen wären. Die Stärkung des sowjetischen Einflusses im Balkan war das Thema der Moskauer Konferenz, bei der sich im Oktober 1944 Churchill und Stalin getroffen hatten. Dort kamen die beiden Staatschefs auch überein, die Einflusssphäre Balkan so aufzuteilen, dass Großbritannien die Kontrolle über Griechenland behalten sollte, wenn es auf Ansprüche in Rumänien und Bulgarien verzichtete.10 Die Athener Regierung startete während der Dezemberereignisse 1944 mit britischer Unterstützung und mittels Einschüchterungsmaßnahmen eine gezielte Kampagne gegen die weiterhin einflussreiche Linke. Dagegen waren die Partisanen im Großen und Ganzen auf sich gestellt und ihrem Schicksal überlassen, zumal Stalin sich auf münd­liche Beistandserklärungen beschränkte. Einzig der jugoslawische Marschall Tito war in der Lage, Militärhilfe in begrenztem Umfang anzubieten. Doch konnten sich die Partisanen hinsicht­lich der Waffenqualität und -quantität unmög­lich mit der Athener Regierung messen.11 7 TNA, FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied force Headquarters Reports on Relief and Rehabilita­tion in Greece (30. 1. 1945). 8 Siehe z. B. Richter, Griechenland ­zwischen Revolu­tion und Konterrevolu­tion, 1973, S.  540 – 556. 9 Mehr zu Varkiza siehe z. B. Heinz Richter: British Interven­tion in Greece: From Varkiza to Civil War, February 1945 to August 1946, London: Merlin, 1985. 10 Andreas Gerolymatos: Red Acropolis, Black Terror: The Greek Civil War and the Origins of Soviet-­American Rivalry 1943 – 1949, New York: Basic Books, 2004, S. 126. 11 Jiří Vykoukal; Bohuslav Litera; Miroslav Tejchman: Východ. Vznik, vývoj a ­rozpad ­sovětského bloku 1944 – 1989 (Der Osten. Entstehung, Entwicklung und Zerfall des Sowjet­ blocks 1944 – 1989), Prag: Libri, 2000, S. 57. Ausführ­lich auch in: Nikos M ­ arantzidis: Δημοκρατικός Στρατός Ελλάδας: 1946 – 1949 (Demokratische Armee Griechenlands: 1946 – 1949), Athen: Alexandria, 2010.

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Unter diesen Umständen setzten sich sämt­liche griechischen Regierungen nach dem Rücktritt von Plastiras im April 1945 über die Absprachen von Varkiza hinweg, vor allem dadurch, dass im selben Jahr sogar Kollaborateure in die Streitkräfte aufgenommen wurden; dies löste eine neue Protestwelle seitens der Linken aus. ­Anarchische Verhältnisse nahmen überhand, und bald eskalierte der Terror in weiten Teilen des Landes. Zum Jahresende 1945 saßen fast 50.000 Anhänger der Linken in Haft, gegen weitere 80.000 waren Vorermittlungen angeordnet worden.12 Am 30. März 1946, dem Tag der ersten Parlamentswahlen seit 1936, griff ein bewaffnetes Partisanenkommando die Gendarmerie im Dorf Litochoro am Fuß des Olymps an. Bei ­diesem Gefecht verloren acht Gendarmen ihr Leben. Die linken Kräfte, besonders die KKE , deren Generalsekretär Nikos Zachariadis im Mai 1945 aus dem Konzentra­tionslager Dachau zurückgekehrt war, verweigerten auf seine Direktive hin eine Teilnahme an den Parlamentswahlen. Durch den Angriff auf die Gendarmerie Litochoro, der propa­ gandistisch als typisch für kommunistischen Terror ausgeschlachtet wurde, aber auch durch den Wahlboykott und den die Varkiza-­Abmachungen missachtenden Waffenbesitz der Partisanen flammte der Bürgerkriegskonflikt abermals auf.13 Diese Konstella­tion vor dem Hintergrund eines durch die Besatzer verwüsteten Landes trug zum deut­lichen Wahlsieg des promonarchistischen Lagers bei. Die konservativen Parteien gewannen zwei Drittel der Parlamentsmandate und sicherten sich so die absolute Mehrheit. Doch nutzten die Konservativen ihre parlamentarische Vormacht nicht, um eine neue Verfassung zu schaffen. Beim Plebiszit über die Staatsform vom 1. September 1946 entschieden sich 68 Prozent der Stimmberechtigten – in einem Klima verstärkten Terrors und der Panikmache im Hinblick auf die „innere“ und jugoslawisch-­sowjetische Gefahr – für die Erhaltung der Monarchie. König Georg II. kehrte Ende September ins Land zurück und nahm nach zwei Jahren Regentschaft des Erzbischofs Damaskinos erneut seine Posi­tion als Staatsoberhaupt ein. Der Sieg für die Monarchie kann nicht nur durch die Unterstützung tradi­tionell royalistischer Wählerkreise angesichts der erwarteten Rückkehr des Königs erklärt werden. Auch ein maßgeb­licher Teil der Liberalen trug dazu bei, aus Angst vor Instabilität und einem kommunistischen Regime im Land.14 Nach den Wahlen reaktivierten sich die bewaffneten Gruppierungen der Linken in den Berggebieten und stellten gemäß den Vorgaben der KKE-Führung neue Partisanentrupps für Angriffe auf das royalistische Regime von Georg II . auf. Im Oktober 1946 wurde die Gründung der Demokratischen Armee Griechenlands (Δημοκρατικός Στρατός

12 David H. Close: Greece since 1945, London: Longman, 2002, S. 20. 13 Hradečný (Hg.), Dějiny Řecka (Geschichte Griechenlands), 1998, S. 460 – 4 64. 14 Richard Clogg: A Concise History of Greece, Cambridge: Cambridge University Press, 2002, S. 135.

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της Ελλάδος, DSE ) verkündet. Sie bestand zum Teil aus altgedienten ELAS -Kämpfern, aber auch aus frisch rekrutierten Partisanen. Größtenteils waren die DSE -Truppen mit Waffen ausgerüstet, die von der KKE gehortet oder aus Beständen des regulären Griechischen Heeres (Ελληνικός Στρατός, ES ) entwendet worden waren. Der DSE gelang es Ende 1947, ca. die Hälfte des griechischen Festlands unter ihre Kontrolle zu bringen und in d­ iesem Gebiet die Provisorische Demokratische Regierung (Προσωρινή Δημοκρατική Κυβέρνηση, PDK ) auszurufen. Großbritannien, selbst durch den Krieg stark geschwächt, war angesichts des Bürgerkriegs nicht mehr imstande, die Situa­tion zu stabilisieren. Dies veranlasste die Vereinigten Staaten von Amerika, aktiv in den Konflikt einzugreifen. Am 12. März 1947 wurde die Truman-­Doktrin als Leitlinie der US -Außenpolitik für die kommenden Jahrzehnte verkündet. Ihr dezidiertes Ziel war die „Eindämmung des Kommunismus“ durch Wirtschaftshilfe und militärische Interven­tionen. Das erste Land, in dem die Truman-­Doktrin praktische Anwendung fand, war Griechenland.15 Die USA gingen bei der Unterstützung der konservativen griechischen Regierung und der Krone planmäßig gegen die DSE-Partisanen vor; gleich nach der Ausrufung der Provisorischen Demokratischen Regierung brachte der Athener Premier Tsaldaris Gesetzesvorhaben auf den Weg, mittels derer man den regulären Streitkräften in der Auseinandersetzung mit der Demokratischen Armee Griechenlands auf politischer Ebene Vorschub leisten wollte. Erneut verbot man etwa die KKE und verhängte das Kriegsrecht, das bis 1950 beibehalten wurde. Schrittweise wurden die Partisanen in das nordgriechische Bergland bis hin zur jugoslawischen und albanischen Grenze zurückgedrängt. Belgrad stellte nach dem Bruch z­ wischen Tito und Stalin die Bereitstellung von Militärhilfe für die DSE so gut wie ein und machte im Sommer 1949 seine Grenzen dicht für kommunistische Partisanen, die bislang das jugoslawische Territorium für den Versorgungsnachschub und als Rückzugsgebiet genutzt hatten. Die Kämpfe ­zwischen Partisanen und regulären Streitkräften hörten erst mit der vollständigen Niederlage der DSE Ende August 1949 auf.16

15 Howard Jones: A New Kind of War: America’s Global Strategy and the Truman Doctrine in Greece, New York: Oxford University Press US, 1989, S. 43 – 4 6. Vgl. Konstantina E. Botsiou: New Policies, Old Politics: American Concepts of Reform in Marshall Plan Greece, Journal of Modern Greek Studies 27, 2009, S. 209 f. Ähn­lich z. B. Jan Koura: Řecko mezi Východem a Západem: Spojené státy americké a řecká otázka v letech 1945 – 1947 (Griechenland ­zwischen Ost und West: USA und die griechische Frage in den Jahren 1945 – 1947), Slovanský přehled, 100, 2014, Nr. 1, S. 89 – 93. 16 Pavel Hradečný: Zdrženlivý internacionalismus. Občanská válka v Řecku a československá materiální pomoc Demokratické armádě Řecka (Verhaltener Interna­tionalismus: Der griechische Bürgerkrieg und die tschechoslowakische Materialhilfe an die Demokratische Armee Griechenlands), Soudobé dějiny 10, 1/2 (2003), S. 72.

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Der Bürgerkrieg hatte sich verheerend ausgewirkt: Die Verluste an Menschenleben lagen bei fast 150.000, Zehntausende Partisanen waren verwundet worden und Tausende ums Leben gekommen, während weitere Zehntausende als Kommunisten und mutmaß­liche Sympathisanten in Lagern auf kahlen, abgelegenen Inseln interniert wurden.17 Ungefähr 100.000 griechische Bürger verließen das Land im Rahmen einer von der KKE organisierten Abschiebung, aber auch aus Angst, dass sie von der Athener Regierung wegen ihrer – oft nur vermuteten – Zusammenarbeit mit den Kommunisten verfolgt und unter Dauerverdacht gestellt würden.18 Obgleich der Zweite Weltkrieg für Griechenland ein halbes Jahr vor der eigent­lichen Kapitula­tion des „Dritten Reichs“ zu Ende gegangen war, kehrte Waffenruhe im Land erst fünf Jahre ­später wieder ein. Der lang anhaltende Bürgerkriegskonflikt verschob auf unbestimmte Zeit die griechische Aufarbeitung von Besatzungszeit und deren Folgen für die Opfer, aber auch die Ausein­andersetzung mit der Kollabora­tion.

2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen im Griechenland der Nachkriegszeit Der Bürgerkrieg legte die griechische Gesellschaft, Wirtschaft und Justiz größtenteils lahm. Nach dem Abzug der letzten deutschen Truppen aus Griechenland begann die aus Kairo zurückgekehrte Athener Regierung mit der Ausübung ihrer Amtsgeschäfte; sie erließ Verordnungen, stellte die öffent­liche Verwaltung wieder her und sorgte für die Wiedereinsatzbereitschaft der Streitkräfte. Ihren Bemühungen stand die Tatsache im Wege, dass ein Großteil des griechischen Hoheitsgebiets von den Partisanen kontrolliert wurde. Zwar war die Exilregierung unter Georgios Papandreou im Oktober 1944 in die Hauptstadt zurückgekehrt, doch der König hielt sich nach wie vor im Ausland auf, und die Zukunft der Monarchie blieb weiter ungeklärt. Der Linken nahestehende Politakteure forderten grundlegende Reformen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, ein Plebiszit über die Staatsform und die Abhaltung von Parlamentswahlen, während es der KKE darüber hinaus um die Einrichtung einer Volksdemokratie ging. Von Wahlen versprachen sie sich eine Legalisierung ihrer faktischen Majorität. Ihre Gegner, ein weit gefächertes Spektrum aus Monarchisten und Liberalen mit Rückhalt

17 Polymeris Voglis: Becoming a Subject: Political Prisoners During the Greek Civil War, New York: Berghahn Books, 2002, S. 61 – 63. 18 Pavel Hradečný: Řecká komunita v Československu – Její vznik a počáteční vývoj (1948 – 1954) (Die griechische Gemeinde in der Tschechoslowakei (1948 – 1954)), Prag: Studijní materiály Ústavu pro soudobé dějiny AV ČR, 2000, S. 22 f.

Rechtliche Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit  |  89

in Westeuropa, hofften andererseits, den Aufstieg linker Kräfte in Machtposi­tionen abbremsen zu können.19 Grundlage des neuen Staats waren im Wesent­lichen die außerhalb Griechenlands und noch vor Besatzungsende unterzeichneten Übereinkommen z­ wischen dem linksgerichteten Widerstand, der Exilregierung und der britischen Militärverwaltung. Das Libanon-­Abkommen (Mai 1944) hatte freie Wahlen vorgesehen, die Einrichtung einer na­tionalen Streitmacht und die Bestrafung sämt­licher Kollaborateure. Doch von der KKE-Spitze in Griechenland war die Zustimmung zu diesen Vereinbarungen verweigert worden. Im September 1944 hatten ELAS -Delegierte und Vertreter der gegne­ rischen Partisanenorganisa­tion EDES in der italienischen Stadt Caserta zusammen mit britischen Militärs ein Abkommen unterzeichnet, das ein gemeinsames militärisches Vorgehen im Anschluss an die Landung der Alliierten, d. h. britischer Streitkräfte, in Griechenland betraf. Diese beiden Abkommen, ergänzt durch die bereits erwähnte in Varkiza getroffene Vereinbarung als drittes Element, bildeten das Fundament für die institu­tionellen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit in Griechenland.20 Allerdings war der Handlungsspielraum der Regierung aufgrund der landesweiten Verwüstung nach vierjähriger Besatzung stark eingeschränkt. Eine wichtige Voraussetzung für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung lag darin, das Rechtswesen erneut in Gang zu bringen. Am 9. November 1944 entschied die Regierung, sämt­liche Urteile von „Volksgerichten“ zu annullieren und die betreffenden Fälle einer erneuten Untersuchung zu unterziehen. Mitte November 1944 übernahm die Regierung die Kontrolle über die zivile und Strafgerichtsbarkeit in Athen und im Piräus; in den rest­lichen Gebieten des Landes oblag sie jedoch nach wie vor der EAM . Im Zusammenhang mit Gefechten ­zwischen EAM /ELAS und der regierungsnahen paramilitärischen Organisa­tion „Chi“ entkamen Anfang November 1944 etwa 720 Häftlinge aus dem Athener Averoff-­Gefängnis, von denen nur 85 s­ päter wieder festgenommen wurden.21 Nach Auseinandersetzungen ­zwischen Briten und linkem Widerstand ab Dezember 1944 brach die nicht von der EAM kontrollierte Rechtsprechung vollends zusammen; auch leistete die Widerstandsbewegung der Regierungsverordnung zur Entwaffnung ihrer Verbände nicht umfassend Folge. Viele Polizeista­tionen des Landes gerieten nun unter die Kontrolle der Partisanen. In manchen Gegenden wurde daraufhin Kriegsrecht verhängt. Die Partisanen stürmten das Averoff-­Gefängnis, um das sie einen Monat zuvor mit der Organisa­tion „Chi“ gekämpft hatten, befreiten Dutzende von Genossen 19 Hradečný, Dějiny Řecka (Geschichte Griechenlands), 2000, S. 451 – 453. 20 Nicos C. Alivizatos: The Executive in the Post-­Libera­tion Period, 1944 – 1949, in: John O. Iatrides; Linda Wrigley (Hg.): Greece at the Crossroads. The Civil War and its Legacy, Pennsylvania: Pennsylvania State University Press, 1995, S. 157 f. 21 TNA, FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied force Headquarters Report No. 3 (11. – 17. 11. 1944).

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und griffen sich politische Gegner als Geiseln. In Thessaloniki führte der ELAS eine gewaltsame Säuberung lokaler Polizeibehörden durch. Erst im Januar 1945 beruhigte sich die Lage in Athen und im Piräus, sodass das Justizministerium einen Versuch unternahm, die Gerichtsbarkeit wieder in Gang zu bringen. Auch erließ die Regierung Plastiras Verordnungen über den Wiederaufbau von Armee, Polizei und Gendarmerie, die Bestrafung von Besatzungskollaborateuren, den wirtschaft­lichen Wiederaufbau des Landes und die Abhaltung von Wahlen und Plebiszit.22 Das Abkommen von Varkiza, unterzeichnet am 12. Februar 1945 von Vertretern der EAM und der Regierung Plastiras, beendete offiziell die Auseinandersetzung um die Kontrolle Athens. Im Text des Abkommens wurde ausdrück­lich angeführt, Kollabo­ra­ teure einer gerechten Bestrafung zuzuführen sowie die öffent­liche Sicherheit und politische Grundrechte zu garantieren.23 Die Regierung sagte verbind­lich eine Amnestie für politische Delikte aus der Phase der Dezemberereignisse zu. Tatsäch­lich unternahm die neue Regierung unter Admiral Petros Voulgaris im Bemühen um eine Koopera­tion mit der Linken den Versuch, bei der Freilassung politischer Gefangener laut Art. 3 der Varkiza-­Vereinbarungen zu einer Lösung zu gelangen. Voulgaris ging jedoch nicht soweit, eine Generalamnestie zu gewähren. Die entsprechenden gesetz­lichen Regelungen sahen ledig­lich die Freilassung eines Teils der an den Zusammenstößen im Dezember 1944 sowie am Widerstand gegen die Besatzung beteiligten Personen vor.24

2.3 Strafverfolgung von Kollaborateuren Tatsache ist, dass unmittelbar nach Abzug der Wehrmachtsverbände der Verfassungsakt 1/1944 zur Bestrafung derjenigen Personen erlassen wurde, die mit den Besatzern kollaboriert hatten. Frei­lich waren der Ausführung dieser Verordnung durch den Bürger­krieg enge Grenzen gesetzt. Die eigens geschaffenen Sondergerichte 25 etwa konnten aufgrund des Bürgerkriegskonflikts nie tätig werden. In den von der EAM kontrollierten Gebieten wurden die Kollaborateure schon ab Oktober 1944 verhaftet und mehrheit­lich

2 2 TNA, FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied Force Headquarters Reports. 23 Verfassungsakt 23/1945 (12. 2. 1945) – „Συμφωνία της Βάρκιζας“ (Abkommen von Varkiza), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 68/1945. 24 TNA, FO 371/48377, R 13938/4/19 – Proposed Amnesty for Collaborators (18. 8. 1945). Mehr dazu siehe Heinz A. Richter: The Varkiza Agreement and the Origins of the Civil War, in: John O. Iatrides (Hg.): Greece in the 1940s. A Na­tion in Crisis, Hanover: University Press of New England, 1981, S. 172. 25 Verfassungsakt 1/1944 (3. 11. 1944) – Περί επιβολής ποινικών κυρώσεων κατά των συνεργασθέντων μετά του εχθρού (Zur Verhängung strafrecht­licher Sank­tionen gegen Kollaborateure mit dem Feind), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 120/1944.

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von ad hoc zusammengestellten sogenannten Volksgerichten abgeurteilt. Als Reak­tion darauf änderte die griechische Regierung im Januar 1945 die anfäng­liche Version des Verfassungsakts vom November 1944 ab. Dabei wurde das Attribut „Volks“-Gerichte gestrichen, was diese nicht daran hinderte, weiterhin zu tagen und Urteile zu fällen.26 Im ersten Artikel des Verfassungsakts 6/1945 „zur Verhängung strafrecht­licher Sank­ tionen gegen Kollaborateure mit dem Feind“ waren bestimmte Kollaborateurgruppen im Einzelnen aufgeführt. Für eine Zusammenarbeit mit dem Feind sollten etwa sämt­ liche Mitglieder der Kollabora­tionsregierungen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Ebenfalls galt als Kollaborateur, wer aus freien Stücken mit den Besatzungs­ behörden kooperiert hatte. Eine weitere Kategorie bildeten die griechischen Angestellten der deutschen Besatzungsverwaltung, die sich an der Verfolgung in- oder ausländischer NS-Gegner beteiligt hatten; außerdem alle Personen, die die Integrität des Landes zu verletzen versuchten und eigennützige wirtschaft­liche Interessen verfolgten. Der Verfassungsakt legte auch das Strafmaß für Besatzungskollaborateure fest: Es bewegte sich ­zwischen sechs Monaten Haft, insofern mildernde Umstände vorlagen, bis hin zu einer lebensläng­lichen, ja sogar Todesstrafe.27 Wie im Varkiza-­Abkommen vom 12. Februar 1945 vorgesehen, wurde auf der Grundlage des Verfassungsakts 6/1945 ein Verfahren gegen 33 Mitglieder der Besatzungs­ regierungen eröffnet. Beim Prozess waren zehn der Angeklagten präsent, darunter die ehemaligen Premiers Georgios Tsolakoglou und Ioannis Rallis. Die übrigen saßen teils in Ägypten fest, wohin sie während der Dezemberereignisse geflüchtet waren, teils hatten sie Griechenland mit den deutschen Truppen verlassen (etwa Expremier Konstantinos Logothetopoulos). In solchen Fällen fand der Prozess in Abwesenheit der Angeklagten statt. Der berüchtigte General Bakos, Heeresminister in der Besatzungsregierung Tsolakoglou, war zuvor von ELAS-Verbänden verhaftet und zusammen mit anderen Kollaborateuren exekutiert worden.28 Der sich über Monate hinziehende Prozess endete mit einem Todesurteil für General Tsolakoglou und den Wirtschaftsminister zu Besatzungszeiten, Sotirios Gotzamanis (in 26 Verfassungsakt 6/1945 (20. 1. 1945) – Περί επιβολής ποινικών κυρώσεων κατά των συνεργασθέντων μετά του εχθρού (Zur Verhängung strafrecht­licher Sank­tionen gegen Kollaborateure mit dem Feind), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 12/1945. Zu den Sondergerichten vgl. z. B. Mark Mazower: Three Forms of Justice: Greece, 1944 – 1945, in: Mazower (Hg.), After the War was Over, 2000, S. 34. 27 Verfassungsakt 6/1945 (20. 1. 1945) – Περί επιβολής ποινικών κυρώσεων κατά των συνεργασθέντων μετά του εχθρού (Zur Verhängung strafrecht­licher Sank­tionen gegen Kollaborateure mit dem Feind), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 12/1945. Mehr bei Eleni Haidia: The Punishment of Collaborators in Northern Greece, 1945 – 1946, in: Mazower (Hg.), After the War was Over, 2000, S. 42 – 4 4. 28 Was den vermissten Gotzamanis anging, überwog die Ansicht, er sei mit den deutschen Streitkräften nach Deutschland gegangen. Siehe Zeitung Eleftheria, 21. Februar 1945.

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Abwesenheit).29 Die Strafe für Tsolakoglou wurde jedoch bald in eine lebensläng­liche Haftstrafe umgewandelt. Der General starb 1948 im Gefängnis an Leukämie. ­Gotzamanis wurde schließ­lich festgenommen, einige Jahre inhaftiert und dann 1952 begnadigt. Er ging sogar wieder in die Politik und kandidierte 1954 für das Bürgermeisteramt in Thessa­loniki, wo er sich allerdings – mit immerhin 43 Prozent – nur an zweiter Stelle posi­tionieren konnte.30 Konstantinos Logothetopoulos wurde 1946 von der US-Armee verhaftet und anschließend den griechischen Behörden überstellt. Wegen Zusammenarbeit mit dem Feind verurteilte man ihn zu lebensläng­licher Haft, doch auf Grundlage eines könig­lichen Dekrets vom Januar 1951 wurden er und weitere vier Besatzungsminister begnadigt.31 Expremier Rallis wurde ebenfalls zu lebensläng­licher Haft verurteilt und starb 1946 im Gefängnis. Wie viele andere Verurteilte rechtfertigte Rallis seine Haltung während des Kriegs als ­­Zeichen von Patriotismus und insbesondere Antikommunismus.32 Rasch hatten sich die Exminister der griechischen Kollabora­tionsregierungen politisch und gesellschaft­lich wieder weitgehend etabliert und nahmen sogar öffent­lich Mitglieder der ehemaligen Besatzungsverwaltung in Schutz. Professor Nikolaos ­Louvaris, Bildungsminister in der Kollabora­tionsregierung Rallis, erklärte etwa der Zeitung Ethnikos Kiryx im Oktober 1954, den ehemaligen deutschen Diplomaten würden zu Unrecht Kriegsverbrechen zur Last gelegt. „Mehrere von ihnen“, so Louvaris, „zögerten selbst nicht, ihre Gegnerschaft gegenüber dem Na­tionalsozia­lismus zu manifestieren und ihre Abscheu vor seinen Schandtaten zum Ausdruck zu bringen. Als Beamte waren sie verpflichtet, ihre Diensttätigkeit an der ihnen zugewiesenen Behörde auszuüben. Das Schicksal wollte es, daß sie zur Zeit der Besatzung der Gesandtschaft Athen zugeteilt waren. Sie haben mit uns geschimpft, gelitten, sich mit uns Gefahren ausgesetzt und jede mög­liche Anstrengung unternommen, unser Unglück zu lindern, Griechen aus dem Gefängnis zu holen oder vor der Hinrichtung zu retten.“ 33 Eine weitere Gruppe von Kollaborateuren waren die bewaffneten Korps, die den Deutschen zuarbeiteten. Dem berüchtigten Oberst Poulos, während der Besatzung in Thessaloniki und Umgebung zugange, gelang im Verlauf des deutschen Truppenabzugs zusammen mit einigen Mitgliedern seines Verbands die Flucht aus Griechenland; in

29 Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 253 (Anm. 16). 30 Kurz vor seinem Tod kandidierte Gotzamanis erneut bei den Thessaloniker Kommunalwahlen 1958, ohne auch ­dieses Mal gewählt zu werden. Siehe Iakovos D. Michailidis: Σωτήριος Γκοτζαμάνης: Ο άνθρωπος, ο πολιτικός, ο μύθος (Sotirios Gotzamanis: Der Mensch, der Politiker, der Mythos), Thessaloniki: Vanias, 2001, S. 96 – 102. 31 PA AA, B 11/1027 – Begnadigung von Mitgliedern der Griechischen Regierung zur Besatzungszeit (8. 1. 1951). 32 Hondros, Occupa­tion and Resistance, 1983, S. 81. 33 Zitiert nach Ethnikos Kiryx: „Kriegsverbrecher“ von Herrn Prof. N. I. Louvaris (Oktober 1954). Zum vollständigen deutschen Text des Zeitungsartikels siehe PA AA, B 11/1223.

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Ljubljana schlossen sie sich freiwillig der Wehrmacht an.34 Poulos wurde nach Kriegsende von den Amerikanern verhaftet, in einem Lager der Alliierten bei Stuttgart interniert und Anfang 1947 an die griechischen Behörden ausgeliefert. Im selben Jahr wurde er in Athen zum Tode verurteilt und am 11. Mai 1949 hingerichtet.35 Zwar erhielten einige seiner Gefolgsleute entsprechende Strafen, doch die meisten brachten es fertig, diese erst gar nicht zu verbüßen.36 Sogar EDES-Kommandeur Napoleon Zervas, 1946 ins Parlament gewählt und ein Jahr ­später zum Minister für Öffent­liche Ordnung ernannt, wurde zum Rücktritt gezwungen, da man ihm Kollabora­tion mit den Besatzungskräften anlastete.37 Aus ähn­lichen Gründen trat zwei Jahre ­später auch Premierminister Plastiras zurück, als im August 1945 ans Licht kam, dass er Berlin zu Kriegsbeginn seine Dienste angeboten und sich bereit erklärt hatte, Kopf einer deutschfreund­lichen Besatzungsregierung zu sein.38 Die unter der Rallis-­Regierung aufgestellten Sicherheitsbataillone wurden von den Nachkriegsregierungen erst insgeheim, dann unverblümt bei Gefechten mit kommunistischen Partisanen eingesetzt.39 Nach dem Ende der deutschen Besatzung waren die Bataillonsmitglieder zwar mehrheit­lich inhaftiert, doch in vielen Fällen Ende November 1944 auf britische Interven­tion wieder freigelassen und anschließend in die reguläre griechische Armee aufgenommen worden.40 Bei den Dezemberereignissen 1944 kämpften in den Reihen der Na­tionalgarde gegen die linken Gegner auch ca. 12.000 Soldaten, die aus den Sicherheitsbataillonen stammten.41 Eleni Haidia erwähnt in ihrer Untersuchung zur griechischen Kollabora­tion, dass in den Jahren 1945/46 in Thessaloniki ledig­lich 27 Mitgliedern von Kollaborateurverbänden der Prozess gemacht wurde.42 Auch war in griechischen Gerichtsurteilen die Rede davon, dass die Aufstellung von Sicherheitsbataillo­ nen nicht als kriminelle Handlung ausgelegt werden könne, insofern diese eingerichtet worden s­ eien, um die öffent­liche Ordnung vor kriminellen Elementen zu ­schützen.43 34 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 357. 35 Dordanas, Αντίποινα των Γερμανικών Αρχών Κατοχής (Vergeltungsak­tionen der deutschen Besatzungsmacht), 2007, S. 773. 36 Haidia, The Punishment of Collaborators, 2000, S. 52. 37 John Thomas Malakasses: Zervas’ Outstanding from the Government in 1947 by the Americans because of his Alleged Collabora­tion with the Germans, in: Πρακτικά Φιλοσοφικής Σχολής Πανεπιστημίου Ιωαννίνων (Universitätsschriften Ioannina: Philosophische Fakultät), Ioannina: Philosophiki Scholi Panepistimiou Ioanninon, 1982, S. 369. Vgl. NA, T-311/284 – Fernschreiben Okdo. H.Gr. E.-Ic/AO Nr. 362/44 (11. 2. 1944). 38 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 374. 39 Procopis Papastratis: Purging the University after Libera­tion, in: Mazower (Hg.), After the War was Over, 2000, S. 63. 4 0 Gerolymatos, Red Acropolis, Black Terror, 2004, S. 97. 41 Voglis, Becoming a Subject, 2002, S. 56. 42 Haidia, The Punishment of Collaborators, 2000, S. 52. 43 Mazower, Three Forms of Justice, 2000, S. 34.

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Bei Prozessen gegen Kollaborateure legten die Vertreter der Exekutive eine eher lasche Haltung an den Tag, zumal es wiederholt zu Übergriffen paramilitärischer Gruppierungen gegen Beteiligte an Rechtsverfahren kam. So stürmten etwa im Januar 1946 ca. 3000 bewaffnete Mitglieder der Organisa­tion „Chi“ den Gefängniskomplex von Kalamata. Dabei befreiten sie inhaftierte Kollaborateure, verbrannten alle einschlägigen Akten, ermordeten 14 Zivilisten und nahmen ca. 150 Geiseln. In Kozani überstellten ELAS -Kämpfer der Na­tionalgarde 234 Kollaborateure, die unmittelbar darauf freigelassen wurden. In Sparta ließ man 300 Kollaborateure ohne jeg­liches Gerichtsverfahren laufen. Die Vertreter der antikommunistisch orientierten Regierung übten Druck auf zuständige Justizbeamte aus, sich nicht weiter mit der Verhaftung von Kollaborateuren zu befassen.44 So kam es, dass Ende 1945 ca. 50.000 linksorientierte Bürger inhaftiert waren, während zum selben Zeitpunkt nur 2900 verhaftete Kollabo­ rateure auf ihren Prozess warteten. Die meisten ließ man laufen, einigen übertrug man ­zwischen 1945 und 1974 sogar hohe Ämter in der Armee und den Sicherheitskräften sowie in der Politik.45 In Thessaloniki, der Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde des Landes vor dem Krieg, waren es hauptsäch­lich die überlebenden Juden, die eine Aburteilung der Kollaborateure forderten. Ende Oktober 1945 begann ein Prozess gegen 15 Journalisten, die wegen ihrer Stellungnahmen in den Zeitungen Apogevmatini und Nea Evropi der Koopera­tion mit dem Feind bezichtigt wurden. Acht sprach man frei, der Rest erhielt hohe Strafen.46 Auch den Spitzen der Dienststelle für die Verwaltung Israeli­ tischer Vermögen YDIP wurde nach dem Krieg der Prozess gemacht, der jedoch mit einem Freispruch endete. Der ehemalige Generalgouverneur für Makedonien, ­Vasileios Simonidis, und Alexandros Krallis, Präsident der Handelskammer und Vorstandsmitglied der YDIP , wurden Ende 1945 wegen Kollabora­tion mit den Besatzern angeklagt, ihre strafrecht­liche Verfolgung jedoch letzt­lich eingestellt. Der Leiter der YDIP Ilias Douros, inzwischen erneut in Amt und Würden als Direktor der Hypotheken- und Kreditbank, protestierte gar öffent­lich gegen die „Verleumdung“ seiner Person als Kollaborateur.47 Zu den wenigen Verbrechern, die ihre Strafe tatsäch­lich verbüßten, gehörten die jüdischen Kollaborateure der Deutschen. Dabei handelte es sich um Mitglieder der ehemaligen Judenmiliz im Thessaloniker Ghetto Baron Hirsch. Der berüchtigte Vital Chasson war schon während der Besatzung nach Albanien und von dort nach Italien 4 4 Haidia, The Punishment of Collaborators, 2000, S. 48 – 50; Mazower, Three Forms of Justice, 2000, S. 37 f. 45 Close, Greece since 1945, 2002, S. 19 f. 4 6 Eleni Haidia: O δωσιλογισμός στη Μακεδονία (Kollabora­tion in Mazedonien), Diplomarbeit Aristoteles-­Universität Thessaloniki, 1995, S. 65 – 67. 47 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 422.

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geflüchtet, um schließ­lich ins ägyptische Alexandria überzusetzen.48 Dort wurde er von jüdischen Flüchtlingen identifiziert, von der britischen Militärpolizei verhaftet und nach Abzug der deutschen Truppen den griechischen Behörden überstellt, die ihn jedoch freiließen. Nachdem jüdische Auschwitz-­Rückkehrer ihn auf den Straßen von Thessaloniki erkannt hatten, wurde schließ­lich auch ihm im November 1945 der Prozess gemacht. Neben Chasson standen weitere jüdische Helfershelfer der Deutschen vor Gericht, etwa Jacques Albala, Leon Sion und Edgar Kounio, die im Sommer 1943 ins KZ Bergen-­Belsen deportiert und bei ihrer Rückkehr nach Griechenland an der griechisch-­jugoslawischen Grenze verhaftet worden waren. Im Juli 1946 erhielt Vital Chasson die Todesstrafe, Leon Sion schickte man lebenslang in Haft, Albala kam für 15 Jahre und Kounio für acht Jahre ins Gefängnis.49 Im Juni 1947 wurden in Athen bei weiteren Prozessen gegen Kollaborateure, die an der „Endlösung“ beteiligt waren, vier Juden verurteilt: Ino Recanati und David Venezia (in Abwesenheit) zum Tode, Pepo Recanati und David Cohen (alias Christos Michailidis) zu lebenslanger Haft. Diese Strafen wurden vollstreckt. Den beiden nichtjüdischen Angeklagten Agop Boudorian und Laskaris Papanaoum gelang die Flucht ins Ausland.50 Trotz ihrer in Abwesenheit erfolgten Verurteilung zum Tode in Griechenland wurden sie nie gefasst. Papanaoum, der das Land gegen Kriegsende neben anderen Kollaborateuren mit den Wehrmachtstruppen verlassen hatte, nahm s­ päter die deutsche Staatsbürgerschaft an.51

2.4 Rechtliche Rahmenbedingungen für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern Einen bedeutenden Fortschritt für die Aufarbeitung der Besatzungsgreuel in der unmittelbaren Nachkriegszeit stellt der Regierungsbeschluss zur Einrichtung des Griechischen Staatsbüros für Kriegsverbrechen (Ελληνικό Εθνικό Γραφείο Εγκλημάτων Πολέμου, im folgenden „Kriegsverbrecherbüro“ genannt) dar. Hierzu verabschiedete das Parlament im Juni 1945 das Notgesetz 384, das in 32 Paragrafen definierte, was als Kriegsverbrechen zu gelten habe. Darüber hinaus legte es fest, dass die Täter der Justiz zugeführt würden, wobei das nun aufzubauende, dem Justizministerium unterstellte Kriegsverbrecherbüro eine Beraterrolle übernehmen sollte. Im Zuge der Ermittlungen sollte auch 48 49 50 51

WL, 1360/11 – Hitachduth Oley Yavan to World Jewish Congress (4. 8. 1944). Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 376 – 378. Ebd., S.  378 – 382. Dordanas, Έλληνες εναντίον Ελλήνων (Griechen gegen Griechen), 2006, S. 448 – 450; ­Haidia, O δωσιλογισμός στη Μακεδονία, (Kollabora­tion in Mazedonien), 1995, S. 62.

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Ausländern der Prozess gemacht werden können; dies betraf sowohl natür­liche als auch juristische Personen, insofern sie Bestimmungen des Strafrechts oder des Kriegsvölkerrechts verletzt hatten.52 Das Gesetz wurde bis Ende 1945 zweimal abgeändert. Mit der Novellierung vom Oktober 1945 ging es in die Bestimmungen des Verfassungsakts 73/1945 ein, der die Auflistung der Kriegsverbrechen unmerk­lich modifizierte. Im Detail ging es um die Verhandlungs- und Strafform bei Kriegsverbrechen; bestimmte Artikel zur Geschäftsordnung des staat­licherseits operierenden Kriegsverbrecherbüros hatte man gestrichen, während für Kriegsverbrecher Sonderstrafmaße festgelegt wurden.53 Eine abermalige Novellierung im Dezember 1945 betraf hauptsäch­lich Verfahrensmodifika­tionen.54 Das von Generalstaatsanwalt Andreas Tousis geleitete Büro sicherte in den folgenden zwei Jahren Beweise gegen 1000 mutmaß­liche Kriegsverbrecher. In Einklang mit den gesetz­lichen Bestimmungen wurde 14 Angeklagten deutscher Staatsangehörigkeit ­zwischen Oktober 1946 und Mai 1950 der Prozess gemacht. Eine Rechtsmittelop­tion war vom Kriegsverbrechergesetz nicht vorgesehen.55 Der erneut aufflammende Bürgerkrieg ließ Rechtsverfahren zu den nun weniger dring­lich scheinenden Besatzungsthemen stagnieren, denn der griechische Gesetz­geber beschränkte sich nunmehr darauf, Notverordnungen zur Verfolgung „unpatrio­tischer Aktivitäten“ zu erlassen. So wurde etwa die KKE und ihre Organisa­tion Na­tionale Solidarität (Εθνική Αλληλεγύη) verboten nebst sämt­lichen Organisa­tionen, auf die 52 Notgesetz 384/1945 (4. 6. 1945) – Περί συστάσεως Ελληνικού Εθνικού Γραφείου Εγκλημάτων Πολέμου (Zur Einrichtung eines Griechischen Staatsbüros für Kriegsverbrechen), Grie­chisches Regierungsblatt ΦEK A’ 145/1945. Zum recht­lichen Rahmen der Nachkriegszeit siehe auch Nikos Zaikos: Η γενοκτονία των Εβραίων της Ευρώπης ενώπιον της δικαιοσύνης (Der Genozid an den Juden Europas vor der Justiz), in: Antoniou u. a. (Hg.): Το Ολοκαύτωμα στα Βαλκάνια (Der Holocaust auf dem Balkan), Athen: Epikentro, 2011, S. 636 – 638, oder Konstantinos D. Magliveras: Το ζήτημα των πολεμικών επανορθώσεων για τις λεηλασίες κατά την ναζιστική κατοχή της Ελλάδος: H περίπτωση του νομισματικού χρυσού των Εβραίων (Die Repara­tionen für die Plünderungen während der NS-Besatzung Griechenlands: Der Fall des jüdischen Währungsgolds), Athen: Κentriko Israilitiko Symvoulio, 2009, S. 33 f. 53 Verfassungsakt 73/1945 (8. 10. 1945) – Περί κολασμού και εκδικάσεως των εγκλημάτων πολέμου και τροποποιήσεως του υπ΄αριθ. 384/1945 Αναγκαστικού Νόμου (Zur Ahndung und Aburteilung von Kriegsverbrechen und der Abänderung des Notgesetzes 384/1945), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 145/1945. 54 Verfassungsakt 90/1945 (31. 12. 1945) – Περί τροποποιήσεως της υπ΄ αριθ. 73/1945 Συντακτικής Πράξεως „Περί κολασμού και εκδικάσεως των εγκλημάτων πολέμου κλπ.“ (Zur Abänderung des Verfassungsakts 73/1945 „Zur Ahndung und Aburteilung von Kriegsverbrechen usw.“), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 322/1945. 55 Hagen Fleischer: „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage – Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Frei (Hg.), Transna­tionale Vergangenheitspolitik, 2006, S.  483 – 487.

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die Partei künftig hätte Einfluss nehmen können. Sogenannte kommunistische Aktivitäten wurden kriminalisiert. Allein der Tatbestand der Absicht, einen Umsturz der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen, zog eine lebensläng­liche Haftstrafe, ja sogar die Todesstrafe nach sich. Notstandsmaßnahmen, dem Sinne nach für einen Zeitraum konzipiert, in dem das Staatswesen einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt ist, behielten ihre Gültigkeit auch nach dem Inkrafttreten der Verfassung von 1952. Die meisten der einschlägigen Notverordnungen schaffte man erst 1974 nach dem Sturz der Obristendiktatur ab.56 Anfang 1951, zu einem Zeitpunkt, da der griechische König den Expremier ­Logothetopoulos und weitere vier Minister der Besatzungsregierungen amnestierte, hofften Tausende von inhaftierten Anhängern der Linken vergeb­lich auf Maßnahmen, die sie und ihre Belange wahrnahmen. Auch deutsche Regierungsvertreter versprachen sich eine Begnadigung der wegen Kriegsverbrechen in Griechenland inhaftierten deutschen Staatsbürger. Auf fortgesetzten Druck der Bonner Regierung sowie aus Eigeninteresse daran, die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland zu normali­ sieren, änderte Athen im Juni 1951 den Verfassungsakt 73/1945 zur Ahndung und Aburteilung der Kriegsverbrechen erneut ab, ohne jedoch den Gehalt der Bestimmungen anzutasten. Erst das Notgesetz 1860/1951 bot die Mög­lichkeit, Rechtsmittel gegen Schuldsprüche wegen begangener Straftaten einzulegen – sodass der jeweilige Fall neu aufgerollt werden konnte – bzw. Beschwerde gegen die Eröffnung eines Strafverfahrens zu erheben – sodass ein Strafverfahren niedergeschlagen werden konnte. Dies galt unter der Bedingung, dass die betreffenden Straftaten als Terrorakte eingestuft oder mit unverhältnismäßig hoher Steuerlast, mit der Beschlagnahmung von Vermögen bzw. dem Entzug von Hoheitsrechten in einem besetzten Land einhergehen würden (vier von insgesamt 39 Tatbeständen des Verfassungsakts 73/1945).57 Aufgrund des Drucks von innen und außen erwog die griechische Regierung im Herbst desselben Jahres, das höchste Strafmaß für die vor dem 1. November 1951 verurteilten Personen herabzusetzen. So sollte die Todesstrafe in eine lebensläng­liche Haftstrafe umgewandelt werden, was in der Folge den Ansatzpunkt für die Gewährung einer breiter angelegten Amnestie bilden würde.58 Der gesamte Vorgang verkomplizierte

56 Nicos C. Alivizatos: „The Emergency Regime“ and Civil Liberties, in: Iatridis (Hg.), Greece in the 1940s, 1981, S. 220 – 228. 57 Notgesetz 1860/1951 (23. 6. 1951) – Περί συμπληρώσεως διατάξεων της υπ΄αριθ. 73/1945 Συντ. Πράξεως (Zur Ergänzung von Bestimmungen des Verfassungsakts 73/1945), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 185/1951. 58 PA AA, B 10/2197 – Amnestie für zum Tode verurteilte Personen (18. 12. 1951). Das Gesetz würde das Strafmaß nicht nur für mutmaß­liche Kollaborateure oder Kriegsverbrecher herabsetzen, sondern auch für Parteigänger der KKE und Mitglieder von EAM/ELAS, eine Forderung, auf der die griechische Linke bestand.

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sich jedoch wegen der heiklen innenpolitischen Situa­tion in Griechenland.59 Nach den Wahlen im September, bei denen sowohl die Liberalen als auch die Vereinigte Demokratische Linke (Ενιαία Δημοκρατική Αριστερά, EDA) Erfolge verzeichneten, änderte sich die bis dahin verwendete politische Rhetorik. Ein Teil der neuen Regierung widersetzte sich ausdrück­lich der Op­tion einer Begnadigung, sodass der entsprechende Schritt erstmals im Frühjahr 1952 als Klausel im Rahmen des minutiösen Gesetzes „zu Befriedungsmaßnahmen“ eingeleitet wurde.60 Der 5. Abschnitt d ­ ieses gerade einen Monat nach der formalen Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland 61 erlassenen Gesetzes betraf ausschließ­lich einige wenige Tatbestände von Kriegsverbrechen und stellte eine erneute Novellierung der Bestimmungen des Verfassungsakts 73/1945 bzw. des Notgesetzes 1860/1951 dar. Unter anderem eröffnete es den Rechtsmittelweg gegen sämt­liche Schuldsprüche und Strafverfahren, die unter Bezug auf Bestimmungen der erwähnten Gesetze erfolgt bzw. eingeleitet worden waren; auch ermög­lichte es die Auslieferung der Beschuldigten an deren Heimatstaat sowie die Überstellung der jeweiligen Anklageschrift unter der Voraus­setzung, dass es dort zu einer Strafverfolgung käme. Das Kriegsverbrecherbüro sollte darüber hinaus entscheiden können, ob ein außer Landes erfolgtes Gerichtsurteil von Athen gebilligt oder abgelehnt würde.62 Die genannten Bestimmungen ergänzten sich mit denen des wenige Monate zuvor erlassenen Gesetzes 2219/1952 „zur Aussetzung von Strafverfolgungen ausländischer Staatsangehöriger“.63 Auf dessen Grundlage sollte Heinz Zabel ausgeliefert werden, Obersturmführer der Waffen-­S S und letzter in Griechenland wegen Kriegsverbrechen angeklagter Deutscher. Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes 2219/1952 zufolge konnten die Justiz- und Außenminister nach Zustimmung seitens des Kabinetts die Strafverfolgung ausländischer Staatsangehöriger für den Fall einstellen, dass die Straftaten vor Bekanntmachung des Gesetzes begangen wurden und die Strafverfolgungen mög­licherweise eine Störung der interna­tionalen Beziehungen hervorrufen könnten. Zu Zabels Auslieferung kam es jedoch erst im Anschluss an die folgenden Parlamentswahlen, als Feldmarschall Alexandros Papagos die Regierungsverantwortung übernahm.

59 PA AA, B 10/2198 – Rechtsschutzsache Zabel, Griechenland (5. 4. 1952). 60 Gesetz 2058/1952 (18. 4. 1952) – Περί μέτρων ειρηνεύσεως (Zu Befriedungsmaßnahmen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 95/1952. 61 Gesetz 2023/1952 (10. 3. 1952) – Περί λήξεως της μετά της Γερμανίας εμπολέμου καταστάσεως (Zur Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 61/1952. 62 PA AA, B 10/2198 – Griechisches Gesetz über Befriedigungsmaßnahmen von 18. 4. 1952 in Zusammenhang mit der Rechtsschutzsache ZABEL (26. 4. 1952). 63 Gesetz 2219/1952 (26. 9. 1952) – Περί αναστολής διώξεων υπηκόων ξένων Κρατών (Zur Aussetzung von Strafverfolgungen ausländischer Staatsangehöriger), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 269/1952.

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Bald zeigte sich, dass selbst diese gesetz­liche Regelung zur Verfolgung von NS-Verbrechern in Griechenland nicht die letzte sein sollte. Im April 1957 wurde Max ­Merten, ehemals Kriegsverwaltungsrat der deutschen Militärverwaltung in Thessaloniki, in Athen verhaftet und ca. zwei Jahre darauf zu einer Gesamtstrafe von 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.64 Die Bundesrepublik Deutschland forderte Griechenland abermals auf, im Rahmen der Wahrung guter Beziehungen die Kriegsverbrecherfrage einer endgültigen Regelung zuzuführen.65 Wenige Tage nach Bekanntgabe des gegen Merten gefällten Urteils trat das Gesetz 3933/1959 in Kraft, mittels dessen von Rechts wegen (ipso jure) jede Strafverfolgung eines deutschen Staatsangehörigen wegen Kriegsverbrechen ausgesetzt werden konnte. Eine Durchschrift der Aktenunterlagen sollte den Bestimmungen des Gesetzes 2058/1952 zufolge an Bonn ausgehändigt werden, sobald von deutschen Dienststellen die Mitteilung über die Einleitung einer Strafverfolgung der Beschuldigten auf deutschem Boden erfolgt sei. Jedoch sollten diese Bestimmungen keine Anwendung bei Personen finden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes in Griechenland inhaftiert waren (also etwa Max Merten).66 Doch auch diese Maßnahme stellte Bonn nicht zufrieden. Weiterhin verlangte die westdeutsche Regierung eine Freilassung Mertens. Im gleichen Zeitraum kamen in Griechenland 15 bekannte Persön­lichkeiten der Linken in Untersuchungshaft, darunter auch Manolis Glezos, ehemals EDA -Parlamentarier. Seine Partei war aus den Wahlen von 1958 mit 25 Prozent als führende Opposi­tionspartei hervorgegangen. Die griechische Linke brachte nun die Forderung nach einer Sonderrevision des Gesetzes vor, in der Hoffnung, dass so die Begnadigung auch ihrer inhaftierten Anhänger ermög­licht würde.67 Das Parlament umging die Klippe letztend­lich mit der Verabschiedung des könig­lichen Dekrets „zur Novellierung der die Kriegsverbrecher betreffenden Gesetzgebung“ am 3. November 1959. Diesem Dekret zufolge lag nun die gesamte Vollmacht für die Handhabung von Kriegsverbrecherfällen direkt bei der griechischen Regierung. Das Kriegsverbrecherbüro wurde aufgelöst, seine Befugnisse gingen an die Athener Staatsanwaltschaft über.68 Zwei Tage darauf überstellte man Merten nach Deutschland. So setzte das könig­liche Dekret auf legislativer Ebene

6 4 Mehr zum Fall Merten siehe Kapitel 3. 65 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 510 f. 66 Gesetz 3933/1959 (18. 9. 1959) – Περί αναστολής διώξεων εγκληματιών πολέμου (Zur Aussetzung der Strafverfolgung von Kriegsverbrechern), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 31/1959. 67 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 331; Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 506 und S. 512 f. 68 Gesetz 4016/1959 (3. 11. 1959) – Περί τροποποιήσεων της περί εγκληματιών πολέμου νομοθεσίας (Zu Abänderungen der die Kriegsverbrecher betreffenden Gesetzgebung), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’237/1959.

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einen Schlusspunkt hinter die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher in Griechenland. Von Regierungsseite bezog man sich Jahre ­später auf die Bestimmungen eben ­dieses Dekrets, wenn sich außerhalb Griechenlands ein neuer Strafverfolgungsfall von NS -Kriegsverbrechen abzeichnete.69

2.5 Humanitäre Hilfe und Wiederaufbau nach dem Krieg Trotz der Dring­lichkeit gesetz­licher Regelungen, mittels derer zweifellos die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland beeinflusst werden sollten, bestand das Hauptziel der griechischen Nachkriegsregierungen in der Konsolidierung und Stabi­ lisierung der sozia­len und wirtschaft­lichen Situa­tion des Landes, das während der Besatzung ausgeplündert worden war. Dies änderte nichts an der ideolo­gischen Spaltung Griechenlands, wo die gesamte Bevölkerung, unabhängig von politischen Überzeugungen im Einzelnen, schwer unter den Kriegsfolgen litt und in einschneidendem Maße elementare Güter entbehrte. Bis 1956 war in Griechenland nur ein Viertel des Territoriums agrarische Nutzfläche, davon 10 Prozent Waldgebiete, und das, obwohl ungefähr 60 Prozent der griechischen Bevölkerung von Agrar- und Forstwirtschaft lebten; 85 Prozent des Exporterlöses (was 40 Prozent des BSP entsprach) stammte tradi­tionell aus der Ausfuhr von subtropischen Früchten und anderen Agrarprodukten. Der Fischfang war auf Vorkriegsniveau verblieben und die Industrieproduk­tion – Textilien, Lebensmittel, Zigaretten und Lederverarbeitung – hatte einen Anteil am BSP von gerade mal 20 Prozent. In den 1950er Jahren beliefen sich die Investi­tionen im Verteidigungssektor auf 11 Prozent des BSP ; nur in den 1960er Jahren ging dieser Anteil vorläufig zurück.70 Die Agrarproduk­tion reichte schon in den 1930er Jahren nicht mehr zur Deckung des inländischen Bedarfs, sodass Griechenland bis in die 1950er Jahre gezwungen war, doppelt so viel Getreide wie selbst eingefahren zu importieren, um der Nachfrage durch die Bevölkerung Rechnung zu tragen.71 Schon vor dem Krieg gab es in Griechenland eine hohe Analphabetenquote; vor allem in länd­lichen Gebieten mangelte

69 Vgl. z. B. den Fall Alois Brunner im folgenden Kapitel 3. 70 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Griechenland (1956). Zum Vergleich mit anderen west­lichen Ländern siehe Frances M. B. Lynch: France and the Interna­tional Economy: From Vichy to the Treaty of Rome, London: Routledge, 1997, S. 135; Michel Forsé: Recent Social Trends in France, 1960 – 1990, Frankfurt a. M., Montreal, Buffalo: Campus/McGill-­Queen’s University Press, 1993, S. 367. 71 Dilek Barlas: Germany’s Economic Policy towards the Balkan Countries in the 1930’s, Turkish Review of Balkan Studies 5, Vol. 2 (1994), S. 140.

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es an Schulen und ausgebildetem pädago­gischem Personal.72 Dasselbe galt für die ärzt­ liche Versorgung. Die griechische Politik war nicht in der Lage, aus eigenen Kräften diese beklagenswerte Situa­tion zu meistern. Den einzigen Ausweg stellten die direkte Unterstützung aus dem Ausland und Hilfeleistungen interna­tionaler Organisa­tionen dar, womit in der griechischen Politik des Nachkriegsjahrzehnts die lange Tradi­tion der Akzeptanz wirtschaft­licher und somit auch politischer Interven­tionen von „Schutzmächten“ fortgeführt wurde.

2.6 Rotes Kreuz und UNRRA Nach dem Abzug der deutschen Streitkräfte aus Griechenland gaben das Schwedische und Schweizerische Rote Kreuz, deren Vertreter sich schon seit der Besatzung im Land aufhielten, alle mög­lichen Hilfsgüter aus. An den Zuständigkeiten hatte sich nichts geändert: Die Schweden verteilten Lebensmittel und Kleidung, die Schweizer sorgten für Medikamente und medizinisches Material. Zwischen September 1942 und März 1945 wurden in Griechenland 623 Tonnen Lebensmittel ausgeteilt, für die hauptsäch­lich die Vereinigten Staaten aufgekommen waren.73 Die Hilfeleistungen an Griechenland und der Wiederaufbau nach dem Krieg waren auf großzügige Finanzierung angewiesen. Allein im März 1944 betrug der Aufwand dafür mehr als 40 Mio. US-Dollar; aus den USA kamen 20 Mio., von denen drei Viertel dem im Zusammenhang mit dem Lend-­ Lease Act („Leih- und Pachtgesetz“) geschaffenen Fonds entstammten. Der Rest kam von der ebenfalls US-amerikanischen Organisa­tion Greek War Relief Associa­tion und dem US-amerikanischen Roten Kreuz. Kanada steckte in Hilfstransporte nach Griechenland ungefähr zwölf Mio., Großbritannien mehr als sechs Mio. US-Dollar. Etwa zwei Mio. brachten die Regierungen Schwedens und der Schweiz auf. Mit den vom Roten Kreuz ausgeteilten humanitären Hilfsgütern konnten drei von acht Millionen Griechen versorgt werden, hauptsäch­lich Stadtbewohner der deutschen und italienischen

72 Noch 1956 bestand Schulpflicht nur für Kinder von sieben bis zwölf Jahren. In dem folgenden Dokument des PA AA wird erwähnt, dass 1940 die Analphabetenquote in Griechenland 28 % betrug. Schlussfolgerungen darüber, ­welche Altersgruppen betroffen waren, lassen sich jedoch nicht ziehen. Siehe PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Griechenland (1956). 73 Maria Mauzy: Inter Arma Caritas: the Swedish Red Cross in Greece in the 1940s, in: Clogg (Hg.), Bearing Gifts to Greeks, 2008, S. 110. Auch die Mitarbeiter des griechischen Roten Kreuzes leisteten in Koopera­tion mit ihren ausländischen Kollegen einen wichtigen Beitrag. Einzelheiten zu ­diesem Aspekt bei Alexandros P. Zannas: „Ce que j’ai vu dans la Grèce d’­aujourd’hui“: Alexandros Zannas and The Greek Red Cross, in: Clogg (Hg.), Bearing Gifts to Greeks, 2008, S. 113 – 124.

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Besatzungszone. Bulgarien hatte keinerlei Aktivitäten von Hilfsorganisa­tionen in der ihm überlassenen Besatzungszone erlaubt. Die Folge war eine humanitäre Krise, w ­ elche die dort lebende Bevölkerung zwang, sich in Gebiete außerhalb der bulgarischen Zone zu retten, wo Hoffnung auf Notverpflegung bestand. Vergleichbare Bevölkerungs­ bewegungen beeinflussten maßgeb­lich auch die demografische Gesamtsitua­tion im Griechenland der Nachkriegszeit.74 Während der Besatzung konnten die Vertreter des Roten Kreuzes nur sehr eingeschränkt in Gebiete vordringen, die von Partisanen kontrolliert wurden. Des Öfteren nutzten die Deutschen Hilfslieferungen als Vortrupp für eigene Transporte, um sich auf diese Weise vor Partisanenangriffen zu s­ chützen. Auch beschlagnahmten bewaffnete griechische Gruppierungen, die den Deutschen zuarbeiteten, häufig die zur Verteilung bestimmten Nahrungsgüter und Transportmittel. Obendrein wurden Mitarbeiter des Roten Kreuzes immer wieder von der Besatzungsverwaltung bedroht, manch einer gar verhaftet und verhört. EAM/ELAS dagegen hielt die nur begrenzte Hilfe des Roten Kreuzes für eine Unterstützungsmaßnahme der Besatzer, sodass man den humanitären Missionen nicht nur das Recht auf freies Geleit verweigerte, sondern diese immer wieder auch gezielt angriff. Einen ähn­lichen Standpunkt gegenüber Vertretern des Roten Kreuzes nahm auch die „Bergregierung“ ein.75 Auch nach dem Krieg war die Koopera­tion der interna­tionalen humanitären Akteure mit den neuen griechischen Exekutivorganen keineswegs unproblematisch. Da die Mitarbeiter des Roten Kreuzes nicht durchgehend in der Lage waren, die griechische Bevölkerung ausreichend zu versorgen, wurden sie von den Kommunisten ihrer Zusammenarbeit mit der Regierung wegen als Faschisten bezeichnet. Vor den Bürogebäuden der Missionen kam es häufig zu Protesten, sogar zu Zwischenfällen, bei denen Menschenmengen um Lebensmittelra­tionen, Kleidung und Schuhwerk kämpften. Diese schwer kontrollierbare Situa­tion verschlimmerte sich zusehends nach Beginn des Bürgerkriegs, sodass weder das Rote Kreuz noch die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Na­tionen UNRRA (United Na­tions Relief and Rehabilita­tion Administra­tion) länger imstande waren, ihren Auftrag zu erfüllen.76 Gegründet wurde die UNRRA am 9. November 1943 in den USA im Anschluss an ein von 44 Na­tionen unterzeichnetes Abkommen. Mitgliedsländer ihres Zentralausschusses waren die USA, Großbritannien, China und die Sowjetunion. Auch die 74 TNA, FO 837/1239 – The Relief of Occupied Greece. 75 TNA, FO 371/48295, R 282/52/19 – Greek Relief Commission to the Supervisory Board of the Swedish Red Cross Stockholm (22. 11. 1944). Vgl. auch Rolandos Katsiaounis: Ethniki Allilengyi (Na­tional Solidarity): Resistance and Welfare, in: Clogg (Hg.), Bearing Gifts to Greeks, 2008, S. 141; Tsilaga, UNRRA’s Relief Efforts, 2008, S. 193. 76 TNA, FO 371/48295, R 282/52/19 – Greek Relief Commission to the Supervisory Board of the Swedish Red Cross Stockholm (22. 11. 1944).

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Exilregierung Griechenlands war dem Abkommen beigetreten. Als gemeinsames Ziel galt die Organisa­tion von Hilfeleistungen an Länder, die unter Krieg und Fremdbesatzung gelitten hatten. Zum einen ging es um die Lieferung von lebensnotwendigen Gütern des täg­lichen Bedarfs (Nahrungsmittel, Kleidung, Treibstoff, Baumaterial, medizinisches Material und Medikamente), zum anderen um den Anschub von öffent­lichen Grundversorgungsnetzen (Strom, Wasser, Krankenhäuser, Verkehr und Kommunika­tion).77 In Griechenland jedoch wurde die Aufgabe, Recht und Ordnung wiederherzustellen und humanitäre Hilfe weiterzuleiten, ausschließ­lich den Briten übertragen, bis sich die griechischen politischen Nachkriegseliten stabiler posi­tioniert hätten. Die ­UNRRA-Vertreter, deren Tätigkeit anfangs in britische administrative Strukturen integriert war, letzt­lich also in die Verwaltung der britisch-­amerikanischen Militärverbindungsmission (Military Liaison), kamen in der ersten Oktoberhälfte 1944 nach Griechenland, d. h. fast gleichzeitig mit den britischen Truppen.78 Zunächst überwachte die britische Militärverwaltung, die die Athener Regierung offen unterstützte, die Arbeit der UNRRA und erschwerte dadurch erheb­lich den Aufbau eines neutralen humanitären Engagements. Laut Statut erstreckten sich die UNRRA-Aktivitäten auf die gesamte Bevölkerung, ohne jeg­liche Diskriminierung nach ethnischen, konfessionellen oder politischen Krite­rien. In dem Maß, in dem die UNRRA-Vertreter sich dem Einfluss der britischen Militärmission entziehen wollten – gelegent­lich setzte man sich demonstrativ über Anweisungen hinweg und leistete Hilfe auch in denjenigen Gebieten, die unter Partisanenkontrolle standen –, schafften sie sich einen guten Ruf bei EAM/ELAS und stießen auf mehr Sympathie als die Vertreter des Roten Kreuzes.79 Zu Beginn der Dezember­ ereignisse wurden die UNRRA-Gesandten nach Ägypten abberufen. Dadurch brach nicht nur die Versorgung mit humanitären Hilfsgütern zusammen, sondern auch das Ansehen ging verloren, das sich die Organisa­tion als Mittlerinstanz für die Verteilung humanitärer Hilfe in Griechenland bei ausländischen Beobachtern erworben hatte.80 Die UNRRA trat ihre Depots an das Rote Kreuz ab, das nun die Notversorgung der Bevölkerung bis zur Rückkehr ihrer Vertreter im März 1945 übernahm. Von da an operierte sie als zivile Organisa­tion ohne Bindung an die britische Militärverwaltung, während das Interna­tionale Rote Kreuz seine Mission in Griechenland abschloss.81

77 Shephard: „Becoming Planning Minded“, Journal of Contemporary History 43 ( Juli 2008), S. 412; Tsilaga, UNRRA’s Relief Efforts, 2008, S. 190 f. 78 TNA, FO 371/51356, UR 49/49/850 – U. N. R. R. A. in Greece: From Athens to Foreign Office (6. 1. 1945). 79 Tsilaga, UNRRA’s Relief Efforts, 2008, S. 195 – 203. 80 TNA, FO 371/51356, UR 49/49/850 – U. N. R. R. A. in Greece: From Athens to Foreign Office (6. 1. 1945), Daily Telegraph, 11. Januar 1945. 81 TNA, FO 371/48295, R 2117/52/19 – British Embassy to Greece to D. F. Howard, Foreign Office London (16. 1. 1945).

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Die Abgesandten humanitärer Organisa­tionen, zu denen außer dem Roten Kreuz und der UNRRA auch zahlreiche privatrecht­liche, konfessionelle und ehrenamt­lich arbeitende Träger gehörten,82 waren bemüht, die Besatzungsfolgen erträg­licher zu gestalten und der Bevölkerung das absolut Überlebensnotwendige zu gewährleisten,83 eine Aufgabe, die sich als höchst mühsam und schwierig erwies: Das Eisenbahnnetz war praktisch lahmgelegt, Züge standen kaum zur Verfügung, die Gleise waren häufig zerstört. Der Hafen im Piräus lag ebenfalls zu großen Teilen in Trümmern, der Hafen von Thessaloniki war vermint und seine Anlagen geplündert. Stromversorgung, Telefon­ verbindungen und Kanalisa­tion mussten instand gesetzt werden. Treibstoffe und andere Rohstoffe waren knapp. Wie schon während der Besatzung gingen epidemische Infek­ tionskrankheiten wie Typhus, Tuberkulose, Diphtherie und Malaria um.84 Medikamente, Nahrungsmittel, Kleidung und Bettzeug waren Mangelware. Von Deutschen genutzte Krankenhäuser waren beim Abzug von deren Streitkräften geplündert worden, sodass selbst eine elementare Ausstattung fehlte. Die humanitären Organisa­tionen taten ihr Mög­lichstes für die Grundversorgung der innergriechischen Flüchtlinge, doch war es eine zeitraubende und kostspielige Angelegenheit, 100.000 zerstörte Haushalte wieder instand zu setzen.85 Gegen Ende November 1944 erhoffte man sich, mit humanitären Hilfslieferungen aus dem Ausland ab dem Folgemonat den durchschnitt­lichen Kalorienverbrauch pro Tag von 1200 bis 1400 auf akzeptable 2000 Tageskalorien steigern zu können.86 Diese Planung war jedoch aufgrund der Dezemberereignisse nicht ausführbar. Im Winter 1944/45 sank der durchschnitt­liche Kalorienverbrauch mancherorts sogar auf 1000 pro Tag. Auf Kreta, im Dezember 1944 teilweise noch unter deutscher Besatzung, musste man sowieso ohne humanitäre Hilfslieferungen auskommen. 1944 wurde in einigen Gebieten angesichts bürgerkriegsähn­licher Zusammenstöße überhaupt nicht ausgesät, sodass die Ernte des Folgejahres entsprechend geringer ausfiel. Die Zahl der Haustiere ging im Vergleich zu 1940 um die Hälfte zurück, entweder weil sie von den Besatzern requiriert oder von ihren Besitzern zu Zwecken der eigenen Ernährung geschlachtet 82 Vgl. z. B. TNA, FO 371/48312 – Note on the Activities of the Voluntary Societies Operating in Greece (13. 7. 1945); Mehr zu diesen Organisa­tionen siehe einzelne Kapitel in: Clogg (Hg.), Bearing Gifts to Greeks, 2008. 83 Bei der Verteilung humanitärer Hilfe nahmen sowohl in- als auch ausländische zivilgesellschaft­ liche und militärische Organisa­tionen teil. Zu den Vergabewegen der Hilfeleistungen vgl. Reinisch, Introduc­tion: Relief in the Aftermath of War, 2008, S. 372. 84 Den Schätzungen des Roten Kreuzes zufolge waren 1944 an die 2,5 Mio. Personen von Malaria betroffen. Siehe Katerina Gardikas: Relief Work and Malaria in Greece, 1943 – 1947, Journal of Contemporary History 43 ( Juli 2008), S. 497. 85 TNA, FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied force Headquarters Report No. 4 (18. – 24. 11. 1944). 86 TNA, FO 371/48295, R 282/52/19 – Greek Relief Commission to the Supervisory Board of the Swedish Red Cross Stockholm (22. 11. 1944). Zum Kalorienwert vgl. Anm. 85 in Kapitel 1.

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wurden. Viele Tiere waren von Pocken, Cholera oder Milzbrand befallen. Es fehlten landwirtschaft­liche Geräte (Traktoren, Bewässerungssysteme, Ölmühlen). Die Arbeitslosigkeit stieg weiter an, nachdem die Infrastrukturmaßnahmen der Besatzungsregierung eingestellt worden waren.87 Im Dezember 1944 richtete man in Athen und im Piräus erneut Suppenküchen ein, von denen bereits in der Weihnachtszeit ungefähr 100.000 Menschen verköstigt wurden.88 In Thessaloniki waren im Januar 1945 Massenspeisungen für ungefähr 561.000 Hungernde nötig.89 Nachdem die Zusammenstöße abgeflaut waren und die UNRRA ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, stabilisierte sich die Lage in Griechenland zunächst. Im Herbst 1945 beschwerte sich die britische Militärverwaltung bei der griechischen Regierung über die Preissteigerungen und stetig wachsende Infla­tion, vor allem aber über die säumige Vorgehensweise der Athener Politiker. Die Regierung rechtfertigte ihre passive Haltung mit dem Argument, man habe auf Hilfe aus London gewartet, wolle sich jedoch nicht zu unpopulären Maßnahmen wie etwa Steueranhebungen entschließen. Die Briten brachten unverblümt zum Ausdruck, dass die griechische Regierung bei der Lösung innenpolitischer Probleme vollständig versagt habe, wobei sie selbst sich darüber im Klaren waren, dass eine finanzielle Unterstützung Griechenlands ihrerseits in den kommenden Jahren nicht mehr mög­lich sein würde. Die für den Eigenbedarf gelagerten Vorräte reichten höchstens noch bis Ende 1946; daher baute man darauf, dass die Vereinigten Staaten sich in Griechenland engagieren würden, zumal die USA der griechischen Regierung bereits mit beträcht­lichen Hilfe­ leistungen unter die Arme griffen.90 Als 1947 London nicht mehr imstande war, Athen zu unterstützen, wurde Griechenland neben anderen euro­päischen Ländern am US-amerikanischen Wiederaufbauprogramm für Europa, bekannt als Marshallplan, beteiligt. In d­ iesem Zusammenhang erhielt Athen z­ wischen 1948 und 1951 eine Finanzspritze in Höhe von 366 Mio. US-Dollar, den höchsten Betrag pro Kopf der Bevölkerung im Vergleich zu den anderen Ländern der Region. Der überzeugenden Argumenta­tion von Botsiou zufolge handelt es sich dabei keineswegs um uneigennützige Hilfe, vielmehr sei ein geostrate­gisches Instru­ ment der USA eingesetzt worden.91 Insgesamt subven­tionierten die USA ­zwischen

87 TNA, FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied Force Headquarters Reports on Relief and Rehabilita­tion in Greece (30. 1. 1945). 88 TNA , FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied Force Headquarters Report No. 8 (16. – 22. 12. 1944). 89 TNA, FO 371/48295, R 2214/52/19 – Allied Force Headquarters Report No. 11 (6. – 12. 1. 1945). 90 TNA , FO 371/48338, R 21681/100/19 – Economic and Financial Situa­tion in Greece (29. 12. 1945). 91 Botsiou, New Policies, Old Politics, 2009, S. 210. Mehr zum Marshall-­Plan und Griechenland auch in: Konstantina Botsiou: Griechenlands Weg nach Europa: Von der Truman-­Doktrin

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1948 und 1952 Griechenland mit nichtmilitärischen Hilfeleistungen in Höhe von fast 1 Mrd. US-Dollar, wovon die Hälfte für den wirtschaft­lichen Aufbau des Landes verwendet wurde. In den darauffolgenden vier Jahren belief sich die amerikanische Hilfe für Griechenland auf jähr­lich 100 Mio. US-Dollar.92 Als die UNRRA-Mission im Juni 1947 in Griechenland und ganz Europa zu Ende ging, war die US -amerikanische Regierung weiterhin bereit, materiell für Griechenland einzustehen.93 Washington trug zum gesamten Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft bei und unterstützte getreu der Truman-­Doktrin vor allem die griechischen Streitkräfte. Bis Ende Mai 1948 lieferten die USA an Griechenland 450.000 Tonnen Lebensmittel und 220.000 Tonnen Treibstoff für zivile und militärische Zwecke. Außerdem subven­tionierte man die Athener Regierung nicht nur mit neuen Technologien und Fachleuten, sondern stellte auch landwirtschaft­liche Geräte, medizinische Ausstattung und Chemieprodukte zur Verfügung.94 Im Bemühen, Griechenland zu stabilisieren, kooperierten die US -amerika­ nischen Dienststellen auch mit anderen Organisa­tionen, vor allem mit der Weltgesundheitsorganisa­tion (WHO ). Letztere übernahm nach dem Abgang der UNRRA zum größten Teil deren Aufgaben im Zusammenhang mit Medizinbedarf und ärzt­licher Versorgung.95 In der Nachkriegszeit wurden Athen im Rahmen medizinischer Hilfeleistungen auch Röntgengeräte, Impfstoffe, Penicillin und Vitamine, Desinfek­tionsmaterial wie z. B. Chlor für Trinkwasser oder das wohlbekannte DDT zur Bekämpfung von Malaria überlassen.96 Auch fanden Fortbildungsseminare für griechische Ärzte und Krankenschwestern statt. Infolge der US -amerikanischen Hilfe sank die Sterberate am Ende des Bürgerkriegs um 43 Prozent im Vergleich zu 1939.97 Fachberater aus dem Ausland zeigten der Bevölkerung neue Methoden medizi­nischer Präven­tion sowie moderne landwirtschaft­liche Produk­tionspraktiken.98 Bis 1950 waren das BSP erstmals fast wieder auf dem Vorkriegsstand und der Lebensstandard der Bevölkerung merk­lich gestiegen.99 Nichts geändert hatte sich an der tiefen Kluft

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bis zur Assoziierung mit der Euro­päischen Wirtschaftsgemeinschaft 1947 – 1961, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1999. PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). Tsilaga, UNRRA’s Relief Efforts, 2008, S. 204. A Factual Summary Concerning the American Mission for Aid to Greece (15. 6. 1948), Truman Library – Harry S. Truman Papers, http://www.trumanlibrary.org/whistlestop/study_collec­tions/ doctrine/large/index.php (letzter Zugriff: 15. 07. 2015). Close, Greece since 1945, 2002, S. 34. Shephard, „Becoming Planning Minded“, 2008, S. 415. Close, Greece since 1945, 2002, S. 34. Reinisch, Introduc­tion: Relief in the Aftermath of War, 2008, S. 383 – 385. David H. Close: The Origins of the Greek Civil War, London: Longman, 1995, S. 214.

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z­ wischen unteren und oberen Einkommensgruppen. Letztere hatten sich vor allem am Schwarzmarkt und der illegalen Aneignung von Vermögenswerten während der Besatzung bereichert.100

2.7 Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde Nach dem Ende der deutschen Besatzung verließen die in Griechenland verbliebenen Juden allmäh­lich wieder ihre Zufluchtsorte. Einige Hundert hatten den Krieg unerkannt hauptsäch­lich in Athener Haushalten oder Häusern überstanden, die von nichtjüdischen Bekannten oft auch gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt worden waren. 3000 bis 4000 Juden hatten sich dank der Unterstützung durch die Partisanen und die lokale Bevölkerung ins griechische Bergland gerettet.101 Wer über die Kriegszeit gekommen war, wartete ungeduldig auf die Rückkehr von Verwandten aus dem General­gouvernement Polen, wo der Krieg noch immer andauerte. Das größte Vernichtungslager Auschwitz-­ Birkenau, wohin ungefähr 54.000 griechische Juden transportiert worden waren, wurde schließ­lich im Januar 1945 befreit.102 Mitte März 1945 tauchte in Thessaloniki als erster jüdischer KZ -Heimkehrer Leon Batis auf. Seine Berichte über die „Endlösung“, deren tatsäch­liches Ausmaß in breiteren Kreisen der griechischen Bevölkerung nicht bekannt war, konnte keiner begreifen, der sie sich anhörte, geschweige denn, ihnen Glauben schenken. 103 In den folgenden Monaten trafen in Griechenland weitere KZ -Überlebende ein. Mut­maßungen, dass die meisten Juden Griechenlands tatsäch­lich in Auschwitz-­ Birkenau und Treblinka ermordet worden waren, bestätigten sich allmäh­lich. Doch das Gros der Bevölkerung wie auch die anderen Juden entzogen sich den Schilderungen bestia­lischer Greuel und trieben auf diese Weise mehr oder weniger unwillkür­ lich die heimgekehrten Auschwitzüberlebenden in die Isola­tion.104 Letzten Endes waren es etwa 2000 von 58.585 deportierten Juden, die von Auschwitz-­Birkenau und Bergen-­B elsen nach Griechenland zurückkehrten. Insgesamt überlebten

100 Vgl. z. B. Stavros B. Thomadakis: Stabiliza­tion, Development, and Government Economic Authority in the 1940s, in: John O. Iatrides u. a. (Hg.), Greece at the crossroads, 1995, S. 184. 101 Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 167. 102 Fleischer, Griechenland, 1991, S. 273. 103 Matarasso, Greek Jews of Salonika under German Occupa­tion, 2002, S. 179 und S. 185 f. 104 Erika Kounio-­Amariglio: Damit es die ganze Welt erfährt: Von Saloniki nach Auschwitz und zurück 1926 – 1996, Konstanz: Hartung-­Gorre 2003, S. 142. Zeugnis von Paloba A. in: Bea Lewkowicz: The Jewish Community of Salonika: History, Memory, Identity, London: Mitchell Vallentine & Company, 2006, S. 196. Mehr über die Rückkehr bei Santin: Der Holocaust in den Zeugnissen griechischer Jüdinnen und Juden, 2003, S. 118 – 123.

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ca. 13.000 Angehörige der jüdischen Gemeinden Griechenlands den Holocaust und die Verfolgung während der Besatzung; davon hielten sich 1946 jedoch kaum mehr als 10.000 in Griechenland auf.105 Alles in allem war die Lage der Juden Griechenlands nach dem Krieg vergleichbar mit derjenigen in anderen euro­päischen Ländern; die meisten von ihnen waren in Konzentra­tionslagern umgekommen.106 Wer davongekommen war und aus Lagern und Zufluchtsorten zurück an den einstigen Lebensmittelpunkt kam, fand dort eine Situa­ tion vor, die kaum an die Vorkriegszeit erinnerte. Durchgängig hatte jeder Überlebende die meisten seiner Verwandten und Freunde verloren. Die Gemeinde als Daseinsform existierte nicht mehr. Es gab weder mehr Geschäfte, die von Juden betrieben wurden, noch Schulen und Synagogen. Die Räum­lichkeiten, in denen sich die Juden vor dem Krieg regelmäßig versammelten, waren in desolatem Zustand, dem Erdboden gleichgemacht oder zumindest geplündert. In ihre Häuser zurückzukehren, war in vielen Fällen nicht mög­lich, da sie von den Treuhändern ihres ehemaligen Vermögens eingeschüchtert wurden; in anderen Fällen stießen sie auf einquartierte Flüchtlinge oder Obdachlose, die im Krieg ihre eigenen Häuser verloren hatten und sich nun weigerten, woanders hinzuziehen. Teils waren Immobilien in jüdischem Besitz bei Bombardements zerstört und geplündert, teils von Glücksjägern abgerissen worden, im Glauben, an den Fundamenten oder in den Mauern der jüdischen Häuser könne man auf versteckte Schätze stoßen.107 Die Juden standen nicht nur ohne jeg­liche materielle Versorgung da, sondern sahen sich auch einer deut­lich antijüdischen Stimmungsmache ausgesetzt, deren Anstiftern es hauptsäch­lich darum ging, jüdische Vermögenswerte nicht wieder heraus­rücken zu müssen.108 Nur unwillig verließen die neuen Besitzer und Mieter ihre Wohnungen, in denen sich die rechtmäßigen Eigentümer einrichten wollten.109 105 Fleischer, Griechenland, 1991, S. 271 f. 106 Vgl. z. B. die einzelnen den jeweiligen euro­päischen Ländern gewidmeten Kapitel in: Miloš Pojar (Hg.): Židovské muzeum. Vzdělávací a kulturní centrum ( Jüdisches Museum. Bildungs- und Kulturzentrum), Stín šoa nad Evropou: Sborník přednášek z cyklu uvedeného ve vzdělávacím a kulturním centru Židovského muzea v Praze v lednu 2000 až prosinci 2001 (Der Schatten des Holocaust über Europa: Vortragszyklus des Bildungs- und Kulturzentrums des Jüdischen Museums Prag), Prag: Židovské muzeum, 2001. 107 Vgl. z. B. Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 412 f. und S. 418 f.; Erika Kounio-­ Amariglio: From Thessaloniki to Auschwitz and back: Memories of a Survivor from Thessaloniki, London: Vallentine Mitchell, 2002, S. 141. 108 JDC, 45/54 – 385 [45/64 – 455] – Need for Combating Manifesta­tions of Anti-­Semitism in Greece (April 1947). 109 Siehe z. B. die Erinnerungen von F. Kakis in: Frederic Kakis: Legacy of Courage: a Holocaust Survival Story in Greece, Bloomington: 1st Books Library, 2003, S. 244. Lewkowicz erwähnt ein Interview, in dem einer der Holocaustüberlebenden ihr die Reak­tion auf sein Wiedererscheinen

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In manchen Fällen mochten sich ehemalige Freunde oder Nachbarn der Juden nicht einmal daran erinnern, dass ihnen Teile jüdischen Vermögens zu treuen Händen überlassen worden waren.110 Besonders in Thessaloniki, wo die Gemeinde zahllose Mitglieder verloren hatte, kam es zu Spannungen ­zwischen KZ -Heimkehrern und denjenigen, die in einem Versteck davongekommen waren. Bitterkeit und Schuldgefühle dominierten ihren alltäg­lichen Umgang. Scham, die Familie des Überlebens wegen verlassen zu haben, war eng verflochten mit Wut und der nicht zu beantwortenden Frage, wieso manch einer wiederkam, während die eigenen Familienangehörigen umgebracht worden waren.111 Häufig beschuldigten sich die überlebenden Juden gegenseitig der Kollabora­tion mit den Deutschen, denn dies lieferte eine griffige Erklärung dafür, dass die einen zu Lasten der anderen durchgekommen waren, und stellte zugleich eine stichhaltig wirkende Auslegung für den Tod der Verwandten dar.112 Das wechselseitige Misstrauen spiegelte sich zu großen Teilen wider in effizienten Verfahrensweisen zur Entlarvung jüdischer NS -Kollaborateure in Griechenland, die dann, wie bereits erwähnt, für die Zusammenarbeit mit dem Feind verurteilt und gebührend bestraft wurden.113 Im Griechenland der Nachkriegsphase war das Dasein der Juden wie auch der meisten anderen Menschen weiterhin von bewaffneten Auseinandersetzungen ­zwischen Linken und Antikommunisten bestimmt. Allmäh­lich zeichnete sich eine Überlegenheit des antikommunistischen Lagers ab. Ein beacht­licher Teil der Juden, die den Krieg überstanden hatten, verdankten ihr Leben der Unterstützung durch EAM /ELAS . So hatten sich während der Besatzung etwa 650 Juden als Widerstandskämpfer den ELAS -Verbänden angeschlossen.114 Nach Kriegsende wurden junge Juden, darunter

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beschrieb. Ohne eine Spur von Scham hätten die neuen Mieter seiner Wohnung seufzend geäußert: „Schade, dass man nicht auch dich zu Seife gemacht hat.“ Siehe Lewkowicz, The Jewish Community of Salonika, 2006, S. 197. Einen ähn­lichen Vorfall beschreibt auch Joshua Eli Plaut: Greek Jewry in the Twentieth Century, 1913 – 1983: Patterns of Jewish Survival in the Greek Provinces before and after the Holocaust, London: Associated University Press, 1996, S. 71. Kounio-­Amariglio, From Thessaloniki to Auschwitz and back, 2002, S. 141. Siehe z. B. Kounio-­Amariglio, From Thessaloniki to Auschwitz and back, 2002, S. 156; Jacques Stroumsa: Geiger in Auschwitz: ein jüdisches Überlebensschicksal aus Saloniki, 1941 – 1967, Konstanz: Hartung-­Gorre, 1993, S. 72 f.; Kakis, Legacy of Courage, 2003, S. 258. Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 171. Vgl. zum Phänomen der jüdischen Ehrengerichte auch: Laura Jockusch; Gabriel Finder: Jewish Honor Courts: Revenge, Retribu­tion and Reconcilia­tion in Europe and Israel After the Holocaust, Detroit, MI: Wayne State University Press, 2015. Apostolou, „The Excep­tion of Salonika“, 2000, S. 173; Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 260. Zur Zahl von 650 Partisanen vgl. Matsas, The Participa­tion of the Greek Jews,

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auch KZ-Rückkehrer, für den Kampf gegen kommunistische Partisanen mobilisiert.115 So fiel etwa Solomon Matsas als Soldat des Griechischen Heeres 1947 im Bürgerkrieg, nachdem er die Besatzung überlebt hatte. Dies war kein Einzelfall.116 Viele linksorientierte Juden wurden wegen ihrer Kontakte zu linken Partisanen während des Kriegs inhaftiert oder eingeschüchtert.117 Zweifellos ging es den meisten Juden Griechenlands in dieser schwierigen Phase vor allem ums nackte Überleben.118 Kurz nach dem Krieg, als fast das ganze Land noch von Partisanen kontrolliert wurde, unterschieden sich die Lebensbedingungen derer, die den Holocaust in Griechenland überlebt hatten und mehrheit­lich mit der EAM sympathisierten, kaum von den auch für andere Bevölkerungsgruppen geltenden Umständen. Dies änderte sich nach der Ankunft der ersten KZ -Rückkehrer; die Lage spitzte sich zu, insofern diese Menschen meistens nur besaßen, was sie auf dem Leib trugen,119 an körper­lichen Krankheiten und Depressionen litten sowie unterernährt waren. Viele von ihnen starben in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den ersten Nachkriegsjahren.120 Die Rückkehrer wussten zunächst kaum, wohin sie sich wenden sollten, um Hilfe zu finden. Jüdische Gemeinden waren anfangs kaum in der Lage, etwas zu unternehmen, da Mitarbeiter und materielle Ressourcen fehlten. Von den 26 Gemeinden Griechenlands und des Dodekanes hatten 14 mehr als 90 Prozent ihrer Glaubensgenossen verloren.121 Die ehemals vitale Thessaloniker Gemeinde lag völlig darnieder; das zentrale Baron-­Hirsch-­Viertel, während der deutschen Besatzung zum Transitghetto umfunk­tioniert, existierte nicht mehr. Von den Gemeindebauten standen ledig­lich noch die Monastirioton-­Synagoge und das ehemalige Lieto-­Noah-­Heim für Menschen mit geistiger Behinderung. Während der Besatzung wurden diese Räum­lichkeiten als Lager genutzt, danach als provisorische Bleibe für Überlebende. Ähn­lich war die Lage auch in anderen Städten.122 1991, S. 49 – 53. Bowman andererseits behauptet, dass „Schätzungen ­zwischen 1000 und 2000 nicht unbedingt übertrieben sind“, siehe Bowman, The Agony of Greek Jews, 2009, S. 162. 115 Interview mit Erika Kounio und Rodolfos Amariglio: Thessaloniki, 9. 6. 2008; Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 183. 116 Matsas, The Illusion of Safety, 1997, S. 416. 117 Siehe z. B. die Erinnerungen von Moisis Bourlas, der nach dem Krieg auf den Verbannungs­ inseln Ikaria, Makronissos und Ai Stratis festsaß. Moisis Michail Bourlas: Έλληνας, Εβραίος και αριστερός (Grieche, Jude, Linker), Skopelos: Νisides, 2000, S. 100 f. 118 Kamil Pikal: Řečtí Židé v letech 1944 – 1949 (Die griechischen Juden in der Zeit von 1944 – 1949), Studia Territorialia: Acta Universitatis Carolinae – Suplementum I, 1 (2010), S. 55 – 64. 119 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 419 und S. 421. 120 Plaut, Greek Jewry in the Twentieth Century, 1995, S. 70 f. 121 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 342 – 351. 122 Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 419.

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Die Gewährleistung des Existenzminimums, die allmäh­liche s­ ozia­le Wiedereingliederung und die Wiederherstellung religiösen Lebens wurden ermög­licht durch die großzügige Hilfeleistung verschiedener interna­tionaler Organisa­tionen. Laut Statut stand die UNRRA allen Geschädigten ohne Diskriminierung bei und konnte sich daher nicht eigens um Holocaustüberlebende kümmern. Jeder Bittsteller erhielt Lebensmittelkarten, die notwendigen Kleidungsstücke und Bettzeug, womit obdachlose Juden auf der Straße oder bestenfalls in einer provisorischen Unterkunft ohne jeg­liche Ausstattung schlafen konnten.123 Ein Jahr nach dem Abzug der Wehrmacht waren in Griechenland 6000 Juden (also etwa 60 Prozent) ausschließ­lich auf humanitäre Hilfe angewiesen.124 Einige wenige humanitäre Organisa­tionen, darunter das American Jewish Joint Distribu­tion Committee (JDC), bekannt unter dem Namen „Joint“, konzentrierten sich in Griechenland – wie auch in anderen Ländern – auf Hilfszuwendungen an jüdische Überlebende. Das JDC wurde im Frühjahr 1945 mit finanzieller und sozia­ler Unterstützung für Juden in Griechenland aktiv. Mit seinem Beistand vor Ort konnten erneut jüdische Schulen, Jugendzentren, Synagogen und Altersheime eingerichtet werden. Aus den USA kamen als Koordinatoren der griechischen Außenstelle des JDC zunächst Israel G. Jacobson, 1947 dann der Rabbiner Harold Goldfarb. Beide engagierten sich nachhaltig für die Wiederbelebung der sozia­len und sakralen Aktivitäten. In Athen wurde eine Mädchenschule für jüdische Waisen aus ganz Griechenland gegründet. Auf dem Lehrplan standen Fremdsprachen, Sekretariatstätigkeiten, Handarbeiten usw. Junge männ­liche Juden wurden in Spezialprogrammen der jüdischen Stiftung World ORT (World Organiza­tion for Rehabilita­tion through Training) ausgebildet, und man erhoffte sich den späteren Beitrag dieser jungen Menschen zum Aufbau einer jüdischen Heimat in Palästina.125 Der JDC unterstützte Juden im Einzelfall nicht nur mit Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung, sondern auch mit Geldmitteln. Frisch verheiratete, mittellose Paare erhielten die in Griechenland vom Gesetz vorgeschriebene Mitgift, etwa in Form einer Grundausstattung einschließ­lich der Eheringe. In den ersten fünf Jahren nach dem Krieg unterstützte der JDC jüdische Überlebende in 23 Städten Griechenlands.126 Auch stellte das „Joint“ jüdischen Kleinunternehmern und Gewerbetreibenden kurzfristige, niedrigzinsige Anleihen (sog. Kassa-­Darlehen) zur Verfügung. So ging die Zahl 123 Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 170. 124 Steven Bowman: Jews in Wartime Greece, Jewish Social Studies 48, Bd. 1 (Winter 1986), S. 57. 125 Israelitische Gemeinde Volos: Μικρό Αφιέρωμα στο Μεγάλο Έργο της American Joint Distribu­tion Committee (Kleine Hommage auf das Große Werk des American Joint Distribu­ tion Committee), Volos: Israilitiki Koinotita Volou, 1998, S. 26. 126 JDC, 45/54 – 384 [45/64 – 454] – Greece, General, 1949 – 1954: Letter from Herbert Katzki to AJDC New York, Re: Report on Greece, 23. Oktober 1950.

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der hilfsbedürftigen Geschädigten allmäh­lich zurück. Wesent­lich trug dazu auch die Auswanderung von Juden bei, denn die Hälfte der Überlebenden verließ Griechenland schließ­lich.127 Die Entscheidung, nach dem Krieg der Heimat den Rücken zu kehren, ging auf persön­liche Verlusterfahrungen, die unübersicht­liche Lage im Land sowie auf Angst vor eventuellen Verfolgungen zurück.128 Noch im Frühjahr 1945 kamen jüdische Emigranten der Besatzungszeit wieder nach Griechenland zurück. Der Bericht des griechischen Konsuls in Palästina von September 1945 zeigt, dass die Repatriierung griechischer Flüchtlinge aus dem Nahen Osten von der UNRRA vermittelt und vom griechischen diplomatischen Dienst unterstützt wurde. Die Reak­tionen auf diese Initiative waren jedoch nicht durchgehend positiv. So warfen die Rückkehrer etwa den Behörden vor, nicht ausreichend über die unsichere Lage in Griechenland informiert worden zu sein. Da die UNRRA ihnen nicht nur die Fahrt in Richtung Griechenland zugesagt hatte, sondern auch eine eventuelle Umkehr nach Palästina, wurde sie allmäh­lich abwertend „Reisebüro“ genannt.129 Die griechischen Behörden gaben auf Druck der öffent­lichen Meinung den Plan einer massenhaften Rückwanderung nach Griechenland auf, sodass jüdische Flüchtlinge nunmehr allein auf eigene Kosten zurückkommen konnten.130 Nach dem Ende der deutschen Besatzung trafen pro Woche ungefähr 100 jüdische Flüchtlinge, von Westeuropa herkommend, in Griechenland ein. Trotz heftiger Einwände aus London war Griechenland vorübergehend eine der wichtigsten Zwischensta­tionen für die illegale Migra­tion nach Palästina.131 Zur selben Zeit stieg die Zahl der jüdischen Flüchtlinge aus Griechenland in Richtung Frankreich, Italien, Süd- und Nordamerika sowie hauptsäch­lich Palästina bzw. Israel.132 Am 15. März 1945 kam Moshe Shertock, Geschäftsträger der Jewish Agency nach Athen, um die Juden Griechenlands für den Zionismus zu gewinnen. Dabei kam es auch zu Gesprächen mit griechischen Politikern über die Op­tion, in Griechenland eine Zweigstelle der Agentur zu eröffnen. Darüber hinaus wurden die Bedingungen eines selbst gewählten Weggangs von Juden aus Griechenland nach Palästina verhandelt.133 Zwar geriet die

127 Siehe z. B. Plaut, Greek Jewry in the Twentieth Century, 1995, S. 89 f. 128 Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 177 f. 129 Pikal, Řečtí Židé v letech 1944 – 1949 (Die griechischen Juden in der Zeit von 1944 – 1949), 2010, S.  55 – 6 4. 130 Constantopoulou u. a., Documents on the History of the Greek Jews, 1999, 119: G. Christodoulou, Consul in charge for Palestine and Trans-­Jordan, to the Ministry of Foreign Affairs (6. 9. 1945), S. 334 – 338. 131 Israilitikon Vima, 1. März 1946. Vgl. auch Fleming, Greece – a Jewish History, 2008, S. 175. 132 Plaut, Greek Jewry in the Twentieth Century, 1995, S. 89 f. 133 Constantopoulou u. a., Documents on the History of the Greek Jews, 1999, Attachment to 113: The Political Office of the Prime Minister (19. 4. 1945), S. 318 f.

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Agentur zur Förderung jüdischer Migra­tion häufig in Konflikt mit einigen Vertretern der lokalen jüdischen Gemeinden, die eine Reaktivierung des Gemeindelebens favori­ sierten. Doch viele von deren Mitgliedern tendierten eher zu einer Auswanderung nach Palästina. Bis Mitte der 1950er Jahre emigrierten aus Griechenland 5000 griechische Juden, davon zwei Drittel nach Israel.134 Neben interna­tionalen und jüdischen Organisa­tionen des Auslands waren auch ört­liche jüdische Gemeinden den Überlebenden behilf­lich. Neu eingerichtet auf der Grundlage des im Sommer 1945 in Kraft getretenen Gesetzes „zum Wiederaufbau israelitischer Gemeinden“ strebten sie die Wiederbelebung der Vorkriegstradi­tionen an.135 Außer der Athener Gemeinde, die nach dem Krieg mehr Mitglieder als zuvor zählte, gab es nun erneut Gemeinden in Larissa, Chalkida, Volos, Trikala und Patras sowie weitere in Thessaloniki, Ioannina, Korfu, Rhodos, Veria, Florina, Arta, Kavala, Drama, Kastoria, Didymoticho und Preveza, die jeweils zwar mehr als 50 Prozent ihrer Mitglieder verloren hatten, doch auf mindestens 20 Familien kamen und deshalb nur eingeschränkt wiederauflebten. Einige Gemeinden lösten sich in der Folge aufgrund von Mitgliederverlusten auf, andere sind bis heute aktiv.136 Wo man nicht auf wenigstens die Hälfte der Glaubensgenossen im Vergleich zur Vorkriegszeit kam oder die Gemeinde nicht mehr als 20 Familien ausmachte, wurde dem Zentralrat der Juden (Kεντρικό Ισραηλίτικο Συμβούλιο, KIS ) in Griechenland die Obhut für die Überlebenden übertragen. Der Zentralrat vertrat die Gemeinden bei einschlägigen Treffen mit Regierungsstellen, im Umgang mit interna­tionalen humanitären Organisa­tionen sowie in der Frage der erbenlosen Vermögen, die eine neue wirtschaft­liche Grundlage für Juden in Griechenland bilden sollten.137 Die Regelung der Vermögensfrage erwies sich wegen der noch aus der Besatzungszeit stammenden, doch weiterhin geltenden griechischen Gesetzgebung als ernsthaftes Problem. Zwei Tage vor dem Abzug der letzten deutschen Soldaten erließ die griechische 134 Adina Weiss Liberles: The Jewish Community of Greece, in: Daniel J. Elazar (Hg.): The Balkan Jewish communities: Yugoslavia, Bulgaria, Greece, and Turkey, Lanham: University Press of America: Center for Jewish Community Studies of the Jerusalem Center for Public Affairs, 1984, S. 106. 135 Gesetz 367/1945 (4. 6. 1945) – Περί ανασυγκροτήσεως Ισραηλιτικών Κοινοτήτων (Zum Wieder­ aufbau israelitischer Gemeinden), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 143/1945. 136 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 342 f.; vgl. auch Moysis K. Konstantinis: Το Ολοκαύτωμα των Εβραίων της Ελλάδος (Der Holocaust der Juden Griechenlands), Athen: Κentriko Israilitiko Symvoulio, 2006, S. 91: http://www.kis.gr/files/chr_olokautoma_english. pdf (letzter Zugriff: 07. 01. 2016). 137 Der Zentralrat der Juden in Griechenland entwickelte sich zur zentralen Vertretung sämt­licher jüdischer Gemeinden in Griechenland und existiert bis heute. Siehe die offizielle Internetseite des Central Jewish Council of Greece, http://www.kis.gr (letzter Zugriff: 25. 06. 2015); siehe Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 342 f.

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Kollabora­tionsregierung ein Gesetz, mit dem die aus 1944 stammende Verordnung zur treuhänderischen Verwaltung der beschlagnahmten jüdischen Vermögenswerte für nichtig erklärt und eine neue zentral koordinierende Behörde eingerichtet wurde: die Zentralstelle zur Verwaltung israelitischer Vermögen (Κεντρική Υπηρεσία Διαχειρήσεως Ισραηλιτικών Περουσιών, KYDIP). Mit staat­licher Haftung sollte sie für die Rückgabe der Vermögen Sorge tragen.138 Diese Verordnung betraf jedoch ledig­lich die ehemalige italienische Besatzungszone, in welcher die „Endlösung“ und die Konfiszierung jüdischer Vermögen zu einem späteren Zeitpunkt als in Nordgriechenland erfolgt waren. Die entsprechenden Bestimmungen galten also nicht für die unmittelbar ab April 1941 deutsch kontrollierte Besatzungszone, zu der Thessaloniki und damit die größte und wohlhabendste jüdische Gemeinde gehörte.139 Ähn­liche Lücken zeigten sich auch in der Gesetzgebung der Nachkriegszeit. Statt sämt­liche Verordnungen deutscher Provenienz über jüdische Vermögenswerte auf einmal zu annullieren, zog man ihren sukzessiven Ersatz durch neue Gesetze vor. Doch über einen langen Zeitraum hinweg erfassten diese Gesetze eine treuhänderische Nutzung aufgrund von Rassenverfolgung eben nicht als problematischen Sachverhalt.140 Erst das Notgesetz 808/1945 vom 31. Dezember 1945 räumte ein wenig mit dem bisherigen Regelungschaos auf und gestattete die Rückgabe der Vermögen an ihre ursprüng­lichen Besitzer – infolge des Holocausts waren es wenige genug – sowie an ihre gesetz­lichen Vertreter, an Verwandte oder Vormunde, nachdem sie eine Ablösesumme an die Staatskasse gezahlt hatten. Zu den wichtigsten Bestimmungen gehörte der Paragraf zur Übergabe der Immobilien an ihre Eigentümer, ebenso der beweg­ lichen Vermögensteile, wie sie in den Listen der YDIP aufgeführt waren. Für den Fall des Verlusts beweg­licher Vermögenswerte war eine monetäre Entschädigung zum

138 Gesetz 1977/1944 (10. 10. 1944) – Περί καταργήσεως του υπ. αριθ. 1180/1944 Νόμου „περί τρόπου διαχειρίσεως των κατεσχομένων Ισραηλιτικών περιουσιών“ (Zur Abschaffung des Gesetzes Nr. 1180/1944 „zum Umgang mit beschlagnahmtem israelitischem Vermögen“), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 241/1944. 139 Sam Nahmias: Die Vermögen der deportierten Israeliten Griechenlands: Das Schicksal der Juden unter der Besatzung und nach der Befreiung, in: Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 460 – 4 63. 140 Notgesetz 2/1944 (26. 10. 1944) – Περί καταργήσεως των Νόμων 1977/1944 και 1180/1944 και αποδώσεως των Ισραηλιτικών περιουσιών (Zur Abschaffung der Gesetze 1977/1944 und 1180/1944 und zur Rückgabe israelitischer Vermögen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 6/1944; Notgesetz 337/1945 (20. 5. 1945) – Περί καταργήσεως του Νόμου 205/1943 „περί διαχειρίσεως των παρά των Αρχών Κατοχής κατεχομένων και εγκατελειπομένων Ισραηλιτικών περιουσιών“ (Zur Abschaffung des Gesetzes Nr. 205/1943 „zum Umgang mit den von den Besatzungsbehörden erfassten und hinterlassenen israelitischen Vermögen“), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 121/1945. Vgl. auch Nahmias, Die Vermögen der deportierten Israeliten Griechenlands, 1981, S. 463.

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gegenwärtigen Wert vorgesehen. Auch sollten die mittlerweile in Immobilien griechischer Juden sesshaften Bewohner Mietzahlungen für die Nutzungsphase entrichten.141 Die Bekanntgabe des Gesetzes löste einen Proteststurm aus, und die momentanen Nutzer gründeten den Nordgriechischen Verband vermieteter israelitischer Immobilien (Σύνδεσμος Μισθωτών Ισραηλιτικών Ακινήτων Βορείου Ελλάδος, SMIABE ), um über eine in der griechischen Presse lancierte Verleumdungskampagne sowie durch Vorsprachen bei politischen Entscheidungsträgern die illegale Inbesitznahme von Immobilien zu legalisieren. Ein Regierungsvertreter, zur Aufsicht über die Prozeduren der Vermögensrückgabe an die Überlebenden nach Thessaloniki gesandt, war dort massivem Druck bis hin zu Androhungen körper­licher Gewalt ausgesetzt.142 In Thessaloniki gelangte die Angelegenheit auf dem Hintergrund einer wachsenden judenfeind­lichen Stimmung vor Gericht. Die griechische Gesellschaft fühlte sich mehrheit­lich von den neuen Bestimmungen betroffen, mit denen aus ihrer Sicht eine Bereicherung der Juden unterstützt wurde. So rückte das Thema der Vermögensrückgabe an die Juden ins Zentrum einer politischen Debatte, wobei sich Ansichten des Typs behaupteten, dass eine Handvoll Überlebender den Griechen Vermögen und Arbeit wegnehme.143 Das griechische Justizministerium legte dem Thessaloniker Gericht nahe, die Untersuchung der Angelegenheit aufzuschieben.144 Im Oktober 1948 wurde eine neue Verordnung erlassen, durch die man Treuhänder als unkündbare Mieter bestätigte und zugleich die Anwendung des Gesetzes 808/1945 bis Ende September des Folgejahres aussetzte, das heißt: bis zum Ende der Geltungsdauer der betreffenden Gesetzesvorschriften. Nach so vielen Verzögerungen und wiederholten Aufschüben entschlossen sich nicht wenige Überlebende, einen neuen Anfang zu machen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und auf weitere Vermögens­an­ sprüche zu verzichten.145 Den wiederbelebten jüdischen Gemeinden gelang es mit der Zeit trotzdem, die meisten Vermögenswerte zurückzuerhalten. Einen Teil mussten sie kurzerhand veräußern, um sich Mittel für die Gemeindekasse zu verschaffen.146 Ungewiss blieb weiterhin, 141 Notgesetz 808/1945 (31. 12. 1945) – Περί συμπληρώσεως του A. N. 2/1944 και 337/1945 (Zur Ergänzung des Notgesetzes 2/1944 und 337/1945), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 324/1945. 142 JDC, 45/54 – 386 [45/64 – 456] – Sobel to Slawson (9. 10. 1945). Siehe auch Mazower, ­Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 423; American Jewish Yearbook 50, Philadelphia: ­American Jewish Committee, 1948, S. 372 f. 143 JDC, 45/54 – 385 [45/64 – 455] – Need for Combating Manifesta­tions of Anti-­Semitism in Greece (April 1947). Siehe dazu Mazower, Salonica, City of Ghosts, 2004, S. 422 f. 144 Nahmias, Die Vermögen der deportierten Israeliten Griechenlands, 1981, S. 466. 145 Ebd.; auch im Interview mit Erika Kounio und Rodolfos Amariglio, Thessaloniki (9. 6. 2008). 146 Vgl. z. B. Hevraiki Hestia, 14. März 1952; I Ygeia, September 1989. Über den Verkauf des ehemaligen jüdischen Krankenhauses Hirsch siehe auch Bea Lewkowicz: „After the War We

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was aus den Vermögen derjenigen Juden werden sollte, die keine Erben oder sonstigen Anspruchsberechtigten nach den Bestimmungen des Gesetzes 808/1945 hinterlassen hatten.147 Im Falle, dass von keiner Seite berechtigte Ansprüche vorgebracht würden, sollte das Vermögen nach geltendem Recht an den Staat übergehen. Die griechische Regierung erklärte über einen längeren Zeitraum, dass nicht der Staat, sondern die jüdischen Gemeinden aus den Rückgaben erbenloser jüdischer Vermögen Nutzen ziehen müssten.148 Am 22. Januar 1946 nahm diese Absichtserklärung mit dem Gesetz zur Aufhebung staat­licher Erbrechte an jüdischen Vermögen Gestalt an. Um eine Rückgabe zu ermög­lichen, so das Gesetz, sollte ein Träger zur Fortführung der Vermögensertragsverwaltung gegründet werden.149 Bis zur Unterzeichnung der entsprechenden Verordnung am 29. März 1949 und der Gründung der Gesellschaft zur Betreuung und Rehabilita­tion griechischer Israeli­ ten (Οργανισμός Περιθάλψεως και Αποκαταστάσεως Ισραηλιτών Ελλάδος, OPAIE), die die Verwaltung heimfällig werdender jüdischer Vermögen gewährleisten sollte, mussten sich die jüdischen Gemeinden noch drei Jahre gedulden.150 Der Tätigkeit von OPAIE stand hemmend im Weg, dass sich die Ausstellung von Totenscheinen ohne Todesnachweis als schwierig erwies. Noch bis 1959 war der griechische Zentralrat der Juden damit befasst, die erforder­lichen Totenscheine zu beschaffen.151 Angesichts dieser Erschwernisse konnte die jüdische Gemeinde als ­solche gerade einmal Mitte der 1960er Jahre für sich selbst aufkommen. Erst zwei Jahrzehnte nach dem Ende der deutschen Besatzung wurden das direkte Engagement interna­tionaler jüdischer Organisa­tionen und die Hilfslieferungen des JDC vor Ort praktisch beendet.152 Zeitgleich erhielten griechische Juden erste Entschädigungszahlungen aus Deutschland.153

Were All Together“: Jewish Memories of Postwar Thessaloniki, in: Mazower (Hg.), After the War was Over, 2000, S. 249. 147 Notgesetz 808/1945 (31. 12. 1945) – Περί συμπληρώσεως του A. N. 2/1944 και 337/1945 (Zur Ergänzung des Notgesetzes 2/1944 und 337/1945), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 324/1945. 148 Griechenland tat als erstes der betroffenen Länder seine Absicht kund, erbenloses jüdisches Vermögen abzugeben. Siehe z. B. Constantopoulou u. a.: Documents on the History of the Greek Jews, 1999, S. 36 f. 149 Gesetz 846/1946 (18. 1. 1946) – Περί καταργήσεως του κληρονομικού δικαιώματος του Κράτους επί των εκκειμένων Ισραηλιτικών περιουσιών (Zur Abschaffung des staat­lichen Erbanspruchs bei erbenlosen israelitischen Vermögen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 17/1946. 150 Verordnung (29. 3. 1949) – Περί ιδρύσεως Οργανισμού Περιθάλψεως και Αποκαταστάσεως των Ισραηλιτών της Ελλάδας (Über die Gründung der Gesellschaft zur Betreuung und Rehabilita­ tion griechischer Israeliten), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 79/1949. 151 Lewkowicz, The Jewish community of Salonika, 2006, S. 189. 152 Plaut, Greek Jewry in the Twentieth Century, 1996, S. 77 – 79. 153 Mehr zu den Entschädigungszahlungen siehe Kapitel 4.

Die Wiederaufnahme der deutsch-griechischen Beziehungen  |  117

2.8 Die Wiederaufnahme der deutsch-griechischen Beziehungen In den Unterlagen, die das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden AA) im Mai 1956 im Hinblick auf den Staatsbesuch von Bundespräsident Theodor Heuss in Griechenland zusammenstellte – dem ersten offiziellen Auslandsbesuch ­dieses Amts­ inhabers überhaupt –, wurden die Bürgerkriegsauswirkungen wie folgt kommentiert: „Es ist leider nicht zu leugnen, dass in den letzten Kriegsjahren [gemeint ist der Zweite Weltkrieg, d. V.] amerikanische und auch britische Kreise, die das Bündnis mit der Sowjet­union als einen dauernden Faktor in der Gruppierung der großen Mächte anzusehen geneigt waren, sich von den Kommunisten in Griechenland über den wahren Charakter der na­tionalen kommunistischen Partei täuschen ließen. […] Die Rückkehr König Georg II. im Jahre 1944 [sic!] und die Wiedereinsetzung der Monarchie mußten nicht nur gegen kommunistischen, sondern auch gegen alliierten Widerstand verwirk­licht werden.“ 154 Nach dem Bürgerkrieg machte sich auch die griechische Regierung eine betont antikommunistische Politik zu eigen. Da sie sich von der Wiederherstellung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland unter anderem eine Förderung der griechischen Wirtschaftsentwicklung versprach, schob sie die Verantwortung für die Verwüstung des Landes fast ausschließ­lich den griechischen Kommunisten und Angehörigen des linken Widerstands zu. Auf diese Weise begann ein Weg, an dessen Ende stabile Beziehungen zum Deutschland der Nachkriegszeit standen. In Athen hielt man Bonn für eine politische und vor allen Dingen wirtschaft­liche Alternative zum bisher vorherrschenden britisch-­amerikanischen Einfluss.155 Als Grundlage für die Konsolidierung der griechisch-­deutschen Beziehungen wurde im März 1950 der griechische Konsularbetrieb in Bonn wieder aufgenommen. Entsprechend richtete man im Dezember desselben Jahres ein deutsches Konsulat in Athen ein, das bereits im Frühjahr 1951 zur Botschaft aufgewertet wurde. Gerüchte darüber, dass Werner von Grundherr, der erste deutsche Botschafter in Athen, während seiner Amtszeit im besetzten Dänemark an der Planung für die „Endlösung der Judenfrage“ beteiligt gewesen sei, konnten die griechisch-­deutsche Tuchfühlung nicht irritieren.156 Merkwürdigerweise waren die diplomatischen Beziehungen beider Länder wiederhergestellt, noch bevor der Kriegszustand mit Deutschland offiziell beendet wurde, näm­lich 154 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 155 Vgl. z. B. PA AA, B 11/335 – Tätigkeit der Deutschen Botschaft Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952); PA AA, B 11/335 – Besuch Koordina­tionsministers Markezinis in der Bundesrepublik (10. 7. 1953). 156 Mehr zu dieser Angelegenheit siehe Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S.  111 – 116.

118  |  Der Wiederaufbau Griechenlands nach dem Krieg

Abb. 6  Bundespräsident Theodor Heuss mit Ministerpräsident Georgios Papandreou während einer Zigarettenpause, Bonn, 12. September 1949. BArch B 145, Bild 00090968/Georg Munker

Anfang 1952 per Gesetz, sodass Griechenland erst im Nachhinein auch formell die Beendigung des Kriegs gegen Deutschland ab 30. Juni 1951 bekräftigte.157 Mit d­ iesem Akt überholte Athen alle drei west­lichen Großmächte, die den formellen Schlusspunkt des Kriegs gegen Deutschland erst neun Tage ­später setzten, näm­lich am 9. Juli 1951.158 157 Gesetz Nr. 2023/1952 (10. 3. 1952) – Περί λήξεως της μετά της Γερμανίας εμπολέμου καταστάσεως (Zur Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 61/1952. 158 PA AA, B 11/1223 – Begründung zum Gesetz 2023/1952 über Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland (7. 2. 1952). Aus dem Text wird ersicht­lich, dass man von der Bekanntmachung des griechischen Notgesetzes 510 vom 20. August 1945 (Griechisches Regierungsblatt ΦEK

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Noch vor dem ersten Bonner Nachkriegsbesuch des griechischen Premierministers Alexandros Papagos im Jahr 1954 erklärte der griechische Verteidigungsminister Panajotis Kanellopoulos vor deutschen Journalisten, die im Vorfeld nach Griechenland gereist waren: „Wer nicht vergessen kann, kann nicht schöpferisch wirken.“ 159 Einem Bericht des AA ist zu entnehmen, wie begeistert die westdeutsche Diplomatie die Verlautbarung von König Paul bei dessen USA-Besuch im Herbst 1953 begrüßte, der „Bandenkrieg“ habe in Griechenland mehr Opfer gefordert als die Okkupa­tion.160 Ab Ende 1954 sprach man auf deutscher Seite ledig­lich von den „Begebenheiten zur Zeit der deutschen Besatzung“, die „glück­ licherweise […] durch die Grausamkeiten des griechischen Bürgerkriegs im Dezember 1944 in Athen und 1946 – 49 in Nordgriechenland und im Peloponnes überdeckt worden“ ­seien.161 Alles deutete darauf hin, dass die Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau der bilateralen griechisch-­deutschen Beziehungen nicht besser hätten sein können. Unterstützt von König Paul, ganz besonders aber von seiner agilen, auch politisch intervenierenden Ehefrau Friederike, einer Enkelin des deutschen Kaisers Wilhelm II., wurde 1951 das Athener Deutsche Archäolo­gische Institut wiedereröffnet; im Jahr darauf erhielt es eine deutsche Leitung, die erneut Grabungen in Olympia aufnahm. Die bilaterale Rückendeckung für die Arbeit des Athener Deutschen Archäolo­gischen Instituts war ­später Teil eines Abkommens zur kulturellen Zusammenarbeit, das im Mai 1956 von der Bundesrepublik und Griechenland unterzeichnet wurde.162 In Athen erfolgte damit die erste Wiederinbetriebnahme eines DAI, auf die dann die Reaktivierung weiterer wichtiger Standorte in anderen Städten folgte, z. B. in Rom oder im kriegsneutralen Istanbul.163 Auch andere deutsche konfessionelle und kulturpolitische Einrichtungen wurden reaktiviert. Schon 1953 richtete man, zunächst in privater Trägerschaft, die erste Auslandsdozentur für Deutsch ein und leitete zugleich bilaterale Austauschprogramme für Studierende in die Wege. Mit persön­lichem Einsatz der Königin wurde die deutsche evange­lische Gemeinde neu belebt, ab 1953 mit einem Pastor. Drei Jahre ­später A’ 210/1945) Kenntnis hatte. Dieses Notgesetz bestätigte zwar die Beendigung des Kriegszustandes, beginnend am 28. Oktober 1940 und endend am 16. August 1945, mit sämt­lichen feind­lichen Mächten, ohne jedoch Deutschland nament­lich anzuführen. 159 PA AA, B 10/250 – Besuch deutscher Journalisten in Athen vom 27.4. – 4.5.53 (8. 5. 1953). 160 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). Hagen Fleischer bezeichnet diese Behauptung des Königs als „falsch“, siehe Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 478. 161 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 162 Kulturabkommen ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland (17. 5. 1956), BGBl. II, 1957, S. 5. 163 Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 92. Ausführ­licher zum Athener Deutschen Archäolo­gischen Institut siehe Králová, Německá kulturní politika pod A ­ kropolí (Deutsche Kulturpolitik in Griechenland), 2012, S. 265 – 287.

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nahm die Deutsche Schule Athen ihren Betrieb wieder auf, deren Schließungszeit ein griechisch-­deutscher Verein von 1951 bis 1956 überbrückt hatte.164 1956 unterzeichneten beide Staaten sodann das erwähnte Kulturabkommen, womit die offizielle Wiedereröffnung der Deutschen Schulen in Athen und Thessaloniki ermög­licht sowie die Präsenz der beiden Goethe-­Institute in Athen und Thessaloniki als deutsche Kulturvertretung bestätigt wurden.165 Doch Griechenland ging es primär um die Wiederaufnahme der vor dem Krieg bestehenden Handelsbeziehungen und um einen erneuten Anschub beim Export tradi­ tioneller griechischer Produkte. Vorrangiges Exportgut war nach wie vor der Tabak. Das sogenannte Tabakabkommen, unterzeichnet am 26. Oktober 1950 bei einem Besuch des stellvertretenden griechischen Premierministers Georgios Papandreou in Bonn, bildete laut Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard einen wichtigen Schritt zur Wiederherstellung der wirtschaft­lichen Beziehungen auf höchster Ebene. Allerdings standen die lukra­tiven Tabakexporte wegen der deutschen Tabaksteuer unter Preisdruck. Dieses Thema brachte eine weitere Runde wirtschaft­licher und politischer Verhandlungen in Gang. Als Gegenleistung zur Befreiung von der Tabaksteuer war Griechenland bereit, sich aus den Verhandlungen über Repara­tionen zurückzuziehen und das Bemühen Deutschlands zu unterstützen, in verschiedene interna­tionale Organisa­tionen aufgenommen zu werden.166 Die antikommunistische Leitlinie im Kalten Krieg, ­welche die Marschrichtung beider Länder in den 1950er Jahren maßgeb­lich prägte, wurde 1954 mit offiziellen Besuchen von Bundeskanzler Adenauer in Athen und von Premier Alexandros Papagos in Bonn besiegelt. General Papagos war aufgrund seiner politischen Überzeugungen nicht nur den griechischen Monarchisten genehm, sondern auch Teilen der US-amerikanischen Liberalen und besaß in griechischen Offizierskreisen ebenfalls hohe Akzeptanz. Nach den Parlamentswahlen von November 1952 übernahm er das Amt des Premierministers.167 164 Bemerkenswert ist, dass in ­diesem Verein, kaum war er gegründet, der ehemalige Besatzungsminister Louvaris, nach dem Krieg wegen Kollabora­tion mit den Besatzern verurteilt, den Ton angab. Siehe PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Griechenland (1956). 165 Siehe z. B. Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 255; Skarpelis-­Sperk, Last – Verantwortung – Versöhnung, 2001, S. 93 – 99; Ulf-­Dieter Klemm: Deutsche und Griechen: Eine Beziehung mit Missverständnissen, in: ders.; Wolfgang Schultheiss (Hg.): Die Krise in Griechenland. Ursprünge, Verlauf, Folgen, Frankfurt a. M., New York: Campus, 2015, S. 358. 166 Mogens Pelt: Tying Greece to the West: US-West German-­Greek Rela­tions 1949 – 1974, Kopenhagen: Museum Tusculanum Press, 2006, S. 119 und S. 121 f. Ausführ­licher zur griechischen Unterstützung der Bundesrepublik und ihres NATO-Beitritts in: Evanthis Hatzivassiliou: Greece and the Cold War: Front Line State, 1952 – 1967, London: Routledge, 2006, S. 33 f. 167 Close, Greece since 1945, 2002, S. 84.

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Obgleich während des Kriegs im KZ Dachau interniert, machte Papagos keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den „Arbeitsgeist und die Disziplin, vor allem aber auch die soldatischen Eigenschaften des deutschen Volkes.“ 168 Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO 1955 – Griechenland war schon seit 1952 Mitglied – stellte Papagos zufolge unbestritten einen Beitrag zur Stärkung des west­lichen Verteidigungsbündnisses dar. Bonn erwiderte Papagos Höf­ lichkeitsbezeigung mit der deutschen Ausgabe seiner Erinnerungen zum Griechisch-­ Italienischen Krieg. In dieser Form brachte die Bundesregierung ihre Absicht zum Ausdruck, die Posi­tion des Feldmarschalls in Griechenland zu stärken, die von anhaltenden innerpartei­lichen Konflikten untergraben wurde. Neben dem AA subven­tionierten auch deutsche Unternehmer, die an Investi­tionen in Griechenland interessiert waren, die deutsche Fassung von Papagos Buch.169 Belohnt wurde die versöhn­liche griechische Haltung darüber hinaus mit großzügiger finanzieller Unterstützung: Am 11. November 1953 unterzeichnete man das Wirtschaftsabkommen z­ wischen Bonn und Athen. Deutschland verpflichtete sich darin zu einer Anleihe von 200 Mio. DM an Griechenland, mit der die dortige Wirtschaft wieder angekurbelt werden sollte. Die Mittel waren hauptsäch­lich für Investi­tionsmaßnahmen bestimmt, etwa Gerätschaften für den Braunkohleabbau, Erdölraffinerien oder den Bau von Elektrizitätswerken in Ptolemaida. Von deutscher Seite beteiligten sich die Konzerne Krupp, Hydrocarbon, Siemens und Stahlunion Export. Eigent­lich wäre vorauszusetzen gewesen, dass die griechische Regierung von der einstigen Interessenkoali­tion ­zwischen deutscher Großindustrie und NS-Staat Kenntnis hatte, doch wurde genau diese Verflechtung von ihr ignoriert. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit visierten die griechischen Politiker ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre die Entsendung griechischer Arbeitskräfte in die Bundesrepublik Deutschland an.170 Diese Absicht erhielt 1960 ihre Vertragsgrundlage mit der Unterzeichnung eines bilateralen Anwerbeabkommens, das die Einwanderung von sogenannten Gastarbeitern zu Erwerbszwecken in Westdeutschland regelte. Die griechischen Gastarbeiter, die ihre Heimat verließen, um in Deutschland mit anzupacken, stellten damals eine der größten Migrantengruppen.171

168 Zitiert nach Fleischer, Der Neubeginn in den deutsch-­griechischen Beziehungen, 1991, S. 99. 169 Alexandros Papagos: Griechenland im Kriege 1940 – 1941, Bonn: Schimmelbusch, 1954. Mehr dazu in PA AA, B 11/1223 – Marschall Papagos, Der Krieg in Griechenland 1941 – 1944 (21. 11. 1952). 170 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). Vgl. auch Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 130 – 159. 171 Eva Kolinsky: Non-­German Minorities in Contemporary German Society, in: David ­Horrocks; Eva Kolinsky (Hg.): Turkish Culture in German Society Today, Providence,

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Durch den Aufbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland g­lich Athen faktisch eigene Defizite aus, da Griechenland, wie auch schon vor dem Krieg, bei der Industrieproduk­tion im Rückstand war. Dies galt 1956 dem AA zufolge auch für den Lebensstandard der Griechen, selbst im Vergleich zu anderen südosteuro­ päischen Ländern.172 Zu den wichtigsten Importprodukten aus Deutschland gehörten Bergbau- und Baumaschinen, Elektrogeräte, Metalle, Metallprodukte und Personentransportmittel. Darüber hinaus exportierte Deutschland nach Griechenland Düngemittel, Medikamente und sonstige pharmazeutische Produkte sowie Kohle. Griechenland wiederum exportierte nach Deutschland außer Tabak tradi­tionelle landwirtschaft­liche Produkte wie Wein, Traubensaft, Trockenfrüchte, Obst, Oliven und Nüsse. Die deutschen Importeure bezogen aus Griechenland auch Rohstoffe, z. B. nichteisenhaltige Erze sowie unverarbeitetes Leder und Pelze.173 So wurde die Bundesrepublik bald zum wichtigsten Wirtschaftspartner Griechenlands. 1952 stieg der deutsche Anteil an griechischen Exporten auf 12,13 Prozent, zwei Prozent mehr als der Großbritanniens. Auch mit den deutschen Exporten ging es aufwärts, sodass 1957 Deutschland die USA als bis dahin bedeutendsten Exporthandelspartner Griechenlands überholte. Ende der 1950er Jahre machten die Importe aus Deutschland etwa ein Fünftel des gesamten griechischen Einfuhrvolumens aus.174 An wirtschaft­lichen Kriterien gemessen, hatte die Wiederherstellung der bilateralen Handelsbeziehungen für Griechenland eindeutig die größere Bedeutung. Die Bundesregierung ihrerseits begriff sehr wohl die politischen Dimensionen, zumal sie sich des NS -Stigmas entledigen musste. So untermauerte das west­liche Nachkriegsdeutschland über mühsame Verhandlungen schrittweise seine politischen Forderungen und verbuchte erfolgreich einen ersten Partner. Auf Regierungsebene wurden Fragen der Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher und der Entschädigungszahlungen an die Besatzungs­opfer beiderseits hintangestellt, während Deutschland zum wichtigsten Handelspartner Griechen­lands avancierte. Im Rahmen der erneuten Annäherung und Wiederherstellung bilateraler politischer Beziehungen z­ wischen beiden Ländern konnte sich die Bundesrepublik Deutschland so vorteilhaft posi­tionieren, dass griechische Politiker keine andere Chance hatten, als sich nach ihr zu richten.

Oxford: Berghahn Books, 1996, S. 79 – 84. 172 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 173 Lazaridou, Von der Krise zur Normalität, 1992, S. 298 – 303. 174 1956 etwa betrug der Anteil des griechischen Außenhandels an der deutschen Einfuhr 0,77 % (30. Stelle), an der deutschen Ausfuhr 0,97 % (24. Stelle), PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Griechenland (1956).

3. Strafverfolgung von NS-Kriegsverbrechern 3.1 Internationale Allianzen Als im Januar 1942 erstmals eine Bestrafung der Kriegsverbrecher thematisiert wurde, herrschte Hitlers „Drittes Reich“ in großen Teilen des euro­päischen Kontinents. Zur selben Zeit beratschlagten sich am Berliner Wannsee 15 Vertreter unterschied­licher Dienststellen des „Reichs“, wie man die verhängnisvolle „Endlösung der Judenfrage“ organisieren und koordinieren sollte. In jenem Jahr machte in vielen Ländern ein harter Winter den Menschen schwer zu schaffen und brachte sie an den äußersten Rand ihres Durchhaltevermögens. In Griechenland nahmen die Verluste an Menschenleben durch die entsetz­liche Hungerkrise die Dimension einer humanitären Katastrophe an, die rund eine Viertelmillion Opfer kostete. Hoffnungen auf ein schnelles Kriegsende machte allenfalls der erste erfolgreiche Gegenangriff der Roten Armee an der Ostfront. Vor ­diesem Hintergrund fand Anfang 1942 eine Konferenz der Alliierten in London statt, bei der es zu einer ersten Festsetzung von Richtlinien für die Verfolgung und Bestrafung von Kriegsverbrechern nach Kriegsende kam. An der Konferenz nahmen außer den britischen Gastgebern auch Vertreter Kanadas, Australiens, Neuseelands und der Südafrikanischen Union sowie Repräsentanten von in Großbritannien ansässigen Exilregierungen teil. Außer ihnen unterzeichneten neun Vertreter besetzter Länder, darunter auch Griechenland, am 12. Januar 1942 im Londoner St. James’s Palace eine Erklärung, in der als eines der wichtigsten Ziele nach dem Krieg die Verfolgung und Bestrafung von Kriegsverbrechern aufgeführt wurde.1 Im Oktober 1942 verständigten sich Großbritannien und die USA unter dem Eindruck der „Erklärung von St. James“ über die Bildung einer Kommission zur Ahndung von Kriegsverbrechen. Die United Na­tions War Crimes Commission (UNWCC ) bestand aus Vertretern von 17 Na­tionen und nahm ihre Aufgaben ein Jahr ­später in Angriff. Griechenland wurde dabei von Constantin Stavropoulos vertreten, dem damaligen Vorsitzenden des griechischen Marinegerichts in London. Im November 1946 wurde er abgelöst von Alexandros Dimitsas, ebenfalls Jurist und ehemals Richter am ­ eweismittel Obersten Verwaltungsgerichtshof Griechenlands.2 Die UNWCC erhob B 1 The Declara­tion of St. James’s Palace, History of the United Na­tions, http://www.un.org/ aboutun/charter/history (letzter Zugriff: 23. 07. 2015). Zum Beschluss siehe „Text of Resolu­ tion on German War Crimes Signed by Representatives of Nine Occupied Countries“, Inter-­ Allied Review, 15. Februar 1942. 2 TNA , FO 371/57657, U 8014 – Greek Representative on War Crime Commission (11. – 28. 11. 1946), vgl. Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 480.

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über mutmaß­liche Kriegsverbrecher, erstellte Listen und verwertete konkrete Hinweise. Vertreter der Kommission bahnten auch die Absprachen ­zwischen politischen und Justiz­organen bei der Verhaftung und Bestrafung der Täter an.3 Ende Oktober 1943, ca. einen Monat nach Beginn der UNWWC -Aktivitäten, wurde in Moskau die Viermächte-­Erklärung unterzeichnet (Declara­tion of the Four Na­tions on General Security, auch als Moskauer Deklara­tion bezeichnet). Die USA , Großbritannien, die Sowjetunion und China gaben darin in Einklang mit den Londoner Abmachungen ihre Absicht kund, den Krieg gegen die Achsenmächte fortzusetzen und weltweit Frieden und Sicherheit wiederherzustellen. Im vierten, von Roosevelt, Churchill und Stalin unterzeichneten Teil der Deklara­tion wurde ausdrück­lich darauf verwiesen, wie dring­lich die Bestrafung der deutschen Kriegsverbrecher sei. Geplant war, die Betreffenden nach Kriegsende an dasjenige Land zu überstellen, in dem sie die Verbrechen verübt hatten, wo nach jeweils geltendem Recht gegen sie vorgegangen würde. Führende NS-Chargen, deren Verbrechen man als länderübergreifend einstufte, sollten in einem öffent­lichen Prozess zur Verantwortung gezogen werden, der auf der Basis einer Zusatzvereinbarung der Alliierten anberaumt würde.4 Bei den Konferenzen in Teheran (Herbst 1944) und Jalta (Februar 1945) sowie kurz nach der deutschen Kapitula­tion auch in Potsdam beratschlagten die „Großen Drei“ darüber, wie man gemeinsam bei der Ahndung von NS -Verbrechen weiter vorgehen solle. Durch die Arbeit der UNWCC in Verbindung mit der Moskauer Deklara­tion war der Boden für die Schaffung des Interna­tionalen Gerichtshofs bereitet; er wurde dann in Zusammenhang mit dem am 8. August 1945 unterzeichneten Londoner Statut (Agreement for the Prosecu­tion and Punishment of the Major War Criminals of the European Axis) eingerichtet, zunächst mit den Unterschriften Großbritanniens, der USA , Frankreichs und der Sowjetunion. In der Folge wurde das Statut am 10. September 1945 auch von den Delegierten weiterer Staaten einschließ­lich Griechenlands ratifiziert. Integralen Bestandteil des Statuts bildete die Charta des Interna­tionalen Militärgerichtshofs (Charter of the Interna­tional Military Tribu­nal), deren 30 Artikel Zusammensetzung, Zuständigkeiten und Aufgaben des Militärtribunals festlegten.5

3 Zu Griechenland vgl. z. B. TNA, FO 371/57656 – Dimitsas to Sir Robert Craigie, UK Representative, UNWCC (28. 1. 1947). 4 Als betroffen und geschädigt wurden Griechenland (Festland und Inseln) genannt sowie Kreta und die Opfer der Vergeltungsak­tionen. Vgl. The Moscow Conference – Joint Four-­Na­tion Declara­tion (October 1943), Avalon Project at Yale Law School on The Laws of War, http:// avalon.law.yale.edu/20th_century/hague04.asp (letzter Zugriff: 25. 06. 2015). 5 Das Statut wurde s­ päter von ingesamt 19 Staaten ratifiziert: Australien, Belgien, Tschechoslo­ wakei, Dänemark, Äthiopien, Haiti, Honduras, Indien, Jugoslawien, Luxemburg, Holland, Norwegen, Neuseeland, Polen, Panama, Paraguay, Griechenland, Uruguay und Venezuela. Siehe

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Die erste Verhandlung vor d­ iesem Militärgerichtshof fand am 20. November 1945 in Nürnberg gegen 24 angeklagte deutsche Kriegsverbrecher statt. Den Angeklagten wurde neben einer selbst gewählten Verteidigung auch das Recht zuerkannt, den Prozessverlauf in ihrer Muttersprache zu verfolgen. Auf der Anklagebank saß u. a. General­ oberst Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtsführungsstabs im OKW , der während des Kriegs maßgeb­lich mit der Ausarbeitung von Angriffsplänen gegen die Tschechoslowakei, Norwegen, Griechenland und Jugoslawien befasst gewesen war. Jodl wurde in allen Anklagepunkten wegen Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit für schuldig befunden.6 Dass die Verteidigung mit dem Verweis darauf argumentierte, er habe ledig­lich Hitlers Befehle ausgeführt, ersparte ihm nicht die Todesstrafe.7 Dem Prozess gegen die Hauptangeklagten folgten zwölf Nachfolgeprozesse, angefangen beim sogenannten Ärzteprozess bis hin zum Prozess gegen die Generäle des OKW sowie sonstige im erweiterten NS-Staatsapparat tätige hohe Funk­tionsträger.8 Vom 8. Juli 1947 bis 19. Februar 1948 fand der 7. Nürnberger Nachfolgeprozess gegen Wilhelm List und weitere Generäle statt, die während des Kriegs vor allem in Griechenland, Jugoslawien und Albanien gedient hatten.9 Dabei wurden insgesamt zwölf ranghohe deutsche Wehrmachtsoffiziere wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Balkanfeldzugs verurteilt, hauptsäch­lich für sogenannte Sühnemaßnahmen und Geiselerschießungen. Wie die anderen elf Nürnberger

6

7 8 9

die vollständige (eng­lische) Version des Statuts Avalon Project at Yale Law School on The Laws of War, http://avalon.law.yale.edu/imt/imtconst.asp (letzter Zugriff: 07. 06. 2015). Abgesehen von der Mitverantwortung für und der Teilnahme am Angriffskrieg wurde Jodl auch für schuldig befunden, den Befehl zur Vernichtung norwe­gischer Dörfer und zur unverzüg­ lichen Erschießung von Politkommissaren der Roten Armee erteilt zu haben (Kommissarbefehl). Bereits während des Prozesses wurden Einwände gegen das Urteil über Jodl laut, teilweise auch aus den Reihen alliierter Justizvertreter (Henri Donnedieu de Vabres). Nach seinem Tod wurde Alfred Jodl ab 1953 schrittweise von einer Spruchkammer rehabilitiert; deren Urteil wurde in der Folge jedoch aufgehoben. Die Nürnberger Urteile hat man, wenn neue, hauptsäch­lich Verbrechen gegen den Frieden betreffende Fakten ans Licht kamen, im Nachhinein öfter als eine Zurschaustellung von „Siegerjustiz“ kritisiert. Vgl. z. B. „Judgement: Jodl“, Avalon Project at Yale Law School on The Laws of War, http://avalon.law. yale.edu/imt/judjodl.asp (letzter Zugriff: 26. 06. 2015); Michael Biddiss: Victors’ Justice: The Nuremberg Tribunal, History Today 45 (1995), S. 40 – 4 6. Mehr zu Jodl und seiner Verteidigung siehe z. B. in: Eugene Davidson: The Trial of the Germans; an Account of the Twenty-­Two Defendants Before the Interna­tional Military Tribunal at Nuremburg, New York: Macmillan, 1966, S. 352 – 357 und S. 362 f. Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse, München: C. H. Beck, 2006, S. 59 – 99. Case No. 47: The Hostages Trial, Trial of Wilhelm List and Others, United Na­tions War Crimes Commission: Law Reports of Trials of War Criminals. Vol. VIII (1949), Library of Congress, http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/Law-­Reports_Vol-8.pdf (letzter Zugriff: 18. 07. 2015).

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Nachfolgeprozesse stand auch d­ ieses Verfahren unter US-amerikanischer Gerichtsaufsicht. Vorsitzender Richter war Charles F. Wennerstrum, Mitglied des Obersten Gerichts in Iowa. Hauptankläger waren Theodore Fenstermacher und Telford Taylor. Letzterer hatte bereits an der Abfassung des Londoner Statuts mitgewirkt.10 Nur zwei der Angeklagten, General Hermann Foertsch und Generalmajor Kurt Ritter von Geitner, Generalstabschef in Serbien und Griechenland, wurden von den Anklagepunkten freigesprochen. Acht Angeklagte erhielten langjährige Haftstrafen, in der Hauptsache aus Gründen, die mit unrechtmäßigen Tötungen von Zivilisten zu tun hatten. Ernst Dehner, General der Infanterie, erhielt sieben Jahre, der General der Infanterie Ernst von Leyser zehn Jahre und Generaloberst Lothar Rendulic 20 Jahre. Sämt­lich waren sie während des Kriegs als Befehlshaber der 2. Panzerarmee in Jugoslawien eingesetzt. General Hubert Lanz, zuletzt Befehlshaber des XXII . Gebirgs-­ Armeekorps, wurde zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt; dieselbe Strafe erhielt auch der General des Feldjäger-­Kommandos III Wilhelm Speidel, Militärbefehlshaber in Griechenland von 1942 – 1944. Zu lebenslangen Haftstrafen verurteilte man Generalfeldmarschall W ­ ilhelm List, Oberbefehlshaber der 12. Armee und Wehrmachtsbefehlshaber Südost bis 15. Oktober 1941, sowie General Walter Kuntze, Nachfolger Lists ab Oktober 1941. Das Strafverfahren gegen Generalfeldmarschall Maximilian von Weichs, Oberbefehls­haber der 2. Armee während des Balkanfeldzugs, wurde wegen schwerer gesundheit­licher Probleme des Angeklagten eingestellt. Ein weiterer Angeklagter, General Franz Böhme, beging im Mai 1947 kurz vor den Urteilsverkündigungen Selbstmord im Gefängnis.11 General Hellmuth Felmy war wegen Beteiligung an unrechtmäßigen Geiselerschie­ ßungen und Vergeltungsmaßnahmen angeklagt, zu denen es während seiner Zeit als Befehlshaber Südgriechenland u. a. in den Gemeinden Kalavryta, Klissoura und Distomo gekommen war. Felmy argumentierte zu seiner Verteidigung damit, dass er zu „Sühnemaßnahmen“ gegriffen habe, als alle anderen Methoden, die griechische Widerstandsbewegung zu bekämpfen, versagt hätten. Schließ­lich wurde er für die Beteiligung an der massenhaften Tötung von Zivilbevölkerung zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.12 Im Zusammenhang mit Vergeltungsak­tionen verlangte das Nürnberger Gericht auch

10 Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 460 – 473. Später bezeichnete Taylor die Strafen in ­diesem Prozess als übertrieben milde. Siehe Martin Zöllner; Kazimierz Leszcynski (Hg.): Fall 7. Das Urteil im Geiselmordprozess, gefällt am 19. Februar 1948 vom Militär­gerichtshof V der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin: VEB Dt. Verl. d. Wissenschaften, 1965, S. 16 f. 11 Case No. 47: The Hostages Trial, Trial of Wilhelm List and Others, United Na­tions War Crimes Commission: Law Reports of Trials of War Criminals. Vol. VIII (1949), Library of Congress, http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/Law-­Reports_Vol-8.pdf (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). 12 Ebd.

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die Auslieferung des für seine Greueltaten bekannten Generals Karl von Le Suire, Kommandeur der 117. Gebirgsjägerdivision. Le Suire hatte im Sommer 1944 Griechenland in Richtung Ostfront verlassen, wo er in sowjetische Gefangenschaft geriet. Da M ­ oskau eine Auslieferung ablehnte und der General schließ­lich am 18. Juni 1945 in einem sowje­tischen Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad starb, konnte er vor Gericht nicht zur Rechenschaft gezogen werden.13 Noch ein weiterer Name tauchte auf der Nürnberger Angeklagtenliste auf: Walter Blume, ein SS-Standartenführer, der mit weiteren 23 Offizieren der sogenannten Einsatzgruppen im 9. Nürnberger Nachfolgeprozess Rechenschaft ablegen musste. Gegenstand ­dieses ­zwischen September 1947 und April 1948 stattfindenden Verfahrens waren die Verbrechen an der Ostfront. Von der Sowjetunion hatte man Blume an Griechenland überstellt, wo er nach der italienischen Kapitula­tion maßgeb­lich an der Vernichtung der griechischen Juden in der ehemaligen italienischen Besatzungszone beteiligt gewesen war. Er wurde in allen Punkten für schuldig befunden und zum Tode verurteilt, doch die Anklageschrift erwähnte seine Taten in Griechenland nur am Rande.14 Nach Abschluss der Nürnberger Prozesse und dem Beginn des Kalten Kriegs stellten die Alliierten zunehmend Überlegungen an, Deutschland militärisch am west­lichen Verteidigungsbündnis zu beteiligen und den potentiellen Bündnispartner wiederzubewaffnen; damit trat die Thematik der Bestrafung von NS -Kriegsverbrechern für die Vereinigten Staaten in den Hintergrund. So gab man allmäh­lich deren Verfolgung auf.15 Auch wurde die Arbeit der UNWCC im Frühjahr 1948 endgültig eingestellt. Die Organisa­tion hinterließ Kriegsverbrecherlisten mit 36.000 Namen, 90 Prozent davon betrafen Bürger des ehemaligen „Reichs“;16 von Griechenland waren 1122 Personen benannt worden.17 1951 erließ US -Hochkommissar John McCloy eine Amnestie für die in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher; sie galt auch für die Täter aus dem 7. Nachfolgeprozess. Die Strafen wurden reduziert und alle Inhaftierten spätestens 1953 begnadigt. Im Januar 1951 setzte man Felmys Strafe auf zehn Jahre herab, aber noch im selben Jahr wurde er freigelassen.18 80-jährig starb er am 26. Mai 1970 in der ­Bundesrepublik

13 Dressen, Deutsche Sühnemaßnahmen und Vergeltungsak­tionen, 2001, S. 361. 14 Case No. 9: The „Einsatzgruppen Case“, United States against Otto Ohlendorf et al., United Na­tions War Crimes Commission: Law Reports of Trials of War Criminals. Vol. IV (1948), S. 529 – 532, Library of Congress, http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/NT_war-­ criminals_Vol-­I V.pdf (letzter Zugriff: 26. 07. 2015). 15 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 484. 16 Norbert Frei: Nach der Tat. Die Ahndung deutscher Kriegs- und NS-Verbrechen in Europa – eine Bilanz, in: Frei (Hg.), Transna­tionale Vergangenheitspolitik, 2006, S. 11 f. 17 TNA, FO 371/72351 – Chancery of British Ambassy, Athens to the Department (16. 6. 1948). 18 Zöller u. a., Fall 7. Das Urteil im Geiselmordprozess, 1965, S. 161.

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Deutschland. Auch Blumes Strafe fuhr man auf 25 Jahre zurück; vier Jahre ­später wurde er entlassen und lebte anschließend in seiner Geburtsstadt Dortmund, wo er 1974 im Alter von 68 Jahren verstarb. Die Entscheidungen des interna­tionalen Militärtribunals von Nürnberg besaßen für die Verurteilten Rechtskraft, zumal eine Revision durch deutsche Gerichte nicht mög­lich war. Daher war in Fällen, bei denen die Namen der Verurteilten s­ päter im Zusammenhang mit neuen Verfahren oder Untersuchungen zu anderweitigen Straffällen auftauchten, eine Verfolgung faktisch nicht mög­lich.19 Auch Wisliceny, gegen Kriegsende von amerikanischen Einheiten als Kriegs­ gefangener verhaftet, stand im Januar 1946 vor den Nürnberger Richtern. Kurz darauf verlangten die tschechoslowakischen Behörden seine Auslieferung, die im Juni 1947 erfolgte. In Bratislava machte man ihm den Prozess. Am 28. Februar 1948 wurde er vom Kriegsgericht Bratislava für schuldig befunden, die Vernichtung von fast 60.000 slowakischen Juden eingeleitet und durchgeführt zu haben. Dieter Wisliceny wurde zum Tode verurteilt und am 4. Mai 1948 hingerichtet.20 Von den Briten nach Jugoslawien überstellt wurde Alexander Löhr, Oberbefehlshaber Südost. Der Belgrader Militär­ gerichtshof erließ einen Schuldspruch und verurteilte ihn zum Tode. Am 16. Februar 1947 wurde die Strafe vollstreckt.21 Jürgen Stroop, verantwort­lich für die Zerschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto und die Durchführung der zweiten Phase der Judenvernichtung in Griechenland, wurde von den Amerikanern an Polen ausgeliefert, dort von einem Gericht ebenfalls zum Tode verurteilt und am 6. März 1952 hingerichtet.22 Walter Schimana, der letzte HSSPF (Höherer SS- und Polizei-­Führer) in Griechenland, beging 1948 Selbstmord in Salzburger Untersuchungshaft, wohl um seiner voraussicht­lichen Auslieferung an Athen zu entgehen.23 Dagegen stand Alois Brunner, ein weiterer Haupttäter des Holocaust, der neben Wisliceny die Vernichtung der Thessaloniker Juden zu verantworten hatte, für seine Taten nie Rede und Antwort. Nach den Deporta­tionen aus Thessaloniki ernannte man ihn zum Kommandeur des Sammellagers Drancy in Frankreich. Von dort aus wurden 19 Reinhard Henkys (Hg.): Die na­tionalsozia­listischen Gewaltverbrechen: Geschichte und Gericht, Stuttgart: Kreuz, 1965, S. 200 f. 20 Katarína Hradská: Prípad Dieter Wisliceny: Nacistickí poradcovia a židovská otázka na Slovensku (Dieter Wisliceny: Die NS-Berater und die Judenfrage in der Slowakei), Bratislava: AEP, 1999, S. 81 f. 21 Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiss: Die 1. Gebirgs-­Division Im Zweiten Weltkrieg, Berlin: Christoph Links, 2008, S. 667. 22 Hagen Fleischer: Schuld ohne Sühne: Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Wolfram Wette; Gerd R. Ueberschär (Hg.): Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaft­liche Buchgesellschaft, 2001, S. 213 f. 23 Mazower, Inside Hitler’s Greece, 2001, S. 374. Vgl. Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 485 (Anm. 48).

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unter seinem Kommando 22 Todestransporte durchgeführt, von denen u. a. etwa ein Drittel der franzö­sischen Juden betroffen war. Frankreich gab nach dem Krieg einen Haftbefehl gegen ihn heraus und verurteilte ihn 1954 in Abwesenheit zum Tode. Der Österreicher Brunner flüchtete nach Kriegsende ins Ausland. Für Deutschland war aufgrund der damals geltenden Rechtsbestimmungen ein Strafprozess gegen flüchtige Angeklagte in Abwesenheit nicht mög­lich.24 Erst 1961 erließ das Amtsgericht Frankfurt einen Haftbefehl gegen Brunner, der seitdem besteht. Auch in Österreich ist ein Strafbefehl gegen Brunner anhängig. In den 1980er Jahren stellte sich heraus, dass Brunner in Syrien untergekommen war, sodass die Bundesregierung im Dezember 1984 Damaskus um eine Auslieferung Brunners ersuchte. Diese ist bis jetzt nicht erfolgt und wird wohl aus biolo­gischen Gründen auch nicht mehr mög­lich sein.25 In Griechenland wurde Brunner weder der Prozess gemacht noch hat man je seine Auslieferung beantragt. Diese Haltung ist auf das Gesetz zu „Abänderungen der die Kriegsverbrecher betreffenden Gesetzgebung“ 26 zurückzuführen, das sämt­lichen Rechtsverfahren gegen deutsche Kriegsverbrecher mit ihrer Überantwortung an deutsche Justizbehörden in Griechenland selbst ein Ende setzte.27

3.2 Strafverfolgung von Kriegsverbrechern in Griechenland Unmittelbar nach Kriegsende erwartete die griechische Öffent­lichkeit, dass man gegen die Kriegsverbrecher nunmehr ein Rechtsverfahren einleiten würde. Das von Griechenland als Klageschrift gegen deutsche Hauptkriegsverbrecher unterbreitete Memorandum wurde vom britischen Außenministerium als „recht gut“ bezeichnet, „da es ausführ­lich sowohl den deutschen Angriff auf Griechenland als auch die dort begangenen Greuel­ taten darstellt“.28 Das Kriegsverbrecherbüro unter der Leitung von Andreas Tousis, Generalstaatsanwalt beim Obersten Verwaltungsgericht Griechenlands, begann sofort 24 Siehe die Strafprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Vereinheit­ lichungsgesetz vom 12. 9. 1950, BGBl. I, 1950, S. 455. 25 Mary Felstiner: Alois Brunner: „Eichmann’s Best Tool“, Simon Wiesenthal Center: Museum of Tolerance: Multimedia Learning Center, http://motlc.wiesenthal.com/site/pp.asp?c= gvKVLcMVIuG&b=700829 (letzter Zugriff: 15. 07. 2015). 26 Gesetz 4016/1959 (3. 11. 1959) – Περί τροποποιήσεων της περί εγκληματιών πολέμου νομοθεσίας (Zu Abänderungen der die Kriegsverbrecher betreffenden Gesetzgebung), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 237/1959. 27 Paul Isaac Hagouel: History of the Jews of Thessaloniki and the Holocaust, Holocaust and Genocide Educa­tion Center, West Chester University, http://www.wcupa.edu/_academics/ holocaust/Salonika.pdf (letzter Zugriff: 15. 07. 2015). Siehe auch Kouzinopoulos, Υπόθεση Αλόις Μπρούνερ (Der Fall Alois Brunner), 2005, S. 113. 28 TNA, FO 371/51075 – War Crimes Commited Against Greece (6. 2. 1946).

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nach seiner Gründung 1945, Informa­tionen und Beweismaterial gegen mutmaß­liche Kriegsverbrecher wegen strafbarer Handlungen zu sammeln. Dieses Material wurde in drei Kategorien klassifiziert: Zur ersten – der schwerwiegendsten aus der Sicht der Anklage – gehörten die Fälle von Erschießungen griechischer Zivilbevölkerung. Die zweite Kategorie betraf Körperverletzungen, Brandstiftungen, Vermögenskonfiszierungen und Beteiligung an Wirtschaftsverbrechen, die dritte Tatbestände ehemaliger Angestellter und Handelsvertreter des „Dritten Reichs“ in Griechenland, die in Verbindung mit nicht gesetzeskonformer Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben verübt worden waren.29 In ­diesem Zusammenhang stellte man von 1945 bis 1948 Belege und Indizien zur Verübung von Kriegsverbrechen in Griechenland zusammen und brachte anschließend Beschuldigungen gegen 1881 Angehörige der deutschen, italienischen und bulgarischen Besatzungstruppen vor (911 Deutsche, 361 Italiener und 609 Bulgaren). Die Namen von mehr als der Hälfte der Deutschen, deren Auslieferung Griechenland verlangte, standen auch auf den UNWCC-Listen. Nach Beendigung der UNWCC-Aktivitäten überstellte man Griechenland zwecks Strafverfolgung ledig­lich zehn Deutsche, jedoch keinen einzigen Italiener oder Bulgaren. 18 Bulgaren und zehn Italiener wurden auf griechischem Territorium festgenommen. Tousis zufolge war trotz der vielen in Griechenland verübten Kriegsverbrechen die Zahl der aus den jeweiligen Zufluchtsstaaten überstellten Kriegsverbrecher im Vergleich zu anderen Ländern verschwindend gering. So erklärte die britische Botschaft in Athen, dass sie eine Beschwerde der griechischen Regierung über die Unfähigkeit des britischen Hochkommissariats in Deutschland, die als Kriegsverbrecher gesuchten Personen ausfindig zu machen, für vollkommen gerechtfertigt halte.30 Doch auch in Griechenland verzögerten sich die Erhebung von Beweismaterial und die Zusammenstellung von Zeugenaussagen sowie deren Übersetzung, da weder kompetentes Personal noch der erforder­liche Etat zur Verfügung standen.31 Von 1945 bis 1959 verhaftete man innerhalb des Landes insgesamt 18 deutsche Staatsbürger wegen Kriegsverbrechen und eröffnete ein Verfahren gegen sie; sechs von ihnen wurden bald freigesprochen, in weiteren vier Fällen kam es nicht einmal zur Hauptverhandlung.32 Abgesehen von vier Fällen fanden sämt­liche Prozesse während des Bürgerkriegs statt. Gut zwei Jahre nach dessen Ende saßen im Herbst 1951 nur noch drei deutsche 29 PA AA, B 10/2098 – Übergabe griechischer Kriegsverbrecherverfahren in deutsche Justizhohheit (27. 8. 1952). 30 TNA, FO 371/72351 – Chancery of British Embassy, Athens to the Department (16. 6. 1948). Dressen, Deutsche Sühnemaßnahmen und Vergeltungsak­tionen, 2001, S. 31 – 41. Vgl. ­Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 144. 31 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 482. 32 Ebd., S. 534 f.

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Staatsangehörige wegen Kriegsverbrechen in griechischer Haft, eine wesent­lich niedri­ gere Zahl im Vergleich zu den ehemals besetzten Ländern Westeuropas. Doch auch diese drei wurden ­später freigelassen.33 Ab Beginn der 1950er Jahre fungierte die Ahndung von Kriegsverbrechen als Verhandlungsgegenstand ­zwischen griechischer und deutscher Seite zur Erreichung anderer Ziele. Besonders deut­lich trat dies bei Gesprächen über die griechisch-­deutsche Wirtschaftskoopera­tion hervor. In ­diesem Zusammenhang kam im Herbst 1950 der stellvertretende griechische Premierminister Georgios Papandreou nach Bonn. Dabei wurde auch über die Wiederaufnahme von Tabakexporten in die Bundesrepublik verhandelt. Weil Griechenland an diesen Exporten sehr gelegen war, sorgte Athen für Gesetzesnovellen, die erst zur Einstellung von Strafverfolgungen gegen Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft und s­ päter auch gegen andere mutmaß­ liche Kriegsverbrecher führten sowie die Überstellung der entsprechenden Akten nach Deutschland nach sich zogen.34 3.2.1 Erste Phase: Bestrafung

Deutsche Diplomaten und Wehrmachtsangehörige, gegen die bereits während des Bürgerkriegs Ermittlungen eingeleitet worden waren, hatten nicht so viel Glück wie die deutschen Wirtschaftsvertreter: Zwei ranghohe Offiziere – Bruno Bräuer, General der Fallschirmtruppe, und Friedrich-­Wilhelm Müller, General der Infanterie, beide zu Besatzungszeiten Kommandeure der sogenannten Festung Kreta – wurden zusammen mit dem Oberfeldwebel Fritz Schubert zum Tode verurteilt. Ein paar Monate nach Kriegsende waren Bräuer und Müller 1945 als Kriegsgefangene identifiziert und von den Briten an Athen ausgeliefert worden, während man Schubert im Herbst desselben Jahres in Griechenland verhaftet hatte. Zwei Jahre darauf fand die Hauptverhandlung gegen sie statt, sechs Monate ­später wurden alle drei hingerichtet. Der Prozess gegen die beiden Offiziere begann am 31. Oktober 1946; am 9. Dezember 1946 verkündete ein Athener Sondergericht das Todesurteil gegen Bräuer und Müller wegen Kriegsverbrechen und Beteiligung an Vergeltungsak­tionen auf Kreta. Müllers Brutalität während der Besatzung war sprichwört­lich, der Fall Bräuer dagegen weniger eindeutig. Geltend gemachte mildernde Umstände ergaben eine nur knappe Mehrheit 33 Neben Italienern (sieben Personen) belief sich bis 1950 die Zahl deutscher Staatsbürger, gegen die in Westeuropa ein Klageverfahren wegen Kriegsverbrechen in Gang gesetzt bzw. ein Urteil schon gefällt worden war, bereits auf mehrere Hundert. Allein in Holland waren es über 100, in Frankreich fast 600. Siehe PA AA, B 10/2087 – Aufzeichnung über den Stand der Kriegsverbrechen (1. 7. 1951). 34 Zu den Tabakexporten der Vorkriegszeit nach Deutschland vgl. Pelt, Tobacco, Arms and Politics, 1998.

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von 3:2 für das Todesurteil. Dieses Resultat ebnete den Weg für eine könig­liche Begna­ digung, doch König Paul, gerade zurück in Griechenland, lehnte das Gesuch ab.35 Die Hinrichtung der Todeskandidaten, über die in der griechischen Presse ausführ­lich berichtet wurde, fand am 20. Mai 1947 statt, dem Jahrestag des Beginns der deutschen Luftlandeopera­tion auf Kreta.36 Ein deutscher Verteidiger wurde ihnen versagt, sodass die Pflichtverteidigung vom deutschsprachigen Athener Anwalt Athanasios ­Krystallis ausgeübt wurde. Krystallis übernahm in der Folge auch weitere Fälle angeklagter deutscher Kriegsverbrecher, wofür er eigenen Äußerungen sowie einem Bericht der Athener deutschen Botschaft zufolge von der griechischen Öffent­lichkeit mora­lisch geächtet wurde.37 Den Akten von Krystallis ist zu entnehmen, dass die Klageschrift gegen Bräuer und Müller sich auf ungefähr 100 belastende Zeugenaussagen stützte. Unter den damals herrschenden Bedingungen fanden sich so gut wie keine Entlastungszeugen, vor allem nicht unter Griechen. Daher beschränkte sich Krystallis auf ausländische Repräsentanten, u. a. den Vorsitzenden des schwedischen Roten Kreuzes Bengt Helger, auf deutsche Wehrmachtsangehörige und einige wenige Zeugen griechischer Na­tionalität, die aus griechischen Haftanstalten zur Vernehmung hergebracht werden mussten. Auch verhandelte Krystallis erfolgreich mit dem Justizministerium über einen Aufschub der Hinrichtungen, ohne jedoch die Umwandlung der gericht­lich auferlegten Strafe zu erreichen.38 Die beiden Verurteilten schätzten Krystallis Arbeit und brachten zum Ausdruck, dass kein deutscher Anwalt sie besser hätte vertreten können.39 Auch weitere verurteilte Deutsche rechneten Krystallis seine humane Vorgehensweise und freundschaft­liche Unterstützung hoch an. Kurz vor der Hinrichtung äußerte sich Bruno Bräuer betont emo­tional zum Prozess und zur Zukunft der deutsch-­griechischen Beziehungen: „Es geht doch wirk­lich nicht nur um Leben und Tod von zwei deutschen Generälen. Unser Leben ist völlig unwichtig, wichtig allein ist die Zukunft unserer Völker. Und eines Tages muß auch in den Beziehungen Griechenlands zu Deutschland wieder eine Änderung eintreten und ein Weg zur alten tradi­tionellen Freundschaft gefunden werden. […] Mit den Gedanken des Hasses, der Rache und der Vergeltung baut man keine neue Welt auf. […] Und warum soll nicht gerade Griechenland den Funken unterstützen, der zur Selbstbestimmung und zur Umkehr auf dem Wege fortschreitender Zerstörung das Licht und die Erleuchtung über die Menschheit bringt, wie das ja schon einmal der 35 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 485. 36 Polyxeni Vagia; Alexios Menexiadis: Οι δίκες των εγκληματιών πολέμου στα ελληνικά στρατοδικεία μέσα από τον Τύπο της εποχής (Die Kriegsverbrecherprozesse griechischer Militär­ gerichte in der zeitgenös­sischen Presse), Semesterarbeit, Universität Athen, 1993. 37 PA AA, B 10/2197 – Verfahren gegen den ehem. General d. Artillerie Andrae (17. 1. 1951). 38 PA AA, B 10/2197 – Krystallis an Knoke (15. 5. 1951). 39 PA AA, B 10/2197 – Müller an Krystallis (12. 12. 1946).

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Fall war?“ 40 Damals konnte der Luftwaffengeneral weder ahnen, wie rasch und unter ­welchen Umständen die Annäherung z­ wischen beiden Ländern wieder vonstatten gehen sollte, noch sich vorstellen, welch entscheidende Rolle die Gerichtsverfahren gegen seine Kameraden dabei spielen würden. Fritz Schubert wurde separat der Prozess gemacht. Man hielt ihm vor, an der sadistischen Ermordung von Zivilbevölkerung bei Vergeltungsak­tionen auf Kreta und am Massaker in der Gemeinde Chortiatis beteiligt gewesen zu sein, wo im September 1944, also gegen Ende der Besatzung, 149 Menschen – meist Frauen und Kinder – ihr Leben lassen mussten. Auch der Fall Schubert endete mit einem Todesurteil, das am 22. Oktober 1947 im Gefängnis Heptapyrgion in Thessaloniki in Anwesenheit der überlebenden Opferangehörigen von Chortiatis vollstreckt wurde.41 Typisch für die damalige Stimmung war ein Artikel in der Athener Tageszeitung Akropolis, der nicht nur Schuberts Taten, sondern insgesamt die Form der Kriegsführung seitens des NS-­ Regimes angeprangerte.42 In einem weiteren, ebenfalls Kreta betreffenden Verfahren wurde am 22. Dezember 1947 vor einem Athener Sondergericht Alexander Andrae, General der Artillerie und von 1941 bis 1942 Festungskommandant auf Kreta, zu einer lebensläng­lichen Zuchthausstrafe verurteilt. Andrae war kurz vor seiner Auslieferung an Griechenland von der obersten Justizinstanz der britischen Streitkräfte ( Judge Advocate General, JAG) einem Verhör unterzogen worden; dabei ging es um seine Beteiligung an der Folterung von Briten, die bei Ak­tionen auf griechischem Boden in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Die zuständige Abteilung des britischen Verteidigungsministeriums hielt jedoch seine Verbrechen gegen das griechische Volk für sehr viel schwerwiegender und lieferte Andrae daher an Athen aus.43 Im selben Jahr war es noch vor dem Prozess gegen Andrae zu weiteren drei Hauptverfahren gegen deutsche Staatsangehörige gekommen, denen man Kriegsverbrechen anlastete: Walter Deter, Eugen Fischer und Helmut Scheffel. Deter, während der Besatzung Major des Wehrwirtschaftsstabs und Treuhänder von 16 griechischen Unternehmen, wurde als erster Deutscher von der griechischen Gerichtsbarkeit wegen Wirtschaftsverbrechen verurteilt. Sein Prozess begann zwei Tage nach dem Schuldspruch

4 0 PA AA, B 10/2197 – Bräuer an Kristallis (sic) (20. 12. 1946). 41 Dordanas, Αντίποινα των Γερμανικών Αρχών Κατοχής (Vergeltungsak­tionen der deutschen Besatzungsmacht), 2007, S. 712 und S. 773. Vgl. auch Eberhard Rondholz: „Jagdkommando Schubert“, NRhZ-Online – Neue Rheinische Zeitung, Online-­Flyer Nr. 63, 26. 09. 2006, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10184 (letzter Zugriff: 15. 07. 2015). 42 Akropolis, 6. August 1947. 43 Siehe TNA, FO 371/57656 – General der Flieger Waldemar ANDRAE (5. 10. 1946). An verschiedenen Stellen ­dieses Dokuments ist sowohl der militärische Rang als auch der Name Andraes falsch wiedergegeben.

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gegen Schubert. Anklagepunkte waren Erpressung, Betrug und Diebstahl, wofür er Ende August 1947 zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands sowie weiteren vom Gericht bei der Strafmaßfindung als mildernde Umstände gewerteten Tatsachen erwartete man, dass er gleich nach der Urteilsverkündung freigelassen würde. Dies zog sich jedoch bis April 1949 hin.44 Die beiden anderen Angeklagten hatten mehr Glück. Eugen Fischer wurde am 29. August 1947 in allen Anklagepunkten freigesprochen, genau wie zwei Monate ­später Helmut Scheffel. Nur schwer nachvollziehbar ist jedoch die – wenn auch kurzfristige – Untersuchungshaft Scheffels, ehemals Konsul in Volos, wenn man dessen Hilfsak­tionen für die ört­liche jüdische Bevölkerung während des Kriegs berücksichtigt.45 Anklage war auch gegen Arthur Seitz erhoben worden, während des Kriegs im deutschen diplomatischen Dienst tätig. Laut Anklageschrift betrieb er von seinem Posten als Konsulatssekretär der deutschen Botschaft Athen Spionage gegen Griechenland und wurde dafür zu elf Jahren Haft verurteilt. Nach der Strafverkündung übernahm Krystallis anwaltschaft­lich den Fall und reichte ein Begnadigungsgesuch ein, das zur Freilassung von Seitz im Oktober 1950 führte.46 Später machte sich das AA Seitz Sachkenntnis und Expertise in Sachen Griechenland zunutze, als es darum ging, die deutsch-­griechischen Beziehungen neu aufzustellen.47 Zeitgleich mit Seitz, näm­lich im März 1948, erging das Urteil auf zwei Jahre Gefängnis gegen den Feldwebel Hans Schultz wegen Folter und anderer Gewalttaten. Nach der Verkündung des Schuldspruchs ließ man ihn frei. Mehrmals verhaftet und schließ­ lich ohne Gerichtsentscheid auf eine griechische Exilinsel verbannt wurde der deutsche Staatsbürger Erich Paschkewitz, dem man staatsfeind­liche, dem Kommunismus nahestehende Überzeugungen sowie Wirtschaftsvergehen als Kriegsverbrechen anlastete. Seine Strafverfolgung wurde kurz darauf niedergeschlagen und er selbst 1952 endgültig entlastet.48 Das Strafverfahren gegen Oberleutnant Glembin und Oberfeldwebel Soukup endete ohne Urteilsspruch. Der Obergefreite Alfred Taubert, dem man Mord vorwarf, wurde im November 1948 freigesprochen. Denselben Ausgang hatten zwei

4 4 Hagen Fleischer schätzt die Tätigkeit Deters mehr oder weniger positiv ein, siehe Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 486. 45 Im Herbst 1943 benachrichtigte Scheffel den Metropoliten von Volos, die ört­lichen Juden sollten sich sofort einen Unterschlupf suchen. Siehe Barbara Spengler-­Axiopoulos: „Wenn ihr den Juden helft, kämpft ihr gegen die Besatzer“. Der Untergang der griechischen Juden, in: Wolfgang Benz; Juliane Wetzel (Hg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NSZeit, Berlin: Metropol, 1996, S. 169. 4 6 PA AA, B 10/2197 – Krystallis an Knoke (15. 5. 1951). 47 PA AA, B 10/2197 – Seitz an Adenauer (25. 9. 1950), B 10/2198 – Seitz an Maltzahn (22. 10. 1950), B 10/2197 – Trützschler an Seitz (31. 10. 1950). 48 PA AA, B 10/2197 – Krystallis an Knoke (15. 5. 1951).

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weitere im Mai 1950 eröffnete Prozesse gegen Wilhelm Hartmann, Hans Barge und Alois Kriwan, angeklagt wegen Mordes und weiterer Straftaten während ihrer Dienstzeit auf Kreta. In d­ iesem Fall dauerte die Verhandlung zwei Jahre, und abermals wirkte Krystallis als Strafverteidiger.49 Soukup, Glembin, Hartmann und Kriwan, dessen Familie im April 1946 aus der Tschechoslowakei vertrieben wurde, waren von den Briten aus der Kriegsgefangenschaft in Ägypten an Griechenland ausgeliefert worden.50 Soukup, gegen den in Griechenland kein Beweismaterial gefunden wurde, schickte man zurück nach Ägypten. 51 Herbert Glembin saß im Anschluss an seine Auslieferung nach Griechenland einige Monate unter harten Bedingungen in Untersuchungshaft auf Kreta, bis er identifiziert werden konnte. Erst als er nach Athen verlegt wurde, besserten sich seine Haftbedingungen; auch in seinem Fall übernahm Krystallis die Verteidigung.52 Glembin machte nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Hartmann, Kriwan und Barge Schadensersatz für die Honorierung von K ­ rystallis geltend; nach längeren administrativen Prozeduren gab die Zentrale Rechtsschutzstelle dafür grünes Licht.53 Auch die deutsche Botschaft in Athen verwandte sich für Krystallis. Einerseits bemühte sich das AA nachdrück­lich, die griechische Seite zur Zahlung etwa des Solds in vorgesehener Höhe an ehemalige Kriegsgefangene bzw. ihre Nachkommen zu bewegen, feilschte aber andererseits mit allen Mitteln um den kleinsten Betrag, den es seinerseits zu erbringen hatte.54 Sogar das Argument, Krystallis besitze kein Anrecht auf Honorar für Dienstleistungen bei den Prozessen gegen Bräuer und Müller, da seine Verteidigung erfolglos war, wurde vorgebracht und deshalb eine „Ermäßigung“ verlangt.55

49 PA AA, B 10/2197 – Honorar für Dr. Athanase L. Kristallis (sic) (21. 12. 1950). 50 TNA, FO 371/72351 – Trial of German Prisoners of War captured by British in Greece (31. 3. 1948), FO 371/72351 – Chancery of British Embassy, Athens to the Department (16. 6. 1948), FO 371/72351 – German Prisoners of War handed over to Greek Authorities for Trial (5. 7. 1948). 51 TNA, FO 371/72351 – McNeil to Stokes (2. 7. 1948). 52 TNA, FO 371/72351 – Glembin, Kallithea Prison – Athens, Greece (24. 7. 1948). 53 PA AA, B 10/2197 – Resthonorar des Rechtsanwalts Dr. Krystallis (28. 6. 1951). 54 Gemäß der Genfer Konven­tion vom 27. Juli 1929 sind Staaten verpflichtet, Kriegsgefangenen ein monat­liches Gehalt auszuzahlen, entsprechend dem Wehrsold für Soldaten und Offiziere der eigenen Streitkräfte im jeweiligen Dienstgrad, das von den Betreffenden für Kleidung und Ernährung verwendet werden sollte. Der Kriegsgefangenenstatus galt auch für mutmaß­ liche deutsche Kriegsverbrecher bis zum Zeitpunkt der Anklageerhebung. Siehe PA AA, B 10/2197 – Wehrsold für General a. D. Andrae (23. 5. 1951), B 10/2198 – Auszahlung rückständiger Wehrsoldbeträge an die Witwen der hingerichteten Generäle Breuer und Müller und den Oberleutnant a. D. Glembin (13. 4. 1951). 55 PA AA, B 10/2197 – Verfahren gegen den ehem. General d. Artillerie Andrae (17. 1. 1951).

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Seltsamerweise verkehrte sich im Fall Krystallis die zunächst münd­liche Unterstützung seitens des offiziellen Deutschlands ins Gegenteil. Die Bonner Diplomaten betonten wiederholt seine „empfind­liche und schwierige Persön­lichkeit“ und rieten deutschen Staatsbürgern ab, seine juristischen Dienste in Anspruch zu nehmen.56 Schließ­ lich zahlte man nach einem Zeitraum unersprieß­licher Verschleppungstaktik nicht nur kein Honorar an Krystallis für den geleisteten Rechtsbeistand, sondern entzog ihm auch die Verteidigung in den Fällen Zabel und Andrae. Ersterer war im August 1949 von Frankreich an Griechenland ausgeliefert worden, der Zweite saß nach wie vor in griechischer Untersuchungshaft. Die Verteidigung der beiden Angeklagten wurde dem gleichfalls deutschsprachigen Anwalt Ioannis Matsoukas übertragen.57 3.2.2 Zweite Phase: Begnadigung

Anzumerken ist, dass die letzten, Hartmann, Kriwan und Barge betreffenden Prozesse sowie die anschließende Auslieferung von Seitz in einer Phase intensiver Verhandlungen über den Beginn wirtschaft­licher Zusammenarbeit vor allem zum Tabakexport vonstattengingen. Doch auch nach der Freilassung der Angeklagten legte die deutsche Seite nicht die Bedingungen offen, zu denen sie eine Wiederaufnahme der griechischen Exporte in Aussicht stellte. In den 1950er Jahren saßen in Griechenland nach wie vor nur der zu lebensläng­licher Haft verurteilte General Andrae sowie der Obersturmführer der Waffen-­S S Heinz Zabel ein, der sich vor einem Athener Sondergericht wegen seiner Beteiligung am Distomo-­Massaker verantworten sollte. Zabel beharrte, wie auch sämt­liche bereits erwähnten Personen, auf seiner Unschuld und behauptete, es handele sich in seinem Fall um eine Personenverwechslung.58 Die dem Athener Gericht überlassenen OKW -Akten belegen, dass sich Zabel zum Zeitpunkt des Massakers nicht in Distomo, sondern in Livadia aufgehalten hatte, also 20 km entfernt.59 Auch berichtete die ­Athener deutsche Botschaft nach Bonn, dass sie von Zabels Unschuld „fest 56 PA AA, B 10/2197 – Krystallis an Grundherr (18. 1. 1951), B 10/2197 – Honorarforderungen des Rechtsanwalts Dr. Athanase Krystallis (16. 2. 1951). 57 In den entsprechenden Unterlagen des Ρolitischen Archivs des ΑΑ wird nicht nur Matsoukas langjähriges Studium an der Göttinger Universität erwähnt, sondern auch seine fundierten juristischen Kenntnisse („[…] zählt zwar nicht zu den bekanntesten Rechtsanwälten Athens, gilt aber als absolut integer und korrekt.“). Siehe PA AA, B 10/2197 – Liste griechischer Rechtsanwälte (ohne Datierung). 58 PA AA, B 10/2197 – Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Problem der deutschen Gefangenen in Griechenland (Oktober 1950). Zabels Version unterstützt auch Seitz in einem Schreiben an Adenauer: Die Zeugen hätten Zabel mit Fritz Lautenbach verwechselt, dem im Juli 1944 die Gesamtführung der deutschen Ak­tion gegen Distomo oblag. Siehe Β 10/2197 – Seitz an Adenauer (25. 9. 1950). 59 PA AA, B 11/1027 – Heinz Zabel (31. 7. 1952).

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überzeugt“ sei.60 Sogar der griechische Justizminister Dimitrios Papaspyrou, dessen Wahlkreis die Präfektur Böotien und damit auch die Gemeinde Distomo war, brachte Zweifel über Zabels Schuld zum Ausdruck, zumindest den Berichten der deutschen Botschaft zufolge.61 Für die Freilassung beider Häftlinge setzten sich die Bundesregierung und der deutsche diplomatische Dienst mit dem Hinweis ein, ein derartiger Schritt seitens der griechischen Justiz würde die weitere Entwicklung der deutsch-­griechischen Beziehungen günstig beeinflussen.62 Bei den bilateralen Verhandlungen, zu denen sich Georgios Papandreou Ende Oktober 1950 in Bonn aufhielt, äußerte man auf deutscher Seite erneut guten Willen, gesteigerte Tabakimporte mittels einer entsprechenden Vereinbarung in die Wege zu leiten. Bei dieser Gelegenheit erinnerte Bundeskanzler Konrad Adenauer den griechischen Kabinetts-­Vizevorsitzenden an die ungeklärte Frage der griechischen Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher.63 Inzwischen war auch der griechischen Regierung klar, dass die Thematik der Verfolgung von NS -Verbrechern bei einer künftigen Koopera­tion mit der Bundesrepublik Deutschland wirtschaft­liche Vorteile einbringen könnte; sie favorisierte daher eine inoffizielle Bereinigung. Dem Versuch eines politischen Kompromisses standen auf griechischer Seite das Notgesetz 384/1945 und seine Novellierungen im Wege. Dort waren für die Fälle bereits verurteilter Kriegsverbrecher keine Revision oder sonstige Rechtsmittel vorgesehen, sodass sich beide Seiten gezwungen sahen, andere Lösungen zu finden.64 Dies gelang teilweise im Juni 1951 mit der Verabschiedung des Notgesetzes 1860/1951, dessen Wortlaut von Athen durchgehend wirtschaft­lichen Interessen angepasst wurde.65 Das Gesetz 1860/1951 betraf ledig­lich Wirtschaftsverbrechen und damit in der Hauptsache nur ein paar Spitzenvertreter der Tabakindustrie, z. B. den Österreicher L ­ udwig von Hunter, während des Kriegs für die Athener Dependance von 60 Diese Formulierung betrifft nur die Person Zabels, obschon im selben Bericht auch vom Fall des General Andrae die Rede ist. Siehe PA AA, B 11/335 – Tätigkeit der deutschen Botschaft in Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952). 61 In seinem diesbezüg­lichen Bericht von 1959 erwähnte Gebhard Seelos, deutscher Botschafter in Athen: „Zabel war der einzige Überlebende der SS-Einheit, die für die völlige Zerstörung der griechischen Ortschaft Dystomon und die Hinmetzelung der männ­lichen Bevölkerung ­dieses Ortes verantwort­lich war“, PA AA, B 26/133 – Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (20. 11. 1959). 62 PA AA, B 11/335 – Tätigkeit der deutschen Botschaft in Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952). 63 PA AA, B 10/2197 – Trützschler an Seitz (31. 10. 1950). 6 4 Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 104. 65 Notgesetz 1860/1951 (23. 6. 1951) – Περί συμπληρώσεως διατάξεων της υπ΄αριθ. 73/1945 Συντ. Πράξεως (Über die Ergänzung von Bestimmungen des Verfassungsakts Nr. 73/1945), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 185/1951.

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Austrohellenique Kapnos tätig. Vor allem ging es um die ehemaligen Vertreter der Reemtsma AG , Kurt Wenkel und Walter Hesse. Letzterer wurde nach dem Krieg in den deutschen diplomatischen Dienst übernommen.66 Die Tabakindustrie hatte bereits vorgebracht, dass die Wiederaufnahme des Tabakhandels im Vorkriegsmaßstab nicht mög­lich sei, falls man keine eigenen Vertreter entsenden könne.67 Vizepremier Papandreou erkannte, dass künftige Tabakexporte in hohem Maße von der Wiederherstellung der Beziehungen zu den wichtigsten Partnern dieser Branche abhingen – u. a. auch der Firma Reemtsma –, was ohne die Einstellung der Strafverfolgung von Hesse und Wenkel nicht mög­lich war.68 Auf die Rechtsmittelop­tion für ehemalige Mitarbeiter deutscher Tabakfirmen unmittelbar nach Annahme der betreffenden Notgesetznovelle verwies in einem Schreiben an Kanzler Adenauer Arthur Seitz, Diplomat aus der Phase des „Dritten Reichs“, kurz bevor Papandreou in Bonn eintraf. Seitz legte Adenauer nahe, eine Vereinbarung über Wirtschaftskoopera­tion nur unter der Bedingung zu unterzeichnen, dass Zabel und Andrae aus der Haft entlassen würden. Andraes Verurteilung bezeichnete er als verfassungswidrig, denn sie sei von einem Sondergericht aufgrund von Notgesetzen mit rückwirkender Geltung erfolgt.69 Dieselben Argumente kamen auch von Andrae selbst, der auf der Aufhebung des Urteils gegen ihn bestand.70 Zwar behielt Bonn sich die vorhandenen Mög­lichkeiten vor, die griechischen Justizentscheide anzufechten, entschloss sich letzt­lich aber nicht zu ­diesem Schritt in der Meinung, man könne damit den Zielsetzungen des griechischen Staats womög­lich entgegensteuern. Denn auf eben dieser gesetz­lichen Grundlage von Notgesetzen mit rückwirkender Geltung waren auch viele griechische Kommunisten verurteilt worden, und ihre eventuelle Freilassung im Kontext des Kalten Kriegs wäre für beide west­lichen Bündnispartner alles andere als erwünscht gewesen.71 Im Hinblick auf das Notgesetz 1860/1951 hielt das AA mehrere ehemalige Diplomaten, darunter auch den ehemaligen Reichsbevollmächtigten Günther Altenburg, dazu an, sich die Mög­lichkeit einer Berufung zunutze zu machen. Pauschal legte Athen sämt­ lichen ehemals in Griechenland tätigen Diplomaten des „Dritten Reichs“ die Verübung

66 PA AA, B 10/2197 – Kriegsverbrechen in Griechenland, Notgesetz Nr. 1860/1951 (4. 9. 1951), B 10/2197 – Anklage wegen wirtschaft­licher Kriegsverbrechen in Griechenland gegen Dr. Hess und Wenkel (12. 7. 1952). 67 PA AA, B 10/2198 – Seitz an Maltzahn (22. 10. 1950). 68 PA AA, B 10/2197 – Kriegsverbrechen in Griechenland, Notgesetz Nr. 1860/1951 (4. 9. 1951). 69 PA AA, B 10/2197 – Seitz an Adenauer (25. 9. 1950). Vgl. B 10/2198 – Seitz an Maltzahn (22. 10. 1950). 70 PA AA, B 10/2198 – Ehemaliger General der Artillerie Andrae (10. 2. 1951). 71 PA AA, B 11/1027 – Ausführungen des stellvertretenden Ministerpräsidenten Venizelos über die Befriedigungsmaßnahmen in seiner Rede zum Abschluss der Kammerdebatte (23. 8. 1952).

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von Kriegsverbrechen zur Last.72 Nicht wenige von ihnen lehnten deshalb ab, sich für griechenlandbezogene ­Themen erneut zu engagieren. Altenburg, der nach dem Krieg für die Deutsche Handelskammer tätig war, erklärte, er habe keine derartige Absicht, wolle vielmehr die Zeit für sich arbeiten lassen. Ihm zufolge laufe den von der griechischen Justiz gegen deutsche Diplomaten vorgebrachten Beschuldigungen zuwider, dass keine der betreffenden 22 Personen vor dem Nürnberger Tribunal gestanden habe. Er behauptete sogar, dass „die Griechen mir und den Mitgliedern der Gesandschaft für ihre Tätigkeit nur Dank schulden.“ 73 Zwar zeigte das AA Verständnis für diese Haltung des Abwartens, war indes um „eine generelle, schnelle und mög­lichst geräuschlose Bereinigung der sogenannten Kriegsverbrecherfrage“ 74 bemüht. Dem stand zum einen entgegen, dass Zabel nach wie vor in Athen in Haft saß, zum anderen, dass Andrae auf der Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils wegen Verfassungswidrigkeit beharrte und ablehnte, sein Recht auf Einreichung eines Gnadengesuchs zu n ­ utzen, insofern seine Strafe sowieso nicht rechtsgültig sei.75 Andrae boykottierte nicht nur systematisch die Bemühungen der deutschen und griechischen Regierungsvertreter um seine Freilassung, sondern insistierte darauf, seinen und Zabels Fall in die Öffent­lichkeit zu tragen. Dieses Beharren hätte im Endergebnis das Augenmerk auf die Kriegsverbrecherfrage und damit auch auf die anhängigen Altlasten des Kriegs gelenkt, was zu jenem Zeitpunkt für keine der beiden Regierungen von Vorteil war.76

72 Unter den ersten NS-Diplomaten in Griechenland befanden sich auch einige österreichische Staatsbürger, u. a. z. B. Kurt-­Fritz von Graevenitz, in den 1950er Jahren Stellvertretender Leiter der Kulturabteilung im AA, der ehemalige Kulturattaché in Athen Professor Erich Boehringer, ab 1954 Präsident des Deutschen Archäolo­gischen Instituts in Berlin, Georg Vogel, ­später Ministerialrat im damaligen Bundesministerium für den Marshallplan, sowie Paul Hahn, ebenfalls Ministerialrat im Bundesfinanzministerium. Das AA bezeichnete die gegen sie vorgebrachten Beschuldigungen als gegenstandslos und brachte als Begründung die Übertragung wichtiger Aufgaben in der Bonner Ministerialbürokratie vor, eine Tatsache, die per se belege, wie unbegründet die Bezichtigungen s­ eien. Siehe B 10/2197 – Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen in Griechenland (16. 8. 1951). 73 PA AA, B 10/2197 – Notgesetz Nr. 1860 über die Mög­lichkeit eines Einspruches gegen die Versetzung in den Klagestand wegen Kriegsverbrechen (6. 8. 1951). 74 PA AA, B 10/1027 – Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen in Griechenland (16. 8. 1951). 75 PA AA, B 10/2198 – Ehemaliger General der Artillerie Andrae (10. 2. 1951). 76 Christ und Welt, 30. März 1950, in: PA AA, B 10/2197; Europabrief, 22. 12. 1951. Nach der Freilassung auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. August 1952, in: PA AA, B 10/2198. Siehe auch Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 491 (Anm. 72). Zu Andraes Äußerungen nach der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland, die Kritik über seine Entlassung hervorriefen, siehe PA AA, B 11/335 – Tätigkeit der deutschen Botschaft in Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952).

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Darüber hinaus ließ sich im Fall Andrae recht glaubhaft nachweisen, dass er während des Kriegs nicht nur an Vergeltungsak­tionen beteiligt war, sondern sie in bestimmten Fällen mit seiner Unterschrift sogar angeordnet hatte. Zu seinem Fall hatte Verteidiger Krystallis bereits 1951 vermerkt: „In keinem anderen Land und vor keinem anderen Gericht hätte er sich retten können.“ 77 Aus den Berichten der Athener deutschen Botschaft wird deut­lich – und sogar Konsul Karl Hermann Knoke bemerkte es wört­lich –, dass General Andrae „ein etwas schwieriger Herr“ in Wesensart und Verhalten sei.78 Als Andrae schließ­lich auf Interven­tion von König Paul im Dezember 1951 begnadigt und im Januar 1952 nach Deutschland überstellt wurde, erhoffte Bonn sich auch im letzten Fall (dem von Heinz Zabel) einen ähn­lich erfreu­lichen Ausgang.79 Der Fall Zabel jedoch nahm einen komplizierteren Verlauf; nicht einmal mittels einer erneuten Abänderung des Gesetzes 2058/1952 (April 1952), die ein Gnaden­gesuch bei sämt­lichen Kategorien von Kriegsverbrechen gemäß Verfassungsakt 73/1945 zuließ, konnte seine Überstellung auf den Weg gebracht werden.80 Folg­lich verschob sich auf Betreiben der deutschen Seite auch die Unterzeichnung der bilateralen Vereinbarung zur Wirtschaftshilfe. Die Verhandlungen über Tabakexporte, deren günstigen Ausgang Werner von Grundherr schon im Februar 1951 als „psycholo­gische Voraussetzung für eine erfolgreiche Lösung aller uns am Herzen liegenden Fragen“ 81 bezeichnet hatte, wurden auf Eis gelegt. Auch erfüllte Bonn sein Versprechen nicht, die Tabaksteuer zu reduzieren. Obgleich im Fall Zabel schon im April 1952 ein Gnadengesuch eingereicht wurde, verblieb dieser weiterhin in Untersuchungshaft, ohne dass es bisher zu einer Gerichtsverhandlung gekommen war.82

77 PA AA, B 10/2197 – Krystallis an Knoke (15. 5. 1951). 78 PA AA, B 11/1027 – Knoke an Herrn von Nostitz (28. 4. 1951); weiter auch B 10/2198 – Ehemaliger General der Artillerie Andrae (10. 2. 1951). 79 PA AA, B 10/2198 – Bonn Bo/Rd. Zu Ref. Hoppe (9. 1. 1951), B 11/335 – Tätigkeit der deutschen Botschaft in Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952). Andrae blieb nach der Strafaufhebung bis Januar 1952 in Haft, da er die von ihm geschuldeten Gerichtskosten nicht beg­lichen hatte. Es handelte sich um einen Betrag von 11 Mio. Drachmen, der letzt­lich über die deutsche Botschaft in Athen an die griechische Regierung gezahlt wurde. Erst daraufhin wurde Andrae aus der Haft entlassen. Mehr zu d­ iesem Fall siehe PA AA, B 11/1027 – Rechtsschutzsache General a. D. Alexander Andrae (14. 1. 1952). 80 Gesetz Nr. 2058/1952 (18. 4. 1952) – Περί μέτρων ειρηνεύσεως (Über Befriedungsmaßnahmen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 95/1952. 81 PA AA, B 10/2198 – Ehemaliger General der Artillerie Andrae (10. 2. 1951). 82 PA AA , B 11/1027 – Griechisches Gesetz über Befriedigungsmaßnahmen von 18.4.52 (2. 5. 1952), B 11/335 – Tätigkeit der deutschen Botschaft in Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952).

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Der Prozess gegen Zabel sollte ursprüng­lich am 8. Juni 1951 beginnen.83 Die Wahl eines Datums nur zwei Tage vor der Gedenkfeier für die Opfer des Distomo-­Massakers in Verbindung mit den Anklagepunkten zu Vergeltungsak­tionen stellten diesen Prozess in einen ausgesprochen politischen Kontext. Grundherr wies die Athener Regierung darauf hin, dass eine Verurteilung Zabels Bonn dazu veranlassen könnte, die Tabakverhandlungen vollkommen einzustellen. In Übereinkunft mit dem griechischen Justizministerium entschied man sich schließ­lich für eine Verschiebung des Prozessbeginns. Die hinter den Kulissen getroffenen Absprachen sickerten jedoch durch und gelangten in die Presse, sodass in der griechischen Öffent­lichkeit erneut Feindseligkeiten gegen Deutschland und dessen diplomatische Repräsentanten hochkamen, die sich vor allem gegen Grundherr richteten.84 Daher entschloss man sich beiderseits abzuwarten, bis die Wogen sich wieder geglättet hätten. Sowieso wäre nach dem Eklat durch das Publik­ werden des Themas eine Begnadigung und baldige Freilassung Zabels ein Ding der Unmög­lichkeit gewesen.85 Ende April 1952 weckte Athen in Bonn verfrüht Hoffnungen über eine bevorstehende „endgültige Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage“. Die Bonner griechische Botschaft teilte per Verbalnote mit, dass sämt­liche anhängigen Kriegsverbrecherfälle in Griechenland eingestellt und die betreffenden Akten der Bundesregierung überlassen würden.86 Gleichwohl informierten griechische Regierungsvertreter in der Folge die Athener deutsche Botschaft, dass die Verbalnote zwar mit Geist und Anweisung der griechischen Regierung in Einklang stehe, jedoch den einschlägigen Gesetzesrahmen überschreite.87 Der Inhalt der Verbalnote wurde am 2. Mai 1952 über eine Pressemitteilung der Bundesregierung nach außen getragen, während die griechische Öffent­lichkeit davon erst durch die Hintertür der britischen Nachrichtenagentur erfuhr. Gerade das mit der Verbalnote einhergehende Prozedere der Angelegenheit provozierte erneut eine antideutsche Stimmung. Unter anderem wurde sie deut­lich im Juni 1952 an der Publizität, die eine Gewaltattacke gegenüber Zabel durch einen Mithäftling erhielt; dieser saß lebensläng­lich wegen „kommunistischer Verschwörung“ ein und hatte, wie 83 PA AA, B 11/1027 – Heinz Zabel (31. 7. 1952). 84 Zabel wurde in griechischen Zeitungen „Hitler-­Ungeheuer“ oder „blutbefleckter Schlächter von Distomo“ geheißen, der alte Menschen, Frauen und Kinder ermordet habe. Mehr dazu siehe Grundherr an Bonn, PA AA, B 11/1027 – Kriegsverbrecherverfahren gegen Zabel (28. 5. 1951). 85 PA AA, B 11/1027 – Drahtbericht von Grundherr: Rechtschutzsache Zabel (10. 12. 1951); ebd. – Heinz Zabel (31. 7. 1952). 86 PA AA, B 10/2198 – Griechische Verbalnote (28. 4. 1952). Zur deutschen Reak­tion siehe B 10/2198 – Telegramm von Trützschler an Diplogerma Athen (1. 5. 1952), B 10/2198 – Nieder­ schlagung der Kriegsverbrecherverfahren in Griechenland (2. 5. 1952). Die Informa­tion stand sofort in deutschen Zeitungen, siehe z. B. Der Mittag, 3. Mai 1952. 87 PA AA, B 11/1027 – Telegramm von Athen an Auswärtig Bonn (9. 5. 1952).

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die Zeitung Allagi (Wandel) berichtete, seinen Bruder als Hinrichtungsopfer deutscher Besatzungskräfte verloren.88 Statt Generalamnestie und Aktenabgabe favorisierte Athen schließ­lich eine legislative Lösung, sodass das griechische Parlament im September 1952 das Gesetz 2219/1952 verabschiedete. Es ermög­lichte die Einstellung von Strafverfolgungen gegen Ausländer, die vor dem Inkrafttreten der Abänderung verurteilt worden waren, unter der Bedingung, dass das Kabinett im Einzelfall seine Zustimmung erteilte.89 Fast gleichzeitig fand der seit Langem geplante Bonner Besuch von Generalstaatsanwalt Andreas Tousis statt, der das griechische Kriegsverbrecherbüro leitete. Tousis war Ende August 1952 nach Deutschland gefahren, zusammen mit Zabels Verteidiger Matsoukas, dessen Reise politisch und finanziell von der Bundesrepublik Deutschland unterstützt wurde.90 Während des einmonatigen Aufenthalts vereinbarte man mit der Bundesregierung sowohl die Aktenübergabe von 22 Straffällen, bei denen es um insgesamt 210 mutmaß­liche Kriegsverbrecher ging, als auch die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Zabel in der Bundesrepublik. Als im selben Jahr die Staatsanwaltschaft Konstanz ­dieses Verfahren gegen Zabel einleitete, hatte Bonn offensicht­lich alle formellen Bedingungen für dessen Überstellung nach Deutschland erfüllt.91 Doch nicht einmal dies führte zu Zabels Überstellung. Im November 1952 fand in Griechenland ein Regierungswechsel statt, in dessen Folge die konservativen Minister des neuen Kabinetts sich den von ihren liberaleren Vorgängern aus der Zentrumspartei getroffenen Vereinbarungen nicht verpflichtet fühlten. Die Überstellung zog sich weitere neun Monate hinaus. Im Hinblick auf den Oradour-­Prozess in Frankreich im Januar 1953 wurde die Auslieferung Zabels von der griechischen Presse heiß diskutiert, zumal das franzö­sische Massaker am selben Tag wie das Blutbad in Distomo stattgefunden hatte.92 Das für den Oradour-­Prozess zuständige Militärgericht Bordeaux verurteilte die Angehörigen der Waffen-­S S zu hohen Haftstrafen und den Hauptverantwort­lichen des Massakers SS -Gruppenführer Heinz Lammerding in Abwesenheit zum Tode.93 Daraufhin entschieden sich Athener Regierungskreise trotz des Bonner Drängens dafür, mit Zabels Auslieferung erst einmal zu warten.94

88 PA AA, B 11/1027 – Rechtsschutzsache Zabel (27. 6. 1952). 89 N. 2219/1952 (26. 9. 1952) – Περί αναστολής διώξεων υπηκόων ξένων Κρατών (Zur Einstellung der Strafverfolgung ausländischer Staatsbürger), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 269/1952. 90 Vgl. z. B. PA AA, B 11/1027 – Rechtsschutzsache Zabel (4. 8. 1952). 91 PA AA B 10/2198 – Schreiben des AA an Botschaft Athen (26. 9. 1952). 92 Zeitungen Avgi, 22. Januar 1953, und Kathimerini, 27. Januar 1953. Vgl. auch PA AA, B 11/1027 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Bonn (27. 1. 1953). 93 Ahlrich Meyer: Oradour 1944, in: Ueberschär (Hg.), Orte des Grauens, 2003, S. 183 f. 94 PA AA, B 11/1027 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Bonn (27. 1. 1953).

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Sogar als der Überstellung schließ­lich stattgegeben wurde, stand ihrer Durchführung im Weg, dass der für den 22. Mai geplante Flug Zabels auf den 25. Mai verschoben wurde, da für den ersten Termin kein Ticket mehr beschafft werden konnte.95 In diesen paar Tagen änderte die griechische Regierung abermals ihren Standpunkt. So gab sie der deutschen Botschaft bekannt, dass Zabel das Land nicht vor dem 15. Juni verlassen könne; erst müssten die Gedenkfeiern für das Distomo-­ Massaker abgeschlossen sein, da sonst durch lokale Massenmedien eine neue Protestwelle in Gang gesetzt würde. Konsul Knoke, irritiert über „dieses Land der Überraschungen“, stornierte das Flugticket.96 Wenngleich Deutschland das Argument der Jahresfeier des Distomo-­Massakers nicht akzeptierte und damit drohte, den Besuch des Koordina­tionsministers Spyros Markezinis in Bonn zu Gesprächen über langfristige Anleihen abzusagen, wurde Heinz Zabel erst am 26. Juni 1953 in deutsche Justizhoheit überstellt.97 3.2.3 Dritte Phase: Die Übergabe von Strafverfahren

Im Zusammenhang mit Zabels Auslieferung forcierte die griechische Regierung eine schrittweise Übergabe von Prozessakten derjenigen Strafsachen, die in Abwesenheit der Angeklagten abgewickelt worden waren. Die deutschen Politiker setzten ihrerseits darauf, dass nun sämt­liche schwebenden Verfahren gegen ehemalige Diplomaten des „Dritten Reichs“ und hochrangige deutsche Industrievertreter in deutsche Hände kämen. Tatsäch­lich hätte sich eine Wiederaufnahme dieser Strafverfahren in Griechenland für Bonn als besonders pein­lich erwiesen, da einige der Betroffenen nach dem Krieg im deutschen Staatsdienst untergekommen waren. In derartigen Fällen bemühte sich die Bundesregierung um eine schnelle und unauffällige Lösung, sodass „dieser Fragenkomplex mög­lichst bald ohne großes Aufsehen aus der Welt geschafft“ werden konnte.98 So bot im Anschluss an die Mißstimmungen vom Mai 1952 anläss­lich der von der Bonner griechischen Botschaft übermittelten Verbalnote zur Einstellung der Kriegsverbrecherverfahren und der Aktenübergabe an die Bundesrepublik Deutschland die Athener deutsche diplomatische Vertretung der griechischen Regierung an, sämt­liche

95 PA AA, B 11/1027 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Bonn (21. 5. 1953). 96 PA AA, B 11/1027 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Bonn (23. 5. 1953). Der Abreisetermin wurde verschoben, da es im Zusammenhang mit der Gedächtnisfeier für die Distomo-­Opfer zu Verzögerungen kam, aber auch wegen einer leichten Erkrankung von Minister Markezinis sowie einer Auslandsreise von Premierminister Papagos und Außenminister Stefanopoulos. Siehe auch 11/1027 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Bonn (12. 6. 1953). 97 PA AA, B 11/1027 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Bonn (12. 6. 1953). 98 PA AA , B 11/1027 – Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen in Griechenland (16. 8. 1951).

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Kriegsverbrecherakten pauschal an deutsche Justizbehörden abzugeben. Doch die griechischen Entscheidungsträger waren noch nicht bereit, sich auf eine Gesamtlösung ­dieses Typs einzulassen.99 Während seines Besuchs in Bonn Ende August 1952 bekundete Tousis dem Bundes­ außenminister, Griechenland habe – abgesehen von deutschen Diplomaten – noch viel mehr Fälle eingelagert. Es handele sich, wie er mitteilte, um insgesamt 435 Strafverfahren, die 470 Beschuldigte betrafen. Darüber hinaus waren den Verfahrensakten die Namen von 249 Italienern und 20 Österreichern zu entnehmen.100 Im Zusammenhang mit der Übergabe der 22 Prozessakten erstellte man eine Liste der Strafverfahren, die von griechischen Gerichten z­ wischen 1945 und 1948 eröffnet worden waren. Dieser Liste zufolge belief sich die Gesamtzahl der Akten zu Kriegsverbrechen auf 1216. Die ersten 22 zur Übergabe anstehenden Prozessakten betrafen die Fälle Kommeno (drei mutmaß­ liche Täter), Kalavryta (14), Distomo (6) und dortiges Umland (19) sowie den Fall des Konzentra­tionslagers Chaidari (5). Eindeutig handelte es sich dabei um Schwerstdelikte wie Mord, massenweise Erschießungen, Folterungen, Zwangsarbeit, Beschlagnahmung von Privateigentum, Brandstiftung und Plünderung griechischer Gemeinden, alles Fälle, die man so bald als mög­lich an Bonn abzugeben anstrebe.101 Tousis machte ihre Ent­ gegennahme zur Bedingung für Zabels Überstellung nach Deutschland.102 Die Strafverfahren gegen Diplomaten und Wirtschaftsvertreter des „Dritten Reichs“ waren in der betreffenden Liste nicht aufgeführt. Erst nach der Verabschiedung des griechischen Gesetzes zur Verjährung sollten die betreffenden Akten übergeben werden. Das Gesetz kam jedoch nie zustande, sodass die Verjährung dieser Verbrechen in Griechenland erst 1965 einsetzte, d. h. 20 Jahre nach Kriegsende.103 Nachdem nun die schwersten Fälle in deutsche Justizhoheit übergegangen waren, sollten in Griechenland ca. 900 Falluntersuchungen eingestellt werden, ohne dass geklärt worden war, wie dies im Einzelnen vor sich zu gehen habe.104 Sollte die Bundesrepu­ blik Deutschland, so Tousis, Athen keine Angaben zur Einleitung von Vorermittlungen 99 PA AA , B 11/1027 – Griechisches Gesetz über Befriedigungsmaßnahmen vom 18.4.52 (2. 5. 1952). 100 PA AA, B 10/2198 – Abt. II: Übergabe griechischer Kriegsverbrecherverfahren in deutsche Justizhoheit (27. 8. 1952). 101 Durch die Zusammenlegung von vorerst separaten Fällen gegen insgesamt 211 mutmaß­liche Kriegsverbrecher verringerte sich die Zahl der Strafverfahren von 25 auf 22. Siehe PA AA, B 10/2198 – Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (26. 9. 1952), sowie der Anhang, der eine detaillierte Auflistung der Akten mit entsprechender Erläuterung enthält. 102 PA AA, B 10/2198 – Telegramm an Diplogerma Athen (27. 8. 1952). 103 PA AA, B 10/2198 – Abt. II: Übergabe griechischer Kriegsverbrecherverfahren in deutsche Justizhoheit (27. 8. 1952). 104 PA AA, B 10/2198 – Übernahme griechischer Kriegsverbrecherverfahren in deutsche Justizhoheit (21. 9. 1952).

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im Fall Zabel an Griechenland übermitteln, obwohl dessen Prozessakte ebenfalls an Bonn überstellt worden war, so könne eine s­ olche Nachlässigkeit unter Umständen auch zu politischen Problemen führen.105 Aussichtsreich schien der Bundesrepublik die von Tousis angesprochene Op­tion eines Sondergesetzes, das die bis dahin geltenden Verjährungsfristen für NS -Kriegsverbrecherfälle abkürzte. Allerdings konnte Tousis während seines Bonner Aufenthalts keine verbind­lichen Zusagen machen, denn dazu war er nicht ermächtigt.106 Auch befürchtete der Staatssekretär im Außenministerium Evangelos Averoff, eine diesbezüg­liche Prognose sei wohl bis zu den nächsten Wahlen nicht mög­lich, erachtete jedoch die letzten Monate des Jahres 1952 als geeigneten Zeitraum für eine Debatte über diesen Schritt.107 Ungeachtet der laufenden Absprachen ­zwischen Griechenland und Deutschland äußerte das Bundesjustizministerium im August 1952 Bedenken zur Übernahme griechischer Prozessakten. Man berief sich dabei sowohl auf juristische als auch auf technische Schwierigkeiten, die nach Erhalt aufgeworfen würden, etwa bei Fragen zu Zuständigkeiten, den Verhören der Beschuldigten oder der Übersetzung des gesamten Aktenmaterials. Auch argumentierte man damit, dass eine Vereinbarung dieser Art anderen Staaten als Vorwand dienen könne, um deutsche Gerichte mit ähn­lichen Fällen aus ehemals besetzten Ländern zu überschwemmen.108 Dennoch gab die Bundesregierung am 9. Januar 1953 schließ­lich ihre Zustimmung zur Entgegennahme der bereits erwähnten 22 Prozessakten, die Tousis bei seinem Besuch in Bonn hinterlegt hatte.109 Zwei Jahre ­später sollten sich die im Sommer 1952 vom Bundesjustizministerium vorgebrachten Einwände bewahrheiten.110 Nach wie vor drang Bonn darauf, dass in Athen ein Gesetz zur Generalamnestierung der Kriegsverbrecher verabschiedet oder zumindest eine Gesetzesvorlage zur Verjährung gebilligt würde, wie man sie seit Langem diskutiere. Als Voraussetzung für einen solchen Schritt verlangte die griechische Regierung im Sommer 1954 eine Bericht­erstattung über die bisherige Handhabung von Strafsachen, deren Prüfung das Bundesjustizministerium zwei Jahre zuvor übernommen hatte.111 Doch die deutsche Ministerialbürokratie hatte nicht die Absicht, sich mit den griechischen Fällen zu

105 PA AA, B 10/2198 – Abt. II: Übergabe griechischer Kriegsverbrecherverfahren in deutsche Justizhoheit (27. 8. 1952). 106 PA AA, B 10/2198 – Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (26. 9. 1952). 107 PA AA, B 10/2198 – Telegramm aus Athen an Auswärtig Amt (28. 8. 1952). 108 PA AA, B 10/2198 – Abt. V: Übergabe griechischer Kriegsverbrecherverfahren in deutsche Justizhoheit (27. 8. 1952). 109 Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 145. 110 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 111 PA AA, B 11/1223 – Strafverfahren gegen deutsche Angehörige in Griechenland (3. 6. 1954).

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befassen, und legte sich sogar in einer internen Richtlinie darauf fest, „von der Durchführung der Verfahren abzusehen“.112 Anfang Dezember 1954 unterbreitete Tousis der Athener deutschen Botschaft ein neues Verhandlungsangebot zu den noch schwebenden Kriegsverbrecherfällen. Der Leiter des griechischen Kriegsverbrecherbüros erklärte, es sei im Interesse beider Länder, „den gesamten Fragenkomplex mög­lichst unauffällig und geräuschlos zu bereinigen“. Dies würde mit der zusätz­lichen Übergabe von 250 Verfahren zur Weiterverfolgung an die deutschen Justizbehörden gelingen, ähn­lich wie schon 1952 laut Gesetz 2058/1952.113 Tousis Vorschlag bezog sich auf eine Liste mit sämt­lichen schweren Fällen, die nach wie vor in Griechenland anhängig waren, inklusive Kreta-­Verfahren und Wirtschaftsverbrechen. Bei diesen Fällen hielt Tousis die Op­tion einer Amnestierung oder Verjährung für indiskutabel. Sollten aber gerade deren Prozessakten übergeben werden, so könnten die rest­lichen 350 „leichteren“ Strafsachen Tousis zufolge in griechischer Justizhoheit verbleiben. Der gesamte Vorgang sollte mög­lichst stillschweigend erledigt werden, um keinerlei Aufsehen in der griechischen Öffent­lichkeit zu erregen. Als man Tousis auf technische Probleme ansprach, die für die zuständigen Bundesbehörden entstünden, erwiderte er, Griechenland sei nicht am Ausgang dieser Fälle interessiert, sondern wolle über Weiterbehandlung und Endergebnis einfach nur informiert werden. Die griechische Seite sei, so Tousis, sogar bereit, eine eventuelle Einstellung der Strafverfolgungen auf deutscher Seite zu akzeptieren. Der damalige Botschafter Theodor Kordt meinte in einem Schreiben an das AA , wahrschein­lich bestehe Athen nicht einmal auf der Festlegung eines Datums, an dem die betreffende Mitteilung zu erbringen sei.114 Am Ende lehnte das AA den Athener Vorschlag ab, einmal angesichts technischer Schwierigkeiten, die bei der Übersetzung griechischer Unterlagen bzw. deren Bearbeitung sowie bei der Ermittlung des Wohnorts der Angeklagten zu erwarten waren, aber auch wegen eventueller negativer Reak­tionen der deutschen Öffent­lichkeit.115 Dafür drängte die deutsche Regierung Athen wiederholt, man möge – wenn auch unter der Hand – eine Amnestie gewähren, der sich dann die Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Verjährung der betreffenden Taten anschließen würde.116 Doch Botschafter Kordt warnte das AA schon 1955, dass, sollten die betreffenden Fälle 1 12 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 499. 113 PA AA, B 11/1223 – Griechisches Gesetz 2058 vom 18. 4. 1952 (18. 12. 1954). 114 Ebd. 115 PA AA, B 10/1223 – Übernahme griechischer Strafverfahren in deutsche Zuständigkeit (13. 1. 1955). 116 Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 146. Vgl. auch PA AA, B 10/1223 – Übernahme griechischer Strafverfahren in deutsche Zuständigkeit (13. 1. 1955); ebd. (14. 11. 1955).

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nicht übernommen werden, dies zu Ermittlungen oder gar Verhaftungen deutscher Staatsangehöriger führen könne, deren Namen in Griechenland weiterhin auf der Liste mutmaß­licher Kriegsverbrecher ständen. Durch eine Entgegennahme der Prozessakten, so Kordt, gewinne Bonn Zeit zur Prüfung der betreffenden Fälle. Mittlerweile werde die Bundesrepublik ihre Souveränität wiedererlangt haben und NATO -Mitglied geworden sein, sodass man Griechenland gegenüber deut­lich stärker würde auftreten können.117 Auch wies der mit den griechischen Fällen vertraute Kordt darauf hin, dass die Klärung der ganzen Angelegenheit im Sinne der deutschen Erwartungshaltung nicht mög­lich wäre ohne „sehr starke deutsche Pressionen“, und brachte zum Ausdruck, dass man angesichts „der händlerischen Einstellung der Griechen“ auf deutscher Seite gewisse Zugeständnisse machen müsse.118 Als Premierminister Papagos Anfang Oktober 1955 nach schwerer Krankheit starb, stand die politische Stabilität Griechenlands abermals auf der Kippe. Kurz vor den für Februar 1956 angesetzten Wahlen ein Amnestiegesetz zu verabschieden, schien ein Ding der Unmög­lichkeit. Auch die Fortführung der Kriegsverbrecherverhandlungen war nun unklar, zumal die damals maßgeb­liche politische Elite einen hohen prozentualen Anstieg der Linken erwartete. Aus d­ iesem Grund empfahl Kordt dringend, Tousis im Januar nach Bonn einzuladen, um die bilateralen Verhandlungen so rasch wie mög­lich einem Ende zuzuführen.119 Der des Deutschen nicht mächtige Tousis hatte Ende 1954 den Anwalt Matsoukas, seit Langem Koopera­tionspartner Deutschlands bei diversen Rechtsangelegenheiten, damit beauftragt, die Überstellung der Prozessakten vorzubereiten.120 Im November 1955 zeigte Tousis Bonn gegenüber abermals Entgegenkommen, indem er durch erneute Prüfung von 250 Prozessakten griechischerseits die deutschen Justizbehörden entlastete und dabei diejenigen Fälle aussonderte, bei denen die Identität der Angeklagten nicht ohne Weiteres festzustellen war.121 Als dann im April 1956 die griechische Delega­tion in Bonn unter der Leitung von Andreas Tousis 167 Akten zu 641 Beschuldigten übergeben wollte, machte die deutsche Seite Ungenauigkeiten, Unklarheiten und sonstige Probleme technischer Art geltend, die sich aus der Unvollständigkeit der Akten ergäben, und erklärte ihre Absicht, die entsprechenden Strafakten „entgegenzunehmen“, nicht 117 PA AA, B 10/1223 – Übernahme griechischer Strafverfahren in deutsche Zuständigkeit (21. 3. 1955). 118 PA AA, B 10/1223 – Übernahme griechischer Strafverfahren in deutsche Zuständigkeit (14. 4. 1955). 119 Ebd. 120 PA AA, B 11/1223 – Griechisches Gesetz 2058 vom 18. 4. 1952 (18. 12. 1954). 121 PA AA, B 10/1223 – Übernahme griechischer Strafverfahren in deutsche Zuständigkeit (14. 11. 1955).

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aber „die Verfahren zu übernehmen“.122 So hielten unklare Angaben in den Prozessakten als Rechtfertigung dafür her, die Einleitung jeg­licher Untersuchung als gegenstandslos zu bezeichnen. Obschon die Griechen es der Prüfung der deutschen Kollegen überließen, wie die Strafsachen abzuschließen wären, dauerte es noch zwei Monate, bis das entsprechende Übergabeprotokoll unterzeichnet wurde.123 Bei den Bonner Verhandlungen zur Abgabe von Kriegsverbrecherakten im Juni 1956 kamen beide Seiten überein, dass nach Ermittlungsbeginn durch deutsche Gerichte die Verfolgung mutmaß­licher Täter in Griechenland eingestellt würde, sobald der Bescheid über den Ermittlungsbeginn Athen erreicht hätte. Anfang 1957 warnte Tousis die Bonner Gesprächspartner noch einmal davor, dass die Aussetzung der Strafverfolgungen schlechterdings nicht durchsetzbar sei, wenn in Griechenland keine Mitteilungen zur Weiterverfolgung in Deutschland eingingen. Tatsäch­lich machte sich Athen gleich darauf an die Wiederaufnahme der Strafverfahren und plante aus d­ iesem Grund die Einrichtung eines Sondergerichts.124 Das Bundesjustizministerium erklärte in einem Bericht vom 23. April 1957 an das AA , die deutschen Strafverfolgungsbehörden überprüften sorgfältig jeden einzelnen Fall, und verlangte von Griechenland die endgültige Einstellung der betreffenden Strafverfahren bzw. die Aufhebung der Haftbefehle. Auch wurde angemerkt, dass man von der griechischen Regierung eine zügige Umsetzung dieser Maßnahmen unmittelbar nach Erhalt des Berichts erwarte.125 Dass in Athen drei Tage s­ päter dann Max Merten verhaftet wurde, konnte der Bericht allerdings nicht mehr verhindern. Die anschließenden langjährigen Verhandlungen und Interven­tionen zur Freilassung Mertens auf der Grundlage der Vereinbarungen des vorangegangenen Jahres sollten sich als zwecklos erweisen. Zwar gab es aus griechischer Sicht zunächst keine direkte Verknüpfung ­zwischen der angestrebten Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage einerseits und Entschädigungszahlungen an NS -Opfer andererseits. Doch normalisierten sich die nunmehr angespannten bilateralen Beziehungen erst wieder Anfang der 1960er Jahre, nachdem Merten in deutsche Justizhoheit überstellt und der sogenannte Bonner Vertrag zur Entschädigung von Zivilopfern unterzeichnet worden war, über den man seit 1959 parallel zum Merten-­Prozess verhandelt hatte.126

122 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage“, 2006, S. 501. Siehe auch PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Griechenland (1956). 123 Fleischer, Schuld ohne Sühne, S. 215 f. 124 PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (6. 4. 1957). 125 PA AA, B 26/63 – Übernahme griechischer Strafverfahren gegen ehemalige Wehrmachts­ angehörige wegen angeb­licher Kriegsverbrechen (23. 4. 1957). 126 Vgl. auch PA AA, AV Neues Amt/1679 – Entgegennahme der Verfahrensunterlagen in Kriegsverbrecherprozessen (27. 12. 1956). Mehr zum Thema der Entschädigungen im folgenden Kapitel 4.

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3.3 Der Fall Merten Der Fall Merten wirkte sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre stark beeinträchtigend auf die griechisch-­deutschen Beziehungen aus. Von einem Justizfall entwickelte er sich zu einer Frage politischer Vorgehensweise und wurde dabei als faktische Ausgangslage verknüpft mit dem Thema Wirtschaftshilfe und Entschädigungszahlungen der Bundesrepublik Deutschland an Besatzungsopfer als Gegenleistung für die Berei­ nigung der Kriegsverbrecherfrage.127 Nach den griechischen Erfahrungen mit der Aktenübergabe und der anhaltenden deutschen Verschleppungstaktik bei der Einleitung von Vorermittlungen durch zuständige Stellen bediente sich Athen des Falls Merten, um unmittelbaren Druck auf die Bundesregierung auszuüben.128 Verhaftet wurde Merten nach einem erfolglosen Versuch von Tousis, die deutschen Justizbehörden zu einer Mitteilung über die Weiterverfolgung von Kriegsverbrecherfällen zu bewegen. Bonn hielt dem entgegen, dass aufgrund von Ungenauigkeiten in den Akten die deutsche Justiz daran gehindert sei, die betreffenden Verfahren zügiger in Gang zu bringen.129 Durch Mertens Verhaftung war die griechische Verhandlungsposi­ tion bei Wirtschaftsfragen zwar deut­lich gestärkt, doch zugleich wurden die bilateralen Beziehungen schwer belastet.130 Dr. Max Merten, von Haus aus Jurist, arbeitete ab 1938 im Reichsjustizministerium.131 Von August 1942 bis März 1944 war er als Kriegsverwaltungsrat in Thessaloniki eingesetzt. Während der Deporta­tionen jüdischer Bevölkerung Anfang 1943 kooperierte er eng mit dem Sonderkommando der Sicherheitspolizei, das für diesen Zweck von Adolf Eichmann nach Thessaloniki beordert worden war. Mertens Unterschrift fand sich in den Akten zum Einsatz von Juden bei Zwangsarbeit, zur Konfiszierung von jüdischen Vermögenswerten sowie des jüdischen Friedhofs, aber auch auf der Verordnung zur Deporta­tion der ört­lichen jüdischen Bevölkerung, der ca. 46.000 von ihnen letzten Endes nicht entgehen konnten.132

127 Susanne-­Sophia, Spiliotis: „An Affair of Politics, Not Justice“: The Merten Trial (1957 – 1959) and Greek-­German Rela­tions, in: Mazower (Hg.), After the War was Over, 2000, S. 293. 128 PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (6. 4. 1957, 13. 5. 1957). 129 PA AA, B 26/63 – Vermerk von Hergt (28. 6. 1957). 130 Der Fall Merten ist von Susanne Sophia Spiliotis in ihrer Magisterarbeit erschöpfend untersucht worden, siehe Spiliotis, Der Fall Merten, Athen 1959, 1991. Mehr zu den Wirtschaftsbeziehungen und zu Merten siehe Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegs­ beziehungen, 2004, S. 153 – 161. 131 BArch.-ZSt.: Ludwigsburg, 508, AR-Z 139/59 – Fall Merten und Meißner. 132 PA AA, B 26/134 – Urteil gegen Dr. Max Merten, verkündet am Donnerstag, den 5. 3. 1959 (6. 3. 1959).

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Nach Kriegsende wurde Merten im November 1945 von US-amerikanischen Truppen im Lager Dachau interniert. 1946 boten die Amerikaner der griechischen Regierung seine Auslieferung an; doch diese lehnte trotz abweichender Stellungnahme der griechischen Justiz ab.133 Nach einschlägigen Zeugenberichten ersuchte Griechenland schließ­lich im Oktober 1948 die Berliner US-Militärverwaltung um Mertens Verhaftung an seinem Wohnort (der im entsprechenden Gesuch vermerkt war) und um seine Auslieferung an Athen.134 Darauf ging man jedoch nicht ein, sodass Merten weiterhin ungestört in West-­Berlin lebte und sogar bei der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) politisch aktiv wurde, Seite an Seite mit Gustav Heinemann. Ab 1957 Sozia­ldemokrat, trat der spätere Bundespräsident Heinemann Ende der 1950er Jahre engagiert für ­Mertens Unschuld ein, bezeichnete das Verfahren als Schauprozess und hielt die Entscheidung des griechischen Gerichts für ein Fehlurteil.135 Abgesehen von einer beschleunigten offiziellen Lösung der Kriegsverbrecherfrage spekulierte die griechische Regierung mit Mertens Verhaftung vermut­lich auch darauf, ihr durch die ständigen Bonner Verzögerungen angekratztes Image bei den griechischen Wählern zu verbessern. Auch erhoffte sie sich manchen wirtschaft­ lichen Vorteil. Schon ab Herbst 1956, bei den aus Athen initiierten Verhandlungen zur Übergabe von Akten mutmaß­licher Kriegsverbrecher und zur Bereinigung der Kriegsverbrechenfrage, war eine für die deutsch-­g riechischen Gespräche vollkommen neue Materie auf den Tisch gekommen: Entschädigungsleistungen an Opfer von Kriegsverbrechen. Auf Tousis Kompromissvorschlag vom November 1956 hin, sich zumindest auf Wiedergutmachungszahlungen in symbo­lischer Höhe einzulassen (in Verbindung mit der Übernahme von deutschen „Bürgschaften“ für die Opfer von NS-Gewalt, mittels derer man die Op­tion vergleichbarer Forderungen seitens anderer Staaten ausschlösse), stößt man in zahlreichen Akten des AA auf Anhaltspunkte von Argwohn, Athen setze womög­lich die Wiederaufnahme von Kriegsverbrecherverfahren in Griechenland und die anschließende Verhaftung ­Mertens als politisches Druckmittel zur finanziellen Kompensa­tion ein. Über Letztere war Bonn jedoch nur unter der Voraussetzung zu sprechen bereit, dass Athen

133 Spiliotis, Der Fall Merten, Athen 1959, 1991, S. 69; Dublon-­Knebel, German Foreign Office Documents, 2007, S. 20. 134 PA AA, B 26/63 – Griechisches Strafverfahren gegen den Berliner Rechtsanwalt Dr. Merten (4. 9. 1957). Siehe ebenfalls dort beiliegendes Schreiben des Leiters der Griechischen Militärmission General Diamantopoulos vom 13. Oktober 1948. 135 Wolfgang Breyer: Dr. Max Merten – ein Militärbeamter der deutschen Wehrmacht im Spannungsfeld z­ wischen Legende und Wahrheit, Disserta­tion, Universität Mannheim, 2003, S. 133; Spiliotis, „An Affair of Politics, Not Justice“, 2000, S. 293. Vgl. ebenfalls PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 4. 1959).

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ein Amnestiegesetz verabschiedete oder definitiv die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher einstellte.136 In dieser Situa­tion erwies sich die Hinhaltetaktik der Bundesregierung beim Thema der Aktenübergabe als entscheidende Erschwernis. Erst nach Mertens Verhaftung versuchte das AA offenbar, die Situa­tion zu retten, indem es den bereits erwähnten, eher vagen Bericht des Bundesjustizministeriums vom 23. April 1957 einen Monat ­später, näm­lich im Mai 1957, an die Athener Botschaft weiterleitete; der Bericht enthielt Listen der Münchner Oberstaatsanwaltschaft zur Einleitung von Vorermittlungsverfahren gegen mutmaß­liche Kriegsverbrecher, datiert vom 1. und 8. April 1957.137 Gustav von Schmoller, Botschaftsrat in Athen, der die Bonner Politik zum Thema Kriegsverbrecher äußerst kritisch beurteilte, gab Ende Mai zu bedenken, dass die recht ­kurzen deutschen Listen nicht genügten, um in Griechenland eine Einstellung der Verfahren zu erreichen. In manchen Fällen sei nicht einmal das Aktenzeichen angegeben. Er vertrat die Ansicht, Bonn solle die Annahme der griechischen Prozessakten nicht als reine Formalität betrachten. Deutschland, so von Schmoller, befinde sich nicht in der Posi­ tion, Bedingungen zu stellen. „Deutsche haben in Griechenland Straftaten begangen“, bemerkte er, „und der Strafanspruch des griechischen Staates ist so wenig verjährt wie die Erinnerung des Volkes an die Leiden der Besatzungszeit gelöscht ist“.138 3.3.1 Merten in Haft

Mertens Name stand sowohl auf den Fahndungslisten der UNWCC als auch in den Akten, die die griechische Seite an Bonn übergeben hatte.139 Er selbst war im April 1957 privat nach Athen gereist, um angeb­lich an einem Geschäftstermin mit der Schiffahrtsgesellschaft Nomikos Lines teilzunehmen.140 Auch hatte er vor, während des Athener Aufenthalts als Entlastungszeuge beim Prozess von Arthur Meissner, seinem Dolmetscher zu Besatzungszeiten, auszusagen; Meissner hatte schon vor dem Krieg in Athen gelebt und sein Vermögen war nach dem deutschen Rückzug konfisziert worden. 136 Vgl. z. B. PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (6. 4. 1957), B 26/63 – Übernahme griechischer Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige wegen angeb­licher Kriegsverbrecher (23. 4. 1957), B 26/63 – Griechische Kriegsverbrecherprozesse gegen deutsche Staatsangehörige (9. 5. 1957), B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (15. 5. 1957), B 26/63 – Schmollers Telegramm aus Athen an AA (15. 5. 1957). 137 PA AA, B 26/63 – Entgegennahme von Verfahrensunterlagen in Kriegsverbrecherprozessen (14. 5. 1957). 138 PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (27. 5. 1957). 139 PA AA, B 26/134 – Bestätigung über Übergabe von Strafverfolgungen und beglaubigten Abschriften aus Griechenland (7. 6. 1956), B 26/63 – Rechtschutzsache Dr. Merten (29. 8. 1957). Vgl. ebenfalls Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 504. 140 PA AA, B 26/134 – Rechtsschutzsache Merten (6. 3. 1959).

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Ebenfalls als Kriegsverbrecher gesucht, war er bereits im Frühjahr 1955 ungehindert in Griechenland eingereist.141 Bei dem für April 1957 in Athen anberaumten Gerichtstermin sollte Meissners Einspruch gegen die Vermögenskonfiszierung verhandelt werden. Als Merten zur Zeugenaussage erschien, wurde er direkt im Gerichtssaal verhaftet.142 Bonn zeigte sich zunächst überrascht von seiner Verhaftung, insofern das dort im Juni 1956 unterzeichnete Abschlussprotokoll zur Übergabe von Kriegsverbrecherakten die Verfolgung von mutmaß­lichen Tätern durch die griechische Justiz für unwiderruf­l ich beendet erklärte.143 Dann reagierte die Bundesrepublik auf Mertens Untersuchungshaft mit Warnungen, man könne durchaus bei touristischer und wirtschaft­licher Zusammenarbeit erst einmal kürzertreten.144 Die anfäng­lich aufgeregte Bonner Reak­tion, verbunden mit Drohungen, die Sache würde sich auf den Tourismus in Griechenland auswirken, änderte nichts an der Haltung der griechischen Verantwort­lichen. In der Bundesregierung überlegte man lange, mit einem Reisehinweis potentielle Griechenlandbesucher davor zu warnen, dass sie unter Umständen ledig­lich aufgrund einer Namensgleichheit verhaftet werden könnten.145 Zur Warnung kam es letzt­lich nicht, ohne dass sich die Bundesregierung ganz von d­ iesem Mittel abwandte. Stattdessen erinnerte man in den kommenden Jahren die griechische Regierung immer wieder eindring­lich daran, ein Hinweis dieser Art sei durchaus im Rahmen des Mög­lichen.146 Die Bundesregierung forderte die sofortige Entlassung Mertens aus der Untersuchungshaft und seine Ausreise aus Griechenland;147 indes konnten maßgeb­liche Bonner Regierungsvertreter die Anklagepunkte gegen Merten keineswegs als gegenstandslos entkräften.148 Botschaftsrat von Schmoller wies darauf hin, Merten habe nach Aussage

141 Zeitung Avgi, 5. Juni 1959. Vgl. ebenfalls PA AA, B 26/134 – Bestätigung über Übergabe von Strafverfolgungen und beglaubigten Abschriften aus Griechenland (7. 6. 1956). 142 Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 149; BArch.ZSt.: Ludwigsburg, 508 AR-Z 139/59 – Prozessgeschichte Merten, 100/2. 143 PA AA, B 26/63 – Übernahme griechischer Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige wegen angeb­licher Kriegsverbrechen (23. 4. 1957), B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (24. 6. 1957), B 26/63 – Vermerk von Hergt (28. 6. 1957). 144 PA AA, B 26/63 – Schmollers Telegramm aus Athen an AA (15. 5. 1957), B 26/63 – Bericht der Botschaft Athen Nr. 533/57 an AA (16. 5. 1957). 145 PA AA, B 26/63 – Grewes Telegramm an Diplogerma Athen (10. 5. 1957), B 26/63 – ­Hallsteins Drahterlass an Diplogerma Athen Nr. 48 (22. 6. 1957), B 26/63 – Griechische Kriegsverbrecherverfahren gegen deutsche Staatsangehörige (Fall Merten), hier: Text der geplanten öffent­lichen Warnung (28. 5. 1957, 1. 6. 1957). 146 PA AA, B 81/203 – Rechtschutzsache Dr. Merten (21. 6. 1958), B 26/134 – Lösung des Kriegsverbrecherproblems in Griechenland (28. 9. 1958), B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (11. 10. 1958), B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (7. 7. 1959). 147 PA AA, B 26/63 – Hallsteins Drahterlass an Diplogerma Athen (22. 6. 1957). 148 Süddeutsche Zeitung, 31. Mai 1957.

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zweier ehemaliger Diplomaten des „Reichs“ den Ruf, eine durch und durch korrupte Person und unmittelbar an der Plünderung jüdischer Vermögen beteiligt gewesen zu sein.149 Zur Verteidigung standen Merten ein deutscher und zwei griechische Anwälte zur Verfügung. Hauptverteidiger war erneut Matsoukas, unterstützt vom Hamburger Anwalt Kurt Walters. Dieser stellte nach sorgfältiger Prüfung des Beweismaterials aus der dem AA übermittelten Klageschrift fest, dass eine Unschuld Mertens sehr schwer nachzuweisen sei, vor allem in den die Juden betreffenden Punkten. Die Klage stützte sich auf Unterlagen, ­welche Merten persön­lich unterzeichnet und damit die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung sowie die Konfiszierung ihrer Vermögenswerte selbst angeordnet hatte.150 Bonn bemühte sich, ein Prozessende in Griechenland zu vermeiden, in dem es auf jede mög­liche Art und Weise die Auslieferung Mertens an Deutschland betrieb.151 Doch wie von Walters bereits im Vorfeld angemerkt, war die griechische Anklageschrift im Fall Merten mit großer Sorgfalt und in enger Zusammenarbeit mit der griechischen jüdischen Gemeinde verfasst worden. Sollte der Fall Merten nicht in Athen verhandelt werden, so würde er sich Walters zufolge als eine Art Prüfstein für die deutsche Justiz zu deren Umgang mit der Verfolgung von NS-Verbrechern erweisen. Die Bundesregierung wäre in d­ iesem Fall in der Pflicht, sich einer Anklage anzunehmen, bei der offen nicht nur über NS-Verbrechen im Allgemeinen, sondern auch über die „Endlösung der Judenfrage“ gesprochen werden müsse. Ein eventueller Schuldspruch für Merten durch ein deutsches Gericht könne zum Präzedenzfall für die Eröffnung zahlreicher vergleichbarer Strafverfahren werden. Umgekehrt könne eine mög­liche Freilassung Mertens oder die Einstellung seiner Verfolgung als mangelhafte Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland interpretiert werden, NS-Verbrecher auf die Anklagebank zu bringen.152 Mitte März 1957 gab das griechische Justizministerium Details zu den Straftaten bekannt, derer Merten bezichtigt wurde: Mord in mehreren Fällen, Internierung griechischer Staatsbürger im Thessaloniker Pavlos-­Melas-­Gefängnis, gewaltsam und arglistig ausgeführte Vermögenskonfiszierungen, Plünderungen jüdischer Geschäfte, Nötigung der jüdischen Bevölkerung Thessalonikis zur Zwangsarbeit und sogar direkte Beteiligung an der Vernichtung dieser Bevölkerungsgruppe.153 Mertens Verhaftung und Vernehmung riefen das Interesse der griechischen Presse hervor, deren Berichterstattung in der griechischen Öffent­lichkeit stark beachtet wurde. Die Zeitungen beschränkten sich dabei nicht nur auf den Fall Merten, sondern befassten sich insgesamt mit den 149 PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (16. 5. 1957). 150 PA AA, B 26/63 – Rechtschutzsache Dr. Merten (29. 8. 1957). 151 PA AA, B 26/63 – Hallsteins Drahterlass an Diplogerma Athen (22. 6. 1957). 152 PA AA, B 26/63 – Rechtschutzsache Dr. Merten (6. 9. 1957). 153 PA AA, B 26/63 – Anklage gegen Herrn Max Merten (16. 5. 1957).

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griechisch-­deutschen Beziehungen der Nachkriegszeit.154 Wie in einem Bericht von Schmollers Ende Mai vermerkt, müssen die Artikel nicht durchgehend antideutsch gewesen sein, doch erneut an die Wunden der Vergangenheit gerührt haben.155 Die vierzehntäg­lich erscheinende Zeitschrift der Athener jüdischen Gemeinde Evraiki Estia etwa führte in der Ausgabe vom 24. Mai 1957 Mertens Taten während des Kriegs Punkt für Punkt auf. Auf der Titelseite war ein Aufruf an alle Juden platziert, sich zwecks Aussage an den zuständigen Untersuchungsrichter zu wenden, sollte ihnen irgend­etwas zu kriminellen Handlungen Mertens bekannt sein.156 Ein Beitrag in der Zeitung To Vima schloss gar die Todesstrafe keineswegs aus.157 Erst nach dem auf Einspruch der deutschen Botschaft hin erfolgten Publika­tionsverbot einer Reportage über den Gang der Ermittlungen wurde die Berichterstattung eingestellt.158 Zwar übte Bonn weiterhin Druck auf Athen aus, die Strafverfolgung von mutmaß­ lichen Kriegsverbrechern end­lich einzustellen, doch ging man ab Sommer 1957 allmäh­lich auf Distanz zum Fall Merten. Hauptgrund dafür war die bilaterale Wirtschaftskoopera­ tion. In Bonn hatte sich nun die Überzeugung durchgesetzt, dass im Sinne des Aufbaus bilateraler Zusammenarbeit und der Gewährleistung einer stabilen Athener Regierung die bisherige Taktik, am „Hinweis auf Vertragsbrüchigkeit“ (gemeint war die anstehende Einstellung der Vorermittlungsverfahren) festzuhalten, nicht zielführend war, ebenso­ wenig wie die Drohgebärde einer Reisewarnung, die deutsche Touristen von einem Besuch Griechenlands abhalten sollte. Das AA nahm auf Empfehlung der deutschen Botschaft in Athen hin allmäh­lich Abschied von d ­ iesem Konzept und beschränkte sich darauf, ledig­lich über den Fortgang im Fall Merten informiert werden zu wollen.159 Aus Besorgnis über den wachsenden sowjetischen Einfluss auf Griechenland betonte Bonn nun – zumindest auf diplomatischer Ebene – die Bedeutung der Athener Loyalität zum west­lichen Lager, der NATO sowie der Bundesrepublik. So lehnte Athen beispielsweise die Anerkennung der DDR ab; gleichzeitig bot es sich als Mittler in den Beziehungen ­zwischen Bonn und Belgrad an,160 nicht ohne sein Missfallen über die erhöhte Wirtschaftshilfe Deutschlands an Jugoslawien und die Türkei zu artikulieren,

154 Siehe z. B. Ellinikos Vorras, 21./22. Mai 1957; Makedonia, 21./22. Mai 1957; To Vima, 21. und 23. Mai 1957; Ta Nea, 27. Mai 1957. 155 PA AA, B 26/63 – Presseresonanz auf den „Fall Merten“ (31. 5. 1957). 156 Hevraiki Hestia, 24. Mai 1957. 157 To Vima, 21. Mai 1957. 158 PA AA, B 26/63 – Presseresonanz auf den „Fall Merten“ (31. 5. 1957), B 26/63 – Rechtschutzsache Dr. Merten (29. 8. 1957). 159 Vgl. z. B. PA AA, B 26/63 – Griechische Kriegsverbrecherverfahren gegen deutsche Staats­ angehörige (Fall Merten), hier: Text der geplanten öffent­lichen Warnung (28. 5. 1957, 1. 6. 1957), B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (27. 6. 1957). 160 PA AA, B 26/63 – Rechtschutzsache Merten (31. 10. 1957); Zeitung Eleftheria, 15. Juni 1958.

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und war bemüht, Bonn zu mehr Investi­tionen in die griechische Wirtschaft zu bewegen.161 Doch die Bundesregierung signalisierte nur partielle Bereitschaft, sich auf die griechischen Forderungen einzulassen, und dies nur unter der Voraussetzung, dass das Problem der Verfolgung von mutmaß­lichen Kriegsverbrechern (einschließ­lich des Falls Merten) ausgeräumt würde. Ganz abgesehen davon lehnte Bonn jeg­liches Junktim von Kriegsverbrecherfrage und Entschädigungszahlungen an NS -Opfer in Griechenland ab.162 Generalstaatsanwalt Tousis brachte dennoch die Forderung einer zumindest limitierten Entschädigungszahlung an NS -Opfer vor und sagte dabei zu, einen Regelungsmodus für den Fall Merten finden zu können, der auch für die Bundesrepublik akzeptabel sei. Durch die von ihm vorgenommene Festlegung des Anspruchsrahmens für Entschädigungen ging die Zahl der berechtigten Empfänger stark zurück. So waren es letzt­lich nur 300 Personen, die nachweisbar ausschließ­lich von deutschen Tätern geschädigt worden waren. Sämt­liche Fälle, bei denen man Kriegsrecht geltend machen könne (wie etwa bei Vergeltungsak­tionen und den damit zusammenhängenden Todesopfern bzw. Geschädigten), wären, so Tousis, davon ausgenommen.163 So ginge es bei den Entschädigungsleistungen ausschließ­lich um Einwohner von Thessaloniki, vor allem um diejenigen, die von Mertens Taten geschädigt worden waren. Nur wenn man auf ­dieses Ansinnen einginge, könne Mertens Auslieferung nach Deutschland erfolgen. Doch unter den damaligen Umständen zeigte sich Bonn nicht gewillt, diese Op­tion aufzugreifen.164 Ende Juli 1958 reiste Tousis wieder einmal nach Bonn zu Gesprächen über eine beiderseits akzeptable Lösung. Beeinträchtigt war seine Verhandlungsposi­tion durch den semioffiziellen Charakter seines Besuchs, da die griechische Regierung nicht klarstellte, ob der Generalstaatsanwalt im Auftrag der Regierung oder als Privatperson verhandelte. Daher war den deutschen Entscheidungsträgern auch unklar, ob und inwieweit das Verhandlungsergebnis bindend sein würde. Erschwerend kam hinzu, dass einen Monat zuvor fünf deutsche Staatsbürger in Griechenland verhaftet worden waren. In ­diesem Fall lag eine Namensgleichheit von mutmaß­lichen Kriegsverbrechern und den verhafteten Personen vor, zumal man Letzteren weder eine kriminelle Handlung noch einen Verbleib in Griechenland während des Kriegs ausreichend nachweisen 161 Der griechische Handelsminister Papaligouras erklärte zur deutschen Wirtschaftshilfe an die Türkei und Jugoslawien: „Müssen wir vielleicht unseren Schuldendienst einstellen oder zu Kommunisten werden, damit Deutschland unsere Situa­tion begreift?“ PA AA, B 26/63 – Griechische Kriegsverbrecherverfahren gegen deutsche Staatsangehörige (Fall Merten), hier: Text der geplanten öffent­lichen Warnung (28. 5. 1957, 1. 6. 1957). 162 PA AA, B 26/63 – Vermerk von Hergt (28. 6. 1957). 163 PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse und Rechtschutzsache Merten (16. 9. 1957). 164 PA AA, B 81/203 – Rechtschutzsache Dr. Merten (21. 6. 1958).

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konnte.165 Griechenland verpflichtete sich, sofort nach Tousis Rückkehr die Strafverfolgungen einzustellen. Kaum war der Generalstaatsanwalt zurück, drohte Athen mit deren Wieder­aufnahme.166 Tousis Vorschläge für die endgültige Einstellung von Strafverfolgungen und M ­ ertens Auslieferung gegen Entschädigungsleistungen in symbo­lischer Höhe setzten sich nicht durch, da man in deutschen Regierungskreisen hinter verschlossenen Türen bereits intensiv über globale Wiedergutmachungszahlungen an besatzungsgeschädigte Länder des Westens diskutierte, zu denen auch Griechenland zählte.167 Bevor dies spruchreif würde, legte man weder Termine noch Beträge fest, mit denen man auf griechische Forderungen einzugehen bereit wäre. Tousis gab am Ende seines Besuchs die feste Zusage, sich sofort nach seiner Rückkehr für eine Einstellung der Strafverfolgungen einzusetzen, doch vermied er eine Stellungnahme zum Fall Merten. Er teilte ledig­lich mit, dass der Prozess noch vor November eröffnet würde.168 Bei den Verhandlungen im Sommer war klar und deut­lich zutage getreten, dass beide Seiten auf die Verschiebung von einschlägigen Maßnahmen bis zum kommenden November hinarbeiteten, denn dann sollte der griechische Premierminister Konstantinos Karamanlis nach Bonn kommen, um über eine erweiterte deutsche Unterstützung für die griechische Wirtschaft zu verhandeln.169 Mitte Juni 1958 berichtete eine griechische Zeitung, Karamanlis Ziel für den Besuch in der Bundesrepublik sei die Gewährleistung von Anleihen gegen konkrete Zugeständnisse in der Kriegsverbrecherfrage.170 Bei den Gesprächen mit deutschen Regierungsvertretern erwähnte Karamanlis in der Tat den Fall Merten. Zur Zufriedenheit der Bundesregierung sprach er sich für eine rasche Klärung der Angelegenheit aus und kehrte nach Athen mit Zusagen für umfangreiche deutsche Investi­tionen zurück, einer Anleihe in Höhe von 200 Mio. DM sowie der Zusicherung politischer Unterstützung in der Zypernfrage und beim Gesuch Griechenlands, in die Euro­päische Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen zu werden.171 165 Athen brachte vor, dass die Verhaftung von fünf Personen aus Gründen der Identifizierung bei insgesamt 18.000 deutschen Besuchern im Land im besagten Jahr von Bonn nicht als feind­liche Maßnahme interpretiert werden könne. Im Gegenteil zeige sie das Verantwortungs­bewusstsein und die Aufmerksamkeit, mit denen sich Athen d­ ieses Problems annehme. Siehe PA AA, B 26/133 – Verbalnote (6. 10. 1958). 166 PA AA, B 81/203 – Kriegsverbrecherverfahren (12. 7. 1958), B 26/133 – Note Verbale (22. 9. 1958). 167 PA AA, B 81/203 – Aufzeichnung von Mirbach (31. 7. 1958). Einzelheiten zum Globalabkommen und zur Haltung Griechenlands im damit einhergehenden Verfahren folgen in Kapitel 4.3. 168 PA AA, B 81/203 – Aufzeichnung von Gawlik (13. 8. 1958). 169 PA AA, B 81/203 – Aufzeichnung von Mirbach (31. 7. 1958). 170 Zeitung Eleftheria, 15. Juni 1958. 171 PA AA, B 26/65 – Konferenzmappe für die Gespräche des Bundeskanzlers mit dem Griechischen Ministerpräsidenten Karamanlis in Bonn (10. – 12. 11. 1958). Mehr zum Abkommen siehe „Gewährung einer Anleihe an den griechischen Staat“, BMWi/AA (41. Kabinettssitzung,

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Merten verfolgte die Entwicklung der griechisch-­deutschen Verhandlungen von seiner Athener Zelle aus und beschuldigte Bonn, in seiner Sache nicht ener­gisch genug aufgetreten zu sein.172 In Briefen an das AA und seinen Verteidiger Walters erwies er sich als überaus genauer Beobachter der politischen und wirtschaft­lichen Verhältnisse in Griechenland. Dabei setzte er sein Wissen in einer Form ein, die Bonn zu einer rigoroseren Haltung gegenüber Athen bewegen sollte. Es war ihm vollkommen klar, dass griechische Regierungskreise für die Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage, vor allem aber für seine Auslieferung nach Deutschland die Zahlung hoher finanzieller Kompensa­tionen zur Bedingung machten. Er verwies auch auf die wirtschaft­liche Situa­ tion Griechenlands (Niedergang namhafter Betriebe, steigende Arbeitslosigkeit und Anzeichen eines erhöhten Haushaltsdefizits) und den dadurch entstehenden Druck auf die Regierung, eine Kompromisslösung zu akzeptieren, sollten deutsche Anleihen in Aussicht gestellt werden. Als Druckmittel setzte er außerdem die in Bonn aufgenommenen Verhandlungen mit westeuro­päischen Staaten über Globalentschädigungen für NS-Opfer ein, in deren Zusammenhang man sowieso auch an Griechenland irgendeine Entschädigung leisten würde.173 Merten kalkulierte offenbar allzu optimistisch mit der persön­lichen Unterstützung von Generalstaatsanwalt Tousis, der sich im Gegensatz zu manchem Regierungsvertreter jedoch nicht mit besonderer Verve für seine Auslieferung starkmachte.174 Die bilateralen Verhandlungen erbrachten für Athen am Ende eine Wirtschaftshilfe in beacht­lichem Umfang und für Bonn einen Teilerfolg. Zeitgleich zur Verabschiedung des griechisch-­deutschen Abkommens über wirtschaft­liche Zusammenarbeit im November 1958 begannen vertrau­liche Verhandlungen über ein Gesetz zum endgültigen Abschluss der Verfolgung von NS-Verbrechern.175 Die griechische Parlamentsdebatte

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5. November 1958)“, in: Hartmut Weber (Hg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1958, Band 11, München: Oldenbourg, 2002, http://www.bundesarchiv.de/cocoon/ barch/0020/k/k1958k/kap1_2/kap2_36/para3_3.html (letzter Zugriff: 15. 07. 2015). PA AA, B 26/63 – Merten an Hallstein (17. 6. 1957). PA AA, B 81/203 – Reise des Direktors des (Griechischen) Zentralen Na­tionalen Kriegsverbrecherbüros in Athen, Generalstaatsanwalt Toussis (sic), nach Bonn zum Zwecke von Erörterungen über eine Generallösung für alle einschlägigen griechischen Verfahren (23. 7. 1958), B 81/203 – Merten an Walters (24. 7. 1958) und vor allem B 26/134 – Merten an Walters (28. 7. 1958). PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (5. 1. 1959). In ­diesem Zusammenhang verlangte Griechenland vom AA einen umfassenden Bericht über die Verfahrensweise zum Thema Kriegsverbrechen in anderen NATO-Mitgliedsstaaten, um auf dieser Grundlage ein entsprechendes Gesetz innenpolitisch überhaupt einbringen zu können. Die deutsche Seite erstellte in der Tat einen solchen Bericht, dessen Hauptargumenta­tion sich jedoch auf die Tatsache stützte, dass weder in der Türkei und Portugal (die beide während des Kriegs Neutralität gewahrt hatten) noch in Island (das von den Alliierten besetzt war) je

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zum Gesetzentwurf begann im Januar 1959.176 Der Entwurf war dem Gesetz 2058/1952 gegenüber nur geringfügig abgeändert: Die Strafverfolgung deutscher Staatsbürger würde ledig­lich ausgesetzt, wenn das entsprechende Verfahren in der Bundesrepublik eingeleitet worden sei. Darüber hinaus schafften seine Formulierungen gewisse Interpreta­tionsspielräume und warfen Fragen zur Zukunft derjenigen Personen auf, denen die Verübung von Kriegsverbrechen angelastet wurde.177 In d­ iesem Zusammenhang informierte Premierminister Karamanlis im Januar 1959 persön­lich den deutschen Botschafter Seelos, dass er aufgrund der innenpolitischen Lage seine Zusage für Mertens Auslieferung nach Deutschland nicht einhalten könne und der Prozess daher in Griechenland stattfinden werde. Derweil hatte die Bundesregierung bis zum letzten Moment mit einer wohlwollenden Behandlung beim Ablauf von Mertens Auslieferung gerechnet,178 da kurz nach dessen Verhaftung in Athen auch in Stuttgart ein Verfahren gegen ihn in Abwesenheit angestrengt worden war.179 Dass von deutschen Spitzenpolitikern im Fall Merten immer wieder massivster Druck ausgeübt wurde, rief in der griechischen Öffent­lichkeit Empörung hervor, und das Parlament warf Bonn geschlossen vor, sich in innere Angelegenheiten des Landes einzumischen und in dessen Rechtsprechung zu intervenieren. Karamanlis war unter solchen Umständen ledig­lich in der Lage, für einen mög­lichst raschen Prozessbeginn in Athen und ein mildes Strafmaß des Sondergerichts einzustehen. Die Klärung der rest­lichen 850 Strafsachen dürfte, so Karamanlis, keine besonderen Probleme aufwerfen. Nach der Urteilsverkündung gegen Merten sollte man über die nächsten Schritte in seinem Fall verhandeln.180 3.3.2 Vom Prozess zur Freilassung

Auf Bonns Erwartungshaltung im Hinblick auf eine Verfahrenseinstellung war nicht eingegangen worden. Merten blieb bis zur Hauptverhandlung fast zwei Jahre in Untersuchungshaft. Am 11. Februar 1959 wurde der Prozess in Anwesenheit zahlreicher

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eine Strafverfolgung gegen Kriegsverbrecher in Gang gebracht worden war. Siehe PA AA, B 26/134 – Lösung des Kriegsverbrecherproblems in Griechenland (25. 9. 1958), B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (20. 10. 1958). PA AA, B 26/133 – Telegramm von Seelos an AA Bonn (13. 1. 1959); Kathimerini, 13. Januar 1959; Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 1959. PA AA, B 26/133 – Aide-­Mémoire (3. 2. 1959), B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechen­ land (11. 2. 1959). PA AA, B 26/63 – Ermittlungsverfahren gegen Dr. Max Merten und 31 Anderen (sic) wegen angeb­licher Kriegsverbrechen (10. 9. 1957); BArch.-ZSt.: StA Stuttgart, 15 Js 2509/59 – Ermittlungsverfahren gegen Dr. Max Merten und 31 Anderen (29. 6. 1965). PA AA, B 26/63 – Rechtschutzsache Dr. Merten (6. 9. 1957), B 81/203 – Aufzeichnung von Gawlik (13. 8. 1958). PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (5. 1. 1959).

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griechischer und deutscher Medienvertreter eröffnet.181 Eine Woche ­später trat mit Bekanntmachung im griechischen Regierungsblatt das Gesetz 3933/1959 in Kraft, mit dem in Griechenland ein weiteres Mal die Verfolgung von NS -Verbrechern ausgesetzt wurde.182 Mertens Prozess fand vor zahlreichem Publikum statt, darunter viele Mitglieder der Thessaloniker jüdischen Gemeinde. Der Staatsanwalt empfahl die Vernehmung von 90 Zeugen, die Verteidigung benannte 89.183 In der gesamten ersten Woche sagten Zeugen der Anklage aus, wobei die Ausschwitz-­Rückkehrer den stärksten Eindruck hinterließen. Dagegen gab es auch einige Belastungszeugen, die mit ihren Aussagen eher zur Verteidigung beitrugen. Dazu gehörte auch Ilias Douros, der ehemalige Leiter der YDIP, der nach dem Krieg als Kollaborateur angeklagt worden war. Im Gegensatz zu seiner Aussage bei den Vorermittlungen entlastete er Merten, wie schon im Juni 1945 im YDIP-­ Bericht, wohl eher von der Verantwortung für die Konfiszierung jüdischer Vermögen.184 Als Mertens Entlastungszeugen traten auch einige Persön­lichkeiten mit interna­ tionaler Reputa­tion auf, z. B. René Burkhardt, Delegierter des Schweizer Roten Kreuzes in Thessaloniki, der damalige italienische Generalkonsul in Thessaloniki Giuseppe Castruccio und Theodor Parisius, von 1941 bis 1943 Kriegsoberverwaltungsrat bei der Heeresgruppe E in Thessaloniki, inzwischen Pressechef der Niedersäch­sischen Landesregierung in Hannover.185 Diese Zeugen behaupteten, dass zwar die betreffenden Verordnungen von Merten unterschrieben, nicht aber aus eigenem Antrieb erlassen worden ­seien, sich vielmehr aus dem Führerprinzip ergeben hätten, das heißt aus dem entsprechenden Hitlerbefehl.186 Unter den Aussagen griechischer Zeugen zugunsten

181 Für die deutschen Massenmedien verfolgte die DPA-Korrespondentin in Athen den Prozess. Siehe PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 2. 1959) sowie der Sonderkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 6. März 1959. Bemerkenswert ist die Nachricht zur Korrumpierung von Entlastungszeugen für Merten mit 700.000 US-Dollar, veröffent­ licht in der DDR-Zeitung Neues Deutschland, 20. Februar 1959. Siehe PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Dr. Merten (20. 2. 1959). Was die Presse in Griechenland angeht, wird auf Tagesberichterstattungen in der Opposi­tionszeitung Avgi verwiesen (10. – 14. Februar 1959), auf die regierungsfreund­liche Kathimerini (11. Februar 1959), aber auch auf die vierzehntäg­ lich erscheinende Hevraiki Hestia (Ausgaben vom 6. und 20. Februar 1959). 182 N. 3933/1959 (18. 2. 1959) – Περί αναστολής διώξεων εγκληματιών πολέμου (Über die Aussetzung der Strafverfolgung von Kriegsverbrechern), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 31/1959. 183 Molho u. a. (Hg.), In memoriam (dt.), 1981, S. 329. 184 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 2. 1959). Zur Aussage von Dourous siehe BArch.-ZSt.: Ludwigsburg, 508 AR-Z 139/59 – Prozessgeschichte Merten, S. 241 – 251. 185 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 2. 1959, 26. 2. 1959). 186 Walters hielt es auch schon vor Prozessbeginn „für wichtig, in ­diesem ­Verfahren sehr stark herauszubringen, daß die Lösung der Judenfrage eine Angelegenheit ‚Hitler-­Himmler-­Heydrich-­Eichmann‘

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Mertens erwies sich als gewichtigste die von Vasileios Simonidis, zu Besatzungszeiten Generalgouverneur von Makedonien. Simonidis selbst war nach Besatzungsende wegen Kollabora­tion zur Rechenschaft gezogen worden.187 Die Verteidigung war voll des Lobes über den objektiven Prozessverlauf und bezeichnete ihn als korrekt, sorgfältig und ledig­lich mit sachbezogener Zeugenvernehmung befasst, wobei der deutsche Verteidiger Walters die Auffassung vertrat, dass Merten in seiner Verteidigungsrede bei Fragen an Zeugen sich nicht immer durch Takt und Zurückhaltung ausgezeichnet hätte. Auch die griechische Öffent­lichkeit bezeichnete diese Rede als „eine Mischung aus Unterwürfigkeit und Frechheit“.188 Als es schließ­lich Parisius anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen zu belegen gelang, dass Merten im Sommer 1942 nicht an der Registrierung von Juden männ­lichen Geschlechts zu Zwecken der Zwangsarbeit habe beteiligt sein können und daher nicht verantwort­lich sei für die dabei ausgeübten Schikanen, weil er sich zum besagten Zeitpunkt privat in Wien aufgehalten habe und außerdem noch gar nicht als Verwaltungsrat in Thessaloniki verpflichtet gewesen sei,189 sahen die Verteidiger unverhohlen optimistisch der Urteilsverkündung entgegen.190 Doch am 5. März 1959 erlebten Merten und seine Verteidiger eine unangenehme Überraschung, als das Gericht ihn in 13 von 20 Anklagepunkten für schuldig erklärte. Ein Teilfreispruch betraf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschließ­lich der direkten Beteiligung an der Ermordung der Juden Thessalonikis, für die im Fall eines Schuldspruchs ein Todesurteil wohl kaum hätte vermieden werden können.191 Obschon Merten während des Verfahrens behauptet hatte, dass die Judenverfolgung vor seinem Eintreffen in Thessaloniki begonnen habe und er selbst nicht an den Greueltaten gegen die jüdische Bevölkerung beteiligt gewesen sei, überstieg das Strafmaß für die übrigen fünf Anklagepunkte – einschließ­lich der Beteiligung an der Internierung der Juden im Ghetto – den Antrag der Staatsanwaltschaft. Merten versicherte, er habe persön­lich Suspendierungen vom Zwangseinsatz ausgehandelt und sich nie an den Zahlungen der jüdischen Gemeinde bereichert.192 Welche Beträge gewesen ist“, siehe PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Dr. Merten (31. 1. 1959). 187 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 2. 1959). Die Strafverfolgung von ­Simonidis wurde jedoch eingestellt. Vgl. Kapitel 3.2. 188 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 2. 1959). 189 Ebd. 190 Man erwartete, dass sich das Urteil z­ wischen Freilassung und – im ungünstigsten Fall – einer achtjährigen Freiheitsstrafe bewegen würde. Siehe Bericht Schmoller PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (6. 3. 1959). 191 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (13. 3. 1959). Zum Urteil vgl. PA AA, B 26/134 – Urteil gegen Dr. Max Merten, verkündet am Donnerstag, den 5. 3. 1959 (6. 3. 1959). 192 Zu Mertens Bereicherung an jüdischem Eigentum siehe Stratos Dordanas: Εξόντωση και λεηλασία: Η Υπηρεσία Διαχειρήσεως Ισραηλιτικών Περιουσιών (YΔIP ) (Vernichtung und Plünderung: Die Dienststelle für die Verwaltung Israelitischer Vermögen (YDIP )),

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auch immer er von Juden angenommen habe, sie ­seien, so erklärte er, an die Bank von Thessaloniki gegangen, deren Archive jedoch zerstört worden waren.193 Der Schuldspruch gegen Merten bezog sich außerdem auf unrechtmäßige Inhaftierung von Thessaloniker griechischen und jüdischen Bürgern, auf Beschlagnahmungen von Vermögenswerten, fünffachen Mord, Mitverantwortung für den Zwangs­einsatz der jüdischen Bevölkerung und durch Hunger verursachte Todesfälle; schuldig befunden wurde er weiterhin für die Zerstörung des jüdischen Friedhofs sowie für seine Mitwirkung an der Deporta­tion der jüdischen Bevölkerung aus Thessaloniki in das „Reich“. Das Athener Sondergericht verurteilte ihn zu einer Gesamtstrafe von 25 Jahren Freiheitsentzug.194 Merten sollte seine Strafe in Griechenland verbüßen. Die Aussicht auf eine Urteilsprüfung oder gar -änderung war minimal. Berufung hätte nicht einmal nach umfassenden Gesetzesnovellierungen eingelegt werden können. Das Urteil stützte sich auf den Schuldnachweis durch Unterlagen, die Merten signiert hatte, bzw. auf seine Mitwirkung an der Durchführung von Entscheidungen, die auf diese Unterlagen zurückgingen. Zwar entsprach das Athener Urteil nicht der deutschen Rechtsauffassung, doch es bewegte sich im Rahmen der einschlägigen interna­tionalen Rechtsprechung. Eine Anfechtung schien daher aussichtslos. Natür­lich bestand die Op­tion eines Aufhebungsantrags beim griechischen Kassa­tionsgerichtshof, wobei nur wenig Hoffnung bestand, dass man dort darauf einginge. Außerdem würde es in ­diesem Fall ledig­lich zur Wiederholung des Prozesses kommen. Da die griechische Öffent­lichkeit und besonders die Vertreter der jüdischen Gemeinde mit dem Strafmaß keineswegs zufrieden waren, hätte eine Wiederauflage des Verfahrens womög­lich zu einer höheren Strafe führen können. Auf Empfehlung der Verteidiger Mertens und unter Berücksichtigung der wirtschaft­lichen Forderungen seitens der griechischen Regierung riskierte Bonn, die Angelegenheit der Kriegsverbrecher­ verfolgungen wiederaufzunehmen und beschloss, abermals Mertens Auslieferung an Deutschland anzustreben.195

in: Antoniou u. a. (Hg.), Το ολοκαύτωμα στα Βαλκάνια (Der Holocaust auf dem Balkan), 2011, S. 342. 193 BArch.-ZSt.: Ludwigsburg, 508 AR-Z 139/59 – Prozessgeschichte Merten, S. 342. Auch stieß 2005 der griechische Historiker Evangelos Hekimoglou in einem Bankarchiv auf sieben Schecks, die von der jüdischen Gemeinde ­zwischen Oktober 1942 und Januar 1943 hinterlegt worden waren und Mertens Unterschrift trugen. Siehe den entsprechenden Pressebericht in Ta Nea, 8. Oktober 2005. 194 PA AA, B 26/134 – Urteil gegen Dr. Max Merten, verkündet am Donnerstag, den 5. 3. 1959 (6. 3. 1959). 195 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (6. 3. 1959, resp. 13. 3. 1959). Zu den Reak­tionen in der jüdischen Gemeinde siehe Hevraiki Hestia, 20. März 1959.

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An ­diesem Standpunkt der Bundesregierung konnte auch die Fürsprache von M ­ ertens Freunden und zwei führenden Vertretern der Sozia­ldemokratischen Partei, Gustav Heinemann und Dieter Posser, nicht rütteln, die sämt­lich von Mertens Unschuld und einem politischen Beweggrund für den Prozess überzeugt waren. Bonn ging auf Distanz zu derartigen Ansichten und bekundete, der Athener Prozess sei korrekt und entgegenkommend verlaufen, zumal die Richter dem Angeklagten Merten eine fünfzehnstündige Verteidigungsrede ohne Unterbrechung zugestanden hatten. Diese Rede sei darüber hinaus ohne Handschellen mög­lich gewesen, was den damaligen Vorschriften der griechischen Polizei widersprach; auch habe das Gericht nachdrück­lich sämt­ liche Zeugen zur Ordnung gerufen, die vom Thema abgeschweift waren.196 Für Bonn entstand jedoch ein neues Problem, das in der deutschen Öffent­lichkeit, aber auch bei Merten und seinen Verteidigern hohe Wellen schlug. Im Sommer 1959 kam es zur Verhaftung eines weiteren deutschen Staatsbürgers, dessen Name auf der griechischen Kriegsverbrecherliste stand.197 Günther Kolwes wurde Anfang Juni 1959 bei seiner Ausreise aus Griechenland festgenommen, obschon ihm die griechischen Behörden ein Jahr zuvor erlaubt hatten, bei einer Autosternfahrt (Rallye) auf Kreta mitzumachen. Schon damals hatte die griechische Polizei zugegriffen, ihn jedoch umgehend wieder freigelassen.198 Das g­ leiche ­gleiche geschah nun bei der erneuten Festnahme: Auf Interven­tion der deutschen Botschaft setzte man ihn nach zwei Stunden auf freien Fuß. Der Fall Kolwes löste einen neuen Skandal aus, den die Presse beider Länder gebührend auswalzte.199 Die zügige und entschiedene Interven­tion der deutschen Botschaft löste Empörung bei Merten und seiner Verwandtschaft aus. Sie beklagten sich, dass die deutschen Behörden zwei Jahre zuvor nicht imstande gewesen waren, sich mit derselben Entschlossenheit in den Fall Merten einzuschalten.200 Auch hatten die griechischen Behörden bei ­diesem neuen Fall zugesichert, die Verantwort­lichen für Kolwes Festnahme sämt­lich maßzuregeln, was zu Entrüstungsstürmen in der griechischen Öffent­lichkeit führte und abermals eine Diskussion über deutsche Interven­tionen in interne Angelegenheiten des souveränen griechischen Staats nach sich zog.201

196 PA AA, B 26/134 – Rechtschutzsache Merten (20. 4. 1959). 197 PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (4. 6. 1959), B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland, hier: Verhaftung Günther Kolwes (13. 8. 1959). 198 PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (4. 6. 1959). 199 Αvgi, 5. Juni 1959; Kathimerini, 6. Juni 1959; To Vima, 6. Juni 1959; Eleftherotypia, 6. Juni 1959; in Deutschland die Reportagen in der Zeitschrift Neue Illustrierte. Vgl. PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherproblem in Griechenland (24. 9. 1959); Neue Illustrierte, 10. Oktober 1959. 200 PA AA, B 26/63 – Fall Merten (4. 7. 1959). 201 Kathimerini, 6. Juni 1959. Siehe auch PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland, hier: Verhaftung Günther Kolwes (13. 8. 1959).

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Gegen Kolwes war Athen auf der Grundlage einer nicht sonder­lich belastbaren Anzeige vorgegangen, die bereits 1946 zu einem Ermittlungsverfahren in Deutschland geführt hatte. Damals konnten die zuständigen Justizstellen ihm nichts nachweisen.202 Um den Vorfall herunterzuspielen, bekräftigten die Vertreter beider Länder, dass auch hier, wie schon einmal, ein Irrtum bei der Identitätsfeststellung vorliege.203 In Bonn war man überrascht, dass Kolwes Name nicht auf einer der Listen stand, die die griechische Regierung bereits ­ onstantinos Tsatsos an Deutschland ausgehändigt hatte.204 Wie der damalige Minister K der deutschen Botschaft in Athen erläuterte, hatte man in Griechenland aufgrund neuer Erkenntnisse nach 1956 weitere Listen erstellt, auf denen auch Kolwes Name auftauchte. Tsatsos sagte zu, der Botschaft diese Listen zeitnah zu übergeben, sodass die Bundesregierung gegen die darin aufgeführten Personen Strafermittlungen gemäß den Bestimmungen des griechischen Gesetzes 3933/1959 einleiten könne. Auf dessen Grundlage würde Athen die Verfahren gegen alle weiteren deutschen Staatsbürger einstellen.205 Trotz Einstellung ihrer Strafverfahren in Griechenland hätten die betreffenden Personen dort gleichwohl als haftbar für zivile Rechtsstreitigkeiten belangt werden können, wobei die Bundesrepublik in manchen Fällen gegebenenfalls dafür hätte einstehen müssen.206 Doch da Athen und Bonn noch immer über die Höhe der Entschädigungen für NS -Opfer, den Abschluss eines bilateralen Abkommens zur Anwerbung griechischer Gastarbeiter sowie zur Freigabe von Anleihen nach dem Abkommen von 1958 verhandelten, entschlossen sich die griechischen Behörden, auf das Ersuchen ihrer deutschen Kollegen einzugehen.207 Im Oktober 1959 setzte 202 PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (6. 6. 1959). 203 Die Erklärung lautete, dass man Günther Kolwes wohl mit Walter Otto Günther verwechselt habe, wie auch schon Alfred Weiß mit Martin Gottfried Weiß, d. h. mit dem ­ehemaligen Kommandanten des KZ Dachau, dessen Todesurteil 1946 vollstreckt worden war. Vgl. PA AA, B 26/134 – Lösung des Kriegsverbrecherproblems in Griechenland (25. 9. 1958), B 26/133 – Note Verbale (3. 10. 1958), B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland, hier: Verhaftung Günther Kolwes (13. 8. 1959). 204 PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (4. 6. 1959). 205 PA AA, B 26/63 – Fragekomplex Merten, Kriegsverbrecherfrage und sequestriertes deutsches Vermögen in Griechenland (17. 6. 1959). Die Listen wurden der Botschaft tatsäch­lich am 1. Juli 1959 übergeben, siehe B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland ( Juli 1959). 206 Die Schuldhaft wurde im Fall der Inhaftierung von General Andrae unmittelbar nach dessen Freilassung im Januar 1952 angewendet. Eine ähn­liche Taktik der griechischen Seite erwartete man auch im Fall Merten. Andrae wurde erst entlassen, als die griechische Regierung an seiner statt die Gerichtskosten übernahm, was nicht als Regelfall aufgefasst werden konnte, siehe PA AA, B 11/1027 – Rechtschutzsache General a. D. Alexander Andrae (14. 1. 1952); zum Fall Merten siehe B 26/63 – Fragenkomplex Merten, Kriegsverbrecherfrage und sequestriertes deutsches Vermögen in Griechenland (17. 6. 1959). 207 PA AA, B 26/63 – Aufzeichnung über die heutige Besprechung in der Rechtsschutzsache Dr. Max Merten (13. 5. 1959), B 26/63 – Telegramm von Seelos (26. 5. 1959), B 26/133 – Abschluß

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in Athen erneut die Diskussion über eine Novellierung ein, mittels derer man einen Schlußstrich unter die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern auf griechischem Boden ziehen konnte. Wieder waren die bilateralen Verhandlungen heftiger Kritik seitens der Medien sowie der griechischen und deutschen Opposi­tion ausgesetzt.208 Dabei wurden in Griechenland landesweit erneut zwei Th ­ emen debattiert, näm­lich die Rehabilita­tion des linken antifaschistischen Widerstands und die Amnestie für politische Häftlinge.209 Frei­lich konnte nicht einmal öffent­liche Missbilligung eine Annahme des neuen Gesetzes verhindern. Das Gesetz vom 3. November 1959 betraf dem Wortlaut nach zwar nur die Einstellung von Strafverfolgungen für den Fall, dass die angeklagten deutschen Staatsangehörigen nicht in Griechenland inhaftiert waren; gleichwohl wurde Merten zwei Tage ­später nach Deutschland überstellt. Ansonsten sah das neue Gesetz die Auflösung des griechischen Kriegsverbrecherbüros vor, dessen Aufgabenbereich im Hinblick auf schwebende Rechtsfälle von Italienern und Bulgaren der Staatsanwaltschaft beim Athener Oberlandesgericht übertragen wurde.210 Nach einer telefonischen Warnung, im betreffenden Flugzeug sei eine Bombe gelegt, wurde Mertens Abreise zunächst verschoben. Dieser Anruf, so die deutsche Botschaft, ging vermut­lich auf griechische Journalisten zurück, die es auf eine letzte Gelegenheit zum Interview mit Merten absahen. Dieser jedoch flog noch am 5. November 1959 nach München.211 Bei seiner Ankunft am dortigen Flughafen wurde er festgenommen, blieb allerdings nur elf Tage in Untersuchungshaft.212 Die weiteren Ermittlungen zu den in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen gingen vollständig an die Bundesrepublik Deutschland über. Im Jahr darauf unterzeichneten beide Staaten ein Abkommen zur Anwerbung von griechischen Arbeitsmigranten und zur Zahlung von Entschädigungen für Opfer na­tionalsozia­listischer Verfolgungen. einer deutsch-­griechischen Vereinbarung über Anwerbung und Vermittlung griechischer Arbeitskräfte nach der Bundesrepublik (3. 9. 1959). 208 PA AA, B 26/63 – SPD-Pressedienst: Ein kostspieliger Fehler (24. 7. 1959); Praktika Voulis (Parlamentsprotokolle) (20. – 22. 10. 1959); Neue Illustrierte, 10. Oktober 1959; Kathimerini, 18. und 22. Οktober 1959; To Vima, 18. und 23. Oktober 1959; Eleftheria, 18. und 23. ­Oktober 1959; Avgi, 18., 20. und 23. Oktober 1959; Hevraiki Hestia, 30. Oktober 1959, u. a. 209 PA AA, B 26/133 – Gesetzentwurf zur Beendigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (24. 10. 1959), B 26/133 – Beendigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (3. 11. 1959). Siehe auch die griechischen Zeitungen Ethnikos Kiryx, 24. Oktober 1959; To Vima, 24. ­Oktober 1959; Avgi, 24., 25. und 27. Oktober 1959; Kathimerini, 28. Oktober 1959, u. a. 210 Rechtsverordnung 4016/1959 (3. 11. 1959) – Περί τροποποιήσεων της περί εγκλημάτων πολέμου νομοθεσίας (Zu Abänderungen der Gesetzgebung zu Kriegsverbrechern), Griechisches Regierungsblatt ΦΕΚ A’ 237/1959. 211 PA AA, B 26/134 – Telegramm von Seelos an AA (5. 11. 1959). 212 BArch.-ZSt.: StA Berlin-­Moabit, 3 P (K) Js 10/60 (15. 2. 1960).

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3.3.3 Mertens Gegenschlag

Nach Mertens Freilassung und seiner Rückkehr in die Bundesrepublik ließen die poli­ tischen Irrita­tionen langsam nach. Athen erwartete nun, dass der Fall Merten definitiv von der deutschen Justiz aufgegriffen würde. Das griechische Justizministerium überstellte der deutschen Botschaft am 10. November 1959 beglaubigte Kopien der Prozess­ akten mit zusätz­lichen Unterlagen (Beschlüsse zur Durchführung von Vorermittlungen, Vernehmungsprotokolle und damit zusammenhängende Entscheide), die am folgenden Tag nach Bonn weitergeleitet wurden. Mitte Februar gingen in derselben Angelegenheit weitere 20 Akten mit stenografisch verfassten Protokollen von insgesamt 5000 Seiten an das AA.213 In Deutschland lag der Fall Merten anfäng­lich bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Von dort ging er 1960 aus zuständigkeitshalber an die Berliner Staatsanwaltschaft, die die entsprechende Prozessakte anforderte.214 Anfang Mai 1960 rechnete der Westberliner Justizsenator Valentin Kielinger angesichts des Aktenvolumens mit einem Zeitraum von drei Monaten allein für die Übersetzung des Konvoluts.215 Im Verlauf einer aufwendigen Prozedur, bei der Athen weitere Unterlagen zum Fall Merten über die deutsche Botschaft an Bonn abgab, von wo aus sie an den Berliner Senat und dann an die Staatsanwaltschaft gingen, kam es zu unvorhergesehenen Komplika­tionen und damit zu Zeitverlust. Beiderseits wurden nun Vorwürfe laut, es mangele an Koopera­tionsbereitschaft.216 Im April 1961 behauptete das Bundesjustizministerium, der Fall Merten könne nicht nach dem vereinbarten Verfahrensmodus untersucht werden, da die griechische Seite den zuständigen deutschen Justizstellen die erforder­lichen Nachweise und Zeugenvernehmungen nicht überstellt habe. Auch wollten einige griechische Zeugen sich nicht auf eine Reise in die Bundesrepublik zur erneuten Aussage gegen Merten einlassen.217 Neben den beiden bereits involvierten Seiten schalteten sich nun auch die jüdischen Organisa­tionen ein. Sie protestierten gegen Mertens Haftentlassung und die erpresserische Art und Weise, mit der die deutsche Regierung Mertens Auslieferung von Athen verlangt hatte.218 213 214 215 216 217 218

PA AA, B 26/133 – Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (23. 2. 1960). BArch.-ZSt.: StA Stuttgart, 15 Js 2509/59 – Merten und 31 Andere (29. 6. 1965). PA AA, B 26/133 – Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (23. 2. 1960). Vgl. z. B. PA AA, B 26/63 – Pauls an Schmoller (24. 2. 1961). PA AA, B 26/63 – Angelegenheit Dr. Merten (28. 4. 1961). Der Widerspruch wurde in der franzö­sischen Zeitschrift Evidences publiziert, deren Herausgeber das New Yorker American Jewish Committee war. Siehe PA AA, B 26/134 – Entlassung des Rechtsanwalts Dr. Maximilian Merten aus deutscher Untersuchungshaft (4. 7. 1960). Protestschreiben nach Bonn waren bereits an das Londoner Büro des World Jewish Congress und an die italienische Unione delle Ebraiche Italiane gegangen. Vgl. PA AA, B 26/134 – Strafverfahren gegen Dr. Max Merten wegen angeb­licher in Griechenland begangener Kriegsverbrechen (22. 3. 1960).

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Im Herbst 1960 überlagerte eine von Merten selbst betriebene Kampagne die deutsch-­griechischen Spannungen, der ein Empörungssturm folgte. Diesmal brachte Merten Namen griechischer und deutscher Spitzenpolitiker ins Spiel. Von Mitte September 1960 an publizierte die Zeitung Hamburger Echo in zwölf Folgen Beiträge zur Entlastung Mertens. Mit im Visier war Hans Globke, enger Mitarbeiter von Kanzler Adenauer, vor allem jedoch ging es – wegen Kollabora­tion mit den Besatzungsstellen und unzulässiger Bereicherung an jüdischen Vermögenswerten – um den griechischen Premierminister Konstantinos Karamanlis, den damaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Georgios Themelis, und den Innenminister Dimitrios Makris sowie dessen Frau Doxoula, geb. Leontidou, die während der Besatzung Mertens Sekretärin gewesen war.219 Der Kampagne gegen griechische Politiker schloss sich rasch auch das Wochenmagazin Der Spiegel an, in dem Ende September die Falschmeldung stand, Karamanlis sei mit dem Ehepaar Makris verwandt.220 Anfang Oktober 1960 folgten Anschuldigungen gegen Generalstaatsanwalt Andreas Tousis, ehemals Leiter des griechischen Kriegsverbrecherbüros, der Merten zufolge bei den Bonner Gesprächen zur Übergabe von Prozessakten gegen mutmaß­liche Kriegsverbrecher eine fünfstellige Summe (in DM) entgegengenommen habe.221 Über Presseberichte wurde Hans Globke bezichtigt, in den Holocaust der Juden in Griechenland verwickelt zu sein. Merten erklärte, er habe persön­lich Versuche unternommen, die Thessaloniker Juden nach Palästina evakuieren zu lassen, ein Plan, mit dem auch Adolf Eichmann einverstanden gewesen sei. Globke, damals Ministerialrat im Reichsinnenministerium, habe den Plan jedoch abgelehnt.222 Wenige Monate ­später wiederholte Merten seine Behauptungen über die Rolle Eichmanns im Zusammenhang mit den Thessaloniker Juden bei seiner Berliner Vernehmung für den Eichmann-­Prozess. Als Entlastungszeuge bezweifelte er die Stichhaltigkeit der Anklage gegen Eichmann im Hinblick auf dessen Verantwortung für den Holocaust der euro­päischen Juden.223 Hans Globke, ab 1953 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, reagierte mit einer Verleumdungsklage gegen Merten.224

219 Hamburger Echo, „Wenn Eichmann auspackt“, 13. September bis 3. Oktober 1960. 220 Der Spiegel, 28. September 1960. 221 Hamburger Echo, 2. Oktober 1960. Mehr zur zweiten Phase des Falls Merten siehe z. B. ­Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 161 – 181. 222 Hamburger Echo, 17. September 1960; Der Spiegel, 15. Februar 1961. 223 Vgl. Aussage Mertens am 7. Mai 1961. Siehe „The Trial of Eichmann: Record of Proceedings in the District Court of Jerusalem – Testimonies Taken Abroad: Max Merten“, The Nizkor Project, http://www.nizkor.org/ftp.cgi/people/e/eichmann.adolf/transcripts/Testimony-­ Abroad/ftp.py?people/e/eichmann.adolf/transcripts/Testimony-­Abroad//Max_Merten-02 (letzter Zugriff: 16. 07. 2015). 224 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 515.

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Indes zogen Mertens Bezichtigungen die Einleitung einer Vorermittlung gegen Globke nach sich. Eine Zeitlang schien es, als stellte diese Angelegenheit eine Gefahr für die deutsche Regierung dar und lieferte einen Vorwand, um neue Beschuldigungen gegen einflussreiche Personen des öffent­lichen Lebens in Deutschland zu erheben.225 Also bemühte sich Bonn um eine schnellstmög­liche Beendigung der Vorermittlung gegen Globke und leitete gleichzeitig ein neues Verfahren gegen Merten ein. Zugunsten Globkes verwandten sich Zeugen, die ins Gewicht fielen, darunter auch Simon Wiesenthal, sodass der Fall rasch abgeschlossen wurde. Doch kam es nicht zu einer Verurteilung Mertens wegen Verleumdung, obschon ein solcher Schritt – dem ehemaligen Botschaftsrat von Schmoller zufolge – Merten mit einer Haftstrafe hätte belegen und so zugleich die griechische Regierung von den Anschuldigungen gegen sie entlasten können.226 Die Bonner griechische Botschaft gab am 28. September 1960 ein Kommuniqué heraus, in dem Mertens Anschuldigungen als frei erfunden bezeichnet wurden. Wie dort angemerkt, hätte Merten Karamanlis nie mit Makris oder Leontidou antreffen können, da der spätere griechische Premierminister sich während der Besatzung zu keinem Zeitpunkt in Thessaloniki aufgehalten habe. Außerdem liege keine verwandtschaft­ liche Beziehung weder zu Doxoula Leontidou noch zu Makris vor. Letzterem sei er erst 1956 begegnet. Auch habe während Mertens Dienstzeit in Griechenland Makris seine spätere Ehefrau noch nicht gekannt, sie vielmehr erst nach dem Krieg kennengelernt und 1949 geheiratet.227 Nachträg­lich war die Athener Regierung bemüht, die Anschuldigungen wegen unzulässiger Bereicherung an jüdischen Vermögenswerten zurückzuweisen, indem sie die Kopie eines von Merten unterzeichneten Dokuments veröffent­lichte; damit sollte belegt werden, dass Merten beschlagnahmte Waren eines jüdischen Geschäfts an Personen verteilt hatte, die in keinerlei Beziehung zu den drei von ihm Beschuldigten standen.228

225 Zur „Bereinigung“ von Globkes Vergangenheit durch die Bundesregierung siehe z. B. „­Inneres und Justiz“ und „Ostzonale Angriffe gegen Staatssekretär Dr. Globke“ (136. Kabinettssitzung, 18. Januar 1961)“, in: Hartmut Weber (Hg.), Die Kabinettsprotokolle der Bundes­ regierung 1961, Bd. 14, München: Oldenbourg, 2004, http://www.bundesarchiv.de/cocoon/ barch/0001/k/k1961k/kap1_2/kap2_2/para3_3.html (letzter Zugriff: 16. 07. 2015). 226 Vgl. z. B. PA AA, B 26/63 – Verdächtigung von Staatssekretär Dr. Globke durch Rechtsanwalt Merten (12. 4. 1961), B 26/63 – Schmoller an Pauls (13. 4. 1961). 227 TNA, FO 371/153018 – British Embassy Bonn (4. 10. 1960). 228 Da das Datum auf dem Dokument (Freitag, 18. Juli) nicht zusammenfiel mit dem tatsäch­lichen Datum seiner Ausstellung, wurde die Authentizität der Kopie in Zweifel gezogen. Außerdem konnte nicht nachgewiesen werden, inwieweit die Kopie sich auf das jüdische Ladengeschäft bezieht, von dem den Anschuldigungen zufolge Karamanlis und seine Mitarbeiter profitiert hatten. Siehe TNA, FO 371/153018 – British Embassy Bonn (18. 10. 1960).

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Inzwischen machte Merten weiter mit der Behauptung, er verfüge über unumstöß­ liches Beweismaterial gegen Georgios Themelis, während der Besatzung Präfekt von Pella, das seine Beteiligung an der Selek­tion von Geiseln durch die Besatzer belege.229 Auch gab Merten an, es liege ein Foto vor, auf dem das Ehepaar Makris zusammen mit Konstantinos Karamanlis abgebildet sei. Dieses Foto sollte Mertens widersprüch­lichen und entsprechend unglaubwürdigen Aussagen zufolge einmal in Athen, dann wieder in Thessaloniki aufgenommen worden sein. Während Karamanlis öffent­liche Erklärungen in der Angelegenheit vermied, forderte man Makris und Themelis, deren Rücktritt von den EDA-Abgeordneten verlangt wurde, zur Verteidigung ihrer Reputa­tion im griechischen Parlament auf. Bei der entsprechenden Parlamentsdebatte hob sogar Panajotis ­Kanellopoulos als Vertreter des Premierministers die Bedeutung von Themelis, nun Staatssekretär im Verteidigungs­ ministerium, für den griechischen Widerstand hervor und bekräftigte seine Unschuld, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass Themelis Schwager während Mertens Thessaloniker Zeit von den Deutschen umgebracht worden sei.230 Weniger erfolgreich konnten Zweifel an der Zusammenarbeit von Makris Ehefrau mit der deutschen Besatzungs­verwaltung in Thessaloniki ausgeräumt werden, da diese im besagten Zeitraum als Sekretärin für Merten tätig gewesen war.231 Zu guter Letzt gab Merten bekannt, das ominöse Foto sei gar nicht in seinem Besitz und er könne die Person, der es gehöre, nicht nennen.232 Kein Wunder, dass diese neue Erklärung die Gerüchteküche anheizte.233 Angeb­lich erfuhren die deutschen Behörden vom Skandal um die Kollabora­tion griechischer Regierungspersön­lichkeiten mit den Besatzungsmächten durch Thomas Y ­ psilantis, den griechischen Botschafter in Bonn, kurz nachdem das Thema am 26. September 1960 in der Presse angekommen war. Das AA brachte umgehend sein Bedauern

229 PA AA, B 26/134 – Strafanzeige des früheren griechischen Innenministers Makris gegen Dr. Max Merten, Klaus Menzel und Günther Erich Zacharias und Strafanzeige des ehemaligen Staatssekretärs Themelis gegen Dr. Merten (14. 11. 1961). 230 PA AA, B 26/63 – Strafanzeige des früheren griechischen stellvertretenden Verteidigungs­ ministers Themelis gegen Dr. Merten u. a. wegen Verleumdung (14. 7. 1961). 231 Roger Allen, britischer Botschafter in Athen, erwähnte in seinem Bericht nach London zum Thema Merten unter anderem den kursierenden Intimklatsch, in Athen wisse „jedermann, dass diese attraktive Dame während der Besatzung Mertens Sekretärin (und, wie man sagt, auch seine Geliebte) war“. Siehe TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (18. 10. 1960). 232 TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (18. 10. 1960). 233 Es kursierten Informa­tionen, dass Merten aus der Untersuchungshaft heraus den Versuch unternahm, Fotografien griechischer Spitzenpolitiker zusammenzustellen und sie so zu retuschieren, dass er darauf mit ihnen zu sehen sein würde. Bei ­diesem Versuch soll er vom Pastor der deutschen evange­lischen Gemeinde Athen und Freunden aus Westdeutschland unterstützt worden sein. Siehe PA AA, B 26/63 – Bundespresseamt zu Auswärtiges Amt, Pressestelle (15. 2. 1961), B 26/63 – Angelegenheit Merten (17. 2. 1961); TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (18. 10. 1960).

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zum Ausdruck und hielt dafür, in dieser Sache so wenig wie nur mög­lich an die Öffent­ lichkeit zu gehen. Die deutsche Regierung gab ihr Kommuniqué erst drei Tage ­später ­heraus, und dies nur auf „nochmaliges Drängen der griechischen Regierung“.234 Angesichts der umstrittenen Maßnahme des Innenministeriums (und damit des unmittelbar involvierten Ministers Makris), sämt­liche Exemplare des Magazins Der Spiegel aufzukaufen, in dem der verleumderische Bericht abgedruckt war, schlug das Thema in Griechenland rasch hohe Wellen.235 Während die deutsche und interna­tionale Presse den Anschuldigungen Mertens zunächst kaum Aufmerksamkeit schenkte, griffen sämt­liche griechischen Medien die Nachricht über griechische Kollabora­tionspolitiker umgehend auf.236 Zwar stellte die Athener Regierung ihr anfäng­liches Bedenken zurück und informierte ausführ­lich über die Angelegenheit, doch die Anschuldigungen gegen griechische Politiker liefen auf eine innenpolitische Krise hinaus und gaben der öffent­lichen Debatte über das heikle Thema der griechischen Kollabora­tion neuen Auftrieb. Das Hauptgesprächsthema außerhalb und innerhalb politischer Zirkel wurde von der britischen Times wie folgt auf den Punkt gebracht: Es gehe darum, „ob die Koopera­tion mit den Deutschen gegen die Kommunisten schlimmer war als die Koopera­tion mit den Kommunisten gegen die Deutschen und griechischen Antikommunisten“.237 Mit Ausnahme der Linken ließen sich zahlreiche griechische Abgeordnete und sämt­liche Parteispitzen des politischen Spektrums ihren Unmut darüber anmerken, dass Mertens Anschuldigungen nicht nur die von ihm erwähnten Minister oder hohen Staatsbeamten brüskierten, sondern darüber hinaus auch den griechischen Na­tionalstolz verletzten.238 Der griechische Premierminister erklärte Anfang Oktober, die griechische Politik und ihre Vertreter hätten zwar in der Vergangenheit Demütigungen hinnehmen müssen, doch stünden die in keinem Verhältnis zum Unheil, das die „schänd­lichen Verleumdungen eines ausländischen Verbrechers“ angerichtet hätten.239 Dann trat der neue Fall Merten vor die Kulissen der deutschen und griechischen Öffent­lichkeit und wurde zum Gesprächsthema auch in anderen Ländern. Die britische Diplomatie kommentierte etwa, dass man auf Mertens Anschuldigungen in Athen mit der typischen Dosierung griechischer Findigkeit reagierte: Mal hatten die Deutschen

2 34 PA AA, B 26/63 – Zeittafel der Angelegenheit Merten – 2. Phase (ohne Datierung). 235 TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (5. 10. 1960). 236 PA AA, B 26/63 – Pressestimmen zum Fall Merten (1957 – 1961). In der griechischen Presse siehe z. B. Eleftherotypia, 2., 6. und 18. Oktober 1960; Apogevmatini, 5., 8., 18., 19. und 21. Oktober 1960. Der Bericht der deutschen Botschaft erwähnt, dass ­zwischen 1. Oktober und 31. Dezember 1960 in der griechischen Presse zu eben d­ iesem Fall 691 Beiträge veröffent­ licht wurden. Siehe PA AA, B 26/63 – Schumacher an Schmoller (17. 3. 1961). 237 The Times, 17. Oktober 1960. 238 TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (18. 10. 1960). 239 TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (11. 10. 1960).

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die Vorwürfe durchsickern lassen, um sich an den Griechen für die Vereinbarung mit der franzö­sischen Firma Pechiney et Cie über Aluminiumexporte zu rächen, dann waren es die Briten in der Absicht, die deutsche Konkurrenz vom griechischen Markt zu vertreiben, oder gar die Kommunisten, um konservative Politiker in ein schlechtes Licht zu stellen und dadurch zum Sturz der griechischen Regierung beizutragen.240 Die unabhängige griechische Zeitung Ethnos brachte die ganze Situa­tion noch mehr durcheinander mit einem Bericht, dem zufolge die Beweismittel Mertens aus britischen Quellen stammten.241 Auch kursierte das Gerücht, dass in britischen Archiven eine Liste griechischer Staatsbürger vorliege, die während der Besatzung mit den Deutschen kollaboriert hätten. Man kolportierte, dass Dieter Posser, der neue Verteidiger Mertens, Zugang zu ­diesem Archiv habe. Sofort zeigten sich sowohl deutsche als auch griechische Stellen an dieser Liste interessiert. London begriff, dass die Veröffent­lichung eines solchen Dokuments, sollte es überhaupt existieren, Öl ins Feuer des Fall Mertens schütten würde.242 Bonn entschloss sich, einen Archivar als Sonderbeauftragten nach London zur Einsicht in die besagten Dokumente zu entsenden. Die britische Diplomatie ging auf das deutsche Ansuchen zwar ein, doch war man sich der behördeninternen Korrespondenz zufolge in Großbritannien darüber einig, der Angelegenheit keinerlei Publizität einzuräumen und, sollte sich das Vorhandensein der Liste bestätigen, dies zu dementieren.243 Offiziell informierte die britische Diplomatie die Alliierten, man werde für den Fall, dass sich die Existenz der Liste bestätige, ihnen diese bekannt machen. Der deutsche Sonderbeauftragte verließ London wieder, ohne auf irgendeine Liste gestoßen zu sein.244 Daraufhin stellten die britischen Behörden Durchschriften der Merten-­Akte sowohl Athen als auch Bonn zur Verfügung. Doch auch in diesen Akten fand sich keine Liste, sodass, nachdem weder Merten noch seine Anwälte je etwas vorgelegt hatten, ihre Existenz nur vermutet werden konnte.245 Mertens Vorwürfe gegen griechische Regierungspersön­lichkeiten hatten ein juristisches Nachspiel: Als ihm Anfang Oktober 1960 die Erlaubnis des griechischen Parlaments zugestellt wurde, zwecks Vernehmung über die von ihm vorgebrachten Anschuldigungen in Griechenland einzureisen, reichten die unmittelbar

240 TNA, FO 371/153018 – British Embassy Athens (5. 10. 1960, 18. 10. 1960). 241 Ethnos, 15. Oktober 1960; TNA, FO 371/153018 – Telegram from Athens to Foreign Office (15. 10. 1960). 242 TNA, FO 371/153018 – Telegram from Athens to Foreign Office (21. und 25. 10. 1960), FO 371/153018 – From Bonn to Foreign Office (22. 10. 1960), FO 371/153018 – From Foreign Office to Athens (22. und 24. 10. 1960). 243 TNA, FO 371/153018 – From Athens to Foreign Office (21. 10. 1960). 244 TNA, FO 371/153018 – Availability of the microfilms and photostats of the archives of the former German Foreign Office (20. 10. 1960). 245 TNA, FO 371/153018 – Greece: the Merten Case (21. 10. 1960).

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betroffenen Minister Makris und Themelis bei der Athener Staatsanwaltschaft Verleumdungsklagen gegen ihn und die deutschen Journalisten der beiden erwähnten Informa­tionsmedien ein. Ende Mai 1961 leitete die Athener Justiz das erste Strafverfahren gegen Merten wegen Verleumdung ein; im Juli desselben Jahres kam es zur Eröffnung des zweiten Verfahrens.246 Doch keine der betroffenen Parteien zog in Betracht, sich an die zuständigen deutschen Justizbehörden zu wenden. Merten seinerseits hatte im Januar 1961 Anzeige gegen Doxoula Makri wegen Meineids und gegen die Bundesrepublik Deutschland erstattet, da er das griechische Rechtshilfe­ ersuchen im Fall Makris/Themelis für nicht vereinbar mit der deutschen Gesetzgebung hielt. Allerdings war die Anzeige vom Berliner Verwaltungsgericht sofort zurückgewiesen worden.247 Ende Oktober 1961 fanden in Griechenland Parlamentswahlen statt, aus denen die Na­tionale Radikale Union (Εθνική Ριζοσπαστική Ένωσις, ERE) mit Konstantinos Karamanlis an der Spitze als Sieger hervorging und er selbst wieder Premierminister wurde. Danach geriet der Fall Merten in Vergessenheit.248 Im neuen Kabinett suchte man vergeb­lich die Namen von Makris und Themelis. Das Foto, mit dem Merten seine Anschuldigungen gegen Karamanlis, Makris und dessen Ehefrau Doxoula hatte belegen wollen, hat sich nie gefunden. Das Bundesjustizministerium wies die Klage wegen Bestechung von Tousis ab, wobei Merten erklärte, damit nicht das Geringste zu tun zu haben.249 Am 10. November 1961 kam ein Athener Gericht zum Schuldspruch gegen Merten wegen Verleumdung und Beleidigung vermittels Presseberichten. M ­ erten wurde in Abwesenheit zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt, Klaus Menzel vom ­Hamburger Echo und Günther Erich Zacharias vom Spiegel zu je zwei Jahren. Makris sprach man eine Entschädigungszahlung von 70.000 Drachmen (9300 DM) zu. In der Verleumdungssache Themelis erhielt Merten ebenfalls vier Jahre Freiheitsentzug, Themelis dagegen eine Entschädigung von 10.000 Drachmen.250 Im selben Zeitraum fand in Jerusalem der Eichmann-­Prozess statt, an dem Merten im Juni 1961 von Berlin aus als Entlastungszeuge aus teilgenommen hatte. Eichmann 246 PA AA, B 26/63 – Strafanzeige des früheren griechischen stellvertretenden Verteidigungs­ ministers Themelis gegen Dr. Merten u. a. wegen Verleumdung (14. 7. 1961). 247 PA AA, B 26/134 – Klage des Rechtanwalts Dr. jur. Max Merten (20. 1. 1961), B 26/134 – Beschluss in der Verwaltungssache des Herrn Rechtsanwalt Dr. jur. Max Merten (25. 1. 1961), B 26/63 – Fall Merten (9. 2. 1961). 248 PA AA, B 26/134 – Resonanz der Athener Strafprozesse gegen Dr. Max Merten in der griechischen Presse (16. 11. 1961). 249 Vorwärts, 7. Oktober 1960; Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 176 – 178. 250 PA AA, B 26/134 – Strafanzeige des früheren griechischen Innenministers Makris gegen Dr. Max Merten, Klaus Menzel und Günther Erich Zacharias und Strafanzeige des ehemaligen Staatssekretärs Themelis gegen Dr. Merten (14. 11. 1961).

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wurde nach achtmonatigem Verfahren in 15 Anklagepunkten für schuldig befunden. Im Einzelnen ging es dabei um Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen das jüdische Volk, wofür Eichmann am 15. Dezember 1961 zum Tode verurteilt wurde.251 Merten betätigte sich weiterhin als Anwalt in Deutschland und starb 1971. Nach seiner Freilassung erhielt er vom Bezirksamt Berlin-­Schönberg eine Heimkehrerentschädigung für seine griechische Untersuchungshaft von 1957 bis 1959.252 In Berlin wurde sein Fall anfäng­lich vertagt und dann im Juni 1968 endgültig abgeschlossen, teils aus Mangel an Beweisen, teils wegen Verjährung.253 Hannah Arendt bezeichnete in ihrem Buch Eichmann in Jerusalem: ein Bericht von der Banalität des Bösen – im Abschnitt über das Schicksal der Juden in den einzelnen euro­päischen Ländern – die griechische Herangehensweise im Fall Merten als einzigartig und betonte ganz besonders „die Gleichgültigkeit der Griechen angesichts des Schicksals ihrer jüdischen Mitbürger“.254 Heute ist es mit Hilfe eingehender Untersuchungen der Primärquellen zum politischen Hintergrund des Falls Merten mög­lich, Arendts Folgerungen teilweise zu revidieren, denn man weiß nun, dass dieser Fall erheb­liche Konsequenzen für beide Länder hatte, unter anderem auch die ersten direkten Entschädigungszahlungen Deutschlands an griechische Juden.

3.4 Strafverfahren nach Übergabe des Aktenmaterials In Deutschland standen außer dem Fall Merten an und für sich auch die übrigen Fälle mutmaß­licher Kriegsverbrecher in Griechenland zur Weiterverfolgung an. Doch nach den Nürnberger Prozessen und der bald darauffolgenden Haftentlassung so gut wie aller dort Verurteilten hatte man die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher vorerst auf sich beruhen lassen. Einen erneuten Anlass zur Aufarbeitung der Vergangenheit lieferte 1958 die Gründung der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung na­tionalsozia­listischer Verbrechen“ in Ludwigsburg bei Stuttgart als gemeinschaft­liche Einrichtung aller Landesjustizverwaltungen der Bundesrepublik.255 Der Auftrag der

251 Mehr zu Eichmann siehe z. B. David Cesarani: Eichmann: His Life and Crimes, London: William Heinemann Ltd., 2004 (dt.: Adolf Eichmann: Bürokrat und Massenmörder. Aus dem Eng­lischen von Klaus-­Dieter Schmidt, Berlin: Propyläen, 2004). 252 Der Spiegel, 2. August 1961; Spiliotis, Der Fall Merten, Athen 1959, 1991, S. 76. 253 BArch.-ZSt.: StA Berlin-­Moabit, 3 P (K) Js 10/60 (4. 6. 1960). Vgl. Fleischer: „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 517. 254 Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem: ein Bericht von der Banalität des Bösen, München: Piper, 1964, S. 231. 255 Mehr zur Zentralen Stelle und ihrem Tätigkeitsspektrum siehe hauptsäch­lich Annette Weinke: Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst: Die Geschichte der Zentralen Stelle Ludwigsburg

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Zentralen Stelle, dem sie unverzüg­lich nachkam, bestand darin, ermittlungsrelevantes Material zu NS-Verbrechen zu sammeln. Ihre Einrichtung wird als Wendepunkt in der Bonner Herangehensweise an die Ahndung von NS -Verbrechen bezeichnet.256 Die meisten Vorgänge zu NS-Kriegsverbrechen, ob als Kriegshandlung oder Maßnahme gegen die Zivilbevölkerung verübt, liegen in Ludwigsburg.257 Doch auch die Arbeit der Ludwigsburger Stelle führte nicht dazu, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre Tätigkeit wieder aufnahmen. Unter all den Prozessakten, die auch nach Mertens Verhaftung aus Griechenland entgegengenommen worden waren und deren Weg und Verbleib größtenteils unbekannt sind, griff man ledig­lich die Ermittlung im Fall Heinz Zabel und Kurt Rickert, denen man die Beteiligung am Distomo-­Massaker zur Last legte, wieder auf. Ihre Strafverfolgung wurde Ende Januar 1958 vom Konstanzer Landgericht mit der Begründung eingestellt, dass es an Beweisen mangele.258 Auf Mertens Verhaftung und die Proteste der griechischen Regierung hin, dass aus Bonn immer noch nicht über die Einleitung von Verfahren in den 1952 bzw. 1956 überstellten Fällen berichtet worden war, gab das AA im Sommer 1957 eine Denkschrift zur Tätigkeit deutscher Stellen in Sachen Kriegsverbrecherfrage heraus. Der Denkschrift ist ein Hinweis auf das Treffen der Landesjustizminister Ende Oktober 1956 zu entnehmen, bei dem entschieden wurde, die einschlägigen Beweismaterialien an die Landesjustizverwaltungen der zuständigen Bundesländer weiterzuleiten. In der Folge bestätigten die zuständigen Stellen die Einleitung eines Strafverfahrens und informierten Athen schrift­lich Mitte Mai 1957.259 Im August 1957 übergab die deutsche Botschaft dem griechischen Außenministerium Bescheide weiterer westdeutscher Staatsanwaltschaften. Der Korrespondenz der Athener deutschen Botschaft ist zu entnehmen, dass in ­diesem Zeitraum ein Großteil der Strafverfahren eingestellt wurde. Dazu gehörte auch der Fall Walter Paschleben, ehemals Leiter von Sicherheitspolizei (SiPo) und Sicherheitsdienst (SD ) im besetzten Thessaloniki.260 1958 – 2008, Darmstadt: Wissenschaft­liche Buchgesellschaft, 2008. 256 Ota Konrád: Soudní cesta vyrovnání se s minulostí v poválečném Německu (1945 – 1965) (Der Gerichtsweg zur Aufarbeitung der Vergangenheit mit Nachkriegsdeutschland), in: J. Končelík u. a.: Rozvoj české společnosti v Evropské unii. III, Média. Teritoriální studia (Die Entwicklung der tschechischen Gesellschaft in der EU. Medien, Regionalstudien), Prag: Matfyzpress, 2004, S. 240 – 257. 257 Adalbert Rückerl: NS-Verbrechen vor Gericht: Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Heidelberg: C. F. Müller, 1984, S. 296 f. 258 BArch.-ZSt.: StA Konstanz, 1 Js 3496/52 (II AR 90/57) – Zabel u. a. (21. 1. 1958). 259 PA AA, B 26/63 – Memorandum: Griechische Strafverfahren gegen deutsche Staatsange­ hörige, denen in Griechenland Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden (9. 7. 1957). 260 PA AA, B 26/63 – Griechische Strafverfahren gegen deutsche Staatsangehörige, denen in Griechenland Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden (17. 8. 1957). Die Strafsache Paschleben

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Das im November 1959 in Athen verabschiedete Gesetz beendete de facto die Strafverfolgung deutscher Staatsbürger wegen Verübung von Kriegsverbrechen auf griechischem Territorium. Gleichwohl wies der deutsche Botschafter Seelos Bonn wenige Tage nach Mertens Auslieferung warnend darauf hin, dass weder die griechische Regierung noch die griechische öffent­liche Meinung das Interesse am Fortgang der Angelegenheit verloren hätten. Die Opposi­tion, so Seelos, sitze in den Startlöchern, um im Wahlkampf aus einer eventuellen Untätigkeit deutscher Justizbehörden Kapital zu schlagen. Er betonte auch, dass die griechische Justiz die Ermittlungen zu diesen Personen eingestellt hatte, in der Meinung, diese würden von den zuständigen deutschen Justizbehörden zur Rechenschaft gezogen. Auch äußerte er sich skeptisch angesichts der Tatsache, dass nach der Überstellung von 685 Fällen aus den betreffenden Listen nach zweieinhalb Jahren Vorermittlungen kein einziger bekannt war, bei dem es zur Hauptverhandlung gekommen oder irgendein Urteil gefällt worden war. Tatsäch­lich waren in Deutschland bis dahin sämt­liche diesbezüg­lichen Strafsachen entweder eingestellt oder noch in Gang, jedoch ohne Urteilsspruch verblieben.261 Andererseits bestanden erheb­liche Bedenken, Vorermittlungen in diesen Fällen könnten unangenehme Folgen nicht nur für Westdeutschland, sondern auch für Griechenland nach sich ziehen. Zu Beginn des Sommers 1960 übermittelte die Bochumer Staatsanwaltschaft dem westdeutschen Justizminister ein Rechtshilfeersuchen für insgesamt zehn Fälle von Kriegsverbrechen an der griechischen Zivilbevölkerung.262 Einer dieser Fälle betraf die Strafverfolgung des ehemaligen Generalobersts der Luftwaffe Kurt Student, Kommandeur der Fallschirmtruppen bei der Einnahme Kretas. Seine Akte war 1946 durch einen Gerichtsentscheid der britischen Zone Deutschlands geschlossen und elf Jahre ­später von der deutschen Justiz wieder aufgenommen worden. Man war sich jedoch unsicher über den weiteren Umgang mit ­diesem Fall, nicht nur wegen Mangels an Beweisen, die gegen Student sprachen, sondern auch in Anbetracht von Aussagen griechischer Zeugen, die für ihre betont deutschfreund­liche Haltung während der Besatzung bekannt waren.263 Die deutschen Justizstellen vermuteten, dass diese Zeugenaussagen Griechenland womög­lich in Verlegenheit bringen könnten. So baten sie um Auskünfte darüber, ob die griechische Seite „Bedenken politischer Art“ gegen die Wiederaufnahme des Falls vorbringen wolle.264 wurde im darauffolgenden Jahr erneut aufgegriffen, allerdings nach fünf Jahren wieder eingestellt. Siehe BArch. ZSt.: StA. Hamburg, 141 Js 374/58 (3. 1. 1963). 261 PA AA, B 26/63 – Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (20. 11. 1959). 262 PA AA, B 26/133 – Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in Strafsachen (3. 6. 1960). 263 PA AA, B 26/133 – Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in Strafsachen (3. 6. 1960). 264 Kurt Student wurde 1946 von einem britischen Militärgericht in Lüneburg zu fünf Jahren Haft verurteilt, ohne dass das Urteil Rechtskraft erlangte. Siehe Case No. 24: Trial of Kurt Student, British Military Court, Luneberg, Germany, 6th–10th May, 1946, United Na­tions

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Im selben Zeitraum bestätigte das griechische Außenministerium per Verbalnote, dass die Namen deutscher Staatsbürger aus den griechischen Kriegsverbrecherlisten gestrichen worden waren. So ging eine Angelegenheit zu Ende, in der die deutsche Botschaft über Monate hin starken Druck auf die griechische Seite ausgeübt hatte.265 Hagen Fleischer zufolge strich man aus diesen Listen nicht nur die Namen deutscher, sondern auch österreichischer Staatsangehöriger, wie z. B. Alois Brunner.266 Trotz Athener Zugeständnissen beklagte sich das Bonner AA im Herbst 1960 nach wie vor darüber, dass wegen erheb­licher Probleme der Fortgang der Ermittlungen behindert sei.267 Laut einer Erklärung der Landesjustizverwaltungen ging die verlängerte Vorermittlungsphase auf zwei Gründe zurück: Die eingetragene Namensform der Beschuldigten und Zeugen war nicht identisch mit den tatsäch­lichen Namen, da häufig phonetisch bedingte Transkrip­tionsfehler unterliefen. In nicht wenigen Fällen war nur der Vorname ohne Nachname vermerkt, manchmal nur der Spitzname angeführt, oder Namen waren verstümmelt wiedergegeben. Die Einheiten, bei denen die einzelnen Personen gedient hatten, waren nur gelegent­lich schrift­lich festgehalten. Mit Straftaten wurden auch ganze Einheiten belastet, die sich zum betreffenden Zeitpunkt überhaupt nicht am Ort des Geschehens aufgehalten hatten. Ähn­liches galt auch für Einzelpersonen. Häufig beschuldigte man nicht die Kommandeure, sondern einzelne Soldaten, die zur Ausführung von Befehlen ihrer Vorgesetzten verpflichtet waren. Einige mutmaß­liche Kriegsverbrecher waren bereits während des Krieges oder kurz danach gestorben bzw. galten als vermisst. Andere waren längst verurteilt. Manche der aufgeführten Personen hielten sich in Ostdeutschland oder in Österreich auf. Auch waren deutsche Behörden nicht in der Lage, den Wohnort mutmaß­licher Kriegsverbrecher ausfindig zu machen. Ähn­liche Probleme ergaben sich bei der Ermittlung des Wohnorts von Zeugen. Manche Zeugen lieferten eine präzise Beschreibung der Ereignisse, waren aber nicht imstande, sich an die Namen der Verantwort­lichen zu erinnern. Andere konnten nach 15 Jahren die Geschehnisse nicht mehr exakt wiedergeben. Auch erwähnte das AA in seinem

War Crimes Commission: Law Reports of Trials of War Criminals. Vol. IV, Library of Congress, http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/NT_war-­criminals_Vol-­I V.pdf (letzter Zugriff: 26. 07. 2015). Eine ähn­liche Frage stellten die deutschen Justizbehörden auch in der Sache Wilhelm Kron, der ebenfalls der Verübung von Verbrechen in Griechenland beschuldigt wurde. PA AA, B 26/133 – Rechtshilfeverkehr mit Griechenland in Strafsachen (16. 7. 1960), B 26/133 – Verfahren gegen Deutsche wegen in Griechenland begangener Kriegsverbrechen (14. 7. 1960). 265 PA AA, B 26/133 – Kriegsverbrecherfrage in Griechenland (20. 7. 1960). 266 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 518. 267 PA AA, B 26/133 – Strafverfahren gegen ehemalige deutsche Wehrmachtsangehörige wegen angeb­lich in Griechenland begangener Kriegsverbrechen (22. 9. 1960).

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Bericht, dass ein Großteil des Beweismaterials nach wie vor in Griechenland liege und seine Überstellung sich verzögere, trotz wiederholter Anmahnungen der deutschen Botschaft, die Angelegenheit müsse bereinigt werden.268 Bei weiteren Prozessen zog sich das Verfahren so sehr in die Länge, dass die Delikte verjährten.269 Diese Taktik wurde nicht nur im Fall Griechenlands angewandt; man bediente sich ihrer bei sämt­lichen Vorermittlungen zu Kriegsverbrechen, und die Heran­ ziehung von Ausreden dieser Art war dann die Regel im deutschen Umgang mit Strafverfolgungen. Der Tübinger Strafrechtslehrer Jürgen Baumann etwa hat sich in seiner 1964 erschienenen Untersuchung über die strafrecht­liche Problematik der NS-Verbrechen dazu geäußert. Baumann stellte die Probleme im Rahmen des materiellen und Verfahrensrechts dar und ging argumentativ vor allem auf Beweiskraft und Gewicht von Vernehmungsprotokollen ein, aber auch auf Zeugenaussagen und deren Überprüfung sowie auf Fragen von Verjährung und recht­licher Zuständigkeit zur Untersuchung solcher Verbrechen. Im Rahmen des materiellen Rechts befasste er sich hauptsäch­lich mit dem Begriff der Tatbestandsmäßigkeit im Kriegszustand, der Verantwort­lichkeit von Tatverdächtigen im Hinblick auf die militärische Rangordnung, mit der Verübung von Gesetzeswidrigkeiten sowie mit strafrecht­lich relevantem Verhalten und der Zuweisung von Verantwortung für Vorgänge, die in Friedenszeiten nicht vorkommen.270 Unter den gegebenen Umständen sah man im Frühjahr 1962 in Bonn dem Besuch von Andreas Tousis, Generalstaatsanwalt am griechischen Obersten Verwaltungs­ gerichtshof (Areopag) und ehemaliger Leiter des griechischen Kriegsverbrecherbüros, entgegen. Diesmal sollte er in Begleitung eines Vertreters des griechischen Justiz­ ministeriums kommen. Ziel seiner deutschen Gesprächspartner war es, den Vertretern Griechenlands die Heran- und Vorgehensweise bei NS -Kriegsverbrecherfällen zu demonstrieren. Während des sich auf eine Woche erstreckenden Besuchs setzte sich die griechische Delega­tion, der ein vielfältiges Kulturprogramm geboten wurde, wiederholt mit Spitzenbeamten des Bundesjustizministeriums zusammen. In Berlin traf sie sich mit dem Justizsenator, in Dortmund besuchte sie die „Zentralstelle für die Bearbeitung na­tionalsozia­listischer Massenverbrechen“, in Düsseldorf das Justiz­ ministerium des Landes Nordrhein-­Westfalen und in Koblenz das Bundesarchiv.271

268 Die absurden und unwahrschein­lichen Details an verschiedenen Stellen des deutschen Berichts erschwerten jeg­liche Aussicht, potentielle Zeugen heranzuziehen. Siehe PA AA, B 26/133 – Strafverfahren gegen ehemalige deutsche Wehrmachtsangehörige wegen angeb­lich in Griechen­ land begangener Kriegsverbrechen (22. 9. 1960). 269 Rondholz, Rechtsfindung oder Täterschutz?, 1999, S. 228. 270 Jürgen Baumann: Die strafrecht­liche Problematik der na­tionalsozia­listischen Verbrechen, in: Henkys (Hg.), Die na­tionalsozia­listischen Gewaltverbrechen, 1965, S. 267 – 321. 271 PA AA, B 26/133 – Einladung von 2 Angehörigen der griechischen Justizverwaltung in die Bundesrepublik (24. 4. 1962, 8. 5. 1962).

Strafverfahren nach Übergabe des Aktenmaterials  |  177

Der Austausch und die Begegnungen führten zum gewünschten Erfolg. Im Abschlussbericht an das griechische Justizministerium schob Tousis die Schuld für B ­ lockaden und Ineffizienz bei den Ermittlungsverfahren nicht allein auf Bonn, sondern machte dafür auch die Nachlässigkeit griechischer Dienststellen verantwort­lich. Er hob außerdem hervor, dass die gewünschten Resultate in bestimmten Fällen sich nur dann einstellen würden, wenn die betreffenden Prozessakten auf griechischer Seite erneut geprüft und griechische Dienststellen auf deutsche Rechtshilfeersuchen eingehen würden.272 Offiziellen Verlautbarungen der deutschen Justiz zufolge gingen die Gerichte bundesweit mit der gebotenen Sorgfältigkeit den NS -Kriegsverbrecherfällen nach, was sich auch anhand der Statistiken des westdeutschen Justizministeriums zeige.273 Bis 1958 wurden von alliierten und deutschen Gerichten insgesamt ungefähr 10.000 Personen verurteilt. Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg etwa trug in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens zur Einleitung von Vorermittlungen in 645 Fällen bei, darunter auch einigen aus Griechenland. In manchen Fällen wurde sofort ein Verfahren eröffnet, 418 Fälle leitete man an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter. In 64 Fällen wurde 152 Personen der Prozess gemacht, von denen 129 mit einer Verurteilung endeten.274 Doch keiner der Verurteilten war mit Verbrechen in Griechenland belastet worden. Auch kam es bei einem erheb­lichen Teil der Fälle überhaupt nicht zur Hauptverhandlung. Davon abgesehen wurden 1964 viele Straffälle gegen NS -Verbrecher wegen Ablebens ad acta gelegt oder wegen unbekannten Wohnsitzes der Angeklagten vertagt. Viele Fälle, bei denen es um weniger schwere Straftaten als Mord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord ging, waren bereits früher verjährt.275 Im November 1964, ungefähr ein halbes Jahr vor Ablauf der Verjährungsfrist für Strafverfolgungen von Mord in Kriegszeiten und 20 Jahre nach der deutschen Kapitula­tion, forderte die Bundesregierung Staaten, Organisa­tionen und Privatpersonen öffent­lich auf, mit Ablauf des Monats März 1965 der deutschen Justiz bislang unbekanntes Beweismaterial vorzulegen.276 Sobald Dimitrios Pappas, Ministerial­ direktor im griechischen Außenministerium, das deutsche Aide-­Mémoire zur

272 Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 520. 273 Albrecht Götz: Bilanz der Verfolgung der NS-Straftaten, Köln: Bundesanzeiger, 1986, S. 146. 274 Henkys (Hg.), Die na­tionalsozia­listischen Gewaltverbrechen, 1965, S. 195 – 200. 275 Geringfügigere Delikte, etwa Körperverletztung oder Sachbeschädigung, verjährten bereits 1955. Siehe Annette Weinke: „Alliierter Angriff auf die na­tionale Souveränität?“ Die Strafverfolgung von Kriegs- und NS-Verbrechen in der Bundesrepublik, der DDR und Österreich, in: Frei (Hg.), Transna­tionale Vergangenheitspolitik, 2006, S. 56. Vgl. auch Dressen, Deutsche Sühnemaßnahmen, 2001, S. 31 – 41. 276 PA AA, AV Neues Amt/1679 – Verjährung der NS-Verbrechen (2. 12. 1964).

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Kenntnis genommen hatte, äußerte er Zweifel daran, dass auf griechischem Boden noch Beweismaterial existierte, versicherte aber dem deutschen Botschafter, Griechenland würde, sollte sich entsprechendes Material auffinden lassen, dies unverzüg­ lich überstellen.277 Drei Wochen vor Fristablauf übergab Griechenland dann etwa zwei Dutzend neue Akten an Deutschland, verbunden mit dem Bescheid, dass weitere 200 Akten zu NS-Verbrechen vorlägen, und ersuchte gleichzeitig um einen viermonatigen Aufschub, um das Material klassifiziert überstellen zu können.278 Gegen Ende März erfolgte die Übergabe von ca. 100 Akten (darunter auch der Fall des ehemaligen Befehlshabers Saloniki-­Ägais, Generalleutnant Curt von Krenzski, der 1942 den Befehl für den Zwangseinsatz der Thessaloniker Juden erteilt hatte).279 Weitere 130 Akten wurden im Zeitraum April–Juli 1965 an Deutschland überstellt.280 Mit den 22 Akten, die man schon 1952 abgeben hatte, sowie weiteren 167 in 1957 waren es insgesamt nun mehr als 440 überstellte Akten, wobei von den 1344 NS-Verbrecherfällen, die statistischen Angaben des Bundestags von 1965 zufolge nach Deutschland gelangt waren, nur 313 aus Athen stammten. Dies lässt den Schluss zu, dass Bonn einige der Akten tatsäch­lich nur „entgegengenommen“ hatte. Doch auch mit diesen 313 Akten stand Griechenland, was die Überstellung neuer Prozess­akten anging, im Vergleich zu anderen Ländern an erster Stelle (aus Italien: 57 Fälle, aus Norwegen: 36 und noch weniger aus anderen Ländern).281 Für die deutsche Justiz war es nun eigent­lich das Nächstliegende, sich schleunigst an die Überprüfung dieser Akten zu machen, um dem Ablauf der Verjährungsfrist für Mord zuvorzukommen.282 Mit derartigen Tatbeständen hätten sich die deutschen Strafverfolgungs­behörden in jenen Monaten gezielt befassen müssen, zumal nun auch neues Material zur eingehenden Evaluierung anstand.283 277 PA AA, AV Neues Amt/1679 – Beschaffung noch nicht bekannten Materials für die Verfolgung von NS-Verbrechern (11. 1. 1965). 278 PA AA, AV Neues Amt/1679 – Verfolgung na­tionalsozia­listischer Straftaten (16. 3. 1965), AV Neues Amt/1679 – Aide-­Mémoire (11. 3. 1965). 279 Griechenland verwies bei der Übergabe der Prozessakten wiederholt darauf, dass die phone­ tische Transkrip­tion auf der Grundlage von Zeugenaussagen nach griechischen Rechtschreib­ regeln durchgeführt wurde. Siehe PA AA, AV Neues Amt/1679 – Note Verbale (15., 19., 24. und 27. 3. 1965). 280 Die nachträg­liche Überstellung der Akten war mög­lich aufgrund der vierjährigen Verlängerung, die der Bundestag am 13. April 1965 für die Strafdelikte der vorsätz­lichen Tötung, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder des Völkermords beschloss. Siehe PA AA, AV Neues Amt/1679 – Verfolgung na­tionalsozia­listischer Straftaten (19. 5. 1965). 281 Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 205. 282 Henkys (Hg.), Die na­tionalsozia­listischen Gewaltverbrechen, 1965, S. 196. 283 PA AA, AV Neues Amt/1679 – Telegramm von Bonn an Diplogerma Washington, Paris, London, Moskau, Athen, Wien usw. (19. 12. 1964).

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Obgleich die Bundesregierung schon im Dezember 1964 erklärt hatte, man wolle alles unternehmen, um sämt­liche Kapitalverbrechen so bald wie mög­lich einer Ahndung zuzuführen, unabhängig davon, ob die Verjährungsfrist verlängert würde oder nicht, setzte sich seinerzeit insgesamt der Eindruck durch, dass die deutschen Justiz­organe nicht mit der angemessenen Effizienz vorgingen, insbesondere in den Fällen, die mit Vergeltungsak­tionen zu tun hatten.284 Bei einem dieser Fälle handelte es sich um die Vernehmung von Personen, die mutmaß­lich am Kalavryta-­ Massaker mitgewirkt hatten. Nach Untersuchung des neuen, 1965 vom griechischen Außenministerium überstellten Beweismaterials verfügte die Münchner Staatsanwaltschaft im Sommer 1972 die endgültige Einstellung von Vorermittlungen zu 17 unter Verdacht stehenden Wehrmachtssoldaten. Wie die Staatsanwaltschaft erachtete, waren die meisten Straftatbestände verjährt, da die des mehrfachen Mordes beschuldigten Personen entweder bereits verstorben waren, durch Zeugenaussagen nicht hinreichend identifiziert werden konnten oder ihr Wohnsitz nicht zu ermitteln war.285 Dies betraf etwa den Fall Konrad Döhnert, dessen Name von Zeugen in der griechischen Aussprache und Transkrip­tion fälschlich als „Tenner“ wiedergegeben worden war. Sein Fall wurde abgeschlossen, da es der Staatsanwaltschaft nicht mög­lich war, Döhnerts Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Er, den alle, die das Kalavryta-­Massaker überlebt hatten, als sadistischen Mörder beschreiben, ließ sich nach dem Krieg in Oberösterreich nieder und starb sieben Jahre nach der Einstellung seiner Strafverfolgung.286 Ähn­lich verfuhr auch die Bochumer Staatsanwaltschaft bei der Strafverfolgung von Franz Juppe und Oskar Foerster, denen ebenfalls Greueltaten in Kalavryta zur Last gelegt wurden. Die Bochumer Staatsanwaltschaft stellte dabei alles bisher Dagewesene in den Schatten, indem sie die „Sühnemaßnahme“ von Kalavryta als legitime Reak­ tion auf die Ermordung deutscher Wehrmachtsangehöriger rechtfertigte, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass letzt­lich „nur“ die männ­liche Bevölkerung des Städtchens erschossen worden sei. Dass selbst der deutsche Befehlshaber in Athen General Felmy schon seinerzeit Vergeltungsmaßnahmen untersagt hatte, war für die Bochumer Staatsanwaltschaft ohne Belang. Aufgrund von Zeugenaussagen, am „Unternehmen Kalawrita“ habe Foerster gar nicht teilgenommen, wurde er entlastet und freigesprochen. Was Juppe anging, war die Staatsanwaltschaft der Ansicht, die von Griechenland vorgebrachten Anschuldigungen ­seien zu allgemein und hätten außerdem bei der

284 Ebd.; Rondholz, Rechtsfindung oder Täterschutz?, 1999, S. 226. 285 BArch.-ZSt.: StA München I., 117 Js 22 – 77/68 (18. 6. 1972) sowie ZSt Ludwigsburg, 508 AR 1293/68. Vgl. auch den Artikel „Ak­tion Kalawrita“ mit Kritik an der deutschen Justiz in: Der Spiegel, 6. Oktober 1969. 286 Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 358 – 360.

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Vorermittlung nicht bestätigt werden können; damit wurde auch diese Strafverfolgung im März 1974 endgültig eingestellt.287 Einen ähn­lichen Ausgang nahmen auch die Vorermittlungen zum Blutbad in Distomo. Am 27. November 1972 befand die Münchner Staatsanwaltschaft, dass der Tatbestand (vom 10. Juni 1944) verjährt sei. Mit anderen Worten: Man ließ den Inhalt der Vorermittlungen gelten, die schon während der Besatzung durchgeführt worden waren. Die damalige Militärverwaltung hatte sich mit der Überprüfung der Richtigkeit des Lautenbach-­Berichts über die Vergeltungsak­tion in Distomo befasst und bestätigt, dass diese keineswegs der NS -Rechtsauffassung zuwiderlief.288 Gegen Ende der 1960er Jahre führte die Staatsanwaltschaft München auch eine Vorermittlung zu den Vergeltungsmaßnahmen in Kommeno durch. Das Strafverfahren konzentrierte sich auf Major Klebe. Er hatte sich lange Zeit in Argentinien aufgehalten und war 1969 nach Deutschland zurückgekehrt. Klebe bestritt nicht, dass ihm die Gesamtführung der Opera­tion in Kommeno oblegen hatte. Er habe aber nicht an Vergeltungsak­tionen teilgenommen und sei ledig­lich im Nachhinein über die Opera­tion informiert worden. Da Klebe die Maßnahme nicht angeordnet hatte, stellte man das Strafverfahren mangels Beweisen ein.289 Ebenfalls eingestellt wurde im Dezember 1974 in Hamburg die Vorermittlung zu Werner Schlätel, dem Hauptverdächtigen im Fall Klissoura.290 Etwa zur selben Zeit begannen die Vorermittlungen zur Deporta­tion der jüdischen Bevölkerung aus Thessaloniki sowie – nach der italienischen Kapitula­tion – aus der ehemaligen italienischen Besatzungszone. In bestimmten Straffällen handelte es sich bei den Beschuldigten um deutsche Offiziere der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SiPo/SD ) der Außenstelle Athen, darunter Walter Blume, sowie um Wehrmachtsoffiziere, die auf lokaler Ebene an der „Endlösung“ beteiligt gewesen waren, etwa in Ioannina, auf Korfu, Kreta, Rhodos und Kos. Die Vorermittlung in diesen Fällen wurde spätestens Anfang der 1970er Jahre eingestellt, wobei sich die Begründung der Staatsanwaltschaft mit der in den vorangegangenen Fällen deckte: Die untersuchten Delikte waren entweder verjährt, die Beschuldigten nicht zu identifizieren bzw. zu ermitteln oder in der Zwischenzeit verstorben. Blume war bereits im 9. Nürnberger Nachfolgeprozess verurteilt worden, sodass sein Fall als beendet galt.291 287 BArch.-ZSt.: StA Bochum, AZ 33 Js 655/72 (21. 3. 1974). Vgl. z. B. Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 355 – 357; Rondholz, Kalavryta 1943, 2003, S. 67. 288 BArch.-ZSt.: StA München I., 117 Js 5 – 33/69 (27. 11. 1972), ZSt Ludwigsburg, 508 AR 1186/68 ZSL. 289 Meyer, Kommeno, 1999, S. 124 – 126. 290 BArch.-ZSt.: StA Hamburg, 147 Js 30/70 (19. 12. 1974). 291 Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S. 445; BArch ZSt. StA Bremen 10 Js 156/64 (22. 1. 1971).

Strafverfahren nach Übergabe des Aktenmaterials  |  181

Kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist für die schwersten NS -Verbrechen entbrannte in der Bundesrepublik Deutschland erneut eine Diskussion über die Abänderung gesetz­licher Bestimmungen zur Verjährung von Mord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Die sogenannte Verjährungsdebatte endete damit, dass die strafrecht­liche Ahndung für Mord vorerst bis zum Jahresende 1969 mög­lich sein sollte. Schließ­lich wurde die Frist (bis zur endgültigen Abschaffung der Verjährung für die besagten Straftaten am 3. Juli 1979292) um weitere zehn Jahre verlängert. Doch keiner der mutmaß­lichen NS -Verbrecher in Griechenland musste sich je vor den Richtern rechtfertigen.293 Der UNO -Konven­tion von 1968 zur Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die am 11. November 1970 in Kraft trat, traten nach und nach 51 Staaten, hauptsäch­lich des damaligen Ostblocks, bei, darunter auch die Deutsche Demokratische Republik (1973). Doch wie die meisten west­lichen Länder trat auch Bonn dieser Konven­tion nie bei. Dies hätte näm­lich zur Folge gehabt, dass nicht nur die Verjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch die von Kriegsverbrechen im Allgemeinen vom Tisch gewischt worden wäre.294 Gestützt auf Dokumente der UN -Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen, die Westdeutschland erst in den 1980er Jahren überstellt worden waren, wurde ein weiteres, vermut­lich ein letztes Mal, die erneute Überprüfung der Fälle von Vergeltungsak­tionen im besetzten Griechenland wieder in Gang gesetzt. Die Staatsanwaltschaft München unterbrach jedoch am 15. November 1991 ein abermaliges Strafverfahren unter Berufung darauf, dass man die Beschuldigten nicht ermitteln könne.295 So wurde in keiner der insgesamt 800 Strafsachen, die Athen an Bonn abgegeben hatte, je eine Anklage erhoben.296 Die wohl letzte Vorermittlung zu NS -Verbrechen auf griechischem Boden, die in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor anhängig ist, betrifft den Fall Alois Brunner, dessen Tod offiziell nicht bestätigt ist.

292 Sechzehntes Strafrechtsänderungsgesetz (16. StÄndG) vom 16. 7. 1979, BGB l. I, 1979, S. 1046. 293 PA AA, AV Neues Amt/1679 – Verfolgung na­tionalsozia­listischer Straftaten (19. 5. 1965), danach AV Neues Amt/1679 – Verjährungsfrist von NS-Verbrechen (7. 2. 1969, 7. 5. 1969). 294 Conven­tion on the Non-­applicability of Statutory Limita­tions to War Crimes and Crimes Against Humanity, United Na­tions Treaty Collec­tion (Stand: 9. Oktober 2001), https:// treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY &mtdsg_no=IV -6&chapter= 4&lang=en (letzter Zugriff: 26. 07. 2015). 295 Dressen, Deutsche Sühnemaßnahmen, 2001, S. 36. 296 PA AA, AV Neues Amt/1679 – Raab an Limbourg (19. 12. 1965). Vgl. auch Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 380.

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In Griechenland fällt die entsprechende Bilanz noch verblüffender aus. Mord ist nach 20 Jahren in Griechenland verjährt, falls in d ­ iesem Zeitraum keine Vorermittlung eingeleitet wird.297 Vor allem 2003 hat man sich anläss­lich des Prozesses gegen die ­Mitglieder der Terrororganisa­tion „17. November“ gelegent­lich über eine Verlängerung der Verjährungsfrist geäußert. Doch von den vor über 70 Jahren verübten NS -Verbrechen war in der Vorlage zur zehnjährigen Fristverlängerung wieder einmal keine Rede.298 Im Mai 2002 ratifizierte Athen das Römische Statut des Interna­tionalen Strafgerichtshofs und damit die Unverjährbarkeit von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In der Debatte darüber kam die Annahme einer Bestimmung zur Nichtverjährung von NS-Kriegsverbrechen kein einziges Mal zur Sprache.299 Nach wie vor gilt die Gesetzgebung von 1959 zur Einstellung der Verfolgungen deutscher Kriegsverbrecher als das formaljuristische Ende von Strafverfolgungen im Zusammenhang mit der deutschen Besatzung.300

297 PA AA , AV Neues Amt/1679 – Verlängerung der Verjährungsfrist für NS -Verbrechen (25. 2. 1965). Vgl. auch das griechische Gesetz 1492/1950 (17. 8. 1950) – Περί κυρώσεως του Ποινικού Κώδικος (Zur Verabschiedung des Strafgesetzbuchs), Griechisches Regierungsblatt ΦEK A’ 182/1950. 298 Vgl. z. B. Zeitung Ta Nea, 17. November 2003, http://www.in.gr/news/reviews/article. asp?lngReviewID=441065&lngItemID=496599; Rizospastis, 10. April 2004, http://www2. rizospastis.gr/page.do?publDate=10/4/2004&pageNo=15&direc­tion=1 (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). Ähn­lich sieht der Entwurf des neuen Strafgesetzbuchs von 2014 aus, siehe Τελικό σχέδιο νέου Ποινικού Κώδικα (Endfassung des Entwurfs zum neuen Strafgesetzbuch), Δικηγορικός Σύλλογος Λάρισας (Rechtsanwaltskammer Larissa), http://www.dslar.gr/2014/08/ teliko-­schedio-­neou-­poinikou-­kodika (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). 299 Das Römische Statut stellt eine Antwort auf die entsetz­lichen Vorgänge in Jugoslawien und Ruanda dar, betrifft aber nur Verbrechen, die nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden. Das Statut wurde von mehr als 100 Ländern ratifiziert, darunter auch von Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland. Siehe Rome Statute of the Interna­tional Criminal Court, United Na­tions Treaty Collec­tion, https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx? src=TREATY&mtdsg_no=XVIII-10&chapter=18&lang=en (letzter Zugriff: 18. 07. 2015); States Parties to the Rome Statute of the ICC , According to the UN General Assembly Regional Groups, Coali­tion for the Interna­tional Criminal Court, http://www.iccnow. org/documents/Ratifica­tionsbyUNG roup_18_July_08.pdf (letzter Zugriff: 18. 07. 2015). 300 Dies betrifft merkwürdigerweise nicht nur deutsche Staatsbürger, sondern auch den Österreicher Alois Brunner. Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, 2006, S. 528 – 531.

4. Reparationen und Entschädigungen 4.1 Internationale Abkommen Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs waren sich über die verheerenden Folgen des Versailler Friedensvertrags (1919) und der sonstigen Repara­tionsregelungen in den 1920er Jahren sehr wohl im Klaren. Daher hielten sie es für unklug, dem besiegten Deutschland riesige Repara­tionssummen wie nach dem ­Ersten Weltkrieg aufzuerlegen.1 Man befürchtete, dass sich in dem zerstörten und zerrütteten Land erneut extremis­tische Tendenzen politisch behaupten könnten. Der Beginn des offenen Kalten Kriegs aus Anlass der Berlinblockade im Juni 1948 verlieh dem Thema der Kriegsrepara­tionen eine vollkommen neue Dimension. Im März 1947, kurz vor Ausbruch der ersten Berlin­ krise, also gut ein Jahr nach Beginn des Bürgerkriegs in Griechenland 1946, hatten die USA mit der Truman-­Doktrin eine „Eindämmungspolitik“ gegenüber dem Kommunismus eingeleitet. Um Griechenland vor der kommunistischen Gefahr zu s­ chützen, standen sie nun in der Nachfolge von Großbritannien, das durch den Krieg selbst stark geschwächt war, für die Lieferung militärischer und humanitärer Hilfe an Athen ein.2 In der Geschichtsschreibung wird exakt dieser Tatbestand oft als Markstein in den Ost-­West-­Beziehungen hervorgehoben. Die Polarisierung der Welt im Kalten Krieg forcierte die Bemühungen des Westens, die Bundesrepublik Deutschland in seine politischen und militärischen Strukturen zu integrieren, ohne dabei dessen NS -Vergangenheit zu erwägen.3 Noch vor der bedingungslosen Kapitula­tion der deutschen Streitkräfte fand im ­Februar 1945 das erste Gipfeltreffen ­zwischen den Staatschefs der Sowjetunion, USA und Großbritanniens zur Frage deutscher Kriegsrepara­tionen in Jalta statt, bekannt auch als Krim-­Konferenz. In großen Zügen waren sich die Siegermächte einig, dass Deutschland für die Verluste der „Vereinten Na­tionen“ während des Kriegs die Verantwortung übernehmen müsse. Repara­tionen sollten in Form deutscher Waren sowie durch Verwendung deutscher Arbeitskräfte und Vermögenswerte außerhalb und innerhalb Deutschlands abgegolten werden. Die Planung im Einzelnen wollte man bei Folgeverhandlungen

1 Vgl. z. B. Werner Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2005, S. 75. 2 Lawrence S. Wittner: American Policy toward Greece, 1944 – 1949, in: Iatrides (Hg.), Greece in the 1940s, 1981, S. 233 f. 3 Hans Günter Hockerts: Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa: Eine einführende Skizze, in: Hockerts (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung, 2006, S. 15; Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S. 476 – 478.

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der „Großen Drei“ konkretisieren.4 Als richtungsweisend bei d­ iesem Thema erwiesen sich die Potsdamer Konferenz, die Pariser Repara­tionskonferenz sowie die Londoner Schuldenkonferenz zur Regelung der deutschen Auslandsschulden. Die Konferenz der Siegermächte in Potsdam fand kurz nach Kriegsende vom 17. Juli bis 2. August 1945 statt. Stalin, Truman und Churchill (abgelöst am 28. Juli 1945 vom neu gewählten britischen Ministerpräsidenten Clement Attlee) knüpften an die Jalta­ beschlüsse an. Zwar bildete die Repara­tionsfrage eines der Hauptthemen auf der Tagesordnung, doch die Staatschefs der Siegermächte konnten sich nicht auf eine Gesamtsumme einigen. Während in Jalta eine Vorvereinbarung über Abgeltungen in Höhe von 20 Mrd. US-Dollar getroffen worden war, war in Potsdam nur der UdSSR daran gelegen, diese Summe durchzusetzen, was ihr nicht gelang. Die Potsdamer Konferenz definierte die Repara­tionen ledig­lich als Ausgleich für im Krieg entstandene „Verluste und Leiden“.5 Das Potsdamer Abkommen ermög­lichte es den kriegsgeschädigten Staaten, ihre Repara­tionsforderungen in den deutschen Besatzungszonen vorzubringen. Faktisch eröffnete sich damit erstmals die Mög­lichkeit, Repara­tionsansprüche geltend zu machen. Die Sowjetunion schöpfte ihr Recht auf Repara­tionen nicht nur durch Demontage und Abtransport von Fabrikanlagen und Industriegütern aus, sondern eignete sich auch Kulturgüter an. Die west­lichen Länder dagegen nahmen angesichts wachsender Spannungen im Verhältnis zu Moskau schnell Abstand von ihren Ansprüchen und damit von einer zusätz­lichen wirtschaft­lichen Belastung Deutschlands.6 4.1.1 Das Pariser Reparationsabkommen

Die Frage der Repara­tionen blieb weiterhin offen und vor allem deren Umfang ungeklärt. Doch die betroffenen Länder bereiteten sich gründ­lich darauf vor, ihre Ansprüche zu untermauern. So forderte im Hinblick auf die anstehenden Repara­tionsverhandlungen etwa die griechische Regierung unmittelbar nach der Rückkehr aus dem Kairener Exil im Oktober 1944 die einzelnen Präfekturen auf, die von den Besatzern jenseits des

4 Protocol of Proceedings of Crimean Conference (Washington, 24. März 1945), Taiwan Documents Project, http://www.taiwandocuments.org/yalta.htm (letzter Zugriff: 25. 09. 2015). 5 Hockerts, Die Entschädigung für NS-Verfolgte, 2006, S. 11. 6 Mehr zur Konferenz siehe z. B. bei Charles L. Mee: Die Potsdamer Konferenz 1945: Die Teilung der Beute, München: W. Heyne, 1995. Zu bemerken wäre, dass die griechische Öffent­ lichkeit den Potsdamer Verhandlungen nicht besonders positiv gegenüberstand. Die Kritik an den Siegermächten machte sich daran fest, dass diese Verhandlungen ohne die Teilnahme kleinerer Staaten stattfanden und man sich dort überhaupt nicht mit den Problemen Griechenlands befasste. Vgl. TNA, FO 371/48377 – Situa­tion in Greece AGIS Report No. 42 (8. 8. 1945).

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Kriegsrechts verursachten Schäden zu melden. Frei­lich lag die griechische öffent­liche Verwaltung vollständig brach, sodass das Land noch Jahre nach dem Abzug der deutschen Truppen unter der von Besatzung und Bürgerkrieg verursachten Misere litt.7 Daher war es mit sehr großem Zeitaufwand verbunden, wenn man Fakten zur ­deutschen Besatzung zusammentragen sollte. Die eigens dafür von der griechischen Regierung gebildete Kommission hatte große Mühe, vollständige und präzise Informa­ tionen zu sammeln. Für die anstehende Pariser Repara­tionskonferenz ging man von 558.000 Verlusten an Menschenleben und weiteren 880.000 Invalidisierungen aufgrund der Besatzung aus. In Unkenntnis der Entscheidungskriterien bei den Verhandlungen verlangte Griechenland primär nicht Repara­tionen für Schaden an Eigentum, also realen materiellen Schäden wie finanziellen Ausgaben, Zwangszahlungen, Vermögenswerten und anderen sichtbaren Schäden, sondern konzentrierte sich stattdessen auf die Einforderung entgangenen erwirtschafteten Gewinns und auf menschliche Verluste, verursacht durch die deutsche Besatzung; dadurch war die griechische Verhandlungsposi­ tion letzt­lich sehr erschwert.8 Vom 9. November bis 21. Dezember 1945 fand in Paris eine interna­tionale Konferenz zu den deutschen Repara­tionen statt, an der neben den Westalliierten auch Vertreter weiterer 15 kriegsgeschädigter Länder teilnahmen. Die Verhandlungen wurden offiziell am 14. Januar 1946 mit der Unterzeichnung des Pariser Repara­tionsabkommens abgeschlossen. Dessen Teilnehmerstaaten knüpften an die Abmachungen der „Großen Drei“ in Potsdam an, um ihre Forderungen an Deutschland zu überschlagen. Im ersten Teil des Schlussprotokolls verpflichteten sie sich, bei Geltendmachung von öffent­lichen und privaten Forderungen nur zwei Vermögenskategorien einzubeziehen. In der Kategorie A ging es um sämt­liche Repara­tionsformen – ausgenommen Demontagen von Industrieanlagen – aus nicht weiter definiertem Auslandsvermögen. Die Ansprüche der zerstörten Länder sollten durch Übernahme oder Veräußerung deutscher Vermögenswerte außerhalb Deutschlands befriedigt werden. Kategorie B betraf Schadens­ ersatz durch Demontage von Industrieanlagen und Aktiva auf deutschem Territorium, Handels- und Binnenschiffe inbegriffen.9 Das Pariser Repara­tionsabkommen sah im

7 AJDC, NY AR 194554/1/1/1/2117 – JDC Primer, 1945: J. D. C. Primer Part II Geography of the J. D. C. (24. August 1947). 8 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 380 f. 9 Unterzeichnet wurde das Abkommen von: Ägypten, Albanien, Australien, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Jugoslawien, Kanada, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Südafrikanische Union, Tschechoslowakei und USA. Pakistan unterzeichnete das Abkommen nach Erlangung seiner Unabhängigkeit am 15. März 1958. Zum Text des Abkommens siehe TNA, FO 371/53157 – Paris Conference on Repara­ tions – Final Act: Draft of the Agreement on Repara­tion from Germany, on Establishment of an Inter-­Allied Repara­tion Agency and on the Restitu­tion of the Monetary Gold (21. 12. 1945).

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dritten Teil die Rückgabe von Münzgold vor; Athen beanspruchte zudem die Rückerstattung weiterer Münzmetalle, im Einzelnen: 50 Prozent Silber-, 40 Prozent Kupfer-, 5 Prozent Zink- und 5 Prozent Nickelmünzen, insgesamt 37.771 Kilogramm, die die Besatzungsmächte entwendet hatten. Doch derartige Forderungen waren niemals Bestandteil von Repara­tionen.10 Zur Beobachtung des Repara­tionsverfahrens und der Verteilung der von Deutschland geleisteten Zahlungen sah der zweite Teil des Abkommens die Gründung der Interalliierten Repara­tionsagentur (Inter-­Allied Repara­tion Agency, IARA) mit Sitz in Brüssel vor, an der Vertreter sämt­licher Teilnehmerstaaten mitwirkten. Ab Februar 1946 nahm die Agentur ihre Tätigkeit auf.11 Nach einem festgelegten prozentualen Schlüssel wurden die Repara­tionsbeträge auf Sonderkonten der einzelnen Gläubiger geleitet. Die Beträge selbst schöpfte man aus deutschen Vermögenswerten in den alliierten Besatzungs­zonen oder aus kriegsneutralen Ländern, auf deren Territorium sich deutsches Vermögen befand. Darüber hinaus durften die Teilnehmerstaaten ihre Ansprüche auch mittels der Beschlagnahmung deutschen Vermögens auf eigenem Territorium durchsetzen.12 Griechenland bezifferte die erlittenen Schäden während der deutschen Besatzung auf 14,644 Mrd. US-Dollar (zur Kaufkraft von 1938), davon 2,545 für Sachschäden, 2,781 für Besatzungskosten, 1,855 für Ausgaben der öffent­lichen Hand sowie 7,463 für weitere Kosten wie Renten (einschließ­lich Sozia­lleistungen) oder entgangenen Gewinn.13 Die griechischen Forderungen wurden von Prof. Athanasios Sbarounis vorgebracht. Der Wirtschaftswissenschaftler, 1945 vorübergehend Finanzminister, vertrat Griechenland bei der Pariser Repara­tionskonferenz. Sbarounis schätzte die Gesamtrepara­tionen für Griechenland auf rund zwölf Mrd. US-Dollar.14 Die Botschaften Großbritanniens, Frankreichs und der USA in Athen hielten dies nach Prüfung der griechischen Forderungen zunächst für plausibel. Kurz nach Beginn der Pariser Konferenz gestanden die Teilnehmerstaaten Griechenland das Recht zu, gezielte 10 AYE, Φάκελοι Επανορθώσεων (Archiv des Außenministeriums, Repara­tionsakten) – Rössler an Kotzamanis (19. 2. 1952). 11 Vgl. z. B. Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S. 471. 12 AMZV, PO 1995 – 64, Kasten 22, Akte 5 – Schlussbericht der Interalliierten Repara­tionsagentur über Situa­tion und Ergebnis von Entschädigungen und Wiedergutmachungen (30. 12. 1962); Tassos Iliadakis: Oι επανορθώσεις (Die Repara­tionen und die deutsche Besatzungsanleihe), Athen: Pelasgos, 1997, S. 152 f. 13 Ebd., S. 158. 14 Glezos u. a. (Hg.), Η Μαύρη Βίβλος της Κατοχής (Schwarzbuch der Besatzung), ²2006, S. 20. Der von der Tschechoslowakei beanspruchte Betrag von 17,5 Mio. US-Dollar beispielsweise wurde von der Pariser Konferenz als Wiedergutmachungsforderung akzeptiert, ohne dass Einreden vorgebracht wurden. Vgl. Jaroslav Kučera: „Žralok nebude nikdy tak silný“: československá zahraniční politika vůči Německu 1945 – 1948 („Der Hai wird nie so stark“: die tschechoslowakische Außenpolitik gegenüber Deutschland, 1945 – 1948), Prag: Argo, 2005, S. 107.

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Ansprüche auf die Demontage des Kraftwerks Mannheim AG sowie eines Schwimmdocks mit Kran geltend zu machen, um damit die griechischen Schäden teilweise wieder aufzuwiegen. Zugleich gingen die Verhandlungen über die Demontage anderer Indus­ trieanlagen weiter. Doch während der Konferenz änderte die Athener britische Botschaft ihre Haltung und wies darauf hin, dass die griechischen Schätzungen im Hinblick auf den Produk­tionsausfall (hochgerechnet bis 1970) und die beanspruchten Rentenentschädigungen griechischer Bürger (840 Mio. US-Dollar) unverhältnismäßig hoch angesetzt s­ eien. Athen habe im ebenfalls bis 1970 hochgerechneten Endbetrag einerseits offenbar den Infla­tionseffekt miteinbezogen und andererseits versäumt, die Auswirkung der in Griechenland üb­licherweise relativ hohen Zinsen insgesamt zu berücksichtigen. Allerdings, so die Briten, konnten nicht einmal diese Diskrepanzen einschließ­lich der angeb­lich überhöht geschätzten Sachschäden sowie der Überlappung von Daten und statistischen Abweichungen ausreichend erklären, wieso die Gesamtansprüche auch über die optimistischste Aufstellung der Staatseinnahmen von 1938 weit hinausreichten.15 Bei den Pariser Verhandlungen kamen die Teilnehmerstaaten überein, dass nach der Unterzeichnung des Abkommens keine weiteren Repara­tionsansprüche für die in ihm enthaltenen Punkte erhoben werden können. In Art. 2 Abs. A des Abkommens verpflichteten sich die Signatarmächte explizit, dass „ihre jeweiligen Anteile an den Repara­tionen – wie sie durch das vorliegende Abkommen bestimmt werden – von jeder von ihnen als Abgeltung aller ihrer Forderungen und aller Forderungen ihrer Staatsangehörigen gegen die ehemalige deutsche Regierung oder gegen deutsche Regierungsstellen angesehen werden. Dies gilt für Forderungen öffent­licher oder privater Natur, die aus den Kriegsverhältnissen entstanden sind (sofern keine anderen Bestimmungen darüber getroffen sind), einschließ­lich der Kosten der deutschen Besatzung, der während der Besatzung entstandenen Clearing-­Konten und der Forderung gegen die ‚Reichskreditkassen‘.“ 16 Griechenlands Vertreter Sbarounis kritisierte während der Verhandlungen einige Details der Übereinkunft. In einem Exposé vom 17. Dezember 1945 forderte er eine höhere Quote für Griechenland in den einzelnen vom Abkommen vorgesehenen Repara­tionskategorien. Sbarounis berief sich dabei auf die umfassenden Kriegsschäden in Griechenland und argumentierte, dass der Griechenland zugeteilte Prozentanteil niederschmetternd gering sei.17 15 TNA, FO 371/48338 – German Repara­tions to Greece (1. 12. 1945). 16 Protokolle des Deutschen Bundestags – 217. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. Juni 1952, 9554. Auf Griechisch im Gesetz 3478/1956 (30. 12. 1955) – Περί κυρώσεως της Συμφωνίας των Παρισίων του 1946 „περί των Γερμανικών Επανορθώσεων κλπ.“ (Zur Ratifizierung des Pariser Abkommens von 1946 „über deutsche Repara­tionen usw.“), Griechisches Regierungsblatt ΦΕΚ A´ 5/1956. 17 Sbarounis führte in seinem Exposé die Schäden auf, die durch die NS-Besatzung in Griechenland entstanden waren. Diesen Angaben zufolge wurden in Griechenland ca. 1000 Dörfer

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Zwei Tage darauf brachte Griechenland wieder zum Ausdruck, dass man mit der festgelegten Prozentverteilung nicht einverstanden sei. Sbarounis protestierte offen gegen die Quote und verlangte ihre sofortige Überprüfung. Bei einer Nachmittagssitzung des Committee of the Heads of Delega­tions informierte er seine Kollegen, dass Griechenland in den geforderten Repara­tionsbetrag auch das Saldo des Clearingkontos aus der Vorkriegszeit miteinbezogen habe, und erklärte, dass Athen auf der Anerkennung dieser Forderung bestehe. Auch betonte er, dass Athen keine Ausgleichsleistungen für Schäden an griechischem Auslandsvermögen geltend mache.18 Da sich das Pariser Repara­tionsabkommen ledig­lich auf die Prozentanteile bezog, die als Schadensersatz für Besatzungskosten festgelegt wurden, entschloss sich die Athener Regierung letzt­lich dazu, die vom Deutschen Reich erzwungene Besatzungsanleihe nicht in die Repara­ tionsforderung mit aufzunehmen. So kam es, dass diese spezielle Thematik im Rahmen des Pariser Abkommens nicht geklärt wurde.19 Neben den Repara­tionszahlungen an die Signatarstaaten wurde in Paris auch über das Thema der Entschädigung von zivilen NS-Opfern verhandelt. In d­ iesem Zusammenhang ging es jedoch ledig­lich um nicht repatriierbare Vertriebene. Zu den Anspruchsberechtigten gehörten auch die Überlebenden der KZ und diejenigen Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und den besetzten Ländern, deren Repatriierung zu jenem Zeitpunkt nicht mög­lich war. Die Opfer des NS-Terrors in den Signatarstaaten sollten von ihren Regierungen aus der Repara­tionsquote entschädigt werden, die ihnen nach der Pariser Konferenz zugeteilt würde. Nicht inbegriffen im Programm humanitärer Hilfeleistungen waren Kriegsgefangene und Personen, „deren Loyalität gegenüber den Vereinten Na­tionen zweifelhaft ist oder war“.20 Der US-Delegierte James W. Angell brachte sogar vor, in ­dieses Programm sollten Juden mit KZ-Vergangenheit nur dann einbezogen werden, wenn gegen sie keinerlei politisches Bedenken vorliege, eine Formulierung, die schließ­lich nicht in die Endfassung des Abkommens einging. Sbarounis forderte noch, dass auch griechische Flüchtlinge im Nahen Osten von den interna­tionalen Organisa­tionen berücksichtigt werden niedergebrannt, mehrere Städte verwüstet, ungefähr 25 % der Häuser zerstört, 70 % der Hafenanlagen demoliert, 75 % der Handelsflotte versenkt, die Verkehrsinfrastruktur weitgehend beschädigt, 80 % der Transportmittel beschlagnahmt, fast alle Bahnbrücken und -tunnel ruiniert sowie der normale Wirtschaftskreislauf unterbrochen und die Währungsstabilität grundlegend erschüttert. Darüber hinaus verlor jede zweite Familie im Krieg einen Angehörigen. 10 % der Griechen wurden invalidisiert, 75 % der Kinder hatten auch nach Kriegsende mit Krankheiten zu kämpfen. Siehe TNA, FO 371/53157 – Conférence de Paris sur les répara­ tions: Exposé de M. Sbarounis (17. 12. 1945). 18 TNA, FO 371/53157 – Conférence de Paris sur les répara­tions (19. 12. 1945). 19 TNA, FO 371/53157 – Conférence de Paris sur les répara­tions (20. 12. 1945). 20 Protokolle des Deutschen Bundestags — 217. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. Juni 1952, 9555. Griechische Fassung: vgl. Anm. 16 ­dieses Kapitels.

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sollten, wogegen Angell vorbrachte, dieser Gruppe werde bereits ausreichend von der UNRRA geholfen.21 Beim Thema der Holocaustopfer forderte Sbarounis die interna­ tionale Gemeinschaft zu einer Regelung der Frage auf, wie man mit der Rückgabe erbenloser jüdischer Vermögenswerte umzugehen habe, wobei er bemerkte, dass diese Vermögen eigent­lich den Überlebenden zugutekommen sollten. Nicht einmal bei ­diesem Thema fanden die Vertreter der Signatarstaaten zu einer einvernehm­lichen Haltung.22 Unzufrieden mit der ihrem Land in Paris zugeteilten Repara­tionsquote, weigerten sich die griechische und die ägyptische Delega­tion, den unmittelbar nach Verhandlungsende am 21. Dezember 1945 vorliegenden Text zu unterzeichnen. Am selben Tag benannten die griechischen Vertreter als Bedingung für ihren Beitritt zum Abkommen, dass die Frage der griechischen Besatzungsanleihe herausgenommen würde, in der Absicht, damit Zeit für neue Verhandlungen zu gewinnen. Schließ­lich wurde das Abkommen auch vom griechischen Vertreter unterschrieben, wenn auch erst am 24. Januar 1946, zehn Tage nach Unterzeichnung durch die anderen Teilnehmerstaaten. Die Ratifizierung durch das griechische Parlament erfolgte dann allerdings erst am 30. Dezember 1955.23 Mit der Schlussfassung des Pariser Abkommens war nun definitiv entschieden, die Kategorie der sonstigen Kosten – zu denen auch entgangener Gewinn, Renten und andere Sozia­lleistungen gehörten – nicht als Repara­tionen aufzuführen. Dadurch wurden die ursprüng­lichen Gesamtforderungen Griechenlands (7,181 Mrd. US-Dollar zur Kaufkraft von 1938) um die Hälfte reduziert.24 Der Griechenland zugeteilte Quoten­ anteil betrug 2,70 Prozent für Kategorie A und 4,35 Prozent für Kategorie B, bezogen jeweils auf den Gesamtumfang der Repara­tionen.25 Der Prozentanteil in der Kategorie B wurde ­später auf 4,62 Prozent erhöht, da die USA, Kanada und die Südafrikanische Union auf die ihnen zustehenden Repara­tionen zugunsten Dritter verzichteten. Dem Abschlussbericht der Repara­tionsagentur IARA zufolge wurde Griechenland letzt­lich ein Prozentanteil von 5,51 Prozent des Gesamtvolumens der Kategorie B zugesprochen.26 21 22 23 24

TNA, FO 371/53157 – Conférence de Paris sur les répara­tions (18. 12. 1945). TNA, FO 371/53157 – Conférence de Paris sur les répara­tions (12. 12. 1945). Gesetz 3478/1956 (30. 12. 1955), vgl. Anm. 16 und 20 ­dieses Kapitels. Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 381; Iliadakis, Οι επανορθώσεις (Die Repara­ tionen), 1997, S. 213. Da das Pariser Abkommen ledig­lich Prozentsätze statt Beträge der gesamten Repara­tionssumme festlegte, die dann den einzelnen Signatarstaaten zugute kommen sollten, treten bei den Angaben zum Nominalwert Abweichungen auf. Den Akten des griechischen Finanzministeriums etwa ist ein Gesamtbetrag der griechischen Forderungen von 17,551 Mrd. US-Dollar zur Kaufkraft von 1938 zu entnehmen. Davon betrafen 10,449 Mrd. Ansprüche gegenüber Deutschland (der Rest wurde von Italien und Bulgarien verlangt). Vgl. PA AA, B 81/203 – Erklärung des Staatssekretärs der Finanzen D. Aliprantis (2. 3. 1957). 25 Vgl. Anm. 16 und 23 ­dieses Kapitels. 26 AMZV, PO 1995 – 64, Kasten 22, Akte 5 – Schlussbericht der Interalliierten Repara­tionsagentur über Situa­tion und Ergebnis von Entschädigungen und Wiedergutmachungen (30. 12. 1962).

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Noch im Sommer 1958, als Griechenland von der Bundesrepublik Deutschland Entschädigungsleistungen für NS -Zivilopfer geltend machte, lag die Gesamtsumme der Repara­tionen, folgt man den Berechnungen des griechischen Finanzministe­ riums, bei etwa 25 Mio. US -Dollar.27 Dem erwähnten Bericht der Repara­tionsagentur, die im November 1959 ihre Arbeit eingestellt hatte, ist zu entnehmen, dass der von Griechenland erhaltene Repara­tionsbetrag insgesamt jedoch deut­lich geringer war, näm­lich nur 13.497.708 US -Dollar zur Kaufkraft von 1938. Athen erhielt von den Repara­tionen der Kategorie A, die – zu einem Drittel – aus der Veräußerung deutschen Vermögens in neutralen Staaten sowie aus den verbliebenen deutschen Aktiva im Zugriffsbereich der Teilnehmerstaaten stammten, insgesamt 3.013.639 US -Dollar, von Repara­tionen der Kategorie B 10.484.069 US -Dollar, jeweils zur Kaufkraft von 1938. Die Griechenland zugesprochenen Repara­tionsleistungen waren dem Abschlussbericht der IARA zufolge mit Ausnahme von Albanien, Luxemburg und Norwegen die niedrigsten von allen Pariser Signatarstaaten, die im Krieg unter deutscher Besatzungskontrolle gestanden hatten.28 4.1.2 Das Londoner Schuldenabkommen

Ein nächster Meilenstein in der Bereinigung von Kriegsfolgen war die interna­tional besetzte Konferenz zur Regelung deutscher Auslandsschulden. Geleitet von den drei west­lichen Siegermächten, wurde sie am 28. Februar 1952 in London eröffnet. Mehrere Monate verhandelte man dann über die Begleichung deutscher Vorkriegsschulden, da Bonn die Verpflichtung zumindest einer Teilrückzahlung eingegangen war. Gegenstand war die Gesamtsumme der deutschen Verpflichtungen an ausländische Regierungen und private Investoren aus der Zwischenkriegszeit; davon betroffen waren Hunderte von Gläubigern. Auch ging es um Privatschulden deutscher Staatsbürger (insofern diese nach wie vor innerhalb der Bundesrepublik Deutschland lebten), um die Schulden Österreichs ab dem „Anschluss“ sowie um Nachkriegskredite für den Wiederaufbau Deutschlands, zu denen auch Hilfeleistungen in Zusammenhang mit dem Marshall-­Plan gehörten.29 Die deutsche Delega­tionsleitung in London oblag Hermann Josef Abs, einem verhandlungserfahrenen Banker, dem es gelang, einen günstigen Zeitplan für die Teilzahlungen zu erzielen, die Gesamtschuld erheb­lich zu reduzieren sowie in den Schlusstext des Abkommens Formulierungen einzubringen, die sich ­später als außerordent­lich 2 7 PA AA, B 26/133 – Wiedergutmachung Griechenland (20. 6. 1958). 28 AMZV, PO 1995 – 6 4, Kasten 22, Akte 5 (vgl. Anm. 26 ­dieses Kapitels). 29 Timothy W. Guinnane: Financial Vergangenheitsbewältigung: The 1953 London Debt Agreement, Economic Growth Centre, Yale University Centre. Discussion Paper 880 (2004), S.  22 – 26.

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vorteilhaft für Bonn erweisen sollten.30 Die Signatarstaaten verdeut­lichten zudem, dass sie unter den gegebenen politischen Umständen eine Normalisierung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland und deren schnellstmög­liche Einbindung in west­liche Strukturen unterstützten.31 Die Gesamtschulden – bestehend aus Repara­tionskrediten des E ­ rsten Weltkriegs sowie aus Anleihen zum Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten – wurden zur Hälfte erlassen.32 Sämt­lichen Teilzahlungen sollten bis 1983 beg­lichen worden sein, wobei für die ersten fünf Jahre ledig­lich Zinsen aufzubringen waren. Indes brachte es Westdeutschland infolge der rasanten wirtschaft­lichen Stabilisierung und seines „Wirtschaftswunders“ fertig, die im Londoner Abkommen bezifferte Gesamtschuld fast ein Jahrzehnt früher zu tilgen.33 Obgleich an der Londoner Konferenz keine griechische Delega­tion teilnahm, unterzeichnete Athen am 27. Februar 1953 zusammen mit weiteren 20 Signatarstaaten sowie der Bundesrepublik Deutschland das Abkommen über die deutschen Auslandsschulden.34 Zur Ausführung des Abkommens wurde in Bonn am selben Tag eigens ein Gesetz zu den deutschen Auslandsschulden erlassen.35 Der Bundestag verabschiedete das Abkommen frei­lich erst am 30. September 1953 im zweiten Durchgang. Athen brauchte noch länger für die Ratifizierung: Erst kurz nach der Amtsübernahme von Premierminister Konstantinos Karamanlis trat das Londoner Schuldenabkommen zusammen mit dem Pariser Repara­tionsabkommen am 30. Dezember 1955 auch in Griechenland in Kraft.36 Schon während der Londoner Verhandlungen hatte Athen schrift­lich erklärt, dass man abgesehen von den Repara­tionen aus dem ­Ersten Weltkrieg, die auf einen Spruch 30 Abs war seit 1938 im Vorstand der Deutschen Bank und dort mit der „Arisierung“ jüdischer Vermögen betraut. Auch war er seit 1937 Aufsichtsratsmitglied der I. G. Farben. Siehe Harold James: The Deutsche Bank and the Nazi Economic War Against the Jews, New York: Cambridge University Press, 2001, S. 99 – 104. 31 PA AA, B 10/1510 – Vogel an Blücher (30. 9. 1952). Vgl. Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S. 478. 32 Rombeck-­Jaschinski erwähnt, dass die Bundesrepublik Deutschland die Summe von ursprüng­ lich 30 Mrd. auf 14 Mrd. DM reduzieren konnte. Vgl. Ursula Rombeck-­Jaschinski: Das Londoner Schuldenabkommen: Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2005, S. 10; Mehr zum Marshall-­Plan siehe ebd., S. 119 oder Guinnane, Financial Vergangenheitsbewältigung, 2004, S. 18. 33 Guinnane, Financial Vergangenheitsbewältigung, 2004, S. 30. 34 Gesetz zur Ausführung des Abkommens vom 27. Februar 1953 über deutsche A ­ uslandsschulden, BGBl. I, 1953, S. 1003. 35 Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953, BGBl. II, 1953, S. 333. 36 Gesetz 3480/1956 (30. 12. 1955) – Περί κυρώσεως της εν Λονδίνω από 27 Φεβρουαρίου 1953 Συμφωνίας περί εξωτερικών Γερμανικών Χρεών (Zur Ratifizierung des Londoner Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 6/1956.

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des griechisch-­deutschen Schiedsgerichts aus der Zwischenkriegszeit zurückgingen, auch die Begleichung der Besatzungsanleihe in Höhe von 135 Mio. US-Dollar erwartete; sie war dem „Reich“ 1942 von der griechischen Notenbank zur Verfügung gestellt worden. Darüber hinaus beanspruchte Athen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 153 Mio. US -Dollar für Verluste der griechischen Handelsmarine durch deutsche Einwirkung, worauf die für das Thema der Auslandsschulden zuständige deutsche Delega­tion mit dem Hinweis reagierte, die griechischen Forderungen überschritten den Rahmen der Londoner Vereinbarungen.37 Auf griechischer Seite argumentierte man in dieser Sache mit dem Verweis auf die Begleichung von Repara­tionen aus dem E ­ rsten Weltkrieg: Nach langwierigen Verhandlungen über deren Verjährung kamen beide Staaten am 13. Juni 1974 überein, dass Griechenland von den ursprüng­lich geforderten 120 Mio. DM eine Entschädigung in Höhe von 42,3 Mio. DM zuerkannt würde.38 Dieser von Bonn mehr als 50 Jahre nach dem Ende des E ­ rsten Weltkriegs unternommene Schritt steht im Widerspruch zur späteren deutschen Argumenta­tion in den 1990er Jahren, dass näm­lich griechische Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg einschließ­lich der Frage der Besatzungsanleihe inzwischen längst verjährt ­seien.39 Zwar bezog sich das Londoner Abkommen hauptsäch­lich auf die Abgeltung von Schulden aus der Vor- und Nachkriegszeit, doch die Signatarstaaten befassten sich auch mit Repara­tions- und Entschädigungsansprüchen, deren Regelung zunächst aufgeschoben wurde. Die Vorgehensweise der Bundesrepublik Deutschland bei den Repara­tionen an Staaten und Private stützte sich in den Folgejahren auf den Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 des Londoner Abkommens, in dem eine erneute Prüfung von Forderungen aus der NS-Zeit von der „endgültigen Regelung der Repara­tionsfrage“ abhängig gemacht wurde.40 Ein erheb­liches Problem entstand jedoch durch die Tatsache, dass die vom Koordinierungsausschuss der drei Westmächte in London vorgeschlagene Formulierung nicht vollständig vereinbar war mit dem deutschen Vertragsentwurf zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, dem sogenannten Überleitungsvertrag.41 Der ­Überleitungsvertrag sah vor, dass „die Frage der Repara­tionen […] durch den Friedensvertrag ­zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern oder vorher durch diese 37 PA AA, B 10/1510 – Schuldenkonferenz; Behandlung besonderer Forderungen einzelner Staaten (30. 6. 1952). 38 Iliadakis, Die Repara­tionen (Οι επανορθώσεις), 1997, S. 210 f.; bei Fleischer jedoch ist die Rede von 47 Mio. DM, siehe Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 386. 39 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 438 f. 4 0 Vgl. Anm. 36 ­dieses Kapitels. 41 PA AA, B 10/1510 – Londoner Verhandlungen über deutsche Auslandschulden; Vorbereitung für Sitzung des Bundeskabinetts am 11. November 1952 (8. 11. 1952).

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Frage betreffende Abkommen geregelt“ würde. Diese Formulierung übernahm man letzt­ lich in die Endfassung des Vertrags, der von Bonn, London, Paris und Washington im Oktober 1954 in Paris unterzeichnet wurde und am 5. Mai 1955 in Deutschland in Kraft trat. An ­diesem Tag wurde die Bundesrepublik Deutschland zu einem souveränen Staat.42 Den Westmächten zufolge ging es bei der Formulierung zu den Repara­tionen darum, Deutschland insbesondere vor Ansprüchen kleiner Länder zu ­schützen, insofern diese ihre wirtschaft­liche Standfestigkeit zu Lasten Deutschlands in einer Phase ­nutzen wollten, in der das besiegte Land sich auf den interna­tionalen Märkten noch nicht hatte stabilisieren können. Beabsichtigt war eine künftige Gesamtlösung der Repara­tionsfrage im Rahmen eines multilateralen Abkommens.43 In Bonn hatte sich die Meinung durchgesetzt, dass mit Art. 5 Abs. 2 des Londoner Abkommens nicht mehr und nicht weniger gemeint sei als die Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit dem wiedervereinten Deutschland, wie im Überleitungsvertrag vorgesehen. In ­diesem Kontext war das Londoner Schuldenabkommen ausschlaggebend für die ­später erhobenen Ansprüche gegen Westdeutschland bzw. gegen die vereinigte Bundesrepublik Deutschland.44

4.2 Entstehung von Opferinitiativen Aufgrund der trostlosen politischen Situa­tion Griechenlands, wo nach der deutschen Besatzung der Bürgerkrieg wütete, befassten sich ständig wechselnde griechische Regierungen nicht nachdrück­lich mit der Repara­tionsfrage. Nur mit Mühe und Not konnten die griechischen Delegierten die Posi­tionen ihres Landes bei den Repara­ tionsverhandlungen einbringen. Nachdem die deutschen Repara­tionen auf nur 0,12 Prozent der ursprüng­lich geforderten Summe geschrumpft waren, sah sich Athen gezwungen, seine Zusage für Entschädigungen an Zivilopfer aus dem Staatshaushalt – so eigent­lich vom Pariser Abkommen vorgesehen – zurückzuziehen.45 Nach der Wiederaufnahme diplo­matischer Beziehungen ­zwischen Griechenland und Deutschland (1950) hatte Athen vorrangig den Wiederaufbau von Wirtschaft, Infrastruktur und Handelsbeziehungen mit Westdeutschland vor Augen und verhielt sich beim Thema der Entschädigung

42 Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen („Überleitungsvertrag“) – in der gemäß Liste IV zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung, BGBl. II, 1955, S. 405. 43 PA AA, B 10/1510 – Londoner Verhandlungen über deutsche Auslandschulden; Vorbereitung für Sitzung des Bundeskabinetts am 11. November 1952 (8. 11. 1952). 4 4 Siehe z. B. Helmut Rumpf: Die deutschen Repara­tionen nach dem Zweiten Weltkrieg, Deutschland in Geschichte und Gegenwart 33, 3 (1985), S. 10 – 13. 45 PA AA, B 81/203 – Erklärung des Staatssekretärs der Finanzen D. Aliprantis (2. 3. 1957).

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von Zivilopfern abwartend, ähn­lich wie die meisten anderen Staaten auch. Eigentüm­ licherweise wurde das Thema der Entschädigungsleistungen zuallererst von deutschen Staatsbürgern aufgegriffen, die der Ansicht waren, die griechische öffent­liche Verwaltung habe ihnen Schaden zugefügt. Im Oktober 1940, als die bewaffnete Auseinandersetzung mit Italien begann, lebten ungefähr 1000 Reichsbürger in Griechenland. Viele von ihnen gerieten massiv unter Druck, weil man sie zwang, ihre Tätigkeit in diversen griechischen Firmen aufzugeben. Die Athener diplomatische Vertretung Deutschlands entschied, diesen Personen und ihren Familien eine sichere Rückkehr ins „Reich“ zu ermög­lichen, und so verließ Anfang Dezember 1940 ungefähr die Hälfte dieser Gruppierung Griechenland.46 Ihre dort zurückgelassenen Vermögenswerte wurden konfisziert, noch bevor die Deutschen einmarschierten. Nach dem Krieg forderten die Betroffenen von der Athener Regierung die Rückgabe ihres Vermögens bzw. einen angemessenen Schadensersatz.47 Griechenland hatte allerdings als Signatarstaat des interna­tionalen Repara­tions­ abkommens und Mitglied der IARA aufgrund der Pariser Vereinbarungen ein Anrecht darauf, Vermögenswerte Deutschlands auf griechischem Territorium an sich zu nehmen und zu konfiszieren.48 Ende Oktober 1947 schätzte das griechische Finanzministerium auf Verlangen der IARA deutsche Liegenschaften bzw. mobiles Vermögen in Griechenland auf ungefähr 2,4 Mio. US-Dollar. Insoweit sich deutsche private Eigentümer mit Genehmigung der griechischen Regierung wieder in Griechenland aufhalten durften, sollte ihnen freie Hand über einen Teil oder auch das gesamte mobile Vermögen gegeben werden. Die Vermögenswerte deutscher Unternehmen und weitere Immobilienwerte, etwa die Deutsche Schule, der Sitz der Evange­lischen Gemeinde deutscher Sprache, das Gebäude des Deutschen Archäolo­gischen Instituts und die Residenz des ehemaligen deutschen Botschafters, sollten jedoch zur Versteigerung ausgeschrieben werden.49 Der Zwangsverwaltung privaten und staat­lichen deutschen Vermögens und der anschließenden Veräußerung zugunsten der griechischen öffent­lichen Hand wurde kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs im Oktober 1949 mit dem Gesetz „zu feind­lichen Vermögenswerten“ zugestimmt.50 Unter Berufung auf eben ­dieses Gesetz rief die griechische öffent­liche ­Verwaltung Mitte August 1950 das zuständige griechische Gericht an, um grünes Licht für die

4 6 NA, T 77/1435/622 – Die Heimschaffung der Deutschen aus Griechenland (19. 12. 1940). 47 Fleischer zufolge forderten sie Entschädigungen, obwohl die griechischen Besatzungsregierungen sie während des Kriegs bereits abgefunden hatte. Siehe Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 388. 48 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 49 PA AA, B 10/2198 – Deutsche Feindvermögen in Griechenland (1. 9. 1950). 50 Gesetz 1138/1949 (11. 10. 1949) – Περί των εχθρικών περιουσιών (Zu feind­lichen Vermögenswerten), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 257/1949.

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Beschlagnahmung und Veräußerung deutschen Vermögens zu erhalten, etwa von Kultureinrichtungen wie dem Archäolo­gischen Institut oder der Athener Deutschen Schule.51 Wohl oder übel hätte dies das Aus für die betreffenden Einrichtungen bedeutet. Zwei Jahre ­später nahm die Situa­tion eine für Bonn günstige Wendung, als Griechenland offiziell den Kriegszustand mit Deutschland für beendet erklärte. Auf erheb­lichen deutschen Druck hin willigte Griechenland ein, „notwendige Verordnungen zur Aufhebung bisheriger Diskriminierungen von Deutschen“ zu erlassen. Die deutsche diplomatische Vertretung erwartete, dass die für die Beendigung der Beschlagnahmungen erforder­ lichen Maßnahmen ab Mitte 1951 greifen würden, was nicht der Fall war. Einzig die Veräußerung deutscher Vermögenswerte wurde von Athen für die Zeit der Verhandlungen eingestellt.52 Ab 1953 verlegte sich die deutsche Botschaft darauf, einen vorläufigen Kompromiss in der Form anzustreben, dass Deutschland zumindest erlaubt würde, Kultureinrichtungen wieder zu eröffnen. Drei Jahre s­ päter fand Bonn lobende Worte für Athen, wo man sich bei der Rückgabe von Vermögenswerten des „Reichs“ und der Kultureinrichtungen im Vergleich zu anderen Ländern sehr großzügig verhalten habe. Deutschland musste entweder nichts oder nur ein Viertel des Schätzpreises entrichten, jedoch in zahlreichen Fällen gewaltige bürokratische Hürden überwinden.53 Typisch für die Unzuläng­lichkeit des griechischen Behördenapparats, das Thema endgültig abzuschließen, ist das Übergabeverfahren des Deutschen Archäolo­ gischen Instituts. Dessen Gebäude sollte eigent­lich schon 1951 an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben worden sein, doch zwei Jahre ­später konnten die deutschen Archäologen nach wie vor ledig­lich die Bibliothek und einige wenige Räum­lichkeiten ­nutzen.54 Die Rückgabe sonstiger Vermögenswerte war in einer Sackgasse gelandet. Erst nach einem Besuch hoher Regierungsvertreter 1954, bei dem die Freundschaft und Zusammenarbeit beider Länder bestätigt wurde, erließ Athen eine Verordnung, die Gebäude der ehemaligen deutschen Botschaft und der Kultureinrichtungen sowie die privaten Vermögenswerte von Deutschen mit Wohnsitz in Griechenland zurückzuerstatten.55 Die ehemaligen Eigentümer konnten Liegenschaften allerdings nur durch Rückkauf erwerben und das unter der Bedingung, dass der entsprechende Antrag offiziell 51 To Vima, 15. August 1950. 52 PA AA, B 11/335 – Tätigkeit der Deutschen Botschaft Athen vom 1.1. – 25. 10. 1952 (25. 10. 1952). 53 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 54 PA AA , B 11/335 – Besuch Koordina­tionsminister Markesinis in der Bundesrepublik (10. 7. 1953). 55 PA AA, B 26/133 – Aufzeichnung über die bisherige Entwicklung und Vorschlag einer Gesprächsführung für den Besuch von Herrn D 5 in Athen (29. 3. 1960).

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bis Ende Juni 1956 eingereicht würde. Doch die Immobilien waren derart überschätzt, dass letzt­lich nur ein kleiner Prozentsatz von Deutschen sich am Rückerwerb interessiert zeigte. Erst ab 1958, ausgelöst durch den Bonner Besuch von Karamanlis, wurden die Gespräche über noch beschlagnahmte Vermögenswerte etwas konstruktiver. Der griechische Premierminister verhandelte dort über ein Abkommen zur Gewährung einer hohen deutschen Anleihe. Dabei sagte Karamanlis dem deutschen Bundeskanzler verbind­lich zu, die ehemaligen Vermögenswerte deutscher Staatsbürger würden ihren ursprüng­lichen Besitzern zurückerstattet. Allerdings mussten diese noch eine ganze Weile darauf warten.56 Erst Anfang der 1960er Jahre, als man über Entschädigungsleistungen an NS-Zivilopfer verhandelte, wurde der Weg dafür von der griechischen Regierung freigemacht. Bereits veräußerte deutsche Vermögenswerte kamen jedoch nie an ihre alten Besitzer zurück.57 4.2.1 Entschädigungsforderungen der Holocaustüberlebenden

Auf Drängen von NS-Verfolgten und deren Verbänden in aller Welt leitete die Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren Maßnahmen zu Entschädigungsleistungen an Zivilopfer ein, die sich im Endeffekt auch zugunsten der Geschädigten Griechenlands auswirkten. Fast gleichzeitig zu den Verhandlungen in London über deutsche Auslandsschulden, bei denen Bonn zumindest vorläufig von solchen Entschädigungszahlungen dispensiert wurde, unterzeichnete die Bundesregierung im September 1952 in Luxemburg ein bilaterales Abkommen mit Israel, dessen Regierung als Erste den Holocaustüber­ lebenden ein Recht auf Entschädigung zuerkannt hatte. Mit ­diesem Abkommen und den damit einhergehenden Protokollen verpflichtete sich Westdeutschland zur Zahlung von Eingliederungskosten, Warenlieferungen und Dienstleistungen in Höhe von 3,5 Mrd. DM zugunsten der Holocaustüberlebenden und des Staates Israel. Voraussetzung für die Abgeltung von Individualforderungen wegen körper­licher und psychischer Schäden war, dass die Anspruchsberechtigten ihren ständigen Wohnsitz in Israel hatten.58 Im 2. Haager Protokoll, paraphiert im Zusammenhang mit dem Luxemburger Abkommen, wurde festgehalten, ungefähr 1/7 der Gesamtentschädigungen an jüdische Organisa­tionen auszuzahlen, die Überlebende außerhalb Israels vertraten. Dachverband dieser Personengruppe, ihrer Vereinigungen und Kultusgemeinden war seit 1951 die interna­tional agierende Claims Conference (The Conference on Jewish Material Claims 56 PA AA, B 26/133 – Aufzeichnung über die bisherige Entwicklung und Vorschlag einer Gesprächsführung für den Besuch von Herrn D 5 in Athen (29. 3. 1960) und B 26/133 – Deutsches Vermögen in Griechenland (7. 7. 1961). 57 PA AA, B 26/133 – Deutsches Vermögen in Griechenland (10. 11. 1961). 58 Abkommen ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel vom 10. September 1952, BGBl. II, 1953, S. 37.

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Against Germany) mit Sitz in New York, die als Kurator der zur Verfügung gestellten Mittel auftrat. Die Claims Conference war bevollmächtigt, Anträge einzelner Juden oder jüdischer Gemeinden der Diaspora zu evaluieren und deren finanzielle Unterstützung zu gewährleisten. Deutschland wurde bei den Verhandlungen zum Luxemburger Abkommen wieder einmal vom kompromisslosen Banker Hermann Abs vertreten. Im März 1953 stimmte der Deutsche Bundestag mit knapper Mehrheit dem Abkommen zu.59 Nach der Ausfertigung eines Ergänzungsgesetzes (BErG), verabschiedet am 18. September 1953, wenige Monate nach der Zustimmung zum Luxemburger Abkommen und kurz vor dem Ende der ersten Legislaturperiode des deutschen Bundestags, ging innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine regelrechte Lawine von Individualanträgen zu Entschädigungsleistungen von Holocaustüberlebenden los.60 Mit ­diesem Gesetz bzw. seiner geänderten Form als Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 29. Juni 1956 wurde ein Entschädigungsanrecht demjenigen Personenkreis zugestanden, der „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ ziviles Opfer des Na­tionalsozia­lismus war und dadurch „Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruf­lichen oder in seinem wirtschaft­lichen Fortkommen erlitten“ hatte.61 Die Anspruchsberechtigten mussten jedoch entweder deutsche Staatsbürger sein oder innerhalb der deutschen Grenzen von 1937 gelebt haben und nach wie vor ständig in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft sein.62 Doch auch Staatsangehörige anderer Länder ließen sich nicht davon abhalten, aus den genannten Gründen und mit dem Verweis auf durch den NS-Staat erlittene Beeinträchtigungen eine Entschädigung bei deutschen Dienststellen einzufordern. So richtete etwa der Vorstandsvorsitzende der Vereinigung deportierter Juden Griechenlands (Ένωση Ομήρων Ισραηλιτών Ελλάδος, EOIE)63, Levi Allalouf, selbst zwei Jahre in ­Auschwitz-­Birkenau interniert, im November 1953 aus Thessaloniki einen offenen Brief an Bundeskanzler Adenauer, in dem er betonte, dass das BErG aus seiner Sicht die Grundlage für ein 59 Vgl. z. B. Guinnane, Financial Vergangenheitsbewältigung, 2004, S. 31 – 33. Zur damaligen öffent­lichen Meinung in Westdeutschland über Israel vgl. Lily Gardner Feldman: Germany’s Foreign Policy of Reconcilia­tion: From Enmity to Amity, Lanham: Rowman & Littlefield Publishers, 2012, S. 29 – 31. 60 Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der na­tionalsozia­listischen Verfolgung vom 18. September 1953, BGBl. I, 1953, S. 1387. 61 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der na­tionalsozia­listischen Verfolgung vom 29. 6. 1956, BGBl. I, S. 563. 62 Arnold Lehmann-­Richter: Auf der Suche nach den Grenzen der Wiedergutmachung: Die Rechtsprechung zur Entschädigung für Opfer der na­tionalsozia­listischen Verfolgung, Berlin: BWV, 2007, S. 39 f. 63 Im Griechischen wurde für „Deportierte“ der Begriff „Geiseln“ (Όμηροι) verwendet, daher auch die gelegent­liche wört­liche Wiedergabe in deutschen Aktendokumenten, siehe weiter unten Anm. 77 und 78.

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Entschädigungsverfahren darstelle, mittels dessen vielen der ehemals in KZ internierten Juden die notwendige Unterstützung gewährt werden könne. Allalouf bezog sich im Namen von 400 KZ-Überlebenden in Anbetracht Zehntausender griechischer Juden, die ihr Leben in den Lagern verloren hatten, auf die grausamen Umstände während des Kriegs und verlangte die gebotene Aufmerksamkeit für sein Hilfeersuchen.64 Der Konsul der Athener deutschen Botschaft Karl Hermann Knoke wies das AA darauf hin, dass die jüdischen Kreise Griechenlands die Bestimmungen des Bundes­ ergänzungsgesetzes so interpretierten, als träfen diese auf sämt­liche Juden zu, die von Griechenland in die KZ deportiert worden waren. Auch erwähnte er, dass von den 63.000 Juden Thessalonikis der Vorkriegszeit nach Kriegsende nur 800 Überlebende zurückgekehrt waren. Daher sei es nur recht und billig, wenn ihnen zumindest eine kleine Entschädigung als symbo­lische Geste der Versöhnung gewährt würde.65 Das Ansuchen der griechischen Holocaustüberlebenden der EOIE kam nie auf den Schreibtisch des deutschen Bundeskanzlers. In Absprache mit dem Finanzministerium stellte sich das AA auf den Standpunkt, dass das Pariser Repara­tionsabkommen von 1946 die Teilnehmerstaaten in die Pflicht nehme, Anspruchsberechtigte im Rahmen der Repara­ tionsquote zu entschädigen. Außerdem s­ eien im 2. Haager Protokoll des Luxemburger Abkommens den Holocaustüberlebenden weitere Entschädigungen zugesprochen worden, über die jedoch nicht Bonn, sondern ausschließ­lich die Claims Conference entscheide. Entsprechend instruierte das AA die deutsche Vertretung in Athen Anfang Februar 1954, Juden in Griechenland wegen beanspruchter Entschädigungen an die genannte Organisa­tion zu verweisen.66 Die nächste Gelegenheit für die EOIE , ihr Anliegen dem Bundeskanzler persön­ lich vorzutragen, bot sich im März 1954 bei einem Besuch Adenauers in Griechenland. Das AA blieb jedoch weiterhin bei seiner Auffassung, dass für die Entschädigung von Juden in Griechenland nicht Bonn zuständig sei. Man riet dem Bundeskanzler sogar, jede Begegnung mit den Vertretern der Thessaloniker Juden zu vermeiden. Sollte sich dies als unmög­lich erweisen, empfahl das Amt, der Botschafter oder ein Mitglied der Kanzlerdelega­tion möge sich der Vertreter der Vereinigung annehmen. Im Notfall solle man diesen mitteilen, dass die Bundesregierung zu einem Vorstoß bei der Claims Conference bereit sei, um auf die besonders heikle Lage der

6 4 PA AA, B 81/203 – Union des déportés Juifs de Grèce, Thessaloniki a son Excellence ­Monsieur Adenauer (12. 11. 1953). 65 PA AA, B 81/203 – BEG (21. 11. 1953). 66 PA AA, B 81/353 – Bundesergänzungsgesetz (BEG) vom 18. 9. 1953; hier: die Ansprüche der Vereinigung der Deportierten Griechenlands (3. 2. 1954); vgl. auch B 81/535 – Bundes­ ergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nat. soz. Verfolgung v. 18. 9. 1953, BGBl. I, S. 1387, 27. 1. 1954.

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Holocaustüberlebenden in Griechenland hinzuweisen und um Unterstützung für sie zu ersuchen.67 Das AA wandte sich frei­lich erst drei Jahre ­später an die Claims Conference.68 Anfäng­lich versuchte es in Erfahrung zu bringen, w ­ elche Beträge in Griechenland an Verfolgte des Na­tionalsozia­lismus ausgezahlt worden waren. Das Resümee war deprimierend: In Athen war zwar 1950 ein Gesetz verabschiedet worden, das ganz allgemein Hinterbliebenenrenten an Angehörige von Besatzungsopfern vorsah. Doch die Voraussetzungen für deren Erhalt waren so schwer zu erfüllen, dass letzt­lich nur eine sehr kleine Personengruppe rentenberechtigt war. Ein Gesetz zum Schadensersatz bei privaten Vermögenseinbußen durch Feindeingriffe gab es in Griechenland nicht, noch wurde je eine Regelung zu dieser Schadenskategorie erwogen.69 Daraufhin forderte das AA die Athener Botschaft auf, Angaben zu anspruchsberechtigten Personen jüdischer Abstammung zu präzisieren.70 In Koopera­tion mit den Juden Thessalonikis stellte die Botschaft eine Liste von 226 Holocaustüberlebenden zusammen, die, obwohl keine deutschen Staatsbürger, Entschädigungszahlungen einforderten. Sämt­liche aufgeführten Personen waren ehemalige KZ-Häftlinge, neun von ihnen hatten sich Menschenversuchen aussetzen müssen. Bis zu ­diesem Zeitpunkt hatten nur zwei der Überlebenden Entschädigungen erhalten, jedoch nicht auf der Grundlage des Bundes­ ergänzungsgesetzes. In der Liste waren aufgeführt: Name, KZ-Nummer, Adresse, Staatsangehörigkeit, Beruf, Geburtsdatum und -ort, Ort und Zeitraum der KZ-Internierung und Angaben zum Gesundheitszustand sowie zur sozia­len Lage. Die erfassten Personen wurden in vier Gruppen eingeteilt: die erste (32 Personen) mittellos ohne festes Einkommen; die zweite (86) Arbeitnehmer mit zwar regelmäßigen, doch minimalen Bezügen; die dritte (99) bestehend aus Kaufleuten und Kleinunternehmern, die ihr Auskommen hatten; die vierte (9) mit Eigentümern von Liegenschaften, denen es wirtschaft­lich gut ging. Botschafter Kordt hielt eine finanzielle Unterstützung der beiden ersten Personengruppen für angebracht, d. h. für 52 Prozent der Antragsteller.71 Doch die zuständige AA-Abteilung war nur bereit, unter Umständen die erste Personengruppe zu berücksich­ tigen, und verwies im November 1954 darauf, dass man es nicht für zweckmäßig halte, sich wegen einer kleinen Gruppe von 32 Personen an die Claims Conference zu wenden.72

67 PA AA, B 81/353 – Aufzeichnung (5. 3. 1954). 68 PA AA, B 81/353 – Vereinigung der deportierten Juden aus Saloniki (23. 8. 1957). 69 PA AA, B 81/203 – Entschädigungsleistungen an Verfolgte und Geschädigte des Na­tionalsozia­ lis­mus durch das Ausland (14. 9. 1954). 70 PA AA, B 81/353 – Wiedergutmachungsansprüche der Vereinigung der deportierten Juden Griechenlands in Thessaloniki (6. 10. 1954). 71 PA AA, B 81/353 – Wiedergutmachungsansprüche der Vereinigung der deportierten Juden Griechenlands in Saloniki (29. 10. 1954). 72 PA AA, B 81/353 – Vermerk (19. 11. 1954).

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Da das Vorgehen der EOIE nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhielt, gründete die jüdische Gemeinde Thessaloniki 1955 einen neuen Träger, den Verband zur Betreuung und Rehabilita­tion Thessaloniker Israeliten (Ένωσις Περιθάλψεως και Αποκαταστάσεως Ισραηλιτών Θεσσαλονίκης, EPAIT ). Er sollte nochmals für die Gewährleistung von Entschädigungen initiativ werden.73 Zunächst wurde die bereits vorliegende Liste mit zusätz­lichen Personennamen und -daten im Einzelnen ergänzt, auch mit Bestätigungen von Sozia­lbehörden, dass die Betreffenden mittellos waren.74 Außerdem holte sich der Verband den Frankfurter Rechtsanwalt Henry Ormond als juristischen Beistand. Ormond vertrat in den folgenden Jahren die Interessen der Thessaloniker Juden gegenüber den Bundesbehörden. Im Herbst 1956 setzte ihn das Bundesfinanzministerium darüber in Kenntnis, dass man den Forderungen seiner Mandanten nicht entsprechen könne. Das Ministerium berief sich dabei einesteils auf Bestimmungen des Bundesergänzungsgesetzes und des 2. Haager Protokolls des Luxemburger Abkommens, zum anderen auf Art. 5 Abs. 2 des Londoner Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom Februar 1953, welch Letzterer einer Prüfung von aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen bis zur endgültigen Regelung der Repara­tionsfrage entgegenstehe.75 In der Zwischenzeit hatten weitere griechische NS-Opfergruppen Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Fünf Organisa­tionen ehemaliger griechischer Zwangs­ arbeiter im „Reich“ übergaben im Mai 1956 dem deutschen Bundespräsidenten ­Theodor Heuss und Außenminister Heinrich von Brentano ein gemeinsam unterzeichnetes „Memorandum“, in dem sie Regelungen für Zwangsarbeiter einforderten, und zwar noch 73 Der Verband besaß im März 1957 mehr als 300 Mitglieder, von denen 160 überlebende Rückkehrer aus Konzentra­tionslagern waren. Er überstellte eine abermalige Peti­tion an den neuen Bundespräsidenten Theodor Heuss und erläuterte das Anliegen bei dessen Staatsbesuch in Griechenland im Mai 1956. Im März des Folgejahres wurde erneut ein Schreiben übersandt. Siehe PA AA, B 81/353 – Union de secours et rehabilita­tion des Israelites de Thessaloniki a Son Excellence Le Président de la République Fédéral Allemande Dr. Th. Heuss (22. 3. 1957). 74 In vielen Fällen, besonders in den kleinen Gemeinden Makedoniens, wurde die Notstandssitua­ tion von den lokalen orthodoxen Kirchenvertretern bestätigt. Diese Bestätigungen betrafen die Gruppen 1 bis 4, wie 1954 definiert. PA AA, B 81/353 – Liste des 34 personnes qui ont soumis en date d’aujourd’hui un certificat de leur situa­tion économique au Consulat d’Allemagne de notre Ville (25. 10. 1956). 75 PA AA, B 81/353 – Entschädigungsleistungen an jüdische Opfer der NS-Verfolgung spanischer Staatsangehörigkeit in Griechenland (26. 10. 1956). Bemerkenswert ist die innerbehörd­liche Korrespondenz der bundesdeutschen Dienststellen zur Staatsangehörigkeit der sephardischen Juden Griechenlands, obgleich diese ausdrück­lich auf der einschlägigen, 1954 erstellten Liste aufgeführt war. Siehe z. B. PA AA, B 81/203 – Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer der na­tionalsozia­listischen Verfolgung in Saloniki (10. 1. 1957), B 81/203 – Wiedergutmachungsansprüche der Vereinigung der deportierten Juden in Saloniki (13. 5. 1957), B 81/203 – Aufzeichnung (1. 7. 1957).

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vor der Unterzeichnung eines Friedensvertrags, wie im Londoner Abkommen definiert. Weitere Punkte des Memorandums waren die Anwendung der entsprechenden Regelungen im BErG auch auf ihre Gruppe sowie Entschädigungszahlungen, wobei diese sich an die Beträge anlehnen sollten, ­welche ehemaligen Zwangsarbeitern bereits in Italien zugesprochen worden waren. Auch wurde darauf verwiesen, dass „die heiligen Rechte Tausender von Bürgern nicht verschmäht werden [dürfen] um gleichwelcher Interessen willen, von vielen oder von wenigen. Und vor allem Freundschaft z­ wischen Völkern könne nicht fundiert werden, solange ­zwischen ihnen der Abgrund liegt, den die Bitterkeit, der Schmerz und das Unrecht geöffnet hat.“ 76 Der Zeitung Akropolis zufolge versicherte Brentano bei dieser Gelegenheit der griechischen Öffent­lichkeit, die Bundesregierung werde die Angelegenheit mit der gebotenen Sorgfalt prüfen und eine optimale Lösung finden.77 Doch prompt informierte das AA die Athener Botschaft unter Berufung auf Art. 5 des Londoner Abkommens, man halte auch in ­diesem Fall die Mög­lichkeit einer Entschädigungsleistung für ausgeschlossen.78 Im November 1956 forderte die Athener Regierung Bonn über den Leiter des Kriegsverbrecherbüros Andreas Tousis erstmals dazu auf, den zivilen NS -Opfern in Griechenland zumindest eine Entschädigung in symbo­lischer Höhe zuzugestehen. Schrittweise modifizierte sie die anspruchsberechtigte Gruppe so, dass nur die in der deutschen Besatzungszone aufgrund von „Rassengesetzen“ geschädigten Personen erfasst waren, faktisch also allein die Holocaustüberlebenden.79 Rasch wurde die Entschädigungsfrage mit dem Fall Merten verknüpft. Max Merten, 1943 federführend bei der Deporta­tion von Thessaloniker Juden in Vernichtungslager, wartete seit 1957 in Athener Untersuchungshaft auf sein Verfahren. Einem Vorschlag von Tousis zufolge könnten Entschädigungsleistungen an Thessaloniker Juden unter den gegebenen Umständen als Passierschein für Mertens Freilassung fungieren. Doch die Bundesregierung lehnte den Vorschlag ab und begründete dies ein weiteres Mal mit dem Verweis auf Art. 5 des Londoner Abkommens.80 76 PA AA, B 81/203 – Memorandum (14. 5. 1956), (sic! So der im deutschen Dokument erscheinende Wortlaut). 77 PA AA, B 81/203 – Entschädigung griechischer Geiseln (28. 5. 1956). 78 PA AA, B 81/203 – Entschädigung sog. griechischer Geiseln (Zwangsarbeiter) (2. 8. 1956). 79 Vgl. z. B. PA AA, B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (6. 4. 1957), B 26/63 – Übernahme griechischer Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige wegen angeb­licher ­Kriegsverbrechen (23. 4. 1957), B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse (15. 5. 1957), B 26/63 – Schmollers Telegramm aus Athen an AA (15. 5. 1957), PA AA, B 81/203 – Rechtschutzsache Dr. Merten (21. 6. 1958). 80 PA AA, B 26/63 – Übernahme griechischer Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige wegen angeb­licher Kriegsverbrechen (23. 4. 1957), B 26/63 – Griechische Strafverfahren gegen deutsche Staatsangehörige (Fall Merten) (28. 5. 1957), B 26/63 – Kriegsverbrecherprozesse und Rechtschutzsache Merten (16. 9. 1957).

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1957 zeichnete sich in der internen bilateralen Kommunika­tion so etwas wie ein Hoffnungsschimmer für anspruchsberechtigte Opfer des Na­tionalsozia­lismus ab, als das AA auf Forderungen in der Entschädigungsfrage reagierte, die acht ehemals besetzte Länder, darunter auch Griechenland, ein Jahr zuvor vereint erhoben hatten. Die Bundesrepublik Deutschland erklärte sich näm­lich im April 1957 zu „karitativen Hilfsmaßnahmen“ bereit, womit sie auch im Fall des EPAIT die bei Entschädigungsforderungen üb­liche Taktik ausländischen Organisa­tionen gegenüber anwandte.81 Auch nahm das AA im August 1957 – nach drei Jahren Korrespondenz mit jüdischen Organisa­tionen Griechenlands in der Angelegenheit der Thessaloniker Überlebenden – end­lich Verbindung mit Ernst ­Katzenstein, dem Direktor der Claims Conference Deutschland auf.82 Nach wie vor machte Bonn direkte Entschädigungszahlungen an Holocaustüberlebende jedoch von den Ergebnissen der Verhandlungen mit Regierungen euro­päischer Länder über ein Globalabkommen abhängig. Mit Griechenland wurde ein solches Abkommen erst im Frühjahr 1960 mög­lich.83 4.2.2 Zivilgesellschaftliche Unterstützung für NS-Opfer

Spendensammlungen und von der Bundesregierung unabhängige karitative Aktivitäten bildeten letzt­lich die spär­lichen deutschen Versöhnungs- und Beistandsgesten für griechische NS-Opfer. An dieser Stelle ist hauptsäch­lich die Arbeit von Ehrengard Schramm von Thadden-­Trieglaff anzuführen. Die spätere SPD-Parlamentarierin im Niedersäch­ sischen Landtag hat sich in den 1950er Jahren mehrfach für die Hinterbliebenen der NS-­Opfer in Kalavryta, Kommeno und anderen griechischen Orten engagiert. Die Ehefrau des Historikers und Hochschullehrers an der Universität Göttingen Percy Ernst ­Schramm, geborene von Thadden, hatte sich schon vor dem Krieg mit der zeitgenös­sischen Geschichte Griechenlands beschäftigt. Nach dem Krieg verfasste sie eine Abhandlung 81 Siehe z. B. PA AA, B 81/353 – Wiedergutmachungsansprüche der Vereinigung der deportierten Juden in Saloniki (8. 4. 1957) oder B 81/353 – Wiedergutmachungsansprüche der Vereinigung der deportierten Juden in Saloniki; Verweisung der Antragsteller an die Claims Conference (7. 6. 1957). Zugunsten der griechischen Juden intervenierten etwa das American Jewish Committee oder auch die Spanische Botschaft in der Bundesrepublik, an die sich die Überlebenden mit Unterstützungsanträgen gewendet hatten. Vgl. PA AA, B 81/203 – ­Seymour J. Rubin to Heinz L. Krekeler (9. 8. 1957) oder B 81/353 – Antonio María Aguirre an Heinrich von Brentano (18. 3. 1958). 82 PA AA, B 81/353 – Vereinigung der deportierten Juden aus Saloniki (23. 8. 1957). 83 Gesetzesverordnung 4178/1961 (14. und 21. 8. 1961) – Περί κυρώσεως της μεταξύ Ελλάδος και Γερμανίας συμβάσεως περί παροχών υπέρ Ελλήνων υπηκόων θιγέντων υπό εθνικοσοσιαλιστικών μέτρων διώξεως και άλλων τινών συναφών διατάξεων (Zur Ratifizierung des Vertrags z­ wischen Griechenland und Deutschland über Leistungen zugunsten von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffener griechischer Staatsbürger und über andere damit zusammenhängende Bestimmungen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 133/1961.

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zum Griechisch-­Italienischen Krieg in Albanien, der griechischen Gegenoffensive auf Mussolinis Angriff und dessen Unterstützung durch Hitler.84 In d­ iesem Zusammenhang reiste sie mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im ­Februar 1952 nach Athen und erfuhr dort erstmals von Kalavryta-­Massaker.85 Bei einer zweiten Griechenlandfahrt im Sommer 1952 hielt sie sich zum ersten Mal in Kalavryta auf. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben des Roten Kreuzes, hatte sie die Warnungen der Athener deutschen Botschaft ignoriert und die Peloponnes bereist. In Kalavryta gab sie sich zunächst als Schweizerin aus, um den Argwohn der lokalen Bevölkerung zu zerstreuen. Zwar bekannte sie relativ schnell, woher sie tatsäch­lich kam, doch reagierten die Menschen vor Ort, wie sie selbst berichtet, nicht feindselig. Im Gegenteil: Es gelang ihr bald, die Einwohner Kalavrytas für sich einzunehmen. Vermut­lich hat Ehrengard Schramm als erste deutsche Staatsbürgerin diese Opfergemeinde nach dem Krieg besucht.86 Bis dahin war humanitäre Hilfe für Kalavryta und andere Opfergemeinden der Gegend in der Hauptsache vom Interna­tionalen Roten Kreuz geleistet worden. Dessen Vertreter versorgten die Menschen in ­diesem Landstrich mit Lebensmitteln, obgleich das im Krieg zerstörte Straßennetz Transporte nicht eben einfach machte. Die ersten drei Lkw mit Nahrung, Gerätschaften und Zelten erreichten Kalavryta erst im April 1945. Der Schweizer Delegierte des Interna­tional Red Cross Hans Bickel hat in seinem Bericht den deprimierenden Eindruck geschildert, den die gedrückte Stimmung und die notgedrungen miserablen Lebensumstände für die Familien von Opfern des Wehrmachtsmassakers bei ihm hinterlassen hatten.87 Sieben Jahre s­ päter war Ehrengard Schramm mit einer ähn­lichen Situa­tion konfrontiert. Nach einem zweitägigen Aufenthalt entschloss sie sich, mittels Schaffung von Arbeitsplätzen für Kalavrytaner Frauen zum wirtschaft­lichen Wiederaufbau der Gegend beizutragen. Dafür sollte eine Textilmanufaktur eingerichtet werden, in der die Witwen der Opfer sich durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen könnten.88 Denn außer Witwen und Kindern gab es nach dem Massaker in Kalavryta nur elf

84 Ehrengard Schramm: Griechenland und die Großmächte im Zweiten Weltkrieg, Wiesbaden: Franz Steiner, 1955. Die Publika­tion baute auf Schramms erstem Buch auf, das in den 1930er Jahren erschienen war. Bei der deutschen Geschichtsforscherin gingen eine zunächst monarchiefreund­ liche Haltung und Griechenland-­Enthusiasmus eine Verbindung ein. Siehe Ehrengard Schramm: Griechenland und die Großmächte 1913 – 1923, Göttingen: ­Vandenhoeck & Ruprecht, 1933. 85 Ehrengard Schramm: Ein Hilfswerk für Griechenland. Begegnungen und Erfahrungen mit Hinterbliebenen deutscher Gewalttaten der Jahre 1941 – 1944. Ergänzt und hg. von Gottfried Schramm und Irene Vasos, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, S. 19 – 32. 86 PA AA, B 10/2198 – Kalávrita (25. 8. 1952). 87 Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 477. 88 PA AA, B 10/2198 – Vorschlag zu einer Hilfe für Kalávrita (25. 8. 1952).

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Männer, von deren Tod durch die Massenexeku­tion die Täter damals ausgegangen waren.89 Ehrengard Schramm begriff, dass eine Entschädigung gleich welcher Art für die Kalavryta-­Hinterbliebenen einen riskanten Präzedenzfall für die Bundesregierung schaffen könnte. Ihr Vorschlag lautete daher, deutsche private Verbände und Einrichtungen mögen sich mit karitativen Hilfeleistungen einbringen.90 Auf opera­tionaler Ebene gewann sie die Unterstützung von Else U­lich-­Beil, der Vorsitzenden des Deutschen Frauenrings e. V., dem auch sie selbst angehörte.91 ­Schramms Erwartungshaltung, das AA würde ihren Planungen wenigstens mit einer Teilfinanzierung unter die Arme greifen, wurde jedoch vollständig enttäuscht. Nicht eine einzige Mark bewilligten ihr, die 300.000 DM beantragt hatte, weder das AA noch der Bundesverband der Deutschen Industrie. Gleichzeitig traf Bonn die Entscheidung, mit 200.000 DM zur Katastrophenhilfe nach dem Erdbeben auf den Ionischen Inseln beizutragen, da diese Ak­tion sich mit dem Thema Entschädigungszahlungen nicht in Verbindung bringen ließ. Das einzig greifbare Resultat eines zweijährigen Bemühens war eine Reise von E. Schramm und E. U­lich-­Beil im Dezember 1953 nach Kalavryta, wo erstmals Deutsche einen Kranz am Mahnmal des Massakers niederlegten.92 Erst bei Adenauers Besuch in Griechenland im März 1954 konnte Ehrengard ­Schramm eine gewissermaßen positive Wendung der Angelegenheit erzielen. Bei einer Privat­ audienz überreichte die Adenauer-­Tochter Lotte der griechischen Königin F ­ riederike einen Scheck über 50.000 DM, der Kalavryta zugutekommen sollte.93 Etwas verzögert wurde der Betrag den Kalavrytanern auch zur Verfügung gestellt, erhöht durch eine Zuwendung der Stadt Bremen in Höhe von 10.000 DM für den Bau eines Textilbetriebs und den Kauf der ersten Nähmaschinen. Obwohl Schramms Plan letzt­lich nicht aufging, da die Manufaktur nie fertiggestellt wurde, konnten die Frauen Kalavrytas mit Hilfe der ihnen überlassenen Gerätschaften einigermaßen überleben, sogar als ihnen die Witwenrenten gestrichen wurden.94 89 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 90 PA AA, B 10/2198 – Bemerkungen zu dem Bericht über Kalávrita (25. 8. 1952). 91 United States. Office of the US High Commissioner for Germany. Office of Public Affairs: Handbuch deutscher Frauenorganisa­tionen. Guide to German women’s organiza­tions (ca. 1952), The History Collec­tion – University of Wisconsin, http://images.library.wisc. edu/History/EFacs/GerRecon/GerWomenOrgs/reference/history.gerwomenorgs.i0003. pdf (letzter Zugriff: 25. 09. 2015). 92 Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen 1949 – 1955, 1999, S. 210 f.; Schramm, Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 41 – 45. 93 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 94 PA AA, B 11/1223 – Projekt: Kalávrita (25. 2. 1955); siehe auch Schramm, Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 56 – 58. 1950 sprach die griechische Regierung den Kalavrytaner Frauen

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Nach zwiespältigen Erfahrungen bei ihrem Einsatz zur Förderung des wirtschaft­ lichen Wiederaufbaus vor Ort entwickelte Ehrengard Schramm 1954 ein neues Konzept, dem zufolge etwa 20 der mittellosen Kriegswaisen Kalavrytas nach Deutschland zur Berufsausbildung geschickt werden sollten. Bestärkt wurde sie darin zum einen vom Frauenring, der die Schirmherrschaft übernahm, diesmal aber auch vom Bundes­finanzministerium und dem AA, vertreten vor Ort vom Athener Exkonsul Karl H ­ ermann Knoke. Zur Umsetzung des Vorhabens trugen außerdem deutsche ­sozia­le und wirtschaft­liche Organisa­tionen sowie die Frankfurter Carl Duisberg Gesellschaft für Nachwuchsförderung e. V. bei, wodurch sich die Mög­lichkeit eröffnete, 33 Kriegswaisen aus Kalavryta als Auszubildende in deutschen Unternehmen unterzubringen.95 Während der Vorbereitungsphase kümmerte man sich um eine Auswahl der Jugend­ lichen nach passenden Kriterien: Infrage kamen nur Söhne aus Opferfamilien, deren Väter von Deutschen erschossen worden waren, keinesfalls Kriegswaisen von Widerständlern. Ehrengard Schramm selbst erklärte, es gehe nicht an, Söhne von Partisanen und damit potentieller Mörder deutscher Soldaten in den Genuss eines solchen Anerbietens kommen zu lassen. Auch hielt sie weiterhin an ihrer Fehldeutung fest, das Kalavryta-­Massaker habe lange vor Beginn des „Partisanenkriegs“ in der Gegend stattgefunden.96 Bezeichnend für eine gewisse Geisteshaltung ist auch die Sorge des deutschen Botschaftsrats Betz bei der Auswahl der Berufsschulkandidaten, es bedürfe wohl einer „sprach­lichen, kulturellen und politischen (!) Vorbereitung“.97 Auch die offizielle, von Karl Hermann Knoke stammende Benennung des Programms als „Berufsausbildung von Kriegswaisen aus Griechenland in Deutschland“ war im Hinblick auf die Evakuierung griechischer Kinder nach Osteuropa während des Bürgerkriegs zumindest doppeldeutig.98 In der Vorbereitungsphase des Projekts stellten sich außer der Kandidatenwahl selbstverständ­lich auch noch weitere Probleme ein. Von Anfang an war es schwierig, einen Ausbildungsplatz bei deutschen Firmen für die Jugend­lichen zu finden. Die Betriebe zeigten sich zurückhaltend und sagten Ausbildungsplätze erst dann verbind­lich

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Renten zu, die jedoch nach drei Jahren wegen Sparmaßnahmen eingestellt wurden. Siehe PA AA, B 26/127 – Σωματείον θυμάτων χηρών και ορφανών των Καλαβρύτων „Ο Γολγοθάς“ προς τον Dr. Adenauer (Verband der Opferwitwen und -waisen Kalavrytas „Golgatha“ an Dr. Adenauer) (2. 1. 1958). Vgl. z. B. PA AA, B 11/1223 – Vermerk von Knoke (16. 9. 1955). Schramm, Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 67. Zum Verweis inklusive des Ausrufezeichens siehe die Akte PA AA, B 11/1223 – Betz an Knoke (23. 7. 1955). Knoke verwarf in seinem Antwortschreiben an die Athener Botschaft Betz Vorbehalte mit dem Hinweis, die Begegnung der Kinder mit der deutschen Kultur und der politischen Umgebung könne nicht „im Sinne des Tausendjährigen Reiches“ aufgefasst werden, siehe PA AA, B 11/1223 – Knoke an Betz (3. 8. 1955). PA AA, B 11/1223 – Vermerk von Knoke (16. 9. 1955).

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zu, als sich Bundesbehörden ener­gisch einschalteten.99 Auch ging in Kalavryta allmäh­lich das Gerücht um, man wolle die Jugend­lichen nur als billige Arbeitskräfte ausbeuten;100 die deutsche Botschaft in Athen stand dem Programm ebenfalls reserviert gegenüber und ging jeg­licher Zusammenarbeit mit den Initiatoren tun­lichst aus dem Weg.101 Obendrein legte auch das griechische Arbeitsministerium dem Aufbruch nach Deutschland zusätz­liche Steine in den Weg, indem es den deutschen Bevollmächtigten die Ausstellung erforder­licher Reisepapiere für die Jugend­lichen verwehrte.102 Knoke führte dies auf ein gewisses Misstrauen griechischer Behörden der deutschen Initiatorin gegenüber zurück, wobei er im Sommer 1955 in der Korrespondenz mit einem Vertreter der Carl Duisberg Gesellschaft kommentierte, dass Schramms „Motive zwar sehr anzuerkennen“ ­seien, ihr „Vorgehen aber häufig sehr unzweckmäßig“ wirke.103 Noch vor der Abreise erhielten die schließ­lich ausgewählten 14- bis 17-jährigen Kriegswaisen von Ehrengard Schramm persön­lich in Kalavryta ersten Deutschunterricht. Im Oktober 1955 erfolgte die Abfahrt nach Kulmbach/Bayern, wo dann der Unterricht, spezifiziert für eine Berufsausbildung, intensiv fortgesetzt wurde. Die Jugend­lichen durften nicht von Verwandten begleitet werden. Anfäng­lich stand ihnen eine griechische Erzieherin bei, ihrerseits Kalavrytaner Witwe, die mit nach Deutschland gefahren war.104 Sie kümmerte sich darum, dass die Gruppe mit Nahrung und Kleidung versorgt war sowie ein Dach über dem Kopf und ein kleines Taschengeld zur Verfügung hatte, und leitete auch den Kontakt mit den deutschen Pflegefamilien ein.105 Nach einem halben Jahr in Bayern wurden die Jugend­lichen im April 1956 auf elf deutsche Unternehmen verteilt und dort in unterschied­lichen Bereichen ausgebildet, vier von ihnen etwa bei AEG , fünf bei Bayer und weitere vier bei Siemens. Später boten diese Firmen vielen der Ausgebildeten eine Stelle bei den jeweiligen Athener Niederlassungen an.106 Die Gesamtkosten des dreijährigen Ausbildungsprogramms einschließ­lich der jähr­lichen Ferien in Kalavryta betrugen einer 1956 durchgeführten Berechnung 99 PA AA, B 11/1223 – Berufsausbildung für 30 junge Griechen aus Kalavrita in der Bundes­ republik (30. 7. 1955). 100 Schramm, Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 68. 101 PA AA, B 11/1223 – Betz an Knoke (23. 7. 1955). 102 PA AA, B 11/1223 – Berufsausbildung für griechische Kriegswaisen in der Wirtschaft der Bundesrepublik und West-­Berlin (22. 10. 1955). 103 PA AA, B 11/1223 – Vermerk von Knoke (16. 9. 1955). 104 PA AA, B 11/1223 – Eintreffen des Transportes von 33 Kriegswaisen aus Kalavrita zur Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland und West-­Berlin (22. 10. 1955). 105 PA AA, B 11/1223 – Projekt: Kalávrita (25. 2. 1955). 106 PA AA, B 11/1223 – Berufsausbildung von jungen Griechen aus Kalávrita in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland und West-­Berlin (25. 8. 1955); siehe auch Schramm: Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 157 f.

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der damit befassten Behörden zufolge 400.000 DM .107 Zwar hatte das AA damit gerechnet, dass die Kosten durch Firmenbeiträge gedeckt würden. Als ­dieses Kalkül nicht aufging, musste das Amt selbst einspringen. Die Unternehmen hielten die Finanzierung eines solchen Programms von ganz offensicht­lich politischer Tragweite vorrangig für eine Aufgabe der Bundesregierung und waren, von wenigen Ausnahmen wie etwa Krupp abgesehen, nicht bereit, auch finanziell bei dessen Umsetzung mitzuwirken.108 Die meisten Jugend­lichen fanden sich sehr schnell in Deutschland ein. Doch bei einem der Jungen misslang mehr oder weniger die Anpassung an sein neues Umfeld, trotz zwei Jahren Aufenthalts in Westdeutschland. Dies führte zu Klagen nicht nur bei der Familie, die sich seiner angenommen hatte; in der Werkstattbeurteilung der Zentral­stelle für Ausbildung (ZfA), Bereich Gewerb­liche Ausbildung, wurde er als „ausgesprochener Deutschenhasser“ bezeichnet, der „bei jeder Gelegenheit seine Abneigung gegen alles Deutsche zum Ausdruck bringt“.109 Im Bericht von Siemens & Halske wurde gar die sexuelle Orientierung des Jugend­lichen angesprochen und dieser als „nicht normal veranlagt“ bezeichnet.110 Dem Begleitschreiben der Carl Duisberg Gesellschaft an das AA zufolge lag der einzige Grund für die Teilnahme des Jungen in den politisch vorgegebenen Kriterien der Bewerberauswahl.111 Bemerkenswert in d­ iesem Kontext ist das Erstaunen deutscher Behörden über die im Bericht erwähnten deutschfeind­lichen Äußerungen des Jugend­lichen, wo doch bekannt war, dass eine s­ olche Haltung mit der Ermordung seiner Familienmitglieder zu tun haben müsse. Schließ­lich konnten die verschiedenen Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden, sodass Ehrengard Schramm Ende 1960 eine weitere Gruppe von 23 griechischen Jugend­lichen nach Deutschland brachte. Sie bestand aus 17 Kalavrytaner Jungen, dazu kamen je drei aus Distomo und Kommeno. Kerngedanke des Programms war die Ausbildung von Facharbeitern, die nach der Rückkehr an ihren Heimatort motiviert zu dessen wirtschaft­lichem Aufschwung beitragen könnten.112 Dieses Ziel hat sich wohl nicht erreichen lassen, auch wenn die betreffenden Jugend­lichen ­später offenbar sehr 107 PA AA, B 26/17 – Politische Beziehungen der BRD zu Griechenland, Staatsbesuch des Bundes­ präsidenten in Griechenland (1956). 108 Vgl. PA AA, B 11/1223 – Schramm an Knoke (21. 6. 1955), B 11/1223 – Berufsausbildung für 30 junge Griechen aus Kalavrita in der Bundesrepublik (30. 7. 1955), B 11/1223 – Berufsausbildung von jungen Griechen aus Kalavrita in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland und West-­Berlin (25. 8. 1955). 109 PA AA, B 26/133 – Werkstattbeurteilung des griechischen Lehrlings X. (Name aus Gründen des Datenschutzes anonymisiert, d. V.) (7. 1. 1958). 110 PA AA, B 26/133 – Siemens & Halske an Carl Duisberg-­Gesellschaft (8. 1. 1958). 111 PA AA, B 26/133 – Kalavryta-­Lehrling X. (Name aus Gründen des Datenschutzes anonymisiert, d. V.) (24. 1. 1958). 112 Yfantis, Die deutsch-­griechischen Beziehungen, 1999, S. 218.

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gute Erfolge im Berufsleben aufweisen konnten. Die meisten fanden Arbeit in griechischen Großstädten oder im Ausland. Wie aus der Dokumenta­tion über die erste Kalavry­taner Gruppe zu ersehen ist, nahmen 15 eine Stelle in Athen und sieben eine Arbeit im Ausland an. In Kalavryta selbst lebten von insgesamt 33 ehemaligen Lehrlingen im Jahr 2001 nur drei, wobei die Kleinstadt sich ungeachtet der Absichten Schramms nie zum regionalen Industriezentrum entwickelt hat.113 Ehrengard Schramm engagierte sich auch in anderen Orten Griechenlands, die während der Besatzung zerstört worden waren und denen die Bundesbehörden jeg­ liche Hilfe verweigerten, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. 1954 hatte sich etwa der Bürgermeister der Gemeinde Klissoura mit einem Schreiben an Bundeskanzler Adenauer gewandt und darum gebeten, die Bundesrepublik oder eine deutsche Großstadt möge doch die Schirmherrschaft für seine Gemeinde übernehmen.114 Der zuständige AA -Beamte Otto Bräutigam empfahl der deutschen Botschaft in Athen, dem Anliegen „in der dort geeignet erscheinenden Weise eine betont freund­liche Absage zu erteilen“. Dies rechtfertigte er wie folgt: „Von der BRD und ihren Bewohnern [werden] ausserordent­liche Opfer auf finanziellem Gebiet erfordert. Diese Opfer kommen indirekt allen freien Völkern zugute und dürften somit im Endeffekt weit wertvoller sein als die Finanzierung von Einzelmaßnahmen zur Wiedergutmachung geschehenen Unrechts.“ 115 Von den Bundesbehörden abgewiesen, erhielt Klissoura dennoch Hilfe, und zwar dank der Initiativen Schramms. Die Gemeinde gehörte zu den 14 Dörfern, für deren Wiederaufbau sie sich 20 Jahre lang Mittel zu beschaffen bemühte. Aufgrund ihres unermüd­lichen Einsatzes konnten Agrarmaschinen nach Klissoura geliefert, die lokale Wirtschaft ausgebaut und Anfang der 1960er Jahre ein gemeindeweites Bewässerungssystem fertiggestellt werden.116 Im Juli 1958 ging sie nach Kommeno und setzte anschließend eine Finanzspritze von 15.000 DM seitens des AA durch, womit die Gemeinde an das Stromversorgungsnetz angeschlossen werden konnte.117 Die Aktivitäten von Ehrengard Schramm zogen weitere private Spendensammlungen und Zuwendungen nach sich. Kalavryta, stellvertretend für Terror seitens der deutschen Besatzer in Griechenland, erhielt in den 1960er Jahren im Kontext eines bilateralen Abkommens z­ wischen Athen und Bonn eine symbo­lische Wiedergut­ machungssumme; in den 1980er Jahren wurde dort mit Unterstützung deutscher Staatsbürger das Skizentrum gebaut, mittels dessen die Kleinstadt, ein ehemaliger Kurort, 1 13 Schramm, Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 157 f. 114 PA AA, B 11/1223 – Hilfe für die kriegszerstörte griechische Stadt Klissoura (27. 1. 1955). 115 PA AA, B 11/1223 – Übernahme der Partnerschaft für Klissoura durch die Bundesrepublik Deutschland (23. 3. 1955). 116 Schramm, Ein Hilfswerk für Griechenland, 2003, S. 126 – 137. 117 Meyer, Kommeno, 1999, S. 129 f.

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zum Winterferienort avancierte. 1985 trug der Arbeiter-­Samariter-­Bund finanziell zur Gründung eines Dokumenta­tionszentrums für Lokalgeschichte bei. Es hält zusammen mit dem dortigen Museum die Erinnerung an die historischen Ereignisse und Kriegsgreuel in der weiteren Umgegend wach.118

4.3 Globalabkommen zu Entschädigungsleistungen Nach mehreren Jahren, während derer Deutschland Forderungen anderer Staaten auf Entschädigungszahlungen wiederholt von sich gewiesen hatte, gaben bei einem Treffen im Januar 1956 in Den Haag Delegierte Frankreichs und der Beneluxstaaten den Anstoß für eine gemeinsame Demarche in der Sache; der Entwurf wurde auch anderen NS -geschädigten westeuro­päischen Ländern zur Kenntnis gegeben.119 Griechen­land bestätigte sein Interesse an einer Mitwirkung am 21. Juni 1956, als es neben sieben weiteren Ländern dem AA eine Verbalnote überstellte; darin wurde die griechische Teilnahme an einer Arbeitsgruppe angekündigt, als deren Ziel die Beschaffung von Mitteln für individuelle Entschädigungsleistungen an NS -Opfer genannt wurde.120 Drei Wochen s­ päter antwortete das AA, man werde sich nach Prüfung des Ansuchens äußern.121 Daraufhin wurde die deutsche Botschaft in Athen aufgefordert, Informa­tionen über die Gesamtzahl griechischer NS-Opfer zu beschaffen, mit deren Entschädigung man mög­licherweise rechnen müsse. Der Vorschlag der Botschaft ging dahin, die Verhandlungen mit der griechischen Regierung auf Entschädigungen für Opferangehörige ersten Grades (Kriegswitwen und -waisen) zu begrenzen, wobei Partisanenfamilien davon ausgenommen sein sollten. Begründet wurde dies mit dem Hinweis, „eine Entschädigung von Partisanen würde griechischerseits kaum verstanden werden.“ So schlug man vor, ausschließ­lich Angehörige derjenigen Personen in die Empfängerliste aufzunehmen, die während der deutschen Besatzung im Zuge von Vergeltungsak­tionen ermordet oder verschleppt wurden, sofern sie nachweis­lich nicht am Widerstand beteiligt gewesen waren.122 Die offizielle Antwort Bonns an Athen auf den Vorstoß der acht Länder kam erst am 21. Februar 1957. Argumentiert wurde mit Bestimmungen bereits getroffener Abkommen, auf deren Grundlage man keine Mög­lichkeit sehe, Entschädigungen an NS-­Opfer aufzubringen, da dies unvereinbar sei mit Art. 5 des Londoner Abkommens. Auch 1 18 119 120 121 122

Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 481 f. Hockerts, Die Entschädigung für NS-Verfolgte, 2006, S. 27. PA AA, B 81/203 – Note Verbale an Ministère des Affaires Etrangères, Bonn (21. 6. 1956). PA AA, B 81/203 – Verbalnote an die König­liche Griechische Botschaft, Bonn (14. 7. 1956). PA AA, B 81/203 – Demarche der acht Weststaaten wegen der Entschädigung ausländischer Verfolgter des Na­tionalsozia­lismus (28. 9. 1956).

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beträfen die von der Bundesrepublik in den 1950er Jahren verabschiedeten Gesetze über Entschädigungen von NS-Opfern ausschließ­lich deutsche Staatsbürger. Geschädigte, die Staatsbürger von Signatarstaaten des Pariser Repara­tionsabkommens ­seien, müssten aus den Quoten jedes dieser Staaten entschädigt werden, wie es sich auch aus der Praxis des Völkerrechts ergebe. Holocaustüberlebende könnten sich außerdem wegen finan­ zieller Hilfsmaßnahmen an die Claims Conference wenden, deren Aufgaben­bereich im Luxemburger Abkommen und dessen Protokollen festgelegt sei. Die Bonner Antwortnote führte allerdings explizit an, in Deutschland erkenne man die Notlage derjenigen Opfer des Na­tionalsozia­lismus, die keine Entschädigungen erhalten hatten und denen geholfen werden müsse. Das „deutsche Volk“ sei bereit, Hilfestellungen „in Form von karitativen Maßnahmen“ zu leisten. Empfänger könnten notleidende, gesundheit­lich geschädigte Opfer der na­tionalsozia­listischen Verfolgungen sein, aber auch Hinterbliebene von getöteten oder an Misshandlungsfolgen verstorbenen Personen in den ehemals besetzten Ländern „der freien Welt“. Träger von Hilfsak­tionen sei nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern verschiedene private Initiativen, die Bonn „tatkräftig und wirksam“ zu unterstützen bereit sei.123 Bonn wollte das griechische Parlament bei der Realisierung karitativer Ak­tionen miteinbezogen wissen. Dort debattierte man jedoch hauptsäch­lich über nicht erfolgte Repara­tionen aus Deutschland und rechtfertigte so die eigene Unzuläng­lichkeit, Zivil­ opfer der Besatzungszeit mit ihrem Entschädigungsanteil zu versehen, während Bonn unverbind­lich blieb und d ­ ieses heikle Thema abermals zu meiden versuchte.124 So gelang es der deutschen Politik, konkrete Verhandlungen aufzuschieben, wiederum mit Hinweis auf die schwere Belastung der Bundesrepublik Deutschland, die sich aus der Fürsorge für vertriebene Volksdeutsche und deren Integra­tion ergab, aber auch durch die Versorgung Berlins in der Blockade. Man war daher bemüht, die Entschädigungen für NS-Opfer außerhalb Deutschlands so gering wie mög­lich zu halten. Im Dezember 1958 teilte Bonn Athen mit, dass man bei Entschädigungsleistungen nur „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ 125 verfolgte, an Leib und Leben schwer geschädigte Personen berücksichtigen könne. Erneut wurde darauf verwiesen, dass bei Personen, die aus Gründen der „Rasse“ verfolgt worden ­seien, die Programme der Claims Conference griffen, der Deutschland auf der Grundlage des Luxemburger Abkommens bereits eine halbe Mrd. DM zur Verfügung gestellt habe.126 Im Herbst 1958 schlossen sich der Demarche der „einstigen Gegner und neuen Partner“ drei weitere Länder an: die ehemalige Achsenmacht Italien sowie die ehemals neutralen

123 124 125 126

PA AA, B 81/203 – Verbalnote an die König­liche Griechische Botschaft, Bonn (21. 2. 1957). PA AA, B 81/203 – Kammerdebatte über Kriegsentschädigung (2. 3. 1957). BGBl. I, 1956, 29. 6. 1956, S. 563. PA AA, B 26/133 – Verbalnote an die König­liche Griechische Botschaft, Bonn (8. 12. 1958).

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Länder Schweiz und Schweden. Am 17. Oktober erfolgte eine zweite ­Demarche in Richtung Bonn. Der deutsche Außenminister Heinrich von Brentano, von der westeuro­ päischen Diplomatieoffensive unter Druck gesetzt, verständigte sich mit Finanzminister Franz Etzel über eine numerische Obergrenze für den Fall, dass Entschädigungsleistungen global ausgeweitet werden sollten. In interner Absprache unter den beiden Ministerien wurde vereinbart, als Gesamtleistung den Betrag von 400 Mio. DM nicht zu überschreiten. So war denn die Antwort des AA, man lehne Überlegungen zu Entschädigungen nicht vollkommen ab, müsse aber deut­lich auf die Grenzen d­ ieses Entgegenkommens verweisen.127 Als sich in Bonn schließ­lich abzeichnete, dass Leistungen an NS -Geschädigte nicht mehr zu umgehen waren, brachte man den davon betroffenen Staaten gegenüber eigene Kondi­tionen vor und änderte die einschlägigen Sprachregelungen. So wurde der Begriff „sog. Kriegsverbrechen“, der nicht nur die Zerstörung griechischer Dörfer und die Ermordung ihrer Einwohner betraf, in der diplomatischen Terminologie Ende der 1950er Jahre abgelöst von der Bezeichnung „deutsche Übergriffe“.128 Statt „Entschädigung“ war in den Akten und der Korrespondenz des AA an griechische NS-Opferverbände nunmehr die Rede von „karitativen Maßnahmen“, s­ päter sukzessive ersetzt vom Terminus „Wiedergutmachung“.129 Anfang Dezember 1958 setzte Deutschland mittels einer Verbalnote Athen über die Entschädigungskondi­tionen in Kenntnis und bat um präzise Informa­tionen zu den einzelnen Opferkategorien, aufgeschlüsselt nach Gründen („Rasse“, Glaube, Weltanschauung) der Verfolgung. Sobald diese Auskünfte zur Verfügung stünden, wäre man verhandlungsbereit. Auch wurde an Griechenland vermittelt, dass man selbst nicht in der Lage sei, die Entschädigungspauschalen im Einzelfall zu verteilen; dies müsse daher von der griechischen Regierung selbst übernommen werden.130 Nachdem die griechische Seite dem AA eine provisorische Liste der wegen ihrer „Rasse“ und Weltanschauung verfolgten Personen übergeben hatte, lud Bonn die Athener Gesprächspartner im März 1959 zu einem informellen Treffen.131 Die erste Verhandlungsrunde mit den griechischen Delegierten begann am 4. Mai 1959 und dauerte drei Tage, ohne zu konstruktiven Ergebnissen zu führen. Dies wurde den lückenhaften Athener Listen zugeschrieben, in denen z. B. weder 127 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 401 f. 128 Siehe z. B. PA AA, B 26/127 – Eingabe des Verbandes der Opfer von Kalavryta (Griechenland) (30. 6. 1958), eventuell B 26/127 – Eingabe des Verbandes der Opfer, Witwen und Waisen von Kalavryta (28. 11. 1958). 129 Siehe PA AA , B 81/203 – Verbalnote an die König­liche Griechische Botschaft, Bonn (21. 2. 1957). 130 PA AA, B 26/133 – Verbalnote an die König­liche Griechische Botschaft, Bonn (8. 12. 1958). 131 PA AA, B 81/203 – Wiedergutmachungsverhandlungen mit Griechenland (10. 3. 1959).

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die genaue Haftdauer noch der Haftgrund angegeben waren. Bonn argwöhnte, dass auch Widerständler oder andere nicht anspruchsberechtigte Gruppierungen aufgeführt s­ eien. Auch lehnte es Entschädigungsleistungen an ehemalige Internierte griechischer Konzentra­tionslager ab. Doch diese Forderung konnte Athen mit Rücksicht auf innenpolitische Gegebenheiten und die griechische Öffent­lichkeit nicht zurückziehen.132 Auf deutscher Seite hielt man die Gesamtzahl von 95.000 aus „weltanschau­lichen“ Gründen verfolgter Personen für übertrieben. Man verwies darauf, dass selbst in Deutschland bei deut­lich höherer Bevölkerungszahl nicht mehr als 8000 Personen dieser Kategorie angehörten. Griechenland jedoch blieb dabei, die Berechnungen s­ eien sachgerecht vorgenommen, und drohte, dass man für den Fall fortgesetzter Anzweifelung der griechischen Angaben die Opfer auffordern würde, individuell einen Entschädigungsanspruch zu erheben. Dies würde, so die Athener Vertreter, die Zahl der Verfolgten in die Höhe treiben.133 Das AA hielt die Athener Posi­tion jedoch weiterhin für ein „Maximalprogramm“, mit dessen Hilfe bei den anstehenden Verhandlungen eine mög­lichst günstige Ausgangsposi­tion geschaffen werden sollte.134 Bonn entschied sich vor d ­ iesem Hintergrund dafür, erst mit weniger „problema­ tischen“ Ländern zu verhandeln und verschob vorerst die weitere Prüfung von Forde­ rungen aus „schwierigen“ Ländern wie Griechenland und Frankreich. So war etwa Luxemburg schon im Frühjahr 1959 zur Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens bereit, während sich die Verhandlungen mit Griechenland noch im Anfangsstadium befanden. Zum Schluss hatte Deutschland ­zwischen 1959 und 1964 bilaterale Vereinbarungen über Entschädigungsleistungen mit sämt­lichen west­lichen Staaten getroffen. Ingesamt wurden von Deutschland 971 Mio. DM zugunsten der während der NS -­ Besatzung verfolgten Bürger dieser Staaten ausgezahlt, also das Doppelte der Summe, die ursprüng­lich veranschlagt worden war. Die Verteilung ­dieses Betrags unter den Anspruchsberechtigten überließ man jedoch den jeweiligen Regierungen dieser Länder.135

132 PA AA, B 81/203 – Telegramm an Diplogerma Athen (8. 5. 1959), sowie auch B 81/203 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wiedergutmachungsfrage vom 4. bis 6. Mai 1959 (29. 5. 1959). 133 PA AA, B 81/203 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage vom 4. bis 6. Mai 1959 (29. 5. 1959). 134 PA AA, B 81/203 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen vom 4. bis 6. Mai 1959 ( Juni 1959). 135 Die Bundesrepublik Deutschland schloss bilaterale Vereinbarungen mit Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden und der Schweiz. Siehe z. B. Bundesministerium der Finanzen (Abt. V, Ref. V B 4): Entschädigung von NS-Unrecht: Regelungen zur Wiedergutmachung, Berlin: Bundesministerium der Finanzen, 2006, S. 10 und 49.

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4.3.1 Der Bonner Vertrag mit Griechenland

Im Juli und August 1959 schloss die Bundesrepublik Deutschland nach und nach bilaterale Verträge mit Luxemburg, Dänemark und Norwegen über Entschädigungszahlungen ab, wobei den beiden erstgenannten Ländern jeweils weniger als 20 Mio. DM entgolten werden sollten, während Norwegen 60 Mio. DM erzielte.136 Den letzt­ genannten Betrag erachtete man als Maßstab für die Bezifferung von Forderungen der übrigen Länder, so auch Griechenlands. Doch Athen kalkulierte mit Summen in mindestens zehnfacher Höhe, wie an Luxemburg bzw. Dänemark erstattet,137 wobei man argumentierte, dass es in Griechenland weitaus mehr zivile Opfer der NS-Besatzung als in allen anderen westeuro­päischen Ländern gegeben habe und außerdem das Land anhaltend unter kommunistischer Bedrohung stehe.138 Im Sommer 1959 setzte eine Flut von Briefen und Telegrammen griechischer NS-­ Opferverbände an das AA und das Kanzleramt ein.139 Beim AA stellte sich der Hamburger Anwalt Dr. Constant als recht­licher Vertreter des Zentralrats der Juden in Griechenland und damit der jüdischen Gemeinden Griechenlands vor. Während in Griechenland die ehemals politisch Verfolgten befürchteten, bei der deutsch-­griechischen Entschädigungsvereinbarung überhaupt nicht berücksichtigt zu werden, waren die Holocaustüberlebenden des Landes angesichts der hohen Zahl potentieller Antragsteller in Sorge, dass der ihnen zustehende Entschädigungsanteil im Verhältnis zu den Forderungen minimal ausfallen würde. Unter Bezugnahme auf einen bereits erfolgten Beschluss, dass näm­ lich sämt­liche Befugnisse für die Verteilung der Entschädigungen im Einzelfall bei den jeweiligen Regierungen lagen, lehnte das AA eine Stellungnahme in dieser Sache ab.140

136 Ebd., S. 49. 137 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Dienstag, dem 16. Februar 1960 (17. 2. 1960). 138 Offenbar hielt Bonn die kommunistische Bedrohung in Griechenland für ein überzeugendes Argument, während man die Folgen des Quisling-­Regimes für Norwegen als schwerwiegender erachtete im Vergleich zu den griechischen oder dänischen Kollabora­tionsregierungen. Siehe PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in Wiedergutmachungsverhandlungen am Montag, dem 7. März 1960 (7. 3. 1960). Vgl. auch Nessou, Griechenland 1941 – 1944, 2009, S.  483 – 484. 139 Vgl. z. B. drei Briefe aus Distomo PA AA, B 81/204 – Griechischer Verband der Opfer der deutschen Besatzung an von Brentano (6. 6. 1959), B 81/204 – Verband der Geiseln und Geisel­ opfer der Kreise Iraklion und Lassothiou (sic!) an von Brentano (4. 6. 1959), B 81/204 – Telegramm aus Kalavryta an Außenministerium (15. 6. 1959), B 81/204 – Telegramm aus ­Calamata an Außenministerium (23. 6. 1959), B 81/204 – Organisa­tion von Evrou, Nea Orestias an Adenauer (24. 6. 1959), B 81/204 – Vereinigung von Zivilgefangenen der deutschen Lager, Distrikt Rethymnon an Bundeskanzleramt (7. 7. 1959) usw. 140 PA AA, B 81/204 – Vermerk von Blessin (6. 6. 1959).

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Die Befürchtungen der NS-Geschädigten erwiesen sich bald als gerechtfertigt. Bonn hatte in der Tat keinerlei Absicht, politisch Verfolgte oder Opfer von Vergeltungs­ak­tionen zu entschädigen, da man sie nicht als „weltanschau­lich“ verfolgte Personen anerkannte, als die Athen sie bezeichnete.141 Der griechischen Außenminister ­Evangelos Averoff sprach am Neujahrstag 1960 den deutschen Botschafter Gebhard Seelos vertrau­lich darauf an, „dass seine Regierung die Mög­lichkeit erhalten sollte, über eine von der Bundesregierung gezahlte pauschale Entschädigungssumme mit einer gewissen Ermessensfreiheit zu verfügen, denn sonst würden die Gelder praktisch zum großen Teil an Juden und Kommunisten gehen“. Seelos übermittelte seinen Vorgesetzten, dass „die angesichts der besonderen griechischen Verhältnisse durchaus vertretbare large Auslegung der Entschädigungsvorschriften“ dazu führen könne, ohne eine gewisse deutsche Kontrolle „allzu sehr für eigene politische Zwecke missbraucht“ zu werden. Er bat seinen Dienstherrn nachdrück­lich, von der griechischen Regierung eine bindende Zusage zur zeitnahen Weiterleitung der Entschädigungssummen an die Anspruchs­berechtigten sowie einen detaillierten schrift­lichen Nachweis über die Zumessung der Beträge im Einzelnen zu verlangen. Gleichzeitig machte sich Seelos für die Opfer von Vergeltungsak­tionen, nament­lich in Distomo und Kalavryta, mit dem Hinweis stark, dass seiner Auffassung nach und unter Berücksichtigung der Stimmung im Lande diese Gruppe nicht aus dem Entschädigungsraster herausfallen sollte.142 Nach diesen auch internen Unstimmigkeiten im AA waren Bonn und Athen erst am 11. Februar wieder so weit, sich an einen gemeinsamen Tisch zu setzen. Schon zuvor war in Bonn bekannt, dass die griechischen Forderungen sich zwar auf 135 Mio. DM beliefen, es aber den Delega­tionen beider Länder anheimgestellt sei, sich auf eine geringere Summe ­zwischen 100 und 135 Mio. DM zu einigen. Für Bonn selbst galt jedoch der Betrag von 100 Mio. DM als größtmög­liches Zugeständnis.143 Vom Staatssekretär im Finanzministerium Karl Maria Hettlage kam sogar die Äußerung, dass seine Behörde nicht bereit sei, einen Betrag über 60 Mio. DM zu stemmen.144 Die Empörung der griechischen Delega­tion über das am 16. Februar 1960 erfolgte Angebot konnte weder durch das vielfältige Kulturprogramm des vorangegangenen Tages, gipfelnd in einem Besuch der Kölner Oper, noch durch das opulente Abendessen für die zehn Mitglieder der beiden Delega­tionen beigelegt werden.145 An ­diesem kritischen Punkt wurden die 141 Vgl. z. B. PA AA, B 81/204 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (2. 2. 1960), wie auch B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wiedergutmachungsfrage am Donnerstag, dem 11. Februar 1960 (12. 2. 1960). 142 PA AA, B 81/204 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (5. 1. 1960). 143 PA AA, B 81/353 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (8. 2. 1960). 144 PA AA, B 26/133 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (16. 2. 1960). 145 PA AA, B 81/204 – Besuch der Kölner Oper aus Anlaß der deutsch-­griechischen Wieder­ gutmachungsverhandlungen (11. 2. 1960), wie auch B 81/204 – Deutsch-­griechische

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Verhandlungen dann erst einmal vertagt. Bei einem Treffen ­zwischen Außenminister Brentano und seinem Athener Amtskollegen Averoff in Paris ­seien auf deutscher Seite, wie aus Griechenland verlautete, bereits 120 Mio. DM angeboten worden, sodass Athen davor warnte, den genannten Betrag zu unterschreiten, da in ­diesem Fall die griechische Linke ohne Weiteres imstande wäre, politische Unruhen auszulösen.146 Als beide Seiten sich zwei Wochen ­später wieder zusammensetzten, belief sich der deutsche Vorschlag auf 80 bis 85 Mio. DM. Auch das wurde von Griechenland abgelehnt.147 Allerdings hatten die Vertreter des AA schon vor den Sitzungen Kenntnis darüber, dass ihnen ein Verhandlungsspielraum zumindest bis 110 Mio. DM Gesamtsumme zur Verfügung stand.148 Diese entgegenkommende Haltung müsse aber von Athen mit einigen Zugeständnissen an Bonn sowie die Holocaustüberlebenden gewürdigt werden. Einmal ging es dabei um die Rückgabe deutscher Vermögenswerte an die ursprüng­ lichen Eigentümer, aber auch um die Berücksichtigung griechischer Holocaustüberlebender im Rahmen des geplanten Verteilungsgesetzes. Bonn stand in dieser Sache unter erheb­lichem Druck der Claims Conference, zumal deren Forderungen indirekt durch wachsende antisemitische Äußerungen in Deutschland Rückendeckung erhielten.149 Obschon es im Januar 1960 auch in Griechenland zu Vorfällen dieser Art gekommen war, erklärten die griechischen Delegierten, „Griechenland kenne das Problem des Antisemitismus nicht“.150 Während die griechische Delega­tion das Thema der Rückgabe deutscher Vermögenswerte eher neutral zur Kenntnis nahm und schließ­lich – wollte man den Bonner Verhandlungsprotokollen folgen – auf den deutschen Vorschlag einging, lehnte sie es strikt ab, „einem Bevölkerungsteil Vor- und Nachteile zukommen zu lassen“.151 Der griechische Botschafter Konstantinos Tranos hatte Bonn gegenüber bereits verdeut­licht, dass Wiedergutmachungsverhandlungen (15. 2. 1960). 146 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Dienstag, dem 16. Februar 1960 (17. 2. 1960). 147 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Donnerstag, dem 3. März 1960 (4. 3. 1960). 148 PA AA, B 81/203 – Wiedergutmachungsverhandlungen mit Griechenland (16. 2. 1960). 149 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Freitag, dem 4. März 1960 (5. 3. 1960), vgl. B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wiedergutmachungsfrage am Montag, dem 7. März 1960 (7. 3. 1960). 150 PA AA, B 81/204 – Fernschreiben aus Athen (19. 1. 1960), vgl. B 81/204 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (15. 2. 1960), zur griechischen Reak­tion siehe auch B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wiedergutmachungsfrage am Freitag, dem 4. März 1960 (5. 3. 1960). 151 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Freitag, dem 4. März 1960 (5. 3. 1960).

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„Griechenland keine rassistische Unterscheidung kenne“, und bemerkte, „dass an und für sich die ‚schlechte Arbeit der Nazis‘ die Grundlage für Entschädigungsleistungen bilde, denn die Entschädigungssumme würde sich in dem Maße vermindern, in dem Juden mehr vernichtet (sic!) worden sind“.152 In der Folge kam der Bonner Vorschlag, die griechischen Juden als Anspruchsberechtigte bei der Verteilung der Entschädigungen explizit zu berücksichtigen, nicht mehr auf den Tisch, wenigstens den Archivquellen des AA zufolge. In der letzten Phase verhandelte man über das Zahlungsverfahren: Griechenland ging von drei Raten aus, Deutschland dagegen von fünf; man verständigte sich auf vier Ratenzahlungen.153 Letzt­lich kam es auch zu einer Einigung über die Gesamthöhe der Entschädigungspauschale. Der in Bonn am 18. März 1960 unterzeichnete Vertrag erkannte Griechenland Zahlungen in Höhe von 115 Mio. DM (ca. 800 Mio. Drachmen) zu. Ebenfalls an ­diesem Tag unterzeichnet wurden das Abkommen zum Seeverkehr und der Niederlassungsvertrag,154 der beidseitig u. a. Schutz und Sicherheit für Kapitalanlagen von Staatsangehörigen und Gesellschaften des einen Vertragsstaats im Hoheitsgebiet des anderen garantierte und auf dessen Grundlage künftig die Rückgabe deutschen Eigentums geregelt werden sollte. Das AA gab der Athener Botschaft beizeiten den Wink, man möge der griechischen Öffent­lichkeit keinerlei Anlass liefern, z­ wischen den Wirtschaftsverträgen und den Entschädigungsleistungen irgendeinen Zusammenhang herzustellen.155 Auf griechischer Seite wurde der Bonner Vertrag von Botschafter Ypsilantis unterzeichnet, für Deutschland unterschrieb Staatssekretär Albert-­Hilger van Scherpenberg.156 So konnten trotz einiger Turbulenzen die deutsch-­griechischen Verhandlungen erfolgreich zu Ende geführt werden. Von allen Staaten, mit denen Globalabkommen getroffen wurden, hatte Griechenland die dritthöchste Pauschale erzielt. Nur die Niederlande mit 125 Mio. DM und Frankreich mit 400 Mio. DM (die Hälfte der anfangs geforderten Entschädigungssumme) erhielten mehr.157 152 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Donnerstag, dem 11. Februar 1960 (12. 2. 1960). Zitiert ist der im deutschen Dokument erscheinende Wortlaut. 153 PA AA, B 81/204 – Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wieder­ gutmachungsfrage am Montag, dem 7. März 1960 (7. 3. 1960). 154 Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland vom 18. März 1960, BGBl. II, 1962, S. 1506 – 1521. 155 PA AA, B 81/204 – Fernschreiben an Diplogerma Athen (11. 3. 1960). 156 PA AA, B 26/133 – Fernschreiben an Diplogerma Athen (18. 3. 1960). 157 Peter Helmberger: „Ausgleichsverhandlungen“ der Bundesrepublik mit Belgien, den Nieder­ landen und Luxemburg, in: Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung, 2006, S. 214; Claudia Moisel: Pragmatischer Formelkompromiss: Das deutsch-­franzö­sische Globalabkommen von 1960, in: Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung, 2006,

Globalabkommen zu Entschädigungsleistungen  |  217

Die Bundesrepublik Deutschland sicherte der griechischen Regierung im Bonner Vertrag die Zahlung von Entschädigungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger zu, die „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ von NS-Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren.158 Den recht­lichen Rahmen für diese Defini­ tion bildete das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1956, gedacht als definitiver Schlussstrich unter die Wiedergutmachung für NS -Zivilopfer. Mit Unterzeichnung des Bonner Vertrags sollten laut dessen Art. 3 Fragen der Entschädigung an NS-Opfer endgültig geklärt werden, mit Ausnahme weiterer gesetz­licher Forderungen der griechischen Zivilbevölkerung im ehemals deutsch besetzten Territorium des Landes, die hier unberührt geblieben waren. Nicht zu den Anspruchsberechtigten zählten Mitglieder bewaffneter Widerstandsgruppierungen, Opfer von Bombardements, Personen, deren Gesundheit durch die Hungerkrise bleibende Schäden erlitten hatten, und Hinterbliebene von Hungertoten, ­welche in Griechenland mit mehreren Hunderttausend beziffert wurden.159 Unter Bezugnahme auf Art. 3 des Vertrags hielt van Scherpenberg in einem Schreiben vom 18. März 1960 an den griechischen Botschafter fest, die Regierung der Bundes­ republik Deutschland gehe davon aus, „dass die König­lich Griechische Regierung künftig an sie mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Fragen, die aus na­tionalsozia­ listischen Verfolgungsmaßnahmen während Kriegs- und Besatzungszeit herrühren, nicht herantreten wird“.160 Botschafter Ypsilantis antwortete schrift­lich am selben Tag: „Die Regierung des Königreichs Griechenland stimmt mit dieser Auffassung der Bundes­republik Deutschland überein. Sie behält sich jedoch vor, an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Forderungen,

S.  256 – 260; vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, Entschädigung von NSUnrecht, 2006, S. 49. 158 Vertrag ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind, BGBl. II, 1961, S. 1597. 159 Die Zeitung der griechischen politischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei „Agonistis“ (Kämpfer) bemerkte, dass jeder einzelnen Person, würde der Betrag von 115 Mio. DM an sämt­liche griechischen NS-Opfer verteilt, nur 1000 Drachmen zustünden. Bei dieser Aufstellung ging die Zeitung ledig­lich von den Todesfällen aus, ohne Erläuterung der Todesursache im Einzelnen, sodass auch die Opfer von Hungersnot und Vergeltungsak­tionen eingerechnet waren. Vgl. Agonistis, 31. März 1960. 160 Gesetzesverordnung 4178/1961 (14. und 21. 8. 1961) – Περί κυρώσεως της μεταξύ Ελλάδος και Γερμανίας συμβάσεως περί παροχών υπέρ Ελλήνων υπηκόων θιγέντων υπό εθνικοσοσιαλιστικών μέτρων διώξεως και άλλων τινών συναφών διατάξεων (Zur Ratifizierung des Vertrags z­ wischen Griechenland und Deutschland über Leistungen zugunsten von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffener griechischer Staatsbürger und über andere damit zusammenhängende Bestimmungen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 133/1961.

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die aus na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen während Kriegs- und Besatzungszeit herrühren, bei einer allgemeinen Prüfung gemäß Artikel 5 Absatz 2 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 heranzutreten.“ 161 Auf diese Weise blieben darüber hinausgehende Repara­tions- und Entschädigungsansprüche unangetastet. Die durch den Bonner Vertrag festgeschriebenen Entschädigungsleistungen stellten nicht die einzige Konzilianz Westdeutschlands gegenüber Griechenland dar. Während der Endphase der Verhandlungen in Bonn hielt sich Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß zu einem offiziellen Besuch in Griechenland auf. Dabei sagte er der dortigen Regierung zu, sie in der Angelegenheit des Tabakund Rosinenexports zu unterstützen, sodass die griechische Wirtschaft aufgrund erhöhter Ausfuhren den Kriterien für die Aufnahme des Landes in die Euro­päische Wirtschaftsgemeinschaft entsprechen könne. Im Juli 1961 war es dann so weit, dass ein Assozia­­tionsabkommen ­zwischen der EWG und Griechenland unterzeichnet wurde. Strauß sagte außerdem zu, dass Bonn sich auf einen Ankauf größerer Mengen an Muni­tion und Textilien aus Griechenland vorbereite.162 Der deutsche Auftrag überstieg 40 Mio. DM , wobei eine Aufstockung geplant war.163 Strauß Zusagen sollten die bilaterale Zusammenarbeit festigen und die Ratifizierung des Bonner Vertrags erleichtern. Trotzdem dauerte es mehr als anderthalb Jahre, bis schließ­lich am 20. Oktober 1961 der griechische Außenminister Michalis Pesmazoglou und der deutsche Botschafter in Athen Gebhard Seelos die Ratifizierungsurkunden des Bonner Vertrags austauschen konnten.164 4.3.2 Das griechische Verteilungsgesetz

Beide Staaten hatten bei den Verhandlungen zum Bonner Vertrag einen Zeitplan für die Begleichung der vier Raten ausgearbeitet. Laut Art. 2 des Vertrags sollte die erste Rate von 35 Mio. DM in Athen spätestens einen Monat nach dessen Inkrafttreten (beginnend am Tag nach dem Austausch der Ratifizierungsurkunden) fällig werden, die zweite Rate von 30 Mio. DM am 1. März 1961, die dritte ein Jahr darauf und die vierte

161 Gesetzesverordnung 4178/1961 (14. und 21. 8. 1961) – Παράρτημα (18. 3. 1960): Διορθώσεις επί του ελληνικού κειμένου της Συμβάσεως ως και των επ΄ ευκαιρία ανταλλαγεισών επιστολών (Anhang (18. 3. 1960): Berichtigungen zum griechischen Text des Vertrages und dem dazugehörigen Briefwechsel), Griechisches Regierungsblatt ΦΕΚ Α’ 133/1961. Zitat wört­lich der deutschen Fassung des zum Vertrag gehörenden Briefwechsels entnommen. 162 PA AA, B 81/204 – Besuch des Bundesverteidigungsministers Strauß in Athen (12. 3. 1960). 163 PA AA, B 81/204 – Fernschreiben aus Athen (17. 3. 1960). 164 PA AA, B 26/133 – Austausch der Ratifika­tionsurkunden zum deutsch-­griechischen Wiedergutmachungsvertrag vom 18. März 1960 (26. 10. 1961).

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zwei Jahre s­ päter.165 Da Griechenland erst sechs Monate nach dem vereinbarten ersten Zahlungsdatum ratifizierte, verzögerte sich damit auch die Auszahlung der entsprechenden Raten seitens der Bundesrepublik. Nach der Ratifizierung des Gesetzes kam Bonn jedoch dem Ansuchen Athens nach und zahlte für die griechischen NS-Opfer im Oktober 1961 einen Betrag von 65 Mio. DM.166 Dass Griechenland dem in einem Bundesgesetz veröffent­lichten Bonner Vertrag erst verzögert zustimmte, lag an den zeitaufwendigen Debatten im griechischen Parlament über die inhalt­lichen Bestimmungen des Verteilungsgesetzes, über welches der Wortlaut des Vertrags in die griechische Gesetzgebung eingehen sollte. Die griechischen Parlamentsdebatten begannen bereits im Oktober 1960. Streitpunkt war die Formulierung der Ausschlussklausel für Opfer, die keine griechische Staatsbürgerschaft besaßen. Für den Fall, dass dieser Ausschluss akzeptiert würde, hätte er hauptsäch­lich sephardische Juden betroffen, die in der Zwischenzeit ins Ausland emigriert waren und eine andere Staatsbürgerschaft angenommen hatten. Für deren Einbeziehung in die gesetz­lichen Bestimmungen setzten sich nachdrück­lich die Vertreter jüdischer Organisa­tionen ein, allen voran die Claims Conference; aber auch deutsche und spanische Diplomaten schlossen sich ­diesem Petitum an.167 In Athen und Bonn machte sich dagegen die Sorge breit, eine Preisgabe der betreffenden Ziele des Verteilungsgesetzes habe womög­lich zur Folge, dass als Anspruchsberechtigte auch Kommunisten aufträten, die nach dem Ende des Bürgerkriegs und der Niederlage der Linken in die sozia­listischen Länder geflüchtet waren und ihre griechische Na­tionalität verloren hatten. Ginge man auf die Ansprüche jüdischer Emigranten ein, so würde nach Auffassung beider Regierungen ein leidiger Präzedenzfall geschaffen.168 Die Diskussionen über die inhalt­lichen Bestimmungen des griechischen Verteilungsgesetzes dauerten bis zum Sommer 1961. In deren Verlauf wurde der anfäng­liche Gesetzentwurf stark modifiziert und dabei deut­lich liberalisiert.169 Für E ­ ntschädigungsleistungen 165 Gesetzesverordnung 4178/1961 (14. und 21. 8. 1961) – Περί κυρώσεως της μεταξύ Ελλάδος και Γερμανίας συμβάσεως περί παροχών υπέρ Ελλήνων υπηκόων θιγέντων υπό εθνικοσοσιαλιστικών μέτρων διώξεως και άλλων τινών συναφών διατάξεων (Zur Ratifizierung des Vertrags z­ wischen Griechenland und Deutschland über Leistungen zugunsten von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffener griechischer Staatsbürger und über andere damit zusammenhängende Bestimmungen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 133/1961. 166 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 428. 167 Vgl. z. B. PA AA, B 81/353 – Finanzielle Leistungen für die von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen sephardischen Juden in Griechenland (18. 10. 1960), B 26/133 – Wiedergutmachungsvertrag (29. 3. 1961) oder B 26/133 – Parlamentarische Behandlung des deutsch-­griechischen Wiedergutmachungsvertrags (28. 6. 1961). 168 PA AA, B 26/133 – Sitzung des Bundestagsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten am 26. Januar 1961, 17 Uhr (25. 1. 1961). Vgl. ebenfalls Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 428 f. 169 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 428.

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anspruchsberechtigt waren nicht nur die Nachkommen ersten Grades, sondern im Falle des Todes geschädigter Personen auch deren Enkel. Anspruchsberechtigt waren nunmehr auch Personen nach den Bestimmungen des Bonner Vertrags, die zum Zeitpunkt der Schädigung im Besitz der griechischen Na­tionalität waren und diese anschließend zugunsten einer anderen abgelegt hatten.170 Eine weitere Ausnahmeregelung betraf fremdstämmige Griechen, hauptsäch­lich Juden und Armenier, denen durch ein König­ liches Dekret von 1927 die Staatsbürgerschaft aberkannt werden konnte, sollten sie aus Griechenland emigrieren.171 Daneben galten die Bewohner der Dodekanes, die 1947 durch den Friedensvertrag mit Italien an Griechenland abgetreten worden waren, sowie Griechen in Nordepirus, in der Türkei und auf Zypern nunmehr als Anspruchsberechtigte von Entschädigungen. Ausgenommen von dieser Gesetzgebung blieben weiterhin sämt­liche Personen, die sich am Widerstand beteiligt hatten.172 Mit Art. 4 wurde, je nach Art der Beeinträchtigung, die Obergrenze des Entschädigungsbetrags für die Betroffenen bzw. ihre Hinterbliebenen festgelegt. Für einen exekutierten oder ermordeten Angehörigen etwa gab es 35.000 Drachmen. Sollte von ein und demselben Berechtigten ein Entschädigungsanspruch für mehrere Personen vorgebracht werden, so durfte die Gesamtsumme 75.000 Drachmen nicht übersteigen. Auch für Invalide legte man je nach Behinderungsgrad die numerischen Obergrenzen fest: Für mehr als 60 Prozent Behinderung sollten pauschal 25.000 Drachmen entrichtet werden, die Hälfte davon für einen Behinderungsgrad von 25 bis 55 Prozent; 1/6 dieser Entschädigungsleistung war für mit 15 bis 25 Prozent geringfügig invalidisierte Personen vorgesehen. Für Invalidität unter 15 Prozent gab es keine Entschädigung. Mit Ausnahme der Personen, die durch Art. 3 vom Entschädigungsanspruch ausgeschlossen waren, betrug der Satz für jeden im KZ oder in Haft außerhalb Griechenlands

170 PA AA, B 26/133 – Born an den Vorsitzenden des Ausschusses für Wiedergutmachung (14. 6. 1961). 171 PA AA, B 26/133 – Parlamentarische Behandlung des deutsch-­griechischen Wiedergutmachungsvertrags (28. 6. 1961). 172 Gesetzesverordnung 4178/1961 (14. und 21. 8. 1961) – Περί κυρώσεως της μεταξύ Ελλάδος και Γερμανίας συμβάσεως περί παροχών υπέρ Ελλήνων υπηκόων θιγέντων υπό εθνικοσοσιαλιστικών μέτρων διώξεως και άλλων τινών συναφών διατάξεων (Zur Ratifizierung des Vertrags z­ wischen Griechenland und Deutschland über Leistungen zugunsten von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffener griechischer Staatsbürger und über andere damit zusammenhängende Bestimmungen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 133/1961. Da die betreffende Entscheidung in der Zuständigkeit des ehemals besetzten Landes lag, gibt es erheb­liche Unterschiede, die jeweils mit den damaligen politischen Eliten zusammenhingen. Vgl. z. B. Entschädigung von Widerstandskämpfern in Frankreich in: Jean-­Marc Dreyfus: L’impossible répara­tion: déportés, biens spoliés, or nazi, comptes bloqués, criminels de guerre, Paris: Flammarion, 2015, S. 219 – 222; Moisel, Pragmatischer Formelkompromiss, 2006, S. 253 – 265, sowie andere länderspezifische Fallstudien in dieser Publika­tion.

Globalabkommen zu Entschädigungsleistungen  |  221

verbrachten Monat 1000 Drachmen; dies entsprach damals 150 DM, ein Betrag, der vom Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für den Sachverhalt der Freiheitsberaubung vorgesehen und von Bonn im Februar 1960 bei der Kalkula­tion der Entschädigungssumme für Griechenland insgesamt veranschlagt worden war.173 Hatte jemand seine Haft- bzw. Internierungszeit – die mindestens sechs Monate betragen haben musste – in Griechenland zugebracht, waren nur 500 Drachmen pro Monat vorgesehen, wie auch in den Fällen von weniger als sechs Monaten Haft in Griechenland und anschließender Verschleppung und Internierung in ein Gefängnis oder KZ eines von Deutschland besetzten Gebietes außerhalb Griechenlands.174 Am 25. Juni 1961 ging das Verteilungsgesetz einstimmig durch den zuständigen Parla­mentsausschuss in Athen. Am 24. August desselben Jahres wurde das Gesetz im Griechischen Regierungsblatt veröffent­licht. Doch die Begleichung der dritten und vierten Entschädigungsrate war zunächst frag­lich; denn die deutsche Botschaft in Athen hatte dem AA nahegelegt, die Überweisung der Beträge nach Athen zu verzögern, bis man dort seiner Zusage nachgekommen sei, eine zufriedenstellende Lösung für die Rückgabe von deutschen Vermögenswerten in Griechenland zu finden. Botschafter Seelos warnte vor Nachgiebigkeit in dieser Frage, die „aufgrund der griechischen Mentalität nicht honoriert, sondern nur als ein Zeichen ­­ von Schwäche ausgelegt“ werden würde.175 Trotz mahnender Hinweise des Botschafters trafen die Raten jedoch pünkt­ lich in Athen ein, da das Thema des deutschen Besitzes in jener Phase wohl nicht mehr besonders relevant war. Ein einziger Fall von Immobilienrückgabe blieb offen. Sämt­liche sonstigen deutschen Vermögenswerte in Griechenland wurden nach den Vorgaben des Pariser Abkommens veräußert.176 Die Endversion des Bundesentschädigungsgesetzes, das von der Bundesregierung sogenannte BEG -Schlussgesetz von 1965, ging auf die anfäng­liche deutsche Gesetzgebung zu Entschädigungsfragen zurück. Die wichtigste Änderung betraf die Einrichtung eines mit 1,2 Mrd. DM ausgestatteten Sonderfonds für „überregionale Verfolgungsgruppen“. Sie sah eine einmalige Beihilfe für NS -Opfer vor, die aufgrund

173 PA AA, B 81/353 – Deutsch-­griechische Wiedergutmachungsverhandlungen (8. 2. 1960). 174 Gesetzesverordnung 4178/1961 (14. und 21. 8. 1961) – Περί κυρώσεως της μεταξύ Ελλάδος και Γερμανίας συμβάσεως περί παροχών υπέρ Ελλήνων υπηκόων θιγέντων υπό εθνικοσοσιαλιστικών μέτρων διώξεως και άλλων τινών συναφών διατάξεων (Zur Ratifizierung des Vertrags z­ wischen Griechenland und Deutschland über Leistungen zugunsten von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffener griechischer Staatsbürger und über andere damit zusammenhängende Bestimmungen), Griechisches Regierungsblatt ΦEK Α’ 133/1961. Vgl. ebenfalls PA AA, B 81/353 – Griechisches Verteilungsgesetz (o. D.). 175 PA AA, B 26/133 – Austausch der Ratifika­tionsurkunden zu dem deutsch-­griechischen Wieder­ gutmachungsvertrag vom 18. März 1960 (26. 10. 1961). 176 PA AA, B 26/133 – Deutsch-­griechisches Wiedergutmachungsabkommen (24. 1. 1961).

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von NS -Rassengesetzen Schaden erlitten hatten oder genötigt waren, ein Leben in der Illegalität zu führen. Damals ging man davon aus, dass durch die Verabschiedung ­dieses Gesetzes tatsäch­lich ein Schlusstrich unter das Thema der Entschädigungen an NS -Opfer gezogen wurde.177 Zwar stehen aus Datenschutzgründen noch keine Angaben zu den Personen zur Verfügung, die die erwähnten Anspruchskriterien erfüllten, doch ist durch Zahlenangaben auf Länderlisten bekannt, dass aufgrund der Rechtsvorschriften der Gesetzesnovelle Zuwendungen an einige NS -Verfolgte aus Griechenland erfolgt sind.178 Das Bundesentschädigungs-­Schlussgesetz wurde in der Folge noch mehrmals novelliert und ist nach wie vor in Kraft. Seine Vorschriften lassen jedoch neue Anspruchserhebungen nicht zu, da die Antragsfrist mit dem 31. Dezember 1969 abgelaufen war.179 Zumindest während des Kalten Kriegs und der Teilung Deutschlands war eine endgültige Regelung der Repara­tionsfrage nicht zu erwarten, sodass aus Bonner Sicht die Entschädigungsfrage hiermit praktisch erledigt war. Allerdings lagen noch im Jahre 1974 auf dem griechischen Entschädigungskonto über 8,2 Mio. DM. Die Macht­übernahme durch die griechische Militärjunta am 21. April 1967 in Verbindung mit der Saumseligkeit griechischer Behörden fror die Auszahlung von Entschädigungen, wie im Bonner Vertrag vereinbart, für fast ein Jahrzehnt ein. Erst 1975 entschied die neue Regierung von Konstantinos Karamanlis, der nach dem Sturz der Junta aus dem franzö­sischen Exil nach Athen zurückgekehrt war und erneut das Amt des Premierministers übernommen hatte, über die verhältnismäßige Verteilung des verbleibenden Betrags. Nicht einmal dann leerte sich das Konto, und so wurde im Dezember 1980 mit Beschluss des griechischen Finanzministeriums das nicht weitergegebene Restguthaben als Einnahme des Staatshaushalts verbucht.180

177 Hockerts, Die Entschädigung für NS-Verfolgte, 2006, S. 25 f.; Constantin Goschler: Die Bundesrepublik und die Entschädigung von Ausländern seit 1966, in: Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung, 2006, S. 105. Wie in jüngsten Verhandlungen über Entschädigungen für Zwangsarbeiter und extrem belastete Kinder mit posttraumatischen Störungen sowie im Zusammenhang mit den Ghettorenten zu sehen ist, war dies der Bundesregierung 1965 nicht gelungen. Vgl. „Entschädigung für NS-Unrecht“, Auswärtiges Amt, http://www. auswaertiges-­amt.de/DE/Aussenpolitik/InternatRecht/Entschaedigung_node.html (letzter Zugriff: 27. 09. 2015). 178 Vgl. Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 433 (Anm. 243). 179 Bundesministerium der Finanzen, Entschädigung von NS-Unrecht, 2006, S. 9. 180 Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 434 f.

5. Perspektiven einer umfassenden Aufarbeitung der deutsch-griechischen Beziehungen nach der deutschen Wiedervereinigung Die öffent­liche Debatte über Repara­tionen im Sinne des Londoner Abkommens und des Überleitungsvertrags wurde nach einigen Jahrzehnten durch die deutsche Wiedervereinigung und den fast gleichzeitig erfolgten Fall des Eisernen Vorhangs erneut entfacht. In Bonn war man sich klar über die Konsequenzen eines Friedensvertrags, von dem de facto die Londoner Klauseln aktiviert würden, und daher bemüht, eine Vereinbarung unter d­ iesem Vorzeichen zu vermeiden. So wurde in Moskau am 12. September 1990 in Anwesenheit von Vertretern beider deutscher Staaten und der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, bekannt auch als Zwei-­plus-­Vier-­Vertrag, unterzeichnet. Er lieferte die Rechtsgrundlage für die bevorstehende Wiedervereinigung Deutschlands, die dann am 3. Oktober 1990 vollzogen wurde. Die Unterzeichnung des Vertrags durch Frankreich, die Sowjetunion, Großbritannien und die Vereinigten Staaten bildete die Voraussetzung für deren Zustimmung zur vollständigen Wiederherstellung deutscher Souveränität. Auf diese Weise vermied das vereinte Deutschland den Abschluss eines Friedensvertrags und umging aus völkerrecht­licher Sicht die Verpflichtung von Repara­tionsleistungen an Drittstaaten.1 Nach der Unterzeichnung des Zwei-­plus-­Vier-­Vertrags trat u. a. auch die griechische Regierung in der ungelösten Repara­tionsfrage erneut an Deutschland heran. Athen knüpfte dabei an den Inhalt der Bonn übermittelten Verbalnote vom 9. November 1966 an, in der das Thema der nicht abgelösten Besatzungsanleihe schon vorgebracht worden war. Die Bundesregierung hatte diesen Anspruch am 31. März 1967 bestätigt und zugleich auf das Londoner Schuldenabkommen verwiesen, in dem die Klärung dieser Angelegenheit vom Zustandekommen eines Friedensvertrags mit dem vereinten Deutschland abhängig gemacht wurde.2 Auch die Athener deutsche Botschaft versicherte in einem Schreiben vom 5. Juli 1988, dass „die endgültige Regelung der Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland an das Londoner Schuldenabkommen von 27. ­Februar 1953 gebunden“ und als s­ olche nur „im Zusammenhang mit einer 1 Gesetz zu dem Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, BGBl. II, 1990, S. 1317; siehe auch Dietrich Rauschning: Beendigung der Nachkriegszeit mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, Deutsches Verwaltungsblatt 90 (1990), S. 1275 – 1279. 2 Iliadakis, Oι επανορθώσεις (Die Repara­tionen), 1997, S. 203 – 206 und S. 309 (Verbalnote). Siehe auch Norman Paech: Der Juristische Schatten der Wehrmachtsverbrechen in Griechenland, Archiv des Völkerrechts 47 (März 2009), S. 83.

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frei vereinbarten friedensvertrag­lichen Regelung für ganz Deutschland“ mög­lich sei.3 So blieb die Frage der Tilgung der Besatzungsanleihe neben sonstigen ­Themen dieser Mitteilung der deutschen Auslandsvertretung zufolge weiterhin offen. Im Verlauf der 1990er Jahre nahm Deutschland den griechischen Ansprüchen gegenüber eine mehr oder weniger ablehnende Haltung ein. Deutsche Regierungskreise hielten die griechischen Repara­tions- und Entschädigungsansprüche für „schlecht begründet“ und „rüde“.4 Nach dieser generell abweisenden Einstellung zu jeg­licher Überlegung über Entschädigungen kam hernach in die von deutscher Seite vorgebrachte Argumenta­tion ein wenig Bewegung. Insgesamt kann man, was die griechischen Ansprüche angeht, den politisch-­juristischen Standpunkt Deutschlands in fünf Punkten zusammenfassen. Er gründet einmal auf dem Zwei-­plus-­Vier-­Vertrag, dann aber auch auf einer angenommenen Verjährung oder einem angenommenen Anspruchsverzicht Griechenlands sowie auf der indirekten Entschädigung an Griechenland aus Deutschland in Form bilateraler Verträge oder mittels EU und NATO. Das gebetsmühlenartig vom wiedervereinigten Deutschland vorgebrachte Argument, um erneute griechische Ansprüche auf noch nicht geleistete Entschädigungen abzuweisen, war der Verweis auf die Bestimmungen des Moskauer Vertrags, der im September 1990 die Grundlagen für die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten geschaffen hatte. Dieser Vertrag ersetzte den viel diskutierten Friedensvertrag. Mit Unterstützung der Vereinigten Staaten brachte Deutschland nach langwierigen Verhandlungen Formu­lierungen in den Vertrag ein, die jeg­lichen Bezug auf einen „Friedensvertrag“ ausschlossen. Trotz der diplomatisch ausgefeilten Sprachregelungen sah sich Bonn sehr bald Repara­tions- und Entschädigungsansprüchen von NS-Opfern und Signatarstaaten des Londoner Abkommens gegenüber. Dazu kamen die Forderungen aus Ländern des ehemaligen Ostblocks, von Deutschland nach dem Muster der Globalabkommen aus den 1960er Jahren entschädigt zu werden.5 Auch Griechenland verfolgte aufmerksam, wie die Repara­tionsfrage erneut auf den Tisch kam. Die Athener Regierung brachte vor, dass sie den Zwei-­plus-­Vier-­Vertrag selbst nicht unterzeichnet habe und dessen Bestimmungen daher für sie nicht relevant ­seien. Deutschland rekurrierte darauf, das unterzeichnete Vertragswerk sei gar kein Friedensvertrag.6

3 Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Athen (5. 7. 1988), in: Iliadakis, Oι επανορθώσεις (Die Repara­tionen), 1997, S. 308 (wo das erwähnte Schreiben abgebildet ist), mehr dazu ebd., S. 206 und S. 208. 4 Süddeutsche Zeitung, 3. April 2000; Tageszeitung, 6. November 1990. 5 Goschler, Die Bundesrepublik und die Entschädigung von Ausländern seit 1966, 2006, S. 118 f. Vgl. auch Hockerts, Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, 2006, S. 50 f. 6 Vgl. z. B. Eleftherotypia, 15. November 1995, oder die Auffassung eines griechischen Gerichts laut Ilias Bantekas, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany: Case No. 137/1997,

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Ebenfalls bemerkenswert ist die Argumenta­tion der Bundesregierung, sämt­liche griechischen Ansprüche s­ eien gegenstandslos, da ja die betreffenden Straftaten längst verjährt s­ eien. Diese Begründung verwendete Deutschland schon seit Langem. 1969 etwa strich der deutsche Botschafter in Luxemburg dem AA gegenüber heraus, es sei „dank des Entgegenkommens unserer amerikanischen Freunde [gelungen], die gewaltigen Repara­ tionsforderungen der Feindstaaten des letzten Weltkriegs bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zurückzustellen, d. h. unsere Gegner des letzten Weltkriegs ad calendas Graecas zu vertrösten. […] Eigent­lich müsste es doch unser Interesse sein, diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie mög­lich aufrechtzuerhalten, um diese Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen. Anders ausgedrückt: Man sollte schlafende Hunde nicht wecken.“ 7 Auch nach der Wiedervereinigung 1990 hielt sich die deutsche Seite an diese Posi­tion. Außenminister Hans Dietrich Genscher erklärte etwa am 18. April 1991, 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg könne man sich nicht mehr mit Repara­tionen und Entschädigungen befassen, eine Einstellung, die alsdann unter deutschen Diplomaten sehr beliebt war.8 Besonders hervorgehoben werden muss der von Deutschland konsequent verwendete Verweis darauf, dass Griechenland bereits auf sämt­liche Ansprüche, die aus dem Krieg herrühren, verzichtet habe. Schon 1960 hatte der damalige Staatssekretär des AA van Scherpenberg in einem Schreiben zum Bonner Vertrag bemerkt, die Bundesrepu­ blik Deutschland gehe davon aus, dass die griechische Regierung künftig nicht mehr an sie mit dem Verlangen nach Regelung weiterer aus der Besatzung herrührender Fragen herantreten werde. Obschon der griechische Botschafter in seiner Antwort das Ansinnen des deutschen Außenministers infrage stellte, indem er auf die Rekursop­tion bei einer allgemeinen Prüfung im Sinne des Londoner Schuldenabkommens verwies, nutzte man diesen Hinweis als offizielle Akzeptanz, dass Griechenland von seinen Ansprüchen abließe.9 In den 1990er Jahren brachten die Vertreter Griechenlands dann beispielsweise die Erklärung von Kanzler Ludwig Erhard in Erinnerung, der schon 1965 dem damaligen Minister Andreas Papandreou gegenüber erklärt hatte, Deutschland werde die Besatzungsanleihe sofort nach der Wiedervereinigung tilgen.10 In den darauffolgenden

American Journal of Interna­tional Law 92 (Oktober 1998), S. 767. 7 Zitiert bei Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 447. 8 Tageszeitung, 13. Dezember 1993; Eleftherotypia, 16. Mai, 23. Μai, 30. September und 15. November 1995 sowie 13. Januar 1996. Vgl. auch Goschler, Die Bundesrepublik und die Entschädigung von Ausländern seit 1966, 2006, S. 118. 9 Vertrag ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind, BGBl. II, 1961, S. 1597. 10 Rolf Surmann; Dieter Schröder: Der lange Schatten der NS-Diktatur: Texte zur Debatte um Raubgold und Enschädigung, Hamburg, Münster: Unrast, 1999, S. 116.

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Jahren machte sich Berlin den Standpunkt zu eigen, dass mit Zahlung der 115 Mio. DM an NS-Opfer in Griechenland laut Bonner Vertrag von 1960 alle Athener Ansprüche endgültig geregelt ­seien, einschließ­lich der Besatzungsanleihe. Auch verlagerte man auf deutscher Seite die recht­liche Argumenta­tion in den Gesamtkontext der deutsch-­griechischen Nachkriegsbeziehungen und verwies dabei auf die Unterstützung, die dem Bündnispartner auf dem Balkan langfristig von der Bundes­ republik gewährt worden war. Im November 1953 etwa war es zu einem Abkommen über wirtschaft­liche Zusammenarbeit ­zwischen der Bundesrepublik und Griechenland in Höhe von 200 Mio. DM gekommen. Bei dem Bonner Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis im November 1958 waren abermals deutsche Investi­tionen und Wirtschaftshilfe an Griechenland in Aussicht gestellt worden.11 Diese Zusagen waren Teil des erneuten griechisch-­deutschen Abkommens über wirtschaft­liche Zusammenarbeit, zu dem auch eine Anleihe in Höhe von 200 Mio. DM gehörte.12 Darüber hinaus hatte sich Deutschland verpflichtet, mit technischem Know-­how an langfristigen Investi­tionsprogrammen in Höhe von 100 Mio. DM mitzuwirken. Allein z­ wischen 1956 und 1963 hatte Griechenland von der Bundesrepublik Deutschland Kredite und Kapitelhilfe, technische Unterstützung sowie Rüstungsgüter im Wert von 1 Mrd. DM erhalten.13 Als in den 1990er Jahren das Thema der griechischen Ansprüche aufs Tapet kam, berief sich das vereinte Deutschland regelmäßig auf eben diese Leistungen, die es als eine indirekte Abgeltungsform sämt­licher kriegsverursachter Forderungen seitens des griechischen Staats auffasste. Ebenfalls erwähnt wurden in ­diesem Zusammenhang die politische Unterstützung Griechenlands durch Deutschland sowie mittelbare finanzielle Leistungen über die Haushalte der EWG , ­später EU , und des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, dem Griechenland schon 1952 beigetreten war. In den anschließenden Jahren waren Tausende griechischer Staatsbürger nach Deutschland ausgewandert,14 bilateral arrangiert durch ein Anwerbeabkommen für Gastarbeiter ­zwischen Westdeutschland und Griechenland vom 30. März 1960.15 Während der Verhandlungen zum 11 PA AA, B 26/65 – Konferenzmappe für die Gespräche des Bundeskanzlers mit dem Griechischen Ministerpräsidenten Karamanlis in Bonn (10. – 12. 11. 1958). 12 Gewährung einer Anleihe an den griechischen Staat, BMWi/AA (41. Kabinettssitzung, 5. November 1958), in: Hartmut Weber (Hg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1958, Band 11, München: Oldenbourg, 2002, http://www.bundesarchiv.de/cocoon/ barch/0020/k/k1958k/kap1_2/kap2_36/para3_3.html (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 13 Apostolopoulos, Die griechisch-­deutschen Nachkriegsbeziehungen, 2004, S. 314 – 316. 14 Eva Kolinsky: Non-­German Minorities in Contemporary German Society, in: David ­Horrocks; Eva Kolinsky (Hg.): Turkish Culture in German Society Today, Providence/Oxford: Berghahn Books, 1996, S. 82. Nach dem Ende des Kalten Kriegs lebten in Deutschland fast 350.000 Griechen. Vgl. ebd., S. 84. 15 Verena McRae: Gastarbeiter. Daten-­Fakten-­Probleme, München: C. H. Beck, 1980, S. 13.

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­deutsch-­griechischen Globalabkommen in Athen hatte die griechische Regierung Unterstützung aus Bonn bei ihrem Anliegen erhalten, ein Assoziierungsabkommen mit der EWG zu treffen, das schließ­lich am 8. Juli 1961 unterzeichnet worden war.16 Als dann ­zwischen 1967 und 1974 in Griechenland eine Militärdiktatur die Macht übernommen hatte, war es in ganz Europa Deutschland, wohin nicht nur die meisten Griechen auswanderten, sondern auch das Land, in dem sich die neuen politischen Emigranten aus Griechenland wie selbstverständ­lich niederließen.17 Nach dem Sturz der Obristenjunta, der Abschaffung der Monarchie und der Errichtung der Dritten Griechischen Demokratie hatte Bonn die Aufnahme Griechenlands in die EWG unterstützt, die am 1. Januar 1981 besiegelt worden war. In den 1990er Jahren wandte sich der damalige griechische Premierminister Kostas Simitis abermals an Deutschland mit dem Ersuchen, die Aufnahme seines Landes in die Euro­päische Währungsunion zu unterstützen. Im damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder fand er den Politiker, der das griechische Anliegen entschlossen befürwortete.18 Die Bundesrepublik Deutschland als bevölkerungsreichster EWG-, ­später EU-Staat war stets der größte Nettoeinzahler in die Gemeinschaftskassen. Davon profitierte das wirtschaft­ lich schwache Griechenland in Form von beacht­lichen Subven­tionen. In einer Statistik der EU-Kommission von 2004 zu den Zahlungen sämt­licher EU-Staaten einschließ­ lich der neuen Mitglieder etwa stand Deutschland mit 7141 Mio. (7,14 Mrd.) Euro an ­erster Stelle, während Griechenland mit 4163 Mio. (4,16 Mrd.) Euro als Empfänger von Transferleistungen die zweite Stelle hinter Spanien einnahm.19 Gegen Ende November 1990 verwiesen der deutsche Botschafter in Athen, ­Werner von der Schulenburg, und das AA im Zusammenhang mit den griechischen Entschädigungsforderungen darauf, dass die nach Griechenland fließenden Mittel von EU und NATO hauptsäch­lich aus der Bundesrepublik Deutschland stammten. Fünf Jahre ­später äußerte sich der damalige Außenminister Klaus Kinkel in ähn­ licher Weise.20 Alekos Alavanos, EU -Abgeordneter des damaligen griechischen Linksbündnisses Synaspismos, legte am 27. September 1995 Einspruch gegen diese 16 PA AA, B 81/204 – Vertrau­liches Ergebnisprotokoll (15. 1. 1960). 17 Theodore A. Couloumbis: The Greek Junta Phenomenon, Polity 6, Vol. 3 (Frühjahr 1974), S. 372; Stephen Rousseas: The Disarray of Greek Politics in Exile, The Massachusetts Review 9, Vol. 1 (Winter 1968), S. 160 f. Justus Herrmann; Sefa Inci Suvak: „In Deutschland angekommen …“: Einwanderer erzählen ihre Geschichte: 1955 bis heute, Gütersloh, München: Bertelsmann Chronik/wissenmedia, 2008, S. 26. 18 Handelsblatt, 4. Dezember 1998. 19 Die Statistik belegt die an die Empfänger gegangenen Nettobeträge im Verhältnis zu den von diesen eingezahlten (das Gegenteil gilt für die Einzahler). Siehe Bruno Zandonella: Pocket Europa: EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007, S. 69. 20 Eleftherotypia, 16. und 23. Mai 1995.

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Argumenta­tion im Euro­päischen Parlament ein. Er wies die deutschen Behauptungen als juristisch unhaltbar zurück, da die Subven­tionen aus EU -Einnahmen erfolgten und nicht aus den Haushalten der einzelnen Mitgliedsstaaten.21 Dennoch ließen sich die deutschen Regierungen nicht davon abhalten, dieselbe Begründung auch weiterhin zu verwenden.

5.1 Die Verhandlungen auf politischer Ebene Im Herbst 1990 bekräftigte die griechische diplomatische Vertretung in Deutschland, dass die Ansprüche Griechenlands keinesfalls aufgegeben ­seien. Doch offiziell schnitt die damalige Regierung, gestellt von der Partei Nea Demokratia, die Thematik nicht eigens an. Konstantinos Mitsotakis, von 1990 bis 1993 Premierminister, hielt den Zwei-­ plus-­Vier-­Vertrag nicht für einen Friedensvertrag. Frei­lich wuchs der Druck von griechischen Massenmedien sowie Widerstandsveteranen- und NS-Opferverbänden auf die griechische Regierung. Anfang November 1990 erklärte Mitsotakis, dass er seinen deutschen Amtskollegen Helmut Kohl bisher nicht auf die Frage der Entschädigungen angesprochen habe, diese jedoch weiterhin für ungeklärt halte.22 Einen Monat s­ päter gab er im griechischen Parlament bekannt, dass man nunmehr in bilaterale Verhandlungen mit Deutschland über die Repara­tionsfrage eintreten könne.23 Im April 1991 informierte er dann das griechische Parlament über die abschlägige Haltung der deutschen Seite und versprach, seine Regierung werde alle Rechtsmittel im Hinblick auf die Besatzungsanleihe ­nutzen.24 Der damalige Außenminister Antonis Samaras teilte allerdings nicht die Ansichten seines Ministerpräsidenten. Samaras strebte vielmehr eine bilaterale Lösung auf Regierungsebene an und hielt dies auch für eine recht­lich gangbare Op­tion. Im November 1990 bestritt er den deutschen Einwand etwaiger Rechtshindernisse bei der Bereinigung griechischer Forderungen. Sowohl Repara­tionen als auch Besatzungsanleihe kamen inoffiziell bei einer Unterredung am 18. April 1991 mit dem damaligen Kopf der deutschen Diplomatie, Außenminister Hans Dietrich Genscher, zur Sprache. Damals hielt sich Genscher zu einem Besuch in Griechenland auf, bei dem ihm für seinen maßgeb­ lichen Beitrag zur interna­tionalen Verständigung feier­lich der Alexandros-­Onassis-­Preis 21 Εleftherotypia, 23. Mai 1995; vgl. Karl Doehring: Repara­tionen für Kriegsschäden, in: Karl Doehring; Bernd J. Fehn; Hans G. Hockerts (Hg.): Jahrhundertschuld, Jahrhundertsühne: Repara­tionen, Wiedergutmachung, Entschädigung für na­tionalsozia­listisches Kriegs- und Verfolgungsrecht, München: OLZOG, 2001, S. 9 – 52. 22 Πρακτικά Βουλής (Parlamentsprotokolle), 2. November 1990. 23 Eleftherotypia, 13. Dezember 1990. 24 Πρακτικά Βουλής (Parlamentsprotokolle), 26. April 1991.

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verliehen wurde. Bei dieser Gelegenheit bekundete er, dass es in der interna­tionalen Rechtspraxis keinen Präzedenzfall für Entschädigungen nach mehr als 50 Jahren gebe, erwähnte jedoch nicht die Besatzungsanleihe.25 Deutschland hielt das politische Verhalten des griechischen Außenministers, das letzt­lich nicht einmal in der griechischen Regierung Rückhalt fand, für unannehmbar.26 Die Opposi­tionsparteien – allen voran PASOK , KKE und das Linksbündnis ­Synaspismos – sagten ihre Unterstützung für eine forcierte Gangart bei den griechischen Forderungen zu.27 Bei einer Parlamentsdebatte am 11. März 1991 regte PASOK die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission an, die vor Ort in Deutschland den deutschen Bundestagskollegen die Posi­tion Griechenlands erläutern sollte.28 Zu jenem Zeitpunkt dominierten in der griechischen Innenpolitik jedoch ganz andere Ereignisse, sodass die Repara­tions- und Entschädigungsforderungen erst einmal in den Hintergrund traten; denn nach dem Zerfall Jugoslawiens hatten sich ganz andere Entwicklungen nach vorn gedrängt, z. B. das Mazedonien-­Problem.29 Im April 1992 wurde Samaras als Außenminister entlassen, dessen Amt nun Ministerpräsident Mitsotakis persön­lich übernahm. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom Herbst 1993 ging PASOK als Sieger hervor; ihr Parteichef war nach wie vor der weithin beliebte Populist Andreas Papandreou. Sein Finanzminister Alekos Papadopoulos lehnte aufs Schärfste einen abermaligen parlamentarischen Antrag ab, diesmal von der KKE vorgebracht, einen eigens mit deutschen Entschädigungszahlungen und der Besatzungsanleihe befassten Ausschuss einzurichten.30 Im Oktober 1994 ließ das griechische Außenministerium verlauten, dass die Verhandlungen mit Deutschland bereits begonnen hätten und Griechenland nie auf seine Ansprüche verzichtet habe. Die deutsche Seite gab während des folgenden Jahres der griechischen Regierung des Öfteren bekannt, dass man die Repara­tions- und Entschädigungsfrage im Rahmen der Abkommen von Potsdam und London sowie des Bonner Vertrags für endgültig geregelt halte.31 Zugleich hielt sie es für angebracht, die damit einhergehende Kontroverse nicht in der Öffent­lichkeit auszutragen, sondern sie unter zuständigen Diplomaten und Fachleuten zu führen.32 Am 13. November 1995 erklärten Premierminister Andreas Papandreou und in der Folge auch der damalige Außenminister Karolos Papoulias bei

25 26 27 28 29

Κathimerini, 2. Juni 1991. Εleftherotypia, 11. März 1991; Πρακτικά Βουλής (Parlamentsprotokolle), 2. November 1990. Πρακτικά Βουλής (Parlamentsprotokolle), 11. März 1991. Πρακτικά Βουλής (Parlamentsprotokolle), 26. April 1991. Vgl. dazu Adamantios Skordos: Griechenlands Makedonische Frage. Bürgerkrieg und Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945 – 1992, Göttingen: Wallstein, 2012. 30 Πρακτικά Βουλής (Parlamentsprotokolle), 7. Dezember 1993. 31 Iliadakis, Οι επανορθώσεις (Die Repara­tionen), 1997, S. 247 f. 3 2 To Vima, 19. November 1995.

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einer parlamentarischen Debatte zum Thema, dass die Frage der Besatzungsanleihe und der Repara­tionen auf zwischenstaat­licher Ebene offiziell wieder aufgeworfen würde.33 Am folgenden Tag übergab der griechische Botschafter in Bonn Ioannis B ­ ourlojannis dem Staatssekretär im AA Peter Hartmann eine Verbalnote, mit der Griechenland um den Beginn von Gesprächen über Repara­tionen ersuchte, vorzugsweise jedoch über die Besatzungsanleihe.34 Hartmann, der über den griechischen Schritt bereits vorab in Kenntnis gesetzt war, lehnte ab, allerdings münd­lich, und bezeichnete die griechischen Forderungen nach mehr als 50 Jahren als verjährt. In ihrer Erwiderung verwies die griechische Regierung ein weiteres Mal darauf, dass sie im Gegenteil die ganze Angelegenheit nach wie vor für ungeklärt erachte. Auch merkte sie an, Entschädigungsforderungen vom vereinten Deutschland gemäß den Bestimmungen des Londoner Abkommens zu erheben, wobei davon auszugehen sei, dass nach dem Moskauer Vertrag von 1990 die ursprüng­liche Stillhalteklausel nicht mehr greife.35 Ab 1991 wurden in der Frage der Entschädigungsforderungen auch einige griechische Kommunen bzw. Träger von Kommunalverwaltungen aktiv. Im Juni 1991 fand in Griechenland ein Treffen unter Vertretern von 20 Kommunen statt, bei dem eine gemeinsame Linie zu Entschädigungsforderungen gegenüber der deutschen Regierung koordiniert werden sollte. Bis 1995 hatten sich dieser Plattform sämt­liche NS-Opfergemeinden Griechenlands (Μαρτυρικές Πόλεις & Χωριά της Ελλάδος) angeschlossen. Es kam dann zu regelmäßigen Zusammenkünften der beteiligten Opfergemeinden und zu ersten juristischen Schritten gegen Deutschland.36 Am 22. November 1996 wurde der Na­tionalrat für die Schulden­ einforderung von Deutschland (Εθνικό Συμβούλιο Διεκδίκησης Γερμανικών Οφειλών) gegründet, zu dessen Vorstandsvorsitzenden man das Idol des griechischen Widerstands ­Manolis Glezos wählte. Bis heute engagiert sich der weit über 90-jährige Glezos u. a. in ­diesem Gremium und ist auch Mitherausgeber der Monatsschrift Gedächtnis und Schuldigkeit (Μνήμη και Χρέος)37; in der griechischen Öffent­lichkeit und im Ausland spielt er eine wichtige Rolle bei der von NS-Opfern angestrebten Rehabilitierung.38 Glezos ist der Ansicht, dass neben der Besatzungsanleihe auch die Frage der Entschädigungen von NS-Opfern bis heute ungeklärt ist, und schlägt die Einrichtung eines Fonds zur finanziellen Unterstützung dieser Opfergruppe sowie der Zwangsarbeiter und ihrer Nachkommen vor.39

33 Ebd. 34 Süddeutsche Zeitung, 15. November 1995; Tageszeitung, 16. November 1995. 35 Eleftherotypia, 15. November 1995. Zur Meinung des griechischen Gerichts im Fall Distomo vgl. auch: Bantekas, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany, 1998, S. 767. 36 Iliadakis, Οι επανορθώσεις (Die Repara­tionen), 1997, S. 240 f. 37 Glezos, Manolis (Hg.): Mνήμη και Χρέος (Monatsschrift Gedächtnis und Schuldigkeit), Athen: Ethniko Symvoulio gia ti diekdikisi ton germanikon ofeilon, Oktober 1998. 38 Tagesspiegel, 10. September 2001; Ta Nea, 19. September 2002; Junge Welt, 8. Dezember 2005. 39 Interview mit Manolis Glezos (Athen, 13. 3. 2004).

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5.1.1 Der Fall Distomo

Die Divergenzen beider Regierungen im Hinblick auf Entschädigungen für griechische NS-Opfer und auf die Besatzungsanleihe an Deutschland fanden in der deutschen und interna­tionalen Öffent­lichkeit meist nur geringe Beachtung. Erst als Bewohner der Präfektur Böotien am 27. November 1995 beim Landgericht Livadia eine Sammelklage einreichten, merkten die euro­päischen Medien erstmals auf und interessierten sich für die Interna­tionalisierung der Thematik.40 Die von Ioannis Stamoulis, dem Präfekten Böotiens und ehemaligen EU-Parlamentarier der PASOK, anwaltschaft­lich vertretenen Einwohner Distomos machten Entschädigungsansprüche in Höhe von neun Mrd. Drachmen (entsprach 56 Mio. DM) gegen Deutschland geltend.41 Das Landgericht Livadia gab den 229 Klägern mit seiner Entscheidung (AZ : 137/1997) vom 30. Oktober 1997 recht und forderte den deutschen Staat zu Entschädigungszahlungen für Personen- und Sachschäden bei den Opfern auf.42 Die Bundesrepublik Deutschland lehnte zunächst ab, sich am Verfahren zu beteiligen, legte dann aber beim Obersten Gerichtshof Griechenlands (Areopag) für Zivil- und Strafsachen kurz vor Fristablauf Revision ein.43 Unter Berufung auf das Urteil von Livadia zum Fall Distomo brachten weitere griechische Staatsbürger Klagen bei den jeweils zuständigen Gerichten ein. Dabei handelte es sich um Bewohner von Gemeinden, die während des Kriegs von Vergeltungsak­tionen betroffen waren, darunter auch Hinterbliebene aus Kalavryta, der seit den 1950er Jahren über Medienberichte bekanntesten NS -Opfergemeinde des Landes. Doch in Kalavryta lehnte das Landgericht unter Verweis auf die griechische Zivilprozessordnung und den Grundsatz der Staatenimmunität die Klage ab.44 Der Areopag wies mit Beschluss 11/2000 vom 4. Mai 2000 den Revisionsantrag der Bundesrepublik Deutschland zurück. Nach Prüfung des Völkergewohnheitsrechts und der interna­tionalen Übereinkünfte bestätigte er den Entscheid des

4 0 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Bd. X, Entscheid 59021/2000. 41 Kathimerini, 16. Juli 1995; Meyer, Von Wien nach Kalavryta, 2002, S. 485 (Anm. 43); bei Bantekas wird gleichwohl eine etwas höhere Summe angeführt (9,5 Mrd. Drachmen, d. h. ca. 30 Mio. US-Dollar). Siehe Bantekas, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of G ­ ermany, 1998, S. 765. 42 Die deutsche Presse erwähnt häufig den Betrag von 60 Mio. DM. Siehe z. B. Saarbrücker Zeitung, 1. November 1997; Süddeutsche Zeitung, 3. November 1997. 43 Maria Gavouneli; Ilias Bantekas: Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany: Case No. 11/2000, The American Journal of Interna­tional Law 95 ( Januar 2001), S. 198. 4 4 Veronika Gärtner: The Brussels Conven­tion and Repara­tions – Remarks on the Judgment of the European Court of Justice in Lechouritou and others v. the State of the Federal Republic of Germany, German Law Journal 8 (April 2007), S. 418.

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erstinstanz­lichen Landgerichts Livadia (AZ : 137/1997) als zulässig und rechtskräftig.45 Von 20 Richtern stimmten 16 dafür. Der Areopagpräsident Stefanos M ­ atthias gab seine abweichende Meinung bekannt, die ihn zu einer der Gegenstimmen veranlasst hatte.46 Der Areopag befasste sich hauptsäch­lich mit der Frage der Staatenimmunität, die im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts auch Eingang gefunden hatte in die griechische Rechtsprechung, obgleich in Griechenland selbst nie ein Gesetz zur Staaten­ immunität verabschiedet worden war.47 Der Gerichtshof äußerte Zweifel am Prinzip der absoluten Staatenimmunität mit der Feststellung, dass in der heutigen Rechtstheorie und -praxis die sogenannte begrenzte oder auch relative Staatenimmunität Vorrang habe. Dies bedeute, dass Staaten Immunität genießen im Rahmen der Ausübung hoheit­licher bzw. öffent­lich-­recht­licher Handlungen (acta iure imperii), nicht jedoch für zivilrecht­lich relevante Handlungen (acta iure ges­tionis).48 Dass sich die Version der begrenzten bzw. relativen Staatenimmunität durchgesetzt habe, werde durch das Euro­päische Übereinkommen über Staatenimmunität bestätigt, das von den Teilnehmerstaaten einschließ­lich Deutschlands am 16. Mai 1972 unterzeichnet worden war.49 Im Artikel 11 ­dieses Übereinkommens wird erläutert, dass ein Vertragsstaat vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats Immunität nicht beanspruchen kann, wenn es beim Verfahren um den Ersatz von materiellen oder immateriellen Schäden geht, die auf dem Territorium des Gerichtsstaats verursacht wurden, insoweit sich der Schädiger zum Zeitpunkt des verhandelten Ereignisses auf dem Gebiet ­dieses Staates aufgehalten hatte. Griechenland hat offiziell d­ ieses in Basel getroffene Übereinkommen nicht unterzeichnet, sich jedoch an dessen Grundsätze im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts gehalten.50 In Anwendung des besagten Artikels kam der Areopag bei der Rechtsauslegung zum Schluss, dass Staaten sich auf die Immunität in Fällen von Kriegshandlungen berufen können. Ausgenommen davon sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich gegen nicht mittel- oder unmittelbar in militärische Opera­tionen eingebundene 45 Areopag 11/2000, Band 1/2000 – Ολομέλεια: Aποζημιώσεις κατοίκων Διστόμου (Vollversammlung: Entschädigungen der Einwohner von Distomo), 4. 5. 2000. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Mai 2000; Berliner Zeitung, 6. Mai 2000; Bonner General-­Anzeiger, 6. Mai 2000. 4 6 Eleftherotypia, 6. Februar 2000; Ta Nea, 12. Februar 2001. 47 Lee M. Caplan: State Immunity, Human Rights, and Jus Cogens: A Critique of the Normative Hierarchy Theory, The American Journal of Interna­tional Law 97 (Oktober 2003), S.  768 – 770. 48 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Vol. X, Decision 59021/2000. 49 European Conven­tion on State Immunity, Council of Europe, ETS, No. 074 (16/5/1972), in Kraft seit 11. Juni 1976, http://conven­tions.coe.int/treaty/en/Treaties/html/074.htm (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 50 Caplan, State Immunity, Human Rights, and Jus Cogens, 2003, S. 770.

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Personen richten. Im konkreten Fall befand das Gericht Deutschland für schuldig, Hoheitsrechte missbraucht und gegen zwingende Normen des Völkerrechts (ius cogens) verstoßen zu haben. Dies habe stillschweigend zum Verzicht auf Staatenimmunität geführt.51 Diese griechische Auslegung der Staatenimmunität rief Missfallen sowohl in der deutschen Öffent­lichkeit als auch bei einigen namhaften Rechtswissenschaftlern hervor.52 In der Folge setzten die Distomo-­Kläger am 26. Mai 2000 gemäß der griechischen Zivilprozessordnung die Zwangsvollstreckung deutscher Vermögenswerte in Griechenland in Gang. Der deutschen Vertretung überstellte man eine Kopie des Gerichtsentscheids mit der Aufforderung, die gericht­lich zugesprochenen Beträge auszuzahlen. Deutschland erkannte den Entscheid nicht an und lehnte es ab, den eingeforderten Betrag zu entrichten. Begründet wurde diese Haltung damit, dass die Gerichtsvollzieher nicht die notwendige Einwilligung des griechischen Justizministers vorweisen könnten, deren es für eine Urteilsvollstreckung gegen einen ausländischen Staat bedürfe.53 Die Distomo-­Kläger wandten sich in der Folge an das griechische Justizministerium, das die gewünschte Einwilligung allerdings nicht erteilte. Begleitet von Polizeikräften, setzten die Kläger eine Eintreibung ihrer Ansprüche durch Zwangsvollstreckung deutscher Vermögenswerte in Gang, beginnend mit der Versteigerung des Gebäudes, in dem das Athener Goethe-­Institut untergebracht war. Ähn­lich wollte man anschließend mit den Liegenschaften der Deutschen Schule Athen und des Deutschen Archäolo­g ischen Instituts verfahren sowie mit deutschen Einrichtungen in Thessaloniki.54 Die Bundesrepublik Deutschland legte Rechtsmittel zur Aussetzung des Pfändungsverfahrens und der Versteigerungen ein. Das Landgericht Athen nahm im September 2000 die Berufung zunächst entgegen, wies sie jedoch am 10. Juli 2001 mit der Begründung zurück, sie stehe nicht in Einklang mit der Euro­päischen Menschenrechtskonven­tion und dem Interna­tionalen Pakt über bürger­liche und politische Rechte (UN -Zivilpakt).55 Daraufhin brachte Deutschland 51 Gavouneli u. a., Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany, 2001, S. 201. Wie Akande erwähnt, handelt es sich bei der griechischen Rechtsauslegung zum Verstoß gegen das Ius cogens nicht um einen Einzelfall. Siehe Dapo Akande: Interna­tional Law Immunities and the Interna­tional Criminal Court, The American Journal of Interna­tional Law 98 ( Juli 2004), S. 414. 52 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2000 und 11. September 2001; Die Welt, 24. Mai 2000; Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 2000. Vgl. auch Caplans kritische Einschätzungen in: Caplan, State Immunity, Human Rights, and Jus Cogens, 2003, S. 780 (Anm. 286). 53 Stuttgarter Zeitung, 29. Juni 2000. 54 Siehe bezeichnenderweise Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7., 12. und 13. Juli 2000; Der Spiegel, 10. Juli 2000; Avgi, 6. Juli 2000; To Vima, 3. Juli 2000. 55 Konven­tion zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SEV-No. 005, Art. 2 § 3, BGBl. II, 1973, S. 1534.

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die Berufung vor das Oberste Sondergericht (Ανώτατο Ειδικό Δικαστήριο), das ihr am 14. September 2001 stattgab und so die Rechtsmeinung des Areopags revidierte.56 Das Oberste Sondergericht berief sich auf die Klausel in Art. 923 der griechischen Zivilprozessordnung; ihr zufolge bedarf es zur Vollstreckung eines rechtskräftigen Gerichtsurteils gegen das Vermögen ausländischer Staaten der Einwilligung des Justiz­ministers, der als Regierungsvertreter bei Rechtsthemen die Verantwortung für die auswärtigen Belange des Landes trägt, um im griechischen öffent­lichen Interesse dem mög­lichen Abbruch interna­tionaler Beziehungen des Landes vorzubeugen. Das Oberste Sondergericht erklärte die Klausel für rechtmäßig und sah keinen Widerstreit zur Euro­päischen Menschenrechtskonven­tion und dem Interna­tionalen Pakt über bürger­liche und politische Rechte.57 Der griechische Justizminister Michalis Stathopoulos sowie sein Nachfolger Philippos Petsalnikos, ab Oktober 2001 im Amt, erteilten keine Einwilligung zum Vollzug des Gerichtsentscheids und verhinderten auf diese Weise die Versteigerung der Liegenschaften, in denen deutsche Kultureinrichtungen in Griechenland untergebracht waren, nebst den eben dort vorfindbaren Vermögenswerten.58 Die Kläger und Hinterbliebenen der Distomo-­Opfer riefen am 4. Oktober 2001 erneut den Areopag an, der sich am 21. Mai 2002 in seiner Vollversammlung mit der Anfechtung befasste. Der Vizepräsident warf dem Präsidenten Stefanos Matthias vor, dass er die deutschen Entschädigungsleistungen gegen die Verlängerung seiner Amtszeit um ein Jahr vermarkte. Daraufhin verlangten die Angehörigen der Opfer den Ausschluss von Matthias wegen Befangenheit. Mit neuem Vorsitz wies der Areopag jedoch am 30. Mai 2002 die Beschwerde unter Berufung auf ihre nicht fristgerechte Einreichung zurück.59 Die Vollversammlung des Areopags entschied in ihrer Sitzung vom 28. Juni 2002, dass die Klausel des Art. 923 grZPO , d. h. die Verknüpfung von Vollstreckung des Entscheids 137/1997 und dessen Billigung seitens des Justizministers, in Einklang stehe mit der Euro­päischen Menschenrechtskonven­tion. Die Kläger legten daraufhin Berufung beim Obersten Sondergericht ein. Zusammengesetzt aus Vertretern von Areopag und Staatsrat, verlautbarte es in seiner Entscheidung vom 17. September 2002 mit 6:5 Stimmen, dass ein Staat sich mit einer Klage nicht an Gerichte eines anderes Staates wegen Entschädigungen für gleich w ­ elche Unrechtshandlungen wenden könne, und bestätigte im vorliegenden Fall rechtskräftig das 56 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Vol. X, Decision 59021/2000. 57 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Vol. X, Decision 6847/2001 und 6848/2001. 58 Berliner Zeitung, 25. Januar 2001; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7., 8. und 14. September 2001; Süddeutsche Zeitung, 10. September 2001; Berliner Zeitung, 18. September 2001; Tageszeitung, 13. Oktober 2005. Vgl. Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, 2006, S. 451. 59 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Vol. X, Decision 6847/2001 und 6848/2001.

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Vorhandensein eines öffent­lichen Interesses Griechenlands.60 Demnach gaben die griechischen Gerichtsinstanzen bis hin zum Areopag im Fall Distomo den Forderungen der Kläger auf Entschädigungen zwar statt, hielten jedoch dafür, dass diese Ansprüche ohne das Einverständnis des Justizministers zur Vollstreckung nicht befriedigt werden könnten. Die Kläger, vertreten von Ioannis Stamoulis, wandten sich angesichts der ablehnenden Einstellung des griechischen Justizministers an den Euro­päischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Ihr Widerspruch richtete sich nicht nur gegen die Bundes­republik Deutschland, sondern auch gegen den griechischen Staat, dem sie Verletzung der Grundrechtsgarantie auf Eigentum, die Vollzugsaussetzung des Gerichts­urteils 137/1997 sowie Unvereinbarkeit der Vollzugbeschränkung eines unwiderruf­l ichen Urteils mit dem Euro­päischen Übereinkommen über Staatenimmunität vorwarfen. Er richtete sich ebenfalls gegen den Präsidenten des Areopags, welcher der Partei­lichkeit und der Verletzung des Anrechts auf ein faires Verfahren bezichtigt wurde. Der Euro­päische Gerichtshof äußerte sich nach Untersuchung des Falls „Aikaterini ­Kalogeropoulos and Others versus Greece and Germany“ mit Beschluss vom 12. Dezember 2002, der zugunsten Deutschlands ausfiel.61 Damit bestätigte der Euro­päische Gerichtshof die Geltung des interna­tionalen Rechtsgrundsatzes der absoluten Staatenimmunität gegenüber der Rechtsmeinung begrenzter (bzw. relativer) Immunität, wenn es sich um Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Bestätigt wurde damit auch, dass ein Staat nicht der Zuständigkeit von Gerichten eines anderen Staates unterliegen kann. Im Ergebnis erachtete er den Gehalt des Art. 923 grZPO als übereinstimmend mit dem Geist des 1972 in Basel unterzeichneten Euro­päischen Übereinkommens über Staatenimmunität. Im konkreten Fall beurteilte er unter Verweis auf das öffent­liche Interesse die die Klägerrechte einschränkende Klausel für begründet. Der Meinung des Gerichts zufolge war die erforder­ liche Verhältnismäßigkeit durch den Eingriff in die Klägerrechte auf Vollstreckbarkeit nicht beeinträchtigt, insofern Letztere zu einer Belastung der bilateralen Beziehungen geführt hätte. Der Euro­päische Gerichtshof wies auch die Anschuldigung gegen den Präsidenten des Areopags wegen Partei­lichkeit zurück, genauso wie den Vorwurf, das Anrecht auf ein faires Verfahren sei verletzt worden.62 Der Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte bekundete, dass die Kläger gegebenenfalls ihre Ansprüche zu einem geeigneteren Zeitpunkt oder in einem anderen Land verfolgen könnten, z. B. in Deutschland. Genau das hatten 1995 die Geschwister Argyris 6 0 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Vol. X, Decision 6847/2001 und 6848/2001. Vgl. auch Eleftherotypia, 18. und 19. September 2002; Süddeutsche Zeitung, 19. September 2002; Frankfurter Rundschau, 19. September 2002 u. a. 61 Reports of Judgements & Decisions, ECHR 2002, Vol. X, Decision 59021/2000. 62 Ebd.

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Sfoundouris, Chryssoula Tzatha, Astero Liaski und Kondylia Sfoundouri getan, deren Eltern beim Distomo-­Massaker umgekommen waren. Fast gleichzeitig zum Prozess in Livadia hatte deren Hamburger Anwalt Martin Klinger beim Landgericht Bonn auf Entschädigungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland geklagt.63 Die Klage wurde mit Gerichtsbeschluss vom 23. Juni 1997 abgewiesen, wie ­später auch die Berufung beim Kölner Oberlandesgericht.64 Zwar wies man in Köln die Klage ab, doch hatte sich nun die Mög­lichkeit einer Revision beim BGH eröffnet. Der Karlsruher BGH bestätigte in seinem Entscheid vom 26. Juni 2003 die Rechtsansicht der beiden vorangegangenen Instanzen. Auch lehnte er eine Anerkennung des griechischen Areopag-­Urteils ab, das Deutschland zu Entschädigungsleistungen an Opfer deutscher Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland verurteilte. Außerdem wies der BGH darauf hin, dass ­dieses Urteil den interna­tionalen Grundsatz der Staatenimmunität verletze.65 Die Zurückstellung der Prüfung von Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg auf der Grundlage des Londoner Schuldenabkommens habe, so der Karlsruher BGH , mit dem Inkrafttreten des Zwei-­plus-­V ier-­Vertrags geendet. Das Gericht wies sogar die Argumenta­tion zurück, die sich auf die Art. 2 und 3 der Haager Landkriegsordnung von 190766 berief, und bezog sich darauf, dass nach dem Zweiten Weltkrieg bei Verletzungen des Interna­tionalen Völkerrechts Entschädigungsansprüche nicht von Einzelpersonen, sondern nur von ihren Heimatstaaten erhoben werden könnten. Auch berief man sich auf den Bonner Vertrag von 1960, aufgrund dessen die Beklagte an Griechenland 115 Mio. DM geleistet habe, wobei ein Artikel d­ ieses Vertrags ausdrück­lich den Verzicht auf etwaige gesetz­liche Ansprüche griechischer Staatsbürger zum Gegenstand habe.67 Eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen den Entscheid des BGH wurde von den deutschen Verfassungshütern mit Beschluss vom 15. Februar 2006 aus verfahrensrecht­lichen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen. Laut BVerfG würden durch den angegriffenen Entscheid des BGH die allgemeinen Persön­ lichkeitsrechte der Kläger nicht verletzt. Es sei „trotz aller prinzipiellen Unzuläng­lichkeit der Wiedergutmachung menschlichen Leids durch finanzielle Mittel […] dadurch (durch Entschädigungsleistungen auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen, d. V.) 63 6 4 65 66

LG Bonn, Az.: 1 0 358/95 (23. 6. 1997). OLG Köln, Az.: 7 U 167/97 (27. 8. 1998). BGH Karlsruhe, III ZR 245/98 (26. 6. 2003). Siehe Haager Landkriegsordnung (HLKO), www.lexexakt.de/glossar/haagerlandkriegsordnung. php (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 6 7 Vertrag ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von na­tionalsozia­listischen Verfolgungsmassnahmen betroffen worden sind, BGBl. II, 1961, S. 1597.

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und mittels der interna­tionalen und euro­päischen Zusammenarbeit versucht worden, einen Zustand näher am Völkerrecht herzustellen“.68 Auch die Hinterbliebenen der Opfer des Kalavryta-­Massakers wandten sich verschiedent­lich an ausländische Gerichte. Über das Berufungsgericht Patras etwa wurde am 20. Juli 2005 beim Luxemburger Gerichtshof der Euro­päischen Union (EuGH) um eine Vorabentscheidung im Fall „Eirini Lechouritou u. a. gegen die Bundes­ republik Deutschland“ ersucht.69 Das Urteil des EuGH zur Auslegung des Brüsseler Übereinkommens über die gericht­liche Zuständigkeit und die Vollstreckung gericht­ licher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen war richtungsweisend für die NS -Opferverbände in anderen Ländern, etwa Polen, Slowenien oder Frankreich, die ähn­liche Ansprüche erhoben hatten.70 Am 15. Februar 2007 entschied der EuGH , dass die Forderungen auf Entschädigungsleistungen für Opfer von Kriegsverbrechen nicht in den Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens fallen. Laut Urteil des EuGH handelt es sich hier um eine „Klage, die natür­liche Personen in einem Vertragsstaat gegen einen anderen Vertragsstaat erheben und die auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, den die Hinterbliebenen der Opfer des Verhaltens von Streitkräften im Rahmen von Kriegshandlungen im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates erlitten haben“; diese Klage sei im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Brüsseler Vereinbarung „keine ‚Zivilsache‘“.71 Nach ­diesem Luxemburger Urteil geht man davon aus, dass Deutschland endgültig vor vergleichbaren griechischen Gerichtsentscheiden geschützt ist. Auch Klagen griechischer Staatsbürger bei deutschen Gerichten auf Entschädigungsleistungen wurden abgelehnt. Mit dem Urteil des Karlsruher BV erfG in der Distomo-­Sache war auch die letzte Op­tion gericht­licher Prüfung in Deutschland abgehakt. Der recht­liche Vertreter der Bundesregierung Achim Krämer, der sich wiederholt zur Brutalität des Distomo-­Massakers äußerte, hatte schon 2003 erklärt, dass die Bundesregierung sich mit der Entschädigungsfrage nur befasse, wenn eine Klage nicht von Einzelpersonen, sondern vom griechischen Staat eingereicht würde.72 Bis heute ist diese Op­tion einer

68 BVerfG Karlsruhe, Az.: 2 BvR 1476/03 (15. 2. 2006). 69 Mehr zum Fall Lechouritou vgl. Gärtner, The Brussels Conven­tion and Repara­tions, 2007, S.  417 – 4 42. 70 Brüsseler Übereinkommen über die gericht­liche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, https://dejure.org/gesetze/ EuGVVO (letzter Zugriff: 13. 11. 2015). 71 ECJ Luxembourg, C-292/05 – Eirini Lechouritou and others versus the State of Federal Republic of Germany (15. 2. 2007). 72 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Juni 2003; Süddeutsche Zeitung, 27. Juni 2003; Frankfurter Rundschau, 27. Juni 2003 u. a.

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direkten Klage seitens des griechischen Staats gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht aufgegriffen worden.73 5.1.2 Recht, Politik, Moral

Die Klägerseite von Distomo mit Argyris Sfoundouris als treibender Kraft entschloss sich 2005, von einer weiteren Op­tion des EU-Rechts Gebrauch zu machen, näm­lich Ansprüche auf Schadensersatz im Ausland einzutreiben. Als EU-Bürger hatten sie das Anrecht auf Vollstreckung ihrer zivilrecht­lichen Forderungen in anderen Mitgliedsländern der EU, sollte der/die Beklagte über Vermögenswerte im betreffenden Land verfügen. Dies galt auch für den Fall, dass die Vollstreckung von Ansprüchen im Land des Schuldners abgelehnt worden war. Unter Berufung auf die Entscheide des Land­ gerichts Livadia und des Areopag (11/2000), mit dem Deutschland zu Entschädigungen verpflichtet worden war, wandten sich die Opferhinterbliebenen an Belgien und Italien. In Belgien wurde das Ersuchen zurückgewiesen, doch Italien erkannte den Entscheid an und zeigte sich offen für eine eventuelle Vollstreckung.74 Die Wahl Italiens erwies sich aus praktischen wie auch aus juristischen Gründen als geeignet. Im EU -Land Italien verfügt Deutschland vergleichsweise über die meisten Liegenschaften von hohem repräsentativem und kulturellem Wert außerhalb seines Territoriums. Auch kam den griechischen Klägern entgegen, dass das italienische Recht keine Hürden wie im Fall Griechenlands aufwies, wo die Interven­tion der Politik bei der Vollstreckung von Gerichtsurteilen mög­lich war. Darüber hinaus hatte die höchste italienische Rechtsinstanz schon 2004 in einer Entscheidung zu Entschädigungen zugunsten italienischer Staatsbürger abgelehnt, den Grundsatz der Staatenimmunität zu berücksichtigen. Der Kläger in der Sache „Luigi Ferrini v. Repubblica Federale di Germania“ war nach dem Bruch z­ wischen den früheren Verbündeten festgenommen und in ein Lager für Zwangsarbeiter interniert worden. Für seine Haftzeit im Lager verlangte er von der Bundesrepublik eine Entschädigung.75 73 Zu starken Irrita­tionen beim deutschen Außenminister Guido Westerwelle führte die Erklärung des ehemaligen Premierministers Georgios Papandreou, der griechische Staat unterstütze die Ansprüche der Distomo-­Opfer, vgl. Kathimerini, 13. Januar 2011, http://archive. ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_politics_100016_13/01/2011_122277 (letzter Zugriff: 13. 01. 2011; Nutzung des Links auf Anfrage bei [email protected]). Pressemitteilung des AA (13. 1. 2011), http://www.auswaertiges-­amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/ 2011/110113-GRC_IGH.html (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 74 Athens News 2007, Hellenic Communica­tion Service http://www.helleniccomserve.com/ greekrelativesofnazi.html (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). Vgl. auch Fleischer u. a., Ad calendas graecas?, S. 451. 75 Ferrini v. Germany, Appeal decision, Case No 5044/4, ILDC 19 (IT 2004), 11 March 2004, Rule of Law in Armed Conflicts (RULAC), http://www.geneva-­academy.ch/RULAC/

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Sein recht­licher Vertreter, der deutsch-­italienische Anwalt Joachim Lau, erwirkte im Fall Ferrini beim italienischen Kassa­tionsgericht einen Beschluss auf Schadensersatz für seinen Mandanten. Lau kooperierte ­später mit Klinger und Stamoulis im Fall Distomo.76 Im Mai 2005 entschied das Oberlandesgericht Florenz, die Forderungen der Distomo-­Hinterbliebenen s­ eien in Italien vollstreckbar. Deutschland legte Mitte Oktober 2005 kurz vor Fristablauf Widerspruch gegen den Entscheid des italienischen Gerichts ein.77 Der Anwalt der griechischen Seite Joachim Lau verlangte zwei Jahre s­ päter auf der Grundlage des Entscheids von Florenz die Pfändung der Villa Vigoni, eines deutsch-­italienischen Kulturzentrums am Comer See. In der Folge ging Deutschland beim Kassa­tionsgericht Rom in Revision. Nach der Prüfung des Falls Distomo wies im Mai 2008 das italienische Gericht den Grundsatz der Staatenimmunität ab und sprach den griechischen Klägern das Recht auf Entschädigungen zu, erhöht um die zuvor vom Areopag genannten Zinsen.78 Darüber hinaus bestätigte es im Juni 2008, die Hinterbliebenen der Distomo-­Opfer könnten ihre Forderungen zu Lasten von Vermögenswerten des deutschen Staats in Italien erzwingen.79 Nach diesen italienischen Gerichtsurteilen entschied sich Berlin, die Sache auf politischer Ebene fortzuführen. Doch das einzige Ergebnis von Gesprächen bei den deutsch-­italienischen Regierungskonsulta­tionen im Herbst desselben Jahres in Triest war eine gemeinsame Erklärung darüber, dass die italie­nische Seite den Entschluss Deutschlands respektiere, den Fall vor den Interna­tionalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen.80 Tatsäch­lich erhob Deutschland Ende 2008 Revisionsklage zur Auslegung des Grundsatzes der Staatenimmunität seitens der italienischen

pdf_state/Ferrini.pdf (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). Vgl. auch Andrea Bianchi: Ferrini v. Federal Republic of Germany, The American Journal of Interna­tional Law 99 ( Januar 2005), S.  242 – 248. 76 Tageszeitung, 13. August 2004. 77 Tageszeitung, 13. Oktober 2005. 78 Martin Klingner: Keine Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen. Kassa­tionshof in Rom macht den Weg frei für Entschädigung griechischer NS-Opfer, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte für Demokratie und Menschenrechte: RAV Infobrief 101 (November 2008), S. 48 – 51. 79 Eleftherotypia, 5. Juni 2008; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Juni 2008; Süddeutsche Zeitung, 7. Juni 2008. 80 Gemeinsame Erklärung (18. November 2008), Länderinforma­tionen des Auswärtigen Amts, http://www.auswaertiges-­amt.de/diplo/de/Laenderinforma­tionen/Italien/081118presseerklaerung-­konsulta­tionen,navCtx=261842.html (letzter Zugriff: 10. 08. 2009), vgl. auch Außenminister Westerwelle zum IGH -Urteil in Sachen Deutschland/Italien (3. Februar 2012), Pressemitteilung des Auswärtigen Amts, https://www.auswaertiges-­amt. de/DE /Infoservice/Presse/Meldungen/2012/120203-IGH _ITA .html (letzter Zugriff: 20. 09. 2015).

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Gerichtsbarkeit.81 Der Haager Gerichtshof gab mit Urteil vom 3. Februar 2012 der Klage Deutschlands statt. Hätte das Gericht in d ­ iesem Fall das italienische Urteil bekräftigt, wäre ein Präzedenzfall zu erheb­lichen Lasten Deutschlands geschaffen worden.82 Die deutschen Entscheidungsträger lehnen bis heute jeg­liches Gespräch auf politischer Ebene über die Bewilligung selbst von symbo­lischen Entschädigungen an griechische NS -Opfer ab.83 „Trauer und Scham“ über die Vergeltungsak­tionen äußerte als erster offizieller Repräsentant Deutschlands der damalige Bundespräsident Johannes Rau am 4. April 2000, als er bei einem Besuch in Kalavryta an der Gedenkstätte für die Opfer einen Kranz niederlegte. Am Tag zuvor hatte er erklärt: „Die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs hat unermess­liches Leid über die griechische Bevölkerung gebracht. Orts­ namen wie Kaessariani, Distomo oder Kommeno sind mit unfassbaren Verbrechen von Deutschen an Griechen verbunden.“ 84 Die Erklärung des deutschen Bundespräsidenten war nicht die einzige Geste, mit der eine zumindest mora­lische Unterstützung griechischer NS-Opfer zum Ausdruck gebracht wurde. Ähn­liche Verlautbarungen kamen etwa von Sigrid Skarpelis-­Sperk, ehemals Mitglied des Deutschen Bundestags und Vorsitzende der Deutsch-­Griechischen Parlamentariergruppe, jetzt Präsidentin der Vereinigung der Deutsch-­Griechischen Gesellschaft, von der ehemaligen Die-­Linke-­Politikerin Sylvia-­Yvonne Kaufmann, jetzt für die SPD im Euro­päischen Parlament, sowie der Bundestagsabgeordneten der Linken Ulla Jelpke; seit Jahren engagieren sich die drei Politikerinnen für die deutsch-­ griechische Versöhnung.85 81 ICJ Hague, No. 2008/44 – Germany institutes proceedings against Italy for failing to respect its jurisdic­tional immunity as a sovereign State (23. 12. 2008), Interna­tional Court of Justice the Hague, http://www.icj-­cij.org/docket/files/143/14925.pdf ?PHPSESSID=dd11851ca9561fd 3cd213f4f6c8f1eeb (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). Mehr zu den jüngsten Entwicklungen in der Rechtstheorie und -praxis siehe Norman Paech: Staatenimmunität und Kriegsverbrechen, Archiv des Völkerrechts 47 (März 2009), S. 36 – 92. 82 Der Arbeitskreis Distomo hat bekannt gegeben, dass in Italien bis April 2009 gegen Deutschland ungefähr 50 Klagen auf Schadensersatz wegen Gewalttaten während des Zweiten Weltkriegs eingereicht worden sind. Siehe „Staatenimmunität als Instrument der Entschädigungsverweigerung. Hintergrundinforma­tionen und Argumente“, AK Distomo, http://www.nadir.org/ nadir/initiativ/ak-­distomo/veroeffent­lichungen2009/docs/hintergrund.pdf (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 83 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-­ Schröter, Petra Pau, Jörn Wunder­lich und der Frak­tion DIE LINKE – Drucksache 16/9719 (8. Juli 2008), Dokumenta­tions- und Informa­tionssystem für Parlamentarische Vorgänge, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/099/1609955.pdf (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 84 Siehe http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-­Rau/Reden/­ 2000/04/20000403_Rede.html (letzter Zugriff: 29. 10. 2015). 85 Vgl. etwa Skarpelis-­Sperk, Last – Verantwortung – Versöhnung, 2001, S. 86 – 98.

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Abb. 7  Bundespräsident Johannes Rau erweist in Athen den griechischen Gefallenen die Ehre, indem er einen Kranz am Denkmal des Unbekannten Soldaten niederlegt. BArch B 145, Bild 00011397

Im Juli 2008 richtete die Bundestagsfrak­tion der Partei Die Linke über Ulla ­Jelpke eine „Kleine Anfrage“ an die Bundesregierung zu den Gerichtsurteilen, die Entschädigung italienischer und griechischer NS -Opfer betreffend. Auf die Frage, ob die Bundesregierung in Erwägung ziehe, eine Stiftung für die bislang ohne Entschädigung gebliebenen NS -Opfer zu initiieren, wurde geantwortet, dass man die Entschädigungsfrage für abschließend geregelt erachte.86 Die letzte Mög­lichkeit für Entschädigungen ausschließ­lich an ehemalige Zwangsarbeiter bot die deutsche Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“,87 gegründet im Jahre 2000 und

86 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-­ Schröter, Petra Pau, Jörn Wunder­lich und der Frak­tion DIE LINKE – Drucksache 16/9719 (8. Juli 2008), Dokumenta­tions- und Informa­tionssystem für Parlamentarische Vorgänge, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/099/1609955.pdf (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 87 Die Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ markiert einen wichtigen Schritt in der Historie der Entschädigungen von deutscher Seite. Griechenland jedoch war kaum betroffen von den Fördervoraussetzungen der Stiftungssatzung, da nur eine relative kleine Zahl seiner Bürger zum Arbeitseinsatz gezwungen worden war. Mehr zur Stiftung siehe

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ausgestattet mit einem ­Stiftungsvermögen von ca. 10 Mrd. DM , die teils aus dem Staatshaushalt, teils von ca. 5000 deutschen Unternehmen stammten. Das Programm zur Auszahlung von Entschädigungen für Zwangsarbeiter wurde allerdings offiziell im Juni 2007 abgeschlossen.88 Lässt man die Materie der „Sühnemaßnahmen“ einmal außer Acht, sind seit dem Ende der 1990er Jahre zahlreiche Initiativen entstanden, die dem Thema der Wiedergutmachung für im Zweiten Weltkrieg hervorgerufene Schäden eine neue Dimension verliehen. Neben Programmen, die nach dem Kalten Krieg auf Entschädigungen in Ländern des ehemaligen Ostblocks zielten, befasste sich die interna­tionale Gemeinschaft unter Beteiligung Deutschlands und oft auch Griechenlands gezielt damit, das von NS -Deutschland vor allem an Juden verübte Unrecht zu sühnen. Richtungsweisend in ­diesem Zusammenhang waren der Interna­tionale Kongress 1997 in London zum jüdischen Raubgold und ein Jahr darauf die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust. Deren Ergebnis, die „Washingtoner Erklärung“, forderte die Unterzeichnerstaaten dazu auf, ehemals in jüdischem Besitz befind­liche und dann gestohlene Kunstwerke ausfindig zu machen und sie im Fall ihrer Ermittlung den ursprüng­lichen Eigentümern oder ihren Erben zurückzuerstatten. Zwar war die Erklärung recht­lich nicht bindend, doch zählte Deutschland zu den ersten vier Ländern, die sie durch praktische Umsetzungen akzeptierten. Folgenlos verblieb die Erklärung im Unterzeichnerstaat Griechenland, wo die Washingtoner Erklärung bisher nicht eingelöst wurde. Informa­tionen der Looted Art & Cultural Property Initiative der Claims Conference von 2014 zufolge hat Griechenland offiziell keine Restitu­tion von Kulturgütern aus ehemals jüdischem Besitz initiiert. Einige Objekte, die ehemals der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki gehört hatten, befinden sich heute im Jüdischen Historischen Institut in Warschau.89 Im Anschluss an die Washingtoner Konferenz kam es zu weiteren interna­tionalen Treffen und Verhandlungen über den Verbleib von Vermögen der Holocaustopfer und jüdischen Verbände. In ­diesem Zusammenhang wurden auch Fragen der Aufklärung und Wissensvermittlung behandelt. Griechische Vertreter nahmen unter anderem auch

etwa bei Goschler, Die Bundesrepublik und die Entschädigung von Ausländern seit 1966, 2006, S.  133 – 142. 88 Offizieller Abschluss der Auszahlungsprogramme, Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ), http://www.stiftung-­evz.de/stiftung/geschichte/ns-­zwangsarbeit/auszahlungs programme/abschluss-­der-­auszahlungen.html (letzter Zugriff: 20. 09. 2015). 89 Siehe Wesley A. Fisher; Ruth Weinberger: Holocaust-­Era Looted Art: A Current World-­Wide Overview (10. September 2014, aktualisiert 13. November 2014), Claims Conference: ­Looted Art & Cultural Property Initiative, http://art.claimscon.org/wp-­content/uploads/2014/11/ Worldwide-­Overview.pdf (letzter Zugriff:10. 08. 2009).

Die Verhandlungen auf politischer Ebene  |  243

an der Stockholmer Konferenz im Jahr 2000 teil, wo man sich mit Aufbau und Entwicklung von Forschungs-, Informa­tions- und Bildungsaktivitäten zur Erinnerung an den Holocaust befasste.90 Leider gehört Griechenland zu den Ländern, in denen Fälle von Antisemitismus zu verzeichnen sind. Jähr­lich kommt es zu Vandalismus gegen Synagogen und jüdische Friedhöfe. So wurde etwa 2004 das erste Holocaustmahnmal Griechenlands, 1997 in Thessaloniki errichtet, Ziel einer solchen Attacke. Es dauerte dann noch ganze sieben Jahre, bis das griechische Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit dem Athener Jüdischen Museum 2004 erstmals eine Schulung für Lehrer und Erzieher zu Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeind­lichkeit durchführte.91 Seminare und Aufklärungskampagnen genügen jedoch nicht als Gegengewicht zu antijüdischen Einstellungen (die sich derzeit besonders auf Israel konzentrieren). Einen Fall von hoher Außenwirkung inner- und außerhalb der griechischen Landesgrenzen stellt der vor allem ­zwischen 2007 und 2009 geäußerte Antisemitismus von Kostas ­Plevris dar. Als Autor einschlägiger Publika­tionen zählt er zu den weltweit bekanntesten Holocaustleugnern.92 Auch die Präsenz der rechtsextremen Partei „Goldene Morgenröte“ im griechischen Parlament lässt unter den derzeitigen wirtschaft­lichen und politischen Verhältnissen die Besorgnis aufkommen, dass sich gewaltsame Zwischenfälle künftig womög­lich häufen könnten.93 Die Kriegsopfer selbst halten sich, was Unterstützungsleistungen von staat­licher Seite angeht, eher zurück. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehört Griechenland zu den ganz wenigen Ländern, die dieser Bevölkerungsgruppe keinerlei materielle Hilfestellung leistet. Die Schulungs- und Fortbildungsprogramme zur NS-Präsenz in Griechenland sind mehr oder weniger im Embryonalzustand. Griechische Staatsbürger, die dem Holocaust entkamen, haben fast ausschließ­lich mit Hilfe interna­ tionaler jüdischer Organisa­tionen oder Gemeinden überlebt. Den Hinterbliebenen 90 Bitte Wallin; Michael Newman: Task Force for Interna­tional Coopera­tion on Holocaust educa­tion, Rememberance, and Research, Västerås: Edita, 2009, S. 44 f. 91 Greece Annual Report 2004, Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism, http://www.tau.ac.il/Anti-­Semitism/asw2004/greece.htm (letzter Zugriff: 08. 04. 2013). Mehr zu Holocaustschulungen in Griechenland siehe Giorgos K ­ okkinos (Hg.): Προσεγγίζοντας το Ολοκαύτωμα στο ελληνικό σχολείο (Zum Umgang mit dem Holocaust in griechischen Schulen), Athen: Taxidevtis, 2007; mehr zum Geschichtsunterricht über Juden in Griechenland siehe z. B. Juan Carmona Zabala: The Other in the Na­tional History: Greek Judaism in Textbooks, NYU, 2012, sowie Vassiliki Sakka; Katerina Brentanou: Teaching History in Greek Schools: Adventures of a „Fresh“ History Curriculum for Compulsory Educa­tion. Another Lost Chance? (paper presented at the 13th Interna­tional Conference of ISSEI, 2012). 92 Zum Fall Plevris siehe stellvertretend die Beiträge in der Zweimonatsschrift ALEF der Athener jüdischen Gemeinde (Heft Januar–Februar 2008) oder in Süddeutsche Zeitung, 31. März 2009. 93 Vgl. z. B. Open letter: We are all Greek Jews, The Guardian, 28. Mai 2012.

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Abb. 8  Mahnmal für die Holocaustopfer Thessalonikis. Die am Rande des Eleftherias-­Platz (vgl. Abb. 4) befind­liche Plastik ist ein Werk der Brüder Glid, die 1997 seitens der griechischen Regierung in Auftrag gegeben und errichtet wurde. Das Holocaustdenkmal der Jüdischen Gemeinde Thessaloniki aus dem Jahre 1963 befindet sich auf dem neuen jüdischen Friedhof. Fotoarchiv Chryssoula Kambas, Aufnahme 2012.

von Wehrmachts- und NS-Massakern bleibt nach dem Urteil des Den Haager Interna­ tionalen Gerichtshofs von 2012 nur, auf eine eventuelle Klärung durch einen bilateralen politischen Kompromiss zu warten. Angesichts des fortgeschrittenen Alters der Überlebenden ist jedoch davon auszugehen, dass eine offen ausgetragene, umfassende Versöhnung mit der Vergangenheit kaum Erfolgsaussichten hat. Daran haben sowohl Deutschland als auch Griechenland Anteil.

Nachwort Der Zweite Weltkrieg und die Besatzung Griechenlands durch Deutschland und dessen Bündnispartner Italien und Bulgarien hatten für die griechische Gesellschaft weitreichende Folgen. Dennoch war Griechenland trotz des durch Krieg und Besatzung verursachten Leids eines der ersten Länder, die in der Nachkriegsphase erneut Beziehungen zu Deutschland aufgenommen und ausgebaut haben. Das vorliegende Buch war dem Versuch gewidmet, die deutsche Besatzung Griechenlands sowie die Herangehensweise der politischen Elite Deutschlands und Griechenlands an die NS-Vergangenheit und deren Vermächtnis darzustellen. Darüber hinaus sind die deutsch-­griechischen Beziehungen unter den Vorzeichen dieser Last sowie damit zusammenhängende Fakten und Umstände im Kontext des Kalten Kriegs erläutert worden. Bis jetzt hatte sich die Geschichtswissenschaft nicht in Form einer detaillierten Gesamtdarstellung mit dem institu­tionellen und legislativen Rahmen der deutsch-­ griechischen Wiederannäherung an die gemeinsame Vergangenheit befasst. Dasselbe gilt auch für die einschlägigen Gerichtsurteile im Kontext politischer Entscheidungen, wie sie hier ebenfalls im Einzelnen zur Sprache kamen.1 Die Rechtsverfahren des vergangenen Jahrzehnts, ausgelöst durch Klagen der NS-Opfer und deren Hinterbliebenen in Griechenland, zeigen, dass dieser Blickwinkel auf die deutsche Vergangenheit unschwer dem Vergessen anheimfallen konnte. Die Thematik ist weiterhin hochaktuell und behauptet sich im öffent­lichen Diskurs. Doch jenseits der griechisch-­deutschen Beziehungen gibt es auch Schnittmengen mit Erfahrungen anderer Länder, die ebenfalls unter einer NS-Besatzung gelitten hatten. Nach eingehender Darstellung der jeweiligen Geschehnisse und Konstella­tionen lässt sich schlussfolgern, dass während der Nachkriegsdekaden die Herangehensweise der griechischen Regierungen an die Thematik der Entschädigung für erlittenes Unrecht beeinflusst – in manchen Fällen sogar diktiert – war durch die wirtschaft­liche und politische Abhängigkeit Athens von den Bonner Regierungen. Eine sicher erheb­liche Rolle im Prozess des Wiederaufbaus bilateraler Beziehungen spielten die innenpoli­ tischen Entwicklungen in Griechenland, geprägt vom Bürgerkrieg und dem Kontext des unversöhn­lich ausgetragenen Ost-­West-­Konflikts.

1 Als Ausnahmen sind hier die Arbeiten von Nessou (Gerichtsurteile) und Hagen Fleischer (Wiederannäherung) zu erwähnen. Direkt zu den Entschädigungsfragen erschien jüngst eine Monografie, die bei der Übersetzung des vorliegenden Buchs ins Deutsche nicht mehr berücksichtigt werden konnte: Despoina Konstantinakou: Πολεμικές οφειλές και εγκληματίες πολέμου στην Ελλάδα (Kriegsschulden und Kriegsverbrecher in Griechenland), Athen: Alexandria, 2015.

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Nach dem Abzug der Besatzungstruppen spaltete der Bürgerkrieg die griechische Gesellschaft in zwei gegnerische Lager. Diese Erfahrung blieb dominant und verdrängte bzw. überdeckte mehr oder weniger die Erinnerung an Leid und Elend der deutschen Besatzung. Das kollektive Gedächtnis der Griechen wurde in der Folge einerseits von Kriegserfahrungen und der Erinnerung an Wehrmachtsterror bestimmt, andererseits von einem gesamtgesellschaft­lich sich durchziehenden Binnenkonflikt, der während der Bürgerkriegsphase Tausende von Opfern gefordert und die Zivilbevölkerung massenhaft zur Mobilität gezwungen hatte. Ein ausgeprägter Antikommunismus kennzeichnete die politische Grundhaltung der griechischen Nachkriegsregierungen, die sich im gespaltenen Europa dem west­lichen Lager angehörig wissen wollten. Bedingt durch diese Grundsatzentscheidung entschlossen sich die politischen Eliten Griechenlands, bittere Kriegserfahrungen zurückzustellen und auf die Bundesrepublik Deutschland als künftigen Partner und Verbündeten zuzugehen, obgleich die Erinnerung der Überlebenden an das Besatzungsgeschehen keineswegs schwand. Aus griechischer Sicht führte die gegenüber Deutschland gepflegte Wirtschafts­ diplomatie nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen. So konnte sich Griechenland auf dem deutschen Markt nicht als Hauptlieferant von Tabak behaupten, und dies nicht einmal nach der Athener Entscheidung, Bonn die Prozessakten der NS-Kriegsverbrecher zu überstellen, obgleich die griechische Regierung damit letzt­lich auf deren Bestrafung verzichtete. Gegen Deutschlands „Realpolitik“, eine Kombina­tion wirtschaft­ lichen und politischen Insistierens und formalistischer Verschleppungen, konnte sich die griechische Seite zumindest in jener Phase nicht behaupten. Dadurch schlug Bonn Zeit für angeklagte Kriegsverbrecher heraus, sodass sich Athen am Ende mit der offi­ ziellen Zusicherung Deutschlands begnügte, die entsprechenden Fälle in eigener Justiz­ hoheit aufzurollen, wobei d­ ieses Entgegenkommen mit wirtschaft­licher Unterstützung honoriert wurde. In der Zwischenzeit war häufig die Verjährungsfrist für die Anklagepunkte abgelaufen, sodass die betreffenden Kriegsverbrecher unbehelligt blieben und ihre Fälle in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren stillschweigend archiviert wurden. In ähn­licher Form gingen Deutschland und die Signatarstaaten des Pariser Abkommens die Frage der Repara­tionen an, die dessen Bestimmungen zufolge an die geschädigten Länder zu entrichten waren. Auch bei dieser Thematik stellte die Kräfteverteilung auf dem euro­päischen Kontinent den entscheidenden Faktor dar. Der Westen war auf einen starken Partner angewiesen und wollte vermeiden, dass die Bundesrepublik Deutschland durch finanzielle Forderungen anderer Staaten unter Druck geriet. Daher entschied man sich 1953 in London zum Aufschub der in Paris vorgesehenen Repara­ tionszahlungen. Griechenland war weder wirtschaft­lich noch politisch hinreichend konsolidiert, um im Alleingang die Entschädigungen für seine im Krieg schwer angeschlagene Bevölkerung zu verhandeln. In Griechenland waren als Kriegsfolgen hohe Verluste an Menschenleben, massenhafte Gesundheitsschäden und Vermögenseinbußen

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zu verzeichnen. Abgesehen vom Engagement interna­tionaler Organisa­tionen erhielt die griechische Bevölkerung unmittelbar nach Kriegsende keinerlei Hilfestellung. Versöhnungsgesten und -maßnahmen für griechische Besatzungsopfer aus Deutschland kamen in den Folgejahrzehnten von zivilgesellschaft­lichen Akteuren und über ehrenamt­lich organisierte Spendensammlungen, die den Hinterbliebenen der Opfer sogenannter Sühnemaßnahmen der deutschen Wehrmacht zugutekamen. Die Wirtschaftshilfe aus Deutschland stand, wenigstens offiziell, keinesfalls in irgendeinem Zusammenhang mit den Besatzungsfolgen. Die erste und faktisch einzige deutsche Initiative auf Regierungsebene zur Entschädigung von NS-Opfern war der Bonner Vertrag Anfang der 1960er Jahre, auch er u. a. auf Druck von dritten Staaten zustande gekommen. Da Bonn von der Politik der Großmächte nicht zur Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit verpflichtet wurde, ließ man sich nur gelegent­lich auf politische und wirtschaft­liche Konzessionen den NS-­Opfern gegenüber ein. Auf entschlossenes Betreiben von außen kam es zur Verurteilung von Kriegsverbrechern bei den Nürnberger Prozessen, zu Verhandlungen über Repara­tionen und in den 1950er Jahren zu Abkommen über die Entschädigung für Opfer von Verfolgungen aus rassistischen, weltanschau­lichen und konfessionellen Gründen. Doch diese nach dem Krieg getroffenen Vereinbarungen wurden nicht in vollem Umfang eingehalten. Anfang der 1950er Jahre begnadigte man die meisten der in Nürnberg Verurteilten; Repara­tionen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Die auf der interna­tionalen Bühne gewissermaßen unterlegene Stellung der Bundes­republik, eine Konsequenz der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, hielt zu großen Teilen auch nach dem Ende des Kalten Kriegs an, als der wiedervereinte deutsche Staat vor allem vom Ausland zu erneuten Verhandlungen über Entschädigungen für Opfer der NS-Greuel gezwungen wurde, wobei es diesmal primär um einzelne Opfergruppen aus Ländern des ehemaligen Ostblocks ging. Wegen der Abhängigkeit von der deutschen Wirtschaft und dem west­lichen Bündnis lag in Griechenland der erforder­liche politische Wille für eine Gesamtregelung der Hinterlassenschaft deutscher Besatzung nicht vor. Sieht man einmal von der unmittelbaren Nachbesatzungs- und Nachkriegsphase ab, fanden auf griechischem Boden letzt­lich keine Strafverfolgungen von NS -Verbrechern statt; einige wenige Verurteilungen in der Bürgerkriegsphase und der Fall Merten bilden dabei die Ausnahme. So wurde das dennoch existierende Verlangen nach rechtmäßiger Begleichung der Schuld letzt­lich unter einer von Staats- und Justizbehörden betriebenen bürokratischen Prozedur verschüttet. Seitens der griechischen Politik behandelte man die Repara­tionsund Entschädigungsfrage – je nach Regierung – mit Opportunismus. Deut­lich wird dies vor allem bei den Verhandlungen mit Bonn Ende der 1950er Jahre, s­ päter bei der Verteilung der verfügbaren Beträge an die Besatzungsopfer und ihre Hinterbliebenen, wobei ein, wenn auch unbeträcht­licher, Teil der Entschädigungssumme schließ­lich in die griechische Staatskasse überging. So kam Griechenland, ähn­lich wie die anderen

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westeuro­päischen Länder, bis Mitte der 1990er Jahre nicht auf die Entschädigungsund Repara­tionsfrage zurück, zumal ein entsprechender Vorstoß auch im Widerstreit zu den Bestimmungen des Londoner Abkommens von 1953 über Kriegsschulden und Repara­tionen gestanden hätte. Aus formaljuristischer Sicht wurde die Ahndung von NS -Verbrechen in Griechenland faktisch mit der Überstellung der betreffenden Prozessakten an Bonn beendet. Nach der deutschen Wiedervereinigung kam das Thema Repara­tionen und Entschädigungen jedoch erneut auf den Tisch. Frei­lich wird die Rechtmäßigkeit der griechischen Forderungen nach wie vor angezweifelt, obschon die deutsche Rechtswissenschaftlerin Veronika Gärtner ohne Umschweife zu der Aussage kommt, dass die griechischen Opfer von NS -Greueln und ihre Hinterbliebenen „vermut­lich ein ethisches, politisches und (im Rahmen des öffent­lichen Rechts) juristisches Anrecht auf Schadensersatz haben“.2 Unter den gegebenen Verhältnissen sind die Erfolgsaussichten jedoch denkbar gering. Geht man davon aus, dass die deutsch-­griechischen Unterredungen während des Kalten Kriegs unter juristischen, politischen und ethischen Vorzeichen stattfanden, zeigt ein genauerer Blick auf diese drei Aspekte in vielen Fällen eine Überlappung, ohne dass daraus eine Problemlösung erwachsen wäre. Nachdem im Kalten Krieg die Fälle von NS-Verbrechen ausschließ­lich unter juristischen Vorzeichen angegangen worden waren, erhielt in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch die Frage der NS -Opfer­ entschädigungen eine juristische Dimension. Griechische Gerichte äußerten sich als unabhängige Instanzen zu den als Zivilklage vorgebrachten Ansprüchen von Opfern des NS-Terrors in Distomo dahingehend, dass sie den Klägern ein Recht auf Entschädigungsforderungen zugestanden. Beim nächsten Schritt, der Vollstreckung des Urteils, kam der politische Aspekt hinzu, dem sich die griechische Gerichtsbarkeit beugte. Der Straßburger Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte in der Folge, dass die griechische Entscheidung gegen die Zwangsvollstreckung deutschen Eigentums in Einklang mit dem Völkerrecht stehe und die griechischen Justizorgane in dieser Sache rechtmäßig entschieden hätten. Sowohl in Griechenland als auch in Deutschland debattierte man im Zusammenhang mit der Sache Distomo eine weitere Thematik kontrovers: die Staatenimmunität auf der Basis des Interna­tionalen Völkerrechts. In Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde sie von griechischen Gerichten nicht anerkannt, die folg­lich der Klage von Hinterbliebenen der Distomo-­Opfer gegen die Bundesrepublik Deutschland stattgaben. Dagegen beurteilten die interna­tionale und die deutsche Gerichtsbarkeit das Prinzip der Staatenimmunität als unanfechtbar. Zwar war der Straßburger Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte der Auffassung,

2 Zitiert nach Gärtner, The Brussels Conven­tion and Repara­tions, 2007, S. 442.

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das Völkerrecht befinde sich in einer Entwicklungsphase, die zu einer Interpreta­ tionsverschiebung führen könne, hielt jedoch diese Umformung für noch nicht vollendet. 2008 machte der Entscheid des italienischen Kassa­tionsgerichtshofs in Rom zur Vollstreckbarkeit des Gerichtsurteils im Fall Distomo den Klägern Hoffnungen auf Befriedigung ihrer Ansprüche. Doch Berlin focht die Rechtsgültigkeit des römischen Urteils beim Interna­tionalen Gerichtshof in Den Haag an. Dazu vermerkte der israe­ lische Rechtswissenschaftler Eyal Benvenisti in einer völkerrecht­lichen Publika­tion, die Beschlüsse des griechischen Areopags und des italienischen Kassa­tionsgerichts ließen „an die Rechtsprechung einer vorangegangenen Genera­tion denken, als die Gerichtsbarkeit das Völkerrecht so geschickt auslegte, dass es die Posi­tion der jeweiligen Regierung wahrte“.3 In der Tat nutzten beide Staaten – Griechenland und Deutschland – die Thematik der Repara­tionen und Entschädigungen, um ihre jeweiligen politischen Ziele zu erreichen. Griechenland ging es in der Nachkriegsphase um materielle Vorteile und einen potenten Partner, der beim wirtschaft­lichen Wiederaufschwung und der Aufnahme in die euro­päischen Organisa­tionen behilf­l ich sein würde. Deutschland wiederum machte sich die Versöhnungsbereitschaft des Griechischen Königreichs zunutze, um sich auf interna­tionaler Bühne als verläss­licher und demokratisch überzeugender Staat wieder einen Platz zu verschaffen. Die Bundesrepublik Deutschland schöpfte politisches Kapital aus dem rasanten Wiederaufbau ihrer Wirtschaftskraft und etablierte sich rasch wieder weltweit, während Griechenlands Abhängigkeit vom starken Partner stetig größer wurde. 1981 trat Griechenland, überwiegend von Deutschland vermittelt, der EG bei; zu Beginn des 21. Jahrhunderts war es wieder Deutschland, dem Griechenland zu großen Teilen die Aufnahme in die Euro­päische Währungsunion verdankte. Deutschland agierte ebenfalls als einflussreicher Schlichter bei manchen Auseinandersetzungen ­zwischen Griechenland und seinen geografischen Nachbarn. Dafür hielt sich Griechenland immer wieder zurück mit der Aufnahme bilateraler Beziehungen zur DDR. Bei manchen Fragen politischer Orientierung konnte Athen sich es schlicht und einfach nicht leisten, unabhängige Entscheidungen zu treffen, ohne den Standpunkt des Hauptbündnispartners berücksichtigt zu haben. Während des Kalten Kriegs nahm die strate­g ische Bedeutung Griechenlands zu, einmal aufgrund der geografischen Lage, dann aber auch wegen der potentiellen politischen Linkswendung im Land. Bei den west­lichen Partnern rief diese Aussicht eine gewisse Unruhe hervor, sodass das Land in deren Interessenliste ganz oben rangierte; diese Posi­tion war nach 1989 nicht mehr zu halten. Dazu kam, dass die Bundesrepublik 3 „These cases remind one of the jurisprudence of the earlier genera­tion when courts ingeniously interpreted interna­tional law to uphold their government’s posi­tion.“ Siehe Eyal Benvenisti: Reclaiming Democracy: The Strategic Uses of Foreign and Interna­tional Law by Na­tional Courts, The American Journal of Interna­tional Law 102 (April 2008), S. 269.

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Deutschland sich ab d ­ iesem Zeitpunkt nicht grundsätz­lich für Entschädigungen an west­liche Partner verpflichtet sah, ihr Blick sich vielmehr dem Osten zuwandte. Athen stellte fest, dass unnachgiebiges Drängen auf Repara­tionen oder Entschädigungen nicht zielführend war, während gewisse innerhalb der NATO und der EU geäußerte Vorbehalte sich als durchaus ergiebiger erwiesen. So konzentrierten sich seit Ende der 1990er Jahre bis über die Jahrtausendwende hinweg die griechischen Petita der interna­tionalen Politikebene hauptsäch­lich auf das Zypernproblem oder die Anerkennung von FYROM als Republik Mazedonien. Dadurch rückte Athen ins Zentrum der interna­tionalen Öffent­lichkeit und galt als schwer kalkulierbarer Partner. Bei den politischen Meinungsverschiedenheiten zu Entschädigungen hielten sich die Vertreter beider Seiten konstant zurück, trotz massiven, von den Opferhinter­ bliebenen ausgeübten Drucks. Ende der 1990er Jahre wurde die ethische Komponente im Umgang mit den Besatzungsfolgen, von der Diplomatie des Kalten Kriegs taktisch so gut wie hintangestellt, nach außen getragen. Damals wurde, nicht allein aus Deutschland, der Ausdruck von Bedauern über die unselige Vergangenheit zum politischen Topos.4 Bezeichnend für den Stand der Dinge vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten war auch die Tatsache, dass sich für die griechisch-­deutsche Versöhnung mehrheit­lich Vertreter kleinerer Opposi­ tionsparteien oder auch Bundespräsidenten einsetzten, die jedoch auf exekutiver Ebene kaum intervenieren konnten. Bei der Beurteilung der deutschen und der griechischen Herangehensweise an das Vermächtnis der NS-Vergangenheit muss darauf hingewiesen werden, dass beide Staaten und ihre politischen Repräsentanten ihre Haltung jeweils an die inneren und interna­ tionalen politischen Entwicklungen anpassten. Den Regierungen beider Länder ist es trotz Differenzen lange Zeit gelungen, ihre politischen und wirtschaft­lichen Ziele durchzusetzen, ohne dass es zu spürbaren Belastungen in den bilateralen Beziehungen kam. Anfäng­lich wurde dem Aspekt der Moral bzw. der mora­lischen Motive im poli­ tischen Umgang so gut wie keine Bedeutung beigemessen, sieht man von gelegent­lichen Verlautbarungen einmal ab. In bilateralen Gesprächen auf Regierungsebene befasste man sich nur ausnahmsweise mit den Forderungen seitens der Opfer, egal, ob es dabei um die Bestrafung von Kriegsverbrechern in der Phase des Kalten Kriegs ging (Fall Merten) oder um Entschädigungen nach 1990 (Fall Distomo). Wollte man die Thesen des deutschen Historikers Constantin Goschler 5 auf den Fall Griechenlands anwenden, käme man zu der Feststellung, dass in der Nachkriegszeit bei der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Veränderungen bei den Formen, 4 Vgl. z. B. Donald Sassoon: Entschuldigung für die Vergangenheit, Neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte 56 (2009), S. 23 – 27. 5 Goschler, Die Bundesrepublik und die Entschädigung von Ausländern seit 1966, 2006, S.  143 – 146.

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den Mitteln sowie den Hauptakteuren auf beiden Seiten stattfanden. Die damit einhergehende Entwicklung der deutsch-­griechischen Beziehungen kann wie folgt auf den Punkt gebracht werden: Während anfäng­lich die Siegermächte die Verhandlungsrichtung bestimmten (Potsdamer und Pariser Abkommen, Nürnberger Prozesse, Londoner Schuldenabkommen), wurden gleich anschließend die unmittelbar Betroffenen sowie zivilgesellschaft­liche Initiativen aktiv (einerseits jüdische Gemeinden sowie lokale, na­tionale und interna­tionale Organisa­tionen der Holocaustüberlebenden, aber auch Hinterbliebenenverbände, andererseits einige wenige karitative deutsche Vereinigungen). Ende der 1950er Jahre erfolgten bilaterale Aktivitäten auf Regierungsebene zu den Entschädigungen für NS-Opfer (Bonner Vertrag) bzw. zur Bestrafung von Kriegsverbrechern (Fall Merten). Erst nach dem Kalten Krieg verlagerte sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Thematik weltweit von eher „technischen“ Lösungen in Form von Entschädigungszahlungen auf die „verbal-­politische“ Ebene, öffent­lich bekundet als Reue und Versöhnungsbereitschaft. Doch nicht einmal d­ ieses neue Klima, der konfrontativen Lasten des Kalten Kriegs entledigt, brachte die NS-Opfer dazu, von ihrem Entschädigungsanspruch abzurücken, den sie nun mit Mitteln des Zivilrechts einzufordern versuchten. Bonn selbst war in den 1950er Jahren vor allem mit der innerdeutschen Handhabung der Vergangenheit und mit Entschädigungen für deutsche NS -Opfer befasst. Erst s­ päter, auf Druck aus dem Ausland hin, ließ sich die deutsche Regierung auf Verhandlungen über die Bereitstellung von Entschädigung für NS -Opfer außerhalb des Landes ein. Goschler zufolge stellen Entschädigungszahlungen an nichtdeutsche Staatsbürger, die vom NS -Regime verfolgt worden waren, einen klas­sischen Fall von pragmatischer Politik dar, trotz der Tatsache, dass die deutsche Gesetzgebung wiederholt den Eindruck von Versöhnungsbereitschaft und Gerechtigkeit vermitteln wollte. Spätestens ab den 1960er Jahren ging die Bundesrepublik offiziell davon aus, dass sie sämt­lichen vertrag­lichen Verpflichtungen gegenüber den Geschädigten nachgekommen war. Beim Umgang mit der Entschädigungsfrage standen für Deutschland politische Ziele im Vordergrund, die jeweils auch den Grad der Konzilianz gegenüber den Gesprächspartnern bestimmten. Mit großer Sorgfalt versuchte man, jeg­liche Richtlinien seitens der Rechtsprechung zu vermeiden, die einen Präzedenzfall zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland hätten schaffen können. Die mora­lische Schuld und Pflicht wurde auf Begleichung finanzieller Ansprüche reduziert. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde der Schwerpunkt von der Wiedergutmachung erlittenen Unrechts schrittweise auf die Optimierung künftiger Beziehungen und damit die Politik der Aussöhnung von tatsäch­licher Versöhnung auf das Lippen­bekenntnis der Abbitte verlagert.6

6 Ebd., S. 145.

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Diese Entwicklung geht nicht allein auf die deutsche Politik zurück, die aus der Sicht des Historikers kein Novum darstellt. Vielmehr trugen dazu auch maßgeb­lich die Haltungen der griechischen Regierungen bei, die in der interna­tionalen Geschichtsschreibung nicht die gebührende Aufmerksamkeit gefunden haben. In der Athener Herangehensweise lassen sich zweifellos auch Spuren von „Realpolitik“ ausmachen, als man etwa die deutsche Wirtschaftshilfe bereitwillig gegen die Durchführung der im Lande nicht besonders erwünschten Strafverfahren mutmaß­licher Kriegsverbrecher eintauschte. Anfangs folgten die politischen Repräsentanten Athens bereitwillig den Vorgaben der interna­tionalen Politik, deren Leitlinien von den Großmächten vorgegeben waren. In dem Maße, wie die wirtschaft­liche Abhängigkeit Athens von Bonn wuchs, zog Griechenland schrittweise seine Forderungen zurück und verhielt sich angesichts der Aktivitäten von Hinterbliebenen der NS-Opfer passiv. In den 1960er Jahren befasste sich Athen mit der Entschädigungsfrage erneut auf Veranlassung der interna­tionalen Gemeinschaft. Diese Abfolge nahm dauerhafte Formen an und hielt sich über den Kalten Krieg, wobei bis zu dessen Ende ideolo­gische Motive die griechische Posi­tionierung bestimmten. Obgleich die griechischen NS-Opfer sich in Form von Gedenkveranstaltungen, meist an den Orten des grauenhaften Geschehens, um Beachtung bemühten, verblasste die Erinnerung an die NS-Massaker sowohl im griechischen als auch im deutschen kollektiven Bewusstsein immer mehr. Man kann nur hoffen, dass zumindest in der Geschichtsforschung und in der Ausbildung nachwachsender Genera­tionen beide Seiten künftig ihrer Schuldigkeit nachkommen.

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Personenindex A Abs, Hermann Josef  190, 197 Adenauer, Konrad  120, 137, 138, 166, 198, 204, 208 Adenauer, Lotte  204 Akamphuber, Willibald  55 Alavanos, Alekos  227 Albala, Jacques  74, 95 Allalouf, Levi  197 Altenburg, Günther  30, 33, 34, 36, 38, 46, 68, 138 Andrae, Alexander  133, 136, 138 – 140 Angell, James W.  188 Antoniou, Giorgos  11 Arendt, Hannah  172 Attlee, Clement  184 Averoff, Evangelos  145, 214, 215 B Bakos, Georgios  40, 91 Barge, Hans  135, 136 Barzilai, Ilias  75, 76 Batis, Leon  107 Baumann, Jürgen  176 Betz, Eugen  205 Bickel, Hans  203 Blume, Walter  77, 127, 128, 180 Böhme, Franz  126 Botsiou, Konstantina E.  105 Boudorian, Agop  95 Bourlojannis, Ioannis  230 Bräuer, Bruno  131, 132, 135 Bräutigam, Otto  208 Brentano, Heinrich von  200, 201, 211, 215

Brunner, Alois  69, 70, 72, 128, 129, 175, 181 Burkhardt, René  159 C Castruccio, Giuseppe  159 Chasson, Vital  74, 94 Churchill, Winston S.  27, 85, 124, 184 Cohen, David (alias Christos Michailidis)  95 Constant, Georg S.  213 D Dallin, Alexander  31 Damaskinos, Metropolit von Athen  38, 76, 86 Dehner, Ernst  126 Dertilis, Leonidas  40 Deter, Walter  133 Dimitsas, Alexandros  123 Döhnert, Konrad  179 Dordanas, Stratos  11 Douros, Ilias  72, 94, 159 Duisberg, Carl  207 E Eichmann, Adolf  69, 149, 166, 171 Erhard, Ludwig  120, 225 Etzel, Franz  211 F Fahrner, Rudolf  24 Felmy, Hellmuth  31, 56, 58, 59, 126, 127, 179 Fenstermacher, Theodore  126 Ferrini, Luigi  239

280 | Personenindex

Fischer, Eugen  133, 134 Fischer, Karl  78 Fleischer, Hagen  7, 11, 20, 21, 175 Foerster, Oskar  179 Foertsch, Hermann  126 Friederike von Hannover, Königin von Griechenland  119, 204 Frizis, Mordechai  63 G Geitner, Kurt Ritter von  126 Genscher, Hans Dietrich  225, 228 Georg II., König von Griechenland  25, 28, 29, 33, 86, 117 Georg VI., König des Vereinigten Königreichs Großbritannien  25 Ghigi, Pellegrino  33 Glembin, Herbert  134, 135 Glezos, Manolis  9, 99, 230 Glid, Daniel  244 Glid, Gabriel  244 Globke, Hans  166, 167 Goebbels, Joseph  24 Goldfarb, Harold  111 Gotzamanis, Sotirios  36 – 38, 46, 91 Graevenitz, Kurt-Fritz von  30 Grazzi, Emanuele  26 Grundherr, Werner von  117, 140, 141 Günther, Rolf  69 H Haidia, Eleni  93 Hartmann, Peter  230 Hartmann, Wilhelm  135, 136 Heinemann, Gustav  150, 162 Helger, Bengt  132 Hell, Elisabeth  37 Hesse, Walter  138 Hettlage, Karl Maria  214

Heuss, Theodor  117, 118 Hitler, Adolf  15, 25 – 27, 30, 32, 34, 36 – 40, 46, 75, 79, 123, 125, 159 Hondros, John  20 Hunter, Ludwig von  137 I Iatrides, John  11 Ingram, Herrmann von  66 J Jacobson, Israel G.  111 Jelpke, Ulla  240, 241 Jodl, Alfred  125 Juppe, Franz  179 K Kalyvas, Stathis  11 Kanellopoulos, Panajotis  23, 119, 168 Karamanlis, Konstantinos  156, 158, 166 – 168, 171, 191, 196, 222, 226 Karasová, Nikola  10 Katzenstein, Ernst  202 Kaufmann, Sylvia-Yvonne  240 Keitel, Wilhelm  47, 53, 78 Kielinger, Valentin  165 Kinkel, Klaus  227 Klebe, Reinhold  54, 180 Klemm, Ulf-Dieter  10 Klinger, Martin  236, 239 Knoke, Karl Hermann  140, 143, 198, 205, 206 Kohl, Helmut  228 Kolwes, Günther  162, 163 Kordt, Theodor  146, 147, 199 Koretz, Zvi  64, 70, 71, 74 Koryzis, Alexandros  27 Kosmidis, Georgios  39 Kounio, Edgar  95

Personenindex | 281

Krallis, Alexandros  94 Krämer, Achim  237 Krenzski, Curt von  31, 68, 178 Kriwan, Alois  135, 136 Krystallis, Athanasios  132, 134 – 136, 140 Kučera, Jaroslav  10 Kuntze, Walter  30, 126 Kyrou, Alexis  43

Merkouris, Georgios  39 Merten, Max  18, 64, 68, 70, 71, 99, 148 – 162, 164 – 172, 174, 201 Metaxas, Ioannis  23 – 27, 33, 39, 63 Mitsotakis, Konstantinos  228, 229 Molho, Mentes  64 Müller, Friedrich-Wilhelm  131, 132, 135 Mussolini, Benito  25 – 27

L Lammerding, Heinz  142 Lanz, Hubert  126 Lau, Joachim  239 Lautenbach, Fritz  57, 59, 180 Le Suire, Karl von  56, 127 Levantis, Petros  62 Leyser, Ernst von  126 Liaski, Astero  236 Linnér, Sture  43 List, Wilhelm  30, 31, 33, 125, 126 Logothetopoulos, Konstantinos  32, 37, 38, 66, 91, 92, 97 Löhr, Alexander  30, 31, 56, 128 Louvaris, Nikolaos  92

N Neubacher, Hermann  46, 47

M Makri, Doxoula, geb. Leontidou  166 – 168, 171 Makris, Dimitrios  166 – 169, 171 Marantzidis, Nikos  10 Markezinis, Spyros  143 Matsas, Solomon  110 Matsoukas, Ioannis  136, 142, 147, 153 Matthias, Stefanos  232, 234 Mazower, Mark  7, 11, 19, 20, 43 McCloy, John  127 Meissner, Arthur  151 Menexiadis, Alexis  10 Menzel, Klaus  171

O Ormond, Henry  200 P Papadopoulos, Alekos  229 Papagos, Alexandros  28, 98, 119, 120, 147 Papanaoum, Laskaris  66, 72, 95 Papandreou, Andreas  225, 229 Papandreou, Georgios  23, 84, 88, 118, 120, 131, 137, 138 Papaspyrou, Dimitrios  137 Papoulias, Karolos  23, 229 Pappas, Dimitrios  177 Parisius, Theodor  159, 160 Paschkewitz, Erich  134 Paschleben, Walter  64, 173 Paul I., König von Griechenland  119, 132, 140 Pešek, Jiří  10 Pesmazoglou, Michalis  218 Petsalnikos, Philippos  234 Plastiras, Nikolaos  85, 86, 90, 93 Plevris, Kostas  243 Posser, Dieter  162, 170 Poulos, Georgios  40, 92

282 | Personenindex

R Radomski, Paul  78 Rallis, Ioannis  32, 37 – 41, 51, 56, 91, 92 Rau, Johannes  240, 241 Recanati, Ino  95 Recanati, Pepo  95 Rendulic, Lothar  126 Ribbentrop, Joachim von  46 Richter, Heinz A.  20 Rickert, Kurt  57, 173 Rommel, Erwin  38 Roosevelt, Franklin D.  124 Röser, Willi  54 S Salminger, Josef  54 Saltiel, Leon  11 Samaras, Antonis  228, 229 Sbarounis, Athanasios  186 – 188 Scheffel, Helmut  133, 134 Scherpenberg, Albert-Hilger van  216, 217, 225 Schimana, Walter  41, 51, 76, 128 Schlätel, Werner  180 Schmedes, Fritz  59 Schmoller, Gustav von  151, 152, 154, 167 Schönberg, Fritz  30, 68 Schramm Ehrengard, geb. von Thadden  202 – 208 Schramm, Percy Ernst  202 Schröder, Gerhard  227 Schubert, Fritz  131, 133, 134 Schulenburg, Werner von der  227 Schultheiß, Wolfgang  10 Schultz, Hans  134 Schümers, Karl  59 Seelos, Gebhard  158, 174, 214, 218, 221 Seitz, Arthur  134, 136, 138 Sfoundouri, Kondylia  236

Sfoundouris, Argyris  236, 238 Shertock, Moshe  112 Simitis, Kostas  23, 227 Simonidis, Vasileios  68, 72, 94, 160 Sion, Leon  95 Skarpelis-Sperk, Sigrid  240 Soukup, Oberfeldwebel  134, 135 Speidel, Wilhelm  31, 56, 126 Stalin, Josef  85, 87, 124, 184 Stamoulis, Ioannis  231, 235, 239 Stathopoulos, Michalis  234 Stavropoulos, Constantin  123 Sterodimos, Spyros  39 Strauß, Franz Josef  218 Stroop, Jürgen  41, 75, 76, 128 Student, Kurt  29, 30, 174 T Taubert, Alfred  134 Taylor, Telford  126 Themelis, Georgios  166, 168, 171 Tito, Josip Broz  85, 87 Tousis, Andreas  96, 129, 130, 142, 144 – 150, 155 – 157, 166, 171, 176, 177, 201 Tranos, Konstantinos  215 Truman, Harry S.  87, 183, 184 Tsaldaris, Konstantinos  23, 87 Tsatsos, Konstantinos  163 Tsolakoglou, Georgios  27, 32, 33, 36, 65, 66, 91 Tsouderos, Emmanouil  28, 29 Tzatha, Chryssoula  236 U Ulich-Beil, Else  204

Personenindex | 283

V Venezia, David  95 Venizelos, Eleftherios  62, 63 Voulgaris, Petros  90 W Walters, Kurt  153, 157, 160 Weichs, Maximilian von  126 Wenkel, Kurt  138 Wennerstrum, Charles F.  126 Wiesenthal, Simon  167 Wilhelm II von Preußen, Deutscher Kaiser  119 Wisliceny, Dieter  69 – 72, 75, 76, 128 Y Ypsilantis, Thomas  168, 216, 217 Z Zabel, Heinz  98, 136, 138 – 145, 173 Zachariadis, Nikos  86 Zacharias, Günther Erich  171 Zervas, Napoleon  51, 93

Ok ! auc h als eBO

Chryssoula Kambas, marilisa mitsou (hg.)

Die OkkupatiOn GriechenlanDs im Zweiten weltkrieG Griechische und deutsche erinnerunGskultur (grieChenland in europa, band 1)

In Griechenland erinnert man sich bis heute an die deutsche Besatzung der Jahre 1941–1944, im deutschen Gedächtnis hingegen ist dieses Kriegsgeschehen vergessen oder wird beschwiegen. Die Asymmetrie der Vergangenheitsbewältigungen wird mehr als deutlich, wenn man, wie es die Beiträgerinnen und Beiträger dieses Buches getan haben, den beiden Erinnerungskulturen im öffentlichen Bewusstsein, in der Literatur und den Medien nachspürt. Vor allem in Krisenzeiten boomt das Klischee, doch der europäische Alltag mit seinen deutsch-griechischen Arbeits-, Familien- und Kulturbeziehungen setzt sich fort. Das Buch legt die interdisziplinären Grundlagen für eine überfällige Aufarbeitung und ein tragfähiges und dauerhaftes Geschichtsbewusstsein in beiden Ländern. Dieser Titel liegt auch als EPUB für eReader, iPad und Kindle vor. 2015. 509 s. 4 s/w-abb. gb. 155 x 230 mm | isbn 978-3-412-22467-7

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