Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht: Dargestellt an der Küstenregion des Landes [1 ed.] 9783428525027, 9783428125029

Das vorliegende Werk soll die bisher unbefriedigenden Kenntnisse des Umwelt- und Naturschutzes in Litauen durch die krit

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Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht: Dargestellt an der Küstenregion des Landes [1 ed.]
 9783428525027, 9783428125029

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Schriften zum Umweltrecht Band 161

Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht Dargestellt an der Küstenregion des Landes

Von

Uwe Müller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

UWE MÜLLER

Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 161

Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht Dargestellt an der Küstenregion des Landes

Von

Uwe Müller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Rostock hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-12502-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Dankbarkeit für Ilse und Kurt Auf dass Sie mich auf ewig auf meinem Weg begleiten und stets meinen Balkon besuchen mögen

Vorwort Seniai pasaulyje ieškoma bd, kaip sustabdyti augal ir gyvn rši nykim arba š proces bent prognozuoti bei valdyti. Mat iki šiol daugelis rši išnyko net nežinant, ne tariant joms gr susio pavojaus. Apie praradim sužinota tik sunaikinus paskutin ršies individ ar populiacij arba peržengus kritin rib, kai ršies išgelb ti jau ne manoma. Imta registruoti retesnes bei pastebimai nykstanias ršis, steb ti j populiacij bkl, gausumo maž jimo tendencijas, ieškoti rši ret jimo priežasi ir bd joms pašalinti. Gamtoje egzistuojanti gyvyb s form vairov – mus supanios aplinkos ekologinio stabilumo garantas. Išsaugoti ši vairov, užtikrinti, kad nežt ar nebt sunaikinta n viena augal, gyvn, kit organizm ršis, – viena aktualiausi gamtosaugos problem.

LIETUVOS RESPUBLIKOS TAMENTAS: Vilnius, 1992

APLINKOS APSAUGOS DEPAR-

Begonnen hat alles mit einem kleinen Jungen, der zweimal seine Heimat verlassen musste und erst als Großvater, nachdem die Weltordnung zweimal zusammenbrach, mit mir in diese seine Heimat zurückgekehrt ist. Wir kehrten gemeinsam zurück nach Litauen mit dem Blick in die Vergangenheit und die Zukunft gerichtet. Beides war und ist aufs engste mit Europa, dem Begriff, der Region und der Idee die sich dahinter verbirgt, verbunden. Und so ist auch diese Arbeit mit der Vergangenheit und Zukunft Litauens im Herzen Europas befasst. Für die Idee und die Konzeption der Arbeit danke ich an dieser Stelle posthum meinem leider viel zu früh verstorbenen Betreuer Prof. Dr. Günter Schlungbaum. Als Verfechter eines interdisziplinären und ökosystemaren Ansatzes prägte er in der Anfangsphase die Ausrichtung dieser Arbeit und stellte somit als Ökologe die Weichen in Richtung einer fruchtbaren Verbindung zwischen ökologischen und juristischen Denk- und Arbeitsstrukturen. Gemeinsam mit meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Detlef Czybulka gelang es ihm ein Fundament zu errichten, auf dem ich diese Arbeit aufbauen konnte. Meinem Doktorvater sei neben der unermüdlichen fachwissenschaftlichen Unterstüt-

8

Vorwort

zung, der Geduld und der Einbettung meiner Arbeit in sein Graduiertenkolleg „Naturschutzrecht, Landschaftspflege und -ökologie in den Europäischen Staaten“, insbesondere für den wissenschaftlichen Freiraum ganz besonders gedankt, in welchem ich mich durch die Schaffung des interdisziplinären, juristisch-ökologischen Fundamentes bewegen durfte. Ein solcher ganz besonderer Dank gilt auch meinem zweiten wissenschaftlichen Betreuer Herrn Prof. Dr. Günter Arlt, der nicht nur als Koordinator des Stipendienschwerpunktes „Die südliche Ostsee und ihre Küsten im Wandel“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt aufs engste mit mir zusammenarbeitete, sondern der sich, ohne zu zögern, nach dem Tod von Professor Schlungbaum bereit erklärte, die Betreuung meiner Arbeit aus ökologischer Sicht zum erfolgreichen Ende zu führen. Dem Herrn Zweitgutachter Prof. Dr. Wolfgang März sei für die Bereitschaft zur intensiven Einarbeitung in die juristisch-ökologische Ausrichtung der Arbeit im Rahmen der Erstellung seines Gutachtens herzlich gedankt. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Michael Kloepfer für die Aufnahme der Arbeit in seine Schriftenreihe. Die Arbeit wurde durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt finanziell und ideell äußerst großzügig gefördert. Aus dem Kreis der Unterstützer der Stipendiaten und Verantwortlichen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gilt mein ganz besonderer Dank insbesondere Frau Dr. Hedda Schlegel-Starmann, die immer an mich und meine Arbeit geglaubt und auch in schwierigen Phasen des Projekts stets mit Geduld und Kreativität den Fortgang der Arbeit gefördert hat. Ohne die zahlreiche und umfassende Unterstützung von litauischer Seite aus der ökologischen und juristischen Fachwissenschaft, der juristischen Praxis, des Umweltministeriums sowie der litauischen Umwelt- und Naturschutzverbände, wäre die Realisierung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Neben den zahlreichen Helfern sei besonders Herrn Prof. Dr. Antanas Marcijonas, Herrn Prof. Dr. Olegas Pustelnikovas und Herrn Prof. Dr. Pranas Mirauskas gedankt. Frau Dr. Rasa Ragulskyt-Markovien gilt mein besonderer Dank für die Vermittlung zu den jeweiligen Verantwortlichen für die Umsetzung der Anforderungen des Gemeinschaftsrechts innerhalb Litauens. Stellvertretend für die Rostocker Biologen und Ökologen sei den Herren Dr. Peter Frenzel und Dr. Martin Feike aufs herzlichste für die alltägliche Zusammenarbeit und Unterstützung gedankt. Besonderer Dank gilt auch meinem Mitstreiter der ersten Stunden Herrn Dr. Bernd Kwiatkowski, der als Doktorand von Professor Schlungbaum und Stipendiat der Deutschen Bundesstiftung Umwelt unermüdlich zur jedweden Unterstützung bereit und in der Lage war. Großzügige und umfassende Unterstützung erfuhr ich auch durch meine Freunde und meine Familie. Ganz besonderer Dank gilt dabei Christa, meiner Mutter, die unermüdlich zugleich um den Erfolg der Arbeit gebangt, ihn ge-

Vorwort

9

wünscht, um ihn mitgekämpft und schließlich auch an ihn geglaubt hat. Von unbeschreibbarer Art, Umfang und Wirkung war und ist die Unterstützung durch Susann, die wohl am unmittelbarsten sämtliche Höhen und Tiefen der Bearbeitung dieses Projektes miter- und durchleben durfte und musste. Ich bin ihr für so vieles dankbar, auch dafür, dass sie einfach immer für mich da war und ist. Ich hoffe, dass ich ihr in ähnlicher Weise etwas Vergleichbares zurückgeben kann. Dem kleinen Jungen, mit dem alles begann, habe ich für vieles zu danken, wofür es aber keine rechten Worte gibt. Sein Name ist Paul und er ist für immer mein Vater und Freund. New York City, im Oktober 2007

Uwe Müller

Inhaltsverzeichnis

Einleitung…………………………………………………………………………...

35

1. Teil Der Beitrittsprozess und die Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL A. Die Beitrittsvoraussetzungen ......................................................................... I.

40 40

Ausgangsbedingungen und Beitrittsverhandlungen..................................

40

1. Der Screening-Prozess.......................................................................

41

2. Der Rechtstransfer .............................................................................

44

Problemanalyse der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts........................

47

III. Vergleich zu Deutschland und den neuen Bundesländern........................

50

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich........

51

II.

I.

Umfang der Umsetzungsanforderungen im Umweltbereich .....................

51

1. Die Umsetzungsstrategie ...................................................................

52

2. Abfall.................................................................................................

54

3. Bodenschutz ......................................................................................

56

4. Gewässerschutz .................................................................................

57

a)

II.

Die Wasserrahmenrichtlinie .......................................................

57

b)

Richtlinien die von der WRRL unberührt bleiben ......................

58

c)

Richtlinien die durch die WRRL ersetzt werden ........................

61

5. Habitat- und Artenschutz ...................................................................

63

6. Umweltverträglichkeitsprüfung..........................................................

65

Problemanalyse für den Umwelt- und Naturschutzbereich.......................

66

1. Umwelt- und Naturschutz unter ökonomischem Druck .....................

67

2. Die Berücksichtung regionaler Besonderheiten .................................

68

3. Die Dynamik der Rechtsentwicklung.................................................

69

4. Die Finanzierung des Umwelt- und Naturschutzes ............................

69

12

Inhaltsverzeichnis 5. Die Veränderung der „Rechtswirklichkeit“........................................

70

III. Vergleich zu Deutschland und den neuen Bundesländern........................

71

C. Das Umweltrecht in der Europäischen Union ..............................................

74

I.

Die umweltpolitische Entwicklung der Gemeinschaft ..............................

75

II.

Das Umweltrecht im Primärrecht der Gemeinschaft ................................

77

1. Die „Querschnittsklausel“..................................................................

77

2. Hohes Schutzniveau und bestmöglicher Umweltschutz .....................

78

3. Die Handlungsgrundsätze ..................................................................

80

4. Die Schutzklauseln ............................................................................

82

5. Die Berücksichtigung wissenschaftlicher und technischer Daten.......

83

D. Die FFH-Richtlinie .........................................................................................

83

I.

Entstehung der Richtlinie .........................................................................

II.

83

Das Zusammenspiel von FFH-, VS- und WRRL......................................

87

III. Der Inhalt der FFH-Richtlinie ..................................................................

90

1. Die Ziele der Richtlinie .....................................................................

90

2. Die Auswahl der Gebiete und die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste.............................................................................

91

3. Das Schutzregime nach Ausweisung der Schutzgebiete ....................

92

4. Das Schutzregime vor Ausweisung der Schutzgebiete.......................

94

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL..............................................................................................................

99

I.

Die Anforderungen an Handlungsform und Inhalt des Umsetzungsaktes.

99

1. Das Umsetzungsinstrumentarium ......................................................

99

2. Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz ................................................. 100 3. Rechtssicherheit, Klarheit und Bestimmtheit ..................................... 101 II.

Die Ableitung von konkreten Prüfungspunkten........................................ 102 1. Die Ausweisungspflicht nach Art. 4 IV FFH-RL und Art. 4 I 4, II VS-RL............................................................................ 102 2. Die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 I FFH-RL und nach Art. 4 I 1, II VS-RL............................................................................ 105 3. Das Störungs- und Verschlechterungsverbot nach Art. 6 II FFH-RL . 107 4. Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 III und IV FFH-RL............. 108

III. Die Weiterentwicklung der Anhänge der FFH- und VS-RL..................... 112

Inhaltsverzeichnis

13

2. Teil Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

117

A. Vorbemerkung und Untersuchungsansatz ................................................... 117 B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse.............................. 121 I.

Die landschaftlichen Bedingungen Litauens ............................................ 121

II.

Die Kurische Nehrung ............................................................................. 122 1. Vorstellung des Naturraumes............................................................. 123 a)

Entstehung der Kurischen Nehrung............................................ 124

b)

Die Dünenentwicklung............................................................... 126

2. Die Entstehung der Wanderdünen ..................................................... 129 a)

Entwicklung der Pflanzendecke auf der Nehrungsplatte............. 131

b)

Einfluss der Vegetation auf die Wanderdünen ........................... 133

3. Schlussfolgerungen............................................................................ 135 III. Das Kurische Haff.................................................................................... 136 1. Entstehungsgeschichte ....................................................................... 136 2. Wasserhaushalt und Nährstoffbelastung aus dem Einzugsgebiet ....... 136 3. Die Veränderungen der Landschaft „heute und morgen“................... 143 4. Die Belastungen aus dem Einzugsgebiet............................................ 146 a)

Bodenverhältnisse Litauens........................................................ 147

b)

Klima ......................................................................................... 149

c)

Landnutzung............................................................................... 150

5. Umweltgefährdung der Region .......................................................... 151 6. Schlussfolgerungen............................................................................ 153 C. Landschaftsvergleich Kurische Nehrung und Darß-ZingsterBoddenkette .................................................................................................... 154 I.

Die Darß-Zingster-Boddenkette ............................................................... 155 1. Entwicklungsgeschichte..................................................................... 156 2. Einzugsgebiet .................................................................................... 157 3. Schutzwürdigkeit ............................................................................... 161 4. Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft.............................. 163 5. Die Eutrophierung ............................................................................. 166 6. Übersicht über die Emissionsquellen der Nährstoffbelastungen ........ 170 7. Schlussfolgerungen............................................................................ 173

14

Inhaltsverzeichnis II.

Vergleich zur Küstenregion Litauens ....................................................... 173 1. Die Siedlungsdichte der Landschaften............................................... 175 2. Die Entwicklungsgeschichte der Landschaften .................................. 175 3. Die Eutrophierung der Landschaften ................................................. 177 4. Die Umwandlung der Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft ........ 178

III. Schlussfolgerungen .................................................................................. 179 1. Die hohe Küstendynamik und die ökologische Instabilität................. 179 2. Die Aufstellung von Schutzzielen...................................................... 180 3. Das Problem der Eutrophierung......................................................... 181 4. Der ganzheitliche Ansatz ................................................................... 182 D. Die Anhänge nach der FFH- und VS-RL...................................................... 183 I.

Die Nationalparke Litauens – Eine Übersicht .......................................... 183

II.

Die Gebietsvorschläge zur Ausweisung der Natura 2000-Gebiete ........... 188

III. Die Lebensräume von gemeinschaftlicher Bedeutung.............................. 190 IV. Die Fauna und Flora von gemeinschaftlicher Bedeutung ......................... 203 1. Die Änderungsvorstellungen bezüglich der Anhänge der FFH- und VS-RL ............................................................................................... 203 2. Die Liste der Arten nach Anhang II der FFH-RL............................... 209 3. Die Liste der Arten nach Anhang I der VS-RL .................................. 212 4. Die Listen der Fauna und Flora nach Anhang IV der FFH-RL .......... 214 5. Die Liste der Fauna und Flora nach Anhang V der FFH-RL ............. 217 E. Zwischenergebnisse ........................................................................................ 219 I.

Die hohe Küstendynamik und die ökologische Instabilität ....................... 219

II.

Die Aufstellung von Schutzzielen ............................................................ 219

III. Das Problem der Eutrophierung ............................................................... 220 IV. Der ganzheitliche Ansatz ......................................................................... 221 V.

Die Gebietsidentifizierung ....................................................................... 222

VI. Die Fortentwicklung der Anhänge der FFH- und VS-RL......................... 223

3. Teil Das litauische Umwelt- und Naturschutzrecht und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht

226

A. Der Prüfungsgegenstand................................................................................ 226 B. Verfassung und Staatsorganisation............................................................... 227

Inhaltsverzeichnis I.

15

Historische Entwicklung des Staates und seiner Verfassung bis heute ..... 228 1. Die Rückerlangung der vollständigen staatlichen Souveränität.......... 228 2. Die Staatsbildung aus historischer Sicht ............................................ 230

II.

Die Verfassungsstruktur – ein Überblick der Staatsorganisation.............. 234 1. Der Seimas – Das Parlament.............................................................. 235 2. Der Präsident ..................................................................................... 236 3. Die Regierung.................................................................................... 237 4. Das Umweltministerium .................................................................... 238 5. Das Verfassungsgericht ..................................................................... 239 6. Die Struktur des Gerichtswesens ....................................................... 240 7. Selbstverwaltung und territoriale Gliederung..................................... 241 8. Der Staatskontrolleur ......................................................................... 242

III. Umwelt- und Naturschutz als Staatszielbestimmung................................ 242 1. Der Umwelt- und Naturschutz nach Art. 53 und 54........................... 243 2. Vergleich mit entsprechenden Normen auf Gemeinschaftsebene und in Deutschland................................................................................... 245 a)

Gemeinschaftsebene................................................................... 245

b)

Deutschland................................................................................ 248

3. Das Spannungsfeld zur Eigentumsgarantie nach Art. 23 und 47 I...... 251 4. Die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Art. 46 .................... 255 5. Vergleich zur Eigentumsgarantie auf Gemeinschaftsebene und in Deutschland ....................................................................................... 256 a)

Gemeinschaftsebene................................................................... 256

b)

Vergleich zu Deutschland Art. 14 GG........................................ 259

IV. Bewertung................................................................................................ 262 C. Die Parlamentsgesetze als einfachgesetzliche nationale Regelungen .......... 262 I.

Das Umweltschutzgesetz.......................................................................... 263 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 263 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–6 UmSchG ........ 263

b)

Zweiter Teil: Rechte und Pflichten Art. 7–10 UmSchG ............. 264

c)

Dritter Teil: Nutzung und Erfassung der Naturgüter Art. 11–14 UmSchG................................................................... 264

d)

Vierter Teil: Regelungen der wirtschaftlichen Tätigkeit Art. 15–24 UmSchG................................................................... 265

e)

Fünfter Teil: System der Überwachung und Begrenzung Art. 25–27 UmSchG................................................................... 266

16

Inhaltsverzeichnis f)

Sechster Teil: Wirtschaftlicher Umweltmechanismus Art. 28–30 UmSchG................................................................... 266

g)

Siebenter Teil: Staatliche Aufsicht und Verantwortung Art. 31–34 UmSchG................................................................... 267

h)

Achter Teil: Internationale Zusammenarbeit Art. 35 und 36 UmSchG................................................................................ 267

2. Die Charakteristik des Umweltschutzgesetzes ................................... 267 3. Die Umweltschutzinspektoren und die Geltung in der AWZ ............. 268 4. Das Verursacherprinzip ..................................................................... 269 5. Der ganzheitlich integrierende Ansatz und das IKZM ....................... 271 6. Die Umweltverträglichkeitsprüfung................................................... 272 7. Die Strategische Umweltprüfung ....................................................... 274 8. Die Raumplanung .............................................................................. 277 9. Bewertung ......................................................................................... 278 II.

Das Raumplanungsgesetz......................................................................... 278 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 279 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–6 RPlanG .......... 279

b)

Zweiter Teil: Die allgemeine Raumplanung Art. 7–12 RPlanG.. 280

c)

Dritter Teil: Die Sonderraumplanung Art. 13–18 RPlanG.......... 281

d)

Vierter Teil: Die detaillierte Raumplanung Art. 19–26 RPlanG . 282

e)

Fünfter Teil: Das Verfahren der Abstimmung Art. 27 RPlanG .. 282

f)

Sechster Teil: Informationssystem der Raumplanung Art. 28–29 RPlanG..................................................................... 283

g)

Siebenter Teil: Die Öffentlichkeit der Raumplanung Art. 30–33 RPlanG..................................................................... 283

h)

Achter Teil: Die staatliche Raumplanungsaufsicht Art. 34–35 RPlanG..................................................................... 284

i)

Neunter Teil: Sachverständige für Raumplanung Art. 36 RPlanG........................................................................... 284

j)

Zehnter Teil: Schadensersatz und Haftung Art. 37–38 RPlanG.. 284

2. Der Ablauf des Planungsprozesses .................................................... 284 3. Die Strategische Umweltprüfung ....................................................... 286 a)

Die Konkretisierungsphase......................................................... 287

b)

Die Informationsphase ............................................................... 288

c)

Die Kommunikationsphase ........................................................ 290

d)

Die Entscheidungsphase............................................................. 291

e)

Die Publizitätsphase ................................................................... 292

Inhaltsverzeichnis f)

17

Die Kontrollphase ...................................................................... 292

4. Der Bezug zur FFH-RL ..................................................................... 293 5. Der ganzheitlich integrierende Ansatz und das IKZM ....................... 296 6. Bewertung ......................................................................................... 297 III. Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ............................... 298 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 298 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–6 UVPG............ 298

b)

Zweiter Teil: Die Umweltverträglichkeitsprüfung Art. 7–10 UVPG ........................................................................ 299

c)

Dritter Teil: Schlussbestimmungen Art. 11–15 UVPG............... 300

2. Die Teilnehmer der UVP und ihre Funktionen .................................. 300 3. Programm, Bericht und Entscheidungsfindung.................................. 301 4. Informationszugang und Öffentlichkeitsbeteiligung........................... 302 5. Die Umsetzung der UVP-RL ............................................................. 302 a)

Das Vorverfahren ....................................................................... 303

b)

Antragsinhalt.............................................................................. 304

c)

Das Beteiligungsverfahren ......................................................... 305

d)

Die Berücksichtigung der Ergebnisse der Anhörung .................. 306

e)

Die Bekanntmachung der Entscheidung..................................... 307

6. Der Bezug zur FFH-RL ..................................................................... 307 7. Der ganzheitlich integrierende Ansatz und das IKZM ....................... 310 8. Bewertung ......................................................................................... 311 IV. Das Umweltmonitoringgesetz .................................................................. 312 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 312 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–4 UMontG ........ 312

b)

Zweiter Teil: Die Struktur des Umweltmonitorings Art. 5–7 UMontG....................................................................... 313

c)

Dritter Teil: Die Umsetzung des Umweltmonitorings Art. 8–17 UMontG ..................................................................... 313

d)

Vierter Teil: Schlussbestimmungen Art. 18–19 UMontG........... 314

2. Die Objekte des Umweltmonitorings ................................................. 314 3. Das staatliche Umweltmonitoring...................................................... 314 4. Das kommunale Umweltmonitoring .................................................. 315 5. Das Umweltmonitoring der Wirtschaftssubjekte................................ 315 6. Der Bezug zur SUP-RL ..................................................................... 316

18

Inhaltsverzeichnis 7. Der Bezug zur WRRL ....................................................................... 317 8. Der Bezug zur FFH-RL ..................................................................... 318 9. Bewertung ......................................................................................... 318 V.

Das Gesetz über die Besteuerung der Umweltverschmutzung.................. 319 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 320 2. Die Steuervergünstigungen ................................................................ 321 3. Die Kontrolle der Steuerzahlungen.................................................... 321 4. Die Steuerverteilung .......................................................................... 322 5. Die Eutrophierung ............................................................................. 323 6. Das Vorsorgeprinzip.......................................................................... 323 7. Das Verursacherprinzip ..................................................................... 324

VI. Das Gesetz über die Besteuerung staatlicher Naturgüter.......................... 324 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 325 2. Das Vorsorgeprinzip.......................................................................... 326 3. Das Verursacherprinzip ..................................................................... 326 VII. Das Gesetz über die wildlebenden Tiere .................................................. 327 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 327 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–4 WildG............ 327

b)

Zweiter Teil: Der Schutz wildlebender Tiere Art. 5–8 WildG.... 328

c)

Dritter Teil: Die Nutzung von Beständen wildlebender Tiere Art. 9–20 WildG ........................................................................ 328

d)

Vierter Teil: Die Datenbank wildlebender Tiere Art. 21 WildG. 329

e)

Fünfter Teil: Die staatliche Aufsicht Art. 22 WildG................... 329

f)

Sechster Teil: Die Haftung und der Schadensersatz Art. 23–24 WildG ...................................................................... 329

2. Der Schutz wildlebender Tiere und der Flächenschutz ...................... 329 3. Die Nutzung von Beständen wildlebender Tiere................................ 330 4. Der Bezug zur FFH-RL ..................................................................... 331 5. Der Bezug zur VS-RL ....................................................................... 332 6. Bewertung ......................................................................................... 334 VIII. Das Waldgesetz........................................................................................ 334 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 335 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–8 WaldG ........... 335

b)

Zweiter Teil: Die Nutzung der Wälder Art. 9–12 WaldG........... 336

Inhaltsverzeichnis

19

c)

Dritter Teil: Waldkataster und Forstbewirtschaftung Art. 13–14 WaldG...................................................................... 336

d)

Vierter Teil: Wiederherstellung, Anbau und Abholzung Art. 15–16 WaldG...................................................................... 336

e)

Fünfter Teil: Waldschutz Art. 17–21 WaldG ............................. 337

f)

Sechster Teil: Haftung für Verstöße Art. 22–23 WaldG............. 337

g)

Siebenter Teil: Internationale Zusammenarbeit Art. 24–25 WaldG...................................................................... 337

2. Die Waldgruppen............................................................................... 337 3. Das Eigentumsrecht an Wäldern und die Küstenregion ..................... 338 4. Die Rechte und Pflichten der staatlichen Forstbeamten ..................... 340 5. Bezug zur FFH-RL ............................................................................ 341 6. Bewertung ......................................................................................... 341 IX. Das Wassergesetz..................................................................................... 342 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 342 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–3 WaG .............. 342

b)

Zweiter Teil: Eigentum, Rechte und Pflichten der Nutzer Art. 4–8 WaG............................................................................. 343

c)

Dritter Teil: Die Regelung der Wassernutzung Art. 9–17 WaG . 343

d)

Vierter Teil: Wasserschutz und Wasserbewirtschaftung Art. 18–25 WaG......................................................................... 344

e)

Fünfter Teil: Überwachung und Informationsverwaltung Art. 26–30 WaG......................................................................... 344

f)

Sechster Teil: Kostenerstattung und staatliche Beihilfe Art. 31 WaG............................................................................... 345

g)

Siebenter Teil: Schlussbestimmungen Art. 32–34 WaG............. 345

2. Die Flussgebietseinheiten nach Art. 3 WRRL ................................... 345 3. Die Ziele nach Art. 4 WRRL ............................................................. 346 4. Der kombinierte Ansatz nach Art. 10 WRRL .................................... 347 5. Der Bewirtschaftungsplan nach Art. 13 WRRL................................. 349 6. Der Bezug zur FFH- und VS-RL ....................................................... 349 7. Der ganzheitlich integrierende Ansatz und das IKZM ....................... 350 8. Bewertung ......................................................................................... 352 X.

Das Meeresumweltgesetz ......................................................................... 352 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 352 a)

Erster und Zweiter Teil: Allgemeines und Begrifflichkeiten Art. 1–3 MeeresG....................................................................... 352

20

Inhaltsverzeichnis b)

Dritter Teil: Grundprinzipien und Maßnahmen Art. 4–7 MeeresG....................................................................... 354

c)

Vierter Teil: Schutz vor Verunreinigungen aus den Schiffen Art. 8–22 MeeresG..................................................................... 355

d)

Fünfter Teil: Aufnahmeanlagen Art. 23–25 MeeresG ................ 356

e)

Sechster Teil: Entsorgung und Verbrennung Art. 26–29 MeeresG................................................................... 356

f)

Siebenter Teil: Verunreinigung durch Havarien Art. 30–37 MeeresG................................................................... 357

g)

Achter Teil: Information Art. 38–44 MeeresG ........................... 357

h)

Neunter Teil: Verwaltung sonstiger Tätigkeiten Art. 45–51 MeeresG................................................................... 358

i)

Zehnter Teil: Schutz der Küstenregion Art. 52–58 MeeresG...... 359

j)

Elfter Teil: Das Küstenmonitoring Art. 59–60 MeeresG ............ 360

k)

Zwölfter Teil: Das zwischenbehördliche Beratungsamt Art. 61–62 MeeresG................................................................... 361

l)

Dreizehnter Teil: Kontrolle und Verantwortung Art. 63–68 MeeresG................................................................... 361

m) Vierzehnter Teil: Besonderheiten der Anwendung Art. 69–70 MeeresG................................................................... 361 2. Der ganzheitlich integrierende Ansatz und das IKZM ....................... 362 3. Der Bezug zur FFH- und VS-RL ....................................................... 363 4. Bewertung ......................................................................................... 365 XI. Das Schutzgebietsgesetz .......................................................................... 366 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 366 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–2 SchutzG ......... 366

b)

Zweiter Teil: Schutzgebietssystem und Nutzung Art. 3–5 SchutzG........................................................................ 366

c)

Dritter Teil: Strenge Schutzgebiete und Nutzung Art. 6–11 SchutzG...................................................................... 367

d)

Vierter Teil: Komplexe Schutzgebiete und Nutzung Art. 12–15 SchutzG.................................................................... 367

e)

Fünfter Teil: Ökologische Schutzgebiete und Nutzung Art. 16–20 SchutzG.................................................................... 368

f)

Sechster Teil: Das Naturnetzwerk Art. 21–22 SchutzG.............. 368

g)

Siebenter Teil: Festsetzung, Schutz und Pflege Art. 23–29 SchutzG.................................................................... 369

h)

Achter Teil: Staatliche Schutzgebietskontrolle Art. 30 SchutzG

369

Inhaltsverzeichnis

21

i)

Neunter Teil: Rechte und Pflichten in Schutzgebieten Art. 31–32 SchutzG.................................................................... 369

j)

Zehnter Teil: Haftung für Gesetzesverstöße Art. 33–34 SchutzG.................................................................... 369

2. Das Schutzgebietssystem ................................................................... 370 a)

Die Reservate ............................................................................. 370

b)

Die Naturschutzgebiete .............................................................. 371

c)

Die gesetzlich geschützten Objekte der Natur- und Kulturlandschaft......................................................................... 372

d)

Die National- und Regionalparke ............................................... 373

e)

Die Gebiete der Biosphärenbeobachtung ................................... 374

f)

Ökologische Schutzgebiete ........................................................ 375

3. Das Naturnetzwerk und seine Einbeziehung ins Natura 2000 Schutzgebietssystem .......................................................................... 377 4. Die Festsetzung der Schutzgebiete..................................................... 379 5. Die Ausweisungsverpflichtung nach Art. 4 IV FFH-RL und Art. 4 I 4, II VS-RL............................................................................ 380 a)

Die Auswahl nach Art. 4 I FFH-RL und Art. 4 I, II VS-RL........ 381

b)

Die Ausweisungspflicht nach Art. 4 IV FFH-RL........................ 382

c)

Die Ausweisungspflicht nach Art. 4 I 4, II VS-RL ..................... 383

6. Die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 I FFH-RL und nach Art. 4 I 1, II VS-RL............................................................................ 384 7. Das Verschlechterungs- und Störungsverbot nach Art. 6 II FFH-RL . 386 8. Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 III und IV FFH-RL............. 387 a)

Das Verhältnis zum UVPG ........................................................ 388

b)

Das Verhältnis zum RPlanG....................................................... 389

c)

Die Berücksichtigung des Prüfungsergebnisses.......................... 390

d)

Die Ausnahmereglungen nach Art. 6 IV FFH-RL ...................... 391

9. Bodeneigentum: Rechte und Pflichten der Eigentümer, Besitzer und Nutzer................................................................................................ 391 10. Haftung und Schadensersatz .............................................................. 392 11. Bewertung ......................................................................................... 393 XII. Das Gesetz über die geschützten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten und ihre Lebensgemeinschaften ............................................................................. 394 1. Die Regelungen im Überblick............................................................ 395 a)

Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen Art. 1–4 LebensGG...... 395

22

Inhaltsverzeichnis b)

Zweiter Teil: Der Schutzstatus geschützter Arten Art. 5–9 LebensGG .................................................................... 396

c)

Dritter Teil: Regelungen und Kontrolle des Schutzes Art. 10–17 LebensGG ................................................................ 396

d)

Vierter Teil: Kontrolle und Haftung Art. 18–20 LebensGG ....... 397

e)

Fünfter Teil: Völkerrechtliche Verträge Art. 21 LebensGG ....... 397

2. Die Prinzipien des Schutzes............................................................... 397 3. Die besonders geschützten Arten....................................................... 398 4. Die Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung.................................... 398 5. Die Pflichten juristischer und natürlicher Personen ........................... 399 6. Schadensersatz................................................................................... 401 7. Bewertung ......................................................................................... 402 D. Die Schutzgebietsregelungen ......................................................................... 403 I.

Die Schutzgebietsregelungen des Regionalparks „Memeldelta“ .............. 404 1. Die Bestimmungen des Regionalparks „Memeldelta“........................ 404 a)

Die allgemeinen Bestimmungen................................................. 404

b)

Die Ziele des Regionalparks....................................................... 405

c)

Der Schutz des Regionalparks.................................................... 406

d)

Die Leitung des Regionalparks................................................... 406

e)

Die Finanzierung des Regionalparks .......................................... 407

2. Die Zoneneinteilung des Regionalparks „Memeldelta“...................... 407 3. Die Schutzvorschriften des Regionalparks „Memeldelta“.................. 408

II.

a)

Die allgemeinen Bestimmungen und Legaldefinitionen ............. 408

b)

Die Einteilung der Zonen ........................................................... 409

c)

Die Anforderungen der Regelung der Nutzung in den Zonen..... 409

d)

Die im Park geförderte Tätigkeit ................................................ 411

Die Schutzgebietsregelungen zum Nationalpark „Kurische Nehrung“ ..... 411 1. Die Bestimmungen des Nationalparks der Kurischen Nehrung ......... 412 a)

Die allgemeinen Bestimmungen................................................. 412

b)

Ziele, Schutz und Nutzung des Nationalparks ............................ 413

c)

Die Leitung des Nationalparks ................................................... 413

d)

Die Finanzierung des Nationalparks........................................... 414

2. Der Generalplan des Nationalparks der Kurischen Nehrung.............. 414 a)

Die allgemeinen Bestimmungen................................................. 415

b)

Die Einteilung in Funktionszonen .............................................. 415

Inhaltsverzeichnis c)

23

Die Verbesserung der Infrastruktur und das Abwasserproblem.. 416

3. Die Schutzvorschriften des Nationalparks der Kurischen Nehrung.... 417 a)

Die allgemeinen Bestimmungen und Legaldefinitionen ............. 417

b)

Die Einteilung der Zonen ........................................................... 417

c)

Die Anforderungen der Regelung der Tätigkeit in den Zonen .... 418

d)

Die im Park geförderten Tätigkeiten........................................... 419

III. Bewertung................................................................................................ 420 Die Zusammenfassung der Ergebnisse durch die Aufstellung der Thesen……. 422 Anhang Farbtafeln.………………………………………………………………..

427

Literaturverzeichnis….……………………………………………………………

447

Sachregister…...…………………………………………………………………… 474

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Höhenentwicklung der Dünenberge ........................................................130

Tabelle 2:

Nährstoffbelastungen in t/a, aus dem Einzugsgebiet des Nemunas .........138

Tabelle 3:

Veränderung in der Nährstoffbelastung in t pro Jahr...............................142

Tabelle 4:

Wasserqualitätsklassen in Litauen nach Nährstoffgehalt.........................146

Tabelle 5:

Oberflächensedimente in Litauen............................................................147

Tabelle 6:

Bodentypen in Litauen ............................................................................148

Tabelle 7:

Verteilung der Bewaldung nach Bodentyp ..............................................148

Tabelle 8:

Klimaverhältnisse in Litauen...................................................................149

Tabelle 9:

Verteilung der Waldschadensklassen ......................................................150

Tabelle 10: Bevölkerungsdichte Bund, Land und Boddenregion ...............................159 Tabelle 11: Art der Landnutzung in km² (%) Anteil des Einzugsgebiets (EZG) ........159 Tabelle 12: Siedlungs- und Verkehrsflächen..............................................................160 Tabelle 13: Entwicklungen der Stoffbilanzen in den Darß-Zingster Boddengewässern....................................................................................169 Tabelle 14: Entwicklung der Abwasserbehandlung für Oberflächengewässer in Deutschland ............................................................................................169 Tabelle 15: Nährstoffbelastung im dt. Ostseeeinzugsgebiet und im BoddenEinzugsgebiet (EZG)...............................................................................170 Tabelle 16: Verhältnis punktuelle zu diffusen Emissionsquellen ...............................172 Tabelle 17: Gliederung der inneren Küstengewässer an der südlichen Ostsee ...........174 Tabelle 18: Mittlere Wasserhaushaltsbedingungen in den ausgewählten Küstengewässern der südlichen Ostsee (F=Flusswasserzufuhr, N = Niederschlag, V = Verdunstung, E = Einstrom, A = Ausstrom) ........................176 Tabelle 19: Durchschnittliche jährliche Wassererneuerung (ER/a) bezogen auf die Hauptbilanzglieder (F = Flusswasserzufuhr, E = Einstrom und A = Ausstrom) ........................................................................................177 Tabelle 20: Nationalparke in Litauen.........................................................................184 Tabelle 21: Lebensräume nach Anhang I der FFH-RL, die in Litauen im Bereich ihres natürlichen Vorkommens vom Verschwinden bedroht sind, im Vergleich zu M-V ...................................................................................191 Tabelle 22: Liste der Lebensräume nach Anhang I der FFH-RL, die aufgrund ihres begrenzten Vorkommens ein geringes natürliches Verbreitungsgebiet in Litauen haben, im Vergleich zu M-V ..................................................195

Tabellenverzeichnis

25

Tabelle 23: Liste der Lebensräume nach Anhang I der FFH-RL, die typische biogeographische Merkmale der Regionen in Litauen aufweisen, im Vergleich zu M-V ...................................................................................196 Tabelle 24: Liste von weiteren Lebensräumen in Ergänzung der Angaben in Tab. 21 bis 23..........................................................................................197 Tabelle 25: Änderungsvorstellungen Litauens während der Beitrittsverhandlungen ..203 Tabelle 26: Liste von den in Litauen vorhandenen Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlicher Bedeutung, zu deren Erhaltung wichtige Gebiete des Lebensraumschutzes zu gründen sind ...............................................209 Tabelle 27: Liste von in Litauen brütenden Vogelarten von gemeinschaftlicher Bedeutung, zu deren Erhaltung wichtige Gebiete des Vogelschutzes zu gründen sind .......................................................................................212 Tabelle 28: Liste von Tierarten von gemeinschaftlicher Bedeutung, die strengen Schutzes bedürfen ...................................................................................215 Tabelle 29: Liste von Pflanzenarten von gemeinschaftlicher Bedeutung, die strengen Schutzes bedürfen .....................................................................216 Tabelle 30: Liste von Tierarten von gemeinschaftlicher Bedeutung, die gemäß den vom Ministerium bestätigten Regeln aus der Natur entnommen und genutzt werden können............................................................................217 Tabelle 31: Liste von Pflanzenarten von gemeinschaftlicher Bedeutung, die gemäß den vom Ministerium bestätigten Regeln aus der Natur entnommen werden können ........................................................................................218

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Entstehung der Kurischen Nehrung, Schema der Entwicklung. ..........125

Abbildung 2:

Schema der Entwicklung der Strandhaferdünen ..................................126

Abbildung 3:

Schema der Dünenentwicklung quer zur Hauptwindrichtung..............127

Abbildung 4:

Schema der Dünenentwicklung ...........................................................132

Abbildung 5:

Kurisches Haff mit Tiefenangaben......................................................137

Abbildung 6:

Wasserabfluss über das Haff in die Ostsee..........................................140

Abbildung 7:

Mischungszonen von Fluss- und Seewasser im Haff...........................141

Abbildung 8:

Zukünftige Entwicklung des Kurischen Haffs bis ins 4. Jahrtausend ….…............................................................................144

Abbildung 9:

Das Kurische Haff im Jahre 3500 (a); Durchbruch über den südlichen Nebenarm des Nemunas der Matrosovka über die Nehrung in die Ostsee (b)....................................................................145

Abbildung 10: Sturzhang der Wanderdüne zum Haff .................................................427 Abbildung 11: Wanderdüne erreicht das Haff, mit Blick auf Nida..............................427 Abbildung 12: Aktive Wanderdüne..............................................................................428 Abbildung 13: Aktive Wanderdüne mit Blick in Richtung Kaliningrader Gebiet ........428 Abbildung 14: Wanderdüne erreicht das Haff, Blick von Nida in Richtung Kaliningrader Gebiet ...........................................................................429 Abbildung 15: Sturzhang der Wanderdüne auf der Haffseite begräbt die Palvenvegetation unter sich.................................................................429 Abbildung 16: Wasseraustausch des Haffs .................................................................430 Abbildung 17: Phosphorbilanz des Kurischen Haffs...................................................430 Abbildung 18: Stickstoffbilanz des Kurischen Haffs ..................................................431 Abbildung 19: Entwicklung des Phosphoreintrags in die Ostsee über das Haff in t pro Jahr .........................................................................................431 Abbildung 20: Entwicklung des Stickstoffeintrags in die Ostsee über das Haff in t pro Jahr .........................................................................................432 Abbildung 21: Stickstoffbelastung der Flüsse im Vergleich der Baltischen Staaten ...432 Abbildung 22: Phosphorbelastung der Flüsse im Vergleich der Baltischen Staaten....433 Abbildung 23: Entwicklung der Küstenlinie der Haupteinströme des Nemunas .........433 Abbildung 24: Mündungsgebiet des Nemunas im Regionalpark.................................434 Abbildung 25: Wasserqualität Litauens auf Nährstoffe bezogen.................................434

Abbildungsverzeichnis

27

Abbildung 26: Darß-Zingster Boddenlandschaft.........................................................435 Abbildung 27: Die Entstehung und die Dynamik der Landschaft von FischlandDarß-Zingst .........................................................................................436 Abbildung 28: Raumnutzung der Boddenlandschaft...................................................437 Abbildung 29: Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft mit Zonierung ........437 Abbildung 30: Erweiterung der Gebietsmeldung in der 3. Tranche im Bereich der Darß-Zingster Bodden.........................................................................438 Abbildung 31: Natura 2000 Gebietsvorschläge nach der 3. Tranche mit Vogelschutzgebieten ...........................................................................439 Abbildung 32: Natura 2000 Gebietsvorschläge in der Darß-Zingster-Boddenregion ..439 Abbildung 33: Die Nährstoffbilanz für Phosphor........................................................440 Abbildung 34: Die Nährstoffbilanz für Stickstoff .......................................................440 Abbildung 35: Schutzgebiete in Litauen .....................................................................441 Abbildung 36: Unabhängige Vorschläge zu den FFH-Gebieten in Litauen.................441 Abbildung 37: Ausschnitt der gesamten Gebietsmeldungen .......................................442 Abbildung 38: Important Bird Areas der litauischen Küstenregion ………………... 442 Abbildung 39: Gebietsmeldungen für die litauischen Natura 2000 Schutzgebiete ......443 Abbildung 40: Biogeographische Regionen nach der Erweiterung der Europäischen Union ...........................................................................443 Abbildung 41: White Dunes .......................................................................................444 Abbildung 42: Nemunasdelta......................................................................................444 Abbildung 43: Coastal Lagoon ...................................................................................445 Abbildung 44: Die Kurische Nehrung als Ausschnitt der Gebietsvorschläge nach Natura 2000.........................................................................................445 Abbildung 45: Das Nemunasdelta als Ausschnitt der Gebietsvorschläge nach Natura 2000.........................................................................................446

Abkürzungsverzeichnis a

Jahr

a.A.

anderer Ansicht

aaO

am angegebenen Ort

Abb.

Abbildung

ABl.

Amtsblatt

Abl. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AWZ

Ausschließliche Wirtschaftszone

BauGB

Baugesetzbuch

Bbg.

Brandenburg

Bd.

Band

Begr.

Begründung

BfN

Bundesamt für Naturschutz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BMU

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

BNatSchG

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz)

BR-Drs.

Bundesratsdrucksache

Bschl.

Beschluß

BSEP

Baltic Sea Environment Proceedings

Bsp.

Beispiel

BSPA

Baltic Sea Protected Area

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

Abkürzungsverzeichnis BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

29

cm

Zentimeter

CO2

Kohlendioxid

DDR

Deutsche Demokratische Republik

Dez.

Dezember

DG

Direction Generale, Generaldirektion bei der Europäischen Kommission

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

Doc.

Document

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

dt.

deutsch

DVBl

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

ebd.

ebenda

EC

Environment Committee

ECE

Economic Commission for Europe, eine Kommission des

EG

Europäische Gemeinschaft

entspr.

entsprechend

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EUCC

European Union for Coastal Conservation

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuR

Europarecht (Zeitschrift)

Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen

EurUP

Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht

EUV, EGV

EU-Vertrag, EG-Vertrag (Die Verträge auf denen die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften beruhen)

e.V.

eingetragener Verein

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f., ff.

nächste Seite, fortfolgende Seiten

FCKW

Fluorchlorkohlenwasserstoff

30

Abkürzungsverzeichnis

FFH-RL

Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EG

Fn.

Fußnote

GBl.

Gesetzblatt

geänd.

geändert

gem.

gemäß

GG

Grundgesetz

GS

Gesetzessammlung

GVOBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

ha

Hektar

HELCOM

Helsinki-Kommission, Baltic Marine Environment Protection Commission

Hess. VGH

Hessischer Verwaltungsgerichtshof

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

Hs.

Hauptsache

IBA

Important Bird Area (von Verbänden erarbeitete Schattenliste der Vogelschutzgebiete)

idF

in der Fassung

IHK

Industrie- und Handelskammer

IKZM

Integriertes Küstenzonenmanagement

IMO

International Maritime Organisation (Internationale Seeschiffahrtsorganisation)

i.S.

im Sinne

IUCN

International Union for Conservation of Nature and Natural Resources

IUR

Informationsdienst Umweltrecht (Zeitschrift)

i.V.m.

in Verbindung mit

JöR

Jahrbuch des öffentliches Recht

JZ

Juristen Zeitung

Kap.

Kapitel

kg

Kilogramm

KKW

Kernkraftwerk

km

Kilometer

2

Quadratkilometer

3

Kubikkilometer

km km

Abkürzungsverzeichnis

31

KOM

Kommission (der Europäischen Gemeinschaften)

Konv.

Konvention

l

Liter

LANA

Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung

LebensGG

Gesetz über geschützte Tier-, Pflanzen- und Pilzarten und ihre Lebensgemeinschaften (Litauen)

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift)

LNatSchG

Landesnaturschutzgesetz

LSG

Landschaftsschutzgebiet

lt.

laut

LT-Drs.

Landtagsdrucksache

LUNG

Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern

LWG

Landeswassergesetz

m

Meter

MAB

Man and the Biosphäre, Unesco-Programm

mdl.

mündlich

MeeresG

Meeresumweltgesetz (Litauen)

mg

Milligramm

Mitt.

Mitteilung

ml

Milliliter

M-V

Mecklenburg-Vorpommern

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

N

Stickstoff

NatSchG

Naturschutzgesetz

NatStG

Gesetz über die Besteuerung staatlicher Naturgüter (Litauen)

NGO

Non governmental organization (privatrechtliche Verbände)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NN

Normalnull

NO

Nordost

NO3

Nitrat

Nov.

November

Nr.

Nummer

NuL

Natur und Landschaft (Zeitschrift)

32

Abkürzungsverzeichnis

NuR

Natur und Recht (Zeitschrift)

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

O

Ost

O2

Sauerstoff

o.O.

ohne Ortsangabe

org.

organisch

OVG

Oberverwaltungsgericht

P

Phosphor

pH

Parameter für Alkalität

Prot.

Protokoll

PSA

Particular Sensitive Area (EG-Vogelschutzrichtlinie)

PSU

Practical Salinity Unit

qm

Quadratmeter

rd.

rund

RdE

Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift)

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer

ROW

Zeitschrift für Ostrecht und Rechtsvergleichung

RPlanG

Raumplanungsgesetz (Litauen)

Rs.

Rechtssache

s.

siehe

S.

Seite

s.a.

siehe auch

SAC

Special Area of Conversation (FFH-RL: national geschützte Gebiete)

SchutzG

Schutzgebietsgesetz (Litauen)

SCI

Site of Community Importance (FFH-RL: Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung)

Sept.

September

Slg.

Sammlung, Amtliche Sammlung des Europäischen Gerichtshofs

sm

Seemeile

sog.

so genannt

Sp.

Spalte

SPA

Special Protection Area (Vogelschutzgebiet nach der VSRL)

Abkürzungsverzeichnis

33

SRU

Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen

SRÜ

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen

SSO

Südsüdost

StAUN

Staatliches Amt für Umwelt und Natur

StGB

Strafgesetzbuch

StuW

Steuer und Wirtschaft

s.u.

siehe unten

SUP-RL

Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen für Pläne und Programme

t

Tonne

Tab.

Tabelle

TA Lärm

Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm

TA Luft

Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft

TGL

Technische Güte- und Leistungsnorm

u.a.

unter anderem, und anderswo

UBA

Umweltbundesamt in Berlin

UGB-AT

Professorenentwurf eines Allgemeinen Teils eines Umweltgesetzbuchs

UGB-BT

Professorenentwurf eines Besonderen Teils eines Umweltgesetzbuchs

UGB-KomE

Entwurf einer Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

UMontG

Umweltmonitoringgesetz (Litauen)

UmSchG

Umweltschutzgesetz (Litauen)

UmStG

Gesetz über die Besteuerung der Umweltverschmutzung (Litauen)

UN

United Nation

UNESCO

United Nations Educational Scientific and Cultural Organization

UPR

Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift)

Urt.

Urteil

usw.

und so weiter

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

UVPG

Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (Litauen)

UVP-RL

Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung

v.

von, vom

34

Abkürzungsverzeichnis

Verf.

Verfasser

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vorbem.

Vorbemerkung

VS-RL

Vogelschutzrichtline

WaG

Wassergesetz (Litauen)

WaldG

Waldgesetz (Litauen)

WG

Wassergesetz des Landes

WGO

Monatshefte für Osteuropäisches Recht

WHG

Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz)

WildG

Gesetz über die wildlebenden Tiere (Litauen)

WiRO

Wirtschaft und Recht in Osteuropa

WRRL

Wasserrahmenrichtline

WWF

World Wildlife Fund

z.B.

zum Beispiel

ZfS

Zeitschrift für das Recht der Sozialen Sicherheit

ZfU

Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht

ZfW

Zeitschrift für Wasserrecht

zit.

zitiert

zul.

zulässig

ZUR

Zeitschrift für Umweltrecht

Einleitung Litauen, das als erste Sowjetrepublik den Austritt aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) am 11. März 1990 proklamierte, leitete durch seinen konsequenten Unabhängigkeitswillen den Zerfall der Sowjetunion ein1. Heute sieht es sich dem Nachbarn Russland mit Zurückhaltung und Misstrauen, aber auch langjährigen wirtschaftlichen Beziehungen gegenüber2. Neben der Eigenstaatlichkeit war und ist die Integration in die Europäische Union (EU) ein wichtiges außen- und innenpolitisches Ziel aller seit 1990 Regierenden in Litauen3. Mit der Unterzeichnung des Vertrages über den Beitritt zur EU am 16.4.2003 in Athen4 und dem formalen Beitritt zur EU am 1.5.2004 wurden zwar wichtige Zwischenziele auf diesem Weg erreicht. Die Bewältigung der Umstrukturierung von der sowjetischen Planwirtschaft in eine funktionierende Marktwirtschaft wird jedoch noch langfristig eine Herausforderung sein. Dieser „Regenerationsprozess“ findet dabei unter schwierigen ökonomischen Bedingungen statt5. Dem Erkennen der Spannungslage zwischen dem notwendigen und von der EU geforderten wirtschaftlichen Wachstum6 und den naturwissenschaftlichen Erfordernissen eines wirksamen Umwelt- und Naturschutzes7 kommt dadurch eine besondere Bedeutung zu. Dabei ist eine Lösung des Konfliktes zwischen ökonomischer Stabilität und Wachstum sowie ökologischer Verantwortung, vor allem in den jungen Reformstaaten wie Litauen, äußerst schwierig8. Die Verbindung von wirtschaftlich notwendigem Aufschwung und der möglichst gleichzeitig erfolgenden ökologischen Neuorientierung muss in Litauen gelingen, sollen die Erwartungen der EU und der eigenen Bevölkerung nicht ___________ 1 Vgl. Müller, in: RMB 2002, 108: für die Akte der Wiederherstellung der Unabhängigkeit; zuvor erfolgte schon die Souveränitätserklärung am 18.05.1989: vgl. Heinatz, in: WiRO 1996, 241. 2 Pumberger, in: Herder Korrespondenz 2000, 632. 3 Becker, in: ZfS 2001, 257; Pysz, in: Osteuropa-Wirtschaft 1999, 342. 4 Vgl. Schladebach, in: LKV 2004, 10; ABl. EU 2003 Nr. L 236 und C 227 E; BGBl. 2003 II 1410. 5 Armbrüster, in: „Handbuch Baltikum heute“, S. 47. 6 EU-Kommission in „Bericht“ 2001, 37. 7 EU-Kommission in „Bericht“ 2001, 98. 8 Vgl. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen v. 22.02.1999 in ABl. C 51/33, S. 38.

36

Einleitung

enttäuscht werden9. Andererseits können derartige Konflikte bei ihrer Zuspitzung zu einer Lösung in Form neuartiger Ansätze und Methoden führen10. Zunächst wird regelmäßig die Sanierung oder die durch Marktmechanismen erzwungene Schließung von veralteten, unrentablen Industriebetrieben zum vorläufigen Ziel führen11. Zusätzlich wird mit der Verminderung des Rohstoff- und Energieeinsatzes sowie der Absenkung der Ausschuss- und Abfallproduktion, sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht, ein vorübergehender Erfolg erzielt12. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Entlastung der Umwelt durch Wachstumseffekte konterkariert wird13, da die angestrebte Erhöhung des Lebensstandards die Menge der erzeugten Güter und Dienstleistungen vergrößert, wodurch trotz verbesserter Umweltverträglichkeit von Produkten und Produktionsprozessen eine höhere Umweltbelastung entstehen kann14. Eine ökologisch motivierte Industriepolitik mit Energiesteuern und dem Verzicht auf ökologisch nachteilige Erhaltungssubventionen kann zu einem Ausgleich zwischen ökonomischem Wachstum und ökologischer Umweltpolitik beitragen15. Gerade die großen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft beinhalten für Litauen die Möglichkeit, innerhalb des Strukturwandels als positiven Effekt gleichzeitig die Umwelt sanieren zu können und damit, die in den „alten“ Mitgliedsländern der EU so kostenintensive nachträgliche „ökologische Renovierung“ zu vermeiden16. Der Gefahr, durch die Zulassung geringerer Umweltschutzstandards ausländische Investoren ins Land zu holen, sollte widerstanden werden, da diese kurzsichtige Politik zur nachträglichen und viel aufwändigeren Altlastenbeseitigung führen müsste, welche der präventiven Verhinderung von Umweltbelastungen entgegenwirkt17. Vielmehr können die bestehenden Standortvorteile, wie langfristige Steuerbefreiungen und hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu niedrigen Arbeitskosten offensiv zur Anwerbung von Investoren eingesetzt werden18.

___________ 9

Vgl. Müller, in: RMB 2002, 109. Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 382; Marcijonas/Sudaviius, „Litauen“, S. 158. 11 Müller, in: RMB 2002, 109. 12 Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 382. 13 Steurer, in: ZfU 2001, 539; Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 382. 14 Steurer, in: ZfU 2001, 542. 15 Jachmann, in: StuW 2000, 239; Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 382; Steurer, in: ZfU 2001, 542; vgl. dazu weiterführend: Kudert, in: WISU 1990, 569 ff.; Priewe, in: ZfU 2002, 153 ff.; Santarius, in: ZfU 2002, 125 ff.; Braun/Kitterer, in: ZfU 2001, 179 ff.; Jakubowski, in: ZfU 2001, 587 ff.; Taistra, in: ZfU 2001, 241 ff. 16 Getzner, in: ZfU 2001, 145; Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 383. 17 Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 383. 18 Jachmann, in: StuW 2000, 239; Gneveckow, in: Osteuropa 1993, 383. 10

Einleitung

37

Nachfolgend soll den Anforderungen an den Natur- und Ökosystemschutz19 Raum geboten werden, da die für die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Binnenmarktes der EU im Vordergrund des allgemeinen Interesses stehenden technischen Anforderungen an den Umwelt- und Naturschutz mit der Überwachung der Umsetzung durch die Mitbewerber sichergestellt werden. Die bisher unbefriedigenden Kenntnisse des Umwelt- und Naturschutzes in Litauen gilt es, durch die kritische Aufarbeitung und Darstellung der rechtlichen Grundlagen zu schließen und auf ihre Konformität mit den entsprechenden europarechtlichen Vorgaben hin zu analysieren. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist auf die Untersuchung der Bemühungen zur Errichtung des kohärenten europäischen ökologischen Schutzgebietssystems „Natura 2000“ nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie20 (FFH-RL) unter Einbeziehung der Vogelschutzrichtlinie21 (VS-RL) zu legen. Um bei der Analyse der Umsetzung der Gemeinschaftsvorgaben des Umwelt- und Naturschutzes Perspektivverzerrungen zu minimieren, sollte sich der Blick nicht auf eine Betrachtung des bloßen Gesetzestextes verengen, sondern auch die tatsächliche Situation, das politische, historische, wirtschaftliche, rechtliche und administrative Umfeld des Umwelt- und Naturschutzrechts sowie den Standard des Rechtsvollzugs ins Blickfeld einbeziehen22. Dabei können die spezifisch geographischen, ökonomischen, ökologischen und administrativen Gegebenheiten analysiert und in das jeweilige Staats- und Verwaltungsrecht eingebettet werden23. Voraussetzung bei der Bewertung ist dabei die genügende Distanz von der eigenen Rechtsordnung, d. h. insbesondere die Bereitschaft, deren Schwächen zu benennen und bei der Darstellung ihrer Stärken nicht die Möglichkeit positiver Alternativen in anderen Ländern zu übersehen24. Diesem Erfordernis soll durch einen entsprechenden Seitenblick auf die bundesdeutschen Probleme bei der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprochen werden25. ___________ 19

Vgl. Müller, in: RMB 2002, 90. Richtlinie 92/43/EWG v. 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. Nr. L 206, S. 7 ff., zuletzt geändert durch RL 97/62/EG, ABl. Nr. L 305, S. 42 ff. 21 Richtlinie 79/409/EWG v. 2.04.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. Nr. L 103, S. 1, zuletzt geändert durch RL 97/49/EG, ABl. Nr. L 223, S. 9 ff. 22 Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 25. 23 Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 31. 24 Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 32. 25 Durch die föderale Verfasstheit Deutschlands bedarf es auch einer Beleuchtung der landesrechtlichen Bemühungen zur Umsetzung des europäischen Habitatschutzrechts. Dabei drängt sich die Berücksichtigung Mecklenburg-Vorpommerns wie keine andere Region auf. Als Ostseeküstenstaat hat es vergleichbare landschaftliche Bedingungen und als eines der fünf „neuen“ Bundesländer teilt es mit Litauen die sozialistische Vergan20

38

Einleitung

Durch die Berücksichtigung des Umfeldes des Umwelt- und Naturschutzrechts soll ein Schwerpunkt der Arbeit, neben der Untersuchung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts selber, in der Berücksichtigung der ökologischen Belange in Form einer Landschaftsanalyse des litauischen Küstenraumes gesetzt werden. Damit wird neben den ökologischen Konflikten der Region auch die Darstellung der landschaftlichen Besonderheiten möglich. Ein Landschaftsvergleich der litauischen Küstenregion um die Kurische Nehrung zur Region um die Darß-Zingster-Bodden in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) bietet sich in zweierlei Hinsicht an. Zunächst wird die gemeinsame Charakteristik der Regionen als Küstengebiete der südlichen Ostsee eine Vergleichbarkeit bezüglich des Umgangs mit den Anhängen der FFH-RL und VS-RL ermöglichen. Zusätzlich bieten die gemeinsame sozialistische Vergangenheit und der damit verbundene Umgang mit dem Thema Umwelt- und Naturschutz eine Ausgangsbasis für ein gegenseitiges Verständnis und den Austausch von Lösungsvorschlägen bei der Bewältigung der ökologischen Probleme in Litauen. Diese Probleme sollen durch die Darstellung der umweltpolitischen und gesellschaftlichen Situation in Litauen im Zuge des Beitrittsprozesses einbezogen werden, welche wiederum für ein Verständnis des Umwelt- und Naturschutzrechts hilfreich sind. Bezüglich dieser Ausgangslage bietet sich auch ein kurzer Seitenblick auf die umweltpolitische Situation in den neuen deutschen Bundesländern in der Phase des Beitritts zur Bundesrepublik und zu den Europäischen Gemeinschaften an. Dabei wird im ersten Teil der Arbeit auf den litauischen Beitrittsprozess, die Probleme im gesellschaftlichen und umweltpolitischen Bereich und die Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL einzugehen sein. Im zweiten Teil erfolgt die Darstellung der litauischen Küstenregion im Vergleich zur Region um die Darß-Zingster-Bodden in M-V, bevor die Umsetzung der Anforderungen aus den Anhängen der FFH- und VS-RL dargestellt und bewertet wird. Anschließend erfolgt im dritten Teil die Darstellung und Bewertung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts und seiner Konformität mit der FFH- und VS-RL. Dabei wird auf die Verfassung und die Staatsorganisation als Bezugspunkt für die Bewertung einzugehen sein. Die Einbeziehung des Landschaftsvergleichs stellt auch die Abkehr der Arbeit von dem für die Vorstellung einer fremden Rechtsordnung gebräuchlichen Rechtsvergleich heraus. Vielmehr soll neben dem internationalen Charakter der Arbeit der interdisziplinäre Ansatz, d. h. die Verbindung von Umwelt- und Naturschutzrecht mit insbesondere dem ökologischen Umfeld deutlich werden.

___________ genheit und die umfassenden Veränderungen danach. Wenn auch die Ausgangsbedingungen erhebliche Unterschiede aufweisen, sind die Gemeinsamkeiten evident und bei keinem anderen Mitgliedstaat der EU in dieser Form vorhanden.

Einleitung

39

Als Ziele der Arbeit lassen sich somit die folgenden Punkte herausstellen: –

Darstellung der gesellschaftlichen und politischen Probleme des Beitrittsprozesses.



Vorstellung der landschaftlichen Gegebenheiten und der ökologischen Situation der litauischen Küstenregion.



Darstellung und Bewertung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts.



Analyse der Umsetzung der Anforderungen aus der FFH- und VS-RL.

Die notwendige Umsetzung der FFH-RL als die zentrale Richtlinie des Habitatschutzrechts auf Gemeinschaftsebene soll in diesem Zusammenhang den Rahmen für die Bewertung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts bilden.

1. Teil

Der Beitrittsprozess und die Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL Bevor die Konformitätsanforderungen für das Umwelt- und Naturschutzrecht der Republik Litauen nach der FFH-RL (D. und E.) aus rechtlicher Sicht erörtert werden, sollen zunächst die Beitrittsvoraussetzungen im Allgemeinen (A.) und die Probleme im umweltpolitischen Bereich im Besonderen (B.) verdeutlicht werden. Als Übergang zur Darstellung der FFH-RL wird eine kurze Vorstellung des primären Umweltgemeinschaftsrechts erfolgen (C.).

A. Die Beitrittsvoraussetzungen Zur Verdeutlichung der Ausgangsbedingungen für den erfolgten Beitritt Litauens sollen an dieser Stelle die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen des Systemwechsels und die damit verbundenen grundsätzlichen Probleme der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen dargestellt werden. Um den Blickwinkel aus der eigenen Rechtsordnung mit zu berücksichtigen, wird der Bezug zur durchaus vergleichbaren Situation in den neuen deutschen Bundesländern hergestellt.

I. Ausgangsbedingungen und Beitrittsverhandlungen Aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit von Litauen und Deutschland besteht für die weitere Gestaltung Europas ein großes Bedürfnis nach Ausbau der gegenseitigen Beziehungen1. Seit 1992 steht im Litauischen Parlament eine Gruppe von Abgeordneten bereit, die für das Verhältnis zu Deutschland verantwortlich zeichnet. Nach der Anerkennung durch die Vereinten Nationen am 17.09.1991 und durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 27.08.1991 war das nächste Ziel der litauischen Außenpolitik der Beitritt zur EU. Nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens am 18.07.1994 und ___________ 1

Vgl. Salmonowicz, in: Studia Maritima 1987, S. 41 ff.

A. Die Beitrittsvoraussetzungen

41

des Assoziierungsabkommens (dem sogenannten Europaabkommen)2, zwischen der EU und Litauen am 12.06.1995 sowie der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages3 am 16.04.2003 in Athen und dem zustimmenden Referendum4 der Litauer selbst, stand es Litauen frei, die erforderlichen Umsetzungsschritte bis zum Beitritt am 1. Mai 2004 vorzunehmen5.

1. Der Screening-Prozess Eine Zusammenarbeit in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Hinsicht und die damit verbundenen strengen „Screenig“ Runden6 sollten Litauens Weg in die EU über die Beschleunigung des Prozesses der Rechtsanpassung ebnen7. Im Ergebnis des „Screening-Prozesses“8 wurden die Defizite des litauischen Rechtssystems in Hinblick auf die Konformität mit dem Gemeinschaftsrecht aufgezeigt und Vorschläge für die notwendigen Veränderungen innerhalb bestehender Regelungen sowie den Erlass neuer Regelungen von den Verhandlungspartner auf Seiten der EU unterbreitet9. Nach Art. 49 des EU-Vertrages (EUV)10 kann jeder europäische Staat, der die in Art. 6 I EUV genannten Grundsätze, wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenwürde und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit erfüllt, einen Antrag zur Aufnahme in die EU stellen11. Der Antrag ist an den Rat zu richten, der nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung der ab___________ 2 Vgl. Beschluss der Rates und der Kommission über den Abschluss des Europaabkommens v. 19.12.1997 in ABl. EG L 51/1998, S. 1 ff. 3 Vgl. Beitrittsvertrag vom 16.04.2003 in ABl. EU 2003 L 226 und C 227. 4 Vgl. zum Ergebnis des Referendums in Litauen über den Beitritt zur EU vom 10. und 11.05.2003 im Internet unter http://www.euro.lt 5 Schütz, „Fragen zum acquis communautaire“, S. 192 ff. und 215; Heinatz, in: WiRO 1996, 244. 6 Vgl. „Beschluß des Rates v. 6.12.1999 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Republik Litauen“, in: ABl. EG L 333/41 (28.12.1999), S. 42. 7 Pysz, in: Osteuropa-Wirtschaft, 1999, 343; Bergmann, „Recht und Politik der EU“, S. 409. 8 Vgl. zum Prozess in Polen: Bepler, „Naturschutzrecht in Polen“, S. 145. 9 Vgl. zum Prozess in Estland: Uebe, „Naturschutzrecht in Estland“, S. 123. 10 Nachfolgend wird von den Hinweisen des EuGH zur Zitierweise der Bestimmungen der Verträge in den Texten des Gerichtshofes und des Gerichts abgewichen und nicht die Abkürzung für die Artikel des jeweiligen Vertrages (EG-Vertrag oder EUVertrag) „EG“ oder „EU“ verwendet sondern jeweils die Kürzel „EGV“ und EUV“ angefügt; vgl. im Einzelnen zu den Hinweisen des EuGH in NJW 2000, 52. 11 Vgl. Šarevi, in: EuR 2002, 463.

42

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

soluten Mehrheit des Europäischen Parlaments12 einstimmig über ihn beschließen wird13. Dabei gliedert sich die Aufnahme in mehrere Teilbereiche, wie z. B. die Einleitungs- und Verhandlungsphase, eine unionsinterne Entscheidungsphase und die Vertragsabschlussphase14. Die Bedingungen und die erforderlichen Anpassungen der „Verträge“15, auf denen die Gemeinschaft beruht, werden zwischen den Mitgliedstaaten und dem jeweiligem Antragsteller durch ein Abkommen geregelt16. Der sogenannte Beitrittsvertrag17 bedurfte der Ratifizierung durch alle Mitglieder der EU nach ihren eigenen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Neben dem Ratsbeschluss und dem positiven Votum des europäischen Parlamentes war auch die Zustimmung aller nationalen Parlamente der „Altmitglieder“ oder sogar ein Referendum erforderlich18. Damit hätte die Osterweiterung der EU, trotz der bereits erfolgten Zustimmung auf europäischer Ebene, noch an jedem einzelnen Mitgliedstaat im Rahmen der Ratifikation der Beitrittsverträge scheitern können19. Im Gegensatz dazu hätte die Zustimmung schon eines Beitrittskandidaten zur Wirksamkeit des Vertrages im Ganzen geführt20. Der nur äußerlich als einheitliches Dokument erscheinende Beitrittsvertrag bildet die rechtliche Grundlage für zehn selbstständige, von einander letztlich unabhängige Beitritte und stellt somit eine Kumulation von zehn bilateralen Verträgen dar21. Durch die Konkretisierung der Beitrittsvoraussetzung in den Kopenhagener Beschlüssen dienen diese als ergänzende Normierung der Tatbestände des Art. 49 EUV, welche der Gesamtsystematik des EUV/EGV22 entsprechen und der Bewahrung des erreichten Homogenitätsniveaus in der Gemeinschaft die-

___________ 12 Vgl. zur Zustimmung des Europäischen Parlaments am 9.04.2003 im Internet: http://www2.europarl.eu.int. 13 Bergmann, „Recht und Politik der EU“, S. 407. 14 Vgl. Šarevi, in: EuR 2002, 463. 15 Der Begriff Verträge genauer Gemeinschaftsverträge wird hier weit verstanden und umfasst die Verträge, auf denen die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften beruhen, in ihrer jeweiligen ergänzten oder geänderten Fassung. 16 Bergmann, „Recht und Politik der EU“, S. 407. 17 Vgl. ABl. EU 2003 L 226 und C 227. 18 Vgl. Šarevi, in: EuR 2002, 472; Schladebach, in: LKV 2004, 14. 19 Bergmann, „Recht und Politik der EU“, S. 407; Niedobitek, in: JZ 2004, 369 f. 20 Niedobitek, in: JZ 2004, 369 f. 21 Vgl. nur Schladebach, in: LKV 2004, 14; Niedobitek, in: JZ 2004, 369 f. 22 EU-Vertrag und EG-Vertrag: Die Verträge, auf denen die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften beruhen, in ihrer jeweiligen ergänzten oder geänderten Fassung.

A. Die Beitrittsvoraussetzungen

43

nen23. Die aus diesen Beschlüssen resultierenden Kriterien für die Aufnahme sind24: –

eine institutionelle Stabilität als Garant für eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten,



eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten, sowie



die Übernahme des „acquis communautaire“25, d. h. der sich aus einer Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen und der Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion.

Die Entscheidung über die Erreichung der Beitrittsvoraussetzungen wird auf eine breitere, die Mitglieder durch die Einigung auf die Kriterien in ihrer späteren Entscheidung einengenden, Basis gestellt. In Verbindung mit der indirekten Mitwirkung bei der Ratsentscheidung und der damit verbundenen Tatbestandsvorentscheidung (Selbstbindung) folgt aus Art. 10 I EGV und dem Vertrauensschutzprinzip ein erheblich gebundenes Ermessen für die Mitgliedstaaten bei der Abstimmung auf nationaler Ebene26. Diese „Kopenhagener Kriterien“ müssen zwar formal erst zum Moment des Beitritts erfüllt sein, gleichsam jedoch zur Beurteilung der Fortschritte bei der Umsetzung und der Beitrittsfähigkeit vor dem möglichen Beitrittstermin nachprüfbar erfüllt werden 27. Ein wesentlicher Kernpunkt ist dabei die Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Besitzstandes („acquis communautaire“), welcher, wenn auch im Einzelnen nicht unstreitig, jedenfalls im primärrechtlichen Bereich die Verträge EUV/EGV und im Sekundärrecht die Verordnungen und Richtlinien als Bestandteil umfasst28. Dies gilt dann grundsätzlich auch für die normative Umsetzung der FFH- und VS-RL, welche zur Einschätzung der Beitrittsfähigkeit schon vor dem Beitrittstermin und auch vor der abschließenden Beurteilung zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung, also zum 16.4.2003, in nationales Recht zu übernehmen war. Die Erfüllung dieser Vorgaben waren der Europäischen Kommission ___________ 23

Vgl. Šarevi, in: EuR 2002, 473. Beschluß des Rates v. 6.12.1999 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Republik Litauen, in: ABl. L 333/41 (28.12.1999), S. 42; Höland, in: Boulanger (Hrsg.) Recht in der Transformation, S. 80. 25 Vgl. zum Begriff des „acquis communautaire“ ausführlich: Schütz, „Fragen zum acquis communautaire“, S. 191 ff. 26 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 80 ff.; vgl. auch Šarevi, in: EuR 2002, 476 ff. 27 Vgl. Šarevi, in: EuR 2002, 464. 28 Schütz, „Fragen zum acquis communautaire“, S. 197 ff. 24

44

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

durch Vorlage der englischen Übersetzungen der entsprechenden Regelungen nachzuweisen. Für die „exekutivische“ Umsetzung, insbesondere die Auswahl und Meldung von Gebieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung kann diese Vorverlagerung nicht in dieser Eindeutigkeit abgeleitet werden29. Diese setzt zunächst eine umfangreiche Datenerhebung über die Verbreitung der in den Anhängen der FFH- und VS-RL gelisteten Arten und Habitate in Litauen voraus. Bis spätestens zum Beitrittstermin musste Litauen jedoch die besonderen Vogelschutzgebiete nach Art. 4 I, II VS-RL ausgewiesen haben und die Liste von Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung nach Art. 4 I FFH-RL vorlegen30.

2. Der Rechtstransfer Durch den bloßen „Import“ von Rechtsregeln scheint der Übergang zu „westlichen“ Vorstellungen von Demokratie, Menschenrechten und Marktwirtschaft und somit auch zur Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen relativ einfach bewältigt werden zu können31. Zugleich wetteiferten Vertreter von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen aus den EU-Mitgliedstaaten darum, ihre jeweiligen Vorstellungen vom „idealen Rechtsstaat“ und der „idealen Wirtschaftsgesetzgebung“ in das vermeintliche „rechtliche Vakuum“ der „kommunistischen Unrechtsstaaten“ zu exportieren32. Die Aussicht, kurz- oder langfristig der EU anzugehören, bewirkte in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas, wie auch in Litauen, die Herabstufung der Parlamente zu bloßen Zustimmungsorganen zu Normenkomplexen, die auswärts entworfen und dann im Lande hastig zusammengeschrieben wurden33. Die Aspekte des Rechtswandels werden dabei von drei Themen bestimmt34. Erstens stehen die Privatisierung staatseigener Güter und die Entwicklung einer sich selbst stützenden Wirtschaft im Vordergrund. Die Probleme sind dabei der aktuelle Mangel an Investitionskapital, Ressourcen und Material, die stark unterentwickelte bzw. zerstörte Infrastruktur, veraltete oder unzureichende Technologien, der Verlust oder die Schrumpfung ehemaliger Absatzmärkte und die Übernahme des Managements durch ehemalige Funktionäre. Es scheint so, als ___________ 29 Vgl. zur Unterscheidung von normativer und exekutivischer Umsetzung: Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 23 ff.; vgl. auch „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 13. 30 Vgl. Bepler, „Naturschutzrecht in Polen“, S. 147 f.; vgl. auch „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 13. 31 Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 9; Tews, in: ZfU 2002, 180 und 188. 32 Tews, in: ZfU 2002, 188; Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 9. 33 Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 9; Tews, in: ZfU 2002, 189. 34 Heydebrand, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 15.

A. Die Beitrittsvoraussetzungen

45

ob ohne eine solide ökonomische Grundlage kein geordneter Systemwandel möglich ist. Diese Sichtweise betrifft auch die demokratischen und rechtlichen Institutionen35. Zweitens muss der Staat „resozialisiert“ und an der entstehenden Gesellschaft, ihren assoziativen und organisatorischen Netzwerken sowie ihren kulturellen Traditionen neu ausgerichtet werden36. Drittens ist es ein typisches Dilemma des Umbruchs, dass die Unabhängigkeit vom Staat letztlich nur durch die aktive Mitarbeit, wenn nicht sogar durch die Führung des Staates selbst geschaffen werden kann37. Ein widerwilliger auf die Exekutivgewalt konzentrierter Staatsapparat wird sich der Institutionalisierung der Rechtsstaatlichkeit widersetzen oder das Recht bestenfalls als Instrument gesellschaftlicher Steuerung und Kontrolle nutzen38. Folglich ist auch die sich reformierende litauische Gesellschaft einem dreifachen Dilemma ausgesetzt. Es müssen gleichzeitig Wirtschaft und Gesellschaft entstaatlicht, der Staat und die Regierungsinstitutionen resozialisiert und das Rechtssystem „autonomisiert“ werden39. Einzuräumen ist, dass das in Hinblick auf die Implementation von Recht aufgeklärte EU-Modell des Rechtstransfers die Notwendigkeit von Begleitmaßnahmen und vom „Aufbau der Institutionen“ reflektiert und in nicht geringem Umfang auch finanziert40. Dennoch steht von der Gewichtung und vom Konzept her im Vordergrund der Transformationsaufgaben die genau geplante, umgesetzte und kontrollierte Angleichung des staatlich verwalteten Rechts der neuen Mitglieder41. Die wichtigsten Zielgruppen der Rechtsangleichung sind die Staaten und die staatlichen Institutionen einschließlich der Gerichtsbarkeiten42. Positiv zu vermerken ist, dass durch die umfassende Bereitstellung von Informationen für die europäische Öffentlichkeit die Vorbereitungen der EUOst-erweiterung als ein sich teilweise selbst evaluierender und selbstreflexiver Prozess des Erwartens, Tuns und Lernens und des erneuten Erwartens, Tuns und Lernens abgelaufen sind43. Die Heranführungsstrategie war ein umsichtig konstruierter und gut überwachter Prozess der Vorbereitung der Staaten Mittel- und Osteuropas auf die Vollmitgliedschaft in der EU. Als Moderationsagentur versuchte die Generaldi___________ 35

Preuß, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, 36. Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 8; Preuß, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 49. 37 Kritisch Preuß, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, 39. 38 Die Rolle des Rechtsstaats anzweifelnd Preuß, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 44. 39 Vgl. Heydebrand, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 16. 40 Vgl. Baerman, in: WiRO 2004, 97 ff. 41 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 96. 42 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 79. 43 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 86. 36

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

rektion für Erweiterung unter Einsatzes eines umfangreichen Instrumentariums von Anreizen und Sanktionen, von Angleichungsdruck und Verhandlungsangeboten, von Recht und Geld, die rechtliche und wirtschaftliche Ordnung Litauens in Einklang mit den Aufnahmebedingungen und also mit den politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Errungenschaften der EU zu bringen. Die Initiative zur Vorbereitung des Beitritts zur EU ist von den neuen Mitgliedern ausgegangen. Fast die gesamte politische Region in Mitteleuropa und Teile Osteuropas haben sich nach dem Öffnen des „Eisernen Vorhangs“ bei der Europäischen Kommission in Brüssel mit dem Wunsch nach Mitgliedschaft in der EU gemeldet44. Die Übernahme teilweise fremder Gesetzgebung und Rechtskonzepte, war daher ein freiwilliger, mehr noch politisch stark nachgesuchter Paradigmenwechsel in den neu formierten Staaten wie Litauen45. Das eifrige Anstreben rascher und umfassender Rechtsangleichung lag im rationalen Selbstinteresse der neuen Mitglieder, da die Aufnahme in die EU als Ziel bestand. Zugleich lag hierin eine Ursache für den, im Vergleich zu vielen anderen völkerrechtlichen Entwicklungsprozessen, außerordentlich dynamisch verlaufenden Vorgang der Rechtsangleichung46. Zögern und Skrupel ließen sich eher in den politischen Entscheidungsprozessen der alten EU-Mitglieder registrieren47. Die Übertragung von Gemeinschaftsrecht im Zuge der Rechtsangleichung ist vertraglich gefasst und wird vertragsförmig vollzogen48. Die umfassenden „Europaabkommen“49 enthielten fein abgestimmte Zielsetzungen, Regeln, Verfahren, Fristen und Überwachungsabreden. Der Transfer von Recht stellt sich vor diesem Hintergrund als ein großes ausgewogenes Projekt zwischen dem Anschein nach gleichstarken Partnern und Interessen dar. Die Übernahme des Besitzstandes der Gemeinschaft in Mittel- und Osteuropa ist jedoch mehr als eine Angleichung von Recht50. Sie ist umfassender Modelltransfer. Es geht nicht um punktuelle Anpassungen, sondern um die Übernahme des gesamten acquis

___________ 44

Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 95. Kritisch Tews, in: ZfU 2002, 186; Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 95. 46 Tews, in: ZfU 2002, 188 f.; vgl. auch Meurs, in: Jahrbuch der Europäischen Integration 1999/2000, S. 403 ff. 47 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 95. 48 Andere Ansicht: Tews, in: ZfU 2002, 185. 49 Vgl. für Litauen: Beschluß des Rates v. 6.12.1999 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Republik Litauen, in: ABl. L 333/41 (28.12.1999). 50 Tews, in: ZfU 2002, 184.; vgl. auch Meurs, in: Jahrbuch der Europäischen Integration 2000/2001, S. 433 f. 45

A. Die Beitrittsvoraussetzungen

47

communautaire. Dieser gleichsam flächendeckende Import ist Voraussetzung für die politische Erweiterung der EU51. Aus all dem folgt, dass der Prozess der Rechtsangleichung auf Initiative Litauens in Gang gesetzt worden ist. Er besteht aus einem umfassenden Modelltransfer und nicht nur aus der Übertragung einzelner Regelungen oder Gesetze. Er wird ständig beobachtet, evaluiert und gegebenenfalls revidiert und vollzieht sich deshalb in erheblichem Umfang in Form selbstreflexiver Verfahren unter Beobachtung durch die europäische, politische und allgemeine Öffentlichkeit52.

II. Problemanalyse der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts Dem Zustand der Justiz, welche neben Polizei und Militär derjenige Bereich ist, in dem Staatsmacht unmittelbar manifestiert wird, kommt eine Schlüsselstellung zur Erfüllung der Vorgaben der EU zu53. Dieser ist jedoch infolge der Umbruchsituation von erheblicher Ausbreitung rechtsfreier, genauer außerrechtlicher Anspruchsdurchsetzung in Form der Selbsthilfe und des Faustrechts gekennzeichnet. Durch Übergriffe der Polizei und der dadurch bedingten Abwesenheit staatlichen Schutzes, die mangelnde ökonomische Absicherung des Justizpersonals und damit erhöhte Korruptionsanfälligkeit kann es zur Bildung von Schattenrechtsordnungen mit nichtstaatlicher, privater und krimineller Selbsthilfe kommen54. Wenn diese Phänomene auch bei weitem nicht überall typisch sind, so ist es umgekehrt fehlerhaft, sie nicht als Teil der gegenwärtigen Rechtsentwicklung und als virulentes Problem der Rechtsdurchsetzung zu beachten55. Zudem gilt es, die noch wenig ausgeprägte Selbstverwaltung der Gerichte zu beachten, welche durch die finanzielle und personelle Abhängigkeit vom Justizministerium verstärkt wird und Nachwirkung einer Ordnung ist, die keine Rechts- und Verfassungsvorbehalte zur Kontrolle der Politik durch die Justiz entwickeln konnte56. Im Gegensatz zu der Situation in den neuen Bundesländern, der ehemaligen DDR, ist es in den osteuropäischen postsozialistischen Staaten nicht zu einem ___________ 51

Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 96. Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 86. 53 Roggemann, in: ROW 1998, 303. 54 Schütz, „Fragen zum acquis communautaire“, S. 218; Roggemann, in: ROW 1998, 304; vgl. auch „Beschluß des Rates v. 6.12.1999 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Republik Litauen“, in: ABl. L 333/41 (28.12.1999), S. 44 u. 46. 55 Roggemann, in: ROW 1998, 304. 56 Roggemann, in: ROW 1998, 305. 52

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

völligen politischen Systembruch und somit auch nicht zu einem umfassenden Rechtswechsel gekommen57. Bezüglich der eigenen sozialistischen Vergangenheit und ihrer Justiz kam es auch keinesfalls zu einer durchdringenden Distanzierung58. Folglich ist in Litauen ein Elitewechsel nur in eng begrenztem Umfang zu verzeichnen, vielmehr sind regelmäßig die gleichen Justizangehörigen und Anwälte im Amt und sprechen Recht oder nehmen Rechtsberatung unter veränderten Bedingungen wahr59. Umso größer ist damit die Bedeutung von neu geschaffenen Gerichten, wie dem Verfassungsgericht (VerfG) in Litauen und die Durchsetzung der Werteordnung der neuen Verfassung60. Da es jedoch in Anbetracht existierender Alternativen und rechtlicher Globalisierungszwänge nicht sinnvoll und angesichts der knappen Zeit auch unmöglich war, alle Gesetze selbst zu schreiben, begann ein massiver Import von Gesetzesmaterialien, die nur zum Teil den örtlichen Gegebenheiten angepasst wurden61. Aber der Umfang der gesetzlich zu regelnden Lebensbereiche war und ist bei weitem größer als die tatsächlich importierten Rechtsmaterien. Zudem besteht ein großer Teil des Rechts nicht aus geschriebenen Normen, sondern aus der Konkretisierung dieser Normen durch die Gerichte. Insbesondere die obersten Gerichte und das VerfG mühten sich unablässig mit der „tatsächlichen“ Bedeutung der neuen Gesetze62. Im Fall der Verfassungsgerichtsbarkeit konnten sogar Akte der Regierung und der Legislative mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit zu Nichte gemacht werden63. Insgesamt bleibt die Frage bestehen, wie die Reform des Rechtsystems bei weitgehender Kontinuität des Justizpersonals gelingen kann64. Hinzu tritt das in der litauischen Gesellschaft bestehende Misstrauen gegen Richter, Anwälte, Polizei und alle mit Rechtsund Regierungsinstitutionen in Verbindung stehenden Behörden oder Personen65. Es geht um den Unterschied zwischen niedergeschriebenem Recht und den tatsächlichen Prozessen des Rechtsprechens, der Entscheidungsfindung, Anwendung, Normdurchsetzung und Implementierung66. Die Transformation des Rechts durch Verfassungsreform und legislative Veränderung, so wichtig ___________ 57

Schütz, „Fragen zum acquis communautaire“, S. 218; vgl. zu sozioökonomischen Ausgangsbedingungen: Bergmann, „Recht und Politik der EU“, S. 413. 58 Roggemann, in: ROW 1998, 305. 59 Roggemann, in: ROW 1998, 306. 60 Steinberg, in: JöR 1995, 53 ff.; vgl. zum Änderungsbedarf infolge des Beitritts Nußberger, in: DÖV 2005, 358. 61 Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 8. 62 Vgl. nur Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, 76 f.; Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 9. 63 Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 9. 64 Heydebrand, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 22. 65 Heydebrand, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 28. 66 Tews, in: ZfU 2002, 189 f.

A. Die Beitrittsvoraussetzungen

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sie auch ist, muss nicht zwangsläufig die Transformation von Justiz und juristischer Methodologie nach sich ziehen67. Das auf den Staat konzentrierte Modell verfehlt wichtige Bedingungen der Rechtsumsetzung und Rechtsanwendung in modernen Gesellschaften68. Zweckgerichtete Rechtsumsetzung und Rechtsanwendung sind bedingt durch das Zusammenwirken von vier Handlungsfeldern: –

der Rechtssetzung durch das Parlament,



der Rechtsdurchsetzung durch staatliche Institutionen oder, in wachsendem Ausmaße, durch damit beauftragte private Agenturen,



der Rechtskontrolle durch unabhängig arbeitende Einrichtungen und das Verfahren des Rechtsstaats sowie, für die Effektivität des Rechts unerlässlich,



die Akzeptanz des Rechts durch die Gesellschaft69.

Das ausgleichende Zusammenwirken der vier Handlungsfelder entscheidet über die Grade der Implementierung von Recht. Was gegenwärtig im Rahmen der Umsetzung zu beobachten ist, ist die Übernahme des acquis communautaire durch das Parlament und die Verwaltung in Litauen. Nicht gut zu erkennen ist hingegen die entsprechende Bildung von Rechtsüberzeugungen in der Gesellschaft70. Wenn auch die litauische Gesellschaft in einem Prozess großer Veränderungen involviert ist, kann dennoch von der Existenz einer aufmerksamen und selbstkritischen Gesellschaft ausgegangen werden, ohne die eine Befreiung von der sowjetrussischen Vorherrschaft nur schwer vorstellbar gewesen wäre71. Dies zeigt sich deutlich an der erfolgreichen Durchführung des ersten Verfahrens zur Amtsenthebung eines litauischen Präsidenten72. Die Frage bleibt allerdings, ob der erforderliche Umbau von Rechtskultur, nämlich der auf Recht bezogenen Einstellungen, Traditionen, Werte und Praktiken in der Gesellschaft, der Verwaltung und dem Justizsystem in Litauen so rasch und so gründlich gelingen kann, dass die transformierte Rechtsordnung in das Rechts- und Institutionengefüge der EU passt, ohne die Kohärenz der Gesamtunion zu gefährden73. ___________ 67

Heydebrand, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 29. Tews, in: ZfU 2002, 190. 69 Tews, in: ZfU 2002, 190 ff. 70 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 80; Tews, in: ZfU 2002, 187 f. 71 Vgl. zur Problematik der Abgabe der gerade erst wieder gewonnenen Souveränität im Zuge des Beitritts Nußberger, in: DÖV 2005, 362. 72 Vgl. nur Statkeviius, in: Osteuropa Recht 2004, 352 ff. 73 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 87. 68

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

Kritisch anzumerken bleibt, dass die Rechtsangleichung neben Staat und staatlichen Institutionen die Gesellschaft als dritten Akteur nicht mit einbezieht. Es erfolgt keine Vorbereitung der gesamten Rechtsdurchsetzungs- bzw. Rechtsanwendungskette bis hinunter zu den sozialen Nutzer- und Gestaltergruppen des Rechts, wodurch die Gefahr einer Wirksamkeitslücke zwischen förmlicher Rechtsangleichung und der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Rechtsanwendung besteht74. Die Verkürzung des Zeitplans aus Sorge des Verlustes der Aufmerksamkeit der Wähler und der Medien beschleunigt das unausweichliche Hinterherhinken der Implementierungsqualität und vergrößert die Wirksamkeitslücke75. Je größer die Lücke zwischen Rechtsangleichung und Rechtsanwendung, desto höher ist jedoch die Gefahr des „Aufzwingens76“ von Gemeinschaftsrecht auf die noch unveränderte Rechtskultur in Litauen.

III. Vergleich zu Deutschland und den neuen Bundesländern Eine wichtige Lehre, die aus dem „politischen Experiment“ der deutschen Wiedervereinigung gezogen werden kann, ist die, dass Ersparen „politischer Zeit“ zumindest in Teilen durch erhöhte Kosten nachfolgender Anpassung und Implementierung bezahlt werden muss, gegebenenfalls aber auch durch Folgekosten in Form des Verlustes an sozialer Kohärenz der sich transformierenden Gesellschaften77. Die von vielen geforderte Atempause und Phase der Selbstfindung hat es weder in der DDR78 noch in der BRD79 in den Wochen und Monaten nach dem November 1989 gegeben, wodurch die Chance der ökologischen und ökonomischen Neuorientierung beider Gesellschaftssysteme, eine echte Vereinigung zweier sich einbringender Teile eines Ganzen, verpasst wurde, noch ehe laut darüber nachgedacht werden konnte80. Im Vordergrund des Einigungsprozesses standen die Währungseinheit, die Investitionssicherheit, das Wirtschaftswachstum und ganz allgemein die Steigerung der Wirtschaftskraft als alleiniger Motor des Fortschritts, welcher die Zusammenhänge von Wachstum und Umweltzerstörung, verschleierte. Zu Recht wird daher die Frage aufgeworfen, welcher Staat der Steigerung der Produktivität jemals so viel intakte ___________ 74

Tews, in: ZfU 2002, 189 f.; Boulanger, „Recht in Transformation“, S. 10. Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 98. 76 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 88 f. 77 Höland, in: Boulanger (Hrsg.) „Recht in Transformation“, S. 99. 78 Deutsche Demokratische Republik: Territorium der fünf neuen Bundesländer und der östliche Teil Berlins. 79 Bundesrepublik Deutschland: Territorium ohne die fünf neuen Bundesländer und den östlichen Teil Berlins. 80 Bosselmann, „Im Namen der Natur“, S. 41.; vgl. ders., in: Blume (Hrsg.) „Umwelt vor Gericht“, S. 9 ff. 75

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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natürliche Umwelt geopfert hat wie die DDR81. Die Ansicht, Wachstum sei das Mittel zur Lösung aller gesellschaftlichen Probleme, insbesondere der Überwindung der Kluft zwischen Recht und Rechtswirklichkeit, spart den Graben, der damit zwischen Ökonomie und Ökologie gezogen wird, vollkommen aus, obwohl doch das Dilemma dieser Wirtschaftslogik offenbar darin besteht, dass ökonomisch ständig wachsen soll, was ökologisch auch wieder vergehen muss82. Die große Herausforderung, der sich auch Litauen stellen muss, ist jedoch diesen scheinbar unüberwindbaren Graben zwischen Ökologie und Ökonomie zu überschreiten und mit den sie verbindenden Bestandteilen wieder aufzufüllen und einzuebnen. Denn nur durch die Suche nach Gemeinsamkeiten, den gemeinsamen Grundwerten kann eine gelungene Erweiterung der EU mit einer vorsorgenden Zukunftssicherung ihrer Gesellschaften einhergehen83.

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich In Ergänzung der bisherigen Darstellung der grundsätzlichen Probleme der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen vor dem Hintergrund des politischen Systemwechsels soll nachfolgend eine Eingrenzung auf den umweltpolitischen Bereich vorgenommen werden. Dabei wird über die allgemeine Darstellung der Umsetzungsanforderungen im Umweltbereich auf die speziellen Probleme des Beitrittsprozesses für die Neumitglieder unter Einbeziehung der Erfahrungen in den neuen deutschen Bundesländern fokussiert. Erste Schlussfolgerungen für den Umsetzungsprozess in Litauen können dabei gezogen werden.

I. Umfang der Umsetzungsanforderungen im Umweltbereich Bezüglich des Erweiterungsprozesses legte die Kommission im Rahmen des Screening-Prozesses zunächst dar, welche gemeinschaftlichen Rechtsakte bestanden und welche für das jeweilige Beitrittsland von besonderem Interesse sein könnten. Im Anschluss erfolgten die Vorlage der einzelstaatlichen Gesetz___________ 81

Dazu ausführlich im Bezug auf die Treuhandflächen in den ostdeutschen Großschutzgebieten: Stock, in: Jb UTR 2002, 229 ff.; Bosselmann, „Im Namen der Natur“, S. 41. 82 Dazu ausführlich: Priewe, in: ZfU 2002, 153 ff.; Steurer, in: ZfU 2001, 537 ff.; Bosselmann, „Im Namen der Natur“, S. 42 ff. 83 Vgl. zur Verbindung von Ökonomie und Ökologie nur: Getzner, in: ZfU 2001, 143 ff.; Taistra, in: ZfU 2001, 241 ff.; Jakubowski, in: ZfU 2001, 587 ff.; Kudert, in: WISO 1990, 569 ff.; Jachmann, in: StuW 2000, 239 ff.; Braun/Kitterer, in: ZfU 2001, S. 179 ff.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

gebung soweit möglich in englischer Übersetzung und die Aufstellung eines Zeitplanes zur Heranführung des innerstaatlichen Umwelt- und Naturschutzrechts an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben im Umweltbereich. Anhand der ausgetauschten Informationen erarbeitete die Kommission eine Stellungnahme und gab dem Beitrittsland an, für welche Bestimmungen des gemeinschaftlichen Umweltrechts eine Übergangsfrist beantragt werden sollte. Die eigentlichen Verhandlungen über den Beitritt mit allen Einzelheiten fanden im Rat statt, der hierzu eine Arbeitsgruppe bildete84.

1. Die Umsetzungsstrategie Zur Vorbereitung der Beitrittsverhandlungen hat Litauen 1998 eine Strategie zur Annäherung der litauischen Gesetzgebung an das Gemeinschaftsrecht und weiterer Anforderungen erarbeitet. Dabei war das Umweltministerium zur Umsetzung von mehr als 300 Rechtsakten zuständig. Zielvorgaben sind: –

bis Ende 2003 soll die Entwicklung der Grundlagen des Rechtssystems zum Umweltschutz einschließlich der Harmonisierung der litauischen Gesetzgebung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts abgeschlossen sein



bis Ende 2005 soll das institutionelle Netzwerk zur Gewährleistung der Umsetzung der Erfordernisse des Umweltschutzes eingerichtet sein



bis zum Jahr 2015 sollen die Hauptinvestitionsprojekte fertig gestellt werden85.

Bis zum Jahr 2000 sollten in Litauen 97 % aller verschmutzenden Einleitungen in Gewässer gereinigt sein86. Die Qualität der Oberflächengewässer und die Probleme bei der Wasseraufbereitung haben jedoch weiterhin hohe Priorität. Von der Landwirtschaft werden noch immer hohe Umweltbelastungen verursacht87. Der Flächenanteil der Schutzgebiete wird offiziell mit derzeit 11 % der Landesfläche angegeben, wobei hier eine erhebliche Anzahl von Doppelzählungen berücksichtigt wurde, wie beispielsweise Naturschutzgebiete innerhalb eines Nationalparks einerseits und deren Flächenanteil bei der Berücksichtigung ___________ 84

Vgl. Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 459. Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S. 70. 86 Vaiinait , in: Graf/Kerner (Hrsg.) „Handbuch Baltikum heute“, S. 252; Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S. 67 ff. 87 Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S. 67. 85

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

53

des Nationalparks in seiner Gesamtheit andererseits88. Litauens Umweltschutzgesetz89 von 1992 legt die Grundprinzipien des Umweltschutzes fest. Ziel ist es, zu einer ökologisch gesunden und sicheren Umwelt zu gelangen, die möglichst wenig durch menschliche Aktivitäten belastet wird und die darüber hinaus Litauens typische Landschaften und die Vielfalt seiner biologische Systeme erhält90. Das nationale Umweltaktionsprogramm als Bestandteil der nationalen Umweltstrategie wurde durch die Regierung im August 1996 mit folgenden Schwerpunkten nach der Priorität gelistet angenommen91: –

Abwasserbehandlung und Reduzierung der Einleitungen.



Verringerung der Luftverschmutzung; Behandlung toxischer Abfälle.



Behandlung von Siedlungs- und anderen nichttoxischen Abfällen.



Schutz vor physikalischen Umweltbelastungen.



Optimierung der Landnutzung und der Forststruktur.



Verhinderung der weiteren Zerstörung der natürlichen Landschaften.



Schutz von ökologisch sensiblen und Wiederherstellung von zerstörten Naturräumen.



Rationelle Nutzung natürlicher Ressourcen92.

Diese Strategie muss sich an den Umsetzungsanforderungen des Gemeischaftsrechts messen lassen. In der Regel erwartete die Gemeinschaft die vollständige Übernahme des gemeinschaftlichen Umweltrechts in innerstaatliches Recht spätestens zum Zeitpunkt des Beitritts. Dies kam de facto einer weitgehenden Neuordnung und Neuorientierung des Umweltrechts der Neumitglieder gleich, welche noch immer mit nicht zu unterschätzenden institutionellen, ökonomischen und ökologischen Problemen verbunden ist. Für die unmittelbar geltenden Verordnungen der Gemeinschaft galt es, die Handlungsverpflichtungen zur Benennung der zuständigen Behörden und zur Bildung nationaler Ausschüsse zu erfüllen93. Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)94, die FFH-RL, die ___________ 88

Vaiinait , in: Graf/Kerner (Hrsg.) „Handbuch Baltikum heute“, S. 246; dazu ausführlich im 2. Teil C. 89 Dazu später im 3. Teil ausführlich. 90 Marcijonas/Sudaviius, „Litauen“ S. 159 ff.; eine ausführliche Darstellung und Analyse erfolgt in Teil 3. 91 Vaiinait , in: Graf/Kerner (Hrsg.) „Handbuch Baltikum heute“, S. 252. 92 Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S. 69. 93 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 460. 94 Richtlinie 2000/60/EG v. 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. Nr. L 237, S. 1 ff.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

VS-RL und die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL)95, gehören beispielsweise zu dem Teil des Sekundärrechts, welcher von Litauen vor dem Beitrittstermin grundsätzlich vollständig umzusetzen war96. Die diesbezügliche Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes (acquis communautaire) in innerstaatliches Recht ist zwar notwendig, aber an sich nicht ausreichend, vielmehr muss auch eine effektive Anwendung gewährleistet werden97. Zur Verdeutlichung der Umsetzungsanforderungen im Umweltbereich soll nachfolgend ein kurzer Überblick über die Regelungen des Gemeinschaftsrechts mit Bezug zum Naturschutz gegeben werden. Dabei wird vordergründig auf die Bereiche Abfall und Bodenschutz aber auch auf den Gewässer-, Habitatund Artenschutz sowie auf die Umweltverträglichkeitsprüfungen abgestellt.

2. Abfall98 Die Abfallrahmenrichtlinie99 legt allgemeine Regelungen fest, die für alle Kategorien von Abfällen gelten100. Sie ist als das grundlegende gemeinschaftliche Regelwerk des Abfallrechts der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu bezeichnen und setzt sich zum einen mit dem Abfallbegriff auseinander und unterscheidet zum anderen zwischen Verwertung und Beseitigung des Abfalls101. Die Richtlinie stellt jedoch als allgemeine Regelung lediglich eine Auffangrichtlinie für den Fall dar, dass die spezielleren Richtlinien keine (abschließende) Regelung enthalten102. Zur Vermeidung der Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, der Tier- und Pflanzenwelt, der Verursachung von Geräusch- oder Geruchsbelästigungen sowie der Beeinträchtigungen der Umgebung und des Landschaftsbildes sind die unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen ___________ 95 Richtlinie 85/337/EWG v. 27.07.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. Nr. L 175, S. 40 ff.; geändert durch RL 97/11/EG vom 3.3.1997, in: ABl. Nr. L 73, S. 5; zuletzt geändert durch RL 2003/35/EG vom 26.5.2003, in: ABl. Nr. L 156, S. 17. 96 Vgl. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen v. 22.02.1999 in ABl. C 51/33, S. 39 ff. 97 Vgl. „Beschluß des Rates v. 6.12.1999 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Republik Litauen“, in: ABl. Nr. L 333/41 (28.12.1999), S. 42 u. 44. 98 Vgl. zur Entwicklung des Abfallrechts allgemein: Au, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 240 f. 99 Richtlinie 75/442 ABl. 1975 Nr. L 194/47 geändert durch Richtlinie 91/692 ABl. 1991 Nr. L 377/48. 100 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 487. 101 Au, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 241. 102 Schink, in: EUDUR, § 73 Rdn. 6, S. 1073.

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten103. Die Richtlinie über gefährliche Abfälle104 regelt speziell die kontrollierte Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle und beruht auf Art. 2 der Abfallrahmenrichtlinie, die als allgemeine Regel weiter gilt, soweit die Richtlinie über gefährliche Abfälle keine spezielleren Regelungen enthält105. Ziel der Richtlinie ist die kontrollierte Entsorgung, Verwertung und ordnungsgemäße Beseitigung gefährlicher Abfälle106. Aufgrund der Umweltgefahren, die mit der Beseitigung von Altölen verbunden sind, wurde die Altölrichtlinie107 erlassen108. Danach sind die Mitglieder verpflichtet, sicherzustellen, dass bei der Sammlung und Beseitigung von Altölen, soweit vermeidbar, keine Beeinträchtigung von Menschen, Gewässer, Luft und Boden erfolgt (Art. 2)109. Nach Art. 4 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen damit Folgendes verboten wird: das Einleiten von Altölen in Oberflächengewässer, Grundwasser, Küstengewässer und Kanalisationen; das Lagern und/oder Ableiten von Altölen, welche schädliche Auswirkungen auf den Boden haben, sowie das unkontrollierte Einleiten von Rückständen aus der Aufarbeitung von Altöl; die Behandlung von Altölen, welche eine Luftverunreinigung hervorruft, die über das in den geltenden Vorschriften festgelegte Niveau hinausgeht110. Sehr weit formulierte Umweltziele finden sich in der Richtlinie über Abfalldeponien111. Nach der allgemeinen Zielrichtung nach Art. 1 der Richtlinie sollen durch die Festlegung strenger technischer Anforderungen in Bezug auf Abfalldeponien und Abfälle geeignete Maßnahmen, Verfahren und Leitlinien vorgesehen werden, mit denen negative Auswirkungen der Ablagerung von Abfällen auf die Umwelt, insbesondere die Verschmutzung von Oberflächengewässern, Grundwasser, Boden und Luft während des gesamten Bestehens der Deponie soweit als möglich vermieden oder vermindert werden112. Die Richtlinie schreibt nicht nur strenge Anforderungen an neue, sondern mit Übergangsfrist bis 2009 auch an bestehende De___________ 103

Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 490. Richtlinie 91/689/EWG des Rates vom 12.12.1991 über gefährliche Abfälle ABl. vom 31.12.1991 Nr. L 377/20, geändert durch ABl. vom 2.7.1994 Nr. L 168/28. 105 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 494. 106 Au, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 244. 107 Richtlinie 75/439/EWG des Rates über die Altölbeseitigung vom 16.6.1975 ABl. vom 25.7.1975 Nr. L 194/31 zuletzt geändert durch ABl. vom 31.12.1991 Nr. L 377/48. 108 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 496. 109 Ausführlich zur Altölrichtlinie und dem Verhältnis zur Abfallrahmenrichtlinie: Schink, in: EUDUR, § 73 Rdn. 141 ff., S. 1123 f. 110 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 496. 111 Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26.4.1999 über Abfalldeponien ABl. vom 26.7.1999 Nr. L 182/1, ber. durch ABl. vom 5.11.1999 Nr. L 282/16. 112 Au, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 265. 104

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ponien vor113. Spätestens im Jahr 2016 soll die zu deponierende Menge biologisch abbaubarer Siedlungsabfälle in den Mitgliedstaaten nur noch 35 % der im Jahr 1995 erzeugten Gesamtmenge betragen114. Im nationalen Umweltaktionsprogramm Litauens wird die Behandlung toxischer Abfälle an zweiter Stelle benannt. Danach wird an dritter Stelle die Behandlung von Siedlungs- und anderer nichttoxischer Abfälle aufgeführt. Folglich wird der Abfallproblematik ein sehr hoher Stellenwert innerhalb der nationalen Umweltstrategie eingeräumt. Lediglich die geplante Umsetzung der Hauptinvestitionsprojekte muss bezüglich der Anforderungen an die Betreibung von Abfalldeponien auf 2009 vorgezogen werden.

3. Bodenschutz Die Richtlinie über die Verwendung von Klärschlämmen in der Landwirtschaft115 regelt die Verwendung von Klärschlämmen dahingehend, dass Schäden für Böden, Vegetation, Tiere und Menschen verhindert werden und die Qualität des Bodens nicht beeinträchtigt wird116. Eine eigenständige Bodenschutzpolitik der EU befindet sich erst im Aufbau117. Die Richtlinie ist auf Gemeinschaftsebene das einzig bindende Instrument, das die Bodenqualität, wenn auch nur indirekt, regelt118. Dabei ist der Regelungsgegenstand ausschließlich die Verwertung der Klärschlämme in der Landwirtschaft. Sonstige Verwertungs- und Beseitigungsarten für Klärschlamm sind hingegen nicht erfasst und auch sonst keiner speziellen Regelung zugeführt119. Die Mitgliedstaaten sind in soweit nur an die allgemeinen Regelungen der Abfallrahmenrichtlinie gebunden120. Eine indirekte Berücksichtigung des Bodenschutzes findet sich im litauischen Umweltaktionsprogramm an erster Stelle, wenn dort die Abwasser___________ 113

Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 507. Weidemann, in: EUDUR, § 70 Rdn. 93, S. 1006. 115 Richtlinie 86/278/EWG des Rates vom 12.6.1986 über den Schutz der Umwelt und insbesondere der Böden bei der Verwendung von Klärschlemmen in der Landwirtschaft, ABl. vom 4.7.1986 Nr. L 181/6. 116 Dietrich, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 154. 117 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 245; Peine, in: EUDUR, § 79 Rdn. 9, S. 1275. 118 Dietrich, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 154. 119 Schink, in: EUDUR, § 73 Rdn. 162, S. 1130. 120 Dietrich, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 154. 114

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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behandlung und Reduzierung der Einleitungen angesprochen wird. Auch die Ausführungen zur Behandlung von Abfällen an zweiter und dritter Stelle haben indirekte Auswirkungen auf den Bodenschutz. Erst an fünfter Stelle findet sich ein Hinweis auf die Optimierung der Landnutzung, welche auf die landwirtschaftliche Nutzung und die damit verbundenen Belastungen für den Boden abstellt.

4. Gewässerschutz Die Zielsetzungen der gewässerschutzrechtlichen Regelungen lassen sich durch drei Punkte zusammenfassen: –

Sicherung der Qualität der Gewässer durch Vermeidung und/oder Verminderung der Verschmutzung;



Sicherstellung der Wasserversorgung und der effizienten Nutzung der Ressourcen;



Sammlung relevanter Informationen121.

a) Die Wasserrahmenrichtlinie Mit der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)122 wird der sektorale Ansatz des bisherigen europäischen Wasserrechts aufgegeben und eine Vielzahl der gewässerschutzrelevanten Regelungen zusammengeführt. Die Ziele der WRRL sind die Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie der Schutz und die Verbesserung des Zustandes von aquatischen Ökosystemen, die Ausrichtung der Wassernutzung an den Grundsätzen der Nachhaltigkeit, ein besseres Schutzniveau für Oberflächengewässer, eine Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers und die Vermeidung und Minderung der Auswirkungen von Überschwemmungen und Dürren (Art. 1)123. Das Endziel der Richtlinie besteht darin, die Wasserverschmutzung durch Ableitung, Emissionen oder Freisetzungen prioritärer gefährlicher Stoffe zu beenden oder schrittweise einzustellen und somit dazu beizutragen, dass in der Meeresumwelt für natürlich anfallende Stoffe Konzentrationen in der Nähe der Hintergrundwerte erreicht werden124. Ein effektiver Gewässerschutz muss gemäß Art. 10 WRRL auf nationaler und ___________ 121

Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 219. Vgl. Knopp, in: ZfW 2003, 1 ff.; ders., in: NVwZ 2003, 275 ff. 123 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 162. 124 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 409. 122

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

supranationaler Ebene den kombinierten Ansatz von Emissionsbegrenzung sowie gewässer- und immissionsbezogenen Qualitätszielen verfolgen 125. Jede einseitige Fixierung entweder auf die Emissions- oder auf die Immissionsseite ist zu vermeiden126. Die sogenannten Flussgebietseinheiten stellen die Grundlage für alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele dar und bestehen aus den Haupteinheiten der Bewirtschaftung der Einzugsgebiete und ihnen zugeordnete Grund- und Küstengewässer ein und desselben hydrologischen, hydrogeologischen und ökologischen Systems127. Für diese muss von den Mitgliedstaaten in exekutivischer Hinsicht eine geeignete zuständige Behörde durch gemeinsame Verwaltungsvereinbarungen bestimmt werden (Art. 3 II). Die so zu schaffende Wasserwirtschaftsverwaltung folgt den natürlichen Gegebenheiten der Flusseinzugsgebiete. Jedoch ist diese Vorgabe, der verfahrenrechtlichen Strukturen durch die Gemeinschaft selbst, für die Wahrung der Eigenstaatlichkeit und Verfasstheit der Mitgliedstaaten nicht unproblematisch 128. Die aus der Bestandsaufnahme bezüglich der Flussgebietsmerkmale (Art. 5) abgeleiteten Maßnahmenprogramme (Art. 11) und Bewirtschaftungspläne (Art. 13) stellen den eigentlichen Kernbereich und die Mittel zur Erreichung der Umweltziele dar.

b) Richtlinien die von der WRRL unberührt bleiben Anpassungsschwierigkeiten lässt die Nitratrichtlinie129 erwarten, die eine Begrenzung der Höchstmenge Dung pro Hektar auf eine Menge von 170 kg Stickstoff beinhaltet. Das Ziel der Richtlinie ist die Verringerung und Vorbeugung der Verschmutzung durch Nitrate aus landwirtschaftlicher Nutzung130. Sie leistet damit zum ersten Mal einen flächendeckenden Beitrag zum Grundwasserschutz131. Die Bekämpfung der Nitratbelastung wird dabei dadurch erschwert, dass sie durch diffuse Belastungsquellen verursacht wird, d. h. durch eine Einleitung an zahlreichen, schwer zu lokalisierenden Stellen132. Die Mitgliedstaaten ___________ 125

Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 411 f. Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 132, S. 843; vgl. zur Ganzheitlichkeit Seidel/Rechenberg, in: ZUR 2004, 213. 127 Schlungbaum, in: RMB 1999, Heft 7, 13 ff.; Reinhardt, in: ZUR Sonderheft 201, 126. 128 Reinhardt, in: ZUR Sonderheft 2001, 126; Breuer, in: NuR 2000, 545. 129 Richtlinie 91/676/EWG des Rates von 12.12.1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen, ABl. vom 31.12.1991 Nr. 375/1, ber. ABl. vom 16.4.1993 Nr. L 92/51. 130 Vgl. nur Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 431 f. 131 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 176. 132 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 176. 126

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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konnten die Umsetzung, welche bis 1999 erfolgen sollte, noch um vier Jahre hinausschieben. Da indirekt der landwirtschaftliche Viehbestand pro Hektar beeinflusst wird, ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Mitgliedstaaten auch gegenwärtig den Anforderungen der Richtlinie nicht genügen. Aus Wettbewerbsgründen wird um die Gewährung von Übergangsfristen für die Neumitglieder gerungen werden. Die von Litauen beantragte Übergangsfrist133 bis 2011 hat im Beitrittsvertrag keine Berücksichtigung gefunden134. Die Schwierigkeiten bei der Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser135 werden sich als besonders hoch darstellen, denn als einzige Richtlinie verpflichtet sie die Mitgliedsstaaten zur Errichtung von Anlagen 136. Für Gemeinden mit über 2000 Einwohnern ist bis spätestens Ende 2005 eine Kanalisation vorzusehen mit einer Klärbehandlung kommunaler Abwässer von mindestens der zweiten Stufe137. Grundsätzlich fordert sie gemeinschaftsweit die biologische Behandlung vor allem kommunaler Abwasser (Art. 4 Abs. 1)138. Sie sieht Mindestanforderungen vor, die der zunehmenden Belastung der Nord- und Ostsee sowie anderer Gewässer mit Nährstoffen entgegenwirken sollen139. Die damit entstehenden Kosten werden die Neumitglieder durch eine Übergangsfrist auf mehrere Jahre strecken wollen140. Für Litauen wurde die beantragte Übergangsfrist bis 2015 auf eine Übergangszeit bis Ende 2007 für Kommunen mit mehr als 10000 Einwohner und für alle Anderen bis Ende 2009 im Rahmen der Beitrittsverhandlungen verkürzt141. Ziel der Trinkwasserrichtlinie142 ist es, die menschliche Gesundheit durch die Gewährleistung der Reinheit und Genusstauglichkeit des Trinkwassers vor den ___________ 133

Mierauskas, im Schreiben vom 14.02.2003. Vgl. den Wortlaut des Beitrittsvertrags vom 16.04.2003, insbesondere S. 1922 ff. und 2800 ff. im Internet unter: http://europa.eu.int/comm/enlargement/negotiations/ treaty_of_accession_2003/index.htm. 135 Richtlinie 91/271/EWG des Rates vom 21.5.1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser, ABl. vom 30.5.1991 Nr. L 135/40, zuletzt geändert durch RL 98/12/EG, ABl. vom 7.3.1998 Nr. L 67/29. 136 Vgl. auch Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 429 f. 137 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 175. 138 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 32, S. 783. 139 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 32, S. 783. 140 Vgl. demgegenüber zur Umsetzung der WRRL in den deutschen Bundesländern: Knopp, in: ZfW 2003, 1 ff.; ders. , in: NVwZ 2003, 275 ff.; Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 469. 141 Vgl. Beitrittsvertrag vom 16.04.2003, S. 2833 im Internet unter: http:// europa.eu.int/comm/enlargement/negotiations/treaty_of_accession_2003/index.htm. 142 Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3.11.1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, ABl. vom 5.12.1998 Nr. L 330/32, ber. ABl. vom 30.11.1999 Nr. L 305/33. 134

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

Gefahren zu schützen, die sich durch eine Verunreinigung desselben ergeben können143. Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Reinheit und Genusstauglichkeit des Trinkwassers für den menschlichen Gebrauch sicherzustellen144. Grundsätzlich sind die strengen Qualitätsanforderungen zu begrüßen, und zwar unter umwelt- und gesundheitspolitischen Gesichtspunkten der Gefahrenabwehr und der Risikovorsorge145. Im Übrigen erscheint die europäische Gewässerschutzpolitik – insgesamt betrachtet – inkonsequent, wenn nicht mit entsprechender Strenge Emissionsbegrenzungen, technische Anforderungen an Anlagen und Bauelementen sowie insbesondere Beschränkungen der landwirtschaftlichen Bodennutzung normiert werden146. Die Anpassung an die Qualitätsvorschriften der Trinkwasserrichtlinie wird eine erhebliche investive Kraftanstrengung für die Neumitglieder nach sich ziehen. Portugal erhielt beispielsweise 1986 eine dreijährige Übergangsfrist und für die neuen Bundesländer wurde 1990 eine fünfjährige Frist eingeräumt147. Die von Litauen beantragte Übergangsfrist148 bis 2015 wurde jedoch im Beitrittsvertrag nicht berücksichtigt149. Die Richtlinie über die Qualität der Badegewässer150 regelt die Qualitätsanforderungen an jegliche Badegewässer, unabhängig davon, ob es sich um stehende oder fließende Binnengewässer oder Küstenmeere handelt, mit Ausnahme von Wasser für therapeutische Zwecke und Wasser in Schwimmbecken151. Sie wird nicht durch die WRRL aufgehoben, sondern bleibt in Kraft152. Die Richtlinie verlangt die von einer „großen Zahl“ von Badegästen frequentierten Gewässer als Badegewässer auszuweisen und in der Badesaison mindestens alle

___________ 143

Vgl. auch Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 428 f. Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 171. 145 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 38, S. 787. 146 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 38, S. 787. 147 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 468. 148 Mierauskas, im Schreiben vom 14.02.2003. 149 Vgl. den Wortlaut des Beitrittsvertrags vom 16.04.2003, insbesondere S. 1922 ff. und 2800 ff. im Internet unter: http://europa.eu.int/comm/enlargement/negotiations/ treaty_of_accession_2003/index.htm. 150 Richtlinie 76/160/EWG des Rates vom 8.12.1975 über die Qualität der Badegewässer, ABl. vom 5.2.1976 Nr. L 31/1, zuletzt geändert durch Richtlinie 91/692/EWG, ABl. vom 31.12.1991 Nr. L 377/48. 151 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 177; vgl. auch Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 423 f. 152 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 177. 144

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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14 Tage die Qualität zu messen und diese nach den Vorgaben der Richtlinie sicherzustellen153.

c) Richtlinien die durch die WRRL ersetzt werden Die Gewässerschutzrichtlinie154 war quasi vor Inkrafttreten der WRRL die alte Rahmenrichtlinie im Bereich des europäischen Wasserrechts. Sie wird daher auch durch die WRRL substituiert und tritt Dezember 2013 außer Kraft155. Die Richtlinie gilt für alle oberirdischen Gewässer, das Grundwasser, die inneren Küstengewässer und das Küstenmeer, und verfolgt als Ziel die Verringerung und Vermeidung der Verschmutzung und Belastung dieser Gewässer durch ein Verbot bzw. eine Kontrolle der Einleitung bestimmter Stoffe156. Sie ist prinzipiell als Emissionsregelung für bestimmte gefährliche Stoffe angelegt, die in Liste I und II grob umschrieben sind157. Zur Vorbereitung der Umsetzung der WRRL158 wird die Richtlinie in vollem Umfang zu implementieren sein. Die Gemeinschaft kann die Ableitung gefährlicher Stoffe in Gewässer nicht tolerieren, zumal die mit der Reinigung des Abwassers verbundenen Kosten eine erhebliche Auswirkung auf die gewerbliche Wirtschaft haben159. Der Rohwasserrichtlinie160 sind gewisse Mindestanforderungen an die Qualität solcher Oberflächengewässer, die der Gewinnung von Trinkwasser dienen, zu entnehmen161. Auf diese Weise sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass der Trinkwasserbedarf in der Gemeinschaft gedeckt werden kann162. Darüber hinaus wird eine fortschreitende Verbesserung der Wasserqua___________ 153

Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 467. Richtlinie 76/464/EWG des Rates vom 4.5.1976 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft, ABl. vom 18.5.1976 Nr. L 129/23, ber. ABl. vom 28.1.1977 Nr. L 24/55. 155 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 172; vgl. ausführlich zum Verhältnis zur WRRL und Übergangsregelungen Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 414 f. 156 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 172 f. 157 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 29, S. 781. 158 Vgl. zur Umsetzung: Knopp, in: ZfW 2003, 1 ff.; ders., in: NVwZ 2003, 275 ff. 159 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 468. 160 Richtlinie 75/440/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten, ABl. vom 25. Juli 1975 Nr. L 194/26, ber. ABl. vom 26.11.1975 Nr. L 303/20. 161 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 165. 162 Vgl. auch Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 426 f.; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 221 f. 154

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

lität über so genannte Sanierungspläne angestrebt, über die die Mitgliedstaaten Verbesserungen innerhalb von zehn Jahren erreichen sollen (Art. 4 Abs. 2)163. Die Rohwasserrichtlinie wird aufgrund Art. 22 WRRL im Dezember 2007 außer Kraft treten164. Die Grundwasserrichtlinie165 soll die Qualität des Grundwassers durch die Verhinderung oder Kontrolle der Einleitung bestimmter Stoffe in das Grundwasser verbessern166. Dazu enthält die Richtlinie in zwei Anhängen Listen mit verschiedenen Stoffen. Dabei ist sie in einseitiger, bisweilen perfektionistischer Weise auf Einleitungen bestimmter gefährlicher Stoffe fixiert 167. Die immer dringlicher werdenden Verschmutzungen aus diffusen Quellen, z. B. der Landwirtschaft und dem Verkehrswesen, finden keine Beachtung168. Der Grundwasserschutz „in der Fläche“ bleibt hierdurch defizitär169. Die Richtlinie tritt nach Art. 22 WRRL zum Ende 2013 außer Kraft. Die Richtlinie über die Qualität von Fischereigewässern170 regelt den Schutz bzw. die Verbesserung der Qualität von stehenden oder fließenden Süßwassergewässern, in denen das Leben von Fischen bestimmter Arten erhalten wird bzw. bei Verbesserung der Qualität erhalten werden kann (Art. 1). Im Zuge der Novellierung des europäischen Wasserrechts durch die WRRL ist auch die Fischereigewässerrichtlinie betroffen und wird Ende 2013 außer Kraft treten171. Die Richtlinie über die Qualität von Muschelgewässern172 ist auf Küstengewässer und Brackwässer anzuwenden, die von den Mitgliedstaaten als schutz- bzw. verbesserungsbedürftig bezeichnet werden, um Muscheln und Schnecken Lebens- und Wachstumschancen zu geben, die zum direkten Verzehr durch den ___________ 163

Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 222. Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 166. 165 Richtlinie 80/68/EWG des Rates vom 17.12.1979 über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe, ABl. vom 26.1.1980 L 20/43. 166 Vgl. auch Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 419 f. 167 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 35, S. 785. 168 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 35, S. 785. 169 Breuer, in: EUDUR, § 65, Rdn. 35, S. 785. 170 Richtlinie 78/659/EWG des Rates vom 18.7.1978 über die Qualität von Süßwasser, das schutz- oder verbesserungswürdig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten, ABl. vom 14.8.1978 Nr. L 222, zuletzt geändert durch Richtlinie 91/692/EWG, ABl. vom 31.12.1991 Nr. L 377/48. 171 Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 178. 172 Richtlinie 79/923/EWG vom 30.10.1979 über die Qualitätsanforderungen an Muschelgewässer, ABl. vom 10.11.1979 Nr. L 281/47, ber. ABl. vom 20.3.1990 Nr. L 73/34. 164

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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Menschen gedacht sind173. Genauso wie die Fischergewässerrichtlinie ist auch diese Richtlinie durch die WRRL zum Ende 2013 aufgehoben174. Bezüglich einer angemessenen Berücksichtigung des Gewässerschutzes innerhalb der litauischen Umweltstrategie lässt sich die Benennung der Abwasserbehandlung und der Reduzierung von Einleitungen an erster Stelle des Umweltaktionsprogramms anführen. Damit wird der grundlegenden Bedeutung des Aufbaus geschlossener Stoffkreisläufe und der notwendigen Klärsysteme ausreichend Rechnung getragen. Bezüglich der Schaffung der technischen Voraussetzungen bleibt jedoch auf die Einhaltung der Übergangsfristen, welche teilweise erheblich hinter dem beantragten Zeitraum bis 2015 zurückgeblieben sind, hinzuweisen. Die in der Umweltstrategie festgehaltene Umsetzung der Hauptinvestitionsprojekte bis 2015 muss daher erheblich beschleunigt werden. Dies gilt insbesondere für die Errichtung der Klärsysteme für die Behandlung kommunaler Abwässer bis Ende 2009.

5. Habitat- und Artenschutz175 Für den Habitat- und Artenschutz geht es vordergründig um die normative Umsetzung der FFH- und VS-RL. An dieser Stelle erfolgen keine weiten Ausführungen, da zu den Richtlinien unter (D) und (E) im Anschluss ausführlich vorgetragen wird. In exekutivischer Hinsicht ist zunächst die Ergänzung der Listen der besonders zu schützenden Tier- und Pflanzenarten sowie der Lebensraumtypen um diejenigen Arten und Lebensräume erforderlich, die in Litauen schützenswert sind176. Diese dienen dem Aufbau des kohärenten europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete „Natura 2000“ (Art. 3 I FFHRL). Die besonderen Schutzgebiete nach der VS-RL waren bis 1981 bzw. zum Zeitpunkt des Beitritts eines neuen Mitgliedes zu benennen177. Die FFH-RL bestimmt, dass die Mitglieder der Gemeinschaft binnen dreier Jahre nach Bekanntgabe der Richtlinie eine Liste derjenigen Habitate vorzulegen haben, die für das Erstellen einer Gemeinschaftsliste über Gebiete von gemeinschaftlicher

___________ 173

Vgl. auch Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 424. Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 179. 175 Eine ausführliche Darstellung erfolgt unter 1. Teil D. und E.; siehe auch Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 18 ff. 176 Vgl. dazu Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 25. 177 Vgl. zur Ausweisungspflicht für die Vogelschutzgebiete ausführlich Gellermann, „Natura 2000“, S. 17 ff. 174

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

Bedeutung in Erwägung zu ziehen sind178. Für Litauen war die Liste bis spätestens zum Beitrittstermin vorzulegen179. Die Alt-Mitgliedstaaten sind bis heute den Verpflichtungen aus beiden Richtlinien nicht in vollem Umfang nachgekommen180. Daraus folgt für einen Teil des Schrifttums181 die Möglichkeit der Direktwirkung der Richtlinien, um so ihre Umsetzung zu beschleunigen. Durch die Verwendung als Sanktionsmittel gegen den säumigen Mitgliedstaat geht es dabei vordergründig um die Verhinderung der weiteren Zerstörung von Gebieten, die für die Umsetzung der Richtlinien unverzichtbar sind182. Demzufolge kann, wenn auch mit im Einzelnen unterschiedlichen Rechtsfolgen, die Direktwirkung bestimmter Teilinhalte der FFH-RL sowie der VS-RL bejaht werden183. Insoweit kann darauf hingewiesen werden, dass für Litauen bei Versäumnissen bezüglich der Umsetzung der FFH- und VS-RL die entsprechenden Gebiete nicht schutzlos sind184. Vielmehr ergibt sich für die innerstaatliche Verwaltung die Notwendigkeit, gegebenenfalls trotz entgegenstehenden innerstaatlichen Rechts, Teile der Richtlinie direkt anzuwenden und die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen185. Die Berücksichtigung des Habitat- und damit auch des Artenschutzes im nationalen Umweltaktionsprogramm an sechster und siebenter Stelle ist wenig überraschend, da die zuvor aufgeführten Punkte indirekt ebenfalls dem Habitatund Artenschutz zu Gute kommen können. Lediglich die an Punkt fünf aufgeführte Optimierung der Landnutzung kann nur bei einer vorrangigen Ausrichtung an den Erfordernissen des Natura 2000 Schutzgebietssystems hilfreich sein. Besonders erfreulich ist die ausdrückliche Berücksichtigung des Gedankens der Wiederherstellung von zerstörten Naturräumen. Durch den Aufbau des institutionellen Netzwerkes für den Umweltbereich bis Ende 2005 darf es jedoch nicht zu Verzögerungen bei der exekutivischen Umsetzung der FFH-RL kommen.

___________ 178

Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 23. Vgl. auch „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 13. 180 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 466. 181 Vgl. nur: Winter, in: ZUR 2002, 313 ff.; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 301 ff.; Mecklenburg, in: UPR 2002, 124 ff. 182 Vgl. dazu Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 302; Mecklenburg, in: UPR 2002, 127; Winter, in: ZUR 2002, 313. 183 Winter, in: ZUR 2002, 316 ff.; Mecklenburg, in: UPR 2002, 127 f.; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 309 ff. 184 Müller, in: EurUP 2004, 154 ff. 185 Vgl. nur Müller, in: EurUP 2004, 154 ff. und 157. 179

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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6. Umweltverträglichkeitsprüfung Der integrierende, also medienübergreifende Ansatz der UVP-RL beinhaltet Regelungen zur Integration von Umwelt- und Naturschutzaspekten in fachlichen Planungs- und Zulassungsverfahren186. Nach Art. 1 II UVP-RL sind als „Projekte“ die Errichtung baulicher oder sonstiger Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft anzusehen. Dabei haben die Mitgliedstaaten zu garantieren, dass vor Erteilung der behördlichen Zustimmung Projekte, bei denen „insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist“, einer Prüfung unterzogen werden (Art. 2 I UVP-RL). Die Prüfung erstreckt sich auch auf die unmittelbare oder mittelbare Auswirkung eines Projektes auf Fauna und Flora (Art. 3, 1. Spstr. UVP-RL)187. Für die Errichtung neuer Anlagen oder Infrastrukturprojekte wird die Gemeinschaft erneut nicht bereit sein, eine Übergangsregelung für die UVP-RL zu gewähren188. Es macht wenig Sinn, nach dem Beitritt eines Landes zur Union zunächst eine Verschlechterung der Umwelt zuzulassen. Das Ziel der Umweltverträglichkeitsprüfung besteht ja gerade in der Vorbeugung einer solchen Verschlechterung. Die Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen189 für Pläne und Programme stellt eine Ergänzung zu dem bisher dargestellten Konzept der UVP dar und soll die notwendige Frühzeitigkeit der Einbeziehung von Umweltauswirkungen und zugleich eine Abschichtung der UVP auf höherer Planungsebene ermöglichen190. Die Richtlinie ist mit ihrer Veröffentlichung am 21.7.2001 in Kraft getreten und war binnen 3 Jahren, also bis zum 21.7.2004, in nationales Recht umzusetzen191. Der Grund für ihre Schaffung auf der Ebene der Planung und des Programmentwurfs ist die Weichenstellung für größere Entwicklungen und für die Bereitstellung von Finanzen (Plan-Sicherheit für Investoren)192. Ziel dieser Richtlinie ist gemäß Art. 1 die Einbeziehung der Umwelt bei der Ausarbeitung und Verabschiedung von Plänen und Programmen, bei denen mit be___________ 186

Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 105. Vgl. zur Unterscheidung von FFH-Verträglichkeitsprüfung und UVP: Müller, in: EurUP 2004, 156. 188 Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 1985, Nr. L 175, S. 40; geändert durch Richtlinie 97/11/EG, ABl. 1997, Nr. L 73, S. 5. 189 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. vom 21.7.2001 Nr. L 197/30. 190 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 384. 191 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 386. 192 Dietrich, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 103. 187

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

deutenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist193. Da die Umweltprüfung auf einer vorgelagerten Entscheidungsebene strategisch steuernd ansetzt, hat sich für dieses Instrument der Name der „Strategischen Umweltprüfung“ eingebürgert194. Pläne und Programme, die eine Prüfung nach der FFH-RL nach sich ziehen, sind verbindlich einer Umweltprüfung zu unterziehen195. Pläne und Programme für die Nutzung kleiner Gebiete und/oder solche, die geringfügige Änderungen zur Folge haben, unterliegen keiner generellen Prüfpflicht (Art. 3 Abs. 2). Wenn allerdings angenommen werden kann, dass durch ihre Umsetzung die natürlichen Lebensräume gemäß Anhang I der FFH-RL und die Arten gemäß Anhang II beeinträchtigt werden, müssen sie gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b einer Umweltprüfung unterzogen werden196. Die in der Gemeinschaft angewandten Systeme der Umweltprüfung von Programmen und Plänen sollen vor diesem Hintergrund gewährleisten, dass ausreichende grenzüberschreitende Konsultationen stattfinden, wenn die Durchführung eines in einem Mitgliedstaat ausgearbeiteten Plans oder Programms voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen in einem anderen Mitgliedstaat haben wird197. Bezüglich der Berücksichtigung der Belange einer umfassenden Prüfung einer Umweltverträglichkeit bleibt auf das Erfordernis des Aufbaus der entsprechenden Institutionen hinzuweisen. Diese sind in der Umsetzungsstrategie erst bis Ende 2005 im vollen Umfang vorgesehen. Dadurch darf es jedoch nicht zu einer Behinderung oder gar Verzögerung der erforderlichen Prüfungen kommen. Insbesondere die Bereitstellung der erforderlichen Informationen bezüglich der Umweltauswirkungen einzelner Projekte und Pläne muss zeitnah vor jeder Prüfung erfolgen.

II. Problemanalyse für den Umwelt- und Naturschutzbereich Die nationale Umweltstrategie und das Umweltaktionsprogramm bilden eine Basis für die Umsetzung der gemeinschaftlichen Anforderung im Umwelt- und Naturschutzbereich. Sie sind jedoch erheblichen Einwirkungen aus ökonomischer und sozialer Sicht des umfassenden Umwandlungsprozesses in Litauen ausgesetzt. ___________ 193

Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 384. Dietrich, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 103. 195 Vgl. Müller, in: EurUP 2004, 156: Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 385. 196 Dietrich, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 104. 197 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 385. 194

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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1. Umwelt- und Naturschutz unter ökonomischem Druck Bei der gesellschaftlichen Umstrukturierung Litauens wirken die Aufnahme in die EU und die Nachbarschaft zu Russland auf die innere Geschlossenheit der Gesellschaft stabilisierender als der erste Eindruck dies vermitteln mag198. Die Schwierigkeiten bei der Demokratisierung der Gesellschaft und die Bekämpfung von Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit wären ohne die klaren Vorgaben der EU noch viel dramatischer als im Augenblick199. Durch umfassende Neuregelungen ist es in vielen Bereichen gelungen, die formalen Voraussetzungen für eine Aufnahme in die EU zu erfüllen. Die moderne Struktur mit nahezu westlichem Standard bleibt in der Praxis jedoch oft nur Fassade200. Im alltäglichen Umgang funktioniert vieles noch nicht in der vorgesehenen Weise, und bis zu einer pluralistischen Gesellschaft nach westlichem Vorbild muss noch ein langer und komplizierter Weg beschritten werden201. Neben der Sicherung der staatlichen Unabhängigkeit und territorialen Integrität steht die politische, wirtschaftliche und soziale Reform des Landes als wichtige Aufgabe, auch auf lange Sicht, zur Bewältigung an202. Als Hauptpunkte des wirtschaftlichen Reformprogramms werden genannt203: –

die Bekämpfung der Inflation,



die umfassende Liberalisierung der Wirtschaft,



die Bekämpfung von bürokratischen Hindernissen,



die rasche Privatisierung des Eigentums.

Dieser ökonomische Reformprozess muss zugleich mit der Umsetzung der Vorgaben im Umweltbereich verknüpft werden. Litauen wird langfristig sein Kernkraftwerk Ignalina stilllegen, welches 80 % der Energie des Landes erzeugt und dazu 2005 den ersten Reaktorblock und bis spätestens Ende 2009 den zweiten Reaktorblock abschalten204. Dies ist der erste ökonomisch sehr einschneidende Beitrag, den Litauen im Zuge des Beitritts im Umweltbereich zu erbringen hat. Ein Ausgleich für die durch die Abschaltung des Kernkraftwerkes fehlende Energieversorgung in Litauen ist im Protokoll Nr. 4 des Beitrittsvertrages ___________ 198

Pysz, in: Osteuropa-Wirtschaft 1999, S. 342. Veser, in: Osteuropa-Archive 1997, S. A 307 ff. 200 Pysz, in: Osteuropa-Wirtschaft 1999, S. 343. 201 Armbrüster, „Politisches und Rechtssystem Litauens“, S. 47. 202 Eschen, „Die Stellung der baltischen Staaten“, S. 48 ff.; Schrader/Laaser, „Wirtschaft Litauens“, S. 151 ff. 203 Rudaleviius, „Litauens Wirtschaftsreformen“ S. 302. 204 Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S. 72; Vaiinait , in: Graf/Kerner (Hrsg.) „Handbuch Baltikum heute“, S. 247 f. 199

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

von gemeinschaftlicher Seite ausdrücklich vorgesehen205. Im sogenannten Ignalina-Programm wird im Zeitraum von 2004 bis 2006 eine erste Zahlung von bis zu 285 Mio. Euro bereitstehen. Im Anschluss erfolgt eine Weiterführung des Programms mit angemessener finanzieller Gestaltung. Die Mittel werden auch für eine Modernisierung eines Wärmekraftwerks in Litauen eingesetzt.

2. Die Berücksichtung regionaler Besonderheiten Das Recht kann effektiven Schutz für die natürliche Umwelt nur bringen, wenn es die vorgefundene Situation eines Landes, insbesondere seine ökologische Situation, nicht außer Betracht lässt206. Umgekehrt beeinflusst das Naturschutzrecht selbst die Natur, genauer: das Ausmaß der Belastung207. Dabei sind freilich die Maßstäbe für die Nennung eines etwaigen „Erfolges“ oder „Misserfolges“ von Naturschutzrecht noch ungesichert208. Insgesamt lässt sich aber sagen, dass eine erfolgreiche Bewertung gewiss nicht „ökologieblind“ sein darf209. Die reservierte Rezeption des gemeinschaftlichen Umweltrechts findet sich in vielen Mitgliedsstaaten, auch in solchen, die sich hohen Umweltstandards verpflichtet fühlen. Diesbezügliche Verschiedenheiten der Rechtskulturen und Traditionen finden sich auch bei den Neumitgliedern, die erst bei Anwendung des gemeinschaftlichen Umweltrechts zur Erkennbarkeit der Unterschiede in voller Schärfe führen werden210.

___________ 205 Protokoll Nr. 4 „Über das Kernkraftwerk Ignalina in Litauen“, in: ABl. vom 29.9.2003, Nr. L 236, S. 944 f. 206 Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 31. 207 Für den umgekehrten Fall des Einflusses der Natur auf das Naturschutzrecht vgl.: Meyer-Abich, in: Di Blasi/Goebel/Hösle (Hrsg.) „Nachhaltigkeit in der Ökologie“, S. 243; von der Pfordten, „Weshalb retten?“, S. 36 ff.; zur Möglichkeit eines ökozentrischen Ansatzes in diesem Zusammenhang: dafür Czybulka, „Vorüberlegungen zum Naturschutz“, S. 95; dagegen: Steinberg, „Der ökologische Verfassungsstaat“, S. 67. 208 Gegen die Möglichkeit der Erkennbarkeit der Schutzbedürfnisse der Natur: Steinberg, „Der ökologische Verfassungsstaat“, S. 12; Leidinger, in: Di Blasi/Goebel/Hösle (Hrsg.) „Nachhaltigkeit in der Ökologie“, S. 134; Wiggering/Hahn, in: Di Blasi/Goebel/Hösle (Hrsg.) „Nachhaltigkeit in der Ökologie“, S. 55; für die Erkennbarkeit der Bedürfnisse der Natur: Stone, in: Blume (Hrsg.) „Umwelt vor Gericht“, S. 45. 209 Vgl. Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 31. 210 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 457.

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

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3. Die Dynamik der Rechtsentwicklung Bei geplanten späteren Änderungen, wie z. B. der WRRL 2000/60211, entstehen für Litauen besondere Probleme212. Dabei kommt es zu Anpassungen, die nur für einen Zwischenzeitraum von wenigen Jahren gelten werden (13 Jahre für die Richtlinie 76/464), um dann von anderen schon bestehenden oder bis dahin neu erlassenen Richtlinien ersetzt zu werden213. Zusätzlich erschwert wird die vollständige Übernahme des gemeinschaftlichen Umweltrechts durch die ständige Änderung und Weiterentwicklung214 des Gemeinschaftsrechts, durch die Rechtsprechung und den Erlass neuer Richtlinien und Verordnungen215. Grundsätzlich muss jedoch klar sein, dass alte Richtlinien und Verordnungen umzusetzen bzw. anzuwenden und neue Richtlinien innerhalb der vorgegebenen Fristen umzusetzen sind.

4. Die Finanzierung des Umwelt- und Naturschutzes Wie bei allen Beitrittsrunden zuvor wurde auch diesmal eine Reihe von Übergangsregelungen gewährt. Für den Bereich des Umweltschutzes ist es nicht vordergründig von Bedeutung, ob in dem einen oder anderen Fall eine Übergangsfrist eingeräumt wird und ob diese Frist ein Jahr länger oder kürzer ist. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, wie sich die jeweiligen Neumitglieder insgesamt in ihrer Umweltpolitik und in ihrem Verhältnis zum umweltrechtlichen Besitzstand der Gemeinschaft organisieren, strukturieren und finanzieren216. Es scheint, als habe bisher niemand den sich aus der Implementation der verschiedenen Umweltrichtlinien der Gemeinschaft ergebenden Investitionsbedarf zusammengerechnet und einen Gesamtfinanzierungsplan aufgestellt217. Die finanziellen Mittel für die Angleichungen im Umweltbereich wird Litauen auf lange Zeit nicht selber erwirtschaften können. Derzeitige Finanzierungsquellen sind der Staatshaushalt (10 Mio. Euro), die kommunalen Umweltfonds (10 Mio. Eu___________ 211

Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen im Bereich der Wasserpolitik, ABl. 2000, Nr. L 327, S. 1. 212 Vgl. zur Umsetzung in Deutschland: Knopp, in: ZfW 2003, 1 ff.; ders., in: NVwZ 2003, 275 ff. 213 Krämer, in: Jb UTR 2001, S, 461. 214 Calliess, in: Baumeister (Hrsg.) „Wege zum Ökologischen Rechtsstaat“, S. 71 ff. 215 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 462. 216 Vgl. zur Finanzkompetenz des Bundes zur Finanzierung von Naturschutzvorhaben grundlegend: Rodi, „Finanzierungkompetenzen“, S. 133 ff.; zum LIFE-Programm: „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 10. 217 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 473; vgl. zur Kompetenz der EG zur Finanzierung von Naturschutzvorhaben grundlegend: Rodi, „Finanzierungskompetenzen“, S. 29 ff.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

ro) sowie im privatwirtschaftlichen Bereich der Litauische Umweltinvestitionsfonds, der über 2 Mio. Euro Grundkapital verfügt und sich aus einem Anteil von 20 % der Verschmutzungsabgaben finanziert218. Darlehen werden durch die Nordische Entwicklungsbank und die Weltbank (je 20 Mio. Euro) zur kommunalen Umweltinfrastrukturentwicklung, durch die Europäische Investitionsbank (15 Mio. Euro) zur ISPA-Kofinanzierung219 sowie von Dänemark gewährt220. Hinzu kommen Fördermittel aus den Programmen PHARE221 und ISPA in Höhe von 25–30 Mio. Euro.

5. Die Veränderung der „Rechtswirklichkeit“ Das wichtigste Problem der Umsetzungsbemühungen der Neumitglieder ist, dass Richtlinien, Gesetze und Übergangsfristen zunächst nur ein Stück Papier sind, das die „Wirklichkeit“ der Umwelt noch nicht verändert. Auf Druck der Gemeinschaft haben die Neumitglieder vermutlich alles in ihre nationalen Umweltgesetze hineingeschrieben, was die Gemeinschaft verlangte, um in ihr einen Platz zu finden222. Aber zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes bedarf es zusätzlich der vollständigen dem Buchstaben und dem Geist nach „richtigen“ Durchführung der Umweltregelungen. Dabei werden die staatlichen Stellen der Neumitglieder selber erst einmal mit gutem Beispiel voranzugehen haben. Die viel breitere Dimension des Umweltschutzes wird indes einen Aufbau einer Umwelt-Gesellschaft erfordern, in der offen über die Fragen des Klimaschutzes, der Artenvielfalt, der verschiedensten Altlasten, der Probleme in Landwirtschaft, Transport, Energieversorgung und Kernenergie diskutiert werden kann. Dazu gehören auch die Förderung der Umwelterziehung, der betrieblichen Diskussion um den Umweltschutz223, von Umweltverbänden, von Forschungseinrichtungen und Medienveranstaltungen224.

___________ 218

Zu den Umweltabgaben ausführlich im 3. Teil. Geschaffen durch Verordnung 1267/1999 vom 21.06.1999 (für Infrastruckturmaßnahmen im Bereich Transport und Umwelt); vgl. Baerman, in: WiRO 2004, 97 ff. 220 Vaiinait , in: Graf/Kerner (Hrsg.) „Handbuch Baltikum heute“, S. 250; Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S. 71. 221 Geschaffen durch Verordnung 3906/89 vom 18.12.1989 (ursprünglicher Titel „Poland/Hungary Aid for the Reconstraction of the Economy“); vgl. Baerman, in: WiRO 2004, 97 ff. 222 Vgl. Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 474. 223 Vgl. hierzu Kudert, in: WISO 1990, 569 ff. 224 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 475. 219

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

71

Zur Steuerung der Umsetzung trotz Übergangsfristen werden Zeitpläne für Investitionen allein nicht ausreichen, vielmehr bedarf es Veränderungen in der Umweltpolitik der Neumitglieder, um eine funktionsfähige UmweltInfrastruktur zu schaffen225. Dazu gehören auf kommunaler Ebene die Schaffung von Strukturen zum Messen und Kontrollieren, die Gewährung des Zugangs der Bürger zu Informationen über die Umwelt, die Möglichkeit an der Ausarbeitung von Sanierungs- und Bewirtschaftungsplänen mitzuwirken, an den durchzuführenden Prüfungen über die Umweltverträglichkeit teilzunehmen und ihre Auffassungen zu äußern226. Neben einer Veränderung der Gesetze ist vor allem eine Veränderung der Strukturen und des Verhaltens der Verwaltung, eine größere Transparenz in den Entscheidungsprozessen, ein sorgfältiges Offenlegen von Daten und Ergebnissen in Berichten, Verlautbarungen und Veröffentlichungen sowie eine größere „Ehrlichkeit“ in dem Bemühen um einen verstärkten Schutz der Umwelt notwendig227. Welchen Weg die Neumitglieder, wie Litauen, in der Umweltpolitik beschreiten werden, lässt sich durch die Übernahme von Umweltregelungen der Gemeinschaft nicht oder kaum vorhersagen. Staaten, die den Schutz und die Erhaltung der Umwelt eher als lästigen Zwang ansehen und demgemäß nur das unbedingt Verlangte tun, gibt es in der Gemeinschaft in ausreichender Zahl 228. Da auf absehbare Zeit fast alle wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Kräfte der Neumitglieder mit der Aufgabe des Umsetzungsprozesses gebunden sind, wird die Gemeinschaft durch ihre Kommission als Motor einer aktiven, fortschrittlichen und effektiven Politik in der erweiterten Gemeinschaft zum Schutz der Umwelt, diese zukünftig auch weiter zu konzipieren, vorzuschlagen, durchzusetzen und zu implementieren haben229.

III. Vergleich zu Deutschland und den neuen Bundesländern Als ein relativ junges, aktuelles Rechtsgebiet kann das Umwelt- und Naturschutzrecht der einzelnen Staaten durch vergleichbare Lebenssachverhalte (geographische, meteorologische und ökonomische Gemeinsamkeiten), durch die Rezeption ausländischer Vorbilder und schließlich durch vorgegebene interoder supranational harmonisierte Standards beeinflusst sein230. Zur Verdeutli___________ 225

Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 474. Vaiinait , in: Graf/Kerner (Hrsg.) „Handbuch Baltikum heute“, S. 252. 227 Calliess, „Rechtsstaat und Umweltstaat“, S. 34. 228 Vgl. Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 475. 229 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 475. 230 Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 33 ff. 226

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

chung der Problemlage bietet sich hier ein Seitenblick auf die Situation in den neuen deutschen Bundesländern an. Der Grund des hohen Interesses für die Implementation des gemeinschaftlichen Umweltrechts im Verhältnis zur Rechtswirklichkeit bezüglich nationaler Regelungen im Umweltbereich könnte die Charakterisierung des Gemeinschaftsrechts als eine Art immigriertes Recht sein231. Seine Entstehung erfolgte zwar innerhalb der Gemeinschaft zu der auch der eigene Mitgliedstaat gehört, jedoch entspricht es nicht immer dem eigenen Rechtsdenken, den eigenen Traditionen und Regelungsansätzen232. Gemeinsam dürfte den Neumitgliedern die Diskrepanz zwischen geschriebenem Recht und der Implementation in der Praxis sein, wie es sich bei der deutschen Wiedervereinigung darstellte. Entgegen aller Annahmen in den alten Bundesländern, die Unterschiede seien mit denen zu Belgien u.a. in den wesentlichen Aspekten äquivalent, standen die Gesetze der DDR zwar auf dem Papier, in der Praxis wurden diese Regelungen jedoch nicht implementiert. Der mit Abstand größte Umweltverschmutzer war der Staat und die staatseigenen Betriebe233. Damit war für das Rechtsverständnis des Bürgers zum Staat eine doppelte Realität prägend, in Form der in den Gesetzen und Regelungen festgelegten und der in der Praxis vorherrschenden „Realität“. Die Erziehung zur Unterscheidung zwischen Rechtslage und „Wirklichkeit“ und damit die Nichtbefolgung des gesetzten Rechts (nach dem Beispiel des Staates) war die absehbare Folge234. Diese Einstellungen werden in ähnlicher Form auch in Litauen vorzufinden sein. Für den Bereich des Umwelt- und Naturschutzrechts wirkt sich dieses Phänomen besonders aus, da hier keine gesellschaftlichen Interessengruppen das eigene Interesse und zugleich das Gesamtinteresse des Staates fördern und somit als kontrollierende Instanz auftreten könnten235. Für die neuen Bundesländer wurde im Zuge der Vereinigung kein gesonderter Beitrittsvertrag geschlossen. Für einzelne Richtlinien wurden Übergangsfristen vom 31.12.1991 bis zum 31.12.1995 genehmigt236. Insbesondere durch Art. 5 der RL 90/656/EWG237 erfolgte eine grundsätzliche Regelung der Über___________ 231

Vgl. nur Kloepfer, in: NVwZ 2002, 645 ff. Vgl. Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 456 ff. 233 Vgl. auch Häußler, „Handlungsempfehlungen für MOL“, S. 41 ff.; Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 457. 234 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 457. 235 Müller, in: RMB 2002, S. 108 f. und 111 f. 236 Müller et al., in: NuR 1993, 65. 237 Richtlinie über die in Deutschland geltenden Übergangsmaßnahmen für bestimmte Gemeinschaftsvorschriften über den Umweltschutz 90/656/EWG vom 4.12.1990 in ABl. Nr. L 353, S. 59. 232

B. Die politisch-gesellschaftlichen Beitrittsprobleme im Umweltbereich

73

gangsvorschriften238. Diese betrafen insbesondere das Aufstellen von Bewirtschaftungs- oder Sanierungsplänen und das Ausweisen von Schutzgebieten nach der VS-RL und allgemein für die FFH-RL. Die primäre Ausrichtung auf die Förderung der Wirtschaft wurde dabei ausdrücklich erwähnt und war der besonderen Situation der Unternehmen in den neuen Bundesländern geschuldet, welche über Nacht mit den Anforderungen einer modernen Umweltschutztechnik konfrontiert waren, für deren Umsetzung die ökonomische Grundlage nicht gegeben war239. Obwohl das maßgebliche Bundesrecht und die für den Naturschutz und die Landschaftspflege einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen zum Teil schon zum 1.07.1990 und spätestens zum 3.10.1990 in Kraft getreten sind, galt noch das frühere Recht als Landesrecht in den neuen Bundesländern fort, wodurch es zu einer vielschichtigen und komplizierten Rechtslage bis zum Erlass der entsprechenden neuen Landesnaturschutzgesetze kam240. Als Amtshilfe bis zum Aufbau einer neuen Verwaltung wurde nach der jeweiligen Prüfung vor Ort eine weitere Prüfung durch eine ausgewählte Behörde in den alten Bundesländern festgelegt, wodurch es zu großen zeitlichen Verzögerungen und zum Teil auch, mangels Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort, zu Fehlentscheidungen kommen musste241. Die noch im Umbruch befindliche Justiz konnte dieser Fehlentwicklung nur zeitlich stark verzögert begegnen, da viele der neuen Richter mit dem Verständnis der noch bestehenden alten Verwaltungsstrukturen überfordert waren242. Zur Beseitigung der Risiken für Investitionen durch bestehende Altlasten243, kam es zu Haftungsfreistellungen244, wobei jedoch die teilweise mit einbezogenen Kommunen schnell an ihre finanziellen Grenzen stießen245. Bei diesem Aufschub der Lösung der ökologischen Probleme zugunsten der Förderung der ökonomischen Belange durfte es jedoch nicht zu einem Anstieg der Umweltbelastungen kommen, und der Schutz der Gesundheit hatte absoluten Vorrang246. Eine Übergangsfrist für das Durchführen von Umweltverträglichkeitsprüfungen vor der Erstellung neuer Vorhaben der Infrastruktur gab es nicht, da dadurch eine weitere Schädigung der Umwelt verhindert werden sollte247. Seit dem 1.01.1996 gilt das gemein___________ 238

Müller et al., in: NuR 1993, S. 65; Apfelbacher/Adenauer, in: NuR 1991, S. 330 f. Müller et al., in: NuR 1993, S. 64; Müggenborg, in: NVwZ 1991, S. 736. 240 Apfelbacher/Adenauer, in: NuR 1991, S. 326; Schmidt-Räntsch, in: NuR 1991, S. 331. 241 Müggenborg, in: NVwZ 1991, S. 742. 242 Müggenborg, in: NVwZ 1991, S. 743 f. 243 Vgl. zur Definition der Altlasten: Erbguth, in: ThürVBl. 1996, S. 97; SchmidtJortzig, in: DÖV 1991, S. 753 f. 244 Kloepfer/Kröger, in: DÖV 1991, S. 989 ff.; Müller et al., in: NuR 1993, S. 66. 245 Schmidt-Jortzig, in: DÖV 1991, S. 762. 246 Müller et al., in: NuR 1993, S. 64. 247 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 463. 239

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

schaftliche Umwelt- und Naturschutzrecht in den neuen deutschen Bundesländern uneingeschränkt. Eine mögliche Alternative zu Übergangsregelungen wäre die Aufstellung und die Kontrolle von Umweltplänen zur Implementation mit allen erforderlichen Investitionen, wie beim Beitritt der neuen Bundesländer im Zuge der Vereinigung, die von Litauen im Ansatz bereits vorgelegt wurden248. Jedoch wurden die damals verlangten Pläne nicht umgesetzt und von der Kommission auch nicht abverlangt249. Zusammenfassend kann Litauen, trotz der teilweise offenen Verstöße gegen die normative Umsetzung von Umweltgemeinschaftsrecht durch einige Mitgliedstaaten250, nur die Einhaltung der Übergangsfristen nahe gelegt werden, um eine Verurteilung durch den EuGH zu verhindern251.

C. Das Umweltrecht in der Europäischen Union Nach den bisher in umweltpolitischer und gesellschaftlicher Hinsicht eher grundsätzlichen Darstellungen der Beitrittsprobleme Litauens wird nunmehr auf den rechtlichen Bereich in Gestalt des Umweltgemeinschaftsrechts einzugehen sein. Dem primären Gemeinschaftsrecht kommt wegen seines höheren Ranges nach der gemeinschaftlichen Normenhierarchie eine Maßstabsfunktion für die Interpretation der Richtlinien als Bestandteil des Sekundärrechts zu, wobei die Richtlinien wiederum die Prinzipien des gemeinschaftlichen Umweltschutzes effektiv umzusetzen haben252. Daher erfolgt zunächst ein Überblick über das Umweltrecht im Primärrecht der Gemeinschaft und seine historische Entwicklung aus umweltpolitischer Sicht.

___________ 248 Lazdinis, „Kennzeichen des nationalen Umweltprogramms der Republik Litauen“, S.69 ff. 249 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 473 ff. 250 Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 475. 251 Wenn man sich vergegenwärtigt, dass beispielsweise Deutschland im Juni 1996 vom Gerichtshof verurteilt wurde, weil es die Richtlinien über Fisch- und Muschelgewässer siebzehn bzw. achtzehn Jahre nach ihrer Annahme durch die Gemeinschaft immer noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt hatte, dann fällt es schon schwer, den Beitrittsländern die an sich selbstverständliche rechtzeitige und vollständige Implementierung des gemeinschaftlichen Umweltrechts und die Einhaltung etwaiger Übergangsfristen zu empfehlen. 252 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 41; Kotulla, in: EuR 2001, 525.

C. Das Umweltrecht in der Europäischen Union

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I. Die umweltpolitische Entwicklung der Gemeinschaft Aus den europäischen Verträgen253 EUV/EGV ist der bestmögliche Umweltschutz254 seit langem als Grundsatz anerkannt255. Nachdem die Umweltpolitik zunächst nicht in dem Gründungsvertrag zur EWG von 1957 vorgesehen war256, ist eine stete Entwicklung der Gemeinschaft zur Anerkennung des Umweltschutzes als ein wesentliches Ziel zu erkennen257. Ab den 1970er Jahren begann das Interesse in der EG für den Umweltschutz258 zu entstehen und damit zeitgleich zum Aufkommen des neuen Begriffs des „Umweltschutzes“ und des mit ihm verbundenen Problembewusstseins. Mit der Verabschiedung des ersten europäischen Umweltprogramms der EG von 1973259 wurde der noch rechtlich unverbindliche Startschuss gegeben260. Seine Bedeutung lag insbesondere in der erstmaligen Festlegung der Grundprinzipien und Ziele der Umweltpolitik, der Schaffung gleicher Umweltverhältnisse in allen Mitgliedstaaten auf hohem Ni___________ 253

Vgl. statt aller: Geiger, EUV/EGV, Kommentar; Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar. 254 Lange vor der Entstehung einer Gemeinschaft in Europa, die auf dem Gebiet des Umweltschutzes eine gemeinsame Politik verfolgt, gab es in der historischen Rückschau anschauliche Beispiele für die Bemühungen der rechtlichen Ausgestaltung des Schutzes der Umwelt. Als eine der frühesten erwähnten Umweltschutzregelungen dürften die Rechtssatzungen zur Erhaltung und Sicherung der Bewässerungsanlagen für die Gebiete des Zweistromlandes, dem heutigen Irak, der Sumerer und Babylonier, besonders unter Hammurabi um 1800 v. Chr. gelten: vgl. Leidinger, in: Di Blasi/Goebel/Hösle (Hrsg.) „Nachhaltigkeit in der Ökologie“, S. 129 ff. (141); Der Grundsatz des nachhaltigen Umgangs mit den nachwachsenden Rohstoffen, aus dem der Nachhaltigkeitsbegriff in all seinen Erscheinungsformen hervorgegangen ist, fand bereits im Jahre 1144 als Forstordnung des Klosters Mauern-Münster im Elsaß seinen rechtlichen Niederschlag: vgl. Koslowski, in: Di Blasi/Goebel/Hösle (Hrsg.) „Nachhaltigkeit in der Ökologie“, S. 96 ff. (105). 255 Vgl. Zuleeg, in: NVwZ 1987, 283 ff. 256 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 10. 257 Scheuing, in: EuR 2002, 619 ff.; ders. in EuR 2001, 1 ff.; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 42 ff.; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 174 Rdn. 3 ff. 258 Vgl. Zum Versuch der Abgrenzung der Begriffe „Umwelt“ und „Natur“: Wolf, „Umweltrecht“, S. 1 ff.; Calliess, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 8; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 46; Kloepfer/Brandner, „Umweltrecht“, S. 17 ff.; Lersner, in: NuR 1999, 63; Uexküll, „Theoretische Biologie“, S. 100; Haber, in: Di Blasi/Goebel/Hösle (Hrsg.) „Nachhaltigkeit in der Ökologie“, S. 66 ff.; Picht, „Der Bergriff der Natur“, S. 3 ff.; Czybulka, „Naturschutz und Verfassungsrecht“, S. 3; Czybulka, „Vorüberlegungen zum Naturschutz“, S. 84. Czybulka, „Ökologiepflichtigkeit“, S. 91 ff.; Hagen in JZ 1998, 223 ff. 259 Vgl. 1. Aktionsprogramm vom 22.11.1973 (ABl. Nr. C 112, S. 1); Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 20 ff. 260 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 20, 22; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 3 f.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

veau261. Bereits vor einer ausdrücklichen Verankerung einer Handlungsermächtigung für den Umweltbereich, ergingen zahlreiche Richtlinien auf Grund der Art. 100 EWGV oder Art. 235 EWGV sowie teilweise als Doppelabstützung auf beiden Rechtsgrundlagen262. Nach beiden Normen war jedoch grundsätzlich nur eine Umweltpolitik möglich, welche die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen und dadurch nur mittelbar Umweltschutz zum Ziel hatte263. Auf dieser Rechtsgrundlage war ein zukunftbezogener und präventiver Umweltschutz nur in Ansätzen möglich. Dabei ließ sich die Gemeinschaft von einer fehlenden weiterreichenden Kompetenz nicht wesentlich aufhalten, wohl in indirekter Billigung der Mitgliedstaaten264. Die kontinuierliche Entwicklung über die schon frühzeitig sehr großzügige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes265 (EuGH) und über die Verabschiedung des ersten Umweltaktionsprogramms fand seine erste rechtliche Ausprägung in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA)266von 1986/87, welche mit dem damaligen neuen Titel VII (Art. 130r–130t EWGV) eine „Umweltverfassung“ der Gemeinschaft im weiteren Sinne schuf267. Nicht zuletzt die Massenproteste und Gründungen von Ökologiebewegungen Ende der 1970er Anfang der 1980er Jahre in den Mitgliedstaaten leisteten einen erheblichen Beitrag, um die Regierungen auch auf supranationaler Ebene zu weiteren Maßnahmen bezüglich der Festschreibung des Umweltschutzes zu veranlassen268. Für den Teil Europas, der zur Europäischen Gemeinschaft gehörte, bedeutete dies, die Umgestaltung der Wirtschaftsgemeinschaft in eine ökologisch orientierte Gemeinschaft zu realisieren269. Die Entwicklung über die Verträge von Maastricht270, Amsterdam271 und Nizza272 sowie das 5. Programm ___________ 261 Kloepfer, in: NVwZ 2002, 645; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 3 ff. 262 Vgl. Richtlinie 85/337/EWG v. 27.07.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. Nr. L 175, S. 40 ff.; Richtlinie 79/409/EWG v. 2.04.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. Nr. L 103, S. 1 ff.; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 43; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 5. 263 Calliess, in: Baumeister (Hrsg.) „Wege zum Ökologischen Rechtsstaat“, S. 73; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 4; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 12. 264 Kloepfer, in: NVwZ 2002, 645. 265 Vgl. dazu ausführlich Scheuing, in: EuR 2002, 619 ff. 266 EEA vom 28.02.1986 (ABl. 1987 Nr. L 169 vom 29.06.1987); Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 6. 267 Scheuing, in: EuR 2002, 7; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 43; Kotulla, in: EuR 2001, 524; Geiger, EUV/EGV Art. 6 EGV Rdn. 1 ff. 268 Evtimov, in: WiRO 2002, 225. 269 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 2 ff. 270 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 7.

C. Das Umweltrecht in der Europäischen Union

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über die Umweltaktionen der EG273, welches die Vorgaben des UNCEDErdgipfels von Rio de Janeiro umzusetzen hatte, ist an der Veränderung der Querschnittsklausel des heutigen Art. 6 EGV zu beobachten274. In der Urfassung von 1987 (Art. 130r II S. 2 EWGV) hieß es noch „Die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politiken“, so geht der heutige Wortlaut „Die Erfordernisse [...] müssen [...] einbezogen werden“ weg von dem eher feststellenden politischen Charakter hin zu einem Grundsatz der Gemeinschaft mit der Stellung „vor der Klammer“275. Dadurch kann die Stellung des Umweltschutzes als ein die Gemeinschaft prägendes und wesentliches Ziel anerkannt werden276. Durch die Hervorhebung des Umweltschutzes in Art. 2 und 3 EGV als Aufgabe der Gemeinschaft an derart prominenter Stelle ist diese auch als „Umweltgemeinschaft“ angelegt277. Die heutige Fassung der Art. 174 ff. EGV kann aber nicht als Abschluss einer dynamischen Entwicklung verstanden werden. Gerade die zum 1.5.2004 erfolgte Erweiterung der Gemeinschaft kann diese Dynamik mitunter noch erhöhen278.

II. Das Umweltrecht im Primärrecht der Gemeinschaft 1. Die „Querschnittsklausel“ Mit der Festschreibung der Ziele des Umweltschutzes in der sogenannten „Querschnittsklausel“ des Art. 6 EGV ist dieser Politikbereich nicht nur eine ___________ 271

Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 8. Vgl. nur Schrader, in: UPR 1999, 201 ff.; Calliess, in: ZUR Sonderheft 2003, 129 ff.; Dreher, in: Dietrich/Au/Dreher, „Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften“, S. 56 f; Vertrag von Nizza in ABl. vom 10.3.2001 Nr. C 80/1. 273 Vgl. ABl. 1993 Nr. C 138/1; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 21. 274 Calliess, in: Baumeister (Hrsg.) „Wege zum Ökologischen Rechtsstaat“, S. 77 f.; ders., in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 5, Art. 6 EGV Rdn. 13 ff.; ders., in: DVBl 1998, 559 ff. 275 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 105 ff.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 18; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 6 EGV Rdn. 1 f. 276 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 5. 277 Vgl. bereits EuGH, Urteil vom 7.02.1985, 240/83 – Slg. 1985, 531 Rn. 13 und 15; Kotulla, in: EuR 2001, 522; vgl. auch Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 5 ff. 278 Evtimov, in: WiRO 2002, 226; für die Erweiterung um Österreich, Schweden und Finnland vgl. die Anpassungsverträge in ABl. Nr. C 241/1994, S. 21; vgl. auch Krämer, in: Jb UTR 2001, S. 464. 272

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

sektorielle Aufgabe neben anderen, sondern Bestandteil der gesamten Gemeinschaftspolitik279. Dies darf jedoch nicht als eine absolute Vorrangregelung des Umweltschutzes gegenüber den anderen Zielen der Gemeinschaft missverstanden werden, bei Zielwidersprüchen erfolgt eine Auflösung im Sinne einer praktischen Konkordanz280. Aus dem zwingenden Wortlaut des Art. 6 EGV drängt sich jedoch ein Rechtsgebot zur Umorientierung und Neuausrichtung der gesamten Gemeinschaftspolitik auf die Ziele und Grundsätze des Art. 174 EGV auf281. Die Ziele der Umweltpolitik dienen nach Art. 174 EGV der Erhaltung und dem Schutz der Umwelt sowie der Verbesserung ihrer Qualität, dem Schutz der menschlichen Gesundheit, der Ressourcenschonung sowie der Einbindung in Maßnahmen des internationalen Umweltschutzes in rein ökologischer Sichtweise282.

2. Hohes Schutzniveau und bestmöglicher Umweltschutz Die dogmatische Herleitung des als gemeinschaftsverfassungsrechtliches Prinzip anerkannten Ziels des bestmöglichen Umweltschutzes erfolgt insbesondere aus der Verpflichtung der Umweltpolitik auf ein hohes Schutzniveau283 in Art. 2, Art. 95 III und Art. 174 II UAbs. 1 S. 1 EGV, aus der umweltrechtlichen Querschnittsklausel nach Art. 6 EGV sowie der Ermächtigung hinsichtlich der Einführung und der Beibehaltung strengerer nationaler Umweltschutzbestim-

___________ 279 Geiger, in: EUV/EGV Art. 6 EGV Rdn. 1 ff.; Kotulla, in: EuR 2001, 527; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 106 ff.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 18. 280 EuGH, Urteil vom 20.09.1988, C-302/86 – Slg. 1988, I-4607 Rn. 8 ff.; Geiger, in: EUV/EGV Art. 6 EGV Rdn. 5; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 19 ff.; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 198; a.A. vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 Rdn. 13 ff. 281 Vgl. bereits EuGH, Urteil vom 29.03.1990, C-62/88 – Slg. 1990, 1527 Rn. 20; EuGH, Urteil vom 19.05.1992, C-195/90 – Slg. 1992, I-3141 Rn. 33 = EuZW 1992, 390; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 6 EGV Rdn. 19 ff.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 19. 282 Vgl. EuGH, Urteil vom 2.08.1993, C-355/90 – Slg. 1993, I-4221 = ZUR 1994, 305; EuGH, Urteil vom 11.07.1996, C-44/95 – Slg. 1996, I-3805 = ZUR 1996, 251; Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, S. 183 ff.; Wolf, „Umweltrecht“, S. 175. 283 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.09.1988, C-302/86 – Slg. 1988, I-4607 Rn. 8 ff.; EuGH, Urteil vom 9.07.1992, C-2/90 – Slg. 1992, I-4431; EuGH, Urteil vom 28.02.1991, C-57/89 – Slg. 1991, I-883 = NuR 1991, 249; EuGH, Urteil vom 2.08.1993, C-355/90 – Slg. 1993, I-4221 = ZUR 1994, 305; Kotulla, in: EuR 2001, 523; Geiger, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 13; Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, 185 ff.

C. Das Umweltrecht in der Europäischen Union

79

mungen nach Art. 176 und Art. 95 IV–VI EGV284. Aus dem Begriff des hohen Schutzniveaus nach Art. 174 II UAbs. 1 S. 1 EGV wird die Verpflichtung der Gemeinschaft auf einen hohen Schutzstandard im Rahmen jeder einzelnen umweltpolitischen Maßnahme abgeleitet285. Eine Definition des „hohen Schutzniveaus“ findet sich im Gemeinschaftsrecht zwar nicht, allerdings wird darunter ein solches Niveau zu verstehen sein, das effektiven Umweltschutz in Hinblick auf die Ziele nach Art. 174 I EGV und unter Beachtung der Handlungsgrundsätze nach Art. 174 II UAbs. 1 S. 2 EGV ermöglicht286. Diese Verpflichtung wurde über die Anerkennung des Grundsatzes des bestmöglichen Umweltschutzes zum Umweltprinzip als Verfassungsprinzip weiterentwickelt287. Aus der Anerkennung als Rechtsprinzip288 folgt wiederum das sogenannte Optimierungsgebot, welches einen Idealzustand als Ziel festlegt, dessen bestmögliche Verwirklichung der Rechtssetzung und Rechtsanwendung obliegt, gleichwohl aber eine Auslegungsmaxime bei der Interpretation des Sekundärrechts darstellt289. Dem Umweltprinzip wird eine vertragliche Gewichtsverlagerung zugunsten des Umweltschutzes zugesprochen, die im Zweifel zu einem relativen Vorrang im Rahmen der Abwägung von Zielkonflikten zwischen umweltpolitischen Anliegen und anderen vertraglichen Zielsetzungen führen kann290. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten nach Art. 174 II UAbs. 1 Satz 1 EGV lassen dieses hohe Schutzniveau291 im Einzelfall jedoch hinter das gesamte Umweltpolitikziel zurückfallen und sogar eine Absenkung nationaler Standards möglich werden292. Im Ergebnis kann dies jedoch zu einem gemeinschaftlichen Mindeststandard führen, der den regionalen Gegebenheiten Rechnung trägt und gleichwohl auf einem möglichst hohen Schutzniveau gesucht wird und zudem die Möglichkeit regionaler Schutzverstärkung eröffnet293. ___________ 284

Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 78; vgl. Scheuing, in: EuR 2001, 9 ff.; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 110 ff. 285 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 34; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 13. 286 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 54 f.; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 110 ff.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 96. 287 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 18. 288 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 112. 289 Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 78; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 49. 290 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 18. 291 Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, 185 ff. 292 Kotulla, in: EuR 2001, 523; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 97. 293 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 24.

80

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

3. Die Handlungsgrundsätze Grundsätzlich muss sich jedoch die Gemeinschaftspolitik von den drei tragenden Prinzipien des Art. 174 II UAbs. 1 Satz 2 EGV dem Vorsorge-, Ursprungs-, und Verursacherprinzip leiten lassen294. Gemäß Art. 174 II UAbs. 1 S. 2 EGV beruht die gemeinschaftliche Umweltpolitik auf dem Vorsorge- und Vorbeugeprinzip295. Der Grundsatz der Vorbeugung ist in gewissem Maße eine Vorstufe des Grundsatzes der Vorsorge, der inhaltlich weiterreichender ist und im Rahmen der Prävention auch die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis senkt296. Nach der „Ignoranztheorie“ muss gerade in Hinblick auf noch unbekannte Risiken von der repressiven Beseitigung schon bestehender Schäden zur vorausschauenden Prävention umgesteuert werden297. Die Erhaltung eines belastungsfreien oder zumindest belastungsarmen Rückzugsraumes für die Natur soll nach der sogenannten Freiraumtheorie ebenfalls vom Vorsorgeprinzip im Interesse des Nachweltschutzes umfasst werden298. Aus Art. 174 II UAbs. 1 S. 2 EGV folgt zudem das Ursprungsprinzip299, nach welchem die Umweltpolitik der Gemeinschaft Beeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen hat300. Dadurch soll die Quelle der Schädigung und nicht erst der Schaden selber im Mittelpunkt der Bemühungen stehen301. Während das Vorsorgeprinzip (nur) darüber Auskunft gibt, wann eine umweltpolitische Maßnahme (schon) durchgeführt werden kann, legt das Ursprungsprinzip zusätzlich fest, wo die Maßnahme ansetzen kann oder muss302.

___________ 294 Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, 187 ff.; Kotulla, in: EuR 2001, 523. 295 EuGH, Urteil vom 5.05.1998, C-157/96 – Slg. 1998, I-2211, 2259; EuGH, Urteil vom 5.05.1998, C-180/96 – Slg. 1998, I-2265, 2298 = EuR 1998, 514; Scheuing, in: EuR 2002, 623 u. 625; Geiger, EUV/EGV Art. 6 EGV Rdn. 14; Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, S. 187 ff. 296 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 39; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 99 f. 297 Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 78. 298 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 57 ff.; Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 78. 299 EuGH, Urteil vom 10.05.1995, C-422/92 – Slg. 1995, I-1097 Rn. 34 = DVBl 1995, 1003; Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, 190 ff. 300 Geiger, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 15; Scheuing, in: EuR 2002, 627. 301 Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 78; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 101 f.; Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, S. 190 ff.; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 60 ff. 302 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 102 f.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 40 f.

C. Das Umweltrecht in der Europäischen Union

81

Der dritte Handlungsgrundsatz aus der Trias des Art. 174 II UAbs. 1 S. 2 EGV ist das Verursacherprinzip303, welches auf der Gemeinschaftsebene als Kostentragungsprinzip seine Ausprägung findet304. Derjenige, der die Umweltbeeinträchtigung, egal ob legal oder illegal, hervorruft, soll dafür auch die Kosten, und zwar mindestens die verursachten Kosten der Schädigung, tragen305. Zur Vereinfachung bei Distanz- und Summationsschäden kann auf Fondslösungen für homogene Verursachergruppen in einer Gruppenverantwortlichkeit zurückgegriffen werden306. Vom Gemeinlastprinzip soll dadurch zum Einzellastprinzip in Form des Verursacherprinzips umgesteuert werden307. Dabei sind auch marktwirtschaftliche Lenkungsmodelle vorstellbar, wie die Ökosteuer oder staatliche Umweltschutzbeihilfen308. Die Handlungsgrundsätze der Trias aus Art. 174 II UAbs. 1 S. 2 EGV stellen verbindliche inhaltliche Anforderungen an jede Maßnahme der gemeinschaftlichen Umweltpolitik und fordern als Optimierungsgebot ihre effektive Verwirklichung im Sekundärrecht309, wodurch sie auch rechtliche Bedeutung für die Mitgliedstaaten erlangen können310. Die Bedeutung der dargestellten umweltpolitischen Prinzipien erschöpft sich aber nicht in ihrer Maßstabsfunktion für den Gemeinschaftsgesetzgeber und damit das gemeinschaftliche Sekundärrecht. Vielmehr sind sie auf der Grundlage der „Querschnittsklausel“ allgemein bei der Auslegung und Anwendung gemeinschaftlicher Vorschriften heranzuziehen, so dass sie insbesondere Rückwirkungen auf die gemeinschaftliche Beurteilung der Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten entfalten können311.

___________ 303

Vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.1999, C-293/97, – Slg. 1999, I-2603 Rn. 51 f.; Geiger, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 16; Frenz/Unnerstall, „Nachhaltige Entwicklung im Europarecht“, S. 193 ff. 304 Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 78; Scheuing, in: EuR 2002, 628; Kotulla, in: EuR 2001, 523; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 62 ff. 305 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 35; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 42; Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 103. 306 Vgl. Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 104. 307 Vgl. Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 43. 308 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 36; ausführlich dazu: Santarius, in: ZfU 2001, 125 ff.; Braun/Kitterer, in: ZfU 2001, 179 ff. 309 EuGH, Urteil vom 5.05.1998, C-180/96 ,– Slg. 1998, I-2265 Rn. 99 = EuR 1998, 514; EuGH, Urteil vom 14.07.1998, C-284/95 – Slg. 1998, I-4301 Rn. 43 ff.; EuGH, Urteil vom 29.04.1999, C-293/97 – Slg. 1999, I-2603 Rn. 54 und 56; EuGH, Urteil vom 13.07.1989, 5/88 – Slg. 1989, 2609 Rn. 19; vgl. auch Kotulla, in: EuR 2001, 523 ff.; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 56. 310 Vgl. nur Winter, in: ZUR Sonderheft 2003, 140 ff.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 23 f. 311 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 109.

82

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

4. Die Schutzklauseln Für die Abwendung oder Behebung regionaler umweltpolitischer Ausnahmesituationen erlaubt Art. 174 II UAbs. 2 EGV die Festschreibung einer auf die Dauer des Ausnahmezustandes beschränkte Ermächtigung zur Derogation der primärrechtlichen Grundsätze im jeweiligen Sekundärrecht312. Die Konzeption dieser Klauseln beruht sichtlich auf Ausnahmesituationen, sollen die entsprechenden Regelungen doch nur vorübergehend gelten313. Diese Regelungen unterliegen einem gemeinschaftlichen Kontrollverfahren314. Vor diesem Hintergrund sollte „vorübergehend“ dahingehend verstanden werden, dass jede Ausnahme befristet werden muss, denn nur so kann garantiert werden, dass nach einer gewissen Zeit die Berechtigung dieser Ausnahme faktisch überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann315. Im Gegensatz zu den so verstandenen „sekundärrechtlichen Schutzklauseln“ dient die „Schutzverstärkungsklausel“ nach Art. 176 EGV der Umsetzung eines weitergehenden Umweltschutzes durch fortschrittlichere Mitgliedstaaten316. Dabei wird die Sperrwirkung von Art. 175 EGV auf ein Mindestmaß beschränkt, über das dezentral hinausgegangen werden kann317. Eine mitgliedstaatliche Schutzverstärkung ist zulässig, wenn diese in dieselbe Richtung wie die Gemeinschaftsregelung zielt, diese in systematisch vergleichbarer Weise weiterführt und dazu beiträgt, den Zielen und Prinzipien des Art. 174 EGV näher zu kommen318. Auch kann Art. 176 EGV nicht zur Legitimierung nationaler Schutzmaßnahmen herangezogen werden, welche nicht auf Art. 175 EGV, sondern auf anderen Vertragsvorschriften wie beispielsweise Art. 95, 133 oder 37 EGV, beruhen 319. Bei der nach Art. 176 S. 2 EGV erforderlichen Überprüfung auf die Vereinbarkeit mit dem Vertrag ist bei der Güter- und Interessenabwägung zwischen den Zielen des Binnenmarktes und des freien Warenverkehrs auf der einen Seite und des Umweltschutzes auf der anderen Seite zu be-

___________ 312 Geiger, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 23; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 37. 313 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 127. 314 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 44. 315 Epiney, „Umweltrecht in der Europäischen Union“, S. 127. 316 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 136. 317 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 176 EGV Rdn. 1.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 136 f. 318 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 137; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 176 EGV Rdn. 8. 319 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 136.

D. Die FFH-Richtlinie

83

achten, dass Art. 174 EGV Leitlinien für die umweltverträgliche Ausübung der Marktfreiheiten aufstellt320.

5. Die Berücksichtigung wissenschaftlicher und technischer Daten Die Berücksichtigung der verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten nach Art. 174 III Spstr. 1 EGV dient der Klarstellung, dass bei der Ausarbeitung gemeinschaftlicher Maßnahmen zum Umweltschutz sämtliche zur Verfügung stehende Umweltdaten berücksichtigt werden müssen321. Ein zweifelsfreier Nachweis von Ursachenketten ist nicht erforderlich. Für ein gemeinschaftliches Tätigwerden genügt es, wenn sich aus wissenschaftlichen Daten Anhaltspunkte für eine zu potentiell mögliche Umweltbeeinträchtigung ergeben322. Tatsächlich kann bereits jede Art von provisorischen, indikativen und vorläufigen wissenschaftlichen Daten ausreichend sein, um Umweltschutzmaßnahmen der Gemeinschaft einzufordern323. Andererseits darf ohne wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über ein Abnehmen des Bedrohungspotentials das Schutzniveau nicht herabgesetzt werden324.

D. Die FFH-Richtlinie Bevor auf Einzelheiten zum Inhalt der Richtlinie eingegangen wird, sollen zunächst ihre Entstehung und die Wechselwirkung mit anderen Richtlinien aus dem gemeinschaftlichen Umweltbereich im Überblick dargestellt werden.

I. Entstehung der Richtlinie Mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie „zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie wildlebenden Tier- und Pflanzenarten“325 wurde dem Rat unter Bezugnahme auf Art. 130s EWGV (jetzt Art. 175 EGV) ein Umsetzungsversuch des Berner Übereinkommens von 1979 ___________ 320 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 176 EGV Rdn. 11 f.; Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 136 f.; zum Verhältnis von Eigentumsgarantie und Umwelt- und Naturschutz auf Gemeinschaftsebene vgl. Müller/Ragulskyt , in: EurUP 2004, S. 83. 321 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 65. 322 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Art. 174 EGV Rdn. 38. 323 Jans/von der Heide, „Europäisches Umweltrecht“, S. 46. 324 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 65. 325 Siehe ABl. 1988 Nr. C 247, S. 3.

84

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

„über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume“326, welchem die EWG im Jahre 1981 beigetreten war, vorgelegt327. Die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen sollten somit auf Gemeinschaftsebene unter Beachtung der Erfahrungen mit der Vogelschutzrichtlinie von 1979 umgesetzt werden328. Die Betätigung der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Habitatschutzes war zuvor mit dem vierten Umweltaktionsprogramm von 1987, welches ein Gemeinschaftssystem von Schutzgebieten und Maßnahmen zur Erhaltung der wesentlichen ökologischen Vorgänge, der lebenswichtigen Systeme und der genetischen Vielfalt sowie eine verträgliche Nutzung der Arten und Ökosysteme forderte, politisch verbindlich festgelegt worden329. Durch den Beitritt von Griechenland, Spanien und Portugal vollzog sich die sogenannte „Süderweiterung“ der Gemeinschaft, wodurch die dort vorhandenen ausgedehnten naturnahen Gebiete durch die erhoffte wirtschaftliche Entwicklung der benachteiligten Regionen gefährdet waren. Der Bestand dieser Regionen sollte durch ein Gemeinschaftssystem zum Schutz der natürlichen Lebensräume ermöglicht werden, welches die ökologischen Potentiale erhalten und mit dem Bedürfnis der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen durch ein unterschiedliches Niveau der Naturschutzbestimmungen der Mitgliedstaaten verbinden konnte330. Im November 1988 nahm sich erstmalig der Ministerrat dem Richtlinienvorschlag der Kommission an331. Dabei spielten die kontroversen Reaktionen der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen in den einzelnen Mitgliedstaaten eine besondere Rolle, wobei die Jägerlobby weitgehende Einschränkungen der Jagdmöglichkeiten anprangerte. Die Umweltverbände begrüßten trotz Kritik im Einzelnen den Vorschlag der Kommission und unterstützen ihn nachdrücklich. Demzufolge ergaben sich unterschiedliche Stellungnahmen der Vertreter der Mitgliedstaaten, wobei Frankreich und Deutschland als Befürworter und Großbritannien, Spanien sowie Portugal eher als Zauderer auftraten. Letztere führten erhebliche Bedenken bezüglich der Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft sowie den verwaltungstechnischen und finanziellen Aufwand ins Feld. Von deutscher Seite waren Änderungswünsche bezüglich der quantitativen Gebiets-

___________ 326

Beitrittsbeschluß 82/72/EWG des Rates vom 3.12.1981, ABl. 1982 Nr. L 38, S. 1. Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 19. 328 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 33. 329 Entschließung vom 19.10.1987 zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der EG für den Umweltschutz (1987–1992), ABl. Nr. C-328, S. 1 (30). 330 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 34. 331 Bader/May, „EG und Naturschutz“, S. 76. 327

D. Die FFH-Richtlinie

85

auswahl, des Selbsteintrittsrechts der Kommission und der damals geplanten Erweiterung der Umweltverträglichkeitsprüfung zu vernehmen332. Wegen der angesprochenen finanziellen Belastungen der Mitgliedstaaten legte die Kommission am 21.05.1990 dem Rat einen „Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über gemeinschaftliche Aktionen zum Naturschutz (GANAT)333“ vor, wonach für Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung schwer bedrohter Lebensräume oder Arten die Gemeinschaft bis zu 50 % ausnahmsweise bis zu 70 % der Gesamtkosten übernehmen könne334. Am 18.10.1990 stimmte der vom Rat nach Art 130s EWGV (jetzt Art. 175 EGV) um Stellungnahme gebetene Wirtschafts- und Sozialausschuss dem Richtlinienvorschlag grundsätzlich zu, forderte jedoch klare Definitionen der unbestimmten Rechtsbegriffe, sowie eine genauere Abgrenzung der Aufgaben von Gemeinschaft und Mitgliedstaat und die Abstimmung der Richtlinie mit der Regionalpolitik sowie der Raumordnung und Bodennutzung als Instrumente der Gemeinschaft335. Das zeitgleich nach Art. 130s EWGV (jetzt Art. 175 EGV) konsultierte Europäische Parlament nahm am 19.11.1990 Stellung, indem es den Richtlinienvorschlag grundsätzlich begrüßte, jedoch mit 53 Änderungsvorschlägen eine Verbesserung erreichen wollte336. Insbesondere die Vorgaben für die Ausweisung von Schutzgebieten wurden als zu bescheiden bewertet und die zeitliche Vorgabe als zu großzügig eingeschätzt. Zusätzlich sollten eine Berichts- und Veröffentlichungspflicht der beteiligten Organe und die Einführung des Verbandsklagerechts vor den nationalen Gerichten zu einer Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und damit der effektiven Durchsetzung führen. Mit der am 8.02.1991 gemäß Art. 149 III EWGV (jetzt Art. 252 EGV) vorgelegten Änderung des Richtlinienentwurfs berücksichtigte die Kommission 29 der insgesamt 53 angeregten „Verbesserungen“ zumindest teilweise337. Abgelehnt wurden durch die Kommission jedoch eine Verkürzung der Umsetzungs- und Vollzugsfristen, eine Erhöhung der quantitativen Vorgaben für die Gebietsauswahl, die Verbandsklage und weitere Beteiligungsmöglichkeiten der Umweltverbände und eine Änderung des Selbsteintrittsrechts der Gemeinschaft bei der Gebietsauswahl, das von den Mitgliedstaa___________ 332

Wagner, in: NuR 1990, 397. Siehe ABl. 1990 Nr. C 137, S. 6 ff. 334 Zur LIFE-Nature Finanzierung siehe „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 10 f.; ebenso Rodi, „Finanzierungskompetenz“, S. 75 ff. und speziell zu Art. 8 FFH-RL S. 73. 335 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. 1991 Nr. C 31, S. 2 f. 336 Bader/May, „EG und Naturschutz“, S. 75 f. 337 Siehe ABl. 1991 Nr. C 75, S. 12 ff. 333

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

ten größtenteils nicht erwünscht wurde338. Der Ministerrat stimmte der FFH-RL in ihrer endgültigen Fassung am 12.12.1991 einstimmig zu339. Die Richtlinie 92/43/EWG „zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen“ wurde mit dem 21.05.1992 förmlich verabschiedet und am 22.07.1992 im Amtsblatt der EG veröffentlicht340. Von den quantitativen Vorgaben für die Gebietsauswahl wurde zugunsten qualitativer ökologischer Auswahlgesichtspunkte Abstand genommen341. Das Selbsteintrittsrecht der Kommission wurde durch das Konzertierungsverfahren mit Entscheidungsrecht des Rates ersetzt (vgl. Art. 5 FFH-RL). Die Verträglichkeitsprüfung für Pläne und Projekte wurde gemäß Art. 6 III Satz 1 FFH-RL von der Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-RL getrennt festgeschrieben. Zur Finanzierung des gemeinschaftlichen Schutzgebietssystems erging bereits am 19.12.1991 eine „Verordnung über gemeinschaftliche Aktionen zum Naturschutz (GANAT)“342, welche mit der Verabschiedung der FFH-RL durch die sogenannte LIFE-Verordnung „zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments für die Umwelt“343 ersetzt wurde. Die Entstehung der FFH-RL ist folglich als Ergebnis eines langen politischen Willensbildungsprozesses anzusehen und daher für weitere Ergänzungen und eine notwendige Fortentwicklung nur bedingt geeignet, sollten diese die Ausgewogenheit des gefundenen Kompromisses gefährden344. Dies ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die Fortentwicklung der Anhänge der Richtlinie nach Art. 19 ff. FFH-RL im Zuge der Erweiterung der Gemeinschaft345.

___________ 338

Bader/May, „EG und Naturschutz“, S. 76. Die zahlreichen Änderungen machten dies gemäß Art. 149 I EWGV erforderlich, vgl. auch Art. 130s EWGV. 340 ABl. 1992 Nr. L 206, S. 7 ff.; zuletzt geändert durch RL 97/62/EG v. 03.03.1997, ABl. Nr. L 305, S. 42 ff. 341 Wagner, in: NuR 1990, 397. 342 Verordnung EWG Nr. 3907/91, ABl. 1991 Nr. L 370, S. 17. 343 Verordnung EWG Nr. 1973/92 vom 21.05.1992, ABl. Nr. L 206, S. 1; aufgehoben durch VO (EG) Nr. 1655/2000 v. 17.07.2000, ABl. Nr. L 192, S. 1.; Rodi, „Finanzierungskompetenz“, S. 75 ff. 344 So schon im Zusammenhang mit der Fortentwicklung der Anhänge der FFH-RL: Bepler, „Naturschutzrecht in Polen“ S. 150; Uebe, „Naturschutzrecht in Estland“ S. 123 f. 345 Ausführlich zum Verfahren der Änderung der Anhänge nach Art. 19 ff. FFH-RL unter 1. Teil E. 339

D. Die FFH-Richtlinie

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II. Das Zusammenspiel von FFH-, VS- und WRRL Im Gegensatz zu den unmittelbar geltenden Verordnungen müssen die Richtlinien nach Art. 249 UAbs. 2 EGV erst in innerstaatliches Recht übernommen werden. Die als Normkategorie im Umweltbereich des Gemeinschaftsrechts vorherrschende Richtlinie steht somit für die Erfüllung der Beitrittsvorrausetzungen im Mittelpunkt der Bemühungen. Aus der Vielzahl der im Umweltbereich der Gemeinschaft erlassenen Richtlinien soll nachfolgend lediglich die für die Umsetzung des Europäischen Naturschutzrechts wichtige FFH-RL, die VSRL und die WRRL diskutiert werden. Die Richtlinien mit ökosystemarem Ansatz wie FFH-, VS- und WRRL dienen auch der sekundärrechtlichen Umsetzung des Vorsorgeprinzips aus Art. 174 II UAbs. 1 S. 2 EGV346. Die Bewirtschaftung und Regulierung sowie der Schutz der wildlebenden Vogelarten sind die wesentlichen Schutzziele der VS-RL (Art. 1 I S. 1 VS-RL). Dabei beziehen sich die notwendigen Maßnahmen nicht nur auf sämtliche im Vertragsgebiet heimischen wildlebenden Vogelarten, sondern auch auf die Eier, Nester und Lebensräume (Art. 1 II VS-RL) und erfassen, über den reinen Artenschutz hinausgehend, auch den Schutz der Lebensräume und Habitate der zu erhaltenden Vogelart. Nach Art. 3 VS-RL besteht die mitgliedstaatliche Pflicht zur Erhaltung der in Anhang I aufgeführten Vogelarten sowie der dort nicht aufgeführten, im geographischen Anwendungsbereich der Richtlinie regelmäßig auftretenden Zugvogelarten und der Ausweisung diesbezüglicher besonderer Schutzgebiete (Art. 4 IV und II VS-RL). In diesen Gebieten sind die Verschmutzung oder die Beeinträchtigung von Lebensräumen der Vögel zu vermeiden (Art. 4 IV VS-RL). Das Verschlechterungsverbot wird nach korrekter und vollständiger Ausweisung der Vogelschutzgebiete gemäß Art. 3 I S. 2, 7 FFH-RL durch das Schutzregime des kohärenten Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“ ersetzt (Art. 6 II– IV FFH-RL). Dadurch integriert die FFH-RL als zentrales Instrument eines ökologisch orientierten Naturschutzes des Gemeinschaftsrechts das Schutzkonzept der VS-RL, indem die Regelungen des flächenbezogenen Habitatschutzes (Art. 3–11 FFH-RL) mit den Schutzsystemen für besonders bedrohte Arten, wie Fang-, Pflück-, Tötungs- und Vermarktungsverbote (Art. 12–16 FFH-RL) verbunden werden und fügt die Informationspflicht der Mitgliedstaaten (Art. 17 FFH-RL) und die naturschutzbezogene Forschung (Art. 18 FFHRL) hinzu. Die Art. 3–7 FFH-RL stellen dabei den Kern der Bemühungen, die Kooperation der Mitgliedstaaten beim Aufbau des gemeinsam zu errichtenden kohärenten Netzes besonderer Schutzgebiete Natura 2000, dar. Sowohl die VS-RL als auch die FFH-RL verfügen also neben dem Teil des Lebensraum___________ 346 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 98 ff.; Berendes, in: ZfW 2002, 199.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

schutzes (jeweils Art. 3 ff.) auch über einen artenschutzrechtlichen Teil (Art. 5 ff. VS-RL und Art. 12 ff. FFH-RL). Die WRRL ist wegen ihres umfassenden Ansatzes ein wichtiges Instrument beim Schutz von aquatischen Ökosystemen347. Nach Art. 1 WRRL ist das Hauptziel, die Schaffung eines einheitlichen Handlungsrahmens für den europäischen Gewässerschutz. Vom Schutzregime erfasst sind sowohl Oberflächengewässer, Grundgewässer, Übergangs- und Küstengewässer, als auch direkt davon abhängige Landökosysteme (Art. 1 lit. a WRRL), wie z. B. Feuchtgebiete nach Art. 4 II S. 2 VS-RL. Diese Ziele dienen der Erhaltung aquatischer Ökosysteme einerseits sowie direkt davon abhängiger Landökosysteme anderseits und damit mittelbar auch den dort lebenden Tier- und Pflanzenarten348. Nach Art. 4 I lit. c WRRL sind die Mitgliedsstaaten zur Erfüllung der für besondere Schutzgebiete geltenden Anforderungen verpflichtet, die sich aus den Vorgaben für die Natura 2000 Gebiete ergeben, welche auch aquatische Ökosysteme umfassen können (Art. 1 lit. b, 4 I UAbs. 1 S. 3 FFH-RL). Tätigkeiten oder Maßnahmen, die potentiell signifikante Auswirkungen auf den Zustand eines Gewässers haben, sind einer vorherigen behördlichen Kontrolle zu unterziehen (Art. 13 III WRRL). Für derartige Kontrollen von Natura 2000 Gebieten sind die Bestimmungen der FFH-RL (Art. 6 III S. 1 FFH-RL), insbesondere die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung, zu berücksichtigen349. Das Zusammenspiel zwischen FFH-, VS- und WRRL ist insbesondere in der Küstenregion für einen umfassenden ökosystemar ausgerichteten Naturschutz von entscheidender Bedeutung350. Hier kann es zu Überschneidungen der jeweiligen Schutzgebiete und der Schutzansätze kommen. Dabei haben alle Richtlinien sowohl den Schutz terrestrischer als auch aquatischer Lebensräume zum Ziel351. Nach Art. 2 Nr. 15 WRRL handelt es sich bei den Flussgebietseinheiten um die als Haupteinheit für die Bewirtschaftung festgelegten Land- und/oder Meeresgebiete, die aus einem oder mehreren Wassereinzugsgebieten und den ihnen zugeordneten Grundwässern und Küstengewässer ein und desselben hydrologischen hydrogeologischen und ökologischen Systems bestehen352. Dabei gilt der kombinierte Ansatz nach Art. 10 WRRL, der sowohl Emissionen als auch Immissionen berücksichtigt und damit für alle punktuellen und diffusen ___________ 347 Vgl. Newbold, in: Wasser und Boden 1998, 10 ff.; vgl. Karstens, in: ZUR Sonderheft 2001, 113 f. 348 Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 101; Newbold, in: Wasser und Boden 1998, 11. 349 Vgl. Newbold, in: Wasser und Boden 1998, 15. 350 SRU Sondergutachen 2004, Rdn. 496, S. 207 f. 351 Vgl. nur Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 21. 352 Schlungbaum, in: RMB 1999, Heft 7, 13 ff.; Reinhardt, in: ZUR Sonderheft 2001, 126.

D. Die FFH-Richtlinie

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Einleitungen, also in der gesamten Fläche, Verminderungen nach dem besten Stand der Technik vorsieht353. Maßnahmen zur Schadstoffreduzierung müssen immer dann ergriffen werden, wenn Fauna und Flora mehr als nur unerheblich gegenüber einem hypothetisch natürlichen Zustand verändert sind354. Durch die Einteilung in Flussgebietseinheiten wird die Berücksichtigung der vielfältigen Wechselbeziehung von Wassereinzugsgebiet und Gewässer möglich. Zugleich können die Gewässer als wichtige natürliche Verbindungen zwischen den einzelnen Schutzgebieten nach der FFH- und VS-RL genutzt werden (Art. 10 FFH-RL). Gerade die Maßnahmen des Gebietsmanagements nach der WRRL und FFH-RL können sich in der Küstenregion überschneiden und durch gezielte Koordination zur Erhöhung des Schutzniveaus führen355. Über die Berücksichtigung der Managementpläne des Wassereinzugsgebiets innerhalb der Flussgebietseinheiten nach der WRRL kann somit auch dem Erreichen der Schutzziele von FFH-Gebieten gedient werden. Zudem ist gegebenenfalls eine Doppelausweisung von Gebieten sinnvoll und geboten, wenn so Managementmaßnahmen nach Art. 6 I FFH-RL ermöglicht werden können, die über die besonderen Schutzmaßnahmen nach Art. 4 I UAbs. 1 VS-RL hinausgehen sollen356. Eine Verzahnung der Managementmaßnahmen nach der WRRL und der FFH-RL wird eine flächenhafte Abstufung der Schutzintensität und Schutzrichtung über die Grenzen von Schutzgebieten hinaus bewirken, wenn die Verringerung sämtlicher Belastungen aus dem Wassereinzugsgebiet der Küstenregionen als Ziel steht357. Durch diese „Doppelstrategie“ kann eine Reduzierung der Stoffeinträge in der gesamten Fläche einerseits und ein verstärkter Schutz durch die Errichtung des Natura 2000 Netzes auf einem Teil der Fläche andererseits erreicht werden358. Folglich bleibt festzustellen, dass die diskutierten Richtlinien die sekundärrechtliche Umsetzung des primärrechtlichen Prinzips des Umwelt- und Naturschutzes durch ein kompliziertes Zusammenspiel sicherstellen müssen und dabei auf die effektive Vollzugspraxis angewiesen sind359.

___________ 353 Appel, in: ZUR Sonderheft 2001, 134; vgl. auch Czybulka/Luttmann, in: „Warnsignal Klima“, S. 325 ff. 354 Lell, in: ZUR Sonderheft 2001, 140; Berendes, in: ZfW 2002, 217 ff. 355 Vgl. nur Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 26. 356 Vgl. Gellermann, „Natura 2000“, S. 60 f.; nur Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 26. 357 EU-Kommission „IKZM Strategie“ 1999, S. 23. 358 Czybulka, in: Agrarrecht 1997, 307; Gellermann, in: NVwZ 2002, 1029; Rehbinder, in: NuR 2001, 362. 359 Vgl. zur Auswirkung im BNatSchG: Wolf, „Umweltrecht“, S. 533 f.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

III. Der Inhalt der FFH-Richtlinie Als Ausgangspunkt für die Ableitung konkreter Anforderungen an die Konformität des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts mit der FFH-RL soll zunächst ein inhaltlicher Überblick der Richtlinie gegeben werden.

1. Die Ziele der Richtlinie Hauptziel der FFH-RL ist die Sicherung der Artenvielfalt durch den Erhalt der natürlichen Habitate, der freilebenden Fauna und wildwachsenden Flora in Europa. Hier geht es darum, die für Europa typischen Arten vor dem Aussterben zu bewahren bzw. vor der akuten oder schleichenden Degradation ihrer Lebensräume zu schützen360. Dabei lässt sich die Richtlinie in zwei Komplexe aufteilen. In Art. 12 ff. wird für den Bereich des originären Artenschutzes ein Schutzsystem für bestimmte Tier- und Pflanzenarten angeordnet. Demgegenüber stehen die Art. 3 ff. für die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten361. Die FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, unter dem Namen „Natura 2000“ ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete aus den Gebieten einzurichten, die wertvolle Lebensraumtypen von europäischer Bedeutung nach Anhang I und gemeinschaftsweit seltene und bedrohte Arten gemäß Anhang II der Richtlinie aufweisen. Nach Art. 3 I FFH-RL werden die aufgrund Art. 4 der VS-RL ausgewiesenen besonderen Vogelschutzgebiete vom Netz Natura 2000 mit umfasst362. Dabei handelt es sich um die besonderen Vogelschutzgebiete zum Schutz der in Anhang I der VS-RL aufgeführten Arten (Art. 4 I) sowie der Zugvogelarten (Art. 4 II). Hierzu sind die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten zu erklären363. Die Brut-, Rastund Überwinterungsareale der Zugvögel sind in die Auswahl einzubeziehen. Im Zentrum der Schutzbemühungen steht also der Aufbau eines kohärenten ökologischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“. Dieses Netz von Schutzgebieten ist jedoch auf die in den Anhängen der FFH- und VS-RL genannten Arten und Lebensräume von europäischer Bedeutung364 begrenzt, soweit nicht im Zuge der ___________ 360

Schall, „Natura 2000“, S. 96. Schrader/Hellenbroich, in: Jb UTR 2001, 286. 362 Vgl. Art. 7 FFH-RL. 363 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 21. 364 Zu unterscheiden sind für die FFH-RL folgende Anhänge (Annexe): Anhang I „Natürliche und halbnatürliche Lebensräume für deren Erhalt besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen; Anhang II „Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhalt besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen; Anhang III „Kriterien zur Auswahl der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“; Anhang IV „Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten; Anhang V „Tier- und Pflan361

D. Die FFH-Richtlinie

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Erweiterung der Europäischen Union eine Fortentwicklung der Annexe erforderlich wird365. Im Folgenden soll daher auch in der Untersuchung nur speziell auf die Art. 3 ff. der FFH-RL und nicht auf den artenschutzrechtlichen Teil nach Art. 12 ff. FFH-RL fokussiert werden.

2. Die Auswahl der Gebiete und die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste Zur Schaffung des Netzwerkes von Schutzgebieten enthält Art. 4 und Anhang III FFH-RL präzise Ausführungen und einen Zeitplan, der sich sowohl an die Mitgliedstaaten als auch an die Europäische Kommission als das Exekutivorgan der Europäischen Union richtet366. Danach hätte beispielsweise die Ausweisung der nach Art. 4 IV i.V.m. Art. 4 II FFH-RL beschlossenen Liste von Gebieten „so schnell als möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren“, also bis zum Juni 2004 zu erfolgen367. Die von der Ausweisung zu unterscheidende Auswahl der Gebiete, welche schon weit vor diesem Termin vorzunehmen war, ist für die Mitgliedstaaten bezüglich der prioritären Lebensraumtypen368 und der prioritären Arten369 durch Art. 5 FFH-RL in engen Bahnen vorgegeben370. Dadurch ergibt sich neben den normativen Anforderungen der Richtlinienumsetzung eine zweite Ebene im bisher eher ungewohnten Bereich der Exekutive371. Dies betrifft zunächst das Verfahren der Gebietsmeldung, zum anderen aber auch die Mitwirkungsbefugnisse der Kommission nach Art. 6 IV UAbs. 2 oder Art. 8 III FFH-RL. Sollte ein derartiges Gebiet in den nationalen Listen nicht aufgeführt sein, kann die Kommission ein Konzertierungsverfahren nach Art. 5 FFH-RL einlei___________ zenarten, deren Entnahme und Nutzung kontrolliert erfolgt“; Anhang VI „Verbotene Methoden und Mittel des Fangs, der Tötung und Beförderung“. 365 Czybulka, in: Jb UTR 1996, 255 ff. 366 Vgl. Schall, „Natura 2000“, S. 96 ff.; vgl. auch Art. 24 FFH-RL; siehe auch die Übersicht zum Zeitplan bei Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 23. 367 Vgl. Czybulka, in: Jb UTR 1996, 257; Schall, „Natura 2000“, S. 97. 368 Nach Art. 1 d) sind „prioritäre Lebensraumtypen“: „die in dem Art. 2 genannten Gebiet vom Verschwinden bedrohte natürliche Lebensraumtyp für deren Erhaltung der Gemeinschaft aufgrund der natürlichen Ausdehnung dieser Lebensraumtypen im Verhältnis zu dem in Art. 2 genannten Gebiet besondere Verantwortung zukommt; diese prioritären natürlichen Lebensraumtypen sind in Anhang I mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet.“ 369 Nach Art. 1 h) sind prioritäre Arten i.S.v. Art. 5 solche nach Art. 1 g): „Arten von gemeinschaftlichem Interesse“; „... für deren Erhaltung die Gemeinschaft ... besondere Verantwortung zukommt; diese prioritären Arten sind in Anhang II mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet“. 370 Gellermann, „Natura 2000“, S. 50 ff. und 56 ff. 371 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 20.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

ten, mit dem Ziel der nachträglichen Aufnahme in die Gemeinschaftsliste372. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion über die zu berücksichtigenden Belange bei der Auswahl der Gebiete zu Gunsten der bisher schon vorherrschenden Auffassung durch den EuGH373 entschieden worden, welche andere Gesichtspunkte als naturschutzfachliche Kriterien unter Einschluss der in Art. 2 III FFH-RL sowie der dritten Begründungserwägung genannten Anforderungen wirtschaftlicher, sozialer, gesellschaftlicher, kultureller und regionaler Natur außer Betracht ließ374. Somit erfolgt die Auswahl allein nach den in Anhang III FFH-RL festgelegten naturschutzfachlichen Gesichtspunkten375. Wurden die Gebiete durch die Mitgliedstaaten an die Kommission nach Art. 4 I FFH-RL gemeldet, ist bis zur Entscheidung über die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste nach Art. 4 II FFH-RL die erzeugte Schutzwirkung im Einzelnen strittig376. Bereits vor der Ausweisung der Gebiete durch die Mitgliedsstaaten ist jedoch durch die Aufnahme in die Liste von gemeinschaftlicher Bedeutung, sei es durch den Mitgliedstaat über die nationale Vorschlagsliste oder nachträglich als von der Kommission ermitteltes Konzertierungsgebiet, ein vorgreiflicher Schutzstatus gesichert (Art. 4 V und Art. 5 IV FFH-RL)377.

3. Das Schutzregime nach Ausweisung der Schutzgebiete Die Rechtsfolgenwirkung der Ausweisung der Schutzgebiete ist in Art. 6 FFH-RL festgelegt. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die für die Erhaltung der Lebensraumtypen und Arten notwendigen Erhaltungsmaßnahmen zu treffen, um Verschlechterungen und wesentlichen Störungen entgegenzuwirken378. Einer Verträglichkeitsprüfung379 haben sich alle Pläne und Projekte, die sich auf die Erhaltungsziele eines Schutzgebietes potentiell schädigend auswirken können, zu unterziehen (Art. 6 III FFH-RL)380. Dabei sind Vorgaben zur Präferenz von verträglicheren Alternativen sowie der Vermeidung von Schädigungen enthalten, die bei konkreter Beeinträchtigung nur bei überwiegenden öffentlichen Interessen und eventuell notwendiger Stellungnahme der Kommission und der ___________ 372

Czybulka, in: Jb UTR 1996, 256. Siehe EuGH Urteil vom 07.11.2000, Rs C 371/98, Slg. 2000, S. I-9235, I-9249 (I-9262 in Rn. 23 f.). 374 Koch, in: Jb UTR 2002, S. 71; Gellermann, „Natura 2000“, S. 54. 375 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 23. 376 Vgl. zum Meinungsstand: Schröder, in: Jb UTR 2002, 101 ff.; Gellermann, „Natura 2000“, S. 121 ff. 377 Schrader/Hellenbroich, in: Jb UTR 2001, 286. 378 Art. 6 I FFH-RL; vgl. auch Ballschmidt-Boog, „Küstenökosysteme“, S. 114 ff. 379 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 37 ff. 380 Müller, in: EurUP 2004, 152. 373

D. Die FFH-Richtlinie

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zuständigen Behörden des Mitgliedstaates den Eingriff ermöglichen, jedoch mit der Pflicht, alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen und die Kommission davon in Kenntnis zu setzen (Art. 6 IV UAbs. 1 FFH-RL)381. Sind jedoch prioritäre Gebiete und/oder prioritäre Arten betroffen, ist eine Durchführung des Projekts „nur“ aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, wie der Gesundheit der Menschen, der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit günstigen Auswirkungen auf die Umwelt zulässig (Art. 6 IV UAbs. 2 Halbs. 1 FFH-RL)382. Dabei ist die Einbeziehung der Arten des Anhang I der VS-RL und in diesem Zusammenhang auch von Gebieten, die zum Schutz dieser Arten eingerichtet sind oder werden durchaus umstritten383. Eine Auffassung in der Literatur schließt sich der Meinung der Kommission384 an, nach welcher es mangels entsprechender Kennzeichnung in den Anhängen der VS-RL keine vergleichbaren Unterscheidungen der Vogelarten gebe385. Demgegenüber unterscheidet die VS-RL zwischen den bedrohten Vogelarten des Anhang I, den gleichfalls gefährdeten und besonders schutzbedürftigen Zugvogelarten nach Art. 4 II VS-RL und den sonstigen Vogelarten, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten heimisch sind. Zu diesen Abstufungen bezüglich der Vogelarten bis hin zu „prioritär“ für die Anhang I Arten386, stellt Art. 7 FFH-RL das Schutzregime der Art. 6 II–IV FFH-RL für ausgewiesene Vogelschutzgebiete zur Verfügung387. Folglich muss es auch besondere Vogelschutzgebiete geben, die im Interesse prioritärer Vogelarten eingerichtet wurden oder werden und für die dann Art. 6 IV UAbs. 2 FFH-RL Anwendung findet388. Weiterhin ist die Anwendung der Regelung in Art. 6 IV UAbs. 2 Halbs. 2 FFH-RL, genauer die Einbeziehung sozioökonomisch bedingter Beeinträchti-

___________ 381

Schall, „Natura 2000“, S. 97; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 37 f. 382 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 39 f.; Müller, in: EurUP 2004, 152. 383 Vgl. zum Streitstand ausführlich: Müller, in: EurUP 2004, 152. 384 Antwort der Kommission auf die Anfrage P-0755/96, ABl. 1996, Nr. C 280, S. 74. 385 Stollmann, „Verträglichkeitsprüfung“, S. 87 f.; Berner, „Habitatschutz“, S. 126; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 35 f.; Rödiger-Vorwerk, „Umsetzung“, S. 22 f. 386 Maaß, in: ZUR 2000, 163; ders., in: ZUR 2001, 80 ff.; Epiney, in: UPR 1997, 307; Fisahn, in: ZUR 1996, 7 f. 387 Müller, in: EurUP 2004, 152. 388 Erbguth, in: Jarass (Hrsg.) „EG-Naturschutzrecht“, S. 69 f.; Winter, in: ZUR 1994, 309; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 283; Gellermann, „Natura 2000“, S. 101 f.; Müller, in: EurUP 2004, 152.

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

gungen, Gegenstand kontroverser Diskussionen389. Diese Erwägungen sind lediglich in Art. 6 IV UAbs. 1 FFH-RL ausdrücklich benannt. Demgegenüber beharrt die Kommission390 und mit ihr ein Teil der Literatur auf der Auffassung, die Besonderheit von UAbs. 2 gegenüber UAbs. 1 bestehe lediglich in der Beteiligung der Kommission durch die Mitgliedstaaten und somit sei die Berücksichtigung sozioökonomischer Gründe für die Ausnahmeerteilung des gesamten Absatzes 4 zulässig. Damit ist jedoch nicht dem erhöhten Schutzbedürfnis der prioritären Arten und Lebensräume, die teilweise akut vom Aussterben bedroht sind, ausreichend Rechnung getragen (vgl. Legaldefinition in Art. 1 lit. h. und d. FFH-RL). 391

Die Einführung des Erfordernisses der Kommissionsbeteiligung kann diesen erhöhten Schutz schwerlich bewirken, zumal die Mitgliedstaaten nicht einmal an eine ablehnende Stellungnahme gebunden sind392. Damit würde UAbs. 2 zu einer inhaltslosen Leerformel degradiert und seinem eigentlichen rechtstechnisch deutlich erkennbaren Sinngehalt, dem erhöhten Schutz besonders stark gefährdeter Arten und Lebensräume (die „prioritären“), entstellt werden393. Bestätigt wird dies durch den Umkehrschluss, den Art. 16 I Nr. c FFH-RL zulässt, in welchem die ausdrückliche Benennung der Beachtlichkeit sozioökonomischer Erwägungen im Normtext ihre Heranziehung ausdrücklich zulässt394. Durch den Wortlaut des Art. 6 IV UAbs. 2 FFH-RL ist diese Möglichkeit nicht gegeben und somit für Pläne und Projekte, die ausschließlich sozioökonomischen Zielen dienen, eine Zulassung zu verwehren395.

4. Das Schutzregime vor Ausweisung der Schutzgebiete Für die Darstellung des Schutzregimes nach Art. 6 II bis IV FFH-RL vor der Ausweisung der entsprechenden Schutzgebiete des Natura 2000 Netzes stellt sich zunächst die Frage nach dem Sinn einer derartigen Untersuchung, da diese ___________ 389

Vgl. dazu ausführlich schon: Müller, in: EurUP 2004, 152 f. Stellungnahme der Kommission vom 27.04.1995 in ABl. 1995, Nr. C 178, S. 3 und vom 18.12.1995 in ABl. 1996, Nr. L 6, S. 14. 391 Cosack, in: UPR 2002, 255 f.; Epiney, in: UPR 1997, 309; Iven, in: NuR 1996, S. 379; Jarass, in: ZUR 2000, 188; Schink, in: DÖV 2002, 49; Stollmann, „Verträglichkeitsprüfung“, S. 87 f.; Berg, in: NuR 2003, 197 ff. 392 Erbguth, in: NuR 2000, 134; Gellermann, „Natura 2000“, S. 105.; a.A. wohl Berg, in: NuR 2003, 197 ff. 393 Müller, in: EurUP 2004, 153. 394 Gellermann, „Natura 2000“, S. 106; Müller, in: EurUP 2004, 153. 395 Müller, in: EurUP 2004, 153; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 283; Leist, „Lebensraumschutz“, S. 131; Winter, ZUR 1994, 309; Fishan/Cremer, in: NuR 1997, 272. 390

D. Die FFH-Richtlinie

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Problematik lediglich in einer Übergangsphase, eben bis zur Ausweisung, auftreten könnte. Zunächst kann diesbezüglich schon auf die bisherigen Verzögerungen beim Aufbau des Natura 2000 Netzes abgestellt werden396. Zusätzlich wird in diesem Zusammenhang im Schrifttum zurecht darauf hingewiesen, dass die Figur der potentiellen Schutzgebiete nach der FFH-RL oder der faktischen Schutzgebiete nach der VS-RL durch das nach Art. 11 FFH-RL geforderte ständige Monitoring- (Überwachungs-) Programm auf Dauer Bestand haben wird397. Der nur zögerlich umgesetzte Art. 11 FFH-RL schreibt eine Überwachung des gesamten Gebiets der Gemeinschaft vor (siehe Hinweis auf Art. 2 FFH-RL), wodurch erst belastbare Ergebnisse als Grundlage der Beurteilung der Gebietsvorschläge bereitstehen werden398. Zudem kennt die FFH-RL das Konzept einer „abgeschlossenen“ Liste nach Art. 4 I FFH-RL nicht, vielmehr soll sie „im Lichte der Ergebnisse der in Art. 11 genannten Überwachung“ von den Mitgliedstaaten ständig angepasst werden399. Folglich wird das dynamische System des Natura 2000 Netzes durch seine ständige Weiterentwicklung auch immer wieder die Problematik des Schutzregimes für die potentiellen Schutzgebiete nach der FFH-RL und die faktischen Vogelschutzgebiete aufwerfen400. Speziell bei jeder neuen Erweiterung der EU wird diese Problematik zwangsläufig auftreten, da schon während der Beitrittsverhandlungen die zukünftig dem Europäischen Naturschutzrecht unterliegenden Arten und Lebensräume zu schützen sein werden401. Die Untersuchung dieser Problematik erscheint folglich gerade im Zusammenhang mit dem Beitritt Litauens durchaus sinnvoll. Die Anwendung der Art. 6 II bis IV FFH-RL auf die Gebiete, die noch nicht in die Liste von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurden, ist entgegen der neuesten Rechtsprechung des EuGH402 differenziert zu betrachten403. Dabei ist vor allem die Intention der Richtlinie zur Einbeziehung der Mitgliedstaaten und deren Zustimmung bei der Aufnahme von Gebieten in das kohärente ökologische Netz Natura 2000 ausschlaggebend404. Danach wird im Schrift___________ 396

Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 20 ff. Vgl. nur Mecklenburg, in: UPR 2002, 126. 398 Müller, in: EurUP 2004, 154; vgl. aber auch § 12 BNatSchG , § 9 LNat M-V. 399 So nachdrücklich und überzeugend Mecklenburg, in: UPR 2002, 126; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 36. 400 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 30; Müller, in: EurUP 2004, 154. 401 Vgl. dazu schon Müller, in: EurUP 2004, 154 ff. 402 EuGH Urteil vom 13.01.2005, Rs. C-117/03. 403 A.A. wohl Schütz, in: UPR 2005, 139 ff. 404 Gellermann, „Natura 2000“, S. 122 ff.; a.A. Mecklenburg, in: UPR 2002, 124 ff. der durch Direktwirkung von Art. 6 II FFH-RL alle den Art. 4 I FFH-RL erfüllenden Gebiete bis zur Aufnahme in Gemeinschaftsliste ohne Abweichungsmöglichkeit nach Art. 6 III und IV FFH-RL. 397

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

tum die Auffassung vertreten, alle der Kommission gemeldeten Gebiete seien direkt dem Schutz von Art. 6 II bis IV FFH-RL zu unterstellen405. Die Aufnahme in die Liste von gemeinschaftlicher Bedeutung setzt jedoch neben der Meldung der Gebiete durch die Mitgliedstaaten an die Kommission weitere Verfahrensschritte (Anhang III „Phase 2“)406 bis zur endgültigen Erstellung des Gebietsnetzes Natura 2000 voraus. Somit kann nur für die Gebiete, welche prioritäre Lebensraumtypen und Arten aufweisen, die gemeinschaftliche Bedeutung vorweggenommen werden, da durch die besondere Bedrohungslage der Biotopkomplexe mit ihren Tier- und Pflanzenarten diese gerade zu „prioritären“ qualifiziert werden und somit automatisch nach Art. 4 II FFH-RL in die Gemeinschaftsliste aufzunehmen sind407. Daneben ist die Beurteilung der Gebiete mit nicht prioritären Lebensraumtypen und Arten nicht einheitlich408. Vereinzelt wird zur Verhinderung der Anwendung europäischen Rechts auf Gebiete, die im Ergebnis gar nicht in das Netz Natura 2000 eingehen, die gebotene Eindeutigkeit ausschließlich für „prioritäre Gebiete“ zugestanden409. Demzufolge würde die unmittelbare Anwendung des Art. 6 II–IV FFH-RL für nicht prioritäre Meldegebiete ausscheiden. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, da sie die Möglichkeit der Beurteilung von solchen Gebieten als für die Gemeinschaftsliste unverzichtbar ausschließt, selbst wenn durch ihre Vernetzungsfunktion oder durch die hohe nationale Wertigkeit oder ein breit angelegtes Artenspektrum und dadurch bedingte Einzigartigkeit eine Aufnahme in Frage kommt410. Der bestehende fachliche Auswahlspielraum der für die Erstellung der Gemeinschaftsliste verantwortlichen Akteure wird hinsichtlich der sonstigen Meldegebiete gewahrt. Da die Aufnahme dieser Gebiete jedoch durchaus möglich und nur nicht schon durch Reduzierung des Auswahlermessens der Kommission gegen Null vorweggenommen werden kann, müssen sie für die Verwendung auch geschützt und erhalten werden411. Der Schutzstandard ist dabei unterhalb des Niveaus der Art. 6 II–IV FFH-RL anzusetzen und folgt aus Art. 10 II EGV i.V.m. Art. 249 III EGV, der ___________ 405

Apfelbacher/Adenauer/Iven, in: NuR 1999, 73; Iven, in: UPR 1998, 363; Niederstadt, in: NuR 1998, 520 f.; zur Einbeziehung von ausgewählten Gebieten die zur Meldung durch den Mitgliedstaat vorgesehen sind: vgl. auch Schink, in: DÖV 2002, S. 51 f. 406 Vgl. zur Beteiligung der Mitgliedstaaten in Phase 2 ausführlich: Koch, in: Jb UTR, 2002, S. 69 ff. 407 So auch Gellermann, „Natura 2000“, S. 124; Erbguth, in: Jarass (Hrsg.) „EGNaturschutzrecht“, S. 79; angedeutet jetzt auch bei Niederstadt, in: Erbguth (Hrsg.) „Neuregelungen“, S. 69.; Müller, in: EurUP 2004, 153. 408 Müller, in: EurUP 2004, 153. 409 Schröder, in: Jb UTR, 2002, S. 110 f. 410 Gellermann, „Natura 2000“, S. 124; Erbguth, in: Jarass, „EG-Naturschutzrecht“, S. 79; ders., in: NuR 2000, S. 136. 411 Müller, in: EurUP 2004, 153.

D. Die FFH-Richtlinie

97

den Mitgliedstaaten aufgibt, „alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten“412. Mit dem Vorschlag dieser Gebiete haben die Mitgliedstaaten ihre Bereitschaft erklärt, dieses Verschlechterungsverbot auch zu beachten413. Die Frage, wie die Gebiete, welche die Kriterien des Art. 4 I FFH-RL zwar erfüllen, aber vom Mitgliedstaat nicht oder noch nicht gemeldet sind, behandelt werden sollen, ist keiner abschließenden Beantwortung zugeführt414. Zum Teil wird hier die Auffassung vertreten, über die Grundsätze der Direktwirkung von Richtlinien zu einer Anwendung des Art. 6 II–IV FFH-RL, zumindest für die Gebiete mit prioritären Lebensräumen oder Arten und die Gebiete zu gelangen, deren Schutzwürdigkeit sich geradezu aufdrängt415. Dabei wird die vom EuGH416 verlangte, nicht fristgerechte Umsetzung, die hinreichende Bestimmtheit und Unbedingtheit, wie auch die nur mittelbare Beeinträchtigung subjektiver Rechte von Privaten angenommen417. Auch davon abweichende Konstruktionen, welche von der Bindung der Mitgliedstaaten bei Überschreitung der von der Richtlinie vorgegebenen Umsetzungsspielräume ausgehen und in dem treuwidrigen Verhalten zu anderen Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft das entscheidende Argument zur Direktwirkung sehen, finden sich in der Literatur418. Die unmittelbare Anwendung soll trotz belastender Pflichten für die betroffenen Grundstücksnutzer und doppelter Bedingtheit der Richtlinie wegen der vorzunehmenden Meldung durch den Mitgliedstaat und der erforderlichen Entscheidung durch die Kommission angenommen werden können419. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird jedoch die richtlinienkonforme Auslegung der jeweiligen mitgliedstaatlichen Regelung vorgezogen420. Demgegenüber wird verbreitet von der Annahme eines Ver___________ 412

Schröder, in: Jb UTR, 2002, S. 108; Gellermann, „Natura 2000“, S. 125; Niederstadt, in: Erbguth (Hrsg.) „Neuregelungen“, S. 67. 413 Aus diesem „Stillhalteverbot“ ein Verschlechterungsverbot ableitend welches auch nicht im Abweichungsverfahren umgangen werden kann: Louis/Wolf, in: NuR 2002, 457. 414 Vgl. zum Streitstand Müller, in: EurUP 2004, 153 f. 415 Cosack, in: UPR 2002, 250; Müller, in: EurUP 2004, 154. 416 EuGH in NuR 1996, 102 f.; Urteil vom 24.10.1996, Rs. C-72/95, Slg. 1996, I-5431; Urteil vom 19.09.2000, Rs. C-287/98. 417 Cosack, in: UPR 2002, 250; Müller, in: EurUP 2004, 154. 418 Vgl. Winter, in: ZUR 2002, 314 der jedoch zugleich in einer allgemeinen Anerkennung der Direktwirkung die bessere Lösung sieht; so auch Mecklenburg, in: UPR 2002, 124 ff.; Müller, in: EurUP 2004, 154. 419 Winter, in: ZUR 2002, 317; noch weitergehend Mecklenburg, in: UPR 2002, 124 ff. 420 Jarass, in: Jb UTR, 2001, 266 f.; Cosack, in: UPR 2002, 250; Winter, in: ZUR 2002, 317.

98

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

schlechterungsverbotes nach Art. 10 II i.V.m. Art. 249 III EGV für die Gebiete ausgegangen, die sich aufdrängen und deutlich erkennbar die Kriterien des Anhang III FFH-RL erfüllen und einen maßgeblichen Beitrag zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Netzes Natura 2000 leisten können421. Somit sind, wie zuvor bei den Meldegebieten, alle Areale mit prioritären Merkmalen eingeschlossen sowie die für die Vernetzung wichtigen und mit einem umfangreichen Biotop- und Arteninventar ausgestatteten Flächen bedacht422. Der Schutz durch das Verschlechterungsgebot ist zwar gegenüber Art. 6 II–IV FFH-RL abgeschwächt, gleichwohl darf dieses Niveau nicht, wie bei der Anwendung der Richtlinie durch entsprechende Ausnahmeregelungen zulässig, darüber hinaus noch weiter relativiert werden423. Die Durchbrechung des Schutzregimes durch ein Abweichungsverfahren ist nicht zulässig und in dieser Hinsicht doch strenger als die Richtlinie424. Für die Annerkennung der Schutzpflichten aus Art. 6 II–IV FFH-RL gelten nach Art. 7 FFH-RL die Ausweisung und die Anerkennung der besonderen Vogelschutzgebiete nach Art. 4 I und II VS-RL durch die Mitgliedstaaten425. Erst mit der Ausweisung und Anerkennung durch den Mitgliedstaat gelten für diese Gebiete die Regelungen der FFH-RL426. Bis dahin werden die für den Schutz nach Art. 4 I VS-RL geeignetsten Gebiete, welche nicht ausgewiesen wurden, als faktische Vogelschutzgebiete dem Schutzregime des Art. 4 IV VS-RL unterstehen und damit einem stärkeren Schutz unterliegen, als die ausgewiesenen Schutzgebiete, welche nach Art. 6 II–IV FFH-RL zu schützen sind427.

___________ 421

Gellermann, „Natura 2000“, S. 125 ff.; BVerwG in UPR 1998, 384, 387; BVerwG in NZV 2000, 305, 306. 422 Erbguth, in: Jarass (Hrsg.) „EG-Naturschutzrecht“, S. 82; für unbegrenzte Anwendung: Louis/Wolf, in: NuR 2002, 457. 423 Müller, in: EurUP 2004, 154; Gellermann, „Natura 2000“, S. 126 f.; Louis/Wolf, in: NuR 2002, 457. 424 Louis/Wolf, in: NuR 2002, 457; Gellermann, „Natura 2000“, S. 126 und S. 114 f.; noch weitergehend Mecklenburg, in: UPR 2002, 124 ff. 425 Vgl. dazu nur Füßer, in: NVwZ 2005, 144 ff. 426 Jarass, in: Jb UTR, 2001, 279 ff.; Gellermann, „Natura 2000“, S. 114 ff.; Müller, in: EurUP 2004, 154. 427 Gellermann, „Natura 2000“, S. 114 ff.; Winter, in: ZUR 2002, 315; Jarass, in: Jb UTR, 2001, 279 ff.; Erbguth, in: Jarass (Hrsg.) „EG-Naturschutzrecht“, 74 f.; Müller, in: EurUP 2004, 154.

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

99

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL Nachfolgend sollen konkrete Prüfungspunkte für die Analyse der Konformität des litauischen Umwelt- und Naturschutzes mit den Anforderungen des Europäischen Naturschutzrechts herausgearbeitet werden. In diesem Zusammenhang stellt sich schon hier die Frage, welche litauischen Gesetze das Europäische Naturschutzrecht konkret umsetzten und wie diese im Zuge des Beitrittsprozesses angepasst und/oder neu geschaffen wurden. Obwohl eine ausführliche Darstellung der exekutivischen Umsetzung im zweiten Teil der Arbeit und der normativen Umsetzung im dritten Teil der Arbeit erfolgen soll, können einige generelle Aussagen bereits an dieser Stelle getroffen werden. Ausgehend von der inhaltlichen Vorstellung der FFH- und VS-RL wird nunmehr der Handlungsbedarf zur Erfüllung der europarechtlichen Vorgaben für den litauischen Gesetzgeber konkret herausgearbeitet.

I. Die Anforderungen an Handlungsform und Inhalt des Umsetzungsaktes 1. Das Umsetzungsinstrumentarium Den Richtlinien im Sinne von Art. 249 UAbs. 3 EGV fehlt zumindest grundsätzlich428 die unmittelbare Wirkung und sie sind daher nach Art. 249 UAbs. 3 iVm Art. 10 EGV vom Mitgliedstaat als Adressat ins nationale Recht umzusetzen. In den Richtlinien erfolgt zunächst die Vorgabe von Inhalt und Ziel der intendierten Regelung in teilweise präziser Form, welche dann durch die Mitgliedstaaten innerhalb der vorgegebenen Frist in ihr nationales Recht zu übernehmen sind429. Die Umsetzungsverpflichtung trifft dabei innerhalb des Mitgliedstaates die Stellen, die nach innerstaatlichem Recht für die jeweiligen Rechtsmaterien kompetent sind. Dies kann je nach mitgliedstaatlicher Kompetenzordnung über die zentrale Ebene bis hinunter zur kommunalen Ebene reichen. Bezüglich der Qualität des Umsetzungsaktes fordert der EuGH, dass die praktische Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinie unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels gewährleistet ist und die Umsetzung durch innerstaatlich verbindliche Vorschriften erfolgt430. Als dem Erfordernis der Verbindlichkeit nicht genügend werden einfache verwaltungsinterne Dienstanweisungen oder bloße ___________ 428

Nach EuGH in ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil vom 06.10.1970 C-9/70 E-1970, 825, 837 ff. können Richtlinien ausnahmsweise unmittelbare Wirkung entfalten, wenn ihre Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau formuliert sind und die Umsetzungsfristen abgelaufen sind. 429 Vgl. Pernice, in: EuR 1994, 328 ff.; Müller, in: EurUP 2004, 150. 430 EuGH, Urteil vom 08.04.1976, C-48/75 Slg. 1976, 497, 517.

100

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

Verwaltungspraktiken angesehen, selbst wenn diese den Erfordernissen der Richtlinie entsprechen431. Für Litauen ergeben sich damit theoretisch zunächst folgende Möglichkeiten für die normative Umsetzung: –

die Verfassung,



die Parlamentsgesetze und



die Verordnungen.

2. Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz Eine Einschränkung der normativen Umsetzungsinstrumente könnte sich aus dem Nichtdiskriminierungsgrundsatz ergeben, nach welchem die Umsetzungsakte in nationales Recht mindestens den gleichen Rang in der Normenhierarchie aufweisen müssen, wie die Normen, welche die Materie vor der Einführung durch das Gemeinschaftsrecht geregelt haben432. Nur die „Parallelität“ der Umsetzungsnorm schafft auch gegenüber dem Rechtsanwender im Einzelfall die Gewissheit, dass die Gemeinschaftsnorm als innerstaatliches Recht greift433. Daraus folgt für Litauen grundsätzlich die Einschränkung auf formelle Parlamentsgesetze434, da insbesondere die schon vor einer Anpassung an die Vorgaben des Europäischen Naturschutzrechts bestehenden Regelungen zum Habitatschutz, wie das Schutzgebietsgesetz435, das Waldgesetz436 und das Gesetz über die wildlebenden Tiere437, ebenfalls als formelle Gesetze vom Parlament verabschiedet wurden438. Dieser Grundsatz kann dabei jedoch nur soweit gehen, wie diese Normen bereits abschließende Regelungen für den Habitatschutz vor einer Anpassung festlegten. Nur zur Beseitigung etwaiger schon bestehender, ___________ 431

EuGH, Urteil vom 06.05.1980, C-102/79 Slg. 1980, 1473, 1484 ff. EuGH, Urteil vom 03.03.1988, Rs. 116/86, Slg. 1988, 1323, 1338; Urteil vom 15.10.1986, Rs. 186/85, Slg. 1986, 2945, 2961; vgl. auch Pernice, in: EuR 1994, 333; Müller, in: EurUP 2004, 151; Gellermann/Szczekalla, in: NuR 1993, 56; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 232; Winter, in: NuR 1992, 22. 433 Pernice, in: EuR 1994, 333; Müller, in: EurUP 2004, 151. 434 Die theoretische Möglichkeit der Regelung auf Verfassungsebene ist in der Praxis nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen. 435 Valstybs Žinios (litauisches Gesetzblatt) vom 9.11.1993 Nr. 63 Pos. 1188, in der Fassung vom 28.12.2001. 436 Valstybs Žinios (litauisches Gesetzblatt) vom 22.11.1994 Nr. 96 Pos. 1872, zuletzt geändert durch Valstybs Žinios IX-1925, vom 18.12.2003, Nr. 123-5593, in Kraft seit 1.1.2004. 437 Valstybs Žinios (litauisches Gesetzblatt) vom 06.11.1997 Nr. 108 Pos. 2726, zuletzt geändert durch Valstybs Žinios IX-1614 vom 10.6.2003, Nr. 61-2767, in Kraft seit 1.1.2004. 438 Marcijonas/Sudaviius, „Litauen“, S. 160; Müller, in: EurUP 2004, 151. 432

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

101

damit nach der Angleichung entgegenstehender Regelungen kann eine „Parallelität“ der Umsetzungsnorm gefordert werden. Weitergehende Regelungen von Einzelheiten müssen auch hier im Wege der Rechtsverordnung möglich sein.

3. Rechtssicherheit, Klarheit und Bestimmtheit Das Postulat der Rechtssicherheit stellt einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar und verlangt ein Mindestmaß an inhaltlicher Bestimmtheit und Klarheit bei der Umsetzung einer Richtlinie439. Bestimmtheit und Klarheit der nationalen Norm dürfen nicht hinter den Bestimmtheitsgrad der Richtlinie zurückfallen440. In der ersten Entscheidung zur VS-RL führt der EuGH441 aus: „Der Genauigkeit der Umsetzung kommt allerdings besondere Bedeutung zu in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Verwaltung des gemeinsamen Erbes den Mitgliedsstaaten für ihr jeweiliges Hoheitsgebiet anvertraut ist.“

Darunter versteht der EuGH442 in ständiger Rechtsprechung insbesondere das durch die VS-RL und FFH-RL geschützte gemeinsame Naturerbe. Dies wird auch aus der ersten Entscheidung des EuGH443 zur gemeinschaftskonformen Umsetzung der FFH-RL deutlich, in welcher er an die Anforderungen einer detailgenauen Umsetzung zur VS-RL anknüpft. Auch die Europäische Kommission444 drängt nachdrücklich auf eine umfassende, detailgenaue Normierung der FFH- und VS-RL in den nationalen Rechtsordnungen445. Dabei hat sie bisher vom EuGH in seinen entsprechenden Entscheidungen Rückendeckung erhalten446.

___________ 439

EuGH, Urteil vom 23.5.1985, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, 1673 Rn. 23 f.; Rödiger-Vorwerk, „Umsetzung“, S. 83; Gellermann/Szczekalla, in: NuR 1993, 56. 440 Jarass, Grundfragen, S. 54; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 234 f. 441 EuGH, Urteil vom 8.7.1987, Rs. 247/85, Slg. 1987, 3029, 3061. 442 EuGH, Urteil vom 8.7.1987, Rs. 262/85, Slg. 1987, 3073, 3097; EuGH, Urteil vom 27.4.1988, Rs. 252/85, Slg. 1988, 2243, 2265. 443 EuGH, Urteil vom 06.04.2000, Rs. C 256/98, NuR 2000, 565 ff. 444 Vgl. zur Beanstandung der Umsetzung im BNatSchG: EU-Kommission in NuR 2000, 625 f. 445 Vgl. zur Umsetzung im BNatSchG: Gellermann, in: NVwZ 2002, 1025 ff.; Wirths, in: NuR 2003, 150 ff. 446 Pernice, in: EuR 1994, 340 f.

102

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

II. Die Ableitung von konkreten Prüfungspunkten Für die Beantwortung der Frage nach der Konformität des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts sollen nachfolgend aus den dargestellten Anforderungen für den Aufbau des Natura 2000 Schutzgebietssystems nach der FFHund VS-RL konkrete Prüfungsschwerpunkte herausgearbeitet werden. Dabei erfolgt eine Schwerpunktlegung auf die Ausweisungspflicht der Schutzgebiete (Art. 4 IV FFH-RL und Art. 4 I 4, II VS-RL) und das zu sichernde Schutzniveau dieser Gebiete nach Art. 6 FFH-RL. Hier kann bereits ein allgemeiner Bezug zu den litauischen Regelungen hergestellt werden, welche einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der entsprechenden Anforderungen des Europäischen Naturschutzrechts leisten könnten. Die umfassende Prüfung der normativen Umsetzung bleibt jedoch dem dritten Teil der Arbeit vorbehalten.

1. Die Ausweisungspflicht nach Art. 4 IV FFH-RL und Art. 4 I 4, II VS-RL Eine Pflicht zur Ausweisung der FFH-Gebiete setzt nach Art. 4 IV FFH-RL die Aufnahme dieser Gebiete in die sogenannte Gemeinschaftsliste voraus. Das in Art. 4 FFH-RL normierte Auswahlverfahren zur Erstellung dieser Liste gliedert sich in drei voneinander zu unterscheidende Phasen. Wie bereits ausgeführt447, verpflichtet Art. 4 I FFH-RL zunächst zur Auswahl und Meldung der Gebiete in der sogenannten Meldeliste. Diese Vorauswahl hat sich an den in Anhang III (Phase 1) bezeichneten Kriterien zu orientieren. Den Mitgliedstaaten steht dabei lediglich ein naturschutzfachlich ausgeprägter Bewertungsspielraum zur Verfügung448. Sie haben ein Bestandsverzeichnis zu erstellen, das möglichst vollständig die Gebiete aufführt, die wegen des Vorkommens prioritärer oder sonstiger Habitate oder Arten, des Repräsentationsgrades oder Erhaltungszustandes der Habitate, der Populationsgröße oder aus Gründen ihrer relativen Wertigkeit auf der mitgliedstaatlichen Ebene für eine Aufnahme in das Natura 2000 Netz infrage kommen449. Dies setzt zunächst eine umfangreiche Datenerhebung, ein sogenanntes Biomonitoring, über die Verbreitung der in den Anhängen der VS- und FFH-RL gelisteten Arten und Habitate in Litauen voraus450. Für die Durchführung flächendeckender Untersuchungen auf wissenschaftlicher Basis sowie die Erstellung von Verzeichnissen des Naturinventars und Datenbanken, die mit EU-Standards kompatibel sind, wird wohl von Litauen ein erheblicher Bedarf an finanziellen Mitteln bei der Gemeinschaft angemeldet wer___________ 447

Vgl. 1. Teil D. III. 2. Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 23. 449 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 23, S. 1232. 450 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 34. 448

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

103

den451. Zwar ist nach Art. 8 FFH-RL nur bezüglich der Erfüllung der Aufgaben aus Art. 6 I FFH-RL für eine finanzielle Beteiligung der Gemeinschaft ausdrücklich vorgesehen, jedoch wird damit die Existenz der notwendigen Datenbasis vorausgesetzt, ohne die es keine Identifizierung der Schutzgebiete gäbe. Daher ist im Zusammenhang mit Art. 11 FFH-RL, der ein ständiges Monitoring der geschützten Arten und Lebensräume verlangt, auch hier eine finanzielle Beteiligung der Gemeinschaft geboten. Auf der Grundlage der Verordnung 1655/2000 (LIFE)452, die auch den thematischen Bereich LIFE-Nature umfasst, können Naturschutzvorhaben zur Errichtung des Natura 2000 Netzes finanziell unterstützt werden453. Dabei ist für Maßnahmen im Zusammenhang mit prioritären Arten oder Lebensräumen ein Zuschuss bis zu 75 %, für Begleitmaßnahmen sogar bis 100 % möglich454. Im Anschluss erstellt die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der nationalen Meldungen den Entwurf der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (Art. 4 II FFH-RL i.V.m. Anhang III Phase 2). Mit Blick auf jene Mitgliedstaaten, bei denen die zwingende Übernahme der prioritären Gebiete mehr als 5 % des Hoheitsgebiets ausmacht, eröffnet Art. 4 II UAbs. 2 FFH-RL die Möglichkeit, den naturschutzfachlichen Bewertungsspielraum der unterschiedlichen Belastungen der Mitgliedstaaten anzupassen. In der dritten Phase wird der Listenentwurf nach Art. 4 II UAbs. 3 i.V.m. Art. 21 I FFH-RL dem Habitatausschuss zur Stellungnahme zugeleitet. Stimmt dieser zu, teilt die Kommission den Mitgliedstaaten die beschlossene Liste nach Art. 4 II UAbs. 3 i.V.m. Art. 21 II FFH-RL als Entscheidung mit. Andernfalls unterbreitet die Kommission dem Rat einen Vorschlag über den mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden ist (Art. 21 II UAbs. 2 FFH-RL). Die in dieser Liste aufgenommenen Gebiete müssen dann nach Art. 4 IV FFH-RL vom Mitgliedstaat schnellstmöglich, spätestens binnen sechs Jahren, zu besonderen Schutzgebieten erklärt werden. Dabei können die Mitgliedstaaten eine neue Schutzkategorie einführen oder auf die im nationalen Recht vorgesehenen Kategorien zurückgreifen, solange nur ein hinreichend wirksamer Schutz gewährleistet wird455. Diese Verpflichtung zur Auswahl und Ausweisung muss demnach auch im litauischen Umwelt- und Natur-

___________ 451

Vegh, „Natura 2000“, S. 75. Verordnung 1655/2000 in ABl. 2000 Nr. L 192, 1, in Kraft seit 31.7.2000. 453 Vgl. dazu „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 10 ff.; Rodi, „Finanzierungskompetenz“, S. 75 ff. 454 Vgl. Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 41, S. 1240; „Natura 2000“ Newsletter 17/Januar 2004, 10 ff. 455 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 24; Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 25, S. 1233 f. 452

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1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

schutzrecht normiert sein. Eine entsprechende Überprüfung wird insbesondere im litauischen Schutzgebietsgesetz zu erfolgen haben. Nach Art. 3 I FFH-RL werden die aufgrund Art. 4 der VS-RL ausgewiesenen besonderen Vogelschutzgebiete vom Netz Natura 2000 mit umfasst456. Dabei handelt es sich um die besonderen Vogelschutzgebiete zum Schutz der in Anhang I der VS-RL aufgeführten Arten (Art. 4 I) sowie der Zugvogelarten (Art. 4 II). Hierzu sind die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten zu erklären457. Die Brut-, Rastund Überwinterungsareale der Zugvögel sind in die Auswahl einzubeziehen. Dabei hat sich die Auswahl allein an ornithologischen und naturschutzfachlichen Kriterien zu orientieren458. Ratsam erscheint auch eine Berücksichtigung des sogenannten IBA-Verzeichnisses459, dem aus Gründen seines vom EuGH460 anerkannten wissenschaftlichen Wertes eine zumindest indizielle Bedeutung zukommt461. Für die Unterschutzstellung können neue Schutzkategorien (Vogelschutzgebiete) eingeführt oder auch im nationalen Recht schon bestehende Kategorien verwendet werden, solange ein ausreichend wirksamer Schutz das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I aufgeführten Vogelarten sowie die Vermehrung, die Mauser und die Überwinterung der Zugvogelarten gewährleistet wird462. Obwohl die Gebietsauswahl grundsätzlich den Mitgliedstaaten vorbehalten ist, sind einzelne Gebiete unmittelbar anhand ihrer hohen ornithologischen Wertigkeit für die Auswahl identifizierbar. Der Beurteilungsspielraum verdichtet sich bei diesen sogenannten faktischen Vogelschutzgebieten derart, dass nur eine Erklärung zum besonderen Schutzgebiet den Vorgaben der VS-RL gerecht werden kann463. Unterbleibt die Erklärung pflichtwidrig, muss das entsprechende Gebiet direkt den Schutz- und Erhaltungspflichten nach Art. 4 IV VS-RL unterstellt werden464. Die Vogelschutzgebiete unterliegen nach Art. 7 FFH-RL erst nach der Ausweisung dem Schutzregime nach Art. 6 II– IV FFH-RL. Bis dahin unterliegen die nach Art. 4 I 4, II VS-RL auszuweisen___________ 456

Vgl. Art. 7 FFH-RL. Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 21. 458 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 17, S. 1228. 459 Vgl. nur für Litauen: Skov et al., „Important Bird Areas in the Baltic Sea“, S. 199 ff. 460 EuGH, Urteil vom 19.5.1998, Rs. C-3/96, Slg. 1998, I-3031, 3072. 461 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 21. 462 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 24; Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 25, S. 1233 f. 463 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 18, S. 1229. 464 EuGH Urteil vom 02.08.1993, Rs C 355/90 in NuR 1990, 521; Urteil vom 25.11.1999, Rs C 96/98 in ZUR 2000, 222.; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 21. 457

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

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den Schutzgebiete, die sogenannten faktischen Vogelschutzgebiete, dem strengeren Schutz des Art. 4 IV 1 VS-RL465. Für die Erfüllung der Konformitätsanforderungen ergibt sich somit Folgendes. Zunächst besteht ab dem Beitritt die Verpflichtung der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete nach Art. 4 I 4, II VS-RL, da auch nach der Anwendung der FFH-RL die Ausweisung der für den Vogelschutz wichtigen Gebiete nach der VS-RL zu erfolgen hat466. Daher musste eine entsprechende nationale Regelung spätestens bis zum Beitrittstermin in Kraft sein. Eine Meldung der entsprechend ausgewiesenen Vogelschutzgebiete wird von der Kommission derzeit auf ihre Vollständigkeit geprüft467. Weiterhin unterliegen die faktischen Vogelschutzgebiete nach der Rechtsprechung des EuGH468 bereits vor der Ausweisung dem Schutzregime des Europäischen Naturschutzrechts nach Art. 4 IV 1 VS-RL. Da jedoch Art. 3 I UAbs. 2, 7 FFH-RL die Aufnahme dieser Gebiete in das Natura 2000 Netz sicherstellen und damit ab Aufnahme dem Schutzregime nach Art. 6 II–IV FFH-RL unterstellen will, bedarf es grundsätzlich keiner normativen Umsetzung des Art. 4 IV 1 VS-RL, sondern lediglich seiner entsprechenden Anwendung469. Damit besteht für Litauen nur die Verpflichtung zur Umsetzung des Art. 4 I 4, II VS-RL. Es bleibt also im dritten Teil der Arbeit zu prüfen, ob eine derartige Ausweisungsverpflichtung im litauischen Umwelt- und Naturschutzrecht besteht. Bezüglich der Auswahl der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung erfolgt im zweiten Teil der Arbeit, im Zusammenhang mit der Vorstellung der Lebensraumtypen und Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung, eine ausführliche Darstellung.

2. Die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 I FFH-RL und nach Art. 4 I 1, II VS-RL Aus Art. 6 I FFH-RL folgt die Verpflichtung zur Festlegung der für die besonderen Schutzgebiete nötigen Erhaltungsmaßnahmen, welche geeignete Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art beinhalten, um die ökologischen Erfordernisse der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II zu ge___________ 465

EuGH Urteil vom 07.12.2000, Rs C 374/98 in ZUR 2001, 75, 76 f. EuGH Urteil vom 11.07.1996, Rs C 44/95 in NuR 1997, 36; Urteil vom 19.05.1998, Rs C 3/96 in UPR 1998, 379. 467 Vgl. zum Stand der Ausweisung in Litauen: „Natura 2000“ Newsletter 18/Oktober 2004, 10. 468 EuGH Urteil vom 02.08.1993, Rs C 355/90 in NuR 1990, 521; Urteil vom 25.11.1999, Rs C 96/98 in ZUR 2000, 222. 469 So schon Bepler, „Naturschutzrecht in Polen“, S. 165 ff. 466

106

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

währleisten470. Demgemäß werden die Mitgliedstaaten zur Vornahme konkreter Maßnahmen des Gebietsmanagements angehalten, zu denen insbesondere Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen zählen werden, die auf die Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der jeweiligen Lebensräume und Arten abzielt471. Hierdurch wird berücksichtigt, dass auch solche Gebiete in Betracht kommen, deren aktueller Zustand zwar nicht optimal ist, die aber über ein entsprechendes Entwicklungspotential verfügen und dadurch auch einen wichtigen Beitrag für die Wirksamkeit und Kohärenz des Natura 2000 Netzes leisten können472. Da das Gebietsmanagement nicht unbedingt auf abstrakt generelle Regelungen angewiesen ist, sondern häufig individuelle Vereinbarungen mit den Bewirtschaftern der Flächen erfordern wird, erklärt sich auch zwanglos die Zulässigkeit von vertraglichen Vereinbarungen zur Erfüllung der Pflichten aus Art. 6 I FFH-RL473. Zur Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen können sich die Mitgliedstaaten sämtlicher in Betracht kommender Handlungsformen, von der Verwaltungsvorschrift über vertragliche Vereinbarungen bis hin zu normativen Regelungen, bedienen474. Lediglich die Zielgenauigkeit der nötigen Erhaltungsmaßnamen, also ein Abstellen auf die Gewährleistung eines günstigen Erhaltungszustandes des jeweiligen Lebensraums nach Art. 1 lit. e FFH-RL oder der im Gebiet beheimateten Arten nach Art. 1 lit. i FFH-RL, ist erforderlich. Ist bei der Umsetzung der FFH-RL keine eigene Schutzkategorie vorgesehen, muss das Gebiet in einer geeigneten nationalen Schutzgebietskategorie ausgewiesen und eine Schutzverordnung erlassen werden, welche die nötigen Erhaltungsmaßnahmen, Bewirtschaftungspläne und andere geeignete Maßnahmen festlegt475. Für die besonderen Vogelschutzgebiete besitzt Art. 6 I FFH-RL keine Bedeutung, da sie nach Art. 7 FFH-RL lediglich den Bestimmungen von Art. 6 II bis IV FFH-RL unterstehen sollen. Bezüglich der besonderen Vogelschutzgebiete, die gerade nicht der Regelung nach Art. 6 I FFH-RL unterstehen, folgt eine entsprechende Pflicht aus Art. 4 I 1 VS-RL zur Ergreifung der besonderen Schutzmaßnahmen. Gegebenenfalls ist jedoch eine Doppelausweisung der entsprechenden Gebiete sinnvoll, um eventuell doch weitergehende Managementmaßnahmen nach Art. 6 I FFH-RL zu ermöglichen476. Die Mitgliedstaaten haben somit jedenfalls besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Lebensräu___________ 470 Gebhard, in: NuR 1999, 366 ff.; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 33 f. 471 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 34. 472 Gellermann, „Natura 2000“, S. 68. 473 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 38, S. 1239. 474 Gellermann, „Natura 2000“,S. 68. 475 Czybulka, in: BfN 2000, 183. 476 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 26.

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

107

me der Arten nach Anhang I VS-RL sowie über Art. 4 II VS-RL hinsichtlich der Lebensräume der Zugvogelarten anzuwenden, um deren Überleben und ihre Vermehrung sicherzustellen477. Auch wenn sie den Genauigkeitsgrad des Art. 6 I FFH-RL nicht erreichen, unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die Mitgliedstaaten auch hier unter Anwendung sämtlicher in Betracht kommender Handlungsformen all jene Aktivitäten zu entfalten haben, die erforderlich sind, um das Ziel des Überlebens und der Vermehrung der Vogelarten zu erreichen478.

3. Das Störungs- und Verschlechterungsverbot nach Art. 6 II FFH-RL Nach Art. 6 II FFH-RL haben die Mitglieder geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten (Verschlechterungsverbot), sowie der Störungen von Arten, für welche die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu ergreifen, sofern solche Störungen sich in Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten (Störungsverbot)479. Während das allgemeine Verschlechterungsverbot prinzipiell jede Beeinträchtigung der maßgeblichen Bestandteile des Gebiets untersagt480, ist das hinzutretende Störungsverbot insoweit abgeschwächt, als es nur erhebliche Störungen jener Arten verhindert wissen will, derentwegen die Unterschutzstellung erfolgte481. Das Störungsverbot beschränkt sich jedoch nicht auf diejenigen Belastungen, die sich erheblich auf das Überleben und die Vermehrung der Arten auswirken. Vielmehr zielt die Norm auf die Verhinderung solcher Störungen, die sich auf die Lebensverhältnisse der geschützten Arten erheblich qualitätsmindernd auswirken482. Dagegen ist für das Verschlechterungsverbot keiner Relativierung möglich483. Es gilt, jede Verschlechterung der notwendigen Gebietsbestandteile zu verhindern ohne Rücksicht auf die Erheblichkeit oder Nachhaltigkeit etwaiger Beeinträchtigungen484. Dementsprechend haben die Mitgliedstaaten selbst geringfügig erscheinende Verschlechterungen der den eigentlichen Grund der Unterschutzstellung bildenden Lebensräume zu ___________ 477

Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 39, S. 1239. Gellermann, „Natura 2000“, S. 69. 479 Müller, in: EurUP 2004, 154; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 34. 480 Wirths, in: ZUR 2000, 191. 481 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 27, S. 1234. 482 Winter, in: ZUR 1994, 309. 483 Vgl. zur Beizeichnung als „radikales Verbot“: Fisahn/Cremer, in: NuR 1997, 271. 484 Wirths, in: ZUR 2000, 191; Epiney, in: UPR 1997, 308; die Möglichkeit einer Relativierung des Verschlechterungsverbotes andeutend Jarass, in: ZUR 2000, 185. 478

108

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

verhindern485. Aus beiden Elementen des Art. 6 II FFH-RL folgt eine Grundsicherung gegenüber anthropogenen Einflüssen, und zwar unabhängig davon, ob die unerwünschte Aktivität innerhalb oder außerhalb der Gebietskulisse entfaltet wird486. In Abgrenzung zum Managementauftrag nach Art. 6 I FFH-RL, welcher gebietstypische Einflüsse im Zusammenhang mit der Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes berücksichtigt, kann bei Art. 6 II FFH-RL von gebietsfremden Einflüssen gesprochen werden, welche zur Erhaltung des derzeitigen Zustandes unterbunden werden sollen487. Das allgemeine Verbot des Art. 6 II FFH-RL greift nur, soweit die abzuwehrenden Beeinträchtigungen weder planungs- noch projektbedingt sind. Für derartige Aktivitäten hält Art. 6 III, IV FFH-RL spezielle Vorgaben bereit, die in detaillierter Weise umschreiben, wie mit schutzgebietsrelevanten Plänen und Projekten zu verfahren ist488. Auch die Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 6 II FFH-RL wird im litauischen Umwelt- und Naturschutzrecht nachzuprüfen sein. Dabei ist im dritten Teil der Arbeit insbesondere auf das Schutzgebietsgesetz näher einzugehen, welches den Kernbereich zur Ausweisung der Schutzgebiete regelt.

4. Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 III und IV FFH-RL Von der Generalklausel nach Art. 6 II FFH-RL unterscheiden sich die Spezialbestimmungen nach Art. 6 III und IV FFH-RL grundlegend489. So sind Pläne und Projekte, die nicht mit der unmittelbaren Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind, die ein besonderes Schutzgebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, nach Art. 6 III FFH-RL einer Verträglichkeitsprüfung auf Vereinbarkeit mit den in diesen Gebieten festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen490. Eine Zustimmung für entsprechende Pläne und Projekte durch die Behörden der Mitgliedstaaten darf grundsätzlich nur erfolgen, wenn die Verträglichkeitsprüfung bestätigt, dass der jeweilige Plan oder das Projekt das Schutzgebiet nicht beeinträchtigt491. Abschwächungen erleidet ___________ 485

Gellermann, „Natura 2000“, S. 75. Niederstadt, in: NuR 1998, 520; Gellermann, „Natura 2000“, S. 71 f. 487 Gellermann, „Natura 2000“, S. 73.; Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 38, S. 1239. 488 Wirths, in: ZUR 2000, 191. 489 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 36. 490 Zu Einzelheiten der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Prüfung vgl. Jarass, ZUR 2000, 186; Wirths, in: ZUR 2000, 192; zum Begriff der „Erheblichkeit“ vgl. Gellermann/Schreiber, in: NuR 2003, 205 ff. 491 Müller, in: EurUP 2004, 155. 486

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

109

der Schutz dagegen, soweit Pläne und Projekte trotz Unvereinbarkeit mit den Erhaltungszielen und möglicher Gefährdung der notwendigen Gebietsbestandteile unter der Wahrung der Voraussetzungen des Art. 6 IV FFH-RL zugelassen werden können. Unter den Projektbegriff fallen die Errichtung von baulichen und sonstiger Anlagen sowie Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen492. Die Übergänge zwischen Plan und Projekt, insbesondere bei vorgelagerten Entscheidungen, sind fließend493. Der Plan sollte jedoch eine Steuerungsfunktion haben, kann Teil eines übergeordneten Planungssystem oder einer Gesamtplanung494 sein und geht damit über lediglich „vorbereitende“ Planungen von Projekten hinaus495. Der Planbegriff erfasst solche Planungsakte, die Einfluss auf die Beanspruchung von Grund und Boden oder die räumliche Entwicklung haben496. Die Prüfpflicht wird für solche Pläne und Projekte begründet, die allein oder im Zusammenwirken mit anderen Planungen oder Projektierungen von einer das Schutzgebiet erheblich beeinträchtigenden Wirkung sein können. Diese vorsichtige Formulierung deutet an, dass selbst die entfernte Möglichkeit eines hinreichend gewichtigen negativen Einflusses genügt, um die Prüfpflicht auszulösen497. Dem entspricht es, dass Art. 6 III 1 FFHRL Fernwirkungen von Eingriffen oder sonstigen Veränderungen außerhalb des Gebietes sowie etwaige Summationseffekte erfasst498. Inhaltlich bezieht sich die Prüfung auf die Konformität mit den festgelegten Erhaltungszielen des jeweils betroffenen Gebiets, selbst wenn dabei Entwicklungsmaßnahmen zur Wiederherstellung eines zukünftigen günstigen Erhaltungszustandes eines Lebensraums oder einer Art vorgesehen sind499. Nach dem sogenannten Verträglichkeitsgrundsatz nach Art. 6 III 2 FFH-RL darf kein Plan oder Projekt gemäß Art. 6 III 1 FFH-RL ohne vorherige behördliche Kontrolle zugelassen werden. Unabhängig von der Art des Gebiets sind die Mitgliedstaaten jedoch verpflichtet, in jedem Fall einer Zulassung gebietsrelevanter Pläne oder Projekte, die zur Wahrung der Kohärenz des Natura 2000 Netzes notwen-

___________ 492 493

Jarass, in: ZUR 2000, 185; Iven, in: NuR 1996, 378. Gassner et al., „Bundesnaturschutzgesetz“, § 35 Rdn. 7; Müller, in: EurUP 2004,

155. 494

Erbguth, in: NuR 2000, 130 ff. Marzik/Wilrich, „Bundesnaturschutzgesetz“, § 35 Rdn. 2 und 5; Müller, in: EurUP 2004, 155. 496 Müller, in: EurUP 2004, 155 f.; Jarass, in: ZUR 2000, 185. 497 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 29, S. 1235. 498 Epiney, in: UPR 1997, 308; Wirths, in: ZUR 2000, 192. 499 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 30, S. 1235. 495

110

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

digen Ausgleichsmaßnahmen zu erbringen und die Kommission darüber zu unterrichten500. Die restriktiv zu interpretierenden Ausnahmevorschriften nach Art. 6 IV FFH-RL dürfen bei mangelnder Erhaltungszielkonformität immer nur dann angewendet werden, wenn Alternativlösungen nicht vorhanden sind501. Eine Alternativlösung ist dann vorhanden, wenn die Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Plans oder Projekts mit geringeren negativen Auswirkungen auf die Schutzziele des Gebiets möglich ist502. Das somit strikt beachtliche Vermeidungsverbot wird nur durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip eingeschränkt, welches jedoch eine Kostensteigerung einer Alternativlösung grundsätzlich zulässt503. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt504, hängt bei fehlender Standortoder Ausführungsvariante die weitere Prüfung davon ab, ob ein Gebiet von gemeinschaftlichem Interesse oder ein prioritäres Gebiet und/oder prioritäre Arten betroffen sind505. Handelt es sich um ein Gebiet ohne prioritäre Bestandteile, kann bei zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, eine Abweichung nach Art. 6 IV UAbs. 1 FFH-RL gestattet werden, wenn eine Alternativlösung nicht vorhanden ist und notwendige Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden506. Dabei muss die jeweilige einzelfallbezogene Abwägung zusätzlich ein derartig deutliches Übergewicht der für das Projekt oder den Plan streitenden zwingenden öffentlichen Belange ergeben, dass sich die Zurückstellung der Interessen des Naturschutzes geradezu aufdrängt507. Handelt es sich um ein Gebiet, welches prioritäre Habitate und/oder Arten beheimatet, kann eine Zustimmung nur für Erwägungen zur Gesundheit der Menschen und der öffentlichen Sicherheit sowie für Maßnahmen zur maßgeblichen Verbesserung der Umwelt und nach Stellungnahme der Kommission für andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesse erteilt werden (Art. 6 IV UAbs. 2 FFH-RL). Eine Ausnahmeregelung für wirtschaftliche ___________ 500 Müller, in: EurUP 2004, 152; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 38 f. 501 Müller, in: EurUP 2004, 152; Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 34, S. 1237. 502 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 37; Müller, in: EurUP 2004, 152. 503 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 34, S. 1237; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 38. 504 Vgl. 1. Teil D. III. 3. 505 Vgl. Müller, in: EurUP 2004, 152 506 Schall, „Natura 2000“, S. 97. 507 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 35, S. 1237; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 39.

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

111

oder soziale Gründe scheidet entgegen der Auffassung der Kommission508 für diese Gebiete gerade aus509. Die Berücksichtigung dieser Belange würde dem rechtstechnisch deutlich erkennbaren Sinngehalt von Art. 6 IV UAbs. 2 FFHRL, dem erhöhten Schutzbedürfnis der prioritären Lebensräume und/oder Arten, nicht gerecht werden510. Zur entsprechenden Anwendung auf die in das Natura 2000 Netz zu integrierenden Vogelschutzgebiete ist bereits an anderer Stelle hingewiesen worden511. Die fehlende ausdrückliche Benennung „prioritärer“ Vogelarten hindert nicht an einer entsprechenden Anwendung der Art. 6 III und IV FFH-RL für die nach Art. 7 FFH-RL dem Schutzregime der FFH-RL zu unterstellenden Vogelschutzgebiete512. Andernfalls würde der diesen Gebieten bislang zukommende Schutz abgeschwächt, ohne dass eine dahingehende Regelungsintention des Gemeinschaftsgesetzgebers erkennbar wäre513. Schließlich sind konkretere Aussagen zum Inhalt und Ablauf der Verträglichkeitsprüfung dem Gemeinschaftsrecht nicht zu entnehmen. Dies ist bei der Prüfung der Konformität des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts im Dritten Teil der Arbeit zu berücksichtigen. Hervorzuheben ist auch die grundsätzliche Unterscheidung von der Verträglichkeitsprüfung nach der UVP-RL514. Diese weicht in wesentlichen Punkten von den Vorgaben einer Prüfung nach Art. 6 III und IV FFH-RL, insbesondere bezüglich der inhaltlichen Reichweite und der höheren Ergebnisrelevanz, ab515. Somit ist neben dem Schutzgebietsgesetz auch auf das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung516 einzugehen. Zusätzlich ist die Berücksichtigung der planerischen Elemente der FFH-RL erforderlich517. Eine diesbezügliche Prüfung im Raumplanungsgesetz518 wird da___________ 508

EU-Kommission in ABl. 1995, Nr. C 178, S. 3; 1996, Nr. L 6, S. 14. Erbguth, in: NuR 2000, 134; Gellermann, „Natura 2000“, S. 105; Wirths, „Naturschutz durch Gemeinschaftsrecht“, S. 283; Leist, „Lebensraumschutz“, S. 131; Winter, ZUR 1994, 309; Fishan/Cremer, in: NuR 1997, 272; a.A. Cosack, in: UPR 2000, 255 f.; Epiney, in: UPR 1997, 309; Iven, in: NuR 1996, 379; Jarass, in: ZUR 2000, 188; Schink, in: DÖV 2002, 49; Stollmann, „Verträglichkeitsprüfung“, S. 87 f. 510 Müller, in: EurUP 2004, 152 f. 511 Vgl. 1. Teil D. III. 3. 512 Müller, in: EurUP 2004, 152. 513 Gellermann, in: EUDUR § 78 Rdn. 37, S. 1238. 514 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 37. 515 Müller, in: EurUP 2004, 156; Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 37. 516 Valstybs Žinios (litauisches Gesetzblatt) vom 15.08.1996 Nr. 82 Pos. 1965, in der Fassung vom 1.06.2000. 517 Czybulka, in: Riedel/Lange, „Landschaftsplanung“, S. 26. 518 Valstybs Žinios (litauisches Gesetzblatt) vom 12.12.1995 Nr. 107 Pos. 2391, in der Fassung vom 12.05.2001; neue Fassung vom 15.1.2004 in Kraft seit 1.5.2004. 509

112

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

her ebenfalls notwendig werden. In diesem Zusammenhang kann schon an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass der litauische Gesetzgeber bezüglich der Umsetzung der Art. 6 III und IV FFH-RL keine einheitliche Regelung getroffen hat. Vielmehr ist eine Zusammenschau der Teilregelungen im Schutzgebietsgesetz, dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung und dem Raumplanungsgesetz erforderlich519. Die Prüfung der Umsetzung der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 III und IV FFH-RL wird damit einen Schwerpunkt bei der Analyse des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts im dritten Teil der Arbeit bilden.

III. Die Weiterentwicklung der Anhänge der FFH- und VS-RL Als eine der schwierigsten Aufgaben des Beitritts wurde die Anpassung der Anhänge der FFH- und VS-RL an die veränderten landschaftlichen Gegebenheiten angesehen, da beide Richtlinien in ihrer damaligen Fassung auf die AltMitgliedstaaten der Gemeinschaft ausgerichtet waren. Die Notwendigkeit einer Fortentwicklung der Anhänge der FFH- und VS-RL und somit die Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten in Litauen könnte sich in Zusammenhang mit dem Landschaftsvergleich der Küstenregionen von Litauen und M-V herausstellen. Auf die politischen Probleme bei der Durchsetzung von nationalen Wünschen bezüglich der Anhänge der Richtlinien ist schon bei der Darstellung der Entstehung der FFH-RL hingewiesen worden520. Daher ist stets auf den Erhalt der Balance der Anhänge und die Beachtung der Rückwirkung von Fortentwicklungen auf die bisherigen Mitglieder zu achten521. Insbesondere bei der Neuaufnahme von Österreich, Schweden und Finnland mussten die Anhänge durch ein Novellierungsverfahren im Zusammenhang mit der Aufnahme der „Borealen Biogeographischen Region“ und zahlreicher anderer Ergänzungen entsprechend angepasst werden. Zur Umgehung von Nachkartierungen und Nachmeldungen für die „Altmitglieder“ wurden nur solche Lebensraumtypen und Arten neu aufgenommen, die lediglich in den neuen Mitgliedstaaten vorkommen522. Ein Verfahren zur Änderung der Anhänge nach Art. 19 ff. FFH-RL und innerhalb der Kommission läuft dabei folgendermaßen ab. Auf Initiative der Naturschutzabteilung der Generaldirektion Umwelt wird in enger Zusammenarbeit ___________ 519

Müller, in: EurUP 2004, 155. Vgl. 1. Teil D. I. 521 Vgl. zu der Problemlage beim polnischen Umsetzungsprozess: Bebler, „Naturschutzrecht in Polen“, S. 150. 522 Ssymank et al., Handbuch „Natura 2000“, S. 399. 520

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

113

der Beitrittskandidaten und Nichtregierungsorganisationen ein Entwurf erstellt, der zur Prüfung der Rechtsabteilung übersandt wird523. In den folgenden Diskussionen des nach Art. 20 FFH-RL unterstützend wirkenden Habitatausschusses und der wissenschaftlichen Arbeitsgruppen werden Stellungnahmen (Art. 21 FFH-RL) erarbeitet, auf deren Grundlage es zur Erarbeitung eines endgültigen Entwurfs kommt524. Dieser wird vom Generaldirektor der Naturschutzabteilung zu Beratungen innerhalb der gesamten Generaldirektion Umwelt weitergeleitet525. Die Einbeziehung der Mitgliedstaaten durch den/die Kommissar(in) erfolgt über die Beteiligung der Kabinette. Bei erzieltem Einvernehmen macht die Kommission einen offiziellen Vorschlag. Die Anpassung der Anhänge erfolgt nach Art. 19 FFH-RL bei Änderung von Anhang IV vom Rat einstimmig und ansonsten mit qualifizierter Mehrheit 526. Die Aufnahme neuer Habitate und Spezies macht eine „Änderung“ oder besser eine „Ergänzung“ der Anhänge der Richtlinien erforderlich. Diese ist von der „Abweichung“ zu unterscheiden, bei welcher gemäß Art. 9 VS-RL und Art. 16 FFH-RL auf nationalstaatlicher Ebene die Entscheidung über die Anwendung bestimmter Schutzbestimmungen fallen kann527. Die Abweichung stellt ein Recht der Mitgliedstaaten dar, das sich auf die Artenschutzregelungen nach Art. 12-15 FFH-RL und Art. 5-8 VS-RL beschränkt und nur zum Schutz wichtiger Rechtsgüter dienen darf. Sie bedarf weder der Zustimmung der EU noch der anderen Mitgliedstaaten. Allerdings zieht die Abweichung eine Berichtspflicht gegenüber der Kommission gemäß Art. 16 II, III FFH-RL und Art. 9 III VS-RL nach sich. Eine Abweichung von den Gebietsschutzregelungen der Richtlinien ist auf diesem Wege nicht möglich. Neben der bereits erwähnten „Abweichung“ kann auch durch eine sogenannte „geographische Beschränkung“ eine Begrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs erzielt werden. Im Gegensatz zur „Abweichung“ wird auch bei der geographischen Beschränkung durch entsprechende Anmerkungen eine Novellierung der Anhänge als Eingrenzung des räumlichen Schutzbereichs der FFH- und VS-RL notwendig528. Es handelt sich somit auch um eine Abänderung der Anhänge. Eine entsprechende Beschränkung des geographischen Schutzbereichs war demzufolge, wie die Ergänzung durch die Aufnahme von Habitaten und Spezies, vor dem

___________ 523

Gellermann, „Natura 2000“, S. 48 und 59. Uebe, „Naturschutzrecht in Estland“, S. 125. 525 Gellermann, „Natura 2000“, S. 59. 526 Vgl. dazu Uebe, „Naturschutzrecht in Estland“, S. 125. 527 Zur Unterscheidung der Begriffe auch: Delpeuch, in: BfN 2000, S. 66. 528 Vgl. zur Novellierungsnotwendigkeit der Anhänge: Ssymank et al., Handbuch „Natura 2000“, S. 401 ff. 524

114

1. Teil: Beitrittsprozess und Konformitätsanforderungen nach der FFH-RL

Beitritt innerhalb der Beitrittsverhandlungen mit der Gemeinschaft und den bisherigen Mitgliedern abzustimmen529. Das Ergebnis dieser Verhandlungen findet sich für Litauen im Beitrittsvertrag wieder530. Dieser stellt eine Änderung des sekundären Gemeinschaftsrechts dar, welche insbesondere Art. 20 der Beitrittsakte i.V.m. Anhang II in großer Zahl enthält531. Diese Modifikationen haben gemäß Art. 9 der Beitrittsakte „denselben Rechtscharakter wie die durch sie aufgehobenen oder geänderten Bestimmungen und unterliegen denselben Regeln wie diese“532. Dazu zählen auch die Änderungen der Anhänge nach FFH- und VS-RL, welche nach der Regelung des Art. 20 Beitrittsakte nach Maßgabe des Anhangs II des Beitrittsvertrages angepasst werden533. In Anhang II wird für die FFH-534 und VS-RL535 ausgeführt: „die Anhänge erhalten folgende Fassung“.

Damit werden für die Anhänge nach der FFH- und VS-RL unmittelbar die im Beitrittsvertrag aufgeführten Änderungen wirksam. Die entsprechenden Regelungen im Beritrittsvertrag erhalten unmittelbar (mindestens) den Rang des sekundären Gemeinschaftsrechts, welches durch die Neufassung geändert wurde536. Ein Verfahren zur Änderung der Anhänge nach Art. 19 ff. FFH-RL und in entsprechender Weise nach Art. 15 ff. VS-RL ist somit nicht mehr erforderlich. Gleichwohl stehen die durch den Beitrittsvertrag erfolgten Änderungen des sekundären Gemeinschaftsrechts aufgrund von Art. 9 der Beitrittsakte unter dem Vorbehalt späterer Änderung oder Aufhebung durch die Gemeinschaftsorgane. Bis die Gemeinschaftsorgane jedoch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sind die Änderungen durch den Beitrittsvertrag wirksam537. Die hier abgeleiteten Konformitätsanforderungen bezüglich der FFH- und VS-RL werden für die weitere Bearbeitung den Rahmen der Prüfung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts im dritten Teil der Arbeit bilden. Bevor es jedoch zur Analyse der Umsetzung der normativen Anforderungen kommt, soll die Umsetzung der exekutivischen Anforderungen bezüglich der Identifizierung der Habitate und der notwendigen Weiterentwicklung der Anhänge ___________ 529

Delpeuch, in: BfN 2000, S. 66. Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 in ABl. L 236 und C 227 E. 531 Niedobitek, in: JZ 2004, 374. 532 Vgl. ABl. EU vom 23.9.2003, Nr. L 236/36. 533 Vgl. ABl. EU vom 23.9.2003, Nr. L 236/39. 534 Vgl. ABl. EU vom 23.9.2003, Nr. L 236/676. 535 Vgl. ABl. EU vom 23.9.2003, Nr. L 236/668. 536 Schladebach, in: LKV 2004, 11 f.; Niedobitek, in: JZ 2004, 375. 537 Niedobitek, in: JZ 2004, 375. 530

E. Die Konformitätsanforderungen für die Umsetzung der FFH- und VS-RL

115

der FFH- und VS-RL im zweiten Teil der Arbeit untersucht werden538. Dabei wird in Fortführung der bisherigen Argumentationslinie auch im nächsten Teil eine Einbeziehung des Umfeldes des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts erfolgen. Nach der Berücksichtigung von politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten der Republik Litauen in der Phase des Beitritts und der Nachbeitrittsphase, soll nachfolgend insbesondere auf die landschaftlichen Besonderheiten und die ökologische Situation des Landes abgestellt werden. Auf die Darstellung der Entwicklung und Belastung der Küstenregion wird hierbei besonderes Augenmerk zu legen sein, da an der schmalen Grenze zwischen Festland und Meer sowohl Schutzwürdigkeit als auch Schutzbedürftigkeit der Landschaft besonders ausgeprägt sind539. Eine Fortführung soll auch der Seitenblick auf die entsprechende Lage in den deutschen Bundesländern, allen voran den Küstenländern, erfahren. Dazu wird ein Vergleich der landschaftlichen Gegebenheiten der Küstenregionen um die Kurische Nehrung in Litauen und die Darß-Zingster-Bodden in Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Von diesem Vergleich ausgehend kann im Anschluss auf die die litauische Landschaft prägenden Lebensräume und Arten und ihre Berücksichtigung in den entsprechenden Anhängen der FFH- und VS-RL eingegangen werden. Auf diese Weise wird, wie bereits im ersten Teil der Arbeit, vom entsprechenden Umfeld zum Europäischen Naturschutzrecht und seiner Umsetzung hingeführt.

___________ 538 539

Vgl. 2. Teil D. Schlungbaum, „Geleitwort“ in Meer und Museum 2001.

2. Teil

Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL Eine sinnvolle Untersuchung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts wird insbesondere auch die ökologische Situation eines Landes, die natürliche Umwelt einschließlich der gewichtigsten Belastungsfaktoren zu berücksichtigen haben1. Damit ist das große, noch wenig aufgehellte Thema des wechselseitigen Einflusses von Natur und Naturschutzrecht angesprochen2. Dieser Zusammenhang wird insbesondere durch die Auswahl der besonderen Schutzgebiete und die Aufnahme von Arten in die Anhänge der FFH- und VS-RL hergestellt. Eine Vorstellung der landschaftlichen Gegebenheiten Litauens soll hierbei das Verständnis der Probleme für diesen Bereich der Konformitätsanforderungen des Gemeinschaftsrechts ermöglichen. In diesem Zusammenhang sei nachfolgend die ökologische Gefährdung der litauischen Landschaft dargestellt. Dabei wird ausgehend von der Gesamtsituation des Landes auf die am stärksten gefährdete Küstenregion des Landes fokussiert. Ein Landschaftsvergleich der litauischen Küstenregion um die Kurische Nehrung zur Region um die Darß-Zingster-Bodden in MecklenburgVorpommern (M-V) bietet sich hierbei in zweierlei Hinsicht an. Zunächst wird die gemeinsame Charakteristik der Regionen als Küstengebiete der südlichen Ostsee eine Vergleichbarkeit bezüglich des Umgangs mit den Anhängen der FFH-RL und VS-RL ermöglichen. Zusätzlich bieten die gemeinsame sozialistische Vergangenheit und der damit verbundene Umgang mit dem Thema Umwelt- und Naturschutz eine Ausgangsbasis für ein gegenseitiges Verständnis und den Austausch von Lösungsvorschlägen bei der Bewältigung der ökologischen Probleme in Litauen. Eine entsprechende Fortsetzung der Einbettung des Umwelt- und Naturschutzrechts im ersten Teil der Arbeit in einen wei___________ 1

Vgl. Kloepfer/Mast, „Das Umweltrecht des Auslandes“, S. 31. Zur damit im Zusammenhang stehenden Diskussion um einen anthropozentrischen oder ökozentrischen Ansatz des Rechts vgl.: für Ökozentrik Stone, in: Blume (Hrsg.) „Umwelt vor Gericht“, S. 25 ff.; ders., in: Baumeister (Hrsg.) „Wege zum Ökologischen Rechtsstaat“, S. 16 ff.; Bosselmann, in: Baumeister (Hrsg.) „Wege zum Ökologischen Rechtsstaat“, S. 53 ff.; ders., „Im Namen der Natur“; für Anthropozentrik Kloepfer/Brandner, „Umweltrecht“, S. 19 ff.; Scholz, in: Maunz-Dürig, Art. 20a Rdn. 39. 2

A. Vorbemerkung und Untersuchungsansatz

117

teren Kontext und der Seitenblick auf die neuen deutschen Bundesländer werden somit in ökologischer Hinsicht ermöglicht. Dadurch ist auch der Vergleich der Umsetzung der Anforderungen aus den Anhängen der FFH- und VS-RL in beiden Regionen sinnvoll. Daher wird hier die ökologische Situation der litauischen Küstenregion vorgestellt (B.) und mit der Region um die Darß-Zingster-Bodden verglichen (C.), um im Anschluss die Umsetzung der Anforderungen aus den Anhängen der FFH- und VS-RL darstellen und bewerten zu können (D.). Zuvor erfolgen jedoch noch einmal eine ausführlichere Darstellung des Ansatzes des Landschaftsvergleichs und der entsprechenden Ableitung des Ablaufs der Untersuchung (A.).

A. Vorbemerkung und Untersuchungsansatz Fast die Hälfte der Bevölkerung der EU lebt in den Küstenregionen der Gemeinschaft, in einem bis zu maximal 50 km breiten Küstenstreifen3. Die Küstengebiete sind seit langem ein wichtiger Schwerpunkt der menschlichen Gesellschaftsentwicklung4. Dabei ist die Besiedlung durch die Nutzung der Meere für Verkehr und Handel sowie den von hochproduktiven Küstengewässern bereitgestellten Nahrungsreichtum gefördert worden5. Für unsere modernen Gesellschaften bieten sie auch heute noch große Entwicklungsmöglichkeiten6. Dies gilt besonders für den Ostseeraum, dem durch die Osterweiterung der EU eine starke wirtschaftliche Dynamik vorhergesagt wird7. Demgegenüber besteht durch die hohe Arten- und Landschaftsvielfalt auch eine hohe Priorität für den Naturschutz8. Die komplexe Wechselwirkung zwischen hydrologischen, geomorphologischen, sozioökonomischen, administrativen, institutionellen und kulturellen Systemen ist in den Küstengebieten von besonderem Einfluss auf ihre Dynamik9. Nur eine gleichberechtigte Beachtung dieser Systeme in ganzheit___________ 3

EU-Kommission „EU-Brennpunkt – Küstenzonen“ 2001, S. 3. Jeschke, „Das Werden der mitteleuropäischen Kulturlandschaften“, S. 100 ff.; Schlungbaum/Voigt, in: Meer und Museum 2001, S. 13. 5 Schlungbaum et al., „Boddenstudie“, S. 1; ders./Voigt, in: Meer und Museum 2001, S. 13. 6 Vgl. Succow-Hoffmann/Piela, „Großschutzgebiete und Naturtourismus“, S. 90 ff.; Succow et al., „Ein Plädoyer für Naturentwicklungsräume“, S. 142 ff. 7 Schernewski, in: Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft, 2004, S. 133. 8 Vgl. Knapp, „Naturschutz im geteilten Deutschland“, S. 20 ff.; Jeschke/Succow, in: Meer und Museum 2001, S. 126 ff.; Schlungbaum et al., „Gewässerschutz“ in Meer und Museum 2001, S. 137. 9 Zur Ursache der Krise des Naturschutzes in der ehemaligen DDR vgl.: Knapp, „Naturschutz im geteilten Deutschland“, S. 28; vgl. auch zum Ganzen Haber, „Ökosystemforschung und Fachwissenschaft“. 4

118

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

licher Sicht kann zu einer sinnvollen Integration führen10. Durch die Akzeptanz ungeschlossener Stoffkreisläufe (Eutrophierung) und den Raubbau an lebenden und nicht lebenden Ressourcen hat das menschliche Wirken in vielen Küstenregionen zur Verschärfung der Probleme beigetragen11. Damit verbunden ist das Risiko der Zerstörung von Lebensräumen und Ressourcengrundlagen der Küstengebiete und der Unerfüllbarkeit ihrer wesentlichen Funktionen12. Die Anzeichen für eine Abnahme von ungeeigneter Nutzung der Küstenzone sind noch nicht ersichtlich. Durch die Zunahme von Besucherzahlen erhöhen sich die Zwänge, zu einem Ausgleich der Interessen zu gelangen13. Die derzeitigen Konflikte zwischen der Nutzung und dem natürlichen Potential müssen erkannt und gelöst werden14. Die Beachtung von Besonderheiten der Küstenregion der südlichen Ostsee spiegelt sich in den unterschiedlichen Erscheinungsformen wie Förden, Bodden und Haffen, als charakteristische Typen innerer Küstengewässer, von der dänischen Grenze bis zur Oder an der Grenze zu Polen und weiter bis ins Baltikum wieder15. Durch den manchmal auch fließenden Übergang zwischen aquatischen und terrestrischen Lebensräumen in den Küstenregionen, sind sie einer hohen Dynamik und damit relativen ökologischen Instabilität ausgesetzt16. Eine Folge davon ist das Bestehen einer vielschichtigen Problemlage bezüglich ihrer Nutzung und auch ihres Schutzes17. Rechtliche Aspekte stoßen hier mit sozialen, kulturellen, ökonomischen, politischen und ökologischen Konfliktfeldern zusammen, die alle eine Berücksichtigung in einem ganzheitlichen Lösungsansatz erfordern18. Vor diesem Hintergrund bestehen auch für den entsprechenden Rechtsrahmen des Umwelt- und Naturschutzes einer Küstenregion besondere Anforderungen. Durch das Zusammentreffen eines hohen Bedürfnisses nach Schutz und Nutzung der Küstenregion, wird hier im besonderen Maße die Not___________ 10

Schlungbaum et al., „Boddenstudie“ S. 1; Knapp, „Naturschutz im geteilten Deutschland“, S. 32; vgl. Succow/Jeschke, „Kulturlandschaft als Aufgabe“, S. 126 ff. 11 Vgl. Knapp, „Naturschutz im geteilten Deutschland“, S. 24; Jeschke, „Das Werden der mitteleuropäischen Kulturlandschaft“, S. 104 ff.; Succow, „Intensiv genutzte Agrarlandschaft heute“, S. 114 ff. 12 Zum Erhalt der Vielfalt in den militärischen Sperrgebieten in der DDR vgl.: Knapp, „Das Nationalparkprogramm der DDR“, S. 35. 13 Vgl. Succow-Hoffmann/Piela, „Großschutzgebiete und Naturtourismus“, S. 90 ff; Schlungbaum et al., „Gewässerschutz“ in Meer und Museum 2001, S. 137. 14 Schlungbaum et al., „Boddenstudie“ S. 2; vgl. auch Succow et al., „Ein Plädoyer für Naturentwicklungsräume“, S. 142 ff. 15 Schlungbaum/Voigt, in: Meer und Museum 2001 S. 5. 16 EU-Kommission „EU-Brennpunkt – Küstenzonen“ 2001, S. 12 f.; EU-Kommission „IKZM Strategie“ 1999, S. 7 f. und 11. 17 EU-Kommission „EU-Brennpunkt – Küstenzonen“ 2001, S. 16; vgl. auch EUKommission „IKZM Strategie“ 1999, S. 12. 18 EU-Kommission „EU-Brennpunkt – Küstenzonen“ 2001, S. 20.

A. Vorbemerkung und Untersuchungsansatz

119

wendigkeit der Einbettung des Umwelt- und Naturschutzrechts in einen umfassenderen Kontext sichtbar19. Den komplexen Wechselwirkungen zwischen hydrologischen, geomorphologischen, sozioökonomischen, administrativen, institutionellen und kulturellen Systemen in den Küstengebieten haben das Europäische Parlament und der Rat in ihrer Empfehlung 2002/413/EG zur Umsetzung einer Strategie für ein integriertes Management der Küstengebiete in Europa Rechnung getragen20. Der empfohlene strategische Ansatz dieses sogenannten integrierten Küstenzonenmanagements (IKZM) basiert dabei im weitesten Sinne auf dem hier vorgeschlagenen ganzheitlichen Ansatz. Abgestellt wird auf den Schutz der Küstenumwelt auf der Grundlage eines „Ökosystem-Ansatzes“ zur Gewährleistung ihrer Integrität und ihres Funktionierens sowie auf ein nachhaltiges Management der natürlichen Ressourcen sowohl des Meeres- als auch des Landstreifens der Küstengebiete21. Das IKZM sucht dabei ein Gleichgewicht zwischen den Vorteilen der wirtschaftlichen Entwicklung und Nutzung des Küstenraumes, des Schutzes und des Erhalts der Küstengebiete, der Minimierung des Verlustes an menschlichen Leben und Eigentum und der öffentlichen Zugänglichkeit der Küsten22. Dieser Ausgleich hat jedoch die Grenzen der natürlichen Dynamik und Belastbarkeit des jeweiligen Küstenökosystems zu beachten 23. Vereinfachend wird auch von einer gleichzeitigen räumlichen und zeitlichen sowie horizontalen und vertikalen Integration gesprochen24. Bis etwa Mitte 2006 haben die Mitgliedstaaten über die Erfahrungen, die sie bei der Umsetzung des IKZM in ihren Küstengebieten gemacht haben, der Kommission zu berichten. Diese wird im Anschluss eine Überprüfung vornehmen und dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bewertungsbericht und gegebenenfalls einen Vorschlag für weitergehende Maßnahmen der Gemeinschaft übermitteln25. Diesem Ansatz soll daher auch im zweiten Teil der Arbeit gefolgt werden. Die Einbeziehung der umweltpolitischen und gesellschaftlichen Probleme erfolgte bereits im ersten Teil der Arbeit. Aus diesem Grund soll nunmehr die ___________ 19 EU-Kommission „IKZM Strategie“ 1999, S. 20; vgl. auch EU-Kommission „EUBrennpunkt – Küstenzonen“ 2001, S. 16; zur Ganzheitlichkeit der WRRL Seidel/Rechenberg, in: ZUR 2004, 213. 20 Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2002 zur Umsetzung einer Strategie für ein integriertes Management der Küstengebiete in Europa (2002/413/EG), in: ABl. vom 6.6.2002 Nr. L 148/24; vgl. auch Czybulka, in: Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft, 2004, S. 137 ff. 21 Empfehlung 2002/413/EG, in: ABl. vom 6.6.2002 Nr. L 148/25; vgl. auch Bosecke, in: NuR 2004, 777 ff. 22 Schernewski, in: Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft, 2004, S. 132. 23 Empfehlung 2002/413/EG, in: ABl. vom 6.6.2002 Nr. L 148/25. 24 Schernewski, in: Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft, 2004, S. 133. 25 Empfehlung 2002/413/EG, in: ABl. vom 6.6.2002 Nr. L 148/27.

120

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

ökologische Dimension des Umwelt- und Naturschutzes, d. h. die Berücksichtigung der landschaftlichen Besonderheiten im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen. Die Küstenregion um die Kurische Nehrung ist dafür in besonderer Weise geeignet. Gerade die Zuspitzung der Konflikte in der Küstenregion machen die Berücksichtigung eines ganzheitlichen Ansatzes innerhalb des Umwelt- und Naturschutzrechts deutlich. Eine Berücksichtigung dieses Ansatzes kann auch durch das Zusammenwirken von WRRL und FFH-RL erreicht werden. Eine Verzahnung der Managementmaßnahmen nach der WRRL und der FFH-RL wird eine flächenhafte Abstufung der Schutzintensität und Schutzrichtung über die Grenzen von Schutzgebieten hinaus bewirken, wenn die Verringerung sämtlicher Belastungen aus dem Wassereinzugsgebiet der Küstenregionen als Ziel steht26. Durch diese „Doppelstrategie“ kann eine Reduzierung der Stoffeinträge in der gesamten Fläche einerseits und ein verstärkter Schutz durch die Errichtung des Natura 2000 Netzes auf einem Teil der Fläche andererseits erreicht werden27. Nachfolgend soll daher zunächst auf die Entstehung der Küstenregion und ihr Entwicklungspotential eingegangen werden. Dadurch kann ihre hohe Dynamik aber auch ihre relative ökologische Instabilität verdeutlicht werden. Im Anschluss wird auf die Belastungen aus den punktuellen und den diffusen Quellen des Wassereinzugsgebiets der Küstenregion eingegangen. In diesem Zusammenhang ist dann auch auf die zunehmende Gefährdung der Landschaft durch den Nährstoffeintrag und die damit verbundene Eutrophierung der Gewässer einzugehen. Vor diesem Hintergrund wird die Beurteilung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Küstenregion möglich, welche ihre entsprechende Berücksichtigung in den Anhängen der FFH- und VSRL finden muss. Diese werden daher nach dem Vergleich zur entsprechenden ökologischen Situation der Darß-Zingster-Bodden in M-V, neben der Überprüfung auf die Umsetzung der Konformitätsanforderungen nach dem Europäischen Naturschutzrecht, auch auf die Berücksichtigung der landschaftlichen Besonderheiten der litauischen Küstenregion hin zu untersuchen sein. Auf diese Weise wird, wie im ersten Teil der Arbeit, vom entsprechenden Umfeld zum Europäischen Naturschutzrecht und seiner Umsetzung hingeführt. Durch die Berücksichtigung der entsprechenden ökologischen Situation der Küstenregion in M-V soll auch der Seitenblick auf die entsprechende Lage in den deutschen Bundesländern, allen voran den Küstenländern, eine Fortführung erfahren. Die Landschaftsanalyse der litauischen Küstenregion dient folglich der Einbettung des litauischen Umwelt- und Naturschutzrechts in den entsprechenden ökologischen Kontext und somit auch der Umsetzung des empfohlenen strategischen Ansatzes eines IKZM. Zusätzlich wird dadurch die Schutzbedürftigkeit ___________ 26

EU-Kommission „IKZM Strategie“ 1999, S. 23. Czybulka, in: Agrarrecht 1997, 307; Gellermann, in: NVwZ 2002, 1029; Rehbinder, in: NuR 2001, 362. 27

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

121

und Schutzwürdigkeit der Küstenregion dargestellt, die sich in der Berücksichtigung der Lebensräume und Arten der Region in den Anhängen der FFH- und VS-RL widerspiegeln muss. Der Landschaftsvergleich zur Küstenregion in M-V dient der Verdeutlichung der ökologischen Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten sowie der Darstellung des Umgangs mit den Anforderungen aus den Anhängen der FFH- und VS-RL.

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse Um die ökologischen Bedingungen der Landschaft der litauischen Küste richtig erfassen zu können, ist zunächst auf die allgemeinen landschaftlichen Bedingungen einzugehen (I.). Im Anschluss erfolgt die Vorstellung der Kurischen Nehrung (II.) und des Kurischen Haffs (III.).

I. Die landschaftlichen Bedingungen Litauens Die Republik Litauen liegt nördlich des 54. Breitengrades und somit an dem gleichen Breitengrad wie die Küstenregion Mecklenburg-Vorpommerns28. Von den drei Baltischen Republiken in Ostmitteleuropa ist sie die Südlichste. In Litauen leben rund 3,7 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 65200 km². Damit leben rund 57 Einwohner pro km² (im Vergleich dazu etwa Irland mit 51 Einwohner pro km²)29. Davon leben wiederum ca. 70 % in den Städten30. Somit verfügt Litauen über einen sehr dünn besiedelten ländlichen Raum, was auf eine Verringerung der Konfliktfelder zwischen der Nutzung und dem Schutz der Natur schließen lassen könnte31. Die territoriale Ausdehnung ist damit beispielsweise größer als die der Schweiz oder Dänemarks. Schon jetzt befindet sich Litauen im Mittelpunkt Europas, zumindest in geographischer Hinsicht, denn nach Berechnungen des französischen Nationalen Geographischen Instituts liegt der Mittelpunkt 24 km nördlich der Hauptstadt Vilnius 32. Die größte Ausdehnung des Landes zwischen der Nord-Süd-Grenze beträgt 276 km. Die maximale Ost-West-Ausdehnung geht nicht über 373 km hinaus33. Der größte Teil des litauischen Territoriums ist Flachland. Nennenswerte Erhebun___________ 28

Vgl. Penkaitis, „Agrarentwicklung in Litauen“, S. 46 ff. Geographisch Kartographisches Institut Meyer, 1997, S. 12. 30 Vgl. Marcijonas/Sudaviius, „Litauen“, S. 157 ff. 31 Vgl. Müller, in: RMB 2002, S. 89 ff. 32 Vgl. Armbrüster, „Politisches und Rechtssystem Litauens“, S. 19 ff.; Rudaleviius, „Litauens Wirtschaftsreformen“ S. 295. 33 Vgl. Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 11. 29

122

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

gen befinden sich im Nordwesten und im Osten. Diese Erhebungen gehören zu den baltischen Hügelketten. Die nordwestliche Hochfläche liegt 120–180 m, die ostlitauische 150–200 m über dem Meeresspiegel. Zwischen den nordwestlichen und den ostlitauischen Hochflächen befindet sich eine relativ ebene Niederung, zwischen 25–100 m, die nur durch Flusstäler unterbrochen wird34. Die Bewaldung der Landesfläche beträgt 27,9 %, wobei 38 % davon Kiefernwälder sind35. Fast die Hälfte des Landes ist kultiviert, wovon zwei Drittel wiederum als Ackerflächen genutzt werden36. 71,5 % des Landes gehören zum Einzugsgebiet des Nemunas (Memel)37. Nur 1,5 % der Wasserläufe können als „naturbelassen“ eingeschätzt werden38. Es gibt 2833 Seen deren Fläche größer als 0,5 ha ist. Der tiefste See ist der Tauragnas-See mit 60,5 m und die größte Fläche hat der Drukschiai-See mit 4480 ha39. Die überwiegende Anzahl der Seen befindet sich im östlichen Teil des Landes. Sie sind teilweise versumpft und bilden Niederungsmoorflächen40. 71 % aller Flüsse sind kürzer als 10 km41. Der Nemunas (Memel) als längster Fluss kommt auf eine Gesamtlänge von 937 km; davon fallen 475 km auf litauisches Gebiet42.

II. Die Kurische Nehrung Auch heute noch ist die Kurische Nehrung in einer großen Umwandlung begriffen, wie sie in ähnlichem Ausmaß in Europa an kaum einer anderen Landschaft zu beobachten ist. Dabei spielt nicht nur die Besiedelung des nackten Sandes durch Pflanzen eine Rolle, sondern die Besonderheit der Vorgänge besteht darin, dass gleichzeitig damit die Oberflächenformen einer ständigen Umgestaltung unterliegen. Auch gegenüber anderen Dünengebieten kann die Entwicklung hier sehr rasch vollzogen werden, da die Veränderungen des früher sehr stabilen Gleichgewichts erst eine relativ kurze Zeit zurückliegen43. Die Kurische Nehrung ist nicht als Ergebnis ungestörter natürlicher Entwicklungen anzusehen, vielmehr bestand vor der Entstehung der Wanderdünen ein System von west-ost-verlaufenden Parabeldünen, die noch bis ins 17. Jahrhundert fast ___________ 34

Vgl. Penkaitis, „Agrarentwicklung in Litauen“, S. 46 ff. Vgl. Environmental Protection Ministry, S. 13 ff. 36 Vgl. Marcijonas/Sudaviius, „Litauen“, S. 157 ff. 37 Müller, in: RMB 2002, 101. 38 Vgl. Vaiinait , „Ökologie und Umweltschutz Litauens“, S. 245 ff. 39 Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 13. 40 Vgl. Penkaitis, „Agrarentwicklung in Litauen“, S. 46 ff. 41 Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 13. 42 Vgl. Penkaitis, „Agrarentwicklung in Litauen“, S. 46 ff. 43 Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff. und 11 ff. 35

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

123

geschlossen unter einer Walddecke lagen. Erst infolge der Waldverwüstung durch Raubbau konnte der geschwächte Wald den Seestürmen nicht mehr Stand halten und wurde durch Versandung und Überwehung fast völlig zerstört. In den so entstanden Wanderdünen setzten neue Gestaltungsvorgänge ein, die auch heute noch nicht abgeschlossen sind, obwohl moderner Dünenbau und Küstenschutz einen Teil der natürlichen Entwicklungsabläufe unterbinden und die Nehrung dadurch in einen gewissen „Ruhezustand“ bringen44. Die Bedeutung der Pflanzen erstreckt sich auf die aktive Gestaltung der Oberflächenform im Flugsand, da bleibende Dünen ausschließlich durch Pflanzen aufgehäuft werden. Somit ist die Landschaft der Kurischen Nehrung zumindest indirekt ein Werk der Vegetation45. Diese Zusammenhänge sollen nachfolgend im Einzelnen aufgezeigt werden, denn erst die Kenntnis der Landschaft und ihrer Veränderungen ermöglicht es, die künftigen Entwicklungstendenzen abzuschätzen und die Auswirkungen anthropogener Eingriffe zu beurteilen46.

1. Vorstellung des Naturraumes Die Länge der Landzunge der Nehrung beträgt heute etwa 97 km. Die Breite reicht von 400 m bis zu 4000 m47. Das heutige Landschaftsbild wird durch die in Europa in dieser Größe einmaligen Wanderdünen bestimmt. Als eine stellenweise unterbrochene Kette von Bergen ziehen sie sich über bis zu 80 km also fast 4/5 der gesamten Nehrungslänge hin. Im Durchschnitt sind die Dünen 35 m hoch und 400–800 m breit. Sie können aber auch Maximalhöhen bis zu 70 m erreichen. Der Westhang zur Seeseite ist flach mit einer Neigung von 4–12°. Der haffseitige Osthang fällt steil ab und ist an hohen Dünen mit einem Schüttwinkel des losen Sandes von 30–35° ausgeprägt (Abb. 1048). Der jährliche Wanderweg beträgt je nach Höhe 3–12 m nach Osten zum Haff hin. Stellenweise hat der Kamm das Haff schon erreicht und bildet dadurch das Ufer (Abb. 1449 und Abb. 1550). ___________ 44

Vgl. Paul, „Kurische Nehrung“, S. 218. Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 219. 46 Vgl. zur Ganzheitlichen Betrachtung der Gewässerentwicklung Haber, in: Zbl. Geol. Paläont. 1997, 1027 ff. 47 Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86. 48 Abbildung im Anhang, S. 427. 49 Abbildung im Anhang, S. 429. 50 Abbildung im Anhang, S. 429. 45

124

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

An manchen Abschnitten schiebt sich eine ebene oder mit kleinen Dünen bedeckte Fläche das sogenannte „Haffweideland“ dazwischen. Dies ist ein Teil der Nehrungsplatte, deren Hauptteil jedoch auf der Westseite zwischen Nehrung und Ostseestrand liegt51. Als sogenannte „Palve“ zieht sie sich in einer Breite von mehreren hundert Metern und von wenigen Metern über der Meereshöhe hin. Durch die Vordüne, die 5–12 m hoch an der Küste entlangläuft, ist die Palve vom 30–50 m breiten Ostseestrand getrennt. Der Strand und die unbepflanzten Wanderdünen zeigen den kahlen fast weißen Sand, während die Vordüne eine sorgfältig gepflegte Strandhaferdecke trägt. Die Nehrungsplatte ist von verschiedenen Grasgesellschaften besiedelt und auf großen Strecken auch mit Kiefern und Erlen aufgeforstet. Ein großer Teil der Wanderdünen ist ebenfalls aufgeforstet und somit festgelegt. Dies gilt insbesondere dort, wo Nehrungsdörfer, der Hafen von Klaipda oder die Fahrrinne durch Versandung gefährdet sind52.

a) Entstehung der Kurischen Nehrung Sowohl die Nemunasniederung als auch das Kurische Haff bildeten zur Ancyluszeit noch aus Geschiebemergel bestehendes Festland. Während der Ancylus- und Littorinatransgression vor 6000–8000 Jahren gerieten diese Gebiete unter den Meeresspiegel53. Zunächst wurde das Gebiet des nördlichen Haffs überflutet und in eine Meeresbucht verwandelt. Der südliche Teil war durch die höher aufragende Landoberfläche an seinem Rand gegen das Eindringen des Meerwassers geschützt, füllte sich jedoch überwiegend mit Süßwasser des Nemunas und bildete somit einen Binnensee (siehe Abb. 1 A)54. Zwischen den 3 Diluvialkernen, welche die Nehrung heute noch enthält, wurden die dazwischen liegenden Buchten durch Seeanspülungen als Wirkung des Küstenausgleichs aufgefüllt (siehe Abb. 1 B). Mit der weiteren Landsenkung sind dann über die versinkende, nun schon ausgeglichene Küste Strandwälle gewachsen, die seewärts von den alten Buchten lagen. Durch den Wind, der den angespülten Sand landeinwärts trieb, konnten sich diese Wälle verbreitern. ___________ 51

Paul, „Kurische Nehrung“, S. 222. Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff. und 11 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 223. 53 Vgl. Schlungbaum/Voigt, in: Meer und Museum 2001, S. 7; ausführlich zum Zusammenhang der Entwicklung der Ostsee mit der Entwicklung der Kurischen Nehrung und des Haffs vgl. auch saityt , in: Earth-Science Reviews 50 (2000), 195 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 223 ff.; Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 7, 56 ff. 54 Genys, „Dunes on the Curonian Spit-Neringa“, S. 212 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 228. 52

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

125

Abbildung 1: Entstehung der Kurischen Nehrung, Schema der Entwicklung, dünn: heutige Küste, dick: frühere Küste; A Binnensee mit Diluvialkernen, B Abriegelung durch die Nehrungsbildung55.

Damit wurde der Durchbruch der See zum Binnenland unmöglich, selbst als die Diluvialschwellen, die ursprünglich die Küste bildeten, nicht mehr über das damalige Ostseeniveau hinausragten56. Das einströmende Wasser des Nemunas konnte nun das südliche Haff weiter mit Süßwasser speisen. Der Binnensee konnte schließlich von Osten her die alte Schwelle überfluten und seine Sedimente auch in dem Gebiet der heutigen Nehrung absetzen. Das angeschwemmte Material wurde sicher im nördlichen Teil der heutigen Nehrung zum Aufbau eines Hakens verwendet. Durch die endgültige Überflutung der West-OstBarre, welche die nördliche Meeresbucht vom südlichen Binnensee trennte, entstand das einheitliche Kurische Haff57. Von der früheren Größe hat es im Osten durch die Aufschüttungen des Nemunas und im Westen durch die vorrückende Nehrung erheblich verloren. Somit ist der Aufbau der Kurischen Nehrung uneinheitlich erfolgt. Das Südwestende war ursprünglich Festland. Der größte mittlere Teil besteht aus Girlanden, die zwischen Diluvialkernen ausgespannt sind. Davon sind die beiden südlichen als Strandwälle über versinkender Küste ständig oberhalb des Meeresspiegels gewachsen, während der nördliche langsam unter Wasser als Sand-

___________ 55

Abbildung nach Paul, „Kurische Nehrung“, S. 230. Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff. und 11 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 234. 57 Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 210 ff. 56

126

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

sporn in die Meeresbucht hinein gewachsen ist, um sie endlich fast vollständig abzuschließen58.

b) Die Dünenentwicklung Gleichzeitig mit der Bildung der Nehrung erfolgte auch der Aufbau der Dünen (siehe Abb. 1159). Die Entstehung der Küstendünen ist an die Siedlung von Strandpflanzen gebunden. Erst durch dieses Hindernis kann der von der See aufgeworfene Sand festgehalten und angehäuft werden, denn der Wind allein verweht den Sand und breitet ihn flächenhaft aus60. Durch die Bremsung des Windes an den Pflanzen verliert der Sand seine Transportfähigkeit und wird abgelagert.

Abbildung 2: Schema der Entwicklung der Strandhaferdünen61

Im Gegensatz zu einem festen Hindernis, an dem die Düne dann nur bis zur Höhe desselbigen anwächst, können viele Sandpflanzen durch die Überschüttung hindurchwachsen und dadurch der Düne zu weiterem Wachstum verhelfen (siehe Abb. 2). Dabei wird die Düne nicht nur beim Hindurchwachsen der Strandpflanzen, vorwiegend Strandhafer, höher, sondern durch die Verzwei___________ 58

Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 7, 56 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 234. Abbildung im Anhang, S. 427. 60 Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 235. 61 Abbildung nach Paul, „Kurische Nehrung“, S. 239. 59

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

127

gung der Pflanzen auch immer breiter, bis sich einzelne Dünenhügel zu einer strandwallähnlichen natürlichen Vordüne verbinden62. Obwohl die Vordüne an einer ruhenden oder langsam zurückschreitenden Küste, wie der Nehrung, auf lange Zeit die gesamte Sandmenge aufnehmen muß, wächst sie nicht unbegrenzt, weil der Wind sie immer wieder aufreißt und Sand landeinwärts verfrachtet (Abb. 3).

Abbildung 3: Schema der Dünenentwicklung quer zur Hauptwindrichtung, A: einzelne Kleindünen; B: vereinigen sich; C: Ausgleich durch Wind und Meer; D: Windrisse; E: vergrößert als Haldendüne landeinwärts wandernd63.

Der auf die unverletzte Strandgrasdecke geblasene Sand wird dort durch Pflanzen, die durch die Überschüttungen hindurch wachsen, festgehalten. Da der Windriss nur selten wieder ausgeheilt wird, entsteht durch Vertiefung und Verbreiterung eine Windmulde, die im Inneren und auf der Windseite die kahle Sandoberfläche zeigt, an den drei anderen Seiten aber von bewachsenen Aufschüttungen begrenzt wird64. Der Sand wird an der windabgewandten Seite in Form der „Haldendüne“ aufgehäuft (siehe Abb. 3). Das Gras wächst aber auf dieser „Leeseite“ immer wieder durch und verhindert so das schnelle Vorrücken der Düne. Die Bewegung der Düne ist somit immer auch eine Bewegung der sie durchwachsenden Pflanzen. ___________ 62

Genys, „Dunes on the Curonian Spit-Neringa“, S. 212 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 238. 63 Abbildung nach Paul, „Kurische Nehrung“, S. 240. 64 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 241.

128

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

Bei vorherrschendem Westwind kann die Haldendüne ungestört ihren Weg fortsetzen, bis ihre Masse infolge der Sandabgabe an die stehenbleibenden Flanken und der Sperrung der Sandzufuhr durch neu gebildete jüngere Dünen vom Strand her immer mehr abnimmt. Die Wanderbahn wird immer schmaler und bildet mit den Flankenrücken und dem Rest der Haldendüne die Parabel der sogenannten Parabeldüne65. Zeitgleich zur morphologischen Entwicklung des Dünensystems läuft die Veränderung der Bodenvegetation ab. In dem Maß, in dem die Bewegung des Sandes durch die Pflanzendecke unterbunden wird, geht der Strandhafer durch mangelnde Überschüttung in Sandschwingel und Sandsegge bis zur Ausbildung von dichtem Rasen über. Die weiße Düne entwickelt sich zur grauen Düne. In feuchteren Senken und an windgeschützten Stellen siedeln sich Birken, Erlen, Espen und Kiefern an. Folglich entsteht die bewaldete Parabeldünenlandschaft durch die Entwicklung von Strandhafer-Einzeldünen über die Vordüne und von dieser durch Windrisse und Haldendüne zur Parabeldüne (Abb. 4)66. Auf großen Strecken bedecken die Dünen die ganze Nehrungsbreite bis zum Haffufer. Wo die Nehrung breiter ist, bleibt das Haffweideland erhalten und bietet Raum für die Siedlungen67. Der Wald breitete sich ursprünglich über die ganze Landschaft aus und reichte wahrscheinlich bis an den Strand heran. Infolge der Windrichtung hatte er eine nach Westen gleichmäßig abgedachte Oberfläche. Die Vordüne dürfte sich überall bis unmittelbar an den Waldrand herangezogen haben. Mit dem Luvhang der Düne zusammen bot der Wald dem Wind eine einheitliche Angriffsfläche und legte die Düne somit fest68. Durch die Abspülungen der Winterstürme stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Sandanhäufung und Abspülung ein und die Vordüne gibt keinen Sand mehr landeinwärts ab. Diese alten Dünenlandschaften sind auch noch heute im Inneren der Wanderdünen mit ihren Humusschichten erhalten und werden beim Weiterwandern ausgeweht69. Am Westhang der heutigen Wanderdünen treten die verschütteten alten Parabeldünen in Form von dunklen Bändern zutage, welche die Schnittlinien der Oberflächen der alten Dünen mit denen der sie überwandernden Düne darstellen. Die Eigenschaften dieser Bodenprofile sind höchst unterschiedlich. Anhaltspunkte für die Entwicklungszeit der Profile lassen sich daraus schlussfolgern. ___________ 65

Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 244. 66 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 247; vgl. Klijn, „Dune forming factors in a geographical context“, S. 1 ff. 67 Genys, „Dunes on the Curonian Spit-Neringa“, S. 212 ff. 68 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 251. 69 Andreé, „Bau und Entstehung der Kurischen Nehrung“, S. 15 ff., 40 ff.

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

129

Für die Entwaldung des obersten Waldbodens wird das 18. Jahrhundert angegeben und nach den Quellen der Livländischen Reimchronik hat dieser Wald schon zur Ordenszeit im 13. Jahrhundert bestanden70. Werden noch etwa 100 Jahre für die Entwicklung des Waldes selber veranschlagt, so kann eine Mindestzahl von 600 Jahren für die Dauer der Waldbedeckung der obersten Schicht angenommen werden. Ein Maximalalter ergibt sich aus den in der jeweiligen untersten Bodenschicht gefundenen Scherben aus der Steinzeit, die auf 2000 bis 1500 v. Chr. datiert wurden. In diesen 2600 bis 3200 Jahren, die zwischen dieser Zeit und dem spätesten Bewaldungstermin um 1100–1200 liegen, müssen sich die Bodenprofile ausgebildet haben. Je nach der Stärke der Profile kommen dann Zeiten der Bewaldung von 100 Jahren für sehr schwach ausgebildete und bis zu 1600 Jahren für sehr stark ausgebildete Profile in Frage71. Es ist auf jeden Fall davon auszugehen, das mindestens 4 verschiedene Waldgenerationen auf der Nehrung vorhanden waren72. Aus der Zahl der übereinander liegenden Bodenprofile ergibt sich die Anzahl der jeweiligen neuen Bewaldung. Aus Funden von Holzkohle in den Bodenprofilen ergibt sich als Ursache der Entwaldung, die ja der neuen Bewaldung vorausgeht, ein Waldbrand, der die Düne wieder in Bewegung gesetzt haben muss, bevor die Vegetation den Sand festsetzen konnte. Folglich geben die Bodenprofile die Anzahl der Brände an. Die maximale Anzahl von Bodenprofilen beträgt 7. Somit ist von höchstens 7 Brandkatastrophen in einer Zeit von 3000 Jahren auszugehen. Demnach kann durchaus von zufälligen Brandursachen wie Blitzschlag u.ä. ausgegangen werden. Die Zerstörungen des letzten Nehrungswaldes waren, wie die Folgen daraus, nicht damit zu vergleichen. Hier war nicht ein Brand die Ursache, da die Stubben des obersten Waldbodens nicht verkohlt waren73. Zudem wurde der Wald nicht nur an einzelnen Stellen sondern auf der ganzen Nehrung vernichtet. Als Folge entstanden dann die Wanderdünen und damit ein ganz neuer Entwicklungsabschnitt.

2. Die Entstehung der Wanderdünen In der Zeit der Herrschaft durch den Deutschen Orden wurde der Wald nur zum Eigenbedarf der wenig zahlreichen Nehrungsbevölkerung verwendet74. Mit der Zunahme der Bewohner stieg auch der Bedarf an Brenn- und Bauholz. Zu___________ 70

Paul, „Kurische Nehrung“, S. 266. Paul, „Kurische Nehrung“, S. 267. 72 saityt , in: Earth-Science Reviews 50 (2000), 195 ff. 73 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 274. 74 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 274 ff. 71

130

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

sätzlich führte der Orden die beliebten engringigen Nehrungskiefern und Eichen aus75. An das Amt Memel mußten Holzabgaben geliefert werden, ebenso an die Ämter und Domänen auf der Ostseite des Haffs76. Nach der Besetzung von Memel durch die Russen nach dem siebenjährigen Krieg wurde für den Heeresbedarf und den Schiffsbau zusätzlich Holz geschlagen. Das Teerschwelen, das Pechbrennen und die Köhlerei, verbunden mit der Rodung der Stubben, erleichterten dem Wind den Angriff auf den Boden77. Der gleichzeitig mit der Bevölkerung gestiegene Viehbestand war auf die Waldweide angewiesen, als der Wald schon geschädigt war. Durch Verbiss wurden die jungen Triebe vollends zerstört. Dazu kam noch die gefährliche Zerstörung der Grasnarbe durch den Tritt des Viehs im Dünensand78. Im Gegensatz zu den früheren Waldzerstörungen, bei welchen die Waldbrände örtlich begrenzt blieben, der Wald selber noch gesund war, die Bodendecke unversehrt war und die stehen gebliebenen Baumreste mit den kräftigen Durchwurzelungen des Bodens den Angriff des Windes erheblich erschwerten, konnte die letzte Waldvernichtung durch den Menschen verbunden mit der Zerstörung der Bodendecke keine Hindernisse für den Zutritt des Windes zum Sand darstellen. Dadurch wurde die Bewegung großer Sandmassen sehr erleichtert. Somit verschwanden die Vordüne und der ganze westliche Teil der Parabeldünen. Diesen Platz nahm die Flugsandebene direkt vor der kahlen wachsenden Wanderdüne ein79. Tabelle 1 Höhenentwicklung der Dünenberge80 Bezeichnung des Dünenberges

Messtischaufnahme Messtischblatt von von 1859 1910

Rostocker Vermessung 1936

Fliegerberg

158 Fuß = 50 m

60 m

70 m

Hirschbudenberg

141 Fuß = 44 m

57 m

53 m

Caspalegeberg

140 Fuß = 44 m

57 m

53 m

Lepas Kalns

155 Fuß = 49 m

60 m

46 m

___________ 75

Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86 ff. Paul, „Kurische Nehrung“, S. 275. 77 Genys, „Dunes on the Curonian Spit-Neringa“, S. 212 ff.; Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86 ff. 78 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 275. 79 Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff., 11 ff. und 20 ff. 80 Tabelle nach Paul, „Kurische Nehrung“, S. 283. 76

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

131

Durch die häufig wechselnde Windrichtung wurden die Sandmassen an immer kleineren Stellen zu immer größerer Höhe zusammengeweht. Dabei hat die Zufuhr von der Strandseite eine untergeordnete Bedeutung. Entscheidender ist die Zusammenballung der schon in den früheren Parabeldünen vorhandenen Sandmassen81. Der Wind hat die Unregelmäßigkeiten der alten Parabeldünenlandschaft durch Abschleifen von Vorsprüngen und durch Ausfüllen von Einbuchtungen ausgeglichen. Auf diese Weise ist die sehr einheitliche Gestalt der heutigen Wanderdünen entstanden (siehe Abb. 1282 und Abb. 1383)84. Nach dem Abschluss dieser Ausgleichsentwicklung kam auch das Anwachsen der Dünenberge zum Stillstand oder kehrte sich sogar um (siehe Tab. 1).

a) Entwicklung der Pflanzendecke auf der Nehrungsplatte Die Kenntnis der Entwicklung der Pflanzendecke nach der Entwaldung ist zum Verständnis der weiteren morphologischen Entwicklung der Nehrung unentbehrlich. Die Vegetation übt einen wesentlichen Einfluss auf die Bodenformen der Nehrungsplatte und auf die Gestalt und Bewegung der Wanderdünen aus (siehe Abb. 4)85. Der Ausgangspunkt ist hier der Zustand der Nehrung nach der Entwaldung. Der große Unterschied zum heutigen Zustand besteht im Fehlen der Vordüne. Der Mangel an samenliefernden Pflanzen ließ eine Besiedlung des kahlen Flugsandes nur sehr langsam erfolgen. Der Hauptgrund der geringen Ausbreitung der Dünengräser war die Beweidung der wenigen aufkeimenden Gräser, durch den Pferde- und Viehbestand der Bewohner86. In jedem Fall hatten nur die Pflanzen überhaupt eine Möglichkeit der Entwicklung, die eine ausgiebige Verschüttung vertragen können. Erst mit dem Beginn der Festlegungsarbeiten sollte sich dieser Umstand verändern und in der Begrünung der Palve einen Umschwung ergeben87. Ziel der Arbeiten war in erster Linie der Schutz der Siedlungen auf der Nehrung vor weiterer Versandung, aber auch der Schutz der Nehrung selber vor der Überflutung durch die Ostsee.

___________ 81

Paul, „Kurische Nehrung“, S. 282. Abbildung im Anhang, S. 428. 83 Abbildung im Anhang, S. 428. 84 Andreé, „Bau und Entstehung der Kurischen Nehrung“, S. 40 ff. 85 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 294; Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff., 11 ff. und 20 ff. 86 Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff., 11 ff. und 20 ff. 87 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 299. 82

132

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

Abbildung 4: Schema der Dünenentwicklung88

Weiterhin galt es, die Versandungsgefahr der Verbindung von Haff und Ostsee durch die Sandmassen zu beachten89. Die Bemühungen zur Festlegung der Sandmassen hatten jedoch erst Erfolg, als man die Oberflächenformen selbst zweckentsprechend gestaltete. Dies geschah vor allem durch das Anlegen einer Vordüne zur Sperrung der Sandzufuhr von der Seeseite. In den Jahren 1812 bis

___________ 88 89

Abbildung nach Paul, „Kurische Nehrung“, S. 291. Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff., 11 ff. und 20 ff.

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

133

1823 wurde mit dem Anlegen eines möglichst in gleicher Höhe und ununterbrochenem Zusammenhang stehenden Dünendamms begonnen90. Dabei wurde der Sand mit Fangzäunen aufgehalten und durch Bepflanzung mit Strandroggen und Strandhafer festgelegt. Beendet wurde diese Arbeit aber erst um 1900. Da die Aufgabe der Vordüne in der Aufnahme des seewärts angeworfenen Sandes besteht, kann dadurch die Festlegung der Binnendünen nicht erfolgen. Vielmehr sind die Auswirkungen auf die Pflanzendecke der Palve bemerkenswert. Der ewige Kampf zwischen Meer und Land wurde somit in die Vordüne verlegt, die auch dem Küstenabbruch mit dem aufgenommenen Sand entgegenwirkt91. Die Dünenpflege beschränkt sich aber nicht nur auf Ausbesserungen, sondern auch auf ständiges Nachpflanzen oder Auslichten zur Erhaltung des notwendigen gleichmäßig lockeren Schlusses der Gräser. Damit kann die Arbeit an den Vordünen nie beendet sein92. Von entscheidender Bedeutung aber war die Festlegung aller Flugsandstellen auf der Nehrungsplatte, dem Hinterland der Vordüne. Alle offenen Sandstellen wurden systematisch durch Belegen mit Reisig, durch Strauch- oder Rohrbesteck festgelegt. Größere Flächen wurden auch mit Berg- und Waldkiefern bepflanzt. Somit konnte die gesamte Nehrungsplatte von der Vordüne bis über die Poststraße hinaus stillgelegt werden. Zusammen mit der weitgehenden Einschränkung des Weideganges wurde durch das Zusammenspiel aller Faktoren die Flugsandfläche in eine bewachsene Nehrungspalve verwandelt93.

b) Einfluss der Vegetation auf die Wanderdünen Hat man die kahlen Sandflächen der Wanderdünen vor Augen, ist die Vorstellung von Pflanzenwachstum nicht recht naheliegend. Gerade die Beweglichkeit, Trockenheit und Nährstoffarmut des Flugsandes scheinen es der Vegetation unmöglich zu machen, hier zu siedeln. Die gelungenen Aufforstungen der Wanderdünen zeigen jedoch ein anderes Bild. Ist dem Flugsand durch Strauch___________ 90

Andreé, „Bau und Entstehung der Kurischen Nehrung“, S. 40 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 300. 91 Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff., 11 ff. und 20 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 303. 92 Sietz, „Kurische Nehrung“, S. 7 ff., 11 ff. und 20 ff. 93 Andreé, „Bau und Entstehung der Kurischen Nehrung“, S. 40 ff.; vgl. dazu auch Bakker, „The Geohydrology of Coastal Dunes“, S. 109 ff; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 310.

134

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

besteck und Reisigabdeckung seine Beweglichkeit genommen, so steht der Entwicklung von Keimbedingungen nichts im Wege94. Die Standortbedingungen verhindern nicht so sehr das Wachstum als das Fußfassen der Pflanzen, denn wenn es diesen einmal gelungen ist, Wurzeln in die Tiefe zu treiben, können sie sich auch auf Dauer halten. Dabei spielt die Wasserzufuhr durch Tau eine erhebliche Rolle95. Aber auch durch die Maßnahmen des Dünenbaus kann die Beruhigung des Flugsandes ausreichen, um Grasgesellschaften das Durchwachsen der Wanderdünen vom Rande her zu ermöglichen96. Allerdings ist diese Beobachtung auf einzelne Flächen der Nehrung beschränkt. Zudem kommt vielfach die Benutzung des alten Waldbodens als Profilteil in der Düne als Bedingung hinzu97. Auch das Schicksal der großen Wanderdünen ist von der Palvenvegetation abhängig. Schätzungen für die Zeit bis zum Verschwinden der Dünen im Haff, ohne Besiedlung der Palve, reichen bis zu 500 Jahren98. Wo der Wind noch freien Zutritt zur Düne hat, könnte er sie weitertreiben, wodurch der Verlust von Sand an die Gegenwälle eintreten müsste. Durch die weiter fortschreitende Bewaldung wird jedoch der Zugang des Windes eingeschränkt und nur die höheren Teile der Dünenberge können weiterwandern. Unter der Wirkung der Palvenvegetation müssen die Dünen ihre heutige Gestalt verlieren und breitlaufen (siehe Abb. 13)99. Der Westfuß der Düne bleibt vom Wald abgeschirmt liegen und gibt keine Nehrungsplatte mehr zur Besiedlung frei. Es wäre daher vorteilhafter, die Dünen lange in ihrer heutigen Gestalt wandern zu lassen, um eine möglichst breite Nehrungsplatte freizuwehen, auf welcher die Besiedlung mit Hilfe des nicht tief liegenden Grundwassers weitergeführt werden kann. Genau dies aber verhindert der Palvenwald, sei er nun als Aufforstung oder unabhängig davon entstanden. Vielmehr müsste ein Abstand zum Dünenfuß von 400 m gewährleistet werden, um die vollständige Freiwehung zu ermöglichen100. Dies ist nicht nur aus wirt___________ 94 Mager, „Die Landschaftsentwicklung der Kurischen Nehrung“, S. 32 ff. und 228 ff.; Andreé, „Bau und Entstehung der Kurischen Nehrung“, S. 40 ff.; Jungerius, „The characteristics of dune soils“, S. 155 ff. 95 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 351; vgl. auch Jungerius/Dekker, „Water erosion in the dunes“, S. 185 ff. 96 Ziegenspeck, „Pflanzenwelt der Kurischen Nehrung“, S. 57 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 359. 97 Mager, „Die Landschaftsentwicklung der Kurischen Nehrung“, S. 13; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 360. 98 Ministerium für Forstwirtschaft der Litauischen Republik, S. 86 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 370. 99 Ziegenspeck, „Pflanzenwelt der Kurischen Nehrung“, S. 60 ff. 100 Andreé, „Bau und Entstehung der Kurischen Nehrung“, S. 40 ff.

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

135

schaftlichen Gesichtspunkten zur besseren späteren Nutzung der Landschaft zu empfehlen. Nur so lassen sich auch die Wanderdünen in ihrer heutigen Ausprägung für die nächsten Jahrhunderte erhalten.

3. Schlussfolgerungen Durch die Beeinflussung des Abstandes des Palvenwaldes zum Dünenfuß wird hier die Verbindung von ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten möglich. Nur durch die Gewährleistung der quasi natürlichen Prozesse kommt es zur Freiwehung der Nehrungsplatte und zugleich zum Erhalt der Wanderdünen in ihrer heutigen dynamischen Erscheinung. Das Schutzziel „Erhalt der Dünenwanderung“ führt zu einer Verbesserung der späteren Nutzungsmöglichkeit der Landschaft. Einwendungen bezüglich der Vereinbarkeit dieses Eingriffs mit den Schutzzielen können nicht durchgreifen. Es wäre zwar interessant, den sonst beginnenden Kampf zwischen Palvenvegetation und Wanderdüne zu verfolgen. Aber ein natürlicher vom Menschen unbeeinflusster Vorgang im eigentlichen Sinne ist dies nicht. Die ganze Nehrung ist also alles andere als eine unbeeinflusste Naturlandschaft. Ihre weitere Entwicklung nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zu lenken, stellt aber keinen unzulässigen Eingriff, sondern eine sinnvolle Ergänzung der bisherigen Umwandlung dar. Die Aufgabe des Naturschutzes kann es nicht sein, eine einzelne Phase im kulturellen Ablauf menschlichem Einfluß zu entziehen. Was es zu schützen gilt, ist das, was an der Kurischen Nehrung das Einzigartige ist: Die hohen Wanderdünen in ihrer heutigen Dynamik (siehe Abb. 14 und Abb. 15)101. Diese Schlussfolgerungen können nur durch die Festlegung im jeweiligen Rechtsrahmen umgesetzt werden. Eine Entscheidung des Gesetzgebers über die Schutzziele auf der Nehrung ist damit unausweichlich. Zur Auswahl stehen der Erhalt der Dünendynamik oder die Festlegung der Wanderdünen und damit die Zerstörung dieses einzigartigen Habitats. Die prognostizierte Einebnung der großen Dünen durch das Verschwinden im Haff nach ca. 500 Jahren kann dabei die Entscheidung über die Beeinflussung der kurz- und mittelfristigen Entwicklung nicht ersetzen. Zudem ist die große Dynamik der Landschaftsentwicklung in dieser in ganz Europa einmaligen Ausprägung für diese Küstenregion charakteristisch und kann nur bedingt gelenkt werden. Ratsamer wäre es, dieser Dynamik nur eine gewisse Richtung und Form zu geben, jedoch nicht sie verhindern zu wollen. Dies entspricht auch der Vorstellung der EU-Kommission über die Umsetzung eines integrierten Managements der Küstenzonen (IKZM), ___________ 101 Riepšas, „National Park of Kuršiu Nerija“, S. 219 ff.; Paul, „Kurische Nehrung“, S. 372; Mager, „Die Landschaftsentwicklung der Kurischen Nehrung“, S. 60 ff.

136

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

welche ausdrücklich die Orientierung an den natürlichen Prozessen und nicht den herkömmlichen „Kampf gegen das Meer“ favorisiert102.

III. Das Kurische Haff 1. Entstehungsgeschichte Wie schon ausgeführt, ist die Entstehung von Haff und Nehrung nicht getrennt zu betrachten, vielmehr gehören beide als verschiedene Komponenten zu einem einheitlichen Landschaftssystem, welches nur ganzheitlich im vollen Umfang erfasst werden kann103. In der Zeit der Ancylus- und Litorinatransgression geriet das Gebiet des heutigen Haffs unter den Meeresspiegel104. Die langsame Absenkung führte jedoch nur in der nördlichen Hälfte des heutigen Haffs zu einer Überschwemmung mit Meereswasser. Der südliche Teil blieb durch die höheren diluvialen Schwellen von der vom Norden eindringenden Ostsee geschützt und füllte sich mit dem Flusswasser des Nemunas (Memel). Dies führte in diesem Teil des Haffs zur Bildung eines Süßwassersees, welcher seinen Abfluss durch den schon zur Zeit des Yoldiameeres bestehenden Kanal des Nemunas fand105. Dieser Abfluss erfolgte auf dem Gebiet der heutigen Nehrung, wo es zur Ablagerung der charakteristischen Sedimente kam106. In der Folge konnte die Ost-West Abtrennung der Meeresbucht vor dem Süßwassersee des Nemunas dem Meeresanstieg nicht mehr standhalten und wurde, nach dem ein Durchbruch durch den Fluss schon vorher erfolgte, endgültig überschwemmt. Dadurch kam es zur Bildung eines einheitlichen Haffs in der heutigen Form (siehe Abb. 1 A und B)107. Die heutige Form ist auch in jüngerer Zeit durch die Überschwemmung des Uferstreifens in Folge der Landsenkung an der südlichen und östlichen Haffküste gekennzeichnet108.

2. Wasserhaushalt und Nährstoffbelastung aus dem Einzugsgebiet Das Haff hat eine Gesamtfläche von 1600 km², davon entfallen 413 km² auf das Territorium der Republik Litauen. Die übrige Fläche liegt auf dem Gebiet ___________ 102

EU-Kommission „IKZM Strategie“ 1999, S. 12. Vgl. ausführlich zur Entstehung: saityt , in: Earth-Science Reviews 50 (2000), 137 ff. 104 Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 210 ff. 105 Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 210 ff. 106 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 232 ff. 107 Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 210 ff.; vgl. 2. Teil B. II. 1. a). 108 Paul, „Kurische Nehrung“, S. 234. 103

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

137

der Kaliningrader Oblast, die zu Russland gehört109. Diese politische Teilung kann bei der Untersuchung der Landschaft keine Berücksichtigung finden, denn die Grenzen des Ökosystems richten sich nicht nach den politischen Gegebenheiten. Die durchschnittliche Tiefe des Haffs kann mit 3,8 m und das Wasservolumen mit 6 km³ angegeben werden (Abb. 5)110.

Abbildung 5: Kurisches Haff mit Tiefenangaben111

___________ 109 HELCOM, No. 83, 2001, S. 70; Roepstorff/Povilanskas, „A Case Study from the Curonian Lagoon“, S. 223 f. 110 Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 166. 111 Abbildung nach Roepstorff/Povilanskas, „A Case Study from the Curonian Lagoon“, S. 225.

138

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

Der jährliche Frischwassereinfluss in die Ostsee beträgt etwa 23 km³ und macht damit 5 % des gesamten Flusswassereinstromes aus112. Davon kommen 98 % aus dem Nemunas mit seinen Nebenarmen, also etwa 22 km³, und aus einem Seitenarm des Pregels, der Deima, kommt etwa 1 km³ Flusswasser hinzu (siehe Abb. 6). Tabelle 2 Nährstoffbelastungen in t/a, aus dem Einzugsgebiet des Nemunas113 Hot Spot No.

Name

1993

Preliminary year of deletion

BOD7

N-tot

P-tot

BOD7

N-tot

P-tot

41

Šiauliai

769

704

84

86

297

20

2004

51

Kaunas

8307

1526

289

3085

988

144

2005

53

Kdainiai

26

63

8,8

40

40

6,5

2006

55

Panevžys

54,9

67

96

72

336

72

2004

57

Marijampol

83

90

12

123

101

12

2003– 2004

1999

58

Alytus

331

224

47

96

87

4

2001

59

Vilnius

8250

2618

290

461

252

172

2002– 2003

63

Klaipda

3172

1227

112

818

360

53

2001– 2002

65

Palanga

276

88

16

208

74

10

2001

24468

6607

962

5252

2535

498

Total

Das Kurische Haff bekommt einen Wasserzufluss aus einem Einzugsgebiet114 von 100458 km². Damit ist das Wassereinzugsgebiet mehr als 62mal größer als die Wasserfläche des Haffs115. Dies macht etwa 6 % des Wassereinzugsgebiets der gesamten Ostsee aus. Die Gliederung116 des Wassereinzugsgebietes des Haffs nach Staaten ergibt für Weißrussland 48 %, für Litauen 46 % ___________ 112

Dubra/Dubra, „Influence of Sewage Waters“, S. 771 ff. Tabelle nach HELCOM No. 83, 2001, S. 73. 114 Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 166; Olenina/Olenin, „Curonian Lagoon“, S. 151 ff.; Olenin, in: Thurston (Hrsg.) „Environmental Studies“, S. 147 ff. 115 Olenina/Olenin, „Curonian Lagoon“, S. 151; Olenin, in: „Proceedings“, S. 1 ff. 116 Vgl. Piani, „Grüne Nationalisten“, S. 35. 113

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

139

und für Russland (Kaliningrad) 6 %. Der Nemunas entwässert ca. 75 % der Republik Litauen, wodurch die Stoffeinträge aus den „Hot Spots“ des Landes von großer Bedeutung sind (siehe Tab. 2)117. Demgegenüber steht ein Wassereinfluss aus der Ostsee in das Haff zwischen 14 und 34 km³ pro Jahr. Diese Schwankungen sind durch die Windrichtung und -stärke bedingt. Bei Sturm können 2–8 km³ in das Haff einströmen118. Dabei muss das Wasser die 11 km lange und 390 m bis 600 m schmale Straße von Klaipda überwinden119. Die Eutrophierung120 des Haffs begann in großem Ausmaß schon in der Zeit von 1955 bis 1965 und fand ihre bisher stärkste Auswirkung in dem großen Fischsterben von 1979, als über 420 t Fisch verloren gingen121. Vor dieser Zeit konnten die Anwohner des Haffs das Wasser noch trinken; heute ist nicht einmal das Baden darin erlaubt122. Die Nährstoffeinträge von über 5 Mill. Bewohnern in über 35 Städten mit mehr als 10000 Einwohnern finden sich über die Flüsse im Haff wieder123. Die größten Auswirkungen des Nährstoffüberschusses sind in den Flussmündungen der Nebenarme des Nemunas, Atmata, Skirvyte und Matrosovka sowie des Pregels, der Deima, zu spüren (Abb. 6). Insbesondere an warmen Tagen zum Frühlingsende und Sommerbeginn, aber auch im Winter unter dem Eis, werden die Fische einer hohen Nährstoffbelastung ausgesetzt (Abb. 16124). Dadurch kam es auch im Jahr 1992 zu einem großen Fischsterben125. Die Nährstoffbelastung im Haff ist 3,5mal höher als die der vorgelagerten Küstengewässer der Ostsee. In der Hauptbelastungszeit der Flüsse im Winter und Frühling liegt die Belastung um das 4-6 fache höher als in der Ostsee (Abb. 16). Die Konzentration der Nährstoffe ist auch abhängig vom tatsächlichen Wasserabfluss in die See (siehe Abb. 6). In der Zeit von 1978 bis 1990 wurden noch Werte von 25,4 km³ pro Jahr gemessen, in den Jahren 1991 und 1992 dagegen nur 19,6 km³126. Dieses Wasser fließt den größten Teil des Jahres in nördliche Richtung entlang der Küste nach Lettland (Abb. 6). ___________ 117

HELCOM, No. 83, 2001, S. 70. Dubra/Dubra, „Influence of Sewage Waters“, S. 771 ff. 119 Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 166. 120 Olenina/Olenin, „Curonian Lagoon“, S. 151 ff. 121 HELCOM, No. 83, 2001, S. 70. 122 Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 166. 123 HELCOM, No. 83, 2001, S. 70. 124 Abbildung im Anhang, S. 430. 125 Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 166. 126 Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 168. 118

140

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

Abbildung 6: Wasserabfluss über das Haff in die Ostsee127

___________ 127

Abbildung nach Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 168.

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

141

Wenn der Wind aus W, NW, N und NO weht, strömen 3–5 km³ in den nördlichen Teil des Haffs ein. Dieser Teil des Haffs orientiert sich an den Grenzen des früher bestehenden Binnensees. Auch jetzt ist die Wirkung der Entstehung des Haffs noch gegeben. An diese Zone mit Meereswasser schließt sich eine kurze Mischwasserzone an, welche alsbald von der Flusswasserzone abgelöst wird (siehe Abb. 7). Durch diese jahreszeitlich bedingten Unterschiede in der Wasseraustauschintensität treten auch Differenzen in der Nährstoffkonzentration über das Jahr verteilt auf (siehe Abb. 17128).

Abbildung 7: Mischungszonen von Fluss- und Seewasser im Haff129

___________ 128 129

Abbildung im Anhang, S. 430. Abbildung nach Dubra, „The Load Nutrients from the Kurschiu Gulf“, S. 169.

142

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

Insbesondere im Frühjahr treten deutliche Übergewichte im Zufluss von Phosphor aus den Flüssen ins Haff auf. Das Verhältnis von Nährstoffeintrag und dem Abfluss aus dem Haff ins Meer beträgt dann fast 3:1 (siehe Abb. 17). In der übrigen Zeit ist das Verhältnis von Zu- und Abfluss fast ausgeglichen, wobei im Winter die Belastungen allgemein wesentlich höher sind als im Sommer oder Herbst. Demgegenüber ist die Stickstoffbilanz über das Jahr gesehen geringeren Schwankungen ausgesetzt. Im Winter und im Sommer ist das Verhältnis fast ausgeglichen, wobei im Winter die Werte der Belastung insgesamt höher sind. Im Frühjahr ist der Zufluss etwas höher als der Abfluss ins Meer. Dafür ist das Verhältnis im Herbst genau umgekehrt. Der Abfluss ist dann im Herbst auch allgemein am höchsten und der Zufluss hat seinen Höchstwert im Frühjahr (Abb. 18130). Damit ist das Frühjahr die Zeit mit der größten Belastung, da sowohl für Phosphor als auch für Stickstoff die Zufuhr ihren Maximalwert erreicht und gleichzeitig der Abfluss demgegenüber stark zurückfällt. Obwohl die Belastung der Flüsse und damit des Haffs in den letzten Jahren nicht zugenommen hat (siehe Tab. 3)131, ist die Gefahr, die von der Eutrophierung ausgeht, nicht geringer geworden, da die Sedimente die Nährstoffe aufgenommen haben und somit die Wasserqualität auf lange Zeit beeinflussen132. Zudem hat sich auch lediglich der Abfluss der Nährstoffe, die in die vorgelagerte Ostsee einströmen, nicht erhöht (siehe Abb. 19133; Abb. 20134). Tabelle 3 Veränderung in der Nährstoffbelastung in t pro Jahr135 Pollutant

1993

1999

Reduction

N

10208

3923

62 %

P

1534

750

52 %

Vom Höchststand der Jahre 1986/87 ist wohl in absehbarer Zeit nicht mehr auszugehen, dennoch gibt die Stagnation der letzten Jahre kein Zeichen einer wirklichen Entspannung. Vielmehr ist die Reduzierung durch die Schließung unrentabler Staatsbetriebe weitestgehend abgeschlossen. Die Verringerung von Verunreinigungen durch ungeklärte Abwässer der Privathaushalte setzt demge___________ 130

Abbildung im Anhang, S. 431. HELCOM, No. 68, 1997, S. 32 ff. 132 Vgl. nur Olenina/Olenin, „Curonian Lagoon“, S. 151 ff. 133 Abbildung im Anhang, S. 431. 134 Abbildung im Anhang, S. 432. 135 Tabelle nach HELCOM No. 83, 2001, S. 74. 131

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

143

genüber die Investition in neue Kläranlagen, insbesondere für die Großstädte voraus, die in den nächsten Jahren sehr unwahrscheinlich ist. Auch im Vergleich mit den anderen Baltischen Staaten ist Litauen das Land mit dem größten Stoffeintrag, sowohl bei Stickstoff als auch bei Phosphor (Abb. 21136; Abb. 22137).Die Messwerte wurden jedoch nur für die Flussläufe selber ermittelt und sind somit nicht mit denen des Kurischen Haffs zu vergleichen. Hinzu kommt noch die für Litauen ungünstige Situation, dass über den Oberlauf des Nemunas vom weißrussischen Gebiet eine erhebliche Belastung in die Landschaft eingetragen wird138. Die geringen Differenzen der Belastungswerte zwischen den Baltischen Staaten müssen daher überraschen. Vor diesem Hintergrund geht von Litauen zwar die größte Belastung aus, aber der Abstand zu den anderen Staaten hätte danach größer sein müssen.Überraschend ist auch die Verwendung eines Backgroundbereichs, der wohl Zielvorgaben im Zusammenhang mit der Wasserrahmenrichtlinie der EU darstellen soll, wobei nicht ersichtlich wird, wie dieser Wert ermittelt wurde oder sonst zu Stande gekommen ist139. Danach liegen alle Staaten innerhalb des Tolerierungsbereiches der Stickstoffbelastung in Abb. 21. Bei der Nährstoffbelastung mit Phosphor sollen mit Ausnahme Litauens ebenfalls alle in der Toleranzzone nach Abb. 22 liegen. Dem steht jedoch die Bewertung der Küstenregionen der Baltischen Staaten als „Hots Spots“ nach der HELCOM entgegen (siehe Tab. 2).

3. Die Veränderungen der Landschaft „heute und morgen“ Die Auswirkungen der schon entstandenen Schädigung des Haffs lassen sich deutlich an den Mündungen des Nemunas in das Haff im Nemunasdelta (Memeldelta) feststellen. Dort führte der Stoffeintrag zu einer starken Verlagerung der Mündungsstellen in das Haff hinein (Abb. 23140). Die Errichtung eines Schutzgebietes in Form eines Regionalparks in diesem sensiblen Gebiet zeugt vom bestehenden Problembewusstsein. Negativ fällt jedoch die Abgrenzung des Schutzgebietes von der südlichen Seite des Haffs auf. Das Schutzgebiet endet an der russischen Staatsgrenze zur Kaliningrader Oblast. Eine Schutzgebietsausweisung auf der russischen Seite ist bisher nicht erfolgt, obwohl der ___________ 136

Abbildung im Anhang, S. 432. Abbildung im Anhang, S. 433. 138 Piani, „Grüne Nationalisten”, S. 35. 139 Vgl. Baltic State of the Environment Report, 2000, S. 47 ff. 140 Abbildung im Anhang, S. 433. 137

144

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

unmittelbar angrenzende Teil als IBA-Gebiet identifiziert wurde141. Die Grenzen des Landschaftsökosystems erstrecken sich aber über die gesamte Nehrung, das gesamte Haff und den gesamten Unterlauf des Nemunas mit seinen Überschwemmungsgebieten. In Abb. 23 und Abb. 24142 werden die Veränderungen in der jüngsten Vergangenheit bis in die heutige Zeit dargestellt. Dabei traten große Veränderungen innerhalb von nur 20 Jahren auf (Abb. 23 /1.). Über einen Zeitraum von 80 Jahren hat der Fluss durch den Sedimenttransport und dessen Ablagerung seine Mündungen erheblich verändert. Durch die Eutrophierung wird die Sedimentablagerung noch angeregt. Selbst bei der sehr starken Reduzierung der Nährstoffbelastung ist es wohl kaum möglich, diese Entwicklung aufzuhalten143. Vielmehr wird für die Zukunft des Küstenökosystems eine weitere sehr starke Umwandlung der Landschaft erwartet144.

Abbildung 8: Zukünftige Entwicklung des Kurischen Haffs bis ins 4. Jahrtausend A: Jahr 2300; B: Jahr 2600; C: Jahr 2950; D: Jahr 3250; schraffiert: Haff145

___________ 141

Skov et al., „Important Bird Areas in the Baltic Sea“, S. 133. Abbildung im Anhang, S. 434. 143 Vgl. WWF, „Nemunas Delta Regional Park“, 1999, S. 25 ff. 144 Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 206 ff. 145 Abbildung nach Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 208. 142

B. Die litauische Küstenregion – Eine Landschaftsanalyse

145

Im Verlauf der nächsten 2000 Jahre wird wohl eine Verlandung des nördlichen Teils des Haffs, etwa bis zu der Linie, die schon in der frühzeitlichen Entstehung eine Meeresbucht bildete (Abb. 8 A), sichtbar werden. Danach soll der südliche Teil nur noch über einen schmalen Kanal wie bisher über das nördliche Ende der Nehrung entwässert werden können (Abb. 8 B). Diese Verbindung wird jedoch durch die Sedimentablagerungen nach und nach geschlossen, und der in der Entstehungsgeschichte schon früher bestehende Binnensee bildet sich wieder (Abb. 8 C)146. Durch die Senkung der Küste, die noch immer nicht zum Stillstand kommen wird, soll dieser Vorgang noch beschleunigt werden. Der südliche Teil des Haffs wird sich stärker absenken als der nördliche, welcher dichter an der Grenze zur neutralen Senkungszone liegt. Der Hafen von Klaipda kann dann nur noch über eine künstlich offen gehaltene Bucht angelaufen werden (Abb. 8 C und D).

Abbildung 9: Das Kurische Haff im Jahre 3500 (a); Durchbruch über den südlichen Nebenarm des Nemunas der Matrosovka über die Nehrung in die Ostsee (b)147

___________ 146 147

Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, S. 210 f. Abbildung nach Pustelnikovas, „Curonian Lagoon“, 212.

146

2. Teil: Die Landschaftsanalyse und die Anhänge nach FFH- und VS-RL

Die Wassermassen des Nemunas werden sich folglich im südlichen Teil über die Nehrung hinweg einen neuen Abfluss suchen, der wiederum mit dem schon in der Vorzeit bestehenden Abfluss über die Daimaniederung Ähnlichkeit haben wird (siehe Abb. 9 a und b)148. Die zu erwartenden Entwicklungstendenzen müssen ihren Niederschlag im entsprechenden Rechtsrahmen finden. Insbesondere der sensible Küstenbereich müsste demnach von der Nutzung freigehalten und die Besiedlung den dynamischen Veränderungen angepasst werden. Die Beeinflussung dieser Prozesse kann der Mensch lediglich verzögern und in seinen Auswirkungen vereinzelt steuern, verhindern kann er diese Entwicklung jedoch nicht. Alle Maßnahmen im Küstenbereich sollten vor diesem Hintergrund einer Prüfung unterzogen werden. Demzufolge sind auch für den Naturschutzbereich die Erhaltungs- und Schutzziele entsprechend anzupassen. Ein mögliches Konfliktfeld könnte sich in Bezug auf den Küstenschutz ergeben, welcher jedoch gerade nicht geeignet ist, die Entwicklung aufzuhalten.

4. Die Belastungen aus dem Einzugsgebiet Tabelle 4 Wasserqualitätsklassen in Litauen nach Nährstoffgehalt149 Water pollution classes

BOD7

N inorg.N

PO4-P

Coli total

mgO2/l

mg/l

Mg/l

No/l

Very clean