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German Pages 3339 [3417] Year 2018
Vorwerk Das Prozessformularbuch
Das ProzessformularBuch Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, für das FamFG-Verfahren, das Insolvenzverfahren, die Zwangsvollstreckung und den Arbeitsgerichtsprozess, jeweils mit kostenrechtlichen Hinweisen herausgegeben von
Prof. Dr. Volkert Vorwerk
Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Honorarprofessor an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Mitglied des Vorstands des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
11. neu bearbeitete und erweiterte Auflage
2019
Bearbeiter der 11. Auflage Paul H. Assies, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Köln Dr. Klaus Bacher, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Eva Becker, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht, Berlin Dr. Frank O. Fischer, Richter am Amtsgericht, Offenbach a.M. Dietrich Freyberger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Bonn Priv.-Doz. Dipl.-Volkswirt Dr. Martin Fries, Ludwig-Maximilians-Universität, München Dr. Josef Fullenkamp, Rechtsanwalt, Hannover Dr. Michael Giers, Direktor des Amtsgerichts, Neustadt a. Rbge. Dr. Jörg Grotkopp, Direktor des Amtsgerichts, Bad Segeberg Dr. Kai Jaspersen, Präsident des Landgerichts, Rostock Dr. Norbert Joachim, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Hannover Peter Junggeburth, DEA Rechtsanwalt, Berlin Florian Kellersmann, Richter am Amtsgericht, Dortmund Dr. Dirk Kleveman, Rechtsanwalt, Hammoor Ralf Kremer, Richter am Oberlandesgericht, Köln Dr. Hubert Menken, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamm Brigitte Meyer-Wehage, Direktorin des AG, Brake Klaus Otto, Ministerialrat a.D., ehemals BMJV, Berlin Dr. Manfred Parigger, Rechtsanwalt, Hannover Prof. Dr. Andreas Piekenbrock, Universitätsprofessor, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Dr. Enno Poppen, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Familienrecht, Celle Prof. Dr. Martin Rehborn, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Dortmund Honorarprofessor der Universität zu Köln Gerhart Reichling, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, Zweibrücken Ernst Riedel, Diplom-Rechtspfleger, Starnberg Dr. Susanne Riedemann, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalterin, Hamburg Jochem Schausten, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht, Krefeld Daniela Scheuer, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Köln Norbert Schneider, Rechtsanwalt, Neunkirchen-Seelscheid Carsten Peter Schulze, LL.M./Indiana Univ. Vorsitzender Richter am Landgericht (KfH), Hannover Prof. Dr. Alexander Schwonberg, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, Celle, Honorarprofessor an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Nils Thormeyer, Richter am Amtsgericht, Langenfeld (Rhld.) Dr. Sebastian Ulbrich, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Vergaberecht, Würzburg Prof. Dr. Volkert Vorwerk, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Honorarprofessor an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Mitglied des Vorstands des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Dr. Eric Wagner, Rechtsanwalt, Stuttgart Yvette Weber, Rechtsanwältin, Hannover Peter Wiemer, Richter am Oberlandesgericht, Nürnberg Dr. Stephan Wilske, Rechtsanwalt und Attorney-at-Law (New York), Stuttgart
Zitierempfehlung: Vorwerk/Bearbeiter, Prozessformularbuch, 11. Aufl. 2019, Rz. … oder Muster M …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-07019-9 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Knapp vier Jahre nach Erscheinen der 10. Auflage im Jahr 2015 legen Herausgeber und Autoren eine neue Auflage des Prozessformularbuchs vor. Als Standardwerk, an dem alle anderen Formularbücher zum Prozessrecht gemessen werden können, hat sich das vorliegende Werk deshalb durchsetzen können, weil es Hand- und Formularbuch in sich vereint und dem Nutzer über das Zusammenspiel von Muster und erklärenden Erläuterungen die Gewissheit gibt, das Problem, das sich ihm im Rahmen der Prozessführung stellt, zutreffend zu lösen. Die Gliederung und deren Feinstruktur entsprechen der Denkstruktur des Nutzers. Auf diesem Wege vermittelt das Werk dem Nutzer auch ohne langes Suchen die Antwort auf die sich ihm stellende Frage. Die Zuordnung der zu beantwortenden Frage zur Bürgerlichen Rechtsstreitigkeit, zum Verfahren in Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder der Arbeits- und Sozialgerichtlichen Streitigkeit entscheidet seit der 9. Auflage, mithin auch in der vorliegenden Auflage darüber, ob der Nutzer im Ersten, Zweiten oder Dritten Buch des Werkes die gesuchte Antwort findet. Das Zweite Buch, das sich dem Verfahren in Familiensachen widmet, ist im Rahmen der jetzt vorgelegten 11. Auflage vollständig neu konzipiert worden. Der Leser findet alle Informationen nun im jeweiligen Sachkapitel des Besonderen Teils. Anders als noch in der Vorauflage muss der Allgemeine Teil nicht mehr parallel zum Besonderen Teil gelesen werden, so dass das Blättern zwischen den Kapiteln entfällt. Die Gliederung jedes der drei Bücher, und damit nunmehr auch die des Zweiten Buches, entspricht ihrerseits dem seit langem bewährten Aufbau: Das Stadium des Verfahrens, in dem die jeweilige Frage zu beantworten ist, entscheidet darüber, in welchem der aufsteigend nummerierenden Kapitel des jeweiligen Buches die Antwort zu finden ist. Stellt sich die Frage vor Einleitung des Rechtsstreits, wird die Frage in dem dem Ersten Buch vorgelagerten Abschnitt „Vor dem Verfahren“ erörtert. Zahlreiche Gesetze – es ist nicht möglich sie alle aufzuzählen – haben in der jetzt vorgelegten 11. Auflage zu Änderungen der bisherigen Darstellung sowie der Muster geführt. Ganz grundlegend überarbeitet wurde das Kapitel zum Wettbewerbsprozess (Kap. 94) und zum Versorgungsausgleich (Kap. 123); neu hinzugekommen ist das Kapitel zur Produkthaftung (Kap. 85a). Neben den – für den Praktiker von erheblicher Bedeutung – direkt an den Mustern angefügten Kostenanmerkungen, sind die Kapitel Anwaltsgebühren (Kap. 43) sowie Gerichtskosten (Kap. 44) auf aktuellen Stand gebracht worden. Durch Gesetzesänderungen war auch eine umfangreiche Anpassung der Kapitel zur Klage im Bauvertragsrecht (Kap. 81), zur Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen (Kap. 28) und zur Zwangsvollstreckung (Kap. 45 ff.) notwendig. Derjenige, der sich nur mit dem im Ersten Buch behandelten Allgemeinen Zivilprozess befasst, wird in den Kapiteln, die in jenem Ersten Buch zusammengeführt sind, nicht nur die neueste Rechtsprechung, sondern auch zahlreiche neue Praxistipps und Anmerkungen finden, die unter der Rubrik Wichtig hervorgehoben sind. Verstärkt zeigt sich das bei den durch neue Autoren übernommenen Kapiteln, wie beispielsweise der Erledigung, Klageerwiderung, Klagerücknahme, Versäumnisverfahren, Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich, wo viele weitere Erkenntnisse aus der jeweiligen Berufspraxis eingeflossen sind. Die aktuelle Rechtsprechung ist ungeachtet dessen aber auch im Zweiten und Dritten Buch voll berücksichtigt. Verlag und Herausgeber danken den bisherigen Autorinnen Bartmann und Frantzioch sowie den bisherigen Autoren Dr. Götz von Olenhusen, Hauß, Schrader und Prof. Dr. Schuschke für die Arbeit in den vorangegangenen Auflagen. An die Stelle jener Autoren sind Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Assies (Klageerwiderung Klagerücknahme und Leasing), Priv.-Doz. und Dipl.-Volkswirt Dr. Fries (Mediation), Vorsitzender Richter am LG Hannover (KfH) Schulze, LL.M./Indiana Univ. (Wettbewerbsprozess), Richter am AG Langenfeld Thormeyer (VersorgungsVII
Vorwort
ausgleich), Rechtsanwalt Dr. Wagner (Produkthaftung), Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht Weber (Wettbewerbsprozess), Richter am OLG Nürnberg Wiemer (Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen, Ablehnung, Versäumnisverfahren, Entscheidung nach Lage der Akten, Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich, Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess, Vollstreckungsabwehr-, Drittwiderspruchs-, Restitutions-, Nichtigkeitsklage und Klagen aus 826 BGB) getreten. Die 10. Auflage umfasste über 3.100 Seiten, die jetzt überreichte 11. Auflage füllt rd. 3.300 Seiten. Grund dafür ist die Aufnahme neuer Kapitel, teils auch die Detaillierung der Darstellung auch schon in der 10. Auflage behandelter Kapitel. Um das Werk noch handhabbar zu gestalten, ist im Gegenzug die Darstellung in einigen wenigen Kapiteln gekürzt und weitgehend auf die Erläuterung bestehenden Übergangsrechts verzichtet worden. Wer noch Übergangsrecht anwenden muss, wird auf die Vorauflagen verwiesen. Falls Sie Mustertexte direkt in Ihre Dateiverarbeitung übernehmen möchten, stehen alle Muster des Werkes zum komfortablen Download bereit; die Zugangsdaten finden Sie eingedruckt gleich zu Beginn des Buches. Die 11. Auflage des Prozessformularbuchs ist zudem auch in einem attraktiven Duo zusammen mit dem Zöller (komfortabel mit Entscheidungen, Gesetzestexten und Verlinkung beider Werke) vollständig online abrufbar, um eine jederzeitige Lektüre, Verfügbarkeit des Werkes und Nutzung der Muster zu ermöglichen (Zugang über das Modul: www.otto-schmidt.de/zpo-modul). Dank gilt Rechtsanwältin Simone Forner, die im Verlag das Lektorat Zivilverfahrensrecht betreut, für ihren Einsatz, der es ermöglicht hat, das Werk Ende 2018 vorzulegen. Ganz besonderen Dank schulde ich Michael Keilbach, jetzt Oberregierungsrat im Innenministerium Baden-Württemberg, der das Entstehen der 11. Auflage intensiv begleitet und damit entscheidenden Anteil daran hat, dass der Nutzer im vorliegenden Werk die aktuelle Rechtsprechung vorfindet, die im Rahmen des Druckstandes Anfang November 2018 gewährleistet werden konnte. Für Anregung und Kritik aus der Leserschaft bin ich dankbar (gerne per E-Mail: [email protected]). Karlsruhe, im November 2018
VIII
Volkert Vorwerk
Kapitelübersicht Alle Muster stehen zum Download zur Verfügung; die Zugangsdaten finden Sie im vorderen Einband. Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Vor dem Verfahren Erster Teil Erste Schritte Kap. 1 Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats Vorwerk . . . . . . . . . . .
1
Kap. 2 Mediation Fries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
Kap. 3 Anwaltsvergleich Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
Kap. 4 Erfolgs- und Kostenrisiko Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Kap. 5 Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
Kap. 6 Beratungshilfe Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Kap. 7 Selbständiges Beweisverfahren Ulbrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
Zweiter Teil Mahnverfahren Kap. 8 Mahnbescheid Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
Kap. 9 Vollstreckungsbescheid Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116
Erstes Buch Allgemeiner Zivilprozess Erster Teil Prozessverlauf A. Allgemeiner Prozessverlauf Kap. 10 Prozesskostenhilfe Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
Kap. 11 Gerichtsstand Reichling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169
Kap. 12 Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit Scheuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
Kap. 13 Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
Kap. 14 Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218
Kap. 15 Klageanträge (und Klagebegründung) Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
Kap. 16 Klagenhäufung Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
322
Kap. 17 Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . .
332
Kap. 18 Beweisantritt Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 IX
Kapitelübersicht Seite
Kap. 19 Streitverkündung Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
380
Kap. 20 Klageerwiderung Assies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
409
Kap. 21 Widerklage, Aufrechnung Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425
Kap. 22 Ablehnung Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
441
Kap. 23 Verspätetes Vorbringen Piekenbrock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
454
Kap. 24 Beweisaufnahme Fullenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
462
Kap. 25 Überlange Verfahrensdauer Fullenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
502
B. Zustellung, Fristen, Termine Kap. 26 Zustellung Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
508
Kap. 27 Fristen Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
521
Kap. 28 Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen Jaspersen/Bacher .
534
Kap. 29 Termine Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
556
C. Abweichender Verlauf im Prozess Kap. 30 Nebenintervention, Hauptintervention Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
564
Kap. 31 Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens Fullenkamp . . . . . . . . . . . . .
569
Kap. 32 Erledigung der Hauptsache Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
588
Kap. 33 Klagerücknahme Assies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
604
Kap. 34 Versäumnisverfahren Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
609
Kap. 36 Anerkenntnis, Verzicht Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
628
Kap. 37 Gerichtlicher Vergleich Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
636
D. Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess Kap. 38 Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
649
E. Einstweiliger Rechtsschutz Kap. 39 Arrest Parigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
666
Kap. 40 Einstweilige Verfügung Parigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
688
F. Nach dem Urteil Kap. 41 Anträge zum Urteil Fullenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
707
Kap. 42 Rechtskraftzeugnis Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
719
Kap. 43 Anwaltsgebühren Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
722
Kap. 44 Gerichtskosten Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
860
Zweiter Teil Zwangsvollstreckungsverfahren A. Vorbereitung, Hinweise Kap. 45 Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
X
889
Kapitelübersicht Seite
Kap. 46 Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen: Sicherungsvollstreckung, Sicherheitsleistung, Zug um Zug Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
900
B. Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen Kap. 47 Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
914
Kap. 48 Auskunftsrechte des Gerichtsvollziehers Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
923
Kap. 49 Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Kombiauftrag, Durchsuchung, Verwertung Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
924
Kap. 50 Zwangsvollstreckung in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage Giers .
934
Kap. 51 Einkommens-, Lohn- und Gehaltspfändung, Privilegierte Forderungen, Drittschuldnerklage Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
946
Kap. 52 Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . .
961
Kap. 53 Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen Giers . . . . . . . . . . . . . . .
968
Kap. 54 Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen Giers . . . . . . . . . . . . . . . .
976
Kap. 55 Verteilungsverfahren Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
989
C. Räumung, Herausgabe, Handeln, Unterlassen Kap. 56 Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
994
Kap. 57 Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen, eidesstattliche Versicherung Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1006
Kap. 58 Willenserklärung Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1015
Kap. 59 Klauselumschreibung Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1017
Kap. 60 Klauselerinnerung und Klauselklagen Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1022
Kap. 61 Klausel bei bedingter Leistung, Vollstreckbarerklärung in Schiedssachen Giers . . .
1027
Kap. 62 Vollstreckungsschutz Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1030
Kap. 63 Vollstreckungsabwehrklage Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1044
Kap. 64 Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung Wiemer . . . . . .
1057
Dritter Teil Rechtsmittel, Rechtsbehelfe, Verfahren zur Beseitigung eines Titels A. Berufung, Beschwerde, Wiedereinsetzung Kap. 65 Berufung Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1069
Kap. 66 Einzelne Berufungsanträge Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1105
Kap. 67 Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung Vorwerk . . . . . . .
1123
Kap. 68 Anschlussberufung, Gegenrügen Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1142
Kap. 69 Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde Piekenbrock . . . . . . .
1148
Kap. 70 Rechtsbeschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde Piekenbrock . . . . . . . . . . . . . . .
1157
Kap. 71 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1159
XI
Kapitelübersicht Seite
B. Verfahren zur Vernichtung/Abänderung eines Titels Kap. 72 Restitutionsklage Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1186
Kap. 73 Nichtigkeitsklage Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1195
Kap. 74 Klagen aus § 826 BGB Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1199
Kap. 75 Streit über die Auslegung und die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs Wiemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1204
Kap. 76 Abänderungsklage Reichling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1211
Vierter Teil Besondere zivilrechtliche Verfahren A. Kaufrecht Kap. 77 Kaufrecht Bacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1239
B. Mietrecht und Leasing Kap. 78 Raummiete Kellersmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1283
Kap. 79 Leasing Assies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1368
C. Arzthaftung Kap. 80 Arzthaftung Rehborn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1417
D. Bauvertragsrecht Kap. 81 Klagen und einstweiliger Rechtsschutz im Bauvertragsrecht Ulbrich . . . . . . . . . .
1504
Kap. 82 Klagen aus Architekten- und Ingenieurverträgen Ulbrich . . . . . . . . . . . . . . . . .
1560
Kap. 83 Bausicherungshypothek und Bauhandwerkersicherheit Ulbrich . . . . . . . . . . . . .
1588
E. Unerlaubte Handlung, Gefährdungshaftung, einschließlich außergerichtlicher Regulierung Kap. 84 Verkehrsunfall Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1595
Kap. 85 Verkehrsunfall in der außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1742
Kap. 85a Produkthaftung Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1785
Kap. 86 Andere deliktische Haftungstatbestände Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1808
F. Sonderbeziehungen zwischen Eigentümern Kap. 87 Wohnungseigentumssachen Scheuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1825
Kap. 88 Nachbarrechtsstreit Kremer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1839
G. Erbrechtliche Auseinandersetzung, Ansprüche gegen den Nachlass Kap. 89 Klage gegen Erbschaftsbesitzer, erbrechtliche Auseinandersetzung, Klagen gegen die Erben Joachim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1925
H. Versicherungsrecht Kap. 90 Versicherungsrecht Freyberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII
1985
Kapitelübersicht Seite
I. Streit zwischen Gesellschaftern und mit dem Geschäftsführer Kap. 91 Streit in der BGB-Gesellschaft Parigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2071
Kap. 92 Streit in der OHG und der KG Parigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2122
Kap. 93 Streit in der GmbH und der Aktiengesellschaft Kleveman . . . . . . . . . . . . . . . .
2141
J. Der Wettbewerbsprozess Kap. 94 Der Wettbewerbsprozess Schulze/Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2175
K. Gläubiger und Schuldner im Insolvenzverfahren Kap. 95 Der Gläubiger im Insolvenzverfahren Riedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2231
Kap. 96 Der Schuldner im Insolvenzverfahren Riedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2279
Fünfter Teil Schiedsgericht, Schiedsgutachten A. Schiedsgerichtsverfahren Kap. 97 Schiedsgerichtsverfahren Wilske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2319
B. Schiedsgutachten Kap. 98 Schiedsgutachten Wilske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2356
Sechster Teil Streit und Vollstreckung mit Auslandsbezug A. Besonderheiten bei Streit und Vollstreckung mit Auslandsbezug Kap. 99 Europäische Verordnung zur Prozesskostenhilfe, zur Beweisaufnahme, zum Mahnverfahren, zum Vollstreckungstitel für unstreitige Forderungen und zum Verfahren für geringfügige Forderungen Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2363
Kap. 100 Prozesskostensicherheit Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2368
Kap. 101 Gerichtsstandsbestimmung bei Auslandsbezug, Zustellung im Ausland Reichling/Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2375
B. Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung Kap. 102 Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen Riedel . .
2403
Zweites Buch Verfahren in Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Erster Teil Verfahrensverlauf im Ersten Rechtszug A. Vor dem Verfahren Kap. 103 Erfolgs- und Kostenrisiko Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2421
Kap. 104 Verfahrenskostenhilfe Meyer-Wehage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2425
XIII
Kapitelübersicht Seite
B. Fristen, Wiedereinsetzung, Aussetzung Kap. 105 Fristen, Wiedereinsetzung Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2434
Kap. 106 Aussetzung Fullenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2439
C. Einstweilige Anordnung Kap. 107 Einstweilige Anordnungen Meyer-Wehage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2442
Zweiter Teil Nach der Entscheidung, Rechtsmittel, Vollstreckung, Verfahren mit Auslandsbezug A. Nach der Entscheidung Kap. 108 Beschlussergänzung, Berichtigung, Anhörungsrüge Meyer-Wehage . . . . . . . . . . .
2453
Kap. 109 Anwaltsgebühren, Gerichtskosten Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2456
B. Rechtsmittel Kap. 110 Beschwerde, Beschwerdebegründung, Anschlussbeschwerde Junggeburth . . . . . . .
2519
Kap. 111 Rechtsbeschwerde Junggeburth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2538
C. Vollstreckung Kap. 112 Vollstreckung nach dem FamFG Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2541
Kap. 113 Vollstreckung nach der ZPO, Vollstreckungsabwehrantrag, Drittwiderspruchsklage und Teilungsversteigerung Giers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2546
D. Besonderheiten im Verfahren mit Auslandsbezug Kap. 114 Internationale Zuständigkeit in Ehesachen, Scheidungs- und Folgesachen sowie in Versorgungsausgleichssachen Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2555
Kap. 115 Internationale Zuständigkeit in Kindschafts-, Abstammungs-, Adoptions- und Lebenspartnerschaftssachen Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2558
Kap. 116 Internationale Zuständigkeit der im 3. bis 8. Buch des FamFG genannten Verfahren Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2560
Kap. 117 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen Riedel . . . . . . . .
2560
Dritter Teil Familiensachen, Familienstreitsachen A. Ehe, Scheidung und deren Folgen Kap. 118 Eheverträge Schwonberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2569
Kap. 119 Ehescheidung, Eheaufhebung Poppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2596
Kap. 120 Unterhalt Schausten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2629
Kap. 121 Zugewinnausgleich Poppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2706
Kap. 122 Elterliche Sorge, Umgangsrecht Meyer-Wehage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2732
Kap. 123 Versorgungsausgleich Thormeyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2751
Kap. 124 Haushaltsgegenstände, Wohnungszuweisung Poppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2816
Kap. 125 Sonstiger Vermögensausgleich Poppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2829
XIV
Kapitelübersicht Seite
B. Lebenspartnerschaft, nichteheliche Lebensgemeinschaft Kap. 126 Nichteheliche Lebensgemeinschaft Poppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2848
C. Gewaltschutz Kap. 127 Gewaltschutz Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2854
D. Abstammung, Adoption Kap. 128 Abstammung Schwonberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2863
Kap. 129 Adoption Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2951
Vierter Teil Betreuungs- und Unterbringungssachen, Freiheitsentziehung A. Betreuung, Unterbringung Kap. 130 Betreuungssachen Grotkopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2963
Kap. 131 Unterbringungssachen Grotkopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3011
B. Freiheitsentziehung Kap. 132 Freiheitsentziehung Grotkopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3053
Fünfter Teil Nachlass- und Teilungssachen, Registersachen, Aufgebot A. Nachlass- und Teilungssachen Kap. 133 Verfahren in Nachlass- und Teilungssachen Joachim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3069
B. Registersachen Kap. 134 Verfahren in Registersachen, unternehmensrechtliche Verfahren Riedel . . . . . . . .
3090
C. Aufgebot Kap. 135 Aufgebotsverfahren Riedel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3092
Drittes Buch Arbeits- und sozialrechtliche Streitigkeiten Erster Teil Arbeitsrechtliche Streitigkeiten – Schutz des Arbeitnehmers Verfahren wegen individual-arbeitsrechtlicher Streitigkeiten Kap. 136 Mandatsübernahme im Arbeitsrecht Menken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3097
Kap. 137 Grundzüge des Arbeitsgerichtsverfahrens Menken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3100
Kap. 138 Kündigungsschutzverfahren Menken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3105
Kap. 139 Weitere Bestandsstreitigkeiten Menken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3141
Kap. 140 Sonstige Arbeitsgerichtsprozesse Menken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3146
Kap. 141 Rechtsmittel und Rechtsbehelfe Menken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3168
Kap. 142 Arrest und einstweilige Verfügung in arbeitsgerichtlichen Verfahren sowie Zwangsvollstreckung aus arbeitsgerichtlichen Titeln Menken . . . . . . . . . . . . . .
3178
XV
Kapitelübersicht Seite
Zweiter Teil Sozialgerichtliche Streitigkeiten, Widerspruchsverfahren Kap. 143 Widerspruchsverfahren im Schwerbehinderten- und Sozialrecht Menken . . . . . . .
3187
Anhang Fristentabellen Kremer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3193
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3217
XVI
Literaturverzeichnis I. Kommentare 1. ZPO Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Münchener Kommentar zur ZPO Musielak/Voit Prütting/Gehrlein Schuschke/Walker Stein/Jonas Thomas/Putzo Vorwerk/Wolf Wieczorek/Schütze Zimmermann Zöller
ZPO, 76. Aufl. 2018 (zit.: BLAH/Hartmann) hrsg. von Krüger/Rauscher, 5. Aufl. Bd. I 2016; Bd. II 2016; Bd. III 2017 (zit.: MüKo.ZPO/Bearbeiter) ZPO, 15. Aufl. 2018 ZPO, 10. Aufl. 2018 Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl. 2016 ZPO, 12 Bände, 23. Aufl. 2014 ff. ZPO, 39. Aufl. 2018 Beck’scher Online-Kommentar ZPO (zit: Vorwerk/Wolf/Bearbeiter, BeckOK.ZPO) ZPO, 14 Bände, 4. Aufl. ab 2012 ff. ZPO mit GVG und Nebengesetzen, 10. Aufl. 2015 ZPO, 32. Aufl. 2018
2. FamFG Bassenge/Roth Bork/Jacoby/Schwab Bumiller/Harders Haußleiter Keidel Musielak/Borth Prütting/Helms
FamFG/RPflG, 12. Aufl. 2009 FamFG, 3. Aufl. 2018 FamFG, 11. Aufl. 2015 FamFG, 2. Aufl. 2017 FamFG, 19. Aufl. 2017 Familiengerichtliches Verfahren, 6. Aufl. 2018 FamFG, 4. Aufl. 2018
3. ArbGG Germelmann/Matthes/Prütting Schwab/Weth
ArbGG, 9. Aufl. 2017 ArbGG, 5. Aufl. 2017
4. Andere Rechtsgebiete Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/ Hintzen/Manfred Bamberger/Roth/Hau/Poseck Bärmann Baumbach/Hopt Braun
RPflG, 8. Aufl. 2015 Beck’scher Online-Kommentar BGB (Bamberger/Roth/Bearbeiter, BeckOK.BGB) WEG, 14. Aufl. 2018 HGB, 38. Aufl. 2018 InsO, 7. Aufl. 2017
XVII
Literaturverzeichnis
Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/ Rellermeyer Erman Etzel/Bader/Fischermeier u.a.
Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Gaier/Wolf/Göcken Geimer/Schütze Geimer/Schütze Gerold/Schmidt Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht Hartmann Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung Henssler/Prütting Kissel/Mayer Köhler/Bornkamm/Feddersen Koller/Kindler/Roth/Morck Korintenberg Kropholler/von Hein Kübler/Prütting/Bork Lutter/Hommelhoff Mayer/Kroiß Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zu Insolvenzordnung Palandt Rehberg/Asperger/Vogt/Feller/Hellstab/ Jungbauer/Bestelmeyer/Frankenberg (bisher: Bestelmeyer/Feller/ Frankenberg u.a.) Riedel/Sußbauer Röhricht/Graf von Westphalen/Haas Rohs/Wedewer Schlegelberger K. Schmidt XVIII
ZVG, 15. Aufl. 2016 BGB, 15. Aufl. 2017 KR – Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften (zit.: KR), 11. Aufl. 2016 hrsg. von Wimmer, 9. Aufl. 2018 (zit. FK/Bearbeiter) Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014 Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Loseblatt), 55. Ergänzungslieferung, 2018 Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010 RVG, 23. Aufl. 2017 hrsg. von A. Schmidt, 6. Aufl. 2017 (zit. Schmidt/Bearbeiter) Kostengesetze, 48. Aufl. 2018 hrsg. von Glanegger/Kirnberger/Kusterer, 7. Aufl. 2007 hrsg. von Kayser/Thole, 9. Aufl. 2018 (zit. HK/Bearbeiter) BRAO, 4. Aufl. 2014 GVG, 9. Aufl. 2018 UWG, 36. Aufl. 2018 HGB, 8. Aufl. 2015 Gerichts- und Notarkostengesetz, 20. Aufl. 2017 Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011 Kommentar zur Insolvenzordnung (Loseblatt), 76. Ergänzungslieferung, 2018 GmbH-Gesetz, 19. Aufl. 2016 RVG, 7. Aufl. 2018 hrsg. von Rixecker/Säcker/Oetker, 11 Bände, 7./8. Aufl. 2012 ff. (zit.: MüKo.BGB/Bearbeiter) hrsg. von Kirchhof/Eidenmüller/Stürner, 3. Aufl. 2013 (zit. MüKo.InsO/Bearbeiter) BGB, 77. Aufl. 2018 RVG, 6. Aufl. 2014
RVG, 10. Aufl. 2015 HGB, 4. Aufl. 2014 Kostenordnung (Loseblatt), 120. Ergänzungslieferung, 2018 HGB, 5. Aufl. 1973 ff. InsO, 19. Aufl. 2016
Literaturverzeichnis
Schneider/Wolf Scholz Soergel/Siebert Staudinger Stöber (bisher Zeller/Stöber) Ulmer/Brandner/Hensen Ulmer/Habersack/Löbbe Weitnauer Wieser
AnwaltKommentar RVG, 8. Aufl. 2017 GmbHG, Bd. I (2018), II (2014) und III (2015), 11./12. Aufl. Kommentar zum BGB, 27 Bände, 13. Aufl. 1999 ff. Kommentar zum BGB, 14. Aufl. 2000-2018 ZVG, 21. Aufl. 2016 AGB-Recht, 12. Aufl. 2016 GmbHG, Bd. I (2013), II (2014), III (2016), 2. Aufl. (zit. Ulmer/Bearbeiter) Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl. 2004 Prozessrechts-Kommentar zum BGB, 2. Aufl. 2002
II. Handbücher, Formularbücher, Lehrbücher und sonstige Hilfsmittel Ahrens Baumgärtel/Laumen/Prütting Baur/Stürner/Bruns Borgmann/Jungk/Schwaiger Brox/Walker Dürbeck/Gottschalk Fahrendorf/Mennemeyer Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab Foerste/Graf von Westphalen Gaul/Schilken/Becker-Eberhard Geigel Geimer Gloy/Loschelder/Erdmann Groß Grunsky/Jacoby Grziwotz Hauß/Bührer Hefermehl/Bornkamm/Feddersen Jauernig/Berger Jauernig/Hess Jayme/Hausmann
Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl. 2017 Handbuch der Beweislast, 3. Aufl. 2010 Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006 Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2014 Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018 Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Aufl. 2016 Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl. 2017 Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2015 (zit.: Fischer/Bearbeiter) Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl. 2012 Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 2010 Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015 Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2015 Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010 Anwaltsgebühren in Ehe- und Familiensachen, 5. Aufl. 2018 Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2018 Praxishandbuch Grundbuch- und Grundstücksrecht, 1999 Versorgungsausgleich und Verfahren in der Praxis, 2. Aufl. 2014 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 36. Aufl. 2018 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23. Aufl. 2010 Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011 Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 18. Aufl. 2016
XIX
Literaturverzeichnis
Kleveman Künzl/Koller Lachmann Lackmann Linke/Hau Lüke (bisher Arens/Lüke) Melullis Mes Rahm/Künkel Rosenberg/Schwab/Gottwald Schack Schellhammer Schellhammer Schneider Schneider/Herget Schöner/Stöber Kramer Schwab/Walter Steinert/Theede/Knop Steinert/Theede/Knop Sternel Stöber Stöber Teplitzky Vollkommer/Greger/Heinemann Weißmann/Riedel
Werner/Pastor Wick Wurm/Wagner/Zartmann Zeiss/Schreiber Zimmermann Zugehör/Fischer/Vill/Fischer/ Rinkler/Chab
XX
Anwalts-Handbuch Einstweiliger Rechtsschutz, 2. Aufl. 2013 Prozesskostenhilfe, 2. Aufl. 2003 Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008 Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018 Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2018 Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2011 Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl. 2000 Beck’sches Prozessformularbuch, 13. Aufl. 2016 Handbuch des Familiengerichtsverfahrens (Loseblatt), 77. Aktualisierung, 2018 Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018 Internationales Zivilverfahrensrecht, 7. Aufl. 2017 Zivilprozess, 15. Aufl. 2016 Die Arbeitsmethode des Zivilgerichts, 17. Aufl. 2014 Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994 Streitwert-Kommentar für Zivilprozess und FamFG-Verfahren, 14. Aufl. 2016 Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012 Die Berufung in Zivilsachen, 8. Aufl. 2015 Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005 Zivilprozess, 9. Aufl. 2011 Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, 9. Aufl. 2013 Mietrecht aktuell, 4. Aufl. 2009 Forderungspfändung, 16. Aufl. 2013 Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 9. Aufl. 2010 Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 11. Aufl. 2016 Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl. 2014 Aktuelle Muster und Entscheidungshilfen zur Zwangsvollstreckungspraxis (Loseblatt), 138. Ergänzungslieferung, 2018 Der Bauprozess, 16. Aufl. 2017 Der Versorgungsausgleich, 4. Aufl. 2017 Das Rechtsformularbuch, 17. Aufl. 2015 Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2014 Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl. 2016 Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011 (s. 4. Aufl. Fischer/Fischer/Vill/Rinkler/Chab)
Abkürzungsverzeichnis aA abl. ABl. AcP ADR AdÜbAG AdWirkG aE ÄndG aF AG AGB AGBG AGS AHB AKB AktG AktO aM AnfG Anm. AnwBl. AnwG AO AP ARB ArbGG ArbnErfG ArbPlSchG AÜG AV AVAG AVHO AWD Az. BAföG BAG BAGE BarwertVO BAT BauFordSiG BauGB BauR BaWü BayObLG BayVerfGH
anderer Ansicht ablehnend EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Archiv für die civilistische Praxis Alternative Dispute Resolution Adoptionsübereinkommens-Ausführungsgesetz Gesetz über die Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (Adoptionswirkungsgesetz) am Ende Änderungsgesetz alte Fassung Aktiengesellschaft, Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anwaltsgebühren Spezial Allgemeine Haftpflichtversicherungs-Bedingungen Allgemeine Bedingungen für die Kraftverkehrsversicherung Aktiengesetz Aktenordnung anderer Meinung Anfechtungsgesetz Anmerkung Anwaltsblatt Anwaltsgericht Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des BAG Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Arbeitsgerichtsgesetz Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Ausführungsverordnung Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz Ausführungsverordnungen zur Hinterlegungsordnung Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Aktenzeichen Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Ausbildungsförderungsgesetz) Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Barwert-Verordnung Bundes-Angestelltentarif Gesetz über die Sicherung der Bauförderung Baugesetzbuch Baurecht Baden-Württemberg Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerischer Verfassungsgerichtshof XXI
Abkürzungsverzeichnis
BB BBG BBiG BeamtVG BEG BerHG BerlinFG BErzGG BeschFG BetrAVG BetrVG BeurkG BfA BFH BGA BGB BGBl. BGHR BGHSt BGHZ BImschG BinSchVerfG BNatSchG BORA BRAGO BRAK BRAK-Mitt. BRAO BRRG BRTV BSG BSHG BStBl. BT-/BR-Drucks. BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BWNotZ
Der Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Berufsbildungsgesetz Beamtenversorgungsgesetz Bundesentschädigungsgesetz Beratungshilfegesetz Berlinförderungsgesetz Bundeserziehungsgeldgesetz Beschäftigungsförderungsgesetz Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Bundesgesundheitsamt Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt BGH-Report, BGH-Rechtsprechung Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundes-Immissionsschutzgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen Bundesnaturschutzgesetz Berufsordnung der Rechtsanwälte Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen Bundesrechtsanwaltsordnung Beamtenrechtsrahmengesetz Bundesrahmentarifvertrag Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestags-/Bundesrats-Drucksachen Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg
c.i.c. CIETAC CMR
culpa in contrahendo China International Economic and Trade Arbitration Commission Convention relative au Contrat de transport international de marchandises par route (Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr) Convention relative aux transports internationaux ferroviaires (Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr)
COTIF DA DAR DAV DB DDR XXII
Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörde Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltverein Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik
Abkürzungsverzeichnis
DFÜ DGVZ DIN DIS DIS-MAT DIV DM DNotZ DRiG Drucks. DSGVO DT DVBl.
Datenfernübertragung Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Deutsches Institut für Normung Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit DIS-Materialien Deutsches Institut für Vormundschaftswesen Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Richtergesetz Drucksache Datenschutz-Grundverordnung, Verordnung (EU) 2016/679 Düsseldorfer Tabelle Deutsches Verwaltungsblatt
EBE/BGH EEG EFZG EGBGB EGInsO EGMR EGStGB EGZPO EheG EheschlRG EinigungsV EMRK
Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen Landesenteignungs- und Entschädigungsgesetz (NW) Entgeltfortzahlungsgesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Ehegesetz Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts Einigungsvertrag (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Erbbaurechtsverordnung Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Einkommensteuergesetz Europäisches Transportrecht Bagatellverordnung, Verordnung (EU) 2015/2421 Beweisverordnung; Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 und Nr. 1215/2012 Mahnverordnung, Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 Euroeinführungsgesetz Vollstreckungstitel-Verordnung, Verordnung (EG) Nr. 805/2004 Zustellungsverordnung, Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Entscheidungen zum Familienrecht
ErbbauVO/ErbbRVO ErbStG EStG ETR EuBagatellVO EuBeweisVO EuGH EuGH VerfO EuGVÜ EuGVVO EuMahnVO EuroEG EuVTVO EuZustVO EWG EWiR EWIV EWR EzA EzFamR FamG FamFG
Familiengericht Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit XXIII
Abkürzungsverzeichnis
FamGKG FamRÄndG FamRefK FamRZ FF FGB-DDR FGG FGO FS
Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen Familienrechtsänderungsgesetz Familienrechtsreformkommentar Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Forum Familien- und Erbrecht Familiengesetzbuch der DDR Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Festschrift
GBl. GbR GebrMG GenG GeschmMG GewO GewSchG GG GKG GmbH GmbH & Co. GmbHG GNG GrS GRUR GV GVBl. GVG GVGA GvKostG GvKostGr GVO GWB
Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Geschmacksmustergesetz Gewerbeordnung Gewaltschutzgesetz Grundgesetz Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Compagnie Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetz Großer Senat Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gebührenverzeichnis Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz über Kosten der Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieherkostengrundsätze Gerichtsvollzieherordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HAdoptÜ
Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption Haftpflichtgesetz Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats (6. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz) Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Handelsgesetzbuch Hinterlegungsordnung Heidelberger Kommentar zum HGB Haager Kindesentführungsübereinkommen herrschende Meinung Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Verband der Haftpflichtversicherer, Unfallversicherer, Autoversicherer und Rechtsschutzversicherer Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen
HaftpflG HausratsVO HaustürWG HGB HinterlO HK-HGB HKÜ hM HmbJVB. HOAI HUK-Verband HUVÜ
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
HZPÜ HZÜ
Haager Zivilprozessübereinkommen Haager Zustellungsübereinkommen
IBA IBR ICC ICCA iE i.G. i.L. InsO InsVV InVo IPR IPRax
International Bar Association Immobilien- und Baurecht International Chamber of Commerce International Council of Commercial Arbitration im Einzelnen/im Ergebnis in Gründung in Liquidation Insolvenzordnung Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung Insolvenz und Vollstreckung Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
JAmt JurBüro JuS JWG JZ
Das Jugendamt Das Juristische Büro Juristische Schulung Gesetz für Jugendwohlfahrt Juristenzeitung
KG KGR KindRG KindUG KonsularG KostO KostRÄndG KostRsp. KR
Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kammergericht-Report Berlin Kindschaftsreformgesetz Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder Konsulargesetz Kostenordnung Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen Kostenrechtsprechung Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften Kündigungsschutzgesetz Kunsturhebergesetz Kostenverzeichnis Kalenderwoche
KSchG KUG KV KW LAG LAGE LCIA LG LImSchG lit. LM LPartG LPG LuftRG LuftVG LugÜ LwVG
Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte London Court of International Arbitration Landgericht Landes-Immissionsschutzgesetz littera (Buchstabe) Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Lebenspartnerschaftsgesetz Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Luftverkehrsgesetz Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen
XXV
Abkürzungsverzeichnis
MaBV MDR MHG MitbestG MiZi MRVG
MTV MüKo MünchHdb.GesR MuSchG mwN MWSt.
Makler- und Bauträgerverordnung Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz zur Regelung der Miethöhe Mitbestimmungsgesetz Allgemeine Verfügung über Mitteilungen in Zivilsachen Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieurs- und Architektenleistungen (Haager) Übereinkommen über die Zuständigkeit und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen Manteltarifvertrag Münchener Kommentar Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer
NachbG NATO NdsRpfl. nF NJOZ NJW NJWE-FER NJWE-MietR NJW-RR n.v. NVwZ NVwZ-RR NZA NZBau NZG NZV
Nachbarrechtsgesetz North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht NJW-Entscheidungsdienst Mietrecht NJW-Rechtsprechungsreport nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Bau- und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
ÖRA OHG OLG OLGE OLG-NL OLGR OLGZ OVG
Öffentliche Rechtsauskunfts- und Beratungsstellen (Hamburg, Bremen) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungssammlung der Oberlandesgerichte OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht
p.a. PartG PartGG PatG PflVG PKH PKHB ProdHaftG PStG
pro anno Parteiengesetz Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz Pflichtversicherungsgesetz Prozesskostenhilfe Prozesskostenhilfebekanntmachung Produkthaftungsgesetz Personenstandsgesetz
MSA
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
r+s RA RegBetrVO RelKErzG RGBl. RGZ RiStBV RL RIW Rpfleger RPflG RPS
Recht und Schaden Rechtsanwalt Regelbetrag-Verordnung Gesetz über die religiöse Kindererziehung Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Richtlinie Recht der internationalen Wirtschaft Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Recht und Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit (Beilage zum BB)
SchG SchiedsVfG SchRG SchwbG SG SGB I–XII SGG SGO Bau SignG Slg. SP SRF-Satz StAG StAZ StGB StHG StPO str. StrEG StrWG StVG StVO StVollzG StVZO SVG
Scheckgesetz Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken Schwerbehindertengesetz Sozialgericht Sozialgesetzbuch, 1.–12. Buch Sozialgerichtsgesetz Schiedsgerichtsordnung für das Bauwesen einschließlich Anlagenbau Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) Sammlung Schaden-Praxis Spitzenrefinanzierungsfazilitätssatz der Europäischen Zentralbank Staatsangehörigkeitsgesetz Das Standesamt Strafgesetzbuch Staatshaftungsgesetz Strafprozessordnung streitig Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Straßen- und Wegegesetz Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Strafvollzugsgesetz Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung Soldatenversorgungsgesetz
TierschG TVG TzBfG
Tierschutzgesetz Tarifvertragsgesetz Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge
UKlaG
Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz) United Nations Commission on International Trade Law UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland US-Dollar Umsatzsteuergesetz
UNCITRAL UN-Übk-Schied UN-Übk-Unt USD UStG
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
UVG UWG
Unterhaltsvorschussgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VAHRG VBL VerbrKrG VermG VersR VG VGH VO VOB VOB/A VOB/B VRS VVG VwGO VwVG
Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Verbraucherkreditgesetz Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Versicherungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen VOB Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen VOB Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführungen von Bauleistungen Verkehrsrechtliche Sammlung Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsvollstreckungsgesetz
WEG WG WIPO WM WRP WÜD WuM
Wohnungseigentumsgesetz, Wohnungseigentümergemeinschaft Wechselgesetz World Intellectual Property Organization Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen Wohnungswirtschaft und Mietrecht
ZDG ZEV ZfBR ZfIR ZfS ZHR ZInsO ZIP ZMR ZPO ZPO-RG ZRHO ZS ZSEG ZVG ZZP
Zivildienstgesetz Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Baurecht Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Zivilprozessreformgesetz Rechtshilfeordnung für Zivilsachen Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung Zeitschrift für Zivilprozess
Vgl. im Übrigen Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache
XXVIII
Vor dem Verfahren Erster Teil Erste Schritte Kapitel 1 Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats I. 1. 2. 3. 4.
5.
6. II. 1. 2.
3.
Mandatsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschluss des Anwaltsvertrages . . . . . . . . . Prozess- und Verkehrsanwalt . . . . . . . . . . . Mandatsbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.1 Mandatsbestätigung gegenüber dem Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.2 Mandatsbestätigung gegenüber dem Verkehrsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.3 Mitteilung der Mandatsbestätigung an den Mandanten . . . . . . . . . . . . . . Mandatsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 44 Satz 1 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.4 Mandatsablehnung – fehlende Bereitschaft zur Übernahme . . . . b) Übernahmeverbote . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.5 Mandatsablehnung aufgrund Tätigkeitsverbots . . . . . . . . . . . . . c) Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.6 Mandatsablehnung – widerstreitende Interessen . . . . . . . . . . . . . Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.7 Einfache Vollmacht . . . . . . . . . . . . M 1.8 Einfache Vollmacht mit Ermächtigung zur Unterbevollmächtigung und zum Empfang von Geldern und Wertsachen . . . . . . . . . . . . . . . M 1.9 Untervollmacht . . . . . . . . . . . . . . . M 1.10 Außergerichtliche Vollmacht mit differenziertem Inhalt . . . . . . . . . . Prozessvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.11 Prozessvollmacht, lange Fassung, ausgerichtet auf die Vertretung im Zivilprozess und in Arbeitsgerichtssachen . . . . . . . . . . . . . .
1 1 4 17 20 22 23
III. 1. 2.
25 26 26 27 30 32 34 43 44 45 45 50 52
56 59 61 62 62 70
71
IV. 1. 2.
3. 4. V. 1. 2.
M 1.12 Prozessvollmacht, kurze Fassung, ausgerichtet auf die Vertretung im Zivilprozess und in Arbeitsgerichtssachen . . . . . . . . c) Folgen fehlender schriftlicher Vollmacht d) Besonderheiten bei Mandaten mit Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung . . . a) Im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durch vorformulierte Bedingungen . . . M 1.13 Haftungsbegrenzung durch vorformulierte Vertragsbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) In der Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.14 Haftungsbeschränkung auf einzelne Mitglieder einer Sozietät im Rahmen vorformulierter Vertragsbedingungen . . . . . . . . d) In der Partnerschaftsgesellschaft und Partnerschaftsgesellschaft mbB . . . . . . . e) Rechtsanwalts GmbH . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsanwalts AG . . . . . . . . . . . . . . . . . g) EG-Verbraucherschutz-Richtlinie . . . . . Honorarvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzhonorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 1.15 Honorarvereinbarung, Zusatzhonorar im Rahmen prozessualer Vertretung des Mandanten . . . . . . Beigeordneter Anwalt (§ 48 BRAO) . . . . . . Erfolgshonorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollzug der Niederlegung . . . . . . . . . . . . . M 1.16 Mandatsniederlegung, Schreiben an den Mandanten . . . . . . . . . . . . M 1.17 Niederlegung des Mandats, Schriftsatz an das Gericht . . . . . . . . . . . .
Vorwerk
72 74 77 78 78 83 84 92 97 99
107 108 110 112 113 114 114 116 118 121 122 123 123 125 127 129
1
Kap. 1 Rz. 1
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.18 Mitteilung über eine erfolgte Zustellung nach Niederlegung des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufnahme des Mandates durch den neuen Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 134
M 1.19 Schriftsatz, Anzeige der Übernahme der Vertretung nach erfolgter Niederlegung des Mandats durch einen anderen Anwalt . . . . . . . . . . 4. Niederlegung nach Beiordnung gem. § 48 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136 137
I. Mandatsübernahme 1. Vor der Entscheidung
1 Die Auseinandersetzung mit dem Gegner vor Gericht ist für den Mandanten in der Regel die Ultima Ratio. Entwickelt sich das Mandatsverhältnis über die Beratung hinaus, ist frühzeitig abzuklären, ob der Mandant gewillt ist, seine Interessen auch im Prozess durchzusetzen, oder ob er die prozessuale Auseinandersetzung scheut. Erst die Kenntnis darüber ermöglicht, mit dem Mandanten die Strategie abzusprechen, über die – weil der Streit entweder schon lange schwelt oder einer grundsätzlichen gerichtlichen Klärung zugeführt werden soll – möglichst schnell zur Klage geschritten oder – weil eine Klage unter allen Umständen zu verhindern ist – erreicht werden kann, sich ohne einen vom Mandanten gefürchteten Gesichtsverlust auf den status quo ante zurückzuziehen.
2 Erst wenn das Ziel des Mandanten definiert und der Weg zum Ziel, soweit zu diesem Zeitpunkt schon möglich, umrissen worden ist, sollte sich der Anwalt zur Übernahme des Mandates entschließen. Ziel und Weg zum Ziel definieren nicht nur die Aufgabe, die der Anwalt zu übernehmen bereit ist und dann auch zu übernehmen hat. Die Definition des Zieles und die Klärung des Weges dahin ermöglichen erst die sach- und interessengerechte Vertretung des Mandanten. Wird die Zielsetzung, und der Weg dahin nicht vor der Entscheidung, das Mandat zu übernehmen, geklärt, setzt der Anwalt nicht nur den Mandanten, sondern auch sich selbst – häufig nicht kalkulierbaren – Risiken aus: Sei es, dass er Entscheidungen trifft, die mit den Interessen des Mandanten nicht in Einklang stehen und eine eigene Haftung auslösen können; sei es, dass die Möglichkeit von Interessenkollisionen nicht schon vor Übernahme des Mandates erkannt wird, so dass das Mandatsverhältnis zu einem Zeitpunkt gekündigt werden muss, zu dem der Anwalt schon erheblichen Aufwand in das Mandat investiert hat und Gebührenansprüche gegenüber dem Mandanten nur deshalb nicht durchgesetzt werden können, weil der Anwalt den Grund für die Beendigung des Mandates wegen der sich erst später herausstellenden Interessenkollision selbst gesetzt hat.
3 Die Klärung des vom Mandanten letztendlich verfolgten Zieles und des Weges dahin sollte auch der Anwalt nicht versäumen, der seiner Partei gem. § 48 Abs. 1 BRAO – etwa im Falle der Prozesskostenhilfebewilligung (§ 121 ZPO), als Notanwalt (§§ 78b, 78c ZPO) oder in einer Scheidungssache als Beistand (§ 138 FamFG) – beigeordnet worden ist. In diesen Fällen trifft den Anwalt zwar die Pflicht zur Übernahme der Vertretung oder zur Beistandschaft (§ 48 Abs. 1 BRAO); der Anwalt kann jedoch beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn dafür wichtige Gründe vorliegen (§ 48 Abs. 2 BRAO). Als wichtiger Grund kommt nicht nur ein Vertretungsverbot (s. Rz. 27 ff.), also insbesondere auch der Fall der Interessenkollision, sondern auch eine unbehebbare Störung des Vertrauensverhältnisses in Betracht (BGH NJW-RR 1992, 189); wobei diese Voraussetzung häufig schon dann erfüllt sein wird, wenn sich der Mandant als beratungsresistent erweist; bei ihm folglich nicht die Bereitschaft besteht, dem sachlich begründeten Rat des Anwalts zu folgen, wie das Prozessziel erreicht werden kann (vgl. für den Fall der Prozesskostenhilfe BGH NJW-RR 1992, 189; OLG Celle NdsRpfl 2007, 154; OLG Brandenburg FamRZ 2004, 213; für den Fall des Notanwalts EzFamR ZPO § 78b Nr. 1). 2. Abschluss des Anwaltsvertrages
4 Für den Abschluss des Vertrages zwischen Anwalt und Mandant gelten die §§ 145 ff. BGB (so auch Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl. 2017, Rz. 31; Fischer/Vill/Fischer/ 2
Vorwerk
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 9 Kap. 1
Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2015, § 1 Rz. 12). Dass das Angebot auf Abschluss des Anwaltsvertrages stets vom Mandanten auszugehen hat, lässt sich aus § 44 BRAO nicht herauslesen (so aber noch Zugehör/Sieg, in der 2. Aufl. Rz. 9, Fahrendorf/Mennemeyer Rz. 32). § 44 BRAO verbietet dem Anwalt nämlich nicht, vor der Entscheidung über die Übernahme des Mandats (s. Rz. 1) die Vertretung des Mandats unter den Kautelen abzulehnen, die dem Mandanten für die Durchführung des Mandats vorschweben, und seinerseits die Voraussetzungen zu nennen, unter denen er bereit ist, das Mandat zu übernehmen (§ 150 Abs. 2 BGB). Der Anwaltsvertrag kann auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Um den Mandanten 5 vor Gebühren – und den Anwalt vor ungewollten Haftungsrisiken – zu schützen, stellt die Rechtsprechung (BGH NJW 2017, 1024 Rz. 17) jedoch erhöhte Anforderungen an die Annahme eines Vertragsschlusses durch schlüssiges Verhalten.
K
Praxistipp: Um Klarheit im Verhältnis zwischen Mandant und Anwalt, aber auch im Verhältnis zum Korrespondenzanwalt (s. Rz. 17 ff.) darüber zu schaffen, ob das Mandat erteilt oder übernommen worden ist, empfiehlt es sich, Telefongespräche, die zur Abklärung der Frage geführt werden, ob die Bereitschaft zur Übernahme eines Mandates besteht, mit dem Hinweis abzuschließen, dass das Mandat und damit auch die Fristenkontrolle übertragen oder übernommen oder noch nicht übertragen oder nicht übernommen worden ist.
6
Nimmt der Anwalt die vom Mandanten unterzeichnete Vollmachtsurkunde entgegen, ist dies Ausdruck für den stillschweigenden Abschluss des Anwaltsvertrages (Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2014, Rz. 63). Darf der Anwalt im Innenverhältnis von der nach außen unbeschränkt erteilten Vollmacht nur unter bestimmten Voraussetzungen Gebrauch machen, sollte dies dokumentiert werden. Inhalt des Anwaltsvertrages ist grundsätzlich das sog. uneingeschränkte Mandat (Fischer/Vill § 2 Rz. 16). Auch wenn den Mandanten die Beweislast dafür trifft, dass ein unbeschränktes Mandat erteilt worden ist (BGH NJW 1996, 2929), legt das Interesse an der Begrenzung von Risiken dem Anwalt nahe, nach Übergabe der Vollmachtsurkunde die im Innenverhältnis erfolgte Beschränkung des Mandates in einer Weise schriftlich fest zu halten, die es ihm ermöglicht, den Inhalt des Mandates jederzeit auch seinerseits urkundlich darzulegen. Wird dieses Gebot missachtet, kann der Mandant, der die im Innenverhältnis erfolgte Beschränkung des Mandats bestreitet, auf den Inhalt der eine unbeschränkte Vertretung dokumentierenden Vollmachtsurkunde verweisen. Der Inhalt der Vollmachtsurkunde ist Indiz für den Umfang des erteilten Auftrags. Für nachträgliche Änderungen des Auftrags ist der Anwalt beweispflichtig (BGH NJW 1994, 1472 und 3295). Differieren Inhalt der Vollmachtsurkunde und Umfang des Mandates, kann es folglich zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung kommen, wer im konkreten Fall die Beweislast dafür trägt, dass nicht mehr als die Erfüllung der Aufgaben geschuldet war, die der Anwalt auch erledigt hat.
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K
Wichtig: Im Rahmen des uneingeschränkten Mandats – aber auch des eingeschränkten Man- 8 dats in dessen Umfang – trifft den Anwalt die Pflicht, sich mit allen tatsächlichen und rechtlichen Problemstellungen zu befassen, die innerhalb der Erledigung des Auftrags einer Lösung bedürfen (BGH NJW 2008, 2041). Er muss den Mandanten auf Gefahren hinweisen, die erkennbar sind. Das gilt insbesondere, wenn Ansprüche gegen Dritte zu verjähren drohen, auch wenn die Verfolgung dieser Ansprüche nicht unmittelbar Gegenstand des erteilten Auftrags ist (vgl. etwa BGH NJW-RR 2005, 69).
Vertragsparteien des Anwaltsvertrages sind der Anwalt und der Auftraggeber. Ist der Anwalt Partner einer Sozietät, kommt der Vertrag in der Regel mit allen Außensozien (s. dazu BGH NJW 2008, 2122; NJW 1996, 2308; NJW 1991, 49) zustande. Erteilen mehrere Auftraggeber das Mandat, sind sie in der Regel in ihrer Gesamtheit Vertragspartner des Anwalts (§ 432 BGB); allerdings sind auch Fälle denkbar, in denen die Auftraggeber dem Anwalt als Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) gegenüberstehen.
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3
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Kap. 1 Rz. 10
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Praxistipp: Im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Honoraransprüchen verlangt die Rechtsprechung (BGH NJW-RR 2004, 489), allerdings eine interne Organisation innerhalb der Sozietät, die es ermöglicht, Honoraransprüche einzufordern, ohne dass die Mehrvertretungsgebühr des § 7 Abs. 1 RVG iVm. Nr. 1008 VV RVG entsteht.
11 Ist der Auftraggeber nicht zugleich derjenige, dessen Interessen wahrzunehmen sind, ist bei der Auftragserteilung zu klären, ob der zu beratende Dritte die anwaltliche Leistung selbst abzufordern berechtigt sein soll (§ 328 BGB; zu Einzelheiten Fischer/D. Fischer § 9 Rz. 1 ff.). Ein eigenes Forderungsrecht dürfte in der Regel bestehen, wenn der Auftrag lautet, die Korrespondenz mit dem Dritten unmittelbar zu führen. Zu klären ist mit dem zu beratenden Dritten zudem, ob sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit (§ 43a Abs. 2 BRAO) auch auf das Verhältnis zum Auftraggeber unmittelbar erstreckt. Davon ist zwar grundsätzlich auszugehen, wenn der Anwalt den Auftrag erhält, die Interessen eines Dritten wahrzunehmen. Ob dies dem Auftraggeber bei Erteilung des Auftrages bewusst ist, kann jedoch zweifelhaft sein. Für den – in der Praxis durchaus nicht seltenen – Fall, dass der Auftraggeber den Anwalt bittet, die Interessen eines dem Auftraggeber nahe stehenden Dritten (Ehefrau, Sohn, Tochter etc.) wahrzunehmen, sind die Informationsrechte des Auftraggebers deshalb vor Übernahme des Mandats klar abzustecken. Wird dies versäumt, könnte dem Anwalt eine Verletzung vorvertraglicher Beratungspflichten zur Last fallen, was im Falle der Kündigung des Mandats aus dem Gesichtspunkt des § 311 Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB zum Verlust des Honoraranspruchs führen kann (§§ 280 Abs. 1, 249 BGB – Schadensersatz in Form der Befreiung von der Verbindlichkeit).
12 Wird das Mandat durch die Rechtsschutzversicherung erteilt, ist Auftraggeber allerdings nicht der Rechtsschutzversicherer, sondern der Versicherte. Die Rechtsschutzversicherung handelt gem. § 17 Abs. 4 ARB 2012 (so ebenfalls schon in § 17 Abs. 2 ARB 2005 und ARB 1994 geregelt) namens und im Auftrag des Versicherten, wird also nicht Vertragspartner des Anwalts (vgl. dazu BGH NJW 1978, 1003).
13 Sind mehrere Auftraggeber Vertragspartner des Anwalts, kommt der Festlegung des von den Mandanten erstrebten Ziels und des Weges zum Ziel (s. Rz. 2) noch größere Bedeutung zu, als dies im Falle der Vertretung eines einzelnen Mandanten der Fall ist. Ist das Mandat übernommen, kommt es – sind Ziel und Weg zum Ziel zuvor nicht abgestimmt – häufig zu Unstimmigkeiten zwischen den Auftraggebern, welches Ziel und auf welchem Wege dieses Ziel verfolgt werden soll.
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Praxistipp: Um die Abstimmung der Auftraggeber untereinander in die Sphäre der Auftraggeber und nicht die des Anwalts zu verlagern, empfiehlt es sich, mit den Auftraggebern zu vereinbaren, dass einer der Auftraggeber für alle Auftraggeber – bis zu einem etwaigen Widerruf – die nötigen Weisungen erteilt; die Auftraggeber müssen mithin dem im Innenverhältnis weisungsberechtigten Auftraggeber entsprechende Vollmacht erteilen.
15 Verändert sich im Laufe der Betreuung der Mandanten die Beurteilung des Erfolgs- und Kostenrisikos (s. dazu Kap. 4), sind von den einzelnen Auftraggebern unterschiedliche Reaktionen über die Fortführung des Mandats zu erwarten; ist keine einheitliche Zielsetzung oder keine Einigung darüber zu erreichen, wie weiter agiert werden soll, kollidieren die Interessen der Auftraggeber untereinander.
16 Jener Interessenkollision kann sich der Anwalt, da er das Mandat zuvor für alle Auftraggeber übernommen hatte in der Regel nur dadurch entziehen, dass er das Mandat für alle Auftraggeber niederlegt (vgl. BVerfG BRAK 2003, 231, das einen verantwortungsvollen Umgang des Anwalts mit einer derartigen Situation fordert). Sind vorher Ziel und Weg nicht gemeinsam festgelegt worden, läuft der Anwalt Gefahr, entweder unter dem Gesichtspunkt der §§ 311 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 280 Abs. 1, 249 BGB (früher: c.i.c.; vgl. NJW 1980, 2128; einschränkend wohl Fischer/Rinkler § 1 Rz. 207, § 13 Rz. 13 ff.) oder dem Gesichtspunkt des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB wiederum seinen Honoraranspruch gegenüber allen Auftraggebern zu verlieren. Wird die Zielsetzung vor Übernahme des Mandats dagegen abgestimmt und abgeklärt, wie das Ziel erreicht werden soll, steht dem Anwalt, dem angetragen wird, mehrere Auftraggeber zu vertreten, von vornherein offen, das Mandat nur für einen oder 4
Vorwerk
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 20 Kap. 1
einzelne Auftraggeber zu übernehmen und die Übernahme des Mandats im Verhältnis zu den übrigen Auftraggebern abzulehnen. In diesem Fall setzt sich der Anwalt folglich nicht der Frage aus, ob er selbst die Interessenkollision bei Übernahme des Mandats hat voraussehen und deshalb verhindern können, dass ihm von allen Auftraggebern das Mandat erteilt wird. 3. Prozess- und Verkehrsanwalt Ist abzusehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Gegner in einen Prozess münden wird, ist zu klären, ob – etwa weil die Distanz zwischen Gerichtsstand des Beklagten und Sitz der Kanzlei des Anwalts – ein weiterer Anwalt für die Prozessführung (Prozessanwalt) einzuschalten ist und der das Mandat zunächst unmittelbar übernehmende Anwalt dann die Aufgabe des Verkehrs- oder Korrespondenzanwaltes übernehmen soll.
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Wie die Zusammenarbeit zwischen den Mandanten einerseits und den beauftragten Anwälten (Ver- 18 kehrs- und Korrespondenzanwalt) andererseits oder den beauftragten Anwälten bei Einschaltung eines Prozessanwalts untereinander gestaltet wird, hängt von den Absprachen der Beteiligten ab. Das gilt grundsätzlich auch für die Frage, wie die Tätigkeit der beteiligten Anwälte zu honorieren ist. Zwar erhält der Verkehrsanwalt gem. Nr. 3400 VV RVG lediglich eine Gebühr in Höhe der dem Prozessbevollmächtigten zustehenden Verfahrensgebühr. Verkehrs- und Prozessanwalt können jedoch unter den Voraussetzungen des § 49b Abs. 3 BRAO eine Aufteilung aller bei der Bearbeitung entstehenden Gebühren vereinbaren (s. dazu auch Kap. 43 Rz. 219 ff.). Von einer entsprechenden Vereinbarung ausgeschlossen sind allerdings die beim Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 49b Abs. 3 Satz 6 BRAO). Sind sie, weil das Verfahren an den Bundesgerichtshof gelangt, als Prozessanwälte einzuschalten, kommt eine Gebührenteilung nicht in Betracht, so dass sich die Aufgaben des Verkehrsanwalts in diesen Fällen regelmäßig darauf beschränken, den Verkehr mit dem Mandanten zu vermitteln; während in allen anderen Fällen – wenn der Verkehrsanwalt einen über die Gebühr der Nr. 3400 VV RVG hinausgehenden Anteil an den insgesamt entstehenden Gebühren begehrt – üblich ist, dass der Verkehrsanwalt auch die Schriftsätze vorbereitet. Übernimmt der Verkehrsanwalt, weil er sich nicht auf die Gebühr der Nr. 3400 VV RVG beschrän- 19 ken will, weitere Aufgaben als nur die Vermittlung des Verkehrs zum Mandanten, birgt dies – in der Praxis – sowohl für den Mandanten wie auch für beide beteiligten Anwälte (Verkehrs- und Prozessanwalt) typische Gefahren, die in der Regel darauf beruhen, dass sich jeder der beiden beteiligten Anwälte in der Annahme wiegt, der andere werde auf die für die Sachverhaltsaufklärung und die für die Prozessführung maßgebenden Umstände achten. Verkannt wird dabei allerdings, dass der Prozessanwalt weder Unterbevollmächtigter noch Erfüllungsgehilfe des Verkehrsanwalts oder umgekehrt der Verkehrsanwalt Unterbevollmächtigter des Prozessbevollmächtigten ist (BGH NJW-RR 1990, 1241; NJW 1988, 3013). Prozess- und Verkehrsanwalt stehen zum Mandanten vielmehr in selbständigen Vertragsverhältnissen mit eigenständigen Aufgabenbereichen (zur Abgrenzung der Aufgaben s. Fischer/Rinkler Rz. 250. und Borgmann/Jungk/Schwaiger § 38 Rz. 60 ff.). Die Pflichtenkreise von Prozessanwalt und Verkehrsanwalt sind zwar strikt voneinander zu trennen, im Haftungsfall wird jedoch nicht selten der Versuch unternommen, den Fehler in den Verantwortungsbereichen des jeweils anderen zu verlagern. 4. Mandatsbestätigung Über die von ihm geführten Handakten muss der Rechtsanwalt ein geordnetes Bild seiner Tätigkeit 20 geben können (§ 50 Abs. 1 BRAO). Im Verhältnis zum Mandanten beginnt die anwaltliche Tätigkeit mit dem Abklären der für den Mandanten zu erledigenden Aufgaben. Jede Handakte sollte demgemäß kurze Zeit nach Übernahme des Mandates die Kopie des Briefes enthalten, in dem dem Mandanten die Mandatsübernahme bestätigt und wiedergegeben wird, welches Ziel der erteilte Auftrag verfolgt und auf welchem Wege – auf der Grundlage der ersten Erörterungen vor Übernahme des Mandates (s. Rz. 1 f.) – dieses Ziel erreicht werden soll. Vorwerk
5
Kap. 1 Rz. 21
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.1
Praxistipp: Zwingt sich der Anwalt, nach diesem Prinzip zu verfahren, wird er sich beim Diktat der Mandatsbestätigung – schon aufgrund des zeitlichen Abstandes zum Gespräch mit dem Mandanten – in der Regel selbst kontrollieren, ob die wesentlichen Einzelheiten im Gespräch mit dem Mandanten bedacht worden sind, die zur Erfüllung des erteilten Auftrages von Bedeutung sind. Die nach der schriftlichen Mandatsbestätigung bestehende Gewissheit, alle derzeit nötigen Schritte bedacht zu haben, wiegt den zeitlichen Mehraufwand auf, der durch das Diktat der Mandatsbestätigung entsteht; zumal die Mandatsbestätigung mit der Mitteilung an den Mandanten verbunden werden kann, dass die ersten Schritte zur Erledigung des Auftrages eingeleitet sind.
22 M 1.1 Mandatsbestätigung gegenüber dem Mandanten … Sehr geehrter Herr Gröben, in Ihrer Sache gegen die Konrad Meyer GmbH (nachfolgend: Meyer GmbH) nehme ich Bezug auf unser am … geführtes Gespräch. Sie hatten mich gebeten, Ihre Interessen gegenüber der Meyer GmbH zu vertreten, nachdem sich herausgestellt hat, dass der von Ihnen am … von der Meyer GmbH erworbene BMW Z 4 entgegen den Äußerungen des Verkäufers, mit dem Sie über den Ankauf des Fahrzeuges verhandelt haben, vor dem Erwerb einen Unfall erlitten hat, bei dem das Fahrzeugheck in Mitleidenschaft gezogen worden ist. In unserem Gespräch hatten Sie erläutert, dass Sie an einer Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht interessiert sind; Sie haben vielmehr Interesse daran, den Kaufpreis für das Fahrzeug zu mindern. Versucht werden soll zunächst, dass der Kaufpreis um etwa 2.500 Euro gemindert wird. Sollte die Meyer GmbH dazu nicht bereit sein, soll eine entsprechende Minderung klageweise durchgesetzt werden. Sie hatten erläutert, dass Sie eine Rechtsschutzversicherung unterhalten, die „die Kosten schon decken würde“. Um dies prüfen zu können, wollten Sie mir die Vertragsunterlagen über die von Ihnen unterhaltene Rechtsschutzversicherung hergeben. Bitte denken Sie daran, dass dies umgehend erfolgt, da ich mit Ihnen das weitere Vorgehen erneut abstimmen muss, sofern sich herausstellen sollte, dass Ihre Rechtsschutzversicherung die Kosten, die durch meine Tätigkeit und einen eventuell anzustrengenden Rechtsstreit entstehen, nicht deckt. Dass ich bereit bin, das mir angetragene Mandat zu übernehmen, hatte ich Ihnen schon in unserem Gespräch am … gesagt. Ich habe inzwischen die Meyer GmbH angeschrieben, so wie wir das abgesprochen hatten. Eine Kopie meines an die Meyer GmbH herausgegangenen Schreibens füge ich bei. Eine Zahlungsfrist habe ich der Meyer GmbH noch nicht gesetzt. Die damit verbundenen Folgen hatten wir erörtert. Verabredet war, dass ich eine Zahlungsfrist bis zum … ansetze, sofern die Meyer GmbH nicht bis zum … den Anspruch auf Minderung zumindest dem Grunde nach anerkennt. Den BMW Z 4 wollten Sie, sofern die Meyer GmbH dies wünscht, der Meyer GmbH vorführen, damit das Fahrzeug dort untersucht werden und die Meyer GmbH eigene Feststellungen zum Heckschaden treffen kann. Für den Fall der klagweisen Durchsetzung des Anspruches benötige ich noch … …
23 M 1.2 Mandatsbestätigung gegenüber dem Verkehrsanwalt1 … Sehr geehrter Herr Kollege Knörr, in der Sache Wohlfahrt GmbH gegen Eisenhauer bestätige ich Ihnen den Eingang Ihres Schreibens vom …, in dem Sie mich gebeten haben, für die Wohlfahrt GmbH Klage vor dem Landgericht Kiel zu erheben. Die weitere Korrespondenz werde ich – gem. Ihrer Weisung – unmittelbar mit der Wohlfahrt GmbH führen. Ansprechpartner ist dort Herr Knöpf. Der Wohlfahrt GmbH habe ich einen Abdruck dieses Schreibens und
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M 1.4
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 27 Kap. 1
seiner Anlage schon zur Kenntnis zugeleitet. Ich melde mich wieder, sobald ich die mir für die Fertigung der Klageschrift überlassenen Unterlagen durchgearbeitet habe. Sollten sich Fragen ergeben, melde ich mich bei Ihnen und, sofern Sie nicht erreichbar sind, bei der Wohlfahrt GmbH. Herrn Knöpf von der Wohlfahrt GmbH bitte ich allerdings auf diesem Wege schon jetzt, Fragen, die ich stelle, schnellstmöglich zu beantworten, da wegen der am 31.12.20 … ablaufenden Verjährungsfrist Eile geboten ist. Sie selbst werde ich über den weiteren Verlauf des Verfahrens durch Übermittlung von Abschriften unterrichten. 1 S. dazu Rz. 17 aE.
K
Praxistipp: Dem Mandanten sollte die Mandatsbestätigung gem. M 1.2 nicht formularmäßig zur Kenntnis übermittelt werden. Der Mandant muss vielmehr im Anschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sich im anliegenden Schreiben auch Informationen befinden, die ihn unmittelbar selbst betreffen und für ihn wichtig sind.
M 1.3 Mitteilung der Mandatsbestätigung an den Mandanten1
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Im Anschluss an M 1.2 … Sehr geehrter Herr Knöpf, in der Sache Wohlfahrt GmbH gegen Schröder übermittle ich anbei mein Schreiben an den Kollegen Knörr; bitte beachten Sie den Inhalt jenes Schreibens. Das Schreiben enthält wichtige Informationen für Sie. … 1 S. dazu Rz. 18.
5. Mandatsablehnung a) § 44 Satz 1 BRAO Zur Übernahme eines Mandat ist der Anwalt grundsätzlich nicht verpflichtet, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 BRAO vor (s. Rz. 3). § 44 Satz 1 BRAO verpflichtet den Anwalt jedoch, die Ablehnung des Mandats unverzüglich zu erklären; verletzt er diese Pflicht, hat er dem Rechtsuchenden den aus der verspäteten Mitteilung entstandenen Schaden zu ersetzen (s. dazu im Einzelnen Fischer/Rinkler § 1 Rz. 208.; Borgmann/Jungk/Schwaiger § 13 Rz. 73 f.).
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M 1.4 Mandatsablehnung – fehlende Bereitschaft zur Übernahme
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… Sehr geehrte Frau …, in Ihrer Sache gegen Rechtsanwalt Schimmel habe ich die mir übermittelte Heftung, in der sich das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 3 U 212/17 – vom … sowie die Korrespondenz zwischen Ihnen und Rechtsanwalt Schimmel befunden hat, eingehend studiert. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich das Mandat nicht übernehmen möchte. Ich sehe mich zu Ihrer Vertretung in dieser Sache nicht in der Lage. Sollten Sie gleichwohl weiterhin etwaige Regressansprüche gegen Rechtsanwalt Schimmel unter Hinweis darauf durchführen wollen, Rechtsanwalt Schimmel habe Ihre Interessen im Berufungsverfahren vor dem
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Kap. 1 Rz. 28
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.4
Oberlandesgericht Karlsruhe nicht sachgerecht vertreten, müssen Sie sich sogleich an einen anderen Kollegen wenden. Etwaige Ansprüche, die darauf beruhen könnten, dass Rechtsanwalt Schimmel im Berufungsverfahren nicht den Vortrag gehalten hat, den Sie für erheblich erachten, unterliegen der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. Als Beginn der Verjährungsfrist notieren Sie bitte den Tag des Ablaufs der Frist für die Berufungsantwort, die Rechtsanwalt Schimmel für Sie im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorzulegen hatte. Da die Verjährungsfrist erst mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem Sie Kenntnis von dem Rechtsanwalt Schimmel unterlaufenen Fehler erlangt haben oder bei Anwendung der Ihnen auferlegten Sorgfalt (§ 199 Abs. 2 BGB) hätten erlangen können, kann ich nicht ausschließen, dass die Frist für die Verjährung zu einem späteren Zeitpunkt zu laufen begonnen hat. Sie wahren die Verjährungsfrist jedoch jedenfalls, wenn Sie etwaige Ansprüche vor dem … gegen Rechtsanwalt Schimmel gerichtlich geltend machen. Die mir überlassenen Unterlagen füge ich bei. Bitte bestätigen Sie mir den Erhalt der Sendung auf der beiliegenden Kopie dieses Schreibens. Einen Freiumschlag habe ich ebenfalls beigelegt.
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Praxistipp: Auch wenn das Mandat abgelehnt wird, können sich für den Anwalt Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB führen kann (vgl. Fischer/Rinkler § 1 Rz. 207 ff.). Auch der das Mandat ablehnende Anwalt sollte daher den Rechtsuchenden auf alle Fristen hinweisen, die – erkennbar – gegenwärtig laufen und bei deren fruchtlosem Ablauf dem Rechtsuchenden Nachteile drohen. Auch abgelehnte Mandate sollten im Mandatsregister erfasst und innerhalb der für das Mandat angelegten Akte in einem Umfang Aufzeichnungen gemacht werden, die es dem Anwalt ermöglichen nachzuvollziehen, was Gegenstand seiner Prüfung war, damit er etwaige Haftungsansprüche sachgerecht abwehren kann.
29 Übergibt der Rechtsuchende im ersten Gespräch mit dem Anwalt ein unübersichtliches Konvolut von Unterlagen oder ist dem Anwalt nicht möglich, im ersten Gespräch den Sachverhalt so zu erfassen, dass er entscheiden kann, ob er das Mandat übernehmen will, empfiehlt sich, gegenüber dem Mandanten klarzustellen, bis wann die Entscheidung über die Übernahme des Mandates getroffen wird. Diese Klarstellung ist mit dem Hinweis zu verbinden, dass eine Überwachung etwaiger laufender Fristen über diesen Zeitraum hinweg nicht übernommen werden kann; wobei dem Mandanten freizustellen ist, ob er im Hinblick darauf einen anderen Kollegen aufsuchen will. b) Übernahmeverbote
30 § 45 BRAO normiert die Voraussetzungen, unter denen der Anwalt seine Tätigkeit versagen muss. Verstöße gegen die Übernahmeverbote des § 45 BRAO führen gem. § 134 BGB zur Nichtigkeit eines etwa dennoch geschlossenen Anwaltsvertrages (zu § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO: BGH NJW 2016, 1235; im Übrigen: Fischer/Rinkler § 1 Rz. 49). Hat der Anwalt bei Übernahme des Mandats nicht erkannt oder erkennen können, dass er gem. § 45 BRAO seine Tätigkeit zu versagen hat, erwirbt er mithin auch keinen Gebührenanspruch für die Tätigkeiten, die er entfaltet hat, bevor von ihm entdeckt worden ist, dass er seine Tätigkeit hätte versagen müssen. Die Tätigkeitsverbote des § 45 BRAO bestehen unabhängig davon, ob der Mandant in die Tätigkeit des Anwalts nach Aufklärung über das Tätigkeitsverbot eingewilligt hat (Borgmann/Jungk/Schwaiger § 12 Rz. 55, 41).
31 Die Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 und 2 BRAO sind im Übrigen nicht nur vom betroffenen Anwalt selbst zu beachten; sie gelten auch für die Anwälte, mit denen der durch das Tätigkeitsverbot unmittelbar betroffene Anwalt in einer Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbunden oder verbunden gewesen ist (§§ 45 Abs. 3 BRAO; s. dazu im Einzelnen Quaas NJW 2008, 1697 ff.; Deckenbrock AnwBl. 2009, 170).
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M 1.5
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 36 Kap. 1
M 1.5 Mandatsablehnung aufgrund Tätigkeitsverbots
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… Sehr geehrter Herr Schröder, in Ihrer Sache gegen Adomeit danke ich für Ihre Sendung vom … Ihrer Bitte, Ihre Vertretung zu übernehmen, kann ich leider nicht Folge leisten. Aus den mir überlassenen Unterlagen habe ich ersehen, dass Sie darüber streiten, wie die am … vom Notar Dr. August Hug mit Amtssitz in Bremen aufgenommene Urkunde auszulegen ist. Ich war seinerzeit in der Sozietät, der auch der Kollege Hug angehört hat, als angestellter Anwalt tätig. Das Mandat kann ich daher in dieser Sache gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAO nicht übernehmen. Wenn ich Ihnen bei der Suche nach einem anderen Kollegen, der die Sache bearbeiten soll, behilflich sein soll, geben Sie bitte Nachricht. Zugleich bitte ich darum, mir den Eingang dieser Sendung zu bestätigen.
Besteht ein Tätigkeitsverbot – oder auch ein Fall der Interessenkollision (s. Rz. 34 ff.) –, bedarf es 33 der Abwägung, in welchem Umfang eine Begründung dem Mandanten oder Kollegen dafür gegeben werden kann, weshalb das angetragene Mandat nicht übernommen werden kann. Zu beachten hat der Anwalt nämlich, dass ihm aus dem früheren Geschäftsbesorgungsverhältnis, das das Tätigkeitsverbot begründet, nachvertragliche Pflichten, wie u.a. auch die Schweigepflicht, obliegen können (vgl. zu diesen Pflichten Fischer/Rinkler § 1 Rz. 228). Gegebenenfalls hat sich der Anwalt mithin zur Begründung der Ablehnung des Mandates darauf zu beschränken mitzuteilen, er sei „aus den Gründen des § 45 BRAO an der Übernahme des Mandates gehindert“. c) Interessenkollision Durch § 43a Abs. 4 BRAO ist dem Anwalt untersagt, widerstreitende Interessen zu vertreten. Ver- 34 stößt der Anwalt gegen § 43a Abs. 4 BRAO, hat dies ebenfalls die Nichtigkeit eines gleichwohl geschlossenen Anwaltsvertrages zur Folge (BGH NJW 2016, 2561). § 3 Abs. 1 der Berufsordnung (BO) erweitert das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen. Danach darf der Anwalt auch dann nicht tätig werden, wenn er, gleich in welcher Funktion, eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise iS des § 45 BRAO beruflich befasst war (§ 3 Abs. 1 BO). Dabei gilt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auch, wenn die mit dem dem Anwalt angetragenen Mandat widerstreitenden Interessen von einem Sozius oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen Kollegen wahrgenommen werden oder wahrgenommen worden sind (§ 3 Abs. 2 BO). Unter welchen Voraussetzungen die Interessen zweier Parteien widerstreiten, ist nicht normiert und in der Rechtsprechung sowie im Schrifttum umstritten (s. im Einzelnen: Feuerich/Weyland, 8. Aufl. 2012, § 43a BRAO Rz. 54 ff.; Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 5. Aufl. 2012, § 3 Rz. 72 ff.). Für die Beurteilung, ob widerstreitende Interessen vorliegen, ist die von Hartung (Hartung § 3 Rz. 73) empfohlene Abgrenzung hilfreich, nach der es allein auf eine rein objektive Bewertung der Interessenlage der Parteien ohne Rücksicht auf deren Zielsetzung und Beurteilung ankommt. Von diesem Grundsatz ausgehend verbietet sich die Übernahme anwaltlicher Tätigkeit im Zivilverfahren u.a. in folgenden Fällen, bei denen allerdings in der Praxis das Verbot der § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA häufig nicht beachtet wird:
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– Vertretung von Streitgenossen: Notwendige Streitgenossen (s. dazu Kap. 13 Rz. 60, 64 ff.) haben in der Regel gleich gerichtete Interessen; bei einfachen Streitgenossen (s. dazu Kap. 13 Rz. 60, 71 ff.) ist das häufig fraglich. Werden mehrere Beteiligte an einer Rauferei in ein- und demselben Verfahren vom Kläger als Beklagte in Anspruch genommen, bedeutet dies keineswegs, auch wenn der Kläger gemeinschaftliches Handeln der Beklagten behauptet, dass die Beklagten gleich gerich-
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Kap. 1 Rz. 37
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
tete Interessen haben. Das weitere Verfahren kann durchaus ergeben, dass für einen der Beteiligten an der Schlägerei die Chance besteht, den Beweis zu erbringen, dass sein Verhalten den entstandenen Schaden nicht verursacht haben kann (vgl. dazu BGH VersR 1985, 268 f.; VersR 1979, 822). Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, dass die als Gesamtschuldner in Anspruch genommenen Beklagten untereinander ausgleichspflichtig sind und für sie untereinander möglicherweise durch Streitverkündung sichergestellt werden muss, dass die sie als Gesamtschuldner verurteilende Entscheidung Bindungswirkung entfaltet (s. dazu Kap. 19 Rz. 50 f.) und die Verjährung des Ausgleichsanspruches gehemmt wird (vgl. BeckOK/Dressler, Edition 29, § 72 ZPO Rz. 12; MüKo.ZPO/Schultes § 72 ZPO Rz. 11).
37 – Streithelfer: Auch wenn der Beklagte und sein Streithelfer sich mit dem Antrag auf Abweisung der Klage gemeinsam gegen die Inanspruchnahme durch den Kläger wehren, bestehen zwischen ihnen in der Regel widerstreitende Interessen. Der Beklagte muss im Rahmen der Prozessführung die Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs gegen den Streithelfer im Auge behalten und zu erreichen versuchen, dass die Tatsachen festgestellt werden, die ihm im Regressprozess günstig sind. Der Streithelfer muss hingegen darauf achten, dass er im Regressprozess noch geltend machen kann, durch Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei gehindert worden zu sein, Angriffsoder Verteidigungsmittel geltend zu machen, die ein Obsiegen bewirkt hätten (§ 68 ZPO). Darüber hinaus ist die Hauptpartei nach Abschluss des Verfahrens jedenfalls auf den Lauf etwaiger Verjährungsfristen, insbesondere auf die Frist des § 204 Abs. 2 BGB, für die Durchsetzung des Regressanspruches gegen den Streithelfer hinzuweisen (s. dazu etwa Fischer/Rinkler § 1 Rz. 229 ff.). Zwischen Hauptpartei und Streithelfer ist daher stets von widerstreitenden Interessen auszugehen und die Übernahme der Vertretung beider im Prozess abzulehnen.
38 – Zwangsvollstreckung: Wird der Anwalt zunächst für den Mandanten A gegen den Gegner B tätig und trägt nunmehr C in einer völlig anderen Rechtssache dem Anwalt an, ebenfalls gegen B Klage zu erheben, bahnt sich ein Interessengegensatz für den Fall an, dass die Klage sowohl des A wie auch des C gegen B jeweils Erfolg hat, wenn nicht von vornherein klargestellt worden ist, dass sich A und C wegen der Zwangsvollstreckung aus einem obsiegenden Urteil gegen B sogleich an einen anderen Anwalt wenden müssen. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist der Rang, den das Pfändungspfandrecht erlangt, für den Erfolg der Zwangsvollstreckung von entscheidender Bedeutung (s. MüKo.ZPO/Gruber § 804 ZPO Rz. 31). Liegt sowohl für den A wie auch für den C ein – und sei es nur vorläufig – vollstreckbares Urteil vor, haben sowohl A wie auch C ein Interesse daran, ein vor dem anderen vorrangiges Pfandrecht zu erlangen. Hat der Anwalt nicht von vornherein klargestellt, dass die Zwangsvollstreckung durch einen Kollegen durchgeführt werden muss, ist die Interessenkollision vorhersehbar.
39 – Hinterlegung von Geld zur Abwendung der Zwangsvollstreckung o.ä. beim Gegenanwalt: Zwischen den Anwälten der Parteien wird – vermeintlich zur Vereinfachung – häufig vereinbart, eine Sicherheitsleistung beim Gegenanwalt zu hinterlegen, um die Zwangsvollstreckung des Gegners abzuwenden. Mit diesem Verfahren verstoßen beide beteiligten Anwälte gegen § 3 BORA (s. dazu Hartung § 3 Rz. 86 ff.).
40 – Aktenauszug: Im Rahmen eines Unfallmandates wird der Anwalt von der gegnerischen Haftpflichtversicherung häufig darum gebeten, gegen Entgelt Aktenauszüge für die gegnerische Haftpflichtversicherung zu erstellen. Kommt der Anwalt dieser Bitte nach, verletzt er ebenfalls das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten (s. dazu Hartung § 3 Rz. 77 ff.).
41 Ist der Anwalt gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, tätig geworden, weil er bei Ausführung des Mandats die widerstreitenden Interessen nicht erkannt hat, hat er seinen Mandanten über die vorliegende Interessenkollision unter Beachtung seiner Schweigepflicht (s. Rz. 14, 29) zu unterrichten und die Grundsätze zu beachten, die das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 3.7.2003 (NJW 2003, 2520) aufgestellt hat. Die Mitteilung über die Mandatsniederlegung, die an die Mandanten geht, muss jeweils so abgefasst sein, dass aus der Formulierung keinem der betroffenen Mandanten ein Nachteil entstehen kann. 10
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M 1.6
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 47 Kap. 1
Vom Mandanten geleistete Vorschüsse sind, da wegen des Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO der 42 Anwaltsvertrag nichtig ist (s. Rz. 30), zurückzuzahlen. In der Literatur (s. Hartung § 3 Rz. 172) wird zwar lediglich die Auffassung vertreten, eine vom Mandanten bereits geleistete Vergütung könne gem. § 812 BGB zurückgefordert werden. Die in § 43 BRAO normierte Pflicht des Anwalts, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich – insbesondere innerhalb – des Berufes der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, die die Stellung des Rechtsanwaltes erfordert, gebietet jedoch die Rückzahlung erlangter Vorschüsse, ohne dass es dazu erst einer Aufforderung durch den Mandanten bedarf.
M 1.6 Mandatsablehnung – widerstreitende Interessen
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… Sehr geehrte Frau Schubert, in der Sache gegen Augustin bitte ich um Nachsicht, dass ich das mir in der Besprechung am … angetragene Mandat nicht übernehmen kann. Ich hatte Ihnen erläutert, dass ich vor der Erklärung, ob ich das Mandat übernehme, prüfen muss, ob ich aufgrund widerstreitender Interessen an der Übernahme des Mandates gehindert bin. Eine Durchsicht der Akten des entsprechenden Verfahrens, an das ich mich in unserem Gespräch erinnert hatte und das seit mehreren Jahren abgeschlossen ist, hat ergeben, dass ich nicht tätig werden kann. Bitte setzen Sie sich deshalb mit einem anderen Kollegen sogleich in Verbindung. Die mir überlassenen Unterlagen reiche ich anbei zurück. Bitte bestätigen Sie auf der beiliegenden Kopie dieses Briefes den Erhalt der Sendung. Einen Freiumschlag habe ich ebenfalls beigelegt.
6. Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Bei Mandatsbeginn sind auch die Informationspflichten aus Art. 13 und 14 der Europäischen Daten- 44 schutzgrundverordnung (DSGVO, ABl. L 119, S. 1, ber. ABl. L 314, S. 72 und ABl. 2018, L 127, S. 2) zu beachten. Weitergehende Pflichten können sich bspw. aus Art. 9 DSGVO bei der Verarbeitung „besonderer personenbezogener Daten“ oder bei der Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen (Art. 44 ff. DSGVO) ergeben. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat ein Merkblatt zur Umsetzung der DSGVO in Anwaltskanzleien veröffentlicht sowie ein einfaches Muster zur Erfüllung der Pflichten nach der DSGVO entworfen (online abrufbar, https://anwaltverein.de/de/praxis/datenschutz, Stand: 30.10.2018).
II. Vollmacht 1. Grundlagen Wird eine Partei im Prozess – und zwar nicht nur im Anwaltsprozess – durch einen Anwalt vertreten, wird die Vollmacht des Anwalts nur aufgrund entsprechender, unverzichtbarer (Zöller/Althammer § 88 ZPO Rz. 3) Rüge vom Gericht geprüft (zu Besonderheiten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren s. Zöller/Althammer § 88 ZPO Rz. 4).
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Praxistipp: Weckt der Prozessbevollmächtigte selbst ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit sei- 46 ner Bevollmächtigung, darf das Gericht die Vollmacht auch von Amts wegen prüfen (BGH BB 2001, 1065). Vorsicht ist insoweit folglich geboten; dem Anwalt, der das Fehlen seiner Bevollmächtigung kennt, sind die Verfahrenskosten als Veranlasser des Verfahrens aufzuerlegen (BGH NJW 2017, 2683 Rz. 10). Die in Rz. 11 beschriebene Konstellation zwingt den Anwalt folglich stets zu prüfen, ob die Prozessführung vom „zu beratenden Dritten“ im Sinne der in Rz. 11 beschriebenen Konstellation auch gewollt ist.
Die Rüge fehlender Vollmacht wird in der Praxis selten erhoben. Dies darf aber nicht dazu verleiten, 47 auf die Ausstellung einer oder mehrerer schriftlicher Vollmachten durch den Mandanten zu verzichVorwerk
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Kap. 1 Rz. 48
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.7
ten. In der vorprozessualen Auseinandersetzung ist die schriftliche Vollmacht regelmäßig erforderlich, wenn im Namen des Mandanten ein einseitiges Rechtsgeschäft – also insbesondere eine Kündigung – vorzunehmen ist. Weist der Gegner das Rechtsgeschäft unter Hinweis auf die fehlende Vorlage der Vollmacht unverzüglich zurück, ist das vom Anwalt in Vollmacht seiner Partei vorgenommene Rechtsgeschäft unwirksam (§ 174 Satz 1 BGB). Der Anwalt setzt sich in diesem Falle Haftungsansprüchen seines Mandanten aus (BGH NJW 1994, 1472).
48 Hat der Anwalt Vollmacht erteilt erhalten, den Streit außergerichtlich im Rahmen eines Anwaltsvergleiches (s. dazu Kap. 3 Rz. 2) abzuschließen, sollte sich der Anwalt in jedem Falle eine entsprechende schriftliche Vollmacht vom Mandanten unterzeichnen lassen. Das gilt auch, wenn sich die Vollmacht lediglich auf den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleiches (§ 779 BGB), also nicht eines für vollstreckbar zu erklärenden Anwaltsvergleiches, erstreckt. Da nicht auszuschließen ist, dass auch im Prozess die ordnungsgemäße Bevollmächtigung bestritten wird, gefährdet der Anwalt, der sich vom Mandanten nicht schon vor Klageerhebung oder vor der Verteidigungsanzeige eine Prozessvollmacht unterzeichnen lässt, seine eigenen Vermögensinteressen (s. dazu Rz. 74 f.). Vollmachtsformulare sind im einschlägigen Fachhandel (Dreske & Krüger, Hans Soldan GmbH etc.) auch in zweisprachigen Versionen (deutsch/englisch; deutsch/spanisch; deutsch/französisch; deutsch/italienisch; deutsch/türkisch etc.) erhältlich, so dass der Anwalt, der fremdsprachige Mandanten betreut – unabhängig von den hier aufgeführten Formularen – im Fachhandel das Vollmachtsformular findet, das er für seine Arbeit benötigt.
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Wichtig: Vorzulegen ist stets das Original der Vollmacht; Fotokopien oder auch vom Anwalt selbst beglaubigte Fotokopien der Vollmacht besitzen keine Legitimationswirkung (BGH NJWRR 2002, 933 und NJW 1994, 1472). Es ist deshalb sinnvoll, sich stets eine ausreichende Zahl von Vollmachten unterzeichnen zu lassen, wenn abzusehen ist, dass sich der Anwalt gegenüber verschiedenen Gegnern oder Behörden als Bevollmächtigter wird ausweisen müssen.
2. Einfache Vollmacht
50 Strebt der Mandant zunächst eine gütliche Einigung an, oder hofft er, dass etwa eine von seinem bevollmächtigten Anwalt ausgesprochene Kündigung vom Gegner hingenommen wird, kann die Vorlage eines vom Mandanten unterzeichneten Formulars einer Prozessvollmacht möglicherweise die Hoffnung auf eine außergerichtliche Einigung zunichte machen. Die Entscheidung, welches Vollmachtsformular dem Gegner mit dem ersten Anschreiben vorgelegt wird, ist deshalb auch unter psychologischen Gesichtspunkten zu treffen. Für den Regelfall bietet sich deshalb auch die Vorlage der sog. einfachen Vollmacht gem. M 1.7 an.
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Praxistipp: Wird innerhalb der Anwaltspraxis ein EDV-Formular verwendet, das mit Textbausteinen arbeitet, ist es sinnvoll, sich die eigenen Vollmachtsformulare als Textbausteine zu erarbeiten. Bei per Textbaustein erstellten Formularen besteht die Möglichkeit, die konkrete Angelegenheit, auf die sich die Vollmacht in den nachfolgend aufgeführten Mustern erstreckt, sowie den Namen des Mandanten individuell in den Textbaustein einzufügen, bevor die so individualisierte Vollmachtsurkunde selbst ausgedruckt wird.
52 M 1.7 Einfache Vollmacht Vollmacht (Raum für die Benennung des bevollmächtigten Anwalts) wird in der Angelegenheit … Vollmacht erteilt.
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M 1.8
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 56 Kap. 1
…, den … … (Unterschrift des Mandanten; ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma)
Die Angelegenheit, die durch die Vollmachtserteilung erfasst ist, muss ausreichend individualisiert 53 werden; soll der Anwalt einseitige Willenserklärungen für den Mandanten abgeben dürfen, sollte dies in der Vollmacht ausdrücklich – unter besonderer Nennung der voraussichtlich abzugebenden Erklärung – erwähnt werden. Auch insoweit kann es empfehlenswert sein, sich für jedes einzelne Rechtsgeschäft, das der Anwalt vornehmen soll, eine gesonderte Vollmacht unterzeichnen zu lassen (s. Rz. 45, 49).
K
Praxistipp: Es ist nicht empfehlenswert, sich Blanko-Vollmachten vom Mandanten unterzeich- 54 nen zu lassen. Die Unterzeichnung der konkret ausgefüllten Vollmacht gibt dem Anwalt die Sicherheit, dass er in genau dem Umfang bevollmächtigt ist, der sich aus der unterzeichneten Vollmacht ergibt. Kommt es zum Streit mit dem eigenen Mandanten über den Umfang der erteilten Vollmacht, obliegt im Falle der Unterzeichnung einer Blanko-Vollmacht zwar dem Mandanten die Beweislast dafür, dass die Vollmacht verabredungswidrig ausgefüllt worden ist (BGH NJW-RR 2015, 819 Rz. 18), wenn der Anwalt im Nachhinein das Blankett ausgefüllt hat. Die Bitte des Anwalts, eine Blanko-Vollmacht zu unterzeichnen, führt beim Mandanten jedoch auch häufig zu Unsicherheiten, die das nötige Vertrauensverhältnis stören können.
Ist vorauszusehen, dass für den Mandanten Geld oder Wertsachen entgegengenommen werden sollen, sollte die Vollmacht dies ausdrücklich erwähnen, da der Gegner, der sichergehen will, dass mit der Übergabe der entsprechenden Gelder oder Wertsachen an den Bevollmächtigten Erfüllungswirkung eintritt, eine entsprechende Spezialvollmacht verlangen wird. Zur eigenen Absicherung des Anwalts sollte die sog. einfache Vollmacht auch die Ermächtigung zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten ausdrücklich erwähnen, wenn zu erwarten ist, dass ein Unterbevollmächtigter – etwa ein Referendar für die Wahrnehmung eines Termins vor dem Amtsgericht oder dem ersuchten Richter (§ 362 ZPO) – bestellt werden soll.
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M 1.8 Einfache Vollmacht mit Ermächtigung zur Unterbevollmächtigung und zum
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Empfang von Geldern und Wertsachen Vollmacht (Raum für die Benennung des bevollmächtigten Anwalts) wird hiermit in der Angelegenheit … Vollmacht zu meiner Vertretung erteilt. Die Vollmacht ermächtigt den Bevollmächtigen auch zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten sowie zum Empfang von Geldern und Wertsachen. …, den … … (Unterschrift des Mandanten; ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma)
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Kap. 1 Rz. 57
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.9
57 Als Untervollmacht bietet sich ein Formular etwa folgenden Inhalts an: 58 M 1.9 Untervollmacht Untervollmacht (Raum für die Bezeichnung des Unterbevollmächtigten) wird in der Angelegenheit … hiermit Untervollmacht erteilt. …, den … … (Unterschrift)
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Praxistipp: Wird die Vollmacht einem Terminsvertreter erteilt, muss darauf geachtet werden, dass der Hauptbevollmächtigte aus der Unterschrift auf der Untervollmacht identifizierbar ist und sich schon als Hauptbevollmächtigter zu den Akten legitimiert hat. Ist das nicht der Fall, sollte dem Terminsvertreter zudem ein Original der Vollmacht des Hauptbevollmächtigten mitgegeben werden. Hat sich der Hauptbevollmächtigte zu den Akten legitimiert, reicht der Hinweis auf die aktenkundige Prozessvollmacht, deren Umfang (§ 81 ZPO) sich auch auf die Erteilung von Untervollmachten erstreckt (vgl. Zöller/Althammer § 81 ZPO Rz. 6).
60 Als sog. einfache Vollmacht gelten auch Formulare, die als Außergerichtliche Vollmacht bezeichnet werden und inhaltlich differenziert sind.
61 M 1.10 Außergerichtliche Vollmacht mit differenziertem Inhalt (Raum für die Benennung des bevollmächtigten Anwalts) wird hiermit Vollmacht in der Angelegenheit … zur außergerichtlichen Vertretung erteilt. Die Vollmacht ermächtigt insbesondere, 1. zu außergerichtlichen Verhandlungen, zum Abschluss eines Vergleiches zur Vermeidung eines Rechtsstreites, nicht jedoch zum Abschluss eines Anwaltsvergleiches; 2. zur Entgegennahme von Zahlungen, Wertsachen und Urkunden; 3. zur Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen, Abgabe und Entgegennahme von einseitigen Willenserklärungen (zB Kündigungen); 4. zur Erteilung von Untervollmachten; 5. zur Einsicht in jedwede Akten. …, den … … (Unterschrift des Mandanten, ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma)
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 70 Kap. 1
3. Prozessvollmacht a) Außenverhältnis Der Umfang der Prozessvollmacht ist durch § 81 ZPO gesetzlich definiert. Mit Erteilung der Prozessvollmacht ist der Anwalt demnach ermächtigt, alle den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen vorzunehmen, Widerklage zu erheben, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben und die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Die Prozessvollmacht ermächtigt ferner zur Bestellung eines Vertreters sowie eines Bevollmächtigten für die höheren Instanzen; zum Vergleichsabschluss, zum Verzicht auf den Streitgegenstand, zum Anerkenntnis sowie zum Empfang der vom Gegner oder aus der Staatskasse zu erstattenden Kosten. Eine für den Hauptprozess erteilte Vollmacht umfasst auch die Vollmacht für das eine Hauptintervention, einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung betreffende Verfahren (§ 82 ZPO).
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Beschränkungen, über die der gesetzlich normierte Umfang der Prozessvollmacht eingeschränkt werden soll, haben gegenüber dem Gegner nur Wirkung, soweit die Beschränkung die Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich, den Verzicht auf den Streitgegenstand oder Anerkenntnis des vom Gegner geltend gemachten Anspruchs betrifft (§ 83 Abs. 1 ZPO; vgl. auch BGH NJW 2001, 1356). Wird mehreren Anwälten Prozessvollmacht erteilt, sind sie gemeinschaftlich oder auch einzeln zur Vertretung berechtigt; eine in der Vollmacht angeführte abweichende Bestimmung hat dem Gegner gegenüber keine rechtliche Wirkung (§ 84 ZPO).
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Die Prozessvollmacht ermächtigt den Bevollmächtigten auch zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen materiellen Inhalts, soweit sie das Prozessziel zu verwirklichen suchen und sich im Rahmen des Streitgegenstandes halten (BGH AnwBl. 1994, 480; NJW-RR 2007, 263 Rz. 11). Der Umfang der Vollmacht zur Abgabe von materiell-rechtlichen Erklärungen bestimmt sich allerdings nach den Umständen des Einzelfalls, wobei für die Abgrenzung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. etwa BGH NJW 1992, 1963) auf eine „vernünftige wirtschaftliche Betrachtungsweise“ abzustellen ist. Der Anwalt weiß daher in Zweifelsfällen nicht sicher, ob die jeweilige materiell-rechtliche Willenserklärung auch von der Prozessvollmacht gedeckt sein wird. Es ist deshalb empfehlenswert, sich vorsorglich durch ausdrückliche einfache Vollmacht (s. M 1.7; M 1.8) zur Abgabe der jeweiligen Willenserklärung bevollmächtigen zu lassen.
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Vertritt der Anwalt – etwa in einem Räumungsstreit – den Beklagten, erstreckt sich die erteilte Prozessvollmacht regelmäßig auch auf die Befugnis zum Empfang von Willenserklärungen, also etwa auch zum Empfang einer neuen Kündigungserklärung (BGH NJW 2003, 963). Eine Beschränkung der Vollmacht im Innenverhältnis ist nur bei Offenlegung für das Außenverhältnis beachtlich.
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K
Praxistipp: Ist der vom Anwalt vertretene Beklagte für den Kläger nur schwer erreichbar (Zu- 66 stellung nur im Ausland möglich pp), sollte die Prozessvollmacht im Innenverhältnis entsprechend beschränkt und dies noch in der Klageantwort aktenkundig gemacht werden. Das erschwert dem Kläger bei evtl. unwirksamer Kündigung die Wiederholung der Kündigung.
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Einstweilen frei. b) Innenverhältnis
Die im Handel üblichen Vollmachtsformulare, die den Umfang der gesetzlich normierten Prozess- 70 vollmacht im Einzelnen wiedergeben, haben für den Mandanten, der die Vollmacht erteilt, wegen des gesetzlich definierten Umfangs der Prozessvollmacht lediglich deklaratorische Bedeutung, soweit sie die in § 81 ZPO aufgeführten Ermächtigungen wiedergeben. Dem Mandanten wird mithin in der Vollmacht erläutert, zu welchen Handlungen der zum Prozessbevollmächtigten bestellte Anwalt ermächtigt ist. Unabhängig davon gibt die Wiederholung des gesetzlich normierten Umfangs der Prozessvollmacht im vom Mandanten zu unterzeichnenden Vollmachtsformular sowohl dem Anwalt wie auch dem Mandanten Gelegenheit, im Einzelnen zu erörtern, ob im Innenverhältnis eine EinVorwerk
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Kap. 1 Rz. 71
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.11
schränkung der Prozessvollmacht gewünscht wird, der Anwalt sich mithin – was ohnedies regelmäßig sinnvoll ist, auch wenn keine ausdrückliche Beschränkung im Innenverhältnis vereinbart ist – für bestimmte Prozesshandlungen im Innenverhältnis ausdrücklich ermächtigen lassen muss. Auch das nachfolgende Muster (M 1.11) der Prozessvollmacht in der sog. langen Fassung wiederholt daher den Inhalt der gesetzlich definierten Prozessvollmacht, soweit dies zum Verständnis des Mandanten erforderlich ist.
71 M 1.11 Prozessvollmacht, lange Fassung, ausgerichtet auf die Vertretung im
Zivilprozess und in Arbeitsgerichtssachen Vollmacht (Raum für die Benennung des bevollmächtigten Anwalts) wird in Sachen … wegen … Prozessvollmacht gem. §§ 81 ff. ZPO erteilt. Diese Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf folgende Befugnisse: 1. Zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen, einschließlich den Prozesshandlungen, die durch eine Widerklage, die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Zwangsvollstreckung veranlasst werden; 2. Zur Rechtsmitteleinlegung und -begründung, zum Rechtsmittelverzicht und zur Rechtsmittelrücknahme, zur Erhebung und Rücknahme von Widerklagen; 3. Zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten sowie eines Bevollmächtigten für die höheren Instanzen; 4. Zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich und Verzicht auf den Streitgegenstand; 5. Zum Anerkenntnis des vom Gegner geltend gemachten Anspruchs; 6. Zum Empfang der vom Gegner oder von der Staatskasse zu erstattenden Kosten; 7. Zur Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen und Übernahme einseitiger Rechtsgeschäfte (zB Kündigungen), soweit sie der Erreichung des Prozesszieles dienen und sich im Rahmen des Streitgegenstandes halten; 8. Zur Vertretung vor den Familiengerichten gem. § 78 ZPO, zum Abschluss von Scheidungsfolgenvereinbarungen, zur Stellung von Anträgen auf Erteilung von Renten- und Versorgungsausgleichsauskünften; 9. Zu allen Nebenverfahren, wie etwa Arrest und einstweilige Verfügung, Kostenfestsetzung, den aus der Zwangsvollstreckung erwachsenden Verfahren, zur Hinterlegung; 10. Vertretung im Insolvenzverfahren des Gegners; 11. Zur Akteneinsicht; 12. Zum Empfang und zur Freigabe von Geld, Wertsachen, Sicherheiten, insbesondere zum Empfang des Streitgegenstandes. …, den … … (Unterschrift des Mandanten, ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma)
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M 1.12
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 75 Kap. 1
M 1.12 Prozessvollmacht, kurze Fassung, ausgerichtet auf die Vertretung im
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Zivilprozess und in Arbeitsgerichtssachen Prozessvollmacht (Raum für die Benennung des bevollmächtigten Anwalts) wird hiermit in Sachen … gegen … wegen … Prozessvollmacht gem. §§ 81 ff. ZPO erteilt. …, den … … (Unterschrift des Mandanten, ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma). Der Prozessbevollmächtigte ist bevollmächtigt zum Empfang von Geld und Wertsachen sowie zur Freigabe von Sicherheiten. …, den … … (Unterschrift des Mandanten, ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma)
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Zu Einschränkungen der Prozessvollmacht im Innenverhältnis s. im Übrigen Rz. 66 sowie Rz. 70.
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Praxistipp: Wegen des in Arbeitsgerichtssachen gem. § 12a Abs. 1 ArbGG bei Vollmachtserteilung dem Mandanten zu erteilenden Hinweises auf den Ausschluss der Kostenerstattung vgl. Kap. 136 Rz. 10.
c) Folgen fehlender schriftlicher Vollmacht Hat der Gegner die Prozessvollmacht bestritten (§ 88 Abs. 1 ZPO), kann der Anwalt, der eine schriftliche Vollmacht nicht sogleich beibringen kann, einstweilen zunächst gegen oder ohne Sicherheitsleistung für Kosten und Schäden zur Prozessführung zugelassen werden (§ 89 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Gericht setzt mit der einstweiligen Zulassung als Bevollmächtigter eine Frist zur Beibringung der Vollmacht (Zöller/Althammer § 89 ZPO Rz. 5). Wird die Vollmacht nicht fristgerecht vorgelegt, ergeht das Endurteil: Hat der vollmachtlose Vertreter die Klage erhoben, wird die Klage als unzulässig abgewiesen; bringt der Anwalt des Beklagten die Vollmacht nicht bei, ist der Beklagte als säumig zu behandeln und gegen ihn Versäumnisurteil zu erlassen (s. zum Verfahren im Einzelnen Zöller/Althammer § 88 ZPO Rz. 6 ff.).
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Der die Vollmacht nicht beibringende Anwalt wird durch besonderen Beschluss oder durch gesonderte Entscheidung im Rahmen des Endurteils dazu verurteilt, die durch die einstweilige Zulassung als Bevollmächtigter entstandenen Kosten zu tragen (Zöller/Althammer § 89 ZPO Rz. 8, § 88 ZPO Rz. 12; Rechtsmittel: Sofortige Beschwerde!); im Übrigen erfolgt die Kostenverteilung nach dem sog. Veranlassungsprinzip (BGH NJW 2017, 2683 Rz. 10). Grundsätzlich sind die Kosten danach dem aufzuerlegen, der den nutzlosen Verfahrensaufwand veranlasst hat; dies kann der vollmachtlose Vertreter selbst – etwa wenn er den Mangel der Vollmacht kennt (s. Rz. 46) – sein oder ein anderer Ver-
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Kap. 1 Rz. 76
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
fahrensbeteiligter, aber auch die Partei, deren Vollmacht er nicht beibringen kann (s. im Einzelnen dazu BGH, NJW 2017, 2683 Rz. 10 sowie Zöller/Althammer § 88 ZPO Rz. 11).
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Praxistipp: Wird die Vollmacht bestritten und kann der Anwalt seine Vollmacht nicht sogleich vorlegen, empfiehlt es sich, nicht darauf hinzuwirken, zunächst als voll machtloser Vertreter gem. § 89 ZPO zugelassen zu werden. Das gilt insbesondere dann, wenn das Bestehen der Vollmacht in der mündlichen Verhandlung bestritten wird. Für diesen Fall ist eine Vertagung zu erbitten. Kann die Prozessvollmacht nämlich nicht beigebracht werden, werden nach erfolgter einstweiliger Zulassung des Anwalts in der Regel Kosten auf Seiten des Gegners entstanden sein (etwa die Verhandlungs- und/oder Beweisgebühr), die der Anwalt alsdann zu tragen hat (s. Rz. 74). Ist der Rechtsstreit demgegenüber vertagt worden und kann der Anwalt die Prozessvollmacht – gleich aus welchen Gründen – nicht vorlegen, bleibt ihm jedenfalls die Möglichkeit, darzulegen und durch entsprechende Urkunden aus der Handakte zu belegen, dass nicht er, sondern die Partei, für die er gehandelt hat, den nutzlosen Verfahrensaufwand veranlasst hat (s. Rz. 74).
d) Besonderheiten bei Mandaten mit Auslandsberührung
77 Wird der Anwalt beauftragt, eine juristische Person zu vertreten, die ihren Sitz nicht im Inland hat, kann Unklarheit darüber bestehen, wer nach den Gesetzen des Landes, in dem die zu vertretende juristische Person ihren Sitz hat, jene juristische Person zu vertreten berechtigt ist. Es ist deshalb in diesen Fällen empfehlenswert, sich nicht nur eine Prozessvollmacht – oder auch eine einfache Vollmacht – unterzeichnen zu lassen, sondern den Mandanten zu bitten, eine – nach den Gesetzen am Sitz der juristischen Person zu erstellende – Vertretungsbescheinigung beizubringen, über die der Nachweis geführt wird, dass derjenige, der die Vollmacht unterzeichnet hat, auch zur Vertretung des Mandanten befugt ist (vgl. dazu den Fall BGH NJW 1993, 2744 Rz. 23).
III. Haftungsbeschränkung 1. Grundlagen
78 Die Urkunde über seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft darf dem Anwalt – außer im Falle der Beibringung einer vorläufigen Deckungszusage – erst ausgehändigt werden, wenn er den Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung gem. § 51 BRAO nachgewiesen hat (§ 12 Abs. 2 Satz 2 BRAO). Die Mindestversicherungssumme der Berufshaftpflichtversicherung beträgt 250.000 Euro für jeden Versicherungsfall; die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme begrenzt werden (§ 51 Abs. 4 BRAO). Da der Berufsanfänger in der Regel nicht damit rechnet, Mandate übertragen zu bekommen, die Streitwerte von mehr als 250.000 Euro erreichen, werden bei Beginn der beruflichen Tätigkeit des Anwalts keine höheren Versicherungssummen für die Berufshaftpflichtversicherung vereinbart, als § 51 Abs. 4 BRAO dies vorschreibt. Häufig bleibt es über Jahre hinweg alsdann bei der Vereinbarung der Mindestversicherungssumme mit dem Hinweis darauf, dass in der Zwischenzeit nur selten Mandate übernommen worden seien, bei denen die Streitwerte 250.000 Euro überschritten hätten. Wird mit dieser Begründung die Erhöhung der Versicherungssumme für nicht notwendig erachtet, ist das persönliche Haftungsrisiko, dem sich der Anwalt aussetzt, gewaltig:
79 Schon im Ansatz fehlerhaft ist es, die Versicherungssumme für die Berufshaftpflichtversicherung ausschließlich am Streitwert der bearbeiteten Mandate auszurichten. Nebenforderungen bleiben bei der Festsetzung des Streitwertes unberücksichtigt (§ 4 ZPO). Bei einem eine Zahlungsklage betreffenden Mandat, mit einem Streitwert von 250.000 Euro, reicht die Mindestversicherungssumme nicht aus, um dem Mandanten den durch eine fehlerhafte Prozessführung entstandenen Schaden zu ersetzen, wenn der Mandant durch den Fehler im Prozess unterlegen ist. Bei Festsetzung des Streitwerts einer positiven Feststellungsklage ist der übliche 20 %ige Abschlag (s. BGH NJW 2017, 2343 18
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 82 Kap. 1
Rz. 18) zu berücksichtigen. Ist der Streitwert für die Feststellungsklage auf 400.000 Euro festgesetzt, besteht somit ebenfalls die Gefahr, dass die Mindestversicherungssumme für den Ersatz des dem Mandanten durch eine fehlerhafte Prozessführung entstandenen Schadens nicht ausreicht. Bei Personenschäden wird der Wert der Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftiger materieller und derzeit nicht absehbarer immaterieller Schäden (Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 2292, 2364 f.) häufig mit einem Betrag bewertet, der auch unter Berücksichtigung des Abschlages für die Feststellungsklage weit unter den Beträgen liegt, die der Verletzte aufgrund der ausgesprochenen Feststellung später durchsetzt. Auch in diesen Fällen spiegelt der Streitwert folglich nicht das Haftungsrisiko wider, dem der Anwalt ausgesetzt ist, wenn durch sein Verschulden der vom Mandanten verfolgte Anspruch nicht durchgesetzt oder der gegnerische Anspruch nicht abgewehrt werden kann. Beim Streit über wiederkehrende Leistungen (Dienst- oder Versorgungsbezüge, Leibrenten, Rentenansprüchen aus unerlaubter Handlung etc.) verkörpert der gem. § 9 ZPO festzusetzende Streitwert ebenso wenig das Haftungsrisiko, dem der Anwalt ausgesetzt ist, wie das bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen der Fall ist, deren Streitwert gem. § 51 Abs. 1 FamGKG, soweit es die künftigen Leistungen angeht, auf den Wert des einjährigen Bezugs festzusetzen ist (s. Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, aaO, Rz. 8411, 8434 ff.). Fehlerhaft ist zudem, davon auszugehen, dass die eigene Sorgfalt bei der Bearbeitung der Mandate 80 das Risiko einer Haftung völlig auszuschließen vermag. Der Anwalt hat auch für Handeln seiner Mitarbeiter – und zwar sowohl gem. § 278 BGB (s. BGH NJW-RR 1990, 459; Fischer/Vill § 2 Rz. 382 ff.) wie auch gem. § 831 BGB (Fischer/Vill § 2 Rz. 386, § 15 Rz. 136 ff.; Vollkommer/Greger/ Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, § 8 Rz. 24) – einzustehen. Bei sachgerechter Büroorganisation und regelmäßiger Überwachung der Mitarbeiter mögen Fristversäumnisse (s. dazu Kap. 27 Rz. 16 ff.) durch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zwar häufig kompensiert werden können. Da im Streitfall allein das im Haftungsprozess angerufene Gericht darüber entscheidet, ob ein Verschulden die Wiedereinsetzung ausschließt, offenbart sich die eigene Idee, eine perfekte Büroorganisation und sorgfältige Arbeit könnten jedes Haftungsrisiko ausschließen, hier und da als fataler Irrtum: Fatal deshalb, weil schon ein im Haftungsprozess ergangenes vorläufig vollstreckbares Urteil, das Zahlungspflichten des Anwalts begründet, die über die mit dem Berufshaftpflichtversicherer vereinbarte Versicherungssumme hinausgehen, eine ernsthafte Gefährdung der eigenen Zulassung darstellen kann, wenn das eigene Vermögen nicht ausreicht, um den durch die Berufshaftpflichtversicherung nicht abgedeckten, ausgeurteilten Betrag aufzubringen (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO).
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Praxistipp: Den für die eigene Haftung kritischsten Zeitpunkt stellt – bei im Übrigen sorgfälti- 81 ger Organisation des Bürobetriebes und gewissenhafter eigener Arbeit – die Übernahme eines jeden neuen Mandats dar. Ist der Auftrag zur Mandatsübernahme per Post eingetroffen, kann der Anwalt nicht sicher sein, ob der zuständige Büromitarbeiter bei Durchsicht der Post alle Problemkreise erkannt hat, die das Notieren von Fristen gebieten (s. dazu Kap. 27 Rz. 22 ff.). Da die Kontrolle und Wahrung der Fristen zum ureigenen Aufgabenbereich des Anwalts gehört (BGH MDR 2017, 1380 Rz. 7), muss der Anwalt noch am Tage des Posteingangs die neu eingegangene Post darauf kontrollieren, ob alle zu beachtenden Fristen notiert sind (BGH, MDR 2017, 1380 Rz. 7; BGH NJW-RR 2017, 953 Rz. 9). Da das Notieren der für die Wahrung der Rechte des Mandanten beachtlichen Fristen nur dann wirklich gewährleistet sein kann, wenn alle Problemkreise, die das Mandat berührt, im Detail durchgearbeitet sind, lässt sich nicht völlig ausschließen, dass zwischen der Übernahme und dem Zeitpunkt, zu dem die Probleme durchdacht werden, die das Mandat aufwirft, Fristen übersehen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt lässt sich ebenfalls nicht mit ausreichender Gewissheit abschätzen, welche Haftungsrisiken sich im übernommenen Mandat verbergen.
Mit der Entscheidung, ob das Mandat angenommen wird, sollte daher stets die Überlegung verbunden sein, ob die mit der Berufshaftpflichtversicherung vereinbarte Deckungssumme bei überschlägiger Betrachtung ausreicht, etwaige Haftungsrisiken abzudecken. Besteht darüber Ungewissheit, sollte Vorwerk
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Kap. 1 Rz. 83
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
erwogen werden, ob das neu hereingenommene Mandat einzelversichert (s. dazu Fischer/Chab § 18 Rz. 77) oder eine Haftungsbegrenzung mit dem Mandanten vereinbart wird (s. Rz. 83). Erscheint eine Haftungsbegrenzung sinnvoll, weil die Einzelversicherung hohe Kosten verursacht, muss sogleich die Entscheidung getroffen werden, ob das Mandat nur unter der Voraussetzung der Vereinbarung einer Haftungsbegrenzung übernommen wird (vgl. dazu aber unbedingt Rz. 84 ff., 87). Lässt sich nicht abschätzen, wie der Mandant auf ein entsprechendes Ansinnen reagiert, sollte noch vor der Entscheidung über die Annahme des Mandats mit dem Berufshaftpflichtversicherer abgeklärt werden, ob er ggf. auch bereit ist, das Mandat im Wege der Einzelversicherung rückwärts zu versichern (s. dazu einerseits Fischer/Chab § 18 Rz. 87 ff.; andererseits Stöhr AnwBl. 1995, 235 für Einzelversicherung; weiter: Borgmann/Jungk/Schwaiger § 39 Rz. 31). Verhält sich der Berufshaftpflichtversicherer gegenüber einer Einzelversicherung zurückhaltend, ist zu erwägen, ob die Versicherungssumme der Berufshaftpflichtversicherung vorsorglich mit sofortiger Wirkung neu vereinbart und mit einer Rückwärtsversicherung insgesamt verbunden wird. 2. Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung
83 Die Möglichkeit der vertraglichen Begrenzung von Ersatzansprüchen gegen den Anwalt regelt § 52 BRAO (s. dazu allg. auch Chab AnwBl. 2006, 205 ff.; Bräuer AnwBl. 2007, 450, Esser MDR 2015, 741). Bisher war diese Möglichkeit in § 51a BRAO kodifiziert. Dort findet sich nunmehr eine Annexregelung zur Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung. § 52 BRAO entspricht inhaltlich § 51a BRAO aF (Henssler/Diller § 51a BRAO Rz. 1). Danach ist zu differenzieren zwischen – der Haftungsbeschränkung durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme für fahrlässig verursachte Schäden; – der Begrenzung der Haftung durch vorformulierte Vertragsbedingungen auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme, sofern insoweit Versicherungsschutz besteht (s. dazu in neuerer Zeit auch Furmanns NJW 2007, 1400 ff.); wobei die Begrenzung der Ersatzansprüche stets nur für den Fall einfacher Fahrlässigkeit möglich ist (§ 52 BRAO); – der Begrenzung der Haftung auf einzelne Mitglieder einer Sozietät, die das Mandat im Rahmen ihrer eigenen Befugnisse bearbeiten und namentlich bezeichnet sind, durch Zustimmung innerhalb vorformulierter Vertragsbedingungen. a) Im Einzelfall
84 Die Haftungsbegrenzung im Einzelfall gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Der Mandant und der Anwalt haben demnach die Vertragsurkunde zu unterzeichnen (§ 126 BGB). Wird die Unterzeichnung durch den Anwalt versäumt, fehlt es an der Schriftform mit der Folge, dass die Vereinbarung unwirksam ist. Bei mehreren gleich lautenden Urkunden genügt gem. § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB, dass jede Partei das für den Vertragspartner bestimmte Exemplar unterschreibt. Um Beweisschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollten stets Vertragsurkunden ausgetauscht werden, die sowohl vom Mandanten wie auch vom Anwalt unterzeichnet worden sind.
85 Soweit § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf fahrlässig verursachte Schäden begrenzt, wird in der Norm nichts anderes ausgesagt, als schon durch § 276 Abs. 3 BGB geregelt ist. Im Unterschied zur Haftungsbegrenzung durch vorformulierte Vertragsbedingungen (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO) darf sich die Haftungsbegrenzung im Einzelfall auch auf grob fahrlässig verursachte Schäden erstrecken (Fischer/Rinkler § 1 Rz. 485 mwN). Zu denken ist allerdings daran, dass die Rechtsprechung eine – im Ergebnis wirksame – Haftungsbeschränkung im Einzelfall auch auf grob fahrlässig verursachte Schäden vermutlich nur dann zulässt, wenn der Anwalt vor Vereinbarung der Haftungsbeschränkung den Mandanten darüber aufklärt, dass sich die getroffene Vereinbarung auch auf grob fahrlässig verursachte Schäden erstreckt (vgl. dazu auch Fischer/Rinkler § 1 Rz. 485, 493). Es empfiehlt sich daher, in die Vereinbarung den ausdrücklichen Hinweis aufzunehmen, dass
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 88 Kap. 1
auch grob fahrlässig verursachte Schäden von der Vereinbarung über die Haftungsbeschränkung im Einzelfall erfasst werden. Wann eine Vereinbarung im Einzelfall iS des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vorliegt, wird in der Literatur 86 kontrovers diskutiert (vgl. dazu einerseits Fischer/Rinkler § 1 Rz. 486 f.; Henssler/Diller § 52 Rz. 28, 45; Feuerich/Weyland § 51a Rz. 7 f.; andererseits: Hartung/Grams § 51a BRAO Rz. 12 ff.). Um bei einer Haftungsbegrenzung im Einzelfall keine unnötigen Risiken einzugehen, wird für die zu treffende Vereinbarung die Auffassung zu berücksichtigen sein, nach der eine vorformulierte Vertragsbedingung, also keine Vereinbarung im Einzelfall, schon dann vorliegt, wenn die Haftungsbeschränkung in vorgedruckten Formularen niedergelegt wird; wobei dies selbst dann gilt, wenn der Formulartext im Einzelfall zur Höhe oder zum Gegenstand der Haftungsbeschränkung individuell variiert werden kann (Fischer/Rinkler § 1 Rz. 487). Darüber hinaus wird in Anlehnung an § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB für eine Vereinbarung im Einzelfall zu beachten sein, dass der Mandant den Inhalt der Vereinbarung über die Haftungsbeschränkung zumindest hat mitbeeinflussen können (Fischer/Rinkler § 1 Rz. 488, 489; Henssler/Diller § 52 Rz. 28). Für die Handhabung einer Haftungsbegrenzung im Einzelfall bedeutet dies in der Praxis allerdings: 87 Gegenüber dem Anwalt, der – weil er nur eine Berufshaftpflichtversicherung in Höhe der Mindestversicherungssumme unterhält – zur Übernahme des Mandates lediglich bereit ist, wenn eine Vereinbarung zur Begrenzung der Haftung auf die Mindestversicherungssumme zustande kommt, wird der Mandant im Konfliktfall mit Erfolg geltend machen können, dass ihm das Aushandeln der Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung nicht möglich war. Übernimmt der Anwalt das Mandat mit dem Ziel, die Haftungsbegrenzung sogleich nach Übernahme zu vereinbaren, ist – vom Standpunkt des Mandanten gesehen – nicht plausibel, warum sich der Mandant im nachherein mit einer Haftungsbegrenzung einverstanden erklären soll. Dem Anwalt bleibt deshalb, besteht aufseiten des Mandanten keine Bereitschaft zur Haftungsbegrenzung, nur übrig, das Mandat sogleich niederzulegen (s. dazu Rz. 123); allerdings mit dem Risiko, dass er zur Unzeit niederlegt und für ein etwaiges Verschulden zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme und der Niederlegung des Mandats unabhängig davon selbst dann voll haftet, wenn das Mandat nicht zur Unzeit niedergelegt worden ist.
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Praxistipp: Um eine wirksame Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung im Einzelfall gem. 88 § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO treffen zu können, andererseits sich aber auch nicht der Gefahr auszusetzen, mit dem eigenen Vermögen eine Deckungslücke zwischen Mindestversicherung und eingetretenem Schaden schließen zu müssen, bedarf es mithin des Abschlusses einer Berufshaftpflichtversicherung, die eine Abdeckung von Schäden in ausreichender Höhe oberhalb der Mindestversicherungssumme vorsieht. Da dem Mandanten die Möglichkeit zu geben ist, auch die Höhe des Betrages zu beeinflussen, bis zu dem der Anwalt haftet (s. Rz. 86), um von einem Aushandeln der Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung sprechen zu können, kann der Anwalt dem Mandanten die Höhe der Haftungsbegrenzung lediglich vorschlagen und mitteilen, dass noch Verhandlungsspielraum besteht. Diesen Verhandlungsspielraum stellt die Spanne zwischen Mindestversicherungssumme und mit der Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossener Versicherungssumme dar. Kommt die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung alsdann unterhalb der vom Anwalt abgeschlossenen Versicherungssumme zustande, über die die Berufshaftpflichtversicherung unterhalten wird, nutzt die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung, soweit Deckung über die vereinbarte Haftung hinaus bis zur vereinbarten Versicherungssumme besteht, zwar nicht den Interessen des Mandanten. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch nicht vermeiden, wenn man für den Fall des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO dem Mandanten die Möglichkeit einräumen will, die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung mitzugestalten und dem Anwalt unabhängig davon das Recht einräumt, im Rahmen des § 52 BRAO keine Haftungsrisiken übernehmen zu müssen, die nicht durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt sind. Würde der Anwalt nämlich vorschlagen, die Haftung auf den Umfang der Deckung seiner Berufshaftpflichtversicherung zu beschränken und sich weigern, eine andere Regelung zu treffen, hätte er ein Aushandeln der Haftungsbeschränkung dem Mandanten nicht ermöglicht. Vorwerk
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Kap. 1 Rz. 89
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
89 Die Möglichkeit der Beschränkung der Haftung bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme bedeutet, dass eine Beschränkung auf einen Betrag unterhalb der Mindestversicherungssumme (§ 51 Abs. 4 Satz 1 BRAO: 250.000 Euro; für PartG mbB, § 51a Abs. 2 BRAO: 2,5 Mio. Euro; Rechtsanwalts-GmbH, § 59j BRAO: 2,5 Mio. Euro) unzulässig ist und die Vereinbarung unwirksam macht.
90 Welche Folgen eine in Teilen unwirksame Vereinbarung über die Haftungsbeschränkung im Einzelfall auf die Vereinbarung insgesamt hat, ist bisher ebenfalls nicht abschließend geklärt (vgl. etwa Fischer/Rinkler § 1 Rz. 495 f). Es empfiehlt sich deshalb auch im Rahmen der im Einzelfall vereinbarten Regelung über die Haftungsbegrenzung eine salvatorische Klausel aufzunehmen, aufgrund derer den übrigen Vereinbarungen über die Haftungsbegrenzung Wirksamkeit für den Fall verliehen wird, dass sich ein Teil der Vereinbarung als unwirksam herausstellt. Bedeutung kann jene salvatorische Klausel insbesondere für den Fall erlangen, wenn der Mandant mit Erfolg geltend macht, er habe nicht auf jede einzelne Vertragsklausel im Rahmen des Aushandelns Einfluss nehmen können (vgl. dazu Fischer/Rinkler § 1 Rz. 488). Zu bedenken ist allerdings, dass auch die salvatorische Klausel verhandelbar gewesen sein muss, um von einer Haftungsbeschränkung im Einzelfall ausgehen zu können, wenn man der strengen Auffassung (s. Rz. 86) zur Frage des Aushandelns der Regelung über die Haftungsbegrenzung folgt.
91 Es verbietet sich, im Rahmen der vorliegenden Darstellung ein Muster für eine individuelle Vereinbarung der Haftungsbegrenzung gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO abzudrucken. Die Übernahme des entsprechenden Musters der Vereinbarung würde schon nicht mehr die Voraussetzungen einer Vereinbarung im Einzelfall gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO erfüllen (s. Fischer/Rinkler § 1 Rz. 498). Zu achten ist deshalb auch streng darauf, dass die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung, die vom Anwalt für den ersten Einzelfall iS des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO, also seinem ersten Fall der Vereinbarung der Haftungsbegrenzung, getroffen worden ist, im Nachfolgenden zweiten Fall nicht „abgeschrieben“ wird. Die entsprechende Vereinbarung ist vielmehr in jedem konkreten Fall individuell auszugestalten und in den Besonderheiten des Einzelfalls zu konkretisieren. b) Durch vorformulierte Bedingungen
92 Das Risiko, im Ergebnis doch keine von der Rechtsprechung als wirksam anerkannte Haftungsbegrenzung im Einzelfall gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vereinbart zu haben, nötigt, die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung zumindest so abzufassen, dass sie den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO standhält. Dies erfordert allerdings zugleich eine Berufshaftpflichtversicherung in Höhe des vierfachen Betrages der Mindestversicherungssumme vorzuhalten (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO). Wird durch vorformulierte Vertragsbedingung die Haftung begrenzt, fordert das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, vgl. im Übrigen MüKo.BGB/Wurmnest § 307 Rz. 20, 128 f.), dass der Betrag, für den gehaftet wird, konkret beziffert wird (vgl. auch Fischer/Rinkler § 1 Rz. 505). Wird die Haftung auf einen Betrag begrenzt, der über dem vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme liegt, muss ebenfalls in Höhe des entsprechenden Betrages eine Berufshaftpflichtversicherung unterhalten werden (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO: „… kann beschränkt werden …, wenn insoweit Versicherungsschutz besteht“). Die mit dem Berufshaftpflichtversicherer vereinbarte Deckung und die Höhe der Haftungsbegrenzung müssen mithin stets kongruent sein; wobei es für eine Haftungsbegrenzung nach vorformulierten Bedingungen auch zulässig ist, eine Einzelversicherung für jedes Mandat, das von der vorformulierten Haftungsbegrenzung erfasst wird, abzuschließen.
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Wichtig: Da auch im Umfang der durch vorformulierte Vertragsbedingung erfolgten Haftungsbeschränkung Versicherungsschutz bestehen muss, ist strikt darauf zu achten, dass die Haftungsvereinbarung mit den Versicherungsbedingungen der Berufshaftpflichtversicherung vollständig übereinstimmt. Voraussetzung ist zudem, dass der erforderliche Versicherungsschutz auch zum Zeitpunkt der den Haftungsfall auslösenden Pflichtverletzung besteht (s. auch Fischer/Rinkler § 1 Rz. 506 mwN). Von Bedeutung ist dies stets dann, wenn eine Einzelversicherung abgeschlossen wird; der Versicherungsschutz muss zumindest bis zur Beendigung des Vorwerk
M 1.13
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 97 Kap. 1
Mandates aufrechterhalten werden, weil nicht absehbar ist, wann der die Haftung auslösende Anwaltsfehler aufgetreten ist oder auftritt. Ist keine Einzelversicherung abgeschlossen worden, deckt vielmehr die allgemein abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung das Haftpflichtrisiko ab, darf die Versicherungssumme vor Beendigung des Mandats nicht auf einen Betrag herabgesetzt werden, der unterhalb des Haftungsbetrages in den vorformulierten Vertragsbedingungen für die Haftungsbegrenzung liegt.
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Praxistipp: Da die Versicherungsprämien für Einzelversicherungen erheblich gestiegen sind und die Kosten von zwei oder drei Einzelversicherungen p.a. den Mehrkosten für die entsprechend höhere Versicherungssumme entspricht, sollte stets erwogen werden, ob statt der Einzelversicherung insgesamt eine Höherversicherung vereinbart wird.
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Die Haftungsbeschränkung in vorformulierten Vertragsbedingungen ist nur für den Fall einfacher Fahrlässigkeit möglich. Ob zulässig ist, die Haftungsbeschränkung des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO mit der in § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zu kombinieren, ist bisher nicht geklärt.
95
Die formularmäßige Haftungsbeschränkung gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO muss, um wirksam zu 96 sein, in Übereinstimmung mit § 305 Abs. 2 BGB in den Vertrag einbezogen werden (s. auch Fischer/ Rinkler § 1 Rz. 508). Die Erwägung von Römermann (in: Hartung, 3. Aufl., Rz. 19; so auch Fischer/ Rinkler § 1 Rz. 501), die Einbeziehung der Haftungsbegrenzung gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO sei „auch in einer mündlich vereinbarten Klausel möglich“, verkürzt die in diesem Zusammenhang zu beachtenden Probleme. Da die übrigen Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB für die Einbeziehung der Haftungsbeschränkung durch vorformulierte Vertragsbedingung (etwa: Deutlich sichtbarer Aushang am Ort des Vertragsabschlusses) den Verhältnissen einer Anwaltskanzlei nicht gerecht werden, wird eine wirksame Einbeziehung der Haftungsbeschränkung durch vorformulierte Vertragsbedingung zumindest in der Regel nur durch ausdrücklichen Hinweis auf die die Haftungsbegrenzung enthaltenen Vertragsbedingungen möglich sein. Dies führt aus Gründen der Beweisführung im Ergebnis dazu, dass sich der Anwalt die Einbeziehung der vorformulierten Haftungsbegrenzung schriftlich bestätigen lassen muss. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang wiederum § 305c Abs. 1 BGB. Die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung darf daher nicht mit einer vorformulierten Honorarvereinbarung, Prozessvollmacht oder anderen Erklärungen, die der Mandant zu unterzeichnen hat, in einer Urkunde verbunden werden.
M 1.13 Haftungsbegrenzung durch vorformulierte Vertragsbedingung
97
Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung Zwischen Rechtsanwalt … und (Raum für den Namen des Mandanten) nachfolgend: – Mandant – wird Folgendes vereinbart: 1. Die Haftung des Rechtsanwalts … wird für den Fall eines von ihm infolge einfacher Fahrlässigkeit verursachten Schadens auf den Betrag von 1 Mio. Euro (in Worten: Eine Million Euro) beschränkt. 2. Die Haftungsbeschränkung erstreckt sich auf sämtliche Schäden, die dem Mandanten aufgrund der Wahrnehmung der Interessen des Mandanten durch Rechtsanwalt … in folgender Angelegenheit entstehen: …
Vorwerk
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Kap. 1 Rz. 98
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.13
…, den … … (Rechtsanwalt) … (Mandant)
98 K
Wichtig: Es ist dringend darauf zu achten, dass das Mandat, auf das sich die Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung erstreckt, detailliert beschrieben wird. Diese Voraussetzung missachten Formulare in anderen Formularbüchern. § 52 Abs. 1 Satz 1 BRAO erlaubt die Begrenzung der Haftung aus dem zwischen dem Mandanten und dem Anwalt bestehenden Vertragsverhältnis, womit das jeweilige einzelne Auftragsverhältnis gemeint ist. Die Erwägung, eine einmal getroffene Haftungsbegrenzung gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO könne sich auch auf künftige Mandate erstrecken, verstößt aufgrund der besonderen Qualität der Rechtsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant in der Regel gegen § 307 BGB (vgl. auch § 305 Abs. 3 BGB, der nur für bestimmte Arten von Rechtsgeschäften die Vereinbarung über die zukünftige Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zulässt; zulässig wäre danach wohl die entsprechende Vereinbarung extra für „alle Inkasso-Mandate“). Wird das Mandat nach Abschluss der Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung erweitert, bedarf es ebenfalls einer erneuten Vereinbarung über die Haftungsbegrenzung (§§ 305c Abs. 1, 307 BGB).
c) In der Sozietät
99 Die Regelung des § 52 Abs. 2 Satz 1 BRAO kodifiziert den ursprünglich von der Rechtsprechung (BGHZ 56, 355) entwickelten Grundsatz, dass dem Mandanten bei einem von einem Mitglied einer Anwaltssozietät bearbeiteten Mandat im Schadensfall neben der Sozietät, also dem gesamthänderisch gebundenen Gesellschaftsvermögen (§ 718 Abs. 1 BGB), grundsätzlich alle Sozien gem. § 427 BGB aus dem mit dem Mandanten bestehenden Vertragsverhältnis als Gesamtschuldner persönlich mit ihrem Privatvermögen haften. Ob das Vertragsverhältnis zwischen allen Mitgliedern der Sozietät und dem Auftraggeber begründet worden ist, beantwortet § 52 Abs. 2 Satz 1 BRAO demgegenüber nicht. In der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 56, 355) ist jedoch geklärt, dass der Anwaltsvertrag im Zweifel mit allen Sozietätsmitgliedern auch dann zustande kommt, wenn der Mandant den Auftrag zur Mandatsbearbeitung einem einer Anwaltssozietät angehörenden Anwalt überträgt. Da dem Inhalt einer auf ein Mitglied einer Anwaltssozietät lautenden Einzelvollmacht lediglich Indizwirkung – und zwar auch dann nur, wenn die Vollmacht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auftragserteilung unterzeichnet worden ist – zukommt, mit wem der Anwaltsvertrag geschlossen worden ist (vgl. BGHZ 56, 355), müssen sich die Mitglieder einer Sozietät bei Übernahme eines jeden Auftrags durch ein Mitglied der Sozietät darauf einzustellen, dass alle dem Auftraggeber insbesondere auch mit ihrem Privatvermögen für den Fall haften, dass dem Mandanten durch pflichtwidrige Erfüllung des Anwaltsvertrages ein Schaden entsteht.
100 Von dieser Konstellation geht § 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO aus, der ermöglicht, die persönliche Haftung auf Schadensersatz – auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen – auf einzelne Mitglieder einer Sozietät zu beschränken. Zielvorstellung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 12/4993, S. 32) war dabei, insbesondere Mitgliedern überörtlicher oder interprofessioneller Sozietäten die Möglichkeit zu geben, die Haftung auf die Sozietätsmitglieder und Berufsträger zu beschränken, die Einfluss auf die Mandatsbearbeitung haben oder zumindest über entsprechende Kontrollmöglichkeiten verfügen. § 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO schließt allerdings nicht aus, die Möglichkeit der Beschränkung der persönlichen Haftung auf einzelne Sozietätsmitglieder auch innerhalb einer allein örtlich tätigen Sozietät wahrzunehmen.
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 104 Kap. 1
Wird das Mandatsverhältnis – wirksam – nur mit einem Mitglied der Sozietät begründet, kann der 101 Mandant im Haftungsfall nicht auf das Gesellschaftsvermögen der Sozietät zurückgreifen. § 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO erlaubt eine so weitgehende Haftungskonzentration allerdings nicht; das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen darf, da § 52 BRAO die Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung enumerativ aufzählt (Hartung/Grams § 52 BRAO Rz. 7; Henssler/Prütting/Diller § 52 BRAO Rz. 14; vgl. auch Feuerich/Weyland § 52 BRAO Rz. 1), dem Zugriff des Mandanten im Schadensfall nicht entzogen werden (hA, vgl. Hartung/Grams § 52 BRAO Rz. 33 f.; Borgmann/Jungk/ Schwaiger § 41 Rz. 58; Fischer/Rinkler § 1 Rz. 522; Henssler/Prütting/Diller § 52 BRAO Rz. 69). Im Haftungsfall muss daher auch der Mandant, der der Haftungskonzentration auf einzelne Mitglieder einer Sozietät gem. § 52 Abs. 2 Satz 2, 3 BRAO zugestimmt hat, wegen § 736 ZPO darauf achten, dass er einen Titel auch gegen sämtliche Mitglieder der Sozietät erwirbt, um in das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen vollstrecken zu können und sich – sofern im Sozietätsvertrag nicht abbedungen – die Möglichkeit offen zu halten, den Anspruch der Sozietät gegen die einzelnen Mitglieder der Sozietät, deren persönliche Haftung durch die Zustimmung zur Haftungskonzentration an sich ausgeschlossen ist, auf Nachschuss (§ 735 BGB) pfänden und sich diesen Anspruch zur Einziehung überweisen lassen zu können (§§ 736, 829, 835, 836 ZPO).
K
Praxistipp: Ist die Nachschusspflicht im Gesellschaftsvertrag, den die Sozien untereinander ge- 102 schlossen haben, nicht abbedungen (s. dazu MüKo.BGB/Schäfer § 735 BGB Rz. 2; Palandt/ Sprau § 735 BGB Rz. 1), läuft die mit der Haftungskonzentration gem. § 52 Abs. 2 BRAO verfolgte Zielsetzung ins Leere. Ist die Nachschusspflicht gem. § 735 BGB abbedungen, bedeutet die Möglichkeit zum Rückgriff des Mandanten auf das Gesellschaftsvermögen zugleich, dass die übrigen Mitglieder der Sozietät im Falle der Fortführung der Sozietät über das Gesellschaftsvermögen den das Privatvermögen des haftenden Sozius nicht deckenden Teil des Schadens ausgleichen müssen. Auch wenn die Nachschusspflicht abbedungen ist, kommt es durch die Regelung in § 52 Abs. 2 BRAO zur Haftungsbeschränkung auf das Privatvermögen des haftenden Sozius und das im Zeitpunkt der Vollstreckung vorhandene Gesellschaftsvermögen der Sozietät nur dann, wenn die berufliche Zusammenarbeit der in der Sozietät verbundenen Sozien beendet wird (Fischer/Rinkler § 1 Rz. 523). Geschieht das nicht, kann der Gläubiger (Mandant) auf die Forderungen der Sozietät zugreifen, die durch die Fortsetzung der Zusammenarbeit der Sozien als Gesellschaftsvermögen entstehen. § 52 Abs. 2 BRAO erweist sich im Ergebnis daher auch nicht als praktikables Mittel zur Haftungsbeschränkung bei der täglichen Bearbeitung von Mandaten. Jene Regelung gibt, sofern § 735 BGB abbedungen ist, den einzelnen Sozien lediglich die Möglichkeit, im Haftungsfall ihr Privatvermögen zu retten. Unabhängig davon lässt sich über die Regelung des § 52 Abs. 2 BRAO und den gleichzeitigen Abschluss einer entsprechend hohen Einzelversicherung für das Mandat jedoch häufig eine gegenüber einer Haftpflichtversicherung, die die Haftungsrisiken aller Sozien in entsprechender Höhe abdeckt, günstige Versicherungsprämie beim Haftpflichtversicherer aushandeln.
Die persönliche Haftung aller Mitglieder der Sozietät lässt sich über die Regelung des § 52 Abs. 2 BRAO nicht ausschließen (ebenso Fischer/Rinkler § 1 Rz. 522). Unzulässig ist ebenfalls die Haftungskonzentration auf Scheinmitglieder der Sozietät (Henssler/Prütting/Diller § 52 BRAO Rz. 69; Fischer/Rinkler § 1 Rz. 519; vgl. dazu auch Baldringer/Jordans AnwBl. 2005, 676).
103
Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO kann die Haftungskonzentration auf einzelne Mitglieder der Sozietät auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen erfolgen. Der Gesetzesformulierung ist mithin zu entnehmen, dass individual vertragliche Vereinbarungen über die Haftungskonzentration (s. zur Abgrenzung Rz. 84 ff., 86) ebenfalls unbedenklich sind. Da § 52 Abs. 2 Satz 3 BRAO die Regelung enthält, dass die Zustimmungserklärung zur Haftungskonzentration keine andere Erklärungen enthalten darf, muss auch bei der individual vertraglichen Haftungskonzentration darauf geachtet werden, dass in der Zustimmungserklärung keine anderen Erklärungen des Mandanten enthalten sind; und zwar auch keine, die unter § 52 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BRAO fallen.
104
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Kap. 1 Rz. 105
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.14
105 In die Erklärung über die Haftungskonzentration müssen die einzelnen Mitglieder der Sozietät, die das Mandat im Rahmen ihrer eigenen beruflichen Befugnisse bearbeiten, namentlich bezeichnet sein (§ 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO). Als Bearbeiter gilt derjenige Anwalt, der die anwaltliche Leistung erbringt. Wann untergeordnete Hilfstätigkeiten vorliegen – die nach der Auffassung von Fischer/Rinkler § 1 Rz. 526 auch anderen Mitgliedern der Sozietät oder einem angestellten Anwalt oder freiem Mitarbeiter als Hilfskraft überlassen werden können, ohne die Wirksamkeit der Vereinbarung über die Haftungskonzentration zu gefährden – wird im konkreten Fall schwer abzugrenzen sein. So kann es notwendig werden, dass der Terminsvertreter eine, für den bearbeitenden Anwalt, auf den die Haftung konzentriert ist, zuvor nicht absehbare prozessuale Willenserklärung (Abschluss eines Vergleiches, Erledigungserklärung, Anerkenntnis etc.) abzugeben hat, oder der Krankheits- oder Urlaubsvertreter fristgebundene, möglicherweise sogar bestimmende, Schriftsätze verfassen muss. Dass diese Tätigkeiten bei der Bearbeitung des Mandats als untergeordnete angesehen werden, lässt sich in der Regel ausschließen. Um die Wirksamkeit der Vereinbarung über die Haftungskonzentration nicht zu gefährden, sollte anstelle des bearbeitenden Anwalts deshalb nur ein gem. § 53 BRAO ordnungsgemäß bestellter Vertreter handeln, da für dessen Fehler dem Mandanten gegenüber nur der Vertretene haftet (Feuerich/Weyland § 53 Rz. 54; Henssler/Prütting § 53 Rz. 33; Hartung/Scharmer § 53 BRAO Rz. 119; Gaier/Wolf/Göcken/Tauchert/Dahns § 53 BRAO Rz. 50).
106 Bis zur Klärung der Frage, ob die Zustimmungserklärung zur Haftungskonzentration in einer gesonderten Urkunde abgegeben werden muss oder § 52 Abs. 2 Satz 3 BRAO lediglich fordert, dass die Erklärung räumlich getrennt und drucktechnisch – ohne dass weitere Erklärungen in ihr enthalten sind – hervorzuheben ist, empfiehlt sich, die Zustimmungserklärung in eine gesonderte Urkunde aufzunehmen; wobei dies auch für den Fall einer individualvertraglichen Regelung gilt. Die Möglichkeit des Aushandelns wird bei einer individualvertraglichen Regelung dem Mandanten etwa dadurch gegeben, dass die Konzentration der Haftung auf einzelne namentlich benannte Mitglieder der Sozietät zur Disposition gestellt wird.
107 M 1.14 Haftungsbeschränkung auf einzelne Mitglieder einer Sozietät im Rahmen
vorformulierter Vertragsbedingungen Ich habe heute der Sozietät … (Benennung der Sozietät) den Auftrag erteilt, mich in der Angelegenheit … zu vertreten. Der mit der Auftragserteilung zugleich getroffenen Vereinbarung, dass die persönliche Haftung der Mitglieder der vorstehend angeführten Sozietät auf Schadensersatz aus dem durch den erteilten Auftrag begründeten Vertragsverhältnis auf folgende namentlich benannte Mitglieder der Sozietät … (namentliche Benennung der Sozietätsmitglieder, die das Mandat im Rahmen eigener beruflicher Befugnis bearbeiten) beschränkt wird, stimme ich zu. …, den … … (Unterschrift des Mandanten; ggf. mit Firmenstempel oder dem Zusatz der Firma)
d) In der Partnerschaftsgesellschaft und Partnerschaftsgesellschaft mbB
108 Grundsätzlich haften gem. § 8 Abs. 1 PartGG alle Partner für Verbindlichkeiten der Partnerschaft gesamtschuldnerisch. Die Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung ergibt sich für die Partnerschaft aus § 8 Abs. 2, 3 PartGG. Bei beruflichen Fehlern haften – und zwar neben der Partnerschaft – nur die
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Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 113 Kap. 1
Partner, die eine Sache bearbeiten (§ 8 Abs. 2 PartGG). Eine individuelle Begrenzung der Haftung des Partners ist durch Vereinbarung nach § 8 Abs. 2 PartGG iVm. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO möglich. Durch AGBs (§ 8 Abs. 3 PartGG iVm. § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BRAO) kann die Haftung der Partnerschaft für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Mindestversicherungsschutz (1 Mio. Euro) beschränkt werden. Zu den Besonderheiten, die im Zusammenhang mit der Haftungskonzentration auf einzelne Mitglieder einer Partnerschaft gelten, vgl. Fischer/Rinkler § 1 Rz. 249 f. Für die Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB/Part mbB) ergibt sich die Haf- 109 tungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen aus § 8 Abs. 4 PartGG (BGBl. I 2013, 2386). Die Partnerschaft mit beschränkter Haftung schließt jede persönliche Haftung der Partner für berufliche Fehler aus. Es kommt nicht mehr darauf an, welcher Partner das Mandat bearbeitet hat; § 8 Abs. 1 und 2 PartGG finden keine Anwendung. Die Haftung erstreckt sich auf 2,5 Mio. Euro pro Versicherungsfall (§ 51a Abs. 2 BRAO). Ist die vorgeschriebene Haftsumme der Versicherung im konkreten Fall überschritten, haftet nur noch das Gesellschaftsvermögen. Mit dem Gesellschaftsvermögen haftet die PartG mbB ebenfalls nur, wenn die Versicherung wegen grober Fahrlässigkeit oder wegen Vorsatz im Einzelfall nicht eintritt (BT-Drucks. 17/10487, S. 14). Im Vergleich zur Partnerschaft ist die PartG mbB keine neue Rechtsform, sondern lediglich eine Variante der Partnerschaft mit modifiziertem Haftungsregime (BT-Drucks. 17/10487, S. 15). Die PartG mbB muss einen Zusatz führen, der sie als solche erkennbar macht (§ 8 Abs. 4 Satz 3 PartGG). e) Rechtsanwalts GmbH Die Rechtsanwalts GmbH haftet nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Lediglich in Fällen der Durchgriffshaftung ist eine Inanspruchnahme der Gesellschafter denkbar. Der einzelne Gesellschafter (= Rechtsanwalt) haftet also im Regelfall nicht; die Mindestversicherungssumme, die Rechtsanwalts GmbH unterhalten muss, beträgt 2,5 Mio. Euro pro Versicherungsfall (§ 59j BRAO). Die Rechtsanwalts GmbH, die Vertragspartner des Mandanten ist, kann ihre Haftung durch Individualvereinbarung und durch AGBs (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BRAO) beschränken.
110
Zur Möglichkeit der Gründung einer Anwalts-UG (haftungsbeschränkt) nach § 5a GmbHG mit weniger als 25.000 Euro Stammkapital vgl. Gaier/Wolf/Göcken/Bormann § 59c BRAO Rz. 4a. Auch für die Anwalts-UG (haftungsbeschränkt) muss eine Berufshaftpflichtversicherung nach § 59j BRAO iHv. 2,5 Mio. Euro pro Versicherungsfall unterhalten werden.
111
f) Rechtsanwalts AG Die Rechtsanwalts AG ist bisher nicht gesetzlich geregelt; die §§ 59c ff. BRAO regeln lediglich die Rechtsanwalts GmbH. Auf diese Regelungen kann zurückgegriffen werden (Gaier/Wolf/Göcken/Tauchert/Dahns § 52 BRAO Rz. 35).
112
g) EG-Verbraucherschutz-Richtlinie Ungeklärt ist bisher, ob und ggf. in welchem Umfang § 52 BRAO gegen die Richtlinie des Rates 93/13/EWG v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (NJW 1993, 1838) verstößt (zum Streitstand: noch Zugehör/Rinkler, 3. Aufl. 2011, § 1 Rz. 505, Fischer/Rinkler § 1 Rz. 513). Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass jene Richtlinie auf die Auslegung des § 52 BRAO in einer Weise Einfluss nimmt, die von der hier vertretenen Auffassung abweicht. In welchem Umfang derartige Abweichungen denkbar sind, lässt sich – immer noch – nicht absehen (so schon 7. Aufl.).
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113
Kap. 1 Rz. 114
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
IV. Honorarvereinbarung 1. Grundlagen
114 Gemäß § 49b Abs. 1 BRAO ist es unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das RVG vorsieht, soweit das RVG selbst nichts anderes bestimmt. Da bei Vertretung des Mandanten im Prozess das Entstehen der Gebühren und ihre Höhe durch bestimmte Gebührentatbestände klar vorbestimmt ist (s. dazu Kap. 43 Rz. 43) und die Möglichkeit, Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen, erst nach Erledigung des Auftrags besteht (§ 49b Abs. 1 Satz 2 BRAO), bleibt für den Prozessanwalt nur wenig Raum für eine Honorarvereinbarung: Die Honorarvereinbarung kann sich auf ein Zusatzhonorar erstrecken, das betragsmäßig festgesetzt wird; oder es wird vereinbart, dass anstelle des festgesetzten Streitwerts ein anderer, höherer Streitwert für die Abrechnung in Ansatz gebracht wird. Möglich ist auch, ein Stundenhonorar zu vereinbaren; wobei verabredet wird, dass jedenfalls das nach dem RVG geschuldete Honorar zu zahlen ist. Möglich ist im Rahmen des § 4a RVG auch die Vereinbarung eines Erfolgshonorars.
115 K
Praxistipp: Bei Übernahme des Mandats ist der Mandant darauf hinzuweisen, dass die Abrechnung nach dem Gegenstandswert erfolgt, wenn diese Art der Abrechnung beabsichtigt ist (§ 49b Abs. 5 BRAO).
2. Zusatzhonorar
116 Kann – etwa weil ein Musterprozess durchzuführen ist, der nur einen geringen Streitwert aufweist, oder dem Mandanten verständlich gemacht werden kann, dass der mit der Prozessvertretung verbundene Aufwand durch die gesetzlichen Gebühren auch unter Berücksichtigung der dem RVG zugrunde liegenden Mischkalkulation (s. dazu Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, Einl. Rz. 12) in keiner Weise abgedeckt wird – ein Zusatzhonorar durchgesetzt werden, muss die Vereinbarung über die entsprechende Vereinbarung der Form des § 3a Abs. 1 RVG entsprechen. Die Erklärung des Mandanten, eine höhere als die gesetzliche Vergütung zahlen zu wollen, muss demnach in Textform abgegeben werden; sie darf zudem nicht in der Vollmacht oder in einem Vordruck, der auch andere Erklärungen umfasst, enthalten sein.
117 Da die Entwicklung des Rechtsstreits nie vorhersehbar ist und deshalb bei Übernahme des Mandats auch nicht abgeschätzt werden kann, ob eine die gesetzliche Vergütung bei Übernahme des Mandats übersteigende Pauschalvergütung sich nicht letztendlich als Vergütung darstellt, die nach der Gebührenordnung in vollem Umfang geschuldet wird, kann sich empfehlen, das Zusatzhonorar als prozentualen Aufschlag auf die gesetzlich geschuldete Gebühr zu vereinbaren (s. Rz. 116). Möglich ist auch, die Regelung zu treffen, dass die Gebühren nach einem zuvor vereinbarten, den absehbaren Streitwert übersteigenden Streitwert abgerechnet werden, in jedem Fall aber die gesetzliche Gebühr geschuldet wird, wenn diese einen höheren Gebührenanspruch begründet als die Gebühr, die nach der getroffenen Vereinbarung gefordert werden kann. Zulässig ist auch, ein Zeithonorar zu vereinbaren (s. Rz. 116); allerdings lässt sich in der Regel für den Anwalt und auch nicht für den Mandanten absehen, welcher Zeitaufwand für die Prozessführung erforderlich wird. Es bedarf demnach – neben der Möglichkeit, ein hohes Stundenhonorar durchsetzen zu können – großer Erfahrung in der Abschätzung des für die Bearbeitung des Mandats erforderlichen Zeitaufwandes, um über ein Zeithonorar ein Zusatzhonorar zu erwirtschaften.
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M 1.15
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 121 Kap. 1
M 1.15 Honorarvereinbarung, Zusatzhonorar im Rahmen prozessualer Vertretung
118
des Mandanten Vergütungsvereinbarung Ich erkläre mich damit einverstanden, dass Rechtsanwalt … (Raum für die Benennung des Anwalts) seine Vergütung für seine Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter im Rechtsstreit … … auf der Grundlage eines Streitwertes von … Euro (in Worten: … Euro) berechnet, sofern der gesetzliche oder gerichtlich festgesetzte Gegenstandswert unterhalb dieses Betrages liegt; überschreitet der gesetzliche oder gerichtlich festgesetzte Streitwert diesen Betrag, wird die Vergütung auf der Grundlage jenes höheren Streitwertes abgerechnet. Diese Regelung erstreckt sich lediglich auf die in der … Instanz anfallenden Gebühren. Mit ist bekannt, dass gegenüber dem Gegner im Falle des Obsiegens kein Erstattungsanspruch besteht, der die gesetzliche Gebühr übersteigt. …, den … … (Unterschrift des Mandanten; ggf. mit Firmenstempel oder ausgeschriebener Firma)
Ist für die Honorarvereinbarung die Form des § 3a Abs. 1 RVG eingehalten, schuldet der Mandant die vereinbarte Gebühr allerdings nicht, wenn die Gebührenvereinbarung gem. § 138 BGB sittenwidrig ist (s. dazu BGH NJW-RR 2017, 377 Rz. 17) oder eine Herabsetzung gem. § 3a Abs. 2 RVG in Betracht kommt. Fehlt es an einer formwirksamen Vereinbarung gem. § 3a Abs. 1 RVG, kann der Mandant unter Hinweis auf die fehlende Form eine freiwillig und ohne Vorbehalt erbrachte Leistung auf das vereinbarte, die gesetzliche Vergütung übersteigende Honorar nicht zurückfordern (§ 4b Satz 2 RVG iVm. § 814 BGB; s. hierzu Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, § 4b Rz. 5). Die Rückforderung ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Mandant die Zahlung im Bewusstsein erbracht hat, eine höhere als die gesetzlich geschuldete Vergütung zu zahlen (BGH NJW 2016, 1391 Rz. 9). Der Anwalt hat nicht die Möglichkeit, im Falle einer Teilleistung auf eine formunwirksam getroffene Vergütungsvereinbarung die Teilleistung auf den Teil der Vergütung zu verrechnen, der die gesetzliche Vergütung übersteigt (Fischer/D. Fischer § 2 Rz. 438, 439). Die freiwillig geleistete Zahlung heilt lediglich einen Verstoß gegen die Formvorschrift des § 3a Abs. 1 RVG; einer Herabsetzung der Vergütung gem. § 3a Abs. 2 RVG steht die freiwillig erbrachte Zahlung nicht im Wege.
119
Wird im Rahmen der Honorarvereinbarung nicht geregelt, dass der Mandant in jedem Fall die gesetzliche Gebühr schuldet, kann der Anwalt trotz der Regelung in § 49b Abs. 1 BRAO den Unterschiedsbetrag zwischen der verbotswidrig vereinbarten geringeren und der von ihm zu fordernden gesetzlichen Vergütung nicht einfordern (Fischer/D. Fischer § 2 Rz. 456). Die gegen § 49b Abs. 1 BRAO verstoßende Vereinbarung ist zwar nichtig, die Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben verwehren jedoch in der Regel dem Anwalt, den Differenzbetrag zwischen der unterhalb der gesetzlichen Gebühr vereinbarten Gebühr und der gesetzlichen Gebühr selbst zu verlangen.
120
3. Beigeordneter Anwalt (§ 48 BRAO) Ist der Anwalt gem. § 48 BRAO beigeordnet, ist ihm auch im Falle der Beiordnung gem. § 48 Abs. 1 Nr. 2, 3 BRAO nicht gestattet, die Übernahme des Mandates von einer Honorarvereinbarung abhängig zu machen (Henssler/Henssler § 48 BRAO Rz. 25, § 49 BRAO Rz. 24; Kleine-Cosack § 48 BRAO
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Kap. 1 Rz. 122
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 3 f.). Die Vereinbarung einer über die gesetzliche Vergütung hinausgehenden Zusatzvergütung im Falle der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe ist nichtig (§ 39 Abs. 3 RVG). 4. Erfolgshonorar
122 Ein Erfolgshonorar darf nur für den Einzelfall und nur dann vereinbart werden, wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse ohne die Vereinbarung des Erfolgshonorars bei verständiger Betrachtung von der Rechtsverfolgung Abstand nehmen würde (§ 4a Abs. 1 RVG). Für das gesetzliche Verfahren sieht § 4a Abs. 1 Satz 2 RVG die Möglichkeit vor, dass keine oder eine geringere als die gesetzliche Gebühr für den Fall des Misserfolgs vereinbart werden kann, wenn für den Fall des Erfolgs ein angemessener Zuschlag auf die gesetzliche Gebühr vereinbart ist. Der Inhalt der Gebührenvereinbarung selbst muss die Voraussetzung erfüllen, die § 4a Abs. 2 und 3 RVG zusätzlich aufstellt. Auf eine detaillierte Darstellung wird hier verzichtet, weil zumindest auf Grundlage der veröffentlichten Rechtsprechung erkennbar ist, dass diese Sonderform der Vergütungsvereinbarung bisher keine hohe Bedeutung erlangt. Zu beachten ist allerdings, dass auch bei im Sinne nach § 4a RVG nichtigem Erfolgshonorar die gesetzliche Vergütung verlangt werden kann (BGH NJW 2014, 2653).
V. Niederlegung 1. Grundlagen
123 Mit der Erledigung des Auftrags ist für den Anwalt das Mandat beendet. Kommt es während der Bearbeitung des Mandats zu vom Mandanten verschuldeten Vertragsstörungen, kann der Anwalt das Mandat – ungeachtet der Frage, welche Folge dies für seinen Vergütungsanspruch hat (s. dazu §§ 15 Abs. 4 RVG, 628 BGB) – jederzeit kündigen, sofern die Kündigung nicht zur Unzeit erfolgt (§ 627 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB). Wird der Vertrag vom Anwalt zur Unzeit gekündigt, ohne dass ihm ein wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung zur Seite steht, hat der Anwalt dem Mandanten den aus der Kündigung entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 627 Abs. 2 Satz 2 BGB). Ob ein wichtiger Grund für eine unzeitige Kündigung vorliegt, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab. Um einer Schadensersatzpflicht zu entgehen, ist daher regelmäßig dafür Sorge zu tragen, dass sich die Kündigung nicht als Kündigung zur Unzeit darstellt. Bei drohendem Fristablauf sollte der Anwalt daher stets dafür Sorge tragen, dass dem Mandanten auch nach erfolgter Kündigung noch ausreichend Zeit zur Verfügung steht, einen anderen Anwalt mit der sachgerechten Vertretung seiner Interessen zu beauftragen (s. dazu etwa BGH NJW 2013, 1284 Rz. 14).
124 Als vertragswidriges Verhalten des Mandanten ist in der Rechtsprechung anerkannt worden, wobei die Beispiele lediglich Leitbildfunktion haben und stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob sich die Kündigung nicht doch als Kündigung zur Unzeit erweist: – Wiederholter, grundloser Vorwurf fehlerhafter Beratung und Androhung unbegründeter Regressforderungen (BGH NJW 1997, 188, 189); verbindliche Weisung zum Inhalt eines Schriftsatzes, wenn die Weisung der Rechtslage widerspricht (OLG Karlsruhe NJW-RR 1994, 1084 f.; Fischer/ Rinkler § 1 Rz. 113); – Nichtzahlung des Vorschusses trotz rechtzeitiger Anforderung (Borgmann/Jungk/Schwaiger § 15 Rz. 107 mwN; Fischer/Rinkler § 1 Rz. 113); – Aufstellen unzumutbarer Anforderungen, insbesondere bewusstes und hartnäckiges Verlangen, dass der Rechtsanwalt gegen Gesetz und berufsrechtliche Vorschriften verstößt; – Beauftragung eines anderen Rechtsanwaltes, wenn dadurch Zweifel an der Tauglichkeit des ursprünglich beauftragten Rechtsanwalts zum Ausdruck gebracht werden; – Erteilung bewusst fehlerhafter bzw. hartnäckig unvollständiger Informationen trotz vorheriger Androhung der Niederlegung des Mandats durch den Rechtsanwalt (Fischer/Rinkler § 1 Rz. 113); 30
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M 1.17
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 129 Kap. 1
– Erhebung von unbegründeten und/oder in der Form unangemessenen Vorwürfen gegen den Rechtsanwalt – beispielsweise Vorwurf des Parteiverrats (OLG Düsseldorf VersR 1991, 1381 f.). 2. Vollzug der Niederlegung Da sich die Niederlegung des Mandats als Kündigung des Vertragsverhältnisses mit dem Mandanten darstellt, ist Adressat der Mitteilung über die Niederlegung der Mandant. Die Unterrichtung des Mandanten über die Niederlegung kann durch einfaches, formloses Schreiben erfolgen (BGH VersR 1987, 286; VersR 1985, 90).
125
K
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Praxistipp: Erfolgt die Mitteilung über die Niederlegung des Mandats durch eingeschriebenen Brief, empfiehlt sich, stets ein – ebenfalls unterschriebenes – weiteres Exemplar des Briefes auf einfachem Postwege zu übermitteln, sofern eine Übermittlung per Telefax (Sendeprotokoll archivieren!) nicht möglich ist. Einschreibsendungen werden häufig nicht abgeholt. Kehrt die eingeschriebene Sendung an den Anwalt nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist bei der Post zurück, und ist zu diesem Zeitpunkt eine vom Mandanten einzuhaltende Frist abgelaufen, kann dies möglicherweise Schadensersatzansprüche gegen den Anwalt auslösen, wenn der Mandant etwa erfolgreich geltend machen kann, er habe die Mitteilung über die erfolglose Zustellung der eingeschriebenen Sendung nicht erhalten. Im Brief, in dem das Mandat niedergelegt wird, sollten zudem die Gründe für die Mandatsniederlegung kurz zusammengefasst werden.
M 1.16 Mandatsniederlegung, Schreiben an den Mandanten
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… Sehr geehrter Herr Meyer, In ihrer Sache gegen Schulze hatte ich Sie mit Schreiben vom … aufgefordert, den Vorwurf, aufgrund des Inhaltes meiner Schriftsätze hätten Sie den Eindruck, ich würde mit dem Prozessgegner – Schulze – zusammenarbeiten, bis zum … zurückzunehmen. Ein entsprechendes Schreiben habe ich bis zum Ablauf der Ihnen gesetzten Frist nicht erhalten. Ich kündige im Hinblick darauf das zwischen uns bestehende Vertragsverhältnis und habe im Einklang damit die Mandatsniederlegung dem … gericht mit dem in Kopie beigefügten Schriftsatz angezeigt. Ich mache darauf aufmerksam, dass derzeit in Ihrem Verfahren keine Frist läuft, die Sie zu beachten haben. Allerdings steht – unverändert – Termin zur mündlichen Verhandlung am … an. Bitte tragen Sie daher, sofern Sie sich weiterhin gegen die von Schulze erhobenen Klagen verteidigen wollen, umgehend dafür Sorge, dass sich gegenüber dem … gericht ein anderer zu Ihrer Vertretung bereiter Kollege für Sie legitimiert. Kopien sämtlicher im Verfahren gegen Schulze gewechselter Schriftsätze sind Ihnen jeweils von mir übersandt worden. Das gilt ebenfalls für die Verfügungen des Gerichts, die mich erreicht haben. Sie haben mithin eine lückenlose Übersicht über den Sach- und Streitstand des Verfahrens vorliegen. Auf die Sache komme ich im Rahmen der weiteren Abrechnung und Abwicklung in Kürze zurück.
Die Mandatsniederlegung ist ebenfalls dem Gericht anzuzeigen; wobei Gründe für die Niederlegung in der Regel nicht anzugeben sind (s. dazu auch Rz. 33).
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M 1.17 Niederlegung des Mandats, Schriftsatz an das Gericht
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich das Mandat niedergelegt habe.
Vorwerk
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Kap. 1 Rz. 130
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
M 1.18
130 Die Anzeige gegenüber dem Gericht unter gleichzeitiger Zustellung einer beglaubigten Abschrift an den Gegner ist in Verfahren, die keine Anwaltsprozesse (§ 78 ZPO) sind, dringend anzuraten, weil im Verhältnis zum Gegner die Vertretungsbefugnis außerhalb von Anwaltsprozessen (§ 78 ZPO) so lange als fortbestehend gilt, bis die Beendigung des der Vertretungsbefugnis zugrunde liegenden Anwaltsvertrags angezeigt wird (§ 87 ZPO), vgl. dazu BGH NJW 2008, 234. In Anwaltsprozessen selbst erlischt die Vollmacht des Anwalts im Verhältnis zum Gegner erst, wenn sich anstelle des Anwalts, der das Mandat niedergelegt hat, für die entsprechende Partei ein anderer Anwalt legitimiert hat (§ 87 ZPO). Auch nach der Niederlegung des Mandats erfolgen die Zustellungen weiterhin an den Anwalt, der das Mandat niedergelegt hat (§ 172 ZPO), bis die entsprechende Partei einen anderen Anwalt bestellt und dieser gegenüber dem Gericht angezeigt hat, dass er nunmehr jene Partei vertritt (so auch nach dem neuen Rechtszustand Zöller/Schultzky § 172 ZPO Rz. 9 unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung). Über die erfolgten Zustellungen – insbesondere auch Ladungen etc. – hat der Anwalt, der das Mandat niedergelegt hat, seine Partei weiterhin unverzüglich zu unterrichten (BGH NJW 1980, 999; s. auch § 11 Abs. 1 BORA). Sinnvoll ist, mit der Unterrichtung den Hinweis zu verbinden, dass die Unterrichtung über den weiteren Verlauf des Verfahrens selbst nicht die Wiederaufnahme des Mandats bedeutet.
131 M 1.18 Mitteilung über eine erfolgte Zustellung nach Niederlegung des Mandats … Sehr geehrter Herr …, in der Sache gegen Schulze hatte ich mit Schreiben vom … das zwischen uns bestehende Vertragsverhältnis gekündigt und dem Gericht mit Schriftsatz vom selben Tage angezeigt, dass ich das Mandat niedergelegt habe. Aufgrund bestehender gesetzlicher Regelung erfolgen Zustellungen in dieser Sache allerdings weiterhin an mich. Ich übermittle deshalb anbei den Schriftsatz der Gegenseite vom …, der mich soeben erreicht hat; ferner die Verfügung des Gerichts vom …, die mir am … zugestellt worden ist. Die in der Verfügung gesetzte Frist läuft demnach am … ab. Ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, dass Sie zur Wahrung Ihrer Rechte umgehend einen anderen Anwalt beauftragen sollten, der sich gegenüber dem Gericht sofort legitimieren sollte. Mit Übermittlung der vorgenannten Schriftstücke ist eine erneute Aufnahme des Mandates für Sie nicht verbunden. Es bleibt weiterhin bei der erfolgten Niederlegung des Mandats.
132 K
Wichtig: Versäumt es der Anwalt, den Mandanten über nach erfolgter Niederlegung des Mandats eingehende Zustellungen zu unterrichten, kann dies dennoch zur Wiedereinsetzung in eine dadurch versäumte Frist führen! Der Anwalt ist nicht mehr Erfüllungsgehilfe des Mandanten; er ist vielmehr Dritter (BGH BRAK-Mitt. 2011, 282). Für Pflichtverletzungen Dritter hat der Mandant nicht einzustehen! Entdeckt der Anwalt die versäumte Benachrichtigung des – früheren – Mandanten, muss er, auch nach Ablauf der Frist für ein etwa mögliches Rechtsmittel, den Mandanten auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung – einschließlich des Laufs der Fristen und der Einhaltung der notwendigen Form – hinweisen. Auch der „neue“ Anwalt muss an die Wiedereinsetzung denken. Versäumt er dies, haftet er voll, wenn durch sein Versäumnis der Kausalverlauf unterbrochen ist, oder als Gesamtschuldner mit dem „Ersten“ Anwalt, wenn nicht von einer Unterbrechung des Kausalverlaufs auszugeben ist.
133 Über die Übermittlung der dem Anwalt weiterhin zugestellten Schriftstücke hinaus besteht die nachvertragliche Pflicht, den Mandanten über laufende Fristen, insbesondere die prozessualen Fristen (s. M 1.18) und Verjährungsfristen hinzuweisen (BGHZ 7, 280; VersR 1958, 127; NJW 1984, 431; NJW 1993, 1779). Wird dem Anwalt der Auftrag durch Kündigung des Mandanten entzogen, trifft ihn allerdings nicht die Pflicht, Ratschläge für eine künftige Sachbehandlung zu geben (BGH NJW
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Vorwerk
M 1.19
Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats
Rz. 137 Kap. 1
1997, 254; VersR 1958, 127). Eine Pflicht zum Hinweis auf laufende Fristen kann aber auch in diesem Fall bestehen, wenn Nachteile durch baldigen Fristablauf drohen. 3. Aufnahme des Mandates durch den neuen Anwalt Erhält der Anwalt Auftrag, das Mandat anstelle des Anwalts zu übernehmen, der das Mandat niedergelegt hat, hat er sich gegenüber dem Gericht zu legitimieren und umgehend – ggf. durch Einsicht in die Gerichtsakte – sicherzustellen, dass alle laufenden Fristen unter Kontrolle genommen und anberaumte Termine notiert werden. Können die Gerichtsakten nicht eingesehen werden, sollte sogleich der Versuch unternommen werden, die Handakten – zumindest deren sog. Gerichtsteil (Schriftsätze, Verfügungen, Gutachten etc.) – des bisherigen Prozessbevollmächtigten des Mandanten einzusehen. Jener bisherige Prozessbevollmächtigte kann zwar uU ein Zurückbehaltungsrecht an den Handakten geltend machen (§ 50 Abs. 3 Satz 1 BRAO). Dem neuen Prozessbevollmächtigten obliegt dann herauszufinden, ob er Gründe geltend machen kann, die das Vorenthalten jener Gerichtsheftung den Umständen nach unangemessen erscheinen lassen (s. auch § 17 der Berufsordnung).
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K
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Praxistipp: Ist der Mandant nicht im Besitz einer abschließenden Abrechnung über die Gebühren des bisherigen Prozessbevollmächtigten (§ 10 RVG), was in der Regel dann der Fall ist, wenn es für die ordnungsgemäße Abrechnung der Streitwertfestsetzung bedarf, lässt sich geltend machen, dass die Vorenthaltung der Handakten gem. § 50 Abs. 3 Satz 2 BRAO unangemessen ist. Kann der neue Prozessbevollmächtigte die Gerichtsakten nicht einsehen, weil sie etwa dem Berichterstatter oder einem Sachverständigen vorliegen, erscheint die Verweigerung der Einsicht in die Handakten des früheren Prozessbevollmächtigten ebenfalls unangemessen (s. zu diesem Komplex auch Borgmann/Jungk/Schwaiger § 23 Rz. 166 ff.).
M 1.19 Schriftsatz, Anzeige der Übernahme der Vertretung nach erfolgter
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Niederlegung des Mandats durch einen anderen Anwalt In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich nunmehr die Vertretung des Beklagten übernommen habe. Ich beantrage, die Klage abzuweisen. Zugleich bitte ich darum, mir die Gerichtsakten für kurze Zeit zur Einsicht zu überlassen. Kosten: Für den Anwalt gelten keine Besonderheiten. Mit der Erteilung des Auftrags erhält er die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. Für den bisherigen Anwalt angefallene Gebühren sind hierauf ohne Einfluss.
4. Niederlegung nach Beiordnung gem. § 48 BRAO Der Anwalt, der gem. § 48 BRAO – etwa aufgrund eines Prozesskostenhilfebeschlusses – einer Partei beigeordnet worden ist, kann das Mandat erst niederlegen, wenn seinem Antrag gem. § 48 Abs. 2 BRAO, die Beiordnung aufzuheben, stattgegeben ist (s. dazu Rz. 3 sowie Kap. 10 Rz. 150). Ist die Beiordnung aufgehoben worden, hat er das Vertragsverhältnis zum Mandanten, dem er beigeordnet war, wie der Wahlanwalt zu kündigen (s. M 1.16); wobei auf die erfolgte Aufhebung der Beiordnung ausdrücklich hinzuweisen ist. Nach erfolgter Kündigung treffen den ehemals beigeordneten Anwalt dieselben nachvertraglichen Pflichten wie den Wahlanwalt (s. Rz. 133). Vorwerk
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Kap. 2 Rz. 1
Mediation
Kapitel 2 Mediation I. II. 1. 2. 3. 4. 5. III. 1. 2. 3. 4. 5. IV.
Bedeutung und Definition . . . . . . . . . . . . Prinzipien der Mediation . . . . . . . . . . . . . Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neutralität des Mediators . . . . . . . . . . . . . Beratung des Mandanten über Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Person des Mediators . . . . . . . . . . . . . . . . Falleignung für Mediation . . . . . . . . . . . . . Ablauf des Mediationsverfahrens . . . . . . .
1 3 3 4 5 7 10 11 13 16 17 22 24 25
1. Einleitung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . M 2.1 Mediationsvereinbarung . . . . . . . . . 2. Phasenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Phase 1: Eröffnung . . . . . . . . . . . . . . . b) Phase 2: Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . c) Phase 3: Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Phase 4: Entwickeln von Lösungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Phase 5: Bewerten und Fixieren von Lösungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Güterichterverfahren (§ 278 Abs. 5 ZPO) M 2.2 Zustimmung zur gerichtlichen Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschlussvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsanwälte als Mediatoren . . . . . . . . .
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I. Bedeutung und Definition 1 Die Mediation nimmt neben dem Schiedsverfahren und der Schlichtung einen zunehmend wichtigen Platz unter den außergerichtlichen Konfliktlösungsverfahren ein. Mit dem MediationsG v. 21.7.2012 (BGBl. I, 1577), das unter anderem bestimmte Anforderungen an die Tätigkeit von Mediatoren definiert, soll die Mediation weiter gefördert werden. Außergerichtlich stehen als Mediatoren ausgebildete Rechtsanwälte und andere freie Mediatoren zur Verfügung, um in Konflikten zu vermitteln. Im Gerichtsverfahren bieten Gerichte aufgrund des 2012 neu gefassten § 278 Abs. 5 ZPO die Mediation beim Güterichter an. Das Güterichterverfahren erzielt im Schnitt eine Einigungsquote von 50 % (vgl. die Statistik unter https://www.mediatorenausbildung.org/gueterichterstatis tik-2016/). In der außergerichtlichen Mediation liegen die Einigungsquoten sogar zwischen 70 und 80 % (ausf. Steffek ZEuP 2013, 528, 531). Das Thema Mediation spielt eine zunehmende Rolle in der anwaltlichen Beratung im Rechtskonflikt. Nähere Informationen finden sich auf den Webseiten von Anwaltskammern, Mediationsverbänden und Industrie- und Handelskammern, zB www.cen trale-fuer-mediation.de (Centrale für Mediation im Verlag Dr. Otto Schmidt); www.bafm-mediation .de (Bundes-Arbeitsgemeinschaft Familien-Mediation); www.bmev.de (Bundesverband Mediation); https://www.hk24.de/produktmarken/beratung-service/recht_und_steuern/mediation/mediationsstel le-wirtschaftskonflikte/1168240 (Handelskammer Hamburg).
2 Unter einer Mediation versteht man im weitesten Sinne die Vermittlung durch einen neutralen Dritten in einer strukturierten Verhandlung zur Lösung von Rechtskonflikten. Kern der Mediation ist dabei eine mündliche Verhandlung, an der die streitenden Parteien – häufig in Begleitung ihrer Rechtsanwälte – persönlich teilnehmen. Kennzeichnend ist zum einen die professionelle Vermittlung durch den Mediator, der die Aufgabe hat, für einen fairen Gesprächsablauf zu sorgen, den Interessen der Parteien nachzugehen und die Parteien auf dem Weg zu einer Lösung zu unterstützen. Anders als ein Schiedsrichter, Schlichter oder Richter sieht der Mediator von einer Bewertung der Rechtsfragen und von konkreten eigenen Lösungsvorschlägen ab. Für ihn stehen nicht die Prognose eines Prozessausgangs, die juristische Lösung oder die eigene Bewertung der Sach- und Rechtslage im Vordergrund. Aufgabe des Mediators ist es vielmehr, durch geschickte Leitung der Kommunikation die individuelle, interessenorientierte Lösungsfindung der Parteien zu stärken und für eine zukunftsorientierte Vorgehensweise zu sorgen. Zum anderen ist Kennzeichen der Mediation die Struktur des
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Mediation
Rz. 8 Kap. 2
Vermittlungsgesprächs. Man unterscheidet verschiedene Phasen des Mediationsgesprächs. Die Technik der Gesprächsführung ist für das Gelingen einer Mediation von großer Wichtigkeit.
II. Prinzipien der Mediation 1. Freiwilligkeit Das Verfahren der Mediation ist freiwillig, es kann nicht angeordnet werden. Die Verhandlung findet nur statt, wenn alle Beteiligten mit dem Verfahren und den einzelnen Schritten einverstanden sind. Mediation setzt also stets auch das Einverständnis des Verhandlungspartners voraus. Die Mediation kann jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden (§ 2 Abs. 5 MediationsG).
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2. Interessenorientierung Die Mediation hat das Ziel, eine auf die Interessen der Parteien ausgerichtete Lösung des Konflikts 4 zu finden. Von großer Bedeutung ist dabei die Trennung von Positionen und Interessen. Die Positionen der Parteien – dh. ihre juristisch begründeten Forderungen zum Umgang mit Problemen in der Vergangenheit – werden in einer Mediation zwar gehört, aber dann nicht weiter verfolgt. Bedeutsam sind demgegenüber die subjektiven Interessen – dh. die Wünsche und Bedürfnisse der Parteien – auf deren Basis die Beteiligten ihre zukünftige Beziehung gestalten können. Am Ende einer interessenorientierten Verhandlung steht regelmäßig eine win-win-Situation für beide Seiten, die mehr Vorteile bietet als eine Fortsetzung des streitigen Konflikts und eine gerichtliche Entscheidung. In der Mediationsverhandlung liegt das Augenmerk daher weniger auf der juristischen Argumentation als vielmehr auf dem Herausarbeiten der Interessenlage und ihrer Umsetzung in eine für beide Seiten akzeptable Regelung. Das setzt auch Offenheit der Parteien in der Benennung ihrer Interessen voraus. Anders als in einem Gerichtsprozess, in dem es vielfach um Verschulden und Aufarbeitung von Fehlern geht, die in der Vergangenheit liegen, werden die Interessen lösungsorientiert und zukunftsbezogen betrachtet. 3. Vertraulichkeit Die in der Mediation erlangten und preisgegebenen Informationen sind vertraulich zu behandeln. Sie dürfen in einem anschließenden Rechtsstreit nicht verwendet werden. Die Verschwiegenheit des Mediators ist in § 4 MediationsG gesetzlich geregelt, während die Parteien den vertraulichen Umgang mit in der Mediation erlangten Informationen verfahrensvertraglich regeln müssen.
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Praxistipp: Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass nur selten Probleme mit der Handhabung vertraulicher Informationen auftreten. Dennoch sollte der mediationsbegleitende Anwalt darauf achten, dass die Vertraulichkeit durch eine entsprechende Vereinbarung abgesichert ist.
4. Flexibilität Mediation ist kein streng formales, sondern ein flexibles Verfahren, das sich den im Einverständnis 7 der Parteien ausgehandelten Bedingungen unterwirft. So können die Parteien – anders als im streitigen Gerichtsprozess – nach Absprache weitere Personen zu der Verhandlung hinzuziehen, die für die Konfliktlösung nach ihrer Auffassung erforderlich und wichtig sind (§ 2 Abs. 4 MediationsG). Das gilt auch für die Streitbeilegung beim Güterichter.
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Praxistipp: Im Güterichterverfahren erfolgt die Bestimmung der Verhandlungsteilnehmer losgelöst von den formalen Rollen im Prozess als Kläger, Streitverkündeter, Zeuge oder Sachverständiger. Für die Mediation ist allein von Bedeutung, ob die Person für die Konfliktlösung benötigt wird und zur Lösung beitragen kann, etwa weil ihr als wirtschaftlicher Entscheidungsträger die Billigung des Verhandlungsergebnisses vorbehalten ist. Fries 35
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Kap. 2 Rz. 9
Mediation
9 Besondere Flexibilität ist gefragt für eine offene und kreative Suche nach Lösungsoptionen, die eine Grundlage für die angestrebte Konfliktbeilegung und Regelung bieten können. Die Beteiligten sind bei der Lösungssuche nicht an rechtliche Vorgaben des Streitgegenstandes gebunden, sondern können auch außerhalb dessen liegende Faktoren einbeziehen und weitergehende Regelungen treffen, als eine Konfliktentscheidung sie bieten könnte. Vielfach setzt erst die Dynamik der Mediationsverhandlung die Kreativität der Beteiligten frei, zukunftsgerichtete Lösungsoptionen zu suchen und nicht in dem engen Korsett der rechtlichen Streitlage zu verharren. 5. Neutralität des Mediators
10 Die Neutralität des Mediators gehört sicherlich zu den wichtigsten Prinzipien der Mediation. Der Mediator benötigt das Vertrauen beider Seiten und bringt beiden Seiten gleichermaßen Wertschätzung, Respekt und Verständnis entgegen. Auf der Grundlage des Vertrauens der Parteien kann er die Verhandlung fördern. Bestehen Zweifel an der Neutralität des Mediators, ist es Sache der Parteien, über die Eignung seiner Person zur Vermittlung im Konflikt zu befinden. Dazu müssen Mediatoren den Parteien etwaige neutralitätssensible Umstände gem. § 3 Abs. 1 MediationsG frühzeitig offenlegen.
III. Beratung des Mandanten über Mediation 11 Rechtsanwälte sind aus dem Mandatsvertrag heraus verpflichtet, ihre Mandanten nicht nur zur materiellen Rechtslage, sondern auch im Hinblick auf in Betracht kommende Konfliktlösungsverfahren ergebnisoffen zu beraten. Dies bedeutet in vielen Fällen, speziell bei Parteien mit einer ständigen geschäftlichen oder familiären Beziehung, dass Anwälte ihre Mandanten über die Möglichkeit sowie Vor- und Nachteile einer Mediation informieren müssen. Nur so ist eine Entscheidung für den passenden Weg der Auseinandersetzung und seine Vorbereitung gewährleistet. Dazu gehören Grundkenntnisse des Anwalts über Mediation, am besten eigene Erfahrungen als anwaltlicher Mediationsbegleiter.
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Praxistipp: In der Mediationsverhandlung sollte der begleitende Anwalt sein Handlungsspektrum erweitern und zusätzlich zur rechtlichen Beratung und Überzeugungskraft in einer weitsichtigen Mandantenführung seinen Mandanten in der Interessenfindung unterstützen und einen konstruktiven Lösungsbeitrag leisten.
1. Kosten
13 Kosten der Mediation sind das Honorar des außergerichtlichen Mediators sowie die Vergütung des begleitenden Rechtsanwalts. Außergerichtliche Mediatoren rechnen üblicherweise nach Stundensätzen ab. Da das Angebot die Nachfrage stark übersteigt, sind diese Kosten insgesamt eher als gering einzustufen. Sie werden vielfach nicht oder nicht wesentlich über der Summe der drohenden Gerichtskosten liegen, vor allem, wenn sich der Prozess über mehrere Instanzen erstreckt. Zunehmend decken Rechtsschutzversicherungen auch Mediationskosten ab und vermitteln zum Teil auch außergerichtliche Mediatoren.
14 Im Verfahren vor dem Güterichter nach § 278 Abs. 5 ZPO fallen keine zusätzlichen Gerichtsgebühren an. Die Mitwirkung des parteilich beratenden Rechtsanwalts im Rahmen der richterlichen Mediation wird grundsätzlich vollständig durch die Gebühren abgegolten, die er im Rahmen des Gerichtsverfahrens erhält, einschließlich Terminsgebühr und Einigungsgebühr (ausf. Engel in Eidenmüller/Wagner, Mediationsrecht, 2015, Kap. 10).
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Praxistipp: Eine Einigung im Güterichterverfahren führt zur Erstattung von Gerichtsgebühren wie bei einem klassischen gerichtlichen Vergleich. Bei Erledigung des Berufungsverfahrens
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Mediation
Rz. 22 Kap. 2
durch eine Mediation vor Eingang der Berufungsbegründung fällt lediglich eine Gerichtsgebühr gem. Nr. 1221 KV zu § 3 GKG an. 2. Vorteile Für den Mandanten kann eine Mediation aus mehreren Gründen vorteilhaft sein: Die Parteien bestimmen den Verhandlungsgegenstand. Sie sind nicht auf hoher See, sondern haben Kontrolle über Ablauf, Inhalt und Ergebnis des Verfahrens. Die vom Mediator vorgegebene Kommunikationskultur in der Mediationsverhandlung ist so gestaltet, dass sie für hohe Akzeptanz des Verhandlungsverlaufs sorgt und dem Mandanten ermöglicht, mit seinem Anliegen und seinen Beweggründen Gehör zu finden. Die Bandbreite der Lösungsoptionen ist erstaunlich, wenn man ohne Konfliktbarrieren darüber nachdenken kann. Bedenkt man die häufig zermürbende Dauer von Prozessverfahren, die Anzahl und den Umfang der Schriftsätze, die geschrieben und gelesen werden müssen, berücksichtigt man ferner, zu welcher Verhärtung die schriftliche Polarisierung und gegenseitige Demontage der Gegner führt, ist eine Mediation ein lohnender Versuch, ohne dieses Vorgehen auszukommen. Man vermeidet ein nervenaufreibend langes Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang aufgrund einer möglicherweise schwierigen Beweislage. Auch unter Kostengesichtspunkten empfiehlt es sich, auf einen frühen Mediationstermin hinzuwirken.
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3. Risiken Geht es voraussichtlich nur um rasche Titulierung und Durchsetzung eines unstreitigen Anspruchs, kann eine Mediation zu einer überflüssigen Verzögerung führen.
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Praxistipp: Auch in solchen Fällen sollte man eine Mediation nicht vorschnell verwerfen. Denn 18 stets ist das Vollstreckungsrisiko zu beachten. Erfahrungsgemäß ist die Erfolgsaussicht bei in der Mediation freiwillig zugesagter Leistung größer als in der kostenträchtigen Auseinandersetzung um die Zwangsvollstreckung. So lassen sich Verzögerung und Vollstreckungsrisiko durch eine höhere Leistungsbereitschaft des Schuldners kompensieren.
Die in der Mediation geltende Vertraulichkeit und Offenheit kann die Parteien dazu führen, zur Förderung der Verhandlung Informationen offenzulegen, die sich unter Umständen nachteilig für die eigene Rechtsposition auswirken können.
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Praxistipp: Die Zustimmung des Gegners zur Mediationsverhandlung kann den taktischen Hintergrund haben, weitere Informationen zu erlangen und eigene Erfolgsaussichten besser abschätzen zu können. Insofern besteht kein Unterschied zu anderen Vergleichsverhandlungen. Die Ernsthaftigkeit des Verhandlungswillens des Gegners ist wie bei anderen Verhandlungen auch in der Mediation kritisch zu prüfen.
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Die Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche ist während des Mediationsverfahrens nach § 203 Satz 1 BGB gehemmt.
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4. Person des Mediators Für die anwaltliche Beratung über Mediation ist es erforderlich, Mediatorinnen und Mediatoren empfehlen zu können. Über das Angebot an außergerichtlichen Mediatoren informieren unter anderem die Rechtsanwaltskammern, der Deutsche Anwaltverein, die Mediationsverbände und die Industrie- und Handelskammern. Für die Parteien sind bei der Auswahl des Mediators in der Regel aber nicht eine Listung oder eine Verbandsanerkennung, sondern Rechts- und Branchenkenntnisse wie auch die Reputation des Mediators in seinem Hauptberuf entscheidend. Bei vielschichtigen Sachverhalten agieren häufig auch zwei Vermittler aus unterschiedlichen Disziplinen als gleichberechtigte Co-Mediatoren.
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Kap. 2 Rz. 23
Mediation
M 2.1
23 Seit 2017 gibt es die gesetzlich geschützte Bezeichnung des zertifizierten Mediators. Nach § 2 der Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (ZMediatAusbV) darf sich als zertifizierter Mediator bezeichnen, wer eine Mediationsausbildung im Umfang von mindestens 120 Präsenzzeitstunden absolviert hat und einen Praxisfall hat supervidieren lassen (weiterführend Eidenmüller/Fries AnwBl 2017, 23 ff.). 5. Falleignung für Mediation
24 Als ungeeignet für eine Konfliktlösung durch Mediation gelten vor allem Streitigkeiten mit erheblichen Machtunterschieden, namentlich Gewaltschutzsachen und Strafsachen. Ansonsten sind die meisten Streitigkeiten grundsätzlich geeignet, um in einem Mediationsverfahren durch Vermittlung und Verhandlung gelöst zu werden. Entscheidend sind Zustimmung und innere Bereitschaft der Beteiligten, über den Streitstoff offen miteinander zu verhandeln. Als besonders geeignet gelten Streitigkeiten, in denen die persönliche Beziehung der Konfliktbeteiligten für den Rechtsstreit von Bedeutung ist oder eine Geschäftsbeziehung besteht, deren Fortbestand von Vorteil wäre. Besonders mediationsaffin sind daher vor allem familien- und erbrechtliche Verfahren ebenso wie gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten.
IV. Ablauf des Mediationsverfahrens 1. Einleitung des Verfahrens
25 Da es sich bei einer Mediation um eine freiwillige Verhandlung unter Leitung eines Vermittlers und nicht um ein förmliches Verfahren handelt, bedarf es zur Einleitung der Mediation lediglich einer formlosen beiderseitigen Zustimmung zu diesem Verfahren. Alles Weitere wird mit Unterstützung des Mediators in der Eingangsphase ausgehandelt. Schriftliche Mediationsvereinbarungen sind in der Praxis zu empfehlen. In jeder Phase der Mediation können die Beteiligten ergänzende oder weiterführende Vereinbarungen treffen. Muster von Mediationsvereinbarungen und Verfahrensordnungen für Mediationen findet man in der einschlägigen Fachliteratur (zB Duve/Eidenmüller/Hacke/ Fries, Mediation in der Wirtschaft, 3. Aufl. 2018). Im Güterichterverfahren nach § 278 Abs. 5 ZPO sind schriftliche Verfahrensverträge nicht üblich.
26 M 2.1 Mediationsvereinbarung Mediationsvereinbarung zwischen der Rommé Lüftungssysteme GmbH, vertreten durch die Geschäftsführerin Rabea Rommé, und der Baugesellschaft Dr.-Ing. Weiss GmbH, vertreten durch die Geschäftsführerin Dr. Rachel Weiss 1. Die Parteien vereinbaren zur Lösung ihrer Streitigkeiten aus dem Bauvorhaben Hotel A-Stadt die Durchführung eines Mediationsverfahrens. Das Verfahren ist freiwillig und kann von beiden Parteien jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden. 2. Die Parteien beauftragen als Mediatorin die Rechtsanwältin Dr. Inka Einig. Als Ort der Verhandlung wird A-Stadt festgelegt. Das Honorar der Mediatorin beträgt … Euro pro Stunde für die Verhandlung und ein Pauschalhonorar von … Euro für die Vor- und Nachbereitung der Verhandlung. 3. Die Parteien tragen das Honorar der Mediatorin jeweils zur Hälfte. Gegenüber der Mediatorin haften sie für das Honorar als Gesamtschuldner. 4. Die Parteien vereinbaren Vertraulichkeit der Mediationsverhandlung. Sie sind sich darüber einig, dass sie Informationen, die sie im Rahmen des Mediationsverfahrens erhalten und die sie ansonsten nicht
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M 2.1
Mediation
Rz. 31 Kap. 2
anderweitig in Erfahrung gebracht hätten, außerhalb der Mediationsverhandlung nicht ohne Zustimmung der anderen Partei verwenden dürfen. 5. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Verjährung der wechselseitigen Ansprüche während des Mediationsverfahrens gehemmt ist. Sie verzichten während des Mediationsverfahrens auf eine gerichtliche Auseinandersetzung und auf einen schriftsätzlichen Austausch ihrer Positionen. Ort, Datum, Unterschrift
2. Phasenmodell Die Struktur des Mediationsverfahrens teilt man üblicherweise in bestimmte Phasen der Verhandlung auf. Dabei handelt es sich nicht um formelle Phasen, die verpflichtend zu durchschreiten sind, sondern um eine modellhafte Verhandlungsstruktur, die in der echten Mediation mit Rücksicht auf die Verhandlungsdynamik in begründeten Ausnahmefällen auch einmal durchbrochen werden kann. Die Kernelemente des Mediationsverfahrens sind in den unterschiedlich gelehrten Phasenmodellen identisch. Üblicherweise werden die Phasen des Mediationsverfahrens wie folgt eingeteilt:
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a) Phase 1: Eröffnung Der Mediator erläutert die Merkmale und das Ziel des Mediationsverfahrens, insbesondere seine Rolle als neutraler Vermittler. Er versichert sich des Einverständnisses der Parteien mit dem Verfahren der Mediation und seinem Vorgehen. Bei Bedarf werden Kommunikationsregeln abgesprochen. Der Mediator klärt seinen Auftrag, und zwar einerseits inhaltlich in Bezug auf seine Rolle und seine Aufgabe, andererseits auch rechtlich, was seine Vergütung betrifft.
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b) Phase 2: Perspektiven Da die Parteien mit sehr unterschiedlichen Erlebnissen und Gefühlen in die Verhandlung gehen, be- 29 darf es eines Forums, in dem all das artikuliert werden kann, was bisher nicht artikuliert werden konnte. Es geht an dieser Stelle noch nicht um eine möglichst konstruktive Verhandlung, sondern vor allem darum, das echte Gehör des Verhandlungspartners zu finden. Gelingt dies mit Hilfe des Mediators, ist der Boden für eine konstruktive gemeinsame Suche nach Interessen und Lösungsoptionen bereitet. Wenn die Parteien ihre Perspektiven auf den Konflikt äußern, ergeben sich daraus in der Regel auch die Themen, die Gegenstand des Mediationsgesprächs sein sollen, in Bausachen zB Baufortschritt, Mängel des Bauwerks, in Familiensachen zB Unterhaltsregelung, Sorgerecht, Versorgungsausgleich etc. c) Phase 3: Interessen Der Kern des Mediationsgesprächs widmet sich den Interessen der Parteien, also ihren Wünschen und Bedürfnissen für die Zukunft. Interessen können etwa darin bestehen, eine faire Kompensation eines Schadens zu erhalten, vom Gegenüber eine Entschuldigung zu hören, eine dauerhafte Unterhaltsregelung zu finden, eine wirtschaftliche Situation abzusichern. Vielfach ist die Mediationsverhandlung der Ort, an dem sich die Parteien erstmals über ihre Interessen klar werden. Gleichzeitig erkennen sie erfahrungsgemäß schnell, dass sich die eigenen Interessen und diejenigen ihres Gegenübers in vielerlei Hinsicht nicht widersprechen, sondern im Gegenteil gut nebeneinander stehen können.
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d) Phase 4: Entwickeln von Lösungsoptionen Die Interessen der Parteien bilden einen guten Ausgangspunkt für die Suche nach möglichen Lösungsbausteinen. Gemeinsam mit dem Mediator versuchen die Parteien daher, Ideen zu entwickeln,
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Kap. 2 Rz. 32
Mediation
welche Elemente einer Lösung ihre einzelnen Interessen besonders gut berücksichtigen würden. Die Mediationspraxis zeigt, dass gerade das Verlassen ausgetretener Pfade und die Suche nach kreativen Handlungsmöglichkeiten hier Lösungsideen freilegen, die in einer konfrontativen Verhandlung nie erwogen würden. Dazu empfiehlt es sich, die entwickelten Optionen nicht reflexhaft zu bewerten, sondern sie zunächst ohne Wertung im Raum stehen zu lassen.
32 Es gibt aus der Praxis der Mediation vielfältige Beispiele für kreative Lösungsoptionen: Die Unternehmerin, die Schadensersatz für einen Fehler im Anlagenbau begehrt, kann bei schneller Zahlung ihr Unternehmen retten, die Bank ihre Schuldnerin solvent halten, die Anlagenbauerin kann ihren guten Ruf in der Branche wahren, die gegnerische Haftpflichtversicherung den Fall rasch abschließen. Ein Beispiel aus einem Schadensersatzprozess: Die Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin zahlt bei ihrem Schwesterunternehmen in eine private Rentenversicherung für die Geschädigte ein. Vorteile: Auf Seiten der Versicherung kann die Schadensakte geschlossen werden, die Versicherung hat ein Neugeschäft, die Geschädigte erhält die begehrte Rente. Aus dem Scheidungsrecht: Eine Ehefrau zahlt in eine Lebensversicherung auf Rentenbasis ein und die andere Ehefrau wird Bezugsberechtigte. Vorteil: Die bezugsberechtigte Ehefrau ist abgesichert, während ihre Gattin ihre monatliche Belastung in Grenzen halten kann und nicht mit einer Kapitalsumme einen Rentenanspruch für sie begründen muss. e) Phase 5: Bewerten und Fixieren von Lösungsoptionen
33 Den Abschluss der Mediation bildet die Auswahl der konsensfähigen Lösungsoptionen und ihre Fixierung in einer Abschlussvereinbarung. Die Parteien werden sich dabei auf diejenige Lösung einigen, die ihren Interessen am besten gerecht wird. Diese gießen sie in einen Vergleichsvertrag (§ 779 BGB), mit dem die Streitigkeit beigelegt wird und die regelungsbedürftigen Punkte festgehalten werden. Für die Form dieser Abschlussvereinbarung gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Ob zB die Form einer vollstreckbaren notariellen Vereinbarung gewählt wird oder werden muss, hängt vom Inhalt der Vereinbarung und dem Sicherungsbedürfnis der Beteiligten ab. 3. Besonderheiten
34 Meistens findet die Mediationsverhandlung als gemeinsame Verhandlung aller Konfliktbeteiligten statt. Es kann im Einzelfall von Vorteil sein, dass der Mediator zeitweilig getrennte Gespräche mit jeweils nur einer Seite führt. Das setzt Zustimmung der Parteien zur Führung getrennter Gespräche voraus, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 MediationsG. Der Mediator transportiert den Inhalt des Einzelgesprächs nur in dem mit der Partei vereinbarten Umfang zu der anderen Seite.
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Praxistipp: Ein Vorteil getrennter Gespräche kann in erhöhter Offenheit der Parteien liegen, konfliktrelevante Informationen zu äußern, die nicht in Gegenwart des Gegners gegeben werden sollen. Getrennte Vermittlungsgespräche können sich auch in emotional sehr angespannten Verhandlungssituationen empfehlen. Hier gibt es keine Patentrezepte. Gradmesser muss sein, ob die Trennung den Verhandlungsfortschritt fördern kann. Üblicherweise ziehen Mediatoren Einzelgespräche erst in einem späten Stadium der Verhandlung als Joker in Erwägung.
V. Güterichterverfahren (§ 278 Abs. 5 ZPO) 36 Durch die Einführung des Güterichters mit dem neuen § 278 Abs. 5 ZPO steht ein mediationsähnliches Verfahren als neue Verfahrensoption im Zivilprozess zur Verfügung (s. allgemein dazu Greger MDR-Sonderbeilage Heft 18/2012 und Zöller/Greger § 278 ZPO Rz. 25–33). An vielen Zivilgerichten sind speziell geschulte Richter als Güterichter eingesetzt, die den Prozessparteien ein konsensorientiertes Streitbeilegungsverfahren anbieten. Informationen zum Ablauf bieten die Internetseiten der
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Fries
M 2.2
Mediation
Rz. 43 Kap. 2
Gerichte. Richter und Anwälte tragen keine Robe. Es wird eine nichtöffentliche Verhandlung geführt, deren Inhalt nicht protokolliert wird. Die Initiative zu einem Güterichterverfahren geht vielfach vom Gericht aus, kann aber auch von den Anwälten oder den Parteien ausgehen. Der für die Entscheidung zuständige Richter und der Güterichter sind dabei streng getrennt. Die Verweisung an den Güterichter wird in der Regel nur bei Zustimmung beider Parteien erfolgen, obwohl das Gesetz auch eine Verweisung ohne Zustimmung zulässt. Seit Inkrafttreten des MediationsG ersetzt der Beschluss über die Verweisung an den Güterichter auch die Anordnung des Ruhens des Verfahrens. Die Verweisung an den Güterichter gilt als konkludente Fristverlängerung für die Klageerwiderung.
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K
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Wichtig: Die Zustimmung zu einem Güterichterverfahren in der Berufungsinstanz bewirkt noch keine Hemmung der Frist zur Berufungsbegründung. Die Verlängerung muss also ungeachtet des Mediationsverfahrens beantragt und ausgesprochen werden. Andernfalls läuft der Berufungskläger beim Scheitern der Mediation Gefahr, dass die Berufung verworfen wird (BGH MDR 2009, 582 = NJW 2009, 1149).
Während sich die Verhandlung im Rahmen einer klassischen außergerichtlichen Mediation in der 39 Regel über zwei bis drei Tage hinzieht, stellt das Güterichterverfahren eine Art Schnellmediation dar, die in der Regel mit einem halben Verhandlungstag auskommen muss und ggf. zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt wird. Der Güterichter vereinbart dafür mit den Rechtsanwälten und Parteien einen mehrstündigen Verhandlungstermin. Die Dauer der Termine kann zuvor abgesprochen werden. Kommt es zu einer Einigung, protokolliert der Güterichter einen gerichtlichen Vergleich. Andernfalls wird der streitige Prozess fortgesetzt oder ein weiterer Verhandlungstermin vereinbart. Wird Prozesskostenhilfe beantragt, entscheidet das Gericht in der Regel zunächst über diesen Antrag, bevor es das Mediationsangebot zulässt.
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M 2.2 Zustimmung zur gerichtlichen Mediation
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Landgericht 7. Zivilkammer Az. … In dem Rechtsstreit Herbst gegen Baugesellschaft Dr. Weiss stimmt die Beklagte dem Wechsel ins Güterichterverfahren zu. An der Verhandlung werden für die Beklagte ihre Geschäftsführer Dipl.Ing. Rachel Weiss und der Bauleiter Hermann Stein teilnehmen.
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Praxistipp: Nach einem erfolgreichen Güterichterverfahren zeigt sich häufig die Erkenntnis, dass eine solche konsensorientierte Verhandlung auch schon vorgerichtlich hätte geführt werden können und so der Prozess erspart geblieben wäre. Daher sollte der Anwalt den Mandanten im Rahmen eines professionellen Konfliktmanagements frühzeitig auf die Möglichkeit eines (vorzugsweise außergerichtlichen) Mediationsverfahrens hinweisen.
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Wichtig: Das Ruhen des Verfahrens führt gem. § 204 Abs. 2 BGB dazu, dass die mit der Klageerhebung bewirkte Hemmung der Verjährung nach Ablauf von sechs Monaten seit der Bitte, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, endet.
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Kap. 2 Rz. 44
Mediation
VI. Abschlussvereinbarung 44 In der außergerichtlichen Mediationspraxis ist für die Abschlussvereinbarung keine bestimmte Form vorgeschrieben; diese unterliegt der Parteivereinbarung. Das Spektrum der Abschlussvereinbarungen in der Mediation kann von einer formlosen Vereinbarung über den Anwaltsvergleich bis zu einem notariell beurkundeten Vertrag reichen. Im Güterichterverfahren stellt die Abschlussvereinbarung einen Prozessvergleich dar (dazu Kap. 37).
VII. Rechtsanwälte als Mediatoren 45 Nicht wenige Rechtsanwälte haben selbst eine Qualifikation zum Mediator erworben und können diese Leistung anbieten. Viele Mediatoren geben zum Nachweis ihrer Ausbildung und Qualifikation den Verband an, dem sie angehören. Soweit die Rechtsanwaltskammern für die Leistung als Mediator einen bestimmten Stundenumfang an Ausbildung verlangen, ist dies unzulässig, weil sich aus § 7a BORA iVm. § 5 Abs. 1 MediationsG eine solche Stundenzahl nicht ergibt.
Kapitel 3 Anwaltsvergleich I. Regelungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Form, Vollmacht, Unterwerfung . . . . . . . . M 3.1 Anwaltsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . III. Niederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 3.2 Niederlegung des Anwaltsvergleichs beim Amtsgericht . . . . . . . . . . . . . . IV. Vollstreckbarerklärung durch das Prozessgericht (§ 796b ZPO) . . . . . . . . . .
2 6 15 17 18
M 3.3 Antrag auf Vollstreckbarerklärung gem. § 796b ZPO . . . . . . . . . . . . . . M 3.4 Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches V. Verwahrung und Vollstreckbarerklärung durch einen Notar (§ 796c ZPO) . . . . . . . VI. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 25 29 32
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1 Zielvorstellung des Gesetzgebers war es, mit dem Anwaltsvergleich einen Beitrag zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung zu leisten (s. dazu AnwBl. 1989, 456 f.). Das vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Instrumentarium wird dem jedoch nicht gerecht (vgl. zur Vorgängerregelung ebenso Nerlich MDR 1997, 416, 418). Das Prozedere zu einer vollstreckbaren Urkunde zu gelangen, ist zu aufwendig; der Anwaltsvergleich hat daher bis heute kaum Zuspruch (Leutner/Hacker NJW 2012, 1318).
I. Regelungsbereich 2 Durch den Anwaltsvergleich (§ 796a ZPO) kann ein Konflikt nur dann außergerichtlich beigelegt werden, wenn die Parteien zuvor in Streit oder Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis geraten sind; nur in diesem Fall ist es möglich, den von Rechtsanwälten im Namen und mit Vollmacht der von ihnen vertretenen Parteien abgeschlossenen Vergleich für vollstreckbar zu erklären (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 3; BLAH/Hartmann § 796a ZPO Rz. 2). Das streitige oder ungewisse Rechtsverhältnis darf allerdings nicht den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum betreffen (§ 796a Abs. 2 ZPO). Derartige Rechtsverhältnisse sind der Regelung durch Anwaltsvergleich nicht zugänglich. Ebenso ist es nicht möglich, den bestehenden Streit oder die Ungewissheit über das Rechtsverhältnis durch Abgabe einer Willenserklärung zu beenden. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, auch mit der Hilfe von Anwälten einen außergerichtlichen Vergleich zu schließen, in dem sich etwa der 42
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Kap. 2 Rz. 44
Mediation
VI. Abschlussvereinbarung 44 In der außergerichtlichen Mediationspraxis ist für die Abschlussvereinbarung keine bestimmte Form vorgeschrieben; diese unterliegt der Parteivereinbarung. Das Spektrum der Abschlussvereinbarungen in der Mediation kann von einer formlosen Vereinbarung über den Anwaltsvergleich bis zu einem notariell beurkundeten Vertrag reichen. Im Güterichterverfahren stellt die Abschlussvereinbarung einen Prozessvergleich dar (dazu Kap. 37).
VII. Rechtsanwälte als Mediatoren 45 Nicht wenige Rechtsanwälte haben selbst eine Qualifikation zum Mediator erworben und können diese Leistung anbieten. Viele Mediatoren geben zum Nachweis ihrer Ausbildung und Qualifikation den Verband an, dem sie angehören. Soweit die Rechtsanwaltskammern für die Leistung als Mediator einen bestimmten Stundenumfang an Ausbildung verlangen, ist dies unzulässig, weil sich aus § 7a BORA iVm. § 5 Abs. 1 MediationsG eine solche Stundenzahl nicht ergibt.
Kapitel 3 Anwaltsvergleich I. Regelungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Form, Vollmacht, Unterwerfung . . . . . . . . M 3.1 Anwaltsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . III. Niederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 3.2 Niederlegung des Anwaltsvergleichs beim Amtsgericht . . . . . . . . . . . . . . IV. Vollstreckbarerklärung durch das Prozessgericht (§ 796b ZPO) . . . . . . . . . .
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M 3.3 Antrag auf Vollstreckbarerklärung gem. § 796b ZPO . . . . . . . . . . . . . . M 3.4 Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches V. Verwahrung und Vollstreckbarerklärung durch einen Notar (§ 796c ZPO) . . . . . . . VI. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Zielvorstellung des Gesetzgebers war es, mit dem Anwaltsvergleich einen Beitrag zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung zu leisten (s. dazu AnwBl. 1989, 456 f.). Das vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Instrumentarium wird dem jedoch nicht gerecht (vgl. zur Vorgängerregelung ebenso Nerlich MDR 1997, 416, 418). Das Prozedere zu einer vollstreckbaren Urkunde zu gelangen, ist zu aufwendig; der Anwaltsvergleich hat daher bis heute kaum Zuspruch (Leutner/Hacker NJW 2012, 1318).
I. Regelungsbereich 2 Durch den Anwaltsvergleich (§ 796a ZPO) kann ein Konflikt nur dann außergerichtlich beigelegt werden, wenn die Parteien zuvor in Streit oder Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis geraten sind; nur in diesem Fall ist es möglich, den von Rechtsanwälten im Namen und mit Vollmacht der von ihnen vertretenen Parteien abgeschlossenen Vergleich für vollstreckbar zu erklären (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 3; BLAH/Hartmann § 796a ZPO Rz. 2). Das streitige oder ungewisse Rechtsverhältnis darf allerdings nicht den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum betreffen (§ 796a Abs. 2 ZPO). Derartige Rechtsverhältnisse sind der Regelung durch Anwaltsvergleich nicht zugänglich. Ebenso ist es nicht möglich, den bestehenden Streit oder die Ungewissheit über das Rechtsverhältnis durch Abgabe einer Willenserklärung zu beenden. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, auch mit der Hilfe von Anwälten einen außergerichtlichen Vergleich zu schließen, in dem sich etwa der 42
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Anwaltsvergleich
Rz. 8 Kap. 3
Mieter zur Räumung seiner Wohnung verpflichtet oder der Grundpfandgläubiger die Verpflichtung übernimmt, die Löschung der zu Unrecht eingetragenen Grundschuld zu bewilligen. In beiden Fällen handelt es sich jedoch nicht um einen der Legaldefinition (§ 796a Abs. 1, 2 ZPO) entsprechenden Anwaltsvergleich; in beiden Fällen lässt sich der Vergleich nicht für vollstreckbar erklären. § 796a Abs. 2 ZPO wiederholt demnach in der Zweiten (Willenserklärung) und dritten (Mietverhältnis über Wohnraum) Variante die Grenzen, die bei Errichtung einer vollstreckbaren notariellen Urkunde gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO einzuhalten sind. Die vor einem deutschen Notar gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO errichtete vollstreckbare Urkunde setzt – anders als der für vollstreckbar zu erklärende Anwaltsvergleich – allerdings lediglich voraus, dass der in der notariellen Urkunde zuerkannte Anspruch vergleichsfähig ist (s. dazu Staudinger/Marburger § 779 BGB Rz. 5 ff.; Palandt/Sprau § 779 BGB Rz. 6 f.). Bei Errichtung der vollstreckbaren notariellen Urkunde gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO müssen die Parteien mithin nicht schon in Streit oder Ungewissheit über das Rechtsverhältnis geraten sein, wegen dessen die Urkunde errichtet wird (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 3).
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Praxistipp: Da der Anwaltsvergleich, soweit dies zur Wirksamkeit der Regelung des Rechtsverhältnisses vorgeschrieben (s. etwa §§ 1378 Abs. 3 Satz 2, 1587o Abs. 2 Satz 1 BGB) ist, die notarielle Form nicht ersetzt und bei von vornherein vergleichsbereiten Parteien zweifelhaft sein kann, ob Streit oder Ungewissheit über das zu regelnde Rechtsverhältnis besteht, sollte regelmäßig erwogen werden, ob nicht der Titulierung des Anspruches innerhalb einer gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zu errichtenden notariellen Urkunde der Vorzug zu geben ist.
In Arbeitssachen ist die außergerichtliche Konfliktbeilegung durch Anwaltsvergleich nach überwie- 5 gender, allerdings nicht völlig unumstrittener Auffassung möglich (Musielak/Voit § 796a ZPO Rz. 2). Ob öffentlich-rechtliche Ansprüche der Regelung durch Anwaltsvergleich zugänglich sind, ist offen (s. Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 7). Zu beachten ist zudem, dass dem Anwaltsvergleich die Vollstreckbarerklärung versagt wird, wenn seine Anerkennung gegen die öffentliche Ordnung verstößt (s. dazu Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 23). Der Regelungsgegenstand des Anwaltsvergleiches hat folglich auch auf den ordre public Rücksicht zu nehmen.
II. Form, Vollmacht, Unterwerfung Der Anwaltsvergleich muss von den Rechtsanwälten der Parteien in deren Namen und mit deren – 6 ausdrücklicher – Vollmacht abgeschlossen werden.
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Praxistipp: Die im Handel erhältlichen Formulare für Prozessvollmachten (s. Kap. 1 Rz. 40) erstrecken sich in der Regel nicht auf den Abschluss eines Anwaltsvergleiches; § 81 ZPO lässt ebenfalls offen, ob der Abschluss des Anwaltsvergleiches durch die in ihrem Umfang gesetzlich definierte Prozessvollmacht erfasst ist. § 81 ZPO ermächtigt zwar zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich; gemeint ist damit idR wohl nur der Prozessvergleich (s. Zöller/Althammer § 81 ZPO Rz. 5; wohl auch Musielak/Voit § 796a ZPO Rz. 3). Im Hinblick darauf empfiehlt es sich, die Vollmacht ausdrücklich auf den Abschluss des Anwaltsvergleiches zu erstrecken.
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Die sich auf den Abschluss des Anwaltsvergleichs erstreckende ausdrückliche Vollmacht ist, da sie 8 sich insbesondere auch die vollstreckungsrechtliche Erklärungen – die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung – einbezieht, Prozessvollmacht (so jetzt einhellig für die Vollmacht zur Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung BGHZ 154, 283 bestätigt durch BGH ZIP 2003, 2346 sowie BGHR 2004, 535; NJW 2007, 1813; BGH NJW-RR 2010, 67). Die Wirksamkeit der Vollmacht beurteilt sich daher allein anhand der §§ 80 ff. ZPO (BGHR 2004, 535; NJW 2007, 1813). Der Anwalt des Gegners kann die Vorlage einer auf den Abschluss des Anwaltsvergleiches lautenden Vollmacht einfordern (§ 80 Abs. 1 ZPO). Eine Rechtscheinhaftung des vollmachtlos Vertretenen kommt nicht in Betracht (BGHR 2004, 535).
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Kap. 3 Rz. 9
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Anwaltsvergleich
Praxistipp: Da vor Vollstreckbarerklärung die Wirksamkeit des Anwaltsvergleiches in vollem Umfang überprüft wird (§ 796a Abs. 3 ZPO) und vollmachtloses Handeln des Anwalts keine Wirkung für den Vertretenen entfaltet, sollten beide Anwälte jeweils ein Original der ihnen für den Abschluss des Anwaltsvergleiches erteilten Vollmacht an die bei ihnen jeweils verbleibende Urkunde in dem der Anwaltsvergleich niedergelegt ist, anheften. Im Falle der Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung des Vergleichs kann auf diese Weise der Einwand mangels Vollmacht des Anwalts abgeschnitten werden.
10 Der Anwaltsvergleich muss nicht von den Parteien selbst unterzeichnet werden. Da die Vollmacht zum Abschluss des Anwaltsvergleiches, und zwar in der Fassung, in der er schließlich unterzeichnet worden ist, Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vergleiches ist (s. Rz. 8), sollten die beteiligten Anwälte – schon um den Einwand mangelnder Vollmacht im Verfahren der Vollstreckbarerklärung abzuwenden (s. auch Rz. 9) – dennoch darauf bestehen, dass die Parteien den Vergleich selbst mitunterzeichnen, wenn nicht so verfahren wird, wie in Rz. 9 vorgeschlagen. Haben am Vergleichsabschluss auf Seiten einer Partei mehrere Anwälte mitgewirkt, genügt, dass für diese Partei lediglich ein Anwalt den Anwaltsvergleich eigenhändig unterzeichnet; die Unterzeichnung aufgrund erteilter Untervollmacht ist allerdings unzulässig (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 15; großzügiger Musielak/ Voit § 796a ZPO Rz. 3 mwN; Stein/Jonas/Münzberg § 796a ZPO Rz. 3).
11 Da der Vergleich, um für vollstreckbar erklärt werden zu können, bei einem Amtsgericht niederzulegen ist, bei dem eine der Parteien zurzeit des Vergleichsabschlusses ihren allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 796a Abs. 1 ZPO), bedarf der Anwaltsvergleich der Schriftform (hM Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 13; MüKo.ZPO/Wolfsteiner § 796a ZPO Rz. 6; aA wohl Musielak/Voit § 796a ZPO Rz. 4); der gesamte Inhalt des Vergleiches ist demnach schriftlich – vollständig – zu fixieren. § 126a BGB ist auf den Anwaltsvergleich – zumindest aus tatsächlichen Gründen – derzeit nicht anwendbar. Die Pflicht, den Anwaltsvergleich beim Amtsgericht niederlegen zu müssen, um eine Vollstreckbarerklärung zu erreichen, lässt sich nur dort erfüllen, wo die Voraussetzungen des § 130a Abs. 2 ZPO vorliegen. Das ist derzeit nur bei wenigen Gerichten der Fall (Liste der Gerichte einsehbar bei www. justiz.de; vgl. auch Kap. 28 Rz. 72 f., 90.
12 Unabdingbare Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches ist zudem die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung in der Vergleichsurkunde; und zwar unabhängig davon, ob der Inhalt des Vergleiches einer Vollstreckung im eigentlichen Sinne zugänglich ist (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 12; Musielak/Voit § 796a ZPO Rz. 3, 9; aA wohl BLAH/Hartmann § 796a ZPO Rz. 5, der allerdings den Gegenstand des Anwaltsvergleiches auf vollstreckungsfähige Verpflichtungen begrenzt). Begründet, bestätigt oder hebt der Anwaltsvergleich ein Rechtsverhältnis auf, ist die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung in der Vergleichsurkunde – oder einem Nachtrag hierzu (s. Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 12) – mithin auch dann erforderlich, wenn konkrete Duldungs- oder Leistungspflichten im Vergleich nicht übernommen werden. Die scheinbare Sinnlosigkeit der Unterwerfungserklärung in diesen Fällen darf nicht dazu führen, von der Aufnahme der Unterwerfungserklärung in den Anwaltsvergleich abzusehen. Geschieht dies dennoch, kann jener Vergleich nicht für vollstreckbar erklärt werden mit der Folge, dass die im Vergleich vorgenommene Regelung des Rechtsverhältnisses keine materielle Rechtskraftwirkung entfalten kann. Die Vollstreckbarerklärung des § 796a Abs. 1 ZPO führt demnach dazu, dass die Vollstreckungswirkung im engeren und im weiteren Sinne (zur Abgrenzung s. Stein/Jonas/Münzberg vor § 704 ZPO Rz. 46 ff.) eintritt. Der Vollstreckung fähige Duldungs- oder Leistungswirkungen können nach Vollstreckbarerklärung vollstreckt werden. Nicht der eigentlichen Vollstreckung zugängliche Regelungen des Vergleiches bilden ab Vollstreckbarerklärung die Grundlage für staatliches Handeln; mit der Vollstreckbarerklärung kommt ihnen die „materielle Rechtskraftwirkung“ zu (vgl. dazu Stein/Jonas/ Münzberg vor § 704 ZPO Rz. 48), die ab da auch für staatliches Handeln zu beachten ist.
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Wichtig: Genügt der geschlossene Anwaltsvergleich – weil nicht alle getroffenen Regelungen in ihm niedergelegt sind – nicht dem Schriftformgebot, berührt dies den Bestand der Unterwer-
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M 3.1
Anwaltsvergleich
Rz. 15 Kap. 3
fungserklärung möglicherweise nicht; sind die Erklärungen, die die Anwälte im Rahmen des Anwaltsvergleichs abgeben, ausschließlich auf das Zustandekommen des Vollstreckungstitels gerichtete prozessuale Willenserklärung (s. Rz. 8), unterstehen sie prozessrechtlichen Grundsätzen (vgl. für § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO aF: BGH NJW 1985, 2423). Die Divergenz zwischen Unterwerfungserklärung und materiellem Recht hätte der Schuldner alsdann im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen (s. dazu Kap. 63). Zur Präklusionswirkung des § 767 Abs. 2 ZPO ist allerdings die Sonderregelung des § 797 Abs. 4 ZPO zu beachten. Einwendungen, die im Verfahren der Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches vorgebracht werden können, müssen dort vorgebracht werden; werden sie versäumt, können sie nach erfolgter Vollstreckbarerklärung im Rahmen einer späteren Vollstreckungsabwehrklage nicht mehr geltend gemacht werden (§ 767 Abs. 3 ZPO; s. dazu auch Musielak/Voit § 796a ZPO Rz. 10 und Kap. 63 Rz. 30). Die Formulierung in § 796a Abs. 1 ZPO, dass der Anwaltsvergleich unter Angabe des Tages seines 14 Zustandekommens niederzulegen ist, besagt nicht, dass das Datum der zuletzt geleisteten Unterschrift im Vergleich zwingend schriftlich fest zu halten ist (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 16; BLAH/Hartmann § 796a ZPO Rz. 9). Dennoch ist zweckmäßig, die einzelnen Unterschriften mit dem Datum zu versehen, zu dem sie geleistet sind. Nur auf diese Weise lässt sich, insbesondere wenn der Anwaltsvergleich im Umlaufverfahren von den den Vergleich abschließenden Anwälten unterzeichnet worden ist, urkundlich und damit sicher feststellen, wann die letzte Unterschrift erbracht und der Vergleich damit wirksam geworden ist (zur Frage der Wirksamkeit aA Musielak/Voit § 796a ZPO Rz. 4, der allerdings – verfehlt (s. Rz. 11) – davon ausgeht, dass der Anwaltsvergleich auch mündlich zustande kommen kann). Verfehlt ist diese Ansicht deshalb, weil nur der schriftlich fixierte Anwaltsvergleich beim Amtsgericht niedergelegt werden kann; solange der Vergleich nicht schriftlich niedergelegt ist, fehlt ihm also die wichtigste Voraussetzung des Anwaltsvergleichs selbst, nämlich die Eigenschaft, für vollstreckbar erklärt werden zu können (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 13; MüKo.ZPO/Wolfsteiner § 796a ZPO Rz. 6; BeckOK/Hoffmann, Edition 29, § 796a ZPO Rz. 9).
M 3.1 Anwaltsvergleich
15 Anwaltsvergleich
zwischen der August Meyer GmbH, Windscheidstraße 17, 22312 Kranach, vertreten durch ihren Geschäftsführer Wilhelm August Meyer, wohnhaft ebenda – nachfolgend: Meyer GmbH – vertreten durch Rechtsanwalt Fritz Klug, Windgasse 12, 22312 Kranach, und August Bolle, Lessingstraße 12, 29313 Övelgönne – nachfolgend: Bolle – vertreten durch Rechtsanwalt Peter Schlau, Herrschaftsgasse 13, 30157 Kleeburg Präambel Zwischen der Meyer GmbH und Bolle besteht ein am 22.11.1999 begründetes Vertragsverhältnis, aufgrund dessen Bolle für die Meyer GmbH als Handelsvertreter tätig geworden ist. Das Vertragsverhältnis hat die Meyer GmbH durch schriftliche Erklärung ihres damaligen Bevollmächtigten – Rechtsanwalt Wild, Hannover – zum 31.12.2017 gekündigt. Zwischen der Meyer GmbH und Bolle besteht Streit darüber, ob die Kündigung Bolle rechtzeitig vor Ablauf der im Vertrag vom 22.11.1999 festgelegten Kündigungsfrist von drei Monaten vor Ablauf eines jeden Kalenderjahres erreicht hat. Die Meyer GmbH und Bolle sind gewillt, diesen Streit durch Abschluss des nachfolgenden Anwaltsvergleichs beizulegen:
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Kap. 3 Rz. 16
Anwaltsvergleich
M 3.2
1. Die Meyer GmbH und Bolle sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende, in der Präambel aufgeführte Vertragsverhältnis mit Wirkung vom 31.12.2017, 24 Uhr, beendet ist. Die Meyer GmbH und Bolle unterwerfen sich insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde. 2. Die Meyer GmbH zahlt Bolle zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus dem in der Präambel genannten Vertragsverhältnis einen Betrag von 43.500,– Euro (in Worten: dreiundvierzigtausendfünfhundert Euro). Die Meyer GmbH unterwirft sich wegen dieser Zahlungsverpflichtung der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde. 3. Damit sind sämtliche Ansprüche zwischen der Meyer GmbH und Bolle – gleich aus welchem Rechtsgrunde sie entstanden sein mögen – erledigt. Die Meyer GmbH und Bolle unterwerfen sich auch insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde. Kranach, den 24.4.2018 gez. Klug Kleeburg, den 26.4.2018 gez. Schlau Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3), 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG.
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Praxistipp: Die Darstellung in der Präambel des M 3.1, dass zwischen den Parteien Streit oder Ungewissheit über ein bestimmtes Rechtsverhältnis besteht, bedarf nicht zwingend der Aufnahme in den Vergleich; die kurze Skizzierung des Streits vermeidet – ebenso wie die im M 3.1 allerdings nicht aufgenommene Unterzeichnung des Anwaltsvergleiches durch die Parteien (s. Rz. 10) – den Einwand, dass der Anwaltsvergleich unwirksam ist, weil überhaupt kein Streit zwischen den Parteien über die im Anwaltsvergleich geregelten Punkte bestanden habe. Wird durch den Anwaltsvergleich ein Rechtsverhältnis begründet, bestätigt oder aufgehoben, sind Schuldner im Sinne des § 796a Abs. 1 ZPO beide Parteien; beide Parteien müssen sich demnach insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfen (so wohl auch Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 20). Für jede im Anwaltsvergleich aufgenommene Regelung ist deshalb getrennt zu untersuchen, wer Schuldner ist!
III. Niederlegung 17 Um für vollstreckbar erklärt werden zu können, bedarf der Vergleich der Niederlegung bei einem Amtsgericht, bei dem eine der Parteien zurzeit des Vergleichsabschlusses ihren allgemeinen Gerichtsstand hat; wobei mit der Niederlegung der Tag anzugeben ist, an dem der Anwaltsvergleich zustande gekommen ist (§ 796a Abs. 1 ZPO). Für die Niederlegung selbst besteht kein Anwaltszwang.
18 M 3.2 Niederlegung des Anwaltsvergleichs beim Amtsgericht Amtsgericht – Geschäftsstelle – 22312 Kranach Anwaltsvergleich vom 26.4.2018 Niederlegung gem. § 796a ZPO In Sachen der August Meyer GmbH, Windscheidstraße 17, 22317 Kranach
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Vorwerk
M 3.3
Anwaltsvergleich
Rz. 23 Kap. 3
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Fritz Klug, Kranach gegen August Bolle, Lessingstraße 12, 29313 Övelgönne Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Peter Schlau, Kleeburg überreiche ich anbei den am 26.4.2018 zustande gekommenen Anwaltsvergleich, den ich hiermit gem. § 796a Abs. 1 ZPO niederlege. gez. Klug Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: Für die Niederlegung fallen keine besonderen Gebühren an, sie gehört zur Angelegenheit.
Der Beifügung einer Vollmacht des Anwalts, der den Anwaltsvergleich für seine Partei geschlossen hat, bedarf es nicht zwingend (s. Rz. 9, 10; Zöller/Geimer § 796a ZPO Rz. 18). Eine Zustellung des Vergleichs an den Gegner vor der Niederlegung ist nicht erforderlich.
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Praxistipp: Haben die Parteien den Anwaltsvergleich nicht selbst unterzeichnet (s. Rz. 10), sollten sich die Anwälte vor Unterzeichnung des Vergleichs gegenseitig jeweils die Originale der Vollmachtsurkunden aushändigen, die sie zum Abschluss ermächtigen. Zudem sollten sich die den Vergleich abschließenden Anwälte im Vorfeld einigen, wer den Anwaltsvergleich niederlegt, ggf. auch bei welchem der möglichen (§ 796a Abs. 1 ZPO) Amtsgerichte dies geschehen soll. Der die Niederlegung bewirkende Anwalt sollte die Vollmacht des für den Gegner handelnden Anwalts und eine weitere ihn selbst bevollmächtigende Vollmachtsurkunde bei der Niederlegung dem Amtsgericht vorlegen (s. dazu auch Rz. 8–10).
IV. Vollstreckbarerklärung durch das Prozessgericht (§ 796b ZPO) Den Anwaltsvergleich für vollstreckbar erklärt das Gericht als Prozessgericht, das für die gerichtliche 21 Durchsetzung des zu vollstreckenden Anspruches zuständig wäre (§ 796b Abs. 1 ZPO). Bestehen insoweit mehrere Gerichtsstände, kann die Vollstreckbarerklärung bei jedem der zuständigen Gerichte betrieben werden; besteht ein ausschließlicher Gerichtsstand (s. Kap. 11 Rz. 14 ff.), ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung dort anzubringen. Auch die Regeln über die sachliche und funktionale Zuständigkeit finden im Rahmen des § 796b Abs. 1 ZPO Anwendung (Zöller/Geimer § 796b ZPO Rz. 1; Musielak/Voit § 796b ZPO Rz. 2). Da die Zuständigkeit für die Vollstreckbarerklärung an den Zeitpunkt anknüpft, zu dem der entsprechende Antrag gestellt wird, ist ohne Bedeutung, welches Gericht im Zeitpunkt des Zustandekommens des Anwaltsvergleiches für die Vollstreckbarerklärung zuständig gewesen wäre.
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Praxistipp: Es empfiehlt sich deshalb auch nicht, in den Anwaltsvergleich Regeln aufzunehmen, die sich mit der Zuständigkeit des für die Vollstreckbarerklärung maßgebenden Gerichts beschäftigen.
M 3.3 Antrag auf Vollstreckbarerklärung gem. § 796b ZPO
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Landgericht Hannover1 – Prozessgericht – … …
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Kap. 3 Rz. 23
Anwaltsvergleich
M 3.3
Antrag auf Vollstreckbarerklärung gem. § 796b ZPO in Sachen der August Meyer GmbH, Windscheidstraße 17, 22312 Kranach, vertreten durch ihren Geschäftsführer Wilhelm August Meyer, wohnhaft ebenda – Antragstellerin – Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Fritz Klug, Windgasse 12, 22312 Kranach, gegen August Bolle, Lessingstraße 12, 29313 Övelgönne – Antragsgegner – beantrage ich, den am 26.4.2018 zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner zustande gekommenen, beim Amtsgericht Kranach – Az. … – niedergelegten Anwaltsvergleich zu Ziffer 1 für vollstreckbar zu erklären. Zur Begründung führe ich an: Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben – beide jeweils vertreten durch ihre Anwälte Rechtsanwalt Klug und Rechtsanwalt Schlau – einen Anwaltsvergleich geschlossen, der am 26.4.2018 zustande gekommen ist. Eine Kopie jenes Anwaltsvergleiches füge ich bei; die Urschrift des Vergleiches ist beim Amtsgericht Kranach zum Az. … am … niedergelegt worden. Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner den in Ziffer 2 des Vergleiches angeführten Betrag von 43.500,– Euro am … gezahlt. Den Erhalt jenes Betrages hat der Antragsgegner in dem als weitere Anlage beigefügten Schreiben vom … auch quittiert, in jenem Schreiben jedoch die Auffassung vertreten, dass der am 26.4.2018 zustande gekommene Anwaltsvergleich nicht wirksam sei; er verrechne den von der Antragstellerin gezahlten Betrag deshalb auf Provisionsansprüche, die ihm – vermeintlich – für die Zeit vom 1.1. bis zum 30.4.2018 zustehen. Die Behauptung, der am 26.4.2018 geschlossene Anwaltsvergleich sei unwirksam, stützt der Antragsgegner darauf, dass der ihn vertretende Rechtsanwalt Schlau nicht bevollmächtigt gewesen sei, den Anwaltsvergleich abzuschließen. Diese Einwendung ist jedoch unbegründet. Rechtsanwalt Schlau hat vor Unterzeichnung des Anwaltsvergleiches die mit der Niederlegung des Anwaltsvergleiches in Urschrift überreichte Vollmacht vorgelegt, die ihn zum Abschluss des zustande gekommenen Vergleiches ausgewiesen hat. Der Vollmacht angeheftet war der Wortlaut des Vergleiches, so wie er von Rechtsanwalt Schlau später unterzeichnet worden ist. Auf diesen Wortlaut hat die Vollmacht, die der Antragsgegner unterzeichnet hat, ausdrücklich Bezug genommen. Die Antragstellerin hat ein rechtliches Interesse daran, dass die Vereinbarung zu Ziffer 1 des Anwaltsvergleiches vom 26.4.2018 materielle Rechtskraftwirkung entfaltet. In Ziffer 1 des Anwaltsvergleiches hatten der Antragsgegner und die Antragstellerin Einigkeit darüber erzielt, dass ihr Vertragsverhältnis, aufgrund dessen der Antragsgegner ehemals als Handelsvertreter der Antragstellerin tätig war, mit Wirkung vom 31.12.2017, 24 Uhr, beendet ist. Folge dieser Regelung ist, dass dem Antragsgegner für die Zeit ab 1.1.2018 keine Provisionsansprüche mehr für Umsätze zustehen, die innerhalb des Gebiets erzielt worden sind, das dem Antragsgegner ehemals mit Ausschließlichkeitsbindung seitens der Antragstellerin zugewiesen war. gez. Klug Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 2118 KV GKG; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Der Zuständigkeit des Landgerichts Hannover liegt die Annahme zugrunde, Övelgönne liegt im Landgerichtsbezirk Hannover (§ 796b ZPO!).
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M 3.4
Anwaltsvergleich
Rz. 25 Kap. 3
Vor der Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung hat das Gericht den Antragsgegner zu hören; der Antragsgegner hat im Rahmen seiner Anhörung sämtliche Einwendungen zu erheben, die er zu diesem Zeitpunkt gegen die Wirksamkeit des Anwaltsvergleiches geltend machen kann (s. Rz. 13).
24
M 3.4 Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches1
25
In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Antragsgegner vertrete. Ich beantrage, den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des am 26.4.2018 zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner zustande gekommenen Anwaltsvergleiches zurückzuweisen. Zur Begründung führe ich an: Es ist zutreffend, dass Rechtsanwalt Schlau am 26.4.2018 namens des Antragsgegners den am … beim Amtsgericht Kranach zu Az. … niedergelegten Anwaltsvergleich unterzeichnet hat. Richtig ist auch, dass Rechtsanwalt Schlau vor Unterzeichnung dem für die Antragstellerin handelnden Rechtsanwalt Klug eine Vollmacht vorgelegt hat, die der Antragsgegner unterzeichnet und die Rechtsanwalt Schlau zum Abschluss des Anwaltsvergleiches bevollmächtigt hat. Jene Vollmacht ist allerdings nicht wirksam erteilt worden. Der Antragsgegner war im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vollmacht nicht geschäftsfähig. Beweis: Sachverständigengutachten. Er ist im März 2018 mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung, dem … -Fieber, von einem Urlaub, den er in Kenia verbrachte, zurückgekehrt. Um das … -Fieber zu bekämpfen, hat er durch die behandelnden Ärzte des … -Krankenhauses in …, nämlich dem 1. Oberarzt …, zu laden unter der Anschrift … -Krankenhaus …, …, 2. Stationsarzt …, zu laden unter der Anschrift des … -Krankenhauses, …, … das Medikament … verabreicht bekommen. Jenes Medikament bewirkt etwa für die Dauer von fünf Stunden nach Verabreichung geistige Abwesenheit und Willensschwäche. Beweis: Sachverständigengutachten. Die Ehefrau des Antragsgegners war nach Einlieferung des Antragsgegners ins Krankenhaus der Auffassung, dass dem Antragsgegner jede Aufregung erspart werden solle. Sie hat dem Antragsgegner deshalb die später von Rechtsanwalt Schlau überreichte Vollmacht vorgelegt und ihn bedrängt, die Vollmacht zu unterzeichnen. Beweis: Marita Bolle, zu laden unter der Anschrift des Antragsgegners. Dem Drängen ist der Antragsgegner nachgekommen, ohne zu wissen, was er unterschreibt. Dies wird Marita Bolle bestätigen, die dem Antragsgegner später erzählt hat, er habe im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Vollmacht nur „konfuses Zeug“ geredet. Fehlt es an einer wirksamen Vollmachtserteilung, ist auch der Anwaltsvergleich vom 26.4.2018 von Rechtsanwalt Schlau für den Antragsgegner nicht wirksam unterzeichnet worden. Ein wirksamer Anwaltsvergleich ist deshalb auch nicht zustande gekommen. Der Antragsgegner darf die erhaltene Zahlung deshalb auch auf Provisionsansprüche verrechnen, die ihm ab 1.1.2018 weiterhin zustehen. gez. Schlau Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Im Anschluss an M 3.3.
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Kap. 3 Rz. 26
Anwaltsvergleich
26 Über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 796b Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung selbst ergeht durch Beschluss und ist nicht anfechtbar (796b Abs. 2 ZPO). Auch diese Regelung erhöht die Bereitschaft zur Konfliktlösung durch Abschluss des Anwaltsvergleiches nicht gerade. Ist die Vollstreckbarerklärung aus rechtlich oder tatsächlich unzutreffenden Gründen verweigert oder bejaht worden, gibt es aufgrund der Unanfechtbarkeit des Beschlusses keine Möglichkeit zur Nachbesserung. Der Beschluss, der die Vollstreckbarkeit verweigert, zwingt zur klagweisen Durchsetzung des ursprünglichen Anspruchs.
27 K
Praxistipp: Wegen der Möglichkeit der Verjährung des Anspruchs bei unwirksamem Anwaltsvergleich sollte das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung vor Ablauf der Verjährungsfrist abgeschlossen sein!
28 Wird der Anwaltsvergleich fehlerhaft für vollstreckbar erklärt, muss sich der Schuldner mit dieser Entscheidung abfinden (s. aber dazu Münzberg NJW 1999, 1357 f.).
V. Verwahrung und Vollstreckbarerklärung durch einen Notar (§ 796c ZPO) 29 Haben die Parteien ihre entsprechende Zustimmung erklärt, kann der Anwaltsvergleich von einem Notar, der seinen Amtssitz im Bezirk eines der Amtsgerichte hat, bei dem eine der Parteien zurzeit des Vergleichsabschlusses ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, in Verwahrung genommen und für vollstreckbar erklärt werden (§ 796c Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die Vollstreckbarerklärung gelten die §§ 796a, 796b ZPO entsprechend (§ 796c Abs. 1 Satz 2 ZPO). Da weder die Verwahrung noch die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches für den Notar Pflichtaufgabe ist (Zöller/Geimer § 796c ZPO Rz. 2; Wieczorek/Schütze § 796c ZPO Rz. 3; aA BLAH/Hartmann § 796c ZPO Rz. 5), empfiehlt es sich, bevor von der Möglichkeit des § 796c ZPO Gebrauch gemacht wird, den Notar ausfindig zu machen, der die Verwahrung und die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleiches zu übernehmen bereit ist.
30 In der Literatur (Veeser, Der vollstreckbare Anwaltsvergleich, S. 245, zu § 1044b Abs. 2 Satz 1 aF; Zöller/Geimer § 796c ZPO Rz. 2, 3; Wieczorek/Schütze § 796c ZPO Rz. 3) wird die Auffassung vertreten, dass kein Notar, und zwar auch nicht der, der die Verwahrung des Anwaltsvergleiches übernommen hat, verpflichtet ist, die Vollstreckbarerklärung vorzunehmen; zudem sei ein Streitverfahren vor dem Notar systemfremd; die notarielle Vollstreckbarerklärung eigne sich daher nur für „einvernehmliche Fälle“. Ob dieser Auffassung jeweils zuzustimmen ist, kann dahinstehen.
31 Agiert der Notar in der Weise, wie es ihm die Auffassung in der Literatur ermöglicht, kann die Ablehnung der Vollstreckbarerklärung zwar mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem nach § 796b Abs. 1 zuständigen Gericht (s. Rz. 19) angefochten werden. Da jene Entscheidung selbst jedoch keiner weiteren Anfechtung unterliegt (§ 796b Abs. 2 Satz 2 ZPO), wird sich vermutlich nicht einmal innerhalb der einzelnen Oberlandesgerichtsbezirke eine einhellige Auffassung dazu herausbilden, ob zumindest der Notar, der den Anwaltsvergleich in Verwahrung genommen hat, auch das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung durchführen muss und auch streitige Verfahren über die Vollstreckbarerklärung vor ihm durchzuführen sind. Das Gebot des sichersten Weges, das der Anwalt bei der Beratung seines Mandanten zu beachten hat (s. Kap. 4 Rz. 31 ff. sowie Fischer/Vill, Anwaltshaftung, § 2 Rz. 110), zwingt angesichts der Unsicherheiten, die sich in der Vorschrift des § 796c ZPO verbergen, demnach, davon abzuraten, die Zustimmung zu erteilen, einem Notar den Anwaltsvergleich in Verwahrung zu geben und den Vergleich durch den Notar für vollstreckbar erklären zu lassen.
VI. Kosten 32 Der für vollstreckbar erklärte Anwaltsvergleich ist kein zur Kostenfestsetzung geeigneter Titel (zu § 1044b ZPO aF: OLG München MDR 1997, 787; AnwBl. 1999, 57). Soll eine der Parteien die Kos50
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Erfolgs- und Kostenrisiko
Rz. 3 Kap. 4
ten des Anwaltsvergleiches allein tragen oder Kosten übernehmen, die vor Abschluss des Anwaltsvergleiches entstanden sind, müssen die Kosten errechnet werden. Im Vergleich muss sich die entsprechende Partei verpflichten, jenen Betrag dem Gegner oder zu Händen des Anwalts des Gegners zu zahlen; wobei auch insoweit die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung aus dem Anwaltsvergleich erforderlich ist, um die Vollstreckbarerklärung wegen der Zahlungsverpflichtung zu erhalten (s. Rz. 12). Wegen der Ermittlung der Anwaltsgebühren, die im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Anwaltsvergleiches entstehen können, vergleiche die Ausführungen bei Leutner/Hacker NJW 2012, 1318, 1322; Schneider AGS 2013, 1; zum alten Kostenrecht vgl. die detaillierten Ausführungen bei Enders JurBüro 1998, 337 f. sowie JurBüro 1998, 505 f.
33
Kapitel 4 Erfolgs- und Kostenrisiko I. Ermittlung des Sachverhalts und des Mandanteninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtlich erhebliche Tatsachen . . . . . . . . . . 2. Beweisbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zielvorstellung des Mandanten . . . . . . . . . . II. Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich b) Unsicherheiten im rechtlichen Bereich . . aa) Ermessen des Gerichts . . . . . . . . . . bb) Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . c) Unsicherheiten in der Beweisaufnahme .
1 2 5 6 7 8 9 10 11 12 13
III. 1. 2. 3. IV. 1. 2. 3. V.
Kostenrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostenerstattung, Rechtsschutz und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikoabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherster Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichen vom sichersten Weg . . . . . . . . . Vergleichsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . Eigene Dokumentation . . . . . . . . . . . . . .
14 20 21 23 31 32 34 35 36
I. Ermittlung des Sachverhalts und des Mandanteninteresses Bevor der Anwalt seinen Mandanten darüber beraten kann, auf welchem Weg, in welchem Umfang und mit welchen prozessualen Mitteln eine sachgerechte Wahrnehmung seiner Interessen möglich ist, muss er zunächst den Sachverhalt ermitteln sowie das rechtliche Anliegen, das der Mandant verfolgt (s. dazu ausf. Kap. 1 Rz. 1 ff.).
1
1. Rechtlich erhebliche Tatsachen Um den rechtlich relevanten Sachverhalt herauszufinden, sollte der Anwalt den Mandanten zunächst einmal den Fall, so wie er sich für diesen darstellt, in groben Zügen schildern lassen. Der Anwalt sollte eingreifen, wenn die Darstellung in Nebensächlichkeiten abgleitet. Ungeachtet dessen muss er die – zunächst als Nebensächlichkeit behandelten – Informationen im Gedächtnis behalten; sie können sich im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung zu wichtigen Details entwickeln.
2
Da viele Mandanten nicht in der Lage sind, ihr Anliegen im Detail verbal zu artikulieren und eine differenzierte Sprache immer seltener zu finden ist, sollte, so weit wie möglich, mit Hilfsmitteln gearbeitet werden. So hilft in Verkehrsunfallsachen eine zeichnerische Skizze zum Unfallhergang und zu den Örtlichkeiten oder eine Nachstellung des Unfallablaufs durch Modelle meistens mehr als eine lange Unfallschilderung. Bei Grundstücks- und Bausachen sollte der Sachverhalt anhand von Plänen und Skizzen erarbeitet werden; bedeutsame Urkunden (Verträge, Testamente etc.) sollten vorliegen
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Erfolgs- und Kostenrisiko
Rz. 3 Kap. 4
ten des Anwaltsvergleiches allein tragen oder Kosten übernehmen, die vor Abschluss des Anwaltsvergleiches entstanden sind, müssen die Kosten errechnet werden. Im Vergleich muss sich die entsprechende Partei verpflichten, jenen Betrag dem Gegner oder zu Händen des Anwalts des Gegners zu zahlen; wobei auch insoweit die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung aus dem Anwaltsvergleich erforderlich ist, um die Vollstreckbarerklärung wegen der Zahlungsverpflichtung zu erhalten (s. Rz. 12). Wegen der Ermittlung der Anwaltsgebühren, die im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Anwaltsvergleiches entstehen können, vergleiche die Ausführungen bei Leutner/Hacker NJW 2012, 1318, 1322; Schneider AGS 2013, 1; zum alten Kostenrecht vgl. die detaillierten Ausführungen bei Enders JurBüro 1998, 337 f. sowie JurBüro 1998, 505 f.
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Kapitel 4 Erfolgs- und Kostenrisiko I. Ermittlung des Sachverhalts und des Mandanteninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtlich erhebliche Tatsachen . . . . . . . . . . 2. Beweisbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zielvorstellung des Mandanten . . . . . . . . . . II. Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich b) Unsicherheiten im rechtlichen Bereich . . aa) Ermessen des Gerichts . . . . . . . . . . bb) Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . c) Unsicherheiten in der Beweisaufnahme .
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III. 1. 2. 3. IV. 1. 2. 3. V.
Kostenrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostenerstattung, Rechtsschutz und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikoabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherster Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichen vom sichersten Weg . . . . . . . . . Vergleichsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . Eigene Dokumentation . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ermittlung des Sachverhalts und des Mandanteninteresses Bevor der Anwalt seinen Mandanten darüber beraten kann, auf welchem Weg, in welchem Umfang und mit welchen prozessualen Mitteln eine sachgerechte Wahrnehmung seiner Interessen möglich ist, muss er zunächst den Sachverhalt ermitteln sowie das rechtliche Anliegen, das der Mandant verfolgt (s. dazu ausf. Kap. 1 Rz. 1 ff.).
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1. Rechtlich erhebliche Tatsachen Um den rechtlich relevanten Sachverhalt herauszufinden, sollte der Anwalt den Mandanten zunächst einmal den Fall, so wie er sich für diesen darstellt, in groben Zügen schildern lassen. Der Anwalt sollte eingreifen, wenn die Darstellung in Nebensächlichkeiten abgleitet. Ungeachtet dessen muss er die – zunächst als Nebensächlichkeit behandelten – Informationen im Gedächtnis behalten; sie können sich im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung zu wichtigen Details entwickeln.
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Da viele Mandanten nicht in der Lage sind, ihr Anliegen im Detail verbal zu artikulieren und eine differenzierte Sprache immer seltener zu finden ist, sollte, so weit wie möglich, mit Hilfsmitteln gearbeitet werden. So hilft in Verkehrsunfallsachen eine zeichnerische Skizze zum Unfallhergang und zu den Örtlichkeiten oder eine Nachstellung des Unfallablaufs durch Modelle meistens mehr als eine lange Unfallschilderung. Bei Grundstücks- und Bausachen sollte der Sachverhalt anhand von Plänen und Skizzen erarbeitet werden; bedeutsame Urkunden (Verträge, Testamente etc.) sollten vorliegen
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Kap. 4 Rz. 4
Erfolgs- und Kostenrisiko
und sofort zum Gegenstand der Informationsaufnahme gemacht werden. Zweckmäßig ist es, sogleich eine Kopie zu fertigen, damit Anwalt und Mandant gleichzeitig den Text durchgehen und einzelne Textpassagen im Detail besprechen können.
4 Eine reine Sammlung von Tatsachen ist ohne Blick auf die Anspruchsgrundlagen oder möglichen Einwendungen und die prozessualen Möglichkeiten diese auch durchzusetzen, wenig sinnvoll. Daher muss der Anwalt bereits bei der Erfassung des Sachverhalts mitdenken, welche rechtlichen Möglichkeiten dieser eröffnet. Er darf sich keinesfalls auf die Vorstellung des Mandanten beschränken. Der Anwalt soll und muss umfassend beraten. Anderenfalls haftet er auf Schadensersatz. Der Anwalt muss daher den Mandanten auch über – aus rechtlicher Sicht – möglicherweise entfernt liegende Erwägungen ausfragen. Will zB der Mandant als Vermieter wegen eines wichtigen Grundes kündigen (§§ 543, 569 BGB), muss der Anwalt sofort auch an § 573a BGB denken und danach fragen, ob der Vermieter mit dem Mieter allein in demselben Haus wohnt. Will der Mandant von einem Kaufvertrag zurücktreten, etwa wegen eines Mangels, muss sofort daran gedacht werden, ob er nicht bereits nach anderen Vorschriften den Vertragsabschluss insgesamt widerrufen kann (zB § 355 BGB). In Verkehrsunfallsachen muss – jedenfalls wenn von einer Mithaftung des Mandanten auszugehen ist – gleichzeitig nach dem Bestehen eines Kaskoversicherungsvertrages gefragt werden. Auch sonstige Einwendungen oder Einreden (zB Verjährung) müssen stets mit in Betracht gezogen werden. 2. Beweisbarkeit
5 Neben der Erforschung des Sachverhalts ist gleichzeitig zu ermitteln, wem die Beweislast obliegt und wie der für die Entscheidung erhebliche Sachverhalt, soweit dem Mandanten die Beweislast obliegt, bewiesen werden kann. Beweismittel, die der Mandant benennt, sollten kritisch bewertet werden, ob sie auch das Beweisergebnis versprechen, das erforderlich ist, um das Begehren des Mandanten oder die Rechtsverteidigung erfolgreich durchzusetzen. Auf die Unzulänglichkeiten eines von Laien häufig überschätzten Zeugenbeweises sollte von Anfang an hingewiesen werden. Auch privat eingeholte Sachverständigengutachten oder Stellungnahmen von sog. „Fachleuten“ halten oft nicht das, was sich der Mandant davon verspricht. Siehe dazu insbesondere auch Kap. 18 Rz. 2 ff. Gegebenenfalls muss erwogen werden, ein selbständiges Beweisverfahren einzuleiten, um Beweise zu sichern, die bis zum Prozess verloren gehen könnten. 3. Zielvorstellung des Mandanten
6 Um zu ermitteln, in welcher Hinsicht der Anwalt tätig werden soll, muss er zunächst ergründen, ob der Mandant bereits eine bestimmte Zielvorstellung hat. Gleichzeitig ist aber auch eine Beratung über Alternativen oder andere rechtliche Möglichkeiten geschuldet (BGH NJW 1988, 563; s. auch Kap. 1 Rz. 1 ff.). Auch sich ergebende Vergleichsmöglichkeiten müssen erörtert werden. Die Beratung kann dazu führen, dass der Mandant letztlich ein anderes Ziel zu verfolgen bereit ist, als ursprünglich beabsichtigt. Will der Mandant nach dem Tode des Ehegatten seine Rechte als Miterbe durchsetzen, kann sich ergeben, dass es für ihn günstiger ist, das Erbe auszuschlagen und nach § 1371 Abs. 2 BGB Zugewinnausgleich zu verlangen sowie gleichzeitig den Pflichtteil geltend zu machen. Will der Mandant seinen Pkw wegen eines Mangels zurückgeben, muss er gleichzeitig auf die Möglichkeit einer Minderung oder Schadensersatz hingewiesen werden. Erst wenn der Mandant auch über alle rechtlichen Alternativen beraten worden ist, kann beurteilt werden, welche Erfolgsaussichten insoweit bestehen und für welchen Weg man sich entscheiden will.
II. Erfolgsaussichten 7 Nachdem der Mandant sein Anliegen unterbreitet hat und er sich klar ist, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, will er in der Regel wissen, ob und inwieweit das beabsichtigte Vorgehen Aussicht auf Erfolg hat. Auch hierzu schuldet der Anwalt – auch ungefragt – eine eingehende Beratung 52
Schneider
Erfolgs- und Kostenrisiko
Rz. 12 Kap. 4
(BGH NJW 1984, 791). Er sollte sich allerdings hüten, den Erfolg zuzusichern oder dem Mandanten Hoffnungen zu machen, die sich vermutlich nicht realisieren lassen. Den Verlauf des Rechtsstreits kann der Anwalt nie vorhersagen, weil offen ist, ob der Mandant wirklich alle Umstände dargestellt hat, die für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind. Der Anwalt sollte daher eine Prognose im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsberechnung vermeiden und stattdessen konkret auf die Einzelnen bestehenden Unsicherheiten und ihre eventuellen Folgen hinweisen. Erfahrungsgemäß sind Mandanten dankbarer, wenn der Anwalt sie von vornherein objektiv über die Erfolgsaussichten informiert – mögen diese dem Mandanten anfangs auch nicht gefallen –, als wenn der Anwalt zunächst die übertriebenen Hoffnungen – uU in der Hoffnung der Mandatserteilung – unterstützt. Werden die vom Anwalt geschürten übertriebenen Vorstellungen später enttäuscht, verliert der Mandant schnell das Vertrauen zum Anwalt und wird sich für seinen nächsten Fall einen anderen Kollegen suchen. 1. Unsicherheiten Die mit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung verbundene Unsicherheit kann mehrere Gründe haben; auf sie ist hinzuweisen. Der Hinweis auf das „allgemeine Prozessrisiko“ oder den „Ermessensspielraum des Richters“ ist nicht ausreichend.
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a) Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich Unsicherheiten können zunächst im tatsächlichen Bereich, also im Sachverhalt liegen. Hierauf hat der Anwalt den geringsten Einfluss. Er muss sich auf die Angaben des Mandanten verlassen, sie allerdings auch auf Plausibilität prüfen. Auf Zweifel an der Richtigkeit und auf Widersprüche in der Sachverhaltsschilderung hat der Anwalt hinzuweisen.
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b) Unsicherheiten im rechtlichen Bereich Neben den Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich können sich auch rechtliche Unsicherheiten ergeben.
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aa) Ermessen des Gerichts Unsicherheiten liegen stets auf der Hand, wenn der Grund oder die Höhe des Anspruchs einer Wertung des Gerichts unterliegen. Typischer Fall ist insoweit die Bemessung eines Schmerzensgeldes (§ 847 BGB). Auch bei der Beurteilung, ob eine grobe oder nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt (zB bedeutsam bei § 103 VVG), kann es in Grenzfällen auf die persönliche Wertung des Gerichts ankommen. Gleiches gilt etwa für die Bemessung einer mitwirkenden Betriebsgefahr des Geschädigten in Verkehrsunfallsachen. Auch in zahlreichen anderen Fällen fließen Wertungen ein (etwa bei der Höhe einer angemessenen Minderung der Miete oder des Reisepreises). Hier kann der Anwalt außer in eindeutigen Fällen keine definitiven Prognosen geben. Ein – gleichwie geartetes – Risiko wird immer verbleiben.
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bb) Gesetzesauslegung Unklarheiten ergeben sich weiterhin aus der Gesetzesanwendung. Zu vielen Auslegungsfragen werden verschiedene Standpunkte vertreten. Auch die bekannte Rechtsprechung des Berufungsgerichts oder des Bundesgerichtshofs gibt keine Garantie dafür, dass das Gericht dementsprechend entscheidet, zumal auch eine gefestigte Rechtsprechung zuweilen geändert oder die Sachverhaltsidentität verneint wird. Leider muss auch zunehmend beobachtet werden, dass sich Gerichte nicht genügend Zeit nehmen, sich mit den rechtlichen Problemen des Falles zu befassen und diese zum Teil auch rechtsfehlerhaft übergehen.
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Kap. 4 Rz. 13
Erfolgs- und Kostenrisiko
c) Unsicherheiten in der Beweisaufnahme
13 Schließlich ergeben sich Unsicherheiten aus dem Verlauf und der Würdigung einer Beweisaufnahme. So kann nur eindringlich auf die Unsicherheit im Rahmen des Zeugenbeweises hingewiesen werden. Hier kommt es häufig zu Überraschungen, sei es, weil der angeblich so „sichere“ Zeuge doch nichts weiß oder „mehr“ sagt, als er nach der Vorstellung des Mandanten wissen kann und den Anspruch, weil dadurch ein neuer Gesichtspunkt in die Beurteilung einzufließen hat, zu Fall bringt. Auch Sachverständigengutachten ergeben nicht immer das erwartete Ergebnis. Auf dieses Risiko muss der Anwalt ebenfalls vorab hinweisen, auch wenn er keinen oder fast keinen Einfluss auf das Ergebnis der Beweiserhebung hat.
III. Kostenrisiko 14 Eine generelle Belehrungspflicht über die Kosten der anwaltlichen Tätigkeit besteht nicht (KG AGS 2004, 263; AG Steinfurt AGS 2014, 379). Dass die Tätigkeit des Anwalts eine Vergütung auslöst und dass auch das Gericht nicht kostenlos tätig wird, darf der Anwalt als bekannt voraussetzen (BGH BRAK 2009, 19). Auch die Verpflichtung zur Kostenerstattung im Fall des Unterliegens darf grundsätzlich als bekannt vorausgesetzt werden. Eine Aufklärung ist jedoch geboten, wenn erhebliche Kosten entstehen, mit denen der Mandant nicht rechnet oder wenn er erkennbare Fehlvorstellung von den anfallenden Kosten hat (BGH BRAK-Mitt. 2009, 19). Ebenso besteht eine Hinweispflicht, wenn die anfallenden Kosten außer Verhältnis zum erstrebten Erfolg stehen.
15 Auch wenn keine generelle Verpflichtung besteht, auf die anfallenden Kosten hinzuweisen, ist § 49b Abs. 5 BRAO zu beachten. Der Anwalt muss den Mandanten vor Übernahme des Mandats darauf hinweisen, wenn sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnen. Die Verpflichtung besteht nur zum Hinweis darauf, dass nach dem Gegenstandswert abzurechnen ist. Der Anwalt muss nicht ungefragt über die Höhe des Gegenstandswerts Auskunft erteilen. Der Hinweis, dass „nach dem RVG“ abgerechnet werde, reicht allerdings nicht aus (LG Kiel AGS 2009, 264).
16 Der Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO kann zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichten (BGH NJW 2007, 2332 = MDR 2007, 1046). Dabei trifft den Auftraggeber die Darlegungs- und Beweislast sowohl dafür, dass der Hinweis unterblieben ist, als auch für den ihm daraus entstandenen Vertrauensschaden (BGH AGS 2008, 9 m. Anm. Schons = NJW 2008, 371 = MDR 2008, 235).
17 UU kann es geboten sein, den Mandanten auf die Möglichkeit einer Teilklage oder der Durchführung der Berufung mit eingeschränktem Antrag hinzuweisen, um Kostenrisiken zu minimieren. Dies gilt insbesondere, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist und sich hier eine Obliegenheit zur Teilklage ergeben kann. Allerdings ist dann auch auf das Risiko eine negativen Feststellungsklage des Gegners hinzuweisen.
18 Bei der Ermittlung des Kostenrisikos muss der Anwalt sowohl die eigene Vergütung einbeziehen, die Gerichtskosten sowie die eventuell zu erstattenden Kosten der Gegenseite; weiterhin sind gegebenenfalls Kosten für Zeugen und Sachverständige zu veranschlagen. Gegebenenfalls muss auch berücksichtigt werden, dass mehrere Beklagte sich uU zulässigerweise von verschiedenen Anwälten vertreten lassen und damit weitere Kosten auslösen. Auch muss in bestimmten Fällen (vor allem in Bauprozessen) mit einer Streitverkündung an Dritte durch den Beklagten gerechnet werden, die diesem dann beitreten und einen eigenen Kostenerstattungsanspruch erwerben. Auch hier kann sich das Kostenrisiko sehr schnell vervielfachen.
19 Eine zurückhaltende Schätzung, etwa um dem Mandanten den Entschluss zum Rechtsstreit zu erleichtern, ist unzulässig und gefährlich.
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Erfolgs- und Kostenrisiko
Rz. 24 Kap. 4
1. Gegenstandswert Entscheidend ist, nach welchem Gegenstandswert die Gebühren für Gericht und Anwalt zu berech- 20 nen sind. Nach Ermittlung des Sachverhalts und des Mandanteninteresses lässt sich der Gegenstandswert in aller Regel feststellen, wobei die Zuhilfenahme eines Streitwertkommentars (vgl. etwa Schneider/Herget, Streitwertkommentar) anzuraten ist. Jedoch muss stets bedacht werden, dass spätere Erhöhungen des Gegenstandswerts durch Gegenanträge (Widerklage, Klageerweiterung, Hilfsaufrechnungen etc.) möglich sind. Hinzu kommt, dass häufig in nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten die Schätzung des Gerichts nicht vorhergesehen werden kann. Darauf, dass sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, ist der Mandant nach § 49 Abs. 5 BRAO hinzuweisen (s. Rz. 15 f.). 2. Gebühren Nach der Feststellung des Gegenstandswerts lassen sich Gerichts- und Anwaltsgebühren ermitteln, 21 wobei der weitere Verlauf des Rechtsstreits uU eine erhebliche Bandbreite offenlässt. So kann sich zB ein Mahnverfahren durch einen Vollstreckungsbescheid kostengünstig erledigen (0,5 Gerichtsgebühr + 1,5 Anwaltsgebühren). Derselbe Fall kann aber auch ins streitige Verfahren übergehen (3,0 Gerichtsgebühren + 2,5 Anwaltsgebühren alleine für den eigenen Anwalt, bei einem Vergleich sogar 3,5) und auch noch eine kostspielige Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machen. Kommt ein Berufungsverfahren hinzu, hat dies weitere Kostenerhöhungen zur Folge. Ebenso kann eine Hilfsaufrechnung oder Widerklage den Streitwert erhöhen. Eine Streitverkündung durch den Gegner kann zur Verdoppelung der später zu erstattenden Kosten führen, wenn der Streitverkündete dem Rechtsstreit beitritt und sich anwaltlich vertreten lässt. Zurückverweisungen können zu einer weiteren Kostensteigerung führen. Auch eine Teilklage, auf die sich der Mandant aus Gründen der Kostenreduzierung zunächst beschränkt, kann durch eine negative Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten plötzlich doch zum vollen Wert mit dem entsprechend hohen Kostenrisiko führen. Eine sichere Prognose der entstehenden Gesamtkosten ist daher fast nie möglich. Kalkuliert werden kann allenfalls das eigene Prozessverhalten und in Maßen noch das Vorgehen des Gerichts. Die prozessualen Reaktionen des Gegners sind dagegen häufig nicht kalkulierbar. Prozessrisikotabellen, die handelsüblich erhältlich sind, können demnach allenfalls Hilfsmittel sein, die das Addieren der Gebühren ersparen. Eine objektive Schätzung ermöglichen auch sie nicht. Der Anwalt hat daher eine Kostenprognose stets konkret für die jeweilige Instanz zu ermitteln und 22 ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass durch Gegenanträge (Widerklage, Feststellungsanträge, Hilfsaufrechnung etc.) oder Rechtsmittel weitere Kosten entstehen können, die er zurzeit nicht einkalkulieren könne. 3. Kostenerstattung, Rechtsschutz und Prozesskostenhilfe Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Darstellung des Kostenrisikos auch eine mögliche Kosten- 23 erstattung (§§ 91 ff. ZPO). Soweit der Mandant unterliegt, muss er bis auf einige Ausnahmefälle auch die Kosten des Gegners erstatten. Umgekehrt ist aber auch eine zu erwartende Erstattung der eigenen Kosten in die Überlegungen einzubeziehen, wobei darauf Acht zu geben ist, ob der Prozessgegner die ausreichende Bonität aufweist, um die Erfüllung des Kostenerstattungsanspruchs realistisch ansetzen zu können. Soweit eine Kostenerstattung generell (§ 12a Abs. 1 ArbGG) oder im Regelfall ausscheidet (zB § 81 FamFG), muss der Anwalt den Mandanten darauf hinweisen, dass er mit einer Kostenerstattung nicht rechnen könne. Diese Belehrungspflicht ist in § 12a Abs. 1 Satz 2 ArbGG sogar gesetzlich normiert und führt bei Nichterfüllung zum Ersatz des Vertrauensschadens.
Schneider 55
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Kap. 4 Rz. 25
Erfolgs- und Kostenrisiko
25 Eine weitere Hinweispflicht besteht beim Abschluss einer Vergütungsvereinbarung. Hier muss der Anwalt den Mandanten darauf hinweisen, dass eine vereinbarte Vergütung nur bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung erstattet wird und der darüber hinausgehende Betrag grundsätzlich nicht erstattungsfähig ist (§ 3a Abs. 1 Satz 3 RVG).
26 Das Kostenrisiko minimiert sich für den Mandanten, soweit er rechtsschutzversichert (s. dazu Kap. 5) ist und Deckungsschutz besteht. Der Rechtsschutzversicherer übernimmt dann nicht nur die eigenen Kosten, sondern auch die des Gerichts und des Gegners, so dass der Mandant selbst bei vollem Unterliegen keine Kosten zu tragen hat. Allerdings ist auf eine Selbstbeteiligung hinzuweisen, wobei allerdings wiederum das Quotenvorrecht in Betracht kommen kann (s. N. Schneider AnwBl. 2012, 572).
27 Das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung des Mandanten und einer Deckungsschutzzusage darf jedoch nicht dazu verleiten, an die Prüfung der Sach- und Rechtslage geringere Anforderungen zu stellen als bei einem selbst zahlenden Mandanten. Soweit der Anwalt hier fehlerhaft uU sogar leichtsinnig vorgeht, fehlt es zwar an einem Schaden des Mandanten, da er von seinem Rechtsschutzversicherer bei erteilter Deckungsschutzzusage auch insoweit von allen Kosten freigestellt wird. Der Schadensersatzanspruch des Mandanten geht jedoch nach den § 86 Abs. 1 VVG und den ARB auf den Versicherer über und wird immer häufiger auch durchgesetzt (s. LG Flensburg AGS 2013, 493 = NJW-RR 2013, 1331).
28 Ebenso ist die Deckungssumme im Auge zu behalten und zu beachten, dass im Falle hoher Streitwerte trotz Rechtsschutzversicherung eine eigene Inanspruchnahme des Mandanten auf Zahlung der Prozesskosten in Betracht kommen kann, weil der Mandant zwar beherrschen kann, ob der Streit in die nächste Instanz führt; beim Unterliegen des Prozessgegners bestimmt jedoch der Prozessgegner, ob sich eine Instanz anschließt. Zu den neben der Rechtsschutzversicherung bestehenden weiteren Möglichkeiten der Prozessfinanzierung s. Kap. 5 Rz. 44 ff.).
29 Erhält der Mandant Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe (s. dazu Kap. 10), so mindert sich hierdurch sein Kostenrisiko ebenfalls. Allerdings schützen ihn Prozess- und Verfahrenskostenhilfe nicht vor der Kostenerstattung an den Gegner (§ 123 ZPO). Darauf sollte der Anwalt hinweisen, da viele Mandanten der Auffassung sind, die Prozesskostenhilfe decke auch dieses Risiko.
30 Weiterhin muss der Mandant darauf hingewiesen werden, dass die Prozesskostenhilfe später wieder aufgehoben (§ 124 ZPO) oder abgeändert (§ 120 Abs. 4 ZPO) werden kann, insbesondere dann, wenn der Mandant durch den Prozesserfolg zu Vermögen oder Einkommen gelangt. So ist insbesondere bei Vergleichsabschlüssen, in denen auf eine Kostenerstattung verzichtet wird (s. dazu Kap. 37 Rz. 14 ff.), zu beachten, dass der Prozesserfolg durch die entstandenen Kosten bei Aufhebung oder Abänderung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe aufgezehrt werden kann.
IV. Risikoabwägung 31 Sind die Tatsachen und Beweismittel gesammelt, die möglichen Zielrichtungen und Risiken ermittelt, muss der Anwalt auf dieser Basis den sichersten Weg vorschlagen. Dies ist seine Pflicht (BGH NJW 1993, 2045). Andere, also nicht so sichere Wege, darf er nur auf ausdrückliche Weisung des Mandanten nach entsprechender Belehrung über das Risiko beschreiten. 1. Sicherster Weg
32 Bei der Beurteilung, was der sicherste Weg ist, muss sich der Anwalt am Ziel orientieren. Einfach ist dies, wenn mehrere Wege zum selben Ziel führen. Dies wird allerdings seltener sein. Häufig wird mit zunehmender Sicherheit auch eine Herabsetzung des Ziels einhergehen. Beispielhaft hierfür ist ein Verkehrsunfallprozess. Je geringer die Haftungsquote ist, die eingeklagt werden soll, desto sicherer ist 56
Schneider
Erfolgs- und Kostenrisiko
Rz. 36 Kap. 4
der Erfolg der Klage. Diese Wechselwirkung muss mit dem Mandanten abgestimmt werden. Die Frage zu entscheiden, welches letztlich der sicherste Weg ist, wird häufig nicht eindeutig zu beantworten sein. Es wird nie möglich sein, jeglichem Risiko aus dem Weg zu gehen. Als Richtlinie mögen die Ausführungen des BGH (NJW-RR 1990, 1241) genommen werden: „Von mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen hat der Rechtsanwalt regelmäßig diejenige zu treffen, welche drohende Nachteile am wahrscheinlichsten vermeidet; wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, hat er denjenigen zu wählen, auf den dieser am sichersten und gefahrlosesten erreichbar ist.“ Zur Absicherung des Risikos ist es möglich und auch angebracht, gegebenenfalls Hilfsanträge zu stellen. Streitverkündungen können das Risiko eines Folgeprozesses minimieren. Auch Teilklagen können das Kostenrisiko reduzieren. Andererseits besteht hier immer die Gefahr, dass der Gegner hinsichtlich des Weiteren Teils negative Feststellungswiderklage erhebt und damit die Kosten wieder in die Höhe treibt.
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2. Abweichen vom sichersten Weg Vom sichersten Weg darf der Anwalt nur auf Weisung des Mandanten abweichen. Eine solche Wei- 34 sung ist allerdings nur dann beachtlich, wenn er den Mandanten zuvor eingehend über die verschiedenen Wege ausf. beraten und ihm die damit verbundenen Risiken deutlich gemacht hat. Je höher das Risiko wird, desto zurückhaltender sollte der Anwalt sein. Andererseits muss der Anwalt die Weisungen des Mandanten beachten. Er darf diese nicht übergehen, selbst wenn sie ihm unvernünftig erscheinen. Stattdessen kann der Anwalt – und sollte es auch (!) – die Führung eines aussichtslosen Prozesses grundsätzlich ablehnen (Borgmann/Haug Rz. 129). Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Anwalt zur Mandatsniederlegung berechtigt, wenn sich nach eingehender Prüfung die Aussichtslosigkeit der Sache herausstellt und der Mandant dem Rat des Anwalts zuwider sie Sache weiter betreiben will (BGH MDR 2014, 58 = NJW 2014, 317). Führt er den Prozess dennoch, muss er sich sicher sein, dass er den Mandanten vollständig beraten hat. 3. Vergleichsmöglichkeiten Begleitend zum Prozess sollte der Anwalt stets im Auge behalten, ob sich Einigungsmöglichkeiten 35 mit dem Gegner oder Dritten ergeben. Ungeachtet der Durchsetzung des eigenen Rechtsstandpunktes ist der Mandant in vielen Fällen gut beraten, frühzeitig nach einer Einigung zu suchen. Eine schnelle Erledigung ist häufig wirtschaftlicher als ein langer Rechtsstreit, selbst wenn dieser am Ende gewonnen wird. Insbesondere bei drohender Insolvenz des Gegners kann auch ein rechtlich ungünstiger Vergleich noch ein wirtschaftlicher Erfolg sein, zumal weitere Prozesskosten vermieden werden und das GKG den gerichtlichen Vergleich durch eine Gebührenermäßigung belohnt (zB Nr. 1211 Nr. 3 KV GKG). Gleiches gilt jetzt auch für eine anderweitige Erledigung der Hauptsache, wenn das Gericht keine streitige Kostenentscheidung mehr treffen muss (Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG). Daher muss der Anwalt ständig für Vorschläge der Gegenseite offen sein und ggf. auch eigene Vorschläge unterbreiten. Das Ausschlagen eines Vergleichsangebotes oder fehlerhafte Beratung hierüber können zur Haftung führen.
V. Eigene Dokumentation Äußerst wichtig ist es für den Anwalt, die gesamten vorstehend geschilderten Schritte, Überlegungen und insbesondere die Belehrungen des Mandanten zu dokumentieren. Eine Verpflichtung zur Dokumentation besteht zwar nicht (BGH NJW-RR 1990, 1241); der Anwalt ist lediglich verpflichtet, Handakten zu führen. Angesichts der strengen Rechtsprechung, die der Bundesgerichtshof an Aufklärungs- und Belehrungspflichten stellt, kann dem Anwalt jedoch nur dringend angeraten werden, von vornherein sämtliche Belehrungen schriftlich zu dokumentieren und sich Weisungen schriftlich erteilen zu lassen. Gesprächsergebnisse sollte er zweckmäßig in einem kurzen Schreiben an den ManSchneider 57
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Kap. 5 Rz. 1
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
danten bestätigen. Im Streitfall trägt der Anwalt nämlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er nach Weisung des Mandanten gehandelt und dass er ihn zuvor umfassend belehrt hat. Diesen Nachweis kann er nur führen, wenn er beizeiten alles, was später von Relevanz sein kann, insbesondere die ordnungsgemäße Belehrung des Mandanten, aktenkundig macht. Die schriftliche Dokumentation – etwa durch entsprechende Begleitschreiben – ist zudem auch Grundlage für den Anwalt, auf die er bei seiner Arbeit zurückgreifen kann. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass der Mandant vor übereilten Entscheidungen geschützt wird und in Ruhe abwägen kann. Er kann auch kontrollieren, ob seine Angaben vom Anwalt richtig aufgenommen worden sind. Erfahrungsgemäß lassen sich hier viele Missverständnisse vermeiden bzw. frühzeitig aufklären.
Kapitel 5 Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung I. II. III. IV. V. 1.
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutztatbestände . . . . . . . . . . . . . Ausschlüsse vom Rechtsschutz (§ 3 ARB) Leistungen des Rechtsschutzversicherers . Tätigkeit des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . Einholung der Deckungszusage . . . . . . . . . a) Außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . . M 5.1 Deckungszusage für außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . b) Verteidigung in einer Verkehrsunfallsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.2 Deckungszusage für Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beratungsrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . M 5.3 Abrechnung einer erbrechtlichen Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.4 Rechtsschutzzusage für Klage nach Verkehrsunfall . . . . . . . . . . e) Einlegung eines Rechtsmittels . . . . . . . . M 5.5 Rechtsschutzzusage für Prüfung der Berufungsaussichten . . . . . . . M 5.6 Rechtsschutzzusage für Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision . . . . . . f) Abwehr eines Rechtsmittels . . . . . . . . .
1 2 10 20 28 28 31
2.
31 33 33 36 37 39
3.
40 42
VI. 1.
43
2.
45 46
VII.
M 5.7 Rechtsschutzzusage für Abwehr einer gegnerischen Berufung . . . Deckungsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiedsgutachtenverfahren/Stichentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.8 Belehrung Mandant bei Ablehnung des Versicherungsschutzes . M 5.9 Einleitung des Schiedsgutachtenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deckungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.10 Deckungsklage nach vorangegangenem Schiedsgutachtenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.11 Deckungsklage ohne Schiedsgutachterverfahren . . . . . . . . . . M 5.12 Stichentscheid . . . . . . . . . . . . . Abrechnung unter Beachtung des Quotenvorrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.13 Anfrage bei Prozessfinanzierer . . . Erwägungen des Rechtsanwalts . . . . . . . . . M 5.14 Beratung des Mandanten über Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 48 50 54 56 57 58 59 60 61 62 62 65 69 72 73
I. Vorbemerkung 1 Der nachfolgenden Darstellung liegen – soweit nicht anders vermerkt – die Muster-ARB 2012 Stand 2017 zugrunde. Bei Altverträgen können jedoch andere Bedingungen, zB die ARB 2000, die ARB 1994 oder die ARB 1975 maßgeblich sein. Außerdem haben manche Gesellschaften eigene Bedingungen, die von den Muster-ARB abweichen. Stets sind deshalb die dem konkreten Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen zu prüfen.
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Schneider/Freyberger
Kap. 5 Rz. 1
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
danten bestätigen. Im Streitfall trägt der Anwalt nämlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er nach Weisung des Mandanten gehandelt und dass er ihn zuvor umfassend belehrt hat. Diesen Nachweis kann er nur führen, wenn er beizeiten alles, was später von Relevanz sein kann, insbesondere die ordnungsgemäße Belehrung des Mandanten, aktenkundig macht. Die schriftliche Dokumentation – etwa durch entsprechende Begleitschreiben – ist zudem auch Grundlage für den Anwalt, auf die er bei seiner Arbeit zurückgreifen kann. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass der Mandant vor übereilten Entscheidungen geschützt wird und in Ruhe abwägen kann. Er kann auch kontrollieren, ob seine Angaben vom Anwalt richtig aufgenommen worden sind. Erfahrungsgemäß lassen sich hier viele Missverständnisse vermeiden bzw. frühzeitig aufklären.
Kapitel 5 Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung I. II. III. IV. V. 1.
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutztatbestände . . . . . . . . . . . . . Ausschlüsse vom Rechtsschutz (§ 3 ARB) Leistungen des Rechtsschutzversicherers . Tätigkeit des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . Einholung der Deckungszusage . . . . . . . . . a) Außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . . M 5.1 Deckungszusage für außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . b) Verteidigung in einer Verkehrsunfallsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.2 Deckungszusage für Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beratungsrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . M 5.3 Abrechnung einer erbrechtlichen Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.4 Rechtsschutzzusage für Klage nach Verkehrsunfall . . . . . . . . . . e) Einlegung eines Rechtsmittels . . . . . . . . M 5.5 Rechtsschutzzusage für Prüfung der Berufungsaussichten . . . . . . . M 5.6 Rechtsschutzzusage für Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision . . . . . . f) Abwehr eines Rechtsmittels . . . . . . . . .
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VII.
M 5.7 Rechtsschutzzusage für Abwehr einer gegnerischen Berufung . . . Deckungsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiedsgutachtenverfahren/Stichentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.8 Belehrung Mandant bei Ablehnung des Versicherungsschutzes . M 5.9 Einleitung des Schiedsgutachtenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deckungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.10 Deckungsklage nach vorangegangenem Schiedsgutachtenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.11 Deckungsklage ohne Schiedsgutachterverfahren . . . . . . . . . . M 5.12 Stichentscheid . . . . . . . . . . . . . Abrechnung unter Beachtung des Quotenvorrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 5.13 Anfrage bei Prozessfinanzierer . . . Erwägungen des Rechtsanwalts . . . . . . . . . M 5.14 Beratung des Mandanten über Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 48 50 54 56 57 58 59 60 61 62 62 65 69 72 73
I. Vorbemerkung 1 Der nachfolgenden Darstellung liegen – soweit nicht anders vermerkt – die Muster-ARB 2012 Stand 2017 zugrunde. Bei Altverträgen können jedoch andere Bedingungen, zB die ARB 2000, die ARB 1994 oder die ARB 1975 maßgeblich sein. Außerdem haben manche Gesellschaften eigene Bedingungen, die von den Muster-ARB abweichen. Stets sind deshalb die dem konkreten Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen zu prüfen.
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Schneider/Freyberger
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 5 Kap. 5
II. Rechtsschutztatbestände Voraussetzung für die Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers ist, wie bei allen Versicherungen, 2 ein Versicherungsfall. Dieser ist in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen eine Rechtspflicht oder Rechtsvorschrift begangen hat oder begangen haben soll; die Behauptung eines Rechtspflichtverstoßes genügt (2.4.3 ARB). Für die besonders wichtige Sparte des Schadensersatzrechtsschutzes wird der Versicherungsfall noch dahin gehend präzisiert, dass der Rechtsschutzfall mit dem ersten Ereignis eingetreten ist, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll (2.4.2 ARB). In vielen Fällen verweigern die Rechtsschutzversicherer die Eintrittspflicht mit der Begründung, es liege ein vorvertraglicher Verstoß vor. Hierfür genügt jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt (BGH NJW-RR 2007, 749 = MDR 2007, 720). Dies birgt allerdings die Gefahr einer uferlosen Rückverlagerung in sich. Der Bundesgerichtshof hat deshalb entschieden, dass für den Eintritt des Versicherungsfalles auf den Tatsachenvortrag abzustellen ist, mit dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch begründet. Frühester Zeitpunkt ist das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten ihm gegenüber, auf das er sein Ersatzverlangen stützt. Nicht die objektiven Gegebenheiten bilden mithin das den Rechtsschutzfall auslösende Kausalereignis, sondern die vom Versicherungsnehmer behaupteten Vorgänge, für die der Anspruchsgegner ihm gegenüber haftungsrechtlich verantwortlich sein und durch die er ihn geschädigt haben soll; auf Schlüssigkeit und Beweisbarkeit dieses Vortrages kommt es dabei nicht an (BGH NJW 2014, 2042 = MDR 2014, 835; s. auch BGH NJW 2013, 2285 = MDR 2013, 848; OLG Düsseldorf NJW-RR 2017, 289; OLG Köln VersR 2017, 484). Beim Widerruf von Darlehensverträgen kommt es deshalb nicht auf die behauptete fehlerhafte Belehrung an, sondern auf den Zeitpunkt, an welchem die Bank das Recht des Kunden zum Widerruf bestreitet. Wird mit einem Versicherer darüber gestritten, ob der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags falsche Angaben gemacht hat, ist für den Rechtsschutzfall nicht der Abschluss des Versicherungsvertrags entscheidend, sondern der Zeitpunkt, zu welchem der Versicherer sich auf die falschen Angaben beruft. Zur Problematik s. auch Maier r+s 2017, 574. Steht der Rechtspflichtverstoß fest, ist zu prüfen, ob er unter eine der Leistungsarten von 2.2 ARB subsumiert werden kann. Leistungsarten sind der Schadensersatzrechtsschutz (2.2.1 ARB, Schadensersatzansprüche aus Verträgen fallen nicht unter diese Vorschrift), der Arbeitsrechtsschutz (2.2.2 ARB), der Wohnungs- und Grundstücksrechtsschutz (2.2.3 ARB), der Vertragsrechtsschutz (2.2.4 ARB, hierher gehören auch Schadensersatzansprüche aus Verträgen), der Steuer- und Sozialgerichtsrechtsschutz (2.2.5 und 6 ARB, nur für Gerichts-, nicht auch für Verwaltungsverfahren), der Verwaltungsrechtsschutz (2.2.7 ARB, nur für Verkehrssachen einschließlich Verwaltungsverfahren), der Disziplinar- und Standesrechtsschutz (2.2.8 ARB), der Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsschutz (2.2.9 und 10 ARB), Beratungsrechtsschutz im Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrecht (2.2.11 ARB) und der Opferrechtsschutz (2.212 ARB) für Nebenklagen bei bestimmten Delikten.
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Eine Rechtsschutzversicherung kann abgeschlossen werden als Privat-Rechtsschutz, Rechtsschutz für Selbständige oder Firmen, Rechtsschutz für Vereine, Rechtsschutz für Landwirte, Berufs-Rechtsschutz, Verkehrs-Rechtsschutz, Fahrzeug-Rechtsschutz oder Wohnungs-und Grundstücks-Rechtsschutz (Details in 2 ARB). Die Anwendungsbereiche überlappen sich teilweise.
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Beim in der täglichen Praxis besonders wichtigen Verkehrsrechtsschutz besteht Versicherungsschutz für den Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Halter eines oder mehrerer beliebiger Fahrzeuge. Mitversichert ist auch der berechtigte Fahrer. Der Versicherungsschutz kann auf einzelne Fahrzeuge beschränkt werden (Fahrzeug-Rechtsschutz). Der Versicherungsschutz umfasst Schadensersatzrechtsschutz, Vertragsrechtsschutz, Steuerrechtsschutz, Verwaltungsrechtsschutz und Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsschutz.
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Freyberger
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Kap. 5 Rz. 6
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
6 Beim Fahrerrechtsschutz hat nur der Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Fahrzeugführer Rechtsschutz, und zwar Schadensersatzrechtsschutz, Steuerrechtsschutz, Verwaltungsrechtsschutz und Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsschutz.
7 Ehegatten, eingetragene Lebenspartner und im Versicherungsvertrag genannte Lebensgefährten sind mitversichert (2.1.2 ARB). Minderjährige Kinder sind unbeschränkt mitversichert, volljährige unverheiratete und nicht in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebende Kinder sind maximal bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, längstens aber bis zu dem Zeitpunkt mitversichert, in dem sie erstmalig eine auf Dauer angelegte berufliche Tätigkeit ausüben und hierfür ein leistungsbezogenes Entgelt erhalten (2.1.2 ARB).
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Wichtig: Die Mitversicherung gilt nur für den Bereich des Privatrechtsschutzes, nicht für den Verkehrsrechtsschutz (gefährliche Deckungslücke). Ehegatten und Kinder müssen also in jedem Fall eine eigene Verkehrsrechtsschutzversicherung abschließen, sei es als Halter eines eigenen Fahrzeugs, sei es als Fahrer eines fremden Fahrzeugs. Unberührt hiervon bleibt der Versicherungsschutz, wenn der Ehegatte oder das Kind ein nicht auf sie zugelassenes Fahrzeug fahren und für das Fahrzeug eine Rechtsschutzversicherung besteht.
9 Es kann vorkommen, dass zwei Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig sind, zB bei der Kombination von Fahrzeugrechtsschutz und Fahrerrechtsschutz. In einem solchen Fall der Doppelversicherung haften beide Versicherer als Gesamtschuldner (§ 77 VVG). Es genügt also, eine der beiden Rechtsschutzversicherungen in Anspruch zu nehmen, jedoch muss dieser mitgeteilt werden, dass es noch einen zweiten eintrittspflichtigen Rechtsschutzversicherer gibt.
III. Ausschlüsse vom Rechtsschutz (§ 3 ARB) 10 Ausgeschlossen ist das sog. Baurisiko, dh. die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit der genehmigungspflichtigen Bebauung oder Veränderung von Grundstücken einschließlich Streitigkeiten über die Finanzierung (3.2.2 ARB). Darunter soll auch eine Streitigkeit mit der das Objekt finanzierenden Bausparkasse fallen (BGH MDR 2005, 210 = NJW-RR 2005, 257), nicht jedoch der Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt, der einen Bauprozess schlecht geführt hat (BGH MDR 2008, 1158 = NJW-RR 2008, 1351), eine Streitigkeit über den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds (BGH NJW-RR 2003, 672), der Streit über die Mangelhaftigkeit einer Photovoltaikanlage (OLG Nürnberg NJW-RR 2013, 738 = VersR 2013, 493; OLG Köln VersR 2013, 493, anders allerdings OLG Hamm VersR 2012, 1513) oder der Streit über die Verletzung von Nebenpflichten durch den Kreditgeber hinsichtlich der Renditeerwartungen einer Immobilie (OLG Karlsruhe MDR 2002, 1371 = NJW-RR 2002, 964).
11 Die Abwehr von Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen ist grundsätzlich nicht rechtsschutzversicherbar, weil hierfür eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden kann. Nur wenn der Schadensersatzanspruch auf einer Vertragsverletzung beruht (zB arbeits- oder vertragsrechtliche Pflichtverletzung), kann (Arbeits- oder Vertrags-)Rechtsschutz bestehen.
12 Im Bereich des Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrechts besteht nur Beratungsrechtsschutz (2.2.11), für Streitigkeiten aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften und nichteingetragenen Lebenspartnerschaften besteht gar kein Rechtsschutz (3.2.18 ARB).
13 Bei Ordnungswidrigkeiten- und Verwaltungsverfahren wegen Verstößen gegen ein Park- oder Halteverbot ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen (3.2.16 ARB).
14 Kein Rechtsschutz besteht für Streitigkeiten aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag (3.2.11 ARB).
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Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 22 Kap. 5
Gemäß § 81 VVG entfällt der Versicherungsschutz beim Vorsatz des Versicherungsnehmers. Von diesem Grundsatz gehen auch die ARB aus. Es gibt allerdings bedeutsame Ausnahmen:
15
Wird dem Versicherungsnehmer ein verkehrsrechtliches Vergehen vorgeworfen, besteht Rechts- 16 schutz unabhängig vom Schuldvorwurf (2.2.9 ARB). Bei rechtskräftiger Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat entfällt der Versicherungsschutz rückwirkend und der Versicherungsnehmer muss die bis dahin geleisteten Aufwendungen des Versicherers ersetzen. Bei einer vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit bleibt der Versicherungsschutz hingegen bestehen. Da die Gefahr besteht, dass der Rechtsschutzversicherer nach rechtskräftiger Verurteilung des Mandanten wegen einer vorsätzlichen Straftat jede weitere Zahlung verweigert, sollte der Rechtsanwalt in einem Fall, in dem dies droht, rechtzeitig einen ausreichenden Vorschuss anfordern. Außerhalb des Verkehrsrechts besteht Strafrechtsschutz für Vergehen, die sowohl vorsätzlich als 17 auch fahrlässig begangen werden können, und nur so lange, wie dem Versicherungsnehmer ein lediglich fahrlässiges Verhalten vorgeworfen wird. Wird ihm zunächst eine vorsätzliche Begehung vorgeworfen, erfolgt aber später keine Verurteilung wegen Vorsatzes, muss der Versicherer rückwirkend eintreten (2.2.9 ARB). Für Ordnungswidrigkeiten gilt, dass auch beim Vorwurf einer Vorsatztat Rechtsschutz besteht, der Rechtsschutz aber rückwirkend entfällt, wenn der Versicherungsnehmer wegen Vorsatzes verurteilt wird. Das ist in den ARB nicht (mehr) ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber aus § 81 VVG. Verfahren vor den Verfassungsgerichten (3.2.13 ARB) sind ausgeschlossen.
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Streitigkeiten in ursächlichem Zusammenhang mit dem Erwerb, der Veräußerung, der Verwaltung und der Finanzierung von Kapitalanlagen (3.2.8 ARB). Früher verwendeten manche Versicherer eine sog. Effektenklausel, wonach kein Rechtsschutz besteht „für Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit der Anschaffung, der Inhaberschaft oder der Veräußerung von Effekten (zB Anleihen, Aktien, Investmentanteilen)“. Eine solche Klausel hat der BGH als intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) und deshalb unwirksam angesehen (BGH NJW 2013, 2739 = MDR 2013, 787).
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IV. Leistungen des Rechtsschutzversicherers Der Anspruch des Versicherungsnehmers aus der Rechtsschutzversicherung ist auf die Befreiung von 20 den bei der Wahrung der rechtlichen Interessen entstehenden Kosten gerichtet (BGH NJW 2014, 3030 = MDR 2013, 1085). Der Rechtsschutzversicherer erstattet die gesetzlichen Gebühren eines Rechtsanwalts (2.3.1.2 ARB). 21 Mehrkosten durch einen Anwaltswechsel trägt er nicht, auch nicht, wenn der Wechsel notwendig war. Zur Rechtslage in älteren Bedingungen s. Harbauer, ARB, 8. Aufl. 2010, § 5 ARB 2000 Rz. 21 ff. Eine Korrespondenzgebühr wird (allerdings nur für die erste Instanz) erstattet, wenn die Entfernung zwischen Wohnort des Versicherungsnehmers und Gerichtsort mehr als 100 km beträgt (ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit iSv. § 91 ZPO, vgl. BGH NJW 2007, 1465 = MDR 2007, 864). Zum Auslandsrechtsschutzfall s. 2.3.2 ARB.
K
Wichtig: Wenn der Versicherer in einer Angelegenheit, in der die Höhe des Honorars vom Ermessen des Rechtsanwalts abhängt, mit der Höhe des Honorars nicht einverstanden ist, kann er den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Rechtsschutz auch dadurch erfüllen, dass er dem Versicherungsnehmer Kostenschutz für einen etwaigen Gebührenprozess zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Prozessbevollmächtigten zusagt (BGH NJW 2016, 61 = MDR 2016, 26).
Freyberger
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Kap. 5 Rz. 23
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
23 Übernommen werden außerdem die Gerichtskosten, die Kosten der Beweisaufnahme, die Kosten der Zwangsvollstreckung (allerdings nur bis zum dritten Vollstreckungsversuch), die an den Gegner zu erstattenden Kosten, außerdem in bestimmten Fällen die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Beim Abschluss eines Vergleichs ist darauf zu achten, dass die Kosten exakt nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens in der Hauptsache verteilt werden, weil nur insoweit Rechtsschutz besteht (3.3.2 ARB). Das kann bei der außergerichtlichen Tätigkeit manchmal zu Schwierigkeiten führen, weil dort häufig vereinbart wird, dass jede Partei ihre eigenen Anwaltskosten trägt. In einem solchen Fall gilt, dass ein Kostenzugeständnis des Versicherungsnehmers nicht vorliegt, wenn ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner nicht bestand (BGH NJW 2013, 1007 = MDR 2013, 219). Zudem ist ein Kostenzugeständnis vom Versicherer darzulegen und zu beweisen (BGH NJW 2011, 2054 = MDR 2011, 851).
24 K
Praxistipp: Der Rechtsschutzversicherer ist verpflichtet, die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts zu tragen (2.3.1.2 ARB). Dazu zählt in Bußgeld- und Strafverfahren auch die Aktenversendungspauschale von 12,00 Euro (Harbauer, ARB, 8. Aufl. 2010, § 5 ARB 2000 Rz. 38 f.).
25 Der Versicherer ist berechtigt, bei der Abrechnung eine vereinbarte Selbstbeteiligung abzuziehen. Bei der Abrechnung darf allerdings das Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers (§ 86 VVG) nicht übersehen werden. Dieses führt dazu, dass ein Kostenerstattungsanspruch, sei er nun materiell oder prozessual, vorrangig auf die Selbstbeteiligung zu verrechnen ist (Einzelheiten s. Rz. 61; ausf. zum Quotenvorrecht Kap. 90 Rz. 337 ff.). Wird ein Rechtsstreit teils über versicherte, teils über unversicherte Ansprüche geführt, hat der Rechtsschutzversicherer die Quote der Prozesskosten zu erstatten, die dem Anteil am Gesamtstreitwert entspricht, für den er eintrittspflichtig ist (BGH MDR 2005, 986 = NJW 2005, 2228).
26 In allen Fällen ist die Eintrittspflicht der Rechtsschutzversicherung durch die Deckungssumme beschränkt.
27 Nicht übernommen werden alle Kosten, die nicht erforderlich sind. Das betrifft insbesondere den Fall, dass die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (3.4.1.1 ARB, gilt nicht für die Verteidigung in Straf- oder Bußgeldverfahren).
V. Tätigkeit des Anwalts 1. Einholung der Deckungszusage
28 Für den Rechtsanwalt ist die Einholung der Deckungszusage eine besondere Angelegenheit iS des § 15 Abs. 1 RVG, für die auch gesondert liquidiert werden kann. Es ist allerdings üblich, dass der Rechtsanwalt die Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung ohne besondere Berechnung führt. Soll eine gesonderte Gebühr in Rechnung gestellt werden, ist dies dem Mandanten vorher mitzuteilen, da die Berechnung unüblich ist. Fehlt es an einem entsprechenden Hinweis, kann die Regel des § 612 Abs. 1 BGB die Vergütung ausschließen. § 49b Abs. 1 BRAO steht dem nicht entgegen, weil es sich bei der Einholung der Deckungszusage auch um ein Nebengeschäft zum erteilten Hauptauftrag handeln kann. Die Führung der Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung durch den Anwalt selbst ist auch zweckmäßig, da insbesondere geschäftlich wenig bewanderte Mandanten der Rechtsschutzversicherung unvollständige Informationen geben, die Rückfragen des Rechtsschutzversicherers beim Rechtsanwalt zur Folge haben. Allerdings muss der Anwalt darauf achten, dass er über alle wichtigen Fragen auch den Mandanten rechtzeitig unterrichtet; andernfalls besteht ein Haftungsrisiko (vgl. OLG Stuttgart NJW 2008, 3292). Der zum Schadensersatz verpflichtete Gegner (zB der Verursacher eines Verkehrsunfalls) muss die Anwaltskosten für die Einholung der Deckungszusage auch nicht ersetzen (näher dazu Kap. 85 Rz. 104).
29 K 62
Praxistipp: Mehr und mehr setzen sich Versicherungsverträge durch, in denen eine Selbstbeteiligung vereinbart ist. Deren Höhe teilt der Versicherer in der Deckungszusage mit, sie ergibt Freyberger
M 5.2
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 34 Kap. 5
sich aber auch aus dem Versicherungsvertrag. Der Rechtsanwalt sollte die Selbstbeteiligung alsbald beim Mandanten anfordern, jedoch bei der Schlussabrechnung das Quotenvorrecht nicht übersehen (s. Rz. 25 und 61).
K
Wichtig: Die Deckungszusage ist ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis. Das bedeutet, dass dem Versicherer später Einwendungen verwehrt sind, die er bei Abgabe der Deckungszusage kennt und mit denen er rechnet (BGH NJW 2014, 3030 = MDR 2014, 1085).
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a) Außergerichtliche Tätigkeit
M 5.1 Deckungszusage für außergerichtliche Tätigkeit
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… -Rechtsschutzversicherungs AG Betr.: Ihr Versicherungsnehmer …, Versicherungsnummer … Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr Versicherungsnehmer hat mich in einer … Angelegenheit beauftragt, deren näheren Inhalt Sie am besten den in der Anlage in Kopie beigefügten Unterlagen entnehmen, nämlich … (es folgt die Aufzählung der Unterlagen, denen der Rechtsschutzfall entnommen werden kann; wichtig ist, dass aus den Unterlagen hervorgeht, was der Mandant will bzw. was von ihm gefordert wird und wann der Rechtsschutzfall eingetreten ist). Es geht zunächst um die außergerichtliche Vertretung, insbesondere …. Ich bitte um Rechtsschutzzusage. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3); Gegenstandswert ist die Höhe der von der Deckungszusage betroffenen voraussichtlichen Kosten. Die Berechnung dieser Kosten gegenüber dem Mandanten ist allerdings unüblich (s. Rz. 28).
K
Praxistipp: Ist nicht der Versicherungsnehmer, sondern eine mitversicherte Person (Ehefrau, Kinder etc.) betroffen, empfiehlt es sich zur Vermeidung von Rückfragen, gleich auch einen Hinweis darauf einzufügen, weshalb Versicherungsschutz für diese Person besteht (s. auch M 5.2).
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b) Verteidigung in einer Verkehrsunfallsache
M 5.2 Deckungszusage für Verteidigung
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… -Versicherungs AG Betr.: Ihr Versicherungsnehmer …, Versicherungsnummer … Sehr geehrte Damen und Herren, der Sohn … Ihres Versicherungsnehmers hat mich aus Anlass eines Verkehrsunfalls vom … mit seiner Verteidigung beauftragt. Kopie des Anhörungsbogens der Polizei füge ich in der Anlage bei. Ermittelt wird wegen … Ich bitte um Rechtsschutzzusage. Mein Mandant ist 22 Jahre alt, er ist Student, wohnt noch zu Hause und hat kein eigenes Einkommen. Es besteht deshalb Versicherungsschutz über den Vertrag Ihres Versicherungsnehmers. Eine eigene Rechtsschutzversicherung hat mein Mandant nicht abgeschlossen.
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Praxistipp: Der Anhörungsbogen muss in Kopie immer mitgeschickt werden, weil die Rechtsschutzversicherer großen Wert darauf legen, den konkreten Schuldvorwurf zu erfahren. Soll der
Freyberger
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Kap. 5 Rz. 35
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
M 5.3
Rechtsschutzversicherer aufgrund einer Fahrzeugversicherung in Anspruch genommen werden, müssen auch das Autokennzeichen und der Halter mitgeteilt werden.
35 K
Wichtig: In Strafsachen besteht eingeschränkter Rechtsschutz (s. Rz. 17).
c) Beratungsrechtsschutz
36 Beim Beratungsrechtsschutz ist die Einholung einer Deckungszusage nicht notwendig. Der Mandant kann beraten und anschließend die Beratung abgerechnet werden.
37 M 5.3 Abrechnung einer erbrechtlichen Beratung … -Versicherungs AG Betr.: Ihr Versicherungsnehmer …, Versicherungsnummer … Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr Versicherungsnehmer hat mich wegen einer erbrechtlichen Beratung aufgesucht. Am … ist die Mutter Ihres Versicherungsnehmers verstorben. Sie hat das in der Anlage in Kopie beigefügte Testament hinterlassen, durch welches die Schwester Ihres Versicherungsnehmers zur Alleinerbin eingesetzt wurde. Ihr Versicherungsnehmer hält das Testament für unwirksam, weil …. Ich habe ihm von der Weiterverfolgung der Angelegenheit abgeraten, weil nach Lage der Dinge keinerlei Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit des Testaments bestehen …. Die Angelegenheit ist mit dieser Beratung erledigt. Meine Kosten rechne ich wie folgt ab: …
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Praxistipp: Ein kurzer Bericht reicht aus. Hinzuzufügen ist immer, dass die Angelegenheit mit der Beratung erledigt ist, weil ansonsten die Rückfrage kommt, ob der Rechtsanwalt über die Beratung hinaus tätig geworden ist; in diesem Fall ersttatet der Versicherer nämlich gar keine Kosten (2.2.11 ARB).
d) Klage
39 Da die Rechtsschutzversicherer zunächst einmal nur die Rechtsschutzzusage für die außergerichtliche Tätigkeit geben, ist es notwendig, vor Klageerhebung eine gesonderte Rechtsschutzzusage für das Klageverfahren einzuholen.
40 M 5.4 Rechtsschutzzusage für Klage nach Verkehrsunfall … -Versicherungs AG Betr.: Schadennummer … Sehr geehrte Damen und Herren, die außergerichtliche Korrespondenz ist ergebnislos verlaufen. Der gegnerische Haftpflichtversicherer hat nur einen Teil der Ansprüche reguliert und jede weitere Zahlung abgelehnt. Kopie des Abrechnungsschreibens vom … füge ich in der Anlage bei. Die Weiterverfolgung der nicht regulierten Ansprüche halte ich für Erfolg versprechend. Ich übersende insoweit einen Klageentwurf mit der Bitte um Rechtsschutzzusage und Überweisung der einzuzahlenden Gerichtskosten von … Euro.
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Freyberger
M 5.6
K
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 46 Kap. 5
Wichtig: Das Ablehnungsschreiben und der Klageentwurf sind immer beizufügen. Außerdem hat die Rechtsschutzanfrage immer die zusätzliche Bemerkung zu enthalten, dass die Sache aussichtsreich ist (vgl. 3.4.1.1 ARB).
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e) Einlegung eines Rechtsmittels Für die Einlegung eines Rechtsmittels beschränkt sich die Rechtsschutzzusage zunächst auf die Prüfung der Erfolgsaussichten. Erst wenn der Rechtsanwalt zu dem Ergebnis kommt, dass die Durchführung des Rechtsmittels hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, kann die endgültige Rechtsschutzzusage eingeholt werden.
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M 5.5 Rechtsschutzzusage für Prüfung der Berufungsaussichten
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… -Versicherungs AG Betr.: Schadennummer … Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem in der Anlage in Fotokopie beigefügten Urteil hat das Landgericht der Klage Ihres Versicherungsnehmers leider nur teilweise stattgegeben. Abgewiesen wurde die Klage insbesondere hinsichtlich des Komplexes …. Damit ist Ihr Versicherungsnehmer nicht einverstanden; er möchte Berufung einlegen. Ich bitte deshalb um Rechtsschutzzusage zunächst zur Prüfung der Berufungsaussichten. Das Urteil wurde am … zugestellt, so dass die Berufungsfrist am … ablaufen wird. Spätestens bis zu diesem Zeitpunkt müsste die Rechtsschutzzusage deshalb bei mir eingegangen sein.
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Wichtig: Wird aufgrund der Rechtsschutzzusage Berufung eingelegt, muss der Gegenanwalt gebeten werden, sich noch nicht zu bestellen.
M 5.6 Rechtsschutzzusage für Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde oder
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Revision … -Versicherungs AG Betr.: Schadennummer … Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund Ihrer Rechtsschutzzusage habe ich die Aussichten der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision/der Revision geprüft. Ich halte das Rechtsmittel aus den Gründen für Erfolg versprechend, die Sie dem in der Anlage beigefügten Entwurf einer Beschwerdebegründung entnehmen können. Bitte erteilen Sie die Rechtsschutzzusage für die Durchführung des Verfahrens.
f) Abwehr eines Rechtsmittels Für die Abwehr eines Rechtsmittels ist stets Rechtsschutz zu gewähren. Eine gesonderte Begründung ist nicht notwendig, insbesondere ergibt sich die Erfolgsaussicht regelmäßig daraus, dass der Versicherungsnehmer in der Vorinstanz obsiegt hat.
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Kap. 5 Rz. 47
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
M 5.7
47 M 5.7 Rechtsschutzzusage für Abwehr einer gegnerischen Berufung … -Versicherungs AG Betr.: Schadennummer … Sehr geehrte Damen und Herren, in dieser Sache hatte Ihr Versicherungsnehmer bekanntlich beim Amtsgericht obsiegt. Nunmehr hat der Gegner Berufung eingelegt. In der Anlage übersende ich die Fotokopie der Berufungsbegründung mit der Bitte um Bestätigung, dass Rechtsschutz für das Berufungsverfahren besteht.
2. Deckungsablehnung
48 Will der Versicherer den Rechtsschutz versagen, weil er die Rechtsverfolgung nicht für aussichtsreich hält (3.4.1.1 ARB), so muss er dies dem Versicherungsnehmer unverzüglich schriftlich mitteilen. Er kann sich das Recht, die Deckungszusage mangels Erfolgsaussicht zu versagen, auch dann nicht wirksam vorbehalten, wenn er die Leistung aus anderen Gründen ablehnt (BGH NJW 2003, 1936). Verneint der Rechtsschutzversicherer seine Eintrittspflicht zu Unrecht, kann er wegen Vertragsverletzung grundsätzlich auch für den Schaden haften, den der Versicherungsnehmer dadurch erleidet, dass er infolge einer vertragswidrigen Verweigerung der Deckungszusage einen beabsichtigten Rechtsstreit nicht führen kann (BGH MDR 2006, 1226 = NJW 2006, 2548).
49 Lehnt der Versicherer es ab, eine Rechtsschutzzusage zu erteilen, kommen für den Versicherungsnehmer je nach Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen entweder das Schiedsgutachtenverfahren oder der Stichentscheid in Betracht. Selbstverständlich kann der Versicherungsnehmer auch jederzeit eine Deckungsklage erheben. a) Schiedsgutachtenverfahren/Stichentscheid
50 Beide Verfahren (jeweils in 3.4 ARB geregelt, aber immer alternativ, man hat also nicht die Wahl zwischen beiden Verfahren), ähneln einander. Sie setzen voraus, dass der Versicherer den Rechtsschutz mit der Begründung ablehnt, die Kosten der Rechtsverfolgung stünden in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg (3.4.1.2 ARB) oder die Rechtsverfolgung sei nicht aussichtsreich (dies gilt allerdings nicht beim Rechtsschutz wegen Straftat oder Ordnungswidrigkeit). Sonstige Einwände, insbesondere solche aus dem allgemeinen Versicherungsvertragsrecht wie Nichtzahlung der Prämie (§ 38 VVG), können nicht Gegenstand des Verfahrens sein. Der Versicherer kann dem Versicherungsnehmer eine Frist von einem Monat ab Leistungsablehnung setzen. Alle für die Durchführung des Verfahrens notwendigen Unterlagen sind beizufügen. Beim Schiedsgutachtenverfahren bittet der Versicherer den Präsidenten der zuständigen Rechtsanwaltskammer darum, einen Schiedsgutachter zu bestimmen. Schiedsgutachter ist ein Rechtsanwalt, der seit mindestens 5 Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sein muss. Beim Stichentscheid wird eine Stellungnahme des Anwalts eingeholt, den der Versicherungsnehmer bereits beauftragt hat oder den er noch beauftragen will.
51 In beiden Fällen prüft der Rechtsanwalt summarisch die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung, wobei die vom BGH zur Prüfung von Prozesskostenhilfeanträgen entwickelten Grundsätze gelten (Harbauer, ARB, 8. Aufl. 2010, vor § 18 ARB 2000 Rz. 31 mit zahlreichen Nachweisen aus der BGH-Rechtsprechung). An die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BGH MDR 1994, 479 = NJW 1994, 1161). Es genügt, dass der Versicherungsnehmer einen Rechtsstandpunkt einnimmt, der aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und bei dem in tatsächlicher Hinsicht zumindest die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BGH MDR 1988, 209 = NJW 1988, 266 für einen Leistungsanspruch aus einem Rechtsschutzversiche66
Freyberger
M 5.8
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 55 Kap. 5
rungsvertrag). Bei der dahingehenden Prüfung ist, wenn auch nur in eng begrenztem Rahmen, eine vorweggenommene Beweiswürdigung zulässig (BGH MDR 1994, 479 = NJW 1994, 1161). Nach den vom HUK-Verband, der BRAK und dem DAV entwickelten „Grundsätzen für das Schiedsverfahren nach § 18 ARB 94“ (BRAK 1995, 23), erhielt der Schiedsgutachter eine 15/10-Geschäftsgebühr gem. § 118 BRAGO, mindestens aber 102,26 Euro zzgl. Auslagen und Mehrwertsteuer. Gegenstandswert war der voraussichtliche Prozessaufwand, pauschaliert berechnet auf der Grundlage von sechs Rechtsanwaltsgebühren und drei Gerichtsgebühren. Unter der Geltung des RVG sind noch keine neuen Grundsätze vereinbart worden, so dass im Augenblick eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht. Im Allgemeinen zahlt der Versicherer eine 1,5 Geschäftsgebühr. Der Versicherer trägt seine Kosten immer selbst. Die übrigen Kosten, also die Kosten des Schiedsgutachters und die des Rechtsanwalts des Versicherungsnehmers trägt der Versicherungsnehmer, wenn der Schiedsgutachter die Leistungsablehnung für berechtigt hält, ansonsten der Versicherer, und zwar auch dann, wenn die Auffassung des Versicherers teilweise bestätigt wird.
52
Stellt der Gutachter fest, dass die Leistungsverweigerung unberechtigt war, ist das Ergebnis für den Versicherer bindend. Stellt er fest, dass die Leistungsverweigerung berechtigt war, ist das für den Versicherungsnehmer nicht bindend. Vielmehr kann er den Versicherer nach wie vor auf Deckung verklagen.
53
M 5.8 Belehrung Mandant bei Ablehnung des Versicherungsschutzes
54
Sehr geehrte/r …, in der Anlage übersende ich eine Fotokopie des Schreibens der … Rechtsschutzversicherung vom …, mit welchem die Übernahme von Rechtsschutz nunmehr endgültig verweigert wird, weil man der Auffassung ist, die Rechtsverfolgung sei nicht aussichtsreich. Außerdem setzt der Versicherer eine Frist von einem Monat, innerhalb der das sog. Schiedsgutachtenverfahren beantragt werden muss. Die Begründung ist nicht haltbar …. Deshalb meine ich, dass Sie den Anspruch auf Rechtsschutz weiterverfolgen sollten. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an, das Schiedsgutachtenverfahren und die Deckungsklage. Die Deckungsklage ist ein Prozess mit dem Ziel, dass der Rechtsschutzversicherer zur Gewährung von Rechtsschutz verurteilt wird. Beim Schiedsgutachtenverfahren wird die Rechtsschutzfrage von einem unabhängigen Rechtsanwalt geprüft. Hält er die Sache für aussichtsreich, muss der Rechtsschutzversicherer Rechtsschutz bewilligen. Teilt er die Auffassung des Rechtsschutzversicherers, können Sie immer noch eine Deckungsklage erheben. Es spricht also alles für das Schiedsgutachtenverfahren, welches ich deshalb bevorzugen würde. Es ist allerdings mit einem Kostenrisiko verbunden. Entscheidet nämlich der Schiedsgutachter gegen Sie, müssen Sie die Kosten des Schiedsgutachters von ca. … Euro tragen. Außerdem müsste ich Sie mit meinen Kosten von ca. … Euro belasten. Bisher habe ich die Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversicherer entgegenkommenderweise ohne zusätzliche Berechnung geführt. Das ist im Schiedsgutachtenverfahren aber nicht mehr möglich. Rechtsschutz für das Verfahren gibt es nicht. Auch einen Deckungsprozess müssten Sie auf eigenes Kostenrisiko führen. Ich bitte um Nachricht bis zum … Vorsorglich weise ich darauf hin, dass das Schiedsgutachtenverfahren innerhalb eines Monats, dh. bis zum … eingeleitet werden müsste. Verstreicht die Frist, geht die Möglichkeit des Schiedsgutachtenverfahrens verloren. Wir könnten dann nur noch eine Deckungsklage erheben.
K
Wichtig: Das Muster geht davon aus, dass die Vorkorrespondenz mit dem Rechtsschutzversi- 55 cherer ohne Berechnung für den Mandanten geführt wurde. Die entstehenden Kosten sind nach den voraussichtlichen Kosten der beabsichtigten Klage zu ermitteln (fünf RA-Gebühren, drei Gerichtsgebühren).
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Kap. 5 Rz. 56
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
M 5.9
56 M 5.9 Einleitung des Schiedsgutachtenverfahrens …-Versicherungs AG Betr.: Schadennummer … Sehr geehrte Damen und Herren, Bezug nehmend auf Ihre Deckungsablehnung vom … bitte ich hiermit namens meines Mandanten um die Durchführung des Schiedsgutachtenverfahrens gem. 3.4 ARB. Ich fordere Sie auf, innerhalb eines Monats ab Zugang dieses Schreibens den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer … um die Benennung eines Schiedsgutachters zu bitten. Aus den bereits übersandten Unterlagen, insbesondere aus meinem Klageentwurf, ergibt sich, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat …. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3); Gegenstandswert ist die Höhe der von der Deckungszusage betroffenen voraussichtlichen Kosten. Die Berechnung dieser Kosten gegenüber dem Mandanten ist allerdings unüblich (s. Rz. 28).
b) Deckungsklage
57 Eine Deckungsklage ist als Feststellungsklage zu erheben. Hiervon ausgenommen sind nur die Fälle, in denen der Versicherungsnehmer alle Kosten bereits aufgewendet hat; dann kann er auf Zahlung klagen.
58 M 5.10 Deckungsklage nach vorangegangenem Schiedsgutachtenverfahren An das … gericht … … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Rechtsschutz für das beabsichtigte auf dem Vorfall vom … beruhende Klageverfahren gegen … zu bewilligen, wie sich dies aus dem in der Anlage beigefügten Klageentwurf ergibt. Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsverhältnis nach Maßgabe der ARB 2012. Versichert ist u.a. …. Wie aus dem Klageentwurf ersichtlich, beabsichtigt der Kläger, Herrn … aufgrund eines Vorfalls vom … in Anspruch zu nehmen. Da die Klage dem Bereich … zuzuordnen ist, ist die Beklagte prinzipiell zur Rechtsschutzgewährung verpflichtet. Die Beklagte hat die Rechtsschutzgewährung gleichwohl mit der Begründung abgelehnt, sie halte die Rechtsverfolgung für nicht aussichtsreich (Beweis: Vorlage des Schreibens der Beklagten vom … ). Im Schiedsgutachtenverfahren hat Rechtsanwalt … den Standpunkt der Beklagten bestätigt (Beweis: Vorlage des Schiedsgutachtens). Dem ist zu widersprechen. Die Beklagte und der Schiedsgutachter meinen, der Kläger werde trotz der von ihm angebotenen Beweismittel nicht in der Lage sein, die anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen. Das ist eine vorweggenommene Beweiswürdigung, die im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht gem. 3.4.1.1 ARB nicht zulässig ist (BGH MDR 1988, 209 = NJW 1988, 266). Die Feststellungsklage ist notwendig und zulässig, da der Versicherungsnehmer gegen den Versicherer zunächst nur einen Freistellungsanspruch hat und deshalb – bevor er selbst die Kosten des Rechtsstreits aufgewendet hat – nur auf Feststellung des Versicherungsschutzes klagen kann.
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M 5.11
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 59 Kap. 5
Den Streitwert des Rechtsstreits beziffere ich vorläufig mit … Euro. Der Betrag errechnet sich aus den voraussichtlichen Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz (drei Gerichtsgebühren, je 2,5 Gebühren für beide Anwälte zzgl. … Euro Kosten der Beweisaufnahme, hiervon 80 % für die Feststellungsklage). Ausgehend hiervon zahle ich gleichzeitig … Euro Gerichtskosten ein. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; die im Schiedsgutachterverfahren entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG).
M 5.11 Deckungsklage ohne Schiedsgutachterverfahren
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An das … gericht … … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Rechtsschutz für das beabsichtigte Klageverfahren gegen das … Krankenhaus zu bewilligen, wie sich dies aus dem in der Anlage beigefügten Klageentwurf ergibt. Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsverhältnis nach Maßgabe der ARB 2012. Versichert ist u.a. …. Wie aus dem Klageentwurf ersichtlich, beabsichtigt der Kläger, das … Krankenhaus aufgrund einer fehlerhaften Behandlung im Zeitraum … in Anspruch zu nehmen. Da die Klage dem Bereich Vertragsrechtsschutz … zuzuordnen ist, ist die Beklagte prinzipiell zur Rechtsschutzgewährung verpflichtet. Die Beklagte hat die Rechtsschutzgewährung gleichwohl mit der Begründung abgelehnt, die Prozessführung sei nicht aussichtsreich. Das trifft aber nicht zu. Die Frage, ob die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, erfordert eine summarische Prüfung der beabsichtigten Rechtsverfolgung (hier der beabsichtigten Klage), wobei die vom BGH zur Prüfung von Prozesskostenhilfeanträgen entwickelten Grundsätze gelten. Bei der Prozesskostenhilfe dürfen an die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BGH MDR 1994, 479 = NJW 1994, 1161). Es genügt, dass der Versicherungsnehmer einen Rechtsstandpunkt einnimmt, der aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und bei dem in tatsächlicher Hinsicht zumindest die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BGH MDR 1988, 209 = NJW 1988, 266 in einem Fall, in welchem es um den Leistungsanspruch aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag ging). Eine vorweggenommene Beweiswürdigung ist nur in eng begrenztem Rahmen zulässig (BGH MDR 1994, 479 = NJW 1994, 1161). Deshalb reicht es für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit auch für die Pflicht der Beklagten, Rechtsschutz zu gewähren, bereits aus, wenn über die Werthaltigkeit des Klagevorbringens erst nach Erholung eines Sachverständigengutachtens entschieden werden kann (OLG München v. 10.2.2012 – 1 W 200/12, juris). Speziell in Arzthaftungssachen sind dabei die eingeschränkten Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Patienten zu beachten. Da von der Patientenseite keine nähere Kenntnis der maßgeblichen medizinischen Zusammenhänge erwartet werden dürfen, genügt es, wenn der Patient den Ablauf der Behandlung in groben Zügen darlegt und angibt, dass sie misslungen ist, worin das Misslingen besteht, und die Verdachtsgründe mitteilt, die eine vorwerfbare Fehlbehandlung wenigstens plausibel erscheinen lassen. Die Klärung der Problematik ist dann einem Sachverständigengutachten zu überlassen (st. Rspr., vgl. nur BGH MDR 2015, 587 = NJW 2015, 1601). Da also ein Sachverständigengutachten einzuholen sein wird, hat die Rechtsverfolgung Erfolgsaussicht. Die Feststellungsklage ist notwendig und zulässig, da der Versicherungsnehmer gegen den Versicherer zunächst nur einen Freistellungsanspruch hat und deshalb – bevor er selbst die Kosten des Rechtsstreits aufgewendet hat – nur auf Feststellung des Versicherungsschutzes klagen kann (OLG Köln ZfS 1998, 68).
Freyberger
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Kap. 5 Rz. 60
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
M 5.12
Den Streitwert des Rechtsstreits beziffere ich vorläufig mit … Euro. Der Betrag errechnet sich aus den voraussichtlichen Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz (drei Gerichtsgebühren, je 2,5 Gebühren für beide Anwälte zzgl. … Euro Kosten der Beweisaufnahme, hiervon 80 % für die Feststellungsklage). Ausgehend hiervon zahle ich gleichzeitig … Euro Gerichtskosten ein. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
60 M 5.12 Stichentscheid … -Versicherungs AG Betrifft: Schadennr.: … Sehr geehrte Damen und Herren, gemäß § 18 ARB erstatte ich hiermit nachfolgenden Stichentscheid: Ihr Versicherungsnehmer hat mir folgenden Sachverhalt mitgeteilt: … (wird ausgeführt). Aufgrund dieses Sachverhalts komme ich zu dem Ergebnis, dass die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen Ihres Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (wird ausgeführt; zu den Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht s. M 5.11).
3. Abrechnung unter Beachtung des Quotenvorrechts
61 Kostenerstattungsansprüche gehen gem. § 86 VVG auf den Rechtsschutzversicherer über. Dieser Übergang darf jedoch nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers gehen (§ 86 Abs. 1 Satz 2 VVG). Hieraus folgert der BGH (BGHZ 47, 196; 13, 28), dass der Versicherungsnehmer ein Quotenvorrecht (s. dazu Kap. 90 Rz. 337 ff.) genießt, welches ihn berechtigt, vom Schuldner vorrangige Befriedigung zu erlangen. Dieses Quotenvorrecht gilt auch in der Rechtsschutzversicherung (Harbauer, ARB, 8. Aufl. 2010, § 17 Rz. 165). Ausführlich hierzu s. Kap. 90 Rz. 337 ff.
VI. Prozessfinanzierung 1. Verfahren
62 Nicht rechtsschutzversicherte Mandanten sehen sich wegen des Prozesskostenrisikos aus finanziellen Gründen oft außerstande, eine Forderung durchzusetzen. Wegen vieler Forderungen zB aus dem Erb- und dem Familienrecht, dem Handelsrecht und dem Baurecht gibt es auch keinen Rechtsschutz, weil die Rechtsschutzversicherungen diese Gebiete ganz oder teilweise vom Rechtsschutz ausgenommen haben. Diese Lücke haben einige Gesellschaften für sich entdeckt, die als Prozessfinanzierer tätig sind. Das Ziel der Prozessfinanzierung besteht darin, die Forderung durchzusetzen und nach Möglichkeit zu realisieren; das Kostenrisiko trägt der Prozessfinanzierer.
63 Das Verfahren läuft folgendermaßen ab: Wenn der Kläger – beraten durch seinen Rechtsanwalt – glaubt, einen geeigneten Fall zu haben, wendet er sich (am besten über seinen Rechtsanwalt) an einen Prozessfinanzierer. Es gibt inzwischen mehrere Unternehmen. Vorreiter war die Foris AG (www. foris-prozessfinanzierung.de). Auch einige Rechtsschutzversicherer haben das Feld für sich entdeckt wie der DAS unter der Marke Legial (www.legial.de) oder die Roland Rechtsschutzversicherung (www.roland-prozessfinanz.de). Bedingung aller Gesellschaften ist, dass der Streitgegenstand eine bestimmte Größenordnung (meist 100.000 Euro) übersteigt.
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M 5.13
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
Rz. 67 Kap. 5
Gegenüber dem Prozessfinanzierer ist der Sachverhalt, sofern nicht im Rahmen einer ersten Kontakt- 64 aufnahme durch den Prozessfinanzierer Informationen über den zu finanzierenden Rechtsstreit per Formular eingeholt werden, umfassend darzulegen (am besten in Form eines Klageentwurfs). Zu erwartende Einwendungen des Prozessgegners sind mitzuteilen und zu belegen (zB durch Vorlage von Korrespondenz). Auch ein Hinweis auf die Solvenz des Beklagten darf nicht fehlen. Ist der Rechtsstreit bereits anhängig, sind sämtliche Schriftsätze und auch etwa schon vorliegende Urteile beizufügen. Nun prüft der Prozessfinanzierer, ob er generell an der Übernahme des Falls interessiert ist. Bejahendenfalls übersendet er einen Prozessfinanzierungsvertrag, den der Kläger unterzeichnen muss. Es handelt sich hierbei um ein Angebot des Klägers an den Prozessfinanzierer, an das der Kläger eine bestimmte Zeit gebunden ist. Nun beginnt der Prozessfinanzierer mit der eingehenden Prüfung der Erfolgsaussichten. Bejaht er sie, nimmt er das Angebot des Klägers an. Dies geschieht allerdings nur in einer geringen Anzahl von Verfahren. Die Annahmequote beläuft sich auf ca. 10 %. Viele Fälle scheitern auch an der fehlenden Solvenz des Prozessgegners.
M 5.13 Anfrage bei Prozessfinanzierer
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An die XY-Prozessfinanzierung AG Sehr geehrte Damen und Herren, ich vertrete Herrn Z in einer erbrechtlichen Angelegenheit, in der nunmehr Klage erhoben werden muss. In der Anlage übersende ich einen Klageentwurf sowie die bisherige Korrespondenz, der Sie entnehmen können, dass es um die Durchsetzung eines Pflichtteilsanspruchs in erheblicher Größenordnung geht. Ich halte die Sache aus den im Klageentwurf genannten Gründen für aussichtsreich. Die von der Gegenseite erhobenen Einwendungen sind unerheblich, wie sich aus meinen diversen Briefen an den Gegenanwalt ergibt. Die Solvenz des Prozessgegners ist nach Kenntnis meines Mandanten sehr gut, denn er hat den Erblasser beerbt. Da mein Mandat nicht in der Lage ist, die erforderlichen Prozesskosten vorzuschießen, bitte ich um Mitteilung, ob Sie zur Prozessfinanzierung bereit sind. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3); Gegenstandswert nach billigem Ermessen (§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG); in Betracht kommt ein Anteil von 10–30 % an der für den Mandanten zu erwartenden Quote.
Wenn der Rechtsstreit ganz oder teilweise gewonnen wird und die Forderung ganz oder teilweise 66 durchgesetzt werden kann, werden vom eingegangenen Geld zunächst die vom Prozessfinanzierer verauslagten Kosten beglichen. Den Rest teilen sich der Prozessfinanzierer und der Kläger. Die Quoten sind unterschiedlich. Bei manchen Gesellschaften (zB Roland, DAS) erhalten bei einem zu verteilenden Restbetrag von bis zu 500.000 Euro (bei manchen Gesellschaften bis zu 1 Mio. Euro) der Kläger 70 % und der Prozessfinanzierer 30 %, von dem, was diesen Betrag übersteigt, erhalten der Kläger 80 % und der Prozessfinanzierer 20 %. Andere Prozessfinanzierer (zB Foris) machen die Quote vom Prozessrisiko oder der Prozessdauer abhängig. Dies alles muss individuell je nach Prozessfinanzierer geprüft werden. Für den Rechtsanwalt des Klägers stellt die Korrespondenz mit dem Prozessfinanzierer eine geson- 67 derte Angelegenheit dar mit der Folge, dass hierfür auch gesondert liquidiert werden kann. Der Mandant muss darauf aber vorher hingewiesen werden. Spätestens wenn die Zusage des Prozessfinanzierers über die Finanzierung vorliegt, sollte der Rechtsanwalt mit dem Mandanten schriftlich vereinbaren, dass er berechtigt ist, für die Korrespondenz mit dem Prozessfinanzierer eine Korrespondenzgebühr (Nr. 3400 VV) zu berechnen. Die Prozessfinanzierer sagen nämlich alle zu, einmalig für alle Instanzen eine solche Gebühr zu ersetzen (damit soll ein Anreiz für den Rechtsanwalt ge-
Freyberger
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Kap. 5 Rz. 68
Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierung
M 5.14
schaffen werden, seinen Mandanten geeignete Fälle zur Übernahme durch den Prozessfinanzierer vorzuschlagen).
68 Herr des Verfahrens bleibt der Kläger. Er beauftragt – auch nach Übernahme der Finanzierung durch den Prozessfinanzierer – einen Prozessbevollmächtigten seiner Wahl. Er ist jedoch verpflichtet, den Prozessfinanzierer stets vom Fortgang des Verfahrens zu unterrichten (das übernimmt der Rechtsanwalt des Klägers, der dafür die besagte Korrespondenzgebühr erhält). Der Prozessfinanzierer führt auch keine Rechtsberatung durch (er lässt die Erfolgsaussicht nur intern für sich selbst prüfen). 2. Erwägungen des Rechtsanwalts
69 Wenn der Mandant nicht rechtsschutzversichert ist und auch keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat, wird der Rechtsanwalt zu erwägen haben, ob er den Mandanten nicht auf die Möglichkeit hinzuweisen hat, bei einem Prozessfinanzierer anzufragen. Man könnte dies sogar als eine Pflicht des Rechtsanwalts ansehen; denn der Rechtsanwalt ist ja auch verpflichtet, über die Prozesskostenhilfe aufzuklären. Rechtsprechung dazu liegt jedoch noch nicht vor.
70 Stets muss der Anwalt mit seinem Mandanten abwägen, ob die Prozessfinanzierung überhaupt ein geeigneter Weg ist. Dabei ist zu bedenken, dass die Prozessfinanzierer grundsätzlich nur aussichtsreiche Fälle gegen solvente Gegner übernehmen. In diesen Fällen wird der Prozess allerdings wohl auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem für den Mandanten günstigen Ende gebracht werden können, ohne dass der Prozessfinanzierer beteiligt wird. Immer dann, wenn wenigstens die Prozesskosten zu realisieren sind, macht der Mandant mit der Prozesskostenfinanzierung folglich ein schlechtes Geschäft, weil er sich das Geld, das nach Abzug der Kosten verbleibt, mit dem Prozessfinanzierer teilen muss. Für die Prozessfinanzierung sind folglich nur aussichtsreiche Fälle gegen solvente Gegner zu erwägen, bei denen der Kläger die Prozesskosten trotz fehlender Prozesskostenhilfebedürftigkeit nicht vorfinanzieren kann oder will.
71 Unerfreulich ist, dass die Prozessfinanzierer stets einen bestimmten Geldbetrag für jeden übernommenen Fall „reservieren“ und nach dessen Verbrauch kein Interesse mehr an der Weiterführung des Prozesses haben. Der Anwalt des Klägers muss sich hüten, in diesen Fällen einer, auch „zwischen den Zeilen“ ausgesprochenen Bitte der Prozessfinanzierers nachzukommen, ein negatives Votum für den Prozessausgang zu erstellen, wenn dies nicht gerechtfertigt ist. Nach einem entsprechenden Votum ist der Prozessfinanzierer berechtigt, die Prozessfinanzierung einzustellen. Dadurch kann der Rechtsanwalt in eine – möglicherweise auch strafbare (§ 356 StGB) – Interessenkollision kommen.
72 M 5.14 Beratung des Mandanten über Prozessfinanzierung Sehr geehrter Herr … in der Erbsache hatten wir über die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einem Prozessfinanzierer gesprochen. Hierzu weise ich auf Folgendes hin: Sie haben die Möglichkeit, den Fall einem Prozessfinanzierer zu unterbreiten mit dem Ziel, die Prozesskosten von diesem zahlen zu lassen. Wenn der Rechtsstreit ganz oder teilweise gewonnen wird und die Forderung ganz oder teilweise durchgesetzt werden kann, werden vom eingegangenen Geld zunächst die vom Prozessfinanzierer verauslagten Kosten beglichen. Den Rest müssen Sie sich mit dem Prozessfinanzierer teilen, wobei Sie den Anteil erhalten, der den Bedingungen des jeweiligen Prozessfinanzierers entspricht. Sie müssen den Prozessfinanzierer zunächst von dem Fall unterrichten und ihm aussagekräftige Unterlagen übersenden. Wegen der Fülle der Informationen und der möglichen Nachfragen empfiehlt es sich, dass dies durch mich erfolgt. Der Ordnung halber weise ich darauf hin, dass ich dies gesondert berechnen muss, weil es in den Gebühren für die Auseinandersetzung mit der Gegenseite nicht enthalten ist. Der Prozessfinanzierer übernimmt die Kosten dieser Korrespondenz nur, wenn ein Prozessfinanzierungsvertrag zustande kommt.
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Freyberger
Rz. 1 Kap. 6
Beratungshilfe
Erfahrungsgemäß übernimmt der Prozessfinanzierer den Fall nur, wenn der Fall aussichtsreich und der Gegner solvent ist. Sie sollten sich deshalb überlegen, ob eine Anfrage überhaupt lohnt. Denn wenn der Fall aussichtsreich und der Gegner solvent ist, ist es zweifellos sinnvoller, den Prozess auf eigene Kosten zu führen.
VII. DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat die „DAV Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt“ errichtet und hierzu auch ein Hinweisblatt „Anwaltlicher Rat für Opfer politischer Gewalt“ mit folgendem Inhalt herausgegeben: „Zweck der Stiftung ist es, Opfern rechtsextremistischer oder politisch motivierter Gewalt zügig die Wahrung ihrer Rechte durch anwaltlichen Beistand zu ermöglichen. Wer Opfer rechtsextremistischer oder politisch motivierter Gewalt geworden ist, wählt einen Anwalt aus und beauftragt ihn mit der Wahrung seiner Rechte.“ Der beauftrage Anwalt wendet sich an die „DAV Stiftung gegen Rechtsextremismus und Gewalt“ in der Geschäftsstelle des Deutschen Anwaltvereins (Deutscher Anwaltverein, Littenstraße 11, 10179 Berlin, Fon: 030/72 61 52-0, Fax: -190, [email protected]) und erhält einen Kostenvorschuss von 300 Euro zzgl. USt, wenn dargelegt wird, dass er ein Opfer rechtsextremistischer oder politisch motivierter Gewalt vertritt.
73
Nach Abwicklung und Durchführung des anwaltlichen Auftrags reicht der Anwalt seine erstellte Kostenrechnung der Stiftung ein. Von der Kostenrechnung zieht er ab:
74
– den erhaltenen Kostenvorschuss – die für Rechtsverfolgung erreichbaren Beträge aus der Staatskasse – die für Rechtsverfolgung erreichbaren Beträge aus Rechtsschutzversicherungen – die nach den Regeln des PKH-Verfahrens für Rechtsverfolgung zumutbaren Eigenbeträge des Opfers aus Einkommen und Vermögen. Die Stiftung gleicht die auf diese Weise erstellte Kostenrechnung aus, wenn der Anwalt nachweist, dass er in der Sache eines Opfers von Rechtsextremismus oder politisch motivierter Gewalt tätig geworden ist. Der Rechtsweg gegen Entscheidungen der Stiftung ist ausgeschlossen.
75
Kapitel 6 Beratungshilfe I. 1. 2. 3. II. 1. 2.
Grundsätze Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . Voraussetzungen der Beratungshilfe Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . Objektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . .
1 7 8 17 20
III. Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Formen der Gewährung von Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergütung für Beratungshilfe . . . . . . . . . . M 6.1 Erinnerung gegen Absetzungen bei der Vergütung im Rahmen der Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 25 30 44
I. Grundsätze 1. Allgemeines Die letzte maßgebliche Änderung der Beratungshilfe (BerH, letzte Rechtsprechungsübersicht: Nickel MDR 2018, 369) erfolgte durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und BeratungshilFreyberger/Fischer
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Rz. 1 Kap. 6
Beratungshilfe
Erfahrungsgemäß übernimmt der Prozessfinanzierer den Fall nur, wenn der Fall aussichtsreich und der Gegner solvent ist. Sie sollten sich deshalb überlegen, ob eine Anfrage überhaupt lohnt. Denn wenn der Fall aussichtsreich und der Gegner solvent ist, ist es zweifellos sinnvoller, den Prozess auf eigene Kosten zu führen.
VII. DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat die „DAV Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt“ errichtet und hierzu auch ein Hinweisblatt „Anwaltlicher Rat für Opfer politischer Gewalt“ mit folgendem Inhalt herausgegeben: „Zweck der Stiftung ist es, Opfern rechtsextremistischer oder politisch motivierter Gewalt zügig die Wahrung ihrer Rechte durch anwaltlichen Beistand zu ermöglichen. Wer Opfer rechtsextremistischer oder politisch motivierter Gewalt geworden ist, wählt einen Anwalt aus und beauftragt ihn mit der Wahrung seiner Rechte.“ Der beauftrage Anwalt wendet sich an die „DAV Stiftung gegen Rechtsextremismus und Gewalt“ in der Geschäftsstelle des Deutschen Anwaltvereins (Deutscher Anwaltverein, Littenstraße 11, 10179 Berlin, Fon: 030/72 61 52-0, Fax: -190, [email protected]) und erhält einen Kostenvorschuss von 300 Euro zzgl. USt, wenn dargelegt wird, dass er ein Opfer rechtsextremistischer oder politisch motivierter Gewalt vertritt.
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Nach Abwicklung und Durchführung des anwaltlichen Auftrags reicht der Anwalt seine erstellte Kostenrechnung der Stiftung ein. Von der Kostenrechnung zieht er ab:
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– den erhaltenen Kostenvorschuss – die für Rechtsverfolgung erreichbaren Beträge aus der Staatskasse – die für Rechtsverfolgung erreichbaren Beträge aus Rechtsschutzversicherungen – die nach den Regeln des PKH-Verfahrens für Rechtsverfolgung zumutbaren Eigenbeträge des Opfers aus Einkommen und Vermögen. Die Stiftung gleicht die auf diese Weise erstellte Kostenrechnung aus, wenn der Anwalt nachweist, dass er in der Sache eines Opfers von Rechtsextremismus oder politisch motivierter Gewalt tätig geworden ist. Der Rechtsweg gegen Entscheidungen der Stiftung ist ausgeschlossen.
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Kapitel 6 Beratungshilfe I. 1. 2. 3. II. 1. 2.
Grundsätze Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . Voraussetzungen der Beratungshilfe Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . Objektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . .
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III. Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Formen der Gewährung von Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergütung für Beratungshilfe . . . . . . . . . . M 6.1 Erinnerung gegen Absetzungen bei der Vergütung im Rahmen der Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Grundsätze 1. Allgemeines Die letzte maßgebliche Änderung der Beratungshilfe (BerH, letzte Rechtsprechungsübersicht: Nickel MDR 2018, 369) erfolgte durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und BeratungshilFreyberger/Fischer
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Kap. 6 Rz. 2
Beratungshilfe
ferechts (BGBl. I 2013, 3533 ff.) mit Wirkung zum 1.1.2014 (Übersicht bei Nickel MDR 2013, 950). Der Rechtsanwalt ist zur Übernahme von Beratungshilfe verpflichtet, lediglich im Einzelfall aus wichtigem Grund darf die Übernahme abgelehnt werden (§ 49a BRAO; §§ 16, 16a BORA). Während die Prozesskostenhilfe der gerichtlichen Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen dienen soll, ermöglicht die Beratungshilfe schon vor Eintritt in einen Rechtsstreit in Rechtsfragen beraten zu werden, insbesondere über Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung informiert zu werden. Auch der Beklagte kann noch Beratungshilfe erhalten. Wer eine Klage eingereicht hat, befindet sich bereits innerhalb des gerichtlichen Verfahrens, der Beklagte dagegen nach Zustellung der Klage im Sinne der Beratungshilfe noch außerhalb des gerichtlichen Verfahrens; muss er sich doch erst einmal schlüssig werden, ob und wie er sich am Prozess beteiligen will. Bevor für den Beklagten ein Sachantrag gestellt wird, kann ihm daher noch Beratungshilfe bewilligt werden, wenngleich dies in der Praxis unüblich ist, da für den bedürftigen Beklagten regelmäßig direkt Prozesskostenhilfe beantragt wird. Dies ist grundsätzlich auch zu empfehlen, der Weg über die Beratungshilfe ist etwas umständlich und steht nicht dafür, zumal die Gebühren regelmäßig aufeinander angerechnet werden. Für den Antragsgegner im PKH-Verfahren kann Beratungshilfe bewilligt werden, das gerichtliche Verfahren beginnt erst mit dem Streitverfahren (VerfGH Rheinland-Pfalz NJW 2017, 1940).
2 Auch das PKH-Bewilligungsverfahren ist in diesem Sinne ein gerichtliches Verfahren. Bevor ein PKH-Antrag eingereicht wird, kann somit Beratungshilfe in Anspruch genommen werden, die u.a. darin bestehen kann, dass der Anwalt für den Ratsuchenden einen PKH-Antrag einreicht. Ist der PKH-Antrag eingereicht, kann der Anwalt nicht mehr im Wege der Beratungshilfe tätig werden; denn mit der Einreichung des Gesuchs hat für den Ratsuchenden ein gerichtliches Verfahren im weiteren Sinne begonnen. Wer als potentieller Beklagter zu einer Stellungnahme in einem Prozesskostenhilfeverfahren (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) aufgefordert wird, kann dafür hingegen Beratungshilfe beantragen, zumal für das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren (Ausnahme: Abschluss eines Vergleiches, Rechtsbeschwerde) keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann (keine „PKH für PKH“; Musielak/Voit/Fischer § 118 ZPO Rz. 6 f.). Für das Beratungshilfeverfahren selbst kann keine PKH bewilligt werden, auch nicht für eine Gehörsrüge in diesem Zusammenhang (BVerfG NJW 2018, 449).
3 Für die Teilnahme an einem obligatorischen Güteverfahren nach § 15a EGZPO kann wiederum Beratungshilfe gewährt werden; es gehört nicht zum Rechtsstreit, seine Durchführung ist lediglich außergerichtliche Prozessvoraussetzung (§ 1 Abs. 1 BerHG).
4 Beratungshilfe kann auch zur Klärung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs in Anspruch genommen werden.
5 Entsteht anlässlich oder während eines gerichtlichen Verfahrens ein Beratungsbedürfnis für andere Angelegenheiten, die mit der Angelegenheit des gerichtlichen Verfahrens nicht identisch sind, kann hierfür Beratungshilfe gewährt werden.
6 Streitverkündete und Beigeladene können Beratungshilfe zur Klärung ausschließlich der Frage in Anspruch nehmen, ob sie beitreten sollen oder nicht. 2. Persönlicher Anwendungsbereich
7 Nicht nur deutsche natürliche Personen, sondern auch Parteien kraft Amtes, juristische Personen (in der Praxis kaum vorstellbar) und ausländische Staatsangehörige können Beratungshilfe in Anspruch nehmen. Auch minderjährige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) können selbstverständlich einen eigenen Anspruch auf Beratungshilfe haben (BVerfG NJW 2012, 1275 = AnwBl. 2012, 371), natürlich auch minderjährige Asylbewerber (AG Essen JurBüro 2017, 652).
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Fischer
Beratungshilfe
Rz. 15 Kap. 6
3. Sachlicher Anwendungsbereich Beratungshilfe kann in der Form einer Beratung und, soweit dies erforderlich ist, durch außerge- 8 richtliche Vertretung gewährt werden (§ 2 Abs. 1 BerHG), und zwar gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG in allen rechtlichen Angelegenheiten, mithin insbesondere in den Bereichen – des Zivil- und Arbeitsrechts, – des Verwaltungsrechts, – des Verfassungsrechts, – des Sozialrechts und jetzt auch (früher war dies nicht möglich; vgl. BVerfG NJW 2009, 209) – des Steuerrechts. In Straf- und Ordnungswidrigkeitssachen wird allerdings ausschließlich Beratung, keine Hilfe durch Vertretung gewährt (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BerHG; hierzu Lissner Rpfleger 2014, 637 ff.).
9
In Angelegenheiten, in denen das Recht anderer Staaten anzuwenden ist, ohne dass der Sachverhalt 10 eine Beziehung zum Inland aufweist, ist Beratungshilfe ausgeschlossen (§ 2 Abs. 3 BerHG; Gregor Rpfleger 2014, 637 ff.). Außerhalb der EU gibt es teilweise multinationale Abkommen, wie beispielsweise das Straßburger Abkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Beratungs- und Prozesskostenhilfe aus dem Jahre 1977 mit dem Moskauer Zusatzprotokoll von 2001.
K
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Praxistipp: In der Regel dürfte es sich aber für einen Rechtssuchenden empfehlen, direkt über einen Anwalt, der in dem Staat zugelassen ist, indem das Verfahren geführt werden soll, Anträge in diesem Staat zu stellen. Dies gilt insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland, da hier auch Ausländer ohne Weiteres Beratungshilfe und auch Prozesskostenhilfe erhalten können. Der Weg über die EU-Vorschriften ist in der Praxis oftmals sehr umständlich und langwierig.
Beratungshilfe kann nach der RL 2003/8/EG v. 22.1.2003 (NJW 2003, 1101 ff.) ab dem 30.11.2004 gewährt werden bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug für
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– vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbeilegung (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 BerHG); – für die Unterstützung bei dem Antrag nach § 1077 ZPO für die Entgegennahme und Übersendung von Prozesskostenhilfeanträgen natürlicher Personen in einem Mitgliedsstaat der EU (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 BerHG; s. Rz. 15). In diesen Fällen findet § 2 Abs. 3 BerHG keine Anwendung, dh. es kann Beratungshilfe ausnahmsweise auch gewährt werden in Angelegenheiten, in denen das Recht anderer Staaten anzuwenden ist, sofern der Sachverhalt keine Beziehung zum Inland aufweist.
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Kostenarmut ist hier auch dann anzunehmen, wenn der Antragsteller nachweist, wegen unterschied- 14 lich hoher Lebenshaltungskosten im Mitgliedsstaat seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts einerseits und in Deutschland andererseits die Kosten für eine Beratung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen zu können (§ 10 Abs. 4 BerHG iVm. § 1078 Abs. 3 ZPO). Für das Verfahren betreffend die Übermittlung von Beratungshilfeanträgen in anderen Mitgliedsstaaten der EU gilt § 1077 ZPO entsprechend (§ 10 Abs. 3 BerHG). Zuständig ist der Rechtspfleger (§ 20 Nr. 6 RPflG) des AG am Wohnsitz oder am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers.
Fischer
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Kap. 6 Rz. 16
Beratungshilfe
16 Im Falle des Eingangs von Beratungshilfeersuchen aus einem Mitgliedsstaat der EU ist das in § 4 Abs. 1 Satz 2 BerHG bezeichnete AG zuständig, nämlich jenes AG, in dessen Bezirk ein Bedürfnis für Beratungshilfe auftritt. Für das Verfahren gelten § 1078 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 ZPO entsprechend.
II. Voraussetzungen der Beratungshilfe 1. Subjektive Voraussetzungen Auf Antrag erhält Beratungshilfe, wer
17 – PKH ohne Zahlungsverpflichtung (dh. die Berechnung nach § 115 ergibt keine monatliche Raten und auch keinen Vermögensbeitrag!) im Falle eines Rechtsstreits beanspruchen könnte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BerHG), also nicht, wer zB über eine Rechtsschutzversicherung die Kosten einer Beratung aufbringen kann oder einen kurzfristig durchsetzbaren familienrechtlichen Prozesskostenvorschussanspruch besitzt, den er zu seinem Vermögen rechnen muss.
18 – keine andere zumutbare Möglichkeit der Beratung hat, die für ihn kostenfrei ist und die eine geeignete und erlaubte Hilfe gewährt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG). In Frage kommen Berufsverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Fachverbände, Haus- und Grundbesitzervereine, Mietervereine sowie Verbraucherzentralen (BVerfG NJW 2012, 2722), rechtskundige Elternteile, ferner Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Zuständigkeit wie Jugendämter (hierzu ausf. Härtl NZFam 2017, 1081, 1083) und andere, Ämter für Ausbildungsförderung, Finanzämter, Sozialhilfeträger sowie andere öffentliche Rechtsberatungsstellen (AG Kiel JurBüro 2013, 146), Flüchtlingsberatungsstellen der freien Wohlfahrtspflege sowie Beratungsstellen im Rahmen eines städtischen Betreuungskonzepts (AG Essen JurBüro 2017, 652) und Anstaltsleitungen im Rahmen des Strafvollzugs (zur Selbsthilfe ausf. Lissner JurBüro 2015, 451, 452 f.). Die vom AG gem. § 3 Abs. 2 BerHG geleistete Beratungshilfe ist keine andere Möglichkeit der Hilfegewährung, sondern – neben der anwaltlichen Beratung und Vertretung – eine ihrer Gewährungsformen. Es kann einem Rechtsuchenden aber nicht zugemutet werden, den Rat derselben Behörde in Anspruch zu nehmen, deren Entscheidungen er angreifen will (BVerfG MDR 2009, 945 = NJW 2009, 3417; MDR 2015, 1435; NJW 2015, 2322). Die erste Nachfrage wird jedoch regelmäßig bei den zuständigen Behörden zu erfolgen haben (vgl. § 25 Abs. 1 VwVfG), bevor Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, insbesondere bevor die Behörde einen belastenden Verwaltungsakt erlassen hat (zB BVerfG NJW-RR 2007, 1369; NJW 2009, 3420).
19 Für die Stadtstaaten Hamburg, Bremen (ÖRA) und Berlin ist § 12 BerHG zu beachten. 2. Objektive Voraussetzungen
20 Beratungshilfe kann nur für die Wahrnehmung von Rechten (§ 1 Abs. 1 BerHG) in Anspruch genommen werden, nicht für sonstige Interessen oder allgemeine Lebensberatung. Es müssen also Rechtsfragen im Vordergrund der Beratungs- und Vertretungstätigkeit stehen, und zwar bezogen auf eigene subjektive Rechte des Hilfesuchenden. Zu diesem Themenkreis gehört auch die Schuldenberatung. Für die Vorbereitung eines Insolvenzantrags kann dem mittellosen Schuldner Beratungshilfe gewährt werden (BGH NJW-RR 2007, 1347 = MDR 2007, 976). Nicht abschließend geklärt ist, ob präventive Rechtsberatung, zB bei der Gestaltung von Vertragsentwürfen oder der Teilnahmen bzw. Durchführung geplanter – möglicherweise aber rechtswidriger – Aktivitäten (zB eine geplante Demonstration!) noch unter die Beratungshilfe fällt. Die Befürchtung, dass in ungewisser Zukunft ein Rechtsverlust entsteht, begründet allerdings regelmäßig noch keinen Anspruch auf Beratungshilfe (BVerfG FamRZ 2012, 509). Auch eine „allgemeine Lebenshilfe“ ist nicht die Aufgabe der Beratungshilfe (Fölsch NJW 2010, 350).
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Fischer
Beratungshilfe
Rz. 24 Kap. 6
Beratungshilfe ist nicht abhängig von der positiven Beantwortung der Frage nach der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtswahrnehmung, denn die Beratungshilfe soll in erster Linie dazu dienen, den Hilfesuchenden (auch) über jene Erfolgsaussicht zu informieren. Der Gesetzgeber verfolgt damit den Zweck, durch rechtzeitige Beratung unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Die Wahrnehmung der Rechte darf aber nicht mutwillig sein (§ 1 Abs. 3 BerHG). Mutwilligkeit liegt vor, wenn ein Rechtssuchender, der keinen Anspruch auf Beratungshilfe hätte, sich nicht auf eigene Kosten beraten oder vertreten lassen würde. Eine mehrfache Beratung in derselben Sache ist mutwillig (Mayer FD-RVG 2017, 386690 mwN). Eine zweite Meinung kann über die Beratungshilfe nicht eingeholt werden (AG Winsen [Luhe] BeckRS 2017, 100039). Die Anforderungen an die Voraussetzungen für die Beratungshilfe sind also jedenfalls nicht strenger als diejenigen für die Prozesskostenhilfe (BVerfG NJW-RR 2007, 1369). Es kommt damit letztlich auf einen Vergleich des Bedürftigen mit einem verständigen Selbstzahler an, wobei ein individueller Maßstab anzulegen ist (Nickel MDR 2013, 950).
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III. Antragsverfahren Beratungshilfe wird auf Antrag gewährt. Über den Antrag entscheidet das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand hat; fehlt es daran, so ist das AG örtlich zuständig, in dessen Bezirk ein Bedürfnis für Beratungshilfe auftritt (§ 4 Abs. 1 BerHG). Zuständig ist das Gericht, bei dem der Antragsteller zum Zeitpunkt des Antragseingangs seinen Wohnsitz hat (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BerHG; KG JurBüro 2008, 656). Maßgeblich für die Zuständigkeit ist der Eingang des Antrages, unabhängig davon, ob er vollständig ist oder nicht (OLG München FamRZ 2016, 2027). Der Antrag kann mündlich oder schriftlich gestellt werden. Der Sachverhalt, hinsichtlich dessen Beratungshilfe gewünscht wird, ist anzugeben, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Hilfesuchenden sind von ihm glaubhaft zu machen, zB durch Gehaltsbescheinigung, behördliche Bescheide usw. (§ 4 Abs. 4 BerHG).
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Der Beratungshilfeantrag kann auch nachträglich durch einen Rechtsanwalt oder die sonstige Beratungsperson innerhalb von vier Wochen (!) nach der Beratung gestellt werden (hierzu ausf. Lissner, RVGReport 2017, 162), nachdem der Antragsteller sich an ihn mit der Bitte um Beratung bzw. Vertretung gewandt hat (§ 6 Abs. 2 BerHG). In diesem Fall kann der Rechtsanwalt verlangen, dass der Antragsteller seine Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen glaubhaft macht (§ 4 Abs. 6 BerHG). Dem Rechtsanwalt stehen damit die Befugnisse zu, die sonst das Gericht hat.
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Über den Antrag entscheidet der Rechtspfleger, indem er dem Antragsteller einen Berechtigungs- 24 schein unter genauer Bezeichnung der Angelegenheit für Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl ausstellt (§ 6 Abs. 1 BerHG). Dies ist lediglich dann entbehrlich, wenn das AG sich selbst in der Lage sieht, den Wunsch nach Beratungshilfe zu erledigen. Es muss aber eine schriftliche Entscheidung ergehen. Wenn der Rechtspfleger lediglich eine mündliche Auskunft erteilt, darf nicht eine förmliche Entscheidung mit der Begründung abgelehnt werden, die Auskunft sei erteilt worden (BVerfG NJW 2015, 2322; ausf. dazu Lissner JurBüro 2015, 451 ff.). Der Antrag muss also im Zweifel zurückgewiesen werden. Gegen den Beschluss, durch den der Beratungshilfeantrag zurückgewiesen wird, ist nur die Erinnerung statthaft (§ 7 BerHG; OLG Köln NJOZ 2016, 983). Dies gilt auch in Familiensachen (OLG Koblenz MDR 2012, 490 = NJW 2012, 944). Diese Beschränkung des Instanzenzuges ist verfassungsgemäß (BVerfG NJW-RR 2007, 1369). Wenn das rechtliche Gehör verletzt wurde, kann die Anhörungsrüge gem. § 44 FamFG erhoben werden, da sich das Verfahrensrecht der Beratungshilfe aus dem FamFG ergibt (§ 5 BerHG). Ansonsten bleibt nur noch die Verfassungsbeschwerde, die hin und wieder erfolgreich sein kann (vgl. zB BVerfG NJW-RR 1993, 253; NJW 2015, 2322). Die Erinnerung ist im Namen des Mandanten einzulegen, nicht im eigenen Namen (Fölsch NJW 2010, 350, 351).
Fischer
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Kap. 6 Rz. 25
Beratungshilfe
IV. Formen der Gewährung von Beratungshilfe 25 Grundsätzlich wird Beratungshilfe durch Rechtsanwälte gewährt (§ 3 BerHG). Der Ratsuchende kann sich unter Vorlage des ihm vom Amtsgericht erteilten Berechtigungsscheins an einen Rechtsanwalt seiner Wahl wenden. Dies sollte der normale Weg sein. Eine Form des Direktzugangs zum Rechtsanwalt ist auch die Inanspruchnahme anwaltlicher Beratungsstellen, die örtlich aufgrund von Vereinbarungen mit den Landesjustizverwaltungen eingerichtet werden können, wie zB in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg geschehen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 BerHG).
26 Wendet sich der Ratsuchende mit der Bitte um Gewährung von Beratungshilfe an einen Rechtsanwalt, ohne zuvor die Erteilung eines Berechtigungsscheins beantragt zu haben, so kann dieser Antrag durch den beratenden Rechtsanwalt für den Ratsuchenden nachträglich gestellt werden (s. Rz. 23). Dies wird im Regelfall im Zusammenhang mit dem Vergütungsantrag geschehen. In diesem Fall bedarf es einer förmlichen Erteilung eines Berechtigungsscheins nicht mehr, vielmehr liegt in der Festsetzung der Vergütung die Erklärung des Gerichts, dass Beratungshilfe bewilligt worden ist.
27 K
Praxistipp: Ist die Beratung einmal geleistet, ist es oftmals schwer, an den Mandanten wieder heranzukommen und von ihm weitere Unterlagen zu erhalten. Das Formular (Rz. 41) ist daher sorgfältig auszufüllen und der Mandant dazu anzuhalten, die erforderlichen Belege beizubringen und vorzulegen, vorzugsweise natürlich vor der Beratung. Am besten der Antragsteller wird gleich darauf hingewiesen, dass er gem. § 8a Abs. 4 BerHG selbst zahlen muss, wenn die nachträgliche Beratungshilfe nicht bewilligt wird. In Zweifelsfällen dürfte es sich darüber hinaus empfehlen, den Antragsteller erst zum Amtsgericht zu schicken und dann mit Beratungshilfeschein erneut vorsprechen zu lassen.
28 Beratungshilfe kann aber auch durch das Amtsgericht, und zwar durch den Rechtspfleger selbst gewährt werden (§ 3 Abs. 2 BerHG iVm. § 24a Abs. 1 Nr. 2 RPflG), sofern dem Anliegen des Rechtsuchenden durch eine sofortige Auskunft, durch Hinweise auf andere Hilfsmöglichkeiten oder durch Aufnahme eines Antrags oder einer Erklärung entsprochen werden kann. Im letztgenannten Fall wird die Rechtsantragstelle des AG Anträge oder Erklärungen aufzunehmen haben.
29 Das AG soll nur sofortige Auskunft erteilen, ohne dass der Rechtspfleger etwa schwierige Sachverhaltsermittlungen anstellen, den Rechtsuchenden zu einem weiteren Termin bestellen oder komplizierte Rechtsfragen prüfen muss. Die Beschränkung auf Auskunftserteilung schließt zugleich aus, dass das AG für den Hilfesuchenden etwa durch Schriftwechsel nach außen tätig wird. Ist dieses im Einzelfall nötig, ist der Hilfesuchende an einen Rechtsanwalt zu verweisen und ihm ein entsprechender Berechtigungsschein zu erteilen.
V. Vergütung für Beratungshilfe 30 Anwaltliche Tätigkeit im Wege der Beratungshilfe wird, sofern sie nicht in Beratungsstellen geleistet wird und hierfür besondere Vereinbarungen getroffen worden sind, nach Maßgabe des § 44 RVG iVm. Nr. 2500 ff. VV RVG aus der Landeskasse (Staatskasse) vergütet, und zwar
31 – für eine schlichte Beratung, wenn diese nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit in Zusammenhang steht, mit 35 Euro (Nr. 2501 VV RVG) als Beratungsgebühr. Die Gebühr ist auf eine Gebühr, die der Rechtsanwalt für eine sonstige mit der Beratung in Zusammenhang stehende Tätigkeit erhält, anzurechnen;
32 – für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information oder das Mitwirken bei der Gestaltung eines Vertrages 85 Euro (Nr. 2503 VV RVG) als Geschäftsgebühr. Sie ist auf die Verfahrensgebühr eines sich anschließenden gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens zur Hälfte, also mit 42,50 Euro anzurechnen; die Gebühr ist erhöhungsfähig bei mehreren Auftraggebern (Nr. 1008 VV RVG). Nimmt der Rechtsanwalt Akteneinsicht, entsteht alleine dadurch noch keine 78
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Beratungshilfe
Rz. 39 Kap. 6
Geschäftsgebühr, wenn die Akteneinsicht nur der Beratung dient (OLG Bamberg MDR 2016, 422 = NJW-RR 2016, 640); es kann aber hingegen, wenn die Akteneinsicht auch der Vorbereitung einer Tätigkeit nach außen dient, schon eine Geschäftsgebühr entstehen (OLG Köln JurBüro 2017, 583). Regelmäßig entsteht die Geschäftsgebühr, wenn der Rechtsanwalt nach außen tätig wird (LG Mannheim BeckRS 2017, 105988); – für die Mitwirkung an einer Einigung oder einer verwaltungsrechtlichen Erledigung 150 Euro 33 (Nr. 2508 iVm. Nr. 1000 und 1002 VV RVG) als Einigungs- und Erledigungsgebühr; eine im Rahmen einer Abmahnung abgegebene modifizierten Unterlassungserklärung kann eine solche Einigung darstellen (OLG Stuttgart Die Justiz 2017, 109 = NJOZ 2016, 1542, Achtung: Der dortige Leitsatz hat mit der Entscheidung nichts zu tun, dies ist ein Fehler der Redaktion!); – für Beratungstätigkeit mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über 34 die Schuldenbereinigung aufgrund eines Plans (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO) eine Beratungsgebühr iHv. 70 Euro (Nr. 2502, 2501 VV RVG); diese und die nachfolgende Gebühr wird auch bei sog. „Nullplänen“ verdient (OLG Nürnberg MDR 2017, 308), auch bei „Fast-Nullplänen“ (OLG Stuttgart Rpfleger 2017, 219); – für das Betreiben des Geschäfts mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf Plangrundlage bei bis zu fünf Gläubigern 270 Euro, bei sechs bis zehn Gläubigern 405 Euro, bei elf bis fünfzehn Gläubigern 540 Euro, bei mehr als fünfzehn Gläubigern 675 Euro (Nr. 2504–2507 VV RVG). Hier kann zusätzlich die Einigungsgebühr Nr. 2508 Abs. 2 VV RVG mit 150 Euro anfallen.
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Dem im Beratungshilfe tätig gewesenen Anwalt stehen gegenüber der Landeskasse nicht nur Gebührenansprüche, sondern auch Ansprüche auf Ersatz von Auslagen gem. Teil 7 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG zu; nämlich Dokumentenpauschale, Entgelte für Telekommunikationsdienstleistungen oder alternativ die Pauschale hierfür iHv. 20 % der Gebühren, höchstens 20 Euro, berechnet auf der Grundlage der Festgebühren der Nr. 2501 ff. VV RVG (§ 44 RVG, Nr. 7002 Abs. 2 VV RVG). Gleichfalls zu erstatten ist eine angefallene Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 Anlage 1 GKG), die vom Rechtsanwalt erhoben wurde (AG Mehldorf SchlHA 2016, 38), ggf. nebst Umsatzsteuer. Dies gilt auch im Strafverfahren (AG Germersheim v. 2.3.2017 – 1 UR II 461/16). Muss der Rechtsanwalt, um einem im Inland lebenden Ausländer Beratung zu erteilen, die Hilfe eines Dolmetschers in Anspruch nehmen oder benötigt er einen Übersetzer für in ausländischer Sprache abgefasste Urkunden, so können diese Auslagen, sofern sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen des Ausländers erforderlich waren (§ 46 Abs. 1 RVG), vom Rechtsanwalt zur Erstattung eingereicht werden. Rechtsgrundlage sind insoweit §§ 675, 670 BGB, Vorbemerkung 7 Abs. 1 zu Teil 7 VV RVG. Denkbar ist auch die Erstattung von Kopierkosten, zB im Strafverfahren (Näher AG Riesa BeckRS 2017, 128136). Eine Erhöhung der Gebühren um den Mehrvertretungszuschlag ist nicht vorzunehmen (OLG Frankfurt v. 15.2.2018 – 20 W 166/17, NJW 2018, 1697).
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Einen Vorschuss aus der Staatskasse kann der Rechtsanwalt bei der Beratungshilfe nicht fordern 37 (§ 47 Abs. 2 RVG). Die bewilligte Beratungshilfe kann nach § 6a BerHG von Amts wegen oder auf Antrag des Rechtsanwalts wieder aufgehoben werden, was aber den Anspruch des Rechtsanwalts auf Vergütung in der Regel unberührt lässt (§ 8a Abs. 1 Satz 1 BerHG). Fließt dem Rechtssuchenden aufgrund der Beratung durch den Rechtsanwalt etwas zu, kann unter Umständen von dem Rechtssuchenden das gesetzliche Honorar verlangt werden (näher §§ 6a, 8a BerHG, N. Schneider NZFam 2016, 977 ff.). Die für Beratungshilfe entstandenen Gebühren hat der Rechtsanwalt durch den Urkundsbeamten des zuständigen AG festsetzen zu lassen (§ 55 Abs. 4 und 5 RVG). Das Verfahren bestimmt sich nach §§ 55, 56 RVG entsprechend den Regelungen für Prozesskostenhilfegebühren.
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Der in Beratungshilfe tätige Rechtsanwalt kann Vereinbarungen über seine Vergütung mit dem Mandanten nicht treffen. Sie sind nichtig (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BerHG, vgl. aber Rz. 37). Er darf jedoch
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Kap. 6 Rz. 40
Beratungshilfe
von dem Mandanten – neben der ihm nach dem Gesetz aus der Landeskasse zu gewährenden Vergütung – eine Schutzgebühr (Beratungshilfegebühr) von 15 Euro (Nr. 2500 VV RVG) fordern, jedoch keinen Auslagenersatz, auch keine Umsatzsteuer. Er kann sie nach Maßgabe der Verhältnisse des Mandanten auch erlassen, was in der Praxis häufig geschieht (Nr. 2500 VV RVG). Wenn der Rechtssuchende ersichtlich beratungshilfebedürftig ist, muss der Rechtsanwalt auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hinweisen (hierzu ausf. Härtl NZFam 2017, 1081 f.), ansonsten muss er von dem Rechtssuchenden erhaltenes Honorar unter Umständen zurückzahlen (OLG Hamm AnwBl. 2015, 901).
40 Ist im Einzelfall der Gegner verpflichtet, dem Rechtssuchenden die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen (wegen Verzuges oder aus anderen Rechtsgrundlagen), so hat er die gesetzliche Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts zu erstatten, dh. die vollen Gebühren nach Maßgabe von Gegenstandswert und Anwendung der Tabelle zu § 13 RVG. Der Anspruch geht nach § 9 BerHG auf den Rechtsanwalt über. Erhält er vom Gegner Zahlungen, werden diese auf die ihm aus der Landeskasse nach § 55 RVG zu gewährende Vergütung angerechnet (§ 58 Abs. 1 RVG). Die Geschäftsgebühr (Nr. 2503 VV RVG) wird bei einem anschließenden gerichtlichen Verfahren zur Hälfte angerechnet. Dies allerdings nur dann, wenn sie auch tatsächlich bezahlt worden ist (OLG Celle MDR 2014, 188).
41 Gemäß § 11 BerHG ist die Verwendung von Formularen vorgesehen. Es ist daher erforderlich, sich die entsprechenden Formulare zu besorgen und zu benutzen. Einzusehen sind sie im BGBl. I 2014, 2 ff. Die dort auch abgedruckte Beratungshilfeformularverordnung (BerHFV) schreibt vor, dass die Formulare, wozu auch das Abrechnungsformular für den Anwalt gehört, zu benutzen sind.
42 Auseinandersetzungen zwischen Anwalt und Gericht gibt es regelmäßig um Fragen des Umfangs der Vergütung. Zwar ist eine Festgebühr zu zahlen, jedoch ist oftmals unklar, ob es sich um eine oder mehrere Angelegenheiten bzw. Auftraggeber handelt, vor allem in Familien- und Sozialsachen (vgl. zB OLG Köln Rpfleger 2010, 522). In diesem Zusammenhang hat das OLG München unter Aufgabe seiner älteren abweichenden Rechtsprechung entschieden, dass mindestens zwei Angelegenheiten vorliegen, wenn wegen Trennung und Scheidung beraten wird (OLG München MDR 2011, 1386). Inzwischen wird von den meisten Gerichten sogar weitergehend davon ausgegangen, dass bei einer umfangreichen Beratungshilfe in familienrechtlichen Fragen anlässlich der Trennung von Eheleuten folgende vier Angelegenheiten (OLG Schleswig NJW-Spezial 2013, 476 = Rpfleger 2013, 546; OLG Nürnberg MDR 2011, 759 = NJW 2011, 3108; OLG Celle NJW 2011, 3109; OLG Düsseldorf JurBüro 2017, 249 (maximal vier), AG Pforzheim FamRZ 2016, 396; ausf.: N. Schneider/Thiel NZFam 2016, 108 ff.; Clauss-Hasper NZFam 2016, 735 ff.; jeweils mwN) anfallen: 1. Scheidung; 2. Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht); 3. Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat; 4. Finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhalt, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung). Teilweise wird sogar von bis zu sechs Angelegenheiten ausgegangen (OLG Hamm NZFam 2017, 35): Ehesachen, Kindschaftssachen, Ehewohnungs- und Hausratssachen, Versorgungsausgleichssachen, Unterhaltssachen, Güterrechtssachen. Es ist allerdings von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn bei einer Vielzahl gleichartiger Fallgestaltungen seitens der Gerichte davon ausgegangen wird, dass nur eine Angelegenheit vorliegt, hier bei urheberrechtlichen Abmahnungen (BVerfG NJW 2011, 2711; krit. OLG Frankfurt/M. NJOZ 2017, 594). Wird der Rechtsanwalt wegen zweier Nebenkostenabrechnungen tätig, so kann dies durchaus auch nur eine Angelegenheit sein (OLG Köln MDR 2010, 474). Der Begriff der Angelegenheit im Rahmen der Beratungshilfe ist nämlich nicht mit dem Gegenstandsbegriff des § 22 RVG identisch, mehrere Gegenstände können durchaus Gegenstand einer einheitlichen Beratung im Sinne des BerHG sein (OLG Frankfurt NJW-RR 2016, 383). Ist die Beratungshilfe freilich mehrfach bewilligt worden, darf die Frage, ob tatsächlich mehrere Angelegenheiten vorliegen oder nicht, nicht mehr im Rahmen der Vergütungsfestsetzung problematisiert werden (OLG Frankfurt NJOZ 2017, 594, 596).
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M 6.1
Beratungshilfe
Rz. 44 Kap. 6
Bei Streitigkeiten um den Umfang der Vergütung ist nicht § 7 BerHG einschlägig, wonach nur die 43 Erinnerung gegeben ist (vgl. Rz. 24). Der Rechtsweg richtet sich vielmehr nach den §§ 56, 33 RVG. Zunächst entscheidet das AG. Der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 55 Abs. 1 RVG) kann der Erinnerung abhelfen. Er hat die Möglichkeit, eine Stellungnahme des Bezirksrevisors einzuholen. Hilft er nicht ab, entscheidet der Richter. Beträgt die Beschwer – was in Beratungshilfesachen die Regel ist – weniger als 200 Euro, kann das AG die fristgebundene (zwei Wochen) Beschwerde zulassen. Gegebenenfalls muss daran gedacht werden, dies zu beantragen. Die Beschwerde kann beim AG eingelegt werden. Zur Entscheidung über die Beschwerde ist dann immer das zuständige LG berufen, nicht etwa das OLG (OLG Frankfurt NJW-RR 2012, 1024); auch nicht, wenn es um Familiensachen geht (OLG Naumburg NJW-RR 2013, 1340). Das OLG kann mit derartigen Streitigkeiten nur befasst werden, wenn das LG dann die weitere Beschwerde zulässt (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG).
M 6.1 Erinnerung gegen Absetzungen bei der Vergütung im Rahmen der
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Beratungshilfe An das Amtsgericht … In der Beratungshilfesache … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen den Beschluss vom …, worin mir lediglich eine Beratungshilfevergütung iHv. … Euro zugestanden wurde, Erinnerung ein und beantrage, mir aus der Staatskasse eine weitere Vergütung iHv. … Euro festzusetzen; hilfsweise die Beschwerde gegen die zu treffende Entscheidung zuzulassen. Begründung: Wie es sich schon aus dem bisherigen Schriftverkehr ergibt, habe ich die Rechtsuchende in allen familienrechtlichen Angelegenheiten ausführlich beraten. Es ging um die Trennung, die anschließend durchzuführende Scheidung, die Unterhaltsansprüche gegen den Ehemann, und zwar auch für die Kinder, die Zuweisung der Ehewohnung, denkbaren Zugewinnausgleich, Personensorge und Umgangsrecht sowie darüber hinaus noch um die angekündigte Anfechtung der Ehelichkeit der letzten der drei Töchter durch den Ehemann. Entsprechend der neueren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl. nur OLG Schleswig Rpfleger 2013, 546) sind damit – was die Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten betrifft – mindestens vier Angelegenheiten im Sinne des BerHG angefallen (teilweise wird sogar von sechs Angelegenheiten ausgegangen!), die jede für sich zu vergüten sind. Hinzu kommt noch die Ehelichkeitsanfechtung. Es sind hier mithin mindestens fünf gesondert zu vergütende Angelegenheiten angefallen. Da die mit der Vergütung in derartigen Fällen zusammenhängen Fragen in Rechtsprechung und Literatur umstritten sind, ist eine Zulassung der Beschwerde erforderlich, damit diese Fragen durch obergerichtliche Rechtsprechung endlich einmal einer verbindlichen Klärung zugeführt werden können. Die für eine Zulassung der Beschwerde erforderliche grundsätzliche Bedeutung liegt daher vor. Kosten: Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).
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Kap. 7 Rz. 1
Selbständiges Beweisverfahren
Kapitel 7 Selbständiges Beweisverfahren I. II. 1. 2. 3.
III. 1. 2. 3.
IV. 1. 2. 3.
4.
5. V. 1.
Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materiell- und prozessrechtliche Wirkung Verjährungshemmung . . . . . . . . . . . . . . . . Materiell-rechtliche Wirkung . . . . . . . . . . . Prozessrechtliche Wirkung . . . . . . . . . . . . . a) Vorweggenommene Beweiserhebung . . . b) Keine Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . Eilverfahren gem. § 485 Abs. 1 ZPO . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag und Begründung . . . . . . . . . . . . . . M 7.1 Eilverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO bei anhängigem Prozess . . . . . . . . . . M 7.2 Antrag nach § 485 Abs. 1 ZPO bei nicht anhängigem Rechtsstreit . . . . . Verfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag und Begründung . . . . . . . . . . . . . . a) Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tatsachenbeschreibung . . . . . . . . . . . . . e) Rechtliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . f) Glaubhaftmachung . . . . . . . . . . . . . . . . g) Benennung des Sachverständigen . . . . . . Gegenantrag, Streitverkündung . . . . . . . . . a) Anfechtung des stattgebenden Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einwendungen rechtlicher Art . . . . . . . . c) Beweisantrag des Antragsgegners . . . . . . d) Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . Gegenstandswert, Kostenerstattung . . . . . Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Interesse des Antragstellers . . . . . . . . . . b) Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 3 9 21 21 25 26 27 28 29 31 32 33 34 35 40 40 41 42 45 47 49 50 52 52 54 56 58 63 66 67 67 69
2. Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei nachfolgendem Verfahren . . . . . . . . aa) Gleicher Streitgegenstand . . . . . . . . bb) Fehlende oder nicht vollständige Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mehrere Antragsgegner . . . . . . . . . b) Ohne nachfolgendes Verfahren . . . . . . . aa) Kostenentscheidung bei Unzulässigkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Antrag gemäß § 494a ZPO . . . . . . . dd) Unzulässigkeit des Antrags nach § 494a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Reaktion des Antragsgegners auf Fristsetzung nach § 494a ZPO . . . . VI. Typische Verfahrensanträge . . . . . . . . . . . M 7.3 Antrag eines Bestellers wegen Bauwerksmängeln, Bauträgervertrag, Mängel des Sondereigentums . . . . . M 7.4 Antrag eines Arbeitnehmers auf Feststellung, dass Arbeitsräume nicht ausreichend beheizbar sind . . . M 7.5 Antrag eines Mieters von Wohnraum auf Feststellung, dass die Mieträume mit Mängeln behaftet sind, zur Vorbereitung einer Mietzinsminderung oder Aufrechnung mit Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 7.6 Selbständiges Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO auf Antrag eines Werkunternehmers . . . . . . . . . . . . . M 7.7 Selbständiges Beweisverfahren zur Ermittlung des für einen Mangel Verantwortlichen gem. § 485 Abs. 2 ZPO mit Streitverkündung . . . . . . . M 7.8 Antrag nach § 494a ZPO . . . . . . . . . M 7.9 Reaktion auf Antrag nach § 494a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70 71 72 73 75 76 76 77 78 80 81 83 83 85
86 90
93 94 95
I. Verfahrensarten 1 Der zwölfte Titel der ZPO beinhaltet zwei voneinander selbständige Arten des selbständigen Beweisverfahrens: – Das gem. § 485 Abs. 1 ZPO während oder außerhalb eines Streitverfahrens zulässige selbständige Beweisverfahren, das als eigentliches Eilverfahren nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig ist und in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielt. – Das gem. § 485 Abs. 2 ZPO der Vermeidung eines Rechtsstreits dienende, ausschließlich außerhalb eines Rechtsstreits zulässige Tatsachenermittlungsverfahren, welchem in der Praxis eine wesentlich größere Bedeutung zuzumessen ist.
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Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 7 Kap. 7
Dessen praktische Bedeutung liegt vor allem im Bereich des Werkvertragsrechts in der Feststellung von Mängeln bzw. in der Feststellung der Mangelfreiheit der vereinbarten Leistung, im Bereich des Mietrechts in der Feststellung von Mängeln zur Vorbereitung entsprechender Minderungsansprüche, aber auch zur Dokumentation des Zustandes bei Übergabe der Mietwohnung, sowie im Bereich des Kaufrechts in der Feststellung der Eigenschaft des Kaufgegenstands. Im geringen Maße auch im Bereich des Arzthaftungsrechts in der Feststellung von Behandlungsfehlern.
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II. Materiell- und prozessrechtliche Wirkung 1. Verjährungshemmung Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB wird durch die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens die Verjährung gehemmt, so dass der Zeitraum währenddessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird, vgl. § 209 BGB. Der Eintritt der verjährungshemmenden Wirkung setzt einen zulässigen Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens sowie dessen Zustellung voraus.
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Erfolgt die Antragstellung kurz vor Ablauf einer Verjährungsfrist, ist zudem die Vorschrift des § 167 ZPO zu beachten. Demnach tritt die verjährungshemmende Wirkung auch bereits durch Eingang des Antrags auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.
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K
Praxistipp: Obwohl die Zustellung des Antrags auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens durch das Gericht veranlasst werden muss, kommen immer wieder Fälle vor, in denen eine Zustellung des Antrags durch das Gericht nicht demnächst erfolgt. Aus diesem Grund sollte zum einen bereits in dem Antragsschriftsatz die Zustellung des Antrags beantragt und eine Information über die erfolgte Zustellung erbeten werden. Nachdem jedoch auch dieses Informationsbegehren nicht von allen Gerichten beachtet wird, ist zudem zur Vermeidung etwaiger Haftungsansprüche regelmäßig bei Gericht über die erfolgte Zustellung nachzufragen.
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Liegt ein zulässiger Antrag vor, der dem Antragsgegner wirksam zugestellt wurde, tritt die verjährungshemmende Wirkung nur in Bezug auf die Ansprüche ein, die von den Tatsachen abhängig sind, deren Feststellung zulässigerweise im selbständigen Beweisverfahren begehrt wird (BGH NJW 2008, 1729 = MDR 2008, 636). Die verjährungshemmende Wirkung der Zustellung des Antrags auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens gem. § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB endet gem. § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach rechtskräftiger Entscheidung oder anderweitiger Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht weiter betreiben, so tritt anstelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder einer sonst mit dem Verfahren befassten Stelle.
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Nachdem das selbständige Beweisverfahren nur eine (vorweg genommene) Beweiserhebung zum Ge- 7 genstand hat und keine rechtskräftige Entscheidung über die hinter den Tatsachenfeststellungen stehenden Ansprüche ergeht, endet das Verfahren mit der Beendigung der Beweiserhebung. Diese kann mit der Verlesung der mündlichen Aussage des Zeugen oder Sachverständigen im Termin (BGH NJW 1973, 698 f.), mit dem Zugang des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen, wenn das Gericht den Parteien keine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat und die Parteien nicht binnen angemessener Frist eine Erörterung oder Ergänzung des Gutachtens beantragen (BGH MDR 2002, 704) oder mit Zurückweisung des Antrags beendet sein. Allerdings ist die Fristsetzung nur wirksam, wenn sie mit einer ordnungsgemäßen Belehrung versehen ist (BGH NJW 2006, 1208). Andere Verfahrenshandlungen, wie z.B. die Streitwertfestsetzung oder eine mit einem Antrag auf Einholung eines Obergutachtens verbundene Kritik an einem eingeholten Sachverständigengutachten, bleiben insoweit außer Betracht.
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Kap. 7 Rz. 8
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Selbständiges Beweisverfahren
Praxistipp: Die 6-Monatsfrist des § 204 Abs. 2 BGB sollte daher grundsätzlich von der jeweils letzten Verfahrenshandlung des Gerichts berechnet werden. Dies kann der Tag des Zugangs des Gutachtens, der durch den Eingangsstempel zu dokumentieren ist, oder aber der Tag der Anhörung der Zeugen oder des Sachverständigen sein. Zudem ist darauf zu achten, dass bei Fortsetzung der Beweisaufnahme nur zu vereinzelten Mängeln, die Beweisaufnahme für die weiteren Mängel beendet sein kann und damit die Ablaufhemmung trotz Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens für diese bereits abläuft. Das Ende der Hemmung ist daher für jeden Mangel gesondert zu notieren (BGH MDR 1993, 979).
2. Materiell-rechtliche Wirkung
9 Die verjährungshemmende Wirkung der Zustellung des Antrags auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens tritt nur in Bezug auf die im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden Ansprüche des Antragstellers gegen den Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens ein.
10 Ist der Antragsteller daher nicht Inhaber der Ansprüche und Rechte, die von den Tatsachen abhängig sind, deren Feststellung zulässigerweise im selbständigen Beweisverfahren begehrt wird, tritt damit auch keine verjährungshemmende Wirkung gegenüber dem Antragsgegner ein.
11 Bei einer Einleitung eines selbständigen Beweisverfahren durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist daher darauf zu achten, dass diese trotz deren grundsätzlichen Partei- und Prozessfähigkeit (BGH NJW 2005, 206) auch Inhaber der geltend zumachenden Ansprüche ist. Grundsätzlich sind Inhaber sämtlicher in Betracht kommenden Ansprüche wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum die jeweiligen Wohnungseigentümer. Allerdings kann die Wohnungseigentümergemeinschaft im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung des Gemeinschaftseigentums diese Ansprüche durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen (BGH NJW 2007, 1952 = MDR 2007, 1006).
12 Ebenso ist eine Antragstellung durch den Verwalter für die Gemeinschaft in Prozessstandschaft möglich, soweit dieser durch Beschluss der Eigentümergemeinschaft ermächtigt wurde, alle notwendigen Schritte zur Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens in die Wege zu leiten (BGH MDR 2004, 208 = NJW 2003, 3196).
13 Die materiell-rechtliche Wirkung betrifft ausschließlich die eigenen Ansprüche des Antragstellers, soweit die Feststellung für die Anspruchsgrundlage bedeutsam ist.
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Wichtig: Von der materiell-rechtlichen Wirkung eines von dem Besteller eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens über die Mangelhaftigkeit der Leistung des Unternehmers werden daher nur die möglichen Gewährleistungsrechte des Bestellers, nicht hingegen der Vergütungsanspruch des Unternehmers erfasst (BGH NJW 2012, 114). Die Hemmung der Verjährung des Vergütungsanspruchs des Unternehmers ist daher durch eigene Antragstellung im selbständigen Beweisverfahren oder durch Einleitung anderer verjährungshemmender Schritte zu bewirken.
15 Auch das vom Unternehmer eingeleitete selbständige Beweisverfahren, mit der die Abnahmefähigkeit seiner Leistung festgestellt werden soll, kann zwar die Verjährung der Vergütungsansprüche des Unternehmers hemmen (BGH IBR 2012, 237), die Gewährleistungsansprüche des Bestellers hingegen nicht.
16 Ist für einen Anspruch Sicherheit geleistet, etwa durch Stellung einer Bürgschaft (Vertragserfüllungsoder Gewährleistungsbürgschaft), richtet sich der Anspruch aus dieser Bürgschaft nicht gegen den Werkunternehmer, sondern gegen den Bürgen.
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Praxistipp: Sollen daher die materiellen und prozessualen Wirkungen der Zustellung des Antrags auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens auch gegenüber dem Bürgen eintreten, ist dieser zwingend als Antragsgegner (ggf. neben dem Werkunternehmer) zu bezeichnen. Ulbrich
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 24 Kap. 7
Hierbei ist zu beachten, dass die Ansprüche aus der Bürgschaft der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB unterliegen, welche bereits vor Eintritt der Verjährung gegenüber dem Werkunternehmer enden kann. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Dies ist bei Ansprüchen aus Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften grundsätzlich mit der Fälligkeit der gesicherten Hauptverbindlichkeit anzunehmen (BGH NJW 2008, 1729 = MDR 2008, 636).
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Dies gilt auch bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern (BGH DB 2008, 2025). Es bedarf daher keiner besonderen Aufforderung gegenüber dem Bürgen (BGH DB 2008, 2025). Allerdings bedarf es bei werkvertraglichen Vertragserfüllungs- bzw. Gewährleistungssicherheiten eines auf Zahlung gerichteten Anspruchs des Bestellers. Dieser entsteht erst bei Ablauf einer dem Unternehmer zur Beseitigung des Mangels gesetzten Frist (OLG Brandenburg IBR 2008, 448).
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Die verjährungshemmende Wirkung tritt auch dann ein, wenn der geltend gemachte Mangel durch das im Verfahren eingeholte Gutachten nicht bestätigt wird (BGH BauR 1998, 826 = MDR 1998, 963).
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3. Prozessrechtliche Wirkung a) Vorweggenommene Beweiserhebung Im Rahmen des Verfahrensrechts hat das selbständige Beweisverfahren die Wirkung einer vorweg ge- 21 nommenen Beweisaufnahme. Beruft sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen, über die selbständig Beweis erhoben wurde, so steht die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich (§ 493 Abs. 1 ZPO). Das Prozessgericht hat unter Anwendung des § 286 ZPO das Beweisergebnis zu würdigen. Diese prozessuale Wirkung kommt allerdings ausschließlich den im selbständigen Beweisverfahren 22 festgestellten Tatsachen zu. Damit geht das selbständige Beweisverfahren in seiner Wirkung deutlich über alle einseitig von einer Partei vorzunehmenden Beweissicherungsmaßnahmen wie z.B. ein Privatgutachten hinaus, ist aber anders als ein – nicht unter § 319 BGB fallendes – Schiedsgutachten (s. Kap. 98) wegen der Regelung in §§ 412, 398 ZPO für das Gericht des Hauptsacheverfahrens nicht bindend.
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Wichtig: Im Rahmen der selbständigen Beweiserhebung kann das zuständige Gericht einem nicht beteiligten Dritten nicht aufgeben, eine Bauteilöffnung in seiner Wohnung, wozu auch Nebenräume aber auch eine im Gemeinschaftseigentum stehende Garage und ein Treppenhaus gehören, zum Zwecke der Beweissicherung zu dulden (BGH MDR 2013, 864 = NJW 2013, 2687). Ist die Bauteilöffnung zwingend für die selbständige Beweiserhebung notwendig, ist diese daher ggf. durch Beschluss der WEG oder eine Antragserweiterung auf den Dritten sicherzustellen.
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K
Praxistipp: Soll das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Gutachten während des selbständigen Beweisverfahrens oder im nachfolgenden Prozess angegriffen werden, sollte ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger beauftragt werden, ein weiteres Gutachten zu erstellen oder sich mit dem im Beweissicherungsverfahren erstatteten Gutachten auseinander zu setzen. Dieses Gutachten ist in das selbständigen Beweisverfahren oder in dem Prozess mit der Klage oder Klageerwiderung – also rechtzeitig – einzuführen, um die Anhörung des Sachverständigen oder die Erstattung eines weiteren gerichtlichen Gutachtens zu erzwingen (vgl. dazu BGH NJW 1987, 442; MDR 1986, 915 = NJW 1986, 1928; MDR 1982, 45 = NJW 1981, 2578; VersR 1981, 111). Erst im Hauptsacheverfahren vorgebrachte Einwendungen gegen das im selb-
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Kap. 7 Rz. 25
Selbständiges Beweisverfahren
ständigen Beweisverfahren eingeholte Gutachten können im Hauptsacheverfahren wegen Verspätung präkludiert sein (BGH IBR 2011, 310). b) Keine Rechtshängigkeit
25 Durch die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens wird die Angelegenheit nicht rechtshängig. Allerdings kann das Gericht der Hauptsache das Verfahren im Hinblick auf ein anhängiges selbständiges Beweisverfahren unter den Voraussetzungen des § 148 ZPO aussetzen (BGH NZBau 2007, 98). Auch eine Teilaussetzung ist unter den gleichen Voraussetzungen möglich (BGH IBR 2008, 125).
III. Eilverfahren gem. § 485 Abs. 1 ZPO 26 Das echte Eilverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO ist zulässig innerhalb und außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits. Zulässige Maßnahmen des Verfahrens nach § 485 Abs. 1 ZPO sind – die Vernehmung von Zeugen, – die Einnahme des Augenscheins, – die Begutachtung durch Sachverständigen (mit mündlicher oder schriftlicher Erläuterung). 1. Voraussetzungen
27 Voraussetzungen sind: – Zustimmung des Gegners, – Gefahr des Beweismittelverlusts oder – Gefahr der Erschwernis des Beweismittels. 2. Zuständiges Gericht
28 Ist ein Rechtsstreit bereits anhängig, ist der Antrag bei dem Prozessgericht zu stellen (§ 486 Abs. 1 ZPO). Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, richtet sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit jeweils nach der in der Hauptsache gegebenen Zuständigkeit (§ 486 Abs. 2 ZPO). Die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem Gegenstandswert (s. Rz. 67 ff.). In Fällen dringender Gefahr kann der Antrag auch beim Amtsgericht am Ort der Belegenheit des gefährdeten Beweismittels gestellt werden (§ 486 Abs. 3 ZPO). Für die örtliche Zuständigkeit gelten die allgemeinen Regeln, wobei es beim Streit über die Zuständigkeit allein auf den Vortrag des Antragstellers ankommt (§ 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO). 3. Antrag und Begründung
29 Der Antrag muss enthalten: – die Bezeichnung des Gegners (Kurzrubrum bei rechtshängigem Rechtsstreit), – die Bezeichnung der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, – die Bezeichnung der Zeugen oder der Beweismittel (Augenschein oder Sachverständigengutachten), – die Glaubhaftmachung der Tatsachen für die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts.
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M 7.2
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 32 Kap. 7
Typische Beispiele, in denen das Eilverfahren gem. § 485 Abs. 1 ZPO angebracht ist, sind Krankheit, sehr hohes Alter von Zeugen, zeitweilige Anwesenheit ansonsten im Ausland lebender Zeugen, die Begutachtung verderblicher Gegenstände oder solcher Zustände, deren alsbaldige Veränderung droht oder beabsichtigt ist.
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M 7.1 Eilverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO bei anhängigem Prozess
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An das Landgericht …. Antrag auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 1 ZPO In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantragen wir namens der Beklagten im Wege des selbständigen Beweisverfahrens die Vernehmung des Zeugen Li Hsin Yua, Schanghai, in der Zeit von Oktober 2017 bis Januar 2018 zu laden über das Institut für Maschinenbau der Technischen Universität … zu folgendem Beweisthema anzuordnen: (Es folgt die genaue Beweisfrage, die zu klären ist). Gründe: Der benannte Zeuge saß als Beifahrer im Fahrzeug der Beklagten zu 1). Er kann bezeugen, dass die Lichtzeichenanlage für diese auf Grün geschaltet war, als sie in die Kastanienallee einfuhr, worauf es dann zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Klägers kam. Glaubhaftmachung: anliegende eidesstattliche Versicherung der Beklagten zu 1) Der Zeuge war seinerzeit Student und hat Ende 2016 nach Abschluss seines Maschinenbaustudiums Deutschland verlassen. Nunmehr hat die Beklagte erfahren, dass er sich etwa von Oktober 2017 bis Januar 2018 an seinem früheren Institut im Rahmen eines Austauschprogramms aufhalten wird und über die Anschrift dieses Institut für eine Vernehmung zu laden ist. Der Antrag stützt sich auf § 485 Abs. 1 ZPO. Danach kann die Vernehmung von Zeugen angeordnet werden. Es ist zu besorgen, dass die Benutzung des Beweismittels erschwert wird, wenn sich der Zeuge erst wieder in der Volksrepublik China aufhält. Kosten: Gericht: 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1610 KV GKG. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; soweit der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits ist, wird die Verfahrensgebühr auf die entsprechende Gebühr des Rechtsstreits angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG).
M 7.2 Antrag nach § 485 Abs. 1 ZPO bei nicht anhängigem Rechtsstreit
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An das Amtsgericht … In Sachen … / … (Langrubrum, Bezeichnung der Parteien als „Antragsteller“ und „Antragsgegner“) beantragen wir gem. § 485 Abs. 1 ZPO im Wege der Beweissicherung durch richterliche Augenscheinseinnahme, hilfsweise durch Einholung eines Sachverständigengutachtens festzustellen: Das Grundstück des Antragstellers in … …-Weg Nr. … ist auf ca. 100 m2 durch Gülle aus einem defekten Güllewagen des Antragsgegners verunreinigt.
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Kap. 7 Rz. 33
Selbständiges Beweisverfahren
M 7.2
Gründe: Heute Morgen musste der Antragsteller feststellen, dass erhebliche Teile seines an ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück des Antragsgegners grenzenden Wohngrundstücks durch Gülle verunreinigt sind. Ein Güllewagen des Antragsgegners, der auf dem Nachbargrundstück stand, ist ausgelaufen. Da das Grundstück des Antragsgegners etwas oberhalb des Grundstücks des Antragstellers liegt, haben sich erhebliche Teile der Fracht auf das Unterliegergrundstück ergossen. Der Antragsteller muss befürchten, dass sein Zierrasen und seine Anpflanzungen geschädigt werden. Da der Antragsteller gehalten ist, zur Schadensminderung die Beeinträchtigung alsbald durch Bewässerung zu mindern, und da sich ohnehin im Laufe der Zeit durch Einflüsse der Witterung der derzeitige Zustand nicht mehr feststellen lassen wird, besteht die Gefahr des Beweismittelverlusts. Glaubhaftmachung: anliegende eidesstattliche Versicherung des Antragstellers Die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 486 Abs. 3 ZPO unabhängig von der Höhe des zu erwartenden Schadens, da ein Fall dringender Gefahr vorliegt. Kosten: Gericht: 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1610 KV GKG. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; soweit der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits wird, wird die Verfahrensgebühr auf die entsprechende Gebühr des Rechtsstreits angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG).
IV. Verfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO 33 Das in der Praxis bedeutsamere und weit verbreitete Verfahren ist in § 485 Abs. 2 ZPO geregelt. Als Gegenstand des Antrags ist ausschließlich die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über – den Zustand einer Person oder den Zustand oder den Wert einer Sache und/oder – die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels und/oder – den Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels. 1. Voraussetzungen
34 Einzige Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Darlegung eines rechtlichen Interesses. Dies ist gegeben, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Ausführungen zur Eilbedürftigkeit sind nicht erforderlich, § 485 Abs. 2 ZPO. 2. Zuständiges Gericht
35 Die sachliche und örtliche Zuständigkeit richtet sich jeweils nach der in der Hauptsache gegebenen Zuständigkeit (§ 486 Abs. 2 ZPO). Die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem Gegenstandswert (s. Rz. 67 ff.). In Fällen dringender Gefahr kann der Antrag auch beim Amtsgericht am Ort der Belegenheit des gefährdeten Beweismittels gestellt werden (§ 486 Abs. 3 ZPO).
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Praxistipp: Trotz dieser Sonderzuständigkeit der Amtsgerichte sollte der Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nur in Ausnahmefällen beim Amtsgericht eingereicht werden, da hierfür eine über das Beweismittelverlust- oder Beeinträchtigungsrisiko hinausgehende Dringlichkeit erforderlich ist.
37 Für die örtliche Zuständigkeit gelten die allgemeinen Regeln, es kommt beim Streit über die Zuständigkeit allein auf den Vortrag des Antragstellers an (§ 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 45 Kap. 7
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Wichtig: Wird nach Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens zwischen den Parteien der Rechtsstreit in der Hauptsache anhängig, bleibt das mit dem selbständigen Beweisverfahren bisher befasste Gericht solange weiter zuständig, bis das Gericht der Hauptsache eine Beweisaufnahme für erforderlich hält und deshalb die Akten des selbständigen Beweisverfahrens beizieht. Mit der Beiziehung der Akten wechselt die Zuständigkeit auf das Gericht der Hauptsache (BGH MDR 2005, 45).
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K
Praxistipp: Wenn die öffentliche Hand Auftraggeberin eines VOB/B-Vertrags ist, ist die Gerichtsstandsvereinbarung des § 18 Abs. 1 VOB/B auch im selbständigen Beweisverfahren zu beachten.
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3. Antrag und Begründung a) Antragsberechtigung Antragsberechtigt ist der Inhaber des Anspruchs, dessen Begründung die festzustellenden Tatsachen dienen, bzw. derjenige, der einen Anspruch abwehren will.
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b) Form Der Antrag ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen. Er unterliegt auch dann nicht dem Anwaltszwang, wenn das Landgericht zuständig ist (§ 78 Abs. 2 ZPO).
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c) Bestimmtheit Ein bestimmter Antrag, der die Beweisfrage formuliert, ist zwar nicht erforderlich; allerdings sind die Grenzen zu einem Ausforschungsbeweis zu beachten (BGH IBR 2012, 684; BVerfG NJW 2009, 1585). Demnach ist es für einen hinreichend bestimmten Antrag nicht ausreichend, dass der Antragsteller „ins Blaue“ hinein die Überprüfung einer Leistung durch einen Sachverständigen fordert. Der Antragsteller muss vielmehr seinen Beweisantrag durch Vortrag entsprechender Anknüpfungstatsachen insoweit substantiieren, dass der Verfahrensgegenstand zweifelsfrei abgrenzbar ist und der Sachverständige Art und Umfang der ihm übertragenen Tätigkeit einschätzen kann (OLG Nürnberg IBR 2009, 1089).
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Praxistipp: Die Formulierung des Beweisantrags im Bereich des privaten Baurechts, „ob eine Leistung fachgerecht ausgeführt wurde bzw. den anerkannten Regeln der Technik entspricht“ genügt diese Anforderungen ohne konkrete Beschreibung der Mangelerscheinung nicht. Ist hingegen zumindest die Mangelerscheinung konkret beschrieben, sind auch Fragen, wie eine Leistung fachmännisch einzuordnen ist und ob sie den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht, zulässig (OLG Karlsruhe IBRRS 2017, 483).
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Zudem empfiehlt es sich im Hinblick auf den zu erlassenden Beweisbeschluss in dem selbständigen Beweisverfahren dem zu bestellenden Sachverständigen durch überlegte und konkrete Antragstellung den Umfang der Beweisaufnahme vorzugeben. Möglich ist dies sowohl durch die Form der Frage als auch der Behauptung.
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d) Tatsachenbeschreibung Zur Beschreibung von Mängeln oder Schäden reicht nach der Symptomrechtsprechung des BGH 45 (BGH MDR 2005, 1403; MDR 2002, 1710) die Angabe des Mangels oder Schadens in seiner erkennbaren Erscheinungsform aus. Angaben zu Ursachen oder fachtechnisch richtige Bezeichnungen sind nicht erforderlich. Gegenstand des Verfahrens können nur Tatsachen, nicht Rechtsfragen sein (Zöller/Herget § 487 ZPO Rz. 4).
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Kap. 7 Rz. 46
46 K
Selbständiges Beweisverfahren
Praxistipp: Es ist dringend darauf zu achten, im Bereich des Bauvertragsrechts ausschließlich die Symptome eines Mangels/Schadens darzustellen und zu beschreiben und die Beweisaufnahme nicht durch Darstellung der vermuteten Ursache einzugrenzen oder durch einengende Formulierungen zu beschränken, da im letzteren Fall die verjährungshemmende Wirkung der Zustellung des Antrags auf Einleitung hierdurch ebenfalls eingeschränkt werden kann.
e) Rechtliches Interesse
47 Das rechtliche Interesse iS des § 487 Abs. 2 ZPO ist darzulegen. Hieran sind keine hohen Anforderungen zu stellen (s. Zöller/Herget § 485 ZPO Rz. 7a). Eine Schlüssigkeitsprüfung findet nicht statt (BGH MDR 2005, 162 = NJW 2004, 3488; s. aber OLG Schleswig IBR 2004, 478). Die Verjährungseinrede des Antragsgegners ist unbeachtlich (OLG Celle BauR 2003, 1076). Ist unstreitig eine Schiedsgutachtervereinbarung getroffen worden und ein Schiedsgutachten eingeholt worden, ist ein zur Verjährungshemmung gestellter Antrag unzulässig (OLG München IBR 2008, 486). Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass die Verjährungshemmung nicht der alleinige Zweck des Verfahrens sein darf.
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Praxistipp: Es ist bei der Darlegung des rechtlichen Interesses darauf zu achten, dass dieses sich auf (mindestens) einen der Tatbestände des § 485 Abs. 2 ZPO bezieht.
f) Glaubhaftmachung
49 Die Tatsachen, welche die Zulässigkeit des Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen, sind glaubhaft zu machen (§ 487 Nr. 4 ZPO). Glaubhaft zu machen ist das Interesse an der Tatsachenfeststellung, nicht die festzustellende Tatsache selbst. Bei Vertragsansprüchen erfolgt dies regelmäßig durch Vorlage der Vertragsurkunden. Liegen Urkunden darüber nicht vor, ist eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vorzulegen. g) Benennung des Sachverständigen
50 Es gibt kein Benennungsrecht bezüglich des Sachverständigen. Der Antrag kann den Namen des Sachverständigen enthalten, was dann als Anregung an das Gericht zu sehen, ist, diese Person zu benennen.
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Praxistipp: Obwohl kein Benennungsrecht des Antragstellers besteht, empfiehlt es sich dennoch, einen Sachverständigen bereits im Antrag auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens vorzuschlagen. Sofern der Antragsgegner diesem zustimmt, wird sich üblicherweise das Gericht dem nicht verwehren, so dass verfahrensverzögernde Auseinandersetzungen über die Person des zu bestellenden Sachverständigen, aber auch die Einholung zahlreicher Ergänzungsgutachten vermieden werden können.
4. Gegenantrag, Streitverkündung a) Anfechtung des stattgebenden Beschlusses
52 Der dem Antrag stattgebende Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Wird der Antragsgegner vor Erlass des Beschlusses angehört – zwingend ist das nicht – kann er allenfalls geltend machen, dass die Voraussetzungen des Verfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen oder aber der Antrag den Anforderungen im Hinblick auf dessen Bestimmtheit nicht genügt.
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Praxistipp: Es ist deshalb im selbständigen Beweisverfahren daran zu denken, dass ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nach Gutachtenerstellung gestellt werden kann (s. Zöller/ Herget § 492 ZPO Rz. 1). In diesem Antrag sind konkrete Beweistatsachen, zu denen der Sachverständige angehört werden soll, nicht zwingend zu benennen (BGH VersR 2007, 1697 = IBR 2007, 717). Wird eine mündliche Verhandlung – alsdann – anberaumt, besteht Anwaltszwang, Ulbrich
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 59 Kap. 7
wenn das Verfahren vor dem Landgericht stattfindet; anders bei Verhandlung vor dem beauftragten oder ersuchten Richter (Zöller/Herget § 492 ZPO Rz. 7). b) Einwendungen rechtlicher Art Rechtliche Bewertung der Tatsachen und Rechtsfolgenausspruch finden nicht statt. Materiell-recht- 54 liche Einreden werden nicht geprüft, sollten ggf. der Klarstellung halber jedoch erhoben werden.
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Praxistipp: Wenn eine im selbständigen Beweisverfahren festzustellende Tatsache unstreitig ist, 55 sollte dies vom Antragsgegner aus Kostengründen vorgetragen werden. In diesem Fall wäre das rechtliche Interesse an der Feststellung nicht gegeben, der Antrag unzulässig. Häufig ist allerdings bei unstreitigem Mangel die Art und Weise der Beseitigung oder der Kostenaufwand streitig. Dazu wäre dann das Beweisverfahren durchzuführen. Allerdings ist im Bereich des privaten Baurechts zu beachten, dass die Art der Nacherfüllung grundsätzlich nach Wahl des Unternehmers zu erfolgen hat, vgl. § 635 BGB.
c) Beweisantrag des Antragsgegners Der Antragsgegner kann seinerseits einen Beweisantrag stellen. In diesem Fall wird er selbst zum An- 56 tragsteller des Verfahrens und hat dessen Rechte und Pflichten (vgl. Zöller/Herget § 485 ZPO Rz. 3). Er muss ggf. den Vorschuss einzahlen und ist dem Antrag gem. § 494a ZPO ausgesetzt. Die eigene Antragstellung kann im Hinblick auf die Rechtswirkung des § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB wichtig sein (s. Rz. 5 f.).
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Praxistipp: Wegen der verjährungshemmenden Wirkung der Zustellung des Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB) sollte der Antragsgegner einen eigenen Gegenantrag mit gegenteiltiger Fragestellung einreichen, wenn er seinerseits Verjährung von Ansprüchen zu befürchten hat. Es ist ggf. durch Nachfrage bei Gericht sicherzustellen, dass der Gegenantrag alsbald zugestellt wird (§ 167 ZPO).
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d) Streitverkündung In vielen Fällen ist es notwendig, dass tatsächliche Feststellungen, aber auch die verjährungshem- 58 mende Wirkung gegenüber Dritten Wirkung entfalten. Dies ist insbesondere im Bereich des Bauvertragsrechts von essentieller Bedeutung, soweit beispielsweise ein Bauherr Mängel gegenüber einem Unternehmer feststellen lassen will, der seinerseits einen Subunternehmer mit den fraglichen Werkleistungen beauftragt hat. Aber auch aufgrund einer möglichen Gesamtschuld zwischen dem vom Bauherrn beauftragten Architekten und dem ausführenden Unternehmer kann eine Streitverkündung zur Hemmung der Innenausgleichsansprüche notwendig sein. Die Streitverkündung ist daher im selbständigen Beweisverfahren zulässig, mit der materiell-rechtlichen Wirkung der Verjährungshemmung und der prozessualen Wirkung des § 68 ZPO (vgl. Kap. 19 sowie BGH v. 5.12.1996 – VII ZR 168/95; BGH BauR 1998, 172). Allerdings wird erst im Nachfolgeprozess geprüft, ob die materiell-rechtlichen Wirkungen eingetreten sind. Auch die weitere Streitverkündung ist zulässig.
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Praxistipp: Die Streitverkündung ist so frühzeitig wie möglich auszusprechen. Insbesondere kann es zu spät sein, die Streitverkündung – wie früher häufig üblich – erst nach Vorliegen des Gutachtens auszusprechen. Denn das Berufungsgericht hat die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine neue Feststellung gebieten, zugrunde zu legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Der Streithelfer könnte nur nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO neue Tatsachen vortragen, und somit den Einwand erheben, der Rechtsstreit sei mangelhaft geführt worden (§§ 74 Abs. 3, 68 Hs. 2 ZPO).
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Kap. 7 Rz. 60
Selbständiges Beweisverfahren
60 Auch der Antragsteller selbst kann einem Dritten den Streit verkünden, wenn er für den Fall negativer Feststellungen bei diesem Rückgriff nehmen will. Unzulässig ist die Streitverkündung bei einer kumulativen Haftung, wenn also der Antragsgegner und der Dritte von vornherein nebeneinander, z.B. als Gesamtschuldner, haften (BGHZ 65, 127). Besteht allerdings nur die Möglichkeit, dass neben der kumulativen auch eine alternative Haftung in Betracht kommt, ist die Streitverkündung zulässig (BGH aaO und BGHZ 70, 187), etwa wenn der Antragsgegner ein Werkunternehmer und der Streitverkündete ein planender Architekt ist.
61 Der Streitverkündungsempfänger kann entscheiden, ob er dem selbständigen Beweisverfahren beitritt. Diese Erklärung unterliegt auch bei einem vor dem Landgericht eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren nicht dem Anwaltszwang (BGH IBR 2012, 554).
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Praxistipp: Grundsätzlich empfiehlt es sich, dem selbständigen Beweisverfahren beizutreten, da der Dritte nur in diesem Fall von dem Verfahrensfortgang informiert wird und Einfluss auf dessen Verlauf nehmen kann.
5. Mündliche Verhandlung
63 Im selbständigen Beweisverfahren findet keine obligatorische mündliche Verhandlung statt. Die Beweisaufnahme erfolgt nach den für die Aufnahme des betreffenden Beweismittels überhaupt geltenden Vorschriften (§ 492 ZPO). Soweit eine schriftliche Begutachtung durch Sachverständigen angeordnet ist, hat dieser gem. § 411 ZPO das schriftliche Gutachten auf der Geschäftsstelle niederzulegen. Es wird den Beteiligten zur Kenntnis übermittelt. Zwar kann das Gericht von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens anordnen (§ 411 Abs. 3 ZPO). Davon wird aber regelmäßig kein Gebrauch gemacht. Vielmehr obliegt es den Beteiligten zu entscheiden, wie weiter zu verfahren ist. Sie können Einwendungen erheben, Ergänzungsfragen etc. stellen (§ 411 Abs. 4 ZPO). Sobald sich eine Seite entsprechend geäußert hat, obliegt es dem Gericht, entweder eine schriftliche Ergänzung des Gutachtens anzuordnen oder mündliche Verhandlung zur Gutachtenerläuterung anzuberaumen. Es handelt sich dabei nicht um eine mündliche Verhandlung iS des §§ 128 ff. ZPO. Es herrscht auch vor dem Landgericht kein Anwaltszwang. Anträge werden nicht gestellt.
64 Ist eine Einigung zu erwarten, kann das Gericht von Amts wegen die Beteiligten gem. § 492 Abs. 3 ZPO zur mündlichen Erörterung laden und insbesondere einen Vergleich gerichtlich protokollieren. Damit bekommt das Verfahren Züge eines außer- bzw. vorgerichtlichen Schlichtungsverfahrens. Allerdings setzt das voraus, dass auch das Gericht umfassend mit der Streitmaterie vertraut ist, was nach der Ausgestaltung des Verfahrens idR nicht gegeben ist.
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Praxistipp: In geeigneten Fällen ist auf die Möglichkeit der Ladung zu einer mündlichen Erörterung zwecks Abschluss eines Vergleichs hinzuwirken. Wegen der Regelung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sollte auf die Protokollierung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gedrängt werden, wenn das Gericht erwägt, den Vergleich entsprechend der Regel des § 278 Abs. 6 ZPO zustandekommen zu lassen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ein im selbständigen Beweisverfahren geschlossene Vergleich nicht vollstreckungsfähig ist, da § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als vollstreckbare Vergleiche nur solche nennt, die gem. § 492 Abs. 3 ZPO zu richterlichem Protokoll genommen sind.
V. Gegenstandswert, Kostenerstattung 66 Die Kosten des Beweisverfahrens innerhalb eines anhängigen Rechtsstreits sind Kosten des – anhängigen – Rechtsstreits.
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Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 73 Kap. 7
1. Gegenstandswert a) Interesse des Antragstellers Der Zuständigkeits- und Gebührenstreitwert des Verfahrens gem. § 485 Abs. 2 ZPO richtet sich nach dem Interesse des Antragstellers an der Durchführung des Verfahrens (OLG Nürnberg IBR 2003, 709; OLG München IBR 2003, 518).
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Dabei kommt es regelmäßig auf die vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung behaupteten Tatsachen, auf den von ihm verfolgten Anspruch an. Es ist nicht die subjektive Einschätzung des Antragstellers, sondern die objektive Bewertung der mitgeteilten Tatsachen entscheidend (OLG Köln BauR 2003, 929). In der Praxis hat sich durchgesetzt, für die endgültige Streitwertfestsetzung auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens abzustellen, soweit dieses die Kosten beziffert (OLG Celle IBR 2008, 248). Ergibt sich im Verfahren, dass nicht alle vom Antragsteller vorgetragenen Tatsachen bestätigt werden, so ist in Bezug auf die nicht bestätigten Tatsachen das Interesse des Antragstellers vom Gericht zu schätzen (OLG Celle aaO).
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b) Bemessung Es ist der volle Wert zugrunde zu legen und nicht etwa ein Bruchteil des vollen Werts (BGH MDR 2005, 162 = NJW 2004, 3488; OLG Braunschweig BauR 2000, 1907).
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2. Kostenerstattung Im selbständigen Beweisverfahren findet – weil keine Kostengrundentscheidung ergeht – keine Kostenerstattung statt. Der Antragsteller hat die Gerichtskosten (Gebühren und Sachverständigenentschädigung) als Veranlassungsschuldner zu tragen. Außergerichtliche Kosten trägt jede Seite selbst.
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a) Bei nachfolgendem Verfahren Es ist zu unterscheiden nach Streitgegenstand und Parteien sowie dem Gegenstandswert des selbständigen Beweisverfahrens einerseits und des Prozesses andererseits.
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aa) Gleicher Streitgegenstand Erhebt der Antragsteller – oder der Antragsgegner – im Anschluss an das Beweisverfahren Klage und 72 sind die Parteien und der Gegenstand des Prozesses mit denjenigen des Beweisverfahrens identisch, sind die Kosten des Beweisverfahrens Kosten des Prozesses, wenn das Beweisergebnis in den Prozess eingeführt wird (§ 493 ZPO) wird, unabhängig davon, ob es verwertet wird (BGH MDR 2004, 1372). Identität der Streitgegenstände liegt bereits dann vor, wenn nur Teile des Streitgegenstands eines selbständigen Beweisverfahrens zum Gegenstand der anschließenden Klage gemacht werden (BGH NJW 2006, 2557 = MDR 2006, 1075). Identität des Streitgegenstands liegt auch bei Klagen zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsempfänger vor (Zöller/Herget § 91 ZPO Rz. 13 „selbständiges Beweisverfahren“; KG MDR 2002, 1453). Das gilt auch bei weiterer Streitverkündung (OLG Frankfurt v. 5.2.2008 – 5 U 151/06). Die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens stellen Gerichtskosten des Hauptsacheverfahrens dar (BGH NJW 2006, 2557 = MDR 2006, 1075). Deshalb werden sie bei im Urteil ausgesprochener oder im Vergleich vereinbarter Kostenaufhebung geteilt. Wird eine Klage zurückgenommen, dann werden die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens von der Kostengrundentscheidung gem. § 269 Abs. 3 ZPO erfasst (BGH MDR 2007, 554). bb) Fehlende oder nicht vollständige Identität Falls der Streitgegenstand eines Nachfolgeprozesses nicht vollständig mit dem Gegenstand des selb- 73 ständigen Beweisverfahrens übereinstimmt, etwa weil sich Teile der Mängelbehauptungen nicht bestätigt haben oder vorab beseitigt worden sind, wird aus Gründen der Prozessökonomie im Rahmen Ulbrich
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Kap. 7 Rz. 74
Selbständiges Beweisverfahren
der Kostenentscheidung des Rechtsstreits insgesamt über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens entschieden, auch hinsichtlich des „überschießenden“ Teils (BGH NJW 2005, 294; BGH MDR 2006, 1075 = NJW 2006, 255). Gegebenenfalls ist nach § 96 ZPO zu verfahren. Die entsprechende Kostengrundentscheidung im Nachfolgeprozess kann im Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr korrigiert werden (BGH MDR 2006, 1075 = NJW 2006, 255; BGH NJW 2004, 312 = MDR 2004, 137).
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Praxistipp: Der Beklagte sollte schon mit der Klageerwiderung auf § 96 ZPO verweisen!
cc) Mehrere Antragsgegner
75 Leitet ein Auftraggeber zur Feststellung eines Mangels ein selbständiges Beweisverfahren gegen zwei Antragsgegner ein und verklagt er alsdann einen der beiden als für den Mangel allein Verantwortlichen, sind die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens insgesamt notwendige Gerichtskosten des Hauptsacheverfahrens (BGH NJW-RR 2004, 1651 = MDR 2005, 87). b) Ohne nachfolgendes Verfahren aa) Kostenentscheidung bei Unzulässigkeit des Antrags
76 Ausnahmsweise kann auf Antrag des Antragsgegners eine Kostengrundentscheidung im Beweisverfahren ergehen, falls der Beweissicherungsantrag vor Erlass eines Beweisbeschlusses zurückgenommen oder als unzulässig zurückgewiesen wird (OLG München BauR 1998, 592) oder falls der Antragsteller den Antrag zurücknimmt oder das Verfahren nicht weiter betreibt (OLG Karlsruhe, IBR 2008, 1298). Eine im selbständigen Beweisverfahren unzulässige einseitige Erledigterklärung ist regelmäßig in eine Antragsrücknahme mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO umzudeuten. Dies gilt auch dann, wenn das Beweissicherungsinteresse zum Zeitpunkt der Erklärung entfallen war (BGH IBR 2011, 1468; BGH IBR 2011, 312). bb) Materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch
77 Falls sich an das Verfahren nach dessen Durchführung kein Prozess anschließt, bestehen folgende Möglichkeiten: Der Antragsteller kann, soweit sich seine Behauptungen bestätigt haben, die ihm entstandenen Kosten (Anwaltskosten, Gerichtskosten, Sachverständigengebühren) nach allgemeinen materiell-rechtlichen Regeln geltend machen, etwa aus dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB). Die Geltendmachung erfolgt dann im Wege einer selbständigen Klage. Ohne materiellrechtliche Anspruchsgrundlage kann er die Kosten nicht verfolgen. Vor Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens sollte deshalb der Antragsgegner tunlichst in Verzug (§ 286 BGB) gesetzt werden, um die Kosten des Verfahrens als Verzugsschaden geltend machen zu können (§ 280 Abs. 2 BGB). cc) Antrag gemäß § 494a ZPO
78 Der Antragsgegner kann, soweit sich nach seiner Auffassung die Behauptungen des Antragstellers nicht bestätigt haben oder aus anderen Gründen eine Hauptsacheklage keine Aussicht auf Erfolg hat, den Antrag stellen, dem Antragsteller eine Frist zur Klageerhebung in der Hauptsache zu setzen (§ 494a ZPO). Lässt der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens jene Frist ungenutzt verstreichen, werden ihm durch Beschluss die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt. Hierzu zählen sowohl die angefallenen Gerichtskosten sowie die durch die gerichtliche Beauftragung eines Sachverständigen angefallenen Sachverständigenkosten. Auch die Kosten eines während eines selbständigen Beweisverfahrens eingeholten privaten Sachverständigengutachten können gem. § 494a Abs. 2 ZPO erstattungsfähig sein (BGH MDR 2013, 494 = NJW 2013, 1820).
79 Der Antrag unterliegt auch vor den Landgerichten nicht dem Anwaltszwang (OLG Schleswig BauR 1996, 590; OLG Braunschweig OLGR 1997, 71; aA OLG Zweibrücken MDR 1995, 744 = BauR 1995, 94
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M 7.3
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 83 Kap. 7
587; Zöller/Herget § 494a ZPO Rz. 6 mN des Streitstands). Auch der Streithelfer des Antragsgegners kann diesen Antrag stellen, er ist jedoch unzulässig, wenn der Antragsgegner ihm widerspricht (BGH NJW 2005, 294 = MDR 2005, 296). Haben die Parteien einen Vergleich mit Kostenregelung getroffen, ist ein davon abweichender Antrag des Streithelfers ebenfalls unzulässig (BGH NJW 2005, 294 = MDR 2005, 296). dd) Unzulässigkeit des Antrags nach § 494a ZPO Unzulässig ist der Antrag, wenn die im selbständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel beseitigt 80 wurden (BGH MDR 2003, 454). Wegen missbräuchlicher Ausübung kann der Antrag nach § 494a ZPO zurückgewiesen werden, zB wenn der Antragsgegner vermögenslos verstorben ist und deshalb wirtschaftliche Gründe gegen die Erhebung einer (der Sache nach erfolgversprechenden) Klage sprechen (OLG Rostock BauR 1997, 169). Ferner ist der Antrag unzulässig, solange im Werklohnprozess des Antragsgegners gegen den Antragsteller ein Mangelanspruch des Antragstellers zur Aufrechnung gestellt wird (BGH MDR 2006, 167). ee) Reaktion des Antragsgegners auf Fristsetzung nach § 494a ZPO
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Der Antragsteller hat grundsätzlich drei Möglichkeiten zu reagieren: – nicht reagieren und die Kostenentscheidung gegen sich ergehen lassen, – Klage erheben oder – die Unzulässigkeit des Antrags geltend machen. Nach dem Wortlaut würde nur eine Klage mit gleicher Zielrichtung wie das Beweisverfahren die Anforderung des § 494a ZPO erfüllen. Dazu zählt auch eine Widerklage (BGH MDR 2003, 1130). Wird die Klage nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist, aber noch vor Erlass der Kostenentscheidung erhoben, darf letztere nicht mehr ergehen (BGH MDR 2007, 1089 = NJW 2007, 335). Rechnet der Antragsteller des Beweisverfahrens in einem Passivprozess mit Forderungen auf, bezüglich derer er das Beweisergebnis verwerfen will, oder macht er gestützt auf das Beweisergebnis ein Zurückbehaltungsrecht geltend, ist dies ebenfalls eine Maßnahme, welche dem Erlass einer Kostenentscheidung entgegensteht (BGH MDR 2006, 167).
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VI. Typische Verfahrensanträge
M 7.3 Antrag eines Bestellers wegen Bauwerksmängeln, Bauträgervertrag, Mängel des Sondereigentums An das Landgericht … … / … (Langrubrum, Bezeichnung der Parteien als „Antragsteller“ und „Antragsgegner“) Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens Vorläufiger Streitwert: 8.500 Euro Wir zeigen die Vertretung des Antragstellers an. Namens und im Auftrag des Antragstellers beantragen wir unter gleichzeitiger Einzahlung eines Kostenvorschusses für den Sachverständigen iHv. … Euro im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ff. ZPO ohne mündliche Verhandlung das schriftliche Gutachten eines Sachverständigen für Mängel an Fenstern über folgende Tatsachen einzuholen: 1. Bei den von der Antragsgegnerin beim Bauvorhaben … straße … in … in der im Sondereigentum des Antragstellers stehenden Wohnung, im Aufteilungsplan mit Nummer 8 bezeichnet, eingebauten Fenstern bilden sich Wasserlachen auf der Innenseite unter den geschlossenen Fenstern. 2. Aus dem Fensterrahmen im Wohnzimmer links und im Schlafzimmer sind Holzteile herausgebrochen.
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Kap. 7 Rz. 83
Selbständiges Beweisverfahren
M 7.3
3. Welches sind die Ursachen für die technischen Mängel? Liegt ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik vor? 4. Welche Maßnahmen sind zur Beseitigung der festgestellten technischen Mängel erforderlich? 5. Welche Kosten entstehen für die Beseitigung der technischen Mängel einschließlich der eingetretenen Folgeschäden? Als Sachverständigen wird … vorgeschlagen. Herr … ist bislang weder mit dem Bauvorhaben in irgendeiner Weise beschäftigt gewesen noch kennt er einen der Beteiligten. … Begründung: I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin haben am … einen Bauträgervertrag über die Errichtung und den Verkauf der im Aufteilungsplan mit der Nummer 8 bezeichneten Wohnung geschlossen. Glaubhaftmachung: Vertrag vom … Das Objekt ist hinsichtlich des Sondereigentums übergeben worden. Bereits kurz nach Übergabe der streitgegenständlichen Wohnung, zeigten sich Wasserlachen auf der Innenseite der im Auftrag der Antragsgegnerin eingebauten Fenster. Ebenso musste der Antragsteller feststellen, dass auf der Innenseite des Fensterrahmens im Wohnzimmer links und im Schlafzimmer Holzteile herausgebrochen waren. Beides hat der Antragsteller der Antragsgegnerin mit Schreiben vom … angezeigt und diese zur Mängelbeseitigung aufgefordert. Glaubhaftmachung: Schreiben vom … Die Antragsgegnerin hat die Mängel nicht beseitigt und die Restfertigstellung nicht veranlasst. Die Antragsgegnerin fordert von dem Antragsteller noch eine Restrate von 8.500 Euro. Glaubhaftmachung: Schreiben der Antragsgegnerin vom … Die Antragsteller wollen diesen Betrag bis zur Restfertigstellung und Mängelbeseitigung zurückbehalten. Sie behalten sich darüber hinaus vor, die Mängel auf Kosten der Antragsgegnerin beseitigen zu lassen. II. Das Landgericht ist zuständig, weil es zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre (§ 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das angerufene Gericht ist örtlich zuständig. Für wechselseitige Ansprüche aus einem Bauwerkvertrag ist ein einheitlicher Erfüllungsort am Ort des Bauvorhabens gegeben (BGH NJW 1986, 935). Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts folgt daraus, dass der voraussichtliche Streitwert bei über 5.000 Euro liegt. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach dem rechtlichen Interesse der Antragsteller. Dies ist darauf gerichtet, die deutlich über 5.000 Euro liegende Restforderung von 8.500 Euro derzeit nicht ausgleichen zu müssen. Ob die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten den Gegenstandswert bestimmen, wenn sie darüber hinausgehen, kann dahingestellt bleiben. Das rechtliche Interesse ergibt sich aus der Tatsache, dass die Antragsteller einerseits mit einer Zahlungsforderung für Restvergütung konfrontiert sind und andererseits die Beseitigung vorhandener Mängel erwirken wollen. Beglaubigte und einfache Abschrift anbei. Kosten: Gericht: 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1610 KV GKG. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; soweit der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits ist oder wird, wird die Verfahrensgebühr auf die entsprechende Gebühr des Rechtsstreits angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG).
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M 7.5
K
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 86 Kap. 7
Praxistipp: Im Sinne der Symptomrechtsprechung sollte in Nr. 1 nicht beantragt werden, dass die Fenster undicht sind. Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass es sich um Kondensat handelt. Der Sachverständige würde in seiner Beurteilung ggf. zu sehr auf eine bestimmte Fragestellung eingeengt.
M 7.4 Antrag eines Arbeitnehmers auf Feststellung, dass Arbeitsräume nicht
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ausreichend beheizbar sind An das Arbeitsgericht1 … … / … (Langrubrum, Bezeichnung der Parteien als „Antragsteller“ und „Antragsgegner“) beantragen wir namens des Arbeitnehmers … (Antragsteller), gem. § 485 Abs. 2 ZPO ein schriftliches Sachverständigengutachten eines vom Gericht zu bestellenden Gutachters über folgende Tatsachen einzuholen: Die Büroräume der Firma … (Antragsgegnerin) sind im Winter nur unzureichend beheizbar. … Der Antragsteller fürchtet um eine Gesundheitsschädigung und erwartet entweder Maßnahmen zur Verbesserung der Beheizbarkeit oder eine Umsetzung in andere Räume. Daraus ergibt sich sein rechtliches Interesse, vgl. LAG Hamm NZA-RR 1997, 103. … Kosten: Gericht: 0,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 8400 KV GKG. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; soweit der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits ist oder wird, wird die Verfahrensgebühr auf die entsprechende Gebühr des Rechtsstreits angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG). 1 Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts und die Zulässigkeit des Verfahrens ergeben sich aus § 486 Abs. 2 ZPO, §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, 46 Abs. 2 ArbGG, § 495 ZPO.
M 7.5 Antrag eines Mieters von Wohnraum auf Feststellung, dass die Mieträume
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mit Mängeln behaftet sind, zur Vorbereitung einer Mietzinsminderung oder Aufrechnung mit Aufwendungsersatz (vgl. M 78.15 und M 78.16) An das Amtsgericht1 … … / … (Langrubrum, Bezeichnung der Parteien als „Antragsteller“ und „Antragsgegner“) beantragen wir namens des (Mieters), gem. § 485 Abs. 2 ZPO ein schriftliches Sachverständigengutachten über folgende Tatsachen2 einzuholen: Die Wohnzimmerdecke der Wohnung … ist im Bereich der westlichen Außenwand großflächig mit Schimmelpilz befallen. Das Gutachten soll sich auch auf den Umfang der dadurch verursachten Nutzungsbeeinträchtigung sowie die erforderlichen Beseitigungsmaßnahmen und die damit verbundenen Kosten erstrecken. Begründung: … Kosten: Gericht: 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1610 KV GKG. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; soweit der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits ist oder wird, wird die Verfahrensgebühr auf die entsprechende Gebühr des Rechtsstreits angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG).
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Kap. 7 Rz. 87
Selbständiges Beweisverfahren
M 7.6
1 Zuständig ist das Amtsgericht, §§ 485 Abs. 2 ZPO, 23 Nr. 2a GVG. 2 Unzulässig wäre eine Frage nach der anzusetzenden Mietminderung, weil das die Beantwortung von Rechtsfragen umfasst, aA KG NJW-RR 2000, 513. Deshalb werden Tatsachenfragen gestellt. Das Maß der Nutzungsbeeinträchtigung ist eine Tatfrage, die für die Ermittlung des Minderungsbetrages von erheblicher Bedeutung ist, diese aber nicht vorwegnimmt.
87 Ein Werkunternehmer kann unter mehreren Gesichtspunkten Interesse an einer Beweissicherung haben. Er kann Mängel insgesamt bestreiten oder den behaupteten Mängelbeseitigungsaufwand in Frage stellen. Er kann ein Interesse daran haben, feststellen zu lassen, dass keine wesentlichen Mängel vorliegen und damit die Abnahme nicht verweigert werden darf (§ 640 Satz 2 BGB).
88 Das nachfolgende Formular geht davon aus, dass ein Werkunternehmer für Fliesenarbeiten seinerseits Feststellungen über von den Bestellern behauptete Mängel treffen lassen will. Sein Interesse ist darauf gerichtet, den restlichen Werklohn zu erhalten, der ihm bislang unter Hinweis auf Mängel vorenthalten wird. Er geht davon aus, dass gewisse Mängel der Leistung vorhanden sind. Anders als die Besteller meint er jedoch, dass die Mängel, soweit sie bestehen, nur geringfügiger Art sind. Zwar kann dies verbindlich im selbständigen Beweisverfahren nicht festgestellt werden, da es sich letztlich um eine wertende Rechtsfrage handelt. Der Sachverständige jedoch kann verwertbare (§ 493 ZPO) Aussagen über die Art und Weise der Mängelbeseitigung und die damit verbundenen Kosten treffen, aus denen die Parteien dann die Schlüsse hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Beseitigungsaufwendungen ziehen können. Im Antrag werden die Mängelbehauptungen möglichst so, wie sie von den Bauherren vorgerichtlich eingewandt worden sind, aufgeführt.
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Praxistipp: Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung zum 1.1.2018 besteht daneben die Möglichkeit, ähnliche Rechtsfolgen auch durch eine fiktive Abnahme gem. § 640 Abs. 2 BGB oder eine gemeinsame oder einseitige Zustandsfeststellung bei Verweigerung der Abnahme gem. § 650g BGB zu erzielen.
90 M 7.6 Selbständiges Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO auf Antrag eines
Werkunternehmers An das Amtsgericht … … / … (Langrubrum, da kein Verfahren anhängig ist) Antrag auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens Vorläufiger Streitwert: … Euro Wir zeigen die Vertretung des Antragstellers an. Namens und im Auftrag des Antragstellers beantragen wir unter gleichzeitiger Einzahlung eines Kostenvorschusses für den Sachverständigen iHv. … Euro im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ff. ZPO ohne mündliche Verhandlung das schriftliche Gutachten eines Sachverständigen für Schäden an Sanitärarbeiten über folgende Tatsachen einzuholen: 1. Im Bad des Hauses … in … sind die Fliesenarbeiten mangelfrei durchgeführt. Von den Antragsgegnern werden die nachfolgend dargestellten technischen Mängel behauptet, die jedoch nicht bestehen: – Der Fuß des WC-Beckens habe keine waagerechte, allseitige Auflage. Die Standsicherheit sei ungenügend gewährleistet. – Im Türbereich sei die eingebaute Messingschiene nicht stark genug gewählt, die Schnittkante der Bodenfliese stehe mit scharfem Rand über der Messingschiene. Es bestehe Verletzungsgefahr im Fußbereich. …
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M 7.6
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 91 Kap. 7
Sollten die unter Ziffer 1 behaupteten technischen Mängel tatsächlich vorliegen, beantragen wir auch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens eines Sachverständigen zu folgenden Tatsachen: 1. Welches sind die Ursachen für die technischen Mängel? 2. Welche Maßnahmen sind zur Beseitigung der festgestellten technischen Mängel erforderlich? Ist hierfür die Komplette Neuherstellung der Fliesenarbeiten notwendig? 3. Welche Kosten entstehen für die Beseitigung der technischen Mängel einschließlich der eingetretenen Folgeschäden? Als Sachverständigen wird … vorgeschlagen. Herr … ist bislang weder mit dem Bauvorhaben in irgendeiner Weise beschäftigt gewesen, noch kennt er einen der Beteiligten. Begründung: Die Antragstellerin hat Fliesenarbeiten im Bad des Hauses … in … durchgeführt. Die Antragsgegner behaupten nunmehr die im Antrag genannten Mängel und verlangen deshalb vollständige Neuherstellung der Fliesenarbeiten. Glaubhaftmachung: Schreiben der Antragsgegner vom … Die Antragstellerin räumt zwar gewisse Ungenauigkeiten ein, geht davon aus, dass es sich um ganz geringfügige Mängel handelt, die die Abnahmefähigkeit des Werks nicht beeinträchtigen. Das rechtliche Interesse der Antragstellerin ergibt sich daraus, dass die Parteien unterschiedliche Auffassungen über die Schwere vorhandener Ungenauigkeiten der Fliesenarbeiten haben. Die Antragsgegner verlangen die vollständige Neuherstellung, die Antragstellerin ist bereit, gewisse Nacharbeiten durchzuführen und den Antragsgegnern ggf. darüber hinaus eine angemessene Minderung für verbleibende, nicht mehr mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu beseitigende Mängel anzubieten. Feststellungen des Sachverständigen können geeignet sein, den Parteien die Kriterien an die Hand zu geben, um über eine sachgerechte außergerichtliche Lösung zu verhandeln. Kosten: s. Anm. zu M 7.5.
Das folgende M 7.7 geht davon aus, dass bei mehreren möglichen Verursachern eines Bauwerksman- 91 gels nicht geklärt ist, welcher der Beteiligten allein oder gemeinschaftlich mit anderen für den Mangel verantwortlich ist. Dabei ist nicht auszuschließen, dass ein Beteiligter nach Abschluss des Verfahrens, soweit er entlastet wurde, den Antrag nach § 494a ZPO stellt, mit den entsprechenden Kostenfolgen für den Antragsteller. Deshalb wird der Antrag als solcher gegen einen „Hauptverdächtigen“ gerichtet und den übrigen der Streit verkündet. Das ist nur möglich, soweit nicht die Beteiligten kumulativ haften, zB als Gesamtschuldner (s. Rz. 45). Es muss zumindest denkbar sein, dass der Streitverkündete für Teile des Streitgegenstandes alternativ haftet. Das ist, soweit sich der Antrag gegen einen Werkunternehmer richtet, in Bezug auf die Haftung des Planers gegeben. Denn der planende Architekt oder Ingenieur haftet in Höhe seiner internen Quote für die Planungsverantwortlichkeit uneingeschränkt. Diese Möglichkeit der alternativen Haftung ist ferner gegeben, wenn zwei Unternehmer alternativ für ein Mangelsymptom verantwortlich sein können, wie im Musterfall angenommen zwischen Dachdecker (mögliche Dachundichtigkeit) und Fassadenbauer (möglicher Kondensatanfall in Folge unzureichender Wärmedämmung). Dieses Verfahren reduziert das Kostenrisiko erheblich, denn die Streitverkündeten können zwar den Beitritt auf der Seite des Antragsgegners erklären, haben aber nicht das Recht zur Stellung eines Antrags nach § 494a ZPO mit dem Ziel, den Antragsteller zur Erhebung einer Klage gegen sich selbst zu zwingen (OLG Koblenz NJW-RR 2003, 880). Bei Beteiligung mehrerer in Betracht kommender Verantwortlicher ist in besonderem Maße auf die sorgfältige Beschreibung des geltend gemachten Mangels nach der Symptomatik zu achten. Damit wird das Risiko verringert, dass der Sachverständige nur eingeschränkte UntersuchunUlbrich
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Kap. 7 Rz. 92
M 7.7
Selbständiges Beweisverfahren
gen – also nur in Bezug auf eine mögliche Mangelursache – vornimmt. Ferner ist darauf zu achten, dass Fragen nach Tatsachen gestellt werden und der Sachverständige nicht veranlasst wird, Wertungen vorzunehmen. Im Text wird deshalb ganz bewusst formuliert, dass die Antragstellerin in die Lage versetzt werden soll, ihrerseits Schlüsse darauf zu ziehen, wer für den Mangel verantwortlich ist.
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Praxistipp: Beim Vorgehen nach M 7.7 ist darauf zu achten, dass die Voraussetzungen der Streitverkündung vorliegen, der Streitverkündungsgegner also alternativ zum Antragsgegner haftet. Andernfalls droht Verjährung gegenüber dem Streitverkündeten; außerdem tritt keine Interventionswirkung ein!
93 M 7.7 Selbständiges Beweisverfahren zur Ermittlung des für einen Mangel
Verantwortlichen gem. § 485 Abs. 2 ZPO mit Streitverkündung An das Landgericht …. Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens und Streitverkündung Der …, vertreten durch den Vorstand, – Antragstellerin – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den Dachdeckermeister …, Inhaber Firma … Bedachungen, – Antragsgegner – Voraussichtlicher Gegenstandswert: … Euro Wir zeigen die Vertretung der Antragstellerin an. Namens und im Auftrag der Antragstellerin beantragen wir unter gleichzeitiger Einzahlung eines Kostenvorschusses für den Sachverständigen iHv. … Euro im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ff. ZPO ohne mündliche Verhandlung das schriftliche Gutachten eines Sachverständigen für Mängel an Gebäuden über folgende Tatsachen einzuholen: 1. Im Anschlussbereich Flachdach/Fassade des dritten Obergeschosses des Verwaltungsgebäudes … der Antragstellerin tritt überwiegend in der kalten Jahreszeit Wasser im Inneren des Gebäudes auf. 2. …. 3. Welches sind die Ursachen für die technischen Mängel? Liegt ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik vor? 5. Welche Maßnahmen sind zur Beseitigung der festgestellten technischen Mängel erforderlich? 6. Welche Kosten entstehen für die Beseitigung der technischen Mängel einschließlich der eingetretenen Folgeschäden? Als Sachverständigen wird … vorgeschlagen. Herr … ist bislang weder mit dem Bauvorhaben in irgendeiner Weise beschäftigt gewesen noch kennt er einen der Beteiligten. Gleichzeitig verkünden wir 1. dem Architekten …, 2. dem Beratenden Ingenieur … und 3. der Firma Stahlbau … den Streit mit der Aufforderung, diesem Verfahren auf Seiten der Antragstellerin beizutreten.
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M 7.8
Selbständiges Beweisverfahren
Rz. 94 Kap. 7
Begründung: Die Antragstellerin ließ im Jahre … ihr Verwaltungsgebäude in … neu erstellen. Mit der Objektplanung Gebäude, Planung einschließlich Objektüberwachung betraute sie den Streitverkündeten zu 1). Glaubhaftmachung: Vertrag vom …, Anlage K 1 Die Tragwerksplanung sowie die Beratung zum Wärmeschutz einschließlich Wärmeschutznachweis übertrug sie dem Streitverkündeten zu 2). Glaubhaftmachung: Vertrag vom …, Anlage K 2 Auf Basis der Vorgaben der Streitverkündeten zu 1 und 2 wurden die Dach- und Fassadenarbeiten vergeben. Der Antragsgegner erhielt den Zuschlag für die Dachdichtungsarbeiten des Flachdachs und führte nachfolgend die Arbeiten aus. Glaubhaftmachung: Vertrag vom …, Anlage K 3 Die Streitverkündete zu 3) wurde mit der Ausführung der Stahl-Glas-Fassade betraut. Glaubhaftmachung: Vertrag vom …, Anlage K 4 Der Streitverkündete zu 1) überwachte die Arbeiten des Antragsgegners und der Streitverkündeten zu 3), der Streitverkündete zu 2) hatte im Vorfeld angegeben, welche kritischen Punkte er im Hinblick auf die Ausführung kontrollieren wollte, und wurde demgemäß punktuell hinzugezogen. Am (…) wurden die Dachdichtungs-, am … die Fassadenarbeiten abgenommen. Alle Beteiligten haben ihre Vergütungen inzwischen erhalten. Vorwiegend in der kalten Jahreszeit kommt es immer wieder zu starker Tropfenbildung bis hin zu regelrechtem Abtropfen, an Frosttagen bilden sich sogar kleine Eiszapfen, praktisch im Zwickel zwischen aufgehender Wand und Decke. Antragsgegner und Streitverkündete vertreten jeweils die Auffassung, nicht dafür verantwortlich zu sein, und schieben die Verantwortung auf die jeweils anderen. Die Antragstellerin geht derzeit davon aus, dass es sich um eine Dachundichtigkeit infolge handwerklicher Fehlleistungen des Antragsgegners handelt. Nicht auszuschließen ist aber eine unzureichende Wärmedämmung der Fassade; es können allerdings auch Planungsfehler des Architekten und/oder des Tragwerksplaners mit- oder alleinursächlich sein. Sollte es sich um einen Planungsfehler des Streitverkündeten zu 1) und/oder des Streitverkündeten zu 2) handeln, müsste die Antragstellerin bei dem Betreffenden Rückgriff nehmen. Sollte die Ursache des Wassereintritts nicht in Undichtigkeiten des Daches, sondern in einer fehlerhaften Ausführung der Fassade zu suchen sein, müsste die Antragstellerin bei der Streitverkündeten zu 3) Rückgriff nehmen. Vier beglaubigte und einfache Abschriften anbei. Kosten: s. Anm. zu M 7.5; die Streitverkündung hat keinen Einfluss auf die Kosten.
M 7.8 Antrag nach § 494a ZPO
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An das Landgericht … … / … (Kurzrubrum zum Aktenzeichen des Selbständigen Beweisverfahrens) … beantrage ich, dem Antragsteller eine Frist zur Klageerhebung gegen den Antragsgegner zu 2) zu setzen (§ 494a Abs. 1 ZPO).
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Kap. 7 Rz. 95
Selbständiges Beweisverfahren
M 7.9
Begründung: Das Selbständige Beweisverfahren ist mit Übersendung des schriftlichen Gutachtens vom … abgeschlossen, nachdem die Beteiligten mehrere Wochen danach keine Anträge zur Ergänzung des Gutachtens oder zur Befragung des Sachverständigen gestellt haben. Nunmehr sind bereits vier Monate verstrichen. Im Anschluss an die Feststellungen des Sachverständigen hat der Antragsgegner zu 1), Dachdeckermeister …, die Mängel der Dachdichtung beseitigt. Der Antragsgegner zu 2) als planender Architekt war für diese Mängel nicht (mit)verantwortlich. Seine Detailplanung des Wandanschlusses war sachgerecht. Der Antragsgegner zu 1) war von diesem Detail abgewichen. Der Antragsgegner zu 2) war mit der Bauüberwachung nicht beauftragt und konnte daher auf die fehlerhafte Ausführung keinen Einfluss nehmen. Kosten: Gericht: Durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 1610 KV GKG abgegolten; Anwalt: Der Antrag gehört zum selbständigen Beweisverfahren, daher keine besonderen Gebühren.
95 M 7.9 Reaktion auf Antrag nach § 494a ZPO An das Amtsgericht … … / … (Kurzrubrum) … widersprechen wir dem Antrag gem. § 494a ZPO und beantragen, diesen zurückzuweisen, hilfsweise ihn solange auszusetzen, bis das Verfahren mit umgekehrtem Rubrum … beim Amtsgericht … abgeschlossen ist. Begründung: Der Antrag ist rechtsmissbräuchlich. Beim Amtsgericht … ist mit umgekehrtem Rubrum ein Rechtsstreit anhängig. Der Antragsgegner klagt dort vermeintliche Mietrückstände gegen den Antragsteller ein. Der Antragsteller macht, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen, Mietminderung geltend. Das Amtsgericht hat über den Gegenstand des Selbständigen Beweisverfahrens zu entscheiden. Solange das Verfahren anhängig ist, ist ein Antrag nach § 494a ZPO rechtmissbräuchlich (OLG Nürnberg BauR 2000, 442). Begründung bei anderem Sachverhalt: Der Antragsgegner hat nach Vorlage des Gutachtens die Büsche zurückgeschnitten, die in den Bereich des Wegerechts hineingewachsen waren und nach Feststellung des Gutachters dem Antragsteller dessen Benutzung erheblich erschwert hatten. Das Ziel des Antragstellers, nachzuweisen, dass der Antragsgegner als Störer des Wegerechts zur Beseitigung der Beeinträchtigung verpflichtet war, ist damit erreicht. Eine Klage ist jetzt nicht mehr möglich und wäre unsinnig. Deshalb hat die Anordnung der Klageerhebung zu unterbleiben (vgl. OLG MDR 1999, 639; OLG Hamm MDR 1999, 1406; OLG Hamburg MDR 1998, 242). Kosten: Anwalt: Der Antrag gehört zum selbständigen Beweisverfahren, daher keine besonderen Gebühren.
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Zweiter Teil Mahnverfahren Kapitel 8 Mahnbescheid I. 1. 2. 3.
4. II. 1.
2.
Inhalt des Mahnverfahrens . . . . . . . . . . . . Formalisiertes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mahnfähiger Anspruch . . . . . . . . . . . . . b) Urkunden-, Wechsel- und Scheckmahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss des Mahnverfahrens . . . . . . . Wirkungen des Mahnbescheids . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . c) Zentrale Mahngerichte und maschinelle Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antragsgegner ohne allgemeinen Gerichtsstand im Inland . . . . . . . . . . . . M 8.1 Begründung der Zuständigkeit des zentralen Mahngerichts . . . . . e) Antragsteller ohne allgemeinen Gerichtsstand im Inland . . . . . . . . . . . . f) Arbeitsgerichtliches Mahnverfahren . . . . g) Mahnverfahren wegen familienrechtlicher Zahlungsansprüche . . . . . . . . . . . Mahnantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 6 7 7 9 12 18 22 22 22 23
3.
4. 5. III. 1. 2.
24 26 31 32 34 37 38
3. 4. 5. IV. 1. 2.
a) Vordruckzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelf gegen Zurückweisung des Mahnantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 8.2 Erinnerung gegen Zurückweisung des Mahnbescheidsantrags . . . . . . . Klageerhebung nach Zurückweisung des Mahnantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuzustellung des Mahnbescheids . . . . . . . Widerspruch gegen den Mahnbescheid . . Wirkungen des Widerspruchs . . . . . . . . . . Form und Inhalt des Widerspruchs . . . . . . M 8.3 Gesamtwiderspruch . . . . . . . . . . . . M 8.4 Gesamtwiderspruch mit Abgabeantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 8.5 Teilwiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verspäteter Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . Rücknahme des Widerspruchs . . . . . . . . . . Überleitung in das streitige Verfahren . . . Abgabe an das Streitgericht . . . . . . . . . . . . M 8.6 Abgabeantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsbegründung . . . . . . . . . . . . . . .
38 39 52 53 56 58 59 63 63 65 67 68 69 72 75 77 79 79 80 88
I. Inhalt des Mahnverfahrens 1. Formalisiertes Verfahren Das gerichtliche Mahnverfahren ist eine schnelle, einfache und kostengünstige Möglichkeit für den Gläubiger einer Geldforderung, sich einen Vollstreckungstitel zu verschaffen.
1
Anders als im Klageverfahren ist weder eine Anspruchsbegründung durch den Gläubiger noch eine Schlüssigkeitsprüfung durch das Gericht vorgesehen. Es handelt sich um ein streng formalisiertes Verfahren, welches in zunehmendem Maße der automatisierten Bearbeitung unterliegt.
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Seit dem 1.12.2008 können Rechtsanwälte oder registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids nur noch in maschinell lesbarer Form stellen (§ 690 Abs. 3 ZPO aF). Dies gilt auch für einen Antrag, den der Anwalt in eigener Sache stellt (BTDrucks. 16/3038, S. 40). Die vorgeschriebene maschinell lesbare Form bedeutet indes nicht, dass der Rechtsanwalt auf den online-Antrag verwiesen ist, der eine Signaturkarte erfordert. Vielmehr kann im sog. Barcodeverfahren mit Hilfe eines Internetformulars ein elektronischer Datensatz erstellt (www.online-mahnantrag.de), im Barcodeformat auf Standardpapier ausgedruckt, unterschrieben und per Post an das zuständige Mahngericht übermittelt werden. Auch hierbei handelt es sich um ei-
3
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Kap. 8 Rz. 4
Mahnbescheid
nen Antrag in maschinell lesbarer Form iS des § 690 Abs. 3 aF ZPO. Die Daten werden vom Gericht über Scanner (ohne manuelle Nachbearbeitung) erfasst, in das Host-Verfahren eingespielt und weitgehend automatisiert bearbeitet. Maschinell lesbare Anträge können auch im online-Mahnantrag als Datei (EDA-Datei) in der „Download-Variante“ oder über eine professionelle Mahnsoftware erstellt werden. Zur elektronischen Übermittlung der Anträge stehen die sicheren Übertragungswege nach § 130a Abs. 4 ZPO zur Verfügung, namentlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA und alle weiteren besonderen elektronischen Postfächer, wie beN, beBPo) und DE-Mail.
4 Dem nur maschinell lesbaren Mahnbescheidsantrag können keine Anlagen beigefügt werden. Erfordert die Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs die Bezugnahme auf weitere Unterlagen, die dem Antragsgegner noch nicht übermittelt wurden, ist das Mahnverfahren für die Verfolgung des Anspruchs ungeeignet (vgl. AG Hagen MDR 2008, 1294).
5 Ab dem 1.1.2018 gilt für Rechtsanwälte und Inkassodienstleister, dass neben dem Mahnbescheidsantrag auch die sog. „Folgeanträge“ in einer nur maschinell lesbaren Form dem Gericht übermittelt werden müssen (§ 702 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dies betrifft den Antrag auf Neuzustellung des Mahnbescheids, auf Erlass des Vollstreckungsbescheids und auf Neuzustellung des Vollstreckungsbescheids. Für diese „Folgeanträge“ dürfen die amtlichen Formulare von Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern nicht mehr genutzt werden. Ausgenommen davon ist bis zum 31.12.2019 noch der Widerspruch. Der Einspruch dagegen, für den ein maschinell lesbares Formular nicht besteht, kann aus diesem Grund auch weiterhin in nicht maschinell lesbarer Form übermittelt werden (BT-Drucks. 18/9416, S. 79). Die Verpflichtung zur Einreichung der maschinell-lesbaren Anträge im Mahnverfahren nach § 702 ZPO ist nicht zu verwechseln mit einer Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung nach § 130a ZPO bzw. § 130d ZPO, die zum 1.1.2018 noch nicht besteht. 2. Zweckmäßigkeit
6 Zweck des Mahnverfahrens ist u.a. in kurzer Zeit zu einem Vollstreckungstitel zu kommen. Das Mahnverfahren bietet jedoch nur dann Vorteile gegenüber der Klage, wenn zu erwarten ist, dass die Forderung vom Antragsgegner nicht bestritten wird. Wenn Einwendungen bereits vorliegen oder zu erwarten sind, führt ein dem Klageverfahren vorgeschaltetes Mahnverfahren in der Regel zu einer zeitlichen Verzögerung. Auch zum Zwecke der Verjährungshemmung kann das Mahnverfahren genutzt werden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB; vgl. BGH MDR 2009, 215). Um die Hemmung der Verjährung auszulösen, müssen die geltend gemachten Ansprüche hinreichend bezeichnet sein, soweit sich ihre Individualisierung nicht aus anderen Umständen ergibt (BGH MDR 2013, 1421; BGH MDR 2008, 1294). Mit der Beantragung des gerichtlichen Mahnverfahrens kann das obligatorische Schlichtungsverfahren umgangen werden (§ 15a Abs. 2 EGZPO). Es ist dann allerdings sorgfältig darauf zu achten, dass der Streitgegenstand genau bezeichnet wird. Fehler, die bei der Bezeichnung auftreten, können unmittelbar zu Haftungsfällen des Anwalts werden (vgl. BGH MDR 2001, 346). 3. Zulässigkeit a) Mahnfähiger Anspruch
7 Geltend gemacht werden können lediglich Ansprüche auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages in Euro (§ 688 Abs. 1 ZPO). Eine Streitwertgrenze gilt insoweit nicht.
8 Für den Fall, dass der Mahnbescheid im Ausland zuzustellen ist, vgl. Rz. 13. b) Urkunden-, Wechsel- und Scheckmahnverfahren
9 Wählt der Antragsteller eine dieser besonderen Verfahrensarten, so muss bereits im Antragsvordruck an entsprechender Stelle darauf hingewiesen werden.
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Rz. 18 Kap. 8
Die Urkunde (bzw. Wechsel, Scheck) muss im Mahnantrag bezeichnet sein. Die Beifügung der Urkunden ist untunlich. Erst wenn sich im Falle eines Widerspruchs ein Streitverfahren anschließt, sind diese Urkunden der Anspruchsbegründung in Urschrift oder Abschrift beizufügen (§ 703a Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
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Ein sich anschließendes Streitverfahren wird als Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess durchge- 11 führt. c) Ausschluss des Mahnverfahrens Ein Mahnverfahren findet nicht statt, wenn die Durchsetzung anderer Ansprüche als Zahlungsansprüche verfolgt wird. Hierzu zählen insbesondere Herausgabe- oder Unterlassungsansprüche.
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Geldforderungen in ausländischer Währung dürfen grundsätzlich nicht geltend gemacht werden. 13 Hiervon auszunehmen ist der Fall, dass die Zustellung des Mahnbescheids in einem „Vertrags- oder Mitgliedstaat“ des AVAG erfolgt, § 32 Abs. 1 Satz 2 AVAG (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz v. 19.2.2001 idF v. 30.11.2015). Für die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen im Ausland findet sich eine dem § 32 AVAG entsprechende Regelung in § 75 AUG (Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten v. 23.5.2011 idF v. 20.11.2015). In diesem Fall kann der Zahlungsanspruch in jeder ausländischen Währung angegeben werden. Wegen des Anspruchs eines Unternehmers aus einem Vertrag gem. §§ 491–504 BGB findet das Mahnverfahren nicht statt, wenn der nach §§ 492, 502 BGB anzugebende effektive oder anfänglich effektive Jahreszins den bei Vertragsabschluss geltenden Basiszinssatz um mehr als 12 Prozentpunkte übersteigt (§ 688 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Unzulässig ist der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ferner, wenn der Gläubiger selbst noch eine Leistung erbringen muss, bevor er vom Schuldner Zahlung verlangen kann (§ 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; vgl. OLG Stuttgart v. 30.1.2017 – 9 U 198/13). Ist der Aufenthalt des Schuldners unbekannt, so dass eine öffentliche Zustellung des Mahnbescheids erforderlich wäre, ist das Mahnverfahren nicht durchführbar (§ 688 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
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Wichtig: Die öffentliche Zustellung des Mahnbescheids ist unzulässig; der Vollstreckungsbescheid kann jedoch öffentlich zugestellt werden.
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Wird die Zustellung des Mahnbescheids im Ausland begehrt, findet das Mahnverfahren nur statt, soweit das AVAG oder das AUG (s. Rz. 13) dies vorsehen oder die Zustellung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erfolgen soll (§ 688 Abs. 3 ZPO). Dabei gilt das AUG ausschließlich für die grenzüberschreitende Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.
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Checkliste: Die Zustellung eines Mahnbescheids ist wegen Ansprüchen, die keine Unterhaltsforderungen darstellen, auf der Grundlage des AVAG zzt. in folgenden Ländern möglich:
17
l Allen Mitgliedstaaten der EU l Norwegen l Israel l Island l Schweiz 4. Wirkungen des Mahnbescheids Der Mahnbescheid ist eine gerichtlich vermittelte Zahlungsaufforderung des Antragstellers in Beschlussform. Dem Schuldner wird Gelegenheit gegeben, innerhalb von zwei Wochen seit der Zustel-
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lung entweder Haupt- und Nebenforderungen zu begleichen oder dem Anspruch zu widersprechen. Sollte der Schuldner durch den Gläubiger noch nicht in Verzug gesetzt worden sein, so gerät der Schuldner spätestens durch die Zustellung des Mahnbescheids in Verzug (§ 286 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Verjährung eines Anspruchs wird gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB durch die Zustellung eines Mahnbescheids gehemmt, sofern der mit dem Mahnbescheid angemahnte Anspruch hinreichend bestimmt ist (vgl. BGH MDR 2013, 1421). Das ist zB nicht der Fall, wenn der Mahnbescheid auf Rechnungen Bezug nimmt, die dem Mahngegner nicht zugegangen und auch nicht als Anlage dem Mahnbescheid beigefügt sind (BGH MDR 2008, 1294). Die Berufung auf eine durch Erlass eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mahnbescheidsantrag die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei (BGH MDR 2012, 363; OLG Stuttgart v. 30.1.2017 – 9 U 16/14). Bei Leistungen an Gesamtgläubiger ist der weitere Gesamtgläubiger als Nutzhaftender genau zu bezeichnen (BGH MDR 2008, 1294). Werden Teilbeträge geltend gemacht, sind diese konkret zu individualisieren (BGH MDR 2009, 215; BGH MDR 2011, 123).
19 Gemäß § 167 ZPO treten die genannten Wirkungen bereits mit dem Eingang des Mahnbescheidsantrags bei Gericht ein, wenn die Zustellung des Mahnbescheids demnächst erfolgt. Als demnächst erfolgt gilt die Zustellung des Mahnbescheids regelmäßig dann, wenn sie sich um nicht mehr als einen Monat verzögert (BGH MDR 2007, 45).
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Wichtig: Verzögerungen, die im gerichtsinternen Ablauf eintreten, schaden dem Antragsteller nicht, wenn er seinerseits alles getan hat, um die demnächstige Zustellung in die Wege leiten zu lassen (BGH MDR 2005, 754). Kann ein Mahnbescheid aufgrund einer nicht (mehr) zutreffenden Postanschrift dem Antragsgegner nicht zugestellt werden, gilt der Mahnbescheid als „demnächst“ zugestellt, wenn er binnen eines Monats – gerechnet ab Zugang der Benachrichtigung über die nicht erfolgte Zustellung – zugestellt wird (BGH NJW 2002, 2794). Die Rückwirkung nach § 167 ZPO setzt ihrerseits nicht voraus, dass ungeachtet der Rückwirkung Verjährung zum Zeitpunkt der Zustellung eingetreten wäre (BGH MDR 2008, 580).
21 Nach § 701 ZPO verliert der Mahnbescheid seine Wirkungen, wenn der Antragsteller nicht binnen sechs Monaten seit der Zustellung des Mahnbescheids den Erlass eines Vollstreckungsbescheids beantragt hat.
II. Verfahren 1. Zuständigkeit a) Sachliche Zuständigkeit
22 Das Mahnverfahren wird unabhängig von der Forderungshöhe von den Amtsgerichten durchgeführt (§ 689 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Funktionell zuständig ist der Rechtspfleger (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 RPflG). b) Örtliche Zuständigkeit
23 Für das Mahnverfahren ist grundsätzlich das Amtsgericht zuständig, bei dem der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt, ist ausschließlich zuständig für Mahnverfahren, wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Antragstellerin ist (§ 43 Nr. 6 WEG). Wird das Mahnverfahren zentral durchgeführt (s. Rz. 24), ist der Mahnbescheidsantrag an das Zentrale Mahngericht zu richten. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist im Mahnverfahren anwendbar (OLG Hamm v. 8.5.2017 – I-32 SA 27/17).
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Rz. 31 Kap. 8
c) Zentrale Mahngerichte und maschinelle Bearbeitung Auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung des § 689 Abs. 3 ZPO können Mahnverfahren einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte zugewiesen werden. Davon haben mittlerweile alle Bundesländer Gebrauch gemacht. Die zentralen Mahngerichte befinden sich in Aschersleben, Bremen, Coburg, Euskirchen, Hagen, Hamburg-Altona, Hünfeld, Mayen, Schleswig, Stuttgart, Uelzen und Berlin-Wedding (vgl. www.mahngerichte.de).
24
Die eingerichteten zentralen Mahngerichte bearbeiten die Mahnverfahren in der Regel maschinell, dh. EDV-unterstützt. Bei allen zentralen Mahngerichten können Mahnbescheidsanträge sowohl via Internet als auch im Barcodeverfahren (s. Rz. 3) gestellt werden.
25
d) Antragsgegner ohne allgemeinen Gerichtsstand im Inland Hat der Antragsgegner im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, so ist in § 703d ZPO eine besondere Zuständigkeitsregelung getroffen. Zum europäischen Zahlungsbefehl vgl. Kap. 99.
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Danach ist für das Mahnverfahren das Amtsgericht zuständig, welches für das streitige Verfahren zuständig wäre, wenn die Amtsgerichte im ersten Rechtszug sachlich unbeschränkt zuständig wären.
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Wichtig: Hat eine Zentralisierung der Mahnverfahren stattgefunden, ist diese auch insoweit zu beachten und der Mahnbescheidsantrag bei dem zentralen Mahngericht einzureichen, welches für das fiktive Prozessgericht zuständig wäre (BGH MDR 1994, 35). Ist der Mahnbescheid im Ausland zuzustellen, wird das Verfahren nicht maschinell bearbeitet. Auch findet der Vordruckzwang des § 703c Abs. 2 ZPO keine Anwendung.
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Die vom Antragsteller vorzunehmende Ermittlung des fiktiven Prozessgerichts orientiert sich im Regelfall an internationalen Übereinkommen, wie etwa dem CMR (vgl. OLG München NZV 2018, 331), dem Lugano-Übereinkommen (vgl. OLG Hamm (v. 8.5.2017 – 32 SA 27/17) oder – innerhalb der EU – an entsprechenden EU-Verordnungen, wie insbesondere der EuGVVO (s. Kap. 101 Rz. 4 ff.). Das so ermittelte zuständige Mahngericht kann das Mahnverfahren jedoch nur dann durchführen, wenn die Zustellung des Mahnbescheids in einem der in Rz. 16 und 17 genannten ausländischen Staaten oder in Deutschland erfolgen soll. Besteht keine internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts für das Klageverfahren, ist auch das Mahnverfahren in Deutschland ausgeschlossen. Die Zuständigkeitsbegründung ist dem Mahnantrag beizufügen. Wird die Zuständigkeit auf eine Gerichtsstandsvereinbarung gestützt, sind dem Mahnantrag die erforderlichen Schriftstücke über die Vereinbarung beizufügen (§ 32 Abs. 2 AVAG, § 75 Abs. 2 AUG).
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Praxistipp: Die Zuständigkeitsbegründung ist möglichst fest mit dem Mahnbescheidsantrag zu verbinden, um eine versehentliche Trennung auszuschließen. Gegebenenfalls auf einem Vorblatt vermerken, dass es sich um eine „Auslandssache“ handelt.
M 8.1 Begründung der Zuständigkeit des zentralen Mahngerichts
31
Anlage zum Mahnbescheidsantrag in Sachen … / … (Kurzrubrum) Der Antragsgegner hat seinen Wohnsitz in den Niederlanden und somit in einem Mitgliedstaat der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO nF). Das Amtsgericht … ist für das Mahnverfahren zuständig, da sich das fiktive Prozessgericht in dessen Zuständigkeitsbereich befindet. Die Zuständigkeit des Prozessgerichts ergibt sich gem. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO nF aus dem Erfüllungsort. Der Antragsgegner hat seine Verpflichtung (die Zahlung des Kaufpreises) gem. §§ 269, 270 BGB an dem Ort zu erfüllen, wo er zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Da der
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Mahnbescheid
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Schuldner zu diesem Zeitpunkt noch in Deutschland, und zwar in … gewohnt hat, wäre das Amtsgericht … auch für das streitige Verfahren zuständig. Nach § 703d Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt sich danach die Zuständigkeit des Amtsgerichts … für das Mahnverfahren.
e) Antragsteller ohne allgemeinen Gerichtsstand im Inland
32 Hat der Antragsteller im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, ist das Amtsgericht Wedding in Berlin ausschließlich für das Mahnverfahren zuständig (§ 689 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
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Wichtig: Haben sowohl Antragsteller als auch Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland, geht die Zuständigkeit des § 703d ZPO der Regelung des § 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor.
f) Arbeitsgerichtliches Mahnverfahren
34 Für Mahnverfahren über arbeitsrechtliche Ansprüche nach § 2 ArbGG ist das Arbeitsgericht zuständig, welches für die im Urteilsverfahren erhobene Klage zuständig wäre (§ 46a ArbGG).
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Praxistipp: Neben den „echten“ arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist auch nach einer Lohnpfändung vor dem Arbeitsgericht gegen den Drittschuldner vorzugehen, falls dieser den gepfändeten Lohn weiterhin an seinen Arbeitnehmer auszahlt, anstatt ihn an den Pfändungsgläubiger abzuführen.
36 Für das arbeitsgerichtliche Verfahren gelten folgende Besonderheiten: – Die Widerspruchsfrist beträgt abweichend von § 692 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine Woche (§ 46a Abs. 3 ArbGG). – § 702 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist nicht anzuwenden (§ 46a Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Demnach kann auch ein Anwalt den Mahnbescheidsantrag und die „Folgeanträge“ in nicht maschinell lesbarer Form stellen. Die Pflicht zur Verwendung von Formblättern besteht dagegen auch im arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren. – Die Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid beträgt eine Woche (§ 59 ArbGG). – Kostenvorschüsse werden nicht erhoben (§§ 6 Abs. 4, 9 Abs. 1 GKG). g) Mahnverfahren wegen familienrechtlicher Zahlungsansprüche
37 Die Vorschriften über das Mahnverfahren finden in Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) entsprechende Anwendung (§ 113 Abs. 2 FamFG). Als Streitgericht iS des § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist das zuständige Familiengericht anzugeben. Hinsichtlich der Zuständigkeit des Mahngerichts ergeben sich keine Besonderheiten. Innerhalb der Familienstreitsachen dürfte sich das Mahnverfahren jedoch allenfalls für Unterhaltsansprüche anbieten. Dabei ist zu beachten, dass nur die bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist fällig werdenden Ansprüche und weitere Rückstände verfolgt werden können. Künftige Ansprüche können dagegen im Mahnverfahren nicht tituliert werden. Weitere familienrechtliche Zahlungsansprüche können sich im Rahmen des Zugewinnausgleichs ergeben, wobei aber meist mit Widersprüchen zu rechnen sein wird und deshalb die unmittelbare Klageerhebung sinnvoller ist. Bei der grenzüberschreitenden Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ist das AUG zu beachten (vgl. Rz. 13).
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Rz. 43 Kap. 8
2. Mahnantrag a) Vordruckzwang Nach § 703c ZPO besteht für das Mahnverfahren die Verpflichtung, die vom BMJ eingeführten Vor- 38 drucke zu verwenden. Für die maschinelle Bearbeitung von Mahnverfahren sind derzeit Vordrucke eingeführt für den Antrag auf Erlass des Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheids, für den Widerspruch gegen den Mahnbescheid sowie für den Antrag auf Neuzustellung des Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheids (MaschMahnVordrV, zuletzt geändert durch Gesetzes v. 27.7.2001, BGBl. I, 1887). Die Verwendung des für den Widerspruch vorgesehenen Vordrucks ist nicht verpflichtend (§ 694 Abs. 1 ZPO). Keine Vordrucke sind derzeit für Mahnverfahren eingeführt, in denen der Mahnbescheid im Ausland oder nach Art. 32 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl. II 1961, 1183, 1218) zuzustellen ist (§ 1 Abs. 2 MaschMahnVordrV). Zu den Besonderheiten, die für Rechtsanwälte und Inkassodienstleister gelten, vgl. Rz. 3. b) Antragsinhalt
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Checkliste: Der Mahnbescheidsantrag muss folgende Angaben enthalten: l Bezeichnung der Parteien inklusive eventueller gesetzlicher Vertreter (§ 690 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO) l Bezeichnung des Prozessbevollmächtigten (§ 690 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO) l Bezeichnung des Gerichts, bei dem der Antrag gestellt wird (§ 690 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) l Bezeichnung des Anspruchs (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) l Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängig ist oder dass die Gegenleistung bereits erbracht ist (§ 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) l Bezeichnung des Gerichts, welches für ein streitiges Verfahren zuständig wäre (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) l Handschriftliche Unterzeichnung (§ 690 Abs. 2 ZPO), soweit keine Signaturkarte verwendet wird. Im Barcodeverfahren (s. Rz. 3) sowie bei der Antragstellung via Internet werden die notwendigen Angaben vom System angefordert und auf Plausibilität geprüft.
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Zu den Punkten im Einzelnen:
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Sind die Parteien des Verfahrens natürliche Personen, sind sie vollständig mit Vor- und Zunamen und kompletter Anschrift zu bezeichnen.
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Wichtig: Ohne Vornamen oder mit abgekürztem Vornamen kann ein Mahnbescheid nicht erlassen werden. Sollte daher der Name des Antragsgegners nicht vollständig bekannt oder die Anschrift nicht mehr aktuell sein, empfiehlt sich vor Antragstellung die Einholung einer Einwohnermeldeamtsauskunft. Zusätze, wie „bei Müller“ oder „c/o Fa. Schulze GmbH“, müssen immer hinter der Straßenangabe stehen und dürfen nicht hinter den Namen gesetzt werden. Sollten Vater und Sohn den gleichen Vor- und Zunamen tragen und ggf. sogar unter derselben Anschrift wohnhaft sein, sind unbedingt Zusätze wie „junior“ oder „sen.“ dem Nachnamen beizufügen. Das Geburtsdatum des Antragsgegners kann mangels entsprechenden Datenfeldes und aus Gründen des Datenschutzes nicht vermerkt werden. Firmen und juristische Personen sind stets unter vollständiger handelsregisterlicher Bezeichnung nebst der gesetzlichen Vertreter anzugeben.
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Bei juristischen Personen und Personengesellschaften ist der gesetzliche Vertreter anzugeben. Dabei ist zumindest die Organstellung, zB Geschäftsführer, zu benennen. Bei dem Antragsgegner kann uU
43
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Kap. 8 Rz. 44
Mahnbescheid
auf den Namen des gesetzlichen Vertreters verzichtet werden (vgl. BGH NJW 1993, 2813). Um Zustellungsprobleme zu vermeiden, sollte der Name jedoch – soweit bekannt – möglichst angegeben werden.
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Praxistipp: Hat eine GmbH oder eine Unternehmensgesellschaft keine Geschäftsführer, können die Gesellschafter als gesetzliche Vertreter benannt werden. An diese kann ebenso wie an den Geschäftsführer unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift zugestellt werden (§ 35 GmbHG). Ist eine Zustellung gleichwohl nicht möglich, sind die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung gegeben (§ 185 Nr. 2 ZPO), die allerdings für die Zustellung des Mahnbescheids nicht in Betracht kommt (§ 688 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
45 Der geltend gemachte Anspruch ist hinreichend zu individualisieren (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Dazu gehören neben dem Rechtsgrund (zB Warenlieferung) mindestens ein Entstehungs- bzw. Fälligkeitsdatum oder -zeitraum und der Betrag der Forderung.
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Wichtig: Zur notwendigen Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs kann auf entsprechende Schreiben, die dem Antragsgegner im Vorfeld übermittelt wurden, Bezug genommen werden. In diesen Schreiben müssen die Ansprüche detailliert aufgeführt werden. Kann der Zugang eines solchen Schreibens an den Antragsgegner nicht nachgewiesen werden, sind sie dem Antrag in Abschrift beizufügen (vgl. BGH MDR 2008, 1294). Den Anforderungen an eine Individualisierung des im Mahnbescheid bezeichneten Anspruchs kann unter bestimmten Umständen auch dann genügt sein, wenn zwar eine im Mahnbescheid in Bezug genommene Anlage weder diesem beigefügt noch dem Schuldner zuvor zugänglich gemacht worden ist, jedoch die übrigen Angaben im Mahnbescheid eine Kennzeichnung des Anspruchs ermöglichen. Das Erfordernis, einen angegebenen Gesamtbetrag bereits im Mahnbescheid hinreichend aufzuschlüsseln, besteht nur dann, wenn eine Mehrzahl von Einzelforderungen geltend gemacht wird. Anders liegt es, wenn Gegenstand des Mahnbescheids eine einheitliche Schadensersatzforderung ist, die sich aus mehreren unselbstständigen Rechnungsposten zusammensetzt (BGH MDR 2011, 123).
47 Ebenfalls zwingend sind Angaben zu Gegenleistungen hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs. Es ist anzugeben, ob der Anspruch von einer Gegenleistung nicht abhängt oder ob er von einer solchen abhängt, diese aber bereits erbracht ist.
48 Zu benennen ist auch das für das streitige Verfahren zuständige Prozessgericht. Es muss sich um ein inländisches Gericht handeln.
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Wichtig: Die Zuständigkeit des Streitgerichts ist gründlich zu prüfen, denn die durch die Abgabe an ein unzuständiges Prozessgericht entstehenden Mehrkosten der Verweisung sind in der Regel vom Antragsteller zu tragen. Zu beachten ist ebenfalls der Wechsel der Zuständigkeit im Falle des Verziehens des Antragsgegners im Laufe des Verfahrens.
50 Neben dem zwingenden Antragsinhalt kann der Mahnbescheidsantrag auch weitere Angaben zB bzgl. Zinsen, Auslagen und Nebenforderungen enthalten.
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Praxistipp: Die EDV-Programme, die im automatisierten Verfahren zur Prüfung des Gläubigerantrags verwendet werden, enthalten für Zinsen, Auslagen und Nebenforderungen Höchstbeträge. Diese sind nicht in allen Bundesländern identisch. Wird ein Höchstbetrag überschritten, erhält der Antragsteller eine entsprechende Benachrichtigung mit der Aufforderung, die Begründetheit seines Anspruchs nachzuweisen oder seinen Antrag zu korrigieren.
c) Kosten
52 Für das Verfahren auf Erlass eines Mahnbescheids wird vom Gericht eine 0,5-Gebühr erhoben, mindestens aber 32 Euro (Nr. 1100 KV GKG). Die Gebühr wird mit Einreichung des Antrags fällig (§ 6 110
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M 8.2
Mahnbescheid
Rz. 56 Kap. 8
GKG). Der Mahnbescheid soll erst nach Zahlung der dafür vorgesehenen Gebühr erlassen werden (§ 12 Abs. 3 Satz 1 GKG). Wird der Mahnbescheid maschinell erstellt, gilt dies erst für den Erlass des Vollstreckungsbescheids (§ 12 Abs. 3 Satz 2 GKG). Das Verfahren auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids ist gebührenfrei. Vor dem Arbeitsgericht ist das Verfahren auf Erlass eines Mahnbescheids gebührenfrei; für das Verfahren auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids entsteht eine 0,4-Gebühr, mindestens sind 26 Euro zu bezahlen (Nr. 8100 KV GKG). Der Anwalt erhält für die Vertretung des Antragstellers eine 1,0-Verfahrensgebühr, die auf die Verfahrensgebühr für einen nachfolgenden Rechtsstreit anzurechnen ist (Nr. 3305 VV RVG). Eine weitere 0,5-Verfahrensgebühr erhält der Vertreter des Antragstellers im Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids (Nr. 3308 VV RVG), wenn nicht fristgerecht Widerspruch gegen den Mahnbescheid erhoben wird. 3. Rechtsbehelf gegen Zurückweisung des Mahnantrags Falls der Mahnbescheidsantrag unzulässig ist (§ 688 ZPO), der Mahnbescheidsantrag beim unzu- 53 ständigen Gericht gestellt wurde (§ 689 ZPO), nicht den nach § 690 ZPO erforderlichen Inhalt hat, unklare oder unvollständige Angaben gemacht wurden bzw. ein falscher oder ungültiger Vordruck eingereicht wurde (§ 703c Abs. 2 ZPO), wird in der Regel zunächst eine entsprechende Beanstandung vonseiten des Mahngerichts erfolgen. Wird diese Beanstandung vom Antragsteller nicht oder nicht vollständig behoben, kann der Mahnbescheidsantrag vom Mahngericht zurückgewiesen werden (§ 691 Abs. 1 ZPO).
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Wichtig: Gegen die Zurückweisung des Mahnbescheidsantrags ist die befristete Rechtspfleger- 54 erinnerung nach § 691 Abs. 3 Satz 2 ZPO iVm. § 11 Abs. 2 RPflG gegeben. Das bedeutet, dass die Erinnerung binnen zwei Wochen nach Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses bei Gericht eingehen muss. Wird der Antrag in nur maschinell lesbarer Form übermittelt und vom Gericht mit der Begründung zurückgewiesen, dass diese Form dem Gericht für seine maschinelle Bearbeitung nicht geeignet erscheint, findet demgegenüber nach § 691 Abs. 3 Satz 1 ZPO die – sofortige – Beschwerde gem. § 11 Abs. 1 RPflG, § 567 ZPO statt.
Der Rechtspfleger kann der Erinnerung abhelfen. Andernfalls legt er die Sache dem Richter vor, der endgültig entscheidet (§ 11 Abs. 2 RPflG). Hilft der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde nicht ab, legt er sie unmittelbar dem Beschwerdegericht vor (§ 572 Abs. 1 ZPO).
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M 8.2 Erinnerung gegen Zurückweisung des Mahnbescheidsantrags
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An das Amtsgericht … Zu: … (Geschäftsnummer des Gerichts) In der Mahnsache … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen die Zurückweisung des Mahnbescheidsantrags vom …, mir zugestellt am …, Erinnerung ein. Das Mahngericht hat folgende Punkte beanstandet: … Zur Behebung der Beanstandung führe ich Folgendes aus: … Ich bitte daher der Erinnerung stattzugeben und den am … beantragten Mahnbescheid zu erlassen. Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG, besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
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Kap. 8 Rz. 57
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Mahnbescheid
Wichtig: Auch wenn ein Mahnbescheidsantrag zurückgewiesen wurde und eine Erinnerung zB wegen Fristablauf nicht mehr möglich ist, kann ein neuer Mahnbescheidsantrag unter Berichtigung der beanstandeten Punkte gestellt oder Klage eingereicht werden.
4. Klageerhebung nach Zurückweisung des Mahnantrags
58 Soll durch einen Mahnbescheidsantrag die Verjährung gehemmt oder eine Frist gewahrt werden, ist jedoch der Antrag wegen eines Mangels zurückgewiesen worden, kann binnen eines Monats nach Zustellung der Zurückweisung dieses Antrags Klage eingereicht werden. Wenn diese Klage demnächst zugestellt wird, tritt die Wirkung der Verjährungshemmung dann bereits mit der Einreichung des Antrags auf Erlass des Mahnbescheids ein (§ 691 Abs. 2 ZPO). Als demnächst zugestellt gilt die Klageschrift dann, wenn sie innerhalb von zwei Wochen erfolgt (BGH FamRZ 2004, 21; BGH MDR 2008, 641); s. aber auch Rz. 85. Mit der Vorlage eines neuen Mahnbescheidsantrags kann die Wirkung des § 691 Abs. 2 ZPO nicht erreicht werden. 5. Neuzustellung des Mahnbescheids
59 Kann die Zustellung des Mahnbescheids nicht erfolgen, weil der Antragsgegner zB unbekannt verzogen ist, erteilt das Mahngericht eine Nichtzustellungsnachricht, in der die Gründe der Unzustellbarkeit mitgeteilt werden.
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Wichtig: Das Mahngericht überprüft nicht die Richtigkeit der Nichtzustellungsgründe, sondern leitet sie lediglich so an den Antragsteller weiter, wie sie von dem Zusteller mitgeteilt werden. Überprüfen Sie die angegebenen Gründe und beantragen Sie – ggf. nach Ermittlung einer neuen Anschrift – die Neuzustellung. Im Neuzustellungsantrag kann ebenfalls ein durch den Umzug des Antragsgegners geändertes Prozessgericht oder ein zB durch Heirat begründeter neuer Name angegeben werden. Fügen Sie im Falle einer Namensänderung oder Namensberichtigung ggf. Nachweise, zB Einwohnermeldeamtsauskünfte, dem Neuzustellungsantrag bei.
61 Im maschinellen Mahnverfahren sind für die Neuzustellung Vordrucke eingeführt, die zwingend zu verwenden sind. Das farbige Formular ist der Nichtzustellungsnachricht beigefügt.
62 Zwischen der Nichtzustellungsnachricht und dem Eingang der seitens des Antragsstellers für eine neuerliche Zustellung zu liefernden Angaben bei Gericht darf in Anwendung des § 691 Abs. 2 ZPO ein maximaler Zeitraum von einem Monat liegen (BGH MDR 2008, 641; NJW 2002, 2794). Ansonsten entfällt die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnbescheidsantrags iS des § 691 Abs. 2 ZPO. Dasselbe gilt bei sonstigen Mängeln, zu deren Behebung der Antragsteller vom Mahngericht aufgefordert wird. Der entsprechenden Anwendung der Monatsfrist des § 691 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, wenn der Mahnantrag ursprünglich bei einem Gericht des unzutreffenden Rechtswegs eingereicht wird (BAG NJW 2018, 1038).
III. Widerspruch gegen den Mahnbescheid 1. Wirkungen des Widerspruchs
63 Der rechtzeitig eingelegte uneingeschränkte Widerspruch bewirkt, dass ein beantragter Vollstreckungsbescheid grundsätzlich nicht mehr erlassen werden darf. Wird der Widerspruch auf einen Teil des geltend gemachten Anspruchs beschränkt, kann ein Vollstreckungsbescheid erlassen werden; er muss sich jedoch auf den unwidersprochenen Teil beschränken.
64 Das Mahnverfahren kommt durch die Widerspruchseinlegung zum Stillstand. Wenn eine der beiden Parteien die Abgabe des Verfahrens an das Prozessgericht beantragt, wird in das streitige Verfahren übergeleitet, § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 112
Riedel
M 8.4
Mahnbescheid
Rz. 68 Kap. 8
2. Form und Inhalt des Widerspruchs Zwar sind sowohl im konventionellen Mahnverfahren als auch im maschinellen Mahnverfahren für 65 die Einlegung des Widerspruchs Vordrucke eingeführt, im Gegensatz zu allen anderen per Verordnung eingeführten Vordrucken ist deren Benutzung jedoch nicht zwingend. Ab 1.1.2020 können Anwälte und Inkassodienstleister Widersprüche in ausschließlich maschinell lesbarer Form erheben (§ 702 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Da die Widerspruchsvordrucke dem Mahnbescheid bereits beigefügt sind, erleichtert deren Benutzung lediglich die Widerspruchseinlegung. Geschäftsnummer und das Mahngericht sind bereits vorgedruckt, so dass diese nicht vergessen werden bzw. der Widerspruch versehentlich zu einem falschen Gericht gesandt werden kann. Das Gesetz sieht für den Widerspruch die Schriftform vor (§ 694 Abs. 1 ZPO). Der Widerspruch kann jedoch auch gegenüber einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden. Der Widerspruch sollte neben der Geschäftsnummer auf jeden Fall den Umfang des Widersprochenen deutlich machen. Bei anwaltlicher Vertretung hat der Prozessbevollmächtigte seine Vollmacht zu versichern (§ 703 ZPO). Wird der entsprechende Widerspruchsvordruck verwandt, ist diese Versicherung bereits enthalten.
66
M 8.3 Gesamtwiderspruch
67
In der Mahnsache … / … (Kurzrubrum) lege ich Gesamtwiderspruch ein. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird versichert. Kosten: Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG.
M 8.4 Gesamtwiderspruch mit Abgabeantrag
68
In der Mahnsache … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen den gesamten geltend gemachten Anspruch Widerspruch ein. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird versichert. Ich beantrage die Abgabe des Verfahrens. Vor dem Prozessgericht werde ich beantragen, die Klage abzuweisen. Hilfsweise beantrage ich, mir die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung zu gestatten. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG, auf die jedoch die 0,5 Gebühr nach Nr. 1100 nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 1210 KV GKG anzurechnen ist; die Gebühr entsteht mit Eingang der Akten bei dem Prozessgericht; Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG.
Riedel 113
Kap. 8 Rz. 69
Mahnbescheid
M 8.5
69 M 8.5 Teilwiderspruch In der Mahnsache … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen die Hauptforderung iHv. … Euro Widerspruch ein. Gleichzeitig wird den anteiligen Kosten und Zinsen widersprochen. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird versichert. Alternative: … Widerspreche ich den gesamten Kosten und Zinsen. Die Hauptforderung wird in voller Höhe anerkannt. … Alternative: … Widerspreche ich einem Teil der Hauptforderung iHv. … Euro sowie den gesamten Kosten und Zinsen. …
70 Der Widerspruch muss keine Begründung enthalten, jedoch kann eine Begründung uU eine Abgabe in das streitige Verfahren verhindern, wenn der Gläubiger sich durch die Begründung des Widerspruchs davon überzeugen lässt, dass der Anspruch zumindest zzt. nicht durchsetzbar ist.
71 K
Wichtig: Da unter Verwendung des Vordrucks eingelegte Widersprüche im maschinellen Mahnverfahren zum Teil mittels Belegleser der maschinellen Bearbeitung zugeführt werden, kann es zu Datenverlusten kommen, wenn außerhalb der vorgesehenen Felder Angaben gemacht werden. Widerspruchsbegründungen oder Zusatzangaben sollten deshalb auf einem mit dem Vordruck fest verbundenen Anlageblatt gemacht werden.
3. Frist
72 Die Frist zur Widerspruchseinlegung ist keine Ausschlussfrist. Allerdings sollte der Widerspruch möglichst binnen zwei Wochen nach Zustellung des Mahnbescheids bei Gericht erhoben werden. Diese zweiwöchige Frist des § 692 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist dem Antragsgegner stets gegeben, da in diesen zwei Wochen auf keinen Fall der Erlass eines Vollstreckungsbescheids beantragt werden kann. Der Widerspruch kann jedoch grundsätzlich so lange eingelegt werden, wie der Vollstreckungsbescheid bei Gericht noch nicht verfügt, also vom Rechtspfleger noch nicht in den Geschäftsgang gegeben ist.
73 K
Wichtig: Ein Widerspruch kann nicht vor Zustellung des Mahnbescheids eingelegt werden. Beispiel: Mahnbescheid gegen zwei Antragsgegner. Einer der beiden ist verzogen und der Mahnbescheid kommt von der Post als unzustellbar zurück. Er erfährt durch den Gesamtschuldner von dem Mahnbescheid gegen ihn. Vor erfolgter Zustellung an ihn selbst kann jedoch ein Widerspruch seinerseits nicht beachtet werden und er muss im Falle einer ordnungsgemäßen Zustellung ggf. erneut erhoben werden.
74 Ist die Zustellung des Mahnbescheids im Ausland erfolgt, beträgt die Widerspruchsfrist einen Monat (§ 32 Abs. 3 AVAG; § 75 Abs. 1 AUG). Im arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren beträgt die Widerspruchsfrist eine Woche (§ 46a Abs. 3 ArbGG).
114
Riedel
M 8.6
Mahnbescheid
Rz. 82 Kap. 8
4. Verspäteter Widerspruch Ein Widerspruch ist erst dann verspätet, wenn der Vollstreckungsbescheid bereits erlassen und in den Geschäftsgang gegeben wurde. Ein derart verspäteter Widerspruch ist als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zu behandeln (§ 694 Abs. 2 ZPO). Dem Antragsgegner, der den Widerspruch erhoben hat, ist diese Umdeutung mitzuteilen.
75
K
76
Wichtig: Auch wenn ein rechtzeitig eingegangener Widerspruch versehentlich vom Mahngericht nicht beachtet und fälschlicherweise ein Vollstreckungsbescheid erlassen wurde, erfolgt lediglich die Umdeutung in einen Einspruch. Der Vollstreckungsbescheid ist nicht unwirksam und etwa vom Mahngericht aufzuheben.
5. Rücknahme des Widerspruchs Der Widerspruch kann bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache zurückgenommen werden, allerdings nicht nach Erlass eines Versäumnisurteils (§ 697 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
77
Die Rücknahme hat zur Folge, dass der Mahnbescheid wieder Grundlage für einen Vollstreckungsbescheid sein kann. Auf entsprechenden Antrag hin kann Vollstreckungsbescheid erlassen werden, s. auch Kap. 9 Rz. 2.
78
IV. Überleitung in das streitige Verfahren 1. Abgabe an das Streitgericht Wird rechtzeitig Widerspruch erhoben und beantragt der Antragsteller oder der Antragsgegner die Durchführung des streitigen Verfahrens, gibt das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnbescheidsantrag bezeichnete Prozessgericht ab (§ 696 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO; vgl. Zöller/Seibel § 696 ZPO Rz. 5). Die Abgabe ist nicht bindend (§ 696 Abs. 5 ZPO).
79
M 8.6 Abgabeantrag
80
In der Mahnsache … / … (Kurzrubrum) wird nach Widerspruchseinlegung durch den Antragsgegner die Abgabe des Verfahrens an das im Mahnbescheid bezeichnete Amtsgericht/Landgericht … beantragt. Im Streitverfahren werde ich im Anschluss an den Mahnbescheid beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst … % Zinsen jährlich ab … zu zahlen. Die Gerichtskosten werden überwiesen. Die Anspruchsbegründung wird fristgemäß nachgereicht. Kosten: Die dem Anwalt im Mahnverfahren entstandene Gebühr wird auf die Verfahrensgebühr im nachfolgenden Rechtsstreit angerechnet (Anm. zu Nr. 3305 VV RVG).
Die Abgabe kann nur dann an ein anderes als das im Mahnbescheidsantrag bezeichnete Gericht erfolgen, wenn die Parteien übereinstimmend die Abgabe an dieses andere Gericht verlangen (§ 696 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Beantragt der Antragsteller die Abgabe, kann das Verfahren erst nach Zahlung des weiteren Gerichtskostenteils erfolgen. Wird dieser gezahlt, geht das Mahngericht davon aus, dass die Abgabe gewollt ist, auch wenn diese nicht ausdrücklich schriftlich beantragt wird.
81
Wenn der Antragsgegner die Abgabe beantragt, wird auch ohne Zahlung der Gerichtskosten für das streitige Verfahren die Sache abgegeben.
82
Riedel 115
Kap. 8 Rz. 83
Mahnbescheid
83 Der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens kann bereits im Mahnbescheidsantrag enthalten sein (§ 696 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
84 K
Wichtig: Da es nach Widerspruchsrücknahme, Rücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens und bei Nichtzahlung des weiteren Gerichtskostenteils zum Ansatz einer vollen Gebühr nach KV GKG Nr. 1211 kommt, sollte möglichst von einem standardmäßigen Ankreuzen des entsprechenden Feldes abgesehen werden (vgl. Salten MDR 1997, 612).
85 Die Streitsache gilt mit Zustellung des Mahnbescheids als rechtshängig, wenn sie alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wird (§ 696 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist alsbald abgegeben, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist (BGH MDR 2009, 582). Ansonsten tritt die Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten beim Prozessgericht ein (BGH aaO).
86 K
Wichtig: Dies ist für den Fall der Notwendigkeit, die Verjährungsfrist mit dem Mahnbescheid zu hemmen (§ 204 BGB), dringend zu beachten!
87 Richtet sich der Mahnbescheid gegen mehrere Antragsgegner, für die unterschiedliche Prozessgerichte zuständig sind, ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich auch noch zulässig, nachdem Widerspruch bzw. Einspruch eingelegt worden ist und die Verfahren daraufhin an die im Mahnbescheidsantrag angegebenen, für die Antragsgegner als zuständig bezeichneten Gerichte abgegeben worden sind (BGH (BGH MDR 2013, 1422). 2. Anspruchsbegründung
88 Die im Mahnbescheidsantrag enthaltenen schematisierten Angaben stellen keine ausreichende Grundlage für ein Streitverfahren – insbesondere für ein Versäumnisurteil – dar. Aus diesem Grund wird der Antragsteller nach Abgabe des Verfahrens vom Prozessgericht aufgefordert, den Anspruch binnen zwei Wochen zu begründen, sofern er dieses nicht schon mit dem Abgabeantrag beim Mahngericht verbunden hat (§ 697 Abs. 1 ZPO). Es müssen insbesondere der Sachverhalt, auf den die Forderung gestützt wird, dargestellt und Beweismittel angegeben werden. Zu ggf. bereits bekannten Einwendungen des Antragsgegners ist Stellung zu nehmen. Speziell im Scheck-, Wechsel- und Urkundenverfahren sind nun die entsprechenden Urkunden in Ur- oder Abschrift beizufügen (§ 703a Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 ZPO).
Kapitel 9 Vollstreckungsbescheid I. Antrag auf Erlass des Vollstreckungsbescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wartefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erlass des Vollstreckungsbescheids . . . . . . 1. Wirkungen des Vollstreckungsbescheids . . . III. Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116
Riedel
1 1 4 11 12 12 14
1. Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 9.1 Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung des Anspruchs durch den Antragsteller, Sachanträge . . . . . . . . . . . . . 3. Rücknahme des Einspruchs . . . . . . . . . . . . M 9.2 Einspruchsrücknahme . . . . . . . . . . . 4. Verwerfung des Einspruchs . . . . . . . . . . . .
14 20 21 22 23 24
Kap. 8 Rz. 83
Mahnbescheid
83 Der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens kann bereits im Mahnbescheidsantrag enthalten sein (§ 696 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
84 K
Wichtig: Da es nach Widerspruchsrücknahme, Rücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens und bei Nichtzahlung des weiteren Gerichtskostenteils zum Ansatz einer vollen Gebühr nach KV GKG Nr. 1211 kommt, sollte möglichst von einem standardmäßigen Ankreuzen des entsprechenden Feldes abgesehen werden (vgl. Salten MDR 1997, 612).
85 Die Streitsache gilt mit Zustellung des Mahnbescheids als rechtshängig, wenn sie alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wird (§ 696 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist alsbald abgegeben, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist (BGH MDR 2009, 582). Ansonsten tritt die Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten beim Prozessgericht ein (BGH aaO).
86 K
Wichtig: Dies ist für den Fall der Notwendigkeit, die Verjährungsfrist mit dem Mahnbescheid zu hemmen (§ 204 BGB), dringend zu beachten!
87 Richtet sich der Mahnbescheid gegen mehrere Antragsgegner, für die unterschiedliche Prozessgerichte zuständig sind, ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich auch noch zulässig, nachdem Widerspruch bzw. Einspruch eingelegt worden ist und die Verfahren daraufhin an die im Mahnbescheidsantrag angegebenen, für die Antragsgegner als zuständig bezeichneten Gerichte abgegeben worden sind (BGH (BGH MDR 2013, 1422). 2. Anspruchsbegründung
88 Die im Mahnbescheidsantrag enthaltenen schematisierten Angaben stellen keine ausreichende Grundlage für ein Streitverfahren – insbesondere für ein Versäumnisurteil – dar. Aus diesem Grund wird der Antragsteller nach Abgabe des Verfahrens vom Prozessgericht aufgefordert, den Anspruch binnen zwei Wochen zu begründen, sofern er dieses nicht schon mit dem Abgabeantrag beim Mahngericht verbunden hat (§ 697 Abs. 1 ZPO). Es müssen insbesondere der Sachverhalt, auf den die Forderung gestützt wird, dargestellt und Beweismittel angegeben werden. Zu ggf. bereits bekannten Einwendungen des Antragsgegners ist Stellung zu nehmen. Speziell im Scheck-, Wechsel- und Urkundenverfahren sind nun die entsprechenden Urkunden in Ur- oder Abschrift beizufügen (§ 703a Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 ZPO).
Kapitel 9 Vollstreckungsbescheid I. Antrag auf Erlass des Vollstreckungsbescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wartefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erlass des Vollstreckungsbescheids . . . . . . 1. Wirkungen des Vollstreckungsbescheids . . . III. Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Riedel
1 1 4 11 12 12 14
1. Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 9.1 Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung des Anspruchs durch den Antragsteller, Sachanträge . . . . . . . . . . . . . 3. Rücknahme des Einspruchs . . . . . . . . . . . . M 9.2 Einspruchsrücknahme . . . . . . . . . . . 4. Verwerfung des Einspruchs . . . . . . . . . . . .
14 20 21 22 23 24
Vollstreckungsbescheid
Rz. 10 Kap. 9
I. Antrag auf Erlass des Vollstreckungsbescheids 1. Zuständiges Gericht Der Vollstreckungsbescheid ist grundsätzlich bei dem Amtsgericht zu beantragen, welches den Mahnbescheid erlassen hat.
1
K
Wichtig: Ist das Verfahren bereits aufgrund Widerspruchs an das Streitgericht abgegeben worden, ist nach Widerspruchsrücknahme dieses Streitgericht für den Erlass des Vollstreckungsbescheids zuständig (§ 699 Abs. 1 Satz 3 ZPO).
2
Stellt sich im Laufe des Verfahrens heraus, dass der Mahnbescheid beim unzuständigen Gericht beantragt und erlassen wurde, kann das Mahnverfahren nicht fortgeführt werden. Der vom unzuständigen Gericht erlassene Mahnbescheid kann nicht Grundlage eines Vollstreckungsbescheids sein (BGH NJW 1990, 1119). Aus diesem Grund ist auch eine Fortführung des Verfahrens mit dem Vollstreckungsbescheidserlass beim eigentlich zuständigen Gericht ausgeschlossen. Das Verfahren kann nicht fortgeführt werden und ggf. ist eine Neubeantragung eines Mahnbescheids beim zuständigen Gericht erforderlich.
3
2. Form und Inhalt Sowohl im konventionellen als auch im maschinellen Mahnverfahren sind für den Antrag auf Erlass des Vollstreckungsbescheids Vordrucke eingeführt worden. Diese sind zwingend zu verwenden. Im konventionellen Mahnverfahren ist die dem Antragsteller übersandte Zustellungsnachricht gleichzeitig der Vollstreckungsbescheidsantrag. Anwälte und Inkassodienstleister können den Antrag ab 1.1.2018 nur in maschinell lesbarer Form stellen (§ 702 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
4
Der Antrag auf Erlass des Vollstreckungsbescheids hat gem. § 699 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 ZPO zwingend Angaben zu evtl. Zahlungen des Antragsgegners zu enthalten.
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Im konventionellen Mahnverfahren hat der Antragsteller die entstandenen Kosten zu berechnen und in den Vollstreckungsbescheidsantrag aufzunehmen.
6
K
Wichtig: Im maschinellen Mahnverfahren werden die angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten immer von Amts wegen ausgewiesen. Diese Kosten sind daher nicht noch einmal in den Vollstreckungsbescheidsantrag aufzunehmen. Gegebenenfalls kann die nachträgliche Festsetzung der Kosten beantragt werden (§§ 103 f. ZPO). Zuständig ist das Mahngericht (BGH MDR 2009, 589).
7
Darüber hinaus kann die Art der Zustellung beantragt werden, dh. ob der Vollstreckungsbescheid dem Antragsgegner von Amts wegen zugestellt oder ob der Vollstreckungsbescheid dem Antragsteller zur Parteizustellung übersandt werden soll.
8
K
Praxistipp: Die Parteizustellung kann dann sinnvoll sein, wenn eine Überraschungsvollstre- 9 ckung geplant ist. So kann der Gerichtsvollzieher gleichzeitig mit der Zustellung die Zwangsvollstreckung durchführen (§ 750 Abs. 1 ZPO).
Auf Antrag ist in den Vollstreckungsbescheid die Aussage aufzunehmen, dass die Kosten mit 5 Pro- 10 zentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, beginnend mit dem Tag des Erlasses des Vollstreckungsbescheids, zu verzinsen sind (§ 104 ZPO).
Riedel 117
Kap. 9 Rz. 11
Vollstreckungsbescheid
3. Wartefrist
11 Der Vollstreckungsbescheidsantrag darf erst nach Ablauf von zwei Wochen nach erfolgter Zustellung des Mahnbescheids an den Antragsgegner gestellt werden (§ 699 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 ZPO). Geht der Antrag vor Ablauf der Frist ein, ist dieser vom Gericht zurückzuweisen. Der Vollstreckungsbescheidsantrag kann jedoch erneut gestellt werden solange die Frist des § 701 ZPO nicht abgelaufen ist, s. Kap. 8 Rz. 21. Da im maschinellen Mahnverfahren die Angaben des verfrüht gestellten Vollstreckungsbescheidsantrags nicht gespeichert werden, müssen in dem erneuten Antrag, der wiederum per Vordruck zu stellen ist, alle Angaben wiederholt werden. Der Vollstreckungsbescheid darf auch dann nicht vorzeitig gestellt werden, wenn ein eingelegter Widerspruch vor Ablauf der Widerspruchsfrist zurückgenommen wird, da der Widerspruch jederzeit erneut eingelegt werden kann.
II. Erlass des Vollstreckungsbescheids 1. Wirkungen des Vollstreckungsbescheids
12 Der Vollstreckungsbescheid steht einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich (§ 700 Abs. 1 ZPO); und zwar unabhängig davon, ob der Vollstreckungsbescheid etwa deshalb zu Unrecht erlassen wurde, weil der Mahnbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde (BGH NJW 1984, 57). Dagegen ist ein Vollstreckungsbescheid mangels entsprechender gerichtlicher Prüfung nicht dazu geeignet, den Rechtsgrund der titulierten Forderung verbindlich festzulegen. So kann etwa mit einem Vollstreckungsbescheid das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO nicht erlangt werden (BGH FamRZ 2018, 132).
13 Ab Zustellung ist der Vollstreckungsbescheid ohne Weiteres vollstreckbar. Er bedarf nur dann einer Vollstreckungsklausel, wenn die Zwangsvollstreckung für einen anderen als den im Vollstreckungsbescheid bezeichneten Gläubiger oder gegen einen anderen als den im Vollstreckungsbescheid bezeichneten Schuldner durchgeführt werden soll (§ 796 Abs. 1 ZPO) oder die Zwangsvollstreckung im Ausland erfolgen soll (§ 31 AVAG; § 74 AUG; s. dazu auch Kap. 102 Rz. 41 ff.). Für die Erteilung der Vollstreckungsklausel bei Rechtsnachfolge ist das Gericht zuständig, das den Mahnbescheid erlassen hat (BGH NJW 1993, 3141).
III. Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid 1. Einspruch
14 Gegen den Vollstreckungsbescheid ist als einziges Rechtsmittel der Einspruch gegeben. Selbst wenn der Vollstreckungsbescheid insoweit zu Unrecht ergangen ist, zB ein Widerspruch übersehen wurde, die Zustellung des Mahnbescheids fehlerhaft oder gar das Mahngericht für die Durchführung des Mahnverfahrens unzuständig war, ist nicht eine Rechtspflegererinnerung, sondern nur ein Einspruch zulässig.
15 Der Einspruch ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung des Vollstreckungsbescheids einzulegen (§ 339 ZPO). Die Einspruchsfrist kann nicht verkürzt oder verlängert werden. Jedoch ist eine Wiedereinsetzung möglich. Die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar prozessunfähige Partei setzt die Einspruchsfrist in Gang (BGH MDR 2008, 762). Ist die Einspruchsfrist versäumt, kommt eine Widereinsetzung (Kap. 71) in Betracht; ggf. ist auch an eine Nichtigkeitsklage gem. § 579 Nr. 4 ZPO zu denken (Klagefrist des § 586 ZPO beachten; s. Kap. 73).
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Riedel
M 9.1
Vollstreckungsbescheid
Rz. 22 Kap. 9
Erfolgt die Zustellung im Ausland oder wird der Vollstreckungsbescheid durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt, ist die Einspruchsfrist vom Gericht nach § 339 Abs. 2 ZPO zu bestimmen. Im arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren beträgt die Einspruchsfrist eine Woche (§ 59 ArbGG).
16
Im Gegensatz zum Widerspruch gegen den Mahnbescheid (s. Kap. 8 Rz. 63 ff.), ist die Einspruchseinlegung auch vor erfolgter Zustellung des Vollstreckungsbescheids möglich.
17
Der Einspruch ist nicht an einen Vordruck gebunden. Das Einspruchsschreiben muss nach § 340 ZPO die Bezeichnung des Vollstreckungsbescheids, gegen den der Einspruch gerichtet ist, und die Erklärung, dass dagegen Einspruch eingelegt wird, enthalten. Der Einspruch muss keine Begründung enthalten (§ 700 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Er kann auf einen Teil des Anspruchs, auch auf Nebenforderungen, beschränkt werden. Der Einspruch kann immer – selbst wenn der Vollstreckungsbescheid nach Abgabe des Verfahrens vom Landgericht erlassen wurde – von der Partei selbst erklärt werden. Legt ein Prozessbevollmächtigter Einspruch ein, hat dieser nach § 703 ZPO seine Vollmacht zu versichern.
18
Das Gericht, das den Vollstreckungsbescheid erlassen hat, gibt nach Einspruchseinlegung das Verfah- 19 ren von Amts wegen an das im Mahnbescheid bezeichnete Prozessgericht ab (§ 700 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Die Abgabe ist nicht bindend (§ 696 Abs. 5 iVm. § 700 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Beantragen die Parteien übereinstimmend die Abgabe an ein anderes Gericht, dann an dieses (§ 700 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Eine Überprüfung vonseiten des Mahngerichts, ob der Einspruch zulässig, insbesondere fristgemäß ist, findet nicht statt.
M 9.1 Einspruch
20
An das Amtsgericht … Zu … (Geschäftszeichen des Amtsgerichts) In der Mahnsache … / … (Kurzrubrum) lege ich unter Versicherung meiner Bevollmächtigung durch den Antragsgegner gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom … zugestellt am … Einspruch ein. Kosten: Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG; die Gebühr ist auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits anzurechnen (Anm. zu Nr. 3307 VV RVG).
2. Begründung des Anspruchs durch den Antragsteller, Sachanträge Nach Abgabe des Verfahrens hat das Prozessgericht die Zulässigkeit des Einspruchs zu überprüfen. 21 Wird diese bejaht, ist, wie bei der Abgabe aufgrund eines Widerspruchs gegen den Mahnbescheid, der Kläger von der Geschäftsstelle des Prozessgerichts aufzufordern, seinen Anspruch innerhalb von zwei Wochen zu begründen (§§ 700 Abs. 3, 697 Abs. 1 ZPO), s. Kap. 8 Rz. 65. 3. Rücknahme des Einspruchs Der Antragsgegner kann den Einspruch ohne Zustimmung des Antragstellers bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurücknehmen (§ 346 iVm. § 516 Abs. 1 ZPO). Die Rücknahme kann schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Auch vor dem Landgericht kann die Rücknahme ohne Anwalt erklärt werden.
Riedel 119
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Kap. 9 Rz. 23
Vollstreckungsbescheid
M 9.2
23 M 9.2 Einspruchsrücknahme An das Amtsgericht … In Sachen … / … (Langrubrum/Kurzrubrum mit Aktenzeichen des Prozessgerichts) nehme ich meinen am … gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom … eingelegten Einspruch zurück. Kosten: Gericht: War das Verfahren noch nicht an das Prozessgericht abgegeben, verbleibt es bei der Gebühr für das Mahnverfahren. Ist wegen der Abgabe an das Prozessgericht die Verfahrensgebühr (Nr. 1210 KV GKG) bereits entstanden, ermäßigt sie sich auf 1,0 (Nr. 1211 KV GKG).
4. Verwerfung des Einspruchs
24 Vor jeder sonstigen Prozesshandlung hat das Prozessgericht zu prüfen, ob der Einspruch statthaft ist (§ 338 ZPO), ob die Form des § 340 ZPO gewahrt wurde und ob eine fristgerechte Einlegung erfolgt ist. Sollte ein Erfordernis nicht erfüllt sein, ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen (§ 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
120
Riedel
ZPO
ZPO
Erstes Buch Allgemeiner Zivilprozess Erster Teil Prozessverlauf A. Allgemeiner Prozessverlauf Kapitel 10 Prozesskostenhilfe I. Wirkung und Anwendungsbereich der Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen im Verhältnis zum Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stundung von Kosten und Gebühren . . b) Beiordnung eines Rechtsanwalts . . . . . c) Wirkungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Einzelnen . . . . . . . . 3. Wirkungen im Verhältnis zum Gegner . . . 4. Wirkungen im Verhältnis zum Anwalt . . . 5. Prüfungs- und Hinweispflicht des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflichten des Anwalts . . . . . . . . . . . . . b) Anspruch auf Vorschuss . . . . . . . . . . . 6. Anwendungsbereich der Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . b) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . 7. Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrag auf Gerichtskostenstundung . . . M 10.1 Gesuch um Gerichtskostenstundung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag auf Zustellung ohne Vorschusszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 10.2 Antrag auf Zustellung ohne Vorschusszahlung . . . . . . . . . . II. Wirkungen im Verhältnis zum Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen späterer Rechtshängigkeit, Wahrung prozessualer Fristen . . . . . . . . . a) Notfrist des § 276 Abs. 1 ZPO . . . . . . . M 10.3 Antrag des Beklagten bei Frist für die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft . . . . . . . . . . b) Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . .
1 1 4 6 7 10 22 25 32 32 34 35 35 44 51 51 52 53 54 55 55 63 63 64 68
M 10.4 Gesuch um Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Klagefristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Frist zur Klagerhebung . . . . . . . . . . . . e) Abänderungsklage . . . . . . . . . . . . . . . f) Vollstreckungsgegenklage, Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitpunkt der Antragsstellung . . . . . . . . . a) Im Hinblick auf die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen . . . . . . b) Bewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . a) Noch zu erhebende Klage . . . . . . . . . . M 10.5 Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ohne Klagerhebung . . . . . . . . . . . . . b) Gleichzeitige Klagerhebung . . . . . . . . . M 10.6 Prozesskostenhilfeantrag mit Klagerhebung . . . . . . . . . . . . . c) Klagerweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 10.7 Antrag auf Prozesskostenhilfe für Klagerweiterung . . . . . . . . M 10.8 Prozesskostenhilfeantrag für Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . d) Unbezifferte Klage (Schmerzensgeld) . e) Besonderer Terminsvertreter . . . . . . . . M 10.9 Beiordnung eines besonderen Terminsvertreters . . . . . . . . . . f) Berufungsverfahren, vor und nach Einlegung der Berufung . . . . . . . . . . . M 10.10 Prozesskostenhilfeantrag für den Berufungsbeklagten . . . . g) PKH-Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . h) Vergleich bei Prozesskostenhilfe und im Prozesskostenhilfeverfahren . . . . . .
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72 75 76 77 78 79 79 79 82 86 88 89 91 92 94 95 96 97 98 99 100 101 112 116
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2.
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M 10.11 Antrag auf Prozesskostenhilfeerweiterung bei Abschluss eines Vergleiches . . . . . . . . . . . i) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . j) Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse . . . . . . . . . Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . a) Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzusetzendes Einkommen . . . . . . . . c) Einzusetzendes Vermögen . . . . . . . . . . Beteiligung des Gegners . . . . . . . . . . . . . . M 10.12 Erwiderung auf den Prozesskostenhilfeantrag mit Klagbeantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 10.13 Erwiderung auf den Prozesskostenhilfeantrag bei gesonderter Klagbeantwortung . . . . . . . . . . . Erhebungen durch das Gericht . . . . . . . . . Sachliche Bewilligungsvoraussetzungen . Hinreichende Erfolgsaussicht . . . . . . . . . . Fehlende Mutwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungen des Gerichts . . . . . . . . . Sachlicher Umfang der Bewilligung . . . . . a) Bewilligung im Umfang des gestellten Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewilligung in eingeschränktem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidung über Kostenselbstbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung des Prozesskostenhilfebeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerderecht der Staatskasse . . . . . . . . Rechtsbehelfe des Antragstellers bei mangelnder Erfolgsaussicht . . . . . . . . . . . . . . a) Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . M 10.14 Beschwerde gegen Prozesskostenhilfeversagung . . . . . . . b) Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . M 10.15 Gegenvorstellung gegen Ablehnung der Prozesskostenhilfebeschwerde . . . . . . . . . . .
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3. Rechtsbehelfe des Antragstellers bei Ablehnung wegen fehlender Bedürftigkeit . . a) Bei mangelnder Darlegung der Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei angeblich fehlender Bedürftigkeit . M 10.16 Sofortige Beschwerde gegen Prozesskostenhilfeversagung wegen Verneinung der wirtschaftlichen Voraussetzungen 4. Rechtsbehelfe bei teilweiser Ablehnung . . 5. Erwiderung auf den Rechtsbehelf der Staatskasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Spätere Änderung des Prozesskostenhilfebeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufhebung der Prozesskostenhilfe . . . . b) Änderung der Prozesskostenhilfebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Eigenes Anfechtungsrecht des Anwalts . . . a) Wegen der Bedingungen seiner Beiordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wegen der Aufhebung seiner Beiordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wegen Nichteinziehung der Differenzgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bei Aufhebung des Prozesskostenhilfebeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Aufhebung der Beiordnung (Entbindung) a) Antrag des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . M 10.17 Antrag auf Aufhebung der Beiordnung . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . M 10.18 Antrag der – insoweit anwaltlich vertretenen – Partei auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . c) Anwaltsvergütung bei Entbindung . . . VIII. Weitere Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Aufhebung der Ratenzahlung nach Obsiegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Aufhebung, Änderung der Ratenzahlung bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . .
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I. Wirkung und Anwendungsbereich der Prozesskostenhilfe 1. Allgemeines
1 Prozesskostenhilfe (PKH, letzte Rechtsprechungsübersicht Nickel MDR 2018, 369) ist eine spezielle Form der Sozialhilfe auf dem Gebiet der gerichtlichen Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen. Sie dient der Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes, indem sie einer mittellosen Partei den Zugang zum Recht durch Aufhebung oder Herabsetzung finanzieller Barrieren ermöglicht. Die letzte maßgebliche Gesetzesänderung war das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht (BGBl. I 2013, 3533 ff.; Einführungen: Nickel MDR 2013, 890 ff.; Timme NJW 2013, 3057 ff.). Hierdurch wurden zahlreiche Vorschriften geändert. Die wichtigsten 124
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Stichworte: Gesetzliche Definition der Mutwilligkeit in § 114 Abs. 2 ZPO; Abschaffung der Tabelle in § 115 Abs. 2 ZPO; Anhörungsrecht des Gegners auch zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen; Ersatz des § 120 Abs. 4 ZPO aF durch den neuen § 120a ZPO mit erweiterten Möglichkeiten der Aufhebung der PKH in § 124 ZPO; damit verbunden stärkere Pflichten der bedürftigen Partei. Praxistipp: Neben der Prozesskostenhilfe ist immer an § 14 Nr. 3 a) und b) GKG zu denken. Hierdurch kann eine sofortige Zustellung einer Klage auch ohne Prozesskostenhilfe erreicht werden. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann später immer noch nachgereicht werden, vgl. Rz. 53.
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In analoger Anwendung des § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind darüber hinaus Reisekosten der PKH-Partei, die im Rahmen der Prozessführung notwendig werden (Nr. 9008 Nr. 2. KV GKG) auf der Grundlage bewilligter Prozesskostenhilfe auf Antrag vorzuschießen. Denkbar ist auch eine isolierte Bewilligung eines Reisekostenvorschusses ohne bewilligte PKH, beispielsweise, wenn eine Rechtsschutzversicherung die Reisekosten nicht trägt. In jedem Fall empfiehlt sich eine vorherige Antragstellung beim Gericht (Einzelheiten: Musielak/Voit/Fischer § 119 ZPO Rz. 7 mwN).
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2. Wirkungen im Verhältnis zum Mandanten Prozesskostenhilfe wird für jeweils eine kostenrechtliche Instanz (§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sowie in der Regel mit Wirkung ab Antragstellung bewilligt, wobei im Parteiprozess (Verfahren ohne Anwaltszwang) die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur auf Antrag stattfindet (§ 121 Abs. 2 ZPO). Die bewilligte Prozesskostenhilfe gilt nur für das vom Antragsteller formulierte Prozessziel, dh. für den angekündigten Sachantrag. Eine Erweiterung dieser Anträge etwa durch Klagerhöhung oder Erhebung einer Widerklage ist von der bewilligten Prozesskostenhilfe nicht gedeckt; insoweit bedarf es eines weiteren Antrags auf Erweiterung der Prozesskostenhilfe, vgl. Rz. 94.
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Praxistipp: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes steht dem beigeordneten Rechts- 5 anwalt ein Erstattungsanspruch gegenüber der Staatskasse nur in Höhe einer 0,8 Verfahrensgebühr zu (Nr. 3101 VV RVG, §§ 121, 122 ZPO), wenn er bei oder nach Einreichung des Prozesskostenhilfeantrages weder einen Sachantrag ankündigt noch einen die Sache betreffenden Schriftsatz eingereicht noch auf einen drei Monate vor dem Antrag angekündigten Sachantrag ausdrücklich Bezug genommen hat (BGH NJW 1992, 840 = MDR 1992, 416; NJW-RR 1998, 642). Es empfiehlt sich daher stets, wenn sich erst nach Übernahme des Mandats und erfolgter Tätigkeit die Prozesskostenhilfebedürftigkeit des Mandanten herausstellt, mit dem Prozesskostenhilfeantrag vorsichtshalber den bisherigen Sachantrag zu wiederholen; und zwar auch dann, wenn die bisherige Praxis des angerufenen Gerichts von der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes abweicht.
a) Stundung von Kosten und Gebühren Das Recht der Staatskasse (Gerichtskasse), die Partei auf Zahlung von Gerichtskosten und Gerichts- 6 vollzieherkosten sowie auf Erstattung der von der Staatskasse bezahlten Gebühren der beigeordneten Rechtsanwälte in Anspruch zu nehmen, ist beschränkt im Sinne einer – ggf. auch dauernden bzw. endgültigen – Stundung dieser Kosten. Die Partei ist nur nach Maßgabe der vom Gericht im Bewilligungsbeschluss getroffenen Anordnungen zahlungspflichtig, nämlich im Umfang der festgesetzten Zahlungen aus dem Vermögen und der Raten aus dem Einkommen nach Anzahl, Höhe und Fälligkeit (§§ 122 Abs. 1, 120 Abs. 1 ZPO). Diese Vergünstigung steht unter dem Vorbehalt der Änderung im Falle einer wesentlichen Änderung der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 120a ZPO). Eine Änderung der nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) und Nr. 2 ZPO maßgebenden Absetzungsbeträge im Hinblick auf bestehende Unterhaltsverpflichtungen ist nur auf Antrag und nur dann zu berücksichtigen, wenn dies zur Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe führt (§ 120a Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Wirkungen der ProzesskostenFischer
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hilfe zugunsten der Partei entfallen bei Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung gem. § 124 ZPO, s. hierzu Rz. 176 ff. b) Beiordnung eines Rechtsanwalts
7 Im Anwaltsprozess muss der hilfsbedürftigen Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet werden (§ 121 Abs. 1 ZPO). Besteht kein Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO), wird der Partei auf ihren Antrag ein vertretungsbereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn entweder anwaltliche Vertretung geboten erscheint oder der Gegner anwaltlich vertreten ist. Es darf auch eine Sozietät beigeordnet werden, gleichgültig, ob es sich um eine GbR, eine Partnerschaftsgesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft handelt (BGH MDR 2009, 103 = NJW 2009, 440 f. m. Anm. Horn). Ein „auswärtiger“, dh. nicht im Bezirk des Prozessgerichts zugelassener, dort aber gleichwohl postulationsfähiger Anwalt kann grundsätzlich nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten – etwa wegen Reisen zu Terminen – nicht entstehen (§ 121 Abs. 3 ZPO), hierzu sogleich Rz. 8.
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Praxistipp: Muss man als auswärtiger Anwalt seine Beiordnung beantragen, so ist Folgendes zu beachten: Macht man keine weiteren Angaben, so dürfen die Gerichte davon ausgehen, dass man „mit einer Beiordnung zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts zugelassenen Anwalts“ (§ 121 Abs. 3 ZPO) bereit ist (BGH MDR 2007, 232 = NJW 2006, 3783). Ergeht ein solcher Beschluss mit diesem Inhalt, erstattet die Staatskasse nur Reisekosten des Rechtsanwalts, die im Bezirk anfallen würden. Maßgeblich ist dann die weiteste Entfernung von der Grenze des Bezirks des Gerichts bis zum Gericht (OLG Bamberg NJW-RR 2015, 187). Wird der erwähnte Zusatz vergessen, müssen jedoch die gesamten Reisekosten des Rechtsanwalts nach ständiger Rechtsprechung erstattet werden (OLG Nürnberg MDR 2007, 112 f.)! Ergeht der Beschluss mit der erwähnten Einschränkung kann man dagegen Beschwerde einlegen. Der BGH hat es nämlich durch seine weitere Rechtsprechung ermöglicht, dass eine Partei fast durchweg einen Anspruch darauf hat, dass sie einen an ihrem Wohnort ansässigen Rechtsanwalt beigeordnet bekommt (BGH MDR 2004, 1373 = NJW 2004, 2749 ff.). Man muss lediglich die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO darlegen (zB KG NJW-RR 2010, 1362; Einzelheiten: Zöller/Geimer § 121 ZPO Rz. 13 ff.; Musielak/Voit/Fischer § 121 ZPO Rz. 18 ff.). Dann erhält man die Reisekosten, wenn sie nicht im Beschluss weiter eingeschränkt werden, etwa: „bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwaltes“ (OLG Frankfurt NZFam 2016, 84); vgl. auch § 46 Abs. 2 RVG.
9 Unter besonderen Umständen kann auch ein Anwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme oder als Verkehrsanwalt beigeordnet werden (§ 121 Abs. 4 ZPO), s. M 10.9. Dabei ist grundsätzlich auf die zu § 91 Abs. 1 ZPO entwickelten Erstattungsregeln abzustellen. c) Wirkungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Einzelnen
10 – Rückständige, dh. im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Prozesskostenhilfe für den Kostenschuldner bereits fällige, aber noch nicht bezahlte sowie künftig noch entstehende oder fällig werdende Gerichtskosten sind gestundet. Zu den Gerichtskosten rechnen sowohl die Gerichtsgebühren als auch Auslagen des Gerichts für Zustellungen sowie Entschädigungszahlungen an Zeugen und Sachverständige. Die bedürftige Partei muss also keine Vorschüsse zahlen! Gezahlte Gerichtskosten sind an die Partei oder an den verauslagenden Prozessbevollmächtigten zurückzuzahlen, wenn bei Zahlung Prozesskostenhilfe beantragt war und dem Antrag mit Rückwirkung auf den Antragszeitpunkt entsprochen worden ist (Zöller/Geimer § 122 ZPO Rz. 4). Wird Prozesskostenhilfe nur teilweise bewilligt, beziehen sich ihre Wirkungen nur auf den Teil der Gebühr, die auf den Streitwert entfällt, für den die Prozesskostenhilfe bewilligt ist; die Differenz muss die Partei selbst tragen (Zöller/Geimer § 121 ZPO Rz. 45). Von der vollen Gebühr aus dem Gesamtstreitwert wird die Gebühr aus dem von der PKH umfassten Teilstreitwert abgezogen (OLG München MDR 1997, 298). Zu den Anwaltsgebühren vgl. Rz. 28.
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Praxistipp: Da im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung in begrenztem Rahmen eine anti- 11 zipierte Beweiswürdigung zulässig ist (BVerfG NJW 1997, 2745; Zuck NJW 2012, 37), kann es angezeigt sein, den Prozesskostenhilfeantrag für den nicht bewilligten Teil der Klage erneut zu stellen, wenn die Beweisaufnahme durchgeführt und ein günstiges Beweisergebnis erstritten worden ist. Der die Prozesskostenhilfe versagende Beschluss erlangt auch im Falle seiner Unanfechtbarkeit nämlich keine materielle Rechtskraft (BGH MDR 2004, 961 = NJW 2004, 1805 f.). Der entsprechende Antrag muss – wegen der Wirkung der Prozesskostenhilfe (s. Rz. 4) – vor der Verhandlung zum Beweisergebnis und Wiederholung der Sachanträge (§§ 370, 285 ZPO) gestellt werden.
– Die Partei ist auch von Gerichtsvollzieherkosten, insbesondere auch für Zustellungen befreit, § 122 Abs. 1 Nr. 1 a) Alt. 2 ZPO (vgl. dazu im Einzelnen Zöller/Geimer § 122 ZPO Rz. 5).
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– Die in §§ 110 ff. ZPO vorgesehene Pflicht zur Sicherheitsleistung entfällt im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 122 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie ist für Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt in den Mitgliedstaaten der EU oder der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes – ohne Rücksicht auf die Nationalität des Klägers – ohnehin entfallen (§ 110 Abs. 1 ZPO).
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– Gebührenansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte können gegen die Partei nicht geltend gemacht werden; diese richten sich mit der Beiordnung allein gegen die Staatskasse (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, §§ 44 ff. RVG).
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Wichtig: Eine Vereinbarung, nach der ein im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneter Anwalt für die von der Beiordnung erfasste Tätigkeit eine höhere als die gesetzliche Vergütung erhalten soll, ist nichtig (§ 3a Abs. 3 Satz 1 RVG)! Des Weiteren muss der Anwalt alle Beträge, die er von der Prozesskostenhilfe-Partei erhalten hat, bei einem Kostenantrag gegen die Staatskasse angeben, damit diese ggf. angerechnet werden können!
Mit ihrer Befriedigung durch die Staatskasse gehen die Ansprüche gegen den Gegner oder die PKH- 16 Partei gem. § 59 Abs. 1 RVG auf die Staatskasse über. Die Staatskasse zieht dann zB die an den Prozesskostenhilfe-Anwalt gezahlten Beträge von einer bemittelten Gegenpartei aufgrund des Anspruchsübergangs wieder ein, wenn ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch besteht.
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Praxistipp: Die Beiordnung ändert nichts daran, dass der obsiegenden Partei trotz Beiordnung 17 – und zwar auch im Falle ratenfreier Beiordnung – der Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner weiterhin zusteht (§ 123 ZPO). Das Beitreibungsrecht des beigeordneten Anwalts aus § 126 ZPO und der Kostenerstattungsanspruch der Partei bestehen selbständig nebeneinander. Dies ergibt sich aus den §§ 91, 126 ZPO. Allerdings muss der Anwalt abwägen, ob er das ihm selbst zustehende Beitreibungsrecht wahrnimmt oder auf die Zahlung nach Erstattung der Kosten durch den Gegner vertraut (vgl. dazu Rz. 25). Ist der Gegner solvent, empfiehlt es sich regelmäßig, gem. § 126 Abs. 1 ZPO einen Kostenfestsetzungsbeschluss im eigenen Namen (§ 126 ZPO!) zu beantragen. Bis zu einem Streitwert iHv. 4.000 Euro ist es gleichgültig, ob man mit der Staatskasse oder dem Gegner abrechnet, da die Prozesskostenhilfe-Gebühren und die normalen gesetzlichen Gebühren sich entsprechen. Danach werden die Prozesskostenhilfe-Gebühren niedriger als die normalen gesetzlichen Gebühren und ab einem Streitwert iHv. über 30.000 Euro tritt überhaupt keine Steigerung der Prozesskostenhilfe-Gebühren mehr ein. Hat man einen solventen Gegner, muss man sich in einem solchen Fall einen Titel nach § 126 ZPO besorgen. Es besteht auch die Möglichkeit, die Prozesskostenhilfe-Gebühren mit der Staatskasse abzurechnen und die weiteren Gebühren bis zu den vollständigen gesetzlichen Gebühren von dem Gegner zu verlangen. Selbst wenn die Prozesskostenhilfe-Partei unterliegt, kann der Anwalt noch die Gebühren in voller Höhe erhalten: Muss die Prozesskostenhilfe-Partei Raten zahlen, und decken ihre Zahlungen alle anderen Kosten, können die weiteren Raten dazu dienen, dem beigeordneten Anwalt auch die weiteren Gebühren zu verschaffen. Diesbezüglich ist unbedingt in regelmäßigen Abständen bei dem zuständigen Rechtspfleger anzufragen! Dasselbe gilt, wenn die PKH aufgehoben wird. S. auch Rz. 31.
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18 Soweit die Staatskasse den beigeordneten Rechtsanwalt wegen seiner Gebührenansprüche befriedigt hat, kann sie diese nur nach Maßgabe der Anordnungen des Gerichts im Bewilligungsbeschluss gegen die Partei geltend machen, dh. nur bei Anordnung von Ratenzahlungen und nach Maßgabe des vorgesehenen Zahlungsplans. Ist Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung bewilligt worden, so ist der Staatskasse die Inanspruchnahme der Partei wegen gezahlter Anwaltsgebühren verwehrt (§ 122 Abs. 1 Nr. 1 b) ZPO). Dies gilt auch in jenen Fällen, in denen beiden Parteien Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts bewilligt worden war (Einzelheiten: Musielak/Voit/Fischer § 122 ZPO Rz. 5 f.).
19 Die Freistellung von Gebührenansprüchen des beigeordneten Anwalts schützt die unbemittelte Partei jedoch nicht davor, im Falle des Prozessverlustes oder auch der Übernahme von Prozesskosten im Vergleich vom Prozessgegner auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Anwaltskosten oder auch Gerichtskosten in Anspruch genommen zu werden (§ 123 ZPO). Dies stellt für die PKH-Partei ein großes Risiko dar. Beachte hierzu und zum Vergleich bei Prozesskostenhilfe unbedingt auch Rz. 120!
20 – In Analogie zu § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann die mittellose Partei eine Entschädigung für Reisekosten beanspruchen, die sie oder ihr gesetzlicher Vertreter aufwenden muss, um notwendige Gerichtstermine, auch solche im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren, wahrzunehmen (BGH MDR 1975, 654 = NJW 1975, 1069). Hierzu Rz. 3 und zu den Reisekosten des Anwalts Rz. 8.
21 – Die Beiordnung eines Dolmetschers ist nicht möglich. Bei erheblichen Verständigungsschwierigkeiten zwischen der ausländischen Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten oder dem Gericht kann der Rechtsanwalt einen Dolmetscher hinzuziehen. Dolmetscherkosten sind bei bewilligter PKH bei Erforderlichkeit als Aufwendungen des Rechtsanwalts erstattungsfähig (§ 46 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 RVG; §§ 675, 670 BGB; Vorbem. 7 Abs. 1 zu Teil 7 VV RVG; OLG Jena FamRZ 2014, 1873). Eine Voranfrage an das Gericht gem. § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG empfiehlt sich in derartigen Fällen. Handelt es sich um eine grenzüberschreitende Streitsache im Rahmen der EU, müssen erforderliche Übersetzungskosten bereits im PKH-Verfahren (!) übernommen werden, wenn der Antrag direkt hier gestellt wird (BAG NJW 2017, 3741; im Anschluss an EuGH RIW 2017, 693) und nicht gemäß den §§ 1076, 1078 ZPO vorgegangen wird. 3. Wirkungen im Verhältnis zum Gegner
22 Ist dem Kläger, Berufungskläger oder Revisionskläger (Instanzkläger) Prozesskostenhilfe ohne Ratenoder sonstige Zahlungsverpflichtung bewilligt worden, hat dies für den Beklagten die Wirkung, dass er gleichfalls von der Verpflichtung zur Zahlung rückständiger oder entstehender Gerichtskosten einschl. Auslagen für Zustellungen, Zeugen und Sachverständige einstweilen befreit ist (§ 122 Abs. 2 ZPO). Dies wird in der Praxis häufig übersehen. Praktische Bedeutung hat diese Regelung für den Fall, dass den Beklagten die Beweislast trifft und er Kostenvorschüsse für Sachverständige oder Zeugen zahlen müsste. Diese Kosten treffen im Falle des Unterliegens den mit Prozesskostenhilfe ausgestatteten Kläger nicht. Diese für den Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger günstige Regelung gilt auch für bereits gezahlte Gerichtskosten. Auch wenn Prozesskostenhilfe rückwirkend bewilligt worden ist, sind vom Beklagten geleistete Vorschüsse von der Staatskasse zurückzuzahlen; dem Beklagten ist der Erstattungsanspruch gegenüber der Prozesskostenhilfe-Partei wegen der bewilligten Prozesskostenhilfe versagt (s. Rz. 19).
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Wichtig: Wenn und soweit die bedürftige Partei in einem Vergleich die Kosten des Rechtsstreits übernommen hat, kann der Gegner die von ihm verauslagten Kosten gegen die bedürftige Partei festsetzen lassen, soweit jene Kosten im Vergleich von der bedürftigen Partei übernommen worden sind (BGH MDR 2004, 295 = NJW 2004, 366). Vgl. hierzu unbedingt noch Rz. 120.
24 Soweit der Beklagte Widerklage erhebt, bleibt er seinerseits für die anfallenden Gerichtskosten vorschusspflichtig, es sei denn, es besteht Identität des Streitgegenstandes von Klage und Widerklage
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(vgl. Zöller/Geimer § 122 ZPO Rz. 22). Das wird bei wechselseitigen Scheidungsanträgen oder Streit um die Herausgabe hinterlegter Sachen praktisch. 4. Wirkungen im Verhältnis zum Anwalt Der beigeordnete Anwalt kann Vergütungsansprüche, die ihm nach Wirksamwerden seiner Beiord- 25 nung erstmals oder durch erneute Verwirklichung des Gebührentatbestandes entstehen, gegen die mittellose Partei nicht geltend machen, soweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe reicht (vgl. dazu auch Zöller/Geimer § 121 ZPO Rz. 37). Der beigeordnete Anwalt hat sich wegen seiner Gebühren im Fall des Unterliegens der bedürftigen Partei an die Staatskasse zu wenden. Soweit diese den Anwalt wegen seiner Gebühren befriedigt, gehen dessen Ansprüche gem. § 59 Abs. 1 RVG auf die Staatskasse über. Verweigert das Gericht Prozesskostenhilfe, bleibt der Anwalt berechtigt, von seiner Partei Gebühren unmittelbar zu fordern, insbesondere kann er jetzt den vollen Vorschuss hierauf verlangen (s. auch Rz. 14).
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Praxistipp: Im Verfahren über die Prozesskostenhilfebewilligung erhält der Anwalt eine 1,0-Gebühr nach Nr. 3335 VV RVG. Diese Gebühr, die auf der Basis der Tabelle für Wahlanwaltsgebühren errechnet wird, kann der Anwalt selbstverständlich auch vorschussweise einfordern. Bei der Abrechnung gegenüber der Staatskasse ist die Zahlung dann zwar als vom Mandanten erhaltene Zahlung wieder in Abzug zu bringen, stellt jedoch sicher, dass zumindest ein Teil des fälligen Honorars im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe bezahlt wird.
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Wichtig: Im Falle des Obsiegens der bedürftigen Partei besteht der Kostenfestsetzungsanspruch gegen den Gegner und der Beitreibungsanspruch des Anwalts gegen den Gegner nebeneinander (s. Rz. 17). Der Anwalt muss mithin genau prüfen, was sinnvoller ist: Abrechnung mit der Staatskasse oder Inanspruchnahme des Gegners oder beides (s. Rz. 17).
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Führt der Rechtsanwalt den Rechtsstreit teilweise aufgrund seiner Beiordnung, im Übrigen aber, weil 28 Prozesskostenhilfe nicht beantragt oder nicht bewilligt wurde, als „Wahlanwalt“, so stehen ihm insoweit gegen den Auftraggeber Gebührenansprüche in Höhe der Wahlanwaltsgebühren zu. Berechnen kann er diese Gebühren gem. § 13 RVG, Nr. 3100 ff. VV RVG aus dem Gesamtstreitwert abzgl. der Wahlanwaltsgebühren (also nicht der gekürzten Prozesskostenhilfe-Gebühren nach § 49 RVG) aus dem Teilstreitwert, für den Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Wegen des von ProzesskostenhilfeBewilligung umfassten Teilstreitwerts hat der Rechtsanwalt mit der Staatskasse abzurechnen (OLG Zweibrücken JurBüro 1995, 424; OLG Hamburg JurBüro 1995, 426; Musielak/Voit/Fischer § 122 ZPO Rz. 9). Führt die PKH-Partei den Rechtsstreit zusammen mit einem Streitgenossen (wegen der in diesen Fällen auftretenden Frage einer möglichen Interessenkollision s. Kap. 1 Rz. 32), dem Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden ist, so kann der beigeordnete Anwalt, der für den Hilfsbedürftigen tätig geworden ist, die ihm entstandenen Gebühren gegen die Staatskasse so festsetzen lassen, wie wenn er ausschließlich von der hilfsbedürftigen Partei beauftragt worden wäre; er ist hinsichtlich seines Gebührenanspruchs gegen die Staatskasse nicht etwa auf die Berechnung nur des Erhöhungsbetrags gem. Nr. 1008 VV RVG beschränkt (OLG Düsseldorf MDR 1997, 1071 = NJW-RR 1997, 1493; aA allerdings BGH NJW 1993, 1715 m. krit. Anm. Notthoff AnwBl. 1996, 611: dieser Entscheidung sollte nicht gefolgt werden, ausf. F. O. Fischer JurBüro 1998, 4 ff.).
29
Wie bereits erwähnt: Der der obsiegenden PKH-Partei beigeordnete Rechtsanwalt hat gem. § 126 ZPO das Recht, die ihm zustehenden ungekürzten Gebühren im eigenen Namen gegen den unterlegenen Gegner festsetzen zu lassen und beizutreiben (s. auch Rz. 17). Geschieht dies nicht, ist folgender Praxistipp zu beachten.
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K
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Praxistipp: Sind die erstattungsfähigen Kosten im Namen des Mandanten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, gegen den unterlegenen Prozessgegner festgesetzt, kann der ProzessFischer
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Kap. 10 Rz. 32
Prozesskostenhilfe
ZPO
gegner gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch mit anderen Forderungen die Aufrechnung erklären. Die Einschränkung des § 126 Abs. 2 ZPO gilt dann nicht (BGH MDR 1995, 99 = NJW 1994, 3292; BGH MDR 2007, 918 = NJW-RR 2007, 1147). Der Anwalt, der seinen Differenzkostenanspruch nicht gem. § 126 Abs. 1 ZPO im eigenen Namen festsetzen lässt, sondern die Kostenfestsetzung dieses Teils der erstattungsfähigen Kosten des Rechtstreits gem. §§ 103, 104 ZPO für den Mandanten betreibt, begibt sich des Schutzes, den § 126 Abs. 2 ZPO gewährt. Es ist demnach stets zu empfehlen, die Differenzkosten gem. § 126 Abs. 1 ZPO im eigenen Namen festsetzen zu lassen. Für dieses Vorgehen spricht auch, dass nach ebenfalls vertretener Meinung (OLG München v. 14.5.1997 – 11 WF 676/97, NJW-RR 1998, 214), der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse verloren geht, wenn der Anwalt den Teil der Vergütung, die die Staatskasse ihm zu erstatten hätte, gem. §§ 103, 104 ZPO festsetzen lässt und dem Prozessgegner so die Möglichkeit gibt, mit anderen Forderungen gegenüber dem Mandanten die Aufrechnung gegen den Kostenerstattungsanspruch zu erklären. Da teilweise noch die Ansicht vertreten wird, dass dem Anwalt der Schutz aus § 126 Abs. 2 ZPO erst ab Stellung des Antrages auf Festsetzung der Differenzkosten gebührt (zum Meinungsstand Zöller/Geimer § 126 ZPO Rz. 16 ff. vgl. auch OLG Jena MDR 1998, 1436), empfiehlt es sich, den Antrag auf Festsetzung der Differenzkosten zügig nach Vorliegen der Kostengrundentscheidung im Urteil zu stellen. Nach überwiegend vertretener Auffassung scheidet die Aufrechnung durch den Gegner nämlich jedenfalls dann aus, wenn der Anwalt das Kostenfestsetzungsverfahren von vornherein im eigenen Namen betrieben hat (Zöller/ Geimer § 126 ZPO Rz. 16; Musielak/Voit/Fischer § 126 ZPO Rz. 11). Gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 ZPO bleibt die Aufrechnung mit Kosten, die in demselben Rechtsstreit entstanden sind, allerdings immer möglich. 5. Prüfungs- und Hinweispflicht des Anwalts a) Pflichten des Anwalts
32 Der mandatierte Anwalt ist gehalten, die Partei auf die Möglichkeit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinzuweisen, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass die wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen einer Prozesskostenhilfebewilligung gegeben sind, anderenfalls können Schadensersatzansprüche des Mandanten entstehen (§ 48 BRAO, § 16 BORA; Schneider MDR 1988, 282; OLG Celle NJW-RR 2010, 133).
33 Entsprechende Nachfragen ohne Anlass sind nicht geboten, sie könnten das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant beeinträchtigen. Ist der Mandant aber prozesskostenhilfebedürftig, ist er darüber zu belehren, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Falle des Prozessverlustes nicht vor Kostenerstattungsansprüchen des Gegners (§ 123 ZPO) schützt. b) Anspruch auf Vorschuss
34 Soweit der Rechtsanwalt einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Mandanten stellt, ist er berechtigt, von der Partei einen Vorschuss in Höhe der ihm zustehenden Gebühr gem. Nr. 3335 VV RVG zu fordern (s. Praxistipp Rz. 26). Über diese Vergütungspflicht hat er den Auftraggeber zu belehren, ansonsten können Schadensersatzansprüche entstehen (OLG Koblenz NJW-RR 1998, 864). 6. Anwendungsbereich der Prozesskostenhilfe a) Persönlicher Anwendungsbereich
35 Prozesskostenhilfe kann nur erhalten, wer als natürliche oder juristische Person (für Letztere s. § 116 ZPO) Partei des Rechtsstreits bzw. des Verfahrens ist. Wo die Partei als Streitgenosse am Verfahren beteiligt ist und Prozesskostenhilfe beantragt, ist allein auf ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die hinreichende Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung 130
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Prozesskostenhilfe
Rz. 41 Kap. 10
Der Partei gleich stehen andere am Verfahren Beteiligte wie Streithelfer (vgl. dazu BGH NJW 1966, 597) und Nebenintervenient. Der Begriff der Partei ist sehr weit auszulegen. Natürliche Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, solche mit mehrfacher Staatsangehörigkeit und Staatenlose sind für die Prozesskostenhilfe wie Inländer zu behandeln. Für einen Prozess vor inländischen Gerichten kommt es auf die Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht an, dh. es ist nicht danach zu fragen, ob nach dem Heimatrecht des Ausländers ein deutscher Staatsangehöriger Prozesskostenhilfe oder etwas Ähnliches in Anspruch nehmen könnte.
ZPO
abzustellen. Die Verhältnisse anderer Streitgenossen haben außer Betracht zu bleiben. Wo Streitgenossen bei gleichem Sachverhalt und gleicher Interessenlage von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten werden, erstreckt sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zumindest auf diejenigen Kosten, die zusätzlich als Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG anfallen (vgl. aber unbedingt ergänzend Rz. 29).
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Inländische (für andere vgl. Rz. 39) juristische Personen sowie Parteien kraft Amtes erhalten Pro- 37 zesskostenhilfe unter den besonderen Voraussetzungen des § 116 ZPO. Die Kosten müssen demnach weder von ihnen noch von dem am Prozessgegenstand wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können, und die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung muss allgemeinen Interessen zuwiderlaufen. Führt eine Partei kraft Amtes (zB Insolvenzverwalter, Sequester, Testamentsvollstrecker, Zwangsverwalter) einen Rechtsstreit, können von ihr die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden und ist es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten, die Kosten aufzubringen, so kann auch die Partei kraft Amtes Prozesskostenhilfe erhalten (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Für den Insolvenzverwalter (praktisch bedeutsamster Fall) wird § 116 ZPO in der Regel dann praktisch, wenn Masseunzulänglichkeit eingetreten ist (§ 208 InsO). Auch eine ausländische Partei kann für einen Rechtsstreit im Inland Prozesskostenhilfe in Anspruch 38 nehmen, selbst dann, wenn sie sich im Ausland aufhält (OLG Düsseldorf MDR 1994, 301). Dies folgt auch aus Art. 20 Abs. 1 des Haager Zivilprozessabkommens, wonach in Zivil- und Handelssachen die Angehörigen eines jeden Vertragsstaates in allen anderen Vertragsstaaten ebenso wie die eigenen Staatsangehörigen zur Prozesskostenhilfe nach den Rechtsvorschriften des Staates zugelassen sind, in dem um Prozesskostenhilfe nachgesucht wird. Vgl. noch ergänzend dazu Rz. 21. Inländische juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen sowie solche, gegründet und mit Sitz innerhalb der EU oder den Vertragsstaaten über den Europäischen Wirtschaftsraum, können auf Antrag Prozesskostenhilfe erhalten, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Prozessgegenstand wirtschaftlich Beteiligte aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
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Vgl. zur Gewährung grenzüberschreitender Prozesskostenhilfe innerhalb der EU Kap. 99 Rz. 2 f. sowie die §§ 1076 ff. ZPO.
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Werden Rechte Dritter im eigenen Namen geltend gemacht („Prozessstandschaft“, vgl. Kap. 14), 41 müssen die Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich sowohl in der Person des Dritten als auch der Partei vorliegen (BGH VersR 1992, 594). Dies gilt auch, wenn Rechte des Mitversicherten durch den Versicherungsnehmer gegen den Versicherer geltend gemacht werden. Hat der materiell Berechtigte wegen ihm gewährter Sicherheit kein Interesse an der Rechtsverfolgung, kommt es allein auf die Verhältnisse des prozessbefugten Klägers an (OLG Celle NJW 1987, 783). Gleiches gilt, wenn der Pfändungsschuldner gegen den Drittschuldner klagt, um mittels der verlangten Leistung den Pfändungsgläubiger zu befriedigen (BGHZ 36, 280 = NJW 1962, 739). Gibt es für eine Abtretung einen triftigen Grund kann dem Prozessstandschafter Prozesskostenhilfe bewilligt werden (KG MDR 2002, 1396). Dasselbe gilt, wenn eine Forderung zur Sicherheit abgetreten wurde und der Klageantrag auf Zahlung an den Zessionar lautet (KG MDR 2009, 773 = NJW-RR 2009, 1039).
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Kap. 10 Rz. 42
Prozesskostenhilfe
ZPO
42 Kommt es während des Rechtsstreits zur Rechtsnachfolge etwa durch Tod der Partei (hierzu ganz ausf. F. O. Fischer Rpfleger 2003, 637 ff.), wirkt die der bisherigen Partei bewilligte Prozesskostenhilfe nicht weiter. Der Rechtsnachfolger kann Prozesskostenhilfe nur erhalten, wenn deren Voraussetzungen in seiner Person ebenfalls vorliegen (wegen des notwendigen Vorbehalts der Beschränkung der Erbenhaftung vgl. Kap. 89 Rz. 119 ff.). Stirbt der Antragsteller, bevor über seinen Prozesskostenhilfeantrag entschieden worden ist, kann ihm in der Regel Prozesskostenhilfe nicht mehr bewilligt werden (BSG MDR 1988, 610; OLG Düsseldorf AnwBl. 1988, 125). Führt der Erbe oder der Nachlasspfleger den Rechtsstreit für die unbekannten Erben weiter, sind für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit allein die Verhältnisse des Erben bzw. des Nachlasses maßgebend.
43 Die Abtretung eines streitigen Rechts an eine hilfsbedürftige Person zum Zwecke der Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe ist sittenwidrig und daher unwirksam; Prozesskostenhilfe ist zu versagen (BGHZ 47, 289 = MDR 1967, 756). Gleiches gilt bei nur treuhänderischer Abtretung an eine hilfsbedürftige Partei oder bei Übertragung der Rechtsstellung mehrerer Mitberechtigter (Miterben, Mitgesellschafter) auf einen Minderbemittelten, damit dieser im Wege der Prozessstandschaft unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe Klage erhebe (vgl. BGH VersR 1984, 989). b) Sachlicher Anwendungsbereich
44 Prozesskostenhilfe wird bewilligt für Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung im Prozess vor inländischen staatlichen Gerichten, nicht vor einem Schiedsgericht (hier bleibt nur die Möglichkeit den Schiedsvertrag außerordentlich zu kündigen), nicht für außergerichtliche Mediation, selbst wenn sie von dem Gericht angeregt worden ist (OLG Dresden MDR 2007, 277 = NJW-RR 2007, 80). Das Verfahren vor dem Güterichter nach § 278 Abs. 5 ZPO ist hingegen von der bewilligten Prozesskostenhilfe umfasst (KG MDR 2009, 835 = NJW 2009, 2754; Ahrend NJW 2012, 2465, 2470). Vgl. auch § 7 Abs. 3 MediationsG und Greger/Weber MDR 2012, 1, 27 ff. (Sonderbeilage).
45 Für außergerichtliche Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung gewährt das Beratungshilfegesetz (hierzu Kap. 6) dem Bedürftigen kostenfreie Beratung und Vertretung. Für Prozessführung vor ausländischen Gerichten, zB für eine Vollstreckbarkeitsklage aus einem inländischen Titel vor einem USamerikanischen Gericht, kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden (zur Rechtsentwicklung in der EU vgl. Rz. 39 f.). Im Zivilprozess kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden für jede Art von Verfahren einschließlich Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren (s. hierzu § 48 Abs. 2 RVG hinsichtlich Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf die Arrestvollziehung), für gerichtliche Mahnverfahren, für Zwangsvollstreckungsverfahren. Für Güteverfahren nach § 15a EGZPO s. Kap. 6 Rz. 3 (keine Prozesskostenhilfe).
46 Für das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren einschließlich des Verfahrens der Beschwerde gegen einen die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss wird Prozesskostenhilfe nicht bewilligt (BGHZ 91, 312 = MDR 1984, 931; keine „PKH für PKH“). Ausnahme: Prozesskostenhilfe kann für einen Prozesskostenhilfe-Antrag zur Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens bewilligt werden, soweit es um die persönlichen Voraussetzungen geht, nicht um Fragen der Erfolgsaussicht (BGH MDR 2003, 478 = NJW 2003, 1126). Nach herrschender Auffassung kann im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren ferner ausnahmsweise Prozesskostenhilfe gewährt werden, soweit bereits in diesem Verfahren die Hauptsache durch Vergleich geregelt wird („PKH für PKH“; OLG Hamm MDR 2004, 832; aM BGH MDR 2004, 1312 = NJW 2004, 2595, Bewilligung nur für den Vergleich; ausf. zur „PKH für PKH“: F. O. Fischer MDR 2008, 477 ff., E. Schneider MDR 1981, 793, 794 ff.). Kommt es im Vergleich, der im Bewilligungsverfahren abgeschlossen wird, zur Regelung auch von Gegenständen, für die Prozesskostenhilfe nicht beantragt worden war, so kann auch für diesen Teil des Vergleichs Prozesskostenhilfe auf besonders zu stellenden Antrag bewilligt werden (Zöller/Geimer § 118 ZPO Rz. 8a; s. hierzu auch Rz. 122).
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M 10.1
Prozesskostenhilfe
Rz. 52 Kap. 10
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Für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden (BGH MDR 2007, 1032 = NJW-RR 2007, 1439), hierfür kann allerdings Beratungshilfe beantragt werden.
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Im Arbeitsgerichtsverfahren gab es früher neben der üblichen Prozesskostenhilfe über § 11a Abs. 1 ArbGG die Möglichkeit, einer mittellosen Partei auf deren Antrag einen Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die Gegenpartei durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Die Beiordnung konnte unterbleiben, wenn sie aus besonderen Gründen nicht erforderlich war oder die Rechtsverfolgung offensichtlich mutwillig erschien. Nach § 11a Abs. 1 ArbGG nF gelten nunmehr die Vorschriften der ZPO sowie des RVG über die Prozesskostenhilfe entsprechend. Nach § 166 VwGO, § 142 FGO, § 73a SGG ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch in Verfahren vor den Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichten möglich.
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Vor den Patentbehörden und den Patentgerichten kann nach Maßgabe der §§ 129–138 PatG Verfahrenskostenhilfe in entsprechender Anwendung der §§ 114 ff. ZPO gewährt werden; im Verfahren der Verfassungsbeschwerde kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gleichfalls in Betracht, die §§ 114 ff. ZPO geltend entsprechend. Für das Strafverfahren s. §§ 379 StPO (Privatklage), 397a StPO (Nebenklage); für das Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO sowie das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 StPO kann gleichfalls Prozesskostenhilfe bewilligt werden, im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz s. § 120 Abs. 2 StVollzG.
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ZPO
Prozesskostenhilfe kann auch zur Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bewilligt werden. Es kommt dann nicht auf die Erfolgsaussichten einer denkbaren Klage, sondern des Beweisantrages an (OLG Köln Rpfleger 1995, 303; OLG Jena AGS 2008, 400). Selbst dem Antragsgegner kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn eine berechtigte Interessenwahrnehmung festgestellt werden kann, die beispielsweise in einer Streitverkündung liegen kann (OLG Hamm MDR 2015, 727).
7. Alternativen a) Antrag auf Gerichtskostenstundung Der Kläger oder Antragsteller, der zur Zahlung geschuldeter Gerichtskostenvorschüsse vorübergehend nicht in der Lage ist, kann deren Stundung beantragen. Dies bietet sich vor allem dann an, wenn der Antragsteller kurzfristig finanzielle Engpässe zu überwinden hat. Auch bei Parteien kraft Amtes, zB einem Insolvenzverwalter, kann sich ein solches Verfahren anbieten, genauso bei juristischen Personen. Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass es Verzögerungen bei der Zustellung geben wird und eventuell zu wahrende Fristen „davonlaufen“ können.
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M 10.1 Gesuch um Gerichtskostenstundung
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An die Gerichtskasse … Einziehungssache …./ … (Kurzrubrum) Kassenzeichen: I 12345/20 Bezug: Dortiges Schreiben vom … Hiermit bitte ich, der von mir vertretenen Frau K für die von ihr geschuldeten Gerichtskostenbeträge, nämlich 170 Euro sowie weitere 110 Euro Ratenzahlungen von monatlich 25 Euro ab 1.9.20 … zu bewilligen.
Fischer
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Kap. 10 Rz. 53
Prozesskostenhilfe
M 10.2
ZPO
Zur Begründung führe ich aus: Die Klägerin hat für vier Kinder, davon drei aus der Ehe mit dem verstorbenen Bäckermeister Franz Ludwig, verstorben am 3.4.20 … zu sorgen. Die Kinder sind noch minderjährig und gegenwärtig 4, 6 und 8 Jahre alt. Die Klägerin ist seit dem … bei der Firma Alfred Dröge in Meinburg in Teilzeitarbeit beschäftigt. Ich überreiche in der Anlage Verdienstbescheinigung der Firma Dröge vom 20.5.20 … aus der sich ergibt, dass die Klägerin im Monat Mai einen Nettoverdienst von 2.460 Euro erzielt hat. In Anbetracht dieses geringen Einkommens der Klägerin sowie der Anzahl der Kinder ist es ihr nicht möglich, höhere Ratenzahlungen als 25 Euro monatlich zu leisten. Kosten: Rechtsanwalt: Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3) nach dem Wert des Interesses an der Stundung, Justizverwaltungsgebühren entstehen nicht.
b) Antrag auf Zustellung ohne Vorschusszahlung
53 Gemäß § 14 Nr. 3 b) GKG ist die Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses auch dann nicht erforderlich, wenn eine Verzögerung dem Antragsteller einen nicht oder nur schwer zu ersetzenden Schaden bringen würde; in diesem Fall genügt zur Glaubhaftmachung eine Erklärung des zum Prozessbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalts (vgl. zu dieser Konstellation BGH MDR 1995, 315 = NJW-RR 1995, 252). Über den Antrag entscheidet, wer die Zustellung zu verfügen hat, regelmäßig im Prozess also das Gericht bzw. der Vorsitzende. Diese Verfahrensweise bietet sich zB an, wenn die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe nicht vorliegen, aber gleichwohl kein Geld vorhanden ist, um den Vorschuss zu zahlen (zB ein kurzfristiger Liquiditätsengpass). Gegebenenfalls kann dieser Weg mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbunden werden.
54 M 10.2 Antrag auf Zustellung ohne Vorschusszahlung An das Landgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) wegen … überreiche ich anliegend die Klagschrift und beantrage, gem. § 14 Nr. 3 a und b GKG ohne Vorauszahlung der Gerichtskosten die Klageschrift umgehend an den Beklagten zuzustellen. Zur Begründung führe ich aus: Vom Kläger mit dem Beklagten geführte längere vorprozessuale Verhandlungen wegen einer Regelung des mit der Klage weiterverfolgten Anspruchs sind gescheitert (§ 203 BGB). Dies wird glaubhaft gemacht durch Vorlage des Schreibens des Beklagten vom …. Jenes Schreiben ist dem Kläger am … zugegangen. Die Verhandlungen selbst haben die Parteien einen Monat vor Ablauf der Frist für die Verjährung des mit der Klage verfolgten Anspruches aufgenommen. Die regelmäßige Verjährung des Anspruches (§§ 195, 199 BGB) wäre am … eingetreten … (wird ausgeführt anhand der Regelung des § 199 BGB). … Unter Berücksichtigung der Regel des § 203 Satz 2 BGB tritt die Verjährung des mit der Klage verfolgten Anspruchs demnach am … ein. Auf eine umgehende Klagezustellung ist der Kläger demnach angewiesen, da eine erneute Hemmung der Verjährung durch die Zustellung der Klage bewirkt wird (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Ich erkläre hiermit gem. § 14 Nr. 3b GKG anwaltlich, dass dem Kläger durch eine Verzögerung der Klagzustellung demnach ein nicht zu ersetzender Schaden entstehen wird. Dieser Schaden besteht in Folgendem: … Ich überreiche ferner den letzten aktuellen Kontoauszug des Bankkontos des Klägers. Aus dem Auszug folgt, dass der Kläger derzeit über kein Guthaben bei seiner Bank verfügt. Weitere Vermögensgegenstände, die der Kläger zur Vorauszahlung der Gerichtskosten einsetzen könnte, stehen dem Kläger nicht zur Ver-
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Fischer
M 10.2
Prozesskostenhilfe
Rz. 60 Kap. 10
ZPO
fügung. Ich mache dies durch die beigefügte eidesstattliche Erklärung des Klägers glaubhaft. Der Kläger erhält jedoch in etwa 10 Tagen das für den kommenden Monat fällige Gehalt ausgezahlt. Aus dieser Zahlung kann er alsdann den Gerichtskostenvorschuss aufbringen. Auch dies mache durch die beigefügte eidesstattliche Erklärung des Klägers glaubhaft.
II. Wirkungen im Verhältnis zum Streitgegenstand 1. Verjährung Nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB hemmt der erstmalige Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter der Voraussetzung, dass die Bekanntgabe des Antrags „demnächst“ veranlasst worden ist, die Verjährung.
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Da die Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags dem Vorsitzenden oder einem 56 von ihm beauftragten Mitglied des Gerichts obliegt, ist es wichtig, die Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs so abzufassen, dass es vor Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfegesuchs an den Gegner nicht zu Rückfragen des Gerichts – etwa zur Schlüssigkeit der Anspruchsbegründung oder zu möglichen Beweismitteln – kommt. Auch die Unterlagen zur Prozesskostenhilfebedürftigkeit müssen so aufbereitet sein (s. Rz. 128 ff.), dass die Bekanntgabe des Antrags auf Prozesskostenhilfe an den Gegner nicht verzögert wird. Zur Klärung der Frage, ob die Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags an den Gegner demnächst erfolgt ist, ist auf die Rechtsprechung, die zu § 167 ZPO ergangen ist („Zweiwochenverzögerungsfrist“), zurückzugreifen.
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Wichtig: Da die Einreichung des Prozesskostenhilfeantrags keine Verjährungshemmung bewirkt, 57 wenn das Gericht die Bekanntgabe an den Gegner nicht veranlasst, muss der Anwalt der prozesskostenhilfebedürftigen Partei ausdrücklich beantragen, das Prozesskostenhilfegesuch unabhängig von den Erfolgsaussichten dem Gegner bekannt zu geben. Einem entsprechenden Gesuch muss das Gericht entsprechen (BGH MDR 2008, 643 = NJW 2008, 1939 = LMK 2008, 258711 m. Anm. F. O. Fischer). Es sollte vorsichtshalber nachgefragt werden, ob die Bekanntgabe erfolgt ist. Bei gerichtlichen Zwischenverfügungen und sonstigen Veranlassungen sollte vorsichtshalber innerhalb der „Zweiwochenverzögerungsfrist“ des § 167 ZPO reagiert werden.
K
Praxistipp: Der Antragsgegner, dem ein Prozesskostenhilfeantrag zugegangen ist (§§ 118, 270 ZPO), sollte sich durch Einsicht in die Gerichtsakten darüber vergewissern, ob die Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags demnächst erfolgt ist, wenn die Einrede der Verjährung erhoben werden kann. Nur über die Einsicht in die Akte kann idR geklärt werden, ob der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verjährungshemmende Wirkung hat.
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Nach dem vor dem 1.1.2002 geltenden Rechtszustand waren das Prozesskostenhilfeverfahren und das 59 gegen den ablehnenden Beschluss gerichtete Beschwerdeverfahren, soweit es die Frage der Hemmung der Verjährung angeht, als Einheit zu betrachten, wenn die Beschwerde spätestens zwei Wochen nach Zugang des ablehnenden Beschlusses eingelegt worden war (vgl. dazu Zöller/Greger 21. Aufl., § 270 ZPO Rz. 9; demgegenüber neueste Aufl., § 167 Rz. 15). Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Zivilprozessreform und die Modernisierung des Schuldrechts die für die verjährungshemmende Wirkung maßgebliche Einheit von Antrags- und Beschwerdeverfahren gesprengt werden soll. Im Falle der Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe endet die verjährungshemmende Wirkung des erstmaligen Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe daher nur, wenn gegen den ablehnenden Beschluss nicht binnen eines Monats nach seiner Zustellung sofortige Beschwerde erhoben worden ist (§§ 127 Abs. 2, 569 ZPO; BGH MDR 2012, 221 = NJW 2012, 612 f.). Da nur die Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verjährungshemmende Wirkung hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 ZPO), ist – nach erfolgter Ablehnung des PKH-Antrages durch das Gericht – die Stellung eines neuen, nachgebesserten Antrags nicht zu empfehlen, wenn Fischer
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ZPO
Kap. 10 Rz. 61
Prozesskostenhilfe
M 10.3
nicht sichergestellt werden kann, dass die Klage, der erneute verjährungshemmende Wirkung zukommt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB), vor Ablauf der durch den ersten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gehemmten (§ 209 BGB) Verjährungsfrist erhoben werden kann. Nachgebessert werden sollte vielmehr unbedingt über den Weg des Rechtsbehelfs gegen den ablehnenden Beschluss, die sofortige Beschwerde (§§ 127 Abs. 2, 569 ZPO; s. dazu auch Rz. 59!). Die Beschwerde selbst kann nämlich auf neue Angriffsmittel gestützt werden (§ 571 Abs. 2 ZPO), so dass sich Mängel in der Anspruchsbegründung oder der Darlegung der Prozesskostenhilfebedürftigkeit über die Beschwerdebegründung beseitigen lassen. Zur Beschwerde selbst vgl. Rz. 112 ff.
61 Gerät das Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren dadurch in Stillstand, dass „die Parteien“ (§ 204 Abs. 2 BGB) es nicht betreiben, endet die Hemmungswirkung der Veranlassung der Bekanntgabe des – erstmaligen – Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung der Parteien oder des Gerichts (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Hemmung der Verjährungsfrist endet ebenfalls sechs Monate nach rechtskräftiger Entscheidung oder anderweitiger Beendigung des eingeleiteten Prozesskostenhilfeverfahrens (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB).
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Praxistipp: Nach erfolgter Bewilligung oder rechtskräftiger Ablehnung der Prozesskostenhilfe ist demnach sofort der Ablauf der Verjährungsfrist neu zu notieren (vgl. dazu Kap. 27 Rz. 15), damit die erneute Hemmung der Verjährungsfrist, etwa durch Klageerhebung, rechtzeitig geschieht und nicht etwa versäumt wird.
2. Folgen späterer Rechtshängigkeit, Wahrung prozessualer Fristen a) Notfrist des § 276 Abs. 1 ZPO
63 Beantragt der Beklagte innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist für die Anzeige seiner Verteidigungsabsicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und läuft die Frist ab, bevor hierüber entschieden werden kann, so ist in entsprechender Anwendung von § 337 Satz 1 ZPO der Erlass eines beantragten schriftlichen Versäumnisurteils solange ausgeschlossen, bis über Prozesskostenhilfe entschieden worden ist (Schneider MDR 1985, 377; OLG Brandenburg AnwBl. 2002, 65; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1078; BVerfG FamRZ 2017, 1945). Es empfiehlt sich, dies ausdrücklich zu beantragen. Der entsprechende Schriftsatz könnte demnach wie folgt aussehen:
64 M 10.3 Antrag des Beklagten bei Frist für die Anzeige der
Verteidigungsbereitschaft In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantragt der Beklagte, 1. ihm Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Klage, insbesondere aber auch für die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigten zu bewilligen und 2. das vom Kläger beantragte Versäumnisurteil nicht zu erlassen, bevor dem Beklagten nach Zustellung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung ausreichend – jedoch mindestens eine Woche – Zeit gewährt worden ist, entsprechend der Entscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung zu reagieren. Zur Begründung führe ich aus: 1. Der Beklagte ist prozesskostenhilfebedürftig. Das Formular über seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse nebst Anlagen liegt bei.
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M 10.3
Prozesskostenhilfe
Rz. 69 Kap. 10
ZPO
2. Der Beklagte will sich nach Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe gegen die Klage verteidigen. (Es folgen Ausführungen, mit denen die Unbegründetheit der Klage dargelegt wird) … 3. Der Erlass des vom Kläger beantragten Versäumnisurteils ist in entsprechender Anwendung des § 337 Satz 1 Hs. 2 ZPO bis zur Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ausgeschlossen (vgl. zB Schneider MDR 1985, 377; F. O. Fischer ZAP F 13, 975, 979). Nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung muss dem Beklagten zudem die Zeit bleiben, die erforderlich ist, um die Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen oder zu entscheiden, wie weiter verfahren werden soll.
Wenn über die Prozesskostenhilfebewilligung nicht entschieden worden ist, bevor die Notfrist des § 269 Abs. 2 ZPO oder die des § 91a Abs. 1 ZPO abgelaufen ist, muss nach erfolgter Prozesskostenhilfebewilligung Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt werden, um der Klagerücknahme oder der Erledigungserklärung zu widersprechen. Ein eingelegter Einspruch darf erst verworfen werden, wenn zuvor über die bewilligte PKH entschieden und ein Wiedereinsetzungsantrag abgewartet wurde (vgl. OLG Jena NJOZ 2017, 723).
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Praxistipp: In diesen Fällen ist vorsorglich der beabsichtigte Widerspruch anzukündigen, damit der Kostenbeschluss nicht vor der Entscheidung über die Kostenfolge des § 269 ZPO und des § 91a ZPO ergeht; auszuschließen ist nämlich nicht, dass das entscheidende Gericht davon ausgeht, über den Kostenbeschluss, der eine Pflicht zur Kostenerstattung zugunsten der Prozesskostenhilfe bedürftigen Partei ausspricht, werde sich der Prozesskostenhilfeantrag „von selbst“ erledigen (s. auch Rz. 150). Trotz einer Klagerücknahme oder einer übereinstimmenden Erledigungserklärung kann aber noch über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden sein.
Bei Ablehnung von Prozesskostenhilfe darf nicht so kurzfristig terminiert werden, dass der Beklagte 67 sich nicht auf die neue Situation einstellen kann (Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG). Im Zweifel muss sogar mitunter der Ausgang eines Beschwerdeverfahrens abgewartet werden; es sei denn, die damit verbunden Verzögerung ist dem Gegner nicht zuzumuten, beispielsweise bei einer Räumungsklage wegen Zahlungsverzuges. Allerdings gibt es keinen grundsätzlichen Vorrang des PKH-Verfahrens vor dem Hauptsachverfahren, sondern einen solchen Vorrang nur dann, wenn die Mittellosigkeit der PKH-Partei ihr die Vornahme der zu Wahrung ihrer Rechtsposition erforderlichen Prozesshandlung verwehren oder unverhältnismäßig erschweren würde (BGH MDR 2016, 1108 = NJW 2016, 3248 = LMK 2016, 381551 mit Anm. F. O. Fischer). b) Rechtsmittelverfahren Achtung! Hier können sehr viele Fehler gemacht werden. Besondere Vorsicht und äußerste Sorgfalt 68 ist angezeigt (instruktiv hierzu: Toussaint NJW 2014, 3209). Unterbleibt wegen finanziellen Unvermögens der Partei die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten und daher die rechtzeitige Einlegung eines Rechtsmittels oder wird das eingelegte Rechtsmittel nicht rechtzeitig begründet, so ist der Rechtsmittelführer, der während der Rechtsmittelfrist um Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht hat, bis zur Entscheidung über seinen Antrag als an der Rechtsmitteleinlegung unverschuldet verhindert anzusehen, wenn er nach den ihm bekannten Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss (BGH MDR 2008, 581 = NJW 2008, 942; BGH MDR 2001, 1312 = NJW 2001, 2720; s. auch BGH VersR 2000, 383 und BGH FamRZ 2008, 868). Er muss den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit allen erforderlichen Unterlagen spätestens am letzten Tag der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist dem Gericht vorgelegt haben. Im Regelfall dürfte es sich daher empfehlen, am letzten Tag der Frist zur Einlegung der Berufung für die Berufungsinstanz Prozesskostenhilfe zu beantragen.
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Wichtig: Setzt das Gericht zur Vervollständigung des Prozesskostenhilfeantrags eine Frist und erfüllt die prozesskostenhilfebedürftige Partei die gerichtlichen Auflagen innerhalb der Frist, endet das schutzwürdige Vertrauen auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe erst mit Bekanntgabe Fischer
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Kap. 10 Rz. 70
Prozesskostenhilfe
M 10.4
ZPO
des ablehnenden Prozesskostenhilfebeschlusses. Erst zu diesem Zeitpunkt beginnt der Lauf der Wiedereinsetzungsfrist. Voraussetzung ist jedoch stets, dass die Partei nach den gegebenen Umständen nicht damit rechnen musste, dass ihre Prozesskostenhilfebedürftigkeit verneint wird.
70 Die Bezugnahme auf eine in der Vorinstanz vorgelegte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse genügt nur dann, wenn zugleich unmissverständlich erklärt wird, dass sich seit Vorlage keine Änderungen ergeben haben (BGH MDR 2001, 1312 = NJW 2001, 2720). Dies muss natürlich auch der Wahrheit entsprechen! Selbst wenn aber lediglich auf das erstinstanzliche Formular Bezug genommen wird obwohl sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der PKH-Partei verbessert haben, steht dies aber einer erfolgreichen Wiedereinsetzung nicht entgegen, wenn gleichwohl PKH zu bewilligen ist (BGH NJOZ 2013, 2111 = LMK 2013, 347493 m. Anm. F. O. Fischer).
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Sehr Wichtig: Zum Lauf der Wiedereinsetzungsfrist für das Rechtsmittel und die Rechtsmittelbegründung nach Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch für ein Rechtsmittel vgl. auch Kap. 71 Rz. 90 ff. Die Wiedereinsetzungsfrist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung beträgt zwei Wochen (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie beginnt regelmäßig mit der Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung der PKH (BGH MDR 2010, 1481 = NJW 2011, 153; BGH MDR 2013, 110 = NJW 2013, 697). Wegen des Fristbeginns wird der entsprechende Beschluss von den Berufungsgerichten in der Regel zugestellt. Zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird dann die Berufungsbegründungsfrist auch schon abgelaufen sein. Es muss diesbezüglich also auch Wiedereinsetzung beantragt werden. Die Frist dafür beträgt einen Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diese Frist beginnt allerdings nicht mit der Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, sondern erst mit der Mitteilung der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist (BGH MDR 2007, 1334 = NJW 2007, 3354; BGH MDR 2014, 1104 = NJW 2014, 2442). Dies gilt allerdings nicht für die Rechtsbeschwerde, hier beginnt die Frist mit der Bekanntgabe der Bewilligung der Prozesskostenhilfe (BGH MDR 2008, 1058 = NJW 2008, 3500). Wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, ist grundsätzlich auch eine Wiedereinsetzung möglich, es wird dann eine zusätzliche Überlegungsfrist von ca. drei Tagen eingeräumt (BGH MDR 2008, 99). Für die weiteren Einzelheiten vgl. Zöller/Geimer § 119 ZPO Rz. 60; Musielak/Voit/Fischer § 117 ZPO Rz. 10 ff. sowie Kap. 71 Rz. 90 ff.
72 M 10.4 Gesuch um Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung An das Oberlandesgericht Zivilsenat … In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum) beantrage ich hiermit, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigten für die Berufung gegen das am 19.5.20 … verkündete und am 28.5.20 … zugestellte Urteil des Landgerichts … – Az. … – zu bewilligen. Eine Kopie des Urteils des Landgerichts …, gegen das sich die Berufung richten soll, füge ich bei. Zur Begründung führe ich aus: Der Kläger ist prozesskostenhilfebedürftig. Ein von ihm ausgefülltes und unterzeichnetes Formular über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst der dazugehörigen Anlagen lege ich bei. Der Kläger muss demnach sich innerhalb der Berufungsfrist auf die Stellung eines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beschränken.
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M 10.4
Prozesskostenhilfe
Rz. 75 Kap. 10
Mögliche Alternative:
ZPO
Eine Begründung des Prozesskostenhilfegesuches wird der Kläger nicht vorlegen. Er ist aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht imstande den Vorschuss zu zahlen, den ich für die Erstellung eines Prozesskostenhilfegesuches fordere (Nr. 3335 VV RVG). Mögliche Alternative: Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufung soll die Berufung mit dem Antrag durchgeführt werden, das Urteil des Landgerichts zu ändern und den Beklagten zu verurteilen … Zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs führe ich an: … (Es folgen die Berufungsangriffe, so wie sie in einer Berufungsbegründung niederzulegen wären.) ] Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist beabsichtigt, einen Antrag auf Bewilligung von Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist zu stellen. Kosten: Gericht: Keine Kosten (§ 1 GKG); Anwalt: 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 3335 VV RVG); wird Prozesskostenhilfe bewilligt und wird der Rechtsanwalt beigeordnet, fällt die Gebühr nicht gesondert an, da Prozesskostenhilfe-Bewilligungs- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit sind (§ 16 Nr. 2 RVG).
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Wichtig: Wie aus dem vorstehenden Muster (eckige Klammern!) ersichtlich, kann auch Pro- 73 zesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt werden, ohne die Unrichtigkeit des anzufechtenden Urteils zu begründen. Gleichwohl wird dies regelmäßig wenig hilfreich sein. Dies führt dazu, dass regelmäßig Begründungen vorgelegt werden, zumal auch manche Gerichte dies – gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes – verlangen. In einer etwas älteren, sehr umstrittenen (Nickel MDR 2008, 1189) Entscheidung hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es an der Ursächlichkeit der Mittellosigkeit für die Fristversäumung fehlt, wenn der Anwalt dazu bereit ist, in diesem Stadium des Verfahrens bereits eine Berufungsbegründung – trotz fehlender Kostendeckung – vorzulegen (BGH MDR 2008, 994 = NJW 2008, 2855 m. Anm. N. Schneider)! Diese Sicht der Dinge ist auf großen Widerspruch gestoßen, da der sorgfältige Anwalt dafür bestraft wird, dass er sich der Mühe einer Begründung unterzieht und dies auch noch mit dem Risiko, nicht entlohnt zu werden (ausf. F. O. Fischer MDR 2004, 1160). Zwischenzeitlich hat der BGH diese Entscheidung wieder etwas zurückgenommen und ausgesprochen, dass die Mittellosigkeit schon dann für die Versäumung der Rechtsmittelfrist ursächlich geworden ist, wenn der Antragsteller das Rechtsmittel bewusst noch nicht eingelegt hat, sondern dies von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht hat (BGH MDR 2013, 110 = NJW 2013, 697) bzw. lediglich ausdrücklich ein Entwurf vorgelegt wurde (BGH MDR 2018, 49).
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Wichtig: Wegen der Notwendigkeit, Fristverlängerung für eine Rechtsmittelbegründungsfrist zu 74 beantragen s. Kap. 67 Rz. 18 sowie Rz. 69 und 99 f.
c) Klagefristen Wird bei fristgebundenen Klagen in der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit innerhalb der Klagfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, diese aber erst nach Ablauf der Frist bewilligt, so ist dem Antragsteller für die Erhebung der Klage Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu bewilligen (§ 60 VwGO, Antragsfrist hierfür: Zwei Wochen ab Bekanntgabe des Bewilligungsbeschlusses), denn der Prozesskostenhilfeantrag als solcher wahrt die Klage- oder Rechtsbehelfsfrist nicht. Dies gilt nicht in Verfahren nach § 188 VwGO mit Gerichtskostenfreiheit (OLG Hamburg HmbJVBl. 1998, 28).
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Kap. 10 Rz. 76
Prozesskostenhilfe
ZPO
d) Frist zur Klagerhebung
76 Die im Arrest- und Verfügungsverfahren sowie im selbständigen Beweisverfahren dem Kläger nach §§ 926, 494a ZPO gesetzte Frist zur Klagerhebung in der Hauptsache wird durch einen Prozesskostenhilfeantrag nach wohl überwiegender, jedenfalls teilweise vertretener Auffassung gewahrt (Musielak/Voit/Huber § 494a ZPO Rz. 4a; Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 32). Der Kläger kann hier auch vorsichtshalber vorschussfreie Klagzustellung nach § 14 Nr. 3 GKG beantragen (M 10.2). e) Abänderungsklage
77 Der Klage nach § 323 ZPO steht ein Prozesskostenhilfeantrag nicht gleich, so dass mit ihm die Abänderungswirkung des § 323 Abs. 3 ZPO nicht herbeigeführt wird (BGH MDR 1982, 565 = NJW 1982, 1050). Dies gilt gem. § 238 FamFG auch für Familiensachen, mit Ausnahme von Unterhaltssachen (§ 238 Abs. 3 FamFG). Hier hilft ein Antrag auf vorschussfreie Zustellung nach § 14 Nr. 3b GKG zur Vermeidung von Nachteilen (vgl. Rz. 53). f) Vollstreckungsgegenklage, Drittwiderspruchsklage
78 Da ein Prozesskostenhilfeantrag keine Rechtshängigkeit bewirkt, ist eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 Abs. 1 ZPO allein aufgrund beantragter oder bewilligter Prozesskostenhilfe nach jedenfalls überwiegender Auffassung nicht zulässig (OLG Hamburg NJW-RR 1990, 394; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 186), denkbar ist allerdings eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nach § 769 Abs. 2 ZPO. Im Bereich des FamFG ist hingegen § 242 FamFG maßgeblich.
III. Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung 1. Zeitpunkt der Antragsstellung a) Im Hinblick auf die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen
79 Liegen die Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfebewilligung bei Klagerhebung, Rechtsmitteleinlegung oder Verteidigung gegen die Klage oder das Rechtsmittel vor, ist unter Berücksichtigung der Wirkungen des Prozesskostenhilfegesuches (s. Rz. 55 ff.) im Verhältnis zum Streitgegenstand abzuwägen, ob ein isoliertes Prozesskostenhilfegesuch eingereicht werden kann oder die prozessuale Maßnahme (Klage/Rechtsmittel etc.) mit dem Prozesskostenhilfegesuch – und zwar unbedingt, also in ihrer gewollten Wirksamkeit unabhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung – verbunden werden muss. Bestehen Zweifel an der Prozesskostenhilfebedürftigkeit, ist – stets – der sicherste Weg zu wählen und die Klage unabhängig von dem Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung einzureichen oder das Rechtsmittel einzulegen. Über die Risiken, die mit dem einen oder anderen Weg verbunden sind, muss die Prozesskostenhilfe-Partei belehrt werden. Wird die Klage eingereicht und später dann mangels Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Sache nicht mehr weiter verfolgt, muss der Mandant zB die dadurch angefallenen Gerichtskosten tragen!
80 Treten während des Prozesses die Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfebewilligung ein, muss der Antrag möglichst gestellt werden, bevor eine weitere kostenauslösende Maßnahme (Beweisbeschluss, Anforderung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch das Gericht nach ergangenem Beweisbeschluss) eintritt. Für diesen Fall ist im Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe anzuführen, dass die dem Antragsteller zur Prozessführung zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nunmehr erschöpft sind und deshalb Prozesskostenhilfe beantragt werden muss. Höchstvorsorglich sollte beantragt werden, die PKH mit Rückwirkung auszusprechen.
81 Ergibt sich im Verfahren vor erfolgter Bewilligung der Prozesskostenhilfe, dass sich Voraussetzungen für die Bewilligung geändert haben, hat eine entsprechende Mitteilung gegenüber dem Gericht zu erfolgen (§ 120a Abs. 2 ZPO; vgl. auch Rz. 176 ff.). Dies gilt erst recht nach der Bewilligung. 140
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Prozesskostenhilfe
Rz. 85 Kap. 10
Über das Prozesskostenhilfegesuch hat das Gericht nach Anhörung des Gegners (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) so zu entscheiden, dass die bedürftige Partei ihre mit dem Antrag verfolgten Belange nach Lage der Sache noch wahrnehmen kann (BGH FamRZ 2001, 415). Entscheidungsreife im Prozesskostenhilfeverfahren liegt vor, wenn ein formal und inhaltlich vollständiges Prozesskostenhilfegesuch, evtl. nach Vervollständigung fehlender Angaben und Unterlagen, dem Gericht vorliegt (§ 117 ZPO), zulässige gerichtliche Auflagen (vgl. § 118 ZPO) erfüllt sind und dem Gegner eine angemessene, in der Regel zwei Wochen umfassende Frist zur Stellungnahme gewährt worden ist.
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Rechtsfehlerhaft, weil gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG 83 verstoßend, ist es, die Entscheidung über das Gesuch bis zur Entscheidung über die Hauptsache bis zum Abschluss einer bevorstehenden Beweisaufnahme oder bis zur Entscheidung eines vorgreiflichen Rechtsstreits aufzuschieben, um so die Erfolgsaussicht im Nachhinein eindeutig beurteilen zu können (BVerfG NJW 2005, 3489; BSG JurBüro 1988, 506; LAG Berlin v. 7.6.1982 – 12 Ta 6/82; VGH BadenWürttemberg Justiz 1988, 220; ausf. Musielak/Voit/Fischer § 118 ZPO Rz. 19). Eine zu hohe Prüfungsintensität ist verfassungsrechtlich bedenklich, denn Prozesskostenhilfe dient nicht der Gewährung von Rechtsschutz, sondern soll lediglich Rechtsschutz ermöglichen (BVerfG NJW 1991, 413). Zögert das Gericht die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ohne sachlichen Grund hinaus, war dem Antragsteller hiergegen früher die Beschwerde eröffnet (OLG Jena FamRZ 2003, 1673). Nach dem Inkrafttreten der §§ 198 ff. GVG wird daran aber nicht mehr festgehalten werden können (BGH NJW 2013, 385). Über das Prozesskostenhilfegesuch hat das Gericht grundsätzlich aus der Sicht des Zeitpunktes seiner Entscheidung zu urteilen (BGH MDR 2006, 827 = NJW 2006, 1068 Rz. 19; MDR 1982, 564 = NJW 1982, 1104; KG FamRZ 2009, 1505; OVG Greifswald MDR 1996, 98). Wird die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag aus Gründen, die der Antragsteller nicht 84 zu vertreten hat, aber verzögert, kann es geschehen, dass sich in der Zeit zwischen der bereits früher eingetretenen Entscheidungsreife und dem Zeitpunkt der Entscheidung der Prozesssituation für den Antragsteller im Hinblick auf das Ergebnis einer zwischenzeitlichen Beweisaufnahme oder infolge Änderung der Rechtsprechung zu seinen Ungunsten verändert hat. Die Frage, ob die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch aus der gegenwärtigen Sicht zu treffen ist oder aus der Sicht des früheren Zeitpunkts der Entscheidungsreife, wird unterschiedlich beantwortet. Bezüglich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist immer der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (BGH MDR 2006, 827 = NJW 2006, 1068 Rz. 19). Wird eine Rechtsfrage zwischenzeitlich aufgrund einer höchstrichterlichen Entscheidung zu Ungunsten des Antragstellers beurteilt, gereicht ihm dies zum Nachteil (BGH MDR 1982, 564 = NJW 1982, 1104). Geht eine zwischenzeitlich durchgeführte Beweisaufnahme zum Nachteil des Antragstellers aus, ist nach überwiegender Auffassung die Erfolgsaussicht nach dem Zeitpunkt der rechtzeitigen Entscheidung zu beurteilen, da dem Antragsteller aus einer nicht von ihm zu verantwortenden Verzögerung hier kein Nachteil entstehen darf (KG FamRZ 2009, 1505; OVG Greifswald MDR 1996, 98). Dasselbe gilt bei einer sonstigen pflichtwidrigen Verzögerung des Prozesskostenhilfeverfahrens (Zöller/Geimer § 119 ZPO Rz. 46; Musielak/Voit/Fischer § 119 ZPO Rz. 14). Ein rechtzeitig gestellter Prozesskostenhilfeantrag wirkt regelmäßig, auch wenn dies vom Gericht nicht 85 ausdrücklich zum Ausdruck gebracht wird, auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück (BGH MDR 1985, 663 = NJW 1985, 921). Endet die Instanz, bevor über den Prozesskostenhilfeantrag, und sei es erst im Wege der Beschwerde, positiv entschieden worden ist, und trifft den Antragsteller an der Verzögerung der Entscheidung kein Verschulden, so steht dies der rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen (OLG München MDR 1998, 559 = FamRZ 1998, 630; BGH MDR 1985, 663 = NJW 1985, 921). Dies gilt selbst dort, wo das Verfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen ist (LAG BaWü BB 1984, 1366 gegen OVG Koblenz NJW 1982, 2834, weil mit rechtskräftigem Abschluss der Sache die Prozesskostenhilfe ihre Funktion nicht mehr erfüllen könne), ferner bei Eintritt der Erledigung der Hauptsache (OLG Köln JurBüro 1995, 535; OLG Rostock NJW RR 2002, 1516) sowie für den Beklagten im Falle der Klagrücknahme (OLG Köln MDR 1997, 690). Die Einzelheiten sind Fischer
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ZPO
b) Bewilligung
ZPO
Kap. 10 Rz. 86
Prozesskostenhilfe
M 10.5
freilich streitig (Zöller/Geimer § 119 ZPO Rz. 38 ff.; Musielak/Voit/Fischer § 114 ZPO Rz. 13 ff.). Um Zweifelsfragen auszuschließen, empfiehlt es sich, den Rückwirkungszeitpunkt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschluss bezeichnen zu lassen bzw. einen entsprechenden Antrag zu stellen (Prozesskostenhilfe mit Wirkung vom … zu bewilligen). 2. Antrag auf Prozesskostenhilfe
86 Prozesskostenhilfe wird nicht von Amts wegen bewilligt, sondern nur auf Antrag der bedürftigen Partei (allg. zum Antrag vgl. Michel NJW 2016, 853 ff.). Ausnahme: § 1078 Abs. 4 ZPO. Eine Bewilligung ohne Antrag ist zwar wirksam, kann aber nach den §§ 120a Abs. 4, 124 ZPO aufgehoben werden (OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 3).
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Praxistipp: Angaben, die im Verfahren – ergänzend zum Vordruck – zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers gemacht werden, sollten stets in einem gesonderten Schriftsatz enthalten sein, der sich inhaltlich auch nur auf diese Angaben beschränkt. Dem Gericht wird es bei dieser Verfahrensweise ermöglicht, den entsprechenden Schriftsatz in das anzulegende Prozesskostenhilfeheft zu heften; eine beglaubigte Abschrift für den Gegner erübrigt sich. Liegt eine beglaubigte Abschrift hingegen bei, wird regelmäßig davon ausgegangen, dass mit einer Weiterleitung des Schriftsatzes Einverständnis besteht. Dann erhält der Gegner Informationen, die nicht für ihn bestimmt sind, was für die Partei nachteilig sein kann, beispielsweise, wenn so der Arbeitgeber bekannt wird und später dort der Lohn gepfändet wird. Die persönlichen Daten des Antragstellers, die für den Gegner im Falle einer Vollstreckung von Bedeutung sein könnten, werden auf diese Weise geschützt, das Ziel des § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird erreicht. Der entsprechende Schriftsatz sollte daher auch wie folgt eingeleitet werden: In Sachen … gegen … trage ich zum Prozesskostenhilfeantrag für das Prozesskostenhilfeheft noch vor: … Es besteht kein Einverständnis damit, dass der Prozessgegner diese Ausführungen zur Kenntnis bekommt.
a) Noch zu erhebende Klage
88 Der Antrag kann isoliert gestellt werden für eine beabsichtigte, zunächst aber noch nicht eingereichte oder deutlich nur als Entwurf vorgelegte Klage. Zweckmäßig werden verschiedene Schriftsätze (Prozesskostenhilfe-Antrag und Klagentwurf) gefertigt.
89 M 10.5 Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ohne Klagerhebung1 An das … gericht In Sachen … / … (Langrubrum) wegen Schadensersatzforderung überreiche ich anliegend: 1. Erklärung des Antragstellers über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, 2. Klagentwurf (zweifach) und beantrage, dem Kläger für die aus dem beigefügten Entwurf ersichtliche beabsichtigte Klage
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M 10.5
Prozesskostenhilfe
Rz. 91 Kap. 10
Prozesskostenhilfe
ZPO
unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigter2 zu bewilligen. Die Klage soll erst nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe erhoben werden. Da vorliegend dieser Antrag auch zur Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB angebracht wird, wird das Gericht gebeten, die Bekanntgabe dieses Antrages an den Beklagten unverzüglich zu bewirken. Es darf darauf hingewiesen werden, dass das Gericht von Rechts wegen dazu verpflichtet ist, diesem Wunsch nachzukommen, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie das Gericht derzeit die Erfolgsaussicht dieses Antrages einschätzt (BGH MDR 2008, 643 = NJW 2008, 1939 = LMK 2008 258711 mit Anm. F. O. Fischer). Ich bitte zu berücksichtigen, dass der Kläger nach der seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügten Bescheinigung durch Unterhaltsaufwendungen für seine pflegebedürftige Mutter mit einem Monatsbetrag von mindestens 300 Euro3 besonders belastet ist. Zur Begründung führe ich aus: … Kosten: Gericht: Keine Kosten (§ 1 GKG); Anwalt: 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 3335 VV RVG); wird Prozesskostenhilfe bewilligt und wird der Rechtsanwalt beigeordnet, fällt die Gebühr nicht gesondert an, da PKH-Bewilligungs- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit sind (§ 16 Nr. 2 RVG). 1 §§ 117, 118 ZPO. Falls ein Klagentwurf nicht beigefügt wird, sind im Antrag alle Tatsachen zur Begründung des Anspruchs nebst Beweismitteln anzuführen und auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO). 2 § 121 Abs. 2 ZPO; dem beigeordneten Anwalt ist Prozessvollmacht zu erteilen; erst dann gilt er als Prozessbevollmächtigter. 3 § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO.
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Wichtig: Ein Klageentwurf sollte, um versehentliche Zustellungen zu vermeiden, nicht unterzeichnet werden, wohl aber unbedingt der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe! Kommt es in der Folge nicht zu einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe, so sind Gerichtskosten nicht angefallen, da das Prozesskostenhilfeverfahren grundsätzlich kostenfrei ist, außerdem entstehen keine Kostenerstattungsansprüche zu Gunsten der Gegenseite, wenn diese lediglich zum PKH-Antrag angehört wird (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Wird PKH beantragt, ohne dass ein Klageentwurf beigefügt wird (M 10.5), darf natürlich nach der Bewilligung nicht vergessen werden, die Klage auch zu erheben, und zwar zu dem Aktenzeichen des PKH-Verfahrens (vgl. Rz. 155!).
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b) Gleichzeitige Klagerhebung Der Antrag kann zusammen mit der Klage gestellt werden, wobei die Möglichkeit besteht, die Klage gleichzeitig unbedingt zu erheben oder mit der Erklärung, es solle die Klage nur als erhoben gelten, wenn und soweit dem Prozesskostenhilfeantrag entsprochen werde. Lässt man die Klage zustellen, entstehen natürlich Kostenerstattungsansprüche, sonst nicht. Wenn der Vorschuss eingezahlt oder aufgestempelt wird, wird die Klage sogleich zugestellt, anderenfalls muss zusätzlich zum Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe der Antrag auf Zustellung ohne Vorschusszahlung (M 10.2 nach Rz. 53) gestellt werden. Eine Klageerhebung ist allerdings bedingungsfeindlich (BGH MDR 2003, 1314 = NJW-RR 2003, 1558). Rechtshängigkeit wird daher erst dann eintreten, wenn die Klage nach Bewilligung dann zugestellt wird. Eine bedingte Klageerhebung bedeutet daher letztlich nur eine Klarstellung dahingehend, dass die Klage erst nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe zugestellt werden soll (Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, PKH, VKH, BerH, 8. Aufl. 2016, Rz. 136).
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Kap. 10 Rz. 92
Prozesskostenhilfe
M 10.6
92 M 10.6 Prozesskostenhilfeantrag mit Klagerhebung1 An das …gericht … Klage und Prozesskostenhilfeantrag In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich eine Klage nebst beglaubigter Abschrift sowie die Erklärung des Klägers über dessen persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse. Ich bitte darum, die Klage förmlich zuzustellen und dem Kläger für die Klage Prozesskostenhilfe unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigter zu bewilligen. Alternativ: Ich bitte darum, die Klage noch nicht förmlich zuzustellen und dem Kläger für die nur im Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe als erhoben anzusehende Klage Prozesskostenhilfe unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigter zu gewähren. Kosten: s. Anm. zu M 10.5. 1 Vgl. Fn. 1 und 3 zu M 10.5.
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Praxistipp: Diese Form des Antrags bietet gegenüber dem M 10.5 den Vorteil, dass die beglaubigte Abschrift der Klage dem Beklagten nach Prozesskostenhilfebewilligung sofort zugestellt werden kann. Es ist demnach eine zusätzliche einfache Abschrift – neben der beglaubigten Abschrift – der Klage beizufügen, damit diese Abschrift dem Antragsgegner für die Erwiderung auf den Prozesskostenhilfeantrag zugestellt werden kann. Die entsprechende Abschrift ist als für diesen Zweck beigefügt kenntlich zu machen. Im Normalfall dürfte es sich allerdings empfehlen, entsprechend dem M 10.5 vorzugehen und nach Bewilligung eine Klageschrift vorzulegen, die dann zugestellt wird.
c) Klagerweiterung
94 Erweitert der Kläger seine Klaganträge, ändert er nachträglich die Klage oder erhebt der Beklagte Widerklage, nachdem ihm für seine Rechtsverteidigung Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, und soll auch hierfür Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen werden, bedarf es eines neuen Antrags auf erweiterte Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Das Gericht hat in diesem Fall erneut die Voraussetzungen der PKH zu prüfen (vgl. hierzu § 48 RVG). Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 GKG soll die Klageerweiterung erst nach Zahlung der weiteren Gebühren (oder natürlich nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe zugestellt werden). Dies wird aber oft übersehen, so dass gleichwohl zugestellt wird. Diese Zustellung ist dann wirksam mit allen prozessualen Konsequenzen wie beispielsweise einem Kostenerstattungsanspruch.
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Prozesskostenhilfe
Rz. 97 Kap. 10
M 10.7 Antrag auf Prozesskostenhilfe für Klagerweiterung
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An das … gericht Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, die dem Kläger mit Beschluss vom 16.2.20 … gewährte Prozesskostenhilfe auf die aus dem anliegenden Schriftsatz ersichtliche erweiterte Klage zu erstrecken. Alternativ (je nach dem ob direkt oder erst nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe): … auf die aus dem anliegenden Schriftsatz ersichtliche beabsichtigte Klagerweiterung zu erstrecken.
M 10.8 Prozesskostenhilfeantrag für Widerklage
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An das … gericht Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) stelle ich für die Beklagte/Widerklägerin den Antrag, für die mit heutigem Schriftsatz überreichte Widerklage der Beklagten Prozesskostenhilfe mit meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten verweise ich auf deren bereits bei den Gerichtsakten befindliche Erklärung, aufgrund deren ihr mit Beschluss vom 15.3.20 … für die Rechtsverteidigung gegen die Klage bereits Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Eine Änderung der dort genannten Verhältnisse ist seit Vorlage der Erklärung nicht eingetreten.
d) Unbezifferte Klage (Schmerzensgeld) Will der Kläger Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen für eine unbezifferte Schmerzensgeldklage 97 mit dem Antrag, es werde die Bemessung der geforderten Leistung in das Ermessen des Gerichts gestellt, muss er, um die Zuständigkeit des Gerichts und nach Entscheidung die Höhe der Beschwer des Klägers feststellen zu können, die Größenordnung des Schmerzensgeldes beziffern, ohne diese nach oben begrenzen zu müssen. Da sich die Zuständigkeit im Prozesskostenhilfeverfahren nach derjenigen des Hauptprozesses richtet, bedarf es für den Fall, dass das angerufene Landgericht seine Zuständigkeit verneint, weil es das begehrte Schmerzensgeld mit 5.000 Euro oder geringer ansetzt, eines hilfsweise gestellten Verweisungsantrags an das Amtsgericht sowie im umgekehrten Fall, dass das angerufene Amtsgericht das geforderte Schmerzensgeld mit mehr als 5.000 Euro für gerechtfertigt hält und ihm daher die sachliche Zuständigkeit fehlt, eines hilfsweise gestellten Verweisungsantrag an das Landgericht, analog § 281 ZPO. Benennt der Antragsteller in einem isolierten Prozesskostenhilfeantrag seine Mindestforderung mit mehr als 5.000 Euro, kann er nicht sicher sein, dass das Landgericht über seinen Antrag entscheiden wird, da es streitig ist, ob das Landgericht auch dann für die Entscheidung zuständig bleibt, wenn es zu der Auffassung gelangt, die Rechtsverfolgung sei nur zum Teil aussichtsreich und es sei daher für den aussichtsreichen Teil der beabsichtigten Klage
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ZPO
M 10.8
ZPO
Kap. 10 Rz. 98
Prozesskostenhilfe
M 10.9
unzuständig. Die Einzelheiten sind streitig (vgl. zB Saenger MDR 1999, 850 ff.; Zöller/Geimer § 114 ZPO Rz. 22a f.; Musielak/Voit/Fischer § 114 ZPO Rz. 25). e) Besonderer Terminsvertreter
98 Prozesskostenhilfe kann bewilligt werden, um einen besonderen Vertreter zur Wahrnehmung eines auswärtigen Beweistermins dem Antragsteller beiordnen zu lassen. Auch ist im Falle der Prozessführung vor einem vom Wohnsitz der Partei entfernten Gericht die Beiordnung eines Verkehrsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe möglich (§ 121 Abs. 3 ZPO).
99 M 10.9 Beiordnung eines besonderen Terminsvertreters An das … gericht … Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, dem Beklagten Rechtsanwalt Recht in B als besonderen Anwalt zur Wahrnehmung des Termins zur Vernehmung des Zeugen D vor dem ersuchten Richter beizuordnen (§ 121 Abs. 3 ZPO). Zur Begründung führe ich aus: Das Amtsgericht in B hat als ersuchter Richter Termin zur Vernehmung des Zeugen D gem. Beweisbeschluss vom 21.4.20 … auf den 26.5.20 … anberaumt. Da das Ergebnis der Beweisaufnahme für die Durchsetzung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches von ausschlaggebender Bedeutung ist, bedarf der Beklagte anwaltlicher Vertretung während der Vernehmung des Zeugen D. Die Reisekosten, die mir als beigeordnetem Prozessbevollmächtigten entstehen, sind höher als die Kosten, die durch die Beiordnung eines Terminsvertreters veranlasst werden. Meine Reisekosten werden betragen …. Die Kosten des Terminsvertreters bemessen sich bei einem Streitwert von … gem. Nr. 3401, 3402 VV RVG demgegenüber auf … Euro. Rechtsanwalt … in B hat sich zur Wahrnehmung des Termins bereit erklärt. Er ist bei dem Gericht, bei dem die Beweisaufnahme stattfindet, zugelassen. Dem Beklagten ist für das anhängige Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die unverändert sind, erlauben es ihm nicht, die Kosten für einen Beweisanwalt aufzubringen. Kosten: keine Gerichtsgebühr, keine weitere Anwaltsgebühr des Prozessbevollmächtigten für diesen Antrag (§ 19 Abs. 1 RVG).
f) Berufungsverfahren, vor und nach Einlegung der Berufung
100 Achtung! Hier können zahlreiche Fehler unterlaufen! Vgl. unbedingt zunächst Rz. 70 ff.! PKH kann nur für jeden Rechtszug gesondert bewilligt werden (§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Gelangt der Rechtsstreit in die höhere Instanz, muss die bedürftige Partei beim Berufungs-/Beschwerdegericht für das nunmehr dort anhängige Verfahren erneut um Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachsuchen (s. auch Rz. 68). Hat der Gegner das Rechtsmittel eingelegt, so hat das Gericht die Frage der Erfolgsaussicht der Verteidigung gegen das Rechtsmittel nicht zu prüfen, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO (vgl. auch Rz. 151).
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Prozesskostenhilfe
Rz. 106 Kap. 10
M 10.10 Prozesskostenhilfeantrag für den Berufungsbeklagten
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An das … gericht Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, dem Berufungsbeklagten Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Eine vom Berufungsbeklagten ausgefüllte und unterzeichnete Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen liegt bei. Da ein Fall notwendiger Bewilligung vorliegt, ist die Erfolgsaussicht der Verteidigung gegen die Berufung nicht zu prüfen (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Kosten: Gericht: Keine Kosten (§ 1 GKG); Anwalt: 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 3335 VV RVG); wird Prozesskostenhilfe bewilligt und wird der Rechtsanwalt beigeordnet, fällt die Gebühr nicht gesondert an, da Prozesskostenhilfe-Bewilligungs- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit sind (§ 16 Nr. 2 RVG), im Berufungsverfahren erhält der Rechtsanwalt die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG.
Die bedürftige Partei, die ein Rechtsmittelverfahren unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durchführen will, hat mehrere Möglichkeiten ihres Vorgehens:
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Als Berufungskläger beauftragt sie zunächst noch keinen Anwalt mit der Vertretung im Rechtsmittelverfahren, sondern stellt entweder selbst oder durch einen Rechtsanwalt mit entsprechend vermindertem Kostenrisiko (1,0-Gebühr nach Nr. 3335 VV RVG) nur einen Prozesskostenhilfeantrag für das Berufungsverfahren (Rz. 70, 71 mit Muster). Eine beigefügte „Berufungsbegründung“ muss ausdrücklich und deutlich als Entwurf bezeichnet werden. Sie ist zweckmäßigerweise vom Prozesskostenhilfeantrag in der Weise zu trennen, dass verschiedene Schriftsätze gefertigt werden. Im Hinblick auf die Ausführungen in Rz. 73 dürfte es aber sicherer sein, die entsprechenden Ausführungen im Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu integrieren und keinen Entwurf einer Berufungsbegründung vorzulegen.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren muss von dem Beru- 104 fungskläger vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gestellt werden. Ergeht die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch durch das Gericht nach Ablauf der Rechtsmittelfrist und wird Prozesskostenhilfe bewilligt, muss der Antragsteller wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (Berufung, sofortige Beschwerde etc.) binnen der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO um Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nachsuchen (vgl. Kap. 71 sowie oben Rz. 68, 69, 71). Da die finanzielle Hilfsbedürftigkeit als Hindernis an der rechtzeitigen Wahrnehmung der Rechte und Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Einlegung des Rechtsmittels gilt, wird das Gericht dem Gesuch stattgeben. Innerhalb der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag ist zugleich die versäumte Rechtshandlung, dh. die Einlegung des Rechtsmittels, nachzuholen. Vorsicht: Das durch Mittellosigkeit begründete Hindernis an der rechtzeitigen Einlegung der Beru- 105 fung entfällt schon bei der teilweisen Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Umfang der Anfechtung bei der Einlegung der Berufung noch nicht bestimmt werden muss (BGH NJW-RR 1993, 451; OLG Saarbrücken NJW-RR 2007, 1574). Da die Rechtsmittelbegründungsfrist im Normalfall mit der Zustellung des in vollständiger Form ab- 106 gefassten Urteils beginnt, muss, wenn die Begründung des Rechtsmittels nicht sogleich mit dessen Fischer
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ZPO
M 10.10
ZPO
Kap. 10 Rz. 107
Prozesskostenhilfe
Einlegung erfolgt, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Bekanntgabe des Wiedereinsetzungsbeschlusses (vgl. Rz. 71; Achtung: Bei der Rechtsbeschwerde beginnt die Frist bereits mit der Zustellung des Bewilligungsbeschlusses, BGH MDR 2008, 1058 = NJW 2008, 3500!) Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Rechtsmittels (vgl. die Aufzählung der in Betracht kommenden Rechtsmittel in § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) beantragt und das Rechtsmittel in dieser Frist auch begründet werden. Ein Antrag auf Verlängerung der – bereits abgelaufenen – Frist für die Begründung der Berufung ist nicht zulässig; er wahrt die Begründungsfrist nicht. Vgl. zur Wiedereinsetzung im Falle des Antrags auf Prozesskostenhilfe-Bewilligung insbesondere auch Kap. 71 Rz. 90 ff.). Hier ist besondere Vorsicht geboten! Es gibt zahlreiche Fehler, die hier unterlaufen können.
107 Die bedürftige Partei kann auch in der Weise vorgehen, dass sie fristgerecht Berufung einlegen lässt und dies mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbindet (BGH NJW-RR 2000, 879). Die Begründung dieses Antrags wird in der Regel weitgehend identisch sein mit dem Inhalt einer Rechtsmittelbegründung. Ergeht die Entscheidung des Gerichts über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht während des Laufs der – ersten – Frist für die Begründung der Berufung, ist ein Antrag auf Verlängerung der Frist nicht geboten, um nach Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag Wiedereinsetzung zu erhalten (BGH MDR 2007, 1151; MDR 2005, 1430). Allerdings muss der Anwalt im Hinblick auf die Entscheidung des BGH (BGH MDR 2008, 994 = NJW 2008, 2855) vorsichtshalber darlegen, dass er auch im Rahmen des bedingungslos eingelegten Rechtsmittels nicht als Wahlanwalt tätig geworden ist, sondern das Rechtsmittel lediglich deswegen bedingungslos eingelegt hat, da dies dem „Gebot des sichersten Weges“ entsprach.
108 Eine für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegte Berufung ist unzulässig (BGH FamRZ 2007, 895). Die Berufung ist jedoch auch dann wirksam (unbedingt) eingelegt, wenn ihre „Durchführung“ von der Gewährung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht wird. Damit wird in der Regel nicht die Einlegung der Berufung unter den Vorbehalt der Prozesskostenhilfebewilligung gestellt, sondern es behält sich der Berufungsführer für den Fall der Versagung der Prozesskostenhilfe die Rücknahme des Rechtsmittels vor (BGH MDR 2007, 1387 = NJW-RR 2007, 1565). Sind die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung erfüllt, kommt die Deutung, der Schriftsatz sei nicht als unbedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt, nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (BGH MDR 2007, 1387; MDR 2002, 775 = NJW 2002, 1352). Auf ein solches Vorgehen sollte man sich aber besser nicht einlassen.
109 Wird die PKH bewilligt, bevor die Frist für die Begründung des Rechtsmittels abgelaufen ist, kann innerhalb der verbleibenden Frist das Rechtsmittel begründet werden. Höchstvorsorglich sollte dies – zur Vermeidung von Risiken – unbedingt geschehen. Wird über die verbleibende Zeit hinaus Zeit zur Begründung benötigt, muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Prozesskostenhilfebewilligung bzw. des Wiedereinsetzungsantrags (vgl. Rz. 71) die Begründung des Rechtsmittels vorgelegt und zugleich um Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist nachgesucht werden (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO); auf die in Rz. 104 genannten Hindernisse, die einer Fristverlängerung entgegengestanden haben, ist im Wiedereinsetzungsgesuch vorsorglich hinzuweisen.
110 Wird dem Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsmittels versagt, so wird ihm eine Überlegungsfrist von zwei bis drei Tagen ab Zustellung des ablehnenden Beschlusses zugestanden, innerhalb derer er sich schlüssig werden muss, ob er das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Nach Ablauf dieser Überlegungsfrist beginnt dann die Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen zu laufen (BGH VersR 1999, 1123; MDR 2008, 99).
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Praxistipp: Die Überlegungsfrist sollte nur in außergewöhnlichen Fällen genutzt werden. Der Antragsteller sollte rechtzeitig schon vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag befragt werden, was geschehen soll, wenn dem Antrag nicht stattgegeben wird.
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Prozesskostenhilfe
Rz. 116 Kap. 10
Wenn und soweit dem Antragsteller Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise verweigert wird, hat er die 112 Möglichkeit, gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde einzulegen. Sie unterliegt gem. §§ 127 Abs. 2, 569 ZPO einer Notfrist von einem Monat. Die Beschwerde richtet sich entweder an das Gericht, das über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden hat, oder an das Beschwerdegericht (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Gericht, das den ablehnenden Beschluss erlassen hat, kann der Beschwerde abhelfen; geschieht dies nicht und wäre gegen eine Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel zulässig (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), so hat das Rechtsmittelgericht über die Beschwerde zu entscheiden. Deswegen ist es alleine sinnvoll, die Beschwerde beim Ausgangsgericht einzulegen. War Prozesskostenhilfe lediglich aus Gründen fehlender Bedürftigkeit versagt worden, so ist eine sofortige Beschwerde in jedem Fall, also auch ohne Erreichen des Beschwerdewerts des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, statthaft (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde kann gegen den die sofortige Beschwerde zurückweisenden Beschluss nur zugelassen werden, wenn im Rahmen der Rechtsbeschwerde über die ProzesskostenhilfeBedürftigkeit oder Verfahrensfragen der PKH zu entscheiden ist; der Erfolg des Begehrens selbst kann nicht mit der Rechtsbeschwerde überprüft werden, vielmehr ist in derartigen Fällen Prozesskostenhilfe zu bewilligen und im ordentlichen Verfahren zu entscheiden (BGH MDR 2003, 478 = NJW 2003, 1126; FamRZ 2004, 1867; BGH MDR 2013, 364 = NJW 2013, 1310).
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Praxistipp: Sind die Voraussetzungen der förmlichen Zustellung (§§ 166 ff. ZPO) durch Empfangsbekenntnis des ablehnenden Beschlusses durch das Gericht irrtümlich nicht eingehalten, muss die sofortige Beschwerde spätestens vor Ablauf von sechs Monaten nach Zugang des Beschlusses eingelegt werden. Dies folgt aus § 569 Abs. 1 ZPO iVm. § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO (Monatsfrist), wenn man den Zugang der Verkündung eines Beschlusses gleichstellt, oder aus § 204 Abs. 2 BGB, wenn man die Verzögerung bei der Einlegung des Rechtsbehelfs dem Stillstand des Verfahrens gleichsetzt. Aber auch hierauf sollte man sich vorsichtshalber nicht einlassen, sondern innerhalb der Frist nach formlose Übermittlung reagieren.
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Gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann die Staatskasse sofortige Beschwerde einlegen, je- 114 doch nur dann, wenn das Gericht weder Zahlungen aus dem Vermögen noch Ratenzahlungen angeordnet hat. Die Staatskassen-Beschwerde kann nur damit begründet werden, es hätten dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen auferlegt werden müssen. Die Beschwerdefrist beträgt auch hier gem. §§ 127 Abs. 3 Satz 3, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Monat. Die Beschwerde der Staatskasse ist drei Monate nach Verkündung oder bei unterbliebener Verkündung seit Übergabe an die Geschäftsstelle nicht mehr statthaft. In der Praxis werden derartige Beschwerden allerdings kaum eingelegt.
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Praxistipp: In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten unterliegt die sofortige Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe einer Frist von zwei Wochen (§ 147 Abs. 1 VwGO); vor den Sozialgerichten beträgt die Frist einen Monat (§ 173 SGG); im finanzgerichtlichen Verfahren unterliegen Prozesskostenhilfeentscheidungen keiner Beschwerde (§ 128 Abs. 2 FGO).
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h) Vergleich bei Prozesskostenhilfe und im Prozesskostenhilfeverfahren Einer Partei, der zur Führung des Rechtsstreits Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, ist auch für den Abschluss eines den Prozess beendenden Vergleichs Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ggf. ihr ein Rechtsanwalt beizuordnen. Im Normallfall umfasst die bewilligte Prozesskostenhilfe auch einen gerichtlichen (nach teilweise vertretener Auffassung auch einen außergerichtlichen) Vergleich. Umfasst der Vergleich auch bisher nicht rechtshängige Gegenstände, so erstreckt sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf den zusätzlichen Vergleichswert allerdings nur, sofern dies beantragt und die Prozesskostenhilfe auch insoweit bewilligt worden ist. Einzelheiten: Zöller/Geimer § 119 ZPO Rz. 25; Musielak/Voit/Fischer § 119 ZPO Rz. 5.
Fischer
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ZPO
g) PKH-Beschwerdeverfahren
Kap. 10 Rz. 117
ZPO
117 K
Prozesskostenhilfe
M 10.11
Praxistipp: Die Einbeziehung von bisher nicht rechtshängigen Gegenständen in den Vergleich erfolgt erfahrungsgemäß häufig erst bei der Formulierung und Protokollierung des Vergleiches selbst. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für die bisher nicht rechtshängigen Gegenstände kann in diesen Fällen auch unmittelbar vor der Genehmigung, also nach dem Vorlesen des Vergleiches aus dem Protokoll gestellt werden. Das ist dann zu empfehlen, wenn sich die Ausformulierung des Vergleiches hinzieht oder vor Verlesen des Vergleiches der Antrag versäumt worden ist. Der Beschluss über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe sollte abgewartet werden, bevor der Vergleich dann genehmigt wird. Wird Prozesskostenhilfe für einen Vergleich nachträglich bewilligt, werden im Zweifel auch die dem Vergleichsabschluss vorausgegangenen Verhandlungen hiervon erfasst (OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1087; aM OLG Saarbrücken AGS 2008, 35).
118 M 10.11 Antrag auf Prozesskostenhilfeerweiterung bei Abschluss eines Vergleiches An das … gericht Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) wegen Ehescheidung beantrage ich, die dem Kläger durch Beschluss vom 16.2.20 … gewährte Prozesskostenhilfe auf den im Schriftsatz vom … angekündigten, in der noch anzuberaumenden mündlichen Verhandlung zu protokollierenden Vergleich … zu erstrecken. Zur Begründung führe ich aus: Der Vergleich erstreckt sich auch auf den im vorliegenden Verfahren noch nicht rechtshängigen Streit der Parteien über …. Die Parteien wollen sich – im Zuge der Einigung über die Klageforderung – auch hierüber einigen. Da der Wert des Vergleiches dadurch den Streitwert des Verfahrens übersteigt, ist die Prozesskostenhilfebewilligung zu erweitern und auf den beabsichtigten Vergleich zu erstrecken.
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Praxistipp: Im Vergleich werden häufig die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben. Dies bewirkt, dass der Prozessgegner auch keinen Differenzkostenanspruch (§ 126 ZPO) zu befürchten hat. Die Kostenaufhebung führt demnach – wäre eine andere Kostenregelung nach Obsiegen oder Unterliegen angezeigt – zu einer finanziellen Benachteiligung des Anwalts. Diese sollte jedoch in Kauf genommen werden, um die Vergleichsbereitschaft zu fördern, zumal eine Kostenaufhebung für die Parteien regelmäßig Vorteile bietet; insbesondere kann der Gegner keine Kostenerstattungsansprüche bezüglich der Rechtsanwaltskosten geltend machen. Kommt eine derartige Kostenregelung nicht zustande, ist wegen der Regressrisiken Rz. 120 zu beachten.
120 K
Wichtig: Bei Vergleichen muss genau auf die Kostenverteilung geachtet werden. Wer Kosten in einem Vergleich übernimmt, ist nicht Entscheidungs-, sondern Übernahmeschuldner. Die in Rz. 18 geschilderten Grundsätze gelten daher nicht. Dies bedeutet, dass der Gegner unter Umständen (§ 123 ZPO!) aufgrund der Kostenvereinbarung Kosten gegen die ProzesskostenhilfePartei festsetzen lassen kann. § 31 Abs. 3 GKG verhindert dies bei dem Entscheidungsschuldner, und zwar dadurch, dass der Gegner der Prozesskostenhilfe-Partei gezahlte Gerichtskosten zurückerhält. Diese Vorschrift gilt aber bei Vergleichen nicht. Dieses Problem lässt sich auf zwei Wegen lösen: Einmal besteht die Möglichkeit, sich nur über die Hauptsache zu vergleichen und die Kostenentscheidung gem. § 91a ZPO dem Gericht zu überlassen, dann wird die Prozesskostenhilfe-
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Prozesskostenhilfe
Rz. 125 Kap. 10
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Partei nämlich nicht Übernahme, sondern wiederum Entscheidungsschuldner. Allerdings reduzieren sich die Gerichtskosten dann nicht (vgl. Nr. 1411 Nr. 3. KV GKG). Sinnvoller ist es daher, auf § 31 Abs. 4 GKG zurückzugreifen. Danach gilt § 31 Abs. 3 GKG (mithin die Rückgriffssperre) entsprechend, wenn 1.) der Kostenschuldner die Kosten in einem vor Gericht abgeschlossen oder gegenüber dem Gericht angenommenen Vergleich übernommen hat, 2.) der Vergleich einschließlich der Verteilung der Kosten von dem Gericht vorgeschlagen worden ist und 3.) das Gericht in seinem Vergleichsvorschlag ausdrücklich festgestellt hat, dass die Kostenregelung der sonst zu erwartenden Kostenentscheidung entspricht. Wer also eine Prozesskostenhilfe-Partei vertritt, muss bei einem Vergleich immer § 31 Abs. 4 GKG beachten, ansonsten können Regressansprüche drohen! Die Parteien können die Kostenregelung in einem Vergleich nicht mit Wirkung für die Staatskasse im Nachhinein ändern (BGH NJW-RR 2001, 285). Praxistipp: Muss die Prozesskostenhilfe-Partei gleichwohl Kosten an den Gegner erstatten, so 121 muss darauf geachtet werden, dass diese in eine eventuelle Ratenzahlungsvereinbarung einfließen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Gegner die Kosten neben einer Ratenzahlung auf die Hauptsache vollstreckt. Damit wird eine Prozesskostenhilfe-Partei in der Regel überfordert sein. Auch besteht die Gefahr, dass die Voraussetzungen einer vereinbarten Verfallklausel eintreten. S. auch Kap. 37 Rz. 20 f.
Im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann das Gericht zu einer mündlichen 122 Erörterung laden, wenn nach Sachlage ein Vergleich zu erwarten ist. Der Vergleich ist zu gerichtlichem Protokoll zu nehmen und stellt alsdann einen Vollstreckungstitel dar (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO). Bei Vergleichsabschluss im Prozesskostenhilfe-Verfahren und Anwaltsbeiordnung ist ausnahmsweise (sonst ist dies nicht bzw. nur im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich!) Prozesskostenhilfe für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren („PKH für PKH“; zu den dann entstehenden Anwaltsgebühren F. O. Fischer MDR 2008, 477) zu bewilligen (Zöller/Geimer § 118 ZPO Rz. 8; OLG Schleswig AGS 2005, 213; OLG Hamm NJW-RR 1998, 863; OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 864; umstr. aM: BGH MDR 2004, 1312 = NJW 2004, 2595; nur für den Vergleich selbst). Im Prozesskostenhilfeverfahren abgeschlossene Vergleiche können gem. § 278 Abs. 6 ZPO auch rein 123 schriftlich mit Titulierungswirkung festgestellt werden (KG JurBüro 2008, 29 = AGS 2008, 68; Zöller/ Geimer § 118 ZPO Rz. 7). Werden in dem Vergleich Gegenstände mitgeregelt, für die der Antragsteller eine Rechtsverfolgung nicht beabsichtigt hatte, so kann das Gericht – so wie bei der Einbeziehung von bisher nicht rechtshängigen Streitgegenständen (s. Rz. 116 f.) – auch hinsichtlich der mitverglichenen Gegenstände Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Protokollierung eines Vergleichs bewilligen. Es fällt neben der Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1003 VV RVG) auch die Terminsgebühr für das Verhandeln der nicht anhängigen Gegenstände (Nr. 3104 VV RVG) an (BGH MDR 2018, 691 = NJW 2017, 1679 mit Anm. Heßeler; Musielak/Voit/Fischer § 119 ZPO Rz. 5 f.). Außergerichtliche Kosten des PKH-Bewilligungsverfahrens und des etwa abgeschlossenen Vergleichs werden nicht erstattet, können aber durch Vergleich übernommen und festgesetzt werden (KG JurBüro 2008, 29). Dies gilt auch für den Fall der Rücknahme einer Prozesskostenhilfebeschwerde sowie bei Rücknahme eines Klagantrags, der nicht zugestellt worden ist. Aus diesem Grunde ergeht im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren, welches isoliert betrieben und nicht mit einer unbedingten Klagerhebung verbunden worden ist, keine gerichtliche Kostenentscheidung, ausgenommen davon ist die Entscheidung über Gerichtskosten im Falle der Zurückweisung oder Verwerfung der Beschwerde gegen einen ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss. Hierfür fällt eine Festgebühr iHv. 60 Euro an (Nr. 1812 KV GKG).
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i) Einstweiliger Rechtsschutz PKH kann auch für Arrest- sowie einstweilige Verfügungs- bzw. Anordnungsverfahren bewilligt werden. PKH-Bewilligung für ein schon anhängiges Verfahren in der Hauptsache deckt nicht ein Arrest-
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Kap. 10 Rz. 126
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oder einstweiliges Verfügungsverfahren mit ab (§ 48 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 RVG); hierfür muss die Prozesskostenhilfe gesondert beantragt werden. Wegen der Eilbedürftigkeit dieser Verfahren findet eine Anhörung des Gegners nach § 118 ZPO zum Prozesskostenhilfeantrag hier regelmäßig nicht statt. Der gleichzeitige Betrieb des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und der Hauptsache kann – vor allem in Familiensachen – mutwillig sein (vgl. im Einzelnen: F. O. Fischer MDR 2011, 642 ff.). Es empfiehlt sich daher regelmäßig, zunächst nur das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu betreiben und abzuwarten, ob nicht in diesem Rahmen die Streitigkeit endgültig abgeschlossen werden kann, zB durch einen Vergleich.
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Wichtig: Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 RVG erstreckt sich die Anwaltsbeiordnung auch auf die Vollziehung, wenn der Rechtanwalt für die Erwirkung eines Arrestes, einer einstweiligen Verfügung oder einer einstweiligen Anordnung beigeordnet ist. Gleichwohl kann aber auf die Beantragung von Prozesskostenhilfe nicht verzichtet werden, da in diesem Zusammenhang auch weitere Kosten, die nicht von einer Anwaltsbeiordnung gedeckt sind, anfallen, zB Gerichtsvollzieherkosten. Für den Ausspruch der Prozesskostenhilfe für die Vollziehung kommt dem Prozessgericht im Übrigen eine Annexkompetenz zu, so dass es sich empfiehlt, einen entsprechenden Antrag zu stellen, mithin dem Antragsteller „Prozesskostenhilfe für das Arrestverfahren und die Vollziehung des Arrestes zu bewilligen …“.
j) Zwangsvollstreckung
127 Der bedürftigen Partei kann auch für die Zwangsvollstreckung Prozesskostenhilfe bewilligt werden (Einzelheiten: F. O. Fischer Rpfleger 2004, 190). Die Entscheidung hierüber liegt bei dem für die Zwangsvollstreckung zuständigen Gericht (§ 117 Abs. 1 Satz 3 ZPO); also regelmäßig bei dem Rechtspfleger. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen umfasst alle Vollstreckungshandlungen im Bezirk des Vollstreckungsgerichts einschließlich des Verfahrens auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Es ist also – beim Vorliegen einer solchen Pauschalbewilligung – nicht erforderlich, für jede einzelne Vollstreckungsmaßnahme Prozesskostenhilfe zu beantragen (§ 119 Abs. 2 ZPO). Beantragt der Schuldner Prozesskostenhilfe, ist die Erfolgsaussicht natürlich bei jeder einzelnen Vollstreckungsmaßnahme genau zu prüfen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung gibt es eine umfangreiche Kasuistik (vgl. zB Zöller/Geimer § 121 ZPO Rz. 7; Musielak/Voit/Fischer § 121 ZPO Rz. 15; F. O. Fischer Rpfleger 2004, 190, 194).
IV. Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse 1. Inhaltliche Anforderungen a) Bedürftigkeit
128 Wer Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen will, hat seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem Gericht unter Verwendung des hierfür eingeführten Vordrucks (BGBl. I 2014, 34 ff.) offen zu legen. Soweit für bestimmte Angaben Belege, zB über Einkünfte oder Belastungen, gefordert werden, gehört deren Vorlage zur Ordnungsmäßigkeit des Antrags. Fehlen sie und werden sie trotz Aufforderung des Gerichts nicht fristgerecht nachgereicht, so unterliegt schon aus diesem Grunde der Prozesskostenhilfeantrag der Abweisung mangels ausreichender Darlegung der Bedürftigkeit (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Darlegung der Bedürftigkeit kann nach hM im Rahmen einer sofortigen Beschwerde nachgeholt werden (OLG Celle MDR 2013, 364 f.).
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Wichtig: Der Antragsteller ist vom Anwalt auf diese Folgen insbesondere dann hinzuweisen, wenn dem Antrag verjährungshemmende oder Frist wahrende Bedeutung zukommt (vgl. Rz. 55 ff.). An den Anwalt wird ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab bei Prüfung der Vollständigkeit der Unterlagen und auch der Prozesskostenhilfebedürftigkeit gestellt (BGH MDR 2001, 1312 = NJW 2001, 2720).
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Prozesskostenhilfe
Rz. 135 Kap. 10
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Für die Klagerweiterung oder Widerklage kann im Regelfall auf die dem Gericht bereits vorliegende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Bezug genommen werden mit der Versicherung, dass sich diese Verhältnisse inzwischen nicht geändert haben. Will sich das Gericht mit dieser Erklärung nicht begnügen, so ist eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beizubringen. Beim Prozesskostenhilfegesuch für Rechtsmittel ist idR eine neue Erklärung nebst Anlagen vorzulegen. Wird auf die Angaben erster Instanz Bezug genommen, muss dies richtig sein. Vgl. dazu Rz. 70.
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Die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sollen dem Gericht die Prüfung ermöglichen, ob und wieweit dem Antragsteller Zahlungen aus seinem Vermögen oder Ratenzahlungen aus seinem Einkommen aufzuerlegen sind.
b) Einzusetzendes Einkommen Prozesskostenhilfe ist eine Sonderform der Sozialhilfe. Sie wird daher nur bewilligt, wenn dem Bedürftigen nicht eigenes Vermögen oder Einkommen zur Bestreitung von Prozesskosten zur Verfügung stehen. Abzustellen ist allein auf die finanziellen Verhältnisse der Partei, nicht auf die seiner Familie oder einer eheähnlichen Gemeinschaft (OLG Karlsruhe JurBüro 2004, 382 = NJOZ 2004, 3458). Allerdings gehören Ansprüche auf Prozesskostenvorschüsse zum einsatzpflichtigen Vermögen. Dies ist insbesondere bei Ehegatten sowie Kindern und Jugendlichen zu beachten.
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Zum Einkommen gehören sämtliche Einkunftsarten im Sinne des Einkommensteuerrechts einschließlich geldwerter Sachbezüge, nämlich insbesondere
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– aus selbständiger, gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit, – aus unselbständiger Tätigkeit, einschl. Überstundenvergütungen, Provisionen, Tantiemen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Entgelten für vergütungspflichtige unentgeltliche Tätigkeit, verschleiertem Einkommen, erzielbares (fiktives) Einkommen bei ansonsten missbräuchlicher Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe (OLG Brandenburg NJW-RR 2008, 734), – aus Vermietung und Verpachtung, – aus Kapitalvermögen (Zinsen, Dividenden), – aus sonstigen Einkünften aller Art, zB aus öffentlich-rechtlichen oder privaten Renten (Leibrenten) oder sonstigen Einnahmen; nicht hierzu zählen Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz, – ALG-II-Bezüge neben weiterem einzusetzenden Einkommen (BGH MDR 2008, 523 = NJW-RR 2008, 595), nach anderer Auffassung in jedem Falle (BGH MDR 2010, 948 = NJW-RR 2011, 3). Zu den Einkünften rechnen u.a. Wohngeld, BAföG-Leistungen, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Ehegatten- und Kindesunterhalt, Kindergeld (BGH MDR 2017, 354 = NJW 2017, 962), nicht jedoch: Teilweise Erziehungsgeld (§ 10 BEEG; bis 300 Euro).
134
Abzusetzen sind von den Einkünften gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO iVm. § 82 Abs. 2 und 3 SGB XII
135
– Einkommen-, Lohn- und Kirchensteuern, – Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung (Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung) sowie zu Versorgungseinrichtungen, – Beiträge für Versicherungen (Lebens-, Kranken-, Unfall-, Haftpflicht-, Rechtsschutzversicherungen) im angemessenen Umfang, – geförderte Altersvorsorgebeiträge iSv. §§ 82, 86 EStG,
Fischer
153
Kap. 10 Rz. 136
Prozesskostenhilfe
ZPO
– berufsbedingte Aufwendungen, zB Fahrtkosten zur Arbeitsstätte, Berufskleidung, Werkzeug, – Freibetrag für Erwerbstätige in jährlich wechselnder Höhe (§ 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ZPO.
136 Ferner abzusetzen sind – für die Partei und ihren Ehegatten oder Lebenspartner sowie für jede weitere gesetzlich unterhaltsberechtigte Person Freibeträge in jährlich wechselnder Höhe, der Unterhaltsfreibetrag ist jedoch zu kürzen, um das Eigeneinkommen der unterhaltsberechtigten Personen. Die insoweit maßgeblichen Beträge finden sich in den Kommentaren zur ZPO bei § 115 ZPO (zB Zöller/Geimer § 115 ZPO Rz. 27; Musielak/Voit/Fischer § 115 ZPO Fußn. 1), – die Kosten für Unterkunft und Heizung sowie weitere Nebenkosten, jedoch mit Ausnahme der normalen Haushaltsstromkosten, soweit sie nicht in auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen, – weitere Beträge zum Ausgleich besonderer Belastungen, zB Darlehensraten (OLG Köln MDR 1995, 314), PKH-Raten aus anderen Prozessen (BGH NJW-RR 1990, 450 = FamRZ 1990, 389).
137 Die früher maßgebliche Tabelle wurde durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (BGBl. I 2013, 3533 ff.; vgl. Rz. 1) abgeschafft worden. Nunmehr ist gem. § 115 Abs. 3 ZPO von dem übrigbleibenden Betrag (einzusetzendes Einkommen) die Hälfte als monatliche Rate zu zahlen. Allerdings muss die Rate mindestens 10 Euro betragen, ansonsten ist nichts zu zahlen. Beträgt das einzusetzende Einkommen mehr als 600 Euro, so sind zunächst – entsprechend dem Vorstehenden – 300 Euro zu zahlen, der Betrag über 600 Euro fließt dann insgesamt an die Staatskasse. Wie bisher sind insgesamt höchstens 48 Raten zu zahlen (§ 115 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Zu den „Nullraten“ vgl. Rz. 181. Ergibt die Berechnung, dass sehr hohe Raten festzusetzen sind, ist die sog. Vierratengrenze (§ 115 Abs. 4 ZPO) zu prüfen. Eine Kurzübersicht zur Einkommensberechnung findet sich bei Musielak/Voit/Fischer § 115 ZPO Rz. 57; es sind auch Berechnungsprogramme auf dem Markt. Der nach Abzug vorstehend genannter Beträge verbleibende, auf volle Euro abgerundete Betrag ist das vom Antragsteller für Zwecke der Prozessführung einzusetzende Einkommen. c) Einzusetzendes Vermögen
138 Die Partei hat vorhandenes Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. Hierzu gehören (unter Berücksichtigung der Freibeträge, vgl. Rz. 141) Sparguthaben, Abfindungen, jedoch darf hier der doppelte Freibetrag angesetzt werden (BAG MDR 2006, 1416 = NJW 2006, 2206; Rz. 142 aE), Ansprüche aus einer Rechtsschutzversicherung, sofern nicht die Deckung versagt worden ist, ferner ein vollstreckbarer oder alsbald realisierbarer gesetzlicher Anspruch auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses (§§ 1360a Abs. 4, 1610, 1615a BGB, ausf. dazu Jüdt FuR 2015, 331 ff.); der Letztere ist demnach vorrangig (BGH MDR 2008, 1232 = NJW-RR 2008, 1531). Selbstverständlich ist auch ausländisches Vermögen jeglicher Art einzusetzen.
139 Eltern schulden den minderjährigen Kindern diesen Vorschuss auch dann, wenn sie für eigene Prozessführung Kosten nur in Raten zahlen können. Dann kann dem vorschussberechtigten Kind Prozesskostenhilfe auch nur gegen Ratenzahlung bewilligt werden (BGH MDR 2005, 94 = NJW-RR 2004, 1662).
140 K
Praxistipp: Ist zweifelhaft, ob ein Prozesskostenvorschussanspruch besteht (weil etwa die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nicht beurteilt werden kann), kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Familiensachen mit dem Hilfsantrag verbunden werden, Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Erlässt das Gericht die einstweilige Anordnung nicht, weil die Voraussetzungen des Vorschussanspruches nicht bestehen, hat es alsdann über den Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Diese Verbindung der Anträge spart Zeit.
141 Wirtschaftlich zweckgebundenes Vermögen wie Unterhaltskapitalabfindungen, Schmerzensgelder, Prämiensparverträge, sind im Wesentlichen nicht einzusetzen, vgl. Zöller/Geimer § 115 ZPO Rz. 58 ff.; 154
Fischer
Prozesskostenhilfe
Rz. 146 Kap. 10
Kann Vermögen nicht alsbald in zumutbarer Weise realisiert werden, so ist es nicht einzusetzen. Im Übrigen gilt § 90 SGB XII entsprechend, wonach nicht einzusetzen sind (Schonvermögen):
ZPO
die Einzelheiten sind freilich umstritten. Lebensversicherungen sind grundsätzlich einzusetzen (dh. zu beleihen oder aufzulösen), wenn mit dem erzielbaren Betrag das Schonvermögen (Rz. 142) überschritten wird (BGH MDR 2010, 1220 = NJW 2010, 2887). Lediglich eine besondere Härte kann dies verhindern, beispielsweise bei Selbständigen, wenn im Alter ohne die Versicherung Armut droht.
142
– Vermögen, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau und der Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstands gewährt worden ist, – angemessener Hausrat, – für die Berufsausbildung oder Berufsausübung unentbehrliche Gegenstände, – Familien- und Erbstücke, deren Verwertung eine besondere Härte für die Partei und ihre Familie bedeuten würde, – ein kleines selbst genutztes Hausgrundstück oder Familienheim (Eigentumswohnung), – kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte iSv. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII; nach der zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII ergangenen Durchführungsverordnung (Zöller/Geimer § 115 ZPO Rz. 57), dies sind derzeit 5.000 Euro zzgl. 500 Euro für jede Person, die überwiegend unterhalten wird, – für den Fall der Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt das BAG (MDR 2006, 1416 = NJW 2006, 2206) der Partei einen anrechnungsfreien Betrag in Höhe des doppelten Schonbetrags nach § 115 Abs. 3 ZPO iVm. § 90 SGB XII. Wohnsitz der kostenarmen Partei im EU-Ausland mit niedrigen Lebenshaltungskosten rechtfertigt nicht die Herabsetzung der Schonbeträge gem. § 115 Abs. 3 ZPO (BGH MDR 2008, 992 = NJW-RR 2008, 1453).
143
Verluste früher vorhanden gewesener Geldbeträge, die im Zeitpunkt des Prozesskostenhilfe-Antrags nicht mehr zur Verfügung stehen, sind vom Antragsteller glaubhaft und plausibel darzulegen (BGH MDR 2008, 759 = NJW-RR 2008, 953), ansonsten werden diese Beträge berücksichtigt. Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum ist auch Vermögen im Ausland im amtlichen Formular anzugeben und gegebenenfalls auch zu verwerten.
144
2. Beteiligung des Gegners Der Prozesskostenhilfeantrag ist dem Gegner gem. § 118 Abs. 1 ZPO zur Stellungnahme zu über- 145 mitteln, sofern dies nicht aus besonderen Gründen unzweckmäßig erscheint, zB in Eilverfahren (Arrest, einstweilige Verfügung, Zwangsvollstreckung). Die Stellungnahme kann zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden, unterliegt also im Anwaltsprozess nicht dem Anwaltszwang. Die Erklärungen des Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den dazu überreichten Belegen dürfen dem Gegner nur mit Zustimmung des Antragstellers zugänglich gemacht werden, es sei denn, der Gegner hat nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers (§ 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO; zB §§ 1361 Abs. 4 Satz 4, 1605, 2027 BGB; nicht: §§ 260, 266 BGB, 836 Abs. 3 ZPO). Um dies zu gewährleisten, werden sie in einem gesonderten Beiheft („PKH-Heft“) zur Gerichtsakte geführt.
K
Praxistipp: Bezieht sich das Gericht im Rahmen einer Entscheidung auf Unterlagen, die im 146 Prozesskostenhilfeheft vorliegen, kann der Gegner unter Hinweis auf den Anspruch auf rechtliches Gehör Einsicht in die in Bezug genommenen Unterlagen fordern (zu den Voraussetzungen des Einsichtsrecht vgl. § 117 Abs. 2 Satz 2 und 3). Beachte deshalb den Hinweis in Rz. 87! Nach der Neufassung des § 118 Abs. 1 ZPO durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (BGBl. I 2013, 3533, s. auch Rz. 110) hat der Antragsgegner im Fischer
155
Kap. 10 Rz. 147
Prozesskostenhilfe
M 10.12
ZPO
Prozesskostenhilfeverfahren ausdrücklich auch ein Anhörungsrecht zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen.
147 M 10.12 Erwiderung auf den Prozesskostenhilfeantrag mit Klagbeantwortung An das … gericht … Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich unter Überreichung meiner Vollmacht an, dass ich den Beklagten vertrete. Ich bitte, dem Antragsteller/Kläger die beantragte Prozesskostenhilfe zu versagen. Zur Sache stelle ich den Antrag, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führe ich aus: Prozesskostenhilfeantrag und Klage sind unbegründet. 1. Der Antragsgegner hat Zweifel an der Erklärung des Antragstellers über die Höhe seines Netto-Einkommens. Der Antragsteller ist nämlich seit mehr als drei Monaten wieder als Generalvertreter der Firma … tätig und erhält einschließlich nicht unerheblicher geldwerter Sachvergütungen Bezüge, die die behauptete Bedürftigkeit ausschließen. Es erscheint daher die Einholung einer Verdienstauskunft des Arbeitgebers erforderlich1. 2. Die beabsichtigte Klage ist aussichtslos. Die behaupteten Ansprüche sind sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach unberechtigt. (… es folgen nähere Ausführungen zu Grund und Höhe). 3. Die Aussichtslosigkeit der Klage wird sich zudem ergeben, wenn das Gericht im Bewilligungsverfahren nach § 118 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO die angebliche Unfallstelle in Augenschein nimmt und den Unfallzeugen Anton Berger zu dem in Ziffer zu 2 geschilderten Hergang vernimmt. Ich darf anregen, in dieser Weise vorzugehen. Kosten: Gericht: Keine Kosten (§ 1 GKG); Anwalt: 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 3335 VV RVG); wird PKH bewilligt und wird der Rechtsanwalt im Hauptsacheverfahren tätig, fällt die Gebühr nicht gesondert an, da PKH-Bewilligungs- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit sind (§ 16 Nr. 2 RVG). 1 § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO; s. auch Rz. 135.
148 M 10.13 Erwiderung auf den Prozesskostenhilfeantrag bei gesonderter
Klagbeantwortung An das … gericht … Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich namens sowie unter Hinweis auf die anliegende Vollmacht des Beklagten/Antragsgegners, den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.
156
Fischer
M 10.13
Prozesskostenhilfe
Rz. 151 Kap. 10
Begründung:
ZPO
Ich beziehe mich auf die beigefügte Klagerwiderung, aus der sich ergibt, dass weder dem Grunde noch der Höhe nach die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Kosten: Gericht: Keine Kosten (§ 1 GKG); Anwalt: 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 3335 VV RVG); wird PKH bewilligt und wird der Rechtsanwalt im Hauptsacheverfahren tätig, fällt die Gebühr nicht gesondert an, da PKH-Bewilligungs- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit sind (§ 16 Nr. 2 RVG); solange die Klage nicht zugestellt ist, kann der Rechtsanwalt, der noch keinen Klageauftrag hat, die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG auch dann nicht beanspruchen, wenn er seine Stellungnahme in die Form einer Klagbeantwortung kleidet; er verdient die 1,0 Gebühr nach Nr. 3335 VV RVG.
3. Erhebungen durch das Gericht Das Gericht kann im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vom Antragsteller Glaubhaftmachung seiner Angaben verlangen (§ 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es kann von Amts wegen Ermittlungen anstellen, insbesondere Auskünfte anfordern, Akten beiziehen und die Vorlage von Urkunden anordnen. Zeugen und Sachverständige werden nur vernommen, wenn auf andere Weise eine Klärung der Sachund Rechtslage nicht möglich ist. Kommt der Antragsteller der Aufforderung des Gerichts, sich zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen oder zu bestimmten Fragen zu äußern, nicht oder nur ungenügend nach, so lehnt das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe insoweit ab (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
149
V. Sachliche Bewilligungsvoraussetzungen 1. Hinreichende Erfolgsaussicht Prozesskostenhilfe kann nur bewilligt werden, wenn die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsver- 150 folgung oder Rechtsverteidigung Aussicht auf Erfolg hat. Hierfür erforderlich aber auch ausreichend ist, dass das Vorbringen des Antragstellers schlüssig und bei Vorliegen von erheblichen aber bestrittenen Einwendungen des Beklagten auch beweisbar ist. Für den Beklagten gelten geringere Anforderungen insoweit, als lediglich substantiiertes Bestreiten des Klagvortrages ausreichend ist, um Erfolgsaussicht seiner Rechtsverteidigung anzunehmen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern (Zöller/Geimer § 114 ZPO Rz. 21; BVerfG NJW-RR 2005, 140; st. Rspr.). Prozesskostenhilfe soll nicht Rechtsschutz bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG Rpfleger 2001, 554). Dies betont das BVerfG immer wieder. Hat der Kläger die Klage zurückgenommen, bevor über den vom Beklagten gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entschieden worden ist, soll dem Beklagten trotz bestehender Kostenerstattungspflicht des Klägers (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO) die begehrte Prozesskostenhilfe nicht versagt werden können (OLG Köln MDR 1997, 690), vorrangig ist aber der Kostenerstattungsanspruch als Vermögen einzusetzen. Wo eine Beweisaufnahme ernstlich in Betracht kommt, ist schon aus diesem Grunde die Erfolgsaussicht von Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als hinreichend anzusehen (BVerfG NJW-RR 2003, 1216). Bezieht sich der Antragsteller zum Zwecke des Beweises allerdings lediglich auf die Vernehmung des Prozessgegners als Partei und bestreitet dieser die Behauptung innerhalb seines Vorbringens, ist aufgrund zulässiger Beweisantizipation (vgl. BVerfG NJW 1997, 2745; NJW-RR 2003, 1216; NJW-RR 2004, 61) von fehlender Erfolgsaussicht auszugehen. Nach § 124 Abs. 2 ZPO kann das Gericht eine bereits bewilligte Prozesskostenhilfe aufheben, soweit eine von der Partei beantragte Beweiserhebung auf Grund von Umständen, die im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch nicht berücksichtigt werden konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. In der Rechtsmittelinstanz ist für den Rechtsmittelführer selbst dann die Erfolgsaussicht zu prüfen, wenn das Erstgericht das Rechtsmittel gem. § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO oder § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuFischer
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ZPO
Kap. 10 Rz. 152
Prozesskostenhilfe
gelassen hat (BGH MDR 1998, 302 = NJW 1998, 1154; NJW-RR 2008, 304). Für die hinreichende Aussicht auf Erfolg bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Rechtsmittel kommt es auf den voraussichtlichen Erfolg in der Sache selbst und nicht auf einen davon losgelösten Erfolg des Rechtsmittels nur wegen eines Verfahrensfehlers an (BGH MDR 2003, 109 = NJW-RR 2003, 130, NJW 2013, 897). Für den Gegner des Rechtsmittelführers, der um Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachsucht, ist die Frage der Erfolgsaussicht seiner Prozessführung nicht zu prüfen (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO), da die ihm günstige angefochtene Entscheidung die Vermutung der Erfolgsaussicht begründet. Hat er indessen das angefochtene Urteil in vorwerfbarer Weise zu seinen Gunsten herbeigeführt (OLG Stuttgart MDR 2005, 1070), ist das Urteil offensichtlich falsch oder ist eine Änderung der tatsächlichen Grundlagen des Verfahrens eingetreten (OLG Brandenburg NJW-RR 2009, 150; OLG Köln NJW-RR 2003, 264), kann ihm für die Rechtsverteidigung in der Berufung Prozesskostenhilfe versagt werden. Dem Berufungsbeklagten kann Prozesskostenhilfe nicht versagt werden, weil noch nicht über die Möglichkeit eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO entschieden sei und eine Notwendigkeit für die Rechtsverteidigung nicht bestehe (BGH MDR 2010, 533; OLG Schleswig MDR 2007, 173 = NJW-RR 2006, 1726; BGH MDR 2017, 1022 = NJW-RR 2017, 1273). 2. Fehlende Mutwilligkeit
152 Wo zwar Erfolgsaussicht anzunehmen ist, die Rechtsverfolgung jedoch mutwillig ist, ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu versagen. Seit dem Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (BGBl. I 2013, 3533, in Kraft getreten am 1.1.2014, vgl. Rz. 1) gibt es eine gesetzliche Definition der Mutwilligkeit in § 114 Abs. 2 ZPO: Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Dies kann u.a. der Fall sein, wenn der Gegner dauerhaft mittellos ist, so dass die Durchsetzung eines Urteils aussichtslos erscheint, es sei denn, es wäre die Beschaffung eines Urteils aus Gründen der Hemmung der Verjährung geboten; mutwillig kann auch eine Rechtsverfolgung sein, wo bereits ein außergerichtlicher Titel, etwa in Form einer vollstreckbaren Urkunde besteht oder wo ein Rechtsmittel nur aufgrund neuen Vortrags, welcher bereits in der Vorinstanz hätte gebracht werden können, in der Berufungsinstanz Erfolg haben kann, weil dadurch die Rechtsverfolgung in der 2. Instanz unnötig kostenaufwendig ist (OLG Jena MDR 1999, 257). Nach § 124 Abs. 2 ZPO kann das Gericht eine bereits bewilligte Prozesskostenhilfe aufheben, soweit ein Beweisantritt der Partei mutwillig erscheint. Für das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe selbst einschließlich des Beschwerdeverfahrens kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden (s. aber Rz. 46 und 163). Ausnahmsweise ist dies zB möglich, wenn es schon in diesem Stadium zum Abschluss eines Vergleichs (s. dazu insbesondere auch Rz. 46 und 122, 123) kommt (OLG Köln FamRZ 1993, 1472).
VI. Entscheidungen des Gerichts 1. Sachlicher Umfang der Bewilligung a) Bewilligung im Umfang des gestellten Antrags
153 Prozesskostenhilfe kann nur in dem Umfange bewilligt werden, in dem dies vom Antragsteller ausdrücklich gewünscht worden ist, nicht etwa darüber hinaus. Auch hier gilt § 308 Abs. 1 ZPO, der das Gericht an die von den Parteien gestellten Anträge bindet. Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden für anwaltliche Tätigkeiten zwischen den Instanzen, zB für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels (BGH MDR 2007, 1032 = NJW-RR 2007, 1439). Gegebenenfalls kann hierfür Beratungshilfe bewilligt werden (Kap. 6 Rz. 4).
158
Fischer
Prozesskostenhilfe
Rz. 159 Kap. 10
Erkennt das Gericht dahin, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nur teil- 154 weise Erfolg verspricht, hat das Gericht dem Antragsteller Prozesskostenhilfe nur in einem entsprechend eingeschränkten Umfang zu bewilligen, im Übrigen aber den Prozesskostenhilfeantrag zurückzuweisen. Der versagende Teil des Beschlusses erlangt auch im Falle der Unanfechtbarkeit keine materielle Rechtskraft, s. Rz. 11; wegen der Abrechnung bei teilweiser Bewilligung vgl. Rz. 10, wegen Teilbewilligung im Berufungsverfahren vgl. Rz. 104.
K
Praxistipp: Soll die Klage nur im Umfange der Prozesskostenhilfebewilligung erhoben werden, 155 empfiehlt sich die Einreichung einer neuen Klagschrift, und zwar – um keine Verwirrung zu stiften und keine damit verbundene Verfahrensverzögerung zu verursachen – zum Aktenzeichen des Prozesskostenhilfe-Verfahrens. Wird nämlich die ursprüngliche Klagschrift zugestellt, könnte Rechtshängigkeit über den Umfang der Prozesskostenbewilligung hinaus eintreten mit der Gefahr entsprechender Kostennachteile für den Antragsteller.
c) Ablehnung Wenn es an den persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe vollen Umfangs fehlt, hat das Gericht die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags auszusprechen, dh. der Antrag wird dann zurückgewiesen.
K
156
Praxistipp: Beruht die teilweise oder volle Zurückweisung des Gesuchs auf einer Beweisantizi- 157 pation, sollte überlegt werden, ob die Rechtsverfolgung nicht doch auf eigene Kosten durchgeführt wird (etwa durch Aufnahme eines Darlehens im Familienkreis). Auf diese Möglichkeit ist der Antragsteller vom Anwalt hinzuweisen, da nur der Antragsteller das Beweisrisiko abschließend abschätzen kann (vgl. dazu auch Rz. 11).
2. Entscheidung über Kostenselbstbeteiligung Prozesskostenhilfe kann im günstigsten Fall bewilligt werden unter Freistellung der Partei von jegli- 158 chen Zahlungen auf die anfallenden Kosten („Der Partei wird derzeit raten- und vermögensbeitragsfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.“). Ist der Partei angesichts ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse eine Zahlung auf die Prozesskosten zuzumuten, so kann das Gericht entweder den Einsatz vorhandenen Vermögens zwecks Aufbringung der Prozesskosten anordnen oder die Zahlung von Raten aus vorhandenen Einkommen, wobei die Anzahl der Raten für sämtliche Instanzen 48 nicht überschreiten darf (§ 115 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Zur Ratenhöhe s. Rz. 137.
VII. Anfechtung des Prozesskostenhilfebeschlusses 1. Beschwerderecht der Staatskasse Wird vom Gericht Prozesskostenhilfe bewilligt, so kann hiergegen nicht der Prozess- oder Verfahrensgegner (!), wohl aber die Staatskasse sofortige Beschwerde, für die die Notfrist hier einen Monat ab Bekanntgabe beträgt (vgl. dazu § 127 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 127 Abs. 3 Satz 3 ZPO), einlegen, wenn durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ihre Interessen berührt sind. Das ist dort der Fall, wo das Gericht dem Antragsteller kosten- und ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt hat. Die Staatskasse kann ihre Beschwerde nicht auf die vermeintliche Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung oder auf Mutwilligkeit des Antragstellers stützen, sondern allein darauf, dass die Partei mit Rücksicht auf ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Zahlungen auf die Prozesskostenhilfe zu leisten habe. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung oder mangels Verkündung seit der Übergabe der unterschriebenen Entscheidung des Gerichts an die Geschäftsstelle wird die Beschwerde der Staatskasse unstatthaft (§ 127 Abs. 3 Satz 4 ZPO).
Fischer
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ZPO
b) Bewilligung in eingeschränktem Umfang
Kap. 10 Rz. 160
Prozesskostenhilfe
M 10.14
ZPO
2. Rechtsbehelfe des Antragstellers bei mangelnder Erfolgsaussicht a) Sofortige Beschwerde
160 Ist dem Antragsteller Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise versagt worden, kann er hiergegen bei dem erkennenden Gericht (vgl. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sofortige Beschwerde einlegen. Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat, da sie der Rechtsmittelfrist gegen Urteil angeglichen wurde (§ 127 Abs. 2 Satz 3 iVm. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
161 Die sofortige Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn der Streitwert der Hauptsache den Wert von 600 Euro für die Zulässigkeit der Berufung nicht übersteigt, ebenso bei Unanfechtbarkeit der Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren, ausgenommen bei Prozesskostenhilfe-Ablehnung wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Erstmalige Prozesskostenhilfe-Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte sind unanfechtbar.
162 M 10.14 Beschwerde gegen Prozesskostenhilfeversagung1 An das … gericht …2 Az. … Beschwerde In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich für den Kläger gegen den Beschluss des … gerichts vom 4.11.20 … sofortige Beschwerde ein und beantragte, dem Kläger mit Wirkung ab der Antragstellung Prozesskostenhilfe für die erste Instanz unter meiner Beiordnung zu bewilligen. Zur Begründung führe ich aus: Die Versagung der Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist damit begründet worden, dass der Kläger den Unfall hätte vermeiden können. Der Kläger hat jedoch behauptet und unter Beweis gestellt, dass der Beklagte verkehrswidrig gefahren ist und somit ihn das alleinige Verschulden an dem Unfall trifft. Auf meine Ausführungen im Schriftsatz vom … dort S. … bis S. … verweise ich. Dem angebotenen Beweis wird, ggf. im Rahmen des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens, nachzugehen sein. Die Prozesskostenhilfe hat dem Kläger daher nicht versagt werden dürfen. Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1812 KV GKG, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; wird sie teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht nach billigem Ermessen die Gebühr auf die Hälfte ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist; Rechtsanwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG. 1 § 127 ZPO. Anwaltszwang besteht für die Beschwerde in keiner Instanz (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). 2 Gemäß § 569 Abs. 1 ZPO ist die Beschwerde in der Regel bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird. Dies ist schon deshalb empfehlenswert, da jenes Gericht bei überzeugender Beschwerdebegründung abhelfen und seine Entscheidung ändern kann (§ 572 ZPO).
163 Das Gericht kann nach weiterer Prüfung der Beschwerde abhelfen, also Prozesskostenhilfe doch noch bewilligen. Es hat bei Nichtabhilfe die Beschwerde der übergeordneten Instanz zwecks Entscheidung vorzulegen. Eine Rechtsbeschwerde gegen dessen Entscheidung kann vom Beschwerdegericht mit 160
Fischer
Prozesskostenhilfe
Rz. 168 Kap. 10
ZPO
Bindungswirkung für das Rechtsbeschwerdegericht (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO) zugelassen werden zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen kommen im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren allerdings nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (BGH MDR 2003, 478 = NJW 2003, 1126). Ist nämlich die Erfolgsaussicht so problematisch, dass das Beschwerdegericht sich dazu veranlasst sehen würde, ein Rechtsmittel zuzulassen, ist die beantragte Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil § 114 Abs. 1 Satz 1 von Erfolgsaussicht spricht und keine Erfolgsgewissheit verlangt. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist der Rechtsbeschwerde damit nicht zugänglich (BGH aaO). Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann vom Gegner nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden, selbst wenn das Beschwerdegericht irrig die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (BGH MDR 2002, 1388 = NJW 2002, 3554). Vgl. ergänzend Rz. 112. Betreibt der Antragsteller eines Prozesskostenhilfeverfahrens ein Rechtsbeschwerdeverfahren, ist ihm in Abweichung vom Grundsatz, dass für das Prozesskostenhilfeverfahren Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden kann (BGH MDR 1984, 931 = NJW 1984, 2106, s. auch Rz. 112) ausnahmsweise Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da eine statthafte Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts nur durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden kann (BGH MDR 2002, 962 = NJW 2002, 2181).
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Auch in Verfahren vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten ist die Beschwerde sowie die Zulassungsbeschwerde (§ 146 Abs. 4 VwGO) gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe eine sofortige, also fristgebundene, vgl. § 166 VwGO; s. auch Rz. 115 wegen der unterschiedlichen Beschwerdefristen!
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Bleibt ein Prozesskostenhilfeantrag erfolglos, ist die Partei nicht daran gehindert, später mit besserer 166 oder ergänzter Begründung einen erneuten Antrag zu stellen (s. Rz. 11). Bei einer mehr oder weniger identischen Wiederholung kann allerdings das Rechtschutzbedürfnis fehlen (BGH MDR 2009, 401 = NJW 2009, 857 = LMK 2009, 275626 mit Anm. F. O. Fischer). b) Erinnerung Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG ist gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, die im Prozesskostenhilfeverfahren ergehen, die sofortige Erinnerung statthaft, sofern nicht nach den allgemeinen Verfahrensvorschriften eine sofortige Beschwerde zulässig ist. So ist sichergestellt, dass immer abschließend ein Richter entscheidet (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).
167
c) Gegenvorstellung Gegen die Entscheidung der Beschwerdeinstanz – oder der ersten Instanz, soweit das Beschwerdege- 168 richt an einer Entscheidung wegen Unzulässigkeit der Beschwerde gehindert ist – kann Gegenvorstellung erhoben werden (näher: Zöller/Geimer § 127 ZPO Rz. 43; Musielak/Voit/Fischer § 127 ZPO Rz. 26). Diese kann insbesondere dort erfolgreich sein, wo der Antragsteller mit der Gegenvorstellung nunmehr seine Klage schlüssig macht. S. dazu aber auch Rz. 163! Im Bereich der Prozesskostenhilfe muss die Gegenvorstellung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist bzw. der Abhilfefrist (§§ 234 Abs. 1 Satz 1, 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO) von zwei Wochen erhoben werden (BGH MDR 2001, 1007 = NJW 2001, 2262). Wird die Gegenvorstellung negativ beschieden, so kann noch versucht werden, einen neuen Antrag zu stellen, da der Beschluss nicht in Rechtskraft erwächst (vgl. Rz. 11).
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ZPO
Kap. 10 Rz. 169
Prozesskostenhilfe
M 10.15
169 M 10.15 Gegenvorstellung gegen Ablehnung der Prozesskostenhilfebeschwerde An das Oberlandesgericht Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) erhebe ich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts … vom 24.11.20 … Gegenvorstellung mit dem Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses meinem Antrag vom 19.10.20 … auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattzugeben. Zur Begründung führe ich aus: Es ist dem Kläger inzwischen gelungen, die ladungsfähige Anschrift jenes Zeugen zu ermitteln, welcher den Zusammenstoß aus nächster Nähe beobachtet hat. Es handelt sich um Herrn Ludwig Leder, Köln, Düsseldorfer Str. 28. Dieser Zeuge wird bekunden, dass der Beklagte, ohne auf den Querverkehr zu achten, mit einer – von ihm geschätzten – Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h in die Kreuzung eingefahren ist. Dem Kläger ist dadurch nur die Möglichkeit geblieben, dem Fahrzeug des Beklagten auszuweichen, was ihm jedoch nicht vollends gelungen ist. Vorsorglich rege ich notfalls die Vernehmung des Zeugen im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren nach § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO an, meine aber, dass die Prozesskostenhilfe aufgrund der nunmehr gegebenen Erfolgsaussicht bereits vorher zu gewähren ist. Aus der Aussage des Zeugen Leder wird sich demnach ergeben, dass den Kläger ein Mitverschulden an dem Unfall, das Grundlage der Klageforderung ist, trifft.
3. Rechtsbehelfe des Antragstellers bei Ablehnung wegen fehlender Bedürftigkeit a) Bei mangelnder Darlegung der Bedürftigkeit
170 Trägt der Antragsteller zu seiner Bedürftigkeit nur unzureichend vor, unterlässt er insbesondere eine vom Gericht verlangte Ergänzung oder Glaubhaftmachung der Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, so kommt es zur Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO). In diesen Fällen hat der Antragsteller – jedenfalls nach überwiegender Auffassung (Rz. 128) – die Möglichkeit, im Wege der sofortigen Beschwerde (Beschwerdefrist ein Monat § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) sein Vorbringen zur Frage seiner Bedürftigkeit zu ergänzen und eine Abänderung der ergangenen Entscheidung im Sinne der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu erreichen, vorausgesetzt, dass auch die sachlichen Voraussetzungen gegeben sind. Sind die Angaben nur teilweise unzureichend, muss aufgrund der ausreichenden Angaben entschieden werden, was zu einer (Teil-)Bewilligung führen kann.
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Wichtig: Weil verjährungshemmende Wirkung nur die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen (!) Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat (§ 204 Nr. 14 BGB), sollte idR die sofortige Beschwerde eingelegt werden, wenn dem Antrag verjährungshemmende Wirkung zukommen soll.
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M 10.16
Prozesskostenhilfe
Rz. 175 Kap. 10
Hat der Antragsteller alle erforderlichen Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht und das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt, kann er mit der Begründung sofortige Beschwerde einlegen, dass das Gericht die Bedürftigkeit zu Unrecht verneint hat. Zum Bedürftigkeitsbegriff in EU-grenzüberschreitenden Prozesskostenhilfe-Verfahren s. Kap. 99 Rz. 2 ff.).
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M 10.16 Sofortige Beschwerde gegen Prozesskostenhilfeversagung wegen
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Verneinung der wirtschaftlichen Voraussetzungen1 An das … gericht … Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich namens des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts … vom 24.2.20 … sofortige Beschwerde ein mit dem Antrag, dem Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses derzeit ratenfreie (hilfsweise: gegen monatlichen Raten iHv. … Euro) Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverteidigung unter meiner Beiordnung zu bewilligen. Zur Begründung führe ich aus: Die Versagung der Prozesskostenhilfe gründet sich darauf, dass die vom Beklagten aufzubringenden Kosten vier Monatsraten voraussichtlich nicht übersteigen (§ 115 Abs. 4 ZPO). Diese Auffassung trifft nicht zu. Das Gericht hat – trotz meines Hinweises – übersehen, dass sich das dem Beklagten zur Verfügung stehende Netto-Einkommen wegen der besonderen Belastung durch den Pflegeaufwand für seine Mutter um monatlich 250 Euro verringert. Zur Glaubhaftmachung verweise ich auf seine persönliche Erklärung vom 21.1.20 … mit der dort beigefügten amtlichen Bescheinigung. Somit ergibt sich, dass dem Beklagten Prozesskostenhilfe mit Monatsraten von 30 Euro zu bewilligen ist. Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1812 KV GKG, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; wird sie teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht nach billigem Ermessen die Gebühr auf die Hälfte ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist; Rechtsanwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG. Das Gericht sollte gebeten werden, bei Teilerfolg die Gebühr insgesamt zu erlassen. 1 §§ 127, 114 ZPO.
4. Rechtsbehelfe bei teilweiser Ablehnung Die Ausführungen zu den Rechtsbehelfen bei mangelnder Erfolgsaussicht (vgl. Rz. 160 ff.) gelten sinngemäß auch bei teilweiser Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Eine Teilablehnung kann nicht mit fehlender Bedürftigkeit, sondern nur mit mangelnder Erfolgsaussicht begründet werden.
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5. Erwiderung auf den Rechtsbehelf der Staatskasse Der sofortigen Beschwerde der Staatskasse (s. Rz. 159) gegen die zahlungs- und ratenfreie Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann die Partei in der Weise entgegentreten, indem sie ihre DarlegunFischer
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175
ZPO
b) Bei angeblich fehlender Bedürftigkeit
ZPO
Kap. 10 Rz. 176
Prozesskostenhilfe
gen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ergänzt. Sie kann auch darauf verweisen, dass seit Verkündung oder Herausgabe der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe an die Geschäftsstelle mehr als drei Monate vergangen sind. 6. Spätere Änderung des Prozesskostenhilfebeschlusses a) Aufhebung der Prozesskostenhilfe
176 Das Gericht kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben wegen falscher Parteiangaben zur Bedürftigkeit und ändern bei wegfallender Bedürftigkeit (§ 124 ZPO). Durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (Rz. 1) wurde ein neuer Absatz 2 eingeführt. Danach ist jetzt auch im laufenden Verfahren die Aufhebung einer bewilligten Prozesskostenhilfe möglich, soweit die von der Partei beantragte Beweiserhebung auf Grund von Umständen, die im Zeitpunkt der Bewilligung noch nicht berücksichtigt werden konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder der Beweisantritt mutwillig erscheint.
177 Macht die Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben oder gibt sie eine Erklärung nach § 120a Abs. 1 Satz 3 nicht ab, so kann das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gem. § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aufheben mit der Folge, dass die Vergünstigungen der Prozesskostenhilfebewilligung entfallen; nunmehr hat die Partei alle ungedeckten Kosten, die sie als Antragsteller der Instanz schuldet (§ 22 GKG), zu zahlen. Gerichtskosten, Gerichtsvollzieherkosten und die nach § 59 RVG auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche des beigeordneten Anwalts können uneingeschränkt gegen die Partei geltend gemacht werden.
178 Zur Aufhebung der Prozesskostenhilfe führen ferner – Vortäuschung der Prozesskostenhilfevoraussetzungen durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses (§ 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). – Irrige Annahme des Vorliegens der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe, wenn nicht seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind (§ 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). – Die unter Verstoß gegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis 3 ZPO nicht erfolgte Mitteilung von wesentlichen Verbesserungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder – neu und gefährlich (!) – bereits die nicht erfolgte Änderungen der Anschrift (§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Die nicht unverzügliche Mitteilung muss absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen worden sein (BAG NJW 2017, 107 = Rpfleger 2017, 161). – Verzug mit der Zahlung einer Monatsrate oder eines sonstigen Betrages für mehr als drei Monate (§ 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Der Zahlungsrückstand muss im Zeitpunkt der Entscheidung/Beschwerdeentscheidung noch bestehen.
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Wichtig: Durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts besteht seit dem 1.1.2014 eine erweiterte Mitteilungspflicht der Prozesskostenhilfe-Partei. Während bisher die Partei eine gerichtliche Aufforderung abwarten durfte, muss sie nunmehr von sich aus aktiv werden: Jede wesentliche Veränderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist ungefragt mitzuteilen, genauso jede Änderung der Anschrift (§ 120a Abs. 2 ZPO)! Dabei reicht für die Wesentlichkeit schon ein nicht nur einmaliges Ansteigen des Bruttoeinkommens von über 100 Euro aus (§ 120a Abs. 2 Satz 2). Dasselbe gilt für den Wegfall von Belastungen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten rechtfertigt sogleich die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Auf diese (neuen) Gefahren muss die Partei unbedingt hingewiesen werden. Zwar sieht das neue amtliche Formular (BGBl. I 2014, 34 ff.) entsprechende Hinweise vor, jedoch zeigt die Erfahrung, dass diese Hinweise oftmals von den Prozesskostenhilfe-Parteien nicht gelesen und/oder vergessen werden.
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Rz. 184 Kap. 10
Die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung (zuständig ist gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 c) RPflG der Rechtspfleger) kann von der Partei mit der sofortigen Prozesskostenhilfe-Beschwerde angefochten werden. Der Rechtspfleger hat zu prüfen, ob er abhilft.
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b) Änderung der Prozesskostenhilfebedingungen Haben sich unabhängig von den Aufhebungsvoraussetzungen des § 124 ZPO die für die Prozesskos- 181 tenhilfebewilligung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich, dh. nach der vorangegangenen Prozesskostenhilfe-Entscheidung (OLG Bamberg NJW-RR 2003, 1163) wesentlich verändert, so folgt daraus nicht die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe, wohl aber die Möglichkeit, der Partei nunmehr erstmals Zahlungen auf die Prozesskosten aufzuerlegen oder Zahlungsanordnungen zu ändern, indem entweder höhere oder geringere Zahlungen oder deren Wegfall angeordnet werden (§ 120a Abs. 1 ZPO). Es dürfen höchstens 48 Monatsraten gefordert werden (§ 115 Abs. 4 Satz 4 ZPO). Die 48 Monate sind allerdings keine zeitliche Grenze, sondern eine Ratengrenze, die sog. „Nullraten“ zählen daher nicht mit (F. O. Fischer Rpfleger 1997, 463, 465 mwN). Grundsätzlich muss zwischenzeitlich erworbenes Vermögen für die Prozesskostenhilfe eingesetzt werden (BGH MDR 2007, 1388 = NJW-RR 2008, 144 = LMK 2007, 241906 m. Anm. F. O. Fischer). 7. Eigenes Anfechtungsrecht des Anwalts a) Wegen der Bedingungen seiner Beiordnung Versieht das Gericht die Beiordnung des Anwalts mit dem Hinweis, er werde „zu den Bedingungen 182 eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Anwalts“ (§ 121 Abs. 3 ZPO) beigeordnet, so ist der Anwalt nicht beschwert, wenn er damit einverstanden war. Ist diese Einschränkung indessen ohne oder gegen seinen Willen ausgesprochen worden, eröffnet dies dem beigeordneten Rechtsanwalt die sofortige Beschwerde im eigenen Namen (Zöller/Geimer § 121 ZPO Rz. 13; Musielak/Voit/Fischer § 121 ZPO Rz. 15). Hingegen hat der Rechtsanwalt kein Beschwerderecht gegen die Ablehnung seiner Beiordnung, denn nur die Partei hat einen Beiordnungsanspruch. § 121 Abs. 2 ZPO dient nicht den Gebühreninteressen des Anwalts, ist demgemäß auch keine drittschützende Norm iS des § 839 BGB (BGH MDR 1990, 318 = NJW 1990, 836). b) Wegen der Aufhebung seiner Beiordnung Hebt das Gericht die Beiordnung des Rechtsanwalts auf, ohne dass hierfür ein rechtfertigender Grund 183 besteht, ist dem Anwalt gleichwohl ein Anfechtungsrecht versagt. Einen Anspruch auf Beiordnung hat nur die hilfsbedürftige Partei. Die dem Rechtsanwalt infolge der Beiordnung entstandenen Gebührenansprüche gegen die Staatskasse gem. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO werden durch die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung und die damit verbundene Aufhebung der Beiordnung nicht berührt (Zöller/Geimer § 124 ZPO Rz. 25; Musielak/Voit/Fischer § 124 ZPO Rz. 10). Hat der Anwalt bei der Irreführung des Gerichts mitgewirkt, kann dies allerdings zum Verlust seines Vergütungsanspruchs führen (Zöller/Geimer § 124 ZPO Rz. 25). Zur Entbindung des beigeordneten Rechtsanwalts s. Rz. 186 ff. c) Wegen Nichteinziehung der Differenzgebühren Die Staatskasse ist im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlungen verpflichtet, die bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe oder nachträglich angeordneten Beiträge und Raten bis zur Deckung der angefallenen Gerichtskosten sowie der weiteren Vergütung des beigeordneten Anwalts (Regelvergütung) einzuziehen (§ 50 RVG). Die aus der Staatskasse dem beigeordneten Anwalt zu gewährende Vergütung ist auf seinen Antrag vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts (zuständig ist der Rechtspfleger gemäß einer bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift) festzusetzen (§ 55 RVG). Gegen dessen Festsetzung kann der Rechtsanwalt die nicht fristgebundene ErFischer
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M 10.17
innerung bei dem Gericht, dem der Urkundsbeamte angehört, einlegen (§ 56 RVG) sowie gegen dessen Beschluss die sofortige, fristgebundene (§§ 56 Abs. 2 Satz 1; 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) Beschwerde, sofern der Beschwerdewert 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wird (§ 56 Abs. 2 iVm. § 33 Abs. 3–8 RVG). Ansonsten entscheidet der erstinstanzliche Richter abschließend. d) Bei Aufhebung des Prozesskostenhilfebeschlusses
185 Wird gem. § 124 ZPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben, so wird hierdurch lediglich die hilfsbedürftige Partei beschwert, hingegen der beigeordnete Anwalt durch Wegfall der Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO lediglich begünstigt. Er ist damit überwiegend nicht beschwerdebefugt (Näher: OLG Karlsruhe NJW-RR 1996, 1339). 8. Aufhebung der Beiordnung (Entbindung) a) Antrag des Rechtsanwalts
186 Verschlechtert sich das Verhältnis zwischen der Partei und dem ihr beigeordneten Rechtsanwalt so sehr, dass eine prozessförderliche Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigt oder gar unmöglich geworden ist, kann der Rechtsanwalt, der das Mandat niederlegen will, die Aufhebung der Beiordnung beantragen, wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliegt (§ 48 Abs. 2 BRAO). Wichtiger Grund ist insbesondere eine nicht behebbare Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Partei (BVerwG NJW 2011, 1894), Interessenkollision (§ 45 BRAO) oder Wegfall der Postulationsfähigkeit bei dem Gericht, welches den Rechtsanwalt beigeordnet hat. Der Rechtsanwalt, der von seiner Beiordnung entbunden werden möchte, hat einen entsprechenden Antrag unter Darlegung der Gründe beim Prozessgericht zu stellen. Vgl. ergänzend Rz. 192.
187 M 10.17 Antrag auf Aufhebung der Beiordnung An das … gericht … Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) stelle ich hiermit den Antrag, meine Beiordnung als Prozessbevollmächtigter der Beklagten aufzuheben. Zur Begründung führe ich aus: Das Vertrauensverhältnis zwischen der Beklagten und dem Unterzeichneten ist im erheblichen Maße gestört. Die Beklagte hat in dem anliegenden Schreiben vom 19.10.20 … mir gegenüber den Vorwurf erhoben, ich würde nicht ihre Interessen wahrnehmen, sondern die des Gegners. Derartige Vorwürfe sind für mich als Anwalt unerträglich. Das Vertrauensverhältnis zwischen mir und der Beklagten ist damit schwer belastet. Ich sehe mich nicht mehr in der Lage, für die Beklagte im Rahmen der Beiordnung weiterhin tätig zu werden. Kosten: Die Aufhebung der Beiordnung hat auf bereits entstandene Anwaltsgebühren keinen Einfluss; nur wenn der Anwaltswechsel auf ein schuldhaftes Verhalten des Anwalts zurückzuführen ist, kann er Gebühren, die auch für den anderen Rechtsanwalt entstehen, nicht fordern (§ 54 RVG).
188 Die Beiordnung endet erst mit der Zustellung des Beschlusses über die Aufhebung der Beiordnung. Wird die Beiordnungsaufhebung abgelehnt, steht dem Rechtsanwalt hiergegen die sofortige Prozesskostenhilfe-Beschwerde zu. Umgekehrt kann die Partei sich gegen den Beschluss über die Entbin166
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M 10.18
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Rz. 190 Kap. 10
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dung des ihr beigeordneten Anwalts gleichfalls mit der sofortigen Beschwerde zur Wehr setzen. Die Beschwerde kann zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts erklärt werden, unterliegt also auch in Verfahren vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht nicht dem Anwaltszwang (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). b) Antrag der Partei Auch der Partei steht das Recht zu, die Aufhebung der Beiordnung ihres Rechtsanwalts zu beantragen. Auch hier muss ein wichtiger Grund vorliegen. Beispiele sind die Verletzung wesentlicher Pflichten aus dem Mandatsverhältnis durch den Rechtsanwalt, indem dieser richterliche Fristen unbeachtet lässt, ihm erteilte prozesserhebliche Informationen nicht weiterleitet oder in anderer Weise den Interessen seines Mandanten in erheblicher Weise zuwiderhandelt und dadurch das Vertrauensverhältnis nachhaltig beeinträchtigt. Der Grund muss so beschaffen sein, dass auch eine auf eigene Kosten prozessierende Partei einen Anwaltswechsel vornehmen würde (OVG Niedersachsen NJW 2012, 698 f.).
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M 10.18 Antrag der – insoweit anwaltlich vertretenen – Partei auf Beiordnung
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eines anderen Rechtsanwalts An das … gericht … Az. … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) hat das Gericht gemäß Beschluss v. 28.2.20 … dem Kläger Prozesskostenhilfe für seine Klage bewilligt und Herrn Rechtsanwalt A. beigeordnet. Ich beantrage hiermit, Herrn Rechtsanwalt A. zu entpflichten und an seiner Stelle mich, Rechtsanwalt B., beizuordnen. Zur Begründung führe ich aus: Seit dem letzten Verhandlungstermin, der vor drei Monaten stattgefunden hat und in dem das Gericht dem Kläger, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt A., bestimmte Auflagen gemacht hat, hat der Kläger vergeblich versucht, einen Besprechungstermin im Büro von Rechtsanwalt A. zu bekommen. Er ist am Telefon immer wieder damit vertröstet worden, Herr Rechtsanwalt A. würde sich bei ihm melden. Rechtsanwalt A. hat dies nicht getan. Daraufhin hat der Kläger Rechtsanwalt A. vor zwei Wochen schriftlich um eine persönliche Rücksprache gebeten. Auch hierauf hat Rechtsanwalt A. nicht geantwortet. Auch auf mein in der Anlage beigefügtes Schreiben ist nicht reagiert worden. Mit der Entscheidung über die Klage ist es dem Kläger dringlich, denn er ist auf die vom Beklagten geschuldeten Gelder unbedingt angewiesen. Rechtsanwalt A. ist ihm bei der Prozessführung nicht behilflich, sondern steht dem Kläger nach meinem Eindruck geradezu hinderlich im Wege. Der Kläger hat kein Vertrauen mehr zu Rechtsanwalt A. und bittet daher, ihn abzuberufen und mich, Rechtsanwalt B., an seiner Stelle beizuordnen. Eine auf mich laufende Vollmacht liegt bei. Es wird darum gebeten, diesen Antrag zügig zu bescheiden und alsdann das Verfahren durch die zeitnahe Bestimmung eines Termins fortzusetzen. Zu den gerichtlichen Auflagen in der Sache trage ich wie folgt vor: … Kosten: Gericht: keine besondere Gebühr; Anwalt: gehört zum Rechtszug.
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Kap. 10 Rz. 191
Prozesskostenhilfe
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191 Lehnt das Gericht den Entpflichtungsantrag der Partei ab, so kann sie hiergegen beim Prozessgericht selbst die sofortige Beschwerde einlegen (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 ZPO); es gilt die Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO.
192 Hat die Partei die Differenzen mit ihrem Anwalt selbst herbeigeführt mit der Folge, dass diesem die Weiterführung des Mandats nicht möglich ist (§ 48 Abs. 2 BRAO: Recht des Anwalts, seine Entbindung zu beantragen, s. Rz. 186), führt eine Entpflichtung des zunächst beigeordneten Anwalts nicht dazu, dass die PKH-Partei einen neuen Anwalt beigeordnet erhält. Dies ist nur dann ohne weiteres möglich, wenn der neue Anwalt auf bisher entstandene und von dem ersten Anwalt bereits verdiente Gebühren verzichtet. Ansonsten kann es passieren, dass die PKH-Partei schlichtweg ohne Anwalt bleibt (BVerwG NJW 2011,1894; VGH Kassel NJW 2013, 3050). Die PKH-Partei tut daher gut daran, sich nicht mit ihrem Anwalt zu zerstreiten! Dasselbe gilt für den beigeordneten Anwalt.
193 Ist der beigeordnete Anwalt aus tatsächlichen Gründen (Krankheit, hohes Alter, Tod, Aufgabe der Zulassung) oder aus rechtlichen Gründen (Interessenkollision) zur Weiterführung des Mandats nicht in der Lage, wird dem Antrag der Partei auf Beiordnung eines anderen Anwalts stattzugeben sein. c) Anwaltsvergütung bei Entbindung
194 Der Anwalt, dessen Beiordnung aufgehoben wird, behält grundsätzlich seine Ansprüche gegen die Staatskasse auf Zahlung der während der Beiordnung entstandenen Gebühren. Der später beigeordnete Anwalt seinerseits hat unabhängig hiervon eigene Gebührenansprüche gegen die Staatskasse, muss sich also die beim ersten Rechtsanwalt entstanden Gebühren nicht auf seine Vergütungsansprüche anrechnen lassen, es sei denn, in dem entsprechenden Beschluss wäre dies so angeordnet worden.
195 Nur dort, wo der beigeordnete Rechtsanwalt durch schuldhaftes Verhalten seine Entbindung und folglich die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts veranlasst hat, zB durch Mandatsübernahme trotz früherer Tätigkeit für den Gegner in derselben Sache, grundloser Niederlegung des Mandats, Verhängung eines anwaltsgerichtlichen Vertretungsverbots oder Ausschließung aus der Anwaltschaft, kann er Gebühren, die auch für den nachfolgend beigeordneten Rechtsanwalt entstehen, nicht fordern (§ 54 RVG). Dies wird zumindest stets für die Verfahrensgebühr gelten. Welche Gebühren ein zweites Mal entstanden sind, wird sich erst bei Beendigung der Instanz feststellen lassen. Bis dahin kann eine frühere Festsetzung der Gebühren des entpflichteten Rechtsanwalts abgelehnt werden.
VIII. Weitere Anträge 1. Antrag auf Aufhebung der Ratenzahlung nach Obsiegen
196 Obsiegt die zuvor hilfsbedürftige Partei und gelangt sie infolge Durchsetzung des Urteils zu Vermögen, so kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aus diesem Grunde nicht aufheben, denn § 124 ZPO enthält insoweit eine abschließende Regelung. Es kann jedoch die Entscheidung über zu leistende Zahlungen wegen wesentlicher Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Partei nach seinem Ermessen durch Anordnung von Zahlungen zu Lasten der Partei ändern (§ 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Höhe angeordneter Ratenzahlungen kann heraufgesetzt werden. Im Einzelfall kann sogar die sofortige, volle Zahlung aller bereits fällig gewordener Kosten angeordnet werden (OLG Dresden NJW-RR 2003, 1222 f.). Der Rechtsanwalt, welcher nicht zuletzt durch seine Bemühungen zu einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Partei beigetragen hat, kann bei Gericht die Überprüfung der Bedingungen der gewährten Prozesskostenhilfe nach § 120a Abs. 1 ZPO anregen mit dem Ziel, von der Partei statt Ratenzahlungen die Regelvergütung in einem Betrag zu erhalten. Eine solche Situation kann zB eintreten, wenn der PKH-Partei durch einen Vergleich erhebliche Beträge zufließen (§ 120a Abs. 3 ZPO). Auch ein sonstiger Vermögenserwerb, beispielsweise eine Erbschaft, führt zu diesem Ergebnis!
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2. Antrag auf Aufhebung, Änderung der Ratenzahlung bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse Wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der hilfsbedürftigen Partei infolge veränderter Umstände sich wesentlich verschlechtern, kann sie eine zeitliche Verschiebung ihrer Zahlungsverpflichtungen oder deren Herabsetzung mit Wirkung für die Zukunft und bezogen auf den Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse beantragen. Während im Übrigen die negative Vermögensentwicklung durch das Gericht von Amts wegen berücksichtigt werden kann, ist eine Änderung der in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 2 ZPO genannten Freibeträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII nur auf Antrag und nur dann zu berücksichtigen, wenn sie zum Wegfall von monatlichen Ratenzahlungen führt (§ 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 ZPO).
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Praxistipp: Von der Möglichkeit der Herabsetzung der angeordneten Raten oder der Anordnung, dass die Ratenzahlung für die Zukunft entfällt, ist immer dann Gebrauch zu machen, wenn der Beklagte mit seiner Rechtsverteidigung nicht erfolgreich war. Hat er die Urteilssumme zu zahlen, haben sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich geändert. Insoweit dürfte es sich auch empfehlen, sogleich mit dem Gegner einen Ratenzahlungsvergleich zu vereinbaren. Eine Beteiligung am PKH-Aufhebungsverfahren lange nach Abschluss des Verfahrens kann für einen Rechtanwalt recht lästig sein. Der Mandant ist nicht mehr erreichbar, das Gericht stellt aber ständig Unterlagen bzw. Anfragen dem Anwalt zu, da der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass an den Anwalt zugestellt werden muss (BGH MDR 2011, 183 = AnwBl. 2011, 230). Eine Niederlegung des Mandats ist wegen § 48 BRAO problematisch. Manche Rechtsanwälte vereinbaren daher bei der Erteilung der Vollmacht, dass dieselbe nicht mehr für ein PKH-Aufhebungsverfahren nach Abschluss des Prozesses gelten soll!
Kapitel 11 Gerichtsstand I. Vorüberlegungen zur Wahl des Gerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt und Ausübung des Wahlrechts . . . . M 11.1 Verweisungsantrag des Klägers . . . . M 11.2 Hilfsweise in der Klageschrift gestellter Verweisungsantrag des Klägers . . III. Die wichtigsten einzelnen Gerichtsstände 1. Ausschließliche Gerichtsstände . . . . . . . . . . a) Ausschließliche örtliche Zuständigkeit . . aa) Dinglicher Gerichtsstand (§ 24 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gerichtsstand des Miet- oder Pachtraumes (§ 29a ZPO) . . . . . . . . . . . . cc) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO) . . . . . . . . dd) Gerichtsstand der Umwelteinwirkung (§ 32a ZPO) . . . . . . . . . . . . . . ee) Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Gerichtsstand in Wettbewerbsstreitigkeiten (§ 14 UWG) . . . . . . . .
1 5 12 13 14 14 14 14 19 22 23
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gg) Gerichtsstand bei Fernunterrichtsverträgen (§ 26 Abs. 1 FernUSG) . . hh) Ausschließliche örtliche Zuständigkeiten des 8. Buchs der ZPO (§ 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile (§§ 722 Abs. 2, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Drittwiderspruchsklage (§§ 771 Abs. 1, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . (3) Klagen gem. §§ 797 Abs. 5, 802 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Klage auf vorzugsweise Befriedigung (§§ 805 Abs. 2, 802 ZPO) . (5) Widerspruchsklage gegen den Teilungsplan (§§ 879 Abs. 1, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschließliche sachliche Zuständigkeit . aa) Amtshaftungsansprüche (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) . . . . . . . . . . . . . bb) Ansprüche auf der Grundlage der Bundesnotarordnung . . . . . . . . . . . cc) Herausgabeklagen nach den Hinterlegungsgesetzen der Länder . . . . . .
33 34 34 35 36 37 38 39 39 41 42
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2. Antrag auf Aufhebung, Änderung der Ratenzahlung bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse Wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der hilfsbedürftigen Partei infolge veränderter Umstände sich wesentlich verschlechtern, kann sie eine zeitliche Verschiebung ihrer Zahlungsverpflichtungen oder deren Herabsetzung mit Wirkung für die Zukunft und bezogen auf den Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse beantragen. Während im Übrigen die negative Vermögensentwicklung durch das Gericht von Amts wegen berücksichtigt werden kann, ist eine Änderung der in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 2 ZPO genannten Freibeträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII nur auf Antrag und nur dann zu berücksichtigen, wenn sie zum Wegfall von monatlichen Ratenzahlungen führt (§ 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 ZPO).
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Praxistipp: Von der Möglichkeit der Herabsetzung der angeordneten Raten oder der Anordnung, dass die Ratenzahlung für die Zukunft entfällt, ist immer dann Gebrauch zu machen, wenn der Beklagte mit seiner Rechtsverteidigung nicht erfolgreich war. Hat er die Urteilssumme zu zahlen, haben sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich geändert. Insoweit dürfte es sich auch empfehlen, sogleich mit dem Gegner einen Ratenzahlungsvergleich zu vereinbaren. Eine Beteiligung am PKH-Aufhebungsverfahren lange nach Abschluss des Verfahrens kann für einen Rechtanwalt recht lästig sein. Der Mandant ist nicht mehr erreichbar, das Gericht stellt aber ständig Unterlagen bzw. Anfragen dem Anwalt zu, da der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass an den Anwalt zugestellt werden muss (BGH MDR 2011, 183 = AnwBl. 2011, 230). Eine Niederlegung des Mandats ist wegen § 48 BRAO problematisch. Manche Rechtsanwälte vereinbaren daher bei der Erteilung der Vollmacht, dass dieselbe nicht mehr für ein PKH-Aufhebungsverfahren nach Abschluss des Prozesses gelten soll!
Kapitel 11 Gerichtsstand I. Vorüberlegungen zur Wahl des Gerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt und Ausübung des Wahlrechts . . . . M 11.1 Verweisungsantrag des Klägers . . . . M 11.2 Hilfsweise in der Klageschrift gestellter Verweisungsantrag des Klägers . . III. Die wichtigsten einzelnen Gerichtsstände 1. Ausschließliche Gerichtsstände . . . . . . . . . . a) Ausschließliche örtliche Zuständigkeit . . aa) Dinglicher Gerichtsstand (§ 24 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gerichtsstand des Miet- oder Pachtraumes (§ 29a ZPO) . . . . . . . . . . . . cc) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO) . . . . . . . . dd) Gerichtsstand der Umwelteinwirkung (§ 32a ZPO) . . . . . . . . . . . . . . ee) Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Gerichtsstand in Wettbewerbsstreitigkeiten (§ 14 UWG) . . . . . . . .
1 5 12 13 14 14 14 14 19 22 23
24 28
gg) Gerichtsstand bei Fernunterrichtsverträgen (§ 26 Abs. 1 FernUSG) . . hh) Ausschließliche örtliche Zuständigkeiten des 8. Buchs der ZPO (§ 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile (§§ 722 Abs. 2, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Drittwiderspruchsklage (§§ 771 Abs. 1, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . (3) Klagen gem. §§ 797 Abs. 5, 802 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Klage auf vorzugsweise Befriedigung (§§ 805 Abs. 2, 802 ZPO) . (5) Widerspruchsklage gegen den Teilungsplan (§§ 879 Abs. 1, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschließliche sachliche Zuständigkeit . aa) Amtshaftungsansprüche (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) . . . . . . . . . . . . . bb) Ansprüche auf der Grundlage der Bundesnotarordnung . . . . . . . . . . . cc) Herausgabeklagen nach den Hinterlegungsgesetzen der Länder . . . . . .
33 34 34 35 36 37 38 39 39 41 42
Fischer/Reichling 169
ZPO
Kap. 11
Gerichtsstand
ZPO
Kap. 11 dd) Patent-, Geschmacksmuster-, Kennzeichenstreitigkeiten u.a. . . . . . . . . . ee) Streitigkeiten aus dem Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen (§ 87 GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Entscheidungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 13 Abs. 1 StrEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fälle gleichzeitig örtlich und sachlich ausschließlicher Zuständigkeit . . . . . . . . aa) Wohnraummietsachen (§ 29a ZPO, § 23 Nr. 2a GVG) . . . . . . . . . . . . . . bb) Hauptinterventionsklage (§ 64 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 584 Abs. 1 ZPO) . . . . . . . . . . . . . dd) Mahnverfahren (§ 689 Abs. 2 ZPO) . ee) Sachlich und örtlich ausschließliche Zuständigkeiten nach dem 8. Buch der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vollstreckungsgericht (§§ 764, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 828 Abs. 2, 802 ZPO) (3) Zuständigkeit des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges . . . (4) Vollstreckungsrechtliche Klagen im Zusammenhang mit Vollstreckungsbescheiden (§§ 796 Abs. 3, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . (5) Vollstreckbare Urkunden gegen den jeweiligen Grundstückseigentümer (§§ 800 Abs. 3, 802 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Gesellschaftsrechtliche Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen . . . . . . . . . . gg) Insolvenzverfahren (§§ 2, 3 InsO) . . hh) Klagen nach dem Unterlassungsklagengesetz (§ 6 UKlaG) . . . . . . . . ii) Ansprüche bei falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) . . 2. Besondere Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . a) Gerichtsstand des Aufenthaltsorts (§ 20 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gerichtsstand der Mitgliedschaft (§ 22 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes (§ 23 ZPO) . . . . . . . . . . . e) Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (§ 25 ZPO) . . . . . . . . . . . f) Dinglicher Gerichtsstand für persönliche Klagen (§ 26 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Besonderer Gerichtsstand der Erbschaft (§ 27 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
Reichling
Gerichtsstand
43 44
45 46 46 47 48 49 50 50 51 52
53
54 55 56 57 58 59 59 61 63 65 67 68 69
h) Erweiterter Gerichtsstand der Erbschaft (§ 28 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO) . . . . . . . . . . . k) Gerichtsstand bei Beförderungen (§ 30 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Gerichtsstand der Vermögensverwaltung (§ 31 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Gerichtsstand der Widerklage (§ 33 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Besonderer Gerichtsstand des Hauptprozesses (§ 34 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . p) Besondere Gerichtsstände außerhalb des 1. Buchs der ZPO . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeiner Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Gerichtsstand der Person (§ 13 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeiner Gerichtsstand wohnsitzloser Personen (§ 16 ZPO) . . . . . . . . . . c) Allgemeiner Gerichtsstand juristischer Personen (§ 17 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . 4. Vereinbarter Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeitsvereinbarungen in Handelssachen (§ 38 Abs. 1 ZPO) . . . . . . . . M 11.3 Formularklausel in Verkaufsund Lieferungsbedingungen . . . M 11.4 Klageschrift bei vereinbartem Gerichtsstand unter Kaufleuten . b) Zuständigkeitsvereinbarung für internationale Rechtsstreitigkeiten (§ 38 Abs. 2 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 11.5 Formularklausel in Verkaufsund Lieferungsbedingungen eines inländischen Auftragnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 11.6 Klageschrift bei vereinbartem Gerichtsstand für internationalen Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . c) Nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) . . . . . . M 11.7 Nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . M 11.8 Klageschrift bei nachträglich vereinbartem Gerichtsstand . . . d) Gerichtsstandsvereinbarung bei erschwerter Rechtsverfolgung (§ 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 11.9 Formularklausel in Verkaufsund Lieferungsbedingungen eines inländischen Auftragnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . M 11.10 Klageschrift für Gerichtsstandsvereinbarung bei erschwerter Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . e) Zuständigkeit infolge rügeloser Verhandlung (§ 39 ZPO) . . . . . . . . . . . . . .
73 75 84 87 89 90 95 98 101 102 103 110 113 117 122 127 129 130
132 134 136 137 141 142
145 148 149
Gerichtsstand
Rz. 7 Kap. 11
Die im Folgenden erörterten Gerichtsstände, die in §§ 12 ff. ZPO oder anderen nationalen Gesetzen geregelt sind, beziehen sich in erster Linie auf die Prozessführung im Inland unter Beteiligung deutscher Parteien.
1
Nicht zuletzt mit Blick auf den fortschreitenden Ausbau des Binnenmarktes in der EU und sonstige in- 2 ternationale Handelsverflechtungen ist bei der Wahl des Gerichtsstands aber immer vorab zu prüfen, ob ein Streit mit Auslandsbezug vorliegt. Ist dies der Fall, so sind besondere Zuständigkeitsregelungen zu beachten. Sie werden für den Bereich der EU im Kap. 101 gesondert abgehandelt. Nur wenn keine speziellen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit bestehen, kommen auch bei Auslandsbezug die deutschen Zuständigkeitsvorschriften zur Anwendung. Die internationale Zuständigkeit richtet sich dann nach der örtlichen Zuständigkeit (vgl. Zöller/Geimer IZPR Rz. 39 mwN). Sind die deutschen Zuständigkeitsregeln anwendbar, so ist zunächst zu prüfen, ob der Schuldner in einem bestimmten Gerichtsstand verklagt werden muss. Das ist immer dann der Fall, wenn ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht (vgl. Rz. 14 ff.).
3
Liegt kein ausschließlicher Gerichtsstand vor, so ist weiter zu überlegen, ob sich neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners (vgl. Rz. 102 ff.) andere Gerichtsstände anbieten, die – etwa aus prozesstaktischen oder geographischen Gründen – für den Kläger günstiger sind oder die es ihm ermöglichen, mehrere Beklagte bei ein- und demselben Gericht zu verklagen. Das kann dann der Fall sein, wenn außer dem allgemeinen Gerichtsstand noch ein besonderer Gerichtsstand besteht (vgl. Rz. 59 ff.). Unter bestimmten Umständen kann ein Gerichtsstand auch vereinbart werden (vgl. Rz. 117 ff.).
4
II. Inhalt und Ausübung des Wahlrechts Sind mehrere Gerichtsstände eröffnet, so hat der Kläger unter ihnen die Wahl, § 35 ZPO. Beim Vor- 5 liegen mehrerer ausschließlicher Gerichtsstände beschränkt sich das Wahlrecht auf die unter ihnen zu treffende Auswahl. Im Übrigen kann der Kläger grundsätzlich zwischen allgemeinen und besonderen, aber auch jeweils unter mehreren allgemeinen oder mehreren besonderen Gerichtsständen frei wählen. Eine Grenze besteht in Fällen des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB), in denen die Wahl aus sachfremden Erwägungen getroffen wird (vgl. Zöller/Schultzky § 35 ZPO Rz. 4 mwN). Allein darin, dass der Kläger die ihm günstige Rechtsprechung eines bestimmten Gerichts ausnützen will, liegt noch kein Rechtsmissbrauch (BGH MDR 2014, 807; OLG Hamburg NJW-RR 2007, 763; KG Berlin WRP 2008, 511; aA OLG Hamm NJW 1987, 138), wohl aber darin, dass die Wahl – etwa mit Blick auf drohende Reisekosten zum Gerichtsort – auf Schädigungsabsicht schließen lässt (KG Berlin aaO) oder ein zunächst bei einem bestimmten Gericht eingereichter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach Anberaumung eines Verhandlungstermins zurückgenommen wird, um ihn bei einem anderen Gericht zu wiederholen (OLG Hamburg aaO). Die Ausübung der Wahl erfolgt in aller Regel durch Klageerhebung zu einem bestimmten Gericht oder durch die gem. § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO vorgenommene Bezeichnung des zuständigen Gerichts im Mahnverfahren.
K
6
Wichtig: Eine Ausübung kann aber auch in der Antragstellung im selbständigen Beweisverfah- 7 ren (OLG Zweibrücken OLGR 1998, 181; OLG Schleswig OLGR 2007, 158) liegen. Der Antragsteller kann sich dann, wenn er im späteren Hauptsacheprozess auf der Beklagtenseite steht, nicht mehr auf die fehlende Zuständigkeit des für beide Verfahren gem. §§ 486 Abs. 2, 487 Nr. 4 ZPO als zuständig bezeichneten Gerichts berufen (Zöller/Herget § 486 ZPO Rz. 4). Allerdings ist er nicht gehindert, den Anspruch im Wege der Widerklage bei einem anderen Gericht zu verfolgen (OLG Jena OLGR 2008, 353). Der Antragsgegner kann die Zuständigkeit im späteren Reichling 171
ZPO
I. Vorüberlegungen zur Wahl des Gerichtsstands
ZPO
Kap. 11 Rz. 8
Gerichtsstand
M 11.1
Hauptsacheprozess noch rügen, selbst wenn er sie im selbständigen Beweisverfahren nicht beanstandet hatte.
8 Die Ausübung des Wahlrechts kann auch in der Erhebung einer Widerklage liegen (OLG Zweibrücken OLGR 2000, 299).
9 Eine fehlerfrei getroffene Wahl ist bindend (vgl. BayObLG MDR 1999, 1461). Dies gilt auch für die im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids getroffene Wahl (BGH NJW 2004, 3488). Auch eine fehlerhaft vorgenommene Wahl kann bindend werden, wenn der Beklagte sich auf die Klage beim unzuständigen Gericht einlässt und das angerufene Gericht gem. § 39 ZPO zuständig wird (vgl. Rz. 149). Aus Sicht des Beklagten ist deshalb darauf zu achten, dass die Unzuständigkeit des Gerichts rechtzeitig innerhalb der Frist für die Klageerwiderung, spätestens aber vor Eintritt in die mündliche Verhandlung gerügt wird (vgl. Kap. 20 Rz. 65). Erhebt der Beklagte die Zuständigkeitsrüge zu Recht oder hat der Kläger einen ausschließlichen Gerichtsstand übersehen, so kann die fehlerhaft vorgenommene Wahl korrigiert werden, indem der Kläger gem. § 281 Abs. 1 ZPO Verweisung an ein zuständiges Gericht beantragt. In diesem Falle ist die mit dem Verweisungsantrag getroffene Wahl bindend.
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Wichtig: Die Bindung des Klägers an die getroffene Wahl tritt erst mit der Rechtshängigkeit ein. In der Zeit zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit ist der Kläger also noch zu einer Änderung der getroffenen Wahl im Stande.
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Praxistipp: Ein Verweisungsantrag kann von vornherein hilfsweise für den Fall gestellt werden, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneint (vgl. Zöller/Greger § 281 ZPO Rz. 11 mwN).
12 M 11.1 Verweisungsantrag des Klägers An das Amtsgericht/Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) beantrage ich, den Rechtsstreit an das sachlich/örtlich zuständige Amtsgericht/Landgericht … zu verweisen. Kosten: Gericht: keine zusätzlichen Kosten (§ 4 GKG); Anwalt: Das Verfahren vor dem überweisenden und dem übernehmenden Gericht sind ein Rechtszug (§ 20 RVG).
13 M 11.2 Hilfsweise in der Klageschrift gestellter Verweisungsantrag des Klägers An das Amtsgericht/Landgericht … In Sachen … ./. … (Langrubrum) Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, …
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Reichling
M 11.2
Gerichtsstand
Rz. 16 Kap. 11
hilfsweise
ZPO
für den Fall, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneinen sollte, beantrage ich, den Rechtsstreit an das sachlich/örtlich zuständige Amtsgericht/Landgericht … zu verweisen. Kosten: s. Anm. zu M 11.1.
III. Die wichtigsten einzelnen Gerichtsstände 1. Ausschließliche Gerichtsstände a) Ausschließliche örtliche Zuständigkeit aa) Dinglicher Gerichtsstand (§ 24 ZPO) Der ausschließliche dingliche Gerichtsstand setzt zunächst voraus, dass durch die Klage eine unbewegliche Sache betroffen wird. Unbewegliche Sachen sind zB
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– Grundstücke, – wesentliche Bestandteile von Grundstücken iSv. §§ 92, 94 BGB, – Grunddienstbarkeiten, § 1018 BGB, – Reallasten, § 1105 Abs. 2 BGB, – dingliche Vorkaufsrechte, § 1094 Abs. 2 BGB, – grundstücksgleiche Rechte, wie etwa das Erbbaurecht (§ 11 ErbbauRG), Bergwerkseigentum (§ 9 Abs. 1 BBergG), selbständiges Gebäudeeigentum nach § 295 Abs. 2 ZGB-DDR, bestimmte landesrechtlich festgelegte grundstücksgleiche Rechte, – Bruchteile an Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten, wie Miteigentum (§ 1018 BGB) und Wohnungseigentum (§§ 1, 2 WEG). Weiter ist für das Eingreifen des ausschließlichen dinglichen Gerichtsstandes erforderlich, dass eine der folgenden Klagen erhoben werden soll:
15
– Eigentumsklage (zB Herausgabe, § 985 BGB; Grundbuchberichtigung, § 894 BGB; Klage auf Feststellung des Eigentums; Beseitigung von Eigentumsbeeinträchtigungen, § 1004 BGB; nachbarrechtliche Ansprüche aus §§ 905, 906 BGB usw.), – Klage aus dinglicher Belastung (wie zB Erbbaurecht, Grunddienstbarkeit, Nießbrauch, beschränkte persönliche Dienstbarkeit, dingliches Vorkaufsrecht, Reallast, Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld usw.). Der auf § 11 AnfG gestützte Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in eine Sache eröffnet den dinglichen Gerichtsstand allerdings nicht (BGH NJW-RR 2017, 1213), – Klage auf Geltendmachung der Freiheit von einer solchen dinglichen Belastung, – Grenzscheidungsklage, §§ 919, 920 BGB, – Besitzklage, – Teilungsklage.
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Wichtig: Die Teilungsklage bezieht sich nur auf die Teilung einer einzelnen unbeweglichen Sache (zB nach §§ 749, 1008 ff. BGB), nicht hingegen auf die Teilung einer Vermögensmasse, wie etwa bei der Auseinandersetzung unter Gesellschaftern und Miterben (s. dazu vielmehr Kap. 91 sowie Kap. 89).
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Kap. 11 Rz. 17
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17 Örtlich ausschließlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die unbewegliche Sache belegen ist; bei subjektiv dinglichen Rechten entscheidet die Lage des dienenden oder belasteten Grundstücks.
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Praxistipp: Wird im ausschließlichen Gerichtsstand des § 24 ZPO aus einer dinglichen Belastung (etwa auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus einer Hypothek, Grundschuld usw.) geklagt (s. dazu Kap. 15 Rz. 201 ff.), so kann gem. § 25 ZPO die Klage gegen den persönlichen Schuldner mit der dinglichen Klage verbunden werden. Hinsichtlich des schuldrechtlichen Anspruchs besteht insoweit aber keine ausschließliche Zuständigkeit, sondern eine dem Kläger zur Wahl stehende besondere Zuständigkeit des Sachzusammenhangs.
bb) Gerichtsstand des Miet- oder Pachtraumes (§ 29a ZPO)
19 Der Gerichtsstand erfasst alle Streitigkeiten aus Miet- oder Pachtverhältnisse über Räume oder aus der Anbahnung oder Abwicklung solcher Verhältnisse. Örtlich ausschließlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk sich die Räume befinden. Eine Ausnahme gilt gem. § 29a Abs. 2 ZPO lediglich hinsichtlich verschiedener, in § 549 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB näher beschriebener Fälle der Wohnraummiete (vorübergehender Gebrauch, möblierter Wohnraum in der Vermieterwohnung, von Sozialträgern angemieteter Wohnraum).
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Wichtig: Zu den von § 29a ZPO erfassten Streitigkeiten gehören auch solche aus Untermiet-/ Unterpachtverhältnissen und aus (gewerblicher oder nicht gewerblicher) Zwischenvermietung.
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Wichtig: Betrifft der Rechtsstreit die Vermietung von Wohnraum, so besteht zugleich mit der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nach § 29a ZPO eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte (s. Rz. 46).
cc) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO)
22 Die Vorschrift erfasst alle Klagen, die auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen iSv. § 312b BGB und auf Umgehungsgeschäften iSv. § 312k Abs. 1 BGB beruhen. Sie erstreckt sich auch auf alle Folgeansprüche aus solchen Geschäften sowie Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss oder wegen einer im Zusammenhang mit dem Haustürgeschäft begangenen unerlaubten Handlung gegen den Vertragspartner oder gegen Dritte, die in die Vertragsanbahnung eingeschaltet waren (BGH MDR 2011, 807). Das gilt auch, wenn diese Ansprüche nicht nur gegenüber dem Vertragspartner, sondern ebenfalls gegenüber ihrem Vertreter verfolgt werden (BGH NJW 2003, 1190). – Für Klagen aus solchen Geschäften, besteht, wenn sie gegen den Verbraucher gerichtet sind, ein ausschließlicher Gerichtsstand. Örtlich ausschließlich zuständig ist das Gericht, an dem der Verbraucher im Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz und in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat der Verbraucher weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthaltsort, so fehlt es an einem ausschließlichen Gerichtsstand. Für diesen Fall ist im Gerichtsstand nach § 16 ZPO, ggf. auch in einem besonderen Gerichtsstand, zu klagen. – Für Klagen des Verbrauchers stellt § 29c ZPO einen Wahlgerichtsstand zur Verfügung (s. dazu Rz. 84). dd) Gerichtsstand der Umwelteinwirkung (§ 32a ZPO)
23 Der Gerichtsstand umfasst Klagen gegen den Inhaber einer Anlage aus der Umwelteinwirkung dieser Anlage. Der Gerichtsstand gilt zum einen bei Ansprüchen aus der Gefährdungshaftung des Umwelthaftungsgesetzes, zum anderen aber auch für konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB, WHG, BImSchG, ArzneiMG usw. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 17a GVG (vgl. Zöller/Schultzky § 32a ZPO Rz. 1, 8 mwN; zu § 32 ZPO auch BGHZ 153, 173 sowie Rz. 92). Örtlich ausschließlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die Umwelteinwirkung von der Anlage ausgegangen ist.
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Rz. 29 Kap. 11
ee) Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) Der ausschließliche Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen erfasst Klagen, mit denen
24
1. der Ersatz eines auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursachten Schadens, 2. ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung falscher oder irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen oder Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass solche Informationen falsch oder irreführend sind oder 3. ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht, geltend gemacht wird. Zuständig ist das Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich dieser Sitz im Ausland befindet. Soll ein Anlageberater oder Anlagevermittler in Anspruch genommen werden, so ist zu unterschei- 25 den: Der ausschließliche Gerichtsstand gilt nicht für solche Klagen, die allein darauf gestützt werden, der Anlageberater oder -vermittler habe Risiken verschwiegen, die (in der Sache zutreffend) in einer öffentlichen Kapitalmarktinformation beschrieben waren, wohl aber für solche Klagen, in denen die Haftung auf die Verwendung falscher, irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen oder die unterlassene Aufklärung über ihre Fehlerhaftigkeit gestützt wird (BGH NJW-RR 2013, 1302). Für Streitgenossen gilt der Gerichtsstand des § 32b ZPO, wenn dieser Gerichtsstand für einen von ihnen begründet ist; wobei es nicht darauf ankommt, ob einer der Streitgenossen dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (BGH NJW-RR 2008, 1514). Abgesehen von § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist es nicht erforderlich, dass zu den Beklagten auch der Emittent, Anbieter oder die Zielgesellschaft gehören (BGH NJW-RR 2013, 1302; BGH MDR 2017, 600). Allerdings wird der Gerichtsstand für die Streitgenossen am Gerichtsstand des § 32b ZPO erst durch eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO begründet. Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit ist zu beachten, dass für die von § 32b ZPO erfassten Ansprüche gem. § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG eine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte besteht (vgl. Rz. 58).
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Wichtig: § 32b ZPO enthält sog. auslaufendes Recht (BGBl. I 2012, 2182). Nach dem 1.11.2020 muss der Anwalt prüfen, ob die Geltungsdauer des § 32b ZPO, der mit den Regeln des KapMuG eng verbunden ist, verlängert worden ist (vgl. dazu Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2007, § 20 KapMuG Rz. 4 ff.).
ff) Gerichtsstand in Wettbewerbsstreitigkeiten (§ 14 UWG) Gemäß § 14 Abs. 1 UWG ist für Klagen aufgrund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seine gewerbliche oder selbständige berufliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat. Bei Fehlen einer inländischen Niederlassung oder eines inländischen Wohnsitzes ist das Gericht des inländischen Aufenthalts zuständig.
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Wichtig: Die Klage erfordert einen Bezug zum Geschäftsbetrieb. Er ist dann gegeben, wenn der Wettbewerbsverstoß vom Geschäftsbetrieb des Schuldners ausgeht. Bei mehreren Niederlassungen kommt es darauf an, von welcher konkreten Niederlassung der Verstoß ausgeht (Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 14 Rz. 7 mwN).
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Gerichtsstand
Kap. 11 Rz. 30
Gerichtsstand
ZPO
30 Gemäß § 14 Abs. 2 UWG ist außerdem nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist. Dieser Gerichtsstand des Begehungsorts entspricht demjenigen aus § 32 ZPO (vgl. Rz. 90 ff.). Er eröffnet die Möglichkeit einer Klage am Handlungs- und am Erfolgsort.
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Wichtig: Bei Verbreitung von Druckschriften besteht der Begehungsort an jedem Ort ihrer Verbreitung, dh. an jedem Ort, an dem die Druckschrift dritten Personen bestimmungsgemäß zur Kenntnis gelangt ist (sog. fliegender Gerichtsstand). Entsprechendes gilt für die Verbreitung durch Funk, Fernsehen, Internet uÄ (vgl. im Einzelnen Ohly/Sosnitza § 14 Rz. 11 f. mwN, zur Verbreitung im Internet vgl. auch unten Rz. 90).
32 Die Gerichtsstände aus § 14 Abs. 1 und 2 UWG sind ausschließlich, wobei der Kläger aber zwischen beiden Gerichtsständen die Wahl hat (vgl. etwa Ohly/Sosnitza § 14 UWG Rz. 2 mwN). Das Wahlrecht ist allerdings für solche Gewerbebetreibende, Verbände oder Kammern beschränkt, die ihre Klagebefugnis aus § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG herleiten. Sie können nur dann wählen, wenn der Beklagte im Inland keine gewerbliche oder selbständige berufliche Niederlassung oder keinen Wohnsitz hat. gg) Gerichtsstand bei Fernunterrichtsverträgen (§ 26 Abs. 1 FernUSG)
33 Für Streitigkeiten aus einem Fernunterrichtsvertrag oder über das Bestehen eines solchen Vertrages ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Teilnehmer seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. hh) Ausschließliche örtliche Zuständigkeiten des 8. Buchs der ZPO (§ 802 ZPO) (1) Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile (§§ 722 Abs. 2, 802 ZPO)
34 Die Regelung betrifft die Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile im Verfahren nach §§ 722, 723 ZPO. International und örtlich ausschließlich zuständig ist insoweit das Gericht, an dem der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Fehlt es an einem solchen, so besteht eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit im Gerichtsstand des Vermögens (zum Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach EU-Recht vgl. Kap. 102 Rz. 33 ff., 49!). (2) Drittwiderspruchsklage (§§ 771 Abs. 1, 802 ZPO)
35 Für die Drittwiderspruchsklage besteht eine örtlich ausschließliche Zuständigkeit bei dem Gericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung erfolgt. (3) Klagen gem. §§ 797 Abs. 5, 802 ZPO
36 Die Regelung betrifft Klagen auf Erteilung (§ 731 ZPO) und gegen die Erteilung (§ 768 ZPO) der Vollstreckungsklausel bei vollstreckbaren Urkunden sowie die gegen den Anspruch aus einer solchen Urkunde erhobenen Einwendungen (§ 767 ZPO). Örtlich ausschließlich zuständig ist das Gericht, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Fehlt es an einem solchen, so besteht eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit im Gerichtsstand des Vermögens. (4) Klage auf vorzugsweise Befriedigung (§§ 805 Abs. 2, 802 ZPO)
37 Für die Klage auf vorzugsweise Befriedigung besteht eine örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts und falls das Amtsgericht sachlich nicht zuständig ist, des Landgerichts, in dessen Bezirk das Vollstreckungsgericht seinen Sitz hat. (5) Widerspruchsklage gegen den Teilungsplan (§§ 879 Abs. 1, 802 ZPO)
38 Für die Widerspruchsklage besteht eine örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Verteilungsgerichts und falls das Amtsgericht sachlich nicht zuständig ist, des Landgerichts, in dessen Bezirk das Verteilungsgericht seinen Sitz hat.
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Gerichtsstand
Rz. 46 Kap. 11
aa) Amtshaftungsansprüche (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) Für Amtshaftungsansprüche, die gem. § 839 BGB gegen einen Beamten oder gem. Art. 34 GG gegen dessen Dienstherren gerichtet werden (näher dazu Kap. 86 Rz. 27 ff.), sind sachlich die Landgerichte ausschließlich zuständig. Soweit § 71 Abs. 2 Nr. 1 GVG darüber hinaus eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Landgerichte für Ansprüche bestimmt, die aufgrund der Beamtengesetze gegen den Fiskus erhoben werden, ist die Regelung gegenstandslos. Für solche Ansprüche ist heute der Verwaltungsrechtsweg gegeben, § 126 BRRG, § 126 BBG.
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Wichtig: Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG gilt nicht für Fälle, in denen der Fiskus als Kfz-Halter aus § 7 StVG haftet. Insoweit bestimmt sich die sachliche Zuständigkeit nach allgemeinen Regeln (vgl. Zöller/Lückemann § 71 GVG Rz. 5). Bei Streitwerten bis zu 5.000 Euro kann deshalb auch beim Amtsgericht geklagt werden, das dann allerdings Ansprüche nach § 839 BGB nicht in seine Entscheidung einbeziehen darf.
bb) Ansprüche auf der Grundlage der Bundesnotarordnung Für Amtshaftungsansprüche gegen Notare (§ 19 Abs. 3 BNotO), Streitigkeiten zwischen Notar und Notarvertreter (§ 42 BNotO) und zwischen Notarkammer und Notariatsverwalter (§ 62 BNotO) sind die Landgerichte sachlich ausschließlich zuständig.
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cc) Herausgabeklagen nach den Hinterlegungsgesetzen der Länder Insoweit muss der Rechtsanwalt das jeweilige Landesrecht daraufhin überprüfen, ob gem. § 71 Abs. 3 42 GKG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, die Landgerichte als sachlich ausschließlich zuständig zu bestimmen. dd) Patent-, Geschmacksmuster-, Kennzeichenstreitigkeiten u.a. In den Fällen der § 143 Abs. 1 PatG, § 140 Abs. 1 MarkenG, § 52 Abs. 1 DesignG, § 27 Abs. 1 GebrMG 43 und § 38 Abs. 1 SortG sind jeweils die Landgerichte sachlich ausschließlich zuständig. Zusätzlich muss in diesen Fällen darauf geachtet werden, ob nach jeweiligem Landesrecht die Zuständigkeit eines bestimmten Landgerichts für verschiedene Landgerichtsbezirke angeordnet ist. ee) Streitigkeiten aus dem Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen (§ 87 GWB) Soweit es sich um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen, aus Artt. 101, 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU oder aus Artt. 53, 45 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum handelt, sind die Landgerichte sachlich ausschließlich zuständig. Zusätzlich muss in diesen Fällen darauf geachtet werden, ob gem. § 89 GWB nach Landesrecht die Zuständigkeit eines bestimmten Landgerichts für verschiedene Landgerichtsbezirke angeordnet ist.
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ff) Entscheidungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 13 Abs. 1 StrEG) Für Ansprüche auf Entschädigung sind die Landgerichte sachlich ausschließlich zuständig.
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c) Fälle gleichzeitig örtlich und sachlich ausschließlicher Zuständigkeit aa) Wohnraummietsachen (§ 29a ZPO, § 23 Nr. 2a GVG) Für Streitigkeiten aus Wohnraummietsachen ist örtlich (mit Ausnahme der Fälle des § 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB) und sachlich ausschließlich das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich die Räume befinden. Reichling 177
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ZPO
b) Ausschließliche sachliche Zuständigkeit
Kap. 11 Rz. 47
Gerichtsstand
ZPO
bb) Hauptinterventionsklage (§ 64 ZPO)
47 Für die gegen beide Parteien gerichtete Hauptinterventionsklage besteht eine sachlich und örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts, bei dem der Rechtsstreit zwischen den Parteien in erster Instanz anhängig wurde. Sie gilt insbesondere auch dann, wenn der Prozess zwischen den Parteien bereits in der Rechtmittelinstanz anhängig ist. Soll anstelle einer Interventionsklage gegen beide Parteien nur gegen eine der Parteien des Hauptprozesses geklagt werden, so gilt der ausschließliche Gerichtsstand nicht (vgl. Zöller/Althammer § 64 ZPO Rz. 4 mwN). cc) Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 584 Abs. 1 ZPO)
48 Für Nichtigkeits- und Restitutionsklagen ist dem Grundsatz nach die Instanz örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, deren Urteil aufgehoben werden soll, ggf. also auch das Berufungs- oder Revisionsgericht (zu den einzelnen Varianten und Besonderheiten vgl. Zöller/Greger § 584 ZPO Rz. 2 ff. mwN). dd) Mahnverfahren (§ 689 Abs. 2 ZPO)
49 Mittlerweile wird das Mahnverfahren in allen Bundesländern auf der Grundlage von § 689 Abs. 3 ZPO zentral durchgeführt (vgl. dazu Kap. 8 Rz. 13 ff.). Der Mahnantrag ist jeweils an das örtlich und sachlich ausschließlich zuständige zentrale Mahngericht zu richten. Der Mahngerichtsstand geht anderen ausschließlichen Gerichtsständen immer vor, § 689 Abs. 2 Satz 3 ZPO. ee) Sachlich und örtlich ausschließliche Zuständigkeiten nach dem 8. Buch der ZPO (1) Vollstreckungsgericht (§§ 764, 802 ZPO)
50 Gemäß § 764 Abs. 1 ZPO ist als Vollstreckungsgericht sachlich das Amtsgericht ausschließlich zuständig. Sofern das Gesetz kein anderes Amtsgericht bezeichnet, ist gem. § 764 Abs. 2 ZPO in örtlicher Hinsicht das Amtsgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung stattfinden soll oder stattgefunden hat. (2) Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 828 Abs. 2, 802 ZPO)
51 Insoweit besteht eine sachlich und örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts als Vollstreckungsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, hilfsweise im Gerichtsstand des Vermögens. (3) Zuständigkeit des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges
52 In den folgenden Fällen ist das Prozessgericht des ersten Rechtszuges sachlich und örtlich ausschließlich zuständig: – Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel, §§ 731, 802 ZPO, – Vollstreckungsgegenklage, §§ 767 Abs. 1, 802 ZPO, – Klauselgegenklage, §§ 768 Abs. 1, 767 Abs. 1, 802 ZPO, – Vollstreckung aus Titeln, die auf vertretbare Handlungen gerichtet sind, §§ 887, 802 ZPO, – Vollstreckung aus Titeln, die auf nicht vertretbare Handlungen gerichtet sind, §§ 888, 802 ZPO, – Vollstreckung aus Unterlassungs- und Duldungstiteln, §§ 890, 802 ZPO.
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Rz. 57 Kap. 11
(4) Vollstreckungsrechtliche Klagen im Zusammenhang mit Vollstreckungsbescheiden (§§ 796 Abs. 3, 802 ZPO) Insoweit besteht eine sachlich und örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts, das für eine Entscheidung im Streitverfahren zuständig gewesen wäre. Sie betrifft folgende Klagen:
53
– Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel (§ 731 ZPO) in den Fällen, in denen die Zwangsvollstreckung für einen anderen Gläubiger oder gegen einen anderen Schuldner erfolgen soll, als den, der im Vollstreckungsbescheid bezeichnet ist, – Vollstreckungsgegenklagen, § 767 ZPO, – Klauselgegenklagen, § 768 ZPO. (5) Vollstreckbare Urkunden gegen den jeweiligen Grundstückseigentümer (§§ 800 Abs. 3, 802 ZPO) Hat sich der Grundstückseigentümer bei Errichtung einer Urkunde iSv. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO hinsichtlich einer Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld in der Weise der Zwangsvollstreckung unterworfen, dass die Vollstreckung gegen den jeweiligen Grundstückseigentümer zulässig sein soll, so ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück gelegen ist. Diese ausschließliche Zuständigkeit gilt für folgende Klagen:
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– Klagen auf Erteilung der Vollstreckungsklausel, § 731 ZPO, – Vollstreckungsgegenklagen, § 767 ZPO, – Klauselgegenklagen, § 768 ZPO. ff) Gesellschaftsrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen Angesprochen sind Klagen auf Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen und auf Nichtigerklärung der Gesellschaft in den Fällen der §§ 246 Abs. 3, 249 Abs. 1, 250 Abs. 3, 251 Abs. 3, 254 Abs. 2, 255 Abs. 3, 257 Abs. 2, 275 Abs. 4, 278 Abs. 3 AktG, § 61 Abs. 3 GmbHG. Für diese Klagen besteht jeweils eine sachlich und örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts am Sitz der Gesellschaft.
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gg) Insolvenzverfahren (§§ 2, 3 InsO) Gemäß § 2 Abs. 1 InsO ist als Insolvenzgericht sachlich ausschließlich das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat. Durch Landesrecht können gem. § 2 Abs. 2 InsO abweichende Regelungen getroffen werden. Örtlich ausschließlich zuständig ist gem. § 3 Abs. 1 InsO das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist das Insolvenzgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.
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hh) Klagen nach dem Unterlassungsklagengesetz (§ 6 UKlaG) Insoweit besteht eine örtlich und sachlich ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts, in dessen Bezirk der Beklagte seine gewerbliche Niederlassung, hilfsweise seinen Wohnsitz hat. Fehlt es an beidem, so entscheidet der inländische Aufenthaltsort. Fehlt es auch daran, so entscheidet der Ort, an dem unwirksame allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet wurden, gegen Verbraucherschutzgesetze oder gegen das Urheberrecht verstoßen wurde. Durch Landesrecht können gem. § 6 Abs. 2 UKlaG abweichende Regelungen getroffen werden.
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Gerichtsstand
ZPO
Kap. 11 Rz. 58
Gerichtsstand
ii) Ansprüche bei falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO)
58 Für Ansprüche, die auf eine unterlassene, falsche oder irreführende öffentliche Kapitalmarktinformation, auf die Verwendung einer solchen falschen oder irreführenden Information oder auf die Unterlassung der gebotenen Aufklärung über ihre Fehlerhaftigkeit oder Irreführung gestützt werden, besteht neben der örtlich ausschließlichen Zuständigkeit aus § 32b ZPO (vgl. dazu Rz. 24) gem. § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG eine sachlich ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte. 2. Besondere Gerichtsstände a) Gerichtsstand des Aufenthaltsorts (§ 20 ZPO)
59 Der Gerichtsstand eröffnet die Möglichkeit, an dem vom Wohnsitz verschiedenen Aufenthaltsort einer natürlichen Person zu klagen, sofern es sich um einen Aufenthalt von längerer Dauer handelt. In Betracht kommen etwa längerer Klinik- oder Kuraufenthalt, Strafhaft, Saisonarbeiter auf Montage, Wehrdienst, Referendariat, Aufenthalt im Frauenhaus u.a. (vgl. im Einzelnen Zöller/Schultzky § 20 ZPO Rz. 5 mwN). Die Vorschrift gilt grundsätzlich auch gegenüber Ausländern. Ihre Anwendung ist aber im Geltungsbereich der EuGVVO/des EuGVÜ ausgeschlossen, wenn der Beklagte in einem ausländischen Vertragsstaat seinen Wohnsitz hat (vgl. dazu Kap. 101 Rz. 8 ff., 103).
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Wichtig: Der Gerichtsstand bezieht sich nur auf vermögensrechtliche Ansprüche. Ein Bezug des Anspruchs zum Aufenthaltsort ist nicht erforderlich.
b) Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO)
61 Der Gerichtsstand eröffnet die Möglichkeit am Ort der vom Wohnsitz oder Sitz einer natürlichen oder juristischen Person verschiedenen gewerblichen Niederlassung zu klagen. Die Niederlassung muss für eine gewisse Dauer eingerichtet sein. Sie setzt voraus, dass ihrer Leitung das Recht eingeräumt ist, aus eigener Entscheidung Geschäfte abzuschließen (BGH NJW 1987, 3081, 3082 mwN; wegen einzelner Beispiele vgl. Zöller/Schultzky § 21 ZPO Rz. 8 mwN). Ein nach außen hin erweckter Anschein der Niederlassung genügt (BGHZ 188, 85). Der Gerichtsstand gilt auch bei Unternehmen mit Sitz im Ausland und Niederlassung im Inland (für den Bereich von EuGVVO und EugVÜ vgl. Kap. 101 Rz. 34 ff.).
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Wichtig: Der Gerichtsstand bezieht sich nur auf vermögensrechtliche Ansprüche. Er erfordert zudem einen Bezug des Anspruchs zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung (BGHZ 188, 85).
c) Gerichtsstand der Mitgliedschaft (§ 22 ZPO)
63 Der Gerichtsstand gilt für alle Personenvereinigungen iSv. § 17 ZPO. Er ermöglicht eine Klage bei dem Gericht, in dessen Bezirk die Personenvereinigung ihren allgemeinen Gerichtsstand, dh. ihren Sitz (§ 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO), Verwaltungsort (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO) oder satzungsgemäß festgelegten Gerichtsstand (§ 17 Abs. 3 ZPO) hat. Voraussetzung ist, dass es sich um eine Klage der Personenvereinigung oder ihres Insolvenzverwalters gegen ihre Mitglieder oder um eine Klage von Mitgliedern gegeneinander handelt. Die Klage muss das Rechtsverhältnis der Mitgliedschaft als solches betreffen.
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Praxistipp: Die Mitgliedschaft muss im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht (mehr) unbedingt bestehen. Im Gerichtsstand nach § 22 ZPO kann deshalb auch bei Klagen gegen ausgeschiedene Mitglieder oder in Fällen der Rechtsnachfolge geklagt werden. Das Gleiche gilt dann, wenn durch die Klage die Mitgliedschaft erst begründet werden soll (vgl. zu alledem Zöller/Schultzky § 22 ZPO Rz. 5 mwN).
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Gerichtsstand
Rz. 70 Kap. 11
Der Gerichtsstand ermöglicht eine Klage an dem Ort, an dem sich Vermögen des Schuldners oder der mit der Klage in Anspruch genommene, nicht zum Vermögen des Schuldners gehörende Gegenstand befindet. Der Gerichtsstand bezieht sich nur auf vermögensrechtliche Ansprüche. Er setzt voraus, dass der Beklagte im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Zudem ist ein über die Vermögensbelegenheit hinausgehender Inlandsbezug erforderlich (BGH NJW 1991, 3092, 3093; BGH MDR 2013, 296). Gegenüber anderen, besonderen Gerichtsständen ist der Gerichtsstand aus § 23 ZPO subsidiär (vgl. Zöller/Schultzky § 23 ZPO Rz. 5). Die Hauptbedeutung des Gerichtsstandes liegt bei Klagen gegen Ausländer, die nicht der EU angehören.
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Wichtig: Im Geltungsbereich der EuGVVO und des EuGVÜ ist die Anwendbarkeit des § 23 ZPO weitestgehend ausgeschlossen (vgl. Kap. 101 Rz. 15, 103).
e) Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (§ 25 ZPO) Der Gerichtsstand ermöglicht es dann, wenn aus einer dinglichen Belastung im ausschließlichen Gerichtsstand des § 24 ZPO geklagt wird, die Klage gegen den persönlichen Schuldner mit der dinglichen Klage zu verbinden (vgl. Rz. 18).
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f) Dinglicher Gerichtsstand für persönliche Klagen (§ 26 ZPO) Die Regelung gestattet es, in folgenden Fällen persönliche Ansprüche im dinglichen Gerichtsstand geltend zu machen:
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– Persönliche Klagen, die gegen den Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks gerade in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Besitzer erhoben werden (Beispiele etwa bei Zöller/Schultzky § 26 ZPO Rz. 2), – Klagen des Grundstückseigentümers oder -besitzers, die wegen der Beschädigung des Grundstücks erhoben werden, – Klagen auf Enteignungsentschädigung, soweit keine eigene landesrechtliche Regelung der Zuständigkeit besteht (vgl. dazu Zöller/Schultzky § 26 ZPO Rz. 4 mwN). g) Besonderer Gerichtsstand der Erbschaft (§ 27 ZPO) Der Gerichtsstand bezieht sich auf Prozesse, die nach einem Erbfall geführt werden. Er gibt dem Kläger die Möglichkeit, bei dem Gericht zu klagen, an dem der Erblasser zurzeit seines Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte.
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In der Sache umfasst der Gerichtsstand folgende Klagegründe:
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– Feststellung des Erbrechts, – Ansprüche gegen den Erbschaftsbesitzer, – Ansprüche aus Vermächtnis, – Ansprüche aus sonstigen Verfügungen von Todes wegen, – Pflichtteilsansprüche, – Teilung der Erbschaft.
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d) Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes (§ 23 ZPO)
Kap. 11 Rz. 71
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71 In persönlicher Hinsicht kommt als Beklagter in Betracht: – der Erbe, – der Erbschaftsbesitzer, – der Nachlassverwalter, – der Testamentsvollstrecker, – der mit einem Vermächtnis Beschwerte oder dessen Rechtsnachfolger.
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Wichtig: Für den Fall, dass der Erblasser Deutscher war und bei seinem Tod im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hatte, begründet § 27 Abs. 2 ZPO einen Hilfsgerichtsstand. In diesem Falle darf in dem Gerichtsstand geklagt werden, in dem der Erblasser seinen letzten inländischen Wohnsitz hatte. Fehlt es auch daran, so kann die Klage beim Amtsgericht Schöneberg in Berlin erhoben werden, §§ 27 Abs. 2 iVm. 15 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
h) Erweiterter Gerichtsstand der Erbschaft (§ 28 ZPO)
73 Die Vorschrift bezieht sich auf Nachlassverbindlichkeiten, die über den Kreis hinausgehen, der bereits in § 27 ZPO genannt ist (vgl. dazu die Beispiele bei Zöller/Schultzky § 28 ZPO Rz. 2 mwN). Auch bei ihnen darf im Gerichtsstand der Erbschaft geklagt werden.
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Wichtig: Der Gerichtsstand ist zeitlich begrenzt. Ist nur ein Erbe vorhanden, so besteht der Gerichtsstand so lange, wie sich noch irgendein Stück des Nachlasses im Gerichtsbezirk befindet. Sind mehrere Erben vorhanden, so kommt es darauf nicht an. In diesem Falle besteht der Gerichtsstand so lange, wie sie (noch) als Gesamtschuldner haften.
i) Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO)
75 Gemäß § 29 ZPO ist ein besonderer Gerichtsstand zum einen am gesetzlichen (Abs. 1) und zum anderen am vereinbarten Erfüllungsort (Abs. 2) begründet. Erfasst werden nur Streitigkeiten aus Vertragsverhältnissen. Damit sind schuldrechtliche Verpflichtungsverträge gemeint (vgl. BGH NJW 1996, 1411, 1412 mwN).
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Wichtig: Als Vertragsverhältnisse iSv. § 29 Abs. 1 ZPO werden auch bestimmte vertragsähnliche rechtliche Sonderbeziehungen behandelt, wie zB die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht, Verschulden bei Vertragsschluss, organschaftliche Sonderbeziehungen und Gemeinschaftsverhältnisse (vgl. dazu Zöller/Schultzky § 29 ZPO Rz. 6 mwN) oder Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung der EU, die sich gegen das ausführende Flugunternehmen richten, mit dem vertragliche Beziehungen nicht unbedingt bestehen müssen (BGHZ 188, 85).
77 Nicht unter § 29 ZPO fallen hingegen schuldrechtliche Verfügungsverträge, dingliche, familienrechtliche und erbrechtliche Verträge sowie gesetzliche Verpflichtungen und gesetzliche Schuldverhältnisse (vgl. im Einzelnen Zöller/Schultzky § 29 ZPO Rz. 8 ff. mwN).
78 In der Sache erstreckt der Gerichtsstand des Erfüllungsorts sich auf alle Ansprüche aus Vertragsverhältnissen, insbesondere also auf – Feststellungsklagen, die das Bestehen oder Nichtbestehen eines Vertrages zum Gegenstand haben, – Klagen auf Erfüllung einer Haupt- oder Nebenpflicht, – Klagen auf Aufhebung, Inhaltsänderung, Umgestaltung eines Vertrages, – Klagen auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, – gewährleistungsrechtliche Rückgewähr- und Minderungsansprüche. 182
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Rz. 88 Kap. 11
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Wichtig: Für Rechtsanwaltsgebührenforderungen besteht in der Regel kein Erfüllungsort am Kanzleisitz des Rechtsanwalts (BGH MDR 2004, 164).
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Die Vereinbarung eines Erfüllungsortes begründet einen besonderen Gerichtsstand nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 29 Abs. 2 ZPO. In Betracht kommt nur eine Vereinbarung unter Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und bei öffentlich-rechtlichem Sondervermögen.
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Die Vereinbarung kann auch durch allgemeine Geschäftsbedingungen erfolgen, sofern sie wirksam in den Hauptvertrag einbezogen worden sind. Handelt es sich um ein Unternehmergeschäft iSv. § 14 BGB, so muss gem. § 310 Abs. 1 BGB die Formvorschrift des § 305 Abs. 2 BGB nicht eingehalten sein. Die Klausel unterliegt aber der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 BGB (zu näheren Einzelheiten vgl. Zöller/Schultzky § 29 ZPO Rz. 28 mwN).
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Praxistipp: Die Voraussetzungen, unter denen ein Erfüllungsort vereinbart werden kann, entsprechen denjenigen der kaufmännischen Gerichtsstandsvereinbarung iSv. § 38 Abs. 1 ZPO. Im Hinblick darauf können Erfüllungsort- und Gerichtsstandsvereinbarung zusammengefasst werden (vgl. dazu unten M 11.3, Rz. 125).
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Die Frage, wo der gesetzliche Erfüllungsort gelegen ist, bestimmt sich nach den Regeln des bürgerlichen Rechts. Sofern keine spezielle Vorschrift besteht, ist somit § 269 BGB maßgebend. Handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag, so ist der Erfüllungsort für die Pflichten beider Vertragspartner idR selbständig zu bestimmen. Wegen konkreter Einzelfälle wird auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen (vgl. etwa Zöller/Schultzky § 29 ZPO Rz. 25; Palandt/Grüneberg § 269 BGB Rz. 13 ff., jeweils mwN).
j) Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO) Gemäß § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO besteht für Klagen, die ein Verbraucher aus solchen Geschäften erhebt, ein besonderer Gerichtsstand an dem Ort, an dem der Verbraucher zurzeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für Klagen, die gegen den Verbraucher erhoben werden, ist die Zuständigkeit ausschließlich (s. Rz. 22). Für Widerklagen gegen den Verbraucher gilt der ausschließliche Gerichtsstand allerdings nicht (vgl. dazu Rz. 97).
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Zum sachlichen Anwendungsbereich s. Rz. 22.
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Die Regelung des § 29c ZPO erstreckt sich auch auf Verträge, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden (BGH NJW 2003, 1190).
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k) Gerichtsstand bei Beförderungen (§ 30 ZPO) Der Gerichtsstand bei Beförderungen ersetzt und erweitert die frühere Regelung in § 440 HGB aF. Er 87 gilt für alle Beförderungsverträge auf dem Land, über See, über Binnengewässer und in der Luft. Zuständigkeitsbegründende Orte sind der Übernahme- und der Ablieferungsort. Wird die Beförderung ganz oder teilweise von einem Unterbeförderer (ausführender Frachtführer, ausführender Verfrachter) durchgeführt, so kann gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Klage auch im Gerichtsstand des Frachtführers oder Verfrachters erhoben werden. Dadurch wird die Rechtsverfolgung bei Inanspruchnahme mehrerer Beförderer in einem gemeinsamen Gerichtsstand erleichtert (vgl. Zöller/Schultzky § 30 ZPO Rz. 4). Für Personenbeförderungsverträge kann gem. § 30 Abs. 2 ZPO wegen Rechtsstreitigkeiten aus der 88 Fahrgast- oder Gepäckbeförderung am Gericht des Abgangs- oder Bestimmungsorts geklagt werden. Handelt es sich um Schadensersatzansprüche wegen des Todes oder einer Körperverletzung des FahrReichling 183
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gastes oder aus der Beförderung von dessen Gepäckstücken, so ist eine im Voraus vereinbarte Prorogation zum Nachteil des Fahrgastes ausgeschlossen. l) Gerichtsstand der Vermögensverwaltung (§ 31 ZPO)
89 Gemäß § 31 ZPO besteht für Klagen aus einer Vermögensverwaltung ein besonderer Gerichtsstand an dem Ort, an dem die Verwaltung geführt wird. Die Vorschrift erfasst sowohl Klagen des Geschäftsherrn gegen den Verwalter, als auch des Verwalters gegen den Geschäftsherrn. Die Vermögensverwaltung kann auf Gesetz (elterliche Sorge, Vormundschaft, Testamentsvollstreckung, Nachlassverwaltung, Wohnungseigentumsverwaltung uÄ) aber auch auf Vertrag (Dienstvertrag, Auftrag, Gesellschaft, Gütergemeinschaft uÄ) oder auf Quasi-Vertrag (Geschäftsführung ohne Auftrag) beruhen. m) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO)
90 Gemäß § 32 ZPO besteht für Klagen aus unerlaubter Handlung ein besonderer Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Das kann zum einen der Handlungsort sein, zum anderen aber auch der Erfolgsort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (vgl. etwa BGH MDR 2011, 812; Zöller/Schultzky § 32 ZPO Rz. 19, jeweils mwN). Bei einer im Internet begangenen unerlaubten Handlung genügt allerdings nicht schon die bloße Abrufbarkeit der entsprechenden Website zur Begründung eines Begehungsortes; es muss vielmehr ein weitergehender Bezug zum Gerichtsort hinzutreten (vgl. Zöller/Schultzky § 32 ZPO Rz. 20; BGHZ 184, 313 für internationale Zuständigkeit).
91 In sachlicher Hinsicht erfasst der Gerichtsstand Leistungsklagen auf Schadensersatz, Beseitigung und Unterlassung, aber auch positive und negative Feststellungsklagen. Die zugrunde liegenden Ansprüche (nähere Einzelheiten bei Zöller/Schultzky § 32 ZPO Rz. 5 ff. mwN) können sich zB ergeben aus – unerlaubten Handlungen nach §§ 823 ff. BGB, – gesetzlicher Gefährdungshaftung, wobei zum Teil mit § 32 ZPO gleichlautende Gerichtsstände ausdrücklich normiert sind (vgl. § 20 StVG, § 14 HaftpflG), – verbotener Eigenmacht, § 858 BGB, – unberechtigter Zwangsvollstreckung, §§ 302 Abs. 4, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945, 1065 Abs. 2 Satz 2 ZPO, – widerrechtlicher Verletzung absoluter Rechte, – Wettbewerbsverstößen, sofern darin zugleich eine unerlaubte Handlung liegt, vgl. ansonsten § 14 UWG (Rz. 23 ff.), – verbraucherschutzgesetzwidrigen Praktiken, soweit nicht § 6 UKlaG eingreift (vgl. dazu Rz. 57), – insolvenzrechtlicher Haftung aus §§ 60, 71 InsO, – konzernrechtlicher Haftung uÄ.
92 In entsprechender Anwendung von § 17a GVG hat das im Gerichtsstand nach § 32 ZPO angerufene Gericht den Rechtsstreit umfassend zu entscheiden. Es hat deshalb auch über materiell-rechtliche Ansprüche nicht deliktsrechtlicher Art zu befinden, die mit Ansprüchen aus unerlaubter Handlung konkurrieren (vgl. BGH MDR 2004, 164 mwN).
93 In personeller Hinsicht gilt der Gerichtsstand für Klagen gegen Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfen, aber auch gegen deren Rechtsnachfolger, sowie Personen, die kraft Gesetzes (zB §§ 31, 831 BGB) oder Vertrages für andere haften.
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Rz. 101 Kap. 11
Wichtig: Auch der Direktanspruch gegen den Pflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG kann im Gerichtsstand nach § 32 ZPO geltend gemacht werden (BGH NJW 1983, 1799 mwN zu § 3 PflichtVersG aF).
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n) Gerichtsstand der Widerklage (§ 33 ZPO) Für die Widerklage begründet § 33 Abs. 1 ZPO einen besonderen Gerichtsstand des Sachzusammen- 95 hangs. Voraussetzung ist, dass der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch mit dem der Klage in einem Verhältnis der Konnexität steht (vgl. dazu auch Kap. 21 Rz. 7). Gemäß § 33 Abs. 2 ZPO gilt der Gerichtsstand dann nicht, wenn gem. § 40 Abs. 2 ZPO eine Gerichts- 96 standsvereinbarung ausgeschlossen ist, weil der Rechtsstreit nichtvermögensrechtliche Ansprüche betrifft oder ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht (s. Rz. 14 ff., wegen weiterer Einschränkungen vgl. Kap. 21 Rz. 14).
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Wichtig: Hinsichtlich der ausschließlichen Zuständigkeit bei Haustürgeschäften (s. Rz. 22, 84) enthält § 29c Abs. 2 ZPO eine Ausnahme von § 33 Abs. 2 ZPO. Der Unternehmer kann die Widerklage im Gerichtsstand nach § 33 Abs. 1 ZPO erheben.
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o) Besonderer Gerichtsstand des Hauptprozesses (§ 34 ZPO) Der besondere Gerichtsstand betrifft sowohl die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit. Klage- 98 gegenstand sind Gebühren und Auslagen. Kläger können Prozessbevollmächtigte, auch Verkehrsanwälte und Unterbevollmächtigte (vgl. Zöller/Schultzky § 34 ZPO Rz. 3 mwN), Beistände und Zustellungsbevollmächtigte sein. Sie können ihre Honorarklage bei dem Gericht des Hauptprozesses erheben. Dabei handelt es sich um das Gericht, das in der ersten Instanz mit der Sache befasst war (Zöller/Schultzky § 34 ZPO Rz. 5).
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Praxistipp: Handelte es sich bei dem Hauptprozess um eine Familiensache, so ist die allgemeine Prozessabteilung des Amtsgerichts zuständig (vgl. BGH NJW 1986, 1178 mwN). Handelte es sich um eine Arbeitsrechtsstreitigkeit, so sind die ordentlichen Gerichte zuständig (vgl. BAG NJW 1998, 1092).
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Wichtig: Im Anwendungsbereich des § 11 RVG läuft die Vorschrift leer, weil insoweit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage fehlt. Auch Notare fallen nicht unter den besonderen Gerichtsstand. Sie müssen ihre Gebühren im Verfahren gem. § 89 GNotKG beitreiben. Für Gerichtsvollzieher gelten §§ 1 Abs. 1 Nr. 7, 8 Abs. 1 JBeitrG, § 9 GVKostG.
100
p) Besondere Gerichtsstände außerhalb des 1. Buchs der ZPO Neben den Zuständigkeitsvorschriften im 1. Buch der ZPO finden sich Regelungen zu besonderen 101 Gerichtsständen bei bestimmten Verfahrens- und Klagearten sowie in besonderen Gesetzen. Hinzuweisen ist etwa auf – besondere Zuständigkeit des Amtsgerichts im selbständigen Beweisverfahren, § 486 Abs. 3 ZPO (vgl. Kap. 7 Rz. 23), – besonderer Gerichtsstand des Zahlungsorts im Wechsel- und Scheckprozess, §§ 603, 605a ZPO (vgl. Kap. 38 Rz. 3), – besondere Gerichtsstände aus § 56 LuftVG, – Gerichtsstand für Klagen aus Versicherungsverträgen und -vermittlung, § 215 VVG.
Reichling 185
Kap. 11 Rz. 102
Gerichtsstand
ZPO
3. Allgemeiner Gerichtsstand
102 In allen Fällen, in denen kein ausschließlicher Gerichtsstand eingreift und auch kein besonderer Gerichtsstand besteht oder ein solcher nicht ausgenutzt werden soll, kann gem. § 12 ZPO im allgemeinen Gerichtsstand Klage erhoben werden. a) Allgemeiner Gerichtsstand der Person (§ 13 ZPO)
103 Gemäß § 13 ZPO wird der allgemeine Gerichtsstand einer natürlichen Person durch ihren Wohnsitz bestimmt. Die Frage, wo ein Wohnsitz besteht, ist nach §§ 7 ff. BGB zu beantworten. Wohnsitz ist demnach der Ort, an dem sich jemand in der Absicht ständig niederlässt, ihn zum Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Tätigkeit zu machen.
104 K
Wichtig: Die polizeiliche Anmeldung begründet für sich allein gesehen noch keinen Wohnsitz. Sie ist aber Indiz für sein Bestehen (vgl. BGH NJW-RR 1995, 507).
105 Das Bestehen eines Wohnsitzes wird nicht unbedingt dadurch ausgeschlossen, dass sich jemand über längere Zeit an einem anderen Ort aufhält. So stehen etwa der Aufenthalt in einer Haftanstalt, am Lehr- oder Studienort, an wechselnden Arbeitsplätzen etc. der Aufrechterhaltung des Wohnsitzes nicht entgegen (vgl. Zöller/Schultzky § 13 ZPO Rz. 5 mwN).
106 Denkbar ist es, dass eine Person mehrere Wohnsitze hat. In diesem Falle ist an einem jeden von ihnen ein Gerichtsstand begründet, unter denen der Kläger gem. § 35 ZPO wählen kann.
107 Gemäß § 11 BGB leiten minderjährige Kinder ihren Wohnsitz von demjenigen ihrer (sorgeberechtigten) Eltern ab. Leben die Eltern an getrennten Wohnsitzen, so verfügt das Kind über einen abgeleiteten Doppelwohnsitz (vgl. BGH NJW 1995, 1224 mwN). Die Eltern können dann allerdings einen davon abweichenden gewillkürten Wohnsitz für das Kind begründen. Ist jedoch einem Elternteil die alleinige elterliche Sorge übertragen (§ 1671 BGB), so teilt es den Wohnsitz des anderen Elternteils nicht, § 11 Abs. 1 Satz 1 BGB.
108 Maßgebender Zeitpunkt für die Begründung des Gerichtsstandes aus § 13 ZPO ist derjenige der Klageerhebung. Ein nachfolgender Wohnsitzwechsel ist für die gerichtliche Zuständigkeit unerheblich, vgl. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.
109 Gemäß § 15 ZPO behalten exterritoriale Deutsche ihren letzten inländischen Wohnsitz (vgl. dazu auch Kap. 101 Rz. 11). b) Allgemeiner Gerichtsstand wohnsitzloser Personen (§ 16 ZPO)
110 Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die keinen Wohnsitz hat, wird gem. § 16 ZPO durch ihren Aufenthaltsort, hilfsweise durch ihren letzten Wohnsitz bestimmt. Voraussetzung der Vorschrift ist, dass überhaupt kein Wohnsitz – weder im Inland noch im Ausland – besteht.
111 K
Wichtig: Der Kläger muss den Gerichtsstand nach § 16 ZPO behaupten und gegebenenfalls beweisen. Dazu genügt der Nachweis, dass der bisherige Wohnsitz aufgegeben wurde und der Kläger trotz entsprechender Ermittlungen – Meldeauskunft, Einschaltung einer Detektei uÄ – einen neuen Wohnsitz nicht hat feststellen können (vgl. BGH NJW-RR 1992, 578; OLG Zweibrücken NJWRR 2009, 929).
112 Aufenthaltsort ist der Ort, an dem sich jemand – wenn auch nur vorübergehend, kurzfristig oder unfreiwillig – aufhält. In Betracht kommen zB Sanatorien, Kliniken, Frauenhäuser, Haftanstalten uÄ (vgl. Zöller/Schultzky § 16 ZPO Rz. 7 mwN).
186
Reichling
Gerichtsstand
Rz. 117 Kap. 11
Gemäß § 17 Abs. 1 ZPO wird der allgemeine Gerichtsstand einer juristischen Person durch ihren 113 Sitz bestimmt. Die Vorschrift bezieht sich zum einen auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, wie zB
114
– Gemeinden und Gemeindeverbände, – Gebietskörperschaften, – öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten, – Zweckverbände, – Sozialversicherungsträger, – Innungen. Zum anderen bezieht sich die Regelung auf juristische Personen des privaten Rechts, wie zB
115
– Aktiengesellschaften, § 1 AktG, – Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 13 GmbHG, – Genossenschaften, § 17 GenG, – rechtsfähige Stiftungen, § 80 BGB, – eingetragene Vereine, § 21 BGB, sowie auf lokalisierte parteifähige Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, wie zB: – Offene Handelsgesellschaften, § 124 HGB, – Kommanditgesellschaften, § 161 Abs. 2 HGB, – nicht eingetragene Vereine, vgl. § 50 Abs. 2 ZPO, – politische Parteien iSv. § 3 ParteienG, – Partnerschaften, § 7 Abs. 2 PartGG, – BGB-Außengesellschaften, sofern ein Sitz feststellbar ist, – WE-Gemeinschaften im Fall des § 10 Abs. 6 Satz 5 WEG. Der für die Begründung des Gerichtsstands maßgebende Sitz ergibt sich aus der Satzung der juristischen Person, bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch aus Gesetz oder durch Verleihung. Fehlt es an einem satzungsmäßig bestimmten Sitz, so greift § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO ein, dh. es ist der Verwaltungsort maßgebend. Das ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, bei Unternehmen also der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in Akte der laufenden Geschäftsführung umgesetzt werden (vgl. Zöller/ Schultzky § 17 ZPO Rz. 10 mwN).
116
4. Vereinbarter Gerichtsstand Gerichtsstandsvereinbarungen sind im Grundsatz unzulässig (vgl. BGH NJW 1983, 159, 162). Von diesem Grundsatz bestehen aber Ausnahmen. Dabei sind Gerichtsstandsvereinbarungen in der Form möglich, dass ein bestimmtes, an sich unzuständiges Gericht zuständig werden soll (Prorogation). Denkbar ist es aber auch, die Zuständigkeit eines an sich zuständigen Gerichts durch Vereinbarung auszuschließen (Derogation). Dann muss allerdings noch mindestens ein zuständiges Gericht verbleiReichling 187
117
ZPO
c) Allgemeiner Gerichtsstand juristischer Personen (§ 17 ZPO)
ZPO
Kap. 11 Rz. 118
Gerichtsstand
ben. Soweit eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässig ist, kann sie sich auf die örtliche, die sachliche und auch auf die internationale Zuständigkeit beziehen (vgl. für den Bereich von EuGVVO auch Kap. 101 Rz. 92 ff.).
118 Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur wirksam, wenn sie sich auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten bezieht. Rechtsverhältnis ist die rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu einer anderen. Dabei kann es sich auch um ein künftiges, bestimmbares Rechtsverhältnis handeln. Bei den Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Rechtsverhältnis entspringen, kann es sich um mehrere Ansprüche, auch um mehrere neben- oder nacheinander erhobene Klagen handeln (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo § 40 ZPO Rz. 4). An der Bestimmtheit fehlt es aber, wenn sich eine Gerichtsstandsvereinbarung auf ganze Kategorien von Klagen oder auf sämtliche aus einer Geschäftsverbindung entstehende Rechtsstreitigkeiten beziehen soll (vgl. dazu Zöller/Schultzky § 40 ZPO Rz. 4 mwN).
119 Eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung setzt weiter voraus, dass ein prorogationsfähiger Anspruch vorliegt, § 40 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Gerichtsstandsvereinbarung ist unzulässig, wenn sie sich auf nichtvermögensrechtliche Ansprüche bezieht, die den Amtsgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zugewiesen sind. Darin liegt eine mit der ZPO-Reform erfolgte Änderung gegenüber dem früher geltenden Recht. Die Gerichtsstandsvereinbarung ist bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten nicht mehr generell ausgeschlossen, sondern nur bei den in § 23 Abs. 2 GVG genannten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, sowie bei den in §§ 23a, 23b GVG genannten familienrechtlichen Streitigkeiten. Im Übrigen ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nunmehr auch in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten zulässig, wenn die Zuständigkeit des Amts- oder Landgerichts sich bei diesen Streitigkeiten nach der Höhe des Streitwerts richtet.
120 K
Praxistipp: Eine Gerichtstandsvereinbarung kann sich dabei gerade dann empfehlen, wenn über die Höhe des Streitwerts und damit über die daran anknüpfende Frage der sachlichen Zuständigkeit Zweifel bestehen.
121 Eine Gerichtsstandsvereinbarung setzt schließlich voraus, dass kein örtlich, sachlich oder international (vgl. dazu Kap. 101 Rz. 80) ausschließlicher Gerichtsstand besteht, § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das gilt aber immer nur für die konkrete Richtung, nach der eine Ausschließlichkeit vorliegt. Bezieht sich die Ausschließlichkeit zB nur auf die örtliche Zuständigkeit, (vgl. Rz. 14 ff.), so kann in sachlicher Hinsicht prorogiert werden. Entsprechendes gilt für die Vereinbarung einer örtlichen Zuständigkeit, wenn die Ausschließlichkeit sich nur auf die sachliche Zuständigkeit bezieht (vgl. Rz. 39 ff.). a) Zuständigkeitsvereinbarungen in Handelssachen (§ 38 Abs. 1 ZPO)
122 Gemäß § 38 Abs. 1 ZPO sind Kaufleute unbeschränkt prorogationsfähig. Im Einzelnen sind dies: – Inhaber eines Handelsgewerbes mit kaufmännisch eingerichtetem Geschäftsbetrieb, § 1 HGB, – Inhaber eines im Handelsregister eingetragenen Unternehmens, § 5 HGB, – Handelsgesellschaften iSv. § 6 HGB (OHG, KG, GmbH, AktG, eingetragene Genossenschaft), – nicht prorogationsfähig sind die Angehörigen freier Berufe (vgl. dazu Zöller/Schultzky § 38 ZPO Rz. 22 mwN).
123 K
Praxistipp: Das Rechtsgeschäft, für das die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wird, muss kein Handelsgeschäft iSv. § 343 HGB sein. Kaufleute sind also auch für ihre privaten Rechtsgeschäfte prorogationsfähig.
124 Den Kaufleuten stehen juristische Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtliche Sondervermögen gleich.
188
Reichling
Gerichtsstand
Rz. 129 Kap. 11
Gerichtsstandsvereinbarungen unter Kaufleuten sind formfrei möglich. Sie können ausdrücklich oder stillschweigend, gleichzeitig mit dem Hauptvertrag oder als davon gesonderte Abrede getroffen werden. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann sich aber immer nur auf das Gericht des ersten Rechtszugs beziehen.
125
ZPO
M 11.4
Wird eine Gerichtsstandsvereinbarung unter Kaufleuten durch Allgemeine Geschäftsbedingungen 126 getroffen und handelt es sich dabei um ein Unternehmergeschäft iSv. § 14 BGB, so ist für die Frage der Wirksamkeit der Einbeziehung § 305 Abs. 2 BGB nicht anzuwenden, vgl. § 310 Abs. 1 BGB. Im Regelfall ist eine Gerichtsstandsklausel unter Kaufleuten in AGB auch nicht überraschend iSv. § 305c BGB. Die Klausel unterliegt aber der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 (zu Einzelfragen vgl. Zöller/Schultzky § 38 ZPO Rz. 27, Palandt/Grüneberg § 307 BGB Rz. 93, jeweils mwN).
M 11.3 Formularklausel in Verkaufs- und Lieferungsbedingungen
127
Erfüllungsort und Gerichtsstand: Ist der Auftraggeber Kaufmann, juristische Person des öffentlichen Rechts oder öffentlich rechtliches Sondervermögen, so ist Erfüllungsort und Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertragsverhältnis einschließlich Wechsel- und Scheckprozessen …
K
Praxistipp: Die vereinbarte Zuständigkeit ist von Amts wegen zu prüfen. Gerade mit Blick auf das Säumnisverfahren genügt es deshalb nicht, die Voraussetzungen eines vereinbarten Gerichtsstands nur zu behaupten. Sie müssen vielmehr nachgewiesen werden, vgl. § 331 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Es empfiehlt sich, diesem Erfordernis bereits mit der Klageschrift Rechnung zu tragen.
M 11.4 Klageschrift bei vereinbartem Gerichtsstand unter Kaufleuten
128
129
An das Amtsgericht/Landgericht … In Sachen … ./. … (Langrubrum) Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage gegen den Beklagten mit dem Antrag, 1. … 2. … Begründung: Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 38 Abs. 1 ZPO. Die Parteien sind Kaufleute. Beweis: Auszug aus dem Handelsregister des Amtsgerichts … vom … (entbehrlich, wenn die Kaufmannseigenschaft der Parteien sich bereits aus ihrer Rechtsform ergibt). Die Parteien haben in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Klägers/Beklagten/am … in … eine schriftliche/mündliche Vereinbarung getroffen. Darin haben sie für alle Streitigkeiten aus dem klagegegenständlichen Rechtsverhältnis die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vereinbart. Beweis: … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Reichling 189
Kap. 11 Rz. 130
Gerichtsstand
M 11.5
ZPO
b) Zuständigkeitsvereinbarung für internationale Rechtsstreitigkeiten (§ 38 Abs. 2 ZPO)
130 Die Vorschrift stellt allein auf den allgemeinen Gerichtsstand ab. Liegt er bei einer Partei im Ausland, so ist es möglich, eine inländische Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtzugs zu vereinbaren. Dabei spielen Staatsangehörigkeit und Kaufmannseigenschaft keine Rolle. Die Vereinbarung muss schriftlich abgeschlossen werden, wobei es genügt, wenn die Erklärungen in getrennten Schriftstücken (insb. Schriftwechsel) enthalten sind. Die Wahl der Gerichtsstände ist grundsätzlich frei; allerdings gilt dies nicht, wenn eine Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Dann muss die Gerichtsstandsvereinbarung an diesen Gerichtsstand oder an einen besonderen Gerichtsstand anknüpfen.
131 Auch bei einer Gerichtsstandsvereinbarung iSv. § 38 Abs. 2 BGB kann die Einbeziehung grundsätzlich durch AGB erfolgen, sofern der von den Parteien unterzeichnete Vertragstext eine ausdrückliche Bezugnahme auf die AGB enthält oder ausdrücklich auf frühere Angebote hingewiesen wird, die ihrerseits auf AGB mit Gerichtsstandsvereinbarung verweisen. Das Schweigen auf eine Auftragsbestätigung, mit der erstmals auf AGB mit einer Gerichtsstandsklausel hingewiesen wird, genügt jedoch nicht (vgl. zu alledem Zöller/Schultzky § 38 ZPO Rz. 32 mwN). Die Klausel unterliegt uU auch der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (zu Einzelheiten und Zweifelsfragen Zöller/Schultzky § 38 ZPO Rz. 36 mwN).
132 M 11.5 Formularklausel in Verkaufs- und Lieferungsbedingungen eines
inländischen Auftragnehmers Gerichtsstand: Hat der Auftraggeber im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, so wird als Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertragsverhältnis einschließlich Wechsel- und Scheckprozessen der Sitz des Auftragnehmers vereinbart.
133 Ebenso wie bei der kaufmännischen Prorogation (vgl. Rz. 126) ist auch bei der Zuständigkeitsvereinbarung für internationale Rechtsstreite die Gerichtsstandsvereinbarung zu beweisen.
134 M 11.6 Klageschrift bei vereinbartem Gerichtsstand für internationalen
Rechtsstreit An das Amtsgericht/Landgericht … In Sachen … ./. … (Langrubrum) Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage gegen den Beklagten mit dem Antrag, 1. … 2. … Begründung: Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 38 Abs. 2 ZPO. Da der Beklagte im Inland über keinen allgemeinen Gerichtsstand verfügt, haben die Parteien in den AGB des Klägers/Beklagten am … in … eine schriftliche Vereinbarung getroffen. Darin haben sie für alle Strei-
190
Reichling
M 11.7
Gerichtsstand
Rz. 140 Kap. 11
ZPO
tigkeiten aus dem klagegegenständlichen Rechtsverhältnis die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vereinbart. Beweis: Gerichtsstandsvereinbarung vom … in der Anlage …. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Sonderregelungen in internationalen Verträgen, wie zB gem. Art. 25 EuGVVO und Art. 17 EuGVÜ gehen der Regelung in Art. 38 Abs. 2 ZPO vor (vgl. dazu Kap. 101 Rz. 92).
135
c) Nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) Eine nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarung können alle natürlichen und juristischen Personen treffen, also auch diejenigen, die nicht schon nach § 38 Abs. 1 ZPO prorogationsfähig sind. Die Vereinbarung muss ausdrücklich und schriftlich iSv. § 126 BGB geschlossen werden. Ihr Abschluss muss nach Entstehen der Streitigkeit erfolgen. Ein Abschluss zugleich mit dem Hauptvertrag ist also nicht zulässig; es ist vielmehr eine nachträgliche Sondervereinbarung zu treffen (vgl. BGH NJW 1986, 1438, 1439). Im Hinblick darauf kommt auch keine Vereinbarung durch AGB in Betracht.
136
M 11.7 Nachfolgende Gerichtsstandsvereinbarung
137
Gerichtsstandsvereinbarung Zwischen … vertreten durch … und … vertreten durch … wird für die streitige Auseinandersetzung über den … Anspruch aus dem Vertrag vom … die Zuständigkeit des Amts-/Landgerichts … vereinbart. …, den …
K
Wichtig: Eine Sondervereinbarung kann wegen § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO dann nicht mehr getroffen werden, wenn die Klage bei einem zuständigen – ggf. auch gem. § 39 ZPO durch rügeloses Verhandeln zuständig gewordenen – Gericht rechtshängig geworden ist (BGH NJW-RR 2010, 891).
138
Im Mahnverfahren ist eine Gerichtsstandsvereinbarung auch noch nach Einreichung des Mahnantrages und vor Abgabe an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht möglich (BayObLG MDR 1995, 312; Zöller/Schultzky § 38 ZPO Rz. 14 mwN).
139
Ebenso wie bei der kaufmännischen und der internationalen Prorogation ist auch die nachträgliche Zuständigkeitsvereinbarung im Prozess nachzuweisen.
140
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ZPO
Kap. 11 Rz. 141
Gerichtsstand
M 11.8
141 M 11.8 Klageschrift bei nachträglich vereinbartem Gerichtsstand An das Amtsgericht/Landgericht … In Sachen … ./. … (Langrubrum) Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage gegen den Beklagten mit dem Antrag, 1. … 2. … Begründung: Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Die Parteien haben nach Entstehen der Streitigkeit am … in … eine schriftliche Vereinbarung getroffen, mit der sie für den vorliegenden Rechtsstreit die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vereinbart haben. Beweis: Gerichtsstandsvereinbarung vom … in der Anlage …. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
d) Gerichtsstandsvereinbarung bei erschwerter Rechtsverfolgung (§ 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO)
142 In personeller Hinsicht gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO (vgl. Rz. 136); die Vorschrift ist aber insbesondere auf Gastarbeiter zugeschnitten. Der Gerichtsstand muss ausdrücklich und schriftlich vereinbart werden. Er betrifft nur die örtliche und internationale Zuständigkeit.
143 Die Vereinbarung muss sich auf einen bestimmten Vertrag beziehen. Ihr Abschluss kann mit demjenigen des Hauptvertrages zusammenfallen. Sie kann auch in einem Formularvertrag enthalten sein (vgl. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 305 BGB Rz. 20 ff.; Zöller/Schultzky § 38 ZPO Rz. 44).
144 Die Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO kann in zwei Fällen getroffen werden: Zum einen ist sie für den Fall möglich, dass der Beklagte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach Klageerhebung ins Ausland verlegt. Zum anderen ist sie für den Fall möglich, dass der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Beklagten im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. Für den Bereich des europäischen Auslands muss beachtet werden, dass die Regelungen in Art. 25 EuGVVO, 17 EuGVÜ vorrangig sind (Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 305 BGB Rz. 23; vgl. auch Kap. 101 Rz. 97 ff.).
145 M 11.9 Formularklausel in Verkaufs- und Lieferungsbedingungen eines
inländischen Auftragnehmers Gerichtsstand: Für den Fall, dass der Auftraggeber nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt, wird für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertragsver-
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Reichling
M 11.10
Gerichtsstand
Rz. 149 Kap. 11
K
ZPO
hältnis einschließlich Wechsel- und Scheckprozessen als Gerichtsstand … vereinbart. Das Gleiche gilt für den Fall, dass der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Auftraggebers im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist.
Wichtig: Ein gem. § 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO vereinbarter Gerichtsstand ist immer subsidiär, dh. so lange ein allgemeiner Gerichtsstand des Wohnsitzes (§ 13 ZPO) oder des Aufenthalts (§ 16 ZPO) besteht, muss immer in diesem Gerichtsstand geklagt werden.
146
Ebenso wie in den sonstigen Fällen der Prorogation ist auch die Zuständigkeitsvereinbarung bei erschwerter Rechtsverfolgung im Prozess nachzuweisen.
147
M 11.10 Klageschrift für Gerichtsstandsvereinbarung bei erschwerter
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Rechtsverfolgung An das Amtsgericht/Landgericht … In Sachen … ./. … (Langrubrum) Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage gegen den Beklagten mit dem Antrag, 1. … 2. … Begründung: Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Der Beklagte ist nach Vertragsschluss ins Ausland verzogen/unbekannt verzogen. Beweis: … Für diesen Fall haben die Parteien in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Klägers/Beklagten am … in … eine schriftliche Vereinbarung getroffen. Darin haben sie für alle Streitigkeiten aus dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vereinbart. Beweis: Gerichtsstandsvereinbarung vom … in der Anlage …. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
e) Zuständigkeit infolge rügeloser Verhandlung (§ 39 ZPO) Die Zuständigkeit nach § 39 ZPO wird dadurch begründet, dass der Beklagte zur Hauptsache mündlich verhandelt, ohne die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen. Ein bloßes Verhandeln zu Zulässigkeits- und Verfahrensfragen genügt nicht. Die Zuständigkeitsfolge tritt unabhängig vom Willen der Parteien ein. Die für eine Gerichtsstandsvereinbarung bestehenden Schranken des § 40 Abs. 2 ZPO (vgl. Rz. 119) gelten aber auch hier. In Verfahren vor dem Amtsgericht ist § 504 ZPO zu beachten, dh. die Zuständigkeitsfolge tritt nicht ein, wenn der Beklagte vor der Verhandlung zur Hauptsache nicht auf die Folgen einer rügelosen Einlassung hingewiesen worden ist.
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Kap. 12 Rz. 1
Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit
ZPO
Kapitel 12 Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit I. Regelungsbereich des § 36 ZPO . . . . . . . . II. Gerichtliches Bestimmungsverfahren . . . . 1. Gesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 5 8 9 11
3. 4. 5. 6.
M 12.1 Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach §§ 36, 37 ZPO Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 16 16 18 19
I. Regelungsbereich des § 36 ZPO 1 Die §§ 36, 37 ZPO ergänzen die gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen der §§ 12–35a ZPO. § 36 Abs. 1 Nr. 1–6 ZPO benennt diejenigen Fälle, in denen eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung erfolgt, weil aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das zuständige Gericht nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann. Ziel der Regelung ist die rasche und einfache Lösung von Zuständigkeitsstreitigkeiten (vgl. BGHZ 71, 18; NJW 2002, 1425, 1426 mwN; NJW 2003, 3278, 3279). Die §§ 36, 37 ZPO gelten unabhängig von der Prozessart für alle Verfahren, in denen die ZPO anwendbar ist: im Klageverfahren folglich auch für die Widerklage – nicht jedoch bei der parteierweiternden Widerklage (vgl. BGH NJW 2000, 1871); für das selbständige Beweisverfahren, in Vollstreckungsverfahren der §§ 828 ff. ZPO, im Verfahren zur Festsetzung der Vollstreckungskosten, im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schuldtitel, im Prozesskostenhilfeverfahren, im Insolvenzverfahren und im Mahnverfahren (vgl. Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 3 mwN).
2 Insbesondere in den Fällen des § 36 Abs. 1 Nr. 5 und 6 ZPO wird auch die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in internationalen Rechtsstreitigkeiten erfasst (vgl. Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 4 mwN).
3 K
Wichtig: § 36 ZPO findet auch im Arbeitsgerichtsverfahren Anwendung (§ 46 Abs. 2 ArbGG), ebenso in Verfahren nach § 43 WEG (vgl. OLG Hamburg NJW-RR 2008, 1466, OLG München NJW-RR 2008, 1466).
4 K
Praxistipp: § 36 ZPO findet keine Anwendung bei Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Gerichten verschiedener Rechtswege; das ist die Folge aus §§ 17, 17a GVG und der Aufhebung des § 17a GVG aF.
II. Gerichtliches Bestimmungsverfahren 1. Gesuch
5 Die Bestimmung des zuständigen Gerichts erfordert einen Antrag (§ 37 Abs. 1 ZPO „Gesuch“). In den Fällen des § 36 Abs. 1 Nr. 5 und 6 ZPO erfolgt die Bestimmung auch von Amts wegen durch Vorlage eines am Kompetenzstreit beteiligten Gerichts (vgl. hierzu Zöller/Schultzky § 37 ZPO Rz. 2 mwN).
6 K
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Wichtig: Das Gesuch hemmt die Verjährung und Ersitzung nach §§ 204 Abs. 1 Nr. 13, 939 BGB, wenn binnen drei Monaten nach Erledigung des Gesuches die Klage erhoben oder der Antrag, für den die Gerichtsstandsbestimmung zu erfolgen hat, gestellt wird, § 204 Abs. 1 Nr. 13 BGB (vgl. Zöller/Schultzky § 37 ZPO Rz. 6). Nicht erforderlich ist, dass der Antrag zulässig oder begründet ist und es zu einer Zuständigkeitsbestimmung kommt (BGHZ 160, 259).
Scheuer
Rz. 12 Kap. 12
Antragsberechtigt ist stets der Kläger oder sein Streithelfer; liegen die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 1, 5 und 6 ZPO vor, ist auch der Beklagte oder dessen Streithelfer antragsbefugt (Zöller/Schultzky § 37 ZPO Rz. 1 mwN). Der Antrag unterliegt nicht dem Anwaltszwang.
7
ZPO
Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit
a) Form Der Antrag kann schriftlich, aber auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Bei Vertretung der den Antrag stellenden Partei ist § 88 Abs. 2 ZPO zu beachten.
8
b) Inhalt Der Wortlaut des § 36 ZPO geht davon aus, dass der Rechtsstreit noch nicht anhängig ist. § 36 ZPO 9 findet aber auch Anwendung nach Rechtshängigkeit (vgl. Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 11. Geprüft wird nur die Zulässigkeit des Gesuchs, nicht die Schlüssigkeit oder Zulässigkeit der – beabsichtigten – Klage (BGHZ 19, 102, BGH MDR 2014, 609). Für das Zuständigkeitsgesuch muss ein schutzwürdiges Interesse bestehen, welches sorgfältig zu begründen ist. Es muss innerhalb des Gesuchs sehr viel Wert darauf gelegt werden, die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO schlüssig darzulegen, wenn das Gesuch auf § 36 Abs. 1 Nr. 3 gestützt wird. Die Bestimmung des Gerichtsstandes erfolgt nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und unter Beachtung der Prozesswirtschaftlichkeit (BGHZ 90, 155, 157; NJW 2007, 1365 f.). Eine ggf. bestehende ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts steht einer abweichenden Bestimmung nicht zwingend entgegen (BGHZ 90, 155, 159, NJW 2007, 1365, 1366). Besteht eine ausschließliche Spezialzuständigkeit eines Gerichts (zB nach § 43 WEG), so kann auch dieses als zuständiges Gericht bestimmt werden (BGH NJW-RR 2008, 1514; OLG München NJW-RR 2008, 1466). Hinsichtlich der einzelnen Fälle der Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1–6 ZPO vgl. Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 17 ff.
10
2. Antragszuständigkeit Grundsätzlich ist das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht zuständig, § 36 Abs. 1 ZPO. Zuständig ist demnach bei der Begründung der Zuständigkeit von
11
– mehreren Amtsgerichten desselben Landgerichtsbezirkes das gemeinsame Landgericht, – mehreren Amtsgerichten unterschiedlicher Landgerichtsbezirke innerhalb desselben Oberlandesgerichtsbezirks das gemeinsame Oberlandesgericht, – Amts- und Landgericht desselben Oberlandesgerichtsbezirks deren Oberlandesgericht, – mehreren Amts- oder Landgerichten unterschiedlicher Oberlandesgerichtsbezirke das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (§ 36 Abs. 2 ZPO). Der Bundesgerichtshof wird nach § 36 Abs. 3 ZPO nur noch auf Divergenzvorlage durch ein OLG – Absicht, in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abzuweichen – tätig (vgl. als Beispiel BGH NJW 2000, 1871). Die Anrufung durch eine Partei oder Vorlage durch ein beteiligtes Gericht ist unzulässig (vgl. BGH v. 30.4.2002 – X ARZ 59/02; Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 8 f.). Soweit nach § 36 Abs. 1 ZPO der BGH zuständig wäre, ist nach dem Prioritätsprinzip anstelle des BGH das OLG zuständig, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. Die Entscheidung des OLG nach § 36 Abs. 2 ZPO setzt nicht voraus, dass das vorlegende Gericht tatsächlich zuständig war (vgl. Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 8).
Scheuer 195
12
ZPO
Kap. 12 Rz. 13
Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit
M 12.1
13 M 12.1 Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach §§ 36, 37 ZPO An das Landgericht/Oberlandesgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach §§ 36, 37 ZPO Unter Bezugnahme auf anliegende Vollmacht bestelle ich mich für … und beantrage, das … (Gericht) als das zuständige Gericht zu bestimmen. Zur Begründung führe ich aus: … Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: Der Antrag gehört zu dem Verfahren, für das die Zuständigkeit bestimmt werden soll (§ 16 Nr. 3a RVG) und löst daher keine besondere Gebühr aus.
14 K
Praxistipp: Ist die Zuständigkeit mehrerer Amts- oder Landgerichte verschiedener Oberlandesgerichtsbezirke begründet (Fall des § 36 Abs. 2 ZPO) und ist noch kein Gericht mit der Sache befasst, was vor Klagerhebung gegenüber mehreren Streitgenossen (Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) die Regel sein wird, kann sofort das Oberlandesgericht zur Gerichtsstandsbestimmung angerufen werden; es ist also nicht erforderlich, die Klage erst bei einem der Amts- oder Landgerichte einzureichen, das zuständig sein könnte (vgl. Zöller/Schultzky § 36 ZPO Rz. 8). Der Kläger hat demnach in diesem Fall die Wahl zwischen mehreren Oberlandesgerichten, bei denen er das Gesuch gem. §§ 36, 37 ZPO einreichen kann.
3. Rechtsfolgen
15 Neben der in Rz. 6 bereits dargestellten Hemmung der Verjährung durch den Antrag bewirkt der zuständigkeitsbestimmende Beschluss die Zuständigkeit des bestimmten Gerichts; entgegenstehende – auch rechtskräftige – Zuständigkeitsentscheidungen werden wirkungslos. Ist eine Sache bereits bei einem anderweitigen Gericht rechtshängig, geht die Zuständigkeit auf das für zuständig erklärte Gericht über. 4. Rechtsmittel
16 Wird dem Gesuch durch Bestimmung der Zuständigkeit stattgegeben, ist der insoweit ergangene Beschluss nicht anfechtbar (§ 37 Abs. 2 ZPO).
17 Wird das Gesuch durch das Landgericht zurückgewiesen, kann dieser Beschluss nach hM mit der sofortigen Beschwerde nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO angegriffen werden. Gegen den Zurückweisungsbeschluss eines OLG gibt es kein Rechtsmittel; kein Fall des § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (BayObLG MDR 2002, 1322; Zöller/Schultzky § 37 ZPO Rz. 4). Wurde der Beschluss unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erlassen, kommt eine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO in Betracht. 5. Bindungsumfang
18 Das als zuständig bestimmte Gericht (und das übergeordnete Gericht) ist an den Beschluss über die Zuständigkeit gebunden und auch im Prozess nicht zur Überprüfung der Zuständigkeitsbestimmung befugt (RGZ 86, 404). Etwas anderes gilt nur, wenn der erhobenen Klage ein anderer Tatbestand oder ein anderes Rechtsverhältnis zugrunde gelegt ist, als im Antrag angegeben oder die Klage gegen andere
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Scheuer
Kap. 13
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
als die ursprünglich vorgesehenen Streitgenossen gerichtet wurde. Eine Bindung des Gerichts „in der Sache“ besteht nicht (OLG Köln MDR 1989, 70). 6. Kosten
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Antragsverfahren: a) Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); b) Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 16 Nr. 3a RVG) und löst keine gesonderte Gebühr aus.
20
Anfechtung: a) Gericht: KV GKG 1812: 60,00 Euro; b) Anwalt: VV RVG 3500, 3513: jeweils 0,5 Verfahrens- und Terminsgebühr. Wird der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung zurückgenommen oder zurückgewiesen, erfolgt eine eigenständige Kostenentscheidung nach § 91 ZPO, wenn es kein Hauptsacheverfahren gibt oder der antragstellende Rechtsanwalt nicht Prozessbevollmächtigter im Hauptsacheverfahren ist.
Kapitel 13 Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen I. Rubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klageschrift, verfahrenseinleitende Antragsschrift, sog. Langrubrum . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . b) Bezeichnung des Gerichts . . . . . . . . . . . c) Bezeichnung der Parteien . . . . . . . . . . . aa) Notwendige Angaben . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche und organschaftliche Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Betreuer, Prozesspfleger . . . . . . . . . dd) Anwaltliche Vertretung . . . . . . . . . . 2. Kurzrubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rubrum bei Streitverkündung, Aufnahme des Prozesses durch Rechtsnachfolger und in anderen Sonderfällen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rubrum in der Rechtsmittelschrift . . . . . . . 5. Berichtigung während des Verfahrens . . . . . a) Anwendungsbereich und Bedeutung . . . b) Evidente Unrichtigkeit . . . . . . . . . . . . . c) Fehlende Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Berichtigung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13.1 Langrubrum Klage . . . . . . . . . . . . . M 13.2 Langrubrum Berufung . . . . . . . . . . M 13.3 Langrubrum Streitverkündung . . . . M 13.4 Langrubrum nach Beitritt des Streitverkündeten zum Rechtsstreit . . . . .
1 1 1 4 5 5 9 12 14 16
II. 1. 2.
20 21 26 26 28 36 39 40 43 44 45 46
3.
M 13.5 Langrubrum Aufnahme des Rechtsstreits durch Erben . . . . . . . . . . . . M 13.6 Kurzrubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13.7 Kurzrubrum mit Prozessbevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13.8 Kurzrubrum mit Parteibezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen . . . Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partei, notwendige und einfache Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung der Partei . . . . . . . . . . . . . b) Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen notwendiger Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zulässigkeit einfacher Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kostenerstattung und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsmittel von und gegen Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partei in Sonderfällen als Kläger oder Beklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGB-Gesellschaft, BGB-Gesellschaft in Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) OHG, mit und ohne gleichzeitige Inanspruchnahme des Gesellschafters . . . .
47 48 49 50 51 51 56 56 60 60 64 71 75 76 78 78 83
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21
Kap. 13
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
als die ursprünglich vorgesehenen Streitgenossen gerichtet wurde. Eine Bindung des Gerichts „in der Sache“ besteht nicht (OLG Köln MDR 1989, 70). 6. Kosten
19
Antragsverfahren: a) Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); b) Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 16 Nr. 3a RVG) und löst keine gesonderte Gebühr aus.
20
Anfechtung: a) Gericht: KV GKG 1812: 60,00 Euro; b) Anwalt: VV RVG 3500, 3513: jeweils 0,5 Verfahrens- und Terminsgebühr. Wird der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung zurückgenommen oder zurückgewiesen, erfolgt eine eigenständige Kostenentscheidung nach § 91 ZPO, wenn es kein Hauptsacheverfahren gibt oder der antragstellende Rechtsanwalt nicht Prozessbevollmächtigter im Hauptsacheverfahren ist.
Kapitel 13 Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen I. Rubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klageschrift, verfahrenseinleitende Antragsschrift, sog. Langrubrum . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . b) Bezeichnung des Gerichts . . . . . . . . . . . c) Bezeichnung der Parteien . . . . . . . . . . . aa) Notwendige Angaben . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche und organschaftliche Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Betreuer, Prozesspfleger . . . . . . . . . dd) Anwaltliche Vertretung . . . . . . . . . . 2. Kurzrubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rubrum bei Streitverkündung, Aufnahme des Prozesses durch Rechtsnachfolger und in anderen Sonderfällen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rubrum in der Rechtsmittelschrift . . . . . . . 5. Berichtigung während des Verfahrens . . . . . a) Anwendungsbereich und Bedeutung . . . b) Evidente Unrichtigkeit . . . . . . . . . . . . . c) Fehlende Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Berichtigung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13.1 Langrubrum Klage . . . . . . . . . . . . . M 13.2 Langrubrum Berufung . . . . . . . . . . M 13.3 Langrubrum Streitverkündung . . . . M 13.4 Langrubrum nach Beitritt des Streitverkündeten zum Rechtsstreit . . . . .
1 1 1 4 5 5 9 12 14 16
II. 1. 2.
20 21 26 26 28 36 39 40 43 44 45 46
3.
M 13.5 Langrubrum Aufnahme des Rechtsstreits durch Erben . . . . . . . . . . . . M 13.6 Kurzrubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13.7 Kurzrubrum mit Prozessbevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13.8 Kurzrubrum mit Parteibezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen . . . Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partei, notwendige und einfache Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung der Partei . . . . . . . . . . . . . b) Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen notwendiger Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zulässigkeit einfacher Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kostenerstattung und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsmittel von und gegen Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partei in Sonderfällen als Kläger oder Beklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGB-Gesellschaft, BGB-Gesellschaft in Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) OHG, mit und ohne gleichzeitige Inanspruchnahme des Gesellschafters . . . .
47 48 49 50 51 51 56 56 60 60 64 71 75 76 78 78 83
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Kap. 13 Rz. 1
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
c) KG, mit und ohne gleichzeitige Inanspruchnahme des Komplementärs . . . . . d) Zweigniederlassungen . . . . . . . . . . . . . . e) Partnerschaftsgesellschaft . . . . . . . . . . . f) EWIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vorgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) . . . . . . . . . i) Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . j) Wohnungseigentümergemeinschaft . . . . k) Eingetragener Verein . . . . . . . . . . . . . . . l) Nichtrechtsfähiger Verein . . . . . . . . . . .
85 87 88 89 90 91 92 93 96 98
m) GmbH in Liquidation, gelöschte GmbH, GmbH ohne Geschäftsführer . . . . . . . . n) Ausländische Kapitalgesellschaften nach Löschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . p) Insolvenzverwalter, Sequester, Zwangsverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . q) Partei kraft Amtes bei gleichzeitiger persönlicher Inanspruchnahme . . . . . . . . . r) Landesverbände von Parteien . . . . . . . . s) Nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . t) Namentlich nicht bekannte Anspruchsinhaber und -gegner . . . . . . . . . . . . . . .
99 101 102 103 108 109 110 111
I. Rubrum 1. Klageschrift, verfahrenseinleitende Antragsschrift, sog. Langrubrum a) Begriff und Bedeutung
1 Unter Rubrum versteht man „die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts“ (§ 253 Abs. 2 Nr. 1, vgl. auch §§ 487 Nr. 1, 690 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO). Es sind notwendige Angaben in der Klage oder verfahrenseinleitenden Antragsschrift (Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, Mahnbescheidsantrag, Antrag auf Erlass eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung, Antrag im Zwangsvollstreckungsverfahren etc.), mit denen der Kläger/Antragsteller die Parteien und das Gericht festlegt. Das Rubrum muss auf den materiell-rechtlichen Hintergrund abgestimmt sein. Ein vollständiges und genaues Rubrum ist bestimmend für den ganzen Prozess und die Vollstreckung des angestrebten Titels.
2 K
Praxistipp: Nachlässigkeiten und Fehler im Rubrum können nicht immer ohne (zB durch scheiternde Zustellungs- oder vergebliche Vollstreckungsversuche, notwendig gewordene Parteiwechsel, Klagerücknahmen oder Verweisungen bedingte) Mehrkosten und Verzögerungen korrigiert werden. Nicht (rechtzeitig) behobene Defizite des Rubrums können Rechtsverluste (zB durch fehlerhaft eingelegte Rechtsmittel) oder die Unbrauchbarkeit des Titels (vgl. zum Erfordernis einer sicheren Identifizierung des Schuldners aufgrund der Bezeichnung im Vollstreckungstitel BGH WM 2018, 84). Das Rubrum muss deshalb mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt und während des Verfahrens stets auf einen etwaigen Anpassungsbedarf hin im Blick behalten werden.
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Wichtig: In der Parteibezeichnung liegt häufig schon der Schlüssel zur Sachlegitimation. Schon bei Abfassung des Rubrums muss über den erhobenen Anspruch, den richtigen Anspruchsgegner, die Rechtsform der Parteien und das zuständige Gericht Klarheit bestehen.
b) Bezeichnung des Gerichts
4 Die Vielzahl der Klagen vor unzuständigen Gerichten sowie die vermeidbaren Verzögerungen und Kosten durch Verweisungen oder Klagabweisungen mangels Zuständigkeit verdeutlichen die Notwendigkeit einer kritischen Prüfung der örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts (s. dazu Kap. 11). Die Bezeichnung des Gerichts sollte möglichst präzise vorgegeben werden, um in Grenzfällen fraglicher Zuständigkeit Verzögerungen zu vermeiden und nicht der Eingangsgeschäftsstelle des Gerichts die Wahl zu überlassen, in welcher Abteilung (Prozessgericht, Familiengericht, Vollstreckungsgericht) die Sache eingetragen wird. Deshalb empfiehlt sich auch die Angabe des Spruchkörpers. Notwendig ist diese schon in der Klageschrift bei der Anrufung der Kammer für Handelssachen (§ 96 Abs. 1 GVG).
198
Wiemer
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 9 Kap. 13
aa) Notwendige Angaben Die Parteien sind so genau zu bezeichnen, dass eine Identitätsfeststellung der Prozessbeteiligten und die zweifelsfreie Abgrenzung zu anderen Personen durch Gegner und Gericht möglich ist. Notwendig ist die Angabe des vollständigen Namens, einschließlich der Vornamen, der Parteien. Zu namentlich nicht bekannten Anspruchsgegnern s. Rz. 111. Möglichen Identitätsproblemen bei gleichen, ähnlichen oder nicht geläufigen Namen ist durch zusätzliche Angaben (zB Frau, Herr, senior, junior, Berufsbezeichnung, Rechtsform) vorzubeugen.
5
Auch die ladungsfähigen Anschriften der Parteien sind anzugeben (BGH MDR 2011, 534). Die An- 6 gabe eines Postfachs ist für Zustellungszwecke unzureichend. Der Kläger ist, auch dann, wenn er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, verpflichtet, in der Klageschrift seine eigene vollständige und ladungsfähige Anschrift anzugeben (BGHZ 102, 332 = MDR 1988, 393; BGH MDR 2004, 1014; OLG Hamm MDR 2005, 1247). Der Kläger muss dem Gericht seine persönliche Ladung ermöglichen und dem Interesse des Gerichts und des Beklagten an der Kenntnis der Anschrift für den Fall Rechnung tragen, dass der Kläger kostenpflichtig unterliegt. Vorbehaltlich eines besonderen Ausnahmefalls – etwa bei Darlegung eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses des Klägers (vgl. etwa BFH NJW 2001, 1158: konkrete Gefahr der Verhaftung) oder bei der Klage eines Nachlasspflegers für unbekannte Erben – ist eine Klage mit unvollständigem Klägerrubrum als unzulässig abzuweisen (BGH MDR 1988, 393).
K
Wichtig: Wird die ladungsfähige Anschrift des Klägers im Laufe des Rechtsstreits unrichtig und bringt der anwaltlich vertretene Kläger keine neue ladungsfähige Anschrift bei, darf die Klage nicht allein aus diesem Grund als unzulässig abgewiesen werden. Allerdings kann es sich als ein die Zulässigkeit infragestellendes rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen, wenn ein Kläger den Prozess aus dem Verborgenen führen will, um sich einer möglichen Kostenpflicht zu entziehen (BGH MDR 2004, 1014 sowie BGH MDR 2009, 998 = NJW-RR 2009, 1009).
7
Ohne die Anschrift des Beklagten ist die Zustellung der Klageschrift und damit die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses nicht möglich und die Klage als unzulässig abzuweisen. Im WEG-Prozess ist gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG lediglich die Frist zur Mitteilung der ladungsfähigen Anschriften verlängert, nicht aber die Anforderung abgemildert (BGH MDR 2011, 534; s. auch BGH MDR 2011, 413 = NJW 2011, 2050 zur Wahrung der Klagefrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG bei nachträglicher namentlicher Bezeichnung der richtigerweise zu verklagenden übrigen Wohnungseigentümer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung). Die Angabe der Arbeitsstelle kann in geeigneten Fällen genügen, wenn dort die Zustellung möglich ist (BGH MDR 2015, 333 sowie BGH MDR 2001, 164 für den Rechtszustand vor Geltung des § 177 ZPO). Ist die Anschrift dem Kläger nicht bekannt, setzt die öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) an den Beklagten unbekannten Aufenthalts den Nachweis geeigneter und zumutbarer Ermittlungen voraus (Zöller/Schultzky § 185 ZPO Rz. 4). Bei Klagen gegen Firmen und Unternehmen ergeben sich Zustellungsprobleme, wenn nur die Anschrift des Geschäftslokals mitgeteilt wird, dieses jedoch geschlossen oder niemand anzutreffen ist. Es empfiehlt sich daher zusätzlich, Name und Anschrift des Inhabers, vertretungsberechtigten Geschäftsführers oder Organs anzugeben, um die Zustellung zu gewährleisten (§ 170 ZPO; s. aber auch Rz. 11). Besteht allerdings bei Unsicherheit über die Person des Firmeninhabers die Gefahr, eine falsche Person als Inhaber in Anspruch zu nehmen, sollte von der namentlichen Angabe abgesehen werden, da Kaufleute auch unter ihrer Firma klagen und verklagt werden können (§ 17 Abs. 2 HGB). Verklagt ist dann, wer bei Rechtshängigkeit Inhaber ist.
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bb) Gesetzliche und organschaftliche Vertreter Nach Maßgabe der §§ 130 Nr. 1, 253 Abs. 4, 690 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind in der Klageschrift und im 9 Mahnantrag – insbesondere zur Sicherstellung der Zustellung (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 182 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) – die gesetzlichen und organschaftlichen Vertreter der prozessunfähigen Partei anzugeben. Partei Wiemer 199
ZPO
c) Bezeichnung der Parteien
ZPO
Kap. 13 Rz. 10
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ist immer die vertretene Person, also zB das minderjährige Kind, die Gesellschaft, die juristische Person, die Behörde, gegen die sich der Anspruch richtet, nicht aber der oder die Vertreter selbst. Im Rubrum ist deutlich herauszustellen, wer Partei und wer Vertreter ist.
10 Bei minderjährigen Parteien sind die Vertreter stets namentlich mit zustellungsfähiger Anschrift anzugeben, das sind beide Eltern oder im Falle nur eines Sorgeberechtigten dieser Elternteil allein (§ 1629 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB), falls sie nicht von der Vertretung ausgeschlossen sind (§ 1629 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2a BGB) oder ihnen diese nicht entzogen ist (§ 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB). Steht den Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zu, kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen (§ 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB; anders gem. § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB bei noch bestehenden Ehe der Eltern: zwingende gesetzliche Verfahrensstandschaft, nur der antragstellende Elternteil ist Partei, nicht das Kind). Bei Unklarheit genügt die Angabe eines vertretungsberechtigten Elternteils, weil auch bei mehreren gesetzlichen Vertretern die Zustellung an einen von ihnen genügt (§ 170 Abs. 3 ZPO).
11 Bei Klagen gegen juristische Personen ist die namentliche Angabe der Vertreter nicht erforderlich. Es genügt die abstrakte Kennzeichnung der Organstellung des Zustellungsadressaten (BGH MDR 1993, 1009 = NJW 1993, 2811; BGH MDR 1989, 1081 = NJW 1989, 2689) durch Angaben wie „vertreten durch den Geschäftsführer“. Für die Zustellung ist das indessen häufig nicht ausreichend, wenn zB das Geschäftslokal geschlossen ist. Auch muss sichergestellt sein, dass die Zustellung den richtigen Adressaten erreicht. Wird etwa infolge unrichtiger Angabe der Vertretungsverhältnisse an eine nicht passiv legitimierte juristische Person zugestellt, kann die nach Parteiberichtigung erfolgte erneute Zustellung an den richtigen Vertreter unter Umständen nicht mehr „demnächst“ iS des § 167 ZPO und damit verspätet sein (BGH VersR 1983, 661 sowie BGH FamRZ 1988, 1154, dort auch zur Berechnung der Zeitdauer der Verzögerung). Wegen der weiteren Probleme, die sich ergeben, wenn ein Unterlassungstitel erstrebt wird und der Name des gesetzlichen Vertreters der juristischen Person nicht richtig angegeben ist, s. Kap. 94 Rz. 187. cc) Betreuer, Prozesspfleger
12 Wie gesetzliche Vertreter sind auch Betreuer und Prozesspfleger im Rubrum aufzuführen. Um Missverständnisse hinsichtlich der Parteistellung zu vermeiden, ist in der Klageschrift herauszustellen, dass sich die Klage gegen den Betreuten oder Pflegling richtet. Die Zustellung erfolgt allerdings an den Betreuer bzw. Prozesspfleger. Versehentliche Zustellung an den aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar Prozessunfähigen setzt aber die Einspruchs- oder Rechtsmittelfrist in Gang (BGH MDR 2014, 856 = NJW 2014, 937).
13 K
Wichtig: In diesem Fall ist an die Wiedereinsetzung (Kap. 71 Rz. 13 ff.) und/oder die Nichtigkeitsklage (Kap. 73 Rz. 5) zu denken.
dd) Anwaltliche Vertretung
14 Zum vollständigen Rubrum gehört, jedenfalls beim Kläger/Antragsteller, die Angabe der anwaltlichen Vertretung.
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Praxistipp: Die anwaltliche Vertretung der beklagten Partei bleibt in der Klageschrift häufig unerwähnt, obwohl sie dem Kläger aus der vorprozessualen Korrespondenz bekannt ist. Wenn die gegnerischen Anwälte zuvor ihre Zustellungsbevollmächtigung für eine Klage mitgeteilt haben, sollten sie aber als Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei benannt werden. Geschieht dies, so sind die gegnerischen Anwälte als für den Rechtszug bestellte Prozessbevollmächtigte gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen und hat die Zustellung an diese zu erfolgen, wobei der Kläger das Risiko trägt, dass die von ihm als Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei bezeichneten Anwälte keine Prozessvollmacht besitzen und die an diese bewirkte Zustellung deshalb unwirksam ist (BGH MDR 2011, 620). Andererseits ist auch die öffentliche Zustellung einer Klage, die
Wiemer
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 22 Kap. 13
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erfolgt, obwohl für den Kläger und das Gericht erkennbar ist, dass für die beklagte Partei eine für ein Klageverfahren zustellungsbevollmächtigte anwaltliche Vertretung existiert, unwirksam und bewirkt keine Hemmung der Verjährung (BGH MDR 2017, 226). 2. Kurzrubrum Schriftsätze in laufenden Verfahren, auch soweit sie Anträge enthalten, sind eingangs lediglich mit dem Kurzrubrum zu kennzeichnen, das als notwendige Angaben die Namen der Parteien enthalten muss, zudem auch die Namen der Prozessbevollmächtigten sowie das Aktenzeichen des Verfahrens, um eine richtige Zuordnung des Schriftsatzes sicherzustellen.
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Praxistipp: Die Gestaltung des Kurzrubrums wird in den jeweiligen Gerichtsbezirken, dort häufig sogar in den verschiedenen Anwaltsbüros, unterschiedlich gehandhabt. Welcher Gestaltung man folgt, ist idR ohne Bedeutung (vgl. M 13.6, M 13.7 und M 13.8); wichtig ist jedoch: Da sich Schreibfehler einschleichen können, die vor Einreichen des Schriftsatzes beim Gericht nicht bemerkt werden, muss das Kurzrubrum so gefasst werden, dass das Gericht den Schriftsatz trotz des Schreibfehlers zuordnen kann. Schreibfehler, die bei der Wiedergabe des Aktenzeichens unterlaufen, sollten demnach durch die Angaben, die die Parteien betreffen, aufgefangen werden. Die Gerichte geben bei Wiedergabe des Kurzrubrums, soweit sie es verwenden, stets den Kläger an erster Stelle an. Dem sollte man folgen, wenn die Parteibezeichnungen im Kurzrubrum nicht wiedergegeben werden.
Gibt man – etwa aus bürointernen Gründen – stets an erster Stelle den eigenen Mandanten an, unabhängig davon, ob dieser Kläger oder Beklagter ist, empfiehlt sich der Zusatz der Parteistellung. Hilfreich kann auch die Angabe des Prozessbevollmächtigten im Kurzrubrum sein. Bei mehreren Prozessen zwischen denselben Parteien empfehlen sich zur Abgrenzung Zusätze, die den sachlichen Gegenstand des Verfahrens möglichst treffend beschreiben, wie etwa „Herausgabeklage“, „Mietzinsnachforderung“, „Betriebskostenabrechnung“ (nicht: „Forderung“).
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Werden im laufenden Verfahren – auch erweiternde – Anträge angekündigt, wie zB eine Klageerweiterung oder eine Widerklage, genügt das Kurzrubrum, soweit keine Dritten in das Verfahren einbezogen werden sollen. Demgegenüber muss das volle Rubrum aufgeführt werden etwa in Fällen der Klageerweiterung auf weitere Beklagte, der Drittwiderklage oder der Streitverkündung, damit gegenüber dem Empfänger die verfahrenseinleitenden Voraussetzungen des § 253 ZPO erfüllt werden.
19
3. Rubrum bei Streitverkündung, Aufnahme des Prozesses durch Rechtsnachfolger und in anderen Sonderfällen Hier ist ein volles Rubrum nötig, das auch den Streitverkündungsempfänger einschließt (s. Kap. 19 Rz. 27 ff.). Dasselbe gilt bei der Aufnahme des Prozesses durch den Rechtsnachfolger. Im ersten Schriftsatz ist hier im Rubrum auch der Rechtsnachfolger des Beklagten oder Klägers einzusetzen (s. M 13.5).
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4. Rubrum in der Rechtsmittelschrift Die an ein anderes Gericht gerichteten Rechtsmittelschriften (zB Berufung, Revision) sind mit dem vollständigen Rubrum unter zusätzlicher Angabe der neuen Parteirolle zu versehen. Es gelten grundsätzlich dieselben Vorschriften wie für die Klageschrift und die vorbereitenden Schriftsätze (§§ 130, 253, 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 549 Abs. 2, 551 Abs. 4 ZPO).
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Wichtig: An die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers werden strengere Anforderun- 22 gen gestellt als an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners (BGH MDR 2011, 181). Bei Parteimehrheit muss erkennbar sein, wer das Rechtsmittel einlegt und gegen wen es eingelegt wird. Besteht der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen und lässt die Wiemer 201
Kap. 13 Rz. 23
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
Rechtsmittelschrift keine Einschränkung erkennen, richtet sich das Rechtsmittel aber im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung, dh. gegen alle gegnerischen Streitgenossen (BGH MDR 2010, 828).
23 K
Wichtig: Bei unterlaufenen Fehlern, versehentlicher Verwechselung der Parteirollen oder Falschbezeichnung des Rechtsmittelgegners kommt es darauf an, ob eine verständige Auslegung der Rechtsmitteleinlegung unter Ausschöpfung aller dem Rechtsmittelgericht zugänglichen Erkenntnisquellen und Unterlagen, wie etwa dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist jeden Zweifel an der Person der am Rechtsmittelverfahren Beteiligten ausschließt (BGH MDR 2013, 1114). Es kommt dann – auch zugunsten des Rechtsmittelführers (BGH MDR 2010, 44) – Berichtigung in Betracht (s. Rz. 26 ff.; die dort angeführten Erwägungen gelten analog).
24 Berufung oder Revision werden nicht als unzulässig angesehen, wenn lediglich die Anschriften der Parteien nicht mitgeteilt werden, soweit sich die Anschrift der Berufungsbeklagten aus den Akten ergibt. Hat sich die Anschrift einer der Parteien „zwischen den Instanzen“ geändert, wird in der Rechtsmittelschrift zweckmäßigerweise die im ursprünglichen Rubrum genannte – überholte – Anschrift mit dem Zusatz „früher: …“ wiederholt. Streiten die Parteien im Rechtsmittelverfahren gerade um eine vorinstanzliche Prozessabweisung wegen unterbliebener Anschriftenmitteilung, bleibt das Rechtsmittel auch ohne die Angabe der Anschrift zulässig (BGHZ 102, 332 = MDR 1988, 393).
25 In Beschwerdeschriften ist in der Praxis das Kurzrubrum unschädlich und zulässig, weil Identität und Parteirolle der Beteiligten aufgrund des bisherigen Verfahrens vor demselben Gericht festgestellt werden können. Wird die Beschwerde beim Beschwerdegericht eingelegt (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO), ist das volle Rubrum anzugeben. 5. Berichtigung während des Verfahrens a) Anwendungsbereich und Bedeutung
26 Der Parteiberichtigung kommt erhebliche praktische Bedeutung zu. Sie ist abzugrenzen zum Parteiwechsel (vgl. Zöller/Althammer vor §§ 50–58 ZPO Rz. 13). Während die Berichtigung die Parteistellung unberührt lässt und lediglich unter Wahrung der ggf. durch Auslegung ermittelten Identität der Partei deren Bezeichnung korrigiert, scheidet beim Parteiwechsel der Kläger oder Beklagte aus dem Verfahren aus. Über den Anwendungsbereich der zulässigen Berichtigung besteht vielfach Unsicherheit. Bei richtiger Anwendung fallen darunter häufig auch vermeintliche Parteiwechsel, wie etwa der Übergang von der GmbH zum Einzelkaufmann oder (umgekehrt) der Wechsel von der OHG zur GmbH.
27 K
Praxistipp: Es sollten alle Möglichkeiten einer Berichtigung ausgeschöpft werden, wenn eine Partei irrtümlich oder versehentlich falsch bezeichnet worden ist. Gerade im Hinblick auf oftmals bestehende Auslegungsspielräume und Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Ermittlung der Identität der beklagten Partei empfiehlt es sich, beim Gericht zunächst eine entsprechende Rubrumsberichtigung anzuregen, bevor klägerseits – oft vorschnell und nicht nur hilfsweise – eine (kostenträchtige) Klagerücknahme oder ein Parteiwechsel erklärt wird.
b) Evidente Unrichtigkeit
28 Parteiberichtigung setzt nach § 319 ZPO offenbare Unrichtigkeit heraus. Die Rechtsprechung stellt auf die objektive Erkennbarkeit ab und berücksichtigt ferner das Schutzbedürfnis der scheinbar verklagten Person. Die Berichtigung ist danach zulässig, wenn die Umstände erkennbar machen, dass ungeachtet einer objektiv unrichtigen oder mehrdeutigen Bezeichnung der Partei von Anfang an unzweifelhaft ein bestimmtes, jedoch anders bezeichnetes Rechtssubjekt klagen oder verklagt werden sollte (BGH MDR 2013, 420). Eine objektiv unrichtige Bezeichnung einer Partei ist jederzeit – ggf. auch von 202
Wiemer
Rz. 33 Kap. 13
Amts wegen – so zu berichtigen, wie es objektiv der richtigen Sachlage entspricht, soweit die Identität der Partei feststeht und durch die Berichtigung gewahrt bleibt (OLG Celle MDR 2011, 1255). Als Partei ist grundsätzlich gemeint, wer aus den Rechtshandlungen der unzutreffend als Partei bezeichneten Person berechtigt oder verpflichtet ist und für Gericht und Gegenpartei objektiv erkennbar betroffen sein soll. Welche Partei objektiv gemeint ist, kann und muss durch Auslegung ermittelt werden (st. Rspr., s. nur BGH MDR 2008, 524 mwN; Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 6; Zöller/Feskorn § 319 ZPO Rz. 14 mit zahlr. Bsp.). Als Auslegungshilfen sind dabei der Klage- und Mahnbescheidsantrag, der Tatsachenvortrag, spätere Erklärungen ebenso wie die Vorkorrespondenz der Parteien und überhaupt die bisherigen Rechtsbeziehungen der Parteien heranzuziehen. Wenn keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten bestehen, ist eine Berichtigung zulässig (BGH MDR 2010, 44). Der – richtige – Beklagte verdient keinen Schutz, wenn für ihn bei objektiver Betrachtung erkennbar war, dass er und nicht die in der Klage aufgeführte Person verklagt werden sollte und der in der Klage Bezeichnete die durch die Klage ausgelöste Mitwirkungslast auf den richtigen Beklagten abwälzen kann.
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Wichtig: Bei einer an sich korrekten Bezeichnung einer tatsächlich existierenden juristischen 30 oder natürlichen Person kommt Berichtigung auf eine andere Person nur in Betracht, wenn aus dem übrigen Inhalt unzweifelhaft deutlich wird, dass eine andere und welche Partei gemeint ist (BGH MDR 2013, 420). Die Begründung des Berichtigungsantrags sollte deshalb aufzeigen, dass trotz der Mängel der ursprünglich gewählten Parteibezeichnung in Anbetracht der Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel am maßgeblichen Willen des Klägers, wie er objektiv geäußert ist, bestehen.
Das Gericht kann einen deklaratorischen Beschluss der Rubrumsberichtigung fassen und muss das auch tun, wenn bereits Entscheidungen für oder gegen die unrichtig bezeichnete Partei ergangen sind. Wird eine existente Person durch Fehler im Rubrum versehentlich in den Prozess gezogen, ist sie als Scheinbeklagte, ggf. unter Kostenauferlegung auf den Kläger, aus dem Prozess zu entlassen, Klageabweisung kommt nicht in Betracht (BGH MDR 2008, 524).
31
Einzelfälle zulässiger Berichtigung (durch Auslegung):
32
– Schreibfehler im Namen der Partei (zB Scharper statt Schaper, Töger statt Tröger) oder unrichtige Namensteile, wie zB Hubert statt Herbert; – unrichtige Unternehmens- und Gesellschaftsformen, zB Einzelkaufmann statt GmbH und umgekehrt, unter „GmbH“ handelnde OHG, GbR statt GmbH; – unrichtiger Firmeninhaber: Wird der Ehemann statt der Ehefrau als Inhaber des Unternehmens benannt, richtet sich die Klage unter den o.g. Voraussetzungen gegen die Ehefrau als Inhaberin; – wenn ein unternehmensbezogenes Geschäft vorliegt und erkennbar der Unternehmensträger oder -inhaber in Anspruch genommen werden soll (BGH MDR 1990, 799); – Mutterkonzern statt Tochtergesellschaft, die Vertragspartnerin war (BGH MDR 2008, 524); – die Identität der Partei nicht berührender Rechtsformwechsel während des Prozesses (BGH MDR 2008, 808: Vor-GmbH zur GbR); – unrichtige Bezeichnung des Haftpflichtversicherers nach Verschmelzung (BGH MDR 2010, 44). Wird eine GmbH verklagt, die – mangels Eintragung, mangels entsprechenden Gesellschaftsvertrags – nicht existiert, so sind richtige Beklagte die unter der Firma handelnden Personen, etwa eine OHG oder ein Einzelkaufmann. Das Rubrum ist dann dahin zu berichtigen, dass die unter der GmbH betriebene Handelsgesellschaft oder BGB-Gesellschaft verklagt sei (BGHZ 22, 240; OLG Frankfurt MDR 1990, 639).
Wiemer 203
33
ZPO
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Kap. 13 Rz. 34
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
34 Wird der Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH versehentlich als Inhaber eines einzelkaufmännischen Betriebes aus einem unternehmensbezogenen Geschäft der GmbH in Anspruch genommen, kommt Rubrumsberichtigung in Betracht. Das setzt allerdings voraus, dass der Handelnde nicht den Eindruck erweckt hat, er selbst sei Unternehmensträger. Dann bleibt er Partei, wenn der Kläger ihn selbst als solchen angesprochen hat und zB eine Rechtsscheinhaftung in Frage kommt (BGH MDR 1990, 799 = WM 1990, 600).
35 Soll im Arzthaftungsprozess nach dem Gesamtzusammenhang des Klagevorbringens zweifelsfrei der Träger des Krankenhauses in Anspruch genommen werden, in dem die behauptete Fehlbehandlung erfolgte, kann die Fehlbezeichnung dieses Trägers nach § 319 ZPO berichtigt werden (OLG Koblenz MDR 2015, 1323). c) Fehlende Evidenz
36 Eine Unrichtigkeit ist nur dann evident, wenn sie sich für den Außenstehenden aus dem Zusammenhang des Urteils ohne Weiteres ergibt. Unrichtigkeiten im Rubrum sind bereits dann evident, wenn sie dies für die beteiligten Richter sind (BGH MDR 2013, 421; Zöller/Feskorn § 319 ZPO Rz. 5 mwN). Die Berichtigung einer solchermaßen offenbaren Unrichtigkeit des Passivrubrums scheidet jedoch aus, wenn die Klage dem richtigen Beklagten überhaupt nicht zur Kenntnis gelangt ist und er ohne Kenntnis von dem Rechtsstreit keine Möglichkeit hatte, Einwendungen gegen den erhobenen Anspruch zu erheben.
37 Auch bei Berichtigungen auf Klägerseite müssen offenbare Umstände ergeben, dass der die Berichtigung begehrende Kläger von Anfang an als Anspruchsteller identifiziert werden konnte. Stellt sich zB nach Verfahrensabschluss heraus, dass einer von zwei Klägern bereits verstorben war, kommt eine Berichtigung dahin, dass der andere alleiniger Kläger ist, nicht in Betracht (LG Frankfurt NJW-RR 1991, 1470).
38 Legt der Anwalt aufgrund versehentlich falscher Parteibezeichnung für die Gegenpartei Rechtsmittel ein, kann eine Berichtigung unter Umständen wegen fehlender Evidenz ausscheiden und die berichtigte Rechtsmittelschrift verspätet sein (s. aber auch BGH NJW-RR 1999, 938: unschädliche fehlerhafte Bezeichnung der Partei, für die der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil eingelegt worden ist). Sind dem Berufungsgericht die bisherigen anwaltlichen Vertretungsverhältnisse der Parteien nicht bekannt und allein aufgrund der Berufungsschrift ohne Beifügung des angefochtenen Urteils nicht erkennbar, scheidet Berichtigung aus (BGH FamRZ 1986, 1088). Einer Berichtigung entgegenstehende Identitätszweifel müssen sich entweder aus den gleichzeitig mit der Rechtsmitteleinlegung überreichten Anlagen oder aus den noch während des Laufs der Rechtsmittelfrist eingegangenen Gerichtsakten durch Auslegung ausräumen lassen, es genügt nicht, wenn die Feststellung, welche Partei das Rechtsmittel eingelegt hat, erst aus den nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingegangenen Gerichtsakten getroffen werden kann (OLG Celle NdsRpfl 1990, 151). d) Rechtsmittel
39 Ein Beschluss des Gerichts, mit der die Berichtigung abgelehnt wird, ist grundsätzlich nicht anfechtbar, § 319 Abs. 3 ZPO. Ausnahmen hiervon in der Rechtsprechung vor dem 1.1.2002 (ZPO-RG) sind – auch im Hinblick auf die ggf. eröffnete Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) und die ohne Weiteres mögliche Gegenvorstellung – überholt, da nach dem ZPO-RG für außerordentliche Rechtsbehelfe kein Raum mehr besteht (Zöller/Feskorn § 319 ZPO Rz. 27 mwN). 6. Berichtigung nach Beendigung des Verfahrens
40 In der Praxis stellt sich die unrichtige Parteibezeichnung mitunter erst nach Rechtskrafteintritt heraus, wenn der Titel nicht zugestellt oder nicht vollstreckt werden kann. Dann kommt der Berichti204
Wiemer
M 13.1
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 43 Kap. 13
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gung der Parteibezeichnung nach Beendigung des Verfahrens erhebliche Bedeutung zu. Sie ist auch nach Rechtskrafteintritt unter denselben Voraussetzungen, dh. bei objektiver Erkennbarkeit der richtigen Partei, wie die Berichtigung während des Verfahrens möglich, denn die Parteiberichtigung ist wie jede andere Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO „jederzeit“ zulässig (Zöller/Feskorn § 319 ZPO Rz. 21; OLG Hamm NJW-RR 1987, 188). Abzugrenzen ist der Berichtigungsantrag vom Antrag auf Titelumschreibung nach § 727 ZPO (vgl. 41 Kap. 60): In der Praxis finden sich anstelle von Berichtigungsanträgen vielfach Anträge auf Umschreibung des Titels auf die richtige Partei in entsprechender Anwendung des § 727 ZPO. Diese Verfahrensweise mag vertretbar sein, bei formaler Betrachtung werden solche Anträge aber abgewiesen (Beispiel: LG Gießen JurBüro 1982, 1093), da es nicht um eine nach Rechtshängigkeit eingetretene Rechtsnachfolge einer nicht existenten oder falsch bezeichneten Partei geht. Es empfiehlt sich daher ein Berichtigungsantrag gem. § 319 Abs. 1 ZPO. Zuständig ist das Gericht, das den Titel erlassen hat. Das kann auch das Berufungsgericht sein, wenn es um die Berichtigung eines Berufungsurteils geht (OLG Düsseldorf MDR 1991, 789).
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Checkliste: Rubrum l Gericht zuständig? (örtlich, sachlich, funktionell)? l Korrekte Vornamen, Nachnamen, Rechtsform (natürliche oder jur. Person, Gesellschaft)? l Zur Vermeidung von Identitätsproblemen zusätzliche Angaben veranlasst? l Verlässliche Zustellungsanschrift oder geschlossenes Geschäftslokal? l Privatanschrift des Inhabers oder Geschäftsführers für Zustellung angeben. l Kläger = Anspruchsinhaber? l Beklagter = Verpflichteter? l Sollte Klage auf weitere Personen erstreckt werden (Gesamtschuldner, Mitgesellschafter, Miterben usw.)? l Bei Rubrumsfehlern gilt: „Berichtigungsantrag statt Klagerücknahme/Parteiwechsel“.
M 13.1 Langrubrum Klage
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Landgericht … Klage In dem Rechtsstreit Klausen Grundstücksverwertungsgesellschaft mbH, Kaiserallee 23, 26316 Rostock, vertreten durch den Geschäftsführer Rolf Berger, Eisenbahnstraße 7, 28276 Stade – Klägerin – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Zimmer gegen Herbert Altenburg, Beguinenstraße 9, 28276 Stade – Beklagter – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Karl-Heinz Schenke, Andienstr. 9, 29221 Celle
Wiemer 205
ZPO
Kap. 13 Rz. 44
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
M 13.2
44 M 13.2 Langrubrum Berufung Oberlandesgericht Zivilsenat … Berufungsschrift In dem Rechtsstreit 1. Firma Beier Verwaltungs-GmbH, gesetzlich vertreten durch die Geschäftsführerin Karin Beier, Poststr. 64, 75177 Pforzheim 2. Jürgen Metz, Bergstraße 13, 75223 Niefern – Beklagte und Berufungskläger – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Hermann König, Karlstraße 45, 76133 Karlsruhe gegen Alexander Freiberger, Karlstraße 27, 75217 Birkenfeld – Kläger und Berufungsbeklagter – Prozessbevollmächtigte I. Instanz: Rechtsanwälte Dr. Reinhardt und Kollegen Mozartstraße 11–15, 75133 Karlsruhe lege ich hiermit für die Beklagten gegen das am 28.4.2018 verkündete und am 8.5.2018 zugestellte Urteil des Landgerichts Karlsruhe – 6 O 218/15 – Berufung ein1. 1 Vgl. dazu weiter Kap. 65.
45 M 13.3 Langrubrum Streitverkündung Oberlandesgericht Zivilsenat … 3 U 65/17 In dem Rechtsstreit Klausen Grundstücksverwertungsgesellschaft mbH, Kaiserallee 23, 26316 Rostock, vertreten durch den Geschäftsführer Rolf Berger, Eisenbahnstraße 7, 28276 Stade – Klägerin und Berufungsklägerin – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Hartmann gegen Herbert Altenburg, Beguinenstraße 9, 28276 Stade – Beklagter und Berufungsbeklagter – Prozessbevollmächtigte I. Instanz: Rechtsanwälte Dr. Joachim Georg und Kollegen, Hamburger Straße 9, 29221 Celle
206
Wiemer
M 13.5
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 47 Kap. 13
verkünde ich hiermit namens und mit Vollmacht der Klägerin dem
ZPO
Hubert Meier, Waldstr. 43, Celle den Streit mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit aufseiten der Klägerin beizutreten. Zur Begründung führe ich aus: …1 1 Vgl. dazu weiter Kap. 19.
M 13.4 Langrubrum nach Beitritt des Streitverkündeten zum Rechtsstreit
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Oberlandesgericht Zivilsenat … 10 U 58/17 In dem Rechtsstreit Petersen Beratungs- und Betreuungs-GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Richard Hartung, Thüringer Straße 9, 21376 Eyendorf, – Klägerin und Berufungsklägerin – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Frhr. v. Hartung, Herrenstraße 58, 29221 Celle Streithelfer der Klägerin: Heinz Walter, Holzerstraße 30, 21398 Neetze Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Martin Hambacher, Veilchenstraße 45, 29221 Celle gegen Ori und May Richardson, Hauptstr. 139, 21394 Westergellersen – Beklagte und Berufungsbeklagte – Prozessbevollmächtigte I. Instanz: Rechtsanwälte Dr. Weiss & Partner, Am Berg 1, 29221 Celle
M 13.5 Langrubrum Aufnahme des Rechtsstreits durch Erben
47
Oberlandesgericht Zivilsenat … In dem Rechtsstreit 11 U 67/17 Wolfgang Kohm, Keltersbergstraße 29, Gaggenau – Beklagter und Berufungskläger – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. W. Waldmann, Karlsruhe gegen
Wiemer 207
Kap. 13 Rz. 48
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
M 13.6
ZPO
Dr. Wilfried Dannhard, Hügelstraße 8, Filderstadt – Kläger und Berufungsbeklagter – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Hain und Kollegen, Schwarzwaldstraße 12, Gernsbach vertrete ich im Berufungsverfahren Petra Dannhard, Hügelstraße 8, Filderstadt. Petra Dannhard ist die Alleinerbin des am 18.4.2017 verstorbenen Klägers, gegen den sich die Berufung des Beklagten wendet. Ich verweise dazu auf den in Kopie beigefügten Erbschein vom 4.8.2017 – 2 GR N 139/2017 – Notariat Filderstadt II. Für die von mir vertretene Petra Dannhard nehme ich den Rechtsstreit hiermit nunmehr ausdrücklich auf und erkläre, dass die Aufnahmeerklärung für sie als Alleinerbin nach Dr. Wilfried Dannhard erfolgt1. 1 Vgl. dazu weiter Kap. 31.
48 M 13.6 Kurzrubrum Landgericht … In Sachen Knorre gegen Mehnert 3 O 191/17
49 M 13.7 Kurzrubrum mit Prozessbevollmächtigten Landgericht … In Sachen Knorre Prozessbevollmächtigter: RA Meier, … gegen Mehnert Prozessbevollmächtigter: RA Schulze, … 3 O 191/17
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Wiemer
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 55 Kap. 13
M 13.8 Kurzrubrum mit Parteibezeichnungen
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Landgericht … In Sachen Knorre – Beklagter – gegen Mehnert – Kläger – 3 O 191/17
II. Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen 1. Parteifähigkeit Die Parteifähigkeit gehört zu den in jeder Lage des Rechtsstreits im Freibeweis von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen. Sie wirft grundsätzlich prozessual keine Probleme auf, soweit Kläger und Beklagter natürliche oder existente juristische Personen des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts sind, weil ihnen kraft ihrer Rechtsfähigkeit auch Parteifähigkeit zukommt (§ 50 Abs. 1 ZPO). Bei Zweifeln an der Parteifähigkeit oder der Existenz einer Prozesspartei ist sie bis zur Erledigung des Streits hierüber als parteifähig/existent zu behandeln (BGH NJW 2011, 778). Auch das Rechtsmittel einer in erster Instanz als nicht parteifähig, nicht existent oder prozessunfähig beurteilten Partei ist zulässig (vgl. Zöller/Althammer § 50 ZPO Rz. 8; BGH MDR 1990, 610 = NJW 1990, 1734; BGH MDR 2000, 223; BGH FamRZ 2014, 553).
51
In einer Reihe von Sonderfällen bedarf die Parteifähigkeit der Aufmerksamkeit und besonderen Prüfung auf Klägerseite, um einer Klageabweisung als unzulässig vorzubeugen, und auf Beklagtenseite, um die Verteidigung gegen die Klage darauf einzustellen. Die Rechtsprechung erkennt eine Reihe von Rechtsgebilden vor allem des Gesellschaftsrechts als parteifähig an, die keine juristischen Personen sind. Zu diesen Sonderfällen vgl. Rz. 78 ff.
52
Die Parteifähigkeit einer juristischen Person beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht ihres Sitzes („Sitztheorie“, BGHZ 53, 181), wobei es nicht auf den in der Satzung genannten, sondern auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ankommt. Bei einer Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft vom Ausland ins Inland ist diese nach deutschem Recht jedenfalls als rechtsfähige Personengesellschaft aktiv und passiv parteifähig (BGH MDR 2002, 1382; BGH ZInsO 2009, 149).
53
Die fehlende Parteifähigkeit kann bis zum Ende des Verfahrens nachträglich geheilt werden, so durch Genehmigung der bisher unwirksamen Prozessführung durch die wieder eingetragene Gesellschaft, die ihre Parteifähigkeit vorübergehend verloren hatte (BGHZ 51, 27).
54
Die Parteifähigkeit ist von der Prozessfähigkeit zu unterscheiden. Auch prozessunfähige Parteien 55 können Parteien des Rechtsstreits sein, aber nur mit Hilfe eines Vertreters agieren. Der prozessunfähigen Partei ist vor Klagabweisung als unzulässig Gelegenheit zur Bestellung eines Betreuers zu geben (BGH FamRZ 2014, 553).
Wiemer 209
ZPO
M 13.8
Kap. 13 Rz. 56
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
2. Partei, notwendige und einfache Streitgenossen a) Bestimmung der Partei
56 Die Bestimmung der Parteien, zwischen denen eine Sache rechtshängig wird, liegt in der Hand desjenigen, der das Verfahren einleitet. Wer Partei des Rechtsstreits ist, wird durch die entsprechende Bezeichnung in der Klage oder Antragsschrift festgelegt, richtet sich also nur nach formellen Kriterien, nicht nach materiell-rechtlichen Gesichtspunkten. Auf die tatsächliche Berechtigung oder Verpflichtung der als Partei bezeichneten Personen kommt es für die prozessuale Parteieigenschaft nicht an. Es ist für die Zulassung als Partei notwendig, aber auch ausreichend, die Inhaberschaft des geltend gemachten Anspruchs zu behaupten (vgl. aber auch Rz. 59). Hierbei und ebenso bei Bestimmung der beklagten Partei bedarf es indessen genauer Prüfung auch der materiellen Berechtigung und Verpflichtung vor Prozessbeginn, um nachteilige Folgen wie notwendige Parteiwechsel und Klagerücknahmen gegenüber falschen Beklagten zu vermeiden.
57 Ist zwar der Sache nach die richtige Partei in Anspruch genommen, diese aber unrichtig bezeichnet worden (Beispiel: Becker OHG statt Becker GmbH), lässt sich die Parteibezeichnung allerdings berichtigen. Wie oben in Rz. 26 ff. zum Rubrum ausgeführt, lassen sich viele scheinbar notwendige Parteiwechsel durch Ausschöpfung zulässiger Berichtigungsmöglichkeiten vermeiden.
58 Wird versehentlich nicht an den Beklagten zugestellt, sondern an einen unbeteiligten Dritten, wird dieser dadurch nicht Partei, ist aber zu Prozesshandlungen berechtigt, um aus dem Prozess wieder auszuscheiden, wobei gleichzeitig dem Kläger, sofern dieser die falsche Zustellung veranlasst hat, die Kosten des Scheinbeklagten aufzuerlegen sind, die zur Geltendmachung von dessen fehlender Parteistellung notwendig waren. Für eine Klageabweisung ist kein Raum (BGH MDR 2008, 524), weil ein Prozessrechtsverhältnis nicht begründet worden ist.
59 Partei auf der Klägerseite muss nicht stets der Inhaber des geltend gemachten Anspruchs sein. In besonderen Fällen treten Vertreter von Personen oder Verwalter von Sondervermögen selbst als Parteien auf: Insolvenz- und Konkursverwalter, Zwangsverwalter oder Testamentsvollstrecker sind Parteien kraft Amtes (s. dazu auch Rz. 102 ff.). b) Streitgenossen aa) Allgemeines
60 Streitgenossen sind Personenmehrheiten auf Kläger- oder Beklagtenseite in einem Verfahren. Unterschieden wird zwischen einfacher und notwendiger Streitgenossenschaft. Während die einfache Streitgenossenschaft die nur äußere Verbindung mehrerer Kläger oder Beklagter in einem Prozess kennzeichnet, besteht zwischen den notwendigen Streitgenossen eine materiell-rechtliche und prozessual engere Verbindung. Kriterien sind die Identität des Streitgegenstandes und die Rechtskrafterstreckung (im Einzelnen Zöller/Althammer § 62 ZPO Rz. 2 ff.).
61 Die Bildung von Streitgenossenschaften erfolgt durch Klage oder Klageerweiterung oder durch Eintritt einer Gesamtrechtsnachfolge mehrerer Personen, zB bei Fortführung des Verfahrens durch die Erbengemeinschaft nach dem Tod einer Prozesspartei.
62 Vielfach werden Zweckmäßigkeiten, Kostengründe oder taktische Aspekte darüber entscheiden, ob eine Mehrheit von Personen klagen oder verklagt werden soll, beispielsweise um einem Beteiligten die Zeugenstellung zu nehmen. Dabei sind Grenzen zu beachten: Einerseits kann es sogar erforderlich sein, dass eine Personenmehrheit gemeinsam klagt oder verklagt wird (bestimmte Fälle notwendiger Streitgenossenschaft). Andererseits kann es prozessual unzulässig sein, Verfahren mehrerer Kläger oder Beklagter in einem Prozess miteinander zu verbinden.
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Wiemer
K
Rz. 67 Kap. 13
Praxistipp: Die geläufige Anwaltsstrategie, eine als Zeuge in Betracht kommende Person aus dem 63 Lager des Prozessgegners im Wege der Klage oder (isolierten) Drittwiderklage (BGH MDR 2007, 1291) zur Partei des Rechtsstreits zu machen, muss im Einzelfall wohl überdacht sein. Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) verbietet es, bei Widersprüchen zwischen einer Zeugenaussage und der Parteianhörung aus rein formalen prozessualen Gründen dem Zeugen ein höheres Gewicht beizumessen (Zöller/G. Vollkommer § 286 ZPO Rz. 13a; OLG Karlsruhe MDR 1988, 493). Hierauf sollte das Gericht ggf. aufmerksam gemacht werden, wenn darauf verzichtet wird, einen Zeugen aus dem gegnerischen Lager zur Partei des Rechtsstreits zu machen. Um die im richterlichen Entscheidungsprozess oft unterbewusst stattfindende Höherbewertung einer Zeugenaussage von vornherein zu verhindern, mag es oft ratsam sein, die Klage auch gegen den Zeugen als Streitgenossen zu richten, falls sich dies materiell-rechtlich begründen lässt. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass nach einer Entscheidung über den den „Zeugen“ betreffenden Teil des Rechtsstreits durch Teilurteil (§ 301 ZPO) die Zeugenstellung des ausgeschiedenen Beklagten in dem fortgesetzten Prozess wieder auflebt (OLG Karlsruhe BB 1992, 97), sofern eine streitige Kostenentscheidung im Schlussurteil, durch die er mit Kosten belastet werden kann, nicht mehr denkbar ist (OLG Celle NJW-RR 1991, 62). Der Anregung des Prozessgegners, ein Teilurteil zu erlassen, wird das Gericht vor allem dann nähertreten, wenn eine materiell-rechtliche Verpflichtung des als Zeugen in Betracht kommenden Streitgenossen offensichtlich nicht gegeben ist. Schließlich kann die Schaffung einer Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite aus taktischen Gründen für den Kläger bei der Kostenentscheidung sehr nachteilige Folgen haben: Weist das Gericht die Klage gegen den Streitgenossen 1 ab und verurteilt es lediglich den Streitgenossen 2, dringt der Kläger nur mit der Hälfte seines Angriffs durch und hat die Prozesskosten schon aus diesem Grund wenigstens zur Hälfte zu tragen.
bb) Folgen notwendiger Streitgenossenschaft Das Bestehen einer notwendigen Streitgenossenschaft ist in der Vorbereitung des Prozesses vor allem mit dem Ziel zu prüfen festzustellen, ob eine einzelne Prozessführung möglich ist oder ob Streitgenossen gemeinsam klagen oder verklagt werden müssen. Nicht in jedem Fall notwendiger Streitgenossenschaft ist es geboten, gemeinschaftlich Klage zu erheben oder auf Beklagtenseite mehrere Streitgenossen einzubeziehen.
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Auf Klägerseite kommt die Notwendigkeit gemeinschaftlicher Klageerhebung mehrerer Gläubiger selten vor. Auch wenn eine gemeinsame Forderungszuständigkeit als Gesamtgläubiger- oder Mitgläubigerschaft besteht, kann idR der einzelne Gläubiger Klage auf die gesamte geschuldete Leistung erheben. Im Klageantrag ist bei Mitgläubigerschaft allerdings darauf zu achten, dass eine Leistung an alle Gläubiger gefordert wird (§ 432 Abs. 1 Satz 1 BGB). Soll eine Leistung an den Kläger allein gefordert werden, muss dieser als Prozessstandschafter ermächtigt oder muss ihm die Forderung abgetreten sein. Das kann sinnvoll sein, um den Mitgläubiger als Zeugen einführen zu können.
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Die gemeinschaftliche Klage ist notwendig bei der Ausübung von Gestaltungsrechten, wie zB bei der Klage auf Ausschließung eines Gesellschafters gem. § 140 Abs. 1 Satz 2 (BGH MDR 2011, 56), nicht aber bei der Klage eines von mehreren Berechtigten aus bereits vollzogenen Gestaltungsrechten (Zöller/Althammer § 62 ZPO Rz. 19).
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Notwendig ist die gemeinschaftliche Klage von Gesellschaftern einer nicht rechts-/parteifähigen BGB-Gesellschaft, wenn nicht ein Gesellschafter zur Einzelklage in Prozessstandschaft ermächtigt wird. Anders bei einer BGB-Gesellschaft, die als Außengesellschaft durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet und damit Rechts- und Parteifähigkeit erlangt (BGH MDR 2014, 550): Klagen alle ihre Gesellschafter wegen einer Gesellschaftsforderung, liegt idR eine bloße Falschbezeichnung vor, der durch Rubrumsberichtigung auf die BGB-Gesellschaft Rechnung zu tragen ist (Zöller/Althammer § 62 ZPO Rz. 13a).
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Wiemer 211
ZPO
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Kap. 13 Rz. 68
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
68 Nicht notwendig ist eine gemeinsame Prozessführung auf Klägerseite, wenn einzelne Miteigentümer eines mit einer Grunddienstbarkeit (Wegerecht) belasteten Grundstücks gegen den Eigentümer des herrschenden Grundstücks vorgehen. Denn jeder Miteigentümer kann nach § 1011 BGB die Unterlassungsklage alleine erheben (BGH MDR 1985, 218).
69 Auf Beklagtenseite ist zu beachten: Notwendige gemeinsame Inanspruchnahme mehrerer Beklagter bei Klagen aus Grunddienstbarkeit oder auf Einräumung eines Notwegerechts an einem Grundstück, das mehreren Personen zu ideellen Bruchteilen gehört: Hier sind sämtliche Miteigentümer des belasteten Grundstücks notwendige Streitgenossen und deshalb gemeinschaftlich zu verklagen (BGH MDR 1962, 291 sowie BGH MDR 1985, 37). Das gilt zB auch bei Klagen gegen Miteigentümer auf Übernahme einer Baulast (BGH MDR 1991, 421) und für Ansprüche auf Beseitigung der von dem Grundstückszustand ausgehenden Störung der Grunddienstbarkeit (BGH MDR 1992, 582). Eine Ausnahme betrifft die Miteigentümer, die sich bereits zuvor zu der geforderten Leistung verpflichtet hatten; sie sind nicht mitzuverklagen (BGH MDR 1992, 582).
70 Eine Klage gegen mehrere Gesamthänder auf Auflassung oder Einwilligung zur Grundbuchberichtigung muss alle Gesamthänder einbeziehen. cc) Zulässigkeit einfacher Streitgenossenschaft
71 Die Frage, wann es zulässig ist, als Personenmehrheit zu klagen oder eine Personenmehrheit zu verklagen, stellt sich zwangsläufig nur bei der einfachen Streitgenossenschaft. Die Zulassung der Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO wird in der Praxis großzügig gehandhabt. Sie beschränkt sich nicht auf Fälle der Rechtsgemeinschaft (zB Miteigentum) oder der Identität des tatsächlichen oder rechtlichen Haftungsgrundes (zB Gesamtschuld), sondern erfasst auch Fälle gleichartiger Ansprüche aus im Wesentlichen gleichartigem tatsächlichen oder rechtlichen Grund. Für die Zulassung des gemeinschaftlichen Aktiv- oder Passivprozesses wird ein Zusammenhang gefordert, der eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung im Prozess rechtfertigt und zweckmäßig erscheinen lässt. So ist es beispielsweise zulässig, dass mehrere Wohnungsmieter eines Hauses die jeweils eigenen – gleichartigen – Forderungen gegen den Vermieter in einem Verfahren geltend machen oder der Vermieter gleichartige Mieterhöhungsverlangen gegen die Mieter unterschiedlicher Wohnungen in einem Mietobjekt gemeinsam in einer Klage verfolgt.
72 Hier spielen vielfach taktische Überlegungen, aber auch Kostenerwägungen (etwa im obigen Beispiel Rz. 71: ein Sachverständigengutachten in einem Verfahren für mehrere Wohnungen im selben Anwesen anstatt verschiedener Sachverständigengutachten in mehreren Verfahren; vgl. insoweit aber auch § 411a ZPO), eine Rolle. Häufig anzutreffende Prozesstaktik ist es, als Kläger auf Beklagtenseite Streitgenossenschaft herzustellen, indem ein weiterer mehr oder minder offensichtlich nicht verpflichteter Beklagter mitverklagt oder später mit in das Verfahren gezogen wird, damit dieser nicht als Zeuge im Verfahren gehört werden kann (vgl. zu dieser Strategie den Praxistipp Rz. 63). Denn solange die Streitgenossenschaft besteht, kann grundsätzlich keiner der Streitgenossen Zeuge sein, es sei denn, das jeweilige Beweisthema betrifft ausschließlich den anderen Streitgenossen (BGH MDR 1991, 240).
73 Umgekehrt wird der Kläger bei gemeinsamer Forderungsberechtigung mit einem anderen potenziellen Streitgenossen auf der Aktivseite eine Streitgenossenschaft vermeiden und die Forderung allein einklagen, nachdem er sich von dem anderen die Forderung hat abtreten oder sich hat zur Klage ermächtigen lassen, damit eben der andere als Zeuge auftreten kann. Hierauf kann die beklagte Partei aber ggf. mit der Erhebung einer (isolierten) Drittwiderklage (BGH MDR 2007, 1291) reagieren.
74 K
212
Praxistipp: Ein Grund für die Bildung von Streitgenossenschaften kann das Erreichen des Zuständigkeitsstreitwerts sein: Werden unterschiedliche Ansprüche verfolgt, die ohne Weiteres in getrennten Klagen geltend gemacht werden könnten, sind die Werte zusammenzurechnen, so dass der Berufungs- oder Revisionswert bzw. der Zuständigkeitswert des Landgerichts erreicht werden kann. Wiemer
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 79 Kap. 13
Streitgenossen können die Kosten für jeweils eigene Anwälte nicht erstattet verlangen, wenn eine gemeinsame Beauftragung eines Anwalts zumutbar ist (BGH MDR 2007, 1160 = NJW 2007, 2257; OLG Bamberg NJW-RR 2011, 935). Uneinheitlich wird die Frage entschieden, ob der Rechtsanwalt, der mehrere Streitgenossen vertritt, bei PKH-Bewilligung für einen von mehreren Streitgenossen auf den Mehrvertretungszuschlag gem. Nr. 1008 VV RVG beschränkt ist, oder ob er die vollen durch die Vertretung der bedürftigen Partei ausgelösten Anwaltskosten verlangen kann. Der BGH (vgl. die Rechtsprechung zu § 6 BRAGO) beschränkt die Bewilligung auf die Erhöhungsbeträge nach Nr. 1008 VV RVG, weil die vermögende Partei nicht dadurch entlastet werden könne, dass der Prozessbevollmächtigte zugleich eine bedürftige Partei vertrete (BGH MDR 1993, 913; vgl. auch OLG Koblenz MDR 2001, 1261 und OLG Koblenz MDR 2004, 1206). Anders entscheidet eine Reihe von Gerichten und bewilligt die vollen Anwaltskosten mit dem Argument, dass jeder der Streitgenossen dem Anwalt die volle Gebühr schulde (OLG Bamberg OLGR 2001, 28; OLG Celle Rpfleger 2007, 151; OLG Düsseldorf MDR 1997, 1071; OLG Köln NJW-RR 1999, 725; OLG München MDR 1986, 857; OLG Stuttgart JurBüro 1997, 200; OLG Zweibrücken OLGR 2004, 139).
75
ee) Rechtsmittel von und gegen Streitgenossen Bei einfacher Streitgenossenschaft sind die Rechtsmittel einzelner Streitgenossen und gegen Streitge- 76 nossen gesondert zu beurteilen. Die Rechtsmittelfrist wird nicht durch das Rechtsmittel des anderen Streitgenossen gewahrt. Es muss daher auch klar zum Ausdruck gebracht werden, ob für einen oder mehrere Streitgenossen Rechtsmittel eingelegt wird. Bei Unklarheit kann die Auslegung ergeben, dass im Zweifel alle Streitgenossen Rechtsmittelgegner sind (BGH MDR 2010, 828). Bei notwendiger Streitgenossenschaft aufseiten der Rechtsmittelbeklagten muss das Rechtsmittel eben- 77 so wie die Klage gegen alle Streitgenossen gerichtet werden. Das nur gegen einen notwendigen Streitgenossen eingelegte Rechtsmittel wird unzulässig, sobald das angefochtene Urteil gegen den anderen Streitgenossen rechtskräftig wird (BGHZ 23, 74). Anders auf der Seite der Rechtsmittelkläger: Das Rechtsmittel eines einzelnen (notwendigen) Streitgenossen ist zulässig. Es kommt gem. § 62 Abs. 2 ZPO auch den anderen Streitgenossen zugute, weil sonst die Gefahr divergierender Entscheidungen gegen notwendige Streitgenossen bestünde. Die anderen Streitgenossen werden daher am Rechtsmittelverfahren beteiligt, ohne selbst Rechtsmittelkläger zu sein. 3. Partei in Sonderfällen als Kläger oder Beklagter a) BGB-Gesellschaft, BGB-Gesellschaft in Liquidation Für Klagen von und gegen BGB-Gesellschaften sind folgende Grundsätze maßgeblich: Im Gegensatz 78 zur früher vorherrschenden Auffassung kommt der (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts aktive und passive Parteifähigkeit zu, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet. Die Gesellschaft kann daher Prozesspartei sein (MDR 2001, 459; Zöller/Althammer § 50 ZPO Rz. 17 mwN). Geht es um eine Forderung oder Schuld der BGB-Gesellschaft, kann diese als Partei bezeichnet werden. Die Bezeichnung muss bestimmt genug sein. Zusätzliche Identitätsangaben zu den Gesellschafternamen sind zweckmäßig und jedenfalls dann unerlässlich, wenn dieselben Gesellschafter mehrere BGB-Gesellschaften nebeneinander betreiben. Im Aktivprozess der BGB-Gesellschaft ist die Vertretung der Gesellschaft anzugeben. Gesetzliche Ver- 79 treter sind nach § 714 BGB die geschäftsführenden Gesellschafter, im Zweifel alle Gesellschafter gemeinschaftlich. Notfalls ist der Prozesseintritt der fehlenden Gesellschafter und die Genehmigung der bisherigen Prozessführung erforderlich (BGH MDR 2010, 1269). Der Klageantrag lautet auf Leistung an die Gesellschaft, auch wenn sich die Gesellschafter persönlich am Aktivprozess beteiligen. Wenn sich der Beklagte vor Nachteilen bei der Kostenvollstreckung gegen die vermögenslose GbR schützen und einen Kostentitel gegen die Gesellschafter erlangen will, kann er Drittwiderklage gegen die Gesellschafter der klagenden GbR auf Duldung der Vollstreckung wegen der Kosten in das Privatvermögen Wiemer 213
ZPO
dd) Kostenerstattung und Prozesskostenhilfe
ZPO
Kap. 13 Rz. 80
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
erheben (Karsten Schmidt NJW 2001, 993, 1000; zu Einzelheiten Kemke NJW 2002, 2218). Auch im Aktivrubrum sollten die Gesellschafter aufgeführt werden, dies wegen der Neuregelung des § 47 Abs. 2 GBO seit 2009 jedenfalls dann, wenn eine Grundbucheintragung erstrebt wird (Scherer NJW 2009, 3063).
80 K
Wichtig: Für den Kläger ist es ratsam, den Passivprozess nicht nur gegen die BGB-Gesellschaft, sondern zugleich gegen die Gesellschafter zu führen, um auch gegen diese vollstrecken zu können. Es sollte durch eine präzise Parteibezeichnung ausdrücklich klargestellt werden, dass nicht lediglich die GbR als Gesellschaft verklagt wird. Umgekehrt ist darauf zu achten, dass die GbR als solche verklagt wird, wenn sie Rechtsträgerin ist, zB Eigentümerin (BGH MDR 2008, 514). Bei Vollstreckung in ein der GbR gehörendes Grundstück sind die im Grundbuch eingetragenen Gesellschafter im Titel anzugeben (BGH MDR 2011, 320).
81 Im Passivprozess muss zwischen der Gesellschaftsschuld und der persönlichen Haftung der Gesellschafter unterschieden werden. Sollten die Gesellschafter nur mit dem Gesellschaftsvermögen und nicht persönlich haften (vgl. dazu die notwendigen Voraussetzungen bei BGH MDR 2000, 94), kann nur Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen beansprucht werden. Lautet dennoch der Klageantrag im Passivprozess pauschal auf Verurteilung der Gesellschafter, kann dies in den seltenen Fällen des Ausschlusses der persönlichen Haftung zu einer Teilabweisung führen. Treten Gesellschafter unter der Firma einer in Wahrheit nicht bestehenden KG im Rechtsverkehr auf, ist das gegen diese ergangene Zahlungsurteil ein wirksamer Titel gegen die in Wahrheit bestehende BGB-Gesellschaft und deren Gesellschafter (BGH MDR 1980, 285).
82 Auch die BGB-Gesellschaft in Liquidation bleibt parteifähig und kann Ansprüche gegen Dritte als Prozesspartei geltend machen. Klagen der Gesellschafter untereinander auf Vornahme der Auseinandersetzung oder auf Leistung aus der Auseinandersetzung sind gegen die anderen Gesellschafter zu erheben. b) OHG, mit und ohne gleichzeitige Inanspruchnahme des Gesellschafters
83 Die OHG kann gem. § 124 HGB unter ihrer Firma klagen und verklagt werden, ist also als Partei des Gesellschaftsprozesses aufzuführen. Da gem. § 129 Abs. 4 HGB aus einem gegen die OHG erstrittenen Titel nicht gegen die Gesellschafter vollstreckt werden kann, ist zu überlegen, ob die Gesellschafter gleichzeitig in den Prozess einbezogen werden sollen. Allein aus beweistaktischen Gründen ist das nicht geboten, denn die vertretungsberechtigten Gesellschafter können ohnehin nicht als Zeugen, sondern nur als Partei vernommen werden (BGH MDR 1965, 26). Auf die Parteistellung der Gesellschaft ist es ohne Einfluss, wenn ein Gesellschafter ausscheidet und ein neuer eintritt (BGH NJW 1974, 338); eine Parteiänderung ist damit – anders als beim Übergang vom Gesellschaftsprozess zum Gesellschafterprozess (BGH MDR 1982, 220) – nicht verbunden.
84 Wird die OHG während des Prozesses aufgelöst, tritt sie in das Liquidationsstadium ein und bleibt Partei des Prozesses. Anderes gilt, wenn die OHG während des Verfahrens vollbeendigt und im Handelsregister gelöscht wird. Dann treten nicht automatisch die Gesellschafter als Partei in den Rechtsstreit ein, denn Gesellschaft und Gesellschafter sind verschiedene Prozesssubjekte. Der Kläger kann jene im Wege der Parteiänderung in das Verfahren ziehen oder stattdessen – da die Klage gegen die beendete OHG unzulässig geworden ist – den Rechtsstreit für erledigt erklären (BGH MDR 1982, 220). c) KG, mit und ohne gleichzeitige Inanspruchnahme des Komplementärs
85 Die KG ist wie die OHG selbst Partei des Prozesses. Soll der Titel auch gegen den Komplementär wirken, muss dieser auf der Passivseite gleichzeitig neben der KG in Anspruch genommen werden. Es gelten dieselben Grundsätze wie bei der OHG, aber anders als der Komplementär kann der Kommanditist im Rechtsstreit der Gesellschaft als Zeuge vernommen werden (BGH MDR 1965, 980).
214
Wiemer
Rz. 92 Kap. 13
Die KG verliert nicht bereits dadurch ihre Fähigkeit, Beklagte eines Rechtsstreits zu sein, dass das über ihr Vermögen eröffnete Insolvenzverfahren wegen Fehlens einer die Kosten deckenden Masse eingestellt wird, sondern erst mit ihrer Vollbeendigung (BGH MDR 1995, 163).
86
ZPO
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
d) Zweigniederlassungen Zweigniederlassungen sind nicht parteifähig, vielmehr richtet sich die Klage gegen den Träger des Unternehmens, wenn auch am Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO). Anders bei rechtlicher Selbständigkeit der Zweigniederlassung, wenn diese zB als voll beherrschte Tochter-GmbH des Unternehmensträgers organisiert ist. Dann kommt ihr ohnehin als juristischer Person Parteifähigkeit zu.
87
e) Partnerschaftsgesellschaft Die Partnerschaftsgesellschaft ist gem. § 7 PartGG, § 124 HGB wie die OHG aktiv und passiv partei- 88 fähig. Aus einem gegen die Partnerschaftsgesellschaft gerichteten Titel kann nicht gegen die Partner vollstreckt werden (§ 8 Abs. 1 PartGG, § 129 Abs. 4 HGB). Umgekehrt genügt ein Titel gegen die Partner nicht zur Vollstreckung in das Gesamthandsvermögen. f) EWIV Die als Handelsgesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs geltenden Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigungen sind eingetragene Gesellschaften, denen Parteifähigkeit zukommt. Denn gem. § 1 EWIV-Ausführungsgesetz (BGBl. I 1988, 514) gilt § 124 HGB für die EWIVentsprechend.
89
g) Vorgesellschaft Die Vorgesellschaft (zB einer GmbH, die Vor-GmbH oder GmbH i.G.) kann als notwendige Vorstufe zu der mit der Eintragung entstehenden juristischen Person als werdende Kapitalgesellschaft bereits ein eigenständiges, von ihren Gründern und Gesellschaftern verschiedenes körperschaftlich strukturiertes Rechtsgebilde mit eigenen Rechten und Pflichten sein (BGH MDR 1992, 654), zB als Partei eines Grundstückskaufvertrages. Der Vor-GmbH kommt die aktive Parteifähigkeit im Zivilprozess zu (BGH MDR 1998, 338). Das soll auch nach Rücknahme oder Aufgabe des Antrages auf Eintragung der GmbH gelten, wenn die Gesellschafter die Liquidation der Gesellschaft betreiben. Dann liegt eine BGB-Gesellschaft oder OHG vor, die die Parteiidentität bestehen lässt; auch wird das Verfahren nicht entsprechend §§ 241 Abs. 1, 246 Abs. 1 ZPO durch den Wegfall des organschaftlichen Vertreters unterbrochen, wenn die Gesellschaft durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Die diesem erteilte Prozessvollmacht besteht nach § 86 ZPO fort (BGH MDR 2008, 808).
90
h) Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Die Arbeitsgemeinschaft der öffentliche-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutsch- 91 land (ARD), ein Zusammenschluss juristischer Personen des öffentlichen Rechts, nämlich der Landesrundfunkanstalten und der Deutschen Welle, einer Anstalt des Bundesrechts, stellt weder eine rechtsfähige und nach § 50 Abs. 1 ZPO parteifähige (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar, noch ist sie in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 2 ZPO als parteifähig anzusehen. Vielmehr ist sie als nicht rechtsfähige öffentlich rechtliche Gemeinschaftsform nicht parteifähig (BGH MDR 2015, 1314). i) Erbengemeinschaft Der Erbengemeinschaft kommt keine eigene Rechtspersönlichkeit und damit auch keine Parteifähigkeit zu (BGH MDR 2007, 340). In einem Prozess unter Beteiligung der vollständigen Gemeinschaft auf Kläger- oder Beklagtenseite sind die Miterben selbst Partei. Wiemer 215
92
Kap. 13 Rz. 93
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
j) Wohnungseigentümergemeinschaft
93 Hier ist die Änderung der Rechtslage durch § 10 Abs. 6 WEG zu beachten (s. dazu auch Kap. 87 Rz. 20). Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist teilrechtsfähig und damit auch parteifähig, soweit sie zur Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnimmt (BGH MDR 2005, 1157 sowie BGH WuM 2016, 187; Jennißen/Grziwotz/Jennißen, WEG, § 10 Rz. 53, 78; s. auch Kap. 87). Die Klage ist von der Gemeinschaft zu erheben oder gegen diese zu richten. Das gilt bei Wahrnehmung von Rechten und Pflichten im Außenverhältnis. Vertragspartner von Aufträgen an Dritte wird die Wohnungseigentümergemeinschaft. Ob auch der einzelne Wohnungseigentümer Vertragspartner geworden ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Bei Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht haftet sie als Verband (OLG München NZM 2006, 110). Vertreter der Wohnungseigentümergemeinschaft ist der Verwalter gem. § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG.
94 Die insoweit teilrechtsfähige Gemeinschaft ist auch parteifähig und aktivlegitimiert für die Verfolgung von Forderungen gegen Wohnungseigentümer, wie zB Wohngeldansprüche.
95 Beschlussanfechtungen sind nicht gegen die Gemeinschaft, sondern gegen die anderen Wohnungseigentümer zu richten (BGH MDR 2005, 1157). k) Eingetragener Verein
96 Hat der Verein selbständige Untergliederungen, kommen diese als Partei in Betracht; Untergliederungen eines rechtsfähigen Vereins können die Rechtsform eines nichtrechtsfähigen Vereins haben, wenn sie auf Dauer Aufgaben nach außen im eigenen Namen durch eine handlungsfähige Organisation wahrnehmen, und dann als solche verklagt werden, zB eine Ortsgruppe der DLRG (BGH MDR 1984, 737).
97 Der eingetragene Verein ist partei- und prozessfähig, solange seine Löschung im Vereinsregister nicht erfolgt ist. Er verliert die Parteifähigkeit erst nach Beendigung der Liquidation (BGH MDR 1979, 822). l) Nichtrechtsfähiger Verein
98 Der nichtrechtsfähige Verein ist gem. § 50 Abs. 2 ZPO aktiv und passiv parteifähig. Vor der zum 30.9.2009 (BGBl. I 2009, 3147) erfolgten Gesetzesänderung waren bereits die als nichtrechtsfähige Vereine organisierten Gewerkschaften (BGH MDR 1965, 34; BGHZ 50, 325) und die politischen Parteien (vgl. § 3 Satz 1 PartG) aktiv parteifähig. m) GmbH in Liquidation, gelöschte GmbH, GmbH ohne Geschäftsführer
99 Eine GmbH bleibt auch dann noch aktiv und passiv parteifähig, wenn sie sich in Liquidation befindet, auch nach Ablehnung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (BGHZ 94, 105 = MDR 1985, 757). Sogar nach Beendigung der Liquidation und Löschung wegen Vermögenslosigkeit kann noch aktive oder passive Parteifähigkeit der GmbH fortbestehen, wenn noch verwertbares Vermögen, in das vollstreckt werden kann, vorhanden ist (BGH MDR 2015, 780) oder zumindest substantiiert behauptet wird (BGH MDR 2011, 56). Denn der Gesellschaft soll die Möglichkeit eröffnet bleiben, Rechte durchzusetzen oder nicht entstandene Ansprüche abzuwehren (BGH NJW-RR 1994, 542).
100 Die GmbH, deren einziger Geschäftsführer sein Amt niedergelegt hat, ist parteifähig, aber aufgrund des Verlustes ihres gesetzlichen Vertreters nicht mehr prozessfähig, woran auch die Regelung in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nichts ändert (BGH MDR 2011, 56).
216
Wiemer
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
Rz. 109 Kap. 13
Ausländische Kapitalgesellschaften wie zB eine Ltd. Company bleiben auch nach Löschung im Gründungsstaat im Inland als Personengesellschaft parteifähig, wenn sie ihre Geschäftstätigkeit in Deutschland fortsetzen (OLG Celle NJW-RR 2012, 1065). Nach anderer Auffassung (OLG Brandenburg MDR 2016, 1273 mwN) besteht eine im Gründungsstaat gelöschte Limited in Deutschland als juristische Person („Restgesellschaft“) fort und wird nicht zur BGB-Gesellschaft oder OHG, solange sie inländisches Vermögen besitzt.
101
o) Testamentsvollstrecker Der Testamentsvollstrecker ist Partei kraft Amtes und daher im Rahmen der ihm obliegenden Aufgaben selbst Partei des Aktivprozesses, den er für den Nachlass führt. Er tritt nicht etwa als Vertreter der Erben auf. Ist der Testamentsvollstrecker zur Verwaltung des gesamten Nachlasses befugt, kann die Klage gegen den Nachlass zB aufgrund von Nachlassverbindlichkeiten auch gegen den Testamentsvollstrecker geführt zu werden, so dass er in seiner Funktion auch passiv parteifähig ist.
102
p) Insolvenzverwalter, Sequester, Zwangsverwalter Diese sind als Parteien kraft Amtes selbst Partei in dem für oder gegen das von ihnen verwaltete Ver- 103 mögen geführten Rechtsstreit (Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 19). Die Klage erheben sie daher im eigenen Namen in ihrer Eigenschaft als Insolvenz- oder Zwangsverwalter. Im Passivprozess ist der Verwalter als Partei zu verklagen. Die Parteibezeichnung ist stets mit einem klarstellenden Funktionszusatz zu versehen, so zB „als Insolvenzverwalter über das Vermögen der XY-GmbH“ oder „als Zwangsverwalter des Grundstücks“. Zu beachten sind die Grenzen der Prozessführungsbefugnis, die sich aus dem gesetzlichen Auftrag des klagenden Verwalters und seiner Aufgabe ergeben (vgl. BGH MDR 1992, 1082; OLG Celle OLGR 1997, 241). Diese Grenzen sind insbesondere beim Sequester sehr eingeengt (vgl. OLG Hamburg ZIP 1987, 385); das gilt auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter.
104
Im laufenden Rechtsstreit wird der Insolvenzverwalter bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht erst seit Aufnahme des Rechtsstreits verfahrensrechtlich als Rechtsnachfolger des Gemeinschuldners Prozesspartei (BGH MDR 1997, 494 für den Konkursverwalter).
105
Fällt ein ausländisches Unternehmen während des Prozesses in Konkurs, ist von dem sodann als Partei auftretenden ausländischen Konkursverwalter darzulegen, dass er berechtigt ist, die Forderung als Partei im eigenen Namen geltend zu machen (BGH MDR 1988, 490).
106
Ein Wechsel des Insolvenzverwalters während des Prozesses macht keinen Parteiwechsel, sondern nur eine Anpassung des Rubrums erforderlich.
107
q) Partei kraft Amtes bei gleichzeitiger persönlicher Inanspruchnahme Wenn jemand in einem Rechtsstreit sowohl Ansprüche als Partei kraft Amtes als auch persönliche Ansprüche geltend macht oder wenn er als Partei kraft Amtes persönlich in Anspruch genommen wird, handelt es sich prozessual um mehrere Parteien (BGH NJW-RR 1990, 318) und damit um einen Fall der Streitgenossenschaft.
108
r) Landesverbände von Parteien Diese sind als Gebietsverbände wie der Bundesverband selbst aktiv oder passiv parteifähig (§ 3 PartG), soweit sich aus dem Organisationsstatut der Partei keine Einschränkung ergibt (BGH MDR 1979, 734). Wiemer 217
109
ZPO
n) Ausländische Kapitalgesellschaften nach Löschung
Kap. 13 Rz. 110
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
s) Nasciturus
110 Der Leibesfrucht wird eine beschränkte Parteifähigkeit zuerkannt, soweit es um die Verfolgung ihrer Rechte geht, beispielsweise als Erbe oder Miterbe (§§ 1923 Abs. 2, 2043 BGB). Ihre Vertretung im Prozess erfolgt durch die Eltern oder im Bedarfsfall durch einen Pfleger (§ 1912 BGB). Zu Vaterschaftsfeststellungsklagen vor der Geburt des Kindes; s. auch Kap. 128 Rz. 190 aE). t) Namentlich nicht bekannte Anspruchsinhaber und -gegner
111 Diese können im Rechtsstreit als Partei auftreten (vgl. aber zur Unzulässigkeit eines „Titels gegen Unbekannt“ BGH MDR 2018, 174). Sie werden im Prozess durch einen Pfleger vertreten, der nicht selbst Partei ist, sondern die Anspruchsgegner vertritt. So führt der Nachlasspfleger den Prozess nicht als Partei kraft Amtes, sondern als Vertreter der unbekannten Erben.
Kapitel 14 Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft I. Prozessführungsbefugnis und Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 14.1 Ausübung eines Gestaltungsrechts durch einen Teilberechtigten . . . . . II. Gesetzliche Prozessstandschaft . . . . . . . . . M 14.2 Klage des Testamentsvollstreckers . . M 14.3 Klage des Schuldners bei Pfändung und Überweisung . . . . . . . . . . . . . III. Prozessführungsbefugnis im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wohnungseigentum (BGH NJW 2007, 1952) . . . . . . . 1. Gemeinschaftseigentum . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sondereigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prozessuale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . .
1 4 23 27 31
36 36 38 39 39
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirksame Ermächtigung . . . . . . . . . . . b) Besonderes schutzwürdiges Interesse an Fremdprozessführung . . . . . . . . . . . . . . c) Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine entgegenstehenden schutzwürdigen Belange des Beklagten . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 14.4 Klage eines gewillkürten Prozessstandschafters . . . . . . . . . . . . . . . . V. § 265 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 14.5 Übernahme des Prozesses durch den Rechtsnachfolger . . . . . . . . . .
40 40 40 46 52 53 57 61 63 75
I. Prozessführungsbefugnis und Prozessstandschaft 1 Die Prozessführungsbefugnis ist eine auf die Partei selbst zu beziehende, von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage. Sie muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen; selbst im Revisionsverfahren können insoweit noch Tatsachen vorgetragen werden, wenn sie bereits zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben (BGH NJW-RR 2006, 138). Für die Klage hat die Verfügungsbefugnis als materiell-rechtliche Vorfrage dieselbe Bedeutung wie für die Partei- und Prozessfähigkeit materiell-rechtlich die Rechts- und Geschäftsfähigkeit (BGHZ 31, 279, 281). Die Prozessführungsbefugnis ist daher regelmäßig unproblematisch, wenn der unmittelbar und allein Berechtigte aus einem behaupteten Rechtsverhältnis prozessiert. Anders ist es, sobald der Kläger nach seinem Vorbringen ein fremdes oder ein nur teilweise ihm zustehendes Recht geltend macht (typische Fälle der Teilberechtigung behandelt Wieser JuS 2000, 997). In diesem Fall spricht man von Prozessstandschaft, die jeweils eine besondere Rechtfertigung verlangt genauso wie die Rechtshandlung eines an sich Rechtsunzuständigen.
218
Wiemer/Jaspersen
Kap. 13 Rz. 110
Rubrum, Parteifähigkeit, Partei, Streitgenossen
ZPO
s) Nasciturus
110 Der Leibesfrucht wird eine beschränkte Parteifähigkeit zuerkannt, soweit es um die Verfolgung ihrer Rechte geht, beispielsweise als Erbe oder Miterbe (§§ 1923 Abs. 2, 2043 BGB). Ihre Vertretung im Prozess erfolgt durch die Eltern oder im Bedarfsfall durch einen Pfleger (§ 1912 BGB). Zu Vaterschaftsfeststellungsklagen vor der Geburt des Kindes; s. auch Kap. 128 Rz. 190 aE). t) Namentlich nicht bekannte Anspruchsinhaber und -gegner
111 Diese können im Rechtsstreit als Partei auftreten (vgl. aber zur Unzulässigkeit eines „Titels gegen Unbekannt“ BGH MDR 2018, 174). Sie werden im Prozess durch einen Pfleger vertreten, der nicht selbst Partei ist, sondern die Anspruchsgegner vertritt. So führt der Nachlasspfleger den Prozess nicht als Partei kraft Amtes, sondern als Vertreter der unbekannten Erben.
Kapitel 14 Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft I. Prozessführungsbefugnis und Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 14.1 Ausübung eines Gestaltungsrechts durch einen Teilberechtigten . . . . . II. Gesetzliche Prozessstandschaft . . . . . . . . . M 14.2 Klage des Testamentsvollstreckers . . M 14.3 Klage des Schuldners bei Pfändung und Überweisung . . . . . . . . . . . . . III. Prozessführungsbefugnis im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wohnungseigentum (BGH NJW 2007, 1952) . . . . . . . 1. Gemeinschaftseigentum . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sondereigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prozessuale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . .
1 4 23 27 31
36 36 38 39 39
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirksame Ermächtigung . . . . . . . . . . . b) Besonderes schutzwürdiges Interesse an Fremdprozessführung . . . . . . . . . . . . . . c) Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine entgegenstehenden schutzwürdigen Belange des Beklagten . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 14.4 Klage eines gewillkürten Prozessstandschafters . . . . . . . . . . . . . . . . V. § 265 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 14.5 Übernahme des Prozesses durch den Rechtsnachfolger . . . . . . . . . .
40 40 40 46 52 53 57 61 63 75
I. Prozessführungsbefugnis und Prozessstandschaft 1 Die Prozessführungsbefugnis ist eine auf die Partei selbst zu beziehende, von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage. Sie muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen; selbst im Revisionsverfahren können insoweit noch Tatsachen vorgetragen werden, wenn sie bereits zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben (BGH NJW-RR 2006, 138). Für die Klage hat die Verfügungsbefugnis als materiell-rechtliche Vorfrage dieselbe Bedeutung wie für die Partei- und Prozessfähigkeit materiell-rechtlich die Rechts- und Geschäftsfähigkeit (BGHZ 31, 279, 281). Die Prozessführungsbefugnis ist daher regelmäßig unproblematisch, wenn der unmittelbar und allein Berechtigte aus einem behaupteten Rechtsverhältnis prozessiert. Anders ist es, sobald der Kläger nach seinem Vorbringen ein fremdes oder ein nur teilweise ihm zustehendes Recht geltend macht (typische Fälle der Teilberechtigung behandelt Wieser JuS 2000, 997). In diesem Fall spricht man von Prozessstandschaft, die jeweils eine besondere Rechtfertigung verlangt genauso wie die Rechtshandlung eines an sich Rechtsunzuständigen.
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Wiemer/Jaspersen
M 14.1
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
Rz. 7 Kap. 14
Wichtig: Ein häufiger Fehler liegt darin, dass ein nur Teilberechtigter – und sei es durch seinen beauftragten Rechtsanwalt – vorprozessual, aber auch im Prozess selbst eine materiell-rechtliche Willenserklärung abgibt, die wegen fehlender alleiniger Verfügungsbefugnis des Teilberechtigten unwirksam und nur mit Wirkung ex nunc heilbar ist mit der Konsequenz, dass uU eine wesentliche Frist versäumt ist (zB BGH NJW 2000, 506, 507 zum Setzen einer Nachfrist gem. § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB aF durch einen Miterben zur Erfüllung eines Kaufpreisanspruchs, der der Erbengemeinschaft zusteht).
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K
Praxistipp: Der Rechtsanwalt muss schon im vorprozessualen Stadium darauf achten, eine etwaige Teilberechtigung zu prüfen und seine Befugnis darzutun, in Bezug auf das gesamte Recht Erklärungen abgeben zu dürfen.
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M 14.1 Ausübung eines Gestaltungsrechts durch einen Teilberechtigten
ZPO
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… Sehr geehrter Herr Merz, Herr Tönnies hat mich beauftragt, seine Interessen in Bezug auf den o.g. Mietvertrag wahrzunehmen. Eine Vollmacht liegt diesem Schreiben bei. Sie haben von meinem Mandanten und seinen Miteigentümern Herrn Dr. Gross und Herrn Fabian das Betriebsgrundstück mit o.g. Vertrag gemietet. Mit diesem Schreiben macht mein Mandant fristgerecht aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzungen über die zulässige Nutzung des Grundstücks von seinem vertraglichen Kündigungsrecht in § 6 des o.g. Mietvertrages Gebrauch. Die Miteigentümer haben dieser Kündigung zugestimmt. Ihre entsprechenden Erklärungen füge ich diesem Schreiben bei. …
Eine Prozessstandschaft kann sich aus dem Gesetz (gesetzliche Prozessstandschaft) oder einer Ermächtigung (gewillkürte Prozessstandschaft) ergeben. Bei einer zulässigen Prozessstandschaft ist der Rechtsträger prozessrechtlich als Dritter anzusehen. Im Weiteren ergeben sich folgende wichtige, den Prozess selbst betreffende Fragen, bei deren Beantwortung grundsätzlich, aber nicht ausnahmslos (vgl. MüKo.ZPO/Lindacher vor § 50 ZPO Rz. 71 mwN) auf den Prozessstandschafter und nicht auf den Rechtsträger abzustellen ist:
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(1) Ist im Rahmen der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit auf die Person des Rechtsträgers oder des 6 Prozessstandschafters abzustellen? Die Parteistellung hat der Prozessstandschafter. Soweit es für die örtliche Zuständigkeit auf den Kläger ankommt, ist auf die Person des Prozessstandschafters abzustellen, was auch für die Partei kraft Amtes gilt (Musielak/Voit/Heinrich § 12 ZPO Rz. 3–4; str.). Abweichend von diesem Grundsatz bestimmt § 19a ZPO für massebezogene Passivprozesse gegen den Insolvenzverwalter (nicht aber Aktivprozesse des Insolvenzverwalters) einen (nicht ausschließlichen) allgemeinen Gerichtsstand am Sitz des Insolvenzgerichts (§§ 2, 3 InsO). (2) Sind für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Rechtsträgers oder des Prozessstandschafters entscheidend? Die Antwort auf diese Frage ist besonders wichtig, wenn durch einen ordnungsgemäßen und insbesondere vollständigen Prozesskostenhilfeantrag eine Frist gewahrt werden soll. Bei gewillkürter Prozessstandschaft gilt der Grundsatz, dass nicht nur der Prozessstandschafter hilfsbedürftig sein muss, sondern auch der Rechtsträger (BGH v. 16.2.2017 – V ZA 31/16; BGH NJW-RR 2014, 526 Rz. 9), es sei denn, der Rechtsträger hat kein Interesse an der Rechtsverfolgung (OLG Celle NJW 1987, 783). Bei gesetzlicher Prozessstandschaft beinhaltet § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO für die Partei kraft Amtes eine wichtige Sonderregelung. Im Übrigen hat sich in der Rechtsprechung eine differenzierte Kasuistik herausgebildet. Wenn überhaupt, lässt sich der Grundsatz (vgl. BGH VersR 1992, 594) aufstellen, dass auf die Verhältnisse des Prozessstandschafters abzustellen ist und nicht auf die des Rechtsinhabers (zB BGH MDR 2005, 928 Jaspersen 219
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ZPO
Kap. 14 Rz. 8
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
für eine Unterhaltsklage des Ehegatten in gesetzlicher Prozessstandschaft gem. § 1629 Abs. 3 ZPO). Bei der Klage eines Mitglieds einer Personengemeinschaft (zB eines Miterben gem. § 2039 BGB) kommt es hingegen auf die Verhältnisse der Personengemeinschaft an (BGH VersR 1984, 989).
8 (3) Kann der Rechtsträger Zeuge sein? Partei ist nur der den Prozess Führende. Der Rechtsträger kann mithin Zeuge sein. Deshalb kann auch durch eine gewillkürte Prozessstandschaft (s. Rz. 57) umgangen werden, dass der Rechtsträger als eigentliche Partei als Zeuge ausgeschlossen ist. Die Korrektur erfolgt über die Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) und durch die Möglichkeit, die gegnerische Partei anzuhören und das sich hieraus ergebende Ergebnis gem. § 286 ZPO zu berücksichtigen.
9 (4) Wie wirkt sich der Tod oder sonstige Wegfall des Prozessstandschafters aus, wenn die Prozessstandschaft als solche unberührt bleibt? Beim Tod eines Amtswalters (ebenso wie bei seiner Abberufung) ist es gerechtfertigt, §§ 241 Abs. 1, 246 ZPO analog anzuwenden (BGH MDR 2011, 948; aA für die Zwangsverwaltung Stöber § 152 14.6). Beim Tod eines gewillkürten Prozessstandschafters ist zwar eine Analogie zu § 239 ZPO praxisgerecht, wenn die Prozessstandschaft infolge des Todes des Prozessstandschafters gem. §§ 168 Satz 1, 673 BGB endet (Stein/Jonas/Roth § 239 ZPO Rz. 9), wird von der Rechtsprechung aber zugunsten einer Lösung über den Parteiwechsel analog §§ 263 ff. ZPO abgelehnt (BGH MDR 1993, 1009; vgl. Rz. 12). Zum Tod eines Prozessstandschafters gem. § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO vgl. Rz. 81.
10 (5) Wie wirkt sich die Insolvenz des Prozessstandschafters aus, wenn die Prozessstandschaft als solche unberührt bleibt? Die Insolvenz einer Partei kraft Amtes unterbricht den Rechtsstreit nicht gem. § 240 ZPO, weil die Insolvenz nicht das verwaltete Vermögen betrifft (allg. Ansicht). Bei der gewillkürten Prozessstandschaft wird der Rechtsstreit nur unterbrochen, wenn der Ausgang des Rechtsstreits jedenfalls mittelbaren Einfluss auf das der Insolvenz unterfallende Vermögen des Prozessstandschafters hat (vgl. OLG Rostock ZInsO 2004, 1148).
11 (6) Welche Konsequenzen hat ein Ende der Prozessstandschaft für den Prozess? Die Antwort ist für die Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfristen sowie für die Aktiv- bzw. Passivlegitimation des Prozessstandschafters wichtig.
12 Endet eine gewillkürte Prozessstandschaft (vgl. hierzu Rz. 43), werden unter Ablehnung einer analogen Anwendung der §§ 239 Abs. 1, 265 Abs. 2 ZPO die Grundsätze des gewillkürten Parteiwechsels herangezogen (BGH MDR 1993, 1009 für den ersatzlosen Wegfall der Prozessstandschaft infolge Todes des Prozessstandschafters und – obiter dictum – für den abberufenen Prozessstandschafter; str.). Der Rechtsträger muss den Rechtsstreit aufnehmen und die weiterlaufenden Fristen beachten. Verweigert der Prozessgegner der Prozessaufnahme die Zustimmung, nachdem zur Sache verhandelt worden ist (§ 269 Abs. 1 ZPO), kommt es darauf an, ob sie sachdienlich ist (BGH MDR 2010, 1031).
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Wichtig: Wird über das Vermögen des Rechtsträgers das Insolvenzverfahren eröffnet, erlischt die von ihm erteilte Ermächtigung zur Prozessführung grundsätzlich kraft Gesetzes (vgl. §§ 115 Abs. 1, 117 Abs. 1 InsO, § 168 Satz 1 BGB). Sie gilt nur entsprechend den Voraussetzungen der §§ 115 Abs. 2 Satz 1 und 2, 117 Abs. 2 InsO, § 672 Satz 2 BGB (Gefahr im Verzuge) oder §§ 115 Abs. 3 Satz 1, 117 Abs. 3 InsO, § 674 BGB (Unkenntnis des Prozessführers von der Verfahrenseröffnung) als fortbestehend (BGH NJW 2000, 738, 739; str.).
14 Bei der gesetzlichen Prozessstandschaft fällt mit dem Ende des Amtes infolge Aufhebung des Insolvenz- bzw. Nachlassverfahrens, der Zwangsverwaltung oder Testamentsvollstreckung die Prozessführungsbefugnis grundsätzlich an den Rechtsinhaber; anders ist es bei einer nachwirkenden Prozessführungsbefugnis zur Abwicklung des Amts (BGH NJW 1990, 1213, 1214 für eine Zwangsverwaltung) oder bei einer gesonderten Ermächtigung des vormaligen Amtsträgers zur weiteren Prozessführung (etwa im Rahmen eines Insolvenzplans gem. § 259 Abs. 3 InsO). Eine Analogie zu § 265 Abs. 2 ZPO wird überwiegend abgelehnt (BGH ZInsO 2008, 1017, 1018 mwN; aA OLG Köln BauR 2013, 826 für eine Freigabe). Streitig ist, ob das Verfahren analog § 239 ZPO unterbrochen wird (MüKo.ZPO/Gehr220
Jaspersen
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
Rz. 20 Kap. 14
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ZPO
lein § 239 ZPO Rz. 14 mwN; BFH v. 3.7.2000 – VIII R 68/95; BGH NJW 1963, 2301 für die Testamentsvollstreckung) oder der geänderten Prozesssituation durch einen gewillkürten Parteiwechsel Rechnung zu tragen ist, um eine Abweisung der Klage zu vermeiden (BGH NJW-RR 2003, 1419 für die Zwangsverwaltung; BGH ZInsO 2008, 1017 f.). Praxistipp: Angesichts dieser Unklarheiten empfiehlt sich sowohl für den Prozessstandschafter wie für den Rechtsträger, nicht auf eine Unterbrechung zu vertrauen und laufende Fristen zu beachten.
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(7) Wie ist zu verfahren, wenn sich im Laufe des Prozesses die Unzulässigkeit der Prozessstandschaft herausstellt? In der Regel ist an eine (nachträgliche) Vollzession zu denken oder ein Klägerwechsel im Wege eines gewillkürten Parteiwechsels anzustreben. Auf diese Möglichkeit muss das Gericht von sich aus hinweisen (BGH DB 2002, 2526, 2527). Der Parteiwechsel ist auch schon nach Einlegung der Berufung und vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zulässig (BGH MDR 2003, 1054, 1055).
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(8) Wirken Rechtshängigkeit und Rechtskraft für und gegen den Rechtsträger? Bei offengelegter Prozessstandschaft wird diese Wirkung aus der Ermächtigung hergeleitet (BGH NJW 1988, 1585, 1586). Bei gesetzlicher Prozessstandschaft folgt sie zT aus dem Gesetz (§§ 265 Abs. 3, 325, 327 ZPO; §§ 407 Abs. 2, 1629 Abs. 3 Satz 2 BGB), zT aus der Erwägung, dass der Prozessstandschafter kraft Amtes unter Ausschluss des Rechtsträgers verfügungsbefugt ist (vgl. Thomas/Putzo § 51 ZPO Rz. 24 aE). Im Übrigen wird eine Rechtskrafterstreckung abgelehnt! Im gleichen Umfang ist ein Prozessvergleich für den Rechtsträger bindend, was allerdings strittig ist (Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 29, 51 mwN) und eine Zustimmung des Rechtsträgers sinnvoll macht.
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Praxistipp: Eine Streitverkündung kann diese Lücke schließen ebenso wie eine sogenannte Drittwiderklage in Gestalt einer Feststellungsklage.
(9) Wer ist zur Zwangsvollstreckung berechtigt? Dem Prozessstandschafter obliegt grundsätzlich 19 auch die Zwangsvollstreckung. Er kann sogar – ungeachtet des Grundsatzes des § 1115 BGB, dass der Gläubiger auch materiell-berechtigter Forderungsinhaber sein muss – als Vollstreckungsgläubiger die Eintragung einer Zwangshypothek erwirken (BGH MDR 2002, 24 ff.). Fällt die Prozessstandschaft ersatzlos weg, kann der Prozessgegner sich gegen eine Vollstreckung aus dem Titel mit einer Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) wehren; der Rechtsträger kann eine Titelumschreibung analog §§ 727, 728 Abs. 2 ZPO erwirken, soweit eine Rechtskrafterstreckung gegeben ist (vgl. Becker-Eberhard ZZP 104 [1991], 413 f. mwN).
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Wichtig: Praxisrelevant ist die materiell-rechtliche Frage, ob und unter welchen Voraussetzun- 20 gen die Klageerhebungdurch einen Prozessstandschafter gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung hemmen kann. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB stellt zwar nicht mehr im Wortlaut (anders noch § 209 Abs. 1 BGB aF), wohl aber der Sache nach auf die Klageerhebung durch den Berechtigten ab (BGH NJW 2010, 2270 Rz. 38). Berechtigter in diesem Sinne ist neben dem ursprünglichen Rechtsinhaber und seinem Rechtsnachfolger auch der gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschafter (BGH MDR 1999, 1437), ausnahmsweise auch der Teilberechtige (MüKo.BGB/Gergen § 2039 BGB Rz. 20 für eine Klage des Miterben mwN). Der gewillkürte Prozessstandschafter kann Berechtigter sein, wenn er wirksam ermächtigt worden ist und unter Berufung auf die Ermächtigung zum Ausdruck bringt oder sich Entsprechendes aus den Umständen eindeutig ergibt, dass er ein fremdes Recht geltend macht (st. Rspr.; vgl. BGH ZLR 2014, 162 Rz. 36). Solange es an einer Ermächtigung fehlt, wird die Verjährung nicht gehemmt; weder eine Abtretung noch ein Parteiwechsel noch eine nachträgliche Genehmigung der Prozessführung kann dann an einer eingetretenen Verjährung etwas ändern, weil § 185 Abs. 2 BGB auch keine analoge Anwendung findet (BGH NVwZ 2011, 1150 Rz. 35). Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass die erst im Laufe des Prozesses offengelegte Prozessstandschaft die Verjährungsfrist rückwirkend hemmt (aA Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 43). Für die Verjährungshemmung durch Beantragung eines Mahnbescheids (BGH MDR 1999, 1437) und die Jaspersen 221
Kap. 14 Rz. 21
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
ZPO
Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens (BGHR 2003, 1318, 1319) gilt insoweit das Gleiche. Der Offenlegung bedarf es nur bei einer Klage des Sicherungsgebers nach erfolgter stiller Sicherungszession nicht (BGH ZIP 1997, 927, 928). Ob die gewillkürte Prozessstandschaft im Übrigen den prozessrechtlichen Grundsätzen genügt, insbesondere ob ein schutzwürdiges Interesse an der Fremdprozessführung besteht, ist für § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB unerheblich (BGH NJW 1980, 2461; aA MüKo.ZPO/Lindacher vor § 50 ZPO Rz. 73 mwN). Bei der gesetzlichen Prozessstandschaft verhält es sich entsprechend. In jedem Fall ist zu beachten, dass nur der von der Ermächtigung oder der Mitberechtigung gedeckte Klageantrag Hemmungswirkung hat.
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Praxistipp: Da eine rückwirkende Heilung analog § 185 Abs. 1 BGB durch Umstellung des Klageantrages ausscheidet, empfiehlt es sich, bei der Klagebegründung besonderes Augenmerk auf den Umfang der Prozessführungsbefugnis und die Formulierung des Klageantrages zu legen. Im Zweifelsfall sollte neben der Leistung an den Rechtsträger hilfsweise Leistung an sich selbst verlangt werden.
22 Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die Frage, wem gegenüber Ausschlussfristen zu setzen sind (MüKo.ZPO/Lindacher vor § 50 ZPO Rz. 73 aE).
II. Gesetzliche Prozessstandschaft 23 Als bedeutendstes Beispiel ist die Parteistellung kraft Amtes zu nennen. Eine solche haben inne der Testamentsvollstrecker, der Nachlassverwalter, der Zwangsverwalter und der Insolvenzverwalter (vgl. hierzu auch Kap. 13 Rz. 102 ff.). Die Verwaltung darf im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit noch nicht beendet sein (BGH MDR 2005, 1306 zur Zwangsverwaltung) und muss bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz fortdauern (BGH ZInsO 2008, 1017).
24 Der nur mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht prozessführungsbefugt. Das Insolvenzgericht kann ihn jedoch ermächtigen, zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens Prozesse zu führen. Eine solche Anordnung kann nicht allgemein, sondern nur im Wege der Einzelanordnung mit oder nach Erlass eines besonderen Verfügungsverbots bezüglich des hiervon betroffenen Vermögensgegenstandes ergehen (BGH MDR 2012, 607). In Fällen, in denen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht abgewartet werden kann, ohne Gefahr zu laufen, dass unaufschiebbare Maßnahmen der Sicherung und Erhaltung der Masse versäumt werden, kommt auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter ausnahmsweise eine beschränkte Prozessführungsbefugnis zu (vgl. BGH MDR 2000, 974, 975; OLG Hamm v. 22.2.2002 – 8 U 97/01 zum früheren Sequester). Ein solcher Fall ist zB anzunehmen, wenn gegen eine den Schuldner benachteiligende Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden muss, um zu verhindern, dass diese bestandskräftig wird. Die Prozessführungsbefugnis endet unmittelbar mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und geht auf den endgültigen Insolvenzverwalter über; dieser sollte den Prozess aufnehmen und nicht auf eine Unterbrechung vertrauen (vgl. Rz. 14 ff.).
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Wichtig: Da Prozessführungsbefugnis und Verwaltungsbefugnis gleichlaufen, ist stets die Frage zu prüfen, ob das geltend gemachte Recht noch von der Verwaltungsbefugnis umfasst ist (vgl. für die Testamentsvollstreckung BGH NJW 1998, 1313 ff.; für § 1629 Abs. 3 BGB vgl. OLG Naumburg FamRZ 2003, 1115, 1116; für die Zwangsverwaltung BGH MDR 2005, 474). Eine Prozessführungsbefugnis ist auch immer dann ausgeschlossen, wenn der Prozessstandschafter selbst Schuldner der fraglichen Forderung ist (BGH MDR 2003, 284).
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Praxistipp: Ein Titel gegen die Partei kraft Amtes berechtigt nur zur Vollstreckung in das der Verwaltung unterworfene Vermögen. Deshalb ist – soweit auch eine weitergehende Haftung des Rechtsträgers persönlich in Betracht kommt – eine parallele Klage gegen ihn ins Auge zu fassen
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M 14.2
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
Rz. 29 Kap. 14
M 14.2 Klage des Testamentsvollstreckers
ZPO
(vgl. BGHZ 104, 1 ff. für die Testamentsvollstreckung), wobei dies auch im Wege der Klagenhäufung im selben Prozess möglich ist (vgl. Kap. 16 sowie Kap. 13 Rz. 108).
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An das Landgericht … Klage In der Sache des Rechtsanwalts Dr. K. … als Testamentsvollstrecker über den Nachlass des am … verstorbenen Bauunternehmers O … gegen Frau Dr. F. … erhebe ich namens des Klägers Klage und werde beantragen: … Begründung: Am … ist der Bauunternehmer O … verstorben. Durch Testament vom … ist der Kläger zum Testamentsvollstrecker bestimmt worden. Beweis: Testament vom … Der Kläger hat das Amt angenommen. Beweis: Testamentsvollstreckerzeugnis vom … Zur Sache trage ich wie folgt vor: Zum Nachlass gehört die streitgegenständliche Werklohnforderung … Kosten: Gericht: Es gelten keine kostenrechtlichen Besonderheiten. Anwalt: Für den Rechtsanwalt als Testamentsvollstrecker ist das RVG grundsätzlich nicht anwendbar (§ 1 Abs. 2 Satz 1 RVG); er kann jedoch unter besonderen Voraussetzungen für die Prozessführung eine Vergütung nach dem RVG fordern (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Raabe, 23. Aufl., RVG, § 1 Rz. 520 ff.).
Eine gesetzliche Prozessstandschaft ergibt sich darüber hinaus aus Normen, kraft derer über fremde Rechte verfügt oder wenigstens mitbestimmt werden darf. Solche Normen finden sich im allgemeinen Schuldrecht (§ 432 Abs. 1 BGB), im Gemeinschaftsrecht (§ 744 Abs. 2 BGB), im Sachenrecht (§ 1011 BGB), im ehelichen Güterrecht (§§ 1422 Satz 1, 1428 ff., 1454 Satz 2, 1487 Abs. 1 BGB), im Unterhaltsrecht (§ 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB), im Erbrecht (§ 2039 BGB) und im Vollstreckungsrecht (§§ 829, 835, 836 ZPO; hA).
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Wichtig: Der Klageantrag muss der die Prozessführungsbefugnis gewährenden Norm genau entsprechen. Häufig besteht vorbehaltlich einer abweichenden privatrechtlichen Abrede mit dem (Mit-)Berechtigten kein Recht, uneingeschränkte Leistung an sich zu verlangen (§§ 432 Abs. 1, 744 Abs. 2, 2039 BGB). Zum Teil ist der Teilberechtige abweichend von der gesetzlichen Regel nur zusammen mit seinem Mitberechtigten klagebefugt (vgl. BGH MDR 2007, 209 zum Anspruch von Miteigentümern auf Einräumung eines Notwegerechts). Die Prozessführungsbefugnis gilt auch für den Fall der Abwehr von Maßnahmen in das gemeinsame Recht (BGH NJW 2006, 1669 zu § 2033 Satz 1 BGB im Falle einer Vollstreckungsgegenklage). Der Kläger muss immer darlegen, dass die Voraussetzungen der eine Prozessführungsbefugnis gewährenden Norm erfüllt sind (zB bei einer Klage des Gläubigers gegen den Drittschuldner die Zustellung des Überweisungsbeschlusses gem. §§ 835 Abs. 3 Satz 1, 829 Abs. 3 ZPO; bezüglich § 1629 Abs. 3 BGB das Bestehen der Ehe). Jaspersen 223
Kap. 14 Rz. 30
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
M 14.3
ZPO
30 Im Falle der Pfändung und Überweisung einer Forderung (§§ 829, 835 ZPO) verliert der Schuldner nicht seine Prozessführungsbefugnis als Inhaber der Forderung; er kann grundsätzlich auch ohne Ermächtigung des Gläubigers nicht nur Feststellungsklage, sondern auch Zahlungsklage erheben. Der Schuldner muss seinen Klageantrag dann allerdings so fassen, dass er genau bezifferte Zahlung an die einzelnen Pfändungsgläubiger entsprechend ihrer jeweiligen Forderung (einschließlich der aus den Pfändungsbeschlüssen ersichtlichen Kostenbeträge) und ihrem Rang begehrt und Zahlung an sich nur hinsichtlich des Restbetrags.
31 M 14.3 Klage des Schuldners bei Pfändung und Überweisung An das Landgericht … Klage In der Sache der … GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer … gegen Frau Dr. … erhebe ich namens der Klägerin Klage und werde beantragen: 1. Die Beklagte wird verurteilt, a) erstrangig 28.000 Euro an Herrn G … b) an die Klägerin den nach Befriedigung des Gläubigers zu a) verbleibenden Rest aus der Forderung gegen die Beklagte iHv. 50.000 Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen. 2. … 3. … Begründung: Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch iHv. 50.000 Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: … Die o.g. Forderung hat Herr G … (im folgenden Gläubiger) mit Beschluss des AG … vom … (Az.: … ) pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Beweis: Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom …. Diesem Beschluss liegt ein rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid des Gläubigers zu 1.) gegen die Klägerin vom … (AG … Az. … ) über insgesamt 27.822,50 Euro einschließlich Kosten zu Grunde. Beweis: Vollstreckungsbescheid vom … Die Kosten des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses belaufen sich auf die Differenz zwischen diesem Betrag und der Klageforderung iHv. 28.000 Euro. … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
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Rz. 35 Kap. 14
Die Frage nach einer Prozessführungsbefugnis stellt sich schließlich immer dann, wenn ein nicht oder 32 jedenfalls nicht allein vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personengesellschaft (zur GmbH vgl. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 46 Rz. 161) einen Mitgesellschafter verklagt (sog. Gesellschafterklage, vgl. dazu Kap. 91) und einen Anspruch geltend macht, der durch Leistung in das Gesellschaftsvermögen zu erfüllen ist. Eine Einzelklagebefugnis ist stets gegeben, wenn sich die Klage als eine Notgeschäftsführung darstellt (arg. ex § 744 Abs. 2 BGB; vgl. hierzu BayObLG ZIP 1980, 904 f.). Soweit der Anspruch seine Grundlage im Gesellschaftsvertrag hat (sog. Sozialanspruch zB wegen Beitragspflichten, Nachschusspflichten, Herausgabepflichten gem. §§ 713, 667 BGB, Schadensersatzpflichten wegen Verletzung von Gesellschafterpflichten), können die Grundsätze der actio pro socio eine Prozessstandschaft begründen; wegen des Vorrangs der gesellschaftsrechtlichen Organisation handelt es sich aber immer um eine Hilfszuständigkeit (OLG Naumburg GmbHR 2013, 932 Rz. 41 mwN). Nach diesen Grundsätzen steht jedem Gesellschafter – selbst im Liquidationsstadium (vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 638 f.), aber nicht neben der Gesellschaft (OLG Dresden NJW-RR 2003, 257) – das Recht zu, im eigenen Namen Sozialansprüche einzuklagen, wenn die Gesellschaft sie nicht geltend machen will bzw. kann und soweit die Klage sich nicht als gesellschaftswidrig darstellt. Der Gesellschaftsvertrag darf dieses Recht leicht modifizieren, nicht aber ausschließen. Der Klageantrag muss auf Leistung an die Gesellschaft lauten.
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Wichtig: Die Grundlagen und Voraussetzungen der actio pro socio sind noch nicht abschließend 33 geklärt. So hat die Rechtsprechung (BGHZ 102, 152, 155) die Klagebefugnis zum Teil davon abhängig gemacht, dass die mit der Geschäftsführung betrauten Mitgesellschafter sich aus gesellschaftswidrigen Gründen weigern, den Anspruch geltend zu machen. Zudem steht die Klagebefugnis insofern auf tönernen Füßen, als die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter anders als der klagende Gesellschafter über den Anspruch verfügen und auf diese Weise der Klage die Grundlage entziehen können. Schließlich ist noch ungeklärt, wie sich die Parteifähigkeit der BGBAußengesellschaft (vgl. BGH NJW 2001, 1056) auf Innenprozesse auswirkt. Muss oder kann der zB ausgeschlossene Gesellschafter die Gesellschaft verklagen? Bis zur Klärung dieser Frage durch den Bundesgerichtshof wird der Grundsatz des sichersten Weges gebieten, die Klage sowohl gegen die Gesellschaft wie auch die Gesellschafter zu richten; hilfsweise ist anzuführen, dass die Gesellschafter als Haftende in Anspruch genommen werden (s. dazu auch BGH NJW 2001, 1056, 1060).
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Praxistipp: Früher hat es sich bei einem Aktivprozess der Gesellschaft empfohlen, sich vorsorg- 34 lich von den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern zur Prozessführung ermächtigen zu lassen (zur Zulässigkeit einer solchen gewillkürten Prozessstandschaft vgl. BGH NJW 1988, 1585, 1586). Soweit die Gemeinschaft (zB Außen-GbR oder Wohnungseigentumsgemeinschaft) rechtsund parteifähig ist, dürfte dies nicht mehr ohne Weiteres zulässig sein, weil es an einem schützenswerten Interesse fehlt (so jetzt ausdrücklich BGH MDR 2011, 534 für die gewillkürte Prozessstandschaft des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft). Bei einem Passivprozess gegen die Gesellschaft kann es ratsam sein, diese und gleichzeitig die Gesellschafter zu verklagen (vgl. BGH NJW 2001, 1056 ff. unter A. II. 4.).
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Wichtig: Der Gegner der Gesellschaftsklage muss bedenken, dass die Rechtskrafterstreckung gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern umstritten ist (vgl. dazu etwa MüKo.BGB/Schäfer § 705 BGB Rz. 214 mwN). Auch gelten die Grundsätze der actio pro socio nicht für Forderungen, die ihre Grundlage nicht im Gesellschaftsvertrag haben (sog. Drittforderungen); eine persönliche Klagebefugnis eines Gesellschafters bei gesellschaftswidrigen Handeln wird – wenn überhaupt – nur bei Gesellschaften ohne gesonderte Vertretungsordnung analog §§ 432 Abs. 1, 2039 BGB befürwortet (vgl. K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 645, 646).
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Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
ZPO
Kap. 14 Rz. 36
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
III. Prozessführungsbefugnis im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wohnungseigentum (BGH NJW 2007, 1952) 1. Gemeinschaftseigentum
36 Die Rechte wegen Mängeln des Gemeinschaftseigentums stehen den Erwerbern aus den mit dem Veräußerer jeweils geschlossenen Verträgen zu, nicht aber der Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft (BGHZ 163, 154) ändert daran nichts. Dadurch werden die Rechte der Erwerber nicht auf die Wohnungseigentümergemeinschaft übergeleitet. Jedoch ist die Wohnungseigentümergemeinschaft befugt, die gemeinschaftsbezogenen Rechte mit Mehrheitsbeschluss an sich zu ziehen; in diesem Falle wird eine gesetzliche Prozessstandschaft begründet, die ein selbständiges Vorgehen des Wohnungseigentümers ausschließt. Es besteht kein sachlicher Grund, die sich aus § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG ergebende Verwaltungskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft erst dann eingreifen zu lassen, wenn das Bauwerk ordnungsgemäß hergestellt ist. Denn die Beseitigung anfänglicher Baumängel des Gemeinschaftseigentums berührt die Interessen der Wohnungseigentümer in gleicher Weise wie erst später auftretende Mängel. Zu den gemeinschaftsbezogenen Rechten zählen nicht die individuellen Ansprüche des Erwerbers auf Rückgängigmachung des Vertrages etwa im Wege des großen Schadensersatzes oder eines Rücktritts, wohl aber die Ansprüche auf Mängelbeseitigung und Vorschuss. Von vorneherein gemeinschaftsbezogen sind die Ansprüche auf Minderung und kleinen Schadensersatz; nur die Wohnungseigentümergemeinschaft ist befugt sie geltend zu machen und die Voraussetzungen für sie zu schaffen. Solange die Wohnungseigentümergemeinschaft die Ansprüche nicht an sich gezogen hat und soweit sie nicht von vorneherein ihr allein zustehen, kann auch der Erwerber sie verfolgen und geltend machen; den Kostenvorschuss kann er aber nur mit der Maßgabe geltend machen, dass er an die Wohnungseigentümergemeinschaft zu zahlen ist. Der Erwerber ist von der Verfolgung seiner Ansprüche erst ausgeschlossen, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft die Ansprüche an sich gezogen hat. Das heißt auch, dass die Wohnungseigentümer bis dahin allein durch Einleitung eines Selbständigen Beweisverfahrens die Verjährung hemmen können (BGH NJW 1991, 2480). 2. Sondereigentum
37 Insoweit kann die Wohnungseigentümergemeinschaft oder ein Wohnungseigentümer nur im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft durch die befugten Erwerber ermächtigt werden, die Mängelansprüche zu verfolgen. Dies gilt jedenfalls für die Mängel wegen des Sondereigentums, das in einem wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhang mit der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums steht, aber auch für Bürgschaftsansprüche (BGH NJW 2007, 1957). 3. Prozessuale Fragen
38 Unklar ist, was mit dem Prozess eines Erwerbers wird, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft die Sache berechtigterweise an sich zieht. Vertretbar dürfte es sein, diesen Fall nach den Grundsätzen eines gewillkürten Parteiwechsels zu behandeln.
IV. Gewillkürte Prozessstandschaft 1. Allgemeines
39 Die Ermächtigung zur Prozessführung ist zu unterscheiden von der sog. Inkassozession (vgl. zur Abgrenzung BGH WM 1985, 613, 614). Während die Inkassozession keine besonderen prozessualen Fragen in Bezug auf die Prozessführungsbefugnis aufwirft, weil der klagende Zessionar ein eigenes Recht geltend macht (vgl. Rz. 51), bedarf die Ermächtigung zur Prozessführung der Begründung. Ausgehend davon, dass die zivilrechtliche Einziehungsermächtigung anerkannt ist, bestehen gegen die gewillkürte Prozessstandschaft auf Klägerseite (zur gewillkürten Prozessstandschaft auf Beklagtenseite 226
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Rz. 44 Kap. 14
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vgl. Stein/Jonas/Bork vor § 50 ZPO Rz. 56 mwN; zur gewillkürten isolierten Vollstreckungsstandschaft vgl. Lüke JuS 1996, 558 mwN) jedoch keine grundsätzlichen Bedenken. Eine Ermächtigung zur Ausübung eines Rechts im eigenen Namen ist nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich zulässig. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos. Bei der Vollstreckungsgegenklage zB ist – anders als bei einer gesetzlichen Prozessstandschaft – eine gewillkürte Prozessstandschaft ausgeschlossen; nur der Vollstreckungsschuldner darf sie erheben (BGH WM 2014, 124 Rz. 12 mwN; anders ist es bei der Vollstreckungsgegenklage des Miterben, der gem. § 2013 BGB die Vollstreckung in den Nachlass abwehrt, BGHZ 167, 150 Rz. 7). Nach str. Ansicht bleibt der Prozess eines gewillkürten Prozessstandschafters im Allgemeinen unberührt, wenn der Rechtsträger in Insolvenz fällt (BGH ZIP 1997, 1356; vgl. zur Ausnahme Rz. 10). 2. Voraussetzungen a) Wirksame Ermächtigung Es muss eine wirksame Ermächtigung zur Prozessführung des Rechtsträgers analog § 185 Abs. 1 BGB 40 spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vorliegen bzw. noch wirksam sein. Eine Einziehungsermächtigung beinhaltet grundsätzlich auch eine Ermächtigung zur Prozessführung.
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Praxistipp: Wenn sich die Ermächtigung zur Prozessführung nicht unzweifelhaft zB aus einer Ab- 41 tretungsurkunde ergibt, muss der Rechtsanwalt seinem Mandanten empfehlen, bei dem Gläubiger anzufragen, ob er ihn ausdrücklich zur Prozessführung ermächtigt und eine entsprechende schriftliche Erklärung erwirken (BGH NJW 2000, 3560, 3561).
Zwar ist die Ermächtigung eine Prozesshandlung, jedoch müssen für die Beurteilung ihrer Wirk- 42 samkeit mangels zivilprozessualer Sondervorschriften die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften für Willenserklärungen herangezogen werden (BGH MDR 2015, 1031; zu Fällen mit Auslandsbezug vgl. BGH v. 12.12.2013 – III ZR 102/12 Rz. 34: Die Zulässigkeit der Prozessstandschaft beurteilt sich zwar grundsätzlich nach dem deutschen Prozessrecht als lex fori, die Erteilung und der Bestand der Prozessführungsermächtigung richten sich aber nach dem materiellen Recht, das nach den Grundsätzen des IPR zu ermitteln ist). Für die Ermächtigung gilt grundsätzlich die gleiche Bedingungs- bzw. Vorbehaltsfeindlichkeit wie für bürgerlich-rechtliche Gestaltungserklärungen. Da es sich um eine Prozesshandlung handelt, ist der Grundsatz der Bestimmtheit beachtlich, was insbesondere bei allgemeinen Ermächtigungen wie zB in AGB, Satzungen uÄ relevant sein kann. Für sie gibt es keinen Postulations- und Formzwang. Die Ermächtigung kann sich aus den Umständen ergeben (Beispiel: Sicherungszession, BGH ZIP 1997, 927) oder ausschließlich aus dem Verhalten des Rechtsträgers folgen. Will ein Wohnungseigentümerverband einen Wohnungseigentümer zur Prozessführung ermächtigen, bedarf es hierfür keines Wohnungseigentümerbeschlusses; ausreichend ist eine entsprechende Willenserklärung der anderen Wohnungseigentümer, die keiner Form bedarf. Der Rechtsträger kann gem. §§ 671, 168 Satz 1 BGB die Ermächtigung – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in dem der Ermächtigung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis – frei widerrufen mit den für eine Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) geltenden Einschränkungen (ausf. BGH MDR 2015, 1031). Die Ermächtigung endet grundsätzlich mit dem Tod des Prozessstandschafters oder des Rechtsträgers (§§ 168 Satz 1, 672 f. BGB), aber auch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Rechtsträgers gem. §§ 115 f. InsO (vgl. BGH ZInsO 2016, 1852; BGH NJW 2000, 738, 739) und kann nicht weiterübertragen werden (BGH MDR 1998, 1497, 1498).
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Eine Prozessführungsermächtigung unterliegt wie eine Inkassozession den allgemeinen Grenzen der §§ 134, 138 BGB. Durch die Prozessführungsermächtigung darf insbesondere nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz und die Schweigepflicht von Freiberuflern bezüglich ihrer Honorarforderungen verstoßen werden (vgl. Palandt/Ellenberger § 134 BGB Rz. 16, 21). Bei der geschäftsmäßigen Einziehung von Forderungen durch den Ermächtigten stellt sich die Frage der Wirksamkeit der Ermächti-
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gung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz. Bei unübertragbaren Rechten (beachte § 399 BGB) muss das Recht wenigstens zur Ausübung überlassungsfähig sein (BGH MDR 1998, 271 für einen Mietkündigungsprozess; BGH NJW-RR 2014, 526 für eine Prozessstandschaft des Besitzers in Bezug auf ein Notwegrecht; BGH DtZ 1995, 360 für die isolierte Abtretung eines Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB; BGH NJW 2013, 1809 Rz. 30 für einen Anspruch aus § 1004 BGB), der Zweck des Verfügungsverbots darf einer Prozessführungsermächtigung nicht entgegenstehen (BGH NJW 1992, 1881, 1883). Die allgemein üblichen Abtretungsverbote in den Versicherungsvertragsbedingungen erlauben keine Prozessführungsermächtigung ohne Zustimmung des Versicherers. Gemäß § 94 Abs. 5 SGB XII kann der Träger der Sozialhilfe den Leistungsberechtigten ermächtigen, übergegangene Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend zu machen (BGH MDR 2008, 831). Gegen eine Prozessführungsermächtigung des Rechtsträgers seitens einer Partei kraft Amtes bestehen keine Einwände, soweit die Freigabe sich nur auf einzelne Rechte bezieht (BGHZ 100, 217, 218; str.). Wo das Gesetz eine notwendige Streitgenossenschaft vorsieht, besteht für eine gewillkürte Prozessstandschaft kein Bedarf (OLG Nürnberg v. 16.7.2014 – 12 U 2267/12 für § 18 Abs. 1 GmbHG).
45 Besteht ein Anspruch auf eine Prozessführungsermächtigung und wird sie verweigert, kann diese gerichtlich erstritten werden (vgl. BGH NJW 1997, 2106 für eine WEG). b) Besonderes schutzwürdiges Interesse an Fremdprozessführung
46 Erforderlich ist ein besonderes schutzwürdiges Interesse an der Fremdprozessführung. Die Rechtsprechung lässt ein schutzwürdiges Interesse des Ermächtigten an der Prozessführung genügen, welches auch nur wirtschaftlicher Natur sein kann. Interessen der Prozesswirtschaftlichkeit und der technischen Erleichterung der Prozessführung genügen indes nicht (BGH MDR 2016, 1279 Rz. 18). Ebenso wenig reicht ein bloß ideelles Interesse; lässt sich ein wirtschaftliches Interesse nicht ausmachen, ist eine irgendwie geartete Auswirkung auf die Rechtssituation des Ermächtigten erforderlich.
47 Ein schutzwürdiges Interesse des Ermächtigenden muss nicht kumulativ vorliegen (aA Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 40), wird aber regelmäßig gegeben sein. Anerkanntes Beispiel ist das Interesse des Zedenten bzgl. der sicherungshalber abgetretenen Forderung an einer Prozessführung im eigenen Namen bzw. das Interesse des Sicherungsgebers bzgl. eines Anspruchs betr. das Sicherungseigentum (BGH NJW 2017, 2352). Ausreichend ist auch das Provisionsinteresse des Ermächtigten (BGHZ 102, 293, 297), das Interesse eines Angestellten an einer ordnungsgemäßen und reibungslosen Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben zB dem Verwalter einer Bruchteilseigentümergemeinschaft; BGH NJW 1988, 1910 für den Wohnungseigentümerverwalter; das Interesse des Gemeinschuldners als Rechtsträger an der Durchsetzung eines freigegebenen Anspruchs (BGHZ 100, 217, 220) und uU schon die größere Sachnähe des Prozessstandschafters zum streitgegenständlichen Anspruch als die des Rechtsträgers (BGH NJW 1986, 423), das Interesse eines Leasingnehmers, alle Ansprüche aus einem Schadensfall geltend zu machen.
48 Ermächtigt der Insolvenzverwalter den Insolvenzschuldner zur Prozessführung bzgl. einer Masseforderung, bedarf es zwar gleichfalls eines schutzwürdigen Interesses; dieses ist aber regelmäßig gegeben, weil der Gemeinschuldner Rechtsinhaber ist (BGH WM 1987, 825).
49 Nach Anerkennung der Rechtssubjektivität der Wohnungseigentümergemeinschaft kann dem Wohnungseigentumsverwalter nicht mehr ohne Weiteres das – bislang aus seiner gesetzlichen Rechts- und Pflichtenstellung hergeleitete – eigene schutzwürdige Interesse zugesprochen werden, weil die Wohnungseigentümergemeinschaft selbst in der Lage wäre, Ansprüche gegen einzelne Wohnungseigentümer durchzusetzen (BGH MDR 2011, 534 Rz. 7 ff.). Wohl aber können ein oder mehrere Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss ermächtigt werden, Ansprüche aus der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums im eigenen Namen geltend zu machen (BGH MDR 2006, 85 Rz. 9).
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Praxistipp: Die Gerichte neigen dazu, der Fremdprozessführung durch gewillkürte Prozessstandschaft enge Grenzen zu ziehen. Es sollte rechtzeitig auf einen gerichtlichen Hinweis hingewirkt werden. Gibt das Gericht zu erkennen, es erachte ein schutzwürdiges Interesse für nicht gegeben, sollte dieser Mangel durch eine Zession geheilt werden. Nach der Rechtsprechung. ist die Klage eines Inkassozessionars unabhängig von einem schutzwürdigen Interesse in seiner Person und der Zumutbarkeit für den Beklagten (vgl. u.a. OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1317; aA MüKo.ZPO/Lindacher vor §§ 50 ff. ZPO Rz. 74 mwN). In Fällen mit Zweifeln an einem schutzwürdigen Interesse kann deshalb eine Inkassozession ein Ausweg sein. Erst subsidiär ist an einen Parteiwechsel zu denken (vgl. Rz. 16).
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Fraglich ist, ob auch ein schutzwürdiges Interesse des Ermächtigenden allein die Fremdprozessführung legitimieren kann (zustimmend MüKo.ZPO/Lindacher vor § 50 ZPO Rz. 55, 64). Es erscheint vertretbar, eine gewillkürte Prozessstandschaft als Ergebnis sinnvoller Arbeitsteilung auch dort zuzulassen, wo sich der Ermächtigende der Mühe entziehen will, eine Forderung selbst geltend zu machen.
c) Offenlegung Der Prozessstandschafter muss grundsätzlich noch in der Tatsacheninstanz seine Ermächtigung dartun und wessen Recht er geltend macht (BGH NJW 2017, 2352 Rz. 8; BGH MDR 2008, 1183 Rz. 14). Dessen bedarf es nicht, wenn sich die Prozessstandschaft aus den Umständen ergibt oder wenn der Prozessstandschafter befugterweise das Fehlen seiner Rechtsinhaberschaft verschweigen darf (zB der Sicherungsgeber bei der sog. stillen Sicherungszession).
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d) Keine entgegenstehenden schutzwürdigen Belange des Beklagten Selbst wenn für sich ein ausreichendes schutzwürdiges Interesse des ermächtigten Klägers gegeben ist, kann dem Interesse des Beklagten, allein vom Rechtsinhaber in Anspruch genommen zu werden, Vorrang gebühren. Das Interesse des Klägers muss dann zurücktreten, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung unbillig benachteiligt würde (BGH NJW-RR 1988, 126). Keine unbillige Benachteiligung des Beklagten ist der Umstand, dass der Rechtsträger – weil nicht Partei – Zeuge sein kann. Gleiches gilt für den verklagten Schädiger, wenn ein Fahrzeughalter wegen eines Verkehrsunfall Schadensersatzansprüche des Sicherungseigentümers geltend macht. Zwar kann der Schädiger ihm seine eigene Betriebsgefahr nicht entgegenhalten; dies stellt aber keine Benachteiligung dar, weil bei einer Inanspruchnahme durch den Sicherungseigentümer das Gleiche gelten würde.
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Problematisch ist die Konstellation, dass der Ermächtigte vermögenslos ist oder droht zu werden und dass deshalb die Realisierung eines – ungesicherten – Kostenerstattungsanspruchs konkret gefährdet ist. Ob eine Gefährdung gegeben ist, beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Klageerhebung. Zu differenzieren ist – auch in Bezug auf eine Rückermächtigung des Insolvenzschuldners durch den Insolvenzverwalter – zwischen folgenden zwei Konstellationen:
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– Prozessstandschafter ist eine Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Eine überschuldete, vermögenslose GmbH hat idR kein schutzwürdiges Eigeninteresse, abgetretene Forderungen noch im eigenen Namen und auf eigene Kosten einzuklagen, weil sich mit ihrer Liquidation auch ihre Verbindlichkeiten von selbst erledigen und der Prozessgegner mit seinem Kostenerstattungsausspruch voraussichtlich ausfällt (OLG München v. 16.2.2010 – 9 U 5603/08). Eine Ausnahme ist denkbar, wenn der Prozessgegner nicht unbillig belastet wird und keine missbräuchliche Prozessrollenverschiebung anzunehmen ist. Das könne der Fall sein, wenn die Vermögenslosigkeit der klagenden GmbH erst während des Prozesses eingetreten ist und kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Überschuldung, der Offenlegung der Abtretung und der Ermächtigung zur Prozessführung bestehe (BGH MDR 2012, 182 mwN). Wirtschaftliche Schwierigkeiten des Prozess-
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standschafters allein sind nicht ausreichend, eine unbillige Belastung des Prozessgegners anzunehmen (OLG Brandenburg ZIP 2002, 1444, 1445). Die Abgrenzung im Einzelfall dürfte schwierig sein. Ein griffiger Anhaltspunkt kann sein, ob sich die Gesellschaft schon in Liquidation befindet bzw. ob sie erkennbar ihre werbende Tätigkeit am Markt eingestellt hat bzw. einstellen will; in diesem Fall dürfte es allerdings im Allgemeinen schon am eigenen schutzwürdigen Interesse des Prozessstandschafters fehlen, was im Ergebnis aber keine Rolle spielt. Dem Prozessgegner obliegt diesbezüglich die Darlegungs- und ggf. Feststellungslast; eine Prüfung, ob die Gesellschaft zahlungsunfähig bzw. überschuldet ist, soll allerdings dem Insolvenzverfahren vorbehalten bleiben (OLG Brandenburg ZIP 2002, 1444, 1445).
56 – Prozessstandschafter ist eine natürliche Person. Wie auch im Falle ihrer Insolvenz ein schutzwürdiges Interesse einer überschuldeten natürlichen Person anerkannt wird, die ihr noch rechtlich zustehenden Forderungen nach einer Freigabe durch den Verwalter einzuklagen (BGH NJW 1987, 2018), ist ihre Ermächtigung zur Prozessführung auch dann erlaubt, wenn sie eine sicherungshalber abgetretene Forderung geltend macht, durch deren Beitreibung sie ihre Verbindlichkeiten abbauen kann. Niemand hat Anspruch darauf, von einem zahlungskräftigen Schuldner verklagt zu werden. Nur wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung offensichtlich die Absicht überwiegt, das Kostenrisiko zu umgehen, fehlt es an einem schutzwürdigen Interesse (BGH MDR 1999, 755). Geht es um eine Rückermächtigung, ist die Mittellosigkeit des Ermächtigten jedenfalls dann unschädlich, wenn sie bereits bei Begründung der Forderung gegeben gewesen ist (BGH MDR 2003, 883). 3. Verfahrensfragen
57 Klagt ein Kläger zunächst aus eigenem Recht und stellt seine Klage erst im Laufe des Verfahrens um auf eine Klage in gewillkürter Prozessstandschaft, handelt es sich um eine Klageänderung. Ohne Relevanz ist es, dass durch eine gezielte Verschiebung der Prozessrollen der Rechtsträger Zeuge sein kann (BGH NJW-RR 1988, 126).
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Praxistipp: Der Beklagte sollte bei Vorgängen „unter vier Augen“ seine Vernehmung als Partei beantragen und sich auf den Grundsatz der Waffengleichheit berufen (vgl. hierzu EuGH NJW 1995, 1413 f.; BVerfG NJW 2001, 2531; BGH NJW 1999, 363).
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Wichtig: Auch bei der gewillkürten Prozessstandschaft gilt es, den Klageantrag dem materiellen Recht anzupassen. Nur bei der sog. stillen Zession (die Prozessführung für einen Dritten wird dem Gegner nicht offengelegt) ist der Zedent weiterhin berechtigt, Leistung an sich zu verlangen (BGH NJW 2000, 3560, 3561). Im Übrigen kann der Kläger nur Leistung an den nunmehrigen Rechtsinhaber fordern; anderes bedarf einer materiell-rechtlichen Ermächtigung, die nicht ohne Weiteres in der Ermächtigung zur Prozessführung liegt. Die Ermächtigung bedarf ggf. der Auslegung gem. § 133 BGB. Erfolgt die Anpassung des Klageantrags erst im Laufe des Prozesses, handelt es sich lediglich um eine nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Beschränkung des ursprünglichen Klageantrages (BGH NJW-RR 2005, 955) Der Umfang eines Verzugsschadens richtet sich – wie bei der Sicherungszession (vgl. BGH MDR 2006, 980) – nach den Verhältnissen des Rechtsträgers. Dem gewillkürten Prozessstandschafter steht kein Schadensersatzanspruch zu, wenn ihm durch die Nichterfüllung eines Anspruchs des Rechtsträgers ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH NJW-RR 2017, 844).
60 Wer seine Forderung durch einen Dritten in gewillkürter Prozessstandschaft einklagen lässt, muss es hinnehmen, dass der teilweise unterlegene Beklagte gegenüber der Urteils- oder Vergleichsforderung mit seinem gegen den Prozessstandschafter erworbenen Kostenerstattungsanspruch aufrechnet.
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Rz. 65 Kap. 14
M 14.4 Klage eines gewillkürten Prozessstandschafters
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An das Landgericht … Klage In der Sache … / … (Langrubrum) Namens des Klägers erhebe ich Klage und werde beantragen: 1. Der Beklagte wird verurteilt, an D … 20.000 Euro … zu zahlen. 2. … Begründung: 1. Der Kläger war Inhaber einer Werklohnforderung gegen den Beklagten, die ihre Grundlage im Bauvertrag vom … hatte. Diese Forderung trat der Kläger zur Sicherung eines Darlehens an D … ab. Beweis: Abtretungserklärung vom … D … ermächtigte den Kläger mit Erklärung vom …, die Werklohnforderung im eigenen Namen einzuziehen. Beweis: Erklärung vom … Das Interesse des Klägers an der gerichtlichen Geltendmachung der Werklohnforderung im eigenen Namen ergibt sich aus dem der Abtretung zugrundeliegenden Sicherungsvertrag. Beweis: Sicherungsvertrag vom … 2. Zur Begründung der Werklohnforderung wird Folgendes ausgeführt: … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
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Praxistipp: Der Schuldner, der von einem gewillkürten Prozessstandschafter in Anspruch genommen wird, kann analog §§ 410, 274 BGB die Fälligkeit des Anspruchs hindern bzw. eine Kündigung oder Mahnung zurückweisen (vgl. zu §§ 410, 274 BGB BGH MDR 2007, 387).
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V. § 265 Abs. 2 ZPO § 265 Abs. 2 ZPO will den Prozess gegen materiell-rechtliche Veränderungen abschirmen; die Vorschrift korrespondiert mit der Rechtskrafterstreckung gem. § 325 Abs. 1 ZPO. Voraussetzung ist die Veräußerung der streitbefangenen Sache oder Abtretung des geltend gemachten Anspruchs. Die Voraussetzung ist grundsätzlich bei jeder Rechtsnachfolge – mag sie rechtsgeschäftlichen (zB §§ 398, 929 ff. BGB) oder gesetzlichen Ursprungs (zB §§ 829, 835 f. ZPO) sein – erfüllt.
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§ 265 Abs. 2 ZPO erfasst auch den Fall, dass der Rechtstreit von einem gesetzlichen oder gewillkürten Prozessstandschaft geführt wird; bei einer gewillkürten Prozessstandschaft ist allerdings zu prüfen, ob die Veräußerung bzw. Abtretung gem. § 265 Abs. 2 ZPO das eigene schutzwürdige Interesse des Prozessstandschafters entfallen lässt (BGH v. 29.9.2017 – V ZR 19/16).
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Der Tatbestand des § 265 Abs. 2 ZPO verlangt Rechtshängigkeit im Zeitpunkt der Veräußerung bzw. Abtretung (allg. Ansicht). Bei einem vorherigen Rechtsübergang kann den Kläger nur eine gewillkürte Prozessstandschaft oder ein Parteiwechsel vor einer Klageabweisung bewahren.
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M 14.4
Kap. 14 Rz. 66
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
ZPO
66 § 265 Abs. 2 ZPO greift auch ein, wenn der geltend gemachten Anspruch in die Zwangsverwaltung fällt (BGH ZIP 1986, 583, 584 f.; nach str. Ansicht [AG Kerpen ZMR 2007, 43 mwN] gilt § 265 Abs. 2 ZPO analog auch für die Anordnung der Zwangsverwaltung auf Beklagtenseite).
67 Während bei § 265 ZPO der „geltend gemachte Anspruch“ im Allgemeinen leicht zu bestimmen ist, kann die „streitbefangene Sache“ nicht immer ohne Weiteres ausgemacht werden. Die Prüfung erfordert Sorgfalt. In Streit befangen ist eine Sache iSv. § 265 Abs. 1 ZPO wie auch iSv. § 325 Abs. 1 ZPO, wenn die Sachlegitimation des Klägers oder des Beklagten auf der rechtlichen Beziehung zum Gegenstand beruht.
68 Wird bei einer Klage gem. § 1004 BGB das störende Grundstück veräußert, soll dies auf den Prozess gem. § 265 Abs. 2 ZPO keinen Einfluss haben (BGH MDR 2008, 496) ebenso wie die Veräußerung des gestörten Grundstücks (BGH NJW 1955, 1719). Der Rechtsgedanke des § 265 Abs. 2 ZPO greift auch ein, wenn während eines rechtshängigen Wohnungseigentumsverfahrens der Eigentümer das Wohnungseigentum veräußert, weil streitbefangener Gegenstand die Mitgliedschaft in der WEG sein kann (BGH NJW 2001, 3339). Bei einer mietvertraglichen Klage des Mieters gegen den Vermieter (zB wegen Mängelbeseitigung) lässt die Veräußerung der Mietsache die Passivlegitimation des Vermieters gem. §§ 265 Abs. 2, 325 ZPO unberührt. Kein Fall des § 265 Abs. 2 ZPO ist indes die Aufhebung des Insolvenzverfahrens während eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits (vgl. Rz. 14 f.).
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Wichtig: Nach wie vor ist nicht zweifelsfrei geklärt, welche Folge es hat, wenn der Insolvenzverwalter während eines von ihm geführten (oder von ihm zunächst aufgenommenen) Prozesses den Streitgegenstand aus der Masse freigibt. Zum Teil wird eine Analogie zu § 265 Abs. 2 ZPO befürwortet (u.a. OLG Köln v. 21.12.2012 – 19 U 34/10; OLG Nürnberg ZIP 1994, 144), zum Teil eine Unterbrechung des Rechtsstreits analog §§ 239, 242, 246 ZPO und zum Teil ein Wiederaufleben der Prozessführungsbefugnis des Schuldners (vgl. BGH MDR 1967, 298 = BGHZ 46, 249, 251 ff. eindeutig nur in Ablehnung des § 265 Abs. 2 ZPO).
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Praxistipp: Der Insolvenzverwalter und der Schuldner müssen etwaige prozessuale und materiell-rechtliche Fristen in Bezug auf den streitgegenständlichen Anspruch beachten; der Prozessgegner ist zu ersuchen, einer Übernahme des Prozesses durch den Schuldner zuzustimmen (zum Parteiwechsel vgl. Kap. 17 Rz. 41 ff.).
71 Bei einer Rechtsnachfolge vor Eintritt der Rechtshängigkeit ist die Klage unbegründet, nur bei einer späteren Rechtsnachfolge führt der ursprüngliche Kläger oder Beklagte den Prozess (zunächst) als gesetzlicher Prozessstandschafter fort. Die Befugnis, einen Prozessvergleich abzuschließen, wird nicht eingeschränkt. Da eine Erledigung Rechtshängigkeit verlangt und vorbehaltlich einer übereinstimmenden Erledigung, muss die Klage zurückgenommen werden mit der Möglichkeit, eine für den Kläger günstige Kostenentscheidung gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu erwirken (OLG Karlsruhe NJW-RR 2014, 546).
72 K
Praxistipp: Betrifft die Rechtsnachfolge die Klägerseite, muss der Kläger seinen Klageantrag den veränderten materiell-rechtlichen Verhältnissen anpassen, wenn keine Prozessübernahme erfolgt (BGH NJW-RR 1986, 1182). Der Rechtsnachfolger kann einen Vollstreckungstitel in allen Fällen gem. § 727 ZPO auf sich umschreiben lassen. Ist die Klageforderung übergegangen, richtet sich ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen Verzuges nunmehr nach den Verhältnissen des Zessionars (BGH NJW 1994, 3288, 3291).
73 Bei einer Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite bedarf es keiner Anpassung des Klageantrags. Der Kläger ist aber berechtigt, sein Klageziel dahin zu ändern, dass er nunmehr das Interesse geltend macht (vgl. OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 724, 725). Eine Übernahme des Prozesses durch den Rechtsnachfolger auf Kläger- oder Beklagtenseite erfolgt im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder durch einen vorbereitenden Schriftsatz, der der Zustellung bedarf und bei einer Übernahme auf Klägerseite den Anforderungen an eine Klageschrift genügen muss. Erforderlich ist nicht nur die Zustim232
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M 14.5
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
Rz. 78 Kap. 14
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Praxistipp: Es ist angeraten, vorab zu klären, ob die Zustimmungen erteilt werden.
M 14.5 Übernahme des Prozesses durch den Rechtsnachfolger
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mung des Prozessgegners (vgl. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO), sondern auch die des Rechtsvorgängers. Die Zustimmung des Prozessgegners kann konkludent gem. § 267 ZPO erfolgen, lässt sich aber nicht durch Sachdienlichkeit ersetzen (BGH MDR 2012, 1364 Rz. 15). Eine rechtsmissbräuchliche Verweigerung muss nach allgemeinen Grundsätzen unbeachtlich bleiben.
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An das Landgericht … In der Sache … / … (Langrubrum) erkläre ich namens des Herrn … die Übernahme des Rechtsstreits als Hauptpartei an Stelle des Klägers. Begründung: Der bisherige Kläger veräußerte und übertrug die streitgegenständliche Kaufpreisforderung mit Vertrag vom … und damit nach Zustellung der Klage an den Beklagten am … an den jetzigen Kläger. Beweis: … Sowohl der Bevollmächtigte des bisherigen Klägers als auch der des Beklagten haben erklärt, gegen die Übernahme keine Einwände erheben zu wollen und werden ihre Zustimmung erteilen. Zur Sache ist wie folgt weiter vorzutragen: … Kosten: Es gelten keine kostenrechtlichen Besonderheiten.
Da die Zustimmungen, an die § 265 Abs. 2 ZPO die Übernahme des Prozesses durch den Rechtsnachfolger knüpft, Prozesshandlungen sind, werden sie erst mit ihrer Abgabe gegenüber dem Gericht wirksam. Mit erfolgter Übernahme scheidet der Veräußerer ohne weitere Entscheidung aus dem Prozess aus. Das Urteil ergeht in Hauptsache und Kosten nur für und gegen den Nachfolger. Ob und welche Kosten die ausscheidende Partei geltend machen kann bzw. tragen muss, ist sehr problematisch und streitig (vgl. BGH NJW 2006, 1351 für einen Beklagtenwechsel; MüKo.ZPO/Becker-Eberhard § 263 ZPO Rz. 109).
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Praxistipp: Der Veräußerer muss vor Zustimmung – am besten schon im Rahmen des der Rechtsnachfolge zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts – eine Regelung treffen, ob bzw. welche Kosten er zu tragen hat oder erstattet bekommt. Wird die Zustimmung zur Übernahme des Rechtsstreits nicht erteilt, muss der Rechtsnachfolger überlegen, ob er dem Rechtsstreit als Nebenintervenient auf Seiten seines Rechtsvorgängers beitritt (§ 66 ZPO).
77
Bei einer Rechtsnachfolge auf Klägerseite gilt es für den Beklagten, einen gutgläubigen Erwerb gem. §§ 265 Abs. 3, 325 ZPO in Betracht zu ziehen. Hierdurch wird eine Klage unbegründet und muss für erledigt erklärt werden; ein klageabweisendes Urteil entfaltet keine Rechtskraftwirkung gegenüber dem Rechtsnachfolger. Er muss auch das Zusammenspiel zwischen § 265 Abs. 2 ZPO und § 325 ZPO beachten. Im Allgemeinen wird er durch die Rechtskrafterstreckung hinreichend geschützt. Es kann aber sein, dass der Rechtsnachfolger auf Klägerseite ein eigenes und nicht vom Kläger abgeleitetes Recht im Hinblick auf den streitgegenständlichen Anspruch hat. Dieses Recht wird nicht von der Rechtskrafterstreckung erfasst. Dem kann der Beklagte Rechnung tragen, indem er den Rechtsnachfolger im Wege der Drittwiderklage in Anspruch nimmt (vgl. BGH v. 29.9.2017 – V ZR 19/16). Bei einer mietvertraglichen Klage kann § 566 BGB den Einwand eines gutgläubigen Erwerbs überwinden (LG Bonn ZMR 2013, 534).
78
Jaspersen 233
Kap. 14 Rz. 79
ZPO
79 K
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
Praxistipp: Der Beklagte sollte deshalb dem Rechtsnachfolger den Streit verkünden, falls eine Übernahme unterbleibt.
80 Will der Rechtsnachfolger, der den Rechtsstreit nicht übernommen hat, aus dem Urteil vollstrecken, kann er sich gem. §§ 727, 731 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung verschaffen (BGH MDR 1984, 385).
81 Beim Tod des Prozessstandschafters fällt die Prozessführungsbefugnis nicht dem neuen Rechtsinhaber an, sondern den Erben des Prozessstandschafters, weshalb der Rechtsstreit gem. § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochen wird und nicht durch den Rechtsinhaber aufgenommen werden kann (BGH MDR 2012, 1364).
Kapitel 15 Klageanträge (und Klagebegründung) I. Zulässigkeitsvoraussetzung Güteverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand des Güteverfahrens . . . . . . . . II. Klageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendiger Inhalt, Form . . . . . . . . . . . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rubrum, Bezeichnung des Gerichts . . . M 15.1 Klageschrift: Bezeichnung des Gerichts, Antrag gem. § 96 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Klageantrag, Klagebegründung . . . . . . 2. Wirkung der Klageerhebung . . . . . . . . . . III. Antrag auf Verurteilung zur Zahlung . . . 1. Reine Zahlungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahlung nebst Prozesszins . . . . . . . . . . M 15.2 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Prozesszins, Beklagter Verbraucher, alternativ Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlung nebst Verzugszins . . . . . . . . . M 15.3 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins, Forderung des gesetzlichen Zinssatzes, Beklagter Unternehmer . . . . . . M 15.4 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins, Zinsforderung in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses, Teilklage wegen der Zinsen; alternativ: Feststellungsantrag wegen des weiteren künftigen Zinsschadens, Beklagter Verbraucher . . . . . . . c) Zahlung nebst Verzugszins bei gestaffelten Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
Jaspersen/Vorwerk
1 1 6 12 12 12 17 18 19 36 38 38 41
45 46
60
63 64
M 15.5 Zahlung nebst Verzugszins; Zinsstaffel, Beklagter Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.6 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins bei gestaffelter Fälligkeit von Teilbeträgen, Beklagter Unternehmer . . . . . d) Zahlung an Gesamtshandsgläubiger, Beklagter Verbraucher . . . . . . . . . . . . M 15.7 Zahlung an Gesamthandsgläubiger, Beklagte Verbraucherin . e) Zahlung durch Gesamtschuldner . . . . M 15.8 Zahlung durch Gesamtschuldner, Beklagter Verbraucher . . . f) Zahlung an Dritten . . . . . . . . . . . . . . M 15.9 Reine Zahlungsklage, Zahlung an Dritten, Beklagter Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zahlung als künftige Leistung . . . . . . . M 15.10 Reine Zahlungsklage, Zahlung als künftige Leistung, Beklagter Verbraucher . . . . . . M 15.11 Reine Zahlungsklage, Zahlung als wiederkehrende Leistung, Beklagter Verbraucher . 2. Zahlungsklage innerhalb einer Stufenklage a) Bei Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . M 15.12 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung innerhalb einer Stufenklage, Beklagter Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach im Verfahren erteilter Auskunft . M 15.13 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung bzw. der Abgabe der Versicherung an Eides statt innerhalb einer Stufenklage nach im Verfahren erteilter Auskunft . . . . . . . . . . . . . . .
65
68 69 70 72 73 74 75 76 77 79 80 95
96 97
98
Kap. 14 Rz. 79
ZPO
79 K
Prozessführungsbefugnis, Prozessstandschaft
Praxistipp: Der Beklagte sollte deshalb dem Rechtsnachfolger den Streit verkünden, falls eine Übernahme unterbleibt.
80 Will der Rechtsnachfolger, der den Rechtsstreit nicht übernommen hat, aus dem Urteil vollstrecken, kann er sich gem. §§ 727, 731 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung verschaffen (BGH MDR 1984, 385).
81 Beim Tod des Prozessstandschafters fällt die Prozessführungsbefugnis nicht dem neuen Rechtsinhaber an, sondern den Erben des Prozessstandschafters, weshalb der Rechtsstreit gem. § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochen wird und nicht durch den Rechtsinhaber aufgenommen werden kann (BGH MDR 2012, 1364).
Kapitel 15 Klageanträge (und Klagebegründung) I. Zulässigkeitsvoraussetzung Güteverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand des Güteverfahrens . . . . . . . . II. Klageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendiger Inhalt, Form . . . . . . . . . . . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rubrum, Bezeichnung des Gerichts . . . M 15.1 Klageschrift: Bezeichnung des Gerichts, Antrag gem. § 96 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Klageantrag, Klagebegründung . . . . . . 2. Wirkung der Klageerhebung . . . . . . . . . . III. Antrag auf Verurteilung zur Zahlung . . . 1. Reine Zahlungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahlung nebst Prozesszins . . . . . . . . . . M 15.2 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Prozesszins, Beklagter Verbraucher, alternativ Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlung nebst Verzugszins . . . . . . . . . M 15.3 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins, Forderung des gesetzlichen Zinssatzes, Beklagter Unternehmer . . . . . . M 15.4 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins, Zinsforderung in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses, Teilklage wegen der Zinsen; alternativ: Feststellungsantrag wegen des weiteren künftigen Zinsschadens, Beklagter Verbraucher . . . . . . . c) Zahlung nebst Verzugszins bei gestaffelten Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jaspersen/Vorwerk
1 1 6 12 12 12 17 18 19 36 38 38 41
45 46
60
63 64
M 15.5 Zahlung nebst Verzugszins; Zinsstaffel, Beklagter Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.6 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins bei gestaffelter Fälligkeit von Teilbeträgen, Beklagter Unternehmer . . . . . d) Zahlung an Gesamtshandsgläubiger, Beklagter Verbraucher . . . . . . . . . . . . M 15.7 Zahlung an Gesamthandsgläubiger, Beklagte Verbraucherin . e) Zahlung durch Gesamtschuldner . . . . M 15.8 Zahlung durch Gesamtschuldner, Beklagter Verbraucher . . . f) Zahlung an Dritten . . . . . . . . . . . . . . M 15.9 Reine Zahlungsklage, Zahlung an Dritten, Beklagter Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zahlung als künftige Leistung . . . . . . . M 15.10 Reine Zahlungsklage, Zahlung als künftige Leistung, Beklagter Verbraucher . . . . . . M 15.11 Reine Zahlungsklage, Zahlung als wiederkehrende Leistung, Beklagter Verbraucher . 2. Zahlungsklage innerhalb einer Stufenklage a) Bei Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . M 15.12 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung innerhalb einer Stufenklage, Beklagter Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach im Verfahren erteilter Auskunft . M 15.13 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung bzw. der Abgabe der Versicherung an Eides statt innerhalb einer Stufenklage nach im Verfahren erteilter Auskunft . . . . . . . . . . . . . . .
65
68 69 70 72 73 74 75 76 77 79 80 95
96 97
98
Klageanträge (und Klagebegründung)
3.
4.
IV. 1.
99
100 102 2. 105
106 108 109
110 111
112 113
3.
114 116 118 122 V. 123 1. 124 125 126
127 128
M 15.23 Antrag auf Herausgabe im Rahmen einer Stufenklage bei fehlender Möglichkeit der Beschreibung der herauszugebenden Sache . . . . . . . . . . . . e) Bei Wohnsitzwechsel des Schuldners nach Entstehung des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausgabe eines Grundstücks . . . . . . . . a) Grundstück, das der Beklagte lediglich besitzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.24 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks, nur Rückgabe . b) Grundstück, das dem Kläger auch zu übereignen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Herausgabe eines Grundstücks mit spezifiziertem Räumungsverlangen . . . M 15.25 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks mit spezifiziertem Räumungsverlangen . . . d) Herausgabe eines Grundstücks unter Einschluss der gezogenen Nutzungen . M 15.26 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks unter Einschluss der gezogenen Nutzungen . . . e) Grundstücksherausgabe als künftige Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.27 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks als künftige Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . Herausgabe Zug um Zug . . . . . . . . . . . . . a) Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei Bestimmung der Gegenleistung durch einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . M 15.28 Klage auf die gerichtlich zu bestimmende Leistung; der Dritte, der die Leistung bestimmen soll, kann die Leistung nicht bestimmen . . . . . . Antrag auf Vornahme einer Handlung, Unterlassung oder Duldung . . . . . . . . . . Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgabe einer Willenserklärung . . . . . . M 15.29 Klage, Antrag auf Abgabe einer Willenserklärung . . . . . . M 15.30 Klage, Antrag auf Verurteilung des Beklagten zum Abschluss des Hauptvertrages nach wirksam zustande gekommenem Vorvertrag, Fassung der Anträge mit dem Ziel der Durchsetzung des Übergangs des Eigentums am Grundstück . . . . . . . . . . b) Erteilung einer Auskunft . . . . . . . . . .
159 163
Vorwerk
235
ZPO
c) Nach durch Verurteilung erzwungener Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.14 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung innerhalb einer Stufenklage nach durch Verurteilung erzwungener Auskunft . . Zug um Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei Abhängigkeit der gesamten geforderten Leistung von der Zug-um-ZugLeistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.15 Reine Zahlungsklage, Zug um Zug, bei Abhängigkeit der gesamten geforderten Leistung von der Gegenleistung . . . . . . M 15.16 Antragsergänzung bei Verzug des Schuldners . . . . . . . . . . . b) Bei Abhängigkeit eines Teils der geforderten Leistung von der Gegenleistung M 15.17 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung, Zug um Zug, bei Abhängigkeit eines Teils der geforderten Leistung von der Gegenleistung . . . . . . . . . . . . c) Bei möglicherweise bestehendem Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts . . . M 15.18 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung, Zug um Zug, bei möglicherweise bestehendem Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts, Beklagter Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Wahlschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.19 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung bei Wahlschuld . . . . . . . Antrag auf Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . Herausgabe einer beweglichen Sache . . . . a) Mit Worten gut zu beschreibende Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.20 Antrag auf Herausgabe einer mit Worten gut zu beschreibenden Sache . . . . . . . . . . . . b) Mit Worten unzureichend zu beschreibende Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.21 Antrag auf Herausgabe einer mit Worten unzureichend zu beschreibenden Sache . . . . . . c) Dem Beklagten übereignete Sache . . . . M 15.22 Antrag auf Herausgabe einer beweglichen Sache, verbunden mit dem Antrag auf Verschaffung des Eigentums an jener Sache . . . . . . . . . . . . . . d) Im Rahmen einer Stufenklage bei fehlender Kenntnis der herauszugebenden Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kap. 15
129 131 133 134 136 137 138 139 140 141 143 144 146 146 147
149 152 153 154 156
ZPO
Kap. 15
2.
3.
VI. 1.
2.
236
Klageanträge (und Klagebegründung)
c) Rechenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.31 Klage, Antrag auf Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Leistung einer Sicherheit . . . . . . . . . . . M 15.32 Klage, Antrag auf Leistung einer Sicherheit . . . . . . . . . . . M 15.33 Klage, Antrag auf Leistung einer Sicherheit, Hilfsantrag . . . e) Befreiung von einer Verbindlichkeit . . . M 15.34 Klage, Antrag auf Befreiung von einer Verbindlichkeit . . . f) Allgemein Vornahme einer unvertretbaren Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.35 Klage, Antrag auf Verurteilung zu einer nicht vertretbaren Handlung . . . . . . . . . . g) Allgemein Vornahme einer vertretbaren Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.36 Klage, Antrag auf Verurteilung zu einer vertretbaren Handlung . . . . . . . . . . . . . . . Unterlassung, Duldung . . . . . . . . . . . . . . M 15.37 Klage, Abgrenzung Duldung zu Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.38 Klage, Abgrenzung Unterlassung zur Duldung . . . . . . . . . . . . . . . a) Immissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.39 Klage, immissionsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Überschreiten von Grenzwerten . . M 15.40 Klage, immissionsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Beeinträchtigung bei Unterschreiten der Richtwerte . . . . b) Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.41 Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft . . . . . M 15.42 Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft, die Beklagte ist eine juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . Duldung der Zwangsvollstreckung . . . . . . M 15.43 Klage, Antrag auf Duldung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . Feststellungsklage, Zwischenfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung zur Leistungs- und Gestaltungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Positive und negative Feststellungsklage; Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.44 Feststellungsantrag – Abgrenzung Tatsache/Rechtsfrage gegenüber Feststellung eines Rechtsverhältnisses . . . . . . . . d) Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . Zwischenfeststellungsklage . . . . . . . . . . . .
Vorwerk
164 165 168
3.
169 171 173 178 180 181 183 184 185 186 188 190 192 4. 194 195 196
198 201
5.
6.
202 205 205 205 206 215 7. 217 222 228
8.
a) Besondere Prozessvoraussetzungen . . . b) Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Pflichten . . . . . . . . . . . . . . a) Schadensersatz allgemein . . . . . . . . . . M 15.45 Klage, Feststellung einer Schadensersatzpflicht . . . . . . M 15.46 Klage, Verbindung von Leistungsantrag und Feststellung der Schadensersatzpflicht . . . b) Berücksichtigung eines Mitverschuldens- oder Mitverursachungsanteils . . M 15.47 Klage, Feststellung der Schadensersatzpflicht unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens-/Mitverursachungsanteils des Klägers . . . c) Pflicht zum Abschluss eines Vertrages . d) Bedingungsgemäße Leistung aus dem Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . M 15.48 Klage, Feststellung der Pflicht des Versicherers, Versicherungsschutz zu leisten . . . . . . e) Als Gegenreaktion auf eine Teilklage . . M 15.49 Negative Feststellungs-Widerklage als Gegenreaktion auf eine Teilklage . . . . . . . . . . . . f) Feststellung eingetretenen Annahmeverzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei in der Zwangsvollstreckung auftretenden Problemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.50 Feststellungsklage bei in der Zwangsvollstreckung auftretenden Problemen, fehlende Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . Bei Streit über die Erfüllung der Zugum-Zug-Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.51 Feststellungsklage bei Streit über die Erfüllung der Zug-um-ZugLeistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feststellung des Bestehens eines Vertragsverhältnisses allgemein . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragsverhältnis zum Beklagten . . . . M 15.52 Klage zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses zum Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und einem Dritten . . . . . . . . . M 15.53 Klage zur Feststellung des Bestehens eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Beklagten und einem Dritten . . . . . Feststellung der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfeststellungsklage, Zwischenfeststellungs-Widerklage . . . . . . . . . . . . . a) Zwischenfeststellungsklage . . . . . . . . .
229 237 239 240 242 243 246 249
250 251 252 253 254 255 257 258
260 261 263 265 266
267 268
269 271 272 273
9.
VII. VIII. 1.
M 15.54 Zwischenfeststellungsklage . . b) Zwischenfeststellungs-Widerklage . . . . M 15.55 Zwischenfeststellungs-Widerklage betreffend den Gegenstand der Hilfsaufrechnung . . c) Drittwiderklage als Zwischenfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.56 Zwischenfeststellungsklage als Drittwiderklage . . . . . . . . Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.57 Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage . . . . . . . Abänderungsklage, Klagenhäufung . . . . Weitere bei Klageerhebung sinnvoll zu stellende Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Für den Fall der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . .
274 276 277
2.
278 279
3.
281 283 285
4.
286 286 5.
Rz. 3 Kap. 15
M 15.58 Anträge für den Fall der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art der Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . M 15.59 Art der Sicherheitsleistung . . . . . M 15.60 Art der Sicherheitsleistung; Beklagte ist ein Kreditinstitut . . . . Übertragung auf den Einzelrichter . . . . . . M 15.61 Bedenken gegenüber der Übertragung des Rechtsstreits auf ein Mitglied der Zivilkammer als Einzelrichter . . . . . . . . . . . . . . . Güteverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.62 Vorbereitung des Mandanten auf die Ladung zur Güteverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 15.63 Absehen von der Güteverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ZPO
Klageanträge (und Klagebegründung)
288 289 293 296 298
303 304 305 307 310
I. Zulässigkeitsvoraussetzung Güteverfahren 1. Zulässigkeitsvoraussetzung Durch § 15a EGZPO ist den Ländern die Möglichkeit eröffnet worden, in bestimmten Fällen vor Kla- 1 geerhebung ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor einer anerkannten Gütestelle vorzuschreiben. Sofern das obligatorische Güteverfahren nach § 15a EGZPO von einem Bundesland eingeführt worden ist, ist seine ordnungsgemäße Durchführung Prozessvoraussetzung des Klageverfahrens vor einem Gericht dieses Landes; wobei das Schlichtungsverfahren zwingend bis zur Klageerhebung abgeschlossen sein muss (vgl. BGH NJW 2005, 437; MDR 2011, 1253 Rz. 9). Die Ermächtigung in § 15a EGZPO sieht vor, die Streitschlichtung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bei Streitigkeiten bis zu 750 Euro einzuführen. Von dieser Möglichkeit hatten zunächst einige Bundesländer Gebrauch gemacht; nach gegenwärtigem Stand – August 2018 – besteht in keinem Bundesland mehr die Verpflichtung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 750 Euro eine obligatorische Streitschlichtung durchzuführen. Für die übrigen in § 15a EGZPO geregelten Fälle haben folgende Länder Gebrauch gemacht:
2
– Bayern (BaySchlG, GVBl. 2000, 268; 2013, 174);
3
– Brandenburg (BbgSchlG, GVBl. I 2000, 134; 2006, 186); – Hessen (HSchlichtG, GBl. 2001, 98; 2012, 622); – Rheinland-Pfalz (RPLSchlG, GVBl. 2008, 204); – Niedersachsen: (NSchlG, Nds. GVBl. 2009, 482); – Nordrhein-Westfalen, (SchAG NRW, GVBl. 2000, 476); nur noch eingeschränkt ab dem 1.1.2008 (GVBl 2007, 583); vgl. § 53 JustG NRW (GVBl. 2010, 30); – Mecklenburg-Vorpommern (SchStG M-V, GBl. 1990, 1527; 2015, 462); – Saarland (SaarSchlG, Amtsbl. 2001, 532; 2010, 1406, iVm. § 37a AGJusG, Amtsbl. 1997, 258; 2017, 79). Außer Kraft treten mit Ablauf des 31.12.2020, vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 G v. 21.2.2001 (Amtsbl. 2001, 532, insoweit geändert. durch Art. 12 G v. 26.10.2010 (Amtsbl. I, 1406);
Vorwerk
237
Kap. 15 Rz. 4
Klageanträge (und Klagebegründung)
ZPO
– Sachsen-Anhalt (SchStG, GVBl. 2001, 214; 2010, 192); – Schleswig-Holstein (LSchliG, GVOBl. 2001, 361); geändert GVBl. 2008, 831.
4 In den übrigen Bundesländern ist das obligatorische Streitschlichtungsverfahren keine Voraussetzung mehr für eine Klage.
5 Die entsprechenden Regelungen sind im Schönfelder Erg.Bd. unter den Ordnungsnummern 104 bis 104j abgedruckt. 2. Gegenstand des Güteverfahrens
6 In welchen Fällen das obligatorische Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchzuführen ist, ist der jeweiligen Landesgesetzgebung zu entnehmen.
7 Zulässig ist die Einführung des obligatorischen Güteverfahrens für Klagen vor dem Amtsgericht in vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Gegenstandswert von bis zu 750 Euro, – für Klagen vor dem Amtsgericht und Landgericht in bestimmten Nachbarstreitigkeiten, – für Klagen vor dem Amtsgericht und Landgericht über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind und – in Streitigkeiten über Ansprüche nach Abschnitt 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (BGBl. I 2006, 1897).
8 K
Wichtig: Ein im Verlauf des Gerichtsverfahren vorgenommener Parteiwechsel auf der Klägerseite macht keinen neuen Schlichtungsversuch erforderlich (BGH NJW-RR 2010, 1726).
9 Auf welche Streitigkeiten sich die Ermächtigung des § 15a EGZPO nicht erstreckt, ist § 15a Abs. 2, 3 EGZPO zu entnehmen.
10 K
Praxistipp: Nach erfolglos abgelaufenem Einigungsversuch muss die Gütestelle um Ausstellung einer Bescheinigung über den erfolgslosen Einigungsversuch ersucht werden. Die Bescheinigung ist mit der Klage einzureichen.
11 K
Praxistipp: Wegen der Vergütung, die der Anwalt für das Güteverfahren berechnen kann, vgl. Nr. 2303 VV RVG (hierzu Kap. 43 Rz. 348).
II. Klageschrift 1. Notwendiger Inhalt, Form a) Form
12 Die Klage wird bei dem in der Klageschrift bezeichneten Gericht durch Einreichen eines Schriftsatzes, der den Erfordernissen des § 253 Abs. 2–4 ZPO entspricht, sowie die Zustellung dieses Schriftsatzes an den in der Klageschrift bezeichneten Prozessgegner erhoben; wobei die Zustellung durch das Gericht von Amts wegen zu bewirken ist (§ 270 Abs. 1 iVm. § 166 Abs. 2 ZPO). Wird Klage vor dem Amtsgericht erhoben, ermöglichen §§ 496, 129a ZPO die Klageerhebung allerdings auch durch mündliche Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle.
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Praxistipp: Von dieser durch das Gesetz eröffneten Möglichkeit lässt sich, sofern – noch (vgl. § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO) – ein Protokollführer anwesend ist, im Verfahren vor dem Amtsgericht in der mündlichen Verhandlung etwa in dem Fall Gebrauch machen, dass die Klage noch auf eiVorwerk
Rz. 17 Kap. 15
nen Streitgenossen des Beklagten erstreckt oder für einen Streitgenossen des Klägers gegen den Beklagten erhoben werden muss; wegen des Verfahrens s. 7. Aufl. Kap. 15 Rz. 10, 11. Die Einreichung der Klage bewirkt deren Anhängigkeit; die Zustellung der Klage die Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO). Die Wirkungen der Rechtshängigkeit verlegt das Gesetz durch die Bestimmungen der §§ 167, 696 Abs. 3 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage. Zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage bleibt der Kläger ungeachtet dessen alleiniger Herr des Verfahrens; er kann die Klage deshalb grundsätzlich ohne die Kostenfolge des § 269 ZPO zurücknehmen, bleibt allerdings gem. § 22 Abs. 1 GKG für die Gerichtskosten (Veranlassungs-)Schuldner. Wird die Klage (s. Rz. 15) erst im Laufe des Prozesses erhoben, ist – insbesondere wegen der materiell-rechtlichen Wirkungen – § 261 Abs. 2 ZPO zu beachten. Danach tritt die Rechtshängigkeit eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechender Schriftsatz zugestellt wird.
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Praxistipp: Zu den im Laufe des Prozesses gem. § 261 Abs. 2 ZPO erhobenen Ansprüchen ge- 15 hören die Klageerweiterung (§§ 260, 264 Nr. 2 und 3 ZPO), die Klageänderung (§ 263 ZPO), aber auch die Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) sowie die Widerklage (§ 33 ZPO) und die Anschlussberufung (§ 524 ZPO). Bei ihnen ist wegen der materiell-rechtlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit des entsprechenden Anspruchs darauf zu achten, dass der Zugang des entsprechenden Schriftsatzes, etwa durch den Eingangsstempel des Gerichts auf dem (im Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht unterschriebenen!) für die eigenen Handakten bestimmten Exemplar des Schriftsatzes, und die Zustellung jenes Schriftsatzes beim Prozessgegner nachgewiesen werden kann. Der entsprechende Schriftsatz sollte daher mit dem für die Geschäftsstelle deutlich erkennbaren Vermerk, „Von Amts wegen zustellen!“, versehen werden. Ist die amtswegige Zustellung versäumt worden, ist die Rechtshängigkeit des Anspruchs auch im Falle der Zustellung gem. § 195 ZPO von Anwalt zu Anwalt bewirkt (BGH NJW 1992, 2235); wobei es dazu allerdings der Erteilung eines Empfangsbekenntnisses durch den gegnerischen Prozessbevollmächtigten bedarf. Fehlt es an der Erteilung eines förmlichen Empfangsbekenntnisses, kann der Formmangel der Zustellung gem. § 189 ZPO geheilt werden (BGH NJW 1992, 2235). Da die Rechtshängigkeit die Anhängigkeit des Anspruchs voraussetzt und es in einer nachlässig geführten Geschäftsstelle nicht selten vorkommt, dass der unmittelbar bei der Geschäftsstelle abgegebene Schriftsatz nicht mit einem Eingangsstempel des Gerichts versehen wird, muss – wie erwähnt – bei einem erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruch darauf geachtet werden, dass auch der Zeitpunkt der Anhängigkeit des Anspruchs nachgewiesen werden kann.
Als das Verfahren unmittelbar gestaltende Prozesshandlung (s. dazu Zöller/Greger vor § 128 ZPO 16 Rz. 14) ist die Klageschrift bestimmender Schriftsatz (dazu im Einzelnen s. Zöller/Greger § 129 ZPO Rz. 3). Sie bedarf mithin der eigenhändigen Unterschrift oder der qualifizierten elektronischen Signatur (§ 130a ZPO), die im Anwaltsprozess vom Anwalt zu leisten ist. b) Rubrum, Bezeichnung des Gerichts Zum notwendigen Inhalt der Klageschrift gehört die Bezeichnung der Parteien, die jeden Zweifel be- 17 seitigt, wer Kläger ist und wer als Beklagter in Anspruch genommen wird (s. dazu Kap. 13 Rz. 5 ff.). Anzugeben ist ferner das Gericht als solches, also nicht zwingend der innerhalb des Gerichts zuständige Spruchkörper, bei dem die Klage erhoben wird. Wegen der Bestimmung des § 96 GVG ist in der Klageschrift allerdings zu beantragen, dass der Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen verhandelt werden soll, wenn dies begehrt wird. Jener Antrag kann inzident auch in der Weise gestellt werden, dass die Kammer für Handelssachen im Zusammenhang mit der Bezeichnung des Gerichts, an das sich die Klage richtet, als funktional zuständiger Spruchkörper jenes Gerichts angeführt wird (vgl. Zöller/ Greger § 253 ZPO Rz. 9).
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18 M 15.1 Klageschrift: Bezeichnung des Gerichts, Antrag gem. § 96 GVG Statt: Landgericht Hannover Volgersweg 65 30175 Hannover Klage in Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich, 1. … 2. … Zugleich stelle ich den Antrag, den Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen zu verhandeln. … kann demnach auch formuliert werden: Landgericht Hannover – Kammer für Handelssachen – Volgersweg 65 30175 Hannover Klage in Sachen …/… (Langrubrum) beantrage ich, 1. … 2. … Zur Begründung der Klage führe ich an: …
c) Klageantrag, Klagebegründung
19 Für die Zulässigkeit der Klage zwingend ist zudem die bestimmte Angabe des Gegenstandes und Grundes des Anspruchs sowie ein bestimmter Antrag (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Gegenstand und der Grund des Anspruchs sowie der Antrag bestimmen den Streitgegenstand (s. dazu Zöller/G. Vollkommer, Einl. Rz. 60 ff.) und grenzen für das Gericht ab, über was zu entscheiden ist (§ 308 ZPO).
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Praxistipp: Da das Gericht über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, gem. § 308 Abs. 2 ZPO auch ohne Antrag zu erkennen hat, ist der in der Klageschrift häufig anzutreffende Antrag, „dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen“, nicht nur entbehrlich, sondern überflüssig.
21 Der Grund des Anspruchs ist der vom Kläger im Einzelnen vorzutragende Sachverhalt, aus dem er seinen mit der Klage verfolgten Anspruch herleitet. Die rechtliche Einordnung des Sachverhalts ist 240
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Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 27 Kap. 15
Stützt sich der mit der Klage verfolgte Anspruch zwar auf denselben Lebenssachverhalt, erfüllen die einzelnen Elemente des Lebenssachverhalts jedoch den Tatbestand unterschiedlicher Normen, sollte der Vortrag so strukturiert werden, dass die den jeweiligen Tatbestand der einzelnen Norm ausfüllenden Elemente des Lebenssachverhalts in der Darstellung selbst wiederum so zusammengeführt werden, dass das Gericht innerhalb der vorgegebenen Darstellung die anspruchsbegründenden Tatsachen jeder einzelnen Norm nacheinander durchprüfen kann. Muss sich das Gericht die den Tatbestand ausfüllenden Elemente der anspruchsbegründenden Norm im Vortrag des Klägers erst „zusammensuchen“, läuft der Kläger Gefahr, dass Anspruchsgrundlagen vom Gericht übersehen werden. Spiegelbildlich gilt dies selbstverständlich auch für die Darstellung in der Klageerwiderung (s. dazu Kap. 20 Rz. 67 ff.).
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nicht erforderlich, bei einfach gelagerten Sachverhalten immer dann entbehrlich, wenn sich der mit dem Klageantrag verfolgte Anspruch „wie von selbst“ aus dem dargelegten Sachverhalt ergibt. Da der Anspruchsgrund konkret darzulegen ist, sind sämtliche Einzelheiten in der Klagebegründung auszuführen, die den Tatbestand der Anspruchsgrundlage ausfüllen, aus der die entsprechende Rechtsfolge abgeleitet wird.
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Im Anwaltsprozess unzulässig ist die Bezugnahme auf Parteivorbringen (vgl. BGHZ 22, 254; für 23 den Sonderfall des Übergangs vom Mahnverfahren in das Streitverfahren s. jedoch BGHZ 84, 136). Die Bezugnahme auf Anlagen, die der Klageschrift – oder später vorgelegten vorbereitenden Schriftsätzen – beigefügt werden, ist nur zulässig, wenn sich durch einfaches Nachschlagen in der Anlage selbst der Teil auffinden lässt, auf den der Vortrag in der Klageschrift – oder einem späteren Schriftsatz – Bezug nimmt (BGH MDR 2017, 847; BVerfG NJW 1994, 2683). Die Bezugnahme auf Vortrag in Beiakten erfordert, dass zumindest gestrafft dargestellt wird, was Gegenstand der Ausführungen ist, auf die sich die Bezugnahme in den Beiakten erstreckt; ferner die genaue Angabe der Stelle in den Beiakten, unter der der entsprechende Vortrag zu finden ist (BGH NJW 1994, 3295, 3296). Geschieht dies nicht, lässt sich weder im Berufungsverfahren (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO!) noch im Revisionsverfahren (BGH aaO; NJW 1990, 1910, 1912) rügen, dass der für wesentlich erachtete Vortrag aus den Beiakten nicht beachtet worden ist. Der zum notwendigen Inhalt der Klage gehörende bestimmte Antrag muss, obwohl er selbst der Auslegung zugänglich ist (BGH NJW-RR 1998, 1005; NJW 2008, 1384; MDR 1998, 556), eindeutig sein. Diese Voraussetzung ist in der Regel erfüllt, wenn
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– der Antrag den Anspruch konkret benennt, – für das Gericht der Umfang der Entscheidungsbefugnis iS des § 308 ZPO abgegrenzt ist und – sich Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) aus dem Antrag erkennen lassen. Darüber hinaus darf der Antrag das Risiko eines etwaigen – und sei es teilweisen – Unterliegens des 25 Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeiten auf den Beklagten abwälzen. Schließlich muss die antragsgemäße Entscheidung die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lassen (BGH NJW 2016, 1094 Rz. 19). Wird eine Teilklage erhoben, muss aus der Klagebegründung und dem Klageantrag erkennbar sein, welcher Teil des Gesamtanspruches Gegenstand der Klage ist (BGH NJW 2017, 2623 Rz. 10). Das gilt insbesondere, wenn sich der Gesamtanspruch aus mehreren selbständigen Einzelforderungen zusammensetzt. Kommt eine Mithaftungsquote des Klägers in Betracht, ist bei der Teilklage die Quote nicht in Abzug zu bringen (Zöller/Greger § 253 ZPO Rz. 16), da Gegenstand des dem Kläger zustehenden Gesamtanspruchs der um die Haftungsquote verminderte Schaden ist.
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Auch für die Nebenforderungen gilt der Grundsatz, dass ein bestimmter Antrag zu stellen ist. Da dem Kläger für den Fall, dass er Prozesszinsen gem. § 291 BGB begehrt, das Datum der Klagezustel-
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lung nicht bekannt ist, darf er Zinsen „ab Rechtshängigkeit“ beanspruchen; das Gericht hat alsdann im Urteilstenor das Datum der Rechtshängigkeit einzusetzen.
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Praxistipp: Aufgrund der Regelung des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der gesetzliche Verzugszins variabel, weil er auf den Basiszinssatz Bezug nimmt. Nach allgemein unbeanstandet gebliebener Praxis ist es ohne Weiteres zulässig, im Zinsantrag unmittelbar auf die Gesetzesformulierung Bezug zu nehmen (vgl. insoweit etwa M 15.2 und M 15.3).
29 Möglich ist auch, Zinsen in Form der Zinsstaffel zu begehren (s. M 15.5). Sind Zinsen als Nebenforderung im Rahmen eines errechneten kapitalisierten Betrages Gegenstand der Klageforderung, ist wegen des Zinseszinsverbotes (§ 289 BGB) darauf zu achten, dass nur die Hauptforderung der weiteren Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen unterliegen kann.
30 Steht dem Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zu (§ 273 BGB, § 369 HGB) oder kann er die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) erheben, sollte der Kläger, um ein Teilunterliegen zu vermeiden, einen Antrag auf Zug-um-Zug-Verurteilung stellen (s. Rz. 102 ff. sowie Kap. 20 Rz. 37 ff.).
31 Nicht notwendiger Inhalt der Klageschrift ist gem. § 253 Abs. 3 und 4 ZPO die Angabe des Streitwerts, die bei nicht bezifferten Klagen die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit sowie der Höhe des einzufordernden Kostenvorschusses ermöglicht.
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Praxistipp: Für die Zeit bis 31.12.2019 (BT-Drucks. 19/1686; BR-Drucks. 254/18, 254/18 [B]); Achtung: Eine weitere Verlängerung der Übergangsregel ist denkbar!) ist § 544 ZPO mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Beschwerde für die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt. Dies folgt aus § 26 Nr. 8 EGZPO. Soweit es bezifferte Anträge angeht, ist die Auslegung des § 26 Nr. 8 EGZPO unproblematisch. Probleme bereitet die Vorschrift jedoch, soweit es unbezifferte Anträge angeht. Zwar ist es möglich, den Wert des Beschwerdegegenstandes des abtrennbaren Teils des Rechtsstreits, für den die Zulassung der Revision begehrt wird, auch noch mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde glaubhaft zu machen (s. BGH NJW 2002, 2720, 2721). Allerdings muss sowohl der Kläger (BGH NJW-RR 2013, 1402; BGH Grundeigentum 2012, 1314) wie auch der Beklagte (BGH v. 15.5.2014 – I ZR 176/13) schon im Verfahren vor dem Tatrichter (vgl. Kap. 65 Rz. 112) anführen, dass und warum die Klageabweisung bzw. die Verurteilung ihn mit mir als 20.000 Euro beschwert. Wegen der kurzen Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 ZPO) empfiehlt es sich, bei unbezifferten Klageanträgen ausführlich zum Streitwert vorzutragen, weil sich aus jenem Vortrag der Wert des Beschwerdegegenstands häufig ablesen lassen wird.
33 Auch die Äußerung dazu, ob die Zivilkammer – ist die originäre Einzelrichterzuständigkeit gem. § 348 Abs. 1 ZPO nicht begründet – die Sache durch Beschluss einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter übertragen sollte (§ 348a ZPO), ist nicht zwingender Inhalt der Klageschrift (s. dazu auch Rz. 298). Das gilt ebenfalls für die in § 130 ZPO enthaltenen Angaben, sofern diese nicht zugleich unter die zwingenden Erfordernisse des § 253 Abs. 2 ZPO fallen (s. Zöller/Greger § 253 ZPO Rz. 20).
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Wichtig: Durch die am 5.8.2009 in Kraft getretene Regelung des § 15a RVG, die als Reparaturgesetz gegenüber der zuvor ergangenen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 2008, 1323) zu verstehen ist, ist es nicht mehr nötig und auch nicht mehr zulässig, die Verfahrensgebühr iHv. 0,55 durch gesonderten Leistungsantrag innerhalb der Klage durchzusetzen. Die Anrechnungsregelung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG wirkt sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus (BGH NJW 2009, 3101). Die Anrechnungsregel betrifft grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Sichergestellt wird durch § 15a Abs. 2 RVG lediglich, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus in Anspruch genommen
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Rz. 40 Kap. 15
werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann (vgl. BGH v. 19.9.2010 – IV ZB 42/09). Die Zustellung der Klageschrift erfolgt nach Vorauszahlung der Gebühr für das Verfahren im All- 35 gemeinen (§ 12 GKG iVm. Nr. 1210 KV GKG). Zu zahlen sind demnach drei Gebühren nach der Gebührentabelle zum GKG, die sich auf der Grundlage des für die Klage maßgeblichen Streitwertes berechnen. 2. Wirkung der Klageerhebung Materiell-rechtlich bewirkt die Klageerhebung vor allem die Hemmung der Verjährung (§ 204 BGB), den Eintritt des Verzuges (§ 286 Abs. 1 Satz 2 BGB), den Anspruch auf die Rechtshängigkeitszinsen (§ 291 BGB), die Verschärfung der Haftung für den Schuldner in den Fällen der §§ 292, 818 Abs. 4, 987, 988, 989, 991, 994 Abs. 2, 996, 1007 Abs. 3, 2023 BGB sowie das Ende des Vertrauensschutzes gem. § 407 Abs. 2 BGB. Darüber hinaus hat die Klageerhebung materiell-rechtlich Bedeutung für die Hemmung der Ersitzung (§ 939 BGB) sowie von Ausschluss- und Vorlegungsfristen (§§ 1965 Abs. 2, 562b Abs. 2 Satz 2, 801 Abs. 1 Satz 3, 804 Abs. 1 Satz 2, 864 Abs. 1, 977, 1002, 1188 Abs. 2, 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB). Im Handelsrecht verleihen der Klageerhebung materiell-rechtliche Wirkungen die §§ 140 Abs. 2, 372 Abs. 2, 441 Abs. 3 HGB.
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Zu den prozessualen Wirkungen der Klageerhebung sind die Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO), die Einschränkung der Möglichkeit der Klageänderung (§ 263 ZPO), die sog. Fixierung (s. Zöller/Greger vor § 253 ZPO Rz. 27) der Zuständigkeit des Gerichts (§ 261 Abs. 3 Satz 2 ZPO) und der Sachlegitimation des Klägers (§ 265 ZPO) sowie die Unzulässigkeit anderweitiger gerichtlicher Geltendmachung des Klageanspruchs (§ 261 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und die Beschränkung der Möglichkeiten der Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) zu zählen.
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III. Antrag auf Verurteilung zur Zahlung 1. Reine Zahlungsklage Ein Zahlungsantrag muss den Betrag angeben, den der Kläger vom Beklagten fordert; die Berech- 38 nung darf nicht dem Gericht oder Gegner überlassen werden. Ein Bestimmungsrecht, wie es etwa in §§ 315, 316 BGB enthalten ist, muss der Kläger ausüben und den nach erfolgter Bestimmung geforderten Betrag im Klageantrag konkret angeben (BGH JZ 1973, 61). Lautet die Schuld ausdrücklich auf eine fremde Währung, darf der Klageantrag auf Verurteilung zur Zahlung des Betrages in jener fremden Währung lauten (BGH NJW 1980, 2017).
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Wichtig: Die Fassung des § 288 BGB, die den Zinssatz für Entgeltforderungen bei Rechtsgeschäf- 39 ten regelt, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, legt für nach dem 29.7.2014 begründete Rechtsgeschäfte den Zinssatz auf neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz fest (§ 288 Abs. 2 BGB). Für vor dem 29.7.2014 begründete Rechtsgeschäfte gilt weiterhin der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes v. 22.7.2014 (BGBl. I 2014, 1218) ein Zinssatz von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
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Praxistipp: Für Zahlungsansprüche, die vor dem 1.5.2000 entstanden sind, beachte Art. 229 § 1 EGBGB; für vor dem 1.1.2002 begründete Schuldverhältnisse beachte für Verzugszinsansprüche Art. 229 § 5 EGBGB! S. ferner auch Rz. 43 ff.; vgl. wegen der Bezugsgrößen für Zinsen auch Art. 229 § 7 EGBGB. Wegen des Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (BGBl. I 2014, 1218) beachte Art. 229 § 34 EGBGB: Die §§ 271a, 286, 288, 308 und 310 BGB in der seit dem 29.7.2014 geltenden Fassung sind nur auf ein Schuldverhältnis anzuwenden, das nach dem 28.7.2014 entstanden ist. Soweit die Gegenleistung nach dem 30.6.2016 erbracht wird sind die Vorwerk
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neuen Vorschriften auch auf ein vorher entstandenes Dauerschuldverhältnis anzuwenden, Art. 229 § 34 Satz 2 EGBGB. a) Zahlung nebst Prozesszins
41 Die Regelung des § 291 BGB hat durchaus praktische Bedeutung; sie spricht dem Gläubiger Rechtshängigkeitszinsen auch dann zu, wenn sich der Schuldner noch nicht im Verzug befindet. Da die Rechtshängigkeitszinsen dem Verzugszins entsprechen (§ 291 Satz 2 BGB), kann sich durch zügige Klagerhebung ein Zinsvorteil für den Gläubiger ergeben.
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Praxistipp: Erhebt der Gläubiger nach Fälligkeit der Schuld sogleich die Klage, kann er sich bei Entgeltforderungen den Anspruch auf Prozesszinsen, der der Höhe nach mit dem Anspruch auf den Verzugszins identisch ist, sichern, ohne dass er zuvor die in § 286 Abs. 3 BGB angeführte Frist von 30 Tagen nach Zugang der Rechnung oder eine im Rahmen einer Mahnung zu setzende Frist verstreichen lässt.
43 Die Höhe des Prozesszinses errechnet sich – wegen des Verweises auf den gesetzlichen Verzugszins – über den Basiszinssatz, der seinerseits nunmehr in § 247 BGB geregelt ist. Die Höhe des Basiszinssatzes gibt die Deutsche Bundesbank jeweils unverzüglich nach dem 1.1. und 1.7. eines jeden Jahres – dies sind die Zeitpunkte, zu denen Veränderungen des Basiszinssatzes möglich sind (§ 247 Abs. 1 BGB) – bekannt. Zu den Auswirkungen der Finanzkrise infolge des negativen Basiszinssatzes vgl. Coen NJW 2012, 3329.
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Praxistipp: Ein Programm zur Berechnung der Zinsforderung findet sich im Internet unter www.basiszinssatz.de; der aktuelle Basiszinssatz kann auf der Homepage der Deutschen Bundesbank eingesehen werden (www.bundesbank.de oder www.dnoti.de).
45 M 15.2 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Prozesszins, Beklagter Verbraucher,
alternativ Unternehmer (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 60.325,20 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: … … Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte hat dem Kläger mithin ab Rechtshängigkeit Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Oder: beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 606.325,20 Euro nebst Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: … …
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Der mit der Klage verfolgte Anspruch ist – wie den Ausführungen zum Klageanspruch selbst zu entnehmen ist – ein Anspruch aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Handelsgeschäft. Der Kläger kann daher Rechtshängigkeitszinsen gem. §§ 291, 288 Abs. 2 BGB fordern. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
b) Zahlung nebst Verzugszins Nach der Grundregel des § 286 Abs. 1 BGB gerät der Schuldner in Verzug, wenn er auf eine Mahnung 46 des Gläubigers, die nach Eintritt der Fälligkeit erfolgt, nicht leistet. Die Erhebung der Klage auf Leistung oder die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren stehen der Mahnung gleich. Der Mahnung bedarf es nicht, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist (§ 286 Abs. 1 sowie Abs. 2 Nr. 1 BGB).
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Keiner Mahnung bedarf es zudem unter folgenden Voraussetzungen:
– § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB bestimmt, dass es einer Mahnung dann nicht bedarf, wenn der Leistung – 48 generell – ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sich die Zeit für die Leistung von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Eine Kündigung ist ein solches Ereignis; ebenso etwa die vereinbarte Bestätigung – des Schuldners oder eines Dritten (etwa eines Notars) – dass die den Vergütungsanspruch auslösende Leistung erbracht ist. Im Rahmen der Vertragsgestaltung lassen sich mithin eine Vielzahl von Regelungen erdenken, über die die Fälligkeit der Gegenleistung so gesteuert wird, dass es zum Eintritt des Verzugs keiner Mahnung mehr bedarf. – In Verzug gerät zudem derjenige Schuldner, der ernsthaft und endgültig die Leistung verweigert, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
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– Nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB bedarf es ebenfalls keiner Mahnung, wenn „aus besonderen Gründen 50 unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist“. Die Literatur (Palandt/Grüneberg § 286 BGB Rz. 25; MüKo.BGB/Ernst § 286 BGB Rz. 66 ff.; Bamberger/Roth/Lorenz, BeckOK.BGB, 46. Ed., § 286 BGB Rz. 37) erfasst unter dieser Regelung unter gleichzeitigem Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung die Fälle der Selbstmahnung des Schuldners, besonderer Dringlichkeit der Leistung oder Kenntnis des Schuldners von der fehlerhaften Leistung. § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB will einen Interessenausgleich schaffen. Es ist daher möglich, dass die Vorschrift auch auf Fälle anzuwenden ist, die über den Rahmen der bisherigen Rechtsprechung hinausgehen. Zu denken ist etwa daran, aufgrund der Betonung des Schutzes von Opfern körperlicher Gewalt (s. §§ 199 Abs. 2, 208 BGB) über die Regelung in § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB die Verzugsfolgen bei Schadensersatzleistungen aus – und sei es nur vorsätzlichen – Körperverletzungen auch ohne Mahnung eintreten zu lassen. Dabei könnte dies im Sinne einer „vorsichtig vortastenden Rechtsprechung“ auch nur für die Fälle gelten, in denen sich der Täter der Feststellung seiner Person zeitweilig entzogen und dem Opfer damit die Rechtsverfolgung erschwert hat. – Bei Entgeltforderungen kommt der Schuldner ungeachtet der Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 51 BGB spätestens in Verzug, wenn der Schuldner nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit der Forderung und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet. Ist die Forderung vor Zugang der Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung fällig, setzt der Zugang der Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung die Zahlungsfrist von 30 Tagen in Lauf (§ 286 Abs. 3 BGB). Ab dem 31. Tage nach Zugang der Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung ist die Entgeltforderung demnach zu verzinsen (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tritt die Fälligkeit der Entgeltforderung erst nach Zugang der Rechnung ein, beginnt die Verpflich-
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tung zur Verzinsung der Geldforderung dementsprechend am 31. Tage nach Eintritt der Fälligkeit der Forderung.
52 Unter welchen Voraussetzungen eine Rechnung oder eine der Rechnung gleichwertige Zahlungsaufforderung iS des § 286 Abs. 3 BGB vorliegt, war in der Rechtsprechung noch nicht zu klären. Nahe liegt, unter dem Begriff der Rechnung eine prüffähige Abrechnung über die erbrachte Leistung zu verstehen, gleich ob die Leistung aus Kauf-, Werk- oder Dienstvertrag etc. erbracht worden ist (so auch Palandt/Grüneberg § 286 BGB Rz. 28; MüKo.BGB/Ernst § 286 BGB Rz. 81).
53 Wichtig ist ferner die in § 286 Abs. 3 BGB geregelte Einschränkung, dass bei Übersendung einer Rechnung über eine Entgeltforderung gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, die Verzugsregelung des § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BGB nur Geltung erlangt, wenn der Verbraucher auf die Folgen des § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BGB besonders hingewiesen worden ist.
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Praxistipp: Bisher ist – immer noch – nicht geklärt, welchen genauen Inhalt der von § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB geforderte Hinweis haben muss. Denkbar ist, den Hinweis nicht nur darauf zu erstrecken, dass Verzug eintritt. Die Formulierung in § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB spricht von „Folgen“ und nicht nur der „Folge“, dass der Verzug eintritt. „Folgen“ dürften deshalb der Verzugseintritt und die Verzugsfolgen, also insbesondere die Verzinsungspflicht gem. § 288 Abs. 1 BGB sein. Denkbar ist, dass auch auf die Schadensersatzpflicht gem. § 288 Abs. 3 und 4 BGB hinzuweisen ist, wenn dieser Anspruch Gegenstand des künftigen Begehrens werden soll.
55 Für die Prozessführung von Bedeutung ist ferner § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB. Ist der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.
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Praxistipp: Da Rechnungen in der Regel nicht per Einschreiben/Rückschein oder gegen Empfangsbestätigung übersandt werden, empfiehlt sich, zu den Voraussetzungen des § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB schon in der Klage vorzutragen, wenn Zinsen entsprechend der Regelung in § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB gefordert werden (s. M 15.3). Da der Schuldner die Gegenleistung in der Regel vor Zugang der Rechnung erhalten hat, wird er, wenn er den Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung bestreitet, mit seinem Bestreiten aufgrund des Vortrags zum Zeitpunkt des Empfangs der Gegenleistung den Zeitpunkt der Verzinsungspflicht vorverlegen, so dass die auf der Grundlage des § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB begehrten Zinsen allemal auszuurteilen sind. Unbenommen bleibt dem Gläubiger selbstverständlich auch, den aus § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB entnommenen Verzugszeitpunkt zum Gegenstand eines Hilfsantrages zu machen (s. M 15.3), um dem Beklagten die Folgen seines etwa beabsichtigten Bestreitens deutlich zu machen.
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Wichtig: Der Streit in der Literatur (MüKo.BGB/Ernst § 286 BGB Rz. 89; Bamberger/Roth/Lorenz § 286 BGB Rz. 48; Westermann/Schultz, Das Schuldrecht 2002, S. 17, 33 f.; Erman/Hager § 286 BGB Rz. 54 mwN), ob sich das in § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB erwähnte Bestreiten des Schuldners auf den Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder auch auf den Zugang der Rechnung überhaupt bezieht, wird über eine am Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. B, ii EG-Richtlinie 2000/35/EG orientierte Auslegung des § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB zu lösen sein. Jene Auslegung führt zu der Erkenntnis, dass der Zugang der Rechnung sicher sein muss, um die Folgen des § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB auszulösen. Wird der Zugang der Rechnung selbst bestritten, muss der Gläubiger den Zugang beweisen. Die Vergünstigungen des § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB kann der Gläubiger also nur in Anspruch nehmen, wenn der Zugang der Rechnung bewiesen und nur der Zeitpunkt des Zugangs streitig ist. Abschließend zu klären sein, wird dies allerdings wohl nur über eine Vorabentscheidung des EuGH (s. Art. 234 EGV).
58 Die Regelung in § 352 Abs. 1 Satz 1 HGB erstreckt § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB auch auf Handelsgeschäfte. Über § 353 Abs. 1 HGB sind Kaufleute untereinander berechtigt, für ihre Forderungen aus beiderseitigen Handelsgeschäften nach Fälligkeit Zinsen zu fordern. Da es an einer handelsrecht246
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Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 60 Kap. 15
lichen Sondervorschrift für Verzugszinsen fehlt, gilt § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB auch für Forderungen aus Handelsgeschäften. Forderungen, die auf Schuldverhältnissen beruhen, die wiederkehrende Geldleistungen zum Gegenstand haben, sind ebenfalls Gegenstand der Regelung in § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Bei jenen Forderungen tritt der Verzug folglich ohne Mahnung ein, wenn für die – wiederkehrende – Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und der Schuldner nicht zu der bestimmten Zeit leistet.
59
M 15.3 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins, Forderung des
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gesetzlichen Zinssatzes, Beklagter Unternehmer (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 10.206,50 Euro nebst Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13.12.2013 zu zahlen. … Zur Begründung führe ich an: … … Die Klageforderung hat der Beklagte in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes (§ 288 Abs. 1 und 2 BGB) seit dem 13.12.2017 zu verzinsen. Mit jenem Tage ist der Beklagte gem. § 286 Abs. 3 BGB in Verzug geraten. Die Klageforderung war am 20.10.2017 fällig. Unter dem … hat der Kläger die anliegende Rechnung über die erbrachte Leistung, die Gegenstand der Klageforderung ist, erstellt; jene Rechnung ist dem Beklagten am … zugegangen. Ich verweise dazu auf das als Anlage … beigefügte, vom Beklagten unterzeichnete Empfangsbekenntnis. Beide Voraussetzungen des § 286 Abs. 3 BGB – Fälligkeit der Forderung und Zugang der Rechnung – lagen demnach kumulativ am … vor. Die in § 286 Abs. 3 BGB genannte Frist von 30 Tagen ist folglich am … abgelaufen, so dass die Klageforderung ab dem 13.12.2017 zu verzinsen ist. Dass die dem Beklagten übermittelte Rechnung keinen Hinweis gem. § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 enthält, ist unschädlich. Die Forderung, die Gegenstand der Klage ist, ist für die Parteien ein beiderseitiges Handelsgeschäft. Der Hinweis gem. § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB ist demnach entbehrlich. Die Höhe des Zinssatzes folgt aus § 352 Abs. 1 HGB iVm. § 288 Abs. 1 und 2 BGB. Der Kläger beschränkt seine Forderung auf den Anspruch auf Verzugszinsen. Alternativ: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 40.000 Euro nebst Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13.12.2017 zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: … … Der Beklagte ist Unternehmer iSv. § 14 BGB. Der Kläger hat dem Beklagten das am 13.11.2017 (erworbene) Fahrzeug am 13.11.2017 übergeben. Zum Beweis dafür überreiche ich anbei den vom Beklagten selbst unterzeichneten Lieferschein.
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ZPO
M 15.3
Kap. 15 Rz. 61
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.3
ZPO
Die Rechnung für das Fahrzeug hat der Kläger dem Beklagten am Tage ihrer Ausstellung zugesandt. Die Rechnungskopie lege ich anbei ebenfalls vor. Die Rechnung enthält die Hinweise gem. § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB. Der Postlauf zwischen … und … beträgt nicht mehr als drei Tage. Dem Beklagten ist die Rechnung mithin spätestens am … zugegangen. Unter Berücksichtigung der Regeln in den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB sowie des § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB befindet sich der Beklagte demnach seit dem 13.12.2017 im Verzug. Seit diesem Zeitpunkt hat er deshalb die Klageforderung gem. § 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen. Sollte der Beklagte den Zugang der Rechnung am … bestreiten, stehen dem Kläger unter Berücksichtigung des § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB Zinsen ab dem 31. Tage nach Übergabe des Fahrzeugs an den Beklagten zu. Die Übergabe des Fahrzeugs am … ist durch den Lieferschein bewiesen. Der 31. Tag nach erfolgter Übergabe des Fahrzeugs ist der …. Demnach hätte der Beklagte von diesem Tage an Zinsen auf die Klagforderung zu zahlen, wenn er den Zugang der Rechnung am … bestreiten sollte. Ich beantrage daher vorsorglich den Beklagten auf den hiermit gestellten Hilfsantrag zu verurteilen, die im Hauptantrag begehrten Zinsen schon ab dem … zu zahlen. Sollte der Beklagte den Zugang der Rechnung überhaupt bestreiten, biete ich Beweis für den Zugang der Rechnung durch eine Vernehmung des Beklagten als Partei an. Sollte der Kläger über dieses Beweismittel den Zugang der Rechnung nicht beweisen können, wird schon jetzt Beweis für die Absendung der Rechnung durch Paula Häner, zu laden beim Kläger angeboten. Die Zeugin Häner hat die Rechnung geschrieben und das Absenden der Rechnung im Postausgangsbuch des Klägers vermerkt. Eine Kopie der entsprechenden Seite des Postausgangsbuchs füge ich ebenfalls bei. Anhaltspunkte dafür, dass die Rechnung auf dem Postwege verloren gegangen ist, sind nicht ersichtlich. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
61 K
Wichtig: Bei der Berechnung des Beginns der Verpflichtung zur Zahlung des Verzugszinses gem. §§ 286 Abs. 3, 288 Abs. 1 BGB ist außer den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB auch § 193 BGB zu beachten. Endet die 30-Tage-Frist gem. § 284 Abs. 3 BGB an einem Sonntag oder staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, beginnt die Zinspflicht erst am nächsten Werktag. Da Leistungsort für die Geldleistung in der Regel der Wohnsitz des Schuldners ist (§§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB), kommt es bei in den verschiedenen Bundesländern differierenden staatlich anerkannten allgemeinen Feiertagen darauf an, ob der 30. Tag nach Fälligkeit der Geldforderung und Zugang der Rechnung am Wohnsitz des Schuldners ein staatlich anerkannter allgemeiner Feiertag ist.
62 Angesichts der Höhe des gesetzlichen Verzugszinses (§ 288 Abs. 1 und 2 BGB; s. auch Rz. 39, 44), wird der Gläubiger, der Kredit in Anspruch nimmt, nicht mehr generell davon ausgehen können, dass sein individueller Zinsschaden über dem gesetzlichen Verzugszins liegt. Hat der Gläubiger einen fest verzinslichen Kredit aufgenommen, lässt sich für ihn – unter Berücksichtigung der Prozessdauer – noch leicht abschätzen, ob voraussichtlich ein Zinsschaden entstehen wird, der den gesetzlichen Verzugszins übersteigt (§ 288 Abs. 4 BGB). Ist das nicht der Fall, bietet sich an, den gesetzlichen Verzugs-
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M 15.4
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 63 Kap. 15
M 15.4 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins, Zinsforderung in
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Höhe des gesetzlichen Verzugszinses, Teilklage wegen der Zinsen; alternativ: Feststellungsantrag wegen des weiteren künftigen Zinsschadens, Beklagter Verbraucher (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 895 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13.10.2017 zu zahlen. … Zur Begründung führe ich an: … … Die Klageforderung hat der Beklagte in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) seit dem 13.10.2017 zu verzinsen. Mit jenem Tage ist gem. § 286 Abs. 3 BGB Verzug eingetreten. Die Klageforderung war am … fällig. Am … hat der Kläger die anliegende Rechnung über die erbrachte Leistung, die Gegenstand der Klageforderung ist, erstellt; jene Rechnung ist dem Beklagten am … zugegangen. Ich verweise dazu auf das als Anlage … beigefügte, vom Beklagten unterzeichnete Empfangsbekenntnis. Beide Voraussetzungen des § 286 Abs. 3 BGB – Fälligkeit der Forderung und Zugang der Rechnung – lagen demnach kumulativ am … vor. Die in § 286 Abs. 3 BGB genannte Frist von 30 Tagen ist am … abgelaufen, so dass die Klageforderung ab dem … zu verzinsen ist. Der Zinsanspruch ist auch im Hinblick auf § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB begründet. Die anbei in Kopie überreichte Rechnung enthält die Hinweise gem. § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB. Der mit der Klage geforderte Zinsschaden stellt sich, was der Kläger vorsorglich anführt, als Teilschaden dar; der Kläger behält sich demnach vor, später Nachforderungen zu stellen. Der Kläger hat Kredit in Höhe der Klageforderung zu variablem Zinssatz in Anspruch genommen, der derzeit allerdings noch mit 0,3 % p.a. unterhalb des gesetzlichen Verzugszinses (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu verzinsen ist. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der Kreditgeber des Klägers den Zins für den aufgenommenen Kredit anpasst, so dass noch vor der letzten mündlichen Verhandlung über die Klage ein weiterer Zinsschaden entstehen wird, den der Kläger gegenwärtig jedoch aus Vereinfachungsgründen nicht zum Gegenstand seiner Klage zu machen beabsichtigt; er behält sich für diesen Fall eine Nachforderung vor. … Alternativ: … beantrage ich,
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ZPO
zins zu fordern. Hat der Gläubiger Kredit zu einem variablen Zinssatz aufgenommen und liegt der variable Zins im Zeitpunkt des Verzuges des Schuldners – oder auch der Rechtshängigkeit der Klage – unter dem gesetzlichen Verzugszins, kann man den gesetzlichen Verzugszins verlangen und wegen des darüber hinausgehenden möglicherweise eintretenden Zinsschadens erklären, dass der geltend gemachte Zinsanspruch als Teilschaden verlangt wird. Sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, kann der voraussichtlich eintretende Zinsschaden auch innerhalb eines Feststellungsantrages zusätzlich rechtshängig gemacht werden.
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Kap. 15 Rz. 63
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.4
ZPO
1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 895 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13.10.2017 zu zahlen; 2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren Zinsschaden zu ersetzen, der über den mit dem Klageantrag zu 1 geltend gemachten Zinsanspruch hinausgeht. … Zur Begründung führe ich an: … Die Klageforderung hat der Beklagte in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) seit dem 13.10.2017 zu verzinsen. Mit jenem Tage ist der Beklagte gem. § 286 Abs. 3 BGB in Verzug geraten. Die Klageforderung war am … fällig. Unter dem … hat der Kläger die anliegende Rechnung über die erbrachte Leistung, die Gegenstand der Klageforderung ist, erstellt; jene Rechnung ist dem Beklagten am … zugegangen. Ich verweise dazu auf das als Anlage … beigefügte, vom Beklagten unterzeichnete Empfangsbekenntnis. Beide Voraussetzungen des § 286 Abs. 3 BGB – Fälligkeit der Forderung und Zugang der Rechnung – lagen demnach kumulativ am … vor. Die in § 286 Abs. 3 BGB genannte Frist von 30 Tagen ist am … abgelaufen, so dass die Klageforderung ab dem … zu verzinsen ist. Der Zinsanspruch ist auch im Hinblick auf § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB begründet. Die anbei überreichte Kopie der dem Beklagten übersandten Rechnung, enthält die Hinweise gem. § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB. Der Kläger nimmt Kredit in Höhe der Klageforderung zu einem variablen Zinssatz in Anspruch. Ich überreiche dazu als Anlage … eine Bescheinigung der … Sparkasse, die dies belegt, und beziehe mich zugleich zum Beweise dafür auf den für das Kreditgeschäft der … Sparkasse zuständigen Sachbearbeiter Helmut Meier, zu laden bei der … Sparkasse, deren Anschrift aus der überreichten Bescheinigung zu entnehmen ist. Der Zins für den vom Kläger aufgenommenen Kredit liegt derzeit 0,3 % unter dem gesetzlichen Verzugszins (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dass der von der … Sparkasse geforderte – variable – Zins den gesetzlichen Verzugszins aufgrund einer von der … Sparkasse noch vorzunehmenden Anpassung in Kürze übersteigen wird, ist wahrscheinlich. Dafür sprechen insbesondere … (wird ausgeführt). Zum Beweise dafür beziehe ich mich auf das für das Kreditgeschäft zuständige Mitglied des Vorstandes der … Sparkasse August Vogel, zu laden bei der … Sparkasse. Wann die Erhöhung des variablen Zinses für den vom Kläger aufgenommenen Kredit erfolgt, ist noch unklar. Deshalb hat der Kläger ein Feststellungsinteresse an der mit dem Antrag zu 2 begehrten Feststellung, dass der Beklagte dem Kläger den Zinsschaden zu ersetzen hat, der den im Klageantrag zu 1 genannten Zinsanspruch übersteigt. Der Beklagte hat schon vorprozessual erklärt, dass er gegenwärtig und auch in naher Zukunft nicht in der Lage sein wird, die Klageforderung auszugleichen. Der vom Beklagten gestellte Prozesskostenhilfeantrag legt nahe, dass diese vom Beklagten vorprozessual abgegebene Erklärung zutreffend ist. Es ist daher offen, wann der Beklagte nach Titulierung der Forderung des Klägers die rechtshängige Hauptforderung erfüllen wird. Das Feststellungsinteresse des Klägers für die mit dem Antrag zu 2 begehrte Feststellung ergibt sich daher schon aus dem Interesse des Klägers an der Unterbrechung der Verjährung des entsprechenden Schadensersatzanspruches. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Streitwert: In der zweiten Alternative kommt dem Feststellungsantrag eine selbständige Bedeutung zu, daher ist der Wert der Feststellungsklage nach dem Interesse des Klägers hinzuzurechnen.
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M 15.5
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 65 Kap. 15
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Hat der Kläger Kredit in Höhe der Klageforderung in Anspruch genommen und – übersteigt der für den Kredit zu zahlende Zins für bestimmte Zeiträume den gesetzlichen Verzugszins (§ 288 Abs. 1 und 2 BGB) oder – übersteigt der für den aufgenommenen Kredit zu zahlende Zins über den gesamten rückwärtigen Zeitraum den gesetzlichen Verzugszins, variiert jedoch für einzelne Zeiträume, ist der Zinsanspruch in Form einer Zinsstaffel rechtshängig zu machen.
M 15.5 Zahlung nebst Verzugszins; Zinsstaffel, Beklagter Unternehmer (vgl. Rz. 39) 65 … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 112.317 Euro nebst Zinsen gem. folgender Zinsstaffel zu zahlen: vom 21.6.2017 bis 19.7.2017 in Höhe von 8,12 %, vom 20.7.2017 bis 23.8.2017 in Höhe von 11,3 %, vom 24.8.2017 bis 13.9.2017 in Höhe von 12,4 % und ab 14.9.2014 in Höhe von 12,3 %. Zur Begründung führe ich an: … … Zur Zinsforderung merke ich an, dass der Kaufpreisanspruch durch vor dem 29.7.2017 … geschlossenen Vertrag entstanden ist. Die Voraussetzungen des § 286 Abs. 3 BGB – wie oben im Einzelnen dargetan – waren am … erfüllt. Ab dem 21.6.2017 ist die Klageforderung demnach zumindest in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses (§ 288 Abs. 2 BGB) zu verzinsen. Der Basiszinssatz betrug zu diesem Zeitpunkt – 0,88 %, wie dem Bundesanzeiger vom 29.06.2016 zu entnehmen ist. Der gesetzliche Verzugszins errechnet sich demnach (§ 288 Abs. 2 BGB) auf 8,12 % p.a (= 9 – 0,88). Am 20.7.2014 hat der Kläger Kredit in Höhe der Klageforderung zu einem variablen Zinssatz in Anspruch genommen. Jener Kredit war innerhalb der in der Zinsstaffel des Klageantrages angegebenen Zeiträume in Höhe der dort genannten Zinssätze zu verzinsen. Ab dem 14.9.2017 hat der Kläger Zinsen für den Kredit in Höhe von 12,3 % zu zahlen. Ich belege dies durch die als Anlage … beigefügte Zinsbescheinigung der … Sparkasse, aus der sich sowohl die Kreditaufnahme sowie auch die Zinspflicht ergibt, und beziehe mich zum Beweise dafür vorsorglich auch noch auf den für das Kreditengagement des Klägers zuständigen Sachbearbeiter Hermann Meier bei der … Sparkasse, deren Anschrift sich aus der überreichten Zinsbescheinigung ergibt. … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Vorwerk
251
ZPO
c) Zahlung nebst Verzugszins bei gestaffelten Zinsen
Kap. 15 Rz. 66
ZPO
66 K
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.6
Wichtig: § 286 BGB idF des Gesetzes der Modernisierung des Schuldrechts gilt nur für die ab 1.1.2002 entstandenen Schuldverhältnisse (Art. 229 § 5 EGBGB); in dem in M 15.5. gebildeten Fall ist daher zu unterstellen, dass die Klage nach dem im Klageantrag genannten „14.9.2017“ erhoben worden und das Schuldverhältnis selbst nach dem 1.1.2002 entstanden ist.
67 Bei Schuldverhältnissen, die wiederkehrende Geldleistungen zum Gegenstand haben, etwa bei Miet- und Pachtforderungen, ist der Verzugszeitpunkt gem. § 286 Abs. 2 BGB festzustellen. Der Klageantrag lautet in diesen Fällen wie folgt:
68 M 15.6 Reine Zahlungsklage, Zahlung nebst Verzugszins bei gestaffelter Fälligkeit
von Teilbeträgen, Beklagter Unternehmer (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 3.000 Euro nebst Zinsen iHv. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach folgender Staffel zu zahlen: auf 1.000 Euro vom 1. bis 30.6.2014, auf 2.000 Euro vom 1.7. bis 31.7.2014, auf 3.000 Euro ab dem 1.8.2014. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte schuldet dem Kläger rückständige Miete aus der Anmietung eines Baukrans. Ausgeblieben ist die Mietzahlung für Juni, Juli und August 2014. Wie aus dem als Anlage 1 beigefügten Mietvertrag vom 20.2.2014 zu entnehmen ist, ist die Miete für den vom Beklagten gemieteten Baukran, die monatlich mit 1.000 Euro vereinbart war, für den folgenden Monat an jeweils dem letzten Tag des Vormonats fällig. Zahlung der Miete für Juni 2014 hatte der Beklagte mithin am 31.5.2014, für Juli 2014 am 30.6.2014 und für August 2014 am 31.7.2014 zu leisten. Mit der Mietzahlung befand sich der Beklagte deshalb an jeweils dem Ersten der genannten (Folge-)Monate im Verzug. Für die Feststellung des Zeitpunktes des Verzuges ist § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB maßgebend. Die Zinshöhe folgt aus § 288 Abs. 2 BGB. Kosten: s. Anm. zu M 15.5.
d) Zahlung an Gesamtshandsgläubiger, Beklagter Verbraucher (vgl. Rz. 39)
69 Gehört die Forderung zu einem Sondervermögen, das den Gläubigern zur gesamten Hand zusteht, kann die Leistung nur an die Gesamthandsgemeinschaft gefordert werden (§ 432 Abs. 1 BGB; zu den Voraussetzungen, unter denen eine Gesamthandsgemeinschaft vorliegt, vgl. Staudinger/Looschelders, 2017, § 432 BGB Rz. 13 ff.). Ob einzelne Mitglieder der Gesamthandsgemeinschaft befugt sind, den Anspruch einzeln geltend zu machen, folgt aus den jeweiligen Regeln, denen die Gesamthandsgemeinschaft unterliegt. Dazu verhält sich der Klageantrag im nachfolgenden Muster demnach nicht.
252
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 72 Kap. 15
M 15.7 Zahlung an Gesamthandsgläubiger, Beklagte Verbraucherin (vgl. Rz. 39)
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… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger sowie a) August Meier, Wilhelmstraße 13, 22317 Pressen, b) Gerlinde Schulze, Wiesenweg 17, 06314 Dröhnen, zur gesamten Hand 318.717,12 Euro nebst Zinsen seit dem 13.6.2017 iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: … … Daraus folgt, dass dem Kläger sowie den weiteren beiden Mitgliedern der Gesamthandsgemeinschaft die Klageforderung zur gesamten Hand zusteht. Die Zinsforderung folgt der Höhe nach aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. In Verzug geraten ist der Beklagte am 13.6.2017 … (hier folgen alsdann die Ausführungen, warum am 13.6.2017 Verzug eingetreten ist). Ab dem 13.6.2017 ist die Klageforderung demnach in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses zu verzinsen. Kosten: s. Anm. zu M 15.5.
K
Praxistipp: Ist der Kläger berechtigt, den Anspruch der Gesamthandsgemeinschaft einzeln geltend zu machen, tritt spätestens im Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung die Frage auf, an wen die Auskehr des Vollstreckungserlöses durch den Gerichtsvollzieher zu erfolgen hat. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Auskehr nur auf übereinstimmende Weisung der Gesamthandsgläubiger an die von ihm angegebene Zahlstelle erfolgen darf. Der Kläger, der aus einem gem. M 15.7 ergangenen Titel vollstreckt, muss sich mithin um eine entsprechende gemeinsame Weisung bemühen.
71
e) Zahlung durch Gesamtschuldner Ob ein Gesamtschuldverhältnis zwischen zwei oder mehreren Schuldnern besteht, berührt das Verhältnis zum Gläubiger, sobald einer der Gesamtschuldner die Schuld erfüllt hat (§ 422 BGB) oder eine der in §§ 423 ff. BGB geregelten Voraussetzungen vorliegt. Nimmt der Gläubiger mit der Klage nur einen der Gesamtschuldner auf Zahlung in Anspruch, kann sich der Schuldner als Beklagter unter Hinweis auf §§ 422 ff. BGB gegen die Klageforderung verteidigen. Für den Klageantrag hat der Umstand, dass es neben dem Beklagten noch einen oder mehrere Schuldner gibt, die für dieselbe Forderung als Gesamtschuldner haften, keine Bedeutung. Der Klageantrag ist mithin ohne Rücksicht auf das Bestehen der Gesamtschuld so zu fassen, als wäre der Beklagte lediglich der einzige Schuldner der geltend gemachten Forderung (Klageantrag mithin etwa wie in M 15.6). Das gilt allerdings nicht, wenn in einem Verfahren mehrere Beklagte als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. In diesem Fall ist dies im Klageantrag entsprechend zum Ausdruck zu bringen.
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253
72
ZPO
M 15.7
ZPO
Kap. 15 Rz. 73
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.8
73 M 15.8 Zahlung durch Gesamtschuldner, Beklagter Verbraucher (Rz. 39) … beantrage ich, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger 15.634 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.6.2017 zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: … … Die Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner folgt aus § 840 Abs. 1 BGB. Der Zinsanspruch ist gem. §§ 286 Abs. 3, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet. … … Kosten: s. Anm. zu M 15.5.
f) Zahlung an Dritten
74 Hat der Gläubiger die klageweise durchzusetzende Forderung vor Rechtshängigkeit abgetreten und will er die Forderung im Rahmen der gewillkürten Prozessstandschaft (s. Kap. 14 Rz. 39 ff.) gegenüber dem Schuldner klageweise durchsetzen, muss er Zahlung vom Beklagten zu Händen desjenigen begehren, dem die Klageforderung abgetreten ist.
75 M 15.9 Reine Zahlungsklage, Zahlung an Dritten, Beklagter Unternehmer
(vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, 32.712 Euro nebst Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … an Friedhelm Schulze, wohnhaft … zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte schuldet dem Kläger aus dem zwischen den Parteien am … geschlossenen Kaufvertrag die mit der Klageforderung geltend gemachte Hauptforderung. Dazu im Einzelnen: … … … Seit dem … befindet sich der Beklagte mit der Klageforderung im Verzug. Die Zinsforderung folgt dem Grunde und der Höhe nach aus §§ 286 Abs. 3, 288 Abs. 2 BGB (Es folgen weitere Ausführungen zum Zinsanspruch; s. M 15.3 bis M 15.6) …. Zahlung an Friedhelm Schulze fordert der Kläger deshalb, weil er am … die Klageforderung an Friedhelm Schulze sicherungsweise abgetreten hat. Die Befugnis des Klägers, die sicherungsweise abgetretene Forderung gegenüber dem Beklagten durchzusetzen, folgt aus …. Kosten: s. Anm. zu M 15.5.
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Vorwerk
M 15.10
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 77 Kap. 15
Zahlung als künftige Leistung kann unter den Voraussetzungen der §§ 257, 258, 259 ZPO gefordert werden. Zu den Voraussetzungen vgl. im Einzelnen Zöller/Greger § 257 ZPO Rz. 3 und 5, § 258 ZPO Rz. 1 ff., § 259 ZPO Rz. 1 ff. Das nachfolgende M 15.10 behandelt eine Konstellation, die unter § 259 ZPO fällt; das alsdann folgende M 15.11 behandelt den Fall der wiederkehrenden Leistung.
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M 15.10 Reine Zahlungsklage, Zahlung als künftige Leistung, Beklagter
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Verbraucher (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger am 1.3.2017 10.000 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 2.3.2017 zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Die Parteien haben am … einen Darlehensvertrag geschlossen, über den sie die als Anlage 1 im Original überreichte Darlehensurkunde errichtet haben. Am … hat der Kläger dem Beklagten einen Scheck über 10.000 Euro ausgehändigt und erklärt, dass mit dieser Scheckzahlung die vereinbarte Darlehenssumme gezahlt werde. Zum Beweise dafür beziehe ich mich auf eine Vernehmung des Beklagten als Partei. Im Zeitpunkt der Übergabe des Schecks war außer den Parteien niemand anwesend; die Aushändigung einer Quittung hielten die Parteien für überflüssig, da sie seit Jahren miteinander befreundet sind. Der Scheck, den der Kläger dem Beklagten ausgehändigt hat, ist dem Konto des Klägers auch belastet worden. Ich überreiche dazu im Original als Anlage 2 den entsprechenden Kontoauszug für das Konto, auf das der Scheck ausgestellt war. Darüber hinaus beziehe ich mich zum Beweise dafür auf den Sachbearbeiter August Schulze, zu laden bei der … Sparkasse … bei der das Konto des Klägers, dem der Scheck belastet worden ist, geführt wird. Am hat der Beklagte im Beisein des Zeugen Hubertus Granz, Davidstraße 16, 22013 Heeren, erklärt, er habe nie einen Scheck über 10.000 Euro vom Kläger ausgehändigt erhalten bekommen. Das Darlehen, über das die Parteien die als Anlage 1 überreichte Darlehensurkunde errichtet haben, sei an den Beklagten zu keiner Zeit ausgezahlt worden. Etwa eine Woche später, nämlich am …, hat der Beklagte dem Zeugen Franz Bier, Wilhelmstraße 12, 22013 Heeren, gesagt, er habe vom Kläger zwar einen Scheck über 10.000 Euro ausgehändigt erhalten; jenen Scheck habe er auch einziehen lassen. Die 10.000 Euro seien jedoch zur Tilgung einer völlig anderen Schuld, nämlich einer Verpflichtung aus einem – angeblich – am … geschlossenen Kaufvertrag, bestimmt gewesen. Einen solchen Kaufvertrag hat es jedoch zu keiner Zeit zwischen den Parteien gegeben. Beweis: Vernehmung des Beklagten als Partei Angesichts der Erklärungen des Beklagten besteht die Besorgnis, dass er im Zeitpunkt seiner Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens, nämlich am 1.3.2017 – ich verweise dazu auf den Inhalt der als Anlage 1
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255
ZPO
g) Zahlung als künftige Leistung
ZPO
Kap. 15 Rz. 78
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.11
übereichten Darlehensurkunde – seiner Rückzahlungspflicht nicht nachkommen wird. Die Klage rechtfertigt sich folglich aus dem Gesichtspunkt des § 259 ZPO. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Kosten: s. Anm. zu M 15.5.
78 K
Praxistipp: Der Zinsanspruch lässt sich im vorstehenden M 15.10 über § 291 Satz 1 BGB im Hinblick darauf rechtfertigen, dass Prozesszinsen auch für eine nach Rechtshängigkeit fällige Schuld ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit gefordert werden können. Handelt es sich im M 15.10 um die Gewährung eines Darlehens „unter Freunden“, wird § 288 Abs. 1 und 2 BGB iVm. § 13 BGB dahin auszulegen sein, dass nur der Zinsanspruch aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt werden kann.
79 M 15.11 Reine Zahlungsklage, Zahlung als wiederkehrende Leistung, Beklagter
Verbraucher (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger a) 1.560 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, und zwar auf 520 Euro seit dem 3.10.2014, auf 1.040 Euro seit dem 3.11.2014, auf 1.560 Euro seit dem 3.12.2014, ferner b) beginnend mit Januar 2015 bis einschließlich … bis zum 2. eines jeden Monats jeweils 520 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, und zwar ab dem 3. des jeweiligen Monats zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Die Parteien haben den als Anlage 1 im Original überreichten Erbbaurechtsvertrag geschlossen, aufgrund dessen sich der Kläger verpflichtet hat, dem Beklagten einen Erbbauzins iHv. monatlich 520 Euro zu zahlen. Seiner Zahlungspflicht ist der Beklagte seit Oktober 2014 nicht mehr nachgekommen. Für die vergangenen drei Monate Oktober bis Dezember 2015 hat der Beklagte dem Kläger folglich insgesamt 1.560 Euro rückständigen Erbbauzins und ab Januar 2015 monatlich laufend 520 Euro zu zahlen. Den rückständigen Erbbauzins habe ich im Klageantrag zu a) erfasst. Den künftig fällig werdenden Erbbauzins mache ich im Wege der Klage gemäß § 258 ZPO über den Klageantrag zu b) geltend. Zum Zinsanspruch merke ich an: Der Erbbauzins ist, wie aus dem überreichten Erbbaurechtsvertrag ersichtlich, am 2. eines jeden Monats zu zahlen. Ab dem 3. des Monats ist die rückständige Zahlung folglich jeweils zu verzinsen. Die künftig fälligen Zinsen werden als Rechtshängigkeitszinsen gefordert (§ 291 BGB). Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Wert des zukünftigen Erbbauzinses bemisst sich nach dem 3,5fachen Jahresbezug, wenn nicht der auf die gesamte Dauer entfallende Zins geringer ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 9 ZPO, § 23 Abs. 1 RVG).
256
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 85 Kap. 15
Die Stufenklage ist ein Sonderfall der objektiven Klagenhäufung (s. dazu Kap. 16). Bei ihr wird ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch nicht bekannter, daher auch nicht gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bezifferbarer Leistungsanspruch zugleich mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen, die auf Auskunft und Versicherung der Richtigkeit der Auskunft lauten, erhoben (§ 254 ZPO). Das mit der Stufenklage verfolgte wirtschaftliche Ergebnis lässt sich zwar auch in der Weise erreichen, dass zunächst Klage auf Auskunft und nach erteilter Auskunft Klage auf Leistung unter Bezifferung des Anspruchs erhoben wird. Gegenüber jener Verfahrensweise bietet die in § 254 ZPO geregelte Stufenklage jedoch den Vorteil, dass der Hauptanspruch, der Gegenstand der sog. zweiten Stufe der Stufenklage ist, schon mit Erhebung der Stufenklage rechtshängig wird (BGH NJW 2015, 1093 Rz. 9; Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 1; Musielak/Voit/Foerste § 254 ZPO Rz. 1).
80
Für die Berechnung des Streitwertes ist zu beachten, dass zwischen dem Auskunftsantrag und dem Antrag der zweiten Stufe wirtschaftliche Identität besteht. Der Streitwert bemisst sich wegen dieser wirtschaftlichen Identität daher auch nicht gem. § 5 ZPO, sondern analog § 44 GKG (str. Musielak/ Voit/Heinrich § 5 ZPO Rz. 9; aA Zöller/Herget § 5 ZPO Rz. 7, § 3 ZPO Rz. 16). Maßgebend ist deshalb der höhere Wert des Zahlungsantrages, weil der Auskunftsantrag stets nur mit einem Bruchteil des Hauptanspruches bemessen wird.
81
Die Stufenklage ist Leistungsklage (BGH NJW 1994, 2896) und geht daher der Feststellungsklage vor; der Feststellungsklage fehlt mithin, wo Stufenklage erhoben werden kann, das Rechtsschutzbedürfnis (BGH NJW 1996, 2097, Rz. 40). Innerhalb der Stufenklage sind die stufenweise erhobenen Ansprüche auf Auskunft, auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und schließlich auf Leistung prozessual selbständige Teile (BGH WM 2016, 511 = MDR 2016, 470 Rz. 16) eines einheitlichen Verfahrens. Daraus folgt zugleich, dass die einheitliche Kostenentscheidung im Schlussurteil erster Instanz zu ergehen hat (s. zur Kostenentscheidung im Einzelnen Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 5).
82
Die Stufenklage kann mit einem bezifferten Leistungsanspruch im Sinne eines Mindestbetrages oder als bezifferte Teilklage, verbunden mit einer unbezifferten Stufenklage erhoben werden (BGH NJW 1989, 2821 sowie Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 3). Über den bezifferten Antrag kann allerdings vorab nur entschieden werden, wenn die Voraussetzungen eines Teilurteils vorliegen (§ 301 Abs. 1 ZPO). Das Teilurteil kann demnach nur erlassen werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.
83
Wird über den Auskunftsanspruch zugunsten des Klägers entschieden, schafft dies keine Rechtskraft für den Grund des Leistungsanspruches (BGH NJW 2011, 1815 Rz. 14 ff.). Wird der Auskunftsanspruch mit der Begründung abgewiesen, dass ein Leistungsanspruch nicht besteht, ist für die Rechtskraft danach zu differenzieren, ob das Gericht die Stufenklage – was es zutreffenderweise tun muss (BGH NJW-RR 1990, 390) – insgesamt abgewiesen hat oder über die zweite Stufe nicht mit entschieden worden ist. Bei Abweisung der Stufenklage insgesamt wegen Nichtbestehens des Leistungsanspruches steht die Rechtskraft dieses Urteils einer erneuten Verfolgung des Leistungsanspruches entgegen, auch wenn der in der zweiten Stufe zu stellende Klageantrag im Verfahren bisher nicht gestellt worden ist. Wird über die zweite Stufe allerdings nicht mit entschieden, kann nach Abweisung des Auskunftsanspruches der Leistungsanspruch weiterverfolgt werden (Zöller/G. Vollkommer § 322 ZPO Rz. 13).
84
Materiell-rechtliche Voraussetzung für die Stufenklage ist, dass der Schuldner neben dem Anspruch auf Leistung kraft Gesetzes oder aus dem vertraglichen Verhältnis, auf das sich der Leistungsanspruch stützt, einen Informationsanspruch oder Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung hat (Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 6). Die Regelung in § 254 ZPO erfasst dabei entgegen ihrem Wortlaut Informationsansprüche jeglicher Art, die dazu dienen, den Leistungsantrag unter Beachtung des Bestimmtheitsgebotes des § 253 Abs. 2 ZPO beziffern zu können.
85
Vorwerk
257
ZPO
2. Zahlungsklage innerhalb einer Stufenklage
Kap. 15 Rz. 86
Klageanträge (und Klagebegründung)
ZPO
86 Die prozessuale Selbständigkeit der in den Stufen der Stufenklage verfolgten Einzelansprüche führt dazu, dass über jeden der Ansprüche in der durch die Klageanträge vorgegebenen Reihenfolge entschieden wird. Es ist deshalb auch innerhalb jeder Stufe zunächst nur der die Stufe betreffende Antrag zu stellen und über ihn zu entscheiden (Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 7). Über die einzelnen Stufen ist, sofern der Leistungsanspruch nicht schon in der ersten Stufe als unbegründet angesehen wird und über die Stufenklage deshalb insgesamt zu entscheiden ist (s. Rz. 84: dann Endurteil), durch Teilurteil zu entscheiden. Über die letzte Stufe wird alsdann durch Schlussurteil entschieden. Jedes Teilurteil kann, sofern dafür die Voraussetzungen vorliegen (s. dazu Kap. 65 Rz. 39 f., 65), mit der Berufung angefochten werden.
87 Die prozessuale Selbständigkeit der Einzelansprüche führt häufig zu Missverständnissen, wie im Rahmen der Stufenklage zu prozedieren ist: – Hat der Beklagte noch keine Auskunft erteilt, ist völlig ausreichend, den Auskunftsanspruch mit dem unbezifferten Antrag der zweiten Stufe der Stufenklage zu verbinden (s. M 15.12); es ist demnach nicht erforderlich, auch schon den Antrag auf Verurteilung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (s. dazu M 15.13, 2. Variante) in die Klageschrift aufzunehmen. Das Bestehen des Anspruches auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hängt nämlich davon ab, ob die erteilte Auskunft vollständig ist. Ob der Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung entsteht, lässt sich, wenn noch keine Auskunft erteilt ist, deshalb im Zeitpunkt der Erhebung der Stufenklage auch nicht absehen.
88 – Hat der Schuldner schon Auskunft erteilt, ist die Auskunft jedoch unzulänglich, ist der Auskunftsanspruch grundsätzlich unbegründet, so dass nur ein Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durchgesetzt werden kann (Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 10 mwN). Im Rahmen der Stufenklage ist demnach in diesem Fall in der ersten Stufe der Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu stellen und für die zweite Stufe der unbezifferte Leistungsantrag anzukündigen.
89 – Erteilt der Beklagte nach Rechtshängigkeit der Stufenklage während des Verfahrens – sei es im Verfahren oder außerhalb des Verfahrens – Auskunft, ist der Auskunftsanspruch in der Hauptsache für erledigt zu erklären (§ 91a ZPO) und zu prüfen, ob die Auskunft unzulänglich ist. Ist sie das nicht, ist zu erklären, dass nach erfolgter Auskunftserteilung nunmehr der Anspruch aus der zweiten Stufe beziffert werden wird und der entsprechende Antrag alsdann anzukündigen (s. M 15.13).
90 – Hat der Beklagte erst nach Erlass des Teilurteils über den Auskunftsanspruch die Auskunft – sei es freiwillig oder aufgrund erfolgter Zwangsvollstreckung – erteilt, ist wie im Falle der Erteilung der Auskunft vor der Entscheidung über den Auskunftsantrag (Rz. 89) zu prüfen, ob die erteilte Auskunft unzulänglich ist. Ist sie das, ist der Antrag auf Verurteilung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anzukündigen und der Antrag zu stellen, erneut Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Ist die Auskunft ordnungsgemäß erteilt, ist der Leistungsantrag zu beziffern und ebenfalls zu beantragen, erneut Termin zur mündlichen Verhandlung über den nunmehr gestellten bezifferten Leistungsantrag anzuberaumen.
91 – Ist nach ergangenem Teilurteil über den Auskunftsanspruch ein Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung notwendig geworden, über diesen Antrag alsdann entschieden und hat der Beklagte die eidesstattliche Versicherung abgegeben, ist ebenfalls der Leistungsantrag zu beziffern und wie vorstehend (Rz. 90) zu verfahren.
92 – Stellt sich nach Erteilung der Auskunft oder nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung heraus, dass der Leistungsanspruch nicht besteht, liegt kein Fall der Erledigung der Hauptsache vor, da der Leistungsantrag bereits vor Rechtshängigkeit unbegründet war (BGH NJW 1994, 2895; in der Literatur und der Rechtsprechung der Obergerichte wird auch die Auffassung vertreten, es sei prozessuale Erledigung des Leistungsanspruchs eingetreten, vgl. Zöller/Althammer § 91a ZPO Rz. 58 „Stufenklage“). In Betracht kommt in diesem Fall
258
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 95 Kap. 15
ZPO
– die Rücknahme des Leistungsantrages, die, da über ihn in diesem Zeitpunkt noch nicht streitig verhandelt worden ist, auch einseitig erklärt werden kann; ferner – der Verzicht auf den Anspruch mit der Folge, dass das Verzichtsurteil gem. § 306 ZPO ergehen kann; oder – bestand der Auskunftsanspruch, kann der Kläger, sofern die Auskunft ergibt, dass ein Leistungsanspruch nicht besteht, vom Leistungsantrag im Wege der – in diesem Fall stets sachdienlichen – Klageänderung zum Antrag auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz der Prozesskosten übergehen; wobei Grundlage jenes Anspruches die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens ist, der dadurch entstanden ist, dass die Auskunft erst nach Eintritt des Verzugs erteilt worden ist (ebenso Zöller/ Greger § 254 ZPO Rz. 15 und OLG Düsseldorf OLGR 1996, 162).
K
Wichtig: Besteht der Schaden, der durch die vorprozessual nicht erzielte Auskunft eingetreten ist, nur in den Prozesskosten, können nach bisher nur in der Literatur vertretener Ansicht (Musielak/ Voit/Foerste § 254 ZPO Rz. 7, § 269 ZPO Rz. 13; Zöller/Althammer § 91a ZPO Rz. 58 „Stufenklage“) über die entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO dem Beklagten nach zu diesem Zeitpunkt erklärter Klagerücknahme die Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden.
K
Praxistipp: Die Stufenklage hemmt die Verjährung des mit der zweiten Stufe verfolgten Leis- 94 tungsanspruches (s. Rz. 80). Die Hemmungswirkung der Stufenklage dauert während der Vollstreckung der Hilfsansprüche und einer zur Überprüfung erteilter Auskünfte erforderlichen Zeit fort (so für den Rechtszustand vor dem 1.1.2002 BGH MDR 1992, 1180). Da auch heute – September 2018 – noch nicht geklärt ist, ob diese Rechtsprechung auch auf den Rechtszustand ab 1.1.2002 anzuwenden ist oder insoweit § 204 Abs. 2 BGB gilt, sollte der Kläger, schon um keine Zweifel an der Unterbrechungswirkung entstehen zu lassen, das Verfahren nach erteilter Auskunft zügig weiterbetreiben, um möglichst die Frist des § 204 Abs. 2 BGB zu wahren und unter keinen Umständen Indizien zu schaffen, die darauf hindeuten können, das Verfahren sei in Stillstand geraten, weil es nicht mehr betrieben wird. Die Regelung der Verjährung durch das SchuMoG wirkt sich insoweit „tückisch“ aus, weil die Klageerhebung selbst keinen Beginn einer neuen Verjährungsfrist – mehr – schafft, sondern nur eine bereits laufende Verjährungsfrist hemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Die Folge davon ist, dass der Zeitraum, währenddessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird. Ist die Klage am Ende der Verjährungsfrist erhoben, kann durch Nichtbetreiben des Verfahrens folglich „unmittelbar“ nach Ablauf der Frist des § 204 Abs. 2 BGB die Verjährung eintreten. Die mit Erhebung der Stufenklage bewirkte Hemmung der Verjährung tritt nur in der Höhe ein, in der dieser Anspruch nach Erfüllung der seiner Vorbereitung dienenden Hilfsansprüche beziffert wird. Verbleiben alsdann noch zukünftige Ansprüche, die – weil in der Zukunft liegend – der Höhe nach noch nicht bezifferbar sind (etwa künftige Schadensersatzansprüche), ist die zweite Stufe der Stufenklage schon bei Klageerhebung mit einer Feststellungsklage wegen dieser Ansprüche zu verbinden.
93
a) Bei Klageerhebung Wird im Rahmen der Stufenklage die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des nach der mit der ersten Stufe der Stufenklage verlangten Auskunft zu beziffernden Betrages begehrt, lautet der Antrag wie folgt:
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259
95
ZPO
Kap. 15 Rz. 96
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.12
96 M 15.12 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung innerhalb einer Stufenklage,
Beklagter Verbraucher (vgl. Rz. 39) … beantrage ich, 1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über die Höhe der bei ihm eingegangenen Vollstreckungserlöse aus der namens und in Vollmacht des Klägers aus dem Urteil des Landgerichts Arnsberg – 3 O 76/12 – vom 12.4.2017 erfolgten Vollstreckung zu erteilen. Nach erteilter Auskunft werde ich den Antrag stellen, 2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den Betrag, der sich aus der gem. Ziffer 1 des Klageantrages erteilten Auskunft ergibt, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte betreibt ein registriertes (§§ 2 Abs. 2 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz) Inkassobüro. Er ist vom Kläger beauftragt worden, die Vollstreckung aus dem im Klageantrag zu 1 angeführten Urteil zu betreiben. Den entsprechenden Auftrag hat der Kläger dem Beklagten am … erteilt. Beweis: … Seit diesem Zeitpunkt sind mehr als zwei Jahre vergangen, ohne dass der Beklagte dem Kläger Auskunft darüber erteilt hat, welche Vollstreckungserlöse inzwischen erzielt worden sind. Aufforderungen, hierüber Auskunft zu erteilen, hat der Beklagte unbeantwortet gelassen. Das gilt auch für die als Anlage … beigefügte letzte Aufforderung, innerhalb derer dem Beklagten Frist zur Auskunftserteilung bis zum … gesetzt worden ist. Dazu im Einzelnen: … … … Mit der erhobenen Stufenklage verfolgt der Kläger in der zweiten Stufe das Begehren, den Beklagten zu verurteilen, die bisher erzielten Vollstreckungserlöse an den Kläger auszukehren. Da die Höhe der Vollstreckungserlöse dem Kläger bisher nicht bekannt ist, er vielmehr zur Bezifferung des entsprechenden Betrages der Auskunft durch den Beklagten bedarf, wird der Antrag der zweiten Stufe der Stufenklage erst nach erteilter Auskunft beziffert werden können. Der Anspruch auf Auskehr der Vollstreckungserlöse ist schon bei Rechtshängigkeit der Klage fällig. Der Kläger kann deshalb schon jetzt den im Klageantrag zu 2) angekündigten Antrag auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Prozesszinsen ankündigen. Zum Zinsanspruch sei gesagt, dass … (Es folgen Ausführungen entsprechend M 15.3 bis M 15.6) …. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG Wert: Bei der Stufenklage findet keine Wertaddition statt, vielmehr ist der höhere Anspruch (Zahlungsanspruch) maßgebend (§ 44 GKG).
b) Nach im Verfahren erteilter Auskunft
97 Hat der Beklagte vor Erlass des (Teil-)Urteils über den Auskunftsanspruch die begehrte Auskunft erteilt (s. Rz. 89), kann der Kläger den Auskunftsanspruch in der Hauptsache für erledigt erklären und nunmehr sogleich den Antrag der zweiten Stufe beziffern.
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Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 98 Kap. 15
M 15.13 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung bzw. der Abgabe der Versicherung an Eides statt innerhalb einer Stufenklage nach im Verfahren erteilter Auskunft … erkläre ich nunmehr den im Schriftsatz vom … angekündigten Antrag zu 1), mit dem der Kläger den Auskunftsanspruch verfolgt hat, in der Hauptsache für erledigt, und beantrage, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 47.317,18 Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen. … (Es folgen zunächst die Ausführungen, aus denen sich die erfolgte Auskunftserteilung ergibt). … Nach erteilter Auskunft ist der Kläger nunmehr in der Lage, den für die zweite Stufe der Stufenklage angekündigten Leistungsantrag zu beziffern. Im Hinblick darauf wird nunmehr anstelle des ursprünglich angekündigten Antrages zu 2) der oben angekündigte Antrag gestellt. Zum Anspruchsgrund verweise ich auf die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom …. Zur Anspruchshöhe gilt: 1. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Auskunftserteilung erklärt …. Ich verweise hierzu auf das als Anlage … beigefügte Schreiben des Beklagten vom …. Daraus folgt, dass … … … Alternativ: … erkläre ich den in der Klage angekündigten Antrag zu 1), mit dem der Kläger vom Beklagten Auskunft begehrt hat, in der Hauptsache für erledigt. Zugleich kündige ich an, dass ich nunmehr den Antrag stellen werde, den Beklagten zu verurteilen, die Richtigkeit der im Schreiben vom … erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte hat inzwischen außerhalb des vorliegenden Verfahrens die vom Kläger mit dem in der Klage angekündigten Antrag zu 1) begehrte Auskunft mit Schreiben vom … erteilt. Jene Auskunft erweist sich jedoch als unzulänglich. Aufgrund eines Gespräches mit dem Zeugen Friedhelm Schulze, Windweg 12, 23127 Wimpfen, hat der Kläger in Erfahrung gebracht, dass der Beklagte entgegen der in Ziffer 7 des Schreibens vom … erteilten Auskunft für den Kläger nicht 312,13 Euro, sondern 3.714 Euro eingenommen hat. An der Richtigkeit der vom Beklagten mit Schreiben vom … erteilten Auskunft bestehen daher insgesamt Zweifel. Angesichts dessen ist der Beklagte verpflichtet, die Richtigkeit der erteilten Auskunft gem. § 259 Abs. 2 BGB an Eides statt zu versichern. Nach erfolgter Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wird der Kläger den für die zweite Stufe der Stufenklage angekündigten Leistungsantrag beziffern.
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ZPO
M 15.13
Kap. 15 Rz. 99
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.14
ZPO
c) Nach durch Verurteilung erzwungener Auskunft
99 Ist ein Teilurteil ergangen, durch das der Beklagte zur Auskunftserteilung verurteilt worden ist, und hat der Kläger aus dem Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben müssen (s. dazu Kap. 57 Rz. 35), ist gemäß nachfolgendem Muster zu verfahren; wobei dies ebenfalls gilt, sofern die Auskunft nach erfolgter Verurteilung freiwillig erteilt worden ist:
100 M 15.14 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung innerhalb einer Stufenklage nach
durch Verurteilung erzwungener Auskunft … beantrage ich, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. In jenem Termin werde ich den Antrag stellen, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger … Euro nebst … Zinsen seit dem … zu zahlen. Nach Erlass des Teilurteils vom …, durch das der Beklagte zur Erteilung der vom Kläger begehrten Auskunft verurteilt worden ist, hat der Beklagte die verlangte Auskunft erteilt. Der Kläger ist nunmehr in der Lage, den für die zweite Stufe angekündigten Leistungsantrag zu beziffern. Das ist mit dem oben angekündigten Antrag geschehen. Zur Begründung der Höhe der Klageforderung führe ich deshalb aus: 1. … …
101 K
Praxistipp: Wegen weiterer Muster zur Stufenklage (Abgabe der Versicherung an Eides statt, im Rahmen eines Herausgabeanspruchs) s. M 15.12, M 15.24.
3. Zug um Zug
102 Wenn eine Partei teils obsiegt, teils unterliegt, sind nach der Grundregel des § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Zum teilweisen Unterliegen gehört auch die Zug-um-Zug-Verurteilung des Beklagten, sofern der Kläger innerhalb seines Klageantrages eine uneingeschränkte Verurteilung des Beklagten beantragt hat (vgl. Zöller/Herget § 92 ZPO Rz. 3). Steht dem Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB; zu dessen Anwendungsbereich vgl. etwa Erman/Artz § 273 BGB Rz. 8 ff.) oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB; zu den Voraussetzungen s. Erman/Westermann § 320 BGB Rz. 4 ff.) zu, ist der Kläger folglich gut beraten, schon in seinem Klageantrag eine Zug-um-Zug-Verurteilung zu begehren.
103 Das gilt auch für den Fall, dass sich der Beklagte schon bei Klageerhebung im Annahmeverzug befindet. Für diesen Fall ist das Begehren auf Zug-um-Zug-Verurteilung mit einem Antrag auf Feststellung zu verbinden, dass sich der Beklagte mit der Leistung, wegen derer er das Zurückbehaltungsrecht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages geltend machen kann, im Annahmeverzug befindet (s. dazu M 15.16 und M 77.2). Die im Urteilstenor auf den entsprechenden Antrag alsdann ausgesprochene Feststellung, dass sich der Beklagte wegen seiner Zug-um-Zug-Leistung oder der Leistung, wegen derer er die Einrede des nicht erfüllten Vertrages geltend machen kann, im Annahmeverzug befindet, führt dazu, dass die für die Vollstreckung der Verurteilung zur Leistung – beim Zahlungsantrag mithin zur Zahlung – erforderlichen Voraussetzungen der §§ 756, 765 ZPO durch das Urteil selbst erbracht werden (zur Vollstreckung s. Kap. 46 Rz. 55 ff.).
104 K
262
Praxistipp: Die Klage auf eine künftige Geldforderung ist ihrerseits nicht zulässig, wenn die künftige Geldforderung von einer Gegenleistung abhängig ist (§ 257 ZPO)!
Vorwerk
M 15.15
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 107 Kap. 15
Kann sich der Beklagte gegenüber dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch insgesamt auf ein Zurückbehaltungsrecht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages berufen, lautet der zur Meidung nachteiliger Kostenfolgen vom Kläger zu stellende Klageantrag wie folgt:
105
M 15.15 Reine Zahlungsklage, Zug um Zug, bei Abhängigkeit der gesamten
106
geforderten Leistung von der Gegenleistung (s. Rz. 107!) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 3.800 Euro Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf, polizeiliches Kennzeichen M-DR 2312, Fahrgestell-Nummer 37256 F 307 seitens des Klägers zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte betreibt eine Reparaturwerkstatt für Kraftfahrzeuge und kauft gebrauchte Kraftfahrzeuge an, die einen Unfallschaden haben. Der Kläger ist Eigentümer des im Klageantrag angeführten Kraftfahrzeuges. Er hat jenes Fahrzeug dem Beklagten nach einem Unfall verkauft, es dem Beklagten aber noch nicht übergeben. Beweis: … Der Beklagte hat dem Kläger vor einigen Tagen, nämlich am …, erklärt, er werde das angekaufte Fahrzeug dem Kläger nicht abnehmen; der Kunde des Beklagten, der das Fahrzeug nach erfolgter Reparatur habe übernehmen wollen, sei abgesprungen. Der Kläger hält demgegenüber am Kaufvertrag, von dem ich als Anlage … eine Kopie anbei überreiche, fest. Mit der Klage fordert er deshalb Zahlung des Kaufpreises vom Beklagten Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des vom Beklagten angekauften Fahrzeuges. … … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Die Einschränkung des Antrags auf Leistung Zug um Zug bleibt nach der herrschenden Meinung unberücksichtigt, selbst wenn der Kläger die Gegenleistung von sich aus anbietet (Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Zug-um-Zug-Leistungen“).
K
Praxistipp: Das vorstehende M 15.15 befasst sich nicht mit der Frage, ob sich der auf Zahlung in Anspruch genommene Beklagte mit seiner Leistung – Übernahme des angekauften Fahrzeuges – im Verzug befindet. Darauf beruht, dass im Antrag auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen berücksichtigt ist. Die mit dem Klageantrag und der Klagebegründung in M 15.15 anerkannte Einrede des nicht erfüllten Vertrages schließt auch den Zinsanspruch aus § 291 BGB aus; das gilt ebenfalls, wenn ein Zurückbehaltungsrecht besteht (vgl. BGH NJW 2010, 2873 Rz. 30). Zinsen können deshalb bei bestehendem Zurückbehaltungsrecht oder bestehender Einrede des nicht erfüllten Vertrages nur geltend gemacht werden, wenn sich der Beklagte im Annahmeverzug befindet. Zudem ist die Feststellung zu beantragen, dass sich der Beklagte im Annahmeverzug befindet (s. M 15.16 sowie Rz. 257).
Vorwerk
263
107
ZPO
a) Bei Abhängigkeit der gesamten geforderten Leistung von der Zug-um-Zug-Leistung
ZPO
Kap. 15 Rz. 108
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.16
108 M 15.16 Antragsergänzung bei Verzug des Schuldners … beantrage ich, 1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 3.800 Euro nebst … Zinsen seit dem 5.11.2017 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf, polizeiliches Kennzeichen M-DR 2312, Fahrgestell-Nummer 37256 F 307 zu zahlen; 2. festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 des Klageantrages bezeichneten Fahrzeugs seit dem 5.11.2017 in Verzug befindet. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte betreibt eine Reparaturwerkstatt für Kraftfahrzeuge und kauft gebrauchte Kraftfahrzeuge an, die einen Unfallschaden haben. Der Kläger ist Eigentümer des im Klageantrag angeführten Kraftfahrzeuges. Er hat jenes Fahrzeug dem Beklagten nach einem Unfall verkauft, es dem Beklagten aber noch nicht übergeben. Beweis: … Der Kläger hat den Beklagten mit Schreiben vom … zur Zahlung der 3.800 Euro aufgefordert und ihm eine Zahlungsfrist bis zum 15.10.2017 gesetzt, gleichzeitig hat er ihm die Übergabe des Fahrzeugs angeboten. Zahlung hat der Beklagte nicht erbracht. Der Kläger hat den Beklagten daraufhin mit dem als Anlage … in Kopie überreichten Schreiben vom 16.10.2017 zur Zahlung eine „letzte Frist“ bis zum 4.11.2017 gesetzt und angekündigt, er werde am 4.11.2017 das vom Beklagten angekaufte Fahrzeug anliefern; mit Anlieferung des Fahrzeugs fordere er Zug um Zug die Zahlung des Kaufpreises. Am 4.11.2017 ist der Kläger auf dem Hof der Werkstatt des Beklagten mit dem angekauften Fahrzeug erschienen. Beweis: … Der Beklagte hat dem Kläger an Ort und Stelle erklärt, „er solle abziehen“; das Fahrzeug könne er „sich an den Hut stecken“, „Geld gäbe es für die Schrottlaube“ vom Beklagten nicht mehr. Beweis: … Der Beklagte hat dem Kläger schließlich auch noch die Tür zur Werkstatt vor der Nase zugesperrt und ist mit einem anderen Fahrzeug wenige Minuten später vom Hof gefahren. Beweis: … Seit dem 5.11.2017 befindet sich der Beklagte folglich in Annahmeverzug. An der unter Ziffer 2 des Klageantrags begehrten Feststellung hat der Kläger ein Feststellungsinteresse; das folgt aus §§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO, ferner aus den Regelungen der §§ 293 ff. BGB, dort insbesondere der Vorschrift des § 300 BGB. … … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Die Einschränkung des Antrags auf Leistung Zug um Zug bleibt nach der herrschenden Meinung unberücksichtigt, selbst wenn der Kläger die Gegenleistung von sich aus anbietet (Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Zug-um-Zug-Leistungen“); der Feststellung des Annahmeverzugs kommt neben dem auf eine Zug-um-Zug-Verurteilung gerichteten Anträgen keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu (BGH v. 23.2.2010 – XI ZR 219/09).
264
Vorwerk
M 15.17
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 111 Kap. 15
Ist lediglich ein Teil der geforderten Leistung vom Zurückbehaltungsrecht oder der Einrede des nicht erfüllten Vertrages betroffen, ist der Klageantrag wie folgt zu stellen:
109
M 15.17 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung, Zug um Zug, bei Abhängigkeit eines 110 Teils der geforderten Leistung von der Gegenleistung … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 12.000 Euro zu zahlen und zwar a) 10.000 Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage, sowie b) weitere 2.000 Euro Zug um Zug gegen Herausgabe des Akkordeons Marke …, Fabrik-Nummer …. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte – er ist als Verbraucher an den Rechtsverhältnissen beteiligt, die Grundlage der Klage sind – schuldet dem Kläger aus zwei zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnissen insgesamt 12.000 Euro. Dazu im Einzelnen: a) Den Betrag von 10.000 Euro hat der Kläger dem Beklagten im Rahmen eines Darlehensvertrages zinslos gewährt. Jenen Betrag hat der Beklagte zurückzuzahlen. … b) Den weiteren Betrag von 2.000 Euro schuldet der Beklagte dem Kläger aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag über das im Klageantrag näher bezeichnete Akkordeon … (wird ausgeführt). Zahlung des Kaufpreises iHv. 2.000 Euro lediglich Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Akkordeons hat der Kläger deshalb begehrt, weil der Kläger seiner eigenen Leistungspflicht aus dem Kaufvertrag noch nicht nachgekommen ist. Er hat vor Klageerhebung dem Beklagten lediglich mitgeteilt, dass das Akkordeon zur Abholung bereitsteht. Im Hinblick darauf biete ich dem Beklagten namens des Klägers nunmehr an, … (es folgen Ausführungen, durch die der Beklagte im Rahmen der Klage in Annahmeverzug gesetzt wird mit dem Ziel, den in Rz. 102, 257 angeführten und in M 15.16 und M 77.2 dargestellten Feststellungsantrag mit Eintritt des Verzuges rechtshängig zu machen). … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Die Einschränkung des Antrags auf Leistung Zug um Zug bleibt nach der herrschenden Meinung unberücksichtigt, selbst wenn der Kläger die Gegenleistung von sich aus anbietet (Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Zug-um-Zug-Leistungen“).
c) Bei möglicherweise bestehendem Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts In Fällen, innerhalb derer zweifelhaft ist, ob dem Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zur Seite steht (vgl. dazu im Einzelnen Erman/Artz § 273 BGB Rz. 18 ff.), lässt sich der unbeschränkte Zahlungs-(oder Leistungs-)antrag mit einem hilfsweise gestellten Antrag verbinden, innerhalb dessen die Zug-um-Zug-Leistung zum Ausdruck kommt. Für die Kostenentscheidung wird die Stellung des Hilfsantrages allerdings keine Bedeutung haben können, weil sich der Streit auf das Bestehen des Zurückbehaltungsrechtes konzentrieren wird und im Falle der Verurteilung auf den Hilfsantrag hinsichtlich der Kosten genau die Konstellation vorliegt, die zu einem teilweisen Unterliegen des Klägers
Vorwerk
265
111
ZPO
b) Bei Abhängigkeit eines Teils der geforderten Leistung von der Gegenleistung
ZPO
Kap. 15 Rz. 112
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.18
führt, wenn er das Zurückbehaltungsrecht des Beklagten nicht sogleich bei der Stellung des Klageantrages berücksichtigt. Die Einbeziehung des vorerwähnten Hilfsantrages in den Klageantrag hat deshalb lediglich die Bedeutung, das Gericht schon mit den Anträgen darauf aufmerksam zu machen, dass sich der Streit zwischen den Parteien voraussichtlich auf das Bestehen des Zurückbehaltungsrechtes – oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages – konzentrieren wird.
112 M 15.18 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung, Zug um Zug, bei möglicherweise
bestehendem Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts, Beklagter Unternehmer (vgl. Rz. 39) beantrage ich, 1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 3.000 Euro nebst Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen; hilfsweise 2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 3.000 Euro Zug um Zug gegen Lieferung von 300 Rundballen Heu, erster Schnitt, zu liefern an die Abladestelle …, zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger verlangt vom Beklagten die Zahlung von 3.000 Euro aus einem zwischen den Parteien am … geschlossenen Kaufvertrag über die Anlieferung von Rüben. Jene Rüben hat der Kläger dem Beklagten termingerecht am … ausgeliefert. Beweis: … Die Höhe des Kaufpreises für die Rüben wird zwischen den Parteien auch unstreitig bleiben; ferner, dass der Beklagte dem Kläger noch die 3.000 Euro als Kaufpreis für die Lieferung der Rüben schuldet. Dennoch lege ich zum Beweis für die Richtigkeit des Vortrags zur Höhe des Kaufpreises als Anlage … den zwischen den Parteien am … geschlossenen Kaufvertrag vor. Streit besteht zwischen den Parteien im Kern lediglich darüber, ob zwischen ihnen die Abrede getroffen worden ist, dass die Zahlung des Kaufpreises für die Rüben erst dann fällig wird, wenn der Kläger dem Beklagten auch die vom Beklagten in der Zwischenzeit noch bestellten, im Klageantrag zu 2 erwähnten Rundballen Heu geliefert hat … (wird ausgeführt). Der Zinsanspruch iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz rechtfertigt sich daraus, dass beide Parteien den Kaufvertrag über die Rüben nicht als Verbraucher geschlossen haben. Kosten: s. Anm. zu M 15.17.
4. Bei Wahlschuld
113 Die in §§ 262 ff. BGB geregelte Wahlschuld kommt in der Praxis selten vor. Besteht zwischen den Parteien ein echtes Wahlschuldverhältnis (zur Abgrenzung vgl. Erman/Artz § 262 BGB Rz. 2, 3), kann der Gläubiger den Schuldner, dem gem. § 262 BGB das Wahlrecht im Zweifel zusteht, allerdings nicht auf Vornahme der Wahl, zu der der Schuldner durch Erklärung gegenüber dem Gläubiger berechtigt ist (§ 263 BGB), in Anspruch nehmen. Der Kläger muss vielmehr im Prozess einen echten Alternativantrag stellen, der zu alternativer Verurteilung führt. Zur Darlegungs- und Beweislast für den Fall, dass die Ausübung des Wahlrechts durch den Schuldner behauptet wird, s. Erman/Artz § 262 BGB Rz. 8 mwN.
266
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 114 Kap. 15
M 15.19 Antrag auf Verurteilung zur Zahlung bei Wahlschuld
114
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, 1. dem Kläger 3.500 Euro zu zahlen, Zug um Zug gegen Lieferung und Übereignung von zehn Stahlblechen, 5 mm Stärke, Qualität X, mit den Maßen 3,75 m × 1,83 m; oder 2. dem Kläger 3.000 Euro zu zahlen, Zug um Zug gegen Lieferung der im Antrag zu 1) spezifizierten Stahlbleche jedoch mit der Qualität Z. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger ist Stahlhändler; der Beklagte verarbeitet in seinem Betrieb Stahlbleche. Am … hat der Beklagte beim Kläger Stahlbleche in der Größe und Stärke bestellt, wie sie im Klageantrag zu 1 beschrieben sind. Die Lieferung sollte am … erfolgen. Als der Kläger etwa zwei Wochen vor dem ins Auge gefassten Liefertermin die Stahlbleche in der vom Beklagten gewünschten Größe, Stärke und Qualität am Markt nicht hat beschaffen können, hat er den Beklagten davon unterrichtet und angefragt, ob ggf. auch Bleche in der Qualität Z in der gewünschten Größe und Stärke geliefert werden könnten. Der Beklagte hat daraufhin erklärt, er könne sich durchaus vorstellen, dass er auch Bleche der Qualität Z für den Behälter, den er aus den Blechen hat schweißen wollen, verarbeiten könne. Der Kläger solle sich deshalb auf jeden Fall mit Blechen der Qualität Z bevorraten. Könne er – der Kläger – zum vorgesehenen Liefertermin dann doch noch Bleche der Qualität X beschaffen, werde er – der Beklagte – entscheiden, ob der Kläger Bleche der Qualität X oder der Qualität Z liefern solle. Beweis: … Mit dieser Regelung hat sich der Kläger einverstanden erklärt. Die Parteien haben zudem verabredet, dass der Preis für die Bleche der Qualität Z lediglich 3.000 Euro betragen solle, Beweis: … während für die Lieferung der Bleche der Qualität X ein Preis von 3.500 Euro vereinbart worden war. Beweis: … Einen Tag vor der beabsichtigten Auslieferung der Bleche war es dem Kläger gelungen, doch noch Bleche der Qualität X zu beschaffen. Da er sich zuvor entsprechend der Abrede mit dem Beklagten auch mit den Blechen der Qualität Z bevorratet hatte, rief er am Liefertag den Beklagten an, um ihn zu bitten, sich zu entscheiden, welche Bleche nunmehr ausgeliefert werden sollten. Beweis: Erika Roth, zu laden beim Beklagten. Die Zeugin Roth ist Mitarbeiterin des Beklagten. Sie hat seinerzeit mit dem Kläger telefoniert und ihm auf dessen Frage erklärt, dass der Beklagte sei nicht anwesend sei; sie selbst könne die vom Kläger gestellte Frage nicht beantworten; da die Produktion der Behälter noch nicht begonnen habe, sei die Lieferung der Bleche und damit auch die Entscheidung, welche Bleche geliefert werden sollten, gegenwärtig nicht eilig. Beweis: Erika Roth. Der Kläger hat daraufhin drei Wochen gewartet in der Hoffnung, dass der Beklagte seine Entscheidung treffe, welche Bleche geliefert werden sollten. Auf entsprechende Telefonanrufe hat die Zeugin Roth den Kläger stets vertröstet; den Beklagten selbst hat der Kläger nicht mehr sprechen können; der Beklagte hat sich offenbar stets verleugnen lassen.
Vorwerk
267
ZPO
M 15.19
ZPO
Kap. 15 Rz. 115
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.19
Nach dem Inhalt des Vertrages, den die Parteien unter Einbeziehung der Absprache getroffen haben, zu der es etwa zwei Wochen vor dem in Aussicht genommenen Liefertermin gekommen ist, hat der Beklagte zu wählen, welche Bleche an ihn auszuliefern sind, nachdem es dem Kläger vor dem Liefertermin doch noch gelungen ist, Bleche der ursprünglich bestellten Qualität X zu beschaffen. Darauf beruht, dass der Kläger eine echte alternative Verurteilung des Beklagten im Rahmen des Klageantrages begehrt hat. … Kosten: s. Anm. zu M 15.17.
115 K
Praxistipp: Gegenstand des vorstehenden M 15.19 ist nicht die Behandlung der Frage, ob der Gläubiger, der im vorstehenden Muster wahlberechtigt ist, mit seiner Wahl in Verzug ist. Für diesen Fall ist die Sonderregelung des § 264 Abs. 2 BGB zu beachten, die im Ergebnis dazu führt, dass das Wahlrecht auf den Schuldner übergeht. Ist dies der Fall, übt der Schuldner sein Wahlrecht durch Erklärung gegenüber dem Gläubiger aus (§ 263 Abs. 1 BGB) und kann dann – unter Hinweis auf diesen Übergang des Wahlrechts und die Ausübung des Wahlrechts in der Begründung der Klage – Antrag auf Zahlung Zug um Zug gegen die von ihm nunmehr als Schuldner selbst gewählte Leistung begehren.
IV. Antrag auf Herausgabe 116 Sieht das Gesetz die Pflicht des Schuldners zur Herausgabe (gemeint ist Herausgabe im eigentlichen Sinne; im Gesetz teils auch als „Rückgabe“ oder „Rückgewähr“ bezeichnet; Gegensatz dazu: Herausgabe zum Zwecke der Befriedigung, vgl. etwa §§ 1390, 2329 BGB) vor und erstreckt sich die Pflicht zur Herausgabe nicht auf eine Geldleistung (dann: Zahlungsantrag), hat der Kläger innerhalb des Klageantrages die herauszugebende Sache konkret zu beschreiben, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (s. Rz. 24) zu genügen. Erstreckt sich die Herausgabepflicht auf Rechte (zur Abgrenzung zwischen Sachen und Rechten vgl. Erman/Schmidt vor § 90 BGB Rz. 3 ff.), lautet der Antrag, den Beklagten zu verurteilen, das Recht, das Gegenstand der Herausgabepflicht ist, an den Kläger abzutreten; wobei jener Antrag allgemein auf Vornahme einer Handlung oder – je nach Fallkonstellation – konkret auf Abgabe der Abtretungserklärung, also einer Willenserklärung, lauten kann (s. dazu Rz. 154 ff.).
117 K
Praxistipp: Zur Frage, ob die Sacheigenschaft von Software zu bejahen ist, insoweit folglich ein Antrag auf Herausgabe gestellt werden kann, vgl. Erman/Schmidt § 90 BGB Rz. 3.
1. Herausgabe einer beweglichen Sache
118 Das BGB unterscheidet zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen. Unbeweglich sind nur Grundstücke. Den Grundstücken rechtlich gleichgestellt sind das Erbbaurecht (§ 11 ErbbauVO), das Wohnungseigentum (§§ 1, 3, 7 WEG) sowie die nach Landesrecht als Immobiliarrechte ausgestatteten Rechte (s. dazu MüKo.BGB/Säcker Art. 196 EGBGB, 5. Aufl., Rz. 1; Staudinger/Mayer Art. 196 EGBGB Rz. 1 ff.). Schiffe und Luftfahrzeuge sind bewegliche Sachen, auch wenn für sie nach dem SchRG und dem LuftRG zum Teil ähnliche Grundsätze wie für Grundstücke gelten. Von den Sachen zu unterscheiden sind Sachgesamtheiten und Rechtsgesamtheiten (s. dazu Erman/Schmidt vor § 90 BGB Rz. 5 f.).
119 K
268
Praxistipp: Diese durch den nationalen Gesetzgeber im BGB seit langem vorgenommene Differenzierung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen, kann nicht ohne Weiteres auf die Normen (etwa § 651 BGB) übertragen werden, die EG-Richtlinien umsetzen. Für die Auslegung sind dort die EG-Richtlinien unmittelbar heranzuziehen! Auf die Formulierung des Klageantrags im Rahmen eines Herausgabeverlangens hat diese bei der Auslegung der Begriffe „unbewegliche“ und „bewegliche Sache“ vorzunehmende Differenzierung allerdings keine Bedeutung.
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 124 Kap. 15
Bei dem Antrag auf Herausgabe einer beweglichen Sache ist dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (s. Rz. 24) zu genügen. Es muss daher die vom Herausgabeantrag erfasste Sache im Detail beschrieben werden. Hilfreich ist insoweit, zunächst vom sprachlichen Oberbegriff auszugehen und alsdann zu prüfen, ob unter den Oberbegriff zu subsumierende Unterbegriffe eine weitere Beschreibung ermöglichen.
K
120
ZPO
M 15.20
Praxistipp: Bei der Beschreibung darf man keinesfalls dem Irrtum unterliegen, dass die man- 121 gelnde Fähigkeit der eigenen Partei, den herauszugebenden Gegenstand konkret zu beschreiben, das durch § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vorgegebene Maß der Konkretisierung der herauszugebenden Sache zugunsten des Klägers herabsetzt. Der Anwalt muss sich vielmehr in diesen Fällen die Zeit nehmen, durch eingehende Rückfragen oder Befragung anderer Personen, die die herauszugebende Sache kennen, eine detaillierte Beschreibung zu erreichen.
a) Mit Worten gut zu beschreibende Sache Gibt es von einer herauszugebenden Sache eine Vielzahl von Exemplaren, die sich einander ähneln, 122 reicht in der Regel zur Beschreibung die Angabe des Oberbegriffs und zur Konkretisierung auf das Merkmal abzustellen, das die herauszugebende Sache von allen anderen Sachen, die unter den Oberbegriff fallen, unterscheidet.
M 15.20 Antrag auf Herausgabe einer mit Worten gut zu beschreibenden Sache
123
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger das Fahrzeug VW Golf, polizeiliches Kennzeichen …, Fahrgestell-Nummer …, herauszugeben. Oder: beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den Kommentar Erman, BGB, 15. Auflage, Band I sowie Band II, jeweils mit dem Stempeleindruck „Rechtsanwalt Hubert Schmidt, Müllerstraße 17, 23121 Bremen“, herauszugeben. Oder: beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den Laser-Drucker, Marke Hewlett-Packard, Typ Laserjet Pro P1102, versehen mit dem Aufkleber „Inventarverzeichnis-Nr. 2317“, herauszugeben.
b) Mit Worten unzureichend zu beschreibende Sache Bei individuell gestalteten Sachen ist es häufig schwierig, die Beschreibung des Gegenstandes so genau zu treffen, dass dem Bestimmtheitsgebot genügt wird und der Gerichtsvollzieher anhand des Herausgabetitels in der Lage ist, die herauszugebende Sache beim Vollstreckungsschuldner zu identifizieren. Als mit Worten nur unzureichend zu beschreibende Sache gelten daher Teppiche mit ornamentartigen, kleinflächigen Mustern, Bilder oder etwa Skulpturen. In diesen Fällen hilft häufig, über ein Foto oder eine Handskizze, die nicht zwingend ein naturgetreues Abbild der herauszugebenden Sache darstellen muss, die Sache so zu beschreiben, dass dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt wird.
Vorwerk
269
124
ZPO
Kap. 15 Rz. 125
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.21
125 M 15.21 Antrag auf Herausgabe einer mit Worten unzureichend zu
beschreibenden Sache … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den Teppich Täbriz mit den Maßen ca. 1,2 m × 0,6 m herauszugeben, der auf dem der Klageschrift beigefügten, im zu erlassenden Urteil im Tenor wiederzugebenden Foto abgebildet ist. Oder: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die Skulptur „Tanzender Harlekin“, geschaffen von … herauszugeben, bei der die Beine der Skulptur die Haltung aufweisen, die in der der Klage beigefügten Detailskizze, die zum Gegenstand des Tenors der zu erlassenden Entscheidung zu machen ist, wiedergegeben ist.
c) Dem Beklagten übereignete Sache
126 Erstreckt sich der Herausgabeantrag – etwa im Falle der Rückabwicklung eines Schuldverhältnisses – auf eine Sache, die zuvor dem Beklagten übereignet war, ist daran zu denken, dass der Herausgabeanspruch mit dem Anspruch auf Rückübereignung der Sache zu verbinden ist. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch § 897 ZPO.
127 M 15.22 Antrag auf Herausgabe einer beweglichen Sache, verbunden mit dem
Antrag auf Verschaffung des Eigentums an jener Sache … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, a) dem Kläger den Pkw Marke VW Golf, polizeiliches Kennzeichen …, Fahrgestell-Nummer … herauszugeben und zwar Zug um Zug gegen Zahlung von 7.300 Euro und b) zu erklären, dass er – der Beklagte – sich mit dem Kläger darüber einig ist, dass das Eigentum am im Klageantrag zu a) genannten Fahrzeug auf den Kläger übergeht. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger begehrt vom Beklagten die Rückabwicklung eines zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags über das im Klageantrag zu lit a) bezeichnete Fahrzeug … (wird ausgeführt). … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Die Einschränkung des Antrags auf Leistung Zug um Zug bleibt nach der herrschenden Meinung unberücksichtigt, selbst wenn der Kläger die Gegenleistung von sich aus anbietet (Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Zug-um-Zug-Leistungen“); die Werte der Klageanträge zu a) und b) werden nicht addiert, weil sie keinen selbständigen wirtschaftlichen Wert besitzen.
270
Vorwerk
M 15.23
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 130 Kap. 15
Hat der Kläger von der ihm vom Beklagten herauszugebenden Sache keine Kenntnis und ist der 128 Beklagte aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses, das etwa durch §§ 666, 2027 BGB begründet sein kann, zur Auskunft verpflichtet, kann der Kläger im Wege der Stufenklage vom Beklagten zunächst über die Auskunftspflicht des Beklagten eine genaue Beschreibung der herauszugebenden Sachen verlangen, um nach erteilter Auskunft im Herausgabeantrag, der im Rahmen der zweiten Stufe (s. Rz. 97) zu stellen ist, die herauszugebenden Sachen genau bezeichnen zu können.
M 15.23 Antrag auf Herausgabe im Rahmen einer Stufenklage bei fehlender
129
Möglichkeit der Beschreibung der herauszugebenden Sache … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, a) dem Kläger unter genauer Beschreibung der einzelnen Teppiche Auskunft darüber zu erteilen, welche Teppiche er – der Beklagte – für den Kläger aufgrund des am 15.3.2017 erteilten Auftrags erworben hat. Nach erteilter Auskunft werde ich den Antrag stellen, b) den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die Teppiche herauszugeben, die der Beklagte aufgrund der mit dem Antrag zu a) begehrten Auskunft bezeichnet hat. Zur Begründung führe ich aus: Die Parteien betreiben – jeweils innerhalb eines eigenen Geschäftsbetriebes – den Handel mit Teppichen. Unter dem 15.3.2017 hat der Kläger den Beklagten gebeten, anlässlich der Reise des Beklagten nach Indien, zwischen zehn und zwanzig Teppiche zu erwerben, die der Kläger innerhalb seines Geschäftsbetriebes alsdann hat vermarkten wollen. Der Beklagte hat sich bereit erklärt, den entsprechenden Auftrag auszuführen. Beweis: … Nach Rückkehr von der Reise hat sich der Beklagte beim Kläger nicht wieder gemeldet. Verschiedene Versuche des Klägers, vom Beklagten Auskunft darüber zu erhalten, welche Teppiche er für den Kläger anlässlich seiner Reise nach Indien erworben hat, sind gescheitert. Der Kläger ist daher im Rahmen der erhobenen Stufenklage darauf angewiesen, zunächst vom Beklagten Auskunft darüber zu erhalten, welche Teppiche er – der Beklagte – für den Kläger im Rahmen des erteilten Auftrages erworben hat. Dabei ist die Auskunft seitens des Beklagten so detailliert zu geben, dass der Kläger im Rahmen der zweiten Stufe der Stufenklage die Teppiche im Einzelnen beschreiben kann, die der Herausgabepflicht des Beklagten (§ 667 BGB) unterliegen. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Bei der Stufenklage findet keine Wertaddition statt, vielmehr ist der höhere Anspruch (Wert der Teppiche) maßgebend (§ 44 GKG).
K
Praxistipp: Im vorstehenden M 15.23 lässt sich in den Antrag auf Erteilung der begehrten Auskunft ggf. auch noch das Verlangen auf Auskunft über die Aufwendungen einfügen, die der Beklagte im Rahmen der Geschäftsbesorgung für den Kläger gemacht hat. Zu rechnen ist nämlich damit, dass der Beklagte gegenüber dem Herausgabeanspruch, der Gegenstand der zweiten Stufe der in M 15.23 erhobenen Stufenklage ist, ein Zurückbehaltungsrecht wegen seines – des Beklagten – Anspruches auf Ersatz von Aufwendungen (§ 670 BGB) geltend macht. Um einem teilweisen Vorwerk
271
130
ZPO
d) Im Rahmen einer Stufenklage bei fehlender Kenntnis der herauszugebenden Sache
Kap. 15 Rz. 131
Klageanträge (und Klagebegründung)
ZPO
Unterliegen des Klägers für diesen Fall (s. Rz. 102) vorzubeugen, kann der Kläger nach erteilter Auskunft den Herausgabeantrag alsdann als Antrag auf Leistung Zug um Zug (s. Rz. 105) formulieren. e) Bei Wohnsitzwechsel des Schuldners nach Entstehung des Schuldverhältnisses
131 Bei Formulierung des Klageantrages auf Herausgabe ist stets § 269 BGB zu beachten. Ist der Ort für die Leistung des Schuldners weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, hat die Leistung folglich an dem Ort zu erfolgen, an dem der Schuldner zurzeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte; wobei an die Stelle des Wohnsitzes der Ort der Niederlassung des Gewerbebetriebes des Schuldners tritt, wenn die Verbindlichkeit im Gewerbebetrieb des Schuldners entstanden ist und der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort als seinem Wohnsitz hatte. Besteht Veranlassung zur Annahme, dass § 269 BGB für die Herausgabeklage von Bedeutung ist, ist der Sachverhalt folglich auch insoweit aufzuklären und im Antrag auf Herausgabe der Leistungsort für die Herausgabepflicht aufzunehmen („… in Hamburg, Billstraße 17, herauszugeben“) und in der Klagebegründung in diesem Zusammenhang unter entsprechendem Vortrag auf § 269 BGB hinzuweisen.
132 K
Praxistipp: Da die Bestimmung des § 269 BGB häufig übersehen wird, empfiehlt sich, den Leistungsort im Herausgabeantrag nur dann konkret aufzunehmen, wenn der durch § 269 BGB bestimmte Leistungsort – etwa im Hinblick auf die Entfernung zum Wohnsitz des Klägers – Vorteile beim Transport der Sache vom Leistungsort zum Wohnsitz des Klägers verschafft.
2. Herausgabe eines Grundstücks
133 Häufigster Anwendungsfall des Antrages auf Herausgabe eines Grundstücks ist das Verlangen auf Rückgabe des Grundstücks. Einen Herausgabeantrag sollte man aber auch stets dann stellen, wenn der Kläger gegenüber dem Beklagten nicht nur einen Anspruch auf Verschaffung des Besitzes, sondern auch auf Übereignung des Grundstücks hat, da nicht zu erwarten ist, dass der Beklagte das zu übereignende Grundstück freiwillig herausgibt (§ 259 ZPO). a) Grundstück, das der Beklagte lediglich besitzt
134 Bei der Bezeichnung des herauszugebenden Grundstücks, das der Beklagte dem Kläger herauszugeben hat, bereitet es in der Regel kein Problem, dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gerecht zu werden. Grundstücke lassen sich über die Bezeichnung der Gemarkung und der Flur oder über die Angabe der Straße und der Hausnummer, unter der das Grundstück im Straßenverzeichnis der jeweiligen Gemeinde vermerkt ist, regelmäßig ausreichend bestimmt bezeichnen.
135 Probleme können allerdings dann auftreten, wenn unvermessene Teilflächen herauszugeben sind. In diesem Fall ist auf die Beschreibung der Abgrenzung der Teilfläche zurückzugreifen, wie sie etwa im Pachtvertrag zu finden ist, über den der Kläger die Teilfläche gepachtet hat (bei gleichzeitiger Pflicht zur Übereignung – s. M 15.30 – hilft die Beschreibung im Kaufvertrag!). Ist eine entsprechende Beschreibung der Teilfläche nicht vorhanden, müssen die Grenzen der Teilfläche über Entfernungsangaben beschrieben werden, die zu in der Örtlichkeit vorhandenen Markierungspunkten in Beziehung gesetzt werden müssen.
272
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 137 Kap. 15
M 15.24 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks, nur Rückgabe
136
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger das Grundstück, belegen in der Ortschaft Damme/Friesland, Gemarkung Hohe Wacht, Flurstück 23/7 herauszugeben. Zur Begründung führe ich an: … Oder: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger folgende Teilfläche des Grundstücks, belegen in der Ortschaft Damme/Friesland, Gemarkung Hohe Wacht, Flurstück 23/7 herauszugeben: a) Die nördliche Grenze der Teilfläche verläuft auf der gedachten Linie zwischen der ca. 7 m südlich der Bundesstraße 7 stehenden Kastanie und dem etwa 35 m östlich der Kastanie am Rand der Bundesstraße 7 stehenden Telefonmast; wobei die gedachte Linie sowohl den Telefonmast wie auch die Kastanie mittig durchschneidet; b) die östliche Grenze der Teilfläche durchschneidet die nördliche Grenze 6 m westlich des zu Buchst. a) genannten Telefonmastes und liegt – ausgehend von diesem Schnittpunkt – auf der gedachten Linie, die rund 23 m südlich auf den Mittelpunkt des dort in der Örtlichkeit vorhandenen 300 KW-Strom-Mastes trifft; c) vom zu Buchst. b) genannten Strom-Mast bildet die südliche Grenze der Teilfläche die gedachte Linie, die genau 6 m nördlich parallel zu dem in der Örtlichkeit vorhandenen Stacheldrahtzaun zu ziehen ist; d) die westliche Grenze bildet die gedachte Linie, die östlich, 3,20 m vom Mittelpunkt der zu Buchst. a) genannten Kastanie die nördliche Grenze schneidet, und von diesem Schnittpunkt in gerader Flucht auf die südliche Grenze trifft; wobei der Winkel zwischen der westlichen Grenze und der nördlichen Grenze 75 Grad beträgt. Zur Begründung führe ich an: … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
b) Grundstück, das dem Kläger auch zu übereignen ist Hat der Kläger neben dem Anspruch auf Herausgabe eines Grundstücks auch einen Anspruch auf 137 Übereignung, ist der Antrag auf Herausgabe – wie in M 15.24 gezeigt – mit dem Antrag auf Übereignung zu verbinden; wobei ein Antrag auf Übereignung eines Grundstücks in M 15.30 sowie M 77.23 zu finden ist; vgl. im Übrigen M 37.4.
Vorwerk
273
ZPO
M 15.24
Kap. 15 Rz. 138
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.25
ZPO
c) Herausgabe eines Grundstücks mit spezifiziertem Räumungsverlangen
138 Schuldet der Beklagte nicht nur die Herausgabe des Grundstücks, sondern auch dessen vollständige oder teilweise Räumung, ist der Herausgabeantrag mit dem Verlangen auf Räumung zu verbinden; wobei je nach Fallkonstellation das Räumungsverlangen zu konkretisieren ist.
139 M 15.25 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks mit spezifiziertem
Räumungsverlangen … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger das Grundstück … (genaue Bezeichnung) … geräumt von den auf dem Grundstück derzeit lagernden Altölfässern herauszugeben. Zur Begründung führe ich an: … (es ist nicht nur der Herausgabeanspruch, sondern auch der Anspruch auf Räumung zu begründen!) Kosten: s. Anm. zu M 15.24.
d) Herausgabe eines Grundstücks unter Einschluss der gezogenen Nutzungen
140 Neben dem Anspruch auf Herausgabe des Grundstücks tritt häufig auch ein Anspruch auf Herausgabe der vom Beklagten gezogenen Nutzungen (s. etwa §§ 818, 987 f. BGB). In jenem Fall kann der Herausgabeantrag mit einem Antrag auf Herausgabe der Nutzungen verbunden werden, wobei sich der Antrag auf Herausgabe der Nutzungen als Zahlungsantrag darstellt (vgl. dazu auch noch den besonders instruktiven Fall BGH NJW 1999, 954, wenn Nutzungen bis zum Zeitpunkt der Herausgabe begehrt werden).
141 M 15.26 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks unter Einschluss der
gezogenen Nutzungen … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, a) dem Kläger das Grundstück … (genaue Bezeichnung des Grundstücks) … herauszugeben, sowie b) dem Kläger 23.612,13 Euro nebst … Zinsen seit dem … zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: … Kosten: s. Anm. zu M 15.24.
142 K
274
Praxistipp: Hat der Kläger keine Kenntnis über die Höhe der vom Beklagten gezogenen, an den Kläger herauszugebenden Nutzungen, kann der Antrag auf Herausgabe der Nutzungen seinerseits im Rahmen einer Stufenklage rechtshängig gemacht werden. In jenem Fall würde der im Rahmen
Vorwerk
M 15.27
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 148 Kap. 15
ZPO
des vorstehenden M 15.26 gestellte Antrag zu Buchstabe b) demnach einem Antrag entsprechen, wie er in M 15.12 gestellt ist. e) Grundstücksherausgabe als künftige Leistung Die Regelung § 257 ZPO gestattet, den Antrag auf Herausgabe unter den dort genannten Voraussetzungen auch als Antrag auf künftige Leistung zu formulieren. Das gilt ebenfalls unter den Voraussetzungen des § 259 ZPO.
143
M 15.27 Antrag auf Herausgabe eines Grundstücks als künftige Leistung
144
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger das Grundstück … (genaue Bezeichnung)1 … am … herauszugeben. Zur Begründung führe ich an: … 1 S. dazu M 15.24.
K
Praxistipp: Wegen der im Rahmen der Klage gem. §§ 257, 259 ZPO zu beachtenden spezifischen Begründung vgl. M 15.10 sowie M 15.26.
145
3. Herausgabe Zug um Zug a) Normalfall Steht dem Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages zur Seite, ist auch bei der Formulierung des Herausgabeantrages daran zu denken, dass Herausgabe lediglich Zug um Zug gefordert wird (s. dazu Rz. 102 sowie M 15.15 und M 15.17). Die Formulierung des Antrages bietet gegenüber dem entsprechenden Zahlungsantrag keine Besonderheiten. Auf die Wiedergabe entsprechender Muster wird in diesem Zusammenhang deshalb verzichtet.
146
b) Bei Bestimmung der Gegenleistung durch einen Dritten Es kommt vor, dass die Gegenleistung die der Kläger zu erbringen hat, von einem Dritten erst noch 147 zu bestimmen ist. Praktische Bedeutung hat dieser Fall etwa bei der Einräumung eines durch die Gemeinde auszuübenden Wiederkaufsrechts (§§ 456 ff. BGB), das sich auf ein als Bauland ausgewiesenes Grundstück der Gemeinde bezieht und mit dem durch den Erwerber keine Spekulation betrieben werden soll, weil die Gemeinde das Bauland preiswert angeboten hat. In diesen Fällen wird das Wiederkaufsrecht in der Regel durch den Verkaufsfall ausgelöst; wobei häufig bestimmt ist, dass sich der Wiederkaufpreis aus dem Grundstückspreis, den die Gemeinde beim Verkauf an den Bauwilligen verlangt hat, und dem Wert der Gebäude zusammensetzt, die der Bauwillige nach erfolgtem Erwerb auf dem Grundstück errichtet hat. Der Wert der Gebäude ist nach den häufig üblichen Vereinbarungen von einem Sachverständigen zu schätzen; jener Schätzwert ist dann in den Gesamtkaufpreis einzubeziehen, zu dem der Wiederkauf zustande kommt. In diesem Fall kann der Klageantrag nicht lauten auf Herausgabe und Rückübereignung des Grundstücks „Zug um Zug gegen Zahlung des noch von einem Sachverständigen zu ermittelnden Betrages für den Wert der auf dem Grundstück stehenden Gebäude zuzüglich des Betrages, für den das Vorwerk
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148
ZPO
Kap. 15 Rz. 149
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.28
Grundstück ursprünglich vom Bauwilligen erworben worden ist“. Dieser Antrag wäre unzulässig (BGH NJW 1994, 586). Der Kläger – im Beispielsfall (Rz. 147) die Gemeinde – muss vielmehr die Bestimmung des § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB beachten. Es ist also der Sachverständige zunächst aufzufordern, den Schätzwert zu ermitteln. Ist er daran gehindert, etwa weil der – künftige – Beklagte dem Sachverständigen den Zutritt zu den Gebäuden verwehrt, oder verzögert der Sachverständige die Bestimmung, ist Klage auf die gerichtlich zu bestimmende Leistung zu erheben. Für diesen Fall lautet der Klageantrag:
149 M 15.28 Klage auf die gerichtlich zu bestimmende Leistung; der Dritte, der die
Leistung bestimmen soll, kann die Leistung nicht bestimmen … beantrage ich, durch Urteil den Betrag festzusetzen, den die Klägerin als Schätzwert der auf dem Grundstück … (genaue Bezeichnung des Grundstücks) stehenden Gebäude an den Beklagten zu zahlen hat. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte ist Eigentümer des im Klageantrag aufgeführten Grundstücks, das er von der Klägerin durch den als Anlage … überreichten notariellen Kaufvertrag vom … (nachfolgend nur: Kaufvertrag) erworben hat. Jenes Grundstück hatte die Klägerin vor dem Erwerb durch den Beklagten als Bauland für Bauwillige ausgewiesen und zu einem besonders günstigen Preis veräußert, um auch sozial schwächeren Schichten den Erwerb eines Grundstücks und den Bau eines Eigenheims zu ermöglichen. In § 5 des Kaufvertrages ist für den Fall, dass der Beklagte das Grundstück innerhalb einer Frist von zehn Jahren, gerechnet vom Eigentumsübergang auf den Beklagten, weiterveräußert, bestimmt, dass die Klägerin das ihr ebenfalls in § 5 des Kaufvertrages niedergelegte Wiederkaufsrecht ausüben kann. Das Wiederkaufsrecht ist durch … gesichert. Die Klägerin hat ihr Wiederkaufsrecht inzwischen ausgeübt … (es folgen Ausführungen dazu, dass die Voraussetzungen für den Wiederkaufsfall vorliegen; ferner zur Ausübung des Wiederkaufsrechts). Als Wiederkaufspreis haben die Parteien in § 5 des Kaufvertrages den Betrag vereinbart, der sich aus dem Grundstückspreis, wie er im Kaufvertrag niedergelegt war, und dem Schätzpreis für die Gebäude errechnet, die der Beklagte nach Erwerb des Grundstücks auf dem Grundstück errichtet hat. Wie und auf welchen Zeitpunkt der Schätzpreis für die Gebäude zu ermitteln ist, ist in § 5 des Kaufvertrages ebenfalls niedergelegt. Der Klägerin steht, wie ebenfalls in § 5 des Kaufvertrages festgehalten ist, das Recht zu, den Sachverständigen aus dem Kreis der Sachverständigen zu bestimmen, die für den Gutachterausschuss des Landkreises … tätig sind. Von ihrem Bestimmungsrecht hat die Klägerin inzwischen Gebrauch gemacht … (es folgen die Ausführungen zur Ausübung des Bestimmungsrechts). Der von der Klägerin bestimmte Sachverständige Meier hat den Schätzpreis für die Gebäude, die der Beklagte auf dem erworbenen Grundstück erworben hat, nicht ermitteln können. Der Beklagte hat dem Sachverständigen Meier vielmehr den Zutritt zum Grundstück und zu den Gebäuden verwehrt … (wird ausgeführt). Demnach ist die Klägerin nunmehr gezwungen, von der Möglichkeit des § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB Gebrauch zu machen. Die tatsächlichen Grundlagen für die Bestimmung des Schätzpreises durch das Gericht ergeben sich – wie erwähnt – aus § 5 des Kaufvertrages. Die Klägerin geht davon aus, dass der Schätzpreis für die Gebäude bei 270.000 Euro liegt; wovon 250.000 Euro auf das Wohnhaus entfallen und 20.000 Euro auf die auf dem Grundstück errichtete Garage. Kosten: s. Anm. zu M 15.24.
276
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
K
Rz. 153 Kap. 15
150
Nach Erhebung der Klage gem. M 15.28 wird sich das angerufene Gericht eines Sachverständigen bedienen (§ 144 ZPO), um den Schätzwert für die Gebäude zu bestimmen. Liegt das Sachverständigengutachten vor, kann der Kläger – hier also die klagende Gemeinde – die Klage im Wege der Klagenhäufung (s. Kap. 16) erweitern und – nachdem nunmehr die Zug-um-Zug-Leistung durch das Sachverständigengutachten sich der Höhe nach bestimmen lässt – die Klage auf Herausgabe und (Rück-)Übereignung des Grundstücks Zug um Zug gegen Zahlung des jetzt errechenbaren Wiederkaufpreises rechtshängig machen. Jene Klageerweiterung wird stets als sachdienlich (§ 263 ZPO) angesehen werden müssen. Dies deshalb, weil die Voraussetzungen für die Herausgabe- und Rückübereignungspflicht schon bei der Beurteilung, ob die Tatbestandsvoraussetzung des § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB vorliegen, voll geprüft werden müssen (zur Sachdienlichkeit bei Klageänderung vgl. im Übrigen Kap. 17 Rz. 42 und Rz. 47 sowie M 17.2). Das nach Klageerweiterung ergehende Endurteil wird alsdann lauten, dass „der Schätzwert der auf dem Grundstück … stehenden Gebäude … gem. § 5 des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrages … Euro beträgt“ und den Beklagten zugleich zur Herausgabe und Rückübertragung des Grundstücks „Zug um Zug gegen Zahlung des Betrages von …“ verurteilen (wegen des Rückübereignungsantrags vgl. M 15.30).
151
ZPO
Praxistipp: Trotz des nicht bezifferten Antrags ist der im vorstehenden M 15.28 angeführte unbezifferte Klageantrag iS des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt, weil dem Gericht die Größenordnung der erstrebten Leistung und die tatsächlichen Grundlagen für die Bestimmung angegeben sind (vgl. BGH WM 1969, 62 sowie BLAH/Hartmann § 253 ZPO Rz. 30 ff.; Zöller/Greger § 253 ZPO Rz. 14; Wieser, Prozessrechtskommentar zum BGB, § 319 Rz. 5). Das Urteil, das auf die Klage ergeht ist ein Gestaltungsurteil, das hier allerdings nicht in der Form des Festsetzungsurteils (vgl. dazu im Einzelnen: Staudinger/Rieble 2015, § 315 BGB Rz. 489 ff.) ergeht, weil die klagende Gemeinde selbst zahlungsverpflichtet ist. Festsetzungsurteil wäre das Urteil, das gegen die sich einer Zahlung verweigernde Gemeinde ergeht und mit der die Gemeinde zugleich zur Zahlung verurteilt werden würde, sofern sich die Gemeinde etwa weigert, den Sachverständigen zu benennen. Der Klageantrag ist im Übrigen dem in der Sache BGH WM 1969, 62 gestellten Klageantrag, der vom BGH als zulässig angesehen worden ist, nachgebildet.
V. Antrag auf Vornahme einer Handlung, Unterlassung oder Duldung Gebietet die Anspruchsnorm die Verpflichtung des Schuldners, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, etwas zu unterlassen oder zu dulden, fordert § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ebenfalls die genaue Bezeichnung dessen, was als Handlung vorzunehmen, zu unterlassen oder zu dulden ist.
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1. Handlung Ist der Schuldner zu einer bestimmten Handlung verpflichtet, muss sich der Gläubiger bei Formulie- 153 rung des Klageantrages vergegenwärtigen, dass im Rahmen der Zwangsvollstreckung zwischen vertretbaren Handlungen, die gem. § 887 ZPO vollstreckt werden (s. Kap. 57 Rz. 2 ff.), und nicht vertretbaren Handlungen zu unterscheiden ist, bei denen sich die Vollstreckung gem. § 888 ZPO vollzieht (s. Kap. 57 Rz. 22). Bei der Formulierung des Antrags ist demnach darauf zu achten, dass ein entsprechend dem Antrag ergehender Titel keine Zweifel aufkommen lässt, ob es sich um eine vertretbare oder nicht vertretbare Handlung handelt, die vom Beklagten gefordert wird, und die Fassung des Klageantrags darauf einzurichten.
Vorwerk
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Kap. 15 Rz. 154
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.29
ZPO
a) Abgabe einer Willenserklärung
154 Ist der Beklagte verpflichtet, eine Willenserklärung abzugeben, gilt es bei der Formulierung des Klageantrags darauf zu achten, dass keine Zweifel darüber entstehen, ob die begehrte Willenserklärung mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben gilt (§ 894 ZPO). Soll über die abzugebende Willenserklärung eine Rechtsänderung eintreten, empfiehlt es sich deshalb nicht, im Klageantrag die begehrte Willenserklärung durch die Rechtshandlung („abzutreten“, „zu übereignen“) zu bezeichnen, die der Beklagte vornehmen soll.
155 Der Kläger sollte sich vielmehr bei Formulierung des Klageantrags vergegenwärtigen, wie die Willenserklärung genau zu lauten hat, die der Beklagte abzugeben verpflichtet ist, um Unstimmigkeiten und Unklarheiten im Klageantrag zu vermeiden (s. dazu auch Kap. 77 Rz. 157). Geht der Kläger so vor, wird ihm zugleich deutlich, ob es für die Rechtsänderung, die durch die – vom Beklagten – abzugebende Erklärung eintreten soll, auch noch einer korrespondierenden Willenserklärung des Klägers bedarf. Hat der Beklagte eine einseitige Willenserklärung – etwa eine Kündigung – einem Dritten gegenüber auszusprechen, führt die genaue Formulierung der vom Beklagten abzugebenden Erklärung im Klageantrag ebenfalls dazu, dass sich der Kläger vergegenwärtigt, wem gegenüber die entsprechende Erklärung abzugeben ist. Ist Erklärungsempfänger ein Dritter, wird dem Kläger, sobald er den Titel in Händen hält, der seinem Klageantrag folgt, sofort deutlich, dass er die mit dem Rechtskraftvermerk versehene Ausfertigung des Titels dem Dritten zu übermitteln hat, damit die Willenserklärung dem Dritten auch zugeht (§ 130 BGB). Die genaue Formulierung der abzugebenden Erklärung im Klageantrag vermeidet demnach Fehler, die sich schnell einschleichen können, wenn die Rechtsänderung, die herbeigeführt werden soll, nur mit den dafür gängigen Rechtsbegriffen bezeichnet wird.
156 M 15.29 Klage, Antrag auf Abgabe einer Willenserklärung Statt: … beantrage ich, die Beklagten zu verurteilen, dem Kläger das Kraftfahrzeug Audi A 4, polizeiliches Kennzeichen …, Fahrgestell-Nummer … zu übereignen. sollte mithin formuliert werden: … beantrage ich, 1. die Beklagten zu verurteilen, folgende Willenserklärung abzugeben: Ich bin mir mit dem Kläger darüber einig, dass das Eigentum am Fahrzeug Audi A 4, polizeiliches Kennzeichen …, Fahrgestell-Nummer … auf den Kläger übergeht; ferner 2. die Beklagten zu verurteilen, das im Klageantrag zu 1) bezeichnete Fahrzeug an den Kläger herauszugeben. Oder statt: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, den mit Arthur Meier … geschlossenen Mietvertrag zum … zu kündigen.
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Vorwerk
M 15.30
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 159 Kap. 15
sollte formuliert werden:
ZPO
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, gegenüber Arthur Meier, wohnhaft … folgende Erklärung abzugeben: Hiermit kündige ich den am 15.4.1998 geschlossenen Mietvertrag über die Räume … zum 30.4.2018. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; die Werte werden nicht addiert, weil sie keinen selbständigen wirtschaftlichen Wert besitzen.
K
Praxistipp: Die in M 15.29 jeweils als empfehlenswerte Alternative vorgeschlagene Formulierung verdeutlicht im Falle etwa der Übereignung, dass auch der Kläger noch seine korrespondierende Willenserklärung auf Annahme des Angebots auf Übertragung des Eigentums abzugeben hat; ferner, dass für die Übereignung auch die Übergabe erforderlich ist. Vergegenwärtigt sich der Kläger die für die Rechtsänderung erforderlichen Schritte, übersieht er mithin nicht, dass auch der Herausgabeantrag zu stellen ist, weil die Übergabe der zu übereignenden Sache durch die Wegnahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Ablieferung an den Gläubiger gem. § 897 ZPO als erfolgt gilt. Im Falle der Kündigung bemerkt der Kläger ebenfalls eher als bei der abzulehnenden Formulierung des Klageantrags, dass die im Urteil verkörperte Willenserklärung des Beklagten dem Dritten noch zu übermitteln ist. Wird im Fall des Kündigungsbegehrens der von der empfohlenen Formulierung abweichende Klageantrag verwendet und ergeht entsprechend jenem Klageantrag ein Urteil, fragt sich der Dritte, gegenüber dem die Kündigung auszusprechen ist, zudem, ob mit Zugang der mit dem Rechtskraftvermerk versehenen Ausfertigung des Urteils bei ihm die Kündigungserklärung schon ausgesprochen ist.
157
Besondere Bedeutung kommt der Formulierung des Klageantrags in der Form der hier empfohlenen 158 Fassung zu, wenn der Beklagte aufgrund eines entsprechenden Vorvertrages verpflichtet ist, einen Hauptvertrag abzuschließen. In diesem Fall hat der Kläger innerhalb des Klageantrags den vollständigen Inhalt des Hauptvertrages, den zu schließen der Beklagte verpflichtet ist, wiederzugeben und im Übrigen entsprechend der hier bevorzugten Fassung des Klageantrags die Eingangsformel des Antrages zu fassen (s. dazu M 15.30). Für den Fall, dass aufgrund eines Vorvertrages der Beklagte verpflichtet ist, einen Grundstückskaufvertrag abzuschließen, lässt sich, folgt man der hier gegebenen Empfehlung, zudem innerhalb desselben Verfahrens erreichen, dass der Beklagte sämtliche Willenserklärungen abgibt, die zum Abschluss des Vertrages und der anschließenden Übereignung des Grundstücks erforderlich sind, wenn bei Abfassung der Klageanträge und der Klagebegründung wie folgt vorgegangen wird:
M 15.30 Klage, Antrag auf Verurteilung des Beklagten zum Abschluss des
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Hauptvertrages nach wirksam zustande gekommenem Vorvertrag, Fassung der Anträge mit dem Ziel der Durchsetzung des Übergangs des Eigentums am Grundstück … beantrage ich, 1. den Beklagten zu verurteilen, folgende Willenserklärung abzugeben: Ich – der Beklagte – biete dem Kläger hiermit den Abschluss folgenden Grundstückskaufvertrages an: …
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Kap. 15 Rz. 159
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.30
ZPO
(es folgt nunmehr die Wiedergabe des genauen Inhalts des Kaufvertrages über das Grundstück – nachfolgend bezeichnet: Grundstück Gemarkung von Altona, AG Hamburg-Altona, Blatt 17 –, über das sich der Beklagte zum Abschluss des Hauptvertrages verpflichtet hat; wobei im Angebot auf Abschluss des Kaufvertrages keine Auflassungserklärung aufzunehmen ist, da die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks erst mit formwirksamer Annahme des Angebots durch den Kläger zustande kommt). Ferner beantrage ich, 2. für den Fall der Annahme des im Klageantrag zu 1) enthaltenen Angebots durch den Kläger innerhalb einer notariell beurkundeten Erklärung den Beklagten zu verurteilen, folgende Willenserklärung abzugeben: Ich – der Beklagte – bin mir mit dem Kläger darüber einig, dass das Eigentum am Grundstück Gemarkung Altona, AG Hamburg-Altona, Blatt 17, auf den Kläger übergeht, und bewillige die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch. Zur Begründung führe ich an: 1. Der Beklagte ist dem Kläger aus dem als Anlage 1 vorgelegten Vorvertrag, Urk.-Rolle Nr. 23/25 des Notars Karl Huber mit Amtssitz in München verpflichtet, mit dem Kläger einen Hauptvertrag zu schließen, der den im Klageantrag zu 1) wiedergegebenen Inhalt hat … (es folgen die weiteren Ausführungen zur entsprechenden Verpflichtung des Beklagten sowie zur konkreten Ausgestaltung der im Klageantrag zu 1) wiedergegebenen Regelungen des Hauptvertrages, die Gegenstand des Angebots auf Abschluss des Hauptvertrages durch den Beklagten sind). 2. Mit – formwirksamer – Annahme des Angebots auf Abschluss des Hauptvertrages durch den Kläger, entsteht für den Beklagten die Verpflichtung, dem Kläger das Grundstück Gemarkung Altona, AG Hamburg-Altona, Blatt 17, das Gegenstand des abzuschließenden Kaufvertrages ist, zu übereignen. Dazu sind die Erklärungen des Beklagten notwendig, die Gegenstand des Klageantrags zu 2) sind … (wird unter Hinweis auf §§ 925, 873 BGB weiter ausgeführt). 3. Auch wenn die Verpflichtung des Beklagten zur Abgabe der zum Übergang des Eigentums am Grundstück Gemarkung Altona, AG Hamburg-Altona, Blatt 17, erforderlichen Willenserklärung erst mit dem Zustandekommen des Hauptvertrages, der Gegenstand des Klageantrags zu 1) ist, entsteht, kann der Kläger schon jetzt vom Beklagten die mit dem Klageantrag zu 2) verfolgte Verurteilung begehren. a) Die Willenserklärung des Beklagten, die Gegenstand des Klageantrags zu 1) ist, gilt mit Rechtskraft des mit der Klage erstrebten Urteils als abgegeben (§ 894 ZPO). Die – formwirksame – Annahme jenes Angebots durch den Kläger ist eine – tatsächliche – Bedingung, unter der die mit dem Klageantrag zu 2) begehrte Verurteilung steht. Die Zulässigkeit des insoweit bedingt gestellten Klageantrages folgt aus § 260 ZPO. Im Falle einer Klagenhäufung kann von mehreren Ansprüchen iS des § 260 ZPO nämlich auch einer iS des § 259 ZPO bedingt sein (vgl. Zöller/Greger § 255 ZPO Rz. 3). b) Die Voraussetzung des § 259 ZPO liegen im Hinblick auf den mit dem Klageantrag zu 2) verfolgten Anspruch vor. Der Beklagte weigert sich den Hauptvertrag zu schließen, der Gegenstand des Klageantrags zu 1) ist. Es ist daher die Besorgnis gerechtfertigt, dass sich der Beklagte nach formwirksamer Annahme des Angebots auf Abschluss des Hauptvertrages durch den Kläger auch weigert, die Willenserklärung abzugeben, die er in Erfüllung seiner Eigentumsverschaffungspflicht nach Abschluss des Hauptvertrages abzugeben hat … (wird ggf. weiter ausgeführt). c) Der mit dem Klageantrag zu 2) begehrten Verurteilung steht § 894 ZPO nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass nach der Grundregel des § 894 Abs. 1 ZPO eine Willenserklärung als abgegeben gilt, sobald das Urteil Rechtskraft erlangt hat. Diese Grundregel gilt gem. § 894 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch nicht, wenn die Willenserklärung von einer Gegenleistung abhängig gemacht ist. § 894 Abs. 1 Satz 2 ZPO greift über diesen Fall hinaus aber auch dann ein, wenn die Vollstreckung von einer Bedingung abhängt (Zöller/Seibel § 894 ZPO Rz. 9). Die unter der Bedingung der Annahme des vom Beklagten abzugebenden Angebots auf Abschluss des Hauptvertrages durch den Kläger mit dem Klageantrag zu 2) begehrte Auflassungserklärung des Beklagten gilt deshalb auch erst als abgegeben, wenn dem Beklagten eine Ausfertigung des erstrebten
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Vorwerk
M 15.30
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 163 Kap. 15
ZPO
Urteils zugestellt ist, die mit einer Vollstreckungsklausel versehen ist, die sich auf eine mit dem Klageantrag zu 2) erstrebte Verurteilung bezieht; wobei dem Beklagten mit jener Ausfertigung die Urkunden zuzustellen sind, die für die Erteilung der vorstehend genannten vollstreckbaren Ausfertigung vorgelegt werden müssen (§ 750 Abs. 2 ZPO; vgl. Zöller/Seibel § 894 ZPO Rz. 9). Kosten: s. Anm. zu M 15.29.
K
Praxistipp: Hat der Kläger ein entsprechend dem vorstehenden M 15.30 erstrebtes Urteil erlangt, 160 wartet er zunächst die Rechtskraft des ergangenen Urteils ab, um nach eingetretener Rechtskraft unter Vorlage der mit dem Rechtskraftvermerk versehenen Ausfertigung des Urteils vor einem Notar die Annahme des Angebots zu erklären, die Gegenstand der mit dem Klageantrag zu 1 des M 15.30 erstrebten Verurteilung ist. Unter Vorlage der mit dem Rechtskraftvermerk versehenen Ausfertigung des Urteils und der notariell beurkundeten Annahmeerklärung beantragt der Kläger alsdann gem. § 726 ZPO die Erteilung einer Vollstreckungsklausel, die sich auf die Verurteilung gem. dem Klageantrag zu 2) des M 15.30 erstreckt. Nach Zustellung des mit der Klausel versehenen Urteils und der notariell beurkundeten Annahmeerklärung des Angebots auf Abschluss des Hauptvertrages an den Beklagten gilt alsdann auch die Auflassungserklärung als abgegeben. Nunmehr hat der Kläger nur noch durch notariell beurkundete Erklärung die Auflassungserklärung des Beklagten anzunehmen und den Umschreibungsantrag zumindest in notariell beglaubigter Form zu stellen. Unter Vorlage der vollstreckbaren Ausfertigung des ergangenen Urteils, die mit dem Rechtskraftvermerk versehen ist und der vorgenannten formwirksamen Annahmeerklärungen des Klägers, sowie des Nachweises über die Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils und der Annahmeerklärung des Angebots auf Abschluss des Hauptvertrages wird alsdann beim Grundbuchamt die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch beantragt. Ist zu befürchten, dass der Beklagte das zu übereignende Grundstück nicht herausgibt, können gem. § 259 ZPO die in M 15.30 angeführten Klageanträge noch mit einem Antrag auf Herausgabe verbunden werden; wobei der entsprechende Klageantrag dann wie folgt anzuschließen ist: „… den Beklagten ferner zu verurteilen, nach erfolgter Umschreibung des Eigentums im Grundbuch das Grundstück … an den Kläger herauszugeben“. Die Vollstreckung dieses Teils der Entscheidung vollzieht sich dann ebenfalls gem. § 726 ZPO.
Wird mit der Klage die Abgabe einer Willenserklärung begehrt, aufgrund derer eine Eintragung in das Grundbuch erfolgen soll (ebenso: Bei Eintragung in das Schiffsregister oder Schiffsbauregister), gilt die Eintragung einer Vormerkung oder eines Widerspruchs als bewilligt, wenn der Schuldner durch vorläufig vollstreckbares Urteil zur Abgabe der Willenserklärung verurteilt worden ist (§ 895 ZPO). Zur Sicherung der Durchsetzung des mit der Klage verfolgten Anspruches sollte daher stets darauf geachtet werden, dass nach antragsgemäß ergangener Entscheidung erster Instanz beim Grundbuchamt der Antrag zu stellen ist, die Eintragung der Vormerkung oder des Widerspruchs vorzunehmen.
161
K
162
Praxistipp: Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen im Kap. 77 Rz. 157 f. sowie Kap. 57. Für die Zeit bis zum Erlass des vorläufig vollstreckbaren Urteils auf Abgabe einer Willenserklärung, aufgrund dieser eine Eintragung im Grundbuch erfolgen soll, ist auch an die Möglichkeiten zu denken, die § 899 BGB im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bietet.
b) Erteilung einer Auskunft Der innerhalb der isolierten Auskunftsklage zu stellende Klageantrag weist gegenüber dem Antrag, der im Rahmen der Stufenklage zu formulieren ist, keine Besonderheiten auf. Wegen der Fassung des Auskunftsantrages selbst wird deshalb auf M 15.12 sowie M 89.1, M 89.4, M 89.5, M 89.14, M 89.15, M 89.16 und M 120.3, M 120.4, M 121.2, M 121.3 verwiesen. Vorwerk
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Kap. 15 Rz. 164
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.31
ZPO
c) Rechenschaft
164 Hat der Schuldner Rechenschaft abzulegen (etwa aus § 666 BGB) oder muss er dem Gläubiger eine Abrechnung erteilen (etwa aus § 87c HGB), richtet sich der Umfang des Anspruchs nach § 259 BGB oder den in diesem Zusammenhang heranzuziehenden Spezialregeln (s. etwa § 87c Abs. 2, 4 HGB). Bei Formulierung des Klageantrages, mit dem der Anspruch auf Rechenschaft durchgesetzt werden soll, ist deshalb zunächst zu prüfen, ob spezialgesetzliche Regelungen den Umfang der Rechenschaftspflicht bestimmen. Ist das der Fall, ist der Klageantrag an diesen Regelungen auszurichten. Andernfalls ist als Leitbild für die Formulierung des Antrags § 259 BGB heranzuziehen.
165 M 15.31 Klage, Antrag auf Rechnungslegung … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger unter Vorlage einer geordneten Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben eine Abrechnung über die vom Beklagten im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Treuhandvertrages vom … in der Zeit vom … bis … getätigten Geschäfte zu erteilen. Zur Begründung führe ich an: … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
166 K
Praxistipp: Da erst nach erteilter Abrechnung festgestellt werden kann, ob die Abrechnung unzulänglich ist, kann die isolierte Klage, mit der der Anspruch auf Rechenschaft verfolgt wird, ebenso wie das bei der isolierten Auskunftsklage (Rz. 163) der Fall ist, nicht mit einem Anspruch auf Versicherung der Richtigkeit der erfolgten Rechnungslegung an Eides statt (§ 259 Abs. 2 BGB) verbunden werden. Die in M 15.30 aufgezeigte Möglichkeit der Verbindung zwischen unbedingtem und bedingtem Klageantrag versagt in diesem Fall zum einen, weil sich die Voraussetzungen des § 259 ZPO nicht darstellen lassen; zum anderen, weil der Beweis, dass die Rechnungslegung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt ist, nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde iS des § 726 Abs. 1 ZPO geführt werden kann. Es bleibt in solchen Fällen folglich nur, nach abgeschlossenem Verfahren, in dem die Pflicht zur Rechenschaft ausgeurteilt worden ist, eine weitere Klage anhängig zu machen, mit der – entsprechend M 15.13, 2. Variante – die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gem. § 259 Abs. 2 BGB verfolgt wird.
167 K
Wichtig: Soll die Rechnungslegung mit dem Ziel verfolgt werden, einen Überschuss aus der Abrechnung herauszuverlangen, muss die Klage auf Rechnungslegung als Stufenklage mit dem entsprechenden Leistungsantrag verbunden werden (s. M 15.12 ff.), um mit Erhebung der Klage die Verjährung zu hemmen.
d) Leistung einer Sicherheit
168 In verschiedenen Normen (etwa § 2128 BGB) ist bestimmt, dass der Schuldner auf Verlangen des Gläubigers Sicherheit zu leisten hat. Wie die Sicherheitsleistung zu bewirken ist, bestimmt § 232 BGB. Da nach jener Regelung der Schuldner die Wahl hat, wie er Sicherheit leisten will, lautet der Klageantrag wie folgt:
282
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 171 Kap. 15
M 15.32 Klage, Antrag auf Leistung einer Sicherheit
169
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger nach seiner – des Beklagten – Wahl Sicherheit in einer durch § 232 Abs. 1 BGB bestimmten Weise in Höhe eines Betrages von 6.000 Euro zu leisten. Zur Begründung führe ich an: … Kosten: s. Anm. zu M 15.31.
Wendet der Beklagte ein, er sei zur Sicherheitsleistung in einer Form, wie sie in § 232 Abs. 1 BGB bestimmt ist, nicht in der Lage und erweist sich diese Einwendung als begründet, kann das Gericht die Sicherheitsleistung ohne entsprechenden Antrag des Klägers nicht dahin bestimmen, dass der Beklagte statt der Sicherheit in der Weise des § 232 Abs. 1 BGB durch Stellung eines Bürgen (§ 232 Abs. 2 BGB) leistet. Der Kläger muss deshalb, um einer Klageabweisung zuvorzukommen, neben dem Hauptantrag einen entsprechenden Hilfsantrag stellen, wenn der entsprechende Einwand erhoben wird. Diesen Fall zeigt das nachfolgende M 15.33.
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M 15.33 Klage, Antrag auf Leistung einer Sicherheit, Hilfsantrag
171
… beantrage ich nunmehr, 1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger nach seiner – des Beklagten – Wahl Sicherheit in einer durch § 232 Abs. 1 BGB bestimmten Weise in Höhe eines Betrages von 6.000 Euro zu leisten; hilfsweise 2. den Beklagten zu verurteilen, Sicherheit durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank zu leisten. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom … den Einwand erhoben, er könne Sicherheit nicht in einer der in § 232 Abs. 1 BGB bestimmten Form leisten. Diesem Einwand tritt der Kläger entgegen … (es folgen die Ausführungen, warum der Einwand des Beklagten unbegründet ist). Für den Fall, dass das angerufene Gericht den Einwand des Beklagten trotz der obigen Ausführungen für begründet erachten sollte, ist der Beklagte zumindest auf den nunmehr gestellten Hilfsantrag zu verurteilen. Für diesen Fall hat er nämlich gem. § 232 Abs. 2 BGB Sicherheit durch Stellung eines tauglichen Bürgen zu leisten. Als tauglicher Bürge erscheint jedenfalls eine deutsche Großbank, öffentliche Sparkasse oder Volksbank. Sollte der Beklagte der Auffassung sein, die Bürgschaft eines anderen Bürgen stellen zu wollen, mag er angeben, welchen Bürgen er stellen will. In jenem Fall wird der Kläger seinen Hilfsantrag entweder anpassen oder im Einzelnen darlegen, warum der Bürge, den der Beklagte stellen will, nicht als tauglicher Bürge iS des § 232 Abs. 2 BGB anzusehen ist. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Wegen § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG keine Wertaddition, da es sich um denselben Gegenstand handelt.
Vorwerk
283
ZPO
M 15.33
Kap. 15 Rz. 172
ZPO
172 K
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.34
Praxistipp: Wegen der Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, das auf Leistung einer Sicherheit gem. § 232 Abs. 1 BGB lautet, vgl. Zöller/Seibel § 887 ZPO Rz. 3; Musielak/Voit/Lackmann § 887 ZPO Rz. 15).
e) Befreiung von einer Verbindlichkeit
173 Wer berechtigt ist, Ersatz für Aufwendungen zu verlangen, die er für einen bestimmten Zweck macht, kann, wenn er für diesen Zweck eine Verbindlichkeit eingeht, Befreiung von der Verbindlichkeit verlangen (§ 257 BGB). Darüber hinaus kann der Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit aber auch entstehen, wenn der Schuldner Schadensersatz zu leisten hat, und der Schaden des Gläubigers darin besteht, dass er Dritten gegenüber Verbindlichkeiten erfüllen muss oder zur Beseitigung des Schadens eine Verbindlichkeit eingegangen ist, die er noch nicht erfüllt hat.
174 Steht die Verbindlichkeit dem Grunde und der Höhe nach fest, hat der Gläubiger seinen Befreiungsanspruch mit der – hier behandelten – Leistungsklage zu verfolgen. Ist die Verbindlichkeit demgegenüber noch unbestimmt, lässt sich nur Klage auf Feststellung der Pflicht des Beklagten zur Befreiung des Klägers von den entsprechenden – im Klageantrag zu konkretisierenden – Verbindlichkeiten stellen (BGH NJW 2013, 155 Rz. 47; BLAH/Hartmann § 253 ZPO Rz. 65 „Freistellung“; Vorwerk/Wolf/Bacher, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 253 ZPO Rz. 70).
175 K
Wichtig: Der Befreiungsanspruch ist grundsätzlich nicht abtretbar, seine Abtretung ist nur an den Gläubiger möglich, der Inhaber des Anspruches ist, von dem der Kläger Befreiung verlangt (BGH VersR 2012, 230; vgl. auch Staudinger/Busche, 2017, § 399 BGB Rz. 27; MüKo.BGB/Roth § 399 BGB Rz. 16). Mit der Abtretung wandelt sich der Befreiungsanspruch in einen Zahlungsanspruch (BGHZ 185, 310 Rz. 12; 41, 203, 205; 23, 17, 22; vgl. auch Staudinger/Busche aaO; MüKo.BGB/Roth aaO).
176 Zahlung anstelle des Anspruches auf Befreiung kann der Gläubiger des Befreiungsanspruchs in der Regel nur verlangen, wenn das Rechtsverhältnis, das maßgebende Anspruchsgrundlage ist, einen Anspruch auf Vorschuss vorsieht (so im Falle der §§ 669, 675 BGB; ferner im Fall des Werkvertrages § 637 Abs. 3 BGB) sowie im Falle der Schadensersatzpflicht aus § 250 BGB.
177 Der Schuldner kann wählen, wie er die Befreiung von der Verbindlichkeit vornehmen will (BGHZ 91, 77). Er kann gem. § 267 BGB als Dritter für den Gläubiger des Befreiungsanspruches zahlen. Mit dem Gläubiger dessen, der Inhaber des Befreiungsanspruches ist, kann er eine befreiende Schuldübernahme (§ 414 BGB) oder einen Erlassvertrag (§ 397 BGB) vereinbaren. Ist die Schuld, von der der Gläubiger des Befreiungsanspruches zu befreien ist, noch nicht fällig, kann der Schuldner des Befreiungsanspruches dem Gläubiger des Befreiungsanspruches zudem Sicherheit leisten (§ 257 Satz 2 BGB). Der Klageantrag richtet sich ungeachtet dessen stets auf „Befreiung von der Verbindlichkeit“.
178 M 15.34 Klage, Antrag auf Befreiung von einer Verbindlichkeit … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, den Kläger von der Zahlung des Kaufpreises iHv. 1.700 Euro aus dem mit … am … geschlossenen Kaufvertrag zu befreien. Zur Begründung führe ich an: … Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
284
Vorwerk
K
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 181 Kap. 15
Wichtig: Die Verbindlichkeit, von der der Beklagte den Kläger zu befreien hat, ist nach Grund 179 und Umfang im Klageantrag genau zu kennzeichnen. Die Zwangsvollstreckung aus einem Titel, der die Verpflichtung zur Befreiung von einer Verbindlichkeit ausspricht, richtet sich nach § 887 ZPO. Das gilt auch, wenn die Verbindlichkeit, von der zu befreien ist, eine Geldschuld darstellt (BGHZ 251, 7; Zöller/Seibel § 887 ZPO Rz. 3 „Befreiung“; Wieser, Prozessrechtskommentar zum BGB, „Befreiung“ Rz. 10). Wegen der Durchsetzung des Befreiungsanspruches im Wege der Zwangsvollstreckung s. im Einzelnen Kap. 57 Rz. 10 ff.
f) Allgemein Vornahme einer unvertretbaren Handlung Die Abgrenzung zwischen vertretbarer und unvertretbarer Handlung ist insbesondere im Hinblick auf 180 die Differenzierung in den §§ 887, 888 ZPO im Falle der Zwangsvollstreckung von Bedeutung. Zu den nicht vertretbaren Handlungen gehören alle Handlungen, die ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängig sind, wobei wegen der Regel des § 894 ZPO die Abgabe einer Willenserklärung zwar auch zu den nicht vertretbaren Handlungen zählt, diese Handlungen jedoch nicht unter § 888 BGB fallen (s. Rz. 154 ff.). Eine instruktive Zusammenstellung von Beispielen für nicht vertretbare Handlungen ist zu finden bei Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 3.
M 15.35 Klage, Antrag auf Verurteilung zu einer nicht vertretbaren Handlung
181
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, bei der Erstellung der Steuererklärung für das Jahr 2017 mitzuwirken und insoweit insbesondere zu erklären, a) welche Einkünfte er im Jahre 2017 aus seiner freiberuflichen Tätigkeit als Arzt erzielt hat, b) welche Vorsorgeaufwendungen er aa) im Rahmen der Altersvorsorge, bb) im Rahmen der Krankenvorsorge getätigt hat, und die dazu gehörenden Belege zur Beifügung an die Steuererklärung zur Verfügung zu stellen. c) … und d) nach Fertigstellung der Steuererklärung diese gemeinsam mit der Klägerin zu unterzeichnen. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte ist der Klägerin gegenüber verpflichtet, an der Erstellung der gemeinschaftlichen Steuererklärung mitzuwirken. Grund hierfür ist, … (es folgen zum Grund des Anspruches die weiteren Ausführungen). Für die ordnungsgemäße Erstellung der gemeinschaftlichen Steuererklärung benötigt die Klägerin vom Beklagten noch die im Klageantrag aufgeführten Angaben sowie die dort vermerkten Belege … (wird ausgeführt). Sobald der Beklagte die mit dem Klageantrag begehrten Angaben gemacht und die verlangten Belege übergeben hat, wird die Klägerin durch ihren Steuerberater die gemeinschaftliche Steuererklärung fertig stellen lassen. Nach Fertigstellung ist der Beklagte verpflichtet, die Steuererklärung mit zu unterzeichnen. Kosten: s. Anm. zu M 15.34.
Vorwerk
285
ZPO
M 15.35
Kap. 15 Rz. 182
ZPO
182 K
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.36
Praxistipp: Im M 15.35 ist bewusst offengelassen, ob es sich um eine sog. sonstige Familiensache iSv. § 266 FamFG handelt. Wegen der Zuständigkeit für die Entscheidung des Rechtsstreits in Familiensachen beachte §§ 111, 112 FamFG (vgl. ferner Zöller/Lorenz § 266 FamFG Rz. 14; Musielak/Voit/Wittschier § 23a GVG Rz. 17).
g) Allgemein Vornahme einer vertretbaren Handlung
183 Beispiele von vertretbaren Handlungen sind bei Zöller/Seibel § 887 ZPO Rz. 3 zu finden. Für den Fall der Verpflichtung zur (Herausgabe oder) Räumung ist zu beachten, dass nicht § 887 ZPO, sondern § 885 ZPO auch dann zur Anwendung kommt, wenn die Verurteilung auch auf die Entfernung beweglicher Sachen lautet (vgl. MüKo.ZPO/Gruber § 885 ZPO Rz. 33).
184 M 15.36 Klage, Antrag auf Verurteilung zu einer vertretbaren Handlung … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, auf dem Grundstück Meierstraße 17, Augsburg, die Beleuchtungsanlage längs des befestigten Weges zwischen der öffentlichen Straße und dem Hauseingang instand zu setzen. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte ist Eigentümer des im Klageantrag bezeichneten Grundstücks. Auf dem Grundstück hat der Beklagte ein Sechs-Familien-Haus errichtet. Der Kläger hat in jenem Gebäude vom Beklagten die Erdgeschosswohnung rechts gemietet. Beweis: … Das Gebäude steht etwa 60 m von der öffentlichen Straße entfernt. Die Verbindung von der öffentlichen Straße bis zum Hauseingang führt über einen vom Beklagten dort errichteten befestigten Weg, der auch über eine Beleuchtungsanlage verfügt. Beweis: … Die Beleuchtungsanlage ist seit nunmehr zwei Monaten defekt. Beweis: … Der Kläger ist Schichtarbeiter. Er muss häufig schon nachts seine Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu gelangen. Er ist deshalb darauf angewiesen, dass der Weg zwischen dem Hauseingang und der öffentlichen Straße ausreichend beleuchtet ist. Mehrere Bitten des Klägers an den Beklagten, die Beleuchtungsanlage instand zu setzen, blieben ohne Erfolg. Klage ist deshalb geboten. Die Pflicht zur Instandsetzung der Beleuchtungsanlage durch den Beklagten besteht als Nebenpflicht aus dem zwischen den Parteien bestehenden Mietverhältnis … (es folgen weitere Ausführungen hierzu). Kosten: s. Anm. zu M 15.34.
2. Unterlassung, Duldung
185 Ist eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, bedarf es ebenfalls konkreter Beschreibung der den Schuldner treffenden Verpflichtung. Hat der Schuldner die Ausübung eines Rechts durch den Gläubiger hinzunehmen, stört er den Gläubiger jedoch bei der Ausübung des Rechts, ist bei Abfassung des Klageantrags abzuwägen, ob ein Antrag auf Duldung oder auf Unterlassung der Störung formuliert wird. Verweigert der Schuldner die Ausübung des Rechts generell, ist der Duldungsantrag zu wählen. 286
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 187 Kap. 15
M 15.37 Klage, Abgrenzung Duldung zu Unterlassen
186
Anstelle des Antrags: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger durch das Aufstellen einer Schranke am Befahren des Privatweges Meisenweg in Lüneburg zu hindern; sollte bei dem nachfolgend geschilderten Sachverhalt der Antrag gestellt werden: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, das Befahren des Privatweges Meisenweg in Lüneburg durch den Kläger zu dulden. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger ist Anlieger an der in Lüneburg belegenen Privatstraße Meisenweg. Er ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung … Flur … Flurstück …, das im Straßenverzeichnis von Lüneburg die Bezeichnung Meisenweg 7b trägt. Der Beklagte ist Eigentümer der Privatstraße Meisenweg. Beweis: … Das Überfahrtsrecht für die Anlieger der Privatstraße Meisenweg ist durch … gesichert. Vor etwa drei Monaten hat der Kläger das hinter seinem Grundstück liegende Grundstück erworben, das über die Straße Müllerweg erschlossen ist. Nachdem der Beklagte hiervon Kenntnis erhalten hat, hat er im Bereich der Zufahrt des Meisenwegs, wenige Meter von der öffentlichen Straße, von der der Meisenweg abzweigt, eine Schranke errichtet, die – bis auf einen schmalen Durchgang für Fußgänger – den Meisenweg für den Fahrzeugverkehr abriegelt. Beweis: … Schlüssel zu diesem Schloss hat er allen Anliegern des Meisenwegs mit Ausnahme des Klägers ausgehändigt. Die übrigen Anwohner des Meisenwegs wehren sich nicht gegen die aufgestellte Schranke. Der Kläger beabsichtigt, den Meisenweg ungeachtet dessen weiter als Zufahrt zu seinem Grundstück zu benutzen. Der Beklagte will ihn mit der aufgestellten Schranke daran jedoch hindern. Grund dafür ist offenbar ein seit langem schwelender Streit zwischen den Parteien und der Umstand, dass der Beklagte der dem Zeugen … gegenüber geäußerten Auffassung ist, der Kläger könne sein am Meisenweg belegenes Grundstück nunmehr über das rückwärtige, von ihm, dem Kläger, vor kurzem erworbene Grundstück von der öffentlichen Straße aus erreichen. … Kosten: s. Anm. zu M 15.34.
Hindert der Schuldner den Gläubiger demgegenüber nicht generell an der Ausübung des dem Gläubiger zustehenden Rechts, sondern nur in bestimmter Weise oder unter bestimmten Umständen, muss der Unterlassungsantrag die konkrete Verletzungshandlung erfassen; sie muss Gegenstand des bestimmten Klageantrags iS des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein.
Vorwerk
287
187
ZPO
M 15.37
ZPO
Kap. 15 Rz. 188
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.38
188 M 15.38 Klage, Abgrenzung Unterlassung zur Duldung Anstelle des Antrages: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, die störungsfreie Benutzung des Privatweges Meisenweg in Lüneburg durch den Kläger zu dulden; ist bei dem nachfolgenden Sachverhalt der Antrag zu stellen: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger montags und freitags einer jeden Woche durch Aufstellen von Ölfässern im Bereich der Zufahrt zum Meisenweg am Befahren des Meisenwegs zu behindern. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger ist Eigentümer eines an der Privatstraße Meisenweg in Lüneburg belegenen Grundstücks. Der Beklagte ist ebenfalls Anlieger; er ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung … Flur … Flurstück …, das unmittelbar im Bereich der Zufahrt zum Meisenweg belegen ist. Zur Verdeutlichung der örtlichen Verhältnisse überreiche ich anbei eine Katasterkarte, auf der das Grundstück des Beklagten farbig („rot“) markiert ist. In der Katasterkarte sind die Grenzen des Meisenwegs ebenfalls farbig („grün“) gekennzeichnet. Der Beklagte betreibt auf seinem Grundstück eine Autowerkstatt. In seinem Betrieb fällt Altöl an. Beweis: … Das Altöl wird wöchentlich montags und freitags von einem Spezialfahrzeug abgeholt. Beweis: … Da der Meisenweg sehr schmal ist, kann das Fahrzeug, das das Altöl abholt, das Grundstück des Beklagten nicht über den Meisenweg selbst erreichen. Der Beklagte stellt deshalb nunmehr seit zwei Monaten seine Altölfässer mitten auf dem Meisenweg ab, damit jene Fässer alsdann von dort abtransportiert werden können. Beweis: … Da der Unternehmer, der die Altölfässer abholt, zu unterschiedlichen Zeiten eintrifft, versperren die Altölfässer die Zufahrt zum Meisenweg mit der Folge, dass der Kläger nicht mehr ungehindert in den Meisenweg einfahren und sein Grundstück erreichen kann. Beweis: … Mehrfache Bitten des Klägers gegenüber dem Beklagten, für die Altölfässer einen anderen Stellplatz zu suchen, sind ohne Erfolg geblieben. Der Beklagte hat dem Kläger vielmehr erklärt, „er solle sich nicht anstellen und die Fässer beiseite räumen“, wenn er durch jene Fässer an der Zufahrt in den Meisenweg gehindert werde. Kosten: s. Anm. zu M 15.34.
189 Unterlassungsanträge haben praktische Bedeutung insbesondere auch im Wettbewerbsrecht. Die insoweit geltenden Besonderheiten sind im Kap. 94 behandelt. Dort sind auch weitere Beispiele zu finden, die Aufschluss über die konkrete Formulierung des Unterlassungsantrages geben. 288
Vorwerk
M 15.39
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 193 Kap. 15
Der Klageantrag, mit dem der gem. §§ 906 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB bestehende Anspruch auf Abwehr von Immissionen durchgesetzt werden kann, unterliegt Besonderheiten (s. dazu insbesondere auch Kap. 88 Rz. 60 ff. sowie M 88.3). Dies beruht nicht nur darauf, dass Immissionen, die dem Abwehranspruch unterliegen, in der unterschiedlichsten Form auftreten können. Besondere Schwierigkeiten bei der Formulierung des Klageantrags treten vielmehr dadurch auf, dass nur wesentliche Beeinträchtigungen den Abwehranspruch begründen; wobei die Überschreitung der Grenz- und Richtwerte (§ 906 Abs. 1 Satz 2 BGB) eine wesentliche Beeinträchtigung gem. § 906 Abs. 1 BGB zwar indiziert (s. auch BGH NJW-RR 2006, 235), ihre Unterschreitung jedoch im Einzelfall nicht zu der Annahme führt, die entsprechende Immission sei unwesentlich (vgl. BGHZ 121, 248 f.). Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 121, 248 f.) ist daher auch hinzunehmen, dass der Streit über die Wesentlichkeit von Immissionen ggf. im Vollstreckungsverfahren erneut entschieden werden muss; wobei die Gründe des Unterlassungsurteils dem Vollstreckungsrichter (§ 890 ZPO) Anhaltspunkte dafür geben, von welchem Maßstab sich das Prozessgericht hat leiten lassen.
190
Für die Formulierung eines immissionsrechtlichen Unterlassungsanspruches bedeutet dies zunächst, dass bei Überschreiten der Grenz- und Richtwerte (§ 906 Abs. 1 Satz 2 BGB) und unter der Voraussetzung, dass die Immission nur bei Überschreiten jener Grenz- und Richtwerte als wesentliche Beeinträchtigung anzusehen ist, die Grenz- und Richtwerte in den Klageantrag aufzunehmen sind.
191
M 15.39 Klage, immissionsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Überschreiten von
192
Grenzwerten (nachgebildet BGHZ 121, 248 f.; vgl. auch BGH NJW 2003, 3699) … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, geeignete Maßnahmen vorzunehmen, die gewährleisten, dass von dem vom Beklagten auf dem Grundstück … betriebenen Biergarten nachts (22 Uhr bis 6 Uhr) keine höheren Beurteilungspegel als 35 dB (A) und tagsüber (6 Uhr bis 22 Uhr) keine höheren Beurteilungspegel als 50 db (A) ausgehen, gemessen vom Schlafzimmerfenster der im Hause … straße belegenen Wohnung der Klägerin. Zur Begründung führe ich an: … Kosten: s. Anm. zu M 15.34.
Stellt sich die Geräuschbelästigung auch unterhalb der bestehenden Grenz- und Richtwerte (§ 906 Abs. 1 Satz 2 BGB) als wesentlich dar oder fehlt es an der Möglichkeit, die Immission über Grenz- oder Richtwerte zu beschreiben, kann, sofern keine weitere Möglichkeit der Bestimmung der störenden Immission gegeben ist, auf den Gesetzeswortlaut zurückgegriffen werden (BGHZ 140, 1 f.).
Vorwerk
289
193
ZPO
a) Immissionen
ZPO
Kap. 15 Rz. 194
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.40
194 M 15.40 Klage, immissionsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Beeinträchtigung
bei Unterschreiten der Richtwerte … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, das Grundstück des Klägers, Gemarkung … Flur … Flurstück …, durch vom Schweinemastbetrieb des Beklagten ausgehende Gerüche wesentlich zu beeinträchtigen. Oder: … beantrage ich, die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, dem Grundstück der Kläger Gemarkung … Flur … Flurstück …, insbesondere der dort belegenen, zum Grundstück der Beklagten ausgerichteten Terrasse Grillgerüche zuzuführen, die eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Kläger darstellen. Kosten: s. Anm. zu M 15.34.
b) Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft
195 Die Erzwingung der Duldung oder Unterlassung einer Handlung richtet sich nach § 890 ZPO (s. auch Kap. 57 Rz. 38). Der Zwangsvollstreckung muss daher die Androhung der Zwangsmittel vorausgehen, die § 890 Abs. 1 ZPO vorsieht. Diese Androhung kann nach der Regel des § 890 Abs. 2 ZPO auch schon im Urteil enthalten sein, in dem die Verpflichtung zur Duldung oder Unterlassung ausgesprochen wird.
196 M 15.41 Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft … beantrage ich, den Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen, es zu unterlassen, … Oder: … (wie oben) … es zu dulden …
197 K
290
Praxistipp: Handelt es sich beim Beklagten um eine juristische Person, ist die Ordnungshaft an deren Organen zu vollstrecken. Sind die Organe nicht namentlich im Rubrum des Titels angegeben, kann die Androhung von Ordnungshaft nicht erfolgen. Wird Duldung oder Unterlassung begehrt, ist deshalb auch wegen § 890 ZPO stets darauf zu achten, dass bei juristischen Personen im Rubrum die Organmitglieder namentlich benannt werden (BGH NJW 1992, 749, 750; OLG Düsseldorf MDR 1992, 411). Bei Verfahren, die sich über längere Zeit hinziehen, ist vor Schluss
Vorwerk
M 15.43
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 202 Kap. 15
M 15.42 Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft, die Beklagte ist eine
ZPO
der letzten mündlichen Verhandlung zu prüfen, ob die im Rubrum benannten Organmitglieder als solche noch im Handelsregister eingetragen sind.
198
juristische Person … beantrage ich, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft, oder zu Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft jeweils zu vollziehen an den im Rubrum angegebenen … („Geschäftsführern“ oder „Vorstandsmitgliedern“ etc.) … zu unterlassen, …
K
Praxistipp: Es genügt nicht, dass im Antrag formuliert wird „… bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel gem. § 890 ZPO“; s. dazu im Einzelnen Zöller/Seibel § 890 ZPO Rz. 12.
199
Zum Antrag des Gläubigers, den Schuldner zur Bestellung einer Sicherheit für den durch künftige Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden zu verurteilen, s. Kap. 57 Rz. 47.
200
3. Duldung der Zwangsvollstreckung Der Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung ist kein Duldungsanspruch, der unter § 890 ZPO fällt. Die Verurteilung zur Duldung der Zwangsvollstreckung bedeutet vielmehr, dass der Beklagte für die Schuld, die Gegenstand des Klageanspruchs ist, haftet und wegen seiner Haftung die Zwangsvollstreckung in den im Tenor aufgeführten vermögenswerten Gegenstand zu dulden hat. Entsprechende haftungsrechtliche Duldungspflichten sind etwa in den §§ 1086, 1105, 1113, 1390, 2329 BGB und § 11 AnfG zu finden.
201
M 15.43 Klage, Antrag auf Duldung der Zwangsvollstreckung
202
… beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, den Pkw Mercedes, polizeiliches Kennzeichen …, Fahrgestell-Nummer …, herauszugeben und die Zwangsvollstreckung in jenes Fahrzeug aus dem Vollstreckungsbescheid des AG …, Az. … vom … wegen des darin titulierten Betrages von 3.726 Euro nebst … Zinsen seit dem … zu dulden. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger hat gegen Arthur Meier … den Vollstreckungsbescheid des AG …, Az. …, vom … über die im Klageantrag genannte Hauptforderung nebst Zinsen erwirkt. Aus dem Vollstreckungsbescheid hat er ohne Erfolg die Zwangsvollstreckung betrieben; Meier hat inzwischen die in Kopie als Anlage … beigefügte eidesstattliche Versicherung abgegeben.
Vorwerk
291
Kap. 15 Rz. 203
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.43
ZPO
Vor Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat Meier dem Beklagten den im Klageantrag angeführten Mercedes schenkweise überlassen. Die Schenkung hat er als Handschenkung vollzogen. Beweis: … Bei Übergabe des Fahrzeugs an den Beklagten hat Meier dem Beklagten erklärt, er – Meier – sehe nicht ein, „dass der Kläger meinen Mercedes verfrühstückt“. Darüber hinaus hat er gesagt, das Fahrzeug sei sein, Meiers, letzter Vermögensgegenstand; der Kläger „solle sehen, wie er zu seinem Geld komme“; der Kläger könne sich den im Klageantrag erwähnten Vollstreckungsbescheid „an den Hut stecken“. Beweis: … … (wird weiter ausgeführt) Es liegen demnach sowohl die Voraussetzungen des § 4 AnfG wie auch die des § 3 AnfG vor. Der Beklagte hat dem Kläger deshalb gem. § 11 AnfG das von Meier im Wege der Schenkung erworbene Fahrzeug herauszugeben und die Zwangsvollstreckung in jenes Fahrzeug aus dem gegenüber Meier ergangenen Vollstreckungsbescheid … im Umfang der darin titulierten Forderung zu dulden. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Der Wert der beiden Ansprüche wird wegen wirtschaftlicher Identität nicht zusammengerechnet (Zöller/Herget § 5 ZPO Rz. 8), maßgebend ist allein die Höhe der Forderung, wenn nicht der Wert des Autos geringer ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 6 ZPO; Schneider/Herget/Kurpat, Streitwertkommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 1811).
203 K
Praxistipp: Ist die titulierte Forderung teilweise erfüllt, lautet der Antrag „… wegen einer noch offenen Restforderung iHv. … nebst … Zinsen seit dem … zu dulden“.
204 K
Wichtig: Für den Streitwert ist zu beachten, dass die im Vollstreckungstitel titulierte Zinsforderung im Verfahren auf Duldung der Zwangsvollstreckung Hauptforderung ist (BGH NJW-RR 1999, 1080). Das hat für die Nichtzulassungsbeschwerde wegen § 26 Nr. 8 EGZPO Bedeutung, da für die Berechnung des Wertes der Beschwer die bis zum Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde aufgelaufenen Zinsen der Hauptforderung, die im Vollstreckungstitel tituliert ist, hinzuzurechnen sind!
VI. Feststellungsklage, Zwischenfeststellungsklage 1. Feststellungsklage a) Abgrenzung zur Leistungs- und Gestaltungsklage
205 Mit der Leistungsklage begehrt der Kläger den Erlass eines Urteils, das einen Leistungsbefehl an den Beklagten enthält. Mit der Gestaltungsklage (s. dazu im Einzelnen Zöller/Greger vor § 253 ZPO Rz. 7) erstrebt der Kläger die unmittelbare Änderung eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses. Die in § 256 ZPO geregelte Feststellungsklage gibt dem Kläger die Möglichkeit, – das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder – die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde durch richterliche Entscheidung feststellen zu lassen.
292
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 214 Kap. 15
Das auf die Feststellungsklage ergangene Urteil erschöpft sich in einer bloßen deklaratorischen Feststellungswirkung; wobei das Feststellungsbegehren auf die positive, mithin behauptende oder negative, also leugnende, Feststellung gerichtet werden kann. Das Feststellungsurteil selbst ist der Rechtskraft fähig; es ist – mit Ausnahme der Kostenentscheidung – nicht vollstreckungsfähig; ist jedoch dennoch gem. §§ 704 ff. ZPO für vollstreckbar zu erklären (Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 1).
206
Hat die positive Feststellungsklage Erfolg, führt die Rechtskraft des auf die Klage ergehenden Urteils zur Feststellung, dass das im Urteil – dem Tenor und den Gründen – bezeichnete Recht oder Rechtsverhältnis besteht.
207
Jene Rechtskraftwirkung kommt dem auf die positive Feststellungsklage ergehenden Urteil selbst dann zu, wenn der Vortrag der Parteien unzureichend war oder das Gericht nicht alle einschlägigen Aspekte gesehen oder unzutreffend gewürdigt hat (BGH NJW 1982, 2257; s. zur Rechtskraftwirkung darüber hinaus im Einzelnen Zöller/G. Vollkommer § 322 ZPO Rz. 6 ff.).
208
Wird die negative Feststellungsklage – aus Sachgründen, also nicht nur als unzulässig – abgewiesen, entspricht die Rechtskraftwirkung der eines Urteils, das der spiegelbildlich erhobenen positiven Feststellungsklage stattgegeben hätte (BGH NJW 2003, 3058; NJW 1995, 1757), wenn im Urteil das Rechtsverhältnis bezeichnet ist, dessen Bestehen das Gericht entgegen dem Begehren des Klägers bejaht. Dies gilt auch dann, wenn die negative Feststellungsklage vom Gericht unter Verkennung der Beweislast abgewiesen worden ist (BGH NJW 1995, 1757; NJW 1986, 2509; aA Zöller/G. Vollkommer § 322 ZPO Rz. 11).
209
Hat die negative Feststellungsklage Erfolg oder wird die positive Feststellungsklage abgewiesen, 210 ist dem Tenor und den Gründen der Entscheidung zu entnehmen, welches Recht oder Rechtsverhältnis – mit Rechtskraftwirkung – verneint worden ist (vgl. etwa BGH NJW 1994, 657, 659; NJW 1989, 393, 394; Stein/Jonas/Leipold § 322 ZPO Rz. 107; Stein/Jonas/Roth § 256 ZPO Rz. 121; Musielak/ Voit/Musielak § 322 ZPO Rz. 58 ff.; BLAH/Hartmann § 322 ZPO Rz. 41). Die Rechtskraftwirkung erstreckt sich mithin nicht nur auf die in den Gründen der Entscheidung erörterten und verneinten Entstehungsgründe, sondern auf das Bestehen des Rechts oder Rechtsverhältnisses schlechthin.
K
Praxistipp: Die Rechtskraftwirkung des auf die positive oder negative Feststellungsklage ergehen- 211 den Urteils zwingt beide Parteien – auch wenn dieser Maßstab allgemein angewendet werden sollte – bei der Prozessführung äußerste Sorgfalt anzuwenden. Das gilt insbesondere auch für die erst im Laufe des Verfahrens erhobene Zwischenfeststellungsklage (s. dazu Rz. 228 ff.). Seines Haftungsrisikos muss sich der Anwalt daher stets bewusst sein, der für seinen Mandanten eine Feststellungsklage erhebt oder seinen Mandanten gegen eine Feststellungsklage zu verteidigen hat.
Die positive Feststellungsklage bewirkt die Hemmung der Verjährung wegen sämtlicher Ansprüche aus dem streitigen Rechtsverhältnis, sofern die Klage nicht ausdrücklich auf einzelne Teile des Rechtsverhältnisses beschränkt worden ist (BGH NJW 1998, 1303; BGHZ 132, 240; WM 2013, 1576 Rz. 53). Die negative Feststellungsklage und die Verteidigung gegen sie hemmt demgegenüber die Verjährung nicht (BGH NJW 2012, 3633 Rz. 27; BGHZ 72, 23).
212
K
213
Wichtig: Nach Rechtshängigkeit der negativen Feststellungsklage muss der Beklagte, der sich des streitigen Rechts oder Rechtsverhältnisses berühmt, folglich positive Feststellungsklage – ggf. als Widerklage – erheben, um die Hemmungswirkung für den eigenen Anspruch, dessen er sich berühmt, herbeizuführen. Das Rechtsschutzbedürfnis für die negative Feststellungsklage entfällt dann (Rz. 226).
Die Beweislast trägt bei der positiven Feststellungsklage der Kläger, so wie bei der Leistungsklage. 214 Soweit es die Feststellung der Schadensersatzpflicht angeht, hat der Kläger nach erbrachtem Beweis zum Grund des Anspruchs nur die Wahrscheinlichkeit einer Schadensentstehung zu beweisen (BGH Vorwerk
293
ZPO
b) Positive und negative Feststellungsklage; Wirkung
ZPO
Kap. 15 Rz. 215
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.44
GRUR 2001, 849; NJW 1991, 2707). Bei negativer Feststellungsklage muss der Kläger lediglich die Berühmung darlegen und beweisen; der Beklagte muss demgegenüber den Grund und die Höhe des berühmten Anspruchs beweisen (BGH NJW 1992, 1101; NJW 1993, 1716). Unsubstanziierte Berühmung des Anspruchs führt zum Erfolg der negativen Feststellungsklage auch, wenn – etwa nach erfolgter Beweisaufnahme – das Bestehen des berühmten Anspruchs offen bleibt oder das Nichtbestehen erwiesen ist (BGH NJW 1993, 1716). Bei der Klage auf Echtheit der Urkunde hat derjenige die Beweislast, der Rechte aus der Urkunde ableitet. c) Rechtsverhältnis
215 Die Rechtsprechung definiert ein Rechtsverhältnis als rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache (BGH NJW 2015, 873 Rz. 23). Bei Formulierung des Klageantrags ist daher stets darauf zu achten, dass das Rechtsverhältnis, das Gegenstand der begehrten – sei es negativen oder positiven – Feststellung ist, im Klageantrag konkretisiert wird. Mit Ausnahme der Feststellung der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde können tatsächliche Gegebenheiten nicht zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Unzulässig ist darüber hinaus das in einen Feststellungsantrag gekleidete Begehren, das auf die Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage abzielt.
216 K
Praxistipp: Auch wenn das Gericht durch § 139 Abs. 1 ZPO gehalten ist, darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden, ist nicht selten zu beobachten, dass das Gericht – etwa aus der Idee, dies könne im Verhältnis zum Beklagten die Besorgnis der Befangenheit begründen – seiner Pflicht, auf eine sachgerechte Antragstellung hinzuwirken, auch dann nicht nachkommt, wenn durch einfache Umformulierung des Klageantrags nicht mehr die Feststellung einer tatsächlichen Gegebenheit, sondern die eines Rechtsverhältnisses begehrt wird. Es ist deshalb in allen Zweifelsfällen anzuraten, das Gericht ausdrücklich zu fragen, ob gegen die Fassung des Antrags Bedenken bestehen. Weicht das Gericht der Beantwortung dieser Frage aus, ist der Antrag sofort erneut zu überprüfen.
217 M 15.44 Feststellungsantrag – Abgrenzung Tatsache/Rechtsfrage gegenüber
Feststellung eines Rechtsverhältnisses Ausgangslage: Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob der Unfallverursacher anlässlich des Unfalls auch den vorderen linken Kotflügel des Fahrzeugs des Verletzten beschädigt hat. Der Antrag lautet in diesem Falle nicht: … wird beantragt, festzustellen, dass der Kläger anlässlich des Unfalls den vorderen linken Kotflügel des Fahrzeugs … beschädigt (oder bei negativer Feststellungsklage: nicht beschädigt) hat. Zu beantragen ist vielmehr: … beantrage ich, festzustellen, dass der Kläger verpflichtet (oder bei negativer Feststellungsklage: nicht verpflichtet) ist, dem Beklagten den Schaden zu ersetzen, der auf der Beschädigung des vorderen rechten Kotflügels des Fahrzeugs … beruht. Oder: Ausgangslage: Die Parteien streiten darüber, ob sich das Überfahrtsrecht des Klägers über das Grundstück des Beklagten auch auf das Befahren mit Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t erstreckt. Der Kläger, der ein Speditionsunternehmen betreibt, beabsichtigt, seine Fahrzeugflotte auf Fahr-
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Vorwerk
M 15.44
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 221 Kap. 15
ZPO
zeuge mit mehr als 7,5 t Gesamtgewicht umzustellen, wenn er das Überfahrtsrecht auch mit diesen Fahrzeugen wahrnehmen kann. Der Antrag lautet dann nicht: … beantrage ich, festzustellen, dass das Überfahrtsrecht des Klägers über das Grundstück des Beklagten, Gemarkung …, Flur …, Flurstück …, auch das Recht beinhaltet, auf dem Überfahrtsweg mit Fahrzeugen von mehr als 7,5 t Gesamtgewicht zu fahren. Der Antrag hat vielmehr zu lauten: … beantrage ich, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, Überfahrten des Klägers mit Fahrzeugen von mehr als 7,5 t Gesamtgewicht über das Grundstück des Beklagten Gemarkung …, Flur …, Flurstück … zu dulden.
Gegenstand der Feststellungsklage kann allerdings nicht nur das Rechtsverhältnis selbst sein; die Feststellung kann sich – wie die Beispiele in M 15.44 zeigen – auch auf einzelne Rechte, Pflichten oder Folgen eines einheitlichen Rechtsverhältnisses erstrecken (BGHZ 109, 275, 276; BGH NJW 1984, 1556; NJW-RR 2015, 915 Rz. 7).
218
Rechtsprechung (NJW-RR 2017, 1317 Rz. 16 mwN) und Lehre (Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 3a; Musielak/Voit/Foerste § 256 ZPO Rz. 4; Stein/Jonas/Roth § 256 ZPO Rz. 37; BLAH/Hartmann § 256 ZPO Rz. 16) sind sich darüber hinaus darüber einig, dass das Rechtsverhältnis, dessen Feststellung begehrt wird, gegenwärtig sein muss. Ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis wird allerdings auch bei betagten oder bedingten Rechtsgeschäften sowie bei vergangenen Rechtsverhältnissen bejaht, wenn sich aus ihnen für die Gegenwart oder Zukunft Rechtsfolgen ergeben. Bestehen Zweifel, ob das Rechtsverhältnis als gegenwärtiges besteht, muss folglich die hierzu bisher ergangene Rechtsprechung (s. hierzu im Einzelnen u.a. BGH NJW-RR 2017, 1317 Rz. 16; NJW-RR-2016, 1405 Rz. 13; WM 2015, 1197 Rz. 20; BGH NJW 1998, 160; NJW 1992, 436, 437; NJW 1988, 774; MDR 1986, 743; NJW 1986, 2507; NJW 1984, 2950; BGHZ 27, 190, 196) zu Rate gezogen werden, um die Zulässigkeit der Feststellungsklage beantworten zu können.
219
Grundsätzlich hat das streitige Rechtsverhältnis zwischen den Prozessparteien zu bestehen. Von den Fällen einer Prozessstandschaft abgesehen fehlt es für einen Rechtsstreit über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zu Dritten oder zwischen Dritten in der Regel an der auch für die Feststellungsklage nötigen Prozessführungsbefugnis (s. Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 3b; Musielak/Voit/Foerste § 256 ZPO Rz. 5). Ist das Rechtsverhältnis zu einem Dritten oder zwischen Dritten jedoch zugleich für die Rechtsbeziehung zwischen den Prozessparteien untereinander von Bedeutung und hat der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung, geht die ständige Rechtsprechung des BGH jedoch davon aus, dass auch ein sog. Drittrechtsverhältnis Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (BGH NJW 1997, 318 mwN).
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K
221
Praxistipp: Ist beabsichtigt, ein Drittrechtsverhältnis zum Gegenstand der Feststellungsklage zu machen, empfiehlt es sich zu prüfen, ob dem Kläger nicht weit mehr geholfen ist, das Drittrechtsverhältnis im Rahmen einer Zwischenfeststellungsklage durch das Gericht feststellen zu lassen (s. dazu Rz. 220, 268 sowie Rz. 230, 278). Da die Feststellung des Drittrechtsverhältnisses nur zulässig ist, wenn das Drittrechtsverhältnis für die Rechtsbeziehung der Parteien untereinander von Bedeutung ist (s. Rz. 220), sollte – soweit dies irgend möglich ist – jene Rechtsbeziehung zwischen den Parteien zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden; der Dritte wird alsdann über die Zwischenfeststellungsklage in das Verfahren einbezogen (vgl. Vorwerk
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Kap. 15 Rz. 222
Klageanträge (und Klagebegründung)
ZPO
Rz. 278 sowie M 15.56). Mit der Feststellung des Drittrechtsverhältnisses allein ist dem Kläger im Rahmen des Streits mit dem Beklagten in der Regel nämlich nicht geholfen. d) Feststellungsinteresse
222 Über das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (s. dazu im Einzelnen Zöller/Greger vor § 253 ZPO Rz. 18 ff.) hinaus, bedarf es für die Feststellungsklage als besondere Prozessvoraussetzung des Feststellungsinteresses gem. § 256 Abs. 1 ZPO, das seinerseits als schutzwürdiges Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung definiert wird. Da das Feststellungsinteresse als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Feststellungsklage von Amts wegen zu prüfen ist, hat der Kläger jenes Interesse darzulegen und nötigenfalls zu beweisen. Fehlt es am Feststellungsinteresse, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.
223 Zu bejahen ist das Feststellungsinteresse regelmäßig: – wenn der Beklagte ein Recht des Klägers ernstlich bestreitet oder er sich eines Rechts gegen den Kläger berühmt, und – dadurch dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht, und – das erstrebte Urteil nach erlangter Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen.
224 Zu verneinen ist das Feststellungsinteresse immer dann, wenn eine bessere Rechtsschutzmöglichkeit besteht. Das ist regelmäßig der Fall, wenn eine Klage auf Leistung – auch im Wege der Stufenklage (s. Rz. 82) – möglich und zumutbar ist. Die Leistungsklage geht allerdings dann nicht vor, wenn der Kläger seinen Anspruch – etwa auf Schadensersatz – noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwendigen Begutachtung beziffern kann oder der den Anspruch begründende Sachverhalt – etwa die Schadensentwicklung – im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Feststellungsklage selbst dann zulässig, wenn der Anspruch – etwa der Schaden der Höhe nach – teilweise bereits beziffert werden kann (BGH NJW 1996, 2097, 2098; VersR 1991, 788; BGH NJW-RR 1986, 1026, 1028; NJW 1984, 1552, 1554; VersR 1968, 648, 649). Zulässig ist in diesen Fällen zudem, wegen des bezifferbaren Teils der Höhe des Anspruchs – etwa des Schadens – Leistungsklage zu erheben und diese im Wege der Klagenhäufung mit einem Feststellungsantrag zu verbinden (s. hierzu Kap. 16 Rz. 11, 12).
225 K
Praxistipp: Das Feststellungsinteresse muss bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen. Entfällt das Feststellungsinteresse vor Schluss der mündlichen Verhandlung, wird die Klage ex nunc unzulässig. Der Kläger muss alsdann, um sich vor einem Unterliegen zu schützen, die Klage in der Hauptsache für erledigt erklären (s. Kap. 32). Ist die Entwicklung des anspruchsbegründenden Sachverhalts (s. Rz. 224) in der Berufungsinstanz abgeschlossen, ist der Kläger nicht gezwungen, zur bezifferten Leistungsklage überzugehen (BGH NJW 1984, 1552; BGHZ 70, 39). Gibt der Beklagte das Bestreiten des Rechts des Klägers (s. Rz. 223) im Rechtsstreit auf, entfällt das Feststellungsinteresse nur dann, wenn der Kläger im Hinblick auf das bestrittene Recht endgültig gesichert ist. Die einseitige Erklärung des Beklagten, das Recht nicht mehr bestreiten zu wollen, reicht insoweit nicht; der Kläger kann auch in diesem Fall auf dem Erlass eines Anerkenntnisurteils bestehen (s. Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 7c).
226 Für die negative Feststellungsklage entfällt das Feststellungsinteresse, sobald der Beklagte wegen desselben Streitgegenstandes Leistungsklage – oder positive Feststellungsklage etwa zur Hemmung der Verjährung (§ 204 Nr. 1 BGB) – erhebt (BGH NJW-RR 1990, 1532). Dies gilt allerdings – weil der Beklagte die Leistungsklage oder positive Feststellungsklage vorher einseitig zurücknehmen kann – erst, 296
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Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 230 Kap. 15
Wegen praxisrelevanter Einzelfälle, bei denen das Feststellungsinteresse regelmäßig bejaht wird, s. nachfolgend etwa Rz. 240, Rz. 242, Rz. 251, 252; bei Streit über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses Kap. 138 Rz. 27 ff. sowie Kap. 139 Rz. 1, 6, im Bereich des Erbrechts Kap. 89 Rz. 18, 232, im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungen Kap. 91 Rz. 92, 144 und Kap. 93 Rz. 24, 38 ff.; ferner im Insolvenzverfahren Kap. 95 Rz. 106 ff., 111 ff.; zu Fallgestaltungen im Bereich des Deliktsrechts s. Kap. 85 Rz. 136 ff.; im Bereich des Wettbewerbsrechts Kap. 94 Rz. 216. Im Bereich der Schadensersatzansprüche besteht das Feststellungsinteresse stets zum Zwecke der Hemmung der Verjährung (BGH MDR 2010, 647; BGH NJW 2008, 2647; Stein/Jonas/Roth § 256 ZPO Rz. 66; Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 9).
ZPO
wenn über die Leistungsklage streitig verhandelt worden ist (BGH NJW-RR 2013, 1105 Rz. 11; NJW 2006, 515 Rz. 12; NJW 1994, 3107). Der Kläger der negativen Feststellungsklage ist mithin gehalten, unmittelbar nach Stellung des Antrages in der gegenläufigen Leistungsklage oder positiven Feststellungsklage die negative Feststellungsklage in der Hauptsache für erledigt zu erklären (BGH NJW 1973, 1500). Zum Sonderfall, dass die Leistungsklage nicht vor innerstaatlichen Gerichten, wohl aber im Geltungsbereich des EuGVÜ (jetzt auch EuGVVO; s. Kap. 101 Rz. 7 ff.) erhoben wird, vgl. BGHZ 134, 201.
227
2. Zwischenfeststellungsklage Da bei der Leistungsklage nur der Ausspruch über den Klageanspruch in materielle Rechtskraft er- 228 wächst, nicht aber die Beurteilung des für das Bestehen des Leistungsanspruches maßgeblichen Rechtsverhältnisses, ermöglicht § 256 Abs. 2 ZPO dem Kläger über die Zwischenfeststellungsklage und dem Beklagten über die Zwischenfeststellungs-Widerklage eine rechtskraftfähige Feststellung zum Bestehen oder Nichtbestehen des für den Leistungsanspruch vorgreiflichen Rechtsverhältnisses. Über die Zwischenfeststellungsklage – oder die Zwischenfeststellungs-Widerklage – lässt sich folglich verhindern, dass nach ergangenem Leistungsurteil in einem nachfolgenden Verfahren zum vorgreiflichen Rechtsverhältnis eine dem Leistungsanspruch widersprechende Feststellung zum Bestehen oder Nichtbestehen des für den Leistungsausspruch vorgreiflichen Rechtsverhältnisses ergeht. Eines besonderen Feststellungsinteresses bedarf es für die Zwischenfeststellungsklage und die Zwischenfeststellungs-Widerklage nicht; das Feststellungsinteresse wird durch § 256 Abs. 2 ZPO als gegeben unterstellt. Als besondere Prozessvoraussetzungen sind für die Zwischenfeststellungsklage allerdings zu beachten: a) Besondere Prozessvoraussetzungen Im Verfahren, in dem die Zwischenfeststellungsklage erhoben wird, darf noch keine Vorabentscheidung über den Grund (§ 304 ZPO) ergangen sein. Hat der Beklagte gegenüber der Klageforderung eine Aufrechnung als Hilfsaufrechnung erklärt, wird die Zwischenfeststellungsklage, die den Gegenstand der vom Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung betrifft, erst zulässig, wenn feststeht, dass über die Gegenforderung des Beklagten entschieden werden muss (BGH NJW 1961, 75). Dies hindert im Ergebnis allerdings nicht, eine den Gegenstand der Aufrechnung betreffende Zwischenfeststellungsklage zu erheben; zwingt allerdings dazu, den entsprechenden Antrag als Hilfsantrag – innerprozessual bedingt für den Fall, dass über die Gegenforderung entschieden werden muss (s. M 15.56) – zu formulieren (Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 22).
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Als Widerklage kann die Zwischenfeststellungsklage – und zwar als positive oder negative Feststellungsklage – nicht nur gegenüber dem Kläger, sondern auch gegenüber einem Dritten erhoben werden, ohne dass ihm gegenüber eine Hauptklage anhängig ist (BGH NJW 2011, 2195 Tz. 20; NJW 1977, 1638). Für diesen Fall ist lediglich erforderlich, dass dem Dritten gegenüber ein Feststellungsinteresse vorliegt. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Kläger mit der Klage einen ihm nur teilweise abgetretenen Anspruch durchsetzen oder der Beklagte mit einer ihm nur teilweise abgetretenen Forderung die Aufrechnung erklären will (s. dazu Rz. 278 und M 15.57). Wie für die Feststellungsklage ist allerdings auch
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ZPO
Kap. 15 Rz. 231
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für die Zwischenfeststellungsklage Voraussetzung, dass die Feststellung eines Rechtsverhältnisses begehrt wird. Das Rechtsverhältnis muss für die Entscheidung der Hauptklage vorgreiflich sein.
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Wichtig: An der Vorgreiflichkeit fehlt es, wenn die Hauptklage als unzulässig oder sachlich aus Gründen, die vom Bestehen des streitigen Rechtsverhältnisses unabhängig sind, abweisungsreif ist (BGH NJW-RR 1994, 1272). Das gilt ebenfalls bei Abweisung aufgrund einer rechtsvernichtenden Einwendung, also etwa im Falle der Einwendung der Erfüllung, des Verzichts, des Erlasses, des negativen Schuldanerkenntnisses etc.
232 Darüber hinaus darf das Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehung der Parteien untereinander nicht bereits erschöpfend regeln. An einer entsprechenden erschöpfenden Regelung fehlt es jedoch stets dann, wenn schon die bloße Möglichkeit besteht, dass aus dem vorgreiflichen Rechtsverhältnis weitere Ansprüche zwischen den Parteien entstehen können (BGH NJW 2011, 2195; BGHZ 69, 37). Folgende Beispiele verdeutlichen dies: – Der Kläger behauptet das Zustandekommen eines Sukzessivlieferungsvertrages und klagt die erste Teillieferung ein. Der Beklagte leugnet das Bestehen des Sukzessivlieferungsvertrages. – Der Kläger begehrt unter Hinweis auf eine von ihm ausgesprochene Kündigung die Herausgabe der nach seiner Behauptung – gegen Entgelt – gemieteten Sache. Der Beklagte behauptet unentgeltliche Überlassung im Rahmen einer Leihe und wendet sich gegen die Pflicht zur Herausgabe unter Hinweis darauf, dass der vereinbarte Zeitpunkt für die Rückgabe (§ 604 Abs. 1 BGB) noch nicht eingetreten ist. – Der Kläger verlangt vom Erbschaftsbesitzer unter Hinweis auf seine Erbenstellung die Herausgabe der Nachlassgegenstände. Der Erbschaftsbesitzer leugnet das Erbrecht des Klägers.
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Wichtig: Nicht zulässig ist die Zwischenfeststellungsklage, wenn die Prozessart der Hauptklage eine Feststellungsklage oder Feststellungs-Widerklage nicht zulässt. Das ist im Urkunden- und Wechselprozess sowie im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest und einstweilige Verfügung) der Fall.
234 Zwischenfeststellungsklage kann entweder mit der Hauptklage im Rahmen der Klagenhäufung (§ 260 ZPO) zugleich oder nachträglich gem. § 261 Abs. 2 ZPO oder als Widerklage (§ 33 ZPO) erhoben werden. Ob im Berufungsverfahren für die Zwischenfeststellungs-Widerklage § 533 ZPO nicht gilt (so für § 530 Abs. 1 ZPO aF; BGHZ 53, 92), ist bisher jetzt – September 2018 – nicht geklärt. Die Literatur (Zöller/Heßler § 533 ZPO Rz. 9; Musielak/Voit/Ball § 533 ZPO Rz. 17) verweist auf die frühere Rechtsprechung, meint also, dass auch nach neuem Recht die Zwischenfeststellungswiderklage keiner Zulassung bedarf. „Sperre“ für die Zwischenfeststellungswiderklage könnte allerdings nach dem ZPO-RG § 533 Nr. 2 ZPO sein. Die Zwischenfeststellungswiderklage wird in der Berufungsinstanz folglich dann nicht zulässig sein, wenn sie auf neuen Vortrag gestützt werden muss, der gem. § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann. Zudem darf die mündliche Verhandlung über den Grund der Hauptklage noch nicht geschlossen sein. Nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung kann die Zwischenfeststellungsklage demnach nicht mehr erhoben werden.
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Praxistipp: Kann über den Grund des Anspruches nicht ohne vorherige Beweisaufnahme entschieden werden, ist es aus prozesstaktischen Gründen empfehlenswert, die Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage nicht vor der durchgeführten Beweisaufnahme zu erheben. Ist der für das Bestehen des Anspruchsgrundes nötige Beweis nicht erbracht, führt die mit der Entscheidung über die Hauptklage zu treffende Entscheidung über die Zwischenfeststellungsklage dazu, dass alle – also auch die nicht in der Hauptklage rechtshängigen – vom Bestehen des vorgreiflichen Rechtsverhältnisses abhängigen Ansprüche nicht mehr durchgesetzt werden können. Dies ist Folge der Rechtskraftwirkung der Feststellungsklage (Rz. 208).
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Rz. 240 Kap. 15
In einem solchen Fall hat der Beklagte – spiegelbildlich – seinerseits ein Interesse an einer entsprechen- 236 den, das vorgreifliche Rechtsverhältnis verneinenden Entscheidung. Der Beklagte würde in einem solchen Fall folglich prozesstaktisch richtig handeln, nach der Beweisaufnahme eine Zwischenfeststellungs-Widerklage – und sei es durch vorbereiteten Schriftsatz, der in der mündlichen Verhandlung unmittelbar nach der Beweisaufnahme überreicht wird – zu erheben. Die Zurückweisung der Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage „als verspätet“ kommt selbst dann nicht in Betracht, wenn sich der Prozessgegner in der entsprechenden mündlichen Verhandlung auf den Antrag der Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage nicht einlässt (§ 274 Abs. 3 ZPO). Von § 282 ZPO sind Sachanträge – auch neue Sachanträge – nicht erfasst; sie können niemals wegen Verspätung zurückgewiesen werden (BGH NJW-RR 1996, 961). Da bei gleichzeitiger Anhängigkeit der Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage ein Teilurteil über die Hauptklage allein unzulässig ist (s. Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 22 sowie jetzt auch § 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO), kann schon aus prozessualen Gründen eine Entscheidung über die Hauptklage vor der Entscheidung über die Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage nicht ergehen. b) Streitwert Für den Streitwert der Zwischenfeststellungsklage und Zwischenfeststellungs-Widerklage ist zu be- 237 achten, dass für die negative Klage der Wert sämtlicher aus dem Rechtsverhältnis herzuleitenden Ansprüche maßgebend ist (BGH NJW 1970, 2025). Für die positive Klage gilt das sinngemäß; wobei jedoch der für die Feststellungsklage übliche Abschlag bei der Streitwertbemessung (s. BGH VersR 2015, 912; NJW-RR 1997, 1562; NJW-RR 1992, 608; WM 1991, 657, 658; BLAH/Hartmann Anh. § 3 ZPO Rz. 53; Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 30) zu berücksichtigen ist.
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Praxistipp: Erhöht sich durch den Wert der Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage der Streitwert über die Grenze des § 23 Nr. 1 GVG, begründet dies die Zuständigkeit des Landgerichts, so dass das Verfahren gem. § 506 ZPO an das Landgericht zu verweisen ist. Außerdem ist zu beachten, dass sich durch die Erhöhung des Streitwertes das Prozesskostenrisiko erheblich erhöht. Ist für die Partei, die Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage erheben will, Prozesskostenhilfe bewilligt, muss vor der Erhebung der Klage eine Erweiterung der Prozesskostenhilfebewilligung beantragt werden.
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c) Rechtsmittel Rechtsmittel sind stets auch auf die Entscheidung über die Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage zu erstrecken. Bei einem auf die Hauptklage beschränkten Rechtsmittel bindet die Entscheidung über die Zwischenfeststellung das Rechtsmittelgericht zum Anspruchsgrund (§§ 318, 512, 557 Abs. 2 ZPO). Ergeht die Entscheidung über die Zwischenfeststellungsklage oder die Zwischenfeststellungs-Widerklage vor der Entscheidung über die Hauptklage, was zulässig ist (Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 22), ist das Teilurteil über die Zwischenfeststellungsklage oder Zwischenfeststellungs-Widerklage wie ein Zwischenurteil über den Grund (§ 304 ZPO) anzusehen, so dass dieses Urteil ebenfalls mit der Berufung und Revision – soweit zulässig – angefochten werden muss. Das Gericht kann ungeachtet dessen anordnen, dass schon vor der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen das entsprechend ergangene Teilurteil weiter zur Hauptklage verhandelt wird.
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3. Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Pflichten In der Praxis konzentriert sich der Streit vornehmlich darauf, welche konkreten Pflichten die jeweils betroffene Partei aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnis treffen. Da die Leistungsklage – auch in der Form der Stufenklage – der Feststellungsklage regelmäßig vorgeht (s. Rz. 224), ist vor Formulierung eines auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Pflicht („Zahlung“, „Herausgabe“, „Unterlassung“, „Duldung“, „Abgabe einer Willenserklärung“) gerichteten Klage stets zu prüfen, ob ein Leistungsantrag formuliert werden kann. Vorwerk
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Klageanträge (und Klagebegründung)
Kap. 15 Rz. 241
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Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.45
Praxistipp: Zu denken ist dabei auch an die Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO (s. dazu Rz. 76, 143); wobei die Möglichkeit der Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO die Feststellungsklage allerdings nicht verdrängt (BGH NJW 2015, 873 Rz. 34). Da die Klage auf künftige Leistung im Falle ihres Erfolges einen Vollstreckungstitel schafft, sollte ungeachtet dessen statt der Feststellungsklage die Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO erhoben werden.
a) Schadensersatz allgemein
242 Besteht zwischen den Parteien Streit darüber, ob der Beklagte dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet ist, liegt dem Kläger häufig daran, die Schadensersatzpflicht des Beklagten möglichst schnell gerichtlich feststellen zu lassen. Ist die Schadensentwicklung im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen, kann sich der Kläger der Feststellungsklage bedienen (s. Rz. 224), um die den Beklagten treffende Ersatzpflicht feststellen und damit zwischen den Parteien abschließend klären zu lassen. Wartet der Kläger mit der Klageerhebung demgegenüber längere Zeit, kann er unter Umständen in Schwierigkeiten geraten, um das Gericht davon zu überzeugen, dass für die Feststellungsklage – noch – ein Feststellungsinteresse besteht, die Schadensentwicklung folglich noch nicht abgeschlossen ist. Je eher der Kläger zur Klageerhebung schreitet, desto geringer sind deshalb auch die Anforderungen an den Vortrag, innerhalb dessen das Feststellungsinteresse darzulegen ist.
243 M 15.45 Klage, Feststellung einer Schadensersatzpflicht … beantrage ich, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den – materiellen und immateriellen – Schaden zu ersetzen, der dem Kläger durch den Unfall am 20.7.2017 in Hamburg, Mauernstrasse/ Ecke Schwalbenweg entstanden ist und noch entstehen wird. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger ist Opfer eines vor einem Monat erlittenen Verkehrsunfalls gewesen, den der Beklagte verursacht und der sich wie folgt zugetragen hat: … Durch den Unfall hat sich der Kläger zwar nur den rechten Unterarm gebrochen, so dass bei einem gewöhnlichen Verlauf der Heilung damit zu rechnen ist, dass die Gesundheit des Klägers in etwa vier Wochen wieder hergestellt ist. Dies macht die schon jetzt erhobene Feststellungsklage jedoch nicht unzulässig. Der Schadensverlauf ist im Zeitpunkt der jetzt erhobenen Klage noch nicht abgeschlossen. Zum einen ist nicht absehbar, ob es nicht doch noch innerhalb des Heilungsverlaufes zu Komplikationen kommt, so dass der Anspruch auf Schmerzensgeld, das dem Kläger zusteht, noch nicht abschließend beziffert werden kann. Da der Kläger freiberuflich tätig ist, lässt sich der Verdienstausfall, den der Kläger bis zur Wiederherstellung seiner Gesundheit erleiden wird, ebenfalls noch nicht beziffern. Darüber hinaus haben die den Kläger behandelnden Ärzte ihre Leistungen bisher noch nicht liquidiert; wobei in diesem Zusammenhang anzumerken ist, dass der Kläger keine Krankenversicherung unterhält, die Kosten für die ärztliche Behandlung mithin aus eigener Tasche zu tragen hat. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Streitwert: Zu unbezifferten Klageanträgen s. Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 5245 ff.
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M 15.46
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Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 246 Kap. 15
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Ist zu befürchten, dass nach Ablauf der Verjährungsfrist weiterer Schaden eintritt, der auf das schadensverursachende Ereignis zurückzuführen ist, ist stets daran zu denken, zur Hemmung der Verjährung einen Feststellungsantrag zu stellen (s. Rz. 212). Dieser Feststellungsantrag sollte mit einem bezifferten Leistungsantrag verbunden werden, damit zumindest wegen des Schadens, der beziffert werden kann, ein vollstreckbarer Titel ergeht. Wird die Leistungsklage mit der Feststellungsklage insoweit verbunden, ist bei der Formulierung des Feststellungsantrages darauf zu achten, dass sich die Anträge nicht überschneiden; es ist deshalb im Feststellungsantrag wegen des „weiteren Schadens“ die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz zu begehren (s. Kap. 85 Rz. 136 sowie M 85.28 und M 85.29).
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M 15.46 Klage, Verbindung von Leistungsantrag und Feststellung der
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Schadensersatzpflicht … beantrage ich, 1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger … Euro nebst … Zinsen seit dem … zu zahlen; sowie 2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren Schaden zu ersetzen, der dem Kläger daraus entstanden ist und noch entsteht, dass die vom Beklagten am 20.6.2017 auf dem Grundstück Meierstraße 7 in Hamburg gefällte Eiche auf das Grundstück des Klägers Meierstraße 9 gestürzt ist. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte ist Eigentümer des in Hamburg gelegenen Grundstücks Meierstraße 7; der Kläger ist der Eigentümer des Nachbargrundstückes Meierstraße 9. Auf dem Grundstück des Beklagten stand „seit eh und je“ eine ausgewachsene, etwa 20 m hohe Eiche, die der Beklagte zu fällen beabsichtigte. Das Fällen der Eiche war durch die Baumschutzsatzung der Stadt Hamburg nicht gestattet. Eine Ausnahmegenehmigung hat der Beklagte nicht erhalten. Er hat deshalb auch kein Unternehmen engagieren können, das den Auftrag erfüllt hätte, die auf dem Grundstück des Beklagten stehende Eiche zu fällen. Am frühen Morgen des … hat sich der Beklagte deshalb – mit einer Motorsäge „bewaffnet“ – selbst daran gemacht, den Stamm der Eiche anzusägen und die Eiche auf diese Weise zu fällen. Beweis: … Da der Beklagte kein gelernter Holzfäller ist, hat er die Schnitte, aufgrund derer die Eiche während des Fällvorgangs auf sein Grundstück hat stürzen sollen, offenbar fehlerhaft gesetzt. Folge der Fällarbeiten des Beklagten war nämlich, dass die Eiche auf das Grundstück des Klägers und dort auch auf dessen Einfamilienhaus gestürzt ist. Beweis: … Beschädigt worden sind durch die herabstürzende Eiche … (es folgen die Ausführungen, die den bezifferten Schadensersatz begründen). Daraus errechnet sich der mit dem Klageantrag zu 1) geforderte Betrag von ….
Vorwerk
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ZPO
Praxistipp: Wäre die Feststellungsklage, die Gegenstand des vorstehenden M 15.45 ist, Wochen später, nach Ausheilen des Armbruchs des Klägers erhoben worden, hätte der Kläger im Einzelnen darzutun, warum er den Verdienstausfall oder die Behandlungskosten und auch das Schmerzensgeld im Zeitpunkt der Klagerhebung noch nicht beziffern kann. Der Hinweis allein, „die Schadensentwicklung sei noch nicht abgeschlossen“, würde ihm nichts helfen; er müsste im Einzelnen dartun und zur Begründung der Zulässigkeit seines Feststellungsbegehrens ggf. auch beweisen, dass er zu Recht befürchtet, dass noch Spätfolgen aus der Verletzung eintreten können (s. dazu auch Kap. 85 Rz. 140, 141 und M 85.30).
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Kap. 15 Rz. 247
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.47
Den mit dem Klageantrag zu 2) verfolgten Anspruch auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, den dem Kläger aus dem Vorfall vom … entstandenen und noch entstehenden weiteren Schaden zu ersetzen, hat der Kläger deshalb gestellt, weil noch der Stamm der Eiche und erhebliche Teile der Krone der Eiche auf dem Grundstück des Klägers liegen. Beweis: … Der Kläger hat noch keinen Betrieb finden können, der sich bereit erklärt hat, den erwähnten Stamm und die Krone der Eiche vom Grundstück zu entfernen. Er kennt daher auch noch nicht die Kosten, die in diesem Zusammenhang noch entstehen werden. Das gilt zudem für die Arbeiten, die notwendig sind, den Garten auf dem Grundstück des Klägers nach Entfernen der Eiche neu herzurichten. Kosten: s. Anm. zu M 15.45.
247 K
Praxistipp: Ergeht entsprechend dem vorstehenden M 15.46 ein Urteil zugunsten des Klägers, lässt sich anhand der Entscheidungsgründe feststellen, wegen welcher der bezifferten Schäden die Klage für begründet oder unbegründet angesehen worden ist. Der Feststellungsausspruch, der den Beklagten verpflichtet, allen weiteren Schaden zu ersetzen, erstreckt sich mithin auf die Schäden, über die sich die Entscheidung zum bezifferten Klageanspruch nicht verhält.
248 Wegen der Besonderheiten, die im Zusammenhang mit Schmerzensgeldansprüchen im Rahmen der Feststellungsklage zu beachten sind, vgl. Kap. 85 Rz. 140, 141 und M 85.30. Was für die Formulierung des Feststellungsantrages unter Berücksichtigung des gesetzlichen Übergangs von Schadensersatzansprüchen zu beachten ist, s. Kap. 85 Rz. 144. b) Berücksichtigung eines Mitverschuldens- oder Mitverursachungsanteils
249 Muss sich der Kläger am Schaden einen Mitverschuldens- oder Mitverursachungsanteil zurechnen lassen, muss dies im Feststellungsantrag selbst zum Ausdruck kommen.
250 M 15.47 Klage, Feststellung der Schadensersatzpflicht unter Berücksichtigung
eines Mitverschuldens-/Mitverursachungsanteils des Klägers … beantrage ich, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den aufgrund des Ereignisses vom … entstandenen Schaden zu 75 % zu ersetzen. Zur Begründung führe ich an: … (es folgen die Ausführungen zur Schadensersatzpflicht des Beklagten und zum Feststellungsinteresse des Klägers). Bei Fassung des Klageantrags hat der Kläger berücksichtigt, dass ihn ein Mitverschulden (ggf.: Ein Mitverursachungsanteil) an der Entstehung des Schadens trifft. Bei der Abwägung der Verschuldensanteile kommt man dazu, dass den Kläger allerdings nicht mehr als eine Haftungsquote von 25 % trifft … (wird ausgeführt). Es ist demnach die begehrte Feststellung zu treffen, dass der Beklagte 75 % des auf dem Ereignis am … beruhenden Schadens dem Kläger zu ersetzen hat. Kosten: s. Anm. zu M 15.45.
302
Vorwerk
M 15.48
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 253 Kap. 15
Besteht die Verpflichtung des Beklagten, etwa aufgrund eines bestehenden Vorvertrages, mit dem Klä- 251 ger einen Hauptvertrag zu schließen, ist zu beachten, dass die Klage auf Abgabe einer Willenserklärung als Leistungsklage der Feststellungsklage vorgeht (BGH NJW-RR 1994, 1272). Es ist demnach entsprechend M 15.30 zu verfahren und nicht auf die Feststellung der Verpflichtung zum Abschluss des Hauptvertrages anzutragen. d) Bedingungsgemäße Leistung aus dem Versicherungsvertrag Ist in den Versicherungsbedingungen vorgesehen, dass zur Schadenshöhe ein Sachverständigenverfahren beantragt werden kann, so kann einer auf Feststellung der Eintrittspflicht gerichteten Klage die Möglichkeit einer Leistungsklage nicht entgegengehalten werden (BGH NJW 1998, 1072). Darüber hinaus ist aber auch die Klage auf Feststellung der Pflicht des Versicherers, Versicherungsschutz zu gewähren, zulässig, wenn – was der Regelfall ist – davon auszugehen ist, dass der Versicherer dem Feststellungsurteil Folge leisten wird (BGH NJW 2006, 2549; 1999, 3774). Siehe zu diesem Komplex auch Kap. 90 Rz. 310.
252
M 15.48 Klage, Feststellung der Pflicht des Versicherers, Versicherungsschutz zu
253
leisten … beantrage ich, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aufgrund des … (hier ist das Ereignis anzuführen, zB Brand, Wasserschaden, ö.ä.) am … bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus dem Feuerversicherungsvertrag vom … – Versicherungsschein-Nummer … – zu leisten. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger hat bei der Beklagten am … eine Feuerversicherung abgeschlossen, über die ihm die in Kopie beigefügte Police – Versicherungsschein-Nummer … – ausgestellt worden ist. Zwischen den Parteien besteht darüber Streit, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Versicherungsschutz aufgrund des (Darstellung des Ereignisses) am … zu leisten. Die Beklagte vertritt die Ansicht, der Kläger habe den Brand selbst vorsätzlich verursacht. Ich verweise dazu auf das als Anlage … beigefügte Schreiben der Beklagten vom …. Die darin niedergelegten Erwägungen der Beklagten sind jedoch unzutreffend. Dazu im Einzelnen: … (wird ausgeführt). Das mit der Klage verfolgte Feststellungsbegehren ist zulässig. Es besteht seitens des Klägers ein Feststellungsinteresse; die Leistungsklage ist ausnahmsweise nicht vorrangig (vgl. BGH VersR 1998, 305). Die als Anlage … beigefügten Versicherungsbedingungen sehen unter Ziffer … vor, dass zur Schadenshöhe ein Sachverständigenverfahren durchzuführen ist. Da zwischen den Parteien nur streitig ist, ob der Kläger den Brand vorsätzlich gelegt hat oder der Brand durch Unachtsamkeit entstanden ist, ist davon auszugehen, dass die Beklagte einem auf Feststellung ihrer Eintrittspflicht lautenden Urteil Folge leisten wird. Oder: … beantrage ich, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten eines dreiwöchigen Aufenthaltes in der Privatklinik Seeblick, Juist, im Rahmen der versicherungsvertraglichen Bedingungen – Krankenversicherung Versicherungsschein-Nummer … – zu erstatten.
Vorwerk
303
ZPO
c) Pflicht zum Abschluss eines Vertrages
Kap. 15 Rz. 254
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.48
ZPO
Zur Begründung führe ich an: Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten eines dreiwöchigen Aufenthaltes in der Privatklinik Seeblick auf Juist im Rahmen der versicherungsvertraglichen Bedingungen zu erstatten. Bei der Privatklinik Seeblick handelt es sich um eine Klinik, die darauf spezialisiert ist, Naturheilverfahren anzuwenden. Ich verweise dazu auf den als Anlage … beigefügten Prospekt über die in der Privatklinik Seeblick durchgeführten Behandlungsmethoden. Der Kläger leidet unter der als … bezeichneten Krankheit, deren Folgen nach den Feststellungen des ihn behandelnden Heilpraktikers … durch eine dreiwöchige Behandlung in der Privatklinik Seeblick gemildert werden können. Ich verweise dazu auf das als Anlage … beigefügte Schreiben des den Kläger behandelnden Heilpraktikers …. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Aufenthalt zu diesem Zweck in der Privatklinik Seeblick nicht unter den vertragsgemäßen Versicherungsschutz fällt. Dies folgt aus dem als Anlage … beigefügten Schreiben der Beklagten vom …. Diese Erwägung ist jedoch unzutreffend. … (es folgen die Ausführungen, warum Versicherungsschutz zu gewähren ist). Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Kläger kann zwar Feststellungen dazu treffen, welche Kosten durch den dreiwöchigen Aufenthalt in der Privatklinik Seeblick entstehen und in welcher Höhe die Beklagte aufgrund des vereinbarten Tarifes … Versicherungsleistungen zu erbringen hat. In der Rechtsprechung (s. etwa BGH NJW 1988, 774 f.) ist jedoch anerkannt, dass für die erhobene Klage das erforderliche Feststellungsinteresse nicht fehlt. Es ist nach Lage des Falles zu erwarten, dass durch ein Feststellungsurteil des begehrten Inhalts eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streites zu erwarten ist. Die Parteien streiten nämlich nur darüber, ob eine Eintrittspflicht der Beklagten aufgrund des abgeschlossenen Versicherungsvertrages besteht. Kosten: s. Anm. zu M 15.45.
e) Als Gegenreaktion auf eine Teilklage
254 Um das Prozesskostenrisiko gering zu halten, wird nicht selten der Versuch unternommen, über eine Teilklage zunächst „klären zu lassen, ob der Anspruch dem Grunde nach überhaupt besteht“. Da sich das auf die Teilklage ergehende Urteil in seiner Rechtskraft nur auf den rechtshängigen Teilanspruch erstreckt (Zöller/G. Vollkommer vor § 322 ZPO Rz. 47; Musielak/Voit/Musielak § 322 ZPO Rz. 67; Stein/Jonas/Leipold § 322 ZPO Rz. 139; BGH NJW 1997, 1990; NJW-RR 1987, 525; BGHZ 93, 330, 334; BGHZ 34, 337, 339), kann dem Beklagten daran gelegen sein, im anhängigen Verfahren abschließend eine Klärung darüber herbeizuführen, ob auch der bisher nicht rechtshängige Teil des Gesamtanspruchs vom Kläger noch in einem späteren Verfahren durchgesetzt werden kann. In diesem Fall kann der Beklagte Feststellungs-Widerklage (oder Zwischenfeststellungs-Widerklage, s. dazu Rz. 276) erheben, um die Frage seiner Eintrittspflicht insgesamt und damit abschließend klären zu lassen.
304
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 256 Kap. 15
M 15.49 Negative Feststellungs-Widerklage als Gegenreaktion auf eine Teilklage
255
Teilklage des Klägers: … beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 20.000 Euro nebst … Zinsen seit dem … zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger ist Opfer einer arglistigen Täuschung des Beklagten. Der Beklagte hat den Kläger anlässlich des Erwerbs einer Beteiligung an der in Spanien ansässigen Gesellschaft …, die ein Ferienhotel betreibt, getäuscht. Dazu im Einzelnen: … Der Kläger begehrt angesichts dessen die Rückabwicklung des Vertrages über den Erwerb der Beteiligung (vgl. dazu BGH NJW 1992, 228, 230; NJW-RR 1990, 229). Für den Erwerb der Beteiligung hat der Kläger 60.000 Euro gezahlt. Von diesem Betrag macht der Kläger zunächst den erstrangigen Teilbetrag iHv. 20.000 Euro geltend. Wegen des Restbetrages von 40.000 Euro und des weiteren Schadens, der dem Kläger durch den Erwerb der Beteiligung entstanden ist (Reisekosten, Anwaltskosten in Spanien etc.), behält sich der Kläger eine spätere Klage vor. Gegenreaktion des Beklagten: … beantrage ich, die Klage abzuweisen. Darüber hinaus erhebe ich Widerklage mit dem Antrag, festzustellen, dass dem Kläger gegenüber dem Beklagten keine weiteren über die Klage hinausgehenden Ansprüche aus dem Erwerb der Beteiligung … zustehen. Zur Begründung führe ich an: … (es folgen die Ausführungen, mit denen sich der Beklagte gegen den Vorwurf der arglistigen Täuschung verteidigt und mit denen er den Klageanspruch zu Fall bringen will). Mit der Feststellungs-Widerklage begehrt der Beklagte die Feststellung, dass dem Kläger kein weiterer Anspruch im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligung … zusteht. Der Kläger hat eine Teilklage erhoben und sich weiterer Ansprüche berühmt; wobei ein Teil dieser Ansprüche weder der Höhe nach spezifiziert noch dargetan ist, in welchem Zusammenhang sie mit der angeblichen arglistigen Täuschung des Beklagten stehen. Angesichts dessen hat der Beklagte ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass – außer dem Anspruch auf Zahlung der 20.000 Euro, über den im Rahmen der Leistungsklage entschieden wird – auch kein weiterer Anspruch seitens des Klägers gegenüber dem Beklagten im Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb … besteht. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert: Die Werte von Klage und Wiederklage werden zusammengerechnet (§ 45 Abs. 1 Satz 1 GKG).
K
Praxistipp: Wegen der Rechtskraftwirkung, die die (negative) Feststellungsklage entfaltet (s. Rz. 209), ist sorgsam zu bedenken, ob auf eine Teilklage mit einer negativen Feststellungs-Widerklage reagiert wird. Hat sich der Kläger völlig unsubstanziiert angeblich bestehender Ansprüche
Vorwerk
305
256
ZPO
M 15.49
Kap. 15 Rz. 257
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.50
ZPO
berühmt, sollte wegen der Beweislastverteilung, die für die negative Feststellungsklage gilt (s. Rz. 214), aus prozesstaktischen Gründen die Klage jedoch sogleich erhoben werden. f) Feststellung eingetretenen Annahmeverzugs
257 Eine Klage auf Feststellung des Annahmeverzugs bei Zug-um-Zug-Leistung wird von der hM wegen der Bestimmung der §§ 756, 765 ZPO zugelassen. Bei Klageanträgen, die auf Leistung Zug um Zug lauten, ist daher stets zu prüfen, ob auch die Feststellung begehrt werden kann, dass sich der Beklagte im Annahmeverzug befindet. Ist das bei Klageerhebung noch nicht der Fall, ist zu überlegen, ob der Annahmeverzug ggf. noch während des Laufs des Verfahrens herbeigeführt und der Feststellungsantrag nachgeschoben (§ 261 Abs. 2 ZPO) werden kann (s. hierzu Rz. 102 f., 107 sowie M 15.16; ferner Kap. 77 Rz. 6 ff., 28 ff. sowie M 77.3 und M 77.6). 4. Bei in der Zwangsvollstreckung auftretenden Problemen
258 Liegt ein rechtskräftiger Leistungstitel vor und ist dessen Auslegung streitig, lässt sich über eine Feststellungsklage eine Entscheidung darüber herbeiführen, wie der Leistungstitel auszulegen ist. In die Verlegenheit, eine entsprechende Leistungsklage erheben zu müssen, kommt der Kläger des Vorprozesses etwa dann, wenn bei einem Herausgabeanspruch die herauszugebende Sache nicht so genau beschrieben worden ist, dass dem Gerichtsvollzieher die Vollstreckung ermöglicht wird.
259 Als Beispiel mögen dafür die Anträge in M 15.22 gelten. Wäre bei der Antragsformulierung darauf verzichtet worden, das im Antrag genannte Foto oder die im Antrag genannte Detailskizze zum Gegenstand des verurteilenden Tenors zu machen, könnte die Vollstreckung nicht durchgeführt werden, wenn sich der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Vollstreckung keine Gewissheit von der Identität des herauszugebenden Gegenstands verschaffen kann; etwa weil zwei ähnliche Teppiche oder zwei ähnliche Skulpturen beim Vollstreckungsschuldner vorhanden sind. In diesem Fall lässt sich über die Feststellungsklage nachbessern:
260 M 15.50 Feststellungsklage bei in der Zwangsvollstreckung auftretenden
Problemen, fehlende Vollstreckbarkeit1 … beantrage ich, festzustellen, dass sich die durch die Entscheidung des Landgerichts … – Az. …, ausgeurteilte Herausgabepflicht des Beklagten auf die Skulptur „Tanzender Harlekin“, geschaffen von … erstreckt, bei der die Beine der Skulptur die Haltung aufweisen, die in der dieser Klage beigefügten Detailskizze, die zum Gegenstand des Tenors der zu erlassenden Entscheidung zu machen ist, wiedergegeben ist. Zur Begründung führe ich an: Der Beklagte ist durch die rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts … – Az. … – vom … verurteilt worden, dem Kläger die Skulptur „Tanzender Harlekin“, geschaffen von … herauszugeben. In jenem Rechtsstreit hat der Kläger in der Klage im Einzelnen erläutert, dass sich die Herausgabepflicht auf die Skulptur erstreckt, die im vorstehenden Klageantrag beschrieben ist. Ich verweise dazu auf den im Verfahren Az. … vorgelegten Schriftsatz und die jenem Schriftsatz seinerzeit beigefügte Detailskizze, die mit der jetzt vorgelegten Detailskizze völlig identisch ist. Beweis: Akten des Verfahrens Landgericht … – Az. … Die im Rahmen der Herausgabeklage dem Schriftsatz vom … beigefügte Detailskizze hatte der Kläger deshalb nicht zum Gegenstand des Klageantrages gemacht, weil der Kläger wusste, dass sich die Zweite von … geschaffene Skulptur „Tanzender Harlekin“, die sich von der herauszugebenden nur in der Beinhal-
306
Vorwerk
M 15.50
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 262 Kap. 15
ZPO
tung unterscheidet, nicht in den Händen des Beklagten befindet. Jene Skulptur bot seinerzeit zwar der Kunsthändler … zum Verkauf an. Beweis: … Der Kläger rechnet jedoch nicht damit, dass dem Beklagten dies bekannt war. Nach Rechtskraft des im Verfahren Landgericht … – Az. … – ergangenen Urteils hat der vom Kläger beauftragte Gerichtsvollzieher die Vollstreckung aus dem zugunsten des Klägers ergangenen Herausgabetitel nicht durchführen können. Der Beklagte führte den Gerichtsvollzieher, wie der Kläger vom Gerichtsvollzieher weiß, zwar freundlich lächelnd zu zwei Skulpturen, die beide von … geschaffen sind und jeweils einen „Tanzenden Harlekin“ darstellen, erklärte dem Gerichtsvollzieher jedoch alsdann, er, der Beklagte, wisse nicht, auf welche Skulptur sich die Herausgabepflicht erstrecke. Beweis: … Der Gerichtsvollzieher ist daraufhin unverrichteter Dinge abgezogen, weil er aus dem Titel selbst die Identität der herauszugebenden Skulptur auch nicht hat feststellen können. Dem Kläger hat der Gerichtsvollzieher alsdann das als Anlage … beigefügte Protokoll über den Vollstreckungsversuch übermittelt. Da die Vollstreckung aus dem zugunsten des Klägers ergangenen Herausgabetitel nicht möglich ist, weil der Gerichtsvollzieher anhand des Tenors nicht identifizieren kann, welche der beiden sich im Besitz des Beklagten befindenden Skulpturen „Tanzender Harlekin“ der Beklagte herauszugeben hat, besteht ein alsbaldiges Feststellungsinteresse seitens des Klägers daran, dass die Herausgabepflicht des Beklagten auf die Skulptur konkretisiert wird, die Gegenstand des im Verfahren Landgericht … – Az. … – ergangenen Urteils war. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Im Anschluss an den Klageantrag in M 15.21.
5. Bei Streit über die Erfüllung der Zug-um-Zug-Leistung Hat der Kläger eine Verurteilung des Beklagten zur Leistung Zug um Zug erreicht, könnte sich für den Kläger die Durchsetzung des erlangten Titels wegen der Bestimmungen des §§ 756, 765 ZPO als unmöglich erweisen, sofern die dem Vollstreckungsschuldner gebührende Leistung vom Gerichtsvollzieher nicht in einer den Vollzug der Annahme begründenden Weise angeboten werden kann oder sich der Verzug der Annahme nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden führen lässt, wenn dem Vollstreckungsgläubiger nicht die Möglichkeit gegeben würde, ein Feststellungsurteil darüber zu erwirken, dass er seine im Rahmen der Zug-um-Zug-Leistung ausgesprochene Pflicht erfüllt hat (vgl. auch BLAH/Hartmann § 756 ZPO Rz. 6).
261
In der Praxis bedeutsam ist in diesem Zusammenhang etwa die Verurteilung des Auftraggebers zur Zahlung von Werklohn Zug um Zug gegen die Beseitigung eines Mangels, die dem Werkunternehmer im Zeitpunkt der Verurteilung des Auftraggebers noch oblegen hat. Lautet der Titel folglich
262
„Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger … Euro Zug um Zug gegen Beseitigung des Mangels … zu zahlen“, muss für den Kläger Gelegenheit bestehen, einen nach Erlass des Titels auftretenden Streit über die Beseitigung des Mangels zu klären. Dem Vollstreckungsschuldner ist daran gelegen, die Beseitigung des Mangels zu leugnen, da er bis zur Feststellung der Beseitigung seiner Zahlungspflicht nicht nach-
Vorwerk
307
ZPO
Kap. 15 Rz. 263
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.51
kommen muss und der Vollstreckungsgläubiger aus dem ergangenen Titel nicht vollstrecken kann. In diesem Fall kann der Vollstreckungsgläubiger Feststellungsklage wie folgt erheben:
263 M 15.51 Feststellungsklage bei Streit über die Erfüllung der Zug-um-Zug-Leistung … beantrage ich, festzustellen, dass der Kläger die ihm aus dem Bauvertrag vom … obliegende Pflicht zur Mängelbeseitigung, wie sie Gegenstand der Zug-um-Zug-Leistung im Tenor des Urteils des Landgerichts … – Az. … – vom … ist, erfüllt hat. Zur Begründung führe ich an: … (es folgt zunächst die Darstellung, dass der Kläger im vorangegangenen Verfahren den auf Zug-umZug-Leistung lautenden Titel erwirkt hat; ferner, was Gegenstand des Mängelbeseitigungsanspruchs des Beklagten war, wegen dessen der Beklagte im Vorprozess die Einrede des nicht erfüllten Vertrages geltend gemacht hat). Seiner Mängelbeseitigungspflicht ist der Kläger inzwischen nachgekommen. Er hat am … (es folgen die Ausführungen zur Mängelbeseitigung). Beweis: … Der im Urteil des Vorprozesses ausgesprochenen Zahlungspflicht kommt der Beklagte jedoch trotz erfolgter Mängelbeseitigung nicht nach. Er hat dem Kläger gegenüber vielmehr im als Anlage … beigefügten Schreiben vom … erklärt, dass der Mangel, dessentwegen er im Vorprozess sein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht hat, immer noch nicht ordnungsgemäß beseitigt ist. Im Hinblick darauf hat der Kläger nunmehr ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass der Mängelbeseitigungsanspruch, der Gegenstand der Einrede des Beklagten im Vorprozess war, nunmehr erfüllt ist. Erst mit Erlass des mit der vorliegenden Feststellungsklage erstrebten Urteils ist dem Kläger die Vollstreckung aus dem im Vorprozess ergangenen Urteil möglich. Dies folgt aus §§ 756, 765 ZPO. Kosten: s. Anm. zu M 15.50.
264 K
Praxistipp: In einem Fall, wie er Gegenstand des vorstehenden M 15.51 ist, darf nicht Klage auf Feststellung erhoben werden, dass der Mangel, der Gegenstand der Einrede des nicht erfüllten Vertrages war, beseitigt ist. Jener Feststellungsantrag würde sich auf die Feststellung einer Tatsache richten; die Feststellungsklage wäre unzulässig (s. Rz. 215).
6. Feststellung des Bestehens eines Vertragsverhältnisses allgemein
265 Ist zwischen den Parteien streitig, ob zwischen ihnen ein Vertragsverhältnis zustande gekommen ist oder noch besteht, kann zum Gegenstand des Feststellungsantrages auch die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens dieses Vertragsverhältnisses insgesamt gemacht werden. Bedeutsam ist diese Möglichkeit etwa in den Fällen, in denen das wirksame Zustandekommen des Vertrages von einer der Parteien geleugnet wird oder der unstreitig zustande gekommene Vertrag angefochten oder durch Kündigung beendet worden ist und die andere Partei die Wirksamkeit der Anfechtung oder Kündigung leugnet. Da die Feststellungsklage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses zwischen den Prozessparteien, aber auch zwischen einer der Prozessparteien und einem Dritten ermöglicht (s. Rz. 220, 221), ist bei der Formulierung des Klageantrages ebenfalls entsprechend zu differenzieren.
308
Vorwerk
M 15.53
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 269 Kap. 15
Wird die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses zum Beklagten begehrt, lautet der Antrag wie folgt:
266
M 15.52 Klage zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des
267
Rechtsverhältnisses zum Beklagten … beantrage ich, festzustellen, dass der am … zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag über die Räumlichkeiten Werderstraße 23, zweites Obergeschoß rechts, in Ulm, wirksam zustande gekommen ist. Oder: … beantrage ich, festzustellen, dass das zwischen den Parteien über den Baukran … am … geschlossene Mietverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom … nicht beendet worden ist. Oder: … beantrage ich, festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag vom … über … aufgrund der vom Kläger mit Schreiben vom … erklärten Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist.
b) Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und einem Dritten Wird die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtverhältnisses zwischen einer der Prozessparteien – dem Beklagten oder dem Kläger als Widerbeklagten – und einem Dritten begehrt, ist der Klageantrag wie folgt zu formulieren:
268
M 15.53 Klage zur Feststellung des Bestehens eines Vertragsverhältnisses
269
zwischen dem Beklagten und einem Dritten … beantrage ich, festzustellen, dass der zwischen dem Beklagten und Georg Gauner geschlossene Kaufvertrag über den Teppich … unwirksam ist. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger hat den Beklagten beauftragt, anlässlich dessen Reise nach Süddeutschland einen Teppich der Provenienz … zu erwerben. Beweis: … Von der Reise zurückgekehrt, hat der Beklagte dem Kläger erklärt, er habe mit Georg Gauner entsprechend dem ihm, dem Beklagten, erteilten Auftrag den Teppich … zum Preis von 20.000 Euro erworben. Der Teppich werde am … in Berlin eintreffen. Der Kläger möge sich darauf einstellen, dem Beklagten alsdann die 20.000 Euro zu zahlen, die der Beklagte dem Zeugen Georg Gauner für den Teppich zahlen müsse.
Vorwerk
309
ZPO
a) Vertragsverhältnis zum Beklagten
Kap. 15 Rz. 270
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.53
ZPO
Beweis: … Inzwischen hat der Kläger erfahren, dass es sich bei dem vom Beklagten beim Zeugen Georg Gauner erworbenen Teppich … um ein minderwertiges Imitat handelt, das in jedem Kaufhaus zum Preis von nicht mehr als 500 Euro zu erwerben ist. Der Beklagte hat dies dem Zeugen … anlässlich eines gemeinsamen Gaststättenbesuches erläutert. Darüber hinaus hat der Beklagte dem Zeugen … erklärt, er – der Beklagte – und Georg Gauner seien sich bei Abschluss des Kaufvertrages, über den sie die als Anlage … überreichte Vertragsurkunde ausgefertigt haben, darüber einig geworden, dass es ihr – des Beklagten und Georg Gauners – gemeinsames Ziel sein müsse, den Kläger „über den Tisch zu ziehen“ … (es folgen weitere Ausführung zum kollusiven Verhalten des Beklagten, durch das die Nichtigkeit der zwischen dem Beklagten und Georg Gauner geschlossenen Vertrages begründet wird; s. dazu BGH WM 2014, 628; NJW 1989, 26, 27; NJW-RR 1989, 642; MüKo.BGB/Schubert § 164 ZPO Rz. 212; Staudinger/Sack/Fischinger, 2017, § 138 ZPO Rz. 495). … An der begehrten Feststellung hat der Kläger ein alsbaldiges Feststellungsinteresse. Dieses Interesse folgt aus der Pflicht des Klägers gegenüber dem Beklagten, Ersatz der Aufwendungen zu leisten, die der Beklagte in Erfüllung des vom Kläger erteilten Auftrages getätigt hat (§ 670 BGB). Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger geleugnet, dass es sich bei dem erworbenen Teppich um ein „billiges Imitat“ handelt; er hat außerdem in Abrede genommen, mit dem Zeugen Georg Gauner kollusiv zusammengewirkt zu haben, um dem Kläger Schaden zuzufügen. Kosten: s. Anm. zu M 15.50.
270 K
Praxistipp: Das vorstehende M 15.53 verdeutlicht, dass die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses zwischen einer Prozesspartei und einem Dritten nur die Vorfrage für das den Kläger wirklich interessierende Rechtsverhältnis – nämlich seine Pflicht zur Erstattung von Aufwendungen – klärt. Über den Antrag, „festzustellen, dass der Kläger dem Beklagten den Kaufpreis aus dem Kaufvertrag … mit … nicht als Aufwendung aufgrund des dem Beklagten am … erteilten Auftrages zu erstatten hat“, wird das Rechtsverhältnis zum Beklagten demgegenüber abschließend geklärt (s. Rz. 221).
7. Feststellung der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde
271 Die durch § 256 Abs. 1 ZPO ebenfalls geschaffene Möglichkeit, die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde durch richterliche Entscheidung feststellen zu lassen, hat in der Praxis keine Bedeutung. Die Feststellung der Echtheit schließt – darin erschöpft sie sich zugleich – zwischen den Parteien in einem späteren Prozess lediglich den Gegenbeweis der Unrichtigkeit der Urkunde aus (BGH, NJW 2008, 1303; Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 6). Die Klage schließt auch nicht die Beurteilung der Frage ein, ob derjenige, der die Urkunde unterzeichnet hat, etwa zum Abschluss des in der Urkunde verbrieften Vertrages Vollmacht hatte. Echtheit iS des § 256 Abs. 1 ZPO ist nur die Echtheit, die Gegenstand der §§ 267 ff. StGB ist (Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 6). Wegen der fehlenden praktischen Bedeutung wird deshalb auch auf die Wiedergabe eines Musters für eine entsprechende Klage verzichtet. 8. Zwischenfeststellungsklage, Zwischenfeststellungs-Widerklage
272 Bei Formulierung des Antrages für die Zwischenfeststellungsklage ist gegenüber dem Antrag im Rahmen der in § 256 Abs. 1 ZPO geregelten Feststellungsklage darauf zu achten, dass Gegenstand der 310
Vorwerk
M 15.54
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 274 Kap. 15
ZPO
Zwischenfeststellungsklage nur das vorgreifliche Rechtsverhältnis sein kann. Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Pflichten wird der Antrag daher in der Regel nicht lauten können. Es ist vielmehr das Rechtsverhältnis, aus dem der Anspruch der Hauptklage folgt, selbst zum Gegenstand des Antrages zu machen. Im Rahmen der Begründung des Klageantrages sollten die besonderen Prozessvoraussetzungen der Zwischenfeststellungsklage (s. Rz. 229 ff.) zweckmäßigerweise im Einzelnen dargetan werden. a) Zwischenfeststellungsklage Da für die Zulässigkeit der Zwischenfeststellungsklage die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien nicht bereits erschöpfend regeln darf (s. Rz. 232), ist vor Erhebung der Zwischenfeststellungsklage und der Zwischenfeststellungswiderklage zu prüfen, ob aus der streitigen Rechtsbeziehung über die in der Hauptklage anhängigen Ansprüche hinaus möglicherweise weitere Ansprüche erwachsen können (s. Rz. 218).
273
M 15.54 Zwischenfeststellungsklage
274 Klage1 und
Zwischenfeststellungsklage In Sachen …/… (Langrubrum) beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, an die Sparkasse Pirmasens, …, am 1.9.2017 auf das dort zu Lasten der Parteien geführte Darlehenskonto Nr. … den Betrag von 30.000 Euro zu zahlen. Darüber hinaus beantrage ich, im Wege der Zwischenfeststellungsklage festzustellen, dass die zwischen den Parteien am 1.7.2017 getroffene Vereinbarung über die Übernahme folgender Verbindlichkeiten der Klägerin durch den Beklagten wirksam ist: a) Kreditvertrag mit der Sparkasse Pirmasens vom 16.4.2004 über ursprünglich 70.000 Euro; b) … c) … Zur Begründung führe ich aus: Der Beklagte ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Bauer GmbH mit Sitz in Pirmasens. Bis zur Trennung der Parteien hat die Klägerin, die vom Beklagten inzwischen geschieden ist, in der Bauer GmbH mitgearbeitet. Um verschiedene Investitionen durchzuführen, benötigte die Bauer GmbH Kapital, das sie sich mangels ausreichender Bonität jedoch nicht bei ihrer Hausbank oder einer anderen Bank beschaffen konnte. Der Beklagte bat die Klägerin deshalb, die im Antrag der Zwischenfeststellungsklage zu Buchst. a) bis c) aufgeführten Darlehensverträge abzuschließen. Er stellte der Klägerin in diesem Zusammenhang in Aussicht, sie alsbald als Gesellschafterin in der Bauer GmbH aufzunehmen; wobei zwischen den Parteien allerdings keinerlei Absprachen darüber getroffen worden sind, wie das hätte geschehen sollen. Mit der Trennung der Parteien haben beide Parteien von der Idee, dass die Klägerin Gesellschafterin der Bauer GmbH werden solle, Abstand genommen. Zugleich hat sich der Beklagte in der am 1.7.2017 getroffenen Vereinbarung, die ich als Anlage … anbei überreiche, verpflichtet, die Verbindlichkeiten zu übernehmen, die die Klägerin im Zusammenhang mit der Beschaffung von Kapital für die Bauer GmbH eingegangen ist und die im Antrag der Zwischenfeststellungsklage
Vorwerk
311
Kap. 15 Rz. 275
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.54
ZPO
im Einzelnen aufgeführt sind. Über die Scheidungsfolgen haben sich die Parteien am 23.8.2017 in notarieller Verhandlung geeinigt. Ich überreiche dazu als Anlage … die notarielle Urkunde, vom selben Tage, die der Notar … errichtet hat. In die Scheidungsfolgenvereinbarung ist auch die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien einbezogen worden, wie aus der überreichten notariellen Urkunde ersichtlich ist. Der Beklagte vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, mit der Scheidungsfolgenvereinbarung sei die am 1.7.2017 getroffene Vereinbarung stillschweigend aufgehoben; die Scheidungsfolgenvereinbarung habe die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien abschließend und endgültig unter Aufhebung sämtlicher zuvor getroffener Vereinbarungen geregelt. Das ist jedoch nicht richtig. Die Scheidungsfolgenvereinbarung erfasst, soweit es die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien angeht, nur die Ansprüche, die der Klägerin aus dem ehelichen Güterrecht zustehen. Über das eheliche Güterrecht hinaus erstreckt sich die Vereinbarung insoweit mithin nicht. Deshalb gilt auch weiterhin die Regelung, die die Parteien am 1.7.2017 getroffen haben … (wird weiter ausgeführt). Wie der Vereinbarung vom 1.7.2017 zu entnehmen ist, war zwischen den Parteien ursprünglich geplant, dass die Kredit gebenden Banken, mit denen die Klägerin die Darlehensverträge abgeschlossen hatte, die zwischen den Parteien vereinbarte Schuldübernahme hatten genehmigen sollen. Die Genehmigung hat jedoch keine der Kredit gebenden Banken erteilt, so dass die am 1.7.2017 zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung unter ihnen als Erfüllungsübernahme im Sinne des § 415 Abs. 3 BGB gilt. Der Beklagte hat deshalb auch am 1.9.2017 an die Sparkasse Pirmasens den in der (Haupt-)Klage erwähnten Betrag von 30.000 Euro zu zahlen. Dabei ergibt sich die Zulässigkeit der (Haupt-)Klage insoweit aus § 259 ZPO … (wird ausgeführt). Kosten: s. Anm. zu M 15.50. 1 Gegenstand des M 15.54 ist nicht die Frage, ob der unter dem Begriff „Klage“ anhängig gewordene Rechtsstreit in die Spruchkörperzuständigkeit der Zivilabteilung oder des Familiengerichts gehört. Der Streit ist gem. § 17a Abs. 6 GVG in entsprechender Anwendung des § 17a Abs. 1–5 GVG zu klären. Ist die Zuständigkeit des Familiengerichts begründet, weil es sich um eine sonstige Familiensache iSv. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt, ist § 113 Abs. 5 FamFG im Hinblick auf die Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten und des Petitums zu beachten.
275 K
Praxistipp: Das aus dem Antrag ersichtliche Begehren befasst sich nicht mit der Frage, ob Rechtshängigkeitszinsen gefordert werden können. Dazu s. Rz. 39 ff. und M 15.2.
b) Zwischenfeststellungs-Widerklage
276 Wehrt sich der Beklagte gegen den mit der (Haupt-)Klage geltend gemachten Anspruch unter Hinweis darauf, dass das jenem Anspruch zugrunde liegende vorgreifliche Rechtsverhältnis nicht besteht, kann er die Feststellung des Nichtbestehens jenes Rechtsverhältnisses im Rahmen einer Zwischenfeststellungs-Widerklage begehren. Jene Widerklage folgt in ihrer Begründung spiegelverkehrt dem M 15.54. Die Widerklage (s. dazu auch Kap. 21) weist insoweit folglich keine Besonderheiten auf. Das gilt allerdings nicht für die Zwischenfeststellungs-Widerklage, die im Zusammenhang mit einer vom Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung erhoben wird (s. dazu Rz. 230); sie ist als Hilfs-Widerklage zu formulieren und wie folgt zu begründen:
312
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 278 Kap. 15
M 15.55 Zwischenfeststellungs-Widerklage betreffend den Gegenstand der
277
Hilfsaufrechnung … beantrage ich, die Klage abzuweisen. Zugleich erhebe ich hiermit eine Zwischenfeststellungsklage in Form der Hilfs-Widerklage mit dem Antrag, festzustellen, dass der zwischen den Parteien am … geschlossene Mietvertrag vom … durch die fristlose Kündigung des Klägers mit Schreiben vom … nicht beendet worden ist. Zur Begründung führe ich an: Der mit der Klage behauptete Anspruch des Klägers auf Zahlung von 3.000 Euro besteht nicht … (es folgen die Ausführungen, die den Klageanspruch leugnen). Hilfsweise erklärt der Beklagte gegenüber dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch die Aufrechnung mit Mietzinsansprüchen für die Monate Juli, August und September 2017 iHv. je 1.000 Euro, mithin insgesamt 3.000 Euro. … (es folgen die Ausführungen zum Zustandekommen jenes Mietvertrages und der Vortrag, dass der Kläger den Mietvertrag mit Schreiben vom … fristlos gekündigt hat). Die vom Kläger erklärte fristlose Kündigung ist unwirksam; dem Kläger steht kein wichtiger Grund zur Kündigung des Mietvertrages zur Seite … (Es folgen die entsprechenden Ausführungen, aus denen dies zu entnehmen ist). Im Wege der Zwischenfeststellungsklage, die als Hilfs-Widerklage erhoben wird, begehrt der Beklagte deshalb zugleich die mit dem Widerklageantrag begehrte Feststellung. Der Fortbestand des Mietverhältnisses nach Ausspruch der fristlosen Kündigung durch den Kläger ist für das Bestehen der Aufrechnungsforderung – Pflicht zur Mietzinszahlung für die nach dem Ausspruch der Kündigung fällig gewordenen Mietzinsen – vorgreiflich. Die Zulässigkeit der Zwischenfeststellungsklage folgt demnach aus § 256 Abs. 2 ZPO. Als Hilfs-Widerklage ist der Widerklageantrag deshalb formuliert, weil über das Fortbestehen des Mietverhältnisses auch nach der vom Kläger ausgesprochenen Kündigung – als vorgreifliches Rechtsverhältnis – nur dann eine Feststellung zu treffen ist, wenn es auf die hilfsweise erklärte Aufrechnung ankommt. Das ist lediglich dann der Fall, wenn die Einwendungen des Beklagten gegen die Klageforderung nicht durchgreifen sollten. Die Hilfs-Widerklage ist demnach von der innerprozessualen Bedingung abhängig, dass der Kläger – ohne Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung – mit seiner Klageforderung durchdringen sollte. Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
c) Drittwiderklage als Zwischenfeststellungsklage Ist eine abgetretene Teilforderung Gegenstand der Klage, kann der Beklagte ein Interesse daran ha- 278 ben, dass innerhalb des anhängigen Rechtsstreits geklärt wird, ob das vorgreifliche Rechtsverhältnis, aus dem die Klageforderung hergeleitet wird, besteht oder nicht besteht. Im Falle einer dem Kläger teilweise abgetretenen Klageforderung kann der Beklagte die Zwischenfeststellungsklage deshalb auch auf den Dritten erstrecken, der Inhaber des restlichen Teils der jeweiligen Forderung ist (s. Rz. 220, 221).
Vorwerk
313
ZPO
M 15.55
ZPO
Kap. 15 Rz. 279
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.56
279 M 15.56 Zwischenfeststellungsklage als Drittwiderklage Lautet die Klage Klage In Sachen …/… (Langrubrum) beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 1.000 Euro nebst … Zinsen seit dem … zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger macht aus abgetretenem Recht den erstrangigen Teilbetrag aus einer Kaufpreisforderung gegen den Beklagten geltend. Der Beklagte hat mit dem Zeugen Hermann Meier, Müllerstraße 17, 98135 Bierhütte einen Kaufvertrag über das Fahrzeug VW polizeiliches Kennzeichen …, Fahrgestell-Nummer … geschlossen und darin einen Kaufpreis für das Fahrzeug iHv. 5.000 Euro vereinbart. Zum Beweise hierfür überreiche ich anbei als Anlage … das Original des Kaufvertrages, den der Beklagte und der Zeuge Hermann Meier unterzeichnet haben. Die Übergabe des Fahrzeugs hat bisher nicht erfolgen können. Der Beklagte weigert sich, das Fahrzeug zu übernehmen … (wird ausgeführt). Er behauptet, der Zeuge Hermann Meier habe ihn bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig getäuscht. Das ist jedoch nicht zutreffend … (wird ausgeführt). Im Hinblick darauf steht dem Kläger – aus abgetretenem Recht – der erstrangige Kaufpreisteil iHv. 1.000 Euro zu, der mit der Klage geltend gemacht wird. Die Abtretung selbst folgt aus der als Anlage … im Original beigefügten Abtretungserklärung des Zeugen Hermann Meier. reagiert der Beklagte wie folgt: Drittwiderklage und Klagebeantwortung In Sachen …/… (Langrubrum) erhebe ich hiermit Zwischenfeststellungsklage im Wege der Drittwiderklage gegen den Kraftfahrzeughändler Hermann Meier, Müllerstraße 17, 98135 Bierhütte, mit dem Antrag, festzustellen, dass der zwischen dem Beklagten und dem Drittwiderbeklagten – Hermann Meier – am … geschlossene Kaufvertrag über das Fahrzeug VW polizeiliches Kennzeichen …, FahrgestellNummer … aufgrund der vom Beklagten mit Schreiben vom … erklärten Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Im Verhältnis zum Kläger stelle ich den Antrag, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger kann mit der Klageforderung nicht durchdringen. Der Beklagte hat den mit dem Zeugen Herman Meier am … geschlossenen Kaufvertrag über das im Antrag der Zwischenfeststellungswiderklage erwähnte Fahrzeug wirksam angefochten … (es folgen die entsprechenden Ausführungen).
314
Vorwerk
M 15.57
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 283 Kap. 15
Der Klageanspruch besteht demgemäß nicht.
ZPO
Mit der als Drittwiderklage erhobenen Zwischenfeststellungsklage begehrt der Beklagte im Verhältnis zum Drittwiderbeklagten die mit dem angekündigten Klageantrag begehrte Feststellung, um mit Rechtskraftwirkung auch im Verhältnis zu ihm feststellen zu lassen, dass das Rechtsverhältnis, das dem Klageanspruch zugrunde liegt, nichtig ist (§ 142 BGB). Die Vorgreiflichkeit jenes Rechtsverhältnisses für den Klageanspruch liegt auf der Hand; weitere Ausführungen dazu erübrigen sich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Zwischenfeststellungsklage auch als Drittwiderklage zulässig (BGH NJW 2011, 2195 Rz. 20). Bedenken gegen die Zulässigkeit der Drittwiderklage bestehen somit nicht. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
K
Praxistipp: Hat der Dritte die Teilforderung, die Gegenstand der Klage ist, abgetreten, um selbst als Zeuge für das Bestehen der Forderung zur Verfügung zu stehen, kann über die Zwischenfeststellungsklage als Drittwiderklage (s. Rz. 230) dem Dritten die Stellung als Zeuge genommen werden, weil er über die Einbeziehung in das Verfahren Partei geworden ist.
280
9. Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage Erhebt der Kläger Klage mit einem Feststellungsantrag und zieht sich das Verfahren über längere Zeit 281 hin, kann ihm daran gelegen sein, anstelle des Feststellungsantrages nunmehr einen Leistungsantrag rechtshängig zu machen. Das ist problemlos möglich. Der Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage ist nicht als Klageänderung iS des § 263 ZPO, die der Zulassung als sachdienlich bedarf, anzusehen. Dies folgt aus § 264 Nr. 2 ZPO (BGH NJW-RR 2002, 283). Der Kläger sollte daher, hat er zunächst nur eine Feststellungsklage im Hinblick auf die noch nicht abgeschlossene Schadensentwicklung (s. Rz. 224) rechtshängig gemacht, im Laufe des Verfahrens prüfen, ob er vollends zur Leistungsklage übergehen kann und will.
K
Wichtig: Da § 264 Nr. 2 ZPO der Regelung des § 533 ZPO vorgeht (BGH NJW 2004, 2152 = BGHZ 158, 295), ist der Übergang zur Leistungsklage auch in der Berufungsinstanz problemlos möglich, wenn sich die Tatsachen, die den Übergang zur Leistungsklage ermöglichen, nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Richter erster Instanz ereignet haben.
M 15.57 Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage
282
283
… beantrage ich nunmehr, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger … Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen. Zur Begründung führe ich an: Der Kläger hat bisher mit der Klage den Anspruch auf Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten verfolgt. Er ist nunmehr in der Lage, den Schaden der Höhe nach vollends zu beziffern. Dazu im Einzelnen: … (es folgen die Ausführungen zur Höhe des Schadens). Der Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage ist gem. § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen (BGH NJW 1992, 2296). Prozessuale Bedenken gegen die Änderung des Klagebegehrens bestehen folglich nicht; der Zulassung des geänderten Klagebegehrens als sachdienlich bedarf es nicht. … (Es folgen Ausführungen zum Zinsanspruch).
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Kap. 15 Rz. 284
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.58
ZPO
284 Selbstverständlich ist es auch möglich, im Laufe des Verfahrens lediglich wegen eines Teils des Schadens auf den Leistungsantrag überzuwechseln und wegen des darüber hinausgehenden weiteren Schadens das bisherige Feststellungsbegehren weiter zu verfolgen. Der Klageantrag entspricht in jenem Fall dem M 15.46.
VII. Abänderungsklage, Klagenhäufung 285 Die Abänderungsklage und die Klagenhäufung sind jeweils Gegenstand eines eigenen Kapitels. Wegen der Abänderungsklage sind die Ausführungen und Muster im Kap. 76 zu beachten; die Klagenhäufung ist Gegenstand der Erörterung im Kap. 16.
VIII. Weitere bei Klageerhebung sinnvoll zu stellende Anträge 1. Für den Fall der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens
286 Veranlasst der Vorsitzende das schriftliche Vorverfahren (§ 272 Abs. 2 ZPO), hat er den Beklagten mit der Zustellung der Klage aufzufordern, binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht schriftlich anzuzeigen, dass er sich – sofern er dies tun will – gegen die Klage verteidigen wolle. Versäumt der Beklagte die Verteidigungsanzeige, erlässt das Gericht auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil gem. § 331 Abs. 3 ZPO, sofern für den Erlass des Versäumnisurteils im Übrigen die Voraussetzungen gegeben sind (s. dazu Kap. 34 Rz. 9). Zeigt der Beklagte auf die Aufforderung gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht an, dass er sich gegen die Klage verteidigen wolle, erklärt er vielmehr, dass er den Anspruch des Klägers ganz oder zum Teil anerkenne, ist er, auch ohne dass der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hat, ohne mündliche Verhandlung dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen (§ 307 Satz 2 ZPO). S. auch Kap. 36 Rz. 3.
287 Weil nicht abzusehen ist, ob das schriftliche Vorverfahren angeordnet wird, sollte, da der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils von einer innerprozessualen Bedingung abhängig ist, und der Hinweis auf § 307 Satz 2 ZPO nicht schadet, in einer Übergangszeit vielmehr sogar nützlich sein kann, die Klage stets mit folgenden Anträgen verbunden werden:
288 M 15.58 Anträge für den Fall der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens … Ferner beantrage ich, für den Fall der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens 1. im Falle eines Anerkenntnisses des Beklagten gem. § 307 Satz 2 ZPO zu verfahren, 2. nach Ablauf der Frist des § 276 Abs. 1 ZPO unter den Voraussetzungen des § 331 Abs. 3 ZPO ein Versäumnisurteil zu erlassen. Zur Begründung des Klageantrages führe ich an: …
2. Art der Sicherheitsleistung
289 § 708 ZPO bestimmt, welche Urteile ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären sind. § 709 ZPO besagt, dass alle anderen Urteile nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden können. Darüber hinaus ist § 709 Satz 3 ZPO zu entnehmen, wie mit der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit zu verfahren ist, wenn das Urteil ein Versäumnis316
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M 15.59
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 294 Kap. 15
ZPO
urteil aufrechterhalten hat. § 711 ZPO regelt die Abwendungsbefugnis des Schuldners, wobei wiederum über eine Sicherheitsleistung zu befinden ist. Das gilt ebenfalls unter den Voraussetzungen des § 707 ZPO. Die Art und Höhe der Sicherheitsleistung hat das Gericht auf der Grundlage des § 108 ZPO zu bestimmen. Über die Höhe der Sicherheitsleistung muss das Gericht – nach freiem, pflichtgemäßen, durch das Rechtsmittelgericht nachprüfbaren (Zöller/Herget § 108 ZPO Rz. 3) Ermessen – entscheiden. Über die Art der Sicherheitsleistung bedarf es keiner Entscheidung, wenn die Sicherheitsleistung durch schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts gewünscht wird. Diese Art der Sicherheitsleistung ist zugelassen, wenn keine Bestimmung über die Art der Sicherheitsleistung in der Entscheidung des Gerichts getroffen ist (§ 108 Abs. 1 ZPO).
290
In § 709 ZPO ist ausdrücklich geregelt, dass es genügt, die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages anzugeben, wenn wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist.
291
Die Fassung der §§ 108, 709 ZPO zwingt zu folgendem Prozedere bei der Stellung der Anträge zur Sicherheitsleistung:
292
– Damit das Gericht nicht seinerseits die Art der Sicherheitsleistung von der Grundregel des § 108 ZPO abweichend bestimmt, sollte vorsorglich der im M 15.59 angeführte Antrag gestellt werden. – Weil nicht abzusehen ist, ob nach Erlass der Entscheidung aus dem erstrebten Titel wegen eines Teilbetrages vollstreckt werden soll, sollte der Antrag zur Sicherheitsleistung mit einem Antrag verbunden werden, der auf die Fassung des § 709 ZPO Bezug nimmt. Da jedes Urteil – weil in ihm eine Kostengrundentscheidung ergeht – wegen einer Geldforderung vollstreckbar ist, kann der Antrag zu § 108 ZPO stets mit dem Antrag zu § 709 ZPO verbunden werden. Dies wird in M 15.59 vollzogen.
M 15.59 Art der Sicherheitsleistung
293
… außerdem beantrage ich, Gelegenheit zur Sicherheitsleistung entsprechend der Grundregel in § 108 ZPO zu geben, sowie anzuordnen, dass die Sicherheitsleistung für den Fall der Vollstreckung einer Geldforderung nur in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zu leisten ist. …
K
Praxistipp: Dass Sicherheit auch durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft eines in der Euro- 294 päischen Union zugelassenen Kreditinstitutes erbracht werden kann, folgt aus der Entscheidung des EuGH v. 10.2.1994 –C-398/92, NJW 1994, 1271 (s. auch OLG Düsseldorf WM 1995, 1993; Stein/Jonas/Bork § 108 ZPO Rz. 25). Die Fassung des § 108 ZPO darf demnach nicht dahin verstanden werden, dass diese Art der Sicherheitsleistung ausgeschlossen ist. Sie bedarf lediglich einer besonderen Anordnung gem. § 108 ZPO. Siehe dazu auch Rz. 297 sowie allgemein Kap. 46 Rz. 23 ff. Die Liste der in den Mitgliedstaaten der EU zugelassenen Kreditinstitute ist gemäß Art. 20 Abs. 2 der RL 2013/36/EU (ABl. L 176 v. 27.6.2013, S. 338) regelmäßig von der European Banking Authority (EBA) zu veröffentlichen und im Internet abrufbar (abrufbar unter https:// www.eba.europa.eu/risk-analysis-and-data/credit-institutions-register, Stand: September 2018).
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317
Kap. 15 Rz. 295
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.60
ZPO
295 Ist der Beklagte selbst Großbank, Sparkasse oder Volksbank, muss im Antrag aufgenommen werden, dass die Sicherheit nicht von der Beklagten erbracht werden darf. Der Antrag lautet dann:
296 M 15.60 Art der Sicherheitsleistung; Beklagte ist ein Kreditinstitut … außerdem beantrage ich, vorsorglich anzuordnen, dass die Beklagte Sicherheit gem. § 108 ZPO nicht durch eigene Bürgschaftserklärung erbringen kann.
297 Wird die Zulassung einer besonderen Art der Sicherheitsleistung gewünscht, die nicht im Katalog des § 108 ZPO aufgeführt ist, muss dies spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung beantragt werden, da die Entscheidung über die Art der Sicherheitsleistung unanfechtbar ist, wenn kein Parteiantrag gestellt ist (Zöller/Herget § 108 ZPO Rz. 16; Musielak/Voit/Foerste § 108 ZPO Rz. 20; vgl. zur Möglichkeit einer Änderung der Sicherheit: Kap. 45 Rz. 41 ff. und M 45.11). 3. Übertragung auf den Einzelrichter
298 Im Verfahren vor dem Landgericht entscheidet der originäre Einzelrichter. Der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 ZPO enthaltene Katalog zählt nur die Streitigkeiten auf, die nicht in die originäre Einzelrichterzuständigkeit fallen.
299 K
Praxistipp: Wie zu verfahren ist, wenn im Wege der Klagehäufung Streitgegenstände, die in die Zuständigkeit des originären Einzelrichters mit anderen verbunden werden, die in den Ausnahmekatalog fallen, ist durch die Rechtsprechung bisher nicht geklärt. Einig ist sich die veröffentlichte Literatur darüber, dass im Falle anfänglicher Klagehäufung das Verfahren in den Zuständigkeitsbereich der Kammer gehört, wenn ein Streitgegenstand in den Sachgebietskatalog des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO fällt (Zöller/Greger § 348 ZPO Rz. 8; MüKo.ZPO/Stackmann § 348 ZPO Rz. 46; Vorwerk/Wolf/Fischer, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 348 ZPO Rz. 1). Bei nachträglicher Klagenhäufung oder im Falle der Klage und Widerklage besteht Streit darüber, wessen Zuständigkeit – Einzelrichter oder Kammer – begründet wird (MüKo.ZPO/Stackmann § 348 ZPO beim Einzelrichter ursprünglich begründete Zuständigkeit erfasst auch den neuen Streitgegenstand, wenn er in den Sachgebietskatalog des § 348 Abs. 2 Nr. 2 ZPO fällt; so auch Vorwerk/Wolf/Fischer, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 348 ZPO Rz. 6; aA Zöller/Greger § 348 ZPO Rz. 8: Die Zuständigkeit wechselt in die Kammerzuständigkeit). Es empfiehlt sich in diesen Fällen, die Zuständigkeit des Einzelrichters oder der Kammer, je nachdem, wer sich für zuständig erklärt (§ 348 Abs. 2 und 3 ZPO), zu rügen. Bis zur Klärung der anstehenden Frage durch den BGH ist davon auszugehen, dass § 348 Abs. 2 ZPO die Zuständigkeit der Kammer durch unanfechtbaren Beschluss zu entscheiden, nur für Zweifelsfragen über die Zuordnung des Rechtsstreits unter einen der im Katalog des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO aufgeführten Gegenstände begründet. Wegen der – bis zur Klärung durch den Bundesgerichtshof gegebenen – Möglichkeit, trotz der Regel des § 348 Abs. 2 und 4 ZPO in der Berufungsinstanz auf die fehlende Zuständigkeit gestützte Verfahrensrügen zu erheben, s. Zöller/Greger § 348 ZPO Rz. 23; dagegen Musielak/Voit/Wittschier § 348 ZPO Rz. 20 iVm. § 348a ZPO Rz. 23.
300 K
Praxistipp: Rügt der Beklagte die Zuständigkeit entsprechend den Vorgaben, Rz. 299, sollte der Kläger bis zur Klärung des unter Rz. 299 angeführten Streites die Prozesstrennung gem. § 145 ZPO anregen, wenn er selber daran interessiert ist, dass der unter Rz. 299 angeführte Streit nicht im von ihm selbst angestrengten Verfahren grundsätzlich geklärt wird und sich das Verfahren dadurch in die Länge zieht. Folgt das Gericht der Anregung der Prozesstrennung nicht,
318
Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 304 Kap. 15
sollte die Klage ggf. teilweise zurückgenommen werden, so dass der in Rz. 299 angeführte Streit nicht relevant wird. § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB ist dabei zu beachten! Die Frage, ob die Sache dem Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen ist, hat nur in den Fällen Bedeutung, in denen die originäre Einzelrichterzuständigkeit gem. § 348 Abs. 1 ZPO nicht begründet ist (§ 348a Abs. 1 ZPO). In diesen Fällen ist die Sache dem Einzelrichter zu übertragen, wenn die Sache
301
– keine grundsätzliche Bedeutung oder – keine Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. In diesen Fällen überträgt die Zivilkammer den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung. Die Entscheidung ist keine Ermessensentscheidung (s. Zöller/Greger § 348a ZPO Rz. 1; BLAH/Hartmann § 348a ZPO Rz. 16; Musielak/Voit/Wittschier § 348a ZPO Rz. 6; Vorwerk/Wolf/Fischer, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 348a ZPO Rz. 31; allerdings insoweit noch nicht durch die Rechtsprechung bestätigt), so dass Äußerungen des Klägers zur Frage, ob einer Übertragung des Rechtsstreits auf ein Mitglied der Zivilkammer als Einzelrichter Gründe entgegenstehen, nicht nur die Bedeutung einer Anregung zukommt. Es sollte deshalb auf § 348a ZPO innerhalb der Klage auch nur eingegangen werden, wenn Bedenken gegen die Übertragung des Rechtsstreits auf ein Mitglied der Zivilkammer als Einzelrichter bestehen. Zuständig ist der obligatorische Einzelrichter nämlich auch dann, wenn die Sache die Rechtsfortbildung fordert oder eine zu anderen Gerichten divergierende Entscheidung getroffen werden soll (BGH NJW 2003, 3712).
K
Wichtig: Ist bereits im Haupttermin über die Sache verhandelt worden, kommt eine Übertragung 302 auf den Einzelrichter bei einer Sache, für die die Kammerzuständigkeit grundsätzlich begründet ist (§ 348 Abs. 1 Satz 2 ZPO), nur noch unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 348a Abs. 2 Nr. 3 ZPO in Betracht.
M 15.61 Bedenken gegenüber der Übertragung des Rechtsstreits auf ein Mitglied
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der Zivilkammer als Einzelrichter … Im Übrigen bitte ich darum, von einer Übertragung der Sache auf den Einzelrichter gem. § 348a Abs. 1 ZPO abzusehen. Zur Begründung der Klage führe ich an: 1. … 2. … 3. … 4. Gegen die Übertragung der Sache auf den Einzelrichter bestehen Bedenken … (es folgen nunmehr die Ausführungen, die die Bedenken tragen und unter § 348a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO zu subsumieren sind).
4. Güteverhandlung Gemäß § 278 Abs. 2 ZPO geht der mündlichen Verhandlung eine Güteverhandlung voraus. Zur Güteverhandlung soll das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden. § 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 ZPO finden entsprechende Anwendung (§ 278 Abs. 2 ZPO). Erscheinen beide Parteien zur Güteverhandlung nicht, ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 278 Abs. 3 ZPO). Wird die Vorwerk
319
304
ZPO
M 15.61
ZPO
Kap. 15 Rz. 305
Klageanträge (und Klagebegründung)
M 15.62
Klage eingereicht, muss der Mandant deshalb auf die Güteverhandlung und seine Ladung zur Güteverhandlung vorbereitet werden.
305 M 15.62 Vorbereitung des Mandanten auf die Ladung zur Güteverhandlung … Sehr geehrte Frau Anselm, … … In unserem Gespräch, das Grundlage für die Ihnen anbei übermittelte Klage gewesen ist, hatte ich Sie schon darauf hingewiesen, dass das Gericht vor der mündlichen Verhandlung über die Klage eine Güteverhandlung durchführen wird. Zu dieser Güteverhandlung wird voraussichtlich Ihr persönliches Erscheinen angeordnet werden. Für diesen Fall werden Sie unmittelbar vom Gericht geladen werden. Seien Sie deshalb bitte nicht überrascht, wenn Sie in Kürze ein entsprechendes Schreiben vom Gericht erreicht. Werden Sie geladen, müssen Sie erscheinen; sollten Sie den Termin, dessen Datum das Gericht festsetzt, ohne uns zuvor zu hören, nicht wahrnehmen können, rufen Sie mich bitte sogleich an und geben Sie entsprechende Belege herein, über die ich dem Gericht glaubhaft machen kann, dass Sie verhindert sind, zum anberaumten Termin zu erscheinen. Erscheinen Sie zum Termin nicht, kann das Gericht gegen Sie ein Ordnungsgeld festsetzen. Zudem kann das Ruhen des Verfahrens angeordnet werden, wenn auch der vom Gericht zur Güteverhandlung etwa geladene Beklagte nicht erscheint. Alternativer Zusatz: … Wir hatten verabredet, dass zur Güteverhandlung Ihr Ehemann erscheinen soll, da er über den Sachverhalt besser informiert ist als Sie. Bitte teilen Sie mir mit, ob es bei dieser Verabredung bleiben soll, sobald Sie die persönliche Ladung erreicht. Ich werde dann von hier aus alles veranlassen, damit Sie von Ihrem persönlichen Erscheinen entbunden werden. Tragen Sie für diesen Fall allerdings Sorge dafür, dass Ihr Ehemann den Termin wahrnimmt. Weiterer alternativer Zusatz: … Ich weiß, dass Sie mit dem Beklagten sehr zerstritten sind. Denken Sie bitte daran, dass Sie in der Güteverhandlung mit dem Beklagten unmittelbar keine Auseinandersetzung führen. Antworten Sie – so wie wir es besprochen hatten – auf etwaige Fragen des Gerichts ruhig und besonnen. Sprechen Sie mich außerdem direkt – ggf. auch leise – in der Verhandlung an, wenn Sie Fragen des Gerichts nicht verstehen oder sich mit mir vor einer Antwort besprechen möchten. …
306 Hat vor einer außergerichtlichen Gütestelle ein Einigungsversuch vor Klagerhebung stattgefunden oder erscheint die Güteverhandlung aussichtslos, wird das Gericht von einer Güteverhandlung absehen (§ 278 Abs. 2 ZPO). In diesen Fällen bedarf es mithin entsprechender Hinweise in der Klageschrift.
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Vorwerk
Klageanträge (und Klagebegründung)
Rz. 310 Kap. 15
M 15.63 Absehen von der Güteverhandlung
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… beantrage ich ferner, von der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien zur Güteverhandlung sowie einer Güteverhandlung vor Eintritt in die mündliche Verhandlung abzusehen. Die Parteien haben vor der … (es folgt die Angabe der Gütestelle, s. Rz. 1) … einen Güteversuch unternommen, der erfolglos geblieben ist, wie die beigefügte Bescheinigung der … ausweist. Alternativ: … Eine Güteverhandlung sollte der mündlichen Verhandlung nicht mehr vorausgehen. Die Parteien sind heillos zerstritten … (es folgen hierzu weitere substantiierte Ausführungen). …
K
Praxistipp: Der Anwalt hat aus dem übertragenen Mandat die Pflicht, seinen Mandanten vor einem übereilten Vergleichsabschluss zu bewahren (BGH NJW 2000, 1944). Daraus folgt, dass die Güteverhandlung sorgfältig vorzubereiten ist. Der Anwalt darf sich daher auch nicht scheuen, in die Verhandlungsführung des Vorsitzenden, auch ohne selbst gefragt zu sein, einzugreifen, um den Mandanten vor einem übereilten Vergleichsabschluss zu bewahren!
308
K
Wichtig: In der Kommentarliteratur wird der Fall behandelt, ob bei Säumnis einer Partei im Gütetermin nach Übergang in die mündliche Verhandlung ein Versäumnisurteil beantragt werden kann(bejahend: Zöller/Greger § 278 ZPO Rz. 20, verneinend: Vorwerk/Wolf/Bacher, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 278 ZPO Rz. 31). Bedeutsamer ist – aus Sicht des Anwalts – jedoch, ob es die Möglichkeit gibt, den Vorsitzenden zu „zwingen“ in die mündliche Verhandlung einzutreten, wenn im Anwaltsprozess zwar die vergleichsbereite Partei, nicht aber deren Anwalt erschienen ist und das Gericht „einen Vergleich zustande bringen will“. Dem kann sich die Gegenseite unter Hinweis darauf widersetzen, dass in die mündliche Verhandlung deshalb einzutreten ist, weil Ziel der Güteverhandlung der Abschluss eines Vergleichs ist. Den Vergleich kann im Anwaltsprozess nur der Anwalt schließen. Ist der Anwalt der selbst erschienenen Partei nicht anwesend, kann demnach nicht von einem Erfolg der Güteverhandlung ausgegangen werden. Der Vorsitzende muss in die mündliche Verhandlung eintreten (vgl. § 279 ZPO).
309
5. Weitere Anträge Zu beobachten ist, dass – wenngleich selten – schon in der Klage der Antrag gestellt wird, nach Erlass des Urteils eine Zustellungsbescheinigung und eine vollstreckbare Ausfertigung der Entscheidung zu erteilen. Jene Anträge werden auch durch den Antrag ergänzt, für den Fall des Rechtsmittelverzichts das Urteil mit einem Rechtskraftzeugnis zu versehen. All diese Anträge, die das Verfahren nach Erlass des erstrebten Urteils betreffen, haben in der Klageschrift nichts zu suchen; sie werden von der Geschäftsstelle in der Regel auch übersehen, weil die Stellung der entsprechenden Anträge schon in der Klageschrift nicht zu erwarten ist.
Vorwerk
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ZPO
M 15.63
Kap. 16 Rz. 1
Klagenhäufung
ZPO
Kapitel 16 Klagenhäufung I. 1. 2. II. 1.
2.
3. III. 1.
Zulässigkeit, Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteile einer Klagenhäufung . . . . . . . . . . . Kumulative Klagenhäufung . . . . . . . . . . . Ein Lebenssachverhalt, mehrere Ansprüche . a) Ein Beklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 16.1 Kumulative Klagenhäufung . . . . b) Mehrere Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei oder mehr Lebenssachverhalte, ein Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ein Beklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mehrere Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei oder mehr Lebenssachverhalte, mehrere Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eventuelle Klagenhäufung . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 8 14 15 15 17 18 19 20 21 22 24 24
2. Ein Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . a) Qualitativ unterschiedliche Ansprüche . b) Qualitativ nur scheinbar unterschiedliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrere Lebenssachverhalte, hilfsweise gestaffelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 16.2 Eventuelle Klagenhäufung . . . . . . . IV. Alternative Klagenhäufung . . . . . . . . . . . V. Nachträgliche Klagenhäufung . . . . . . . . . VI. Streitwert, Kosten und Beschwer . . . . . . . 1. Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschwer bei der eventuellen Klagenhäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hauptantrag begründet . . . . . . . . . . . . b) Hauptantrag unbegründet, Hilfsantrag begründet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33 34 36 37 38 40 45 45 51 52 53
I. Zulässigkeit, Vorteile 1. Zulässigkeit
1 Neben der subjektiven Klagenhäufung, die sich nach §§ 59 ff. ZPO richtet, lässt § 260 ZPO die sog. objektive Klagenhäufung zu. Nach dem von der Rechtsprechung vertretenen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (der nicht mit dem weitergehenden gebührenrechtlichen Gegenstandsbegriff verwechselt werden darf) liegt eine Klagenhäufung sowohl bei mehreren Klageanträgen als auch bei mehreren Lebenssachverhalten vor. Ob nur ein Lebenssachverhalt vorliegt oder mehrere Lebenssachverhalte gegeben sind, kann im Einzelfall schwierig abzugrenzen sein. Häufig wird – auch von den Gerichten – übersehen, dass nur scheinbar ein einheitlicher Lebenssachverhalt und Antrag geltend gemacht wird (vgl. u.a. BGH NJW 2017, 61 Rz. 21: Rückabwicklungsanspruch wegen Widerrufs gem. §§ 357 Abs. 1, 346 Abs. 1, 358 Abs. 2 BGB aF und (vor-)vertraglicher Schadensersatzanspruch wegen Aufklärungsverschuldens; BGH MDR 2008, 500: Architektenhaftung wegen Planungs- und Überwachungsverschuldens; BGH NJW 1990, 1910, 1911: deliktischer und verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch; KG MDR 2007, 1412: Rücktritt und Minderung; weitere Nachweise bei Zöller/G. Vollkommer Einl. Rz. 72 f.). Liegen zwei unterschiedliche Streitgegenstände vor, ist auch der Lauf der Verjährungsfrist gesondert zu prüfen (BGH MDR 2007, 1152). Anders ist es – und keine objektive Klagenhäufung liegt vor–, wenn ein Klagebegehren auf unterschiedliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird wie zB eine Herausgabeklage auf § 546 BGB einerseits und auf § 985 BGB andererseits (das Gericht ist ohnedies frei, welche Rechtsgrundlagen es prüft) oder wenn unselbständige Rechnungsposten innerhalb der gleichen Schadensart geltend gemacht werden (vgl. Beispiel Rz. 35). Ein Sonderfall der objektiven Klagenhäufung stellt die Stufenklage (§ 254 ZPO) dar. Sie wird an anderer Stelle behandelt, s. Kap. 15 Rz. 80 ff.
2 Innerhalb der Klagenhäufung werden unterschieden – die kumulative Klagenhäufung (der Kläger macht mehrere Ansprüche gleichrangig nebeneinander geltend), – die alternative Klagenhäufung (der Kläger erhebt wahlweise den einen oder den anderen Anspruch; nur zulässig bei Wahlschulden gem. § 262 BGB; s. Kap. 15 Rz. 113), – die eventuelle Klagenhäufung (der Kläger stellt neben dem Hauptantrag einen Hilfsantrag). 322
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Klagenhäufung
Rz. 9 Kap. 16
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– Identität der Parteien: Die Ansprüche müssen vom selben Kläger gegen denselben Beklagten geltend gemacht werden. Die Identität ist auch gegeben, wenn der Kläger sowohl aus eigenem als auch aus fremdem Recht klagt, nicht aber, wenn der Kläger zum Teil eigene Ansprüche verfolgt und zum Teil Ansprüche als Partei kraft Amtes geltend macht.
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ZPO
Die Prozessvoraussetzungen sind für jeden Antrag gesondert zu prüfen (insbesondere die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, vgl. auch Kap. 11; Einzelheiten bei Zöller/Greger § 260 ZPO Rz. 1a). § 17 GVG gilt nach allgemeiner Ansicht (Musielak/Voit/Wittschier § 17 GVG Rz. 9 mwN) nicht für den Fall, dass mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden: Die Voraussetzung der Zulässigkeit des Rechtsweges muss für jeden Anspruch getrennt geprüft werden und vorliegen. Bei der kumulativen Klagenhäufung ist die Handelskammer nur zuständig, wenn für alle Klagen die Voraussetzungen gem. § 95 GVG gegeben sind (OLG Düsseldorf MDR 1996, 524; Zöller/Lückemann § 95 GVG Rz. 2 auch zur Möglichkeit der Verfahrenstrennung und Verweisung). In Fällen des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 EGZPO entfällt ein nach dem Landesgesetz bestehendes Schlichtungserfordernis nicht deshalb, weil der schlichtungsbedürftige Antrag im Rechtsstreit mit einem nicht schlichtungsbedürftigen Klageantrag verbunden wird; hinsichtlich des schlichtungsbedürftigen Antrags ist die Klage als unzulässig abzuweisen, wenn kein Schlichtungsverfahren durchgeführt wurde (BGH MDR 2009, 1127). Ist für einen Klageantrag eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gegeben (etwa gem. § 23 Nr. 2a) bzw. 2c) GVG) kann mit ihm kein Klageantrag verbunden werden, für den gem. § 23 Nr. 1 GVG – in Ermangelung einer Prorogation – das Landgericht zuständig ist. Besondere Voraussetzungen für die Klagenhäufung sind folgende:
– Dieselbe Prozessart: Für alle Ansprüche muss dieselbe Prozess- bzw. Verfahrensart gegeben sein. 5 Diese Einschränkung des § 260 ZPO will die Verbindung von unterschiedlichen Verfahren in einem Prozess verhindern, für die derart unterschiedliche Verfahrensregeln bestehen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung nicht oder nur unter Schwierigkeiten möglich ist. Ein wichtiges Kriterium sind unterschiedliche Rechtszüge für die verbundenen Klagen. Wegen zu großer Unterschiede wird eine Verbindung zwischen einem ordentlichen Erkenntnisverfahren auf der einen Seite und zB einem einstweiligen Verfügungs- und Arrestverfahren, einem Wechsel- und Scheckprozess, einem Familien- und Kindschaftsverfahren, einer Wiederaufnahmeklage auf der anderen Seite abgelehnt. Auch kann eine Familiensache nicht zusammen mit einer Nichtfamiliensache verhandelt werden (BayObLG FamRZ 2003, 1569). Dagegen soll ein ordentliches Erkenntnisverfahren mit einem Urkundenverfahren verbunden werden können (BGH MDR 2002, 406 f.; problematisch). – Kein Verbindungsverbot (zB §§ 578 Abs. 2 ZPO; § 126 Abs. 2 FamFG).
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Zur Zulässigkeit nachträglicher Klagenhäufung vgl. Rz. 40. Ist die Klagenhäufung unzulässig, erfolgt keine Abweisung als unzulässig, sondern die Verfahren sind zu trennen (§ 145 Abs. 1 ZPO) und ggf. ist ein Verfahren zu verweisen.
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2. Vorteile einer Klagenhäufung – Der Kläger ist nicht gezwungen, mehrere Ansprüche mit mehreren Klagen zu verfolgen. Die Ver- 8 bindung ist prozessökonomisch, da sie Zeit und Kosten spart; sie ermöglicht es, mehrere Ansprüche in einem Prozess abzuhandeln und über sie in einem (Güte-)Termin zu verhandeln. Tatsachenfeststellungen durch Beweisaufnahme betreffend gleicher Fragen lassen sich einheitlich treffen. Dieser Vorteil kann allerdings auch eine Kehrseite haben: Durch eine Klagenhäufung kann der Prozess „aufgebläht“ werden, was seine Erledigung verzögern kann. Es besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer Abschichtung des Verfahrens durch Erlass eines Teilurteils (§ 301 ZPO); wegen des sog. Widerspruchsverbots (vgl. BGH NJW 2017, 1197 Rz. 17) sind die diesbezüglichen Möglichkeiten aber sehr begrenzt. – Für die sachliche Zuständigkeit des Gerichts gilt § 5 ZPO, dh. zwei Ansprüche, die für sich allein betrachtet vor das Amtsgericht gehören, können durch Klagenhäufung vor das Landgericht und da-
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ZPO
Kap. 16 Rz. 10
Klagenhäufung
mit in einen anderen Instanzenzug gebracht werden; dadurch ergibt sich zugleich ein anderer Weg für das Rechtsmittelverfahren.
10 – Die Verknüpfung zweier Klagen sichert, dass Tatsachen- und Rechtsfragen, die für beide Klagen entscheidungserheblich sind, nicht widersprüchlich beantwortet werden. Die Problematik der Verwertbarkeit von Beweisaufnahmeergebnissen aus einem Parallelverfahren (vgl. § 411a ZPO für Sachverständigengutachten; BGH MDR 2013, 1184 f. für protokollierte Zeugenaussagen) wird umgangen.
11 Die kumulative Verbindung mehrerer Ansprüche und die damit gem. § 5 ZPO verbundene Addition der Gebührenstreitwerte spart wegen der Degression der Gebührentabelle Kosten. Ist es dem Kläger möglich und zumutbar, mehrere Klagen zu verbinden, können die durch eine getrennte Prozessführung bedingten Mehrkosten ggf. wegen Verstoßes gegen das sog. Kostenschonungsgebot nicht erstattungsfähig sein (BGH MDR 2013, 247). Prüfungsmaßstab für die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Klagenhäufung ist, ob aus Sicht des Klägers mit Rücksicht auf seine spezielle Situation mehrere Klagen zur angemessenen Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich und zweckmäßig sind. Dies kann der Kostenschuldner im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen (BGH MDR 2012, 1314).
12 Betreffen Haupt- und Hilfsantrag denselben Gegenstand im gebühren- bzw. kostenrechtlichen Sinne (§ 45 Abs. 1 GKG), ist für den Gebührenstreitwert nur der Streitwert des höheren Antrags maßgebend (vgl. Rz. 35), so dass die Verbindung auch aus Kostengründen sachgerecht ist, statt zwei Klagen nacheinander zu erheben.
13 – Durch eine kumulative Klagenhäufung lässt sich die erforderliche Rechtsmittelbeschwer für Berufung bzw. Nichtzulassungsbeschwerde erreichen.
II. Kumulative Klagenhäufung 14 Sie liegt vor, wenn der Kläger gegen den Beklagten mehrere Streitgegenstände bedingungslos nebeneinander in den Rechtsstreit einführt. Folgende Variationen sind denkbar: 1. Ein Lebenssachverhalt, mehrere Ansprüche. 2. Zwei Lebenssachverhalte, ein Anspruch. 3. Zwei Lebenssachverhalte, mehrere Ansprüche. 1. Ein Lebenssachverhalt, mehrere Ansprüche a) Ein Beklagter
15 Beispiele: – Klage auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und Klage auf Feststellung hinsichtlich der Verpflichtung, den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen. – Klage auf Unterlassung und Klage auf Widerruf ehrverletzender Äußerungen. – Der Unterhaltsschuldner verbindet eine Unterhaltsabänderungsklage mit einer im Laufe des Verfahrens erhobenen Leistungsklage auf Rückzahlung bereits erbrachten Unterhalts. – Klage auf Rückzahlung des Darlehens und Klage auf Zahlung der Darlehenszinsen. – bei einem Amtsgerichtsprozess: Klage auf Vornahme einer Handlung iSv. § 510b ZPO, ein Antrag auf Setzung einer vom Gericht zu bestimmenden Frist für die Erfüllung und – für den Fall, dass die Handlung nicht bis zum Ablauf dieser Frist vorgenommen ist – Anspruch auf Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Entschädigung. Der Kläger sollte einen Mindestbetrag für die Höhe der Entschädigung angeben und kann Zinsen ab dem Tag nach Fristablauf verlangen. § 510b ZPO erfasst alle Handlungen, die gem. §§ 887, 888 ZPO vollstreckt werden, nicht aber Handlungen, die in einer Zahlung oder in der Herausgabe einer Sache bestehen (vgl. § 887 Abs. 3 ZPO; OLG Köln NJW-RR 1998, 1682 f.).
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M 16.1
Klagenhäufung
Rz. 17 Kap. 16
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Praxistipp: Der Prozessbevollmächtigte muss auf die Möglichkeiten der Kostenersparnis und Verfahrensbeschleunigung bzw. -konzentration hinweisen, die bei Klagen gem. § 510b ZPO bzw. bei Herausgabeklagen gem. §§ 255, 259 ZPO bestehen.
M 16.1 Kumulative Klagenhäufung
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) Klage Ich werde
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– Klage auf Herausgabe einer Sache in Verbindung mit dem Antrag auf Fristsetzung iSv. § 255 ZPO und Klage auf Schadensersatz für den Falle der Nichterfüllung gem. § 259 ZPO, §§ 280, 281 BGB; hierbei handelt es sich auch nach Wegfall von § 283 BGB aF und der Schuldrechtsreform um einen in der Praxis immer noch bedeutsamen Fall der kumulativen Klagenhäufung, die im Einzelnen eine Reihe von Problemen aufwirft (vgl. ausf. Gruber/Lösche NJW 2007, 2815).
beantragen,1
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Buchpresse der Marke …, Typ Press X 100 herauszugeben, 2. dem Beklagten eine angemessene Frist ab Rechtskraft des Urteils zur Erfüllung der Herausgabe zu setzen, 3. den Beklagten für den Fall der Nichterfüllung zu verurteilen, 7.000 Euro nebst … % Zinsen seit dem Fristablauf zu zahlen. Begründung: 1. Der Kläger hat dem Beklagten mit Vertrag vom … eine Buchpresse der Marke …, Typ Press X 100 vermietet. Der Mietvertrag ist bis zum … befristet gewesen. Beweis: … Die Frist ist abgelaufen. Entgegen dem vorprozessualen Verteidigungsvorbringen des Beklagten haben die Parteien keine Verlängerung der Mietzeit vereinbart. 2. Der Klageantrag zu 2 rechtfertigt sich aus § 255 ZPO. … 3. Der Klageantrag ist gem. § 259 ZPO zulässig. Die zu verlangende Besorgnis wird schon dadurch indiziert, dass der Beklagte dem Herausgabeverlangen nicht nachkommt. … Der Grund des Schadensersatzanspruchs im Falle der Nichterfüllung ergibt sich aus §§ 546, 281 BGB. Das gem. § 281 Abs. 4 BGB erforderliche Verlangen nach Schadensersatz statt der Leistung ist im Klageantrag zu sehen. Nach zutreffender Ansicht ist es zulässig, das Verlangen von der Nichterfüllung der Primärverpflichtung abhängig zu machen. Die Höhe des geltend gemachten Schadens erklärt sich daraus, dass die Presse einen Neupreis von 10.000 Euro hat, sie auf 10 Jahre abzuschreiben ist und sie zzt. fast 3 Jahre alt ist. Zum Zinsanspruch ist anzumerken, dass er sich aus den Vorschriften des Verzuges rechtfertigt, der mit Ablauf der zu setzenden Frist beginnt. Die Gebühr iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Wert (im Beispielsfall): Wert der Buchpresse (= Kaufpreis) + 7.000 Euro. 1 Der Kläger verlangt mit dem Antrag zu 1 die Erfüllung und mit dem Antrag zu 3 den aus der Nichterfüllung resultierenden Schaden.
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Kap. 16 Rz. 18
Klagenhäufung
ZPO
b) Mehrere Beklagte
18 Beispiel: Leistungsklage gegen den Erben und zugleich Klage gegen den Testamentsvollstrecker auf Duldung der Zwangsvollstreckung.
2. Zwei oder mehr Lebenssachverhalte, ein Anspruch
19 Der Kläger stützt denselben Anspruch auf verschiedene Lebenssachverhalte (mehrere Klagegründe); der Anspruch kann sich gegen einen oder mehrere Beklagte richten. Wegen des Bestimmtheitserfordernisses (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) sollte – wie bei der alternativen Klagenhäufung (vgl. Rz. 38) – ein Rangverhältnis der Klagegründe angegeben werden; dies kann noch in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden (BGH NJW 2017, 61 Rz. 25). a) Ein Beklagter
20 Beispiele: – Der Kläger stützt den Anspruch in erster Linie auf eine Bürgschaft aus dem Jahr 2002, hilfsweise auf eine Bürgschaft aus dem Jahr 2003. – Der Kläger stützt die Zahlungsklage auf eigenes Recht und hilfsweise auf abgetretenes Recht oder in erster Linie auf eine abgetretene Forderung des A und in zweiter Linie auf eine abgetretene Forderung des B. – Der Kläger stützt seinen Anspruch auf Rückabwicklung eines Vertrages vorrangig auf ein Widerrufsrecht (§ 355 BGB) und nachrangig auf ein vorvertragliches Aufklärungsverschulden.
b) Mehrere Beklagte
21 Beispiel: Klage auf Zahlung gegen den Hauptschuldner und gegen den Bürgen. 3. Zwei oder mehr Lebenssachverhalte, mehrere Ansprüche
22 Der Kläger macht verschiedene Ansprüche aus verschiedenen Lebenssachverhalten geltend, die sich gegen einen oder mehrere Beklagte richten können.
23 Beispiel: Der Kläger fordert die Rückgabe von Gegenständen aus einem beendeten Leihvertrag und die Rückzahlung eines Darlehens.
III. Eventuelle Klagenhäufung 1. Allgemeines
24 Sie liegt vor, wenn der Kläger gegen den Beklagten einen unbedingten Hauptantrag sowie einen oder mehrere bedingte sog. Hilfsanträge stellt. Werden mehrere Hilfsanträge gestellt, stehen diese gleichberechtigt nebeneinander, wenn sie nicht ihrerseits in ein Bedingungsverhältnis gesetzt werden. Nach der Art der Bedingung unterscheidet man im Allgemeinen zwei Arten der eventuellen Klagenhäufung: Der Hilfsantrag wird gestellt für den Fall – der Erfolglosigkeit (= Unzulässigkeit oder Unbegründetheit) des Hauptantrags (sog. eigentliche Klagenhäufung) oder – des Erfolgs des Hauptantrags (sog. uneigentliche Klagenhäufung). Bsp.: Kündigungsschutzklage und Weiterbeschäftigungsklage oder Gehaltsnachzahlungsklage.
25 Die Bedingung kann nicht nur in einer (teilweisen) Erfolglosigkeit bzw. einem (teilweisen) Erfolg des Hauptantrags liegen, sondern auch darin, dass sich der Hauptantrag in anderer Art und Weise 326
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Klagenhäufung
Rz. 31 Kap. 16
Der Inhalt der Bedingung bedarf in Zweifelsfällen der Auslegung nach den für Prozesserklärungen maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen. Eine solche Bedingung ist zulässig, weil und soweit es sich um eine sog. innerprozessuale Bedingung handelt; unzulässig ist es, ein außerprozessuales Ereignis (zB Ausgang eines anderen Verfahrens) als Bedingung heranzuziehen. Im Falle einer unzulässigen Bedingung droht eine sofortige Abweisung des Hilfsantrags. Dem kann der Kläger in der Tatsacheninstanz durch eine Änderung der Klage dahin entgehen, dass er die Bedingung fallen lässt (BGH NJW 2007, 913, 914 Rz. 15).
ZPO
als durch eine kontradiktorische Entscheidung erledigt (zB durch Rücknahme gem. § 269 ZPO, übereinstimmende Erledigung gem. § 91a ZPO (vgl. BGH MDR 2003, 1310), Prozessvergleich gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Gleiches gilt für die Frage, ob die Bedingung auch dann erfüllt ist, wenn die Klage als unzulässig, zurzeit unbegründet oder nur teilweise abgewiesen wird.
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Für den Zuständigkeitsstreitwert ist der höhere Wert von Haupt- bzw. Hilfsantrag maßgeblich; es er- 27 folgt keine Addition (Musielak/Voit/Becker-Eberhard § 260 ZPO Rz. 57). Die uneigentliche Klagenhäufung hat insbesondere den Vorteil für den Kläger, dass er die Prozesskosten geringhalten kann bis feststeht, dass er mit seinem Hauptantrag Erfolg hat. Diese Strategie kann der Beklagte durchkreuzen, indem er eine unbedingte negative Feststellungswiderklage bzgl. des Hilfsantrags erhebt. Trotz dieser Möglichkeit wird eine uneigentliche Klagenhäufung in dem Sinne, dass eine Teilklage erhoben wird und diese um erfolgsabhängige (beliebig gestückelte) Anträge auf den Restbetrag ergänzt wird, für unzulässig erachtet (Musielak/Becker-Eberhard § 260 ZPO Rz. 19 mwN). Der Hilfsantrag kann gleichzeitig mit dem Hauptantrag in der Klagschrift gestellt werden; er kann auch später im Wege der Klageerweiterung entweder schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung durch Erklärung zu Protokoll gestellt werden (§ 261 Abs. 2 ZPO). Vgl. näher Rz. 40 ff.
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Der Hilfsantrag wird mit Zustellung der Klageschrift oder der Klageerweiterung bzw. seiner Erklärung zu Protokoll rechtshängig. Diese Rechtshängigkeit ist auflösend bedingt (vgl. § 158 Abs. 2 BGB) in dem Sinne, dass die Bedingung eintritt und die Rechtshängigkeit rückwirkend entfällt, sobald feststeht, dass die innerprozessuale Bedingung, unter der über den Hilfsantrag zu entscheiden ist, nicht mehr eintreten kann. Bei einem Hilfsantrag im Sinne einer eigentlichen Klagenhäufung, der von der Erfolglosigkeit des Hauptantrags abhängig sein soll, ist das der Fall, wenn der vorrangig geltend gemachte Anspruch rechtskräftig zuerkannt wird. Diese „vorzeitige“ Rechtshängigkeit ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen ist zwar die Entscheidungsbefugnis des Gerichts abhängig vom Eintritt der innerprozessualen Bedingung für den Hilfsantrag, gleichwohl ist es dem Gericht erlaubt, über den Hilfsantrag bereits zusammen mit dem Hauptantrag zu verhandeln. Der Beklagte muss deshalb bereits frühzeitig zum Hilfsantrag vortragen und darf hiermit nicht bis zum Eintritt der innerprozessualen Bedingung warten, will er eine Zurückweisung wegen Verspätung vermeiden. Ebenso wenig darf er mit einem Anerkenntnis warten, soll es als sofortig gem. § 93 ZPO berücksichtigt werden. Zum anderen führt die sofortige Rechtshängigkeit auch zu einer sofortigen Hemmung der Verjährungsfrist für den mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
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Wichtig: Tritt die auflösende Bedingung ein (zB die Rechtskraft des den Hauptantrag zuspre- 30 chenden Urteils), endet die Rechtshängigkeit des Hilfsantrags rückwirkend. Entsprechend § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB ist die Verjährungsfrist nur für weitere 6 Monate gehemmt. Diese Frist ist zu notieren und der Mandant hierüber aufzuklären, damit ggf. rechtzeitig eine erneute Hemmung herbeigeführt werden kann! Eine zwischenzeitlich ergangene Entscheidung über den Hilfsantrag wird gegenstandslos; aus Gründen der Rechtsklarheit sollte sie aufgehoben werden, worauf der Rechtsanwalt hinwirken sollte.
Der mit dem Hilfsantrag behauptete Anspruch ist wie ein Hauptanspruch darzulegen; die behaupteten Tatsachen sind unter Beweis zu stellen. Haupt- und Hilfsantrag können sich nach der Rechtsschutzform (zB Zahlung/Feststellung) unterscheiden; sie können sich ohne Verstoß gegen die Wahrheitspflicht auch in der Begründung widersprechen oder gegenseitig ausschließen. Eine verspätete Jaspersen 327
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Kap. 16 Rz. 32
Klagenhäufung
Substanziierung kann der Kläger nicht damit entschuldigen, die Bedingung für eine Entscheidung über den Hilfsantrag sei noch nicht eingetreten.
32 Haupt- und Hilfsantrag können auf einen Lebenssachverhalt oder auf mehrere Lebenssachverhalte gestützt werden. Nach dem Gesetzeswortlaut müssen Haupt- und Hilfsantrag in keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (zutr. Zöller/Greger § 260 ZPO Rz. 4; aA Musielak/ Voit/Becker-Eberhard § 260 ZPO Rz. 12). 2. Ein Lebenssachverhalt a) Qualitativ unterschiedliche Ansprüche
33 Beispiele: – Der Hauptantrag ist auf Zahlung gerichtet, der Hilfsantrag auf Feststellung. – Der Hauptantrag ist darauf gerichtet, dass der Hauptversammlungs- oder Gesellschafterbeschluss für nichtig erklärt wird (§ 246 AktG), der Hilfsantrag darauf, festzustellen, dass der Hauptversammlungsoder Gesellschafterbeschluss nichtig ist (§ 249 AktG). – Mit dem Hauptantrag wird Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung verlangt, hilfsweise begehrt der Kläger Minderung für den Fall, dass die Täuschung nicht bewiesen wird. – Der Hauptantrag ist gerichtet auf Herausgabe aus Eigentum, der Hilfsantrag auf Rückübereignung für den Fall, dass der Kläger das Eigentum verloren hat.
b) Qualitativ nur scheinbar unterschiedliche Ansprüche
34 An einer eventuellen Klagenhäufung fehlt es, wenn der Kläger mit dem Hilfsantrag keinen neuen Streitgegenstand (kein aliud) in den Prozess einführt, sondern der Hilfsantrag als Minus im Hauptantrag bereits enthalten ist oder wenn er verschiedene Rechnungsposten eines einheitlichen Anspruchs in ein Eventualverhältnis setzt (also jeweils Teilklage erhebt).
35 Beispiel: Der Kläger fordert vom beklagten Tierarzt Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung eines Rennpferdes. Er ist der Auffassung, dass ihm die entgangenen Renngewinne für eine Saison iHv. 75.000 Euro zu ersetzen sind. Er hält es jedoch für möglich, dass das Landgericht die Klage insoweit abweist, weil es die Möglichkeit eines Renngewinns verneint; deshalb verlangt er vorsorglich entgangenen Gewinn aus der Verwendung als Deckhengst für eine Decksaison iHv. 25.000 Euro. Schließlich behauptet er, er hätte zumindest Einnahmen aus der Vermietung des Pferdes an Reitinteressenten iHv. 5.000 Euro während der Reitsaison erzielt. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, drei Anträge (Hauptantrag gerichtet auf Zahlung von 75.000 Euro, Hilfsanträge gerichtet auf Zahlung von 25.000 Euro und 5.000 Euro) zu stellen; es genügt, innerhalb des Klagebegehrens deutlich zu machen, dass jedenfalls ein Anspruch auf 25.000 Euro besteht, zumindest aber auf 5.000 Euro.
3. Mehrere Lebenssachverhalte, hilfsweise gestaffelt
36 Beispiel: – Der Hauptantrag zielt auf Herausgabe der Erbschaft wegen Nichtigkeit des Testaments ab, der Hilfsantrag auf Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs. – Mit dem Hauptantrag verlangt der Kläger Grundbuchberichtigung und mit dem Hilfsantrag die Rückauflassung des Grundstücks (OLG Rostock OLGR 1995, 281). – Gegenstand des Hauptantrags ist ein vertraglicher Anspruch, Gegenstand des Hilfsantrags ein Anspruch wegen schuldhafter Vertragsverletzung (BGH MDR 2012, 1486 f.).
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Rz. 38 Kap. 16
M 16.2 Eventuelle Klagenhäufung
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) Klage Ich werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, einer Grundbuchberichtigung dahingehend zuzustimmen, dass der Kläger Eigentümer des Grundstücks … ist, hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, das Grundstück … an den Kläger rückaufzulassen. Begründung 1. Der Kläger hat dem Beklagten das Grundstück … mit notariellem Vertrag vom … schenkweise übereignet. Der Beklagte ist am … als Eigentümer im Grundbuch eingetragen worden. Die Auflassung ist gem. §§ 123, 142 BGB nichtig, da der Kläger zur Abgabe der Auflassungserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist … (wird ausgeführt) … 2. Zum Hilfsantrag: Der Kläger hat die Schenkung wegen groben Undanks mit Schreiben vom … widerrufen. Durch den Widerruf ist der Rechtsgrund für die Schenkung entfallen, so dass der Kläger das Grundstück nach §§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1, 531 Abs. 2 BGB vom Beklagten herausverlangen kann. Die Undankbarkeit des Beklagten zeigt sich in Folgendem: … (wird ausgeführt) … Die Gebühr iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. Wert (im Beispielsfall): Wert des Grundstücks (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).
IV. Alternative Klagenhäufung Alternativ gefasste Klageanträge sind grundsätzlich unzulässig, weil nicht hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Eine Ausnahme besteht für eine eingeklagte Wahlschuld gem. § 262 BGB und auch dann nur, wenn die Wahlbefugnis dem Schuldner zusteht. Fraglich ist, ob ein Fall der unzulässigen alternativen Klagenhäufung anzunehmen ist, wenn der Kläger sein Klagebegehren mit zwei selbständigen Klagegründen rechtfertigt, er das Gewollte aber nur einmal fordern kann, wie zB bei einer Klage aus dem Grundgeschäft und einer Wechselhingabe (vgl. zum Streitstand MüKo.ZPO/ Becker-Eberhard § 260 ZPO Rz. 25 f. mwN). Nach früherer Ansicht und der weit überwiegenden Rechtspraxis durften mehrere prozessuale Ansprüche unter der auflösenden Bedingung geltend gemacht werden, dass einem von ihnen stattgegeben wird. Bei einer klageabweisenden Entscheidung hat sich das Gericht mit allen Klagegründen befassen müssen, bei einer klagezusprechenden Entscheidung hat es sich den Klagegrund aussuchen dürfen. Dem hat der BGH nunmehr für den Bereich des Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrechts unter Hinweis auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Absage erteilt (BGH MDR 2011, 1311): Mehrere Klagegründe müssen nunmehr in ein Eventualverhältnis gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für den praxisrelevanten Fall, dass neben einem vertraglichen Anspruch ein auf eine schuldhafte Vertragsverletzung gestützter Anspruch geltend gemacht wird (BGH MDR 2012, 1486 f.). Mehrere Klagegründe sind auch gegeben, wenn bei einer Räumungsklage mehrere Kündigungen nebst Kündigungsgründen vorgebracht werden.
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38
ZPO
M 16.2
Kap. 16 Rz. 39
ZPO
39 K
Klagenhäufung
Praxistipp: Wenn es möglich ist, dass das Gericht von mehreren Klagegründen ausgehen könnte, sollte der Kläger vorsorglich eine Reihenfolge der möglichen Klagegründe angeben oder auf einen Hinweis des Gerichts drängen. Ein Fehler lässt sich noch im Rechtsmittelverfahren beheben, weil sich der Wechsel zwischen den einzelnen Klagenhäufungsalternativen als eine sachdienliche Klageänderung darstellt bzw. nach dem auch im Verfahrensrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben erlaubt sein muss (BGH MDR 2011, 812).
V. Nachträgliche Klagenhäufung 40 Die nachträgliche Klagenhäufung entsteht durch die Erhebung eines weiteren Anspruchs bzw. eines weiteren Klagegrundes während des laufenden Prozesses (zur Form s. § 261 Abs. 2 ZPO). Sie wird wie eine Klageänderung nach § 263 ZPO behandelt (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH NJW 2004, 2152, 2154 mwN), soweit die nachträgliche Klage nicht nur in einer Zwischenfeststellungsklage besteht; dh. der Beklagte muss einwilligen oder das Gericht die Sachdienlichkeit bejahen. Sie kann als Klageänderung auch noch im Rechtsmittelverfahren erfolgen, wobei neue Tatsachen aber nur nach den dort geltenden Grundsätzen beachtlich sein können. Der Kläger als Berufungsbeklagter kann eine nachträgliche Klagenhäufung nur im Wege einer Anschlussberufung (§ 524 ZPO) erreichen. Legt der Beklagte gegen ein Teilurteil (§ 301 ZPO) Berufung ein, kann es sinnvoll sein, dass der Kläger mittels einer Anschlussberufung Zwischenfeststellungsklage erhebt, um eine Entscheidung des Berufungsgerichts über den Anspruchsgrund zu erreichen (OLG Brandenburg v. 21.2.2013 – 5 U 46/13).
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Wichtig: Ist mit der Klageänderung eine Änderung des gebührenrechtlichen Streitwerts verbunden, kann ein weiterer Gerichtskostenvorschuss einzuzahlen sein!
42 § 12 Abs. 1 Satz 2 GKG bestimmt, dass bei einer Klageerweiterung keine gerichtliche Handlung vorgenommen werden soll, solange der Kläger den Gerichtskostenvorschuss nicht gezahlt hat. Stellt sich die nachträgliche Klagenhäufung (zB bei der kumulativen Klagenhäufung) als Klageerweiterung dar, ist daher – gerechnet auf die Summe der Ansprüche und abzüglich des bereits gezahlten Vorschusses – ein weiterer Gerichtskostenvorschuss einzuzahlen. Hieran ist insbesondere zu denken, wenn es gilt, eine Verjährungsfrist zu hemmen.
43 Die nachträgliche Klagenhäufung kann aus prozesstaktischen Gründen eingesetzt werden, um einer Präklusion des Vorbringens im Rahmen der ursprünglichen Klage zu entgehen. Denn wie eine Klageänderung gilt sie nicht als Angriffsmittel, das der Präklusion unterliegen kann (vgl. E. Schneider MDR 2002, 684). Eine nachträgliche Klagenhäufung muss ein Prozessbevollmächtigter insbesondere in Betracht ziehen, wenn das Gericht erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu erkennen gibt, dass es die Klage für unbegründet erachtet, aber einem modifizierten Klageantrag Erfolgsaussicht beimessen würde.
44 K
330
Wichtig: Führt der Kläger mit der Berufung einen weiteren Klagegrund in den Rechtsstreit ein, so braucht das Berufungsgericht über diesen dann nicht zu entscheiden, wenn es die Berufung gegen die Abweisung des Hauptantrags gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist (st. Rspr.; vgl. u.a. OLG Nürnberg MDR 2007, 171). Der Berufungskläger hat auch insoweit die Kosten zu tragen. Wenn der Kläger auf die Berufung des Beklagten im Wege der Anschlussberufung einen weiteren Klagegrund einführt, läuft er Gefahr, dass diesem durch eine Berufungszurückweisung gem. § 522 ZPO der Boden entzogen wird. Nach überwiegender Ansicht ist damit kein Kostenrisiko verbunden, weil dem Berufungsführer entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO alle Kosten auferlegt werden (OLG Nürnberg MDR 2012, 1309 mwN zum Streitstand; vgl. auch BGH NJW 2014, 151 für die Widerklage). Um dem Risiko einer Kostenquotelung, wie sie einige Gerichte befürworten, zu entgehen, kann die Anschlussberufung unter der auflösenden Bedingung einer Beschlusszurückweisung gem. § 522 ZPO erhoben werden (OLG Nürnberg NJW 2012, 3451).
Jaspersen
Klagenhäufung
Rz. 50 Kap. 16
ZPO
VI. Streitwert, Kosten und Beschwer 1. Streitwert Für den Zuständigkeitsstreitwert bei der kumulativen und eventuellen Klagenhäufung gilt grundsätzlich § 5 ZPO, dh. die Einzelwerte werden addiert. Voraussetzung ist allerdings, dass die Ansprüche nicht denselben Gegenstand betreffen. Der Gegenstandsbegriff ist nicht mit dem prozessualen Gegenstandsbegriff zu verwechseln, sondern erfordert eine wirtschaftliche Betrachtungsweise (BGH NJW-RR 2005, 506 f.). Maßgebliches Kriterium ist die sog. wirtschaftliche Identität; zu fragen ist danach, ob eine wirtschaftliche Werthäufung gegeben ist oder die Ansprüche dasselbe wirtschaftliche Interesse betreffen (Beispiele zur wirtschaftlichen Identität bei Zöller/Herget § 5 ZPO Rz. 8). Liegt den Ansprüchen derselbe Gegenstand zugrunde, ist bei unterschiedlichen Anspruchswerten der höhere Wert entscheidend (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Letzteres gilt grundsätzlich auch bei der alternativen Klagenhäufung. Bei der Wahlschuld, bei der eine alternative Klagenhäufung zulässig ist (vgl. Rz. 38), richtet sich der Gebührenstreitwert danach, ob und wie derjenige, dem das Wahlrecht zusteht, dieses bereits ausgeübt hat (Einzelheiten bei Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 6009 ff.). Keine Rolle für die Addition gem. § 5 ZPO spielt es, ob es sich um eine anfängliche oder nachträgliche Klagenhäufung handelt. Erfolgt erst im Rechtsmittelverfahren eine Klagenhäufung, bleibt der Streitwert für das Ausgangsverfahren hiervon unberührt.
45
Beim Gebührenstreitwert erfolgt gem. §§ 39, 48 GKG, § 23 RVG ebenfalls nach den vorgenannten 46 Grundsätzen eine Wertaddition, soweit nicht §§ 41 ff. GKG Sonderregeln enthalten. Insbesondere ist auf § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG hinzuweisen, wonach bei der eventuellen Klagenhäufung der Hilfsantrag nur insoweit Berücksichtigung findet, als eine streitige Entscheidung über ihn ergeht oder die Parteien sich über ihn vergleichsweise geeinigt haben (§ 45 Abs. 4 ZPO). Dagegen verbietet sich eine Wertaddition, wenn die Klagenhäufung bzw. der Hilfsantrag für unzulässig erachtet wird oder wenn er infolge einer Klagerückahme oder übereinstimmenden Erledigung gegenstandslos wird. Bei der eventuellen Klagenhäufung ist eine wirtschaftliche Identität mit dem Additionsverbot gem. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG anzunehmen, wenn die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (BGH MDR 2003, 716 f.).
K
Wichtig: Wird bei der eventuellen Klagenhäufung über den Hilfsantrag nicht streitig entschieden, 47 verbietet sich nach ständiger Rechtsprechung (BGH MDR 2009, 54 f. mwN) – auch im Hinblick auf die Rechtsanwaltsvergütung – eine Addition der Streitwerte für die wirtschaftlich nicht identischen Anträge gem. § 23 RVG, § 45 Abs. 1 GKG unabhängig davon, ob die anwaltliche Tätigkeit – wie in der Regel – auch den Hilfsantrag umfasst hat.
K
Praxistipp: Der Rechtsanwalt sollte deshalb vorsorglich hinsichtlich seiner Tätigkeit in Bezug auf den Hilfsantrag eine individuelle Vergütungsvereinbarung schließen.
48
Im Hinblick auf die Kostengrundentscheidung ist bereits der Festsetzung des Gebührenstreitwerts be- 49 sondere Aufmerksamkeit zu schenken. Betreffen Haupt- und Hilfsantrag denselben Gegenstand und hat das Gericht den Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben, ist der Kläger nur insoweit mit Kosten gem. § 92 ZPO zu belasten, als der Wert des Hauptantrags den des Hilfsantrags übersteigt (BGH NJW 1994, 2766; str.). Erfolgt die Klagenhäufung erst im Berufungsverfahren, bleibt hiervon der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren unberührt. Gewinnt der Kläger mit seinem erst im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag und wird der Hauptantrag abgewiesen, muss der Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen und nur die Kosten der zweiten Instanz werden gequotelt.
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Kap. 16 Rz. 51
Klagenhäufung
ZPO
2. Beschwer bei der eventuellen Klagenhäufung
51 Das Gericht ist an die vom Kläger vorgegebene Reihenfolge von Haupt- und Hilfsantrag gebunden, so dass eine vorzeitige Entscheidung über den Hilfsantrag den Kläger beschwert. Im Weiteren sind bei der eigentlichen Klagenhäufung zwei Fälle zu unterscheiden: a) Hauptantrag begründet
52 Ist der Klage in der Hauptsache durch Endurteil stattgegeben worden, ergeht über den Hilfsantrag keine Entscheidung mehr. Nur der Beklagte ist beschwert. Legt er Berufung ein, fällt auch der Hilfsantrag ohne Anschlussberufung des Klägers dem Berufungsgericht an (BGH MDR 2013, 1115 f.). b) Hauptantrag unbegründet, Hilfsantrag begründet
53 Beschwert sind sowohl der Kläger als auch der Beklagte. 54 Legt der Beklagte wegen seiner Verurteilung nach dem Hilfsantrag Berufung ein, fällt der Hauptantrag dem Berufungsgericht nur an, wenn der Kläger (Anschluss-)Berufung einlegt. Legt der Kläger wegen der Abweisung des Hauptantrags Berufung ein, gilt Folgendes: Hat seine Berufung Erfolg, kommt die Verurteilung nach dem Hilfsantrag ohne Weiteres in Wegfall. Hat seine Berufung keinen Erfolg, bleibt es bei der Verurteilung nach dem Hilfsantrag; will der Beklagte dies verhindern, muss er (Anschluss-)Berufung einlegen.
55 Ist der Hauptantrag abgewiesen worden und über den Hilfsantrag – versehentlich – nicht entschieden worden, ist der Anwendungsbereich von § 321 ZPO eröffnet. Auf die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Hauptantrags kann aber auch das Berufungsgericht den Hilfsantrag an sich ziehen und über ihn entscheiden, wenn der Beklagte einwilligt oder das Berufungsgericht dies für sachdienlich erachtet (Thomas/Putzo/Reichold § 260 ZPO Rz. 18).
Kapitel 17 Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel I. Klageerweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von der Teilklage zum vollen Anspruch . . . M 17.1 Klageerweiterung . . . . . . . . . . . . . 2. Bei gleichzeitiger Klageänderung . . . . . . . . a) Gegenüber derselben Partei . . . . . . . . . b) Unter Einbeziehung einer weiteren Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit der erweiterten bzw. geänderten Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. In der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klageerweiterung durch den Berufungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klageerweiterung durch den Berufungsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Novenverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unter Fallenlassen des bisherigen Klageantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Üblicher Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jaspersen
1 1 3 8 8 9 10 11 12 15 20 21 21 21
b) Klageänderung bei Erfüllung? . . . . . . . 2. Unter Beibehaltung des bisherigen Antrages als Hilfsantrag . . . . . . . . . . . . . . 3. Klageänderung in der zweiten Instanz . . . . a) Durch den Kläger als Berufungsführer . b) Durch den Kläger als Berufungsgegner . III. Gewillkürte Parteiänderung . . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auf Seiten des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . a) Klägerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klägerbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 17.2 Klageerweiterung, Parteibeitritt auf Klägerseite in zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auf Seiten des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . a) Beklagtenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parteierweiterung auf Beklagtenseite . . c) Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 33 34 34 39 41 41 42 42 47 50 51 51 54 56
Kap. 16 Rz. 51
Klagenhäufung
ZPO
2. Beschwer bei der eventuellen Klagenhäufung
51 Das Gericht ist an die vom Kläger vorgegebene Reihenfolge von Haupt- und Hilfsantrag gebunden, so dass eine vorzeitige Entscheidung über den Hilfsantrag den Kläger beschwert. Im Weiteren sind bei der eigentlichen Klagenhäufung zwei Fälle zu unterscheiden: a) Hauptantrag begründet
52 Ist der Klage in der Hauptsache durch Endurteil stattgegeben worden, ergeht über den Hilfsantrag keine Entscheidung mehr. Nur der Beklagte ist beschwert. Legt er Berufung ein, fällt auch der Hilfsantrag ohne Anschlussberufung des Klägers dem Berufungsgericht an (BGH MDR 2013, 1115 f.). b) Hauptantrag unbegründet, Hilfsantrag begründet
53 Beschwert sind sowohl der Kläger als auch der Beklagte. 54 Legt der Beklagte wegen seiner Verurteilung nach dem Hilfsantrag Berufung ein, fällt der Hauptantrag dem Berufungsgericht nur an, wenn der Kläger (Anschluss-)Berufung einlegt. Legt der Kläger wegen der Abweisung des Hauptantrags Berufung ein, gilt Folgendes: Hat seine Berufung Erfolg, kommt die Verurteilung nach dem Hilfsantrag ohne Weiteres in Wegfall. Hat seine Berufung keinen Erfolg, bleibt es bei der Verurteilung nach dem Hilfsantrag; will der Beklagte dies verhindern, muss er (Anschluss-)Berufung einlegen.
55 Ist der Hauptantrag abgewiesen worden und über den Hilfsantrag – versehentlich – nicht entschieden worden, ist der Anwendungsbereich von § 321 ZPO eröffnet. Auf die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Hauptantrags kann aber auch das Berufungsgericht den Hilfsantrag an sich ziehen und über ihn entscheiden, wenn der Beklagte einwilligt oder das Berufungsgericht dies für sachdienlich erachtet (Thomas/Putzo/Reichold § 260 ZPO Rz. 18).
Kapitel 17 Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel I. Klageerweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von der Teilklage zum vollen Anspruch . . . M 17.1 Klageerweiterung . . . . . . . . . . . . . 2. Bei gleichzeitiger Klageänderung . . . . . . . . a) Gegenüber derselben Partei . . . . . . . . . b) Unter Einbeziehung einer weiteren Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit der erweiterten bzw. geänderten Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. In der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klageerweiterung durch den Berufungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klageerweiterung durch den Berufungsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Novenverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unter Fallenlassen des bisherigen Klageantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Üblicher Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 3 8 8 9 10 11 12 15 20 21 21 21
b) Klageänderung bei Erfüllung? . . . . . . . 2. Unter Beibehaltung des bisherigen Antrages als Hilfsantrag . . . . . . . . . . . . . . 3. Klageänderung in der zweiten Instanz . . . . a) Durch den Kläger als Berufungsführer . b) Durch den Kläger als Berufungsgegner . III. Gewillkürte Parteiänderung . . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auf Seiten des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . a) Klägerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klägerbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 17.2 Klageerweiterung, Parteibeitritt auf Klägerseite in zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auf Seiten des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . a) Beklagtenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parteierweiterung auf Beklagtenseite . . c) Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 33 34 34 39 41 41 42 42 47 50 51 51 54 56
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
IV. Reaktionen des Gegners der Klage- bzw. Parteiänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwilligung bzw. Zustimmung . . . . . . . . . 2. Sachdienlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fälle des § 264 Nr. 1–3 ZPO . . . . . . . . . . .
57 57 59 60 61
Rz. 3 Kap. 17
VI. Gebührenstreitwert und Vergütung bei Parteiwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parteiwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66 70 70 73
ZPO
M 17.1
I. Klageerweiterung 1. Von der Teilklage zum vollen Anspruch Zur Verminderung des Kostenrisikos hat der Kläger zunächst nur einen Teil der Klageforderung eingeklagt. Für den nicht eingeklagten Teil läuft die Verjährungsfrist weiter, weil die Grenzen der Verjährungshemmung mit denen der Rechtskraft kongruent sind; das gilt grundsätzlich auch für die sog. verdeckte Teilklage (BGH MDR 2002, 1062; BGH v. 8.3.2012 – IX ZA 33/11). Wegen der kurzen Regelverjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB) empfiehlt sich die Vereinbarung eines Einredeverzichts (§ 202 BGB).
1
K
2
Wichtig: Insbesondere im Schadensersatzrecht kann eine verdeckte Teilklage dahin auszulegen sein, dass der Kläger unabhängig von der Bezifferung den gesamten Schaden geltend machen will (BGH MDR 2008, 509 f.). Ähnliches gilt bei einer Vorschussklage im Baurecht. Sie beinhaltet Elemente einer Feststellungsklage, weshalb sie nicht nur in Höhe des eingeklagten Vorschusses die Verjährung hemmt, sondern in Höhe des für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Betrages (BGH MDR 2008, 1387 f.); sie ist deshalb auch keine Teilklage. Diese Rechtsprechung dürfte für Vorschussklagen anderer Art (vgl. § 536a BGB) entsprechend gelten.
Droht während des Verfahrens der nicht eingeklagte Teil zu verjähren oder hat der Beklagte eine negative Feststellungswiderklage erhoben, ist es zweckmäßig, von der Teilklage zum vollen Anspruch überzugehen (s. M 17.1).
2a
M 17.1 Klageerweiterung
3
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) erweitere ich die Klage und werde beantragen, die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 29.000 Euro nebst … % Zinsen aus 20.000 Euro seit … sowie aus weiteren 9.000 Euro seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen. Der Kläger hat aus Kostengründen bislang nur einen Teilbetrag iHv. 20.000 Euro geltend gemacht. In Höhe des nicht eingeklagten Teils droht Verjährung. Der Kläger macht daher den ihm entstandenen Schaden in voller Höhe geltend. Zur Begründung nehme ich Bezug auf meine Klageschrift, in der ich den gesamten Schaden im Einzelnen dargelegt und auch der Höhe nach spezifiziert habe. Nachdem nunmehr der gesamte Schaden rechtshängig ist, lasse ich die im Rahmen der Teilklage abgegebene Erklärung, dass der Teilbetrag mit den Schadenspositionen 1 bis 7 der Reihe nach unterlegt wird, fallen. Die Gebühr iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Mit der Einreichung des Schriftsatzes erhöht sich der Streitwert; die Verfahrensgebühr entsteht aus der erhöhten Gebühr; vor der Zahlung der Differenz soll keine gerichtliche Handlung vorgenommen werden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 GKG).
Jaspersen 333
Kap. 17 Rz. 4
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
ZPO
4 Der erweiterte Antrag wird mit Zustellung eines Schriftsatzes rechtshängig, der im Zusammenhang mit dem bisherigen Vorbringen den Anforderungen einer Klageschrift genügen muss, oder durch Antragstellung im Termin (vgl. §§ 261 Abs. 2, 297 Abs. 1 ZPO; Zöller/Greger § 261 ZPO Rz. 6). Die Amtszustellung des Schriftsatzes ist durch eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt gem. § 195 ZPO ersetzbar (BGH NJW 1955, 1030); das Gericht erhält eine Abschrift (§ 133 Abs. 2 ZPO). Eine Antragstellung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist unzulässig, selbst wenn ein Schriftsatznachlass gewährt worden ist (BGH v. 7.11.2017 – XI ZR 529/17); für die Berechnung der Rechtsmittelbeschwer ist sie ohne Belang (BGH NJW-RR 2009, 853, 854). Wird der Schriftsatz mit einer solchen verspäteten Antragstellung zugestellt, so wird hierdurch keine Rechtshängigkeit begründet, es sei denn die Zustellung erfolgt erkennbar zum Zweck, eine Rechtshängigkeit zu begründen (BGH NJW-RR 2007, 1486).
5 K
Wichtig: Bei einer Klageerweiterung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO muss ein weiterer Gerichtskostenvorschuss eingezahlt werden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 GKG). Kommt es wegen fehlenden Vorschusses nicht zur Zustellung der Klageerweiterung, droht bei nahem Verjährungseintritt die Gefahr eines Regresses, sofern die rechtzeitige Einzahlung versäumt wird. Der Kläger darf allerdings die Kostenvorschussberechnung des Gerichts abwarten, ohne Gefahr zu laufen, dass wegen der damit verbundenen Verzögerung der Zustellung eine alsbaldige Zustellung verneint wird. Erlaubt der Vorsitzende die Antragstellung zu Protokoll (§§ 261 Abs. 2, 297 Abs. 1 Satz 3 ZPO), kann die Vorschusspflicht unterlaufen werden. Die Rechtshängigkeit tritt dann sofort ein.
6 K
Praxistipp: Die Klageerweiterung ist – wie die Klageänderung (vgl. Rz. 26) – kein Angriffsoder Verteidigungsmittel iS des § 282 Abs. 1 ZPO, das nebst dem diesbezüglichen tatsächlichen Vorbringen wegen Verspätung gem. §§ 296, 530, 531 ZPO zurückgewiesen werden könnte, sondern ein selbständiger Angriff. Sie kann deshalb – vorausgesetzt sie ist zulässig – prozesstaktisch eingesetzt werden, um der Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§ 296 ZPO) hinsichtlich der ursprünglichen Klage zu entgehen (vgl. BGH NJW 2017, 491). Der Rechtsanwalt muss dafür sorgen, dass der zusätzliche Gerichtskostenvorschuss rechtzeitig vor der letzten mündlichen Verhandlung eingezahlt und die Einzahlung nachgewiesen ist, um eine Rechtshängigkeit der erweiterten Klage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen. Ein Teilurteil (§ 301 ZPO) über die ursprüngliche Klage wird sich im Allgemeinen verbieten, weil das sog. Widerspruchsverbot (vgl. BGH NJW 2018, 623, 624) beachtlich ist. Betreffend die erweiterte Klage ist dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren, wodurch ein neuer Verhandlungstermin erforderlich werden kann; mit dem neuen Verhandlungstermin lässt sich eine Verspätung auffangen und eine Zurückweisung wegen Verspätung damit nicht mehr begründen.
7 Ändert sich durch die Erweiterung einer beim Amtsgericht erhobenen Teilklage die sachliche Zuständigkeit, so ist der Rechtsstreit auf Antrag einer der Parteien an das Landgericht zu verweisen (§ 506 Abs. 1 ZPO). Der Grundsatz perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) gilt nur bei unverändertem Streitgegenstand. Bei rügeloser Einlassung bleibt es nur dann bei der Zuständigkeit des Amtsgerichts, wenn das Gericht – selbst bei anwaltlicher Vertretung der Partei – auf seine Unzuständigkeit und die Folgen einer rügelosen Einlassung hingewiesen hat (§ 504 ZPO). 2. Bei gleichzeitiger Klageänderung a) Gegenüber derselben Partei
8 Eine bloße Klageerweiterung unterliegt nicht den Schranken einer Klageänderung (§ 264 Nr. 2 ZPO). Anders ist es und § 263 ZPO gilt analog (BGH NJW 1985, 1841 f.), wenn die Klage gleichzeitig unter Einführung eines neuen Streitgegenstandes erweitert wird. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Besteller von der Vorschussklage zur Schadensersatzklage auf Zahlung der höheren Kosten für eine Ersatzvornahme übergeht (OLG Koblenz NJOZ 2007, 5303 f.). Keine Klageänderung und nur eine Klageerweiterung ist indes gegeben, wenn der Kläger von der Klage auf Abschlagszahlung zur höheren Klage auf Schlusszahlung übergeht (BGH MDR 2006, 646) oder vom Feststellungszum Leistungsantrag (BGH MDR 1988, 308). Zu weiteren Beispielen vgl. die einschlägige Kommen334
Jaspersen
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
Rz. 14 Kap. 17
ZPO
tierung. Die Zulässigkeit einer Klageerweiterung durch eine nachträgliche Klagenhäufung bestimmt sich ebenfalls grundsätzlich nach § 263 ZPO (vgl. Kap. 16 Rz. 40 f.). b) Unter Einbeziehung einer weiteren Partei Der Kläger kann die Klage erweitern, also zB von der Teilklage zum vollen Anspruch übergehen und gleichzeitig eine weitere Partei in den Rechtsstreit hineinziehen (nachträgliche subjektive Klagenhäufung). Zum Beispiel: Die bislang nur gegen den Halter des Fahrzeugs und dessen Haftpflichtversicherung gerichtete Klage wird auf den Fahrer des Fahrzeugs ausgedehnt, um den Fahrer, der bislang nicht verklagt war, als Zeugen auszuschalten. Der Schriftsatz ist dann eine Kombination aus M 17.1 und M 17.2 (Parteibeitritt).
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c) Zulässigkeit der erweiterten bzw. geänderten Klage Soweit die erweiterte bzw. geänderte Klage besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen verlangt, müssen 10 diese erfüllt sein. Insoweit gilt das Gleiche wie bei einer Klagenhäufung (vgl. Kap. 16 Rz. 3). Ist für die ursprüngliche Klage zB ein obligatorisches Schlichtungsverfahren (§ 15a EGZPO iVm. Landesrecht) wegen eines vorausgegangenen Mahnverfahrens (vgl. § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 EGZPO) entbehrlich gewesen, befreit dies nicht von der Erforderlichkeit eines obligatorischen Streitverfahrens hinsichtlich der erweiterten Klage gegen einen weiteren Schuldner (BGH NJW-RR 2010, 1725 betr. Klage gegen Versicherungsnehmer und Klageerweiterung gegen Haftpflichtversicherung). 3. In der zweiten Instanz Die Klage kann auch noch in zweiter Instanz erweitert werden. Für die Zulässigkeit ist zu unterscheiden zwischen der Klageerweiterung durch den Berufungsführer und der durch den Berufungsgegner.
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a) Klageerweiterung durch den Berufungsführer Die Zulässigkeit richtet sich nach den dafür allgemein geltenden Vorschriften (§§ 525 Satz 1, 263, 264 12 Nr. 2 ZPO); § 533 ZPO findet keine Anwendung bei einer Klageerweiterung gem. § 264 Nr. 2 ZPO, da sie nicht als Klageänderung anzusehen ist (BGH MDR 2010, 1011). Die Erweiterung der Klage im Berufungsverfahren ist aber nur im Zusammenhang mit einer zulässigen Berufung statthaft, sie darf also nicht das alleinige Ziel der Berufung sein, weil es dann an der für das Rechtsmittel erforderlichen Beschwer fehlen würde (BGH MDR 2012, 603). Unzulässig ist es zB, wenn der mit seiner Feststellungsklage in erster Instanz obsiegende Kläger Berufung allein zum Zweck einlegt, zum Leistungsantrag überzugehen (BGH MDR 1988, 308). Der Kläger muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wenigstens einen die Berufungssumme erreichenden Teil von mehr als 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) der abgewiesenen Klage weiterverfolgen; die Berufung wird unzulässig, wenn die Rechtshängigkeit dieses Teils endet (zB durch übereinstimmende Erledigung, § 91a ZPO; Rücknahme, § 269 ZPO oder Vergleich, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und selbst wenn die Parteien eine Entscheidung in der Sache über den klageerweiternd geltend gemachten Streitgegenstand wünschen (BGH MDR 2006, 828 f.). Ist die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO entscheidungsreif, steht dem eine zulässige und eine münd- 13 liche Verhandlung erfordernde Klageerweiterung nicht entgegen; mit der Entscheidung gem. § 522 Abs. 2 ZPO verliert die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (BGH NJW 2015, 251); für die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO (s. dazu Kap. 70 Rz. 12) spielt die Klageerweiterung in diesem Fall keine Rolle (BGH v. 7.11.2017 – XI ZR 529/17).
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Wichtig: Auf die Klageerweiterung findet – wie auf die Klageänderung, den Parteiwechsel und die Parteierweiterung – § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO keine Anwendung (Musielak/Voit/Ball § 520 ZPO Rz. 37); die Tatsachen und Beweismittel müssen deshalb nicht schon in die BeruJaspersen 335
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Kap. 17 Rz. 15
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
ZPO
fungsbegründung aufgenommen werden (BGH NJW 1994, 944 f. für eine Klageerweiterung durch den Übergang von einem Befreiungs- auf einen Zahlungsanspruch). b) Klageerweiterung durch den Berufungsgegner
15 Der Berufungsgegner kann seine Klage nur im Rahmen einer zulässigen Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 ZPO) erweitern (vgl. u.a. BGH NJW 2015, 1608, 1609). Der Anschluss an die fremde Berufung im Wege der Anschlussberufung ist stets erforderlich, wenn der Berufungsbeklagte das erstinstanzliche Urteil nicht nur verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge gem. § 264 Nr. 2 ZPO erweitern (vgl. BGH MDR 2015, 909 für Übergang von Abschlagszahlungs- zu höherer Schlussrechnungsklage) oder einen neuen in erster Instanz nicht vorgebrachten Anspruch im Wege der Klageänderung geltend machen will (BGH MDR 2008, 463 f.). Keiner Anschlussberufung bedarf es dagegen, wenn in der Berufungsinstanz iSv. § 264 Nr. 3 ZPO ohne Änderung des Klagegrunds statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand gefordert wird (BGH BauR 2010, 494 Rz. 8: Übergang von der Kostenvorschuss- zur Kostenerstattungsklage). Dies gilt aber nicht insoweit, als der vom Berufungsgegner nunmehr geltend gemachte Anspruch den im angefochtenen Urteil zuerkannten Betrag übersteigt (offengelassen in BGH MDR 2006, 586 f.).
16 K
Wichtig: Insbesondere ist die Anschlussberufungsfrist (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) zu beachten. Das gilt selbst dann, wenn Gegenstand der Klageerweiterung ein Anspruch sein soll, der erst nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist fällig wird, wie zB bei Mietforderungen. Das ist auch für die spätere Erweiterung einer zulässig eingelegten Anschlussberufung beachtlich; sie kann später nur noch erweitert werden, soweit die Erweiterung durch die fristgerecht eingereichten Berufungsgründe (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2–4 ZPO) gedeckt ist (BGH MDR 2006, 45). Keine Anschlussberufungsfrist gilt und eine Anschließung an eine gegnerische Berufung ist bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung möglich in den Fällen einer Verurteilung zu künftig fällig werdenden Leistungen (§ 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Im Übrigen ist unerheblich, wann die zur Begründung vorgetragenen Umstände entstanden sind (BGH MDR 2009, 509 Rz. 25 f. mwN zum Streitstand). Ob von diesem Grundsatz in Ausnahmefällen aus Gründen prozessualer Waffengleichheit Ausnahmen möglich sind, ist noch nicht abschließend geklärt.
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Praxistipp: Der Rechtsanwalt kann eine Verlängerung der Anschlussberufungsfrist nur erreichen, indem er um eine Verlängerung der Frist zur Berufungserwiderung nachsucht; eine Verlängerung der Begründungsfrist für eine Anschlussberufung sieht das Gesetz nicht vor (OLG Dresden MDR 2012, 1435). Steht eine Versäumung der Anschlussberufungsfrist in Rede, sind zwei Auswege denkbar: Zum einen muss der Rechtsanwalt prüfen, ob die Frist wirksam gesetzt worden ist (vgl. hierzu BGH NJW 2015, 2812 Rz. 41); einer Belehrung über die Anschlussberufungsfrist bedarf es allerdings nicht (BGH GRUR 2017, 785 Rz. 40 ff.). Zum anderen kann er eine Wiedereinsetzung versuchen, die teilweise analog § 233 ZPO für statthaft erachtet wird (offengelassen von BGH NJW 2015, 2812 Rz. 35 ff. mwN).
18 Unzulässig ist es, im Wege der unselbständigen Anschlussberufung (§ 524 ZPO) die Klage auf einen Dritten zu erweitern (BGH MDR 2000, 843). Eine unselbständige Anschließung stellt kein Rechtsmittel, sondern lediglich eine Antragstellung innerhalb einer fremden Berufung dar (BGH MDR 1992, 76). Sie ist deshalb nur statthaft, wenn gegen den Berufungsführer als solchen mehr als die Zurückweisung seines Rechtsmittels erreicht werden soll.
19 K
336
Praxistipp: Wird die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, sollen die Kosten der Anschlussberufung nach überwiegender und zutreffender Ansicht analog § 524 Abs. 4 ZPO dem Berufungsführer aufzuerlegen sein; anderes soll gelten und die Kosten seien zu quoteln, soweit der Berufungsbeklagte seine Klage erst im Berufungsverfahren mit einer Anschlussberufung erweitert hat (KG JurBüro 2014, 92 f.). Dem Risiko hinsichtlich der Kosten der Anschlussberufung sollte
Jaspersen
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
Rz. 24 Kap. 17
ZPO
der Anschlussberufungskläger dadurch begegnen, dass er die Anschlussberufung unter der auflösenden Bedingung einer Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO einlegt (vgl. OLG Nürnberg NJW 2012, 3451). c) Novenverbot?
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Vgl. hierzu Rz. 35 und die Darstellung in Kap. 65 Rz. 176.
II. Klageänderung 1. Unter Fallenlassen des bisherigen Klageantrages a) Üblicher Fall Der Vortrag des Beklagten oder eine Veränderung im bislang vorgetragenen Sachverhalt können den 21 Kläger veranlassen, an eine Klageänderung zu denken, um einen Prozessverlust zu verhindern. Klageänderung ist Änderung des Streitgegenstandes und unterliegt den Schranken gem. § 263 ZPO (Einwilligung oder Sachdienlichkeit, hierzu Rz. 59). Hängt die Zulässigkeit von der Zustimmung des Beklagten ab, wird die Klageänderung schon mit dessen Zustimmung wirksam bzw. seiner rügelosen Verhandlung. Bedarf es für die Klageänderung ihrer Sachdienlichkeit, kommt es auf die Entscheidung des Gerichts an, mit der es die Zulässigkeit der Klageänderung bejaht. Nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bestimmen Klageantrag und Klagegrund (= der Lebenssachverhalt) den Streitgegenstand (BGH NJW 2009, 56 f.). Eine Klageänderung liegt mithin vor, wenn der Klageantrag und/oder der Klagegrund geändert werden. Ein neuer Klagegrund wird dann geltend gemacht, wenn durch neue Tatsachen der Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts verändert wird. Nicht hinreichend ist eine bloße Akzentverschiebung, Ergänzung oder Berichtigung der Tatsachen gem. § 264 Nr. 1 ZPO (BGH NJW 2007, 83, 84). Die Abgrenzung ist vom Einzelfall abhängig und sollte unter Heranziehung der von der Rechtsprechung entwickelten Fallbeispiele getroffen werden. Auch der Wechsel der Verfahrensart wird teilweise unter den Voraussetzungen des § 263 ZPO für zulässig erachtet (zB Übergang vom ordentlichen Verfahren zum Urkundsverfahren (BGH NJW 1977, 1883); Übergang vom Urkundsverfahren zum ordentlichen Verfahren in der Berufungsinstanz (BGH MDR 2012, 986 Rz. 14). Der neue Streitgegenstand ersetzt den alten, was für die Verjährungsfrage bedeutsam sein kann: Die Verjährungshemmung für die ursprüngliche Klageforderung durch Klageerhebung gilt nicht für die Klageforderung nach einer Klageänderung gem. § 263 ZPO (BGH MDR 2017, 966 Rz. 20). Die gehemmte Verjährungsfrist für den Anspruch aus dem ersetzten Streitgegenstand kann weiterlaufen, sobald dessen Rechtshängigkeit endet (vgl. hierzu BeckOK.ZPO/Bacher § 263 ZPO Rz. 15.1).
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Wichtig: In der Praxis bei Wohnungsmietzinsklagen wird immer wieder übersehen, dass die 22 monatlich zu zahlende Miete bestehend aus den unselbständigen Rechnungsposten „Grundmiete“ und „Nebenkostenvorauszahlung“ einen gesonderten Streitgegenstand bildet. Wird die Miete für den einen Monat durch die Miete für einen anderen Monat ersetzt, liegt deshalb eine Klageänderung vor.
§ 264 ZPO legt in seiner Rechtsfolge fest, dass keine Klageänderung gegeben ist. Für § 264 Nr. 2 und 3 ist dies dahin zu verstehen, dass zwar eine Klageänderung gegeben ist, diese aber nicht der Schranke des § 263 ZPO unterliegt. Voraussetzung für alle Alternativen des § 264 ZPO ist, dass der Klagegrund gleichbleibt. Wird die Klage unter Einführung eines neuen Streitgegenstandes erweitert, greift § 263 ZPO ein und nicht § 264 ZPO.
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Die Klageänderung erfolgt entweder durch Verlesung des – den Anforderungen von § 253 Abs. 2–5 24 ZPO genügenden – neuen Antrags in der mündlichen Verhandlung (§§ 261 Abs. 2 Alt. 1, 297 ZPO) oder durch Zustellung eines entsprechenden bestimmenden Schriftsatzes (§ 261 Abs. 2 Alt. 2 ZPO). Eine Klageänderung durch Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) ist möglich (BGH MDR Jaspersen 337
ZPO
Kap. 17 Rz. 25
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
1992, 707). Auf die obigen Ausführungen zur Klageerweiterung wird verwiesen (Rz. 4 f.). Hat die geänderte Klage einen höheren Streitwert, verlangt die gerichtliche Praxis – wie bei der Klageerweiterung (§ 12 Abs. 1 Satz 2 GKG) – einen weiteren Vorschuss (vgl. Rz. 5) und lehnt bis zu seiner Zahlung jegliche Tätigkeit ab, was zum Stillstand des ursprünglichen Klageverfahrens führen kann und die Rechtshängigkeit der geänderten Klage verzögern kann (zur Kritik MüKo.ZPO/Becker-Eberhard § 263 ZPO Rz. 101); der Kläger kann allerdings eine Vorschussanforderung abwarten, ohne eine demnächstige Zustellung zu gefährden.
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Wichtig: § 189 ZPO heilt einen Mangel der Amtszustellung nur, wenn das Gericht eine förmliche Zustellung angeordnet hatte, was nicht der Fall ist, wenn der Schriftsatz lediglich zur Kenntnis übersandt wird (BAG NJW 2008, 1610 f.), was immer wieder aus Versehen geschieht.
26 Die Klageänderung ist – wie die Klageerweiterung – ein selbständiger Angriff (und kein Angriffsund Verteidigungsmittel iS des § 282 Abs. 1 ZPO) und kann daher nicht als verspätet zurückgewiesen werden, was auch für den der Klageänderung zugrunde liegenden neuen Tatsachenvortrag gilt (vgl. Rz. 6).
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Praxistipp: Dies kann – wie die Klageerweiterung – prozesstaktisch zur Vermeidung einer Zurückweisung verspäteten Vorbringens genutzt werden (vgl. Rz. 6). Dies gilt jedoch nur für eine zulässige Klageänderung (zur Frage der Sachdienlichkeit in diesem Fall vgl. Rz. 59). Ist die Klageänderung unzulässig, kann das Gericht sowohl unter Zurückweisung diesbezüglich verspäteten Vorbringens entscheiden als auch über die Klageänderung.
b) Klageänderung bei Erfüllung?
28 Ist das Klagebegehren in der Hauptsache gegenstandslos geworden (zB durch eine Erledigung infolge Erfüllung der Klageforderung), stellt sich die Frage, ob der Kläger hierauf mit einer Klageänderung reagieren kann, um einem Prozessverlust oder einer Klagerücknahme mit jeweils nachteiliger Kostenfolge zu entgehen.
29 Ist das entscheidende Ereignis nach Rechtshängigkeit eingetreten, muss der Kläger (sog. Grundsatz des Vorrangs der Erledigungserklärung; vgl. ausführl. und krit. Lindacher JR 2005, 92 mwN; str.) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären (vgl. Kap. 32). Stimmt der Beklagte zu, ergibt sich das Weitere aus § 91a ZPO. Nur wenn der Beklagte nicht zustimmt, kann der Kläger seine Klage gem. § 264 Nr. 2 ZPO umstellen auf die Feststellung einer Erledigung (sehr probl.).
30 Wird die Erledigung durch Erfüllung erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bemerkt, kann der Kläger seine Klage ohne eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (vgl. § 156 ZPO) nicht mehr ändern. Eine die Erledigung berücksichtigende Klageänderung bedarf im Übrigen der Einlegung eines Rechtsmittels. Möglich bleibt aber eine übereinstimmende Erledigung gem. § 91a ZPO; diese kann bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht erklärt werden, das bis dahin auch für die zu treffende Kostenentscheidung zuständig ist (BGH MDR 1995, 952 Rz. 10).
31 Datiert das erledigende Ereignis vor Rechtshängigkeit, hat der Kläger die Wahl: Er kann den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären in der Hoffnung, der Beklagte werde sich seiner Erledigungserklärung anschließen; stimmt er zu, ist gem. § 91a ZPO zu verfahren unabhängig davon, wann sich das klägerische Begehren erledigt hat. Verweigert der Beklagte seine Zustimmung, verbietet sich eine Umstellung der Klage auf Feststellung der Erledigung. Denn eine Erledigung vor Rechtshängigkeit lehnt die Rechtsprechung ab und kann deshalb nicht festgestellt werden. Stattdessen kann er die Klage zurücknehmen, um eine Kostenentscheidung gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu erreichen. Schließlich ist es ihm möglich, seine Klage gem. § 264 Nr. 2 ZPO umzustellen auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch, etwa weil eine Klagerücknahme ohne Zustimmung des Beklagten nicht mehr möglich ist (§ 269 Abs. 1 ZPO), die dieser verweigert, oder weil der Kläger ei338
Jaspersen
Rz. 36 Kap. 17
ne vielleicht nicht kalkulierbare Ermessensentscheidung gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO vermeiden will (zum Wahlrecht vgl. BGH MDR 2013, 814).
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Wichtig: Die titulierte Feststellung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs lässt sich nach wohl herrschender Ansicht nicht unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren umsetzen, sondern bedarf eines weiteren Erkenntnisverfahrens (Becker-Eberhard in FS W. Gerhardt, 2004, S. 25 f. mwN.). Hierauf ist hinzuweisen.
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Zur einseitigen Erledigung zwischen den Instanzen vgl. Kap. 32 Rz. 45 ff. 2. Unter Beibehaltung des bisherigen Antrages als Hilfsantrag Muss der Kläger befürchten, dass das Gericht die Klageänderung als unzulässig ansieht, empfiehlt es sich, den alten Antrag nicht ersatzlos fallen zu lassen, sondern ausdrücklich hilfsweise aufrechtzuerhalten. Sollte die Klageänderung tatsächlich unzulässig sein, muss das Gericht über den alten Antrag entscheiden; die Entscheidung tritt neben die Ablehnung des neuen Antrages.
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3. Klageänderung in der zweiten Instanz a) Durch den Kläger als Berufungsführer Die Klage kann auch noch in zweiter Instanz geändert werden (§ 533 ZPO; s. hierzu auch Kap. 66 Rz. 7 ff.). Voraussetzung hierfür ist – jedenfalls – eine zulässig eingelegte und begründete Berufung. Eine Berufung ist aber unzulässig, wenn mit ihr lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; stets muss – zumindest auch – der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden. Der Kläger muss wenigstens teilweise die Richtigkeit der Klageabweisung in Frage stellen und den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch im Umfang der notwendigen Berufungssumme weiterverfolgen (für viele BGH MDR 2003, 1054 f.). Stellt der Kläger im Wege einer Auswechslung des Streitgegenstandes ausschließlich einen neuen Anspruch zur Entscheidung, fehlt es an der zur Zulässigkeit der Berufung erforderlichen Beschwer. Liegt dagegen ein Fall des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO vor (vgl. hierzu Rz. 61), ist die für eine Berufung erforderliche Beschwer gegeben (BGH MDR 2005, 502: allg. Ansicht).
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Wichtig: Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO sind auch in der Berufungsinstanz weder von der Zustimmung des Beklagten noch von einer Sachdienlichkeit abhängig; § 533 ZPO findet auf sie keine Anwendung. Das Berufungsgericht ist nicht an die Feststellungen des Landgerichts (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO) gebunden. Soweit es auf nicht festgestellte Tatsachen ankommt, sind diese gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO festzustellen, wenn sie erstinstanzlich vorgebracht, aber nicht festgestellt worden sind oder wenn sie gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind (ausf. BGH NJW 2004, 2152, 2154 f.; weitergehend Kramer BGHR 2004, 1113 f.: Auch neue Tatsachen sind zu berücksichtigen, wenn nach Maßgabe des § 282 ZPO kein Anlass bestanden hat, sie vor der Antragsänderung bereits erstinstanzlich vorzubringen).
Bislang ungeklärt ist die Frage, ob auch nach einer zulässig eingelegten und begründeten Berufung 36 eine Klageänderung dahin möglich ist, dass der Kläger den bisherigen Streitgegenstand fallen lässt und durch einen neuen Streitgegenstand ersetzt. Nach einer auch in der Rechtsprechung Anklang findenden Ansicht ist die Frage zu verneinen: Es gelte der Grundsatz, dass noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Beschwer gegeben sein müsse. Der in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung des BGH (MDR 2006, 828; MDR 2002, 1085) hat allerdings jeweils eine Fallkonstellation zugrunde gelegen, bei der die Rechtshängigkeit der ursprünglichen Klage ersatzlos durch Klagerücknahme oder Vergleich weggefallen ist. Nach zutreffender Ansicht (Musielak/Voit/ Ball vor § 511 ZPO Rz. 26; Gaier NJW 2001, 3289 jew. mwN), die sich aber wohl noch nicht durch-
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ZPO
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
ZPO
Kap. 17 Rz. 37
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
gesetzt hat, kann der Streitgegenstand einer zulässig eingelegten und begründeten Berufung – nach Maßgabe des § 533 ZPO – auch im Berufungsverfahren wie in erster Instanz ausgetauscht werden.
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Praxistipp: Will man das Risiko einer Berufungsverwerfung vermeiden, ist bis zuletzt am Angriff gegen das Urteil mit seinem Streitgegenstand festzuhalten und nur hilfsweise der neue Klagegrund geltend zu machen (nicht umgekehrt, weil dann die Berufung mit dem (neuen) Hauptantrag als unzulässig zu verwerfen ist und nur die Berufung mit dem Hilfsantrag zulässig ist und überprüft wird, BGH MDR 2001, 408, 409; aA Zöller/Greger § 263 ZPO Rz. 11b). Der Preis für diese Sicherheit ist die Pflicht, anteilig die Kosten für die Berufung tragen zu müssen. Darüber hinaus kann der Kläger gem. § 97 Abs. 2 ZPO auch insoweit mit Kosten zu belasten sein, als er wegen der Klageänderung obsiegt (BGH NZM 2009, 45).
38 Über §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO gilt das allgemeine Novenverbot (vgl. die Darstellung in Kap. 65 Rz. 176). Hätte das Gericht schon erstinstanzlich auf Bedenken an der Schlüssigkeit der Klage hinweisen müssen und der Kläger hieraufhin bereits erstinstanzlich die Klageänderung vorgenommen, liegt hierin eine Hinweispflichtverletzung gem. § 139 ZPO, die neues Vorbringen für die zweitinstanzliche Klageänderung rechtfertigen kann (BGH MDR 2007, 353). b) Durch den Kläger als Berufungsgegner
39 Will der Berufungsbeklagte die vor dem erstinstanzlichen Gericht erfolgreiche Klage in der Berufungsinstanz im Wege der Klageänderung auf eine andere oder eine weitere Grundlage stellen, muss er eine Anschlussberufung einlegen. Für diese Anschlussberufung gilt die Frist gem. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO selbst dann, wenn das Berufungsgericht bzw. schon das erstinstanzliche Gericht versäumt hat, den Kläger auf die Unschlüssigkeit seiner Klage hinzuweisen (BGH MDR 2008, 463). Soweit teilweise bei einer Hinweispflichtverletzung eine Wiedereinsetzung von Amts wegen in die Anschlussberufungsfrist bejaht wird (OLG Stuttgart OLGR 2008, 25), wird der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung überwiegend und grundsätzlich widersprochen (BGH MDR 2006, 45; OLG Frankfurt OLGR 2008, 165). Die Frist kann nur ablaufen, wenn die Fristsetzung wirksam ist (vgl. Rz. 17); fehlt es an einer wirksamen Fristsetzung, kann die Anschließung noch im Rahmen der letzten mündlichen Verhandlung erfolgen (BGH MDR 2009, 216).
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Wichtig: Keiner Anschlussberufung bedarf es, wenn ein Fall von § 264 Nr. 1 ZPO vorliegt oder der Kläger eine Antragsanpassung gem. § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO vornimmt wie zB beim Übergang zur Klage auf Feststellung einer Erledigung (BGH MDR 2008, 1240) oder vom Anspruch auf Vorschuss zum Anspruch auf Kostenerstattung (BGH MDR 2006, 586) oder bei der Umstellung einer Feststellungs- auf eine Leistungsklage und umgekehrt (Zöller/Greger § 264 ZPO Rz. 3b; aA BGH MDR 2009, 624, 625). Vgl. näher zu § 264 ZPO die Rz. 61.
III. Gewillkürte Parteiänderung 1. Allgemein
41 Die Parteiänderung kommt in Gestalt eines Parteiwechsels (eine neue Partei tritt anstelle der bisherigen Partei in den Rechtsstreit ein) vor und in Gestalt eines Parteibeitritts (eine weitere Partei tritt dem Rechtsstreit bei). Auch die sog. Drittwiderklage ist in diesem Sinne eine Parteiänderung. Das Problem der Parteiänderung, insbesondere des Parteiwechsels, ist abzugrenzen von der Parteiberichtigung. Soweit sich das Gewollte durch eine Parteiberichtigung erreichen lässt, hat diese Vorrang (vgl. Burbulla MDR 2007, 439). Die Abgrenzung kann im Einzelnen schwierig sein (instruktiv BGH NJW 2011, 1453). Ein Parteiwechsel oder ein Parteibeitritt ist zweckmäßig, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits herausstellt, dass die bisherige Partei nicht oder nicht allein die richtige Partei ist, weil auf Klägerseite entweder die Prozessführungsbefugnis oder die Aktivlegitimation bzw. auf Beklagtenseite die Passivlegitimation fehlt. Die Fragen, ob Parteiwechsel und -beitritt wie eine Klageänderung zu behandeln 340
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Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
Rz. 46 Kap. 17
ZPO
und unter welchen Voraussetzungen sie zulässig sind, werden unterschiedlich beantwortet; im Folgenden wird die herrschende Meinung auf der Grundlage der Rechtsprechung wiedergegeben. Danach beurteilt sich die Zulässigkeit eines Parteiwechsels bzw. -beitritts unter Heranziehung der zur Klageänderung geltenden Grundsätze. Zwar ist eine Klageänderung grundsätzlich bedingungsfeindlich, zulässig ist es aber, sie von einer sog. innerprozessualen Bedingung abhängig zu machen (zB hilfsweise Parteiänderung für den Fall, dass das Gericht eine Parteiberichtigung ablehnt, s. BGH NJW 2011, 1453 Rz. 18 ff.). Die Überprüfung der Zulässigkeit einer Parteiänderung unterliegt nicht den Beschränkungen des § 268 ZPO, auch soweit sie als Klageänderung verstanden wird (BGH MDR 1981, 386; str.). Die Grundsätze der Parteiänderung finden keine Anwendung in den Fällen, in denen das Gesetz besondere Regeln für die Parteiänderung beinhaltet (zB § 239 ZPO beim Tod einer Partei; § 240 ZPO iVm. §§ 85–87, 174 ff. InsO bei der Insolvenz einer Partei). Für den Fall der Einzelrechtsnachfolge enthalten § 265 Abs. 2 ZPO und § 266 ZPO ergänzende bzw. verdrängende Sonderregelungen. 2. Auf Seiten des Klägers a) Klägerwechsel Der Einwilligung des Beklagten in den Klägerwechsel bedarf es, wenn bereits mündlich verhandelt worden ist (analog § 269 Abs. 1 ZPO). Das Gericht kann das Fehlen der notwendigen Einwilligung durch Bejahung der Sachdienlichkeit ersetzen (arg. ex § 263 ZPO; BGHZ 65, 264; aA Zöller/Greger § 263 ZPO Rz. 30). Anders ist es im Falle des § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO; die Zustimmung des Gegners ist nicht ersetzbar (BGH MDR 1996, 1177). Hiervon schreibt § 266 Abs. 1 ZPO wiederum eine Ausnahme vor. Nach streitiger Ansicht verlangt die Erklärung des Parteieintritts auf Klägerseite die Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes an den Beklagten; die Verlesung eines Antrags in der mündlichen Verhandlung (§ 261 Abs. 2 Alt. 1 ZPO) genüge nicht, weil ein neues Prozessrechtsverhältnis begründet werde (Zöller/Greger § 263 ZPO Rz. 26; aA OLG Jena FamRZ 2001, 1619).
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Auf Klägerseite müssen sowohl der alte als auch der neue Kläger zustimmen. Ihre Zustimmung lässt sich nicht durch die Annahme einer Sachdienlichkeit ersetzen (OLG München NJW-RR 1998, 788).
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Praxistipp: Fehlt dem Kläger die Aktivlegitimation, empfiehlt sich statt des Parteiwechsels ein einfacherer Weg: Der Kläger sollte sich vom Rechtsinhaber die Klageforderung abtreten oder sich als gewillkürter Prozessstandschafter zur Einziehung ermächtigen lassen. Führt der Kläger auf dieser Grundlage den Prozess fort, liegt hierin eine Klageänderung (BGH NJW 2009, 56, 57).
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Folge des Klägerwechsels ist, dass das Prozessrechtsverhältnis zwischen dem bisherigen Kläger und dem Beklagten endet (arg. ex § 269 Abs. 3 ZPO). Zur kostenrechtlichen Folge vgl. Rz. 70 f.
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Wie bei einem Klägerwechsel in erster Instanz bedarf es bei einem Klägerwechsel in zweiter Instanz der Zustimmung des alten und neuen Klägers, während die Zustimmung des Beklagten dann entbehrlich ist, wenn der Parteiwechsel sachdienlich ist (vgl. BGH NJW 2016, 53, 54). Darüber hinaus gilt das zur Klageänderung in zweiter Instanz Gesagte grundsätzlich entsprechend. Erforderlich ist insbesondere eine zulässig eingelegte und begründete Berufung. Hat der alte Kläger eine zulässige Berufung eingelegt, kann der neue Kläger schon mit der Berufungsbegründung den Klägerwechsel erklären, wenn dies sachdienlich ist (BGH MDR 2003, 1054). Es bleibt jedoch auch in diesem Fall bei der weiteren Voraussetzung, dass der neue Kläger (auch) die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer begehren muss (s. Rz. 34). In einem solchen Fall kann der Klägerwechsel sogar mit der Berufungseinlegung erfolgen. Verfolgt der neue Kläger als „wahrer“ Rechtsinhaber den in erster Instanz abgewiesenen Anspruch des Prozessstandschafters weiter, ist diese Voraussetzung erfüllt (BGH MDR 2003, 1054 f.).
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Jaspersen 341
Kap. 17 Rz. 47
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
M 17.2
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b) Klägerbeitritt
47 Auch der Klägerbeitritt in erster Instanz ist wie eine Klageänderung zu behandeln, weshalb es der Zustimmung des Beklagten oder der Annahme der Sachdienlichkeit bedarf (OLG Nürnberg v. 6.11.2001 – 3 U 2395/01). Ob dies auch in zweiter Instanz gilt, erscheint immer mehr fraglich, weil es an der funktionellen Zuständigkeit des Berufungsgerichts für die Begründung eines neuen Prozessrechtsverhältnisses fehlt, wird von der Rechtsprechung aber nach wie vor bejaht. Es bedarf analog § 533 Nr. 1 ZPO der Zustimmung des Beklagten, die durch die Annahme der Sachdienlichkeit allenfalls dann ersetzbar ist, wenn der Klägerbeitritt dem Beklagten zumutbar ist (Musielak/Voit/Foerste § 263 ZPO Rz. 24). Die Rechtsprechung prüft insoweit nicht, ob der neue Kläger eine eigene Beschwer geltend machen kann (OLG Köln NJW-RR 1997, 1072).
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Wichtig: Da über § 533 Nr. 2 ZPO das Novenverbot gem. §§ 529, 531 ZPO im Falle des Klägerbeitritts gilt, muss die Bejahung der Sachdienlichkeit der Klageänderung und ihrer Zumutbarkeit für den Beklagten auf der Grundlage des bisherigen Prozessvortrags oder aufgrund der gem. § 531 Abs. 2 ZPO zulässigen neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel erfolgen.
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Praxistipp: Bei der Zulassung weiterer Parteien im Berufungsverfahren ist Zurückhaltung angebracht; die weitere Partei darf nicht als gleichsam „Fremde“ in den Prozess eintreten (BGH MDR 1989, 903). Hierin liegt ein nicht sicher kalkulierbares Risiko. Denn die unzulässige Parteierweiterung führt zur Prozesstrennung (Zöller/Greger § 263 ZPO Rz. 27) und zur Verwerfung der Klageerweiterung als unzulässig, weil das Berufungsgericht funktionell unzuständig ist.
50 M 17.2 Klageerweiterung, Parteibeitritt auf Klägerseite in zweiter Instanz An das Landgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) Namens des im Rubrum zu 3) angeführten Tischlers Franz Müller, erkläre ich den Beitritt zum Rechtsstreit auf Klägerseite. Ich werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, der Löschung der Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück … zuzustimmen. Begründung: 1. Die Kläger sind in Bruchteilsgemeinschaft Eigentümer des mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in der Hauptmannstraße 4. Bislang haben nur die Kläger zu 1) und 2) Klage auf Löschung der auf dem Grundstück lastenden Grunddienstbarkeit erhoben. Der Kläger zu 3) tritt dem Rechtsstreit bei. 2. Der Beklagte wird aufgefordert, dem Parteibeitritt des Klägers zu 3) zuzustimmen. Jedenfalls ist der Parteibeitritt sachdienlich: Der Streitgegenstand bleibt der gleiche. Die Frage der Aktivlegitimation des Tischlers Müller ist schon Gegenstand der Auseinandersetzungen der Parteien erster Instanz gewesen. Die Kläger haben die Ansicht vertreten, die Kläger zu 1) und 2) seien ohne den Kläger zu 3) nicht aktivlegitimiert. Dem wird durch den Beitritt Rechnung getragen. Kosten: Gericht: keine Auswirkung, da gleicher Streitgegenstand; Anwalt: Die Verfahrensgebühr erhöht sich von 1,9 (1,6 plus 0,3) um weitere 0,3 auf 2,1 (Nrn. 1008, 3200 VV RVG).
3. Auf Seiten des Beklagten a) Beklagtenwechsel
51 In formeller Hinsicht bedarf es der Zustellung eines Schriftsatzes, der den Anforderungen an eine Klageschrift genügen muss, weil ein neues Prozessrechtsverhältnis begründet wird. Eine Prozess-
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Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
Rz. 55 Kap. 17
ZPO
erklärung im Rahmen der mündlichen Verhandlung kann genügen, wenn der für den bisherigen Beklagten auftretende Rechtsanwalt erklärt, er vertrete auch den neuen Beklagten (arg. ex § 295 Abs. 1 Alt. 1 ZPO; BGH MDR 2010, 1341 Rz. 11). Sofern bereits mündlich verhandelt worden ist, muss der bisherige Beklagte zustimmen (arg. ex § 269 Abs. 1 ZPO; BGH MDR 1981, 386), es sei denn, er verweigert die Zustimmung missbräuchlich (BAG NJW 2010, 2909 Rz. 8). Seine Zustimmung kann vom Gericht durch Bejahung der Sachdienlichkeit nicht ersetzt werden (Zöller/Greger § 263 ZPO Rz. 24). Der Zustimmung des neuen Beklagten bedarf es nicht, wenn der Beklagtenwechsel sachdienlich ist (BGH NJW 1962, 347), was großzügig bejaht wird (Musielak/Voit/Foerste § 263 ZPO Rz. 14). Problematisch ist deshalb nur, ob und inwieweit der neue Beklagte an die bisherigen Prozessergebnisse gebunden ist. Hat er seine Zustimmung verweigert, dürfte eine Bindung nur insoweit zulässig sein, als ihm seine Rechte (zB Zeugen zu befragen, an einem Ortstermin des Sachverständigen teilzunehmen) nicht beschnitten werden (BGH MDR 1996, 194). Er hat deshalb ggf. Anspruch auf Wiederholung einer erfolgten Beweisaufnahme, wenn es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt. Hierüber muss der Rechtsanwalt aufklären und das Erforderliche veranlassen. Eine Präklusion des Vorbringens des bisherigen Beklagten (§ 296 ZPO) kann ebenso wenig gegen ihn wirken wie ein Geständnis (§§ 288 ff. ZPO). Hat der neue Beklagte dem Wechsel allerdings zugestimmt, dürfte eine umfassende Bindung anzunehmen sein (vgl. Musielak/Voit/Foerste § 263 ZPO Rz. 18), soweit sich nicht aus der Interpretation der Zustimmung eine Einschränkung ergibt. Folge des zulässigen Beklagtenwechsels ist, dass das Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem bisherigen Beklagten endet (arg. ex § 269 Abs. 3 ZPO). Zur kostenrechtlichen Folge vgl. Rz. 70 f.
52
In der zweiten Instanz verlangt der Beklagtenwechsel eine zulässige Berufung (vgl. hierzu Rz. 34). Ist der Kläger Berufungsbeklagter, spricht einiges dafür, dass der Beklagtenwechsel eine zulässige Anschlussberufung erfordert. Darüber hinaus ist grundsätzlich nicht nur entsprechend § 269 Abs. 1 ZPO die Zustimmung des bisherigen Beklagten erforderlich, sondern auch die des neuen Beklagten, weil er eine Instanz verliert. Die Zustimmung ist nur entbehrlich, wenn sie rechtsmissbräuchlich verweigert wird (BGH MDR 1987, 752). Ein solcher Rechtsmissbrauch (darlegungs- und beweisbelastet ist der Kläger) ist anzunehmen, wenn für eine Zustimmungsverweigerung schutzwürdige Interessen fehlen und der alte bzw. der neue Beklagte nicht befürchten muss, durch den Wechsel einen Nachteil zu erleiden. Vor allem muss dem neuen Beklagten zumutbar sein, in den schwebenden Prozess einzutreten und den bisherigen Prozessverlauf gegen sich gelten zu lassen (BGH NJW 1984, 2104; BGH MDR 1987, 752). Es gilt über § 533 Nr. 2 ZPO das Novenverbot gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO.
53
b) Parteierweiterung auf Beklagtenseite Die Rechtsprechung unterwirft eine Parteierweiterung auf Beklagtenseite in erster Instanz den Re- 54 geln der Klageänderung; dies gilt auch für eine parteierweiternde sog. Drittwiderklage (BGH MDR 1996, 194; BGH v. 30.9.2010 – Xa ARZ 208/10 mwN). Stimmt der neue Beklagte der Parteierweiterung nicht zu und wird sie für sachdienlich erachtet, ist er zwar grundsätzlich an die bisherigen Prozessergebnisse gebunden. Aber auch insoweit gilt, dass seine Rechte nicht verkürzt werden dürfen (vgl. Rz. 51 aE). Nach der vor Inkrafttreten des ZPO-RG geprägten Rechtsprechung bestimmt sich in zweiter Instanz 55 ein Beklagtenbeitritt nicht nach den Regeln der Klageänderung. Er ist grundsätzlich nur zulässig, wenn der neue Beklagte zustimmt. Eine rechtsmissbräuchliche Zustimmungsverweigerung ist allerdings unerheblich und wirkt wie eine Zustimmung. Ein Missbrauch ist zu bejahen, wenn ein schutzwürdiges Interesse des neuen Beklagten an der Weigerung nicht anzuerkennen ist und ihm nach der ganzen Sachlage zuzumuten ist, in den Rechtsstreit einzutreten, obgleich dieser bereits in der Berufungsinstanz schwebt (BGH NJW 1974, 750 f.; BGH NJW-RR 1986, 356; BGHZ 90, 17, 19), so zB, wenn der neue Beklagte mit dem Sachverhalt vertraut ist und die bisherige Führung des Rechtsstreits maßgeblich beeinflusst hat. Die Einbeziehung weiterer Beklagter soll dem Kläger ohne eigene BeJaspersen 343
ZPO
Kap. 17 Rz. 56
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
schwer möglich sein (BGH NJW 1988, 2298 f. ohne Begründung; Musielak/Voit/Foerste § 263 ZPO Rz. 24). Erweitert der Kläger die Klage auf weitere Beklagte, gilt dies nicht als Angriffs- und Verteidigungsmittel gem. §§ 146, 282 ZPO. Da eine solche Klageerweiterung auch nicht als Klageänderung zu qualifizieren ist (Rz. 8), gilt das Novenverbot nur unter den oben zu §§ 264 Nr. 2 und 3 ZPO dargestellten Maßgaben (Rz. 35). c) Verfahrensfragen
56 Bei einem unzulässigen Beklagtenwechsel bzw. -beitritt bleibt es bei der bisherigen Rechtshängigkeit und es wird kein Prozessrechtsverhältnis zum neuen Beklagten begründet. Ist die Zulässigkeit unter den Parteien streitig, sollte gem. § 280 ZPO eine Zwischenentscheidung angeregt werden, um Rechtssicherheit zu erreichen. Die Anfechtbarkeit dieser Entscheidung wird nicht durch § 268 ZPO beschränkt.
IV. Reaktionen des Gegners der Klage- bzw. Parteiänderung 1. Einwilligung bzw. Zustimmung
57 Eine erforderliche Einwilligung bzw. Zustimmung kann ausdrücklich (schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung) oder durch rügelose Einlassung auf die geänderte Klage in der mündlichen Verhandlung erfolgen (§ 267 ZPO). Deshalb muss der Klage- bzw. Parteiänderung widersprochen werden, soweit es auf eine Einwilligung bzw. Zustimmung ankommt. § 267 ZPO gilt nicht bei Säumnis des Beklagten; auch dann nicht, wenn der Beklagte sich zuvor schriftlich auf die geänderte Klage eingelassen hatte. Die neue Partei muss abschätzen, ob sie bereit ist, die gegenwärtige Prozesslage mit ihren Ergebnissen hinzunehmen; sieht sie dies als problematisch an, muss sie versuchen, eine Aussage des Gerichts zu erreichen, wie es das bisherige Verfahren einschätzt und ob es ggf. teilweise wiederholt werden kann.
58 Einem Widerspruch gegen die Klage- bzw. Parteiänderung schadet es nicht, wenn der Widersprechende hilfsweise zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klageforderung verhandelt. 2. Sachdienlichkeit
59 Soweit für die Zulässigkeit einer Klage- bzw. Parteiänderung eine Sachdienlichkeit erforderlich ist, muss der Gegner versuchen, diese in Abrede zu stellen. Die Beurteilung der Sachdienlichkeit gem. §§ 263, 533 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verlangt eine umfassende beiderseitige Interessenabwägung. Es kommt darauf an, ob die Klageänderung den sachlichen Streitstoff ausräumt und einem weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit ist nicht bezogen auf das gegenwärtige Verfahren zu prüfen. Unerheblich ist deshalb, ob die Zulassung die Erledigung des – vielleicht sogar schon entscheidungsreifen – Prozesses etwa durch eine notwendige Beweiserhebung verzögert oder ob eine Partei eine Instanz verliert. Im Allgemeinen kann eine Sachdienlichkeit nur verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wird, bei dessen Beurteilung nicht auf das Ergebnis der bisherigen Prozessführung zurückgegriffen werden kann (BGH NJW 2007, 2414 f.). Soweit nicht prozesswirtschaftliche Gründe überwiegen, kann eine Sachdienlichkeit wegen Verspätung oder Prozessverschleppung verneint werden (Zöller/Greger § 263 ZPO Rz. 13). Das ist zB der Fall, wenn die Klage- bzw. Parteiänderung aus prozesstaktischen Gründen zwecks Vermeidung einer Präklusion eingesetzt wird (vgl. Rz. 6 und 26), weil sie – da kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel – nicht verspätet sein kann und nur beschränkt dem Novenverbot im Berufungsverfahren unterliegt. 3. Anerkenntnis
60 Macht die Klageänderung die Klage schlüssig, ist an ein Anerkenntnis zu denken. Bei der Prüfung der Frage, ob ein sofortiges Anerkenntnis gem. § 93 ZPO vorliegt, ist grundsätzlich auf die der Rechtshän344
Jaspersen
Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
Rz. 64 Kap. 17
ZPO
gigkeit nächstfolgende mündliche Verhandlung abzustellen bzw. – beim schriftlichen Verfahren – auf die Frist für den der Rechtshängigkeit nächstfolgenden Schriftsatz; zu beachten ist aber auch die allgemeine Prozessförderungspflicht (OLG Düsseldorf NJW 2018, 17649. Ein sofortiges Anerkenntnis liegt vor, wenn in der ersten mündlichen Verhandlung, nachdem der geänderte Anspruch erhoben und begründet worden war, anerkannt wird (KG MDR 2008, 164). Dies gilt auch bei einem gewillkürten Beklagtenwechsel bzw. -beitritt (Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Klageänderung“). Hat der Beklagte der Klageänderung bzw. dem Parteiwechsel oder -beitritt zugestimmt, muss er den Prozessverlauf und insbesondere die bisherigen Prozessergebnisse gegen sich gelten lassen; ein Anerkenntnis kann deshalb nur dann sofortig iSv. § 93 ZPO sein, wenn er es mit der Zustimmung abgegeben hat.
V. Fälle des § 264 Nr. 1–3 ZPO Die Fälle des § 264 Nr. 1–3 ZPO sind abzugrenzen von der Klageänderung gem. § 263 ZPO, weil sie 61 nicht den dortigen Beschränkungen unterliegen. Die Verjährungshemmung durch die ursprüngliche Klage gilt auch für die „geänderte“ Klage iSv. § 264 ZPO. Der Fall des § 264 Nr. 1 ZPO spielt eine geringe Rolle. Es werden ohne Änderung des Klagegrundes lediglich die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt. Das gilt zB für das Nachschieben einer anderen Anspruchsgrundlage bei identischem Klagegrund (OLG Dresden ZIP 1997, 730 f.). Die Fälle der § 264 Nr. 2 und 3 ZPO verlangen, dass der Klagegrund der Gleiche bleibt. § 264 Nr. 2 ZPO erfasst zum Beispiel den Übergang zur Feststellung der Erledigung, wenn die Erledigungserklärung des Klägers einseitig bleibt (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH MDR 2002, 413), § 264 Nr. 3 ZPO den Übergang von der Abschlagsauf die Schlusszahlungsklage (OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 1591 f.) oder die Werklohnabrechnung auf der Grundlage einer neuen Schlussrechnung (BGH MDR 2005, 502). Keine Klageänderung iSv. § 264 Nr. 3 ZPO stellt eine bloße Änderung der Art der Schadensberech- 62 nung dar, wenn lediglich mit geänderten Schadensfaktoren, aber auf der Grundlage des gleichen Lebenssachverhalts ein Schadensersatzanspruch in unveränderter Höhe geltend gemacht wird (BGH MDR 2017, 966). Ob sich ein Wechsel zwischen den einzelnen Gewährleistungsrechten insbesondere im Bauprozess unter § 264 Nr. 3 ZPO subsumieren lässt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, was auch in Bezug auf Verjährungsfristen bedeutsam ist. Die Rechtsprechung neigt zu einer prozessökonomischen Sichtweise (BGH NZM 2018, 345 zum Übergang vom kleinen Schadensersatzanspruch, berechnet nach dem Minderwert, zum Schadensersatz, berechnet nach den aufgewandten Mängelbeseitigungskosten bzw. zum Vorschussanspruch). Auch eine nachträgliche Tilgungsbestimmung gem. §§ 366 Abs. 2, 367, 396 Abs. 2 BGB stellt keine Klageänderung dar und ist deshalb zweitinstanzlich ohne Weiteres nachholbar (BGH WuM 2018, 278 Rz. 29). Hat sich die materielle Rechtslage bereits vor Rechtshängigkeit geändert, verlangt § 264 Nr. 3 ZPO, dass dem Kläger diese Veränderung schuldlos unbekannt geblieben ist (BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 34/07; OLG Hamm MDR 2000, 48; str.). Bei der Stufenklage nach § 254 ZPO wird der Wechsel von der Auskunfts- zur Leistungsstufe nicht von § 263 ZPO erfasst, sondern von § 264 Nr. 2 ZPO (BGH MDR 2013, 867 Rz. 24). Fällt eine Änderung unter § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO, unterliegt auch ihre Rückgängigmachung dieser Maßgabe. Im Übrigen wird auf die umfangreiche Rechtsprechung verwiesen (Zöller/ Greger § 264 ZPO Rz. 2 ff.). Auch in den Fällen des § 264 ZPO ist ein sofortiges Anerkenntnis gem. § 93 ZPO denkbar, wenn die Klage zuvor unschlüssig gewesen ist (OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 1591 f.; LG Berlin ZInsO 2013, 1269 f.).
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Bei einer endgültigen Reduzierung des Antrags stellt sich die Frage, welche Erklärungen der Kläger hinsichtlich des nicht weiterverfolgten Teils abgeben sollte: Stellt sich heraus, dass irrtümlich/unberechtigt/unbeweisbar zu viel geltend gemacht worden ist, ist zunächst an einen Klageverzicht mit der Möglichkeit einer reziproken Anwendung von § 93 ZPO zu denken (probl.). Im Übrigen bleibt nur die teilweise Klagerücknahme; ist bereits zur Hauptsache verhandelt worden, bedarf sie der Zustimmung des Beklagten (§ 269 Abs. 1 ZPO). Wird der Antrag ermäßigt, weil der Beklagte teilweise ge-
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Klageerweiterung, Klageänderung, Parteiwechsel
zahlt hat, ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache gem. § 91a Abs. 1 ZPO für erledigt zu erklären (vgl. Rz. 28 ff.).
65 Die nachträgliche Klagenhäufung ist keine Klageänderung; sie wird jedoch wie eine Klageänderung behandelt (s. Kap. 16 Rz. 40 f.).
VI. Gebührenstreitwert und Vergütung bei Parteiwechsel 66 Zu beachten ist, dass ein neuer Streitgegenstand iSv. § 263 ZPO nicht zwangsläufig einen neuen oder zusätzlichen Gebührenstreitwert bedingt. Denn insoweit gilt im Kosten- und Gebührenrecht eine wirtschaftliche Betrachtungsweise (BGH NJW-RR 2005, 506 f.).
67 Die Verfahrensgebühr wird nach dem höchsten Gebührenstreitwert berechnet. Die Terminsgebühr richtet sich nach dem Gebührenstreitwert des Anspruchs, über den verhandelt worden ist.
68 Die Klageänderung in zweiter Instanz erhöht nur den zweitinstanzlichen Gebührenstreitwert. 69 K
Wichtig: Bei der gebührenrechtlichen Rechtslage ist zu beachten, dass bei einem Parteiwechsel der Rechtsanwalt, der die alte und neue Partei vertreten hat bzw. vertritt, nur eine Gesamtvergütung gem. § 7 RVG erhält, selbst wenn er den Auftrag zur Vertretung des neuen Beklagten erst nach Ausscheiden des alten erhalten hat (BGH MDR 2007, 365). Für den Rechtsanwalt handelt es sich um dieselbe Angelegenheit (vgl. § 15 Abs. 2 RVG). Für die Verfahrensgebühr kann er eine Erhöhung gem. Nr. 1008 VV RVG geltend machen.
VII. Kostenfragen 1. Klageänderung
70 Die Kostenentscheidung erfolgt grundsätzlich einheitlich (zur Zulässigkeit einer Differenzierung nach Zeitabschnitten vgl. BeckOK.ZPO/Jaspersen § 92 ZPO Rz. 10 mwN). Für die Verteilung der Kosten der geänderten Klage gelten keine Besonderheiten; problematisch ist lediglich, nach welchen Grundsätzen die Kosten zu verteilen sind, die durch die ursprüngliche Klage bedingt sind. Ausgangspunkt der Überlegungen muss sein, ob insoweit ein eigenständiger Gebührenstreitwert in Ansatz zu bringen ist. Hieraus folgt, dass bei unverändertem (oder sogar höherem) Gebührenstreitwert für die geänderte Klage die Kosten grundsätzlich allein nach dem Obsiegen und Unterliegen betreffend den neuen Streitgegenstand zu verteilen sind (unprobl.). Ist der Gebührenstreitwert für die geänderte Klage indes geringer als der für die ursprüngliche Klage oder sind alter und neuer Streitgegenstand sogar wirtschaftlich nicht identisch, kann es unbillig sein, die Kosten allein nach dem Obsiegen und Unterliegen betr. den neuen Streitgegenstand zu verteilen. Dem Gebot der Kostengerechtigkeit entspricht man am ehesten, wenn man unter Heranziehung der Rechtsgedanken aus §§ 91a Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO die Mehrkosten danach verteilt, in wessen Verantwortungsbereich die Reduzierung des Gebührenwerts fällt. Hat der Kläger seine Klage geändert, weil sie sich als von Beginn an unbegründet herausgestellt hat, liegt es nahe, ihn entsprechend § 269 Abs. 3 ZPO mit den anteiligen Mehrkosten zu belasten. Ist die Klageänderung durch eine Erledigung bedingt gewesen, bietet sich an, die anteiligen Mehrkosten unter Heranziehung der zur Erledigung iSv. § 91a Abs. 1 ZPO entwickelten Grundsätze zu verteilen.
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Praxistipp: Der Prozessbevollmächtigte muss frühzeitig das Problem des Gebührenstreitwerts im Auge behalten und dessen Bedeutung für die Kostengrundentscheidung. Schon vor einer Klageänderung muss er ihre kostenrechtlichen Auswirkungen bedenken.
72 Da sich im Falle einer unzulässigen Klageänderung der Streitwert nicht erhöht (OLG Bamberg MDR 2013, 624; str.), ist er ohne Einfluss auf die Kostenverteilung; eine unzulässige Klageänderung ist kostenneutral. Da die Klageänderung kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel ist, findet § 96 ZPO in Be346
Jaspersen
Beweisantritt
Kap. 18
ZPO
zug auf die geänderte Klage keine Anwendung, wohl aber § 97 Abs. 2 ZPO (BGH NZM 2009, 45). § 96 ZPO kann aber hinsichtlich solcher Angriffs- und Verteidigungsmittel Anwendung finden, die infolge der Klageänderung erfolglos im Sinne von überflüssig geworden sind. 2. Parteiwechsel Beim Beklagtenwechsel sollte der ausgeschiedene Beklagte hinsichtlich seiner außergerichtlichen Kosten eine Kostengrundentscheidung analog § 269 Abs. 3, 4 ZPO beantragen. Das Verbot der Kostentrennung steht nicht entgegen (zur Kostengrundentscheidung betreffend den ausgeschiedenen Beklagten im Rahmen von §§ 265 Abs. 2 Satz 2, 266 ZPO vgl. Rz. 75). Entsprechendes gilt beim Klägerwechsel. Auf Antrag sind analog § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch einem ausscheidenden Kläger unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits bereits bei dessen Ausscheiden diejenigen Mehrkosten aufzuerlegen, die dadurch entstanden sind, dass zunächst er die Klage erhoben hat. Ob und in welchem Umfang tatsächlich ausscheidbare Mehrkosten angefallen sind, ist im Kostenfestsetzungsverfahren festzustellen (OLG Hamm MDR 2007, 1447). Hat ein und derselbe Rechtsanwalt sowohl die ausscheidende Partei vertreten als auch die eintretende Partei, ist von einer gebührenrechtlichen Angelegenheit auszugehen (BGH MDR 2007, 365). Der Mehrvertretungszuschlag ist berechtigt. Zur Berechnung vgl. instruktiv Hansens RVGreport 2014, 550.
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K
Wichtig: Wird über die Kosten betreffend die ausgeschiedene Partei nicht vorab befunden, muss sie in der verfahrensabschließenden Entscheidung erfolgen. Wird sie vergessen, muss die ausgeschiedene Partei ihre Nachholung veranlassen. Hierfür gilt § 321 ZPO und damit eine ZweiWochen-Frist, die allerdings erst mit Zustellung der Entscheidung an die ausgeschiedene Partei beginnt.
74
Im Übrigen erfolgt grundsätzlich eine Kostengrundentscheidung nur zwischen der neuen Partei und der Gegenpartei. Die ausgeschiedene Partei wird nicht mit Kosten belastet; im Voraus verauslagte und nicht verbrauchte Gerichtskosten kann sie zurückverlangen. Da eine Entscheidung über die Gerichtskosten einheitlich erfolgt, ist darauf zu achten, dass der ausgeschiedenen Partei keine Beweisaufnahmekosten zur Last gelegt werden, die nach seinem Ausscheiden angefallen sind. Anders ist es, wenn bereits eine rechtskräftige Teilentscheidung (zB ein Teilurteil) zu ihrem Nachteil vorliegt; insoweit kann auch die ausgeschiedene Partei anteilig Kosten tragen müssen.
75
Bei der Übernahme des Rechtsstreits durch den Rechtsnachfolger einer Partei nach §§ 265 Abs. 2, 266 Abs. 1 ZPO endet die Rechtshängigkeit der Klage gegen die ursprüngliche Partei; sie ist insoweit gegenstandslos geworden. Dies rechtfertigt die analoge Anwendung von § 91a ZPO (BGH MDR 2006, 955 auch zur Anwendbarkeit von § 321 ZPO, wenn eine Kostengrundentscheidung betr. den ausgeschiedenen Beklagten unterblieben bzw. vergessen worden ist).
76
Kapitel 18 Beweisantritt I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beweislast, Beweiserleichterungen . . . . . . . a) Behauptungs- und Beweislast . . . . . . . . b) Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für die Praxis . . . . . . . . . . . 2. Auswahl des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . a) Freibeweis, Glaubhaftmachung, Strengbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2 3 7 10
b) Auswahl im Strengbeweis . . . . . . . . . . . c) Einverständnis zum Freibeweis . . . . . . . II. Beweisantritt durch Zeugen . . . . . . . . . . . 1. Vor der Benennung der Zeugen . . . . . . . . . 2. Benennung des Zeugen für äußere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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zug auf die geänderte Klage keine Anwendung, wohl aber § 97 Abs. 2 ZPO (BGH NZM 2009, 45). § 96 ZPO kann aber hinsichtlich solcher Angriffs- und Verteidigungsmittel Anwendung finden, die infolge der Klageänderung erfolglos im Sinne von überflüssig geworden sind. 2. Parteiwechsel Beim Beklagtenwechsel sollte der ausgeschiedene Beklagte hinsichtlich seiner außergerichtlichen Kosten eine Kostengrundentscheidung analog § 269 Abs. 3, 4 ZPO beantragen. Das Verbot der Kostentrennung steht nicht entgegen (zur Kostengrundentscheidung betreffend den ausgeschiedenen Beklagten im Rahmen von §§ 265 Abs. 2 Satz 2, 266 ZPO vgl. Rz. 75). Entsprechendes gilt beim Klägerwechsel. Auf Antrag sind analog § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch einem ausscheidenden Kläger unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits bereits bei dessen Ausscheiden diejenigen Mehrkosten aufzuerlegen, die dadurch entstanden sind, dass zunächst er die Klage erhoben hat. Ob und in welchem Umfang tatsächlich ausscheidbare Mehrkosten angefallen sind, ist im Kostenfestsetzungsverfahren festzustellen (OLG Hamm MDR 2007, 1447). Hat ein und derselbe Rechtsanwalt sowohl die ausscheidende Partei vertreten als auch die eintretende Partei, ist von einer gebührenrechtlichen Angelegenheit auszugehen (BGH MDR 2007, 365). Der Mehrvertretungszuschlag ist berechtigt. Zur Berechnung vgl. instruktiv Hansens RVGreport 2014, 550.
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Wichtig: Wird über die Kosten betreffend die ausgeschiedene Partei nicht vorab befunden, muss sie in der verfahrensabschließenden Entscheidung erfolgen. Wird sie vergessen, muss die ausgeschiedene Partei ihre Nachholung veranlassen. Hierfür gilt § 321 ZPO und damit eine ZweiWochen-Frist, die allerdings erst mit Zustellung der Entscheidung an die ausgeschiedene Partei beginnt.
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Im Übrigen erfolgt grundsätzlich eine Kostengrundentscheidung nur zwischen der neuen Partei und der Gegenpartei. Die ausgeschiedene Partei wird nicht mit Kosten belastet; im Voraus verauslagte und nicht verbrauchte Gerichtskosten kann sie zurückverlangen. Da eine Entscheidung über die Gerichtskosten einheitlich erfolgt, ist darauf zu achten, dass der ausgeschiedenen Partei keine Beweisaufnahmekosten zur Last gelegt werden, die nach seinem Ausscheiden angefallen sind. Anders ist es, wenn bereits eine rechtskräftige Teilentscheidung (zB ein Teilurteil) zu ihrem Nachteil vorliegt; insoweit kann auch die ausgeschiedene Partei anteilig Kosten tragen müssen.
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Bei der Übernahme des Rechtsstreits durch den Rechtsnachfolger einer Partei nach §§ 265 Abs. 2, 266 Abs. 1 ZPO endet die Rechtshängigkeit der Klage gegen die ursprüngliche Partei; sie ist insoweit gegenstandslos geworden. Dies rechtfertigt die analoge Anwendung von § 91a ZPO (BGH MDR 2006, 955 auch zur Anwendbarkeit von § 321 ZPO, wenn eine Kostengrundentscheidung betr. den ausgeschiedenen Beklagten unterblieben bzw. vergessen worden ist).
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Kapitel 18 Beweisantritt I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beweislast, Beweiserleichterungen . . . . . . . a) Behauptungs- und Beweislast . . . . . . . . b) Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für die Praxis . . . . . . . . . . . 2. Auswahl des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . a) Freibeweis, Glaubhaftmachung, Strengbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Auswahl im Strengbeweis . . . . . . . . . . . c) Einverständnis zum Freibeweis . . . . . . . II. Beweisantritt durch Zeugen . . . . . . . . . . . 1. Vor der Benennung der Zeugen . . . . . . . . . 2. Benennung des Zeugen für äußere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Angaben über die Herkunft des Wissens des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.1 Angabe der Erkenntnisquelle des benannten Zeugen . . . . . . . . b) Benennung namentlich bekannter Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.2 Benennung eines sachverständigen Zeugen . . . . . . . . . . . . . . M 18.3 Korrekte Angabe des Beweisthemas bei der Benennung des Zeugen als Beweismittel . . . . . . . c) Bei noch zu ermittelnden Zeugen . . . . . M 18.4 Zeugenbenennung bei noch namentlich zu ermittelnden Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mit Hinweis auf Informationspflicht des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.5 Zeugenbenennung mit Hinweis auf die Informationspflicht des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Benennung eines der Berufsverschwiegenheit unterliegenden Zeugen . . . . . . . M 18.6 Benennung eines Zeugen, der der Berufsverschwiegenheit unterliegt . . . . . . . . . . . . . . . . . Benennung des Zeugen für innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.7 Benennung eines Zeugen für eine innere Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . Beweisantritt durch Sachverständigen . . . Aufgabe des Sachverständigen . . . . . . . . . . Formulierung des Antrages . . . . . . . . . . . . M 18.8 Sachverständigenbeweis; Anführen von Hilfstatsachen – Meiden eines Ausforschungsbeweises . . . . . . . . . M 18.9 Beweisangebot Sachverständigengutachten – Sachmangel Werkleistung/Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.10 Beweisangebot Sachverständigengutachten – Spezialkenntnisse erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . Außergewöhnliche Fälle . . . . . . . . . . . . . . .
Beweisantritt
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IV. 1.
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V.
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VI. 1.
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69 71 72
4.
M 18.11 Vorlage eines Privatgutachtens nach durchgeführtem selbständigen Beweisverfahren . . . . . . . . . M 18.12 Angebot Sachverständigenbeweis – objektiv geeignetes Beweismittel . . Behördenauskunft, Meinungsumfrage . . . . M 18.13 Antrag auf Einholung einer Behördenauskunft . . . . . . . . . . . . Beweisantritt durch Urkunden . . . . . . . . . Beweisantritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.14 Beweisantritt – Beweis durch Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.15 Gegenwehr bei Beweisführung durch Urkunden gem. § 131 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.16 Urkundenbeweis gem. § 131 Abs. 2 ZPO – Bestreiten der Echtheit der vorgelegten Kopie . . Urkunden in den Händen des Gegners oder eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Urkunden in den Händen des Gegners . c) Urkunden in den Händen eines Dritten M 18.17 Beweisantritt Vorlage einer Urkunde durch Dritten . . . . . . Beweisantritt durch Augenschein . . . . . . . M 18.18 Beweis durch Augenschein . . . . . . Beweisantritt durch Parteivernehmung . . Vernehmung des Gegners . . . . . . . . . . . . . M 18.19 Beweisangebot – Vernehmung des Prozessgegners als Partei . . . . M 18.20 Beweisantritt – Vernehmung des Gegners als Partei; ergänzende Hilfstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . Vernehmung des Beweisführers . . . . . . . . . Anregung auf Vernehmung der eigenen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 18.21 Beweisantritt – Vernehmung des Beweisführers als Partei (§ 448 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vier-Augen-Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . .
74 76 77 78 79 80 81 85 87 88 88 89 95 105 106 108 110 110 111 113 114 115 116 117
I. Grundlagen 1. Beweislast, Beweiserleichterungen
1 Ist eine – eine Tatsache betreffende – Behauptung einer Partei für die vom Kläger begehrte Rechtsfolge erheblich und hat der Prozessgegner die Richtigkeit der Behauptung bestritten, bedarf die Behauptung des Beweises. Erhebt der Beklagte Einwendungen, so gilt dies spiegelbildlich für die die jeweilige Einwendung begründenden Tatsachen. a) Behauptungs- und Beweislast
2 Behauptungs- und Beweislast stimmen in der Regel überein (vgl. Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rz. 28 mwN). Behauptungs- und Beweislast können allerdings auch auseinanderfallen. Dies gilt – aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Beweislastregel in § 179 Abs. 1 BGB – etwa bei 348
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Beweisantritt
Rz. 5 Kap. 18
ZPO
Inanspruchnahme des vollmachtlosen Vertreters. Der Kläger, der den Vertreter aus § 179 BGB in Anspruch nimmt, muss die fehlende Vollmacht behaupten; der Vertreter selbst muss im Anschluss daran seine Vollmacht beweisen (vgl. Palandt/Heinrichs § 179 BGB Rz. 10). Entsprechende ausdrückliche gesetzliche Beweislastregeln enthalten §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 345, 2336 Abs. 3 BGB. Die Beweislast ist häufig zudem der Formulierung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zu entnehmen; sei es durch die dort verwendete positive oder negative Formulierung, sei es durch die Konstruktion von Regel- und Ausnahmetatbestand. Bestehen gesetzliche Vermutungen für das Vorliegen einer Tatsache (s. etwa §§ 938, 1117 Abs. 3, 1253 Abs. 2, 1377 Abs. 1, 1253 Abs. 2, 2009, 2255 BGB, §§ 437 Abs. 1, 440 Abs. 2 ZPO) oder für die Inhaberschaft eines Rechts (s. etwa §§ 891, 921, 1006, 1138, 1155, 1248, 1362, 2365, 2368 Abs. 3 BGB, Art. 16 Abs. 1 WG) muss die Partei, die die Vermutung für sich in Anspruch nehmen will, die Voraussetzungen für diese Vermutung darlegen und ggf. beweisen; die Vermutung widerlegen muss alsdann der Prozessgegner. Fehlen gesetzliche Beweislastregeln oder Vermutungen, ist zunächst auf die ungeschriebene Grundregel zurückzugreifen, nach der der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden und der Anspruchsgegner die rechtshemmenden, rechtsvernichtenden und rechtshindernden Tatsachen zu beweisen hat (BGH NJW-RR 1998, 1268; NJW 1991, 1052). Unabhängig von dieser Grundregel gibt es eine Vielzahl von Einzelfällen, in denen auch diese Grundregel nicht weiterhilft und für die Beantwortung der Frage, wer was zu beweisen hat, auf die Rechtsprechung zu diesen Einzelfällen zurückzugreifen ist (vgl. etwa die Übersicht bei Zöller/Greger vor § 284 ZPO Rz. 19 ff. sowie im Einzelnen Baumgärtel, Handbuch der Beweislast). b) Beweiserleichterungen Zu den Beweiserleichterungen, auf die in der Praxis am häufigsten zurückgegriffen wird, gehört der 3 Anscheinsbeweis. Beim Anscheinsbeweis (vgl. dazu BGH NJW 1998, 749; NJW 1997, 1853; NJW 1997, 2757; VersR 1997, 205; VersR 1996, 513) kommt es darauf an, dass alle unstreitigen und – durch Beweiserhebung – festgestellten Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhalts einen für die über den Anscheinsbeweis zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensablauf ergeben (BGH WM 2017, 1614 Rz. 10; NJW 2001, 1140; NJW 1996, 224). Derjenige, der sich auf den Anscheinsbeweis beruft, darf den Prozessgegner nicht in der Möglichkeit beschneiden, den Anscheinsbeweis zu erschüttern (BGH NJW 1998, 79). Tut er dies, kann er sich auf die Regeln des Anscheinsbeweises nicht berufen. Zu den weiteren, aus der Inanspruchnahme des Versicherers nach erfolgtem Kraftfahrzeugdiebstahl bekannten Beweiserleichterungen, gehört der Beweis für das äußere Bild. Diese Beweiserleichterung, die für den Fall der Inanspruchnahme der Hausratsversicherung oder ebenso beim – bestrittenen – Einbruchdiebstahl gilt (BGH VersR 1988, 75), besagt, dass der Nachweis von Anzeichen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines versicherten Diebstahls ergeben, ausreichen, um die Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsvertrag darzutun (BGH NJW 1991, 2493). Der Versicherer hat alsdann Umstände zu beweisen, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit für einen vorgetäuschten Diebstahl sprechen (BGH NJW-RR 1993, 719). Hat der Versicherungsnehmer das äußere Bild eines Fahrzeugdiebstahls selbst nicht nachweisen können, etwa weil ihm kein Beweismittel dafür zur Verfügung steht, dass er das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat, hat das Gericht im Rahmen der dem Versicherungsnehmer zugute zu kommenden Beweiserleichterungen den Versicherungsnehmer gem. § 141 ZPO anzuhören und dessen Glaubwürdigkeit zu beurteilen; diese hängt ihrerseits davon ab, ob die Erklärungen des Versicherungsnehmers mit festgestellten Tatsachen zwanglos in Einklang zu bringen sind (BGH NJW-RR 1997, 663).
4
Gesetzliche Beweiserleichterungen sind in den §§ 287 und 294 ZPO zu finden; die Beweiserleichte- 5 rungen, die § 294 ZPO bietet, können jedoch nur in Anspruch genommen werden, sofern durch gesetzliche Vorschrift oder richterliche Rechtsfortbildung – Freibeweis statt Strengbeweis (vgl. Zöller/ Greger § 294 ZPO Rz. 1) – die Glaubhaftmachung für die Überzeugungsbildung des Richters zugelassen ist.
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Kap. 18 Rz. 6
Beweisantritt
ZPO
6 Die Rechtsprechung differenziert häufig auch danach, welche Anforderungen an die Überzeugungsbildung, also das Beweismaß, zu stellen sind. So sind an die Annahme eines stillschweigend geschlossenen Erlassvertrages strenge Anforderungen zu stellen (BGH NJW-RR 2002, 1613; NJW 1997, 3017; NJW 1995, 1195). Das gilt ebenfalls, wenn es um den Nachweis der Behauptung geht, dass eine im Wortlaut eindeutige Erledigungsklausel in einem Vergleich nur beschränkte Wirkung haben soll (BGH NJW 1957, 1395). Auch an den Nachweis einer Stundungsabrede werden hohe Anforderungen gestellt (BGH NJW-RR 1992, 1140). Tatsächliche Vermutungen erleichtern die Beweisführung demgegenüber. Dazu gehört die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens (s. dazu etwa BGH NJW 1996, 3009 sowie NJW 1994, 2541; NJW 1992, 240; demgegenüber sehr differenziert und dogmatisch zuzustimmen BGH NJW 1993, 2359; inzwischen spricht der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang vom „Anscheinsbeweis beratungsgerechten Verhaltens“, BGH NJW 2012, 2435 Rz. 36; BRAK-Mitt. 2008, 262; NJW 2008, 2647; zweifelhaft, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes andererseits der Anscheinsbeweis idR versagt, wenn festgestellt werden muss, wie ein Mensch gehandelt haben würde, BGH VersR 1975, 540; BGHZ 104, 256); ferner die Vermutung, dass Gefahrenhinweise beachtet werden (BGH NJW 2008, 3775; NJW 1991, 2021). c) Folgerungen für die Praxis
7 Wegen der umfangreichen Kasuistik, die es zu beachten gilt, wenn vermieden werden soll, dass zu Lasten der eigenen Partei eine Beweislastentscheidung nur deshalb ergeht, weil für eine beweisbedürftige Behauptung kein Beweis angeboten worden ist, hat es sich in der Prozesspraxis bewährt, jede Tatsachenbehauptung unter Beweis zu stellen, und zwar unabhängig davon, ob demjenigen, der die Behauptung aufstellt, auch die Beweislast obliegt. Trägt der Prozessgegner die Beweislast, erweist sich das eigene Beweisangebot keineswegs als überflüssig. Das eigene Beweisangebot verfolgt für diesen Fall das Ziel, die vom Gericht nach Erhebung der von der beweisbelasteten Partei angebotenen Beweise gewonnene Überzeugung von der Wahrheit der beweisbedürftigen Behauptung nunmehr durch die Aufnahme der gegenbeweislich angebotenen Beweise zu erschüttern (vgl. Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rz. 19).
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Praxistipp: Diese Regel ist streng zu beachten, weil für den Gegenbeweis im Berufungsverfahren die Sperre des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO gilt. Es ist zudem nicht ratsam, durch die Formulierung des Beweisangebotes deutlich zu machen, ob das Beweismittel als Beweisführer oder gegenbeweislich benannt wird. Erst wenn die Beweise erhoben sind und das Beweisergebnis zu bewerten ist, sollte man – soweit erforderlich – im Schriftsatz auf die Beweislastverteilung eingehen. Es lassen sich auf diese Weise Irrtümer, die dem Gegner bei der Beurteilung der Beweislast unterlaufen, für die eigene Prozessführung nutzen.
9 Bei sich ausweitendem Prozessstoff wird zudem häufig übersehen, dass in anderem Zusammenhang vorgetragene Tatsachen für andere Anspruchsgrundlagen oder Einreden bedeutsam sind. Sind diese Tatsachen bestritten, können sie für die Entscheidungsfindung keine Berücksichtigung finden, wenn der Behauptende die Beweislast trägt. Im Verfahren vor dem Tatrichter kann in dieser Situation von Fall zu Fall möglicherweise noch nachgebessert werden; insbesondere, wenn ein Hinweis auf die Erheblichkeit des Vortrag erfolgt (§ 139 Abs. 2 ZPO). Im Revisionsverfahren können – so wie im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auch – für die Überprüfung der Entscheidung des Berufungsgerichts auf Rechtsfehler oder auf einen Zulassungsgrund – bestrittene – Behauptungen nur dann als wahr unterstellt werden, wenn die beweisbelastete Partei für die Richtigkeit der Behauptung auch Beweis angeboten hat. Auch aus diesem Grunde empfiehlt es sich, jede Tatsachenbehauptung, gleich ob sie einen anspruchsbegründenden Sachverhalt betrifft, im Rahmen substantiierten Bestreitens vorgetragen wird oder eine Einrede substantiiert, unter Beweis zu stellen.
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Beweisantritt
Rz. 16 Kap. 18
a) Freibeweis, Glaubhaftmachung, Strengbeweis Den Freibeweis ließ die Rechtsprechung früher nur für die Feststellung verfahrensrechtlich rele- 10 vanter Tatsachen zu (BGH NJW 1987, 2875; VersR 1991, 896). Seit Inkrafttreten des JuMoG kann das Gericht alle, also auch die für die materielle Entscheidung maßgebenden Beweise mit Einverständnis der Parteien in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen (§ 284 Satz 2 und 3 ZPO). S. dazu Rz. 26–27! Im Freibeweis werden die Anforderungen an die Überzeugung des Gerichts allerdings nicht gemindert; allein im Bereich der Auswahl der Beweismittel und des Verfahrens, in dem die Überzeugung zu bilden ist, ist das Gericht freier gestellt (BGH WM 2017, 1614 Rz. 8). Die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) hat – außer im Bereich des Freibeweises – Bedeutung insbesondere für das Verfahren der einstweiligen Verfügung und des Arrestes (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO). Für sie gelten die Regeln der Beweislastverteilung so, wie sie im Hauptsacheverfahren Anwendung finden (str., vgl. im Einzelnen Zöller/G. Vollkommer vor § 916 Rz. 6a); die Mittel zur Glaubhaftmachung unterliegen jedoch nicht dem numerus clausus der in der Prozessordnung aufgeführten Beweismittel, der grundsätzlich (Ausnahmen § 284 Satz 2 und 3 ZPO) für den Strengbeweis gilt (s. dazu im Einzelnen Zöller/G. Vollkommer § 920 ZPO Rz. 10 sowie Rz. 11). Im Hauptsacheverfahren ist in der Regel Beweis nach dem Prinzip des Strengbeweises zu erbringen. Die Beweismittel beschränken sich im Regelfall demnach auf die gesetzlich normierten Beweismittel: den Augenschein (§ 371 ZPO), Zeugen (§ 373 ZPO), Gutachten (§ 403 ZPO; wobei zu den Gutachten auch die Behördenauskunft und die Meinungsumfrage zählen), Urkunden (§ 420 ZPO) und die Parteivernehmung (§ 445 ZPO).
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b) Auswahl im Strengbeweis Wird Beweis angetreten, ist das Beweismittel nicht nur danach auszuwählen, ob es geeignet ist, dem Gericht die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit zu vermitteln. Die Wahl des Beweismittels ist, sofern verschiedene Beweismittel zur Verfügung stehen, auch unter prozesstaktischen Gesichtspunkten zu treffen. Folgende Beispiele mögen dies erläutern:
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– Der mündlichen Verhandlung geht eine Güteverhandlung voraus (§ 278 Abs. 2 ZPO). Es ist vo- 13 rauszusehen, dass der „Druck“ auf die Parteien, sich zu vergleichen, in den Fällen verstärkt werden wird, in denen bei streitiger Entscheidung eine umfangreiche Beweisaufnahme mit vielen Zeugen droht.
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Praxistipp: Die Vorbereitung der Güteverhandlung fordert vom Gegenanwalt in diesen Fällen Einfühlungsvermögen und psychologisches Gespür. Der Mandant muss auf die auf ihn zukommende Situation eingehend vorbereitet werden. Die Pflicht des Anwalts, den Mandanten vor einem übereilten Vergleichsschluss zu bewahren (BGH NJW 2000, 1944), nötigt, mögliche Vergleichsvarianten in der Vorbereitung des Mandanten auf die Güteverhandlung zu erörtern und zu besprechen. Zudem ist eine Strategie zu entwickeln, wie das etwa erstrebte Ziel, eine streitige Entscheidung zu erlangen, erreicht werden kann, ohne den favor iudex infrage zu stellen.
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– Ist in erster Instanz eine Beweislastentscheidung zu Lasten der eigenen Partei ergangen, weil 15 versäumt worden ist, die entsprechende Behauptung unter Beweis zu stellen, ist in der Berufungsinstanz – sofern dies im Hinblick auf § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO möglich ist (s. dazu Kap. 65 Rz. 165, 169 ff.) – zu rügen, dass das Gericht erster Instanz von § 139 Abs. 1 ZPO fehlerhaft keinen Gebrauch gemacht hat (s. dazu Zöller/Greger § 139 ZPO Rz. 16). Ist die Berufungsentscheidung mit einem Rechtsmittel nicht anfechtbar, liegt es in der Natur der Sache, dass ein Verfahrensfehler erster Instanz eher bejaht wird, wenn keine umfangreiche Beweisaufnahme droht. Die Beweisangebote sollten in diesem Fall auf das Nötigste begrenzt werden. – In einem Rechtsstreit, in dem es um einen – der Höhe der Kosten für die Mängelbeseitigung nach 16 – unbedeutenden Anspruch des Auftraggebers gegen einen Bauunternehmer wegen eines SachVorwerk
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ZPO
2. Auswahl des Beweismittels
Kap. 18 Rz. 17
Beweisantritt
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oder Rechtsmangels (§§ 633 ff. BGB) geht, wird der Amtsrichter – unabhängig von jeder Beweislastverteilung – vermutlich den vom Bauunternehmer gegenbeweislich angebotenen Bauführer des Bauunternehmers vernehmen, wenn es etwa lediglich darum geht, wie eine Drainage im Fundamentbereich eingebaut worden ist, um so der aufwendigen Beweisaufnahme durch ein Sachverständigengutachten, für das Ausgrabungen vorgenommen werden müssen, möglichst aus dem Wege zu gehen. Beschränkt sich der Bauunternehmer in diesem Falle lediglich darauf, die Lage der Drainage vorzutragen, stellt er seinen Vortrag aber nicht unter Beweis, bleibt dem Amtsrichter nur die Möglichkeit, das Sachverständigengutachten einzuholen, das der beweispflichtige Kläger für die Richtigkeit seiner Behauptung über die angeblich fehlerhafte Lage der Drainage angeboten hat. Auch ein aus dem Gesichtspunkt der Beweislast unnötiges Beweisangebot kann demnach die Chance erhöhen, das Verfahren schnell und unkompliziert zugunsten des eigenen Mandanten abzuschließen.
17 – Geht es bei einem Verkehrsunfall darum, ob der in Anspruch genommene Beklagte bei „grün“ oder „gelb“ in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, ist es zweckmäßig, sich nicht nur auf das Angebot des Zeugenbeweises zu beschränken. Es kann sich – insbesondere, wenn erheblicher Personen- oder Sachschaden entstanden ist – vielmehr empfehlen, Hilfstatsachen zu ermitteln, diese unter Beweis zu stellen und unter Hinweis auf die Hilfstatsachen, die ihrerseits wieder unter Beweis gestellt werden, Beweis durch Gutachten eines Sachverständigen anbieten, der in der Lage ist, über Zeit-Weg-Berechnungen festzustellen, dass der Beklagte entgegen seine Behauptung nicht bei „grün“ in den Kreuzungsbereich eingefahren sein kann, sondern bei „gelb“ eingefahren sein muss.
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Praxistipp: Es empfiehlt sich, jede behauptete Tatsache sogleich und nicht erst nach entsprechendem Bestreiten der Gegenpartei unter Beweis zu stellen. Zum einen besteht die Gefahr, dass das Fehlen des eigenen Beweisangebotes übersehen wird. Zum anderen benötigt der Mandant häufig auch noch Zeit, ein geeignetes Beweismittel ausfindig zu machen. Hat der Anwalt den Mandanten auf die Beweisbedürftigkeit der eigenen Behauptung nicht rechtzeitig aufmerksam gemacht und ist es dem Mandanten später nicht mehr möglich, das Beweismittel rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin anzugeben, trifft den Anwalt ggf. ein Verschulden, wenn das Beweismittel schließlich als verspätet zurückgewiesen wird (vgl. etwa BGH NJW 1993, 2676). Zu den Möglichkeiten, in prozessual beachtlicher Weise noch nicht namentlich genau bekannte Zeugen zu benennen, vgl. Rz. 43.
19 Wird jede vorgetragene Tatsachenbehauptung unter Beweis gestellt, bietet dies dem Anwalt darüber hinaus die Möglichkeit, nach Vorliegen des Beweisbeschlusses Rückschlüsse auf die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch das Gericht zu ziehen (vgl. dazu Kap. 24 Rz. 12 f.). Ein im Zeitpunkt des Vortrags ungeeignet erscheinendes, dennoch nach dem Grundsatz, dass jede Tatsachenbehauptung unter Beweis zu stellen ist, angebotenes Beweismittel lässt sich nach Erlass des Beweisbeschlusses noch austauschen oder durch ein anderes Beweismittel ergänzen (vgl. Kap. 24 Rz. 5 ff.).
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Praxistipp: Ist im Zeitpunkt des entsprechenden schriftsätzlichen Vortrags kein anderes Beweismittel bekannt, sollte in Übereinstimmung mit dem Grundsatz, dass jede tatsächliche Behauptung unter Beweis zu stellen ist, zunächst die Vernehmung des Prozessgegners als Partei für die Richtigkeit der entsprechenden Behauptung angeboten werden, wenn objektiv die Möglichkeit besteht, dass der Prozessgegner Kenntnis über die behauptete Tatsache hat. Die Furcht, der Prozessgegner werde die Richtigkeit der Behauptung nicht bestätigen, darf nicht Maßstab sein, vom Beweisangebot selbst Abstand zu nehmen. Jene Furcht sollte vielmehr Ansporn für den Mandanten sein, andere geeignete Beweismittel ausfindig zu machen.
21 Bevor das Beweismittel innerhalb des schriftsätzlichen Vortrags oder auch in der mündlichen Verhandlung angeboten wird, ist es darauf zu untersuchen, ob es sich als Beweismittel objektiv eignet. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Beweisangebot nur ausnahmsweise als objektiv ungeeignet ausgeschlossen werden (BVerfG WM 2012, 492; NJW 1993, 254). Dennoch ist in der Praxis Wert darauf zu legen, dass ggf. zur objektiven Eignung des angebote352
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Beweisantritt
Rz. 25 Kap. 18
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nen Beweismittels Ausführungen gemacht werden, wenn die objektive Eignung sich nicht aus sich selbst ergibt. Objektiv geeignet, Beweis für die Richtigkeit einer behaupteten Tatsache zu erbringen, sind alle Beweismittel, die die Überzeugung von der Richtigkeit der behaupteten Tatsache aus der Sicht eines Außenstehenden erbringen können. Ein Blinder ist demnach nicht geeignet, Tatsachen zu bezeugen, die nur durch optische Wahrnehmung haben erfasst werden können. Kann die Überzeugungsbildung des Gerichts aber auch dadurch herbeigeführt werden, dass der Blinde seine akustischen Wahrnehmungen bezeugt, die Auskunft über den Geschehensablauf geben können, ist er als Beweismittel – für die entsprechenden Indiztatsachen, nämlich die Geräusche – objektiv geeignet. Es ist also stets darauf zu achten, dass im Detail vorgetragen wird, was der scheinbar ungeeignet erscheinende Zeuge genau bezeugen soll; oder generell: welche konkrete Tatsache genau über das benannte Beweismittel bewiesen werden soll. Die objektive Eignung des Beweismittels ist nicht mit der ebenfalls bedeutsamen Frage zu verwech- 22 seln, ob das Beweisangebot hinreichend substantiiert ist. Über den Hinweis fehlender Substantiierung wird – häufig fehlerhaft – die Beweiserhebung etwa beim Zeugenbeweis mit der Begründung versagt, es sei etwa nicht ersichtlich, wieso der benannte Zeuge zum Beweisthema etwas sagen können soll (s. dazu Rz. 34). Die objektive Eignung eines Beweismittels betrifft allein die Frage, ob über das gesetzlich normierte Beweismittel – Augenschein, Zeuge etc. (s. Rz. 11) – sich der erforderliche Beweis generell erbringen lässt. Ein Beispiel mag dies wiederum erläutern: Wird im oben geschilderten Fall (s. Rz. 17), in dem es darum geht, ob der Beklagte bei „grün“ oder „gelb“ in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, die Behauptung aufgestellt, der Beklagte sei bei „gelb“ in den Kreuzungsbereich eingefahren und zum Beweis dafür auf etwa zwei Zeugen und ein Sachverständigengutachten Bezug genommen, erweist sich das Angebot, Beweis durch Sachverständigengutachten zu erheben, als objektiv ungeeignet. Erst die Behauptung (s. Rz. 65) der Hilfstatsachen, an die der Sachverständige bei seiner durch Fachkunde geleiteten Beurteilung anzuknüpfen hat, erschließt das Beweisangebot als objektiv geeignet.
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Neben der objektiven Eignung sollte das Beweismittel auf seine subjektive Eignung, also darauf 24 überprüft werden, ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Gericht seine Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung auf das konkrete Beweismittel wird gründen können. Das wird man etwa bei Zeugen häufig verneinen können, von denen bekannt ist, dass sie miterlebte Geschehnisse nicht zusammenhängend und widerspruchsfrei darstellen können; ebenso gilt dies für Zeugen, die über ein allzu überhebliches Auftreten verfügen; jenes Auftreten kann verhindern, dass sie als glaubwürdig angesehen werden. Wird Beweis durch ein Sachverständigengutachten angeboten, empfiehlt sich, durch Befragung des Mandanten herauszufinden, ob der Sachverständige über Sachkenntnisse auf einem besonderen Spezialgebiet verfügen muss. Ist das der Fall, sollte dies schon bei der Unterbreitung des Beweisangebotes im Einzelnen dargetan werden. Erscheint ein schon schriftsätzlich angebotenes Beweismittel vor der Beweisaufnahme, etwa weil der Mandant entsprechende Informationen hat einholen können, nunmehr als subjektiv ungeeignet, kann auf das Beweismittel – ggf. unter gleichzeitigem Angebot eines anderen Beweismittels – bis zum Beginn der Beweisaufnahme ohne Probleme verzichtet werden (s. Kap. 24 Rz. 11). Hat die Beweisaufnahme schon begonnen, besteht die Gefahr, dass sich der Prozessgegner auf das Beweismittel bezieht, das der Beweisführer fallen lässt. Die Entscheidung, ob das Beweisangebot des Beweisführers oder Gegenbeweisführers aufrechterhalten bleibt, sollte daher spätestens vor Beginn der Beweisaufnahme getroffen werden.
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Praxistipp: Ist der Zeuge, den der Beweisführer fallen lässt, geladen und zur Beweisaufnahme 25 erschienen, sollte der Prozessgegner sich sogleich gegenbeweislich auf den vom Beweisführer fallengelassenen Zeugen berufen und seiner Entlassung durch das Gericht widersprechen. Alsdann kann der Prozessgegner in Ruhe überlegen, ob er auf der Vernehmung des nunmehr von ihm selbst gegenbeweislich benannten Zeugen besteht oder auf ihn ebenfalls verzichtet.
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Kap. 18 Rz. 26
Beweisantritt
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c) Einverständnis zum Freibeweis
26 Seit Inkrafttreten des JuMoG kann das Gericht die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen, wenn die Parteien ihr Einverständnis dazu erteilen (§ 284 Satz 2 und 3 ZPO). Das Einverständnis kann auf einzelne Beweiserhebungen beschränkt werden. Es ist grundsätzlich unwiderruflich; der Widerruf kann wirksam nur unter folgenden kumulativ vorliegenden Voraussetzungen erklärt werden (§ 284 Satz 4 ZPO): – vor Beginn der Beweiserhebung, auf die sich das Einverständnis bezieht; – bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage.
27 Ziel der Neuregelung, von der in der Praxis offenbar kaum Gebrauch gemacht wird (Entscheidungen des Bundesgerichtshofes liegen zur Neuregelung bis heute – September 2018 – nicht vor; vgl. ferner: LG Saarbrücken NJW-RR 2010, 496), ist die Beschleunigung des Verfahrens. Jenes Ziel wirkt sich jedoch zu Lasten zumindest einer der Parteien aus: Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist aufgehoben (Knauer/Wolf NJW 2004, 2857, 2862). An der Beweiserhebung selbst werden die Personen idR demnach nicht teilnehmen können, so dass auch keine Fragen an einen etwa zu vernehmenden Zeugen gestellt werden können. Vom Beweisergebnis werden die Parteien zwar unterrichtet werden müssen (§ 279 Abs. 3 ZPO); ist der Beweis aus Sicht des Gerichts erbracht oder auch nicht erbracht, wird die dadurch belastete Partei eine weitere Beweiserhebung nicht erzwingen können. Zudem ist völlig unklar, ob sich das Gericht im Falle der Zeugenvernehmung „kurzerhand des Telefons bedient“, sofern das Einverständnis zur Durchführung der Beweiserhebung im Freibeweis erteilt wird. Es erscheint demnach nicht empfehlenswert, von der Möglichkeit, die materiellen Entscheidungsgrundlagen im Wege des Freibeweises feststellen zu lassen, Gebrauch zu machen.
II. Beweisantritt durch Zeugen 1. Vor der Benennung der Zeugen
28 Der Zeuge ist in der Praxis das am häufigsten anzutreffende Beweismittel, das sich allerdings nicht selten als unzuverlässig erweist. Die subjektive Eignung des Zeugen (s. Rz. 24) – und zwar jedes einzelnen – als Mittel zum Beweis der behaupteten Tatsache ist daher sorgfältig zu prüfen, bevor der Zeuge benannt wird. Gespräche mit dem Zeugen vor seiner Vernehmung sind dem Anwalt erlaubt (vgl. Gaier/Wolf/Göcken/Schultz, Kap. Zivilrechtliche Anwaltshaftung, Rz. 176, 192); in der Regel wird sich der Anwalt jedoch darauf beschränken können, den Mandanten zu befragen, woher der Zeuge Kenntnis von der Tatsache hat, die in sein Wissen gestellt wird, und ob persönliche Beziehungen zwischen dem Mandanten oder dem Prozessgegner zum Zeugen bestehen. Der jeweilige Sachverhalt wird den Anwalt alsdann veranlassen, weitere Fragen zu stellen, um herauszufinden, welche konkrete Tatsache durch den Zeugen unter Beweis gestellt werden kann. Nur über entsprechende Rückfragen lässt sich vermeiden, dass sich erst in der Beweisaufnahme fehlende eigene Kenntnis des Zeugen von den beweisbedürftigen Tatsachen herausstellt und der Zeuge sich damit als subjektiv ungeeignetes Beweismittel erweist.
29 Fehlt dem Zeugen eigene Kenntnis von der beweisbedürftigen Tatsache, ist zu überlegen, ob er zumindest für Hilfstatsachen, über die er aus eigenem Erleben zu berichten weiß, benannt werden kann, um dem Gericht die Möglichkeit zu verschaffen, sich über den Weg des Indizienbeweises (vgl. dazu BGH NJW-RR 2013, 743; NJW-RR 1997, 238; NJW 1991, 1894), Gewissheit von der beweisbedürftigen Tatsache zu verschaffen. Die Befragung des Mandanten zu den Einzelheiten, über die der Zeuge berichten kann, gibt zudem die Möglichkeit herauszufinden, wie der Zeuge bei seiner Befragung in der Beweisaufnahme vermutlich reagieren wird. Diese für den Fall der Beweiserhebung – vermuteten – Reaktionen sind einzukalkulieren: es ist folglich schon mit der Benennung des Zeugen zu prüfen, wie im Rahmen des eigenen Vortrags, der sich für die übrigen Prozessbeteiligten zunächst als belanglos darstellen wird, verhindert werden kann, dass aus der für den Fall seiner Vernehmung erwarteten Reaktion
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Rz. 35 Kap. 18
des Zeugen vom Gericht Schlüsse gezogen werden, die dem Prozesserfolg des Mandanten entgegenstehen. Das Gespräch mit dem Zeugen sollte der Anwalt vor dessen Vernehmung bei komplexen Sachver- 30 halten in Fällen hoher wirtschaftlicher Bedeutung nicht scheuen. Innerhalb des Gespräches muss der Anwalt allerdings peinlichst darauf achten, dass jeder Anschein einer Beeinflussung des Zeugen von vornherein vermieden wird. Der Zeuge sollte – in jeder Phase des Gesprächs, mithin ggf. auch mehrfach – darauf hingewiesen werden, dass er allein die Richtigkeit seiner Aussage zu verantworten hat und – macht er von einem ihm etwa zur Seite stehenden Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht (§§ 383 ff. ZPO) keinen Gebrauch – sich auch nicht von persönlichen Beziehungen zu einer der Prozessparteien bei seiner Aussage leiten lassen darf.
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Praxistipp: Dem Zeugen sollte darüber hinaus bewusst gemacht werden, dass er auf entsprechende Rückfrage, sei es durch den Prozessgegner oder das Gericht, anlässlich seiner Vernehmung das geführte Vorgespräch nicht verheimlichen darf. Auch insoweit unterliegt der Zeuge seiner Wahrheitspflicht. Es kann jedoch nicht schaden, dem Zeugen im Falle einer entsprechenden Rückfrage anheim zu stellen darauf hinzuweisen, dass er in dem Vorgespräch eindringlich auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen worden ist.
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Wird mit einem Zeugen ein Vorgespräch geführt, sollte ihm der Ablauf der Beweisaufnahme ge- 32 schildert und deutlich gemacht werden, dass er seine Worte bei Beantwortung der ihm gestellten Fragen sorgfältig abwägen muss, um keine Zweifel an dem aufkommen zu lassen, was Gegenstand seiner Wahrnehmung war. Dem Zeugen sollte zudem verdeutlicht werden, dass er selbst dann versuchen muss, die Ruhe zu bewahren und überlegt zu antworten, wenn er sich durch Fragen der Prozessbeteiligten provoziert fühlt. Der Zeuge muss sich ferner darüber bewusst werden, dass eine Korrektur der Aussage nach durchgeführter und abgeschlossener Beweisaufnahme, also etwa ein oder zwei Tage nach der Vernehmung, zwar möglich ist und auch erfolgen muss, wenn der Zeuge inzwischen bessere Erkenntnis erlangt hat (vgl. BGH NJW-RR 1986, 284; MüKo.ZPO/Damrau § 398 ZPO Rz. 4); der richtigere Weg jedoch ist, sich rechtzeitig vor der Beweisaufnahme mit dem Beweisthema intensiv vertraut zu machen, die Erinnerung unterstützende Unterlagen auch dann mitzubringen, wenn dies in der Beweisanordnung nicht ausdrücklich erwähnt ist, und jene Unterlagen dem Gericht durchaus vorzulegen, wenn der Zeuge auf diese Unterlagen bei seiner Vernehmung zurückgreift. 2. Benennung des Zeugen für äußere Tatsachen a) Angaben über die Herkunft des Wissens des Zeugen Als Beweismittel ist der Zeuge objektiv für alle Tatsachen geeignet, die er selbst miterlebt hat. Über selbst miterlebte Tatsachen berichtet auch der Zeuge vom Hörensagen (vgl. dazu BGH NJW 1984, 2039; NJW 1986, 1541); er äußert sich darüber, was ein Dritter ihm gegenüber erklärt hat; seine Äußerung ist folglich der Bericht über eine Hilfstatsache, die geeignet sein kann, das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit der beweisbedürftigen Tatsache zu überzeugen.
33
Als äußere Tatsachen werden die Tatsachen bezeichnet, über die Beweis für den äußeren Tatbestand der Rechtsnorm erbracht wird, aus der sich die gewünschte Rechtsfolge ableitet. Innere Tatsachen betreffen demnach den inneren – also subjektiven – Tatbestand jener Norm.
34
Wird Beweis durch Zeugen für eine äußere Tatsache angeboten, bedarf es grundsätzlich nicht der An- 35 gabe, woher der Zeuge Kenntnis von der Tatsache hat (vgl. BGH NJW 1999, 3115; NJW 1996, 1678). Es empfiehlt sich ungeachtet dessen jedoch – zumal dies dem Gericht die Vernehmung des Zeugen erleichtert – innerhalb des Vortrags deutlich zu machen, woher der Zeuge Kenntnis von der behaupteten Tatsache hat. Wird der entsprechende Hinweis versäumt, läuft die beweisbelastete Partei möglicherweise Gefahr, dass das Gericht das Beweisangebot als Ausforschungsbeweis (vgl. dazu BGH-Report 2003, 891; BGH NJW-RR 1999, 361; NJW-RR 1998, 1601) wertet, und – kommt diese Erwägung in der Vorwerk
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ZPO
Beweisantritt
ZPO
Kap. 18 Rz. 36
Beweisantritt
M 18.1
mündlichen Verhandlung überhaupt zur Sprache – in der mündlichen Verhandlung erst klargestellt werden muss, dass der benannte Zeuge Kenntnis über die behauptete Tatsache aus eigenem Erleben hat. Die damit verbundene Verzögerung der Entscheidung des Rechtsstreits lässt sich ohne große Mühe in der Weise vermeiden, dass schon innerhalb des Prozessvortrags die Erkenntnisquelle des Zeugen offenbart wird.
36 M 18.1 Angabe der Erkenntnisquelle des benannten Zeugen Statt: … Der Kläger hatte sich am Abend des 12.4.2018 gegen 22.30 Uhr in die Gaststätte „Budenzauber“ begeben und an der Theke Platz genommen. Noch bevor der Gastwirt das vom Kläger bestellte Bier gezapft hatte, erschien der Beklagte in der Tür der Gaststätte, raste wie toll auf den Kläger zu und schlug ihn mit den Fäusten zu Boden. Beweis: 1. August Schulze, Hüttenweg 17, 49332 Wilhelmshaven; 2. Wilhelm Meyer, Augustusstraße 12, 49332 Wilhelmshaven. … sollte formuliert werden: … Der Kläger begab sich am Abend des 12.4.2018 gegen 22.30 Uhr in die Gaststätte „Budenzauber“, die der Gastwirt August Schulze, Hüttenweg 17, 49332 Wilhelmshaven betreibt, nahm an der Theke auf einem dort stehenden Barhocker Platz und bestellte ein Bier. Noch bevor der Gastwirt Schulze das Bier gezapft und dem Kläger serviert hatte, erschien der Beklagte in der Eingangstür der Gaststätte, raste auf den Kläger zu und streckte ihn mit mehreren Faustschlägen nieder. Beweis: 1. Schulze; 2. Wilhelm Meyer, Augustusstr. 12, 49332 Wilhelmshaven. Der Zeuge Meyer saß unmittelbar neben dem Kläger auf einem dort stehenden Barhocker; er hat selbst miterlebt, wie der Beklagte in die Gaststätte hineinstürmte und hat den Kläger noch durch den Ruf, „Pass auf! Da kommt einer auf Dich zu!“, zu warnen versucht. …
b) Benennung namentlich bekannter Zeugen
37 Der Zeugenbeweis wird durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über die der Zeuge vernommen werden soll, angetreten (§ 373 ZPO). Der Beweisantritt erfordert die individualisierende Benennung des Zeugen. Individualisiert wird der Zeuge durch seinen Namen, seinen Vornamen und seine genaue Anschrift. Wohnen unter derselben Anschrift Personen gleichen Namens, ist – schon um eine reibungslose Zustellung zu ermöglichen (§§ 377, 166 ff. ZPO) – durch weitere individualisierende Zusätze – etwa „junior“ oder „senior“ oder die Angabe des Necknamens – eine weitere Individualisierung des Zeugen vorzunehmen. Hat dem Zeugen vorhandene Sachkenntnis (§ 414 ZPO) die Wahrnehmung der behaupteten Tatsache erleichtert, empfiehlt sich, bei Benennung des Zeugen auch auf seine Sachkenntnis, etwa durch Angabe seines Berufes, hinzuweisen.
356
Vorwerk
Beweisantritt
Rz. 40 Kap. 18
M 18.2 Benennung eines sachverständigen Zeugen
38
… Der Kläger hatte bei dem Beklagten einen Durchlauferhitzer der Marke Bosch erworben. Mit dem Beklagten, der in der Nähe der Wohnung des Klägers einen Elektrogerätehandel betreibt, hatte der Kläger vereinbart, dass ein Monteur des Beklagten den Durchlauferhitzer anliefert und an die vorhandene Wasserleitung anschließt. Beweis: Vernehmung des Beklagten als Partei. Am 25.3.2018 erschien der Monteur des Beklagten gegen 11 Uhr in der Wohnung des Klägers und installierte den Durchlauferhitzer. Ich lege dazu die Kopie des Lieferscheins vor, auf der die entsprechenden Arbeiten notiert sind und den der Kläger gegengezeichnet hat, um die Durchführung der Montage zu quittieren. Unmittelbar nach der Montage musste der Kläger seine Wohnung verlassen, um eine Besorgung zu machen. Als der Kläger gegen 14 Uhr wieder in die Wohnung zurückkehrte, stellte er auf dem Fußboden der Küche unterhalb des montierten Durchlauferhitzers eine riesige Wasserlache fest. Der Kläger begab sich sofort zu seinem Nachbarn Friedhelm Meyer, Kurze Straße 13, 76223 Saiblingen, und bat ihn um Hilfe. Der Zeuge Meyer ist Installateurmeister; er ist bei den Städtischen Wasserwerken tätig und dort häufig für den Notdienst eingeteilt. Am 25.3.2018 hatte er Urlaub, war für den Kläger mithin sogleich erreichbar. Der Zeuge Meyer schloss sofort den Wasserhaupthahn für die Wohnung des Klägers und stellte, als er die Ursache für den Wasserschaden suchte, fest, dass das aus der Wand ragende Kupferrohr, an dem der Monteur des Beklagten den Heißwasserbereiter über eine Quetschverbindung angeschlossen hatte, leicht eingerissen war. Im Bereich des Risses befanden sich geriffelte Abdruckspuren, wie sie üblicherweise dann auftreten, wenn man ein Kupferrohr mit einer Wasserpumpenzange zu fest anfasst. Dieselben Spuren entdeckte der Zeuge Meyer im Bereich der zum neuangelieferten Durchlauferhitzer gehörenden Quetschverbindung. Beweis: Friedhelm Meyer. Aus den Spuren, die der Zeuge Meyer festgestellt hat, und dem unmittelbar nach Beendigung der Arbeiten des Monteurs des Beklagten aus der Wasserleitung austretenden Wasser lässt sich ohne Weiteres schließen, dass der Monteur des Beklagten den Durchlauferhitzer unsachgemäß montiert hat. Die Wasserlache befand sich unterhalb des Durchlauferhitzers. Der Riss im Kupferrohr war so fein, dass das Wasser aus ihm trotz des in der Wasserleitung herrschenden Drucks nicht herausspritzte, sondern nur heraustropfte. Beweis: Friedhelm Meyer. …
Die Notwendigkeit, die Tatsachen anzugeben, über die die Vernehmung des Zeugen stattfinden soll, zwingt, den Schriftsatz in seinem Aufbau so zu gestalten, dass kein Zweifel darüber entstehen kann, wofür der Zeuge als Beweismittel benannt wird (s. dazu auch M 18.3).
39
M 18.3 Korrekte Angabe des Beweisthemas bei der Benennung des Zeugen
40
als Beweismittel Statt: … Die Parteien haben über den dem Beklagten schließlich erteilten Auftrag etwa eine Stunde verhandelt. Innerhalb der Verhandlung hat der Beklagte erklärt, der von ihm angebotene Preis für die Verlegung der Drainage werde auch dann Geltung haben, wenn das Drainagerohr an den etwa 15 m vom Grundstück
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M 18.3
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Kap. 18 Rz. 41
Beweisantritt
M 18.3
des Klägers entfernt befindlichen Kanalschacht angeschlossen werden muss, der sich auf dem Grundstück des Nachbarn Meyer befindet. Ursprünglich habe der Kläger nämlich gemeint, das Drainagerohr könne auch an den auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Kanalschacht angeschlossen werden. Später hat sich dann aber herausgestellt, dass der auf dem Grundstück des Beklagten befindliche Kanalschacht zu einem Abwasserrohr, nicht aber zu einem Regenwasserrohr gehört. Deshalb musste der Kläger das Drainagerohr zwar um die genannten rund 15 m verlängern. Ungeachtet dessen kann er wegen der von ihm in den Vertragsverhandlungen abgegebenen Erklärung jedoch nicht mehr als den ursprünglich vereinbarten Preis von 3.900 Euro fordern. Beweis: Wilhelmine Fröhlich, Ackerstraße 12, 6653 Zonen. … ist demnach zu formulieren: … In den Vertragsverhandlungen, die sich über etwa eine Stunde hingezogen haben, hat der Kläger erklärt, dass der angebotene Preis auch für den Fall gelte, dass das Drainagerohr an dem etwa 15 m vom Grundstück des Beklagten entfernten, auf dem Grundstück des Nachbarn Meyer befindlichen Kanalschacht angeschlossen werden muss. Beweis: Wilhelmine Fröhlich, Ackerstraße 12, 6653 Zonen. Die Zeugin Fröhlich ist die Sekretärin des Beklagten; sie hat an der Verhandlung zwischen den Parteien teilgenommen und am Verhandlungstisch jeweils die Unterlagen herausgesucht, die die Parteien im Rahmen der Verhandlung benötigten. Die Zeugin Fröhlich hat den gesamten Verlauf der Verhandlung verfolgt; in ihrem Beisein ist schließlich auch der Auftrag erteilt worden. Beweis: Wilhelmine Fröhlich. Es ist zutreffend, dass das Drainagerohr nicht im Bereich des Kanalschachtes hat angeschlossen werden können, der sich auf dem Grundstück des Beklagten befindet. Jener Kanalschacht gehört zu einem Abwasserrohr, so dass der Anschluss an den auf dem Nachbargrundstück befindlichen Kanalschacht erfolgen musste. Angesichts der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung kann der Kläger die Mehrkosten nicht fordern, die ihm dadurch entstanden sind, dass er die Drainage nicht im Bereich des auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Kanalschachtes hat anschließen können. …
41 Wird derselbe Zeuge für eine Vielzahl von Tatsachen benannt, die sich in der Darstellung des Sachverhalts aneinanderreihen, ist es nicht empfehlenswert, auf die Benennung des konkreten Beweismittels zu verzichten und stattdessen die Formel „Beweis: wie vor“ zu verwenden.
42 K
Praxistipp: Wird dieser Hinweis nicht beachtet, erweist sich der Vortrag im Schriftsatz nicht selten als unübersichtlich, weil über mehrere Seiten zurückgeblättert werden muss, um den Namen des Zeugen – ggf. auch etwa andere aufgeführte Beweismittel – herauszufinden, der zu dem jeweiligen Beweisthema benannt ist.
c) Bei noch zu ermittelnden Zeugen
43 Ist für schriftsätzliches Vorbringen eine Frist gesetzt und kann die Partei den Zeugen, mit dem die behauptete Tatsache unter Beweis gestellt werden soll, nicht vor Ablauf der gesetzten Frist namhaft machen oder fehlen andere Angaben, um den Zeugen zu individualisieren, bleibt es dennoch bei dem Grundsatz (Rz. 7 ff.), die behauptete Tatsache unter Beweis zu stellen. Die Behauptung durch den „Zeugen NN“ unter Beweis zu stellen, macht aus prozessualen Gründen keinen Sinn; jener Beweisantritt ist unbeachtlich (BGH NJW 1987, 3077; NJW 1998, 981). Hinreichend individualisiert ist der Zeuge allerdings, wenn sein Bezug zum Beweisthema aus dem schriftsätzlichen Vorbringen ersichtlich ist (BGH NJW 1993, 1926) oder es lediglich an der Angabe der Anschrift – oder des Vornamens des Zeugen – fehlt (BGH NJW 1993, 1926 mwN). 358
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Beweisantritt
Rz. 47 Kap. 18
M 18.4 Zeugenbenennung bei noch namentlich zu ermittelnden Zeugen
44
In Anlehnung an den Sachverhalt M 18.2: … Gegen 11 Uhr erschien der Monteur des Beklagten, dessen Vor- und Nachnamen ich auf Erfordern angeben werde, um den bestellten Durchlauferhitzer zu montieren. … Oder: in Anlehnung an den Sachverhalt M 18.1: … … streckte der Beklagte den Kläger mit mehreren Fausthieben nieder. Zum Beweis dafür beziehe ich mich auf den Gast, der an jenem Abend neben dem Kläger am Tresen der Gaststätte „Budenzauber“ gesessen und den Vorfall unmittelbar beobachtet hat. Der Kläger hat sich bemüht, den Namen jenes Zeugen ausfindig zu machen, hat jedoch damit noch keinen Erfolg gehabt, weil der Gastwirt der Gaststätte „Budenzauber“ derzeit im Urlaub ist. Von der Bedienung, die den Gastwirt der Gaststätte „Budenzauber“ derzeit vertritt, hat der Kläger jedoch erfahren, dass es sich, wie sie aus den Erzählungen des Gastwirtes über den Vorfall weiß, um einen Stammgast handelt. Die namentliche Benennung des Zeugen wird demnach möglich sein, sobald der Gastwirt der Gaststätte „Budenzauber“ aus dem Urlaub zurückgekehrt ist. …
K
Praxistipp: Auch wenn formuliert wird, dass der Zeuge „auf Erfordern des Gerichts“ individua- 45 lisiert wird, muss der Mandant angehalten werden, die für die Individualisierung fehlenden Angaben sogleich ausfindig zu machen. Die Dauer der Frist, die das Gericht setzt, um die fehlenden Angaben nachzuholen (§ 356 ZPO), bestimmt das Gericht in freiem Ermessen. Hat die Partei die Beweisbedürftigkeit der Tatsache erkannt, wird kein Ermessensfehlgebrauch darin liegen, dass das Gericht bei Bemessung der Frist auch die Zeit berücksichtigt, die bis zum Erlass des Beschlusses gem. § 356 ZPO schon vergangen ist und in der die beweisbelastete Partei den Mangel hat beheben können.
Kennt der Mandant die Anschrift des Arbeitgebers des Zeugen (s. M 18.4, 1. Variante), kann zwar zunächst diese Anschrift angegeben werden; wegen der Probleme, die die Zustellung der Ladung unter dieser Anschrift voraussichtlich bereitet (vgl. dazu BLAH/Hartmann § 373 ZPO Rz. 5), empfiehlt es sich unabhängig davon, die Privatanschrift des Zeugen – ggf. über das Telefonbuch; wobei ein Anruf unter der angegebenen Telefonnummer zweckmäßig ist, um die Identität des Zeugen festzustellen – zu ermitteln.
46
d) Mit Hinweis auf Informationspflicht des Zeugen Aufgabe des Zeugen ist es, etwa zum Beweisthema vorhandene Aufzeichnungen und andere Unterlagen einzusehen und zum Termin mitzubringen, soweit dies die Aussage über seine Wahrnehmungen erleichtert und ihm die Einsicht in jene Unterlagen gestattet und zumutbar ist (§ 378 Abs. 1 ZPO). Ob der Zeuge über entsprechende Aufzeichnungen verfügt, kann das Gericht in der Regel nicht von sich aus beurteilen. Die Partei, die den Zeugen für eine behauptete Tatsache benennt, weiß in der Regel jedoch, ob solche Aufzeichnungen vorhanden sind. Gibt es Aufzeichnungen, empfiehlt
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M 18.4
ZPO
Kap. 18 Rz. 48
Beweisantritt
M 18.5
es sich, bei der Benennung des Zeugen schon den Antrag zu stellen, dem Zeugen aufzuerlegen, seiner Verpflichtung gem. § 378 Abs. 1 ZPO nachzukommen (§ 378 Abs. 2 ZPO).
48 M 18.5 Zeugenbenennung mit Hinweis auf die Informationspflicht des Zeugen In Anlehnung an den Sachverhalt M 18.3; die Zeugin Fröhlich wird vom Prozessgegner im folgenden Muster gegenbeweislich benannt: … Es ist zwar richtig, dass der Kläger in der Verhandlung vor Erteilung des Auftrages zunächst erklärt hat, dass es nichts ausmache, wenn die Drainage an den Kanalschacht auf dem Nachbargrundstück angeschlossen werden müsse. Im weiteren Verlauf der Verhandlung ist dem Kläger aufgrund der vom Beklagten vorgelegten Katasterkarte jedoch deutlich geworden, dass der Kanalschacht auf dem Nachbargrundstück doch weit von dem auf dem Grundstück des Beklagten sichtbaren Kanalschacht entfernt liegen könnte. Der Kläger hat daraufhin erklärt, er könne den angebotenen Preis aber nur halten, wenn er die Drainage an einen Schacht anschließen könne, der nicht mehr als 5 m vom auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Schacht entfernt liege. Daraufhin hat die Zeugin Wilhelmine Fröhlich auf der Katasterkarte vermerkt „selber Preis nur, wenn anderer Kanalschacht nicht mehr als 5 m entfernt“. Die Katasterkarte hat der Beklagte alsdann bei seinen Unterlagen behalten. Ich beantrage daher, der Zeugin Wilhelmine Fröhlich aufzugeben, die Unterlagen, die sie für die Verhandlung zwischen den Parteien zusammengestellt hatte, einzusehen und zur Vernehmung mitzubringen; wobei dies insbesondere für die vorerwähnte Katasterkarte gilt. …
e) Benennung eines der Berufsverschwiegenheit unterliegenden Zeugen
49 Sind Zeugen zu benennen, die einer Berufsverschwiegenheit unterliegen, mithin etwa Anwälte, Notare oder Ärzte, ist bei der Benennung des Zeugen dieser sogleich ausdrücklich von der Pflicht zur Verschwiegenheit zu befreien, auch wenn häufig schon in der Benennung selbst inzident die Befreiung von der Verschwiegenheit liegen wird.
50 M 18.6 Benennung eines Zeugen, der der Berufsverschwiegenheit unterliegt … … haben sich die Beklagten in der Verhandlung vor dem Notar ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass die Kläger noch vor Räumung des an die Beklagten verkauften Grundstücks die Markise vor dem Wohnzimmer abbauen und auch mitnehmen. Beweis: Notar Hans Wichtig, geschäftsansässig Hohe Straße 3, 29832 Graben; den die Beklagten hiermit von seiner Pflicht zur Verschwiegenheit befreien. Die Markise ist demnach mit dem Grundstück nicht an die Beklagten verkauft worden. … Oder: …
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M 18.7
Beweisantritt
Rz. 53 Kap. 18
Nach dem Unfall hat sich die Klägerin zum Unfallarzt
ZPO
Dr. Wilhelm Piek, Hauptstraße 7, 29865 Grabenstein, den ich namens und in Vollmacht der Klägerin hiermit zugleich von seiner Pflicht zur Verschwiegenheit entbinde, begeben. Dr. Piek hat folgende Verletzungen festgestellt: …
3. Benennung des Zeugen für innere Tatsachen Sieht die Norm, die zur Begründung des Anspruchs oder des Bestehens der Einwendung auszufüllen ist, das Vorliegen innerer Tatsachen (s. Rz. 34) vor (vgl. etwa § 119 Abs. 1, § 123 Abs. 2 Satz 1, § 138 Abs. 2 BGB), kann sich die beweisbelastete Partei darauf beschränken, den Beweis für das Vorliegen der inneren Tatsachen im Wege des mittelbaren Beweises zu führen (BGH WM 2015, 1676 Rz. 21; NJW-RR 2004, 247; NJW 1992, 1899).
51
Die beweisbelastete Partei muss sich mithin – ebenso wenig wie derjenige, der den Gegenbeweis füh- 52 ren will – nicht auf die Person als Zeugen beziehen, auf deren Willen oder Absicht es im Zusammenhang mit der Ausfüllung der maßgebenden Norm ankommt. Versucht die beweisbelastete Partei den Beweis über den mittelbaren Beweis zu erbringen und bezieht sie sich in diesem Zusammenhang auf Zeugen, ist allerdings genau zu prüfen, ob der benannte Zeuge als Beweismittel auch objektiv geeignet (s. Rz. 21) ist. Wird bei dieser Prüfung zudem der Grundsatz beachtet, dass im Zusammenhang mit der Nennung von Zeugen zum Beweis für innere Tatsachen – in der Regel – anzugeben ist, woher der Zeuge seine Kenntnis hat (BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 219/04; NJW 1999, 3115; NJW 1996, 1678), steht der Zulässigkeit des Beweisangebots in der Regel nichts im Wege. Der Angabe des Umstandes, aufgrund dessen der Zeuge Kenntnis von der inneren Tatsache hat, bedarf es dann jedoch nicht, wenn der Urkundsnotar als Zeuge für den Vertragswillen einer der Urkundsbeteiligten benannt wird (BGH NJ 2007, 168 unter Hinweis auf § 17 BeurkG).
M 18.7 Benennung eines Zeugen für eine innere Tatsache
53
Statt: … Der Beklagte hat den Klägern arglistig verschwiegen, dass die Kellerwände des Gebäudes, das auf dem von den Beklagten vom Kläger erworbenen Grundstück steht, völlig durchnässt sind. Beweis: August Meyer, Natter Weg, 25746 Heide. … ist Beweis wie folgt anzubieten: … Die Kellerwände des Gebäudes, das auf dem von den Klägern vom Beklagten erworbenen Grundstück steht, sind völlig durchnässt. Beweis: Sachverständigengutachten. Schon bei leichtem Regen tritt nach kurzer Zeit Wasser an den Kellerinnenwänden in leichten Perlen aus. Zum Beweis dafür beziehe ich mich auf den Nachbarn des Beklagten, den Zeugen August Meyer, Natter Weg, 25746 Heide, den der Beklagte wenige Tage vor der Veräußerung des Grundstücks an die Kläger zu sich gebeten, die feuchten Stellen im Bereich der Kellerwände gezeigt und gefragt hat, ob er wisse, welche Kosten auf ihn,
Vorwerk
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ZPO
Kap. 18 Rz. 54
Beweisantritt
M 18.7
den Beklagten, zukämen, wenn er die Kellerwände sanieren lasse. Der Zeuge Meyer hatte nämlich, was der Beklagte offenbar erfahren hatte, sich einige Zeit zuvor einen Kostenvoranschlag erstellen lassen, um die Durchfeuchtungen im Bereich der Wände seines eigenen Hauses zu sanieren. Anlässlich dieses Gespräches hat der Zeuge Meyer erklärt, der Beklagte müsse für die Sanierung sicherlich 20.000 Euro aufwenden; das sei der Betrag, den der Bauunternehmer von ihm, dem Zeugen Meyer, gefordert habe, um die bei ihm vorhandenen, wesentlich geringeren Durchfeuchtungserscheinungen zu beseitigen. Die Besichtigung des Gebäudes, das auf dem von den Klägern erworbenen Grundstück steht, fand im Spätsommer 2018 statt. Es hatte wochenlang nicht geregnet. Der Boden war knochentrocken. Als die Kläger den Keller besichtigen wollten, führte der Beklagte die Kläger kurz in den Kellervorraum und erklärte auf die Frage des Klägers zu 1), der dort abblätternde Farbe entdeckt hatte, „die Farbe sei schon sehr alt; er habe den Keller lange Zeit nicht streichen lassen“. Alsdann meinte der Beklagte, man solle sich den Grundriss des Kellers doch besser auf dem Bauplan ansehen, den er oben im Wohnzimmer zu liegen habe. Zum Beweise dafür beziehe ich mich auf den Zeugen Meyer, der unmittelbar zuvor in das Haus des Beklagten eingetreten war, um den Beklagten aufzusuchen und zu diesem Zeitpunkt im Bereich des Kelleraufgangs stand. Der Beklagte und die Kläger begaben sich alsdann sogleich ins Wohnzimmer, um den Plan über den Grundriss des Kellers einzusehen. Der Beklagte hat folglich arglistig gehandelt; er hat gewusst, dass die Kellerwände schon bei leichtem Regen völlig durchnässt sind. Als die Kläger die Abblätterungen der Farbe bemerkten, hat er die Ursache der Abblätterung der Farbe nicht offenbart, sondern eine unzutreffende Ursache genannt. Die Abblätterungen beruhen nämlich auf den ständigen Durchfeuchtungen der Wände. Beweis: Sachverständigengutachten. … Oder: … Der Beklagte hat die Kläger getäuscht. Er wusste, dass der Kilometerstand auf dem Tacho des verkauften Fahrzeugs um 50.000 km zurückgestellt war. Den entsprechenden Auftrag hatte er dem Zeugen Andreas Knebel, zurzeit Justizvollzugsanstalt Hameln, Knastweg 7, 34256 Hameln, erteilt, der sich darauf spezialisiert hatte, Unfallfahrzeuge zu „frisieren“ und sich daher darin auskannte, wie der Tacho des verkauften Mercedes SLK 200 zu manipulieren ist. …
III. Beweisantritt durch Sachverständigen 1. Aufgabe des Sachverständigen
54 Der Zeuge berichtet dem Gericht über die vom ihm selbst wahrgenommenen Tatsachen (s. Rz. 32). Der Sachverständige wertet demgegenüber festgestellte Tatsachen durch Anwendung seines Fachwissens aus.
55 Das schließt allerdings nicht aus, dass der Sachverständige Orts- und Gegenstandsbesichtigungen durchführt und auf der Grundlage der von ihm angetroffenen tatsächlichen Umstände die erforderlichen Wertungen vornimmt und Schlussfolgerungen zieht oder Hypothesen aufstellt. Je nach Inhalt des ihm erteilten Auftrages ist der Sachverständige nicht selten zugleich – ohne dass dies im Beweisbeschluss ausdrücklich angemerkt ist – sachverständiger Zeuge. So sind etwa Ausführungen eines Sachverständigen über die Lage einer Drainage im Verhältnis zur Fundamentunterkante Wahrneh362
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Beweisantritt
Rz. 59 Kap. 18
ZPO
mungen, die der Sachverständige als sachverständiger Zeuge wiedergibt, nachdem er das Drainagerohr hat freigraben lassen und die Messungen durchgeführt hat, ohne dass dies in der Praxis dazu führt, den Sachverständigen, so wie es § 414 ZPO vorschreibt, als Zeugen zu vernehmen. Erst die Feststellung zur Funktionsfähigkeit der Drainage unter Auswertung der festgestellten Lage der Drainage im Verhältnis zur Fundamentunterkante ist die Wertung, die dem Sachverständigen als eigentliche Aufgabe im Rahmen der §§ 402 ff. ZPO zukommt. Da in der Praxis häufig die Parteien und noch häufiger das Gericht nicht wissen, welche Tatsachen ermittelt werden müssen, um den Sachverständigen die in der Sache erforderliche Wertung vornehmen oder Schlussfolgerung ziehen zu lassen, wird die Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten sehr viel seltener, als bei strenger Betrachtung erforderlich, als Ausforschungsbeweis (s. Rz. 35) gewertet. Bevor sich die beweisbelastete Partei oder die Partei, die den Gegenbeweis führen will, auf ein Sachverständigengutachten bezieht, sollte sie dennoch sorgfältig prüfen, ob mit dem Hinweis auf ein Sachverständigengutachten in Wahrheit nicht begehrt wird, die für die begehrte oder abzuwehrende Rechtsfolge maßgebenden Tatsachen – oder Gegentatsachen – ausfindig zu machen.
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K
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Praxistipp: Es empfiehlt sich deshalb, möglichst alle Tatsachen, die auch über die Wahrnehmung von Zeugen bewiesen werden können, nicht einfach durch ein Sachverständigengutachten unter Beweis zu stellen, wenn der Sachverständige aus diesen Tatsachen bestimmte Schlussfolgerungen ziehen soll.
2. Formulierung des Antrages Eigene Sachkunde des Gerichts macht die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbehrlich mit der Folge, dass das Gericht in diesem Fall den ausdrücklich gestellten Antrag auf Einholung des Sachverständigengutachtens übergehen darf. Hält das Gericht die eigene Sachkunde für die Beurteilung der zu entscheidenden Beweisfrage für ausreichend, bedarf dies – was in der Praxis allerdings häufig unterbleibt, so dass sich die entsprechende Entscheidung alsdann als rechtsfehlerhaft erweist – der Bekanntgabe an die Parteien (BGH NJW 2015, 1311 Rz. 5; NJW 1996, 584; NJW 1995, 1677) und der Darlegung der eigenen Sachkunde im Urteil (BGH NJW 2015, 1311, Rz. 5; NJW 1996, 584; NJW 1995, 1619; NJW 1988, 3016).
K
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Praxistipp: Greift das Gericht auf die eigene Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage zurück, 59 ist der Ausgang des Rechtsstreits – in der Regel für beide Parteien – nicht kalkulierbar. Wird deutlich, und sei es erst in der mündlichen Verhandlung, dass das Gericht die Beweisfrage unter Rückgriff auf die eigene Sachkunde beantworten will, sollte das Gericht aufgefordert werden, das Ergebnis seiner Beurteilung vor der abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits den Parteien zur Stellungnahme zuzuleiten. Ob das Gericht dazu verpflichtet ist, ist durch die – zivilrechtliche – höchstrichterliche Rechtsprechung zwar noch nicht gesichert. Es ist jedoch nicht einsichtig, warum den Parteien im Falle der Anwendung eigener Sachkunde durch das Gericht die Möglichkeit abgeschnitten werden soll, von ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen und darzulegen, welche Fehler dem Gericht – aus Sicht der Partei – in der Wertung bei Anwendung eigener Sachkunde unterlaufen sind. Im Strafrecht gilt schon seit langem, dass der Richter auf die Absicht, eigene Sachkunde anwenden zu wollen hinzuweisen und einem darauf gestellten Antrag, einen Sachverständigen zu laden, Folge leisten muss (BGHSt 12, 18). Für den Wettbewerbsprozess hat der Bundesgerichtshof allerdings entschieden, dass die Möglichkeit der Feststellung der Verkehrsauffassung kraft eigener, auf Zugehörigkeit zum Verkehrskreis beruhender Sachkunde und Erfahrung nicht bereits dadurch ausgeschlossen wird, dass eine Partei für eine abweichende Verkehrsauffassung Beweis anbietet (BGH NJW-RR 1992, 804). Folgt der Richter der Bitte, das Ergebnis seiner aufgrund eigener Sachkunde gefundenen Beurteilung mitzuteilen, ist zu beantragen, zum Beweisergebnis gem. § 279 Abs. 3 ZPO Stellung nehmen zu können. In der Stellungnahme ist nicht einfach zu behaupten, die vom Richter vorgenommene Beurteilung sei unzutreffend, und dafür Beweis – etwa durch ein Sachverständigengutachten – anzubieten. Die Fehler in der BeVorwerk
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Kap. 18 Rz. 60
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urteilung sind zu substantiieren, ggf. durch Vorlage entsprechender Literatur, und für die Richtigkeit der eigenen Beurteilung alsdann geeigneter Beweis anzubieten.
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Praxistipp: Kommt der Richter der Bitte, das Ergebnis seiner aufgrund eigener Sachkunde vorgenommenen Beurteilung mitzuteilen, nicht nach, ist auf § 279 Abs. 3 ZPO zu verweisen und eine Verletzung rechtlichen Gehörs zu rügen. Handelt es sich um die Beurteilung schwieriger technischer oder medizinischer Fragen, ist auf das Verbot der Anwendung eigener Sachkunde hinzuweisen (BGH NJW 2010, 3230; NJW 2001, 2791; NJW 1982, 108).
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Praxistipp: Die verstärkte Pflicht des Gerichts, Hinweise im Rahmen materieller Prozessleitung zu geben (§ 139 Abs. 1 ZPO), kann Anlass geben, einen fehlenden Hinweis des Gerichts erster Instanz auf eigene Sachkunde als Verfahrensfehler zu rügen (§ 139 ZPO) und vorzutragen, welcher ergänzende Vortrag gehalten worden wäre, wenn der Hinweis gegeben worden wäre. Es kommt dann darauf an, ob dieser neue Vortrag gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen werden darf. Diese Frage ist im Revisionsverfahren überprüfbar und stellt bis zu ihrer Klarstellung – und damit der Pflicht des Tatrichters zum Hinweis, er werde eigene Sachkunde anstelle einen Sachverständigen bemühen – einen Zulassungsgrund gem. § 543 Abs. 2 ZPO für die Revision dar.
62 Fehlt es dem Gericht an eigener Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage, muss es von Amts wegen (§§ 3, 144, 287, 372, 442 ZPO) ein Gutachten einholen (BGH NJW 1998, 3417; NJW-RR 1998, 96; Zöller/Greger § 403 ZPO Rz. 1). Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wird in der Regel daher auch lediglich als Anregung gegenüber dem Gericht verstanden, einen Sachverständigen zur Begutachtung heranzuziehen (BGH NJW 1984, 2763; NJW 1981, 522; Zöller/Greger § 403 ZPO Rz. 1).
63 K
Praxistipp: Um unnötigen Auseinandersetzungen über die Frage aus dem Wege zu gehen, ob der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens „erforderlich“ war, sollte man in der Praxis auf diese Differenzierung zwischen Beweisanregung und Beweisangebot nicht eingehen und für die entsprechenden Behauptungen innerhalb des schriftsätzlichen Vorbringens konsequent Beweis durch ein Sachverständigengutachten anbieten.
64 § 403 ZPO erläutert, dass Beweis durch ein Sachverständigengutachten durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten wird. Die Auswahl und die Bestimmung der Anzahl der zuzuziehenden Sachverständigen erfolgt durch das Prozessgericht (§ 404 ZPO). Es ist demnach nicht angezeigt, schon im Rahmen des Beweisangebots einen aus Sicht der beweisführenden Partei oder der Partei, die den Gegenbeweis führen will, geeigneten Sachverständigen namentlich zu benennen. Wohl aber empfiehlt es sich (s. Rz. 58), schon im Beweisangebot darauf hinzuweisen, dass und ggf. welche Spezialkenntnisse beim Sachverständigen vorhanden sein müssen.
65 In der Literatur findet man den Hinweis, um den Anforderungen des § 403 ZPO zu genügen, reiche im Rahmen des Beweisantritts die summarische Bezeichnung der streitigen Frage (Zöller/Greger § 403 ZPO Rz. 2). Diese Darstellung verführt in der Praxis häufig dazu, Beweis für das Bestehen einer Tatbestandvoraussetzung, die sich bei kritischer Betrachtung als wertender Rechtsbegriff erweist, dessen Ausfüllung die begehrte Rechtsfolge herbeiführt, durch ein Sachverständigengutachten anzubieten. Das Sachverständigengutachten wird in diesen Fällen nicht erhoben werden können, da sich die Beweiserhebung als Ausforschungsbeweis (s. Rz. 35) darstellt. Es sind deshalb die Hilfstatsachen vorzutragen, die es dem Gericht schon aufgrund vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung ermöglichen, den Schluss zu ziehen, dass der entsprechende Rechtsbegriff ausgefüllt ist; oder: solche Hilfstatsachen zu benennen, über die dem Gericht die entsprechende Wertung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen ermöglicht wird.
364
Vorwerk
Beweisantritt
Rz. 66 Kap. 18
M 18.8 Sachverständigenbeweis; Anführen von Hilfstatsachen – Meiden eines
66
Ausforschungsbeweises Statt: … Der Beklagte war Geschäftsführer der Immotec GmbH, die inzwischen im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden ist. Beweis: anliegender Handelsregisterauszug HRB … AG … Am 12.12.2017 hat der Beklagte den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Immotec GmbH gestellt. Der Antrag ist am 20.2.2018 unter Hinweis darauf zurückgewiesen worden, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse nicht vorhanden ist. Beweis: Beschluss des AG … vom …, von dem eine Kopie beiliegt. Am 6.12.2017 hat der Beklagte bei der Hausbank der Immotec GmbH, der … Bank zwei Kundenschecks über insgesamt 45.160,94 Euro zur Einziehung auf das dort geführte – einzige – Geschäftskonto der Immotec GmbH eingereicht. Das Konto befand sich in diesem Zeitpunkt mit 333.982,06 Euro im Soll. Die Hingabe eines Schecks zur Einziehung auf ein debitorisches Konto bei der … Bank durch den Beklagten stellt eine Zahlung im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG dar (vgl. BGH NJW 2000, 668). Der Beklagte ist der Immotec GmbH deshalb auch gem. § 64 Abs. 2 GmbHG schadenersatzpflichtig. Im Zeitpunkt der Hingabe der Schecks zur Einziehung, mithin am 6.12.2017, war die Immotec GmbH nämlich zahlungsunfähig und überschuldet. Beweis: Sachverständigengutachten muss vorgetragen werden: … … Bei Einreichung der Schecks zum Einzug war die Immotec GmbH zahlungsunfähig. Dies ist den Erklärungen des Beklagten zu entnehmen, die in den Akten des Insolvenzverfahrens … AG …, deren Beiziehung ich beantrage, niedergelegt sind; ferner dem in jenen Akten ebenfalls vorliegenden Gutachten des Betriebswerts …. Beweis: Insolvenzakten … AG … Bei seiner persönlichen Anhörung durch das Insolvenzgericht nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Immotec GmbH hat der Beklagte nämlich erklärt, dass die Immotec GmbH für ihre 17 Mitarbeiter, die sie seinerzeit noch beschäftigt hat, seit Mai 2017 keine Löhne mehr gezahlt und keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abgeführt hat. Darüber hinaus hat der Beklagte eingeräumt, dass die Immotec GmbH seit April 2017 keine Umsatzsteuererklärungen mehr abgegeben und auch keine Umsatzsteuer mehr an das zuständige Finanzamt abgeführt hat. Erklärung des Beklagten war zudem, dass ab Juni 2017 etwa wöchentlich der Gerichtsvollzieher vorbeigekommen sei, um aus von Lieferanten erwirkten Vollstreckungstiteln die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Der Gerichtsvollzieher habe jedoch jedesmal erfolglos abziehen müssen. Der Gerichtsvollzieher habe den Vollstreckungsgläubigern Unpfändbarkeitsbescheinigungen erteilt. Über liquide Zahlungsmittel hat die Immotec GmbH seit Juli 2017 praktisch nicht mehr verfügt. Ich verweise dazu auf die Kopie des entsprechenden Protokolls über die Anhörung des Beklagten aus den Insolvenzakten … AG …, die beiliegt. Zum Beweise dafür, dass die im Protokoll niedergelegten Tatsachen der Wahrheit entsprechen, beziehe ich mich vorsorglich auf eine Vernehmung des Beklagten als Partei.
Vorwerk
365
ZPO
M 18.8
ZPO
Kap. 18 Rz. 67
Beweisantritt
M 18.8
Es liegen demnach alle Voraussetzungen vor, unter denen von einer Zahlungsunfähigkeit der Immotec GmbH spätestens seit Juni 2017 auszugehen ist. Ich verweise dazu auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 8.10.1998 (BGH NJW-RR 1999, 272). Die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 64 Abs. 1, 2 GmbHG sind demnach erfüllt. Das Verschulden des Beklagten wird vermutet (BGH aaO). … Oder: … Die Immotec GmbH war nicht nur im Zeitpunkt der Einreichung der Schecks, am 6.12.2017, sondern schon jedenfalls im Juni 2017 überschuldet. Ich verweise dazu auf die beiliegende Bilanz per 30.6.2017, die sich im Original in den Insolvenzakten … AG befindet, weshalb ich die Beiziehung jener Akten beantrage. Die vorgelegte Bilanz hat der Betriebswirt … im Auftrag des Insolvenzgerichts … erstellt. Er hat darin das Aktiv- und Passiv-Vermögen der Immotec GmbH per 30.6.2017 aufgeführt. Die Auswertung der Bilanz führt zur Feststellung der Überschuldung der Immotec GmbH per 30.6.2017. Beweis: Sachverständigengutachten. In der Zeit nach dem 30.6.2017 ist die Buchhaltung der Immotec GmbH nur noch lückenhaft, wie der vom/ Insolvenzgericht beauftragte Betriebswirt … in seinem Gutachten, das sich ebenfalls bei den Insolvenzakten … AG … befindet, erläutert hat. Zum Beweis dafür beziehe ich mich vorsorglich auch noch auf den Betriebswirt …, zu laden … Aus den vorhandenen Buchführungsunterlagen ergibt sich jedoch ausweislich der vom Betriebswirt … getroffenen Feststellung, dass die Immotec GmbH ab Juli 2017 praktisch keine aktive Geschäftstätigkeit mehr entwickelt hat. Die Mitarbeiter der Immotec GmbH waren ausschließlich damit beschäftigt, Gewährleistungsansprüche aus der Zeit vor dem 30.6.2017 zu erfüllen. Offen waren zwar noch die Forderungen gegen die beiden Kunden, die im Dezember 2017 alsdann die beiden vom Beklagten zur Einziehung vorgelegten Kundenschecks der Immotec GmbH übermittelt haben. Auch unter Berücksichtigung jener Forderung, von der nicht festzustellen war, ob sie vor oder nach dem 30.6.2017 entstanden ist, lässt sich jedoch die Feststellung treffen, dass die Immotec GmbH im Zeitpunkt der Einreichung der Kundenschecks bei der Hausbank der Immotec GmbH überschuldet war. Beweis: Sachverständigengutachten. …
67 Der Streit über das Vorliegen von Mängeln lässt sich in der Regel erst nach Vorliegen eines Sachverständigengutachtens entscheiden.
68 Um auch hier der Gefahr zu entgehen, dass das Beweisangebot als Ausforschungsbeweis gewertet wird, sollte auch in diesen Fällen im Detail vorgetragen werden, um die Anknüpfungspunkte zu nennen, aufgrund derer die Wertung des Sachverständigen vorzunehmen ist.
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Vorwerk
Beweisantritt
Rz. 70 Kap. 18
M 18.9 Beweisangebot Sachverständigengutachten – Sachmangel
69
Werkleistung/Kauf Statt: … Die Fugen des Sichtmauerwerks sind mangelhaft verputzt. Beweis: Sachverständigengutachten. ist vorzutragen: … Der Beklagte hat die Fugen des Sichtmauerwerks nicht fachgerecht verputzt. Beweis: Sachverständigengutachten. Die Fugen schließen nicht mit der Außenkante der vermauerten Ziegelsteine ab. Bei Regen tritt in den Bereich der Fuge, der durch den Fugenstrich nicht abgedeckt ist, Wasser in den vermauerten Ziegelstein, so dass davon auszugehen ist, dass es bei Frosteinwirkung zu Abplatzungen im vorderen Bereich der vermauerten Ziegelsteine kommen wird. Beweis: Sachverständigengutachten. Es liegt demnach nicht nur ein optischer Mangel vor. Oder statt: … Das vom Kläger vom Beklagten erworbene Fahrzeug ist mangelhaft. Der Motor bringt nicht die Leistung, die er bringen soll. Beweis: Sachverständigengutachten. ist auszuführen: Das vom Kläger vom Beklagten erworbene Fahrzeug leidet an einem Mangel. Der Motor entwickelt nicht die Leistung, die er bei einem fabrikneuen Fahrzeug erbringen muss. Der Kläger hat nämlich festgestellt, dass das beim Beklagten erworbene Fahrzeug für die Beschleunigung von 0 km/h auf 100 km/h 22,7 Sek. benötigt. Beweis: Sachverständigengutachten. … Im Prospekt für den vom Kläger erworbenen Fahrzeugtyp ist hingegen angegeben, dass das Fahrzeug von 0 km/h auf 100 km/h in 15,5 Sek. beschleunigt. Die Kopie des entsprechenden Prospektes lege ich bei. …
Benötigt der Sachverständige Sachkunde auf einem Spezialgebiet (s. Rz. 64), sollte der Mandant befragt werden, warum diese spezielle Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage erforderlich ist und auf welchem Wege das Gericht einen entsprechenden Sachverständigen ausfindig machen kann. Die erteilten Informationen sind im Rahmen des Beweisangebotes zu verwerten.
Vorwerk
367
70
ZPO
M 18.9
ZPO
Kap. 18 Rz. 71
Beweisantritt
M 18.10
71 M 18.10 Beweisangebot Sachverständigengutachten – Spezialkenntnisse
erforderlich … Die von der Beklagten gelieferte Turbine ist mangelhaft. Beweis: Sachverständigengutachten. Die in der Turbinenkammer eingebaute Radschaufel weist im vorderen Bereich der Schaufelflächen leichte Unebenheiten auf. Diese Unebenheiten führen dazu, dass die Lager der Radschaufel übermäßig belastet werden und vorzeitig altern. Zum Beweise dafür beziehe ich mich auf ein Sachverständigengutachten; wobei ich anmerke, dass aus Sicht der Klägerin nicht ausreicht, mit der Begutachtung der Beweisfrage einen Maschinenbauingenieur zu betrauen, auch wenn sich ein Maschinenbauingenieur in der Regel mit der Konstruktion und dem Betrieb von Turbinen auskennt. Die im vorderen Bereich des Schaufelrades vorhandenen Unebenheiten führen zu Strömungswiderständen, die sich auf die Lager des Turbinenrades übertragen. Es ist demnach auch ein Strömungstechniker für die Begutachtung der Beweisfrage hinzuzuziehen. …
3. Außergewöhnliche Fälle
72 Ist ein selbständiges Beweisverfahren (s. Kap. 7) dem – nunmehr anhängigen – Hauptsacheverfahren vorangegangen und das dort erstattete Gutachten zu Lasten des Klägers ausgegangen, muss wegen der Vorschrift des § 493 ZPO das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Gutachten schon in der Klage angegriffen werden, um den Beweiswert jenes Gutachtens zu erschüttern.
73 K
Wichtig: Der Angriff gegen das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Gutachten ist mit dem Antrag zu verbinden, den Sachverständigen vor dem Prozessgericht anzuhören. Dem Antrag muss das Prozessgericht Folge leisten, auch wenn es von der Richtigkeit des Gutachtens überzeugt ist (BGH DWW 2017, 230 Rz. 6; NJW-RR 2007, 1294). Angegriffen wird das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Gutachten zweckmäßigerweise durch Vorlage eines von einem öffentlich bestellten Sachverständigen erstellten Gegengutachtens.
74 M 18.11 Vorlage eines Privatgutachtens nach durchgeführtem selbständigen
Beweisverfahren … Die Fensterlaibungen sind nicht fachgerecht eingeputzt. Beweis: Sachverständigengutachten. Der im selbständigen Beweisverfahren dazu gehörte Sachverständige Gericke hat zwar, wie S. 6 seines im Beweisverfahren … LG Lüneburg, dessen Akten ich beizuziehen beantrage, vorgelegten Gutachtens ausgeführt, gemeint, dass der nicht glatte Fugenstrich im Bereich der Laibungen keinen Mangel darstellt. Das ist jedoch nicht richtig, wie der öffentlich bestellte Sachverständige für Bauschäden Prof. Müller in dem beigefügten Gutachten (dort S. 7)
368
Vorwerk
M 18.12
Beweisantritt
Rz. 76 Kap. 18
ZPO
festgehalten hat. Prof. Müller hat in diesem Zusammenhang auf die DIN … verwiesen, die vorschreibt, dass der Fugenstrich entsprechend der Darstellung Abb. … der DIN auszuführen ist. Eine Kopie jener Abbildung der DIN … ist im Gutachten des Sachverständigen Prof. Müller eingeheftet (dort S. …). Ein Vergleich zwischen der vorgelegten Abbildung und dem von der Beklagten ausgeführten Fugenstrich im Bereich der Fensterlaibungen ergibt, dass die Anforderungen der DIN … nicht erfüllt sind. Beweis: Sachverständigengutachten. Dem vom Sachverständigen Gericke in dessen Gutachten niedergelegten Urteil, es liege kein Mangel vor, ist demnach nicht zu folgen. …
Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hat der Richter auch die Lebenserfahrung einzubeziehen (vgl. etwa BGH NJW-RR 1996, 275; BGHZ 123, 311; NJW 1993, 2434). Was der Lebenserfahrung entspricht, unterliegt wertender und damit subjektiv individueller Beurteilung. Jene subjektive Wertung ist in der Praxis nicht selten Ursache dafür, dass Beweis durch ein Sachverständigengutachten angeboten wird, das Gericht den Beweis allerdings nicht erhebt und die Partei im Urteil liest, die durch einen Sachverständigen unter Beweis gestellte Tatsache entziehe sich sachverständiger Beurteilung; es sei nicht ersichtlich, mit welchen technischen Mitteln der Sachverständige die Beweisfrage beantworten solle. In Fällen, in denen sich nicht sogleich erschließt, dass die Beweisführung durch ein Sachverständigengutachten möglich ist, empfiehlt es sich, unter Hinweis auf die maßgebende technische oder naturwissenschaftliche Literatur darzulegen, warum sich die Beantwortung der Beweisfrage durch Anwendung von Fachwissen erschließt.
75
M 18.12 Angebot Sachverständigenbeweis – objektiv geeignetes Beweismittel
76
… Das vom Beklagten zu den Akten des Nachlassgerichtes gereichte Testament, das das Datum 12.1.1973 trägt und nach der vom Beklagten aufgestellten Behauptung das handschriftliche Testament der verstorbenen Dorothee Meyer (nachfolgend: Erblasserin) darstellt, ist gefälscht. Beweis: Sachverständigengutachten. Die Erblasserin ist durch einen Unglücksfall am 20.7.1974 umgekommen. Sie befand sich im Zeitpunkt ihres Todes in ihrer Wohnung. Das Haus, in dem sie gewohnt hat, ist aufgrund einer Gasexplosion völlig ausgebrannt; außer Mauerresten hat man am Tage nach dem Unglück von dem Haus nichts mehr vorgefunden. Beweis: Auskunft des Staatsarchivs …, in dem die Akten des Todesermittlungsverfahrens … (Aktenzeichen der StA) aufbewahrt werden. Die Kläger können sich angesichts dessen zum Beweise dafür, dass das vom Nachlassgericht als echt angesehene Testament gefälscht ist, auch nicht auf ein Schriftsachverständigengutachten beziehen. Es sind keine handschriftlichen Briefe der Erblasserin mehr vorhanden, die einen Vergleich der Handschriften zulassen. Es ist jedoch möglich, durch Untersuchung des Papiers und auch der Tintenflüssigkeit, mit der der angeblich letzte Wille der Erblasserin niedergeschrieben ist, festzustellen, dass das angebliche Testament nicht von der Erblasserin verfasst sein kann. Die Schrift des vom Beklagten beim Nachlassgericht vorgelegten Schriftstücks ist mit einem Filzschreiber vollzogen worden. (Wird ausgeführt). Beweis: Sachverständigengutachten. Die Verwendung von Filzschreibern war in Deutschland erst nach 1980 gebräuchlich. Beweis: Sachverständigengutachten. Dies folgt aus den Ausführungen S. 17 der insoweit auszugsweise beigefügten Kopie des Werkes vom Milram/Knopf, Die Geschichte des Filzschreibers, Atlanta 1999.
Vorwerk
369
ZPO
Kap. 18 Rz. 77
Beweisantritt
M 18.13
Über die Untersuchung der Schriftzüge und des Papiers, auf dem das vom Nachlassgericht als eigenhändiges Testament der Erblasserin angesehene Testament lässt sich demnach feststellen, dass jene Urkunde geraume Zeit nach dem 20.7.1974 verfasst worden ist, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem die Erblasserin schon verstorben war. …
4. Behördenauskunft, Meinungsumfrage
77 Beweis durch ein Gutachten iS der §§ 402 ff. ZPO führt der Beweisführer auch in den Fällen, in denen er Beweis durch eine Behördenauskunft oder eine Meinungsumfrage anbietet (BGH NJW 1993, 925; NJW-RR 1997, 741; Zöller/Greger vor § 284 ZPO Rz. 8). Meinungsumfragen sind insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts von Bedeutung (s. dazu insbesondere BGH GRUR 2015, 581; NJW-RR 1997, 741; NJW 1995, 3124). Behördenauskünfte werden u.a. über amtliche Erkenntnisse (s. das Beweisangebot im M 18.12) und über Rechtsverhältnisse erteilt, die nicht der Amtsverschwiegenheit unterliegen. Besteht die Möglichkeit, dass die Behörde zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet ist, sollte die Behördenauskunft vorsorglich stets mit einem weiteren Beweisangebot, ggf. mit einem Antrag auf Parteivernehmung, verbunden werden.
78 M 18.13 Antrag auf Einholung einer Behördenauskunft … Die Beklagten haben das Dach des Gebäudes, das auf dem von den Beklagten erworbenen Grundstück steht, ausgebaut, ohne dass ihnen eine Baugenehmigung erteilt worden ist. Beweis: Auskunft des Bauordnungsamtes des Landkreises …, Hallmannstraße 17, 25746 Heide, zum Aktenzeichen … Beim Ausbau haben sie außerdem den Dachstuhl neu gerichtet und die Dachneigung verändert, um mehr Raum zu gewinnen. Beweis: Auskunft des Bauordnungsamtes Landkreises … …
IV. Beweisantritt durch Urkunden 79 Urkunden iS der §§ 415 ff. ZPO sind durch Niederschrift verkörperte Gedankenerklärungen, die geeignet sind, Beweis für streitiges Parteivorbringen zu erbringen (Zöller/Geimer vor § 415 ZPO Rz. 2). Welche Beweiskraft öffentlichen oder privaten Urkunden zukommt, regeln die §§ 415, 416 ZPO. §§ 417, 418 ZPO geben Auskunft über die Beweiskraft von Behördenurkunden sowie öffentlichen Urkunden über darin bezeugte Tatsachen. 1. Beweisantritt
80 Befindet sich die Urkunde in den Händen des Beweisführers, hat er die Urkunde gem. §§ 420, 131, 134 ZPO in Urschrift oder, soweit es sich um öffentliche Urkunden handelt, in öffentlich beglaubigter Abschrift (vgl. Zöller/Geimer § 435 ZPO Rz. 2) auf der zuständigen Geschäftsstelle des Prozessgerichts niederzulegen (Zöller/Geimer § 420 ZPO Rz. 2). Bei umfangreichen Urkunden (Gutachten, Büchern etc.) ist zudem die Seite der Urkunde anzugeben, die die beweisbedürftige Tatsache betrifft. In der Praxis durchgesetzt hat sich allerdings, dass anstelle der Urschrift oder der beglaubigten Abschrift der Urkunde Kopien zu den Gerichtsakten gereicht werden. Wird die Echtheit der Kopie nicht bestritten, ersetzt in der Praxis die Kopie die Urschrift oder beglaubigte Abschrift. 370
Vorwerk
Beweisantritt
Rz. 84 Kap. 18
M 18.14 Beweisantritt – Beweis durch Urkunden
81
… Die Beklagte war verpflichtet, das Gebäude mit Dachziegeln der Marke „Regendicht“ einzudecken. Ich verweise dazu auf die in Urschrift beigefügte, von beiden Parteien unterzeichnete, Baubeschreibung, in der dies auf der Seite 17 festgehalten ist. … Oder: … Es ist nicht richtig, dass der Beklagte das vom Kläger erworbene Fahrzeug an den Zeugen Schulze zum Preise von 26.000 Euro weiterveräußert hat. Zutreffend ist vielmehr, dass sich der Zeuge Schulze lediglich bereitgefunden hat, für das Fahrzeug einen Preis von 22.000 Euro zu zahlen. Zum Beweise hierfür lege ich anbei eine Kopie des zwischen dem Beklagten und dem Zeugen Schulze über das Fahrzeug geschlossenen Kaufvertrages bei. …
Im Falle der ersten Variante des M 18.14 muss der Beweisführer der beglaubigten Abschrift des für den Gegner bestimmten Schriftsatzes eine Kopie des Leistungsverzeichnisses nicht zwingend beifügen (§ 131 Abs. 3 ZPO), da der Gegner selbst im Besitz der Baubeschreibung ist. Für diesen Fall muss der Beweisführer dem Gegner jedoch anbieten, Einsicht in die Urkunde zu gewähren. Das kann im Fall der ersten Variante des M 18.14 etwa in der Weise geschehen, dass der Gegner gebeten wird, die zu den Gerichtsakten gereichte Urschrift bei den Gerichtsakten einzusehen; wobei es sich empfiehlt den Grund anzugeben, warum von einer Kopie der Urkunde abgesehen worden ist, um einer Verärgerung des Gerichts und des Prozessgegners vorzubeugen.
82
Werden, wie in der zweiten Variante des M 18.14 im Einklang mit § 131 Abs. 2 ZPO Urkunden in Ko- 83 pie nur auszugsweise vorgelegt, sollte der Prozessgegner aus anwaltlicher Vorsicht stets argwöhnen, dass dies mit Bedacht geschehen ist; das heißt: dass die Teile der Urkunde nicht mitkopiert worden sind, aus denen sich für das Begehren des Beweisführers negativ auswirkende Umstände ergeben. Die eigene Partei sollte deshalb sogleich aufgefordert werden, die vollständige Urkunde herzugeben, sofern sie im Besitz der vollständigen Urkunde ist.
K
Praxistipp: Ist die eigene Partei nicht im Besitz der vollständigen Urkunde (s. etwa die zweite Variante des M 18.14), ist sie gegenüber einer Urkundenvorlage gem. § 131 Abs. 2 ZPO allerdings nicht schutzlos. Sie kann, da sie über den weiteren Inhalt der Urkunde keine Kenntnis hat, behaupten (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1072), dass sich aus dem weiteren, aus der auszugsweisen Kopie nicht ersichtlichen Inhalt der Urkunde eine der Richtigkeit der zu beweisenden Tatsache entgegenstehende Tatsache, die allerdings zu bezeichnen ist § 424 ZPO), ergibt. Jene Behauptung ist alsdann mit dem Antrag zu verbinden, dem Beweisführer aufzugeben, die Urschrift der nur auszugsweise vorgelegten Urkunde vorzulegen.
Vorwerk
371
84
ZPO
M 18.14
ZPO
Kap. 18 Rz. 85
Beweisantritt
M 18.15
85 M 18.15 Gegenwehr bei Beweisführung durch Urkunden gem. § 131 Abs. 2 ZPO1 … Der Beklagte hat zum Beweis für die Behauptung, er habe das Fahrzeug an den Zeugen Schulze nur zum Preise von 22.000 Euro veräußert, eine auszugsweise Kopie des Kaufvertrages vorgelegt, den er mit dem Zeugen Schulze geschlossen hat. Aus der auszugsweisen Kopie ist in der Tat zu entnehmen, dass der Beklagte mit dem Zeugen Schulze nur den von ihm behaupteten Kaufpreis von 22.000 Euro vereinbart hat. Der Kläger kennt den weiteren Inhalt des Kaufvertrages nicht. Er kann sich jedoch nicht vorstellen, dass der Beklagte das Fahrzeug zu einem Preis veräußert hat, der weit unter dem Verkehrswert liegt. Der Verkehrswert des Fahrzeuges betrug seinerzeit nämlich rund 28.000 Euro, mithin den Betrag, den der Beklagte nach dem bisherigen Vortrag des Klägers aus der Weiterveräußerung des Fahrzeugs erlöst hat. Der Kläger hat daher Veranlassung zu behaupten, dass in den weiteren Passagen des Kaufvertrages, die nicht mit vorgelegt worden sind, Vereinbarungen enthalten sind, innerhalb derer sich der Zeuge Schulze verpflichtet hat, über den Kaufpreis hinaus weitere 6.000 Euro – etwa für das Sonderzubehör und die Winterreifen – zu bezahlen. Ich beantrage daher auch, dem Beklagten gem. § 425 ZPO aufzugeben, den mit dem Zeugen Schulze geschlossenen Kaufvertrag in Urschrift und zwar vollständig vorzulegen. Die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe weitere 6.000 Euro erlöst, ist nicht ins Blaue hinein aufgestellt. Da der Kläger über die hier maßgebenden Tatsachen keine eigene Kenntnis hat, kann er in Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte auch vermutete Tatsachen behaupten (BGH WM 2017, 2191 Rz. 33; NJW-RR 1997, 116; NJW 1996, 3147). … 1 In Anlehnung an den Sachverhalt M 18.14.
86 K
Praxistipp: Ungeachtet dessen kann der Gegner in den Fällen, in denen ihm die vollständige Urkunde, die auszugsweise in Abschrift vorgelegt worden ist, unbekannt ist, auch die Echtheit der vorgelegten Fotokopie bestreiten, um auf diese Weise die Vorlage der Urschrift der nur auszugsweise in Kopie vorgelegten Urkunde zu erwirken.
87 M 18.16 Urkundenbeweis gem. § 131 Abs. 2 ZPO – Bestreiten der Echtheit der
vorgelegten Kopie … Der Kläger bestreitet die Echtheit der Fotokopien des auszugsweise vorgelegten Kaufvertrages zwischen dem Beklagten und dem Zeugen Meyer. Dass die Kopien keine Spuren von Mängeln der Urschrift der Urkunde (§ 419 ZPO) aufweisen, führt nicht dazu, dass das Bestreiten der Echtheit der vorgelegten Kopien ins Blaue hinein erfolgt ist. Beim Kopieren lassen sich Mängel der Urkunde so gut kaschieren, dass diese Mängel aus der Kopie nicht einmal im Ansatz zu erkennen sind. Beweis: Sachverständigengutachten. Unabhängig davon darf der Kläger in Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte, da er keine Kenntnis vom Inhalt der auszugsweise vorgelegten Urkunde hat, auch vermutete Tatsachen behaupten (BGH VersR 2011, 1432; NJW-RR 1997, 116; NJW 1996, 3147). …
372
Vorwerk
Beweisantritt
Rz. 95 Kap. 18
a) Regelfall Befindet sich die Urkunde in den Händen des Gegners oder eines Dritten, müssen die Regelungen der §§ 420 ff. ZPO beachtet werden.
88
b) Urkunden in den Händen des Gegners Hält nach der Behauptung des Beweisführers der Gegner die Urkunde in den Händen, wird der Be- 89 weis durch den Antrag angetreten, dem Gegner aufzugeben, die Urkunde vorzulegen (§ 421 ZPO). Zur Vorlage ist der Gegner allerdings nur verpflichtet, wenn der Beweisführer die Vorlage oder Herausgabe der Urkunde nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Herausgabe oder die Vorlegung verlangen kann (§ 422 ZPO). Zu diesen Vorschriften gehören etwa die §§ 371, 402, 985, 1144 BGB, Art. 50 WG, die die Pflicht zur Herausgabe regeln; ferner §§ 809, 810 BGB, §§ 118, 166, 233 HGB, die die Pflicht zur Vorlegung einer Urkunde betreffen; außerdem § 259 Abs. 1 BGB in allen Fällen der Rechnungslegung. Vorlageverpflichtet ist der Gegner zudem durch §§ 423, 836 Abs. 3 ZPO.
K
Praxistipp: Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts bestehen weitreichende Vorlage- und Rechnungslegungspflichten, die sich auch auf Dritte erstrecken, die nicht Verletzer des Immaterialgüterrechts sind. Für das Patentrecht s. Müller-Stoy, MittDtPatAnw. 2009, 361; für das Markenrecht s. Jämich MarkenR 2008, 413; für das Urheberrecht s. Kitz NJW 2008, 2374). Die Vorlagepflichten sind dort mithin spezialgesetzlich geregelt! (BGH GRUR 2013, 316; 2012, 1226).
90
K
Wichtig: Im Urkundenprozess ist § 421 ZPO nicht anwendbar. Dies folgt aus § 595 Abs. 3 ZPO.
91
Kommt der Prozessgegner nach entsprechender Anordnung durch das Gericht (§ 425 ZPO) seiner Vorlagepflicht nicht nach, regeln sich die Rechtsfolgen nach §§ 427, 426 ZPO.
92
K
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Praxistipp: Will sich der Prozessgegner gegen die Vorlage der Urkunde wenden, sollte er zunächst prüfen, ob die Voraussetzungen für die Pflicht zur Vorlage (Rz. 89) vorliegen. Besteht die Pflicht, nützt das Bestreiten des Besitzes wegen der Regelung des § 426 ZPO in der Regel wenig. Aus der Vernehmung gem. § 426 ZPO lässt sich in der Regel schon der Schluss ziehen, ob es die behauptete Urkunde gegeben hat. Hat es eine Urkunde mit dem behaupteten Inhalt gegeben, hat der Beweisführer zumeist schon den Beweis erbracht, der erst über die Vorlage der Urkunde hatte erbracht werden sollen.
94
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorlegungsantrag vgl. Kap. 24 Rz. 146 und M 24.17. c) Urkunden in den Händen eines Dritten
Befindet sich die Urkunde in den Händen eines Dritten, wird Beweis durch den Antrag angetreten, 95 eine Frist zur Herbeischaffung der Urkunde zu bestimmen oder eine Anordnung gem. § 142 ZPO zu erlassen (§ 428 ZPO) (BGH WM 2014, 1611; NJW 2007, 155). Der Beweisantrag ist gem. § 430 ZPO zu begründen; das heißt: Es ist gem. § 424 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO die Urkunde zu bezeichnen, über die der Beweis für die beweisbedürftige Behauptung erbracht wird; ferner die Tatsache anzugeben, die durch die Urkunde bewiesen werden soll (LG Frankfurt/Oder v. 20.6.2012 – 11 O 101/10). Außerdem ist der Inhalt der Urkunde möglichst vollständig zu bezeichnen und anzugeben sowie glaubhaft zu machen, woraus sich die Verpflichtung des Dritten ergibt, die Urkunde vorzulegen (§§ 430, 424 ZPO; s. auch LArbG Berlin EzA-SD 2003, Nr. 4, 13). Glaubhaft zu machen ist ebenfalls, dass sich die Urkunde in den Händen des Dritten befindet (§ 430 ZPO). Wegen der Formulierung des Antrags vgl. M 24.18 sowie Kap. 24 Rz. 155 ff.
Vorwerk
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ZPO
2. Urkunden in den Händen des Gegners oder eines Dritten
Kap. 18 Rz. 96
Beweisantritt
ZPO
96 Wird vom Gericht die Vorlagefrist bestimmt, hat der Beweisführer Klage gegen den Dritten zu erheben, die Urkunde vorzulegen, sofern der Dritte die Urkunde nicht freiwillig herausgibt (§ 429 ZPO).
97 K
Praxistipp: Das Verfahren, einen Dritten zur Vorlage einer Urkunde, die zur Beweisführung benötigt wird, zu zwingen, ist verfahrensrechtlich höchst aufwendig. Es empfiehlt sich daher stets, den Antrag zu stellen, eine Anordnung gem. § 142 ZPO zu erlassen.
98 Welche Auswirkungen die Möglichkeit des Gerichts, die Vorlage von Urkunden gem. § 142 ZPO durch eine Partei oder durch Dritte anzuordnen, auf die Möglichkeiten der Beweisführung hat, lässt sich auch heute noch nicht sicher voraussagen. Die nachfolgenden Erwägungen stützen sich auf die bisher ergangene Rechtsprechung und stellen im darüber hinausgehenden Umfang lediglich Leitlinien für die Praxis dar:
99 – Die Anordnung der Vorlage einer Urkunde durch Dritte kann auch der Bereitstellung von Beweismitteln dienen (BGH NJW 2007, 155). Die Befürchtung, dass die vorzulegende Urkunde im weiteren Verfahren gegen den Vorlegenden verwendet wird, begründet keine Unzumutbarkeit der Vorlage, wenn der Vorlegende der Partei, die sich auf die Unterlagen bezogen hat, materiell-rechtlich zur Gewährung der Einsicht verpflichtet ist (OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 250). Der Dritte, der zur Vorlage verpflichtet wird, kann die Vorlage verweigern, wenn ihm durch die Vorlage ein vermögensrechtlicher Schaden droht (BGH NJW 2007, 155); hierfür genügt, dass die Durchsetzung von Ansprüchen erleichtert wird. Aus der sekundären Behauptungslast der Partei, die im Besitz der Urkunde ist, lässt sich keine Vorlagepflicht ableiten; eine Anordnung gem. § 142 ZPO kann ungeachtet dessen ergehen (BGH NJW 2007, 2989). § 142 ZPO dient nicht dazu, einer Partei die Darlegungslast zu erleichtern (BGH NJW-RR 2007, 1393).
100 – Ist der Gegner im Besitz der Urkunde, wird unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichwertigkeit der Beweismittel (Ausnahme: Parteivernehmung, §§ 445, 450 Abs. 2 ZPO) und der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) die Anordnung zur Vorlage der Urkunde selbst dann zulässig sein, wenn der Beweisführer für die Richtigkeit der Behauptung weitere Beweismittel angeboten hat. Die im Besitz des Beweisgegners befindliche Urkunde ist also nicht nachrangiges Beweismittel. Kommt der Beweisgegner der Anordnung zur Vorlage der Urkunde nicht nach, ist dies gem. §§ 286, 427 Satz 2 ZPO frei zu würdigen (BGH NJW 2007, 2989, 2992; Vorwerk/Wolf/v. Selle, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 142 ZPO Rz. 17).
101 – Es stellt einen Ermessensfehler dar, wenn das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 142 Abs. 1 ZPO eine Anordnung zur Urkundenvorlegung überhaupt nicht in Betracht zieht (BGH NJW 2007, 2989). Dies prüft auch das Revisionsgericht. Gegen die Anordnung oder Nichtanordnung der Urkundenvorlegung ist kein Rechtsmittel gegeben (Vorwerk/Wolf/v. Selle, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 142 ZPO Rz. 20).
102 – Im Zwischenstreit gem. §§ 142 Abs. 2, 390 ZPO werden lediglich die Unzumutbarkeit der Vorlage und das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts überprüft (OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 250). Der Dritte trägt die Beweislast für die Weigerungsgründe (OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 250, 251). Das Ermessen des Tatrichters bei Ausübung der Anordnungsbefugnis ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar (BGH NJW 2007, 2989, 2992). Das Beschwerdegericht überprüft die Ermessensausübung von Amts wegen (OLG Stuttgart NJW 2007, 250, 252).
103 – Die nach § 428 ZPO beantragte, im Verfahren erster Instanz jedoch unterbliebene Anordnung wird und muss der Beweisführer als Verfahrensfehler mit der Berufung rügen (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird unter den Voraussetzungen des § 538 ZPO (Antrag auf Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 ZPO nicht versäumen!) die Sache bei Vorliegen des gerügten Fehlers an das Gericht erster Instanz zurückverweisen. – Macht das Gericht von der Möglichkeit der Anordnung gem. § 142 ZPO gegenüber dem Dritten Gebrauch, beruft sich der Dritte jedoch auf die Voraussetzungen des § 142 Abs. 2 ZPO, entfacht
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Vorwerk
Beweisantritt
Rz. 107 Kap. 18
der Zwischenstreit gem. §§ 142 Abs. 2, 387 ZPO, innerhalb dessen der Beweisführer und Dritte selbst beschwerdeberechtigt sind (Zöller/Greger § 387 ZPO Rz. 6).
K
Praxistipp: Wenn dem Dritten das Recht zugesprochen wird, die Vorlage der Urkunde aus den Gründen des § 142 Abs. 2 ZPO zu verweigern, sollte alsdann der Antrag gestellt oder auf einen schon vorsorglich insoweit gestellten Antrag (s. M 18.17) hingewiesen werden, gem. § 428 ZPO Frist zur Herbeischaffung der Urkunde zu setzen. Die Anordnung gem. § 142 ZPO und die Fristsetzung gem. § 428 ZPO sind zwei verschiedene Wege, denselben Beweis zu erbringen; fällt der eine Weg aus, bleibt der andere Weg weiterhin offen!
M 18.17 Beweisantritt Vorlage einer Urkunde durch Dritten
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… Beweis für die Richtigkeit dessen biete ich durch Vorlage des Kaufvertrages … (Urkunde genau bezeichnen, §§ 430, 424 Nr. 1 ZPO) … an, der sich in den Händen des Kaufmanns … (es folgt die genaue Bezeichnung des Dritten, einschließlich dessen ladungsfähiger Anschrift, damit gegen den Dritten die Anordnung gem. § 142 ZPO ergehen kann) … an. Ich beantrage deshalb, eine Anordnung gem. § 142 Abs. 1 ZPO zu treffen und im Rahmen jener Anordnung zu bestimmen, dass die Urkunde bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auf der Geschäftsstelle verbleibt; hilfsweise eine Frist zur Herbeischaffung der Urkunde gem. § 428 ZPO zu bestimmen. … (hier folgt der die Voraussetzungen der §§ 430, 424 Nr. 2, 3, 5 ZPO darstellende Vortrag) … Den Hilfsantrag gem. § 428 ZPO habe ich für den Fall gestellt, dass sich der Kaufmann … auf § 142 ZPO beruft und ein Zwischenstreit gem. §§ 142 Abs. 2 Satz 2, 387 ZPO zu Lasten des (im Muster so angenommenen, beweispflichtigen) Klägers ausgeht. Für diesen Fall bleibt dem Kläger die Möglichkeit, die Herausgabe der Urkunde vom Kaufmann … klageweise zu erzwingen. Die Vorschriften bürgerlichen Rechts, aufgrund derer der Kaufmann … verpflichtet ist, den im Vorlageantrag bezeichneten Kaufvertrag vorzulegen, geben dem Kaufmann … nicht die Möglichkeit, die Herausgabe des Kaufvertrages unter Hinweis auf Zumutbarkeitserwägungen oder ein Zeugnisverweigerungsrecht zu verweigern. …
V. Beweisantritt durch Augenschein Der Beweis durch Augenschein soll dem Gericht die Überzeugung von der Richtigkeit behaupteter Tatsachen durch eigene gegenständliche Wahrnehmung vermitteln. Von der Möglichkeit der Augenscheinseinnahme wird in der Praxis nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht; zu groß ist der Zeitverlust durch die Anreise an den Ort der Augenscheinseinnahme; zu groß sind die Hindernisse, die die Justizverwaltung durch Vorschriften über den Gebrauch eines Dienstwagens, die Inanspruchnahme eines Protokollführers vor Ort aufbaut, um die Augenscheinseinnahme als – in der Praxis – effektives Beweismittel anzusehen. Das Gericht wird daher in der Regel den Weg des § 144 Abs. 1 Satz 2 ZPO beschreiten, wenn eine Vorlage des zu begutachtenden Gegenstandes am Gerichtsort möglich ist; oder gem. § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Begutachtung durch einen Sachverständigen anordnen, wenn es sich an einen anderen als den Gerichtsort bewegen muss, um die Augenscheinseinnahme durchzuführen.
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Da der Dritte, der den Gegenstand der Augenscheinseinnahme vorlegen soll, die Möglichkeit hat, einen Zwischenstreit über seine Vorlagepflicht zu entfachen (§ 144 Abs. 2 ZPO; s. dazu auch Rz. 98 ff.),
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ZPO
M 18.17
ZPO
Kap. 18 Rz. 108
Beweisantritt
M 18.18
und ein Sachverständigengutachten zeitraubend ist, beobachtet man häufig, dass einem Antrag auf Augenscheinseinnahme mit der Begründung nicht gefolgt wird, das Beweismittel sei ungeeignet (s. dazu Rz. 21 ff.), der unter Beweis gestellte Vortrag sei unsubstantiiert. Für das Beweismittel „Augenscheinseinnahme“ sind die unter Rz. 21–22 angeführten Hinweise daher in besonderem Maße zu beachten. Beweis durch Augenschein wird angeboten wie folgt:
108 M 18.18 Beweis durch Augenschein … zum Beweise dafür beantrage ich, den Ort, an dem sich der Unfall ereignet hat, in Augenschein zu nehmen. Vor Ort wird das Gericht erkennen, dass der Kläger keinerlei Möglichkeit hatte, von dem Standort aus, an dem er sich unmittelbar vor dem Zusammenstoß beider Fahrzeuge befand, in die querende Straße … einzusehen. Der Kläger musste daher sein Fahrzeug spontan abbremsen. Ein völlig ungewöhnliches, für die örtlichen Verhältnisse nicht voraussehbares Fahrverhalten, wie es der Beklagte behauptet, ist aufseiten des Klägers demnach nicht festzustellen. …
109 Ist ein elektronisches Dokument Gegenstand des Beweises, wird der Beweis durch Vorlage oder Übermittlung der Datei angetreten (§ 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Der Gesetzgeber hat die Beweiserhebung dabei der Augenscheinseinnahme zugeordnet, ohne jedoch Aufschluss darüber zu geben, wie sich das Gericht durch eigene Wahrnehmung des Inhalts der elektronischen Datei – bei regelmäßig anzunehmender fehlender eigener Fachkenntnis – von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Behauptung überzeugen können soll. Zudem hat der Gesetzgeber die Regeln über den Urkundenbeweis für entsprechend anwendbar erklärt, wenn sich die elektronische Datei nicht „im Besitz des Beweisführers“ befindet (§ 371 Abs. 1 und 2 ZPO). Dabei wird deutlich, dass die entsprechenden Regelungen „mit heißer Nadel genäht“ worden sind: In seiner ursprünglichen Fassung erstreckte sich § 371 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 ZPO auf die Regelung, die für den Fall, dass sich die Datei in den Händen eines Dritten befindet, erst in § 371 Abs. 2 ZPO getroffen worden ist. Die Korrektur des § 371 ZPO ist dann mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (BGBl. I 2001, 3137, 3179) vorgenommen worden. Allerdings ist auch diese Korrektur nicht recht geglückt. Der nunmehr in Kraft gesetzte § 371 Abs. 3 ZPO findet seine Entsprechung schon in der durch § 371 Abs. 2 ZPO in Bezug genommenen Regelung des § 427 ZPO; die Verweisung auf § 429 Satz 2 ZPO steht im Widerspruch zu § 371 Abs. 2 ZPO, der § 144 ZPO für anwendbar erklärt.
VI. Beweisantritt durch Parteivernehmung 1. Vernehmung des Gegners
110 Die Parteivernehmung ist Hilfsbeweismittel. Dies folgt aus §§ 445, 450 Abs. 2 ZPO (vgl. auch Zöller/ Geimer vor § 445 ZPO Rz. 3). Sie kann mithin nur durchgeführt werden, wenn andere, also vorrangig zu beachtende Beweismittel den dem Beweisführer obliegenden Beweis nicht erbracht haben. Ungeachtet dessen ist die Parteivernehmung vollwertiges Beweismittel (Zöller/Greger § 445 ZPO Rz. 1); ihr Beweiswert steht deshalb keinem anderen Beweismittel nach.
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Beweisantritt
Rz. 113 Kap. 18
M 18.19 Beweisangebot – Vernehmung des Prozessgegners als Partei
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… Am Morgen des 20.9.2017 hatten sich die Parteien verabredet, mit ihrem Boot aufs Meer zu fahren. Sie trafen sich gegen 9.30 Uhr nach einem kurzen Frühstück im Hotel. Als das Boot etwa eine Seemeile von der Küste entfernt war, wollte der Kläger den Beklagten necken. Der Kläger fragte den Beklagten deshalb, ob Michelle, eine im Hotel beschäftigte Serviererin, in die sich der Beklagte verliebt hatte, dem Beklagten in den letzten Tagen das Abendbrot auf dem Zimmer serviert habe. Der Kläger wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass dies in der Tat der Fall war. Über die Frage geriet der Beklagte – ohne dass der Kläger den Grund hat erkennen können – derart in Wut, dass er – der Beklagte – den Spinnakerbaum aus seiner Befestigung löste und dem Kläger an den Kopf schleuderte. Beweis: Vernehmung des Beklagten als Partei. Es ist mithin nicht richtig, dass sich der Spinnakerbaum, wie der Beklagte vorprozessual behauptet hat, selbst aus der Verankerung gelöst hat. …
Da in der Regel zu erwarten ist, dass der Gegner, der bestreitet, bei seiner Vernehmung die beweisbedürftige Tatsache nicht bestätigen wird, darf sich der Beweisführer nicht darauf beschränken, nur die beweisbedürftige Tatsache vorzutragen und für die Richtigkeit Beweis durch Vernehmung des Gegners anzubieten. Selbst wenn das Gericht den Gegner nicht für glaubwürdig erachtet, kann es die begehrte Rechtsfolge nicht aussprechen, wenn weitere Anhaltspunkte für die Richtigkeit der beweisbedüftigen Tatsache fehlen. Wird Beweis nur durch Vernehmung des Gegners als Partei angeboten, müssen mithin alle auch nur erdenklichen Hilfstatsachen vorgetragen und möglichst durch andere Beweismittel unter Beweis gestellt werden, damit unter Einbeziehung der Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Gegners sich das Gericht von der Richtigkeit der beweisbedürftigen Tatsache überzeugen kann.
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M 18.20 Beweisantritt – Vernehmung des Gegners als Partei; ergänzende
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Hilfstatsachen1 … Die – vorprozessual abgegebene – Erklärung des Beklagten, der Spinnakerbaum habe sich von selbst gelöst und sei dem Kläger gegen den Kopf geflogen, ist unzutreffend. Der Spinnakerbaum ist sowohl am Mast als auch am Spinnaker selbst mit Spezialösen befestigt, die nur durch Niederdrücken eines Federverschlusses geöffnet werden können. Das Gericht mag sich hiervon durch Augenscheinseinnahme oder ein Sachverständigengutachten überzeugen. Das Boot des Klägers, das die Parteien seinerzeit für die Segeltour benutzt haben, liegt derzeit im Jachthafen … Ich überreiche darüber hinaus ein Detailfoto, das die Spezialöse zeigt. Es ist demnach ausgeschlossen, dass sich die Öse, wie der Beklagte vorgibt, von selbst öffnen kann. Beweis: Sachverständigengutachten. … 1 Fortführung des Sachverhalts von M 18.19.
Vorwerk
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ZPO
M 18.20
Kap. 18 Rz. 114
Beweisantritt
M 18.21
ZPO
2. Vernehmung des Beweisführers
114 Die Vernehmung des Beweisführers ist nur im Einverständnis mit der Gegenpartei möglich (§ 447 ZPO); es sei denn, es liegen die Voraussetzungen für die Vernehmung der beweispflichtigen Partei von Amts wegen (§ 448 ZPO) vor. Das Einverständnis des Gegners des Beweisführers zur Vernehmung des Beweisführers ist in der Praxis durchweg nicht zu erlangen. Die Formulierung „Beweis: Parteivernehmung“ wird deshalb in der Regel auch als Antrag verstanden, den Gegner des Beweisführers zu vernehmen. Dennoch sollte im Beweisangebot stets deutlich gemacht werden, wessen Vernehmung als Partei beantragt wird. Dem „Antrag“, den Beweisführer als Partei zu vernehmen, kommt nämlich dann in der Praxis besondere Bedeutung zu, wenn die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) vorliegen. 3. Anregung auf Vernehmung der eigenen Partei
115 Ein ausdrücklicher Antrag auf Vernehmung des Beweisführers als Partei ist zwar nicht erforderlich, um die Parteivernehmung gem. § 448 ZPO durchzuführen. Das Gericht muss im Rahmen der Beweiswürdigung von Amts wegen darüber befinden, ob die Voraussetzungen für die Parteivernehmung gem. § 448 ZPO vorliegen. Da die Vernehmung im Ermessen des Gerichts steht (BGH NJW 1999, 363) und der Nichtgebrauch des Ermessens im Berufungsverfahren – oder auch im Revisionsverfahren – in der Regel deutlicher darzustellen ist, wenn der Tatrichter in den Entscheidungsgründen Ausführungen dazu versäumt hat, warum er nicht zur Vernehmung des Beweisführers als Partei geschritten ist (vgl. BGH aaO; NJW-RR 1992, 866), sofern der Beweisführer selbst die Beweisergebnisse zusammengetragen hat, die die Voraussetzung für seine Vernehmung als Partei ergeben, empfiehlt es sich, einen förmlichen Antrag auf die Vernehmung des Beweisführers als Partei zu stellen und diesen Antrag zu begründen.
116 M 18.21 Beweisantritt – Vernehmung des Beweisführers als Partei (§ 448 ZPO) … Der vom Gericht vernommene Zeuge Meyer hat zwar nicht unmittelbar gesehen, dass die Klägerin auf dem vor dem Salatbuffet auf dem Fußboden liegenden Salatblatt ausgerutscht ist. Der Zeuge Meyer ist der Klägerin nach dem Sturz jedoch sogleich zu Hilfe geeilt und hat festgestellt, dass sich in unmittelbarer Nähe der Sturzstelle das zerquetschte Salatblatt auf dem Fußboden befand. Beweis: August Meyer, zu laden … Der Zeuge Meyer hat ferner gehört, dass die am Boden liegende Klägerin unter Schmerzen gestöhnt hat, ihr sei das rechte Bein plötzlich weggerutscht, als sie vom Salatbuffet zurückgetreten sei. Ergeben hat die Beweisaufnahme zudem, dass der Boden vor dem Salatbuffet im Übrigen nicht rutschig oder glitschig war. Ich verweise wegen dieses Beweisergebnisses auf das Protokoll der vom Landgericht am 16.3.2018 durchgeführten Beweisaufnahme (GA I 68 bis 75). Angesichts dieses Beweisergebnisses hat die Klägerin einigen Beweis dafür erbracht, dass der Sturz auf das vor dem Salatbuffet liegende Salatblatt zurückzuführen ist. Ich beantrage daher vorsorglich auch, die Klägerin gem. § 448 ZPO als Partei zu vernehmen. Jene Parteivernehmung hätte das Landgericht schon von Amts wegen durchführen müssen. Zumindest hätte das Landgericht ausführen müssen, warum es von einer Vernehmung der Klägerin als Partei abgesehen hat (vgl. BGH NJW 1999, 363; NJW-RR 1992, 866). Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich demnach als unrichtig. …
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Beweisantritt
Rz. 119 Kap. 18
Kann die beweispflichtige Partei den Inhalt von Vertragsverhandlungen oder eines Gesprächs nur 117 durch Vernehmung des Gegners als Partei beweisen, ist voraussehbar, dass der Beweis nicht gelingen wird, wenn der Gegner die zu beweisende Tatsache bestreitet. Der auch im Zivilverfahrensrecht geltende Grundsatz der Waffengleichheit (Art. 6 Abs. 1 EMRK) gebietet in dieser Situation, auch die beweispflichtige Partei zu hören (grundlegend EGMR NJW 1995, 1413). Die Beweisnot, in der sich die beweispflichtige Partei befindet, schränkt das Ermessen des Tatrichters (s. Rz. 115), zur Parteivernehmung gem. § 448 ZPO zu schreiten, demnach ein; das Ermessen des Tatrichters ist in dieser Situation gebunden. Die Voraussetzungen, unter denen sich eine Partei in Beweisnot befindet und ihre Vernehmung gem. § 448 ZPO aus diesem Grunde geboten ist, sind durch die Rechtsprechung wie folgt modifiziert worden:
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– In Beweisnot kann sich eine Partei auch dann befinden, wenn der einen Partei in der Person eines Mitarbeiters ein Zeuge zur Verfügung steht, um den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs zu beweisen; die andere Partei, die die Verhandlungen selbst geführt hat, sich demgegenüber nicht auf einen Zeugen stützen kann (BGH NJW 2003, 3636; BGH NJW 1999, 363 mwN). – Hat das Vier-Augen-Gespräch zwischen der beweispflichtigen Partei und einem außenstehenden Dritten stattgefunden, kommt eine Vernehmung der beweispflichtigen Partei gem. § 448 ZPO allein aus dem Grundsatz der Waffengleichheit nicht in Betracht (BGH NJW 2002, 2247). Es handelt sich um eine in Zivilprozess häufig anzutreffende Situation, dass nur einer Partei ein unabhängiger Zeuge zur Verfügung steht. In diesen Fällen ist eine Parteivernehmung nur unter der auch sonst geltenden Voraussetzung (vgl. BGH NJW 2002, 2247; NJW 1989, 3222) geboten, dass für die Richtigkeit der Behauptung der beweispflichtigen Partei nach der bisherigen Verhandlung und Beweisaufnahme eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (BGH NJW 2002, 2247). – Eine Vernehmung der beweispflichtigen Partei über den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs scheidet unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit ebenfalls aus, wenn das Gericht seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der streitigen Parteibehauptung nicht allein auf die Bekundung des das Gespräch führenden Zeugen stützt (BGHR 2003, 513; BGH NJW 2003, 3636). – Dem Gebot, eine Partei unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit als Partei zu vernehmen, kann das Gericht auch dadurch genügen, dass es die Partei gem. § 141 ZPO persönlich anhört (BGH NJW 2013, 2601; NJW 2003, 3636). Das Gericht ist nämlich nicht gehindert, einer solchen Parteierklärung gegenüber den Bekundungen eines Zeugen den Vorzug zu geben (BGH NJW 2013, 2601; NJW 2003, 3636 mwN). Wird die Vernehmung des Beweisführers als Partei für den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs beantragt, müssen demnach Beweisführer und Beweisgegner sorgfältig prüfen, ob für die Vernehmung die von der Rechtsprechung aufgezeigten Voraussetzungen vorliegen (s. Rz. 118). Alsdann ist der eigene Vortrag entsprechend der Interessenlage des Mandanten zu substantiieren und auf die Differenzierungen hinzuweisen, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ergeben (s. Rz. 118).
Vorwerk
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ZPO
4. Vier-Augen-Gespräch
Kap. 19
Streitverkündung
ZPO
Kapitel 19 Streitverkündung I. Wirkung, Zeitpunkt, Zulässigkeit . . . . . . 1. Wirkung, Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich, Rücknahme des Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . M 19.1 Hinweis an Mandanten wegen Streitverkündung . . . . . . . . . . . b) Außerhalb des Zivilprozesses durchzusetzender Anspruch . . . . . . . . . . . . . M 19.2 Hinweis an Mandanten bei abweichendem Rechtsweg für den Regressanspruch . . . . . . . . c) Klage gegen den Drittschuldner . . . . . . M 19.3 Klage gegen den Drittschuldner mit Streitverkündung . . . . . . . . d) Im selbständigen Beweisverfahren . . . . . M 19.4 Streitverkündung im selbständigen Beweisverfahren . . . . . . . II. Streitverkündungsvertrag . . . . . . . . . . . . M 19.5 Angebot, auf die Streitverkündung zu verzichten . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Form und Inhalt der Streitverkündung . . 1. Klageerhebung mit Streitverkündung . . . . M 19.6 Streitverkündung in der Klage . . . . 2. Klageerwiderung mit Streitverkündung . . . M 19.7 Streitverkündung in der Klageerwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Im Laufe des Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . a) In der jeweiligen Instanz . . . . . . . . . . . . b) Mit Einlegung eines Rechtsmittels . . . . . M 19.8 Streitverkündung in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . 4. Bei Inanspruchnahme eines Bevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.9 Stellvertreterfall . . . . . . . . . . . . . . M 19.10 Streitverkündung durch Kläger . . M 19.11 Streitverkündung durch Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bei Zweifeln über den Verursacher . . . . . . . M 19.12 Zweifel über den Verursacher . . . . M 19.13 Schadensverursachung durch mehrere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Des Beklagten gegenüber einem Mitbeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.14 Streitverkündung des einen Beklagten gegen den anderen Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beitritt des Streithelfers . . . . . . . . . . . . . .
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Freyberger
1 1 1 6 7 11 11 15 16 17 19 20 21 22 23 24 27 27 29 30 31 32 32 34 37 39 40 42 43 44 46 48 50 53 54
1. Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung durch den Streitverkündungsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.15 Hinweise an den Mandanten, dem der Streit verkündet worden ist . . 2. Beitrittserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.16 Beitritt auf der Seite, die den Streit verkündet hat . . . . . . . . b) Mit Einlegung eines Rechtsmittels . . . . M 19.17 Berufung durch Streithelfer . . 3. Antrag auf Zurückweisung des Streithelfers a) Inhalt und Begründung des Antrags . . . M 19.18 Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention . . . . . . b) Begründung des rechtlichen Interesses durch den Streithelfer . . . . . . . . . . . . . M 19.19 Begründung des rechtlichen Interesses durch den Streithelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beitritt des Streithelfers auf der Gegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.20 Beitritt des Streithelfers auf der Gegenseite . . . . . . . . . . . . M 19.21 Widerspruch gegen Beitritt des Streitverkündeten auf der Gegenseite . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Streitverkündung durch den Streithelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.22 Weitere Streitverkündung . . . . . . V. Regressprozess des Streitverkünders gegen den Streithelfer . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentlicher Inhalt der Klage . . . . . . . . . . M 19.23 Regressprozess mit günstigen Feststellungen im Vorprozess . . . M 19.24 Regressprozess mit ungünstigen Feststellungen im Vorprozess . . . 2. Einrede unzulässiger Streitverkündung . . . M 19.25 Einrede unzulässiger Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Forderungsprätendentenstreit . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.26 Antrag auf Entlassung aus dem Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.27 Antrag des Klägers . . . . . . . . . . . M 19.28 Antrag des Streitverkündeten . . . VII. Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . M 19.29 Kostenantrag des Streitverkündeten bei Urteil . . . . . . . . . . . . . . M 19.30 Kostenantrag des Streitverkündeten nach Vergleich . . . . . . . . . .
54 62 63 63 64 67 68 71 71 72 74 75 76 77 80 81 82 84 84 85 87 88 90 91 92 94 95 97 98 99 104 106
Streitverkündung
Rz. 3 Kap. 19
ZPO
I. Wirkung, Zeitpunkt, Zulässigkeit 1. Wirkung, Zeitpunkt a) Wirkung Wer glaubt, für den Fall des ungünstigen Ausgangs des Prozesses einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten zu haben, kann diesem den Streit verkünden (§ 72 ZPO). Das kann für den Kläger notwendig sein, wenn der Beklagte seine Haftung mit der Begründung verneint, es hafte ein Dritter. In diesem Fall muss der Kläger verhindern, dass der Dritte, wird er später in Anspruch genommen, auf den Beklagten des Erstprozesses verweisen kann. Gleiches gilt etwa für den Generalunternehmer, der vom Bauherrn wegen Mängeln auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird und für den Fall des Unterliegens einen Regressanspruch gegen seinen Subunternehmer zu haben glaubt. Unterliegt er, weil das Gericht Mängel annimmt, bewirkt er durch die Streitverkündung, dass im Regressprozess gegen den Unternehmer die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorliegt, nicht noch einmal problematisiert werden kann. In Erweiterung des Wortlauts des § 72 Abs. 1 ZPO (vgl. dazu BGHZ 116, 95, 100 f.) ist die Streitverkündung stets dann zulässig, wenn Ansprüche aus sog. rechtlichen Alternativverhältnissen infrage stehen (vgl. die Beispiele bei Zöller/Althammer § 72 ZPO Rz. 8). Das Regelbeispiel für die Streitverkündung bei einem rechtlichen Alternativverhältnis ist die Streitverkündung für den Fall, dass der Vertretene behauptet, er habe dem Vertreter keine Vollmacht erteilt (BGH NJW 1982, 314). Die Streitverkündung gegenüber dem Vertreter bewirkt hier, dass der Vertreter im Folgeprozess, in dem er gem. § 179 BGB in Anspruch genommen wird, nicht noch einmal die Frage aufwerfen kann, ob er mit Vollmacht des Vertretenen gehandelt habe.
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Wichtig: Rückgriffsansprüche in Form von Ausgleichsansprüchen haben auch Gesamtschuldner (BGH NJW-RR 2015, 1058 = MDR 2015, 667). Werden die Gesamtschuldner in einem Verfahren vom Kläger in Anspruch genommen, erzeugt nur die seitens der Gesamtschuldner untereinander vorgenommene Streitverkündung Interventionswirkung (s. dazu Rz. 3). Zudem hemmt die Streitverkündung die Verjährungsfrist (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Angesichts der kurzen Verjährungsfrist, der der Ausgleichsanspruch unterliegt (vgl. hierzu BGH VersR 2017, 170 = MDR 2017, 149), ist es fast zwingend, dem mitbeklagten Gesamtschuldner den Streit zu verkünden (zu dem im Falle gemeinsamer Vertretung durch einen Anwalt entstehenden Interessenkonflikt s. Rz. 40). Ist der schuldrechtliche Ausgleichsanspruch verjährt, bleibt nämlich nur noch die Möglichkeit, über den Weg des Forderungsübergangs (§ 426 Abs. 2 BGB, umfassend zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs MüKo.BGB/Bydlinski § 426 BGB Rz. 25 ff.) den Ausgleichsanspruch durchzusetzen. Da der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner eine etwaige Verjährung des gem. § 426 Abs. 2 BGB übergegangenen Anspruchs entgegenhalten kann (MüKo.BGB/Bydlinski § 426 BGB Rz. 25a), ist die Möglichkeit der Durchsetzung des Ausgleichsanspruchs erheblich eingeschränkt, wenn der rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Ausgleichsanspruch verjährt ist. Die Verjährung des Ausgleichsanspruchs muss daher durch die Streitverkündung gehemmt werden (s. auch Rz. 8).
Folge der Streitverkündung sind die sog. Interventionswirkungen. Der Streitverkündete kann im 3 Folgeprozess mithin in der Regel nicht einwenden, der Vorprozess sei vom Gericht falsch entschieden oder vom Streitverkünder schlecht geführt worden (§§ 74, 68 ZPO). Die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerungen, soweit es auf sie für die Entscheidung ankommt, sind für den Regressprozess bindend. Soweit es für die Entscheidung nicht darauf ankommt, sind die Feststellungen auch nicht bindend (sog. „überschießende Feststellungen“, vgl. BGH MDR 2004, 464). Die Interventionswirkung tritt allerdings nicht ein, soweit der Streithelfer einwenden kann, er habe wegen des Zeitpunkts der Streitverkündung die von ihm beabsichtigten Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht mehr geltend machen können (§§ 74 Abs. 3, 68 ZPO, s. auch Rz. 7). Ferner kann der Streithelfer im Regressprozess geltend machen, dass die Hauptpartei ihm unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel durch grobes Verschulden im vorangegangenen Verfahren nicht geltend gemacht hat.
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Kap. 19 Rz. 4
Streitverkündung
Wichtig: Der im Regressprozess in Anspruch genommene Streithelfer muss daher besonderes Augenmerk darauf legen, welche Verteidigungs- oder Angriffsmittel ihm dadurch abgeschnitten worden sind, dass die Streitverkündung erst im Laufe des vorangegangenen Verfahrens und nicht schon bei Klageerhebung oder Verteidigungsanzeige erfolgt ist.
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Praxistipp: Der Streitverkündete muss überlegen, ob er angesichts der Streitverkündung über die unmittelbare Prozessführung hinaus Weiteres zu veranlassen hat. In Betracht kommt namentlich die Benachrichtigung einer bestehenden Haftpflichtversicherung, weil die Streitverkündung eine Anspruchserhebung iS der Versicherungsbedingungen sein kann, mit der Folge, dass der Deckungsanspruch zu verjähren beginnt (BGH NJW-RR 2004, 1261 = MDR 2004, 1114; NJW 2003, 2376 = MDR 2003, 1179).
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b) Vergleich, Rücknahme des Rechtsmittels
6 Interventionswirkungen treten nur ein, wenn der Prozess durch Urteil entschieden wird (BGH NJW 1969, 1480). Es ist also Vorsicht geboten, wenn der Prozess durch Vergleich erledigt werden soll. Haben die Parteien in einer höheren Instanz ihre Rechtsmittel zurückgenommen, so sollen Interventionswirkungen eintreten, weil dadurch das Urteil der unteren Instanz rechtskräftig geworden ist (BGH NJW 1969, 1480). Für den Fall der vergleichsweisen Rücknahme des Rechtsmittels ist das nicht unproblematisch (zweifelnd auch BGH NJW 1988, 712). c) Zeitpunkt
7 Es ist auf eine rechtzeitige Streitverkündung Wert zu legen. Die Interventionswirkungen treten nämlich nur insoweit ein, als der Streitverkündete die Möglichkeit hatte, Einfluss auf den Prozess zu nehmen (BGH NJW 1982, 281; OLG Köln VersR 2010, 1454; vgl. auch §§ 74 Abs. 3 iVm. 68 ZPO).
8 Besondere Bedeutung kommt dem Zeitpunkt der Streitverkündung zu, wenn es um die Hemmung der Verjährung geht. Der Rechtsanwalt muss in jeder Lage des Verfahrens Regressmöglichkeiten für den Fall des negativen Prozessausgangs erwägen und mit seinem Mandanten besprechen, ob und inwieweit die Streitverkündung an einen Dritten in Betracht kommt. Insbesondere ist auch dafür zu sorgen, dass die Regressansprüche nicht verjähren (BGH MDR 1993, 1018). Dies ist durch eine Streitverkündung möglich, denn die Streitverkündung hemmt die Verjährung wie eine Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Hierbei sind freilich zwei wichtige Punkte zu beachten. Zum einen wird die Verjährung nur durch die eigene Streitverkündung gehemmt, nicht aber durch die Streitverkündung des Gegners. Zum anderen tritt die Hemmung nicht ein, wenn und soweit auch vom Standpunkt der streitverkündenden Partei aus der der Streitverkündung zugrunde liegende vermeintliche Anspruch durch den Ausgang des Rechtsstreits nicht beeinflusst werden kann (BGH VersR 2002, 489). Schließlich dauert die verjährungshemmende Wirkung der Streitverkündung nur bis sechs Monate nach rechtskräftigem Abschluss des Prozesses an (§ 204 Abs. 2 BGB). Dies stellt ein erhebliches praktisches Problem im Hinblick auf die Fristenkontrolle dar (s. dazu Kap. 27 Rz. 15, 22 ff.). Die Fristenkontrolle gehört jedoch „zum ureigensten Aufgabenbereich des Rechtsanwalts“ (BGH NJW 1992, 307, 309 = MDR 1992, 345). Hat der Rechtsanwalt es versäumt, dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte des Mandanten gegen eine drohende Verjährung gesichert werden, so kann er kein Mitverschulden daraus herleiten, dass der Mandant selbst rechtskundig ist und in der Lage gewesen wäre, den Fall unter Kontrolle zu halten (BGH aaO). Der Mandant muss deshalb bei Abschluss einer Instanz auf den Stand der Verjährung und die Sechsmonatsfrist des § 204 Abs. 2 BGB hingewiesen werden. Gibt der Rechtsanwalt die Sache für die nächste Instanz an einen anderen Rechtsanwalt ab, sollte auch dieser einen Hinweis erhalten. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ist der Mandant erneut auf die Sechsmonatsfrist hinzuweisen.
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Praxistipp: Es empfiehlt sich, den Mandanten auf die Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 BGB unmittelbar nach erfolgter Streitverkündung bei Übersendung der Abschrift des entspreFreyberger
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Rz. 13 Kap. 19
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Wichtig: Die Streitverkündung hemmt zwar die Verjährung (§ 204 Abs. 2 BGB), aber keine Ausschlussfristen, denn die Vorschrift spricht ausdrücklich von der Verjährung und sie ist auf Ausschlussfristen nicht entsprechend anwendbar (BGH NJW-RR 2006, 619 = MDR 2006, 705 zur Ausschlussfrist nach dem Warschauer Abkommen). Die Hemmung der Verjährung ist ferner davon abhängig, dass die Streitverkündung zulässig ist. Dies hat der BGH in einem Fall verneint, in welchem der Kläger einen subsidiär haftenden Notar verklagte und dem vorrangig haftenden Schädiger lediglich den Streit verkündete statt nur ihn und nicht den Notar zu verklagen (BGH NJW 2008, 519 = MDR 2008, 281).
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chenden Schriftsatzes hinzuweisen und durch einen deutlich ins Auge springenden Vermerk auf dem Deckblatt der Handakte organisatorisch sicherzustellen, dass der Mandant bei Abschluss des Verfahrens an die Frist des § 204 Abs. 2 BGB erinnert wird. Dieser Vermerk erinnert spätestens bei der Endabrechnung der Sache und damit zumeist noch rechtzeitig an den erforderlichen Hinweis gegenüber dem Mandanten. Die Erfahrung lehrt, dass eine frühzeitig erfolgte Streitverkündung nach jahrelangem Prozess aus den Augen verloren wird, wenn der Streitverkündungsgegner dem Rechtsstreit nicht beigetreten ist und deshalb auch nicht im Rubrum des Urteils erscheint.
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Der Umfang der verjährungsunterbrechenden Wirkung der Streitverkündung beschränkt sich nicht auf die mit der Urteilsformel ausgesprochene Entscheidung über den erhobenen Anspruch; sie ergreift vielmehr die gesamten tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des Urteils. Daher spielt es für die Reichweite der Wirkung der Streitverkündung grundsätzlich keine Rolle, ob in dem Verfahren, in dem die Streitverkündung erfolgt, nur ein Teil des Schadens, welcher der Streitverkündungsschrift zugrunde liegt, eingeklagt worden ist (vgl. BGH NJW 2012, 674 = MDR 2012, 211). 2. Zulässigkeit a) Materielle Voraussetzungen Die Zulässigkeit der Streitverkündung ergibt sich aus § 72 ZPO. Danach muss die Partei für den Fall, 11 dass sie im anhängigen Prozess verliert, einen Regressanspruch gegen den Dritten (Streitverkündeten) haben. Nicht notwendig ist, dass dieser Anspruch tatsächlich besteht. Entscheidend ist die subjektive Sicht der Partei (OLG Hamm NJW 1994, 203).
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Wichtig: Tritt der Streitverkündungsgegner dem Rechtsstreit nicht oder aufseiten der anderen 12 Partei bei (Näheres zum Beitritt auf der Gegenseite Rz. 76), muss die Zulässigkeit der Streitverkündung im Regressprozess geprüft werden, um feststellen zu können, ob die Streitverkündung die prozessualen und sachlich-rechtlichen Folgen der §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO ausgelöst hat (vgl. dazu Zöller/Althammer § 74 ZPO Rz. 5 und 9). Im Regressprozess muss der dem vorangegangenen Verfahren nicht oder auf Seiten des Gegners beigetretene Streitverkündungsgegner mithin prüfen, ob die Streitverkündung zulässig war. Die Prüfung der Zulässigkeit hat sich auch auf die formellen Voraussetzungen des § 73 ZPO zu erstrecken. Sind der Hauptpartei im Vorprozess bei der Streitverkündung formelle Fehler unterlaufen, müssen diese spätestens in der ersten mündlichen Verhandlung des Regressprozesses gerügt werden, nachdem auf den Vorprozess und die Streitverkündung Bezug genommen worden ist; anderenfalls tritt Rügeverlust ein (BGH NJW 1976, 292 = MDR 1976, 213).
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Praxistipp: Der Streitverkünder muss in der Streitverkündungsschrift das Rechtsverhältnis, aus dem sich der Regressanspruch ergeben soll, unter Angabe der tatsächlichen Grundlagen so genau bezeichnen, dass der Streitverkündungsempfänger prüfen kann, ob er dem Rechtsstreit beitreten soll oder muss (BGH VersR 2002, 489). Umgekehrt muss der Streitverkündungsempfänger vor dem Beitritt sorgfältig prüfen, ob die Streitverkündung formell ordnungsgemäß (§ 73 ZPO) erfolgt ist. Leidet die Streitverkündung an Mängeln, muss er abwägen, ob der Beitritt ratsam ist oder im Folgeprozess die Mängel der Streitverkündung eingewandt werden sollen mit der Freyberger
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Kap. 19 Rz. 14
Streitverkündung
M 19.1
Folge, dass die Interventionswirkung nicht eintritt und – etwa bei Baumängeln – die Frage, ob ein Mangel vorliegt, durch ein neues Sachverständigengutachten geklärt werden kann.
14 Nach allgemeiner Meinung ist § 72 ZPO weit auszulegen (BGHZ 110, 100, 101). In Betracht kommen vor allem Gewährleistungs-, Regress-, Schadensersatz- und gesetzliche Ausgleichsansprüche (s. Rz. 1). Hauptanwendungsgebiet sind Prozesse, in denen eine Partei für das Vorliegen ihres Erfüllungsgehilfen einstehen soll (hier namentlich das Baurecht mit dem Verhältnis von Haupt- und Subunternehmer, vgl. M 19.4 und M 19.7), die Fälle der Stellvertretung (M 19.9) und die Fälle, in denen ein Schaden durch mehrere verursacht wurde (M 19.13). Unzulässig ist es, einem vom Gericht im selben Prozess bestellten Gutachter zur Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen den Streit zu verkünden (BGHZ 168, 380 = NJW 2006, 3214 = MDR 2007, 166; BGH NJW 2007, 919 = MDR 2007, 733).
15 M 19.1 Hinweis an Mandanten wegen Streitverkündung Sehr geehrte/r … in Ihrer Sache gegen die Bauunternehmung … übersende ich in der Anlage eine Kopie des gegnerischen Schriftsatzes vom …. Die Gegenseite bestreitet, für den von uns gerügten Mangel verantwortlich zu sein. Sie beruft sich darauf, sie habe die geplante Ausführung beanstandet, und als dies nicht gefruchtet habe, die Anweisungen des Architekten befolgt. Trifft dies zu, haftet nicht die Gegenseite, sondern der Architekt; unsere Klage müsste abgewiesen werden. Das würde allerdings den Architekten in einem gegen ihn anzustrengenden Regressprozess nicht daran hindern, sich auf richtige Anweisungen an die Bauunternehmung zu berufen. Auch diese Klage könnte dann abgewiesen werden. Um die Gefahr solcher widersprechender Gerichtsentscheidungen zu verhindern, kann der Architekt schon jetzt durch eine Streitverkündung am Prozess gegen den Bauherren beteiligt werden. Kommt das Gericht dann zu dem Ergebnis, dass der Architekt falsche Anweisungen gegeben hat, so dass die Klage gegen die Bauunternehmung unbegründet ist, und wird dieses Urteil rechtskräftig, kann der Architekt sich im Regressprozess nicht mehr auf richtige Anweisungen berufen. Er muss also wegen der Streitverkündung das Beweisergebnis des Vorprozesses gegen sich gelten lassen. Um nicht Gefahr zu laufen, am Ende „zwischen den Stühlen zu sitzen“, halte ich eine Streitverkündung für unbedingt notwendig. Unser Fall ist geradezu das Regelbeispiel für eine Streitverkündung. Die Streitverkündung muss so früh wie möglich erfolgen. Ich bitte deshalb um Stellungnahme bis zum ….
b) Außerhalb des Zivilprozesses durchzusetzender Anspruch
16 Die Streitverkündung ist sinnlos, wenn über den Regressanspruch durch einen anderen Gerichtszweig entschieden wird (BGHZ 123, 44: Klage beim Zivilgericht, Zuständigkeit für den Regressanspruch beim Arbeitsgericht). In diesen Fällen muss vielmehr sogleich der Regressanspruch verfolgt werden, auch um zu verhindern, dass er verjährt. Die Zulässigkeit der Streitverkündung wird nämlich nicht im Erstprozess, sondern erst im Folgeprozess geklärt (BGH NJW 2011, 1078 = MDR 2011, 504); dies ist scharf zu unterscheiden von der Zulässigkeit einer Nebenintervention, über die im Erstprozess notfalls durch Zwischenurteil entschieden wird, vgl. § 71 ZPO und M 19.21. Beim Erstgericht kann beantragt werden, das Verfahren gem. § 148 ZPO auszusetzen.
17 M 19.2 Hinweis an Mandanten bei abweichendem Rechtsweg für den
Regressanspruch Sehr geehrte/r … in Ihrem Schadensersatzprozess gegen RA … stützen wir unsere Klage bekanntlich darauf, dass RA … es in der Zwangsvollstreckungssache … infolge eines Formfehlers bei der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses versäumt habe, eine dem Schuldner gegen die Deutsche Rentenversicherung (Bund) zustehende Forderung zu pfänden. Folge war, dass die Deutsche Rentenversicherung dem Schuldner das Geld auszahlte. Aus der in der Anlage beigefügten Klageerwiderung geht nun hervor, dass RA …
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M 19.3
Streitverkündung
Rz. 20 Kap. 19
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der Meinung ist, ein Formfehler habe nicht vorgelegen; die Pfändung sei wirksam. Wenn das Gericht diese Auffassung teilt, ist unsere Klage unbegründet. Das würde allerdings bedeuten, dass die Deutsche Rentenversicherung nicht mehr an den Schuldner leisten durfte, sondern an Sie hätte zahlen müssen. Sie hätten dann also immer noch das Recht, Zahlung von der Deutschen Rentenversicherung zu fordern. Leider wäre die Deutsche Rentenversicherung an ein solches Urteil des Landgerichts nicht gebunden. Sie müssten also noch einmal klagen. Hierbei hätten Sie nicht einmal die Gewähr, dass sich das Sozialgericht der Auffassung des Landgerichts anschließt. Diese Gefahr einander widersprechender Entscheidungen lässt sich leider nicht verhindern. Wir können nur versuchen, das Risiko zu minimieren. Dazu gehört, dass umgehend beim zuständigen Sozialgericht Klage gegen die Deutsche Rentenversicherung auf Auszahlung des Geldes erhoben wird. Diese Klage ist schon deshalb geboten, weil der Anspruch gegen die Deutsche Rentenversicherung zu verjähren droht (Verjährungsfrist: vier Jahre, § 45 SGB I). Beim hiesigen Landgericht werden wir beantragen, das Verfahren auszusetzen, bis der Rechtsstreit beim Sozialgericht entschieden ist. Kosten: Im Zivilrechtsstreit fallen keine besonderen Anwaltsgebühren an (§ 15 Abs. 1 RVG), im Sozialrechtsstreit fallen die üblichen Rahmengebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG an.
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Wichtig: Wird der beim Landgericht anhängige Rechtsstreit ausgesetzt (§ 148 ZPO), ist davon auszugehen, dass die durch die Klageerhebung eingetretene Hemmung der Verjährung analog der zum früheren Recht geltenden Rechtsprechung (BGHZ 106, 295) sechs Monate nach Wegfall des Aussetzungsgrundes endet (so auch Zöller/Greger § 249 ZPO Rz. 2). Kommt es demgegenüber zum Ruhen des vor dem Landgericht anhängigen Rechtsstreits (§ 251 ZPO), endet die verjährungshemmende Wirkung der vor dem Landgericht erhobenen Klage (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB; Zöller/Greger § 251 ZPO Rz. 1).
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c) Klage gegen den Drittschuldner Klagt der Pfändungsgläubiger gegen den Drittschuldner, muss er kraft gesetzlicher Vorschrift (§ 841 ZPO) dem Schuldner den Streit verkünden.
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M 19.3 Klage gegen den Drittschuldner mit Streitverkündung
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An das Arbeitsgericht … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem … zu zahlen. Gleichzeitig verkünde ich hiermit Herrn … (Schuldner; volle Anschrift) den Streit mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten. Aufgrund des in der Anlage in Kopie beigefügten rechtskräftigen Urteils schuldet der Streitverkündete dem Kläger … Euro. Bei der eidesstattlichen Versicherung gab der Streitverkündete an, er sei beim Beklagten beschäftigt. Sein monatlicher Nettolohn betrage … Euro. Unter Berücksichtigung von … unterhaltspflichtigen Personen ergibt sich ein pfändungsfreier Betrag von … Euro. Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts … vom …, dem Beklagten am … zugestellt, wurden die Lohn- und Gehaltsansprüche des Streitverkündeten gegen den Beklagten gepfändet. Hierauf hat der Beklagte keine Zahlungen geleistet, so dass die vorliegende Klage notwendig geworden ist.
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Kap. 19 Rz. 21
Streitverkündung
M 19.4
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… (Es folgen Ausführungen zur Höhe) Die Streitverkündung ist gem. § 841 ZPO erforderlich. Kosten: Gericht: 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 8210 KV GKG, wenn nicht die Voraussetzungen der Nr. 8211 KV GKG vorliegen; in diesem Fall ermäßigt sich die Gebühr auf 0,4; im Fall eines gerichtlichen Vergleichs entfällt die Gebühr (Vorbem. 8 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
d) Im selbständigen Beweisverfahren
21 Die Streitverkündung ist auch im selbständigen Beweisverfahren zulässig (BGH NJW 2012, 2810 = MDR 2012, 1242; BGH NJW 1997, 859 = MDR 1997, 390; OLG Koblenz MDR 1993, 575; 1994, 619; OLG Köln MDR 1993, 575 = NJW 1993, 2757; OLG München NJW 1993, 2756; vgl. auch Kap. 7 Rz. 58 ff.).
22 M 19.4 Streitverkündung im selbständigen Beweisverfahren An das Landgericht … / … (Langrubrum) Hiermit verkünde ich namens der Antragsgegnerin dem Fliesenleger … (volle Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Beweisverfahren auf Seiten der Antragsgegnerin beizutreten. Dem Beweisverfahren liegen behauptete Mängel zugrunde, die an einem Bauvorhaben aufgetreten sein sollen, welches im Auftrag des Antragstellers von der Antragsgegnerin als Generalunternehmerin errichtet wurde. Die Antragsgegnerin hat das Gebäude zT mit eigenen Mitarbeitern gebaut, sich zT aber auch verschiedener Subunternehmer bedient. Die Beweisfrage … betrifft das Fliesenlegergewerk. Damit hatte die Antragsgegnerin den Streitverkündeten beauftragt. Die behaupteten Mängel sind also, wenn sie denn bestehen, vom Streitverkündeten verursacht worden. Sollte im vorliegenden Verfahren festgestellt werden, dass die Mängel bestehen, wäre die Antragsgegnerin zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hätte aber einen Regressanspruch gegen den Streitverkündeten. Zur Sicherung dieses Regressanspruchs ist die vorliegende Streitverkündung notwendig. Die Streitverkündung ist auch zulässig (zur Zulässigkeit der Streitverkündung im selbständigen Beweisverfahren vgl. BGHZ 134, 190 = NJW 1997, 859 = MDR 1997, 390; Zöller/Althammer § 66 ZPO Rz. 2a, Zöller/ Herget § 487 ZPO Rz. 3 jeweils mwN). Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen nicht an (§ 15 Abs. 1 RVG).
II. Streitverkündungsvertrag 23 Da der Rechtsanwalt erwartet, dass der Streitverkündete auf der Seite des eigenen Mandanten beitritt, wird der Streitverkündete im Verhältnis zum Gegner die Position des Mandanten stärken. Daraus folgt, dass der Streitverkündete in der Regel als Zeuge in Betracht kommt. Zwar wird die Zeugenstellung durch die Eigenschaft als Streithelfer nicht beeinträchtigt, weil als Zeuge jeder vernommen werden kann, der nicht Partei ist. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen kann jedoch dadurch beeinträchtigt werden, dass er für den Fall eines bestimmten Prozessausgangs mit Regressansprüchen zu rechnen hat. Er386
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M 19.5
Streitverkündung
Rz. 26 Kap. 19
M 19.5 Angebot, auf die Streitverkündung zu verzichten
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fahrungsgemäß schenken die Gerichte diesem Punkt umso mehr Beachtung, je augenfälliger er ist. Am augenfälligsten ist es zweifellos, wenn in einer Streitverkündungsschrift der Regressanspruch, ja der Wille, einen Regressprozess zu führen, bereits angekündigt wird. Mit diesem Nachteil, also mit der Gefahr, dass der Streitverkündete als Zeuge für nicht glaubwürdig gehalten wird, muss jede Streitverkündung abgewogen werden. Im Zweifel sollte der Rechtsanwalt versuchen, eine Abrede mit dem potentiellen Streitverkündeten zu treffen, dass dieser das demnächst ergehende Urteil gegen sich gelten lässt, als sei ihm der Streit verkündet worden. Dies lässt für das Gericht nicht nur den möglichen Regressanspruch im Dunkeln, sondern spart auch Kosten und wahrt hinreichend die Interessen des Mandanten. Insbesondere Haftpflichtversicherungen lassen sich auf ein solches Verfahren ein.
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…-Versicherungs-AG Schadennummer … Sehr geehrte Damen und Herren, in einem beim Landgericht … anhängigen Rechtsstreit wegen Mängeln an einem Bauvorhaben vertrete ich den Bauherrn, Herrn …, gegen die Bauunternehmung …, der vorgeworfen wird, den Keller so gebaut zu haben, dass das vom Bauherrn bestellte Fertighaus anschließend nicht darauf passte. Die Beklagte beruft sich darauf, die Ausmaße des Fertighauses nicht gekannt zu haben und den Plänen des bei Ihnen versicherten Architekten … gefolgt zu sein. Trifft dies zu, ist die Klage möglicherweise unbegründet; es bestünde dann aber ein Schadensersatzanspruch gegen Ihren Versicherungsnehmer wegen unrichtiger Planung. Naturgemäß war Ihr Versicherungsnehmer verpflichtet, den Keller so zu planen und ausführen zu lassen, dass er zum Fertighaus passte. Ich bin deshalb an sich gehalten, Ihrem Versicherungsnehmer den Streit zu verkünden. Allerdings kommt Ihr Versicherungsnehmer auch als Zeuge in Betracht. Ich gehe davon aus, dass er hierbei den Sachvortrag unseres Mandanten bestätigen und so wesentlich zur Abweisung der Klage beitragen wird. Da ich seine Glaubwürdigkeit nicht unnötig durch eine Streitverkündung beeinträchtigen möchte, was sicherlich auch in Ihrem Interesse liegt, biete ich Ihnen an, auf die Streitverkündung zu verzichten. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Sie und Ihr Versicherungsnehmer das Ergebnis dieses Prozesses gegen sich gelten lassen als sei eine Streitverkündung erfolgt. Selbstverständlich werde ich Sie über den Verlauf des Prozesses ständig informieren. Fotokopien der bisher gewechselten Schriftsätze füge ich in der Anlage bei. Außerdem bin ich bereit, alles vorzutragen, was Ihr Versicherungsnehmer zur Unterstützung meines Mandanten vorzubringen hat.
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Praxistipp: Der Streithelfer, der bereit ist, den Streitverkündungsvertrag abzuschließen, muss da- 25 rauf achten, dass sich die Hauptpartei verpflichtet, über den Verlauf des Prozesses durch Übermittlung sämtlicher Schriftsätze, Verfügungen und Beschlüsse des Gerichts sowie alle Protokolle zu informieren. Außerdem muss sich der „im Prozess im Hintergrund bleibende“ Streithelfer vorbehalten, vom Streitverkündungsvertrag zurückzutreten, wenn die Hauptpartei ihre Informationspflicht verletzt oder anders vorträgt, als der Streithelfer fordert. Anderenfalls entledigt sich der Streithelfer ohne Not seiner prozessualen Rechte.
Streitverkündungen führen schon wegen der ausufernden Schriftsätze zu einer nicht unerheblichen 26 Mehrbelastung für das Gericht und die beteiligten Anwälte. Außerdem erhöht sich das Prozesskostenrisiko erheblich. Demgegenüber zeigt die forensische Erfahrung, dass der Streit viel zu oft verkündet wird. Nicht jeder Rechtsanwalt wird der Aufgabe gerecht, den möglichen Regressanspruch ernsthaft zu prüfen. Oft erfolgt die Streitverkündung schon, wenn ein Regressanspruch entfernt möglich erscheint, faktisch aber nicht durchzusetzen ist. Zudem wird die Gefahr, dass der Streitverkündete auch der Gegenseite beitreten könnte (s. M 19.20), häufig unterschätzt (erhebliche Kostenrisiken!). Vor einer Streitverkündung muss deshalb das Gespräch mit dem Mandanten über die Frage stehen, ob der mögliche Regressanspruch denn wirklich ernsthaft verfolgt werden soll, wenn der Erstprozess verloren geht. Freyberger
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Kap. 19 Rz. 27
Streitverkündung
M 19.6
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III. Form und Inhalt der Streitverkündung 1. Klageerhebung mit Streitverkündung
27 Die Streitverkündung erfolgt durch einen vom Rechtsanwalt zu unterzeichnenden Schriftsatz, in dem die Parteien zu bezeichnen sind (Langrubrum im Schriftsatz angeben! Vgl. dazu BGHZ 92, 251, 253 f. sowie Zöller/Althammer § 73 ZPO Rz. 2 mit Hinweis auf Heß JZ 1998, 1029 Fn. 153; Gerner § 70 ZPO) und der Regressanspruch näher darzulegen ist. Der Vortrag muss in tatsächlicher Hinsicht so präzise sein, dass der Streitverkündungsempfänger prüfen kann, ob er dem Rechtsstreit beitreten soll oder muss (BGH VersR 2002, 489). Die Einhaltung dieser Formalie ist sehr wichtig, weil erst im Regressprozess geprüft wird, ob die Streitverkündung den formalen und inhaltlichen Anforderungen genügte (s. dazu Rz. 55). Auch wird die Verjährung nur durch eine zulässige Streitverkündung gehemmt (BGH NJW-RR 2015, 1058 = MDR 2015, 667).
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Wichtig: Erfolgt die Streitverkündung, um die Verjährung zu hemmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB), muss der Grund der Streitverkündung angegeben werden (s. dazu Rz. 57; zu nachstehendem Muster (§ 115 VVG) s. auch Kap. 84 Rz. 610!
29 M 19.6 Streitverkündung in der Klage An das Landgericht … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem … zu zahlen. Gleichzeitig verkünde ich hiermit Herrn Rechtsanwalt … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten. Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall vom … schwer verletzt. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs, welches den Unfall verschuldete, den gesamten Schaden des Klägers zu ersetzen hat. Streit besteht zwischen den Parteien jedoch über den Verdienstausfall des Klägers im Zeitraum … Der Kläger behauptet, dass ihm ein Verdienstausfall in Höhe der Klageforderung entstanden ist (wird im Einzelnen ausgeführt). Ursprünglich wurde der Kläger vom Streitverkündeten vertreten, dem er auch einen Klageauftrag erteilte. Aus Gründen, die sich der Kenntnis des Klägers entziehen, unterblieb die Klageerhebung jedoch. Das hatte zur Folge, dass die Beklagte sich außergerichtlich auf Verjährung berufen hat. Sollte das Gericht ebenfalls Verjährung annehmen, hätte der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen den Streitverkündeten. Dies macht die Streitverkündung notwendig und zulässig. Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass die Einrede der Verjährung nicht begründet ist, weil die Beklagte entgegen § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG nicht schriftlich über den Haftpflichtanspruch entschieden hat. Sie hat zwar einzelne Ansprüche ohne Einwände zum Anspruchsgrund abgerechnet und Zahlungen geleistet. Das genügt aber nicht, denn eine Entscheidung liegt nicht schon in (auch mehreren) Abrechnungsschreiben, in denen zu einzelnen, vom Geschädigten geltend gemachten Schadenspositionen Stellung genommen wird (BGH VersR 2017, 816 = MDR 2017, 882; BGH NJW-RR 1996, 474 = MDR 1996, 259). Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
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M 19.7
Streitverkündung
Rz. 33 Kap. 19
Erfolgt die Streitverkündung in der Klageerwiderung oder noch später, muss der Schriftsatz Angaben über den bisherigen Prozessverlauf enthalten und auf einen etwa bevorstehenden Termin hinweisen. Zweckmäßigerweise sollten dem Schriftsatz zur erschöpfenden Information des Streitverkündeten sämtliche bisherigen Schriftsätze beigefügt werden.
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M 19.7 Streitverkündung in der Klageerwiderung
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An das … gericht … / … (Langrubrum) Hiermit verkünde ich namens der Beklagten dem Fliesenlegermeister … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beizutreten. In dem anhängigen Rechtsstreit macht der Kläger als Bauherr des Hauses … Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend, die das Haus als Generalunternehmerin errichtet hat. Streitig ist unter anderem ein Betrag von … Euro für Fliesenlegerarbeiten. Nach der Behauptung des Klägers sollen die Arbeiten mangelhaft sein; die Beklagte bestreitet den Mangel. Sollte allerdings der Mangel vorliegen und die Beklagte hinsichtlich dieses Punktes unterliegen, so hätte sie einen Regressanspruch gegen den Streitverkündeten. Dieser war nämlich als Subunternehmer von der Beklagten mit den Fliesenlegerarbeiten im Hause des Klägers beauftragt worden. Sollten die Arbeiten also mangelhaft ausgeführt worden sein, so fiele dies im Verhältnis der Beklagten zum Streitverkündeten in den Verantwortungsbereich des Streitverkündeten. Dies macht die Streitverkündung notwendig und zulässig. Der Stand des Rechtsstreits ergibt sich aus der Klageschrift vom … und meiner heutigen Klageerwiderung, die – jeweils mit Anlagen – zur Zustellung an die Streitverkündete in Kopie beigefügt werden. Das … gericht hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet und noch keinen Verhandlungstermin bestimmt. Der Beklagte hat rechtzeitig seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
3. Im Laufe des Prozesses a) In der jeweiligen Instanz Oft kommt es vor, dass der Beklagte sich während des Prozesses dadurch zu entlasten versucht, dass er die Verantwortung einem Dritten zuschiebt, der nicht am Rechtsstreit beteiligt ist. Auf solche Versuche muss der Prozessbevollmächtigte des Klägers besonders achten, da es dann notwendig sein kann, während der Instanz dem Dritten den Streit zu verkünden. Formal kann auf M 19.7 zurückgegriffen werden. Stets ist darauf zu achten, dass die Lage des Rechtsstreits exakt und vollständig geschildert wird (Hinweis auf bevorstehenden Verhandlungstermin nicht vergessen!), wobei es sinnvoll sein kann, Kopien aller Schriftsätze einschließlich der Anlagen beizufügen.
32
Da im Berufungsverfahren neuer Sachvortrag nur eingeschränkt vorgebracht werden kann (§ 531 33 ZPO), muss die Streitverkündung zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen. Die Streitverkündung in der Berufungsinstanz wird idR dazu führen, dass der Streithelfer im Regressprozess die Einwendungen gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO wird erheben können (s. auch Rz. 35, 36).
Freyberger
389
ZPO
2. Klageerwiderung mit Streitverkündung
Kap. 19 Rz. 34
Streitverkündung
M 19.8
ZPO
b) Mit Einlegung eines Rechtsmittels
34 Denkbar sind auch Fälle, in denen erst das Urteil zeigt, dass ein Regressanspruch für den Fall besteht, dass das Urteil rechtskräftig wird. Zur Herbeiführung der Interventionswirkungen ist es dann notwendig, Berufung einzulegen. In der Berufungsschrift, spätestens in der Berufungsbegründung, ist der Streit zu verkünden.
35 K
Wichtig: Wird der Streit erst mit der Begründung der Berufung verkündet, ist zu beachten, dass der Streithelfer mit Ablauf der Berufungsbegründungsfrist der Sperre der §§ 520 Abs. 3 Nr. 4, 531 Abs. 2 ZPO unterliegt, was im Regressprozess zu Einwendungen gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO führen kann.
36 K
Praxistipp: Wenn möglich, sollte die Hauptpartei daher eine Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung erwirken (vgl. Kap. 65 Rz. 106), die Streitverkündung rechtzeitig vor Ablauf der verlängerten Frist vornehmen (Achtung: Bei der Zeitplanung bedenken, dass die Zustellung der Streitverkündungsfrist von Amts wegen zu erfolgen hat) und alsdann die Berufung begründen. Unabhängig davon stellt sich wegen der eingeschränkten Möglichkeiten, neuen Vortrag in der Berufungsinstanz vorzubringen, die Streitverkündung in der ersten Instanz als sicherster Weg dar, den der Anwalt bei der Bearbeitung des Mandats zu beachten hat.
37 M 19.8 Streitverkündung in der Berufungsinstanz An das Oberlandesgericht … / … (Langrubrum) Hiermit bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers für die Berufungsinstanz und lege gegen das Urteil des Landgerichts … vom …, zugestellt am …, Berufung ein. Eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils ist mit der Bitte um Rückgabe beigefügt. Gleichzeitig verkünde ich hiermit dem Architekten … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten. Die Zulässigkeit der Streitverkündung ergibt sich daraus, dass für den Fall der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils ein Regressanspruch des Klägers gegen den Streitverkündeten bestünde. Der Kläger hatte die Beklagte wegen Baumängeln verklagt. Die Beklagte berief sich zunächst lediglich darauf, es lägen keine Mängel vor. Im Haupttermin stellte sich dann bei Befragung durch den Sachverständigen zwar einerseits heraus, dass die Mängel vorhanden waren. Andererseits vertrat der Sachverständige aber die Auffassung, es handele sich nicht um einen Ausführungsfehler, sondern um einen Planungsfehler des Streitverkündeten, für den die Beklagte nicht in Anspruch genommen werden könne. Ohne dem Kläger Gelegenheit zu geben, nun noch dem Streitverkündeten den Streit zu verkünden, ließ das Gericht abschließend verhandeln und bestimmte anschließend einen Verkündungstermin, in welchem die Klage abgewiesen wurde. Abgesehen davon, dass der Kläger die Einschätzung des Sachverständigen, es handele sich um einen Planungsfehler, nicht teilt (hierzu wird in der Berufungsbegründung vorgetragen werden), erfordert die Lage des Prozesses nunmehr die Streitverkündung. Ich bitte, die Streitverkündungsschrift möglichst umgehend zuzustellen, da die Ersatzansprüche des Klägers gegen den Streitverkündeten zu verjähren drohen. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
390
Freyberger
K
Streitverkündung
Rz. 40 Kap. 19
Praxistipp: Das vorstehende Muster macht zugleich deutlich, wie gefährlich es werden kann, zu 38 spät den Streit zu verkünden. Greift der Kläger das Sachverständigengutachten an und wird die Streitverkündung nicht rechtzeitig vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme zum Sachverständigengutachten vorgenommen, läuft die Hauptpartei Gefahr, dass die dem Streithelfer möglichen Angriffe gegen die Feststellungen im Sachverständigengutachten nicht mehr gehört werden und die Interventionswirkung wegen §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO nicht herbeigeführt werden kann. Angriffe gegen das Sachverständigengutachten nach Ablauf der gesetzten Frist unterliegen der Regel des § 296 ZPO, neue Angriffe, die mit der Berufung erfolgen, der Regelung der §§ 520 Abs. 3 Nr. 4, 531 Abs. 1 ZPO. Wenn die Streitverkündung erst in der Berufungsinstanz erfolgt, sollte die Hauptpartei mit der Streitverkündungsschrift zugleich ausführen, warum ein etwaiger neuer Vortrag des Streithelfers nicht den Schranken der §§ 530, 531 ZPO unterliegt. Es ist also Aufgabe der Hauptpartei darzutun, dass und warum die Streitverkündung nicht zu einem früheren Zeitpunkt hat erfolgen können; ferner, dass und warum sie den neuen Vortrag des Streithelfers nicht aus eigenem Wissen hat ausführen können. Der Hinweis des Streithelfers, er habe wegen der späteren Streitverkündung den maßgebenden Vortrag nicht früher bringen können, stellt keinen durchgreifenden Entschuldigungsgrund dar, da der Vortrag des Streithelfers der unterstützten Partei zuzurechnen ist, und die unterstützte Partei darlegen muss, warum sie diesen Vortrag nicht hat früher bringen können.
4. Bei Inanspruchnahme eines Bevollmächtigten Siehe zu diesem Fall schon Rz. 1.
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M 19.9 Stellvertreterfall
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An das … gericht … / … (Langrubrum) Hiermit bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger den Pkw … (nähere Bezeichnung) herauszugeben und zu übereignen, Zug um Zug gegen Zahlung von … Euro. Gleichzeitig verkünde ich hiermit Herrn … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten. Durch Kaufvertrag vom … kaufte der Kläger vom Beklagten das im Antrag bezeichnete Fahrzeug zum Kaufpreis von … Euro. Bei Abschluss des Kaufvertrages wurde der Beklagte durch den Streitverkündeten vertreten. Als der Kläger nach Abschluss des Vertrages beim Beklagten erschien, um das Fahrzeug entgegenzunehmen und den Kaufpreis zu zahlen, erklärte der Beklagte, der Streitverkündete sei zum Verkauf nicht bevollmächtigt gewesen; er sei deshalb an den Vertrag nicht gebunden. Diese Behauptung ist unzutreffend. Der Streitverkündete war bevollmächtigt. Beweis: Zeugnis des Streitverkündeten Der Beklagte wird deshalb antragsgemäß zu verurteilen sein. Sollte das Gericht allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass der Streitverkündete nicht die erforderliche Vollmacht hatte, so würde ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Streitverkündeten bestehen (§ 179 BGB). Um dem Streitverkündeten im anschließenden Prozess den Einwand abzuschneiden, der vor-
Freyberger
391
ZPO
M 19.9
Kap. 19 Rz. 41
Streitverkündung
M 19.10
ZPO
liegende Rechtsstreit sei falsch entschieden worden, ist die Streitverkündung schon jetzt notwendig und zulässig. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
41 K
Wichtig: Bei diesen Fällen kann es auch zu einer doppelten Streitverkündung kommen. Die Streitverkündung wirkt grundsätzlich nur im Verhältnis Streitverkünder-Streitverkündungsempfänger (BGHZ 100, 257 = NJW 1987, 1894). Hat also der Kläger einem Dritten den Streit verkündet, weil er glaubt, bei negativem Prozessausgang gegen ihn einen Regressanspruch zu haben, so ist der Beklagte, der ebenfalls einen Regressanspruch gegen den Dritten zu haben glaubt, damit noch nicht der Notwendigkeit der Streitverkündung enthoben. Vielmehr muss dem Dritten, wenn auch insoweit die Interventionswirkungen eintreten sollen, nochmals der Streit verkündet werden.
42 M 19.10 Streitverkündung durch Kläger An das … gericht … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen. Gleichzeitig verkünde ich hiermit Herrn … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Architektenhonorar gegen den Beklagten geltend. Der Kläger war Eigentümer eines Grundstücks und beauftragte den Beklagten, auf diesem ein Haus zu planen. Beweis: Vorlage des Architektenvertrages Noch bevor die Planungsarbeiten des Klägers abgeschlossen waren, verkaufte der Beklagte das Grundstück an den Streitverkündeten und vereinbarte mit diesem, dass der Streitverkündete auch die Planung des Klägers übernehmen solle. Mit der Begründung, der Kläger habe einer Schuldübernahme durch den Streitverkündeten zugestimmt, verweigert der Beklagte nunmehr die Zahlung des dem Kläger zustehenden Architektenhonorars. Die Behauptung des Beklagten, der Kläger habe einer Auswechslung seines Vertragspartners zugestimmt, trifft nicht zu. … (wird weiter ausgeführt) Beweis: Zeugnis des Streitverkündeten Sollte jedoch das Gericht zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen, stünde fest, dass der Streitverkündete Vertragspartner des Klägers geworden ist. Für diesen Fall müsste er in einem Folgeprozess in Anspruch genommen werden und es müsste ihm der Einwand genommen werden, nicht er, sondern der Beklagte sei Vertragspartner des Klägers. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
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Streitverkündung
Rz. 46 Kap. 19
M 19.11 Streitverkündung durch Beklagten
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An das … gericht … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Beklagten und beantrage, die Klage abzuweisen. Gleichzeitig verkünde ich hiermit Herrn … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beizutreten. Dem Kläger steht das beanspruchte Architektenhonorar nicht zu, weil er den Beklagten, der ursprünglich sein Vertragspartner war, aus seinen vertraglichen Verpflichtungen entlassen hat. An Stelle des Beklagten trat der Streitverkündete in das Vertragsverhältnis ein …. Sollte das Gericht jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass doch der Beklagte weiterhin Vertragspartner des Klägers war und deshalb das Honorar zahlen muss, so hätte der Beklagte gegen den Streitverkündeten einen Anspruch auf Erstattung des vom Kläger geltend gemachten Honorars. Grundlage des zwischen dem Kläger und dem Streitverkündeten geschlossenen Vertrags war nämlich, dass der Streitverkündete die gesamten Architektenkosten zu tragen hatte …. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
5. Bei Zweifeln über den Verursacher Dies ist eine weitere wichtige Fallgruppe. Es geht um Lebenssachverhalte, bei denen klar ist, dass einer von mehreren einzutreten hat, nur weiß man nicht, wer der richtige Anspruchsgegner ist.
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K
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Wichtig: Haften mehrere als Gesamtschuldner, scheidet die Streitverkündung des Klägers im Prozess gegen einen der Gesamtschuldner gegenüber dem anderen Gesamtschuldner aus (BGH NJW 2008, 519 = MDR 2008, 281; BGH BauR 1982, 514). Das hat zur Folge, dass durch die (unzulässige) Streitverkündung auch die Verjährung nicht gehemmt wird (OLG Frankfurt MDR 2012, 1463). Eine Streitverkündung ist aber möglich, wenn die Gesamtschuldner nicht in gleichem Umfang haften. Unzulässig ist die Streitverkündung, wenn die Haftung eines Primär- und eines Zweitschuldners in Betracht kommt (vgl. die Nachweise bei Zöller/Althammer § 72 ZPO Rz. 8 sowie BGH NJW 2008, 519 = MDR 2008, 281 betreffend Notarhaftung).
M 19.12 Zweifel über den Verursacher
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An das Landgericht … / … (Langrubrum) Hiermit bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von Ansprüchen freizustellen, die aufgrund des Brandschadens vom … gegen ihn erhoben werden.
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ZPO
M 19.12
Kap. 19 Rz. 47
Streitverkündung
M 19.13
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Gleichzeitig verkünde ich der … Versicherungs AG, … den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten. Der Kläger hat bei der Beklagten eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Danach hat die Beklagte den Kläger von Ansprüchen freizustellen, die aufgrund von Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen den Kläger erhoben werden. Am … führte der Kläger im Auftrag eines Bekannten Schweißarbeiten an einem bei der Streitverkündeten haftpflichtversicherten Pkw durch. Infolge ungeklärter Umstände geriet der Pkw in Brand. Die Garage, in der der Pkw stand, brannte vollständig aus. Der Kläger wird nunmehr vom Eigentümer der Garage auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat eingewandt, dieser Schaden sei von dem Privathaftpflichtversicherungsvertrag nicht gedeckt, er falle vielmehr unter den Haftpflichtversicherungsvertrag für das Fahrzeug. Die Auffassung der Beklagten ist unzutreffend … (wird im Einzelnen dargelegt unter Hinweis auf BGH VersR 1990, 482 und OLG Saarbrücken r+s 2012, 591). Sollte allerdings das Gericht der Meinung sein, nicht die Beklagte, sondern die Streitverkündete sei eintrittspflichtig, so müsste die vorliegende Klage abgewiesen werden. Für diesen Fall müsste der Kläger die Streitverkündete in Anspruch nehmen, der dann der Einwand abgeschnitten werden müsste, der vorliegende Rechtsstreit sei falsch entschieden worden. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
47 Hierher gehören auch die Fälle der Schadensverursachung durch mehrere. 48 M 19.13 Schadensverursachung durch mehrere An das … gericht … / … (Langrubrum) Hiermit verkünde ich namens des Beklagten dem … Krankenhaus … in … den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beizutreten. Mit der Behauptung, der Beklagte habe den Gehweg vor seinem Haus nicht gestreut und dadurch seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, nimmt der Kläger den Beklagten wegen erheblicher Personenschäden auf Schadensersatz in Anspruch. Sollte sich herausstellen, dass der Beklagte für die Folgen des Vorfalls ganz oder teilweise einzustehen hat, bestünden Regressansprüche gegen die Streitverkündete. Der Kläger wurde nämlich nach dem Vorfall im Krankenhaus der Streitverkündeten behandelt. Die dortige Behandlung war nur teilweise erfolgreich, es blieben erhebliche Dauerschäden zurück. Wie sich aus den Krankenunterlagen ergibt, war der Grund für die Dauerschäden nicht ein schicksalhafter Verlauf, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung, für die die Streitverkündete einzustehen hat. Dies können die Beklagten dem Kläger zwar nicht entgegenhalten, weil hierdurch die Kausalität nicht unterbrochen wird (vgl. zum Problem BGH DAR 1992, 57, 58), wohl aber bestehen die Ausgleichsansprüche des § 426 BGB, weil die Beklagten einerseits und die Streitverkündete andererseits dem Kläger als Gesamtschuldner iS des § 421 BGB gegenüberstehen.
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M 19.14
Streitverkündung
Rz. 53 Kap. 19
ZPO
Allein schon, um der Streitverkündeten im Regressprozess den Einwand abzuschneiden, der vorliegende Prozess sei wegen der Verteidigung der Höhe schlecht durchgeführt worden, ist die Streitverkündung notwendig und zulässig. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine Streitverkündung nur bei alternativer 49 Haftung der Gegenpartei und des Streitverkündeten zulässig ist. Wer also einen von zwei Gesamtschuldnern verklagt, kann dem anderen Gesamtschuldner nicht den Streit verkünden (BGHZ 65, 127, 131; 70, 187, 189; 100, 257, 259). Es ist dann vielmehr, sofern möglich – in M 19.6 ist dies zB der Fall – vorzutragen, dass der Beklagte haftet und die Haftung des Streitverkündeten nur in Betracht kommt, wenn der Beklagte wider Erwarten nicht haften sollte. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings der Fall, dass der Beklagte dem mit ihm haftenden, aber nicht mitverklagten Gesamtschuldner den Streit verkünden will, was er nicht nur kann, sondern auch muss, um den Regressanspruch des § 426 BGB vorzubereiten (s. M 19.13). 6. Des Beklagten gegenüber einem Mitbeklagten Diese Streitverkündung kann auch notwendig sein, wenn beide Gesamtschuldner in einem Prozess 50 verklagt worden sind, weil sonst im Regressprozess der von dem einen Gesamtschuldner auf Ausgleich in Anspruch Genommene einwenden kann, der Vorprozess sei falsch entschieden worden, in Wahrheit hafte er dem Geschädigten gar nicht (zur Zulässigkeit der Nebenintervention einer Partei zugunsten einer anderen Partei BGHZ 68, 81, 85). Hinzu kommt, dass der Prozess im Verhältnis der Gesamtschuldner zueinander nicht zu einer Hemmung der Verjährung führt (zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs s. Rz. 2).
K
Praxistipp: Die Notwendigkeit der Streitverkündung in diesen Fällen ist auch zu bedenken, wenn 51 Gesamtschuldner verklagt sind, ein unterschiedlicher Verursachungsanteil für den Schaden in Betracht kommt, der für den Innenausgleich der Gesamtschuldner von Bedeutung ist, und zu erwarten ist, dass die die Haftung begründenden Verletzungshandlungen im Prozess für die einzelnen Gesamtschuldner festgestellt werden.
K
Wichtig: Die Möglichkeit des Rückgriffs im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs (s. dazu auch Rz. 2) und die damit verbundene Notwendigkeit zur Streitverkündung ist wegen der damit einhergehenden Interessenkollision auch bei Übernahme der Vertretung der Mandate zu bedenken (s. Kap. 1 Rz. 36).
M 19.14 Streitverkündung des einen Beklagten gegen den anderen Beklagten
53
An das … gericht … / … (Langrubrum) Hiermit verkünde ich namens der Beklagten zu 1) dem Beklagten zu 2) den Streit. Die Beklagte zu 1) wird als Kfz-Haftpflichtversicherer des bei dem Unfall vom … getöteten Herrn … auf Schadensersatz wegen der erheblichen Verletzungen in Anspruch genommen, die der Kläger sich bei dem Unfall zuzog. Das Ausmaß der Dauerfolgen ist allerdings, wie in der Klageerwiderung ausgeführt wurde, ganz wesentlich auf das geradezu unverständliche Fehlverhalten des Beklagten zu 2) zurückzuführen, des-
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Kap. 19 Rz. 54
Streitverkündung
M 19.14
ZPO
sen Aufgabe es war, den Kläger wegen der Unfallfolgen ärztlich zu behandeln, und der vom Kläger jetzt mit Recht aus Arzthaftpflichtgesichtspunkten in Anspruch genommen wird. Wie sich aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler vom … ergibt, sind dem Beklagten zu 2) bei der Behandlung des Klägers mehrere grobe Behandlungsfehler unterlaufen. In einem solchen Fall kann, wie in der Klageerwiderung unter Bezugnahme auf BGH DAR 1992, 57 ausgeführt wurde, der Erstschädiger für die Folgeschäden nicht in Anspruch genommen werden. Denn ein völlig unsachgemäßes Verhalten des nachbehandelnden Arztes unterbricht die Kausalität im Hinblick auf den Behandlungsfehler des erstbehandelnden Arztes. Das muss auch für einen sonstigen Schädiger gelten. Sollte allerdings das Gericht Gesamtschuldnerschaft annehmen, soll über die Streitverkündung erreicht werden, dass für die haftungsbegründenden Tatsachen, die im Hinblick auf die interne Haftungsverteilung zwischen den Beklagten bereits im vorliegenden Prozess geklärt werden, die Interventionswirkung der §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO eintritt. Zugleich muss dem Beklagten zu 2) für den Regressprozess der Einwand abgeschnitten werden, er habe keinen groben Behandlungsfehler begangen. Dies macht es ausnahmsweise notwendig, dass die Beklagte zu 1) dem Beklagten zu 2) den Streit verkündet. Kosten: Besondere Anwaltsgebühren fallen durch die Streitverkündung nicht an; s. hierzu auch Rz. 100 ff.
IV. Beitritt des Streithelfers 1. Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung durch den Streitverkündungsempfänger
54 Der Beitritt des Streitverkündeten zum Rechtsstreit erfolgt durch einen bei Gericht einzureichenden Schriftsatz. Zuvor muss der Streitverkündete jedoch folgende Gesichtspunkte berücksichtigen:
55 Die Gerichte stellen in der Regel jede Streitverkündung zu, ohne sich um deren Zulässigkeit zu kümmern. Im Allgemeinen (Ausnahme: Widerspruch gegen den Beitritt, § 71 ZPO) wird deshalb die Zulässigkeit der Streitverkündung erst im Regressprozess bei der Frage geprüft, ob die Interventionswirkungen eingetreten sind. Der Rechtsanwalt des Streitverkündeten muss die Zulässigkeit der Streitverkündung jedoch schon im Erstprozess prüfen, wenn er überlegt, ob er namens des Streitverkündeten dem Rechtsstreit beitritt. Interventionswirkungen können nämlich nur bei einer zulässigen Streitverkündung oder bei einem Beitritt des Streitverkündeten eintreten; sie unterbleiben jedoch, wenn die Streitverkündung unzulässig ist und der Streitverkündete nicht beitritt.
56 Bei der Frage der Zulässigkeit der Streitverkündung kommt den Formalien besonderes Gewicht zu, weil hier erfahrungsgemäß die meisten Fehler begangen werden. Die Zulässigkeit der Streitverkündung kann beispielsweise daran scheitern, dass der Rechtsanwalt des Streitverkünders vergisst, den betreffenden Schriftsatz zu unterschreiben. Denkbar ist auch, dass der Streitverkündungsschriftsatz die Parteien des Rechtsstreits nicht hinlänglich erkennen lässt (vgl. Rz. 27). Das ist der Fall, wenn der Schriftsatz kein volles Rubrum enthält und die Streitverkündungsschrift nichts über die Lage des Rechtsstreits berichtet (§ 73 ZPO). Dazu gehört auch der Hinweis auf den bevorstehenden Verhandlungstermin. Schließlich muss in der Streitverkündungsschrift der den Regressanspruch begründende Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht so ausreichend beschrieben werden, dass der Streitverkündungsempfänger prüfen kann, ob er dem Rechtsstreit beitreten soll oder muss (vgl. hierzu BGH VersR 2002, 489). Im Zweifel sollte der Rechtsanwalt der Streitverkündungsschrift alle bis dahin gewechselten Schriftsätze beifügen.
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Wichtig: Die Streitverkündung hemmt nur dann die Verjährung, wenn in der Streitverkündungsschrift der Grund der Streitverkündung angegeben wurde. Werden statt dessen lediglich Kopien der Schriftsätze beigefügt, so genügt dies jedenfalls dann nicht, wenn sich daraus nicht klar und eindeutig ergibt, weshalb im Fall des Unterliegens im Rechtsstreit Regressansprüche Freyberger
Streitverkündung
Rz. 62 Kap. 19
gegen den Streitverkündeten in Betracht kommen sollen (BGH VersR 2001, 253 = MDR 2000, 1271; vgl. auch BGH NJW 2002, 1414 = MDR 2002, 879). Als materielle Mängel kommen vor allem die Zuständigkeit eines anderen Gerichtszweigs für den Regressprozess und die Streitverkündung bei gesamtschuldnerischer und nicht alternativer Haftung in Betracht.
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In all diesen Fällen muss der Rechtsanwalt mit dem Streitverkündeten besprechen, ob ein Beitritt zum Prozess überhaupt sinnvoll ist. Da Interventionswirkungen hier nicht eintreten können, verliert der Streitverkündete keinerlei Rechte für den Regressprozess, so dass von einem Beitritt im Zweifel abzuraten ist.
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Hierbei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass zu dem Zeitpunkt, in welchem die 60 Entscheidung über den Beitritt fällt, noch nicht abschließend beurteilt werden kann, ob das Gericht des Regressprozesses später den Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Streitverkündung folgt. Deshalb muss zugleich auch Vorsorge getroffen werden für den Fall, dass das Gericht des Regressprozesses Interventionswirkungen annehmen sollte. Dies geschieht dadurch, dass der Streitverkündete Einfluss auf den Prozess nimmt, ohne ihm beizutreten. Als Erstes muss sich der Rechtsanwalt deshalb für den Streitverkündeten bestellen und um Akteneinsicht bitten (dies ist ohnehin notwendig, um die Zulässigkeit der Streitverkündung – beispielsweise Unterschrift unter den Streitverkündungsschriftsatz – zu überprüfen). Anhand der Gerichtsakte kann der Anwalt des Streitverkündeten sich über den Stand des Verfahrens informieren und an den Verhandlungsterminen teilnehmen (allerdings ohne Anträge zu stellen). Kosten werden nicht erstattet, weil § 101 ZPO einen Beitritt voraussetzt. Für den Rechtsanwalt empfiehlt es sich deshalb für diesen Fall, mit dem Mandanten eine Honorarvereinbarung zu schließen.
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Praxistipp: Es ist nicht zu empfehlen, sich – ohne einen förmlichen Beitritt – durch Einreichen von Schriftsätzen am Rechtsstreit zu beteiligen, wenn beabsichtigt ist, formelle Mängel der Streitverkündung im Regressprozess zu rügen (s. Rz. 12). Die ohne Beitritt prozessual zwar nicht wirksame Unterstützung der Hauptpartei kann einen Vertrauenstatbestand erzeugen, der die Hauptpartei berechtigt, der Rüge der mangelnden Form der Streitverkündung im Regressprozess die Arglisteinrede entgegenzusetzen, die auch im Prozessrecht zu beachten ist (vgl. RGZ 102, 217; vgl. auch BGH LM Nr. 3 zu § 514 ZPO).
M 19.15 Hinweise an den Mandanten, dem der Streit verkündet worden ist
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Sehr geehrte/r … In der Sache … / … bestätige ich dankend den Eingang der Unterlagen. Diesen habe ich entnommen, dass Ihnen vom Kläger der Streit verkündet worden ist. Unterliegt der Kläger in dem vorliegenden Rechtsstreit, so kann dies nur mit der Begründung geschehen, dass Sie für den eingetretenen Schaden verantwortlich sind. Das wird den Kläger veranlassen, anschließend Sie in Anspruch zu nehmen. In diesem Prozess können Sie, eine ordnungsgemäße Streitverkündung im vorliegenden Rechtsstreit vorausgesetzt, nicht einwenden, der Vorprozess sei falsch entschieden worden. Es liegt also in Ihrem Interesse, den Kläger bei der Führung des Rechtsstreits zu unterstützen. Bei Durchsicht der Akten habe ich allerdings festgestellt, dass die Streitverkündungsschrift formale Mängel enthält. Sie ist nicht unterzeichnet und lässt auch die Parteien des Rechtsstreits nicht hinreichend (mit vollständigen Namen und Adressen) erkennen. Bei einer solchen Streitverkündung ist es zweckmäßig, sich für den Regressprozess den Einwand vorzubehalten, sie sei wegen der formalen Mängel nicht zulässig gewesen. Da man nicht weiß, ob das Gericht dieser Rüge später folgt, ist es sinnvoll abzuwägen, ob dem Rechtsstreit nicht doch beigetreten werden soll. Bitte vereinbaren Sie mit mir einen Besprechungstermin, damit wir erörtern, wie weiter verfahren werden soll. Der Rechtsanwalt, der als Anwalt eines Streitverkündeten am Prozess teilnimmt, erhält die gleichen Gebühren wie die anderen beteiligten Anwälte, vorausgesetzt, die Partei tritt dem Rechtsstreit bei. Tut sie es
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ZPO
M 19.15
ZPO
Kap. 19 Rz. 63
Streitverkündung
M 19.16
nicht und beobachtet der Rechtsanwalt das Verfahren nur, erhält er nach dem Gesetz lediglich eine Prozessgebühr. Sollten wir in der vorgeschlagenen Besprechung der Sache zum Ergebnis kommen, dass ich den weiteren Prozessverlauf durch regelmäßige Einsicht in die Gerichtsakten verfolge, schlage ich eine Honorarvereinbarung vor, nach der mir eine Gebühr iHv. … zusteht. Eine entsprechende Honorarvereinbarung füge ich in der Anlage im Entwurf bei.
2. Beitrittserklärung a) Form und Inhalt
63 Der Beitritt zum Rechtsstreit erfolgt durch einen an das Gericht zu richtenden Schriftsatz (§§ 74 Abs. 1, 70 ZPO). Dessen Zustellung von Amts wegen ist nicht notwendig; es gilt auch insoweit § 187 ZPO.
64 M 19.16 Beitritt auf der Seite, die den Streit verkündet hat An das … gericht In Sachen … / … bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Streitverkündeten …. Der Streitverkündete tritt dem Rechtsstreit aufseiten des Beklagten bei und beantragt, die Klage abzuweisen. In Ergänzung des Vorbringens des Beklagten zu den behaupteten Mängeln am Gewerk des Streitverkündeten führe ich Folgendes aus: … Kosten: Gericht: Der Beitritt hat für die Gerichtsgebühren keine Bedeutung; Anwalt: Der Prozessbevollmächtigte des Streitverkündeten erhält die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; vgl. auch Rz. 100 ff.
65 K
Praxistipp: Im beim Landgericht anhängigen selbständigen Beweisverfahren unterliegt der Beitritt nicht dem Anwaltszwang (BGH NJW 2012, 2810 = MDR 2010, 1242).
66 Ist der Streitverkündete dem Prozess beigetreten, wird er als Streithelfer oder auch als Nebenintervenient bezeichnet. Er kann sich in jeder Hinsicht am Prozess beteiligen, ist aber eine Art Prozesspartei zweiter Klasse, weil er Angriffs- und Verteidigungsmittel nur insoweit geltend machen und Prozesshandlungen nur insoweit wirksam vornehmen kann, als nicht seine Erklärungen und Handlungen mit Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei in Widerspruch stehen (§§ 74, 67 ZPO). Äußert sich die Hauptpartei nicht zu einer Behauptung des Gegners, kann der Nebenintervenient sie bestreiten. Gesteht die Hauptpartei die Tatsache zu, ist der Nebenintervenient hieran gebunden. Er kann im Regressprozess dann allerdings die Einwendungen aus §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO erheben. Der Streithelfer kann Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde (BGH NJW-RR 2013, 1400 = MDR 2013, 1240), ja sogar Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss (vgl. OLG Celle NJW-RR 2013, 446 = MDR 2013, 298) einlegen. Seine Berufung bleibt auch dann wirksam, wenn die Hauptpartei ihre Berufung zurückgenommen oder auf sie verzichtet hat. Nach hM liegt weder in der Rücknahme der Berufung durch die Hauptpartei noch im Verzicht auf das Rechtsmittel ein Widerspruch gegen die Berufung des Nebenintervenienten (BGHZ 76, 302). Eine von der Hauptpartei zurückgenommene Klage kann vom Nebenintervenienten hingegen nicht selbständig weitergeführt werden (OLG Köln AG 2003, 522 = NZG 2004, 46). Die Prozesshandlungen bleiben auch dann wirksam, wenn der Beitritt rechtskräftig zurückgewiesen worden ist (BGH MDR 2013, 858).
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Freyberger
M 19.17
Streitverkündung
Rz. 70 Kap. 19
Oft kommt es vor, dass das Gericht gegen den Streitverkünder, aber auch gegen den Streitverkünde- 67 ten entscheidet, also dem Streitverkünder Regressansprüche gegen den Streitverkündeten eröffnet. Der Streitverkünder muss gegen dieses Urteil nicht unbedingt etwas unternehmen, weil zwar nicht das Prozessziel, wenigstens aber die Feststellung erreicht wurde, dass der Streitverkündete verantwortlich ist. Umso wichtiger ist das Rechtsmittel für den Streitverkündeten.
M 19.17 Berufung durch Streithelfer
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An das Landgericht … / … (Langrubrum) Hiermit bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten der … Versicherungs AG, die dem Rechtsstreit aufseiten des Klägers als Streithelferin beitritt. In ihrem Namen lege ich für den Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts … vom …, dem Kläger zugestellt am …, Berufung ein und beantrage, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger … Euro zu zahlen. Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Gebäudeversicherungsvertrag. Bei der Streitverkündeten hat der Kläger eine Hausratversicherung genommen. Am … kam es im Haus des Klägers zu einem Brand, bei dem u.a. ein Teppichboden beschädigt wurde, der auf dem Estrich verlegt und mit diesem durch einen Kleber fest verbunden war. Die Beklagte, vom Kläger in Anspruch genommen, verweigerte die Regulierung des Schadens mit der Begründung, es handele sich nicht um einen Gebäudebestandteil, sondern um einen Hausratgegenstand. Deshalb sei die Streitverkündete eintrittspflichtig. Daraufhin verklagte der Kläger die Beklagte und verkündete der Streitverkündeten den Streit. Die Streitverkündete trat dem Rechtsstreit zunächst nicht bei. Das Amtsgericht schloss sich der Auffassung der Beklagten an und wies die Klage ab. Sofern dieses Urteil rechtskräftig wird, kann die Streitverkündete gegenüber dem Kläger nicht mehr einwenden, in Wahrheit handele es sich bei dem Teppichboden doch um einen Gebäudebestandteil. Die Streitverkündete muss deshalb Berufung einlegen. Das Urteil des Amtsgerichts ist unzutreffend. Ein Teppichboden, der fest mit dem Untergrund (Estrich) verbunden ist, ist kein Hausrat mehr, sondern wesentlicher Bestandteil des Gebäudes (wird im Einzelnen dargelegt, vgl. zum Problem OLG Köln VersR 2004, 125). Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
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Praxistipp: Der BGH ist mit den Formalien großzügig (vgl. BGH MDR 2016, 688). Dennoch: In das Langrubrum gehören die Parteien des Rechtsstreits (Kläger und Beklagter). Der Streithelfer muss deutlich machen, dass er für die Hauptpartei Berufung einlegt.
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Wichtig: Zwar wird das Urteil dem Streithelfer üblicherweise förmlich zugestellt. Das ist aber nicht zwingend vorgeschrieben und wird gelegentlich auch unterlassen; das ist immer der Fall, wenn der Streitverkündete dem Rechtsstreit nicht beigetreten ist. Maßgeblich für den Fristablauf ist in allen Fällen die Berufungsfrist der Hauptpartei (BGH NJW-RR 1997, 919; 1993, 76; NJW 1990, 190; 1986, 257 = MDR 1986, 36). Durch die Zustellung an den Streitverkündeten wird für diesen keine – eigene – Berufungsfrist in Gang gesetzt (häufiger Fehler, vgl. BGH NJW 2001,
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ZPO
b) Mit Einlegung eines Rechtsmittels
Kap. 19 Rz. 71
Streitverkündung
M 19.18
ZPO
1355 = MDR 2001, 586). Dies gilt für jedes Rechtsmittel, auch für die Rechtsbeschwerde (BGH NJW-RR 2013, 1400 = MDR 2013, 1240). 3. Antrag auf Zurückweisung des Streithelfers a) Inhalt und Begründung des Antrags
71 Das größte Kostenrisiko trägt die Gegenpartei des Streitverkünders. Tritt der Streitverkündete bei und obsiegt der Streitverkündete, trägt die Gegenpartei die gesamten Kosten des Rechtsstreits einschl. der Kosten des Streitverkündeten (§ 101 ZPO). Der Gegner des Streitverkünders muss deshalb ein Interesse daran haben, dass der Beitritt des Streitverkündeten als unzulässig zurückgewiesen wird. Dem dient ein Antrag auf Zurückweisung des Streithelfers gem. §§ 74, 71 ZPO.
72 M 19.18 Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention An das Landgericht In Sachen … / … beantrage ich namens des Beklagten, 1. den Beitritt des Streitverkündeten als unzulässig zurückzuweisen; 2. über den vorstehenden Antrag gem. §§ 74, 71 ZPO durch Zwischenurteil zu entscheiden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Vorfall, bei dem der Kläger nach seiner Behauptung vom Beklagten und vom Streitverkündeten gemeinschaftlich verletzt wurde. Der Beklagte bestreitet jede Beteiligung. Der Kläger hat dem Streitverkündeten den Streit verkündet mit der Begründung, falls der Beklagte nicht beteiligt sei, hafte zumindest der Streitverkündete. Eine solche Streitverkündung ist nicht zulässig. Die Streitverkündung setzt eine alternative Haftung der Gegenpartei und des Streitverkündeten voraus. Es ist deshalb unzulässig, einen Gesamtschuldner zu verklagen und dem anderen den Streit zu verkünden (BGHZ 100, 257, 259; 70, 187, 189; 65, 127, 131). … Kosten: Anwalt: Der Zwischenstreit gehört hinsichtlich der Anwaltsgebühren zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
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Wichtig: Der Antrag ist vor der ersten mündlichen Verhandlung nach erfolgter Streitverkündung zu stellen; nach rügeloser Einlassung in jener Verhandlung geht das Recht verloren (RGZ 163, 361, 365).
b) Begründung des rechtlichen Interesses durch den Streithelfer
74 Will der Streithelfer dem Rechtsstreit beitreten, so genügt idR der Hinweis darauf, dass ihm der Streit verkündet wurde (Zöller/Althammer § 74 ZPO Rz. 1). Hat der Gegner der Hauptpartei allerdings, wie in M 19.18 angeführt, den Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Streitverkündung entfacht, sind Darlegungen des Streithelfers notwendig.
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Rz. 77 Kap. 19
Streitverkündung
M 19.19 Begründung des rechtlichen Interesses durch den Streithelfer
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An das Landgericht In Sachen … / … beantrage ich namens des Streitverkündeten, 1. den Beitritt des Streitverkündeten für zulässig zu erklären, 2. über den vorstehenden Antrag gem. § 71 ZPO durch Zwischenurteil zu entscheiden. In dem vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger von der beklagten Gemeinde Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Diese macht unter anderem geltend, nicht sie, sondern der Kreis … sei für die Unfallstelle verantwortlich. Daraufhin hat der Kläger dem Kreis den Streit verkündet. Die Beklagte hat dem Beitritt widersprochen. Der Widerspruch der Beklagten ist unbegründet. Nach dem Vorbringen der Parteien kommt im vorliegenden Fall entweder eine Haftung der Beklagten oder eine Haftung der Streitverkündeten in Betracht, nicht jedoch eine Haftung beider. Damit liegt ein Fall der alternativen Haftung vor. Die Fälle der alternativen Haftung sind die typischen Fälle, in denen der Streit verkündet werden kann (Zöller/Althammer § 72 ZPO Rz. 8). Kosten: Anwalt: Der Zwischenstreit gehört hinsichtlich der Anwaltsgebühren zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
c) Beitritt des Streithelfers auf der Gegenseite In § 74 ZPO ist lediglich vorgesehen, dass der Streitverkündete dem Streitverkünder beitritt. Das schließt aber seinen Beitritt auf der Gegenseite nicht aus. Tritt er der Gegenseite bei, handelt es sich um eine Nebenintervention aus eigenem Antrieb des Nebenintervenienten. In diesem Fall muss er ein rechtliches Interesse im Sinne dieser Vorschrift darlegen (§ 66 Abs. 1 ZPO; nähere Erläuterungen hierzu in Kap. 30 Rz. 1).
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M 19.20 Beitritt des Streithelfers auf der Gegenseite
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An das … gericht In Sachen … / … zeige ich an, dass ich den Streitverkündeten Herrn … vertrete. Ihm ist vom Kläger der Streit verkündet worden. Namens des Streitverkündeten trete ich hiermit dem Rechtsstreit auf der Seite des Beklagten bei und beantrage, die Klage abzuweisen. Mit der Klage verlangt der Kläger vom Beklagten die Herausgabe eines Pkws mit der Behauptung, er sei Eigentümer. Der Beklagte verweigert die Herausgabe mit der Begründung, er habe den Pkw vom Kläger gekauft. Der Kläger sei hierbei vom Streitverkündeten vertreten worden. Dem hält der Kläger entgegen, der Streitverkündete habe die ihm erteilte Vollmacht überschritten. Er hat dem Streitverkündeten deshalb den Streit verkündet. Der Streitverkündete tritt jedoch nicht dem Kläger, sondern dem Beklagten bei. Er ist nämlich nicht nur dem behaupteten Regressanspruch des Klägers, sondern vor allem und in erster Linie einem Regress-
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ZPO
M 19.20
Kap. 19 Rz. 78
Streitverkündung
M 19.21
ZPO
anspruch des Beklagten aus § 179 BGB ausgesetzt, falls sich herausstellen sollte, dass der Streitverkündete nicht im Namen des Klägers handeln sollte. Zur Sache ist Folgendes auszuführen: …. Kosten: Gericht: Der Beitritt hat für die Gerichtsgebühren keine Bedeutung; Anwalt: Der Prozessbevollmächtigte des Streitverkündeten erhält die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; vgl. auch Rz. 100 ff.
78 Ein solcher Beitritt auf der Gegenseite kann allerdings auch gefährlich sein. Während nämlich der behauptete Regressanspruch des Klägers in M 19.20 eher theoretischer Natur ist, ist der Regressanspruch des Beklagten evident und gefährlich. Ein Beitritt auf die Gegenseite führt – weil hier die Voraussetzungen des § 66 ZPO vorliegen – dazu, dass auch im Verhältnis zur Gegenseite die Interventionswirkungen eintreten. Kommt das Gericht bei M 19.20 zu dem Ergebnis, dass der Streitverkündete keine Vollmacht hatte, kann der Streitverkündete im Regressprozess nicht mehr einwenden, der Vorprozess sei falsch entschieden worden. Diese Option hätte er sich offen gehalten, wenn er gar keinen Beitritt erklärt hätte.
79 In der Praxis ist ein Beitritt nicht aufseiten des Streitverkünders, sondern aufseiten der anderen Partei weit verbreitet. Streithelfer sind schon aus Gründen der Kostenerstattung bestrebt, der Partei beizutreten, deren Position aussichtsreicher erscheint, was allerdings oft zu kurz gedacht ist (s. vorstehend Rz. 78). Die Gerichte sind mit der Zulassung einer solchen Nebenintervention (die eigentlich kein Beitritt des Streitverkündeten mehr ist) sehr großzügig und reagieren erst auf ausdrücklichen Widerspruch einer der Parteien mit einem Zwischenurteil. Aus Kostengründen ist auch dringend anzuraten, bei Erfolgsaussicht auf einem Zwischenurteil zu bestehen, durch welches der Beitritt des Nebenintervenienten für unzulässig erklärt wird. Dieses hat nämlich zur Folge, dass der Nebenintervenient seine eigenen außergerichtlichen Kosten selber tragen muss.
80 M 19.21 Widerspruch gegen Beitritt des Streitverkündeten auf der Gegenseite An das … gericht In Sachen … / … widerspreche ich namens des Beklagten dem Beitritt des Streitverkündeten aufseiten des Klägers. Der Beklagte hatte dem Streitverkündeten den Streit verkündet, weil er glaubt, für den Fall der Verurteilung einen Regressanspruch gegen den Streitverkündeten zu haben. Diese Streitverkündung war aus den bereits dargelegten Gründen zulässig. Der Streitverkündete ist nun nicht dem Beklagten, sondern dem Kläger als Streithelfer beigetreten. Das ist nicht zulässig. § 74 Abs. 1 ZPO spricht nur davon, dass „der Dritte dem Streitverkünder beitritt“, nicht aber davon, dass der Dritte auch der Gegenpartei beitreten kann. Damit lässt sich der Beitritt des Streitverkündeten nicht mit § 75 ZPO rechtfertigen, sondern nur mit § 66 ZPO. Danach muss der Streitverkündete ein rechtliches Interesse am Beitritt aufseiten des Klägers haben; allein die Streitverkündung begründet kein rechtliches Interesse am Beitritt auf der Gegenseite (vgl. BGH NJW-RR 2011, 907 = MDR 2011, 813). Ein solches rechtliches Interesse ist im vorliegenden Fall weder dargetan noch sonst ersichtlich; es lässt sich auch nicht begründen. Vor allem begründet das Kosteninteresse kein rechtliches Interesse (OLG Köln OLGR 2000, 205; vgl. auch OLG München AHRS 2745/348). … Kosten: Anwalt: Der Zwischenstreit gehört hinsichtlich der Anwaltsgebühren zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
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M 19.22
Streitverkündung
Rz. 84 Kap. 19
Der Streitverkündete ist zu einer weiteren Streitverkündung berechtigt (§ 72 Abs. 3 ZPO). Auch hier gilt, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, Regressmöglichkeiten zu sichern, falls Feststellungen zu Lasten des von ihm vertretenen Streitverkündeten getroffen werden. Da es meistens schon zu spät ist, wenn die Feststellungen erst einmal getroffen sind, genügt schon die Möglichkeit von Feststellungen.
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M 19.22 Weitere Streitverkündung (im Anschluss an M 19.7)
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An das … gericht … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten des Streitverkündeten. Dieser tritt dem Rechtsstreit aufseiten der Beklagten bei. Gleichzeitig verkünde ich hiermit Herrn Fliesenlegermeister … (ladungsfähige Anschrift) den Streit, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit aufseiten der Beklagten beizutreten. Die Beklagte hat dem Streitverkündeten den Streit verkündet, weil er als Subunternehmer das Fliesenlegergewerk übernommen hatte. Der Streitverkündete hatte jedoch kurzfristig Personalmangel, so dass er den Auftrag nicht erledigen konnte. Er schaltete deshalb den weiteren Streitverkündeten als weiteren Subunternehmer ein. Sollte im vorliegenden Verfahren festgestellt werden, dass die Fliesenlegerarbeiten mangelhaft durchgeführt wurden, so würde die Beklagte gegenüber dem Kläger haften. Sie könnte dafür beim Streitverkündeten Regress nehmen, der dann seinerseits Regressansprüche gegen den weiteren Streitverkündeten hätte. Das macht die weitere Streitverkündung notwendig und zulässig. Kosten: Gericht: Der Beitritt hat für die Gerichtsgebühren keine Bedeutung; Anwalt: Der Prozessbevollmächtigte des Streitverkündeten erhält die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; vgl. auch Rz. 100 ff.
Da es bei großen Bauvorhaben regelrechte „Subunternehmerketten“ gibt, kann es auch zu „Streitver- 83 kündungsketten“ kommen.
V. Regressprozess des Streitverkünders gegen den Streithelfer 1. Wesentlicher Inhalt der Klage Nachdem das Urteil des Vorprozesses rechtskräftig geworden ist, muss geprüft werden, ob und in welcher Weise es den Regress eröffnet. Besteht ein Regressanspruch und zahlt der Gegner nicht freiwillig, ist der Regressprozess zu führen.
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ZPO
4. Weitere Streitverkündung durch den Streithelfer
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Kap. 19 Rz. 85
Streitverkündung
M 19.23
85 M 19.23 Regressprozess mit günstigen Feststellungen im Vorprozess An das … gericht … / … (Langrubrum) Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten der Klägerin und werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin … Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen. Die Klägerin war Generalunternehmerin des Bauvorhabens des Herrn …. Aufgrund behaupteter Mängel u.a. am Fliesenlegergewerk wurde die Klägerin anschließend von Herrn … auf Schadensersatz verklagt. In diesem Verfahren verkündete die Klägerin dem Beklagten den Streit. Durch Urteil des … gerichts vom … wurde die Klägerin dann verurteilt, wegen bewiesener Mängel am Fliesenlegergewerk an den damaligen Kläger … Euro zu zahlen. Beweis: Beziehung der Akten des Vorprozesses Das Urteil wurde rechtskräftig; die Urteilssumme ist bezahlt. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin Erstattung der Urteilssumme vom Beklagten. Nach den Feststellungen des Vorprozesses bestehen folgende Mängel …. Der Beklagte hat außergerichtlich behauptet, es lägen keine Mängel vor. Das wird nicht nur bestritten, es ist rechtlich auch unerheblich, weil dem Beklagten im Vorprozess …, in welchem es um die gleichen Mängel ging, der Streit verkündet worden ist. Im Vorprozess hat das Gericht festgestellt, dass die Mängel, auf die die vorliegende Klage gestützt wird, bestehen. Gemäß §§ 74, 68 ZPO sind deshalb die Interventionswirkungen eingetreten mit der Folge, dass der Beklagte im vorliegenden Prozess die Mängel nicht mehr bestreiten kann. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
86 Ein Regressprozess kann auch geführt werden, wenn der Streitverkünder als Kläger im Vorprozess unterlegen war und das Prozessergebnis einen Regressanspruch gegen den Streitverkündeten verneinte. Die Streitverkündung wirkt nämlich nur zugunsten, nicht aber zu Lasten des Streitverkünders (BGHZ 100, 257). Soweit er also durch tragende Feststellungen im Urteil des Vorprozesses belastet wird, braucht er sich hieran im Regressprozess nicht festhalten zu lassen.
87 M 19.24 Regressprozess mit ungünstigen Feststellungen im Vorprozess An das … gericht … / … (Langrubrum) Hiermit bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und werde beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro zu zahlen. Mit der vorliegenden Klage wird der Beklagte als Architekt wegen unzureichender Planung eines Bauwerks in Anspruch genommen. Infolge der unzureichenden Planung des Beklagten war u.a. die Kellerabdichtung mangelhaft, was zu einem Schaden in Höhe der Klageforderung führte. … (wird näher ausgeführt). Dem vorliegenden Rechtsstreit ist das Verfahren … vorausgegangen, in welchem der Kläger den Bauunternehmer … auf Ersatz des durch die fehlerhafte Kellerabdichtung entstandenen Schadens in Anspruch
404
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M 19.25
Streitverkündung
Rz. 91 Kap. 19
ZPO
nahm und dem Beklagten den Streit verkündete. Das Gericht holte zur Höhe ein Sachverständigengutachten ein, welches leider weit hinter den Vorstellungen des Klägers zurückblieb; aus diesem Grunde wurde der damaligen Klage nur teilweise stattgegeben. Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren hat dies jedoch nicht. Es gibt nur Interventionswirkungen zugunsten, aber nicht zu Lasten des Streitverkünders (BGHZ 100, 257). Deshalb braucht der Kläger sich an dem ungünstigen Sachverständigengutachten des Vorprozesses nicht festhalten zu lassen. Vielmehr ist zur gleichen Frage ein neues Gutachten einzuholen. Dieses wird ergeben, dass der Schaden so hoch ist wie vom Kläger behauptet. Kosten: s. Anm. zu M 19.23.
2. Einrede unzulässiger Streitverkündung Der Rechtsanwalt, der von dem früheren Streitverkündeten mit der Abwehr der Regressansprüche beauftragt wird, muss als Erstes prüfen, ob die Streitverkündung formal und inhaltlich korrekt war. Anhaltspunkte, die gegen eine zulässige Streitverkündung sprechen, sind dem Gericht darzulegen. Da sachliche Einwendungen idR durch die Interventionswirkungen abgeschnitten werden, kommt es darauf an, die Interventionswirkungen zu beseitigen.
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Wichtig: Die Hinweise unter Rz. 11 ff. und 54 ff. sind zu beachten, soweit Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Streitverkündung erhoben werden sollen.
M 19.25 Einrede unzulässiger Streitverkündung
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An das … gericht In Sachen … / … bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten der Beklagten und werde beantragen, die Klage abzuweisen. Das Urteil des Vorprozesses ist unzutreffend (wird im Einzelnen dargelegt). Diesen Einwand kann der Beklagte auch heute noch erheben. Insbesondere wird er hieran durch die im Vorprozess erfolgte Streitverkündung nicht gehindert. Diese Streitverkündung war nämlich unzulässig, weil der Streitverkündungsschriftsatz nicht unterschrieben war, die Streitverkündungsschrift mangels vollen Rubrums die Parteien nicht hinreichend erkennen ließ, und weil im Verhältnis des damaligen und des heutigen Beklagten keine alternative Haftung, sondern schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers Gesamtschuldnerschaft bestand, in welchem Fall die Streitverkündung nicht zulässig ist (BGHZ 100, 257, 259). Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
VI. Forderungsprätendentenstreit Der Forderungsprätendentenstreit – § 75 ZPO – ist das prozessuale Gegenstück zu § 372 Satz 2 BGB. Der Schuldner, der die Forderung nicht bestreitet, aber den wahren Gläubiger nicht kennt, soll nicht gezwungen werden, sich auf einen Prozess einzulassen.
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Kap. 19 Rz. 92
Streitverkündung
M 19.26
ZPO
1. Voraussetzungen
92 – Gegenstand des Rechtsstreits muss eine Forderung auf Leistung hinterlegbarer Sachen sein (§ 75 Satz 1 ZPO, § 372 Abs. 1 BGB).
93 – Der Beklagte muss dem Dritten, den er für den wahren Gläubiger hält, den Streit verkündet haben, und der Dritte muss in den Rechtsstreit eingetreten sein. 2. Rechtswirkungen
94 Sind die genannten Voraussetzungen gegeben, so ist der Beklagte auf Antrag aus dem Rechtsstreit zu entlassen.
95 M 19.26 Antrag auf Entlassung aus dem Rechtsstreit An das … gericht In Sachen … / … beantrage ich, den Beklagten gem. § 75 Satz 1 ZPO aus dem Rechtsstreit zu entlassen. Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Forderung, die der Beklagte nie bestritten hat, bei der er allerdings nicht wusste, an wen zu leisten war, weil sowohl der Kläger als auch der Streitverkündete die Forderung für sich in Anspruch nahmen. Der Beklagte wäre deshalb gem. § 372 Satz 2 BGB berechtigt gewesen, den Forderungsbetrag zu hinterlegen. Er hätte dies auch getan, wurde aber vorher von der vorliegenden Klage überrascht.
96 Nach Entlassung des Beklagten wird der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Streitverkündeten fortgesetzt. Diese müssen jeweils beantragen, den jeweils anderen zu verurteilen, in die Auszahlung des Geldes einzuwilligen.
97 M 19.27 Antrag des Klägers An das … gericht In Sachen … / … beantrage ich nunmehr, nachdem der Beklagte gem. § 75 ZPO aus dem Rechtsstreit ausgeschieden ist, den Streitverkündeten zu verurteilen, darin einzuwilligen, dass der bei der Hinterlegungsstelle des AG … (Az. …) hinterlegte Betrag von … Euro an den Kläger ausgezahlt wird. Der vom Schuldner hinterlegte Geldbetrag steht dem Kläger zu. …
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Freyberger
Streitverkündung
Rz. 103 Kap. 19
M 19.28 Antrag des Streitverkündeten
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An das … gericht In Sachen … / … beantrage ich, den Kläger zu verurteilen, darin einzuwilligen, dass der bei der Hinterlegungsstelle des AG … (Az. …) hinterlegte Betrag von … Euro an den Streitverkündeten ausgezahlt wird. Dem Sachvortrag des Klägers ist sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht zu widersprechen. Tatsächlich steht der hinterlegte Geldbetrag dem Streitverkündeten zu. …
VII. Kostenentscheidung Gerichtskosten entstehen durch die Streitverkündung nicht.
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Der Anwalt des Streitverkünders erhält keine zusätzlichen Gebühren, weil die Streitverkündung mit der Prozessgebühr abgegolten wird.
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Für den Anwalt des Streitverkündeten entstehen die Gebühren der Nr. 3100 ff. VV RVG. Ob der Streitwert der Streithilfe nach dem Interesse des Streithelfers am Obsiegen der unterstützten Partei (so zB OLG Düsseldorf BauR 2012, 548, OLG München JurBüro 2007, 426, OLG Hamm OLGR 2008, 195, OLG Schleswig MDR 2009, 56) oder nach dem Interesse der unterstützten Partei (so zB BGHZ 31, 144 = NJW 1960, 42, OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 1007, OLG München NJW-RR 1998, 420) zu bemessen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Jedenfalls bei konkreten Anhaltspunkten dafür, dass das wirtschaftliche Interesse des Streitverkündeten niedriger ist als der Streitwert des Verfahrens, wird man den Wert der Streithilfe niedriger ansetzen müssen als den Wert des Verfahrens.
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Eine Einigungsgebühr entsteht nur, wenn der Streithelfer am Vergleich beteiligt ist und eine eigene Verpflichtung übernimmt bzw. für oder gegen ihn ein Recht begründet wird; hierfür genügt die Kostenregelung nicht (OLG München JurBüro 2013, 190).
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Unterliegt die unterstützte Partei oder nimmt sie die Streitverkündung zurück, findet zwischen ihr 103 und dem Streithelfer keine Kostenerstattung statt (OLG Köln NJW-RR 2002, 1726). Der Streitverkünder muss also (von dem Sonderfall des Beitritts des Streitverkündeten auf der Gegenseite abgesehen, s. Rz. 76 ff.) nicht befürchten, dass ihm durch die Streitverkündung Kosten entstehen. Das gilt auch für den Fall, dass der Streitverkündete des Beweisverfahrens Beklagter des Hauptsacheprozesses wird, weil sich im Beweisverfahren herausgestellt hat, dass ein Anspruch gegen den dortigen Streitverkündeten besteht. Mangels Parteiidentität kann der vormalige Streitverkündete in der Kostenentscheidung des Hauptsacheprozesses nicht mit den Kosten des Beweisverfahrens belastet werden, und zwar auch dann nicht, wenn das Ergebnis der Beweisaufnahme im selbstständigen Beweisverfahren im Prozess zwischen dem Antragsteller und dem Streithelfer verwertet wurde (BGH NJW 2013, 3452 = MDR 2013, 1433). Obsiegt die unterstützte Partei, trägt der Gegner auch die außergerichtlichen Kosten des Nebenintervenienten (§ 101 ZPO). Der Urteilstenor „die Kosten des Rechtsstreits trägt …“ reicht hierfür allerdings nicht aus, es muss vielmehr heißen „die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Nebenintervenienten trägt …“, weil die außergerichtlichen Kosten des Nebenintervenienten nicht zu den Kosten des Rechtsstreits gehören (OLG Köln MDR 1992, 301). Vergisst das Gericht, über die außergerichtlichen Kosten des Nebenintervenienten zu entscheiden (häufiger Fehler, der sogar schon dem BGH unterlaufen ist, s. BGH NJW-RR 2005, 295 = MDR 2005, 526), muss ein Ergänzungsurteil gem. § 321 ZPO beantragt werden (BGH NJW-RR 2005, 295; OLG München NJW-RR 2003, 1440; OLG Koblenz MDR 2002, 1338; OLG Köln aaO). Hierbei Freyberger
407
ZPO
M 19.28
ZPO
Kap. 19 Rz. 104
Streitverkündung
M 19.29
ist die Zweiwochenfrist des § 321 Abs. 2 ZPO zu beachten, die mit der Zustellung des Urteils an den Streithelfer beginnt (BGH NJW 1975, 218). Der Streithelfer kann im selbständigen Beweisverfahren nur dann einen Kostenantrag stellen, wenn die unterstützte Partei nicht widerspricht (BGH NJW-RR 2008, 261 = MDR 2007, 1442). Der in § 100 Abs. 1 ZPO geregelte Grundsatz der Kostenparallelität gilt nur in Fällen einfacher Nebenintervention. Im Fall der streitgenössischen Nebenintervention sind ausschließlich §§ 101 Abs. 2, 100 ZPO anzuwenden, so dass über die Kosten des Nebenintervenienten eigenständig und unabhängig von der gegenüber der unterstützten Hauptpartei zu treffenden Kostenentscheidung zu befinden ist (BGH NJW-RR 2007, 1577 = MDR 2007, 1102). Einen Anspruch auf eine Kostenregelung hat schließlich auch der Nebenintervenient, der nur dem Beweisverfahren, nicht aber dem anschließenden Hauptsacheverfahren beigetreten ist (BGH NJW 2014, 1021; OLG Hamm NJW 2013, 2120).
104 M 19.29 Kostenantrag des Streitverkündeten bei Urteil An das … gericht In Sachen … / … beantrage ich gem. § 321 ZPO, das Urteil dahingehend zu ergänzen, dass die außergerichtlichen Kosten des Streitverkündeten zu einem Drittel vom Beklagten zu tragen sind. In dem vorliegenden Rechtsstreit war dem Streitverkündeten vom Kläger der Streit verkündet worden; er war dem Rechtsstreit beigetreten. Durch Urteil hat das Gericht die Kosten des Rechtsstreits zu zwei Dritteln dem Kläger und zu einem Drittel dem Beklagten auferlegt. Eine gesonderte Entscheidung über die Kosten des Streitverkündeten erfolgte nicht. Nach hM (vgl. Zöller/Herget § 101 ZPO Rz. 5) liegt in der Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits keine Entscheidung über die Kosten des Streithelfers. Insoweit ist vielmehr ein Ergänzungsurteil gem. § 321 ZPO zu beantragen, was hiermit geschieht. Die Kosten des Streithelfers sind dem Beklagten zu einem Drittel aufzuerlegen, da dies seiner Kostenquote am Prozess entspricht.
105 Versuchen die Parteien, den Anspruch des Nebenintervenienten auf Kostenerstattung dadurch zu unterlaufen, dass ein Vergleich ohne Kostenregelung hinsichtlich der Kosten des Nebenintervenienten geschlossen wird, kann dieser beim Prozessgericht einen Kostentitel erwirken, bei dem die Quotierung der Kostenregelung dem Vergleich folgen muss (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 315; OLG Bremen MDR 1998, 1310; OLG Köln NJW-RR 1995, 1215). Allerdings darf sich der Nebenintervenient nicht mit der Kostenregelung des Vergleichs formell einverstanden erklärt haben. Dann bleibt es nämlich bei der vereinbarten Kostenregelung, auch wenn die Kosten des Nebenintervenienten vergessen wurden (BGH MDR 1967, 392).
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Freyberger
Kap. 20
M 19.30 Kostenantrag des Streitverkündeten nach Vergleich
106
An das … gericht In Sachen … / … beantrage ich, die außergerichtlichen Kosten des Streitverkündeten in entsprechender Anwendung der §§ 91a Abs. 1 Satz 2, 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu einem Drittel dem Beklagten aufzuerlegen. Der Kläger hatte dem Streitverkündeten den Streit verkündet; der Streitverkündete war dem Rechtsstreit beigetreten. Der Prozess wurde durch einen Vergleich beendet, an dem der Streitverkündete sich nicht beteiligte und in dem die Kosten des Rechtsstreits zu zwei Dritteln dem Kläger und zu einem Drittel dem Beklagten auferlegt wurden. Die Kosten des Nebenintervenienten werden im Vergleich nicht erwähnt. Nach hM (Zöller/Herget § 101 ZPO Rz. 5) gehören die Kosten des Streithelfers nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, so dass hierüber gesondert entschieden werden muss. Durch eine Kostenregelung wie im vorliegenden Fall können die Parteien den Kostenerstattungsanspruch des Streithelfers nicht unterlaufen. Vielmehr hat das Gericht durch Beschluss eine Kostenentscheidung zu treffen, bei dem die Kosten des Nebenintervenienten nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Hauptparteien verteilt werden (Zöller/Herget § 101 ZPO Rz. 6 ff.; OLG Bremen MDR 1998, 1310; OLG Köln NJW-RR 1995, 1215). Das führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Beklagte ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Streitverkündeten zu tragen hat, da dies seiner Quote an den Prozesskosten entspricht. Die übrigen Kosten hat der Streitverkündete selbst zu tragen.
Haben die Hauptparteien sich allerdings vergleichsweise darauf geeinigt, dass die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben werden, so stehen dem Nebenintervenienten – anders als bei Kostenteilung – keine Kostenerstattungsansprüche gegen die Gegenpartei zu (BGH NJW 2003, 1948; 2003, 3354 mit ausführlicher Darlegung des früheren Streitstandes). Dies gilt sogar dann, wenn die Vereinbarung bezweckte, Kostenerstattungsansprüche des Streithelfers auszuschließen (BGH NJW-RR 2005, 1159 = MDR 2005, 957 verweist darauf, dass materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche unberührt bleiben). Im Lichte dieser Entscheidungen ist fraglich, ob es unzulässig ist, den vorstehenden Antrag dadurch zu unterlaufen, dass im Vergleich einfach eine von der sonstigen Kostenregelung abweichende Bestimmung für die Kosten des Streitverkündeten getroffen wird (so OLG München, 28. Senat, NJW-RR 1998, 1453 = MDR 1998, 989; aA OLG München, 3. Senat, NJW-RR 1995, 1403).
Kapitel 20 Klageerwiderung I. Vor der Klageerwiderung . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessleitende Anordnungen, Fristen . . . . M 20.1 Vertretungs- und Verteidigungsanzeige bei schriftlichem Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 20.2 Vertretungsanzeige, Ankündigung der Anträge bei frühem ersten Termin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Güteverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 7 8
3. Taktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Flucht in das Ruhen des Verfahrens, die Güteverhandlung und die Säumnis . . . . II. Verweisungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verweisung an die Kammer für Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 10 16
Freyberger/Assies
409
19 20 20
107
ZPO
Klageerwiderung
Kap. 20
M 19.30 Kostenantrag des Streitverkündeten nach Vergleich
106
An das … gericht In Sachen … / … beantrage ich, die außergerichtlichen Kosten des Streitverkündeten in entsprechender Anwendung der §§ 91a Abs. 1 Satz 2, 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu einem Drittel dem Beklagten aufzuerlegen. Der Kläger hatte dem Streitverkündeten den Streit verkündet; der Streitverkündete war dem Rechtsstreit beigetreten. Der Prozess wurde durch einen Vergleich beendet, an dem der Streitverkündete sich nicht beteiligte und in dem die Kosten des Rechtsstreits zu zwei Dritteln dem Kläger und zu einem Drittel dem Beklagten auferlegt wurden. Die Kosten des Nebenintervenienten werden im Vergleich nicht erwähnt. Nach hM (Zöller/Herget § 101 ZPO Rz. 5) gehören die Kosten des Streithelfers nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, so dass hierüber gesondert entschieden werden muss. Durch eine Kostenregelung wie im vorliegenden Fall können die Parteien den Kostenerstattungsanspruch des Streithelfers nicht unterlaufen. Vielmehr hat das Gericht durch Beschluss eine Kostenentscheidung zu treffen, bei dem die Kosten des Nebenintervenienten nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Hauptparteien verteilt werden (Zöller/Herget § 101 ZPO Rz. 6 ff.; OLG Bremen MDR 1998, 1310; OLG Köln NJW-RR 1995, 1215). Das führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Beklagte ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Streitverkündeten zu tragen hat, da dies seiner Quote an den Prozesskosten entspricht. Die übrigen Kosten hat der Streitverkündete selbst zu tragen.
Haben die Hauptparteien sich allerdings vergleichsweise darauf geeinigt, dass die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben werden, so stehen dem Nebenintervenienten – anders als bei Kostenteilung – keine Kostenerstattungsansprüche gegen die Gegenpartei zu (BGH NJW 2003, 1948; 2003, 3354 mit ausführlicher Darlegung des früheren Streitstandes). Dies gilt sogar dann, wenn die Vereinbarung bezweckte, Kostenerstattungsansprüche des Streithelfers auszuschließen (BGH NJW-RR 2005, 1159 = MDR 2005, 957 verweist darauf, dass materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche unberührt bleiben). Im Lichte dieser Entscheidungen ist fraglich, ob es unzulässig ist, den vorstehenden Antrag dadurch zu unterlaufen, dass im Vergleich einfach eine von der sonstigen Kostenregelung abweichende Bestimmung für die Kosten des Streitverkündeten getroffen wird (so OLG München, 28. Senat, NJW-RR 1998, 1453 = MDR 1998, 989; aA OLG München, 3. Senat, NJW-RR 1995, 1403).
Kapitel 20 Klageerwiderung I. Vor der Klageerwiderung . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessleitende Anordnungen, Fristen . . . . M 20.1 Vertretungs- und Verteidigungsanzeige bei schriftlichem Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 20.2 Vertretungsanzeige, Ankündigung der Anträge bei frühem ersten Termin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Güteverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Taktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Flucht in das Ruhen des Verfahrens, die Güteverhandlung und die Säumnis . . . . II. Verweisungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verweisung an die Kammer für Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Freyberger/Assies
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ZPO
Klageerwiderung
ZPO
Kap. 20 Rz. 1
Klageerwiderung
2. Verweisung an die Zivilkammer . . . . . . . . . M 20.3 Klageerwiderung und Antrag auf Verweisung an eine Zivilkammer/ an eine Kammer für Handelssachen III. Übertragung auf die Kammer/den Einzelrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 20.4 Klageerwiderung und Äußerung zur Übertragung auf die Kammer/ auf den Einzelrichter . . . . . . . . . . . IV. Gegenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bei Einrede der Zug-um-Zug-Leistung . . . . M 20.5 Klageerwiderung mit hilfsweisem Antrag zur Verurteilung Zug um Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 20.6 Teil-Anerkenntnis und Antrag auf Verurteilung nur Zug um Zug . . . . 2. Bei teilweisem Anerkenntnis oder teilweiser Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilweises Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . .
28 31 32 3. 36 37 37 40 42 43 43
V. 1. 2. VI.
M 20.7 Klageerwiderung und Teilanerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilweise Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . M 20.8 Klageerwiderung und Mitteilung von der teilweisen Erfüllung nach Rechtshängigkeit . . . . Vorbehalt der Haftungsbeschränkung . . . . M 20.9 Klageerwiderung und Vorbehalt der Haftungsbeschränkung . . . . . . Inhaltliche Klageerwiderung . . . . . . . . . . Rügen gegen die Zulässigkeit der Klage . . . Erwiderung auf die Anspruchsbegründung Vollstreckungsschutzantrag . . . . . . . . . . . M 20.10 Klageerwiderung und Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO . . . . . . . . . . . . M 20.11 Klageerwiderung und Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO . . . . . . . . . . . .
44 45 46 48 51 52 52 67 73 79 80
I. Vor der Klageerwiderung 1. Prozessleitende Anordnungen, Fristen
1 Gemeinsam mit der Klageschrift (§ 271 ZPO) wird auch die prozessleitende Verfügung des Gerichts (§ 272 ZPO) zugestellt. Erfolgt diese Zustellung – wie üblich – unmittelbar bei dem Beklagten, weil ein Rechtsanwalt im Vorfeld noch nicht seine Empfangsbevollmächtigung mitgeteilt hat, ist wichtig, sogleich nach der prozessleitenden Verfügung zu fragen. Aus ihr ergeben sich etwaige Hinweise des Gerichts sowie die bislang ergangenen Anordnungen und gesetzten Fristen. Die Verfügung ist sorgfältig zu prüfen und alle gesetzten Fristen sind mit entsprechenden Vorfristen zu notieren (s. Kap. 27 Rz. 28 ff.). Wichtig ist, dass der genaue Zustelltermin beim Beklagten erfragt wird, denn die dortige Zustellung ist für den Fristlauf maßgeblich.
2 Bei der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens (§ 276 ZPO) ist eine Frist für die Verteidigungsanzeige und eine zweite Frist für die Klageerwiderung zu notieren, wobei zu jeder Frist Vorfristen zu vermerken sind. Für die Klageerwiderung sollte vor der Vorfrist noch eine Frist für die Wiedervorlage notiert werden, damit spätestens bei Wiedervorlage an die Bearbeitung der Sache oder an einen Fristverlängerungsantrag erinnert wird.
3 K
Wichtig: Ist bei Anordnung des schriftlichen Verfahrens die Frist für die Verteidigungsanzeige bereits verstrichen, droht der Erlass eines Versäumnisurteils, sofern die Klage zulässig und schlüssig ist. Ist das Versäumnisurteil trotz Fristablaufs noch nicht zugestellt worden, sollte die Verteidigungsanzeige unverzüglich eingereicht werden. Liegt sie der Geschäftsstelle der zuständigen Kammer oder Abteilung vor, bevor dieser das von den Richtern unterschriebene Versäumnisurteil übergeben wurde, kann ein Versäumnisurteil nicht mehr erlassen werden (Zöller/Greger § 276 ZPO Rz. 9 unter Hinweis auf § 331 Abs. 3 ZPO, vgl. auch Kap. 34 Rz. 9).
4 Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Anzeige der Verteidigungsabsicht (s. Kap. 71 Rz. 4) ist möglich. Praktisch sinnvoll ist ein entsprechender Antrag aber nur zwischen der Übergabe des Versäumnisurteils an die Geschäftsstelle und der Zustellung an den Beklagten. Dies deshalb, weil nach herrschender Meinung das einmal erlassene Versäumnisurteil von einer Widereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) unberührt bleibt (Celle OLGR 94, 271; KG MDR 1996, 634; Zöller/Greger § 276 ZPO Rz. 10a). Es verbleibt nach bereits erfolgter Zustellung deshalb nur die Möglichkeit, gegen
410
Assies
M 20.2
Klageerwiderung
Rz. 8 Kap. 20
M 20.1 Vertretungs- und Verteidigungsanzeige bei schriftlichem Vorverfahren
ZPO
das Versäumnisurteil Einspruch einzulegen (§ 338 ZPO), wodurch der Prozess in die Lage vor Säumnis zurückversetzt wird (§ 342 ZPO).
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Beklagten vertrete. Der Beklagte wird sich gegen die Klage verteidigen. Antrag und Begründung folgen in einem gesonderten Schriftsatz, der innerhalb der hierzu gesetzten Frist eingereicht wird.1 Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Sollte kein Zustellungsnachweis, sondern nur die Information des Beklagten vorliegen, wann die Klageschrift zugestellt wurde, sollten das Zustellungsdatum im Zuge der Aktenanlage vom Sekretariat bei der Geschäftsstelle des Gerichts telefonisch abgefragt und das Ergebnis der Abfrage in einer Aktennotiz festgehalten werden.
Wurde in der prozessleitenden Verfügung ein früher erster Termin (§ 275 ZPO) bestimmt, ist neben der Frist für die Klageerwiderung (mit Vorfrist und Wiedervorlage) der Termin für die mündliche Verhandlung zu notieren. Auch beim frühen ersten Termin sollten dem Gericht die Vertretung und die Verteidigungsabsicht sogleich angezeigt werden, damit fortan Zustellungsbevollmächtigung besteht (§ 172 ZPO) und hierdurch der Postlauf verkürzt wird.
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M 20.2 Vertretungsanzeige, Ankündigung der Anträge bei frühem ersten Termin
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Beklagten vertrete. Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen.1 Die materielle Klageerwiderung folgt in einem gesonderten Schriftsatz innerhalb der hierfür gesetzten Frist. Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, entscheidet das Gericht von Amts wegen (§ 308 Abs. 2 ZPO); ein Antrag ist deshalb entbehrlich. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist von Amts wegen auszusprechen; ein Antrag des Beklagten ist nicht erforderlich.
2. Güteverhandlung Die Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 ZPO), die der mündlichen Verhandlung regelmäßig vorauszuge- 8 hen hat, ist nur dann entbehrlich, wenn bereits ein Einigungsversuch vor einer außergerichtlichen Gütestelle (s. Kap. 15 Rz. 1 ff.) stattgefunden hat oder die Güteverhandlung erkennbar aussichtslos erscheint (§ 278 Abs. 2 ZPO). In der Güteverhandlung wird der Sach- und Streitstand unter freier
Assies 411
ZPO
Kap. 20 Rz. 9
Klageerwiderung
Würdigung aller Umstände mit den Parteien erörtert. Darüber hinaus hat das Gericht die Möglichkeit, Fragen zu stellen; die Parteien, deren persönliches Erscheinen angeordnet werden soll (§ 278 Abs. 3 ZPO), sollen zudem gehört werden. Mit seinem Mandanten muss daher auch der Anwalt, der den Beklagten vertritt, die Frage erörtern, ob bereits ein Einigungsversuch vor einer Gütestelle erfolgt ist und ob es Gründe gibt, die einer Einigung entgegenstehen. Maßstab für die Beratung des Beklagten sind die gleichen Kriterien, die der Anwalt des Klägers im Verhältnis zu seinem Mandanten zu beachten hat (s. hierzu im Einzelnen deshalb Kap. 15 Rz. 304, 308). 3. Taktische Erwägungen
9 Im Vorfeld der Klageerwiderung sind auch taktische Erwägungen anzustellen. Es kann sich je nach Erfolgsaussicht der beabsichtigten Verteidigung anbieten, den Anspruch (ganz oder teilweise) anzuerkennen oder zu erfüllen. Es können auch Vergleichsverhandlungen innerhalb der Erwiderungsfrist geführt werden mit dem Ziel, ein besseres als voraussichtlich bei streitiger Auseinandersetzung erzielbares Ergebnis zu erreichen. a) Anerkenntnis
10 Das Anerkenntnis (vgl. Kap. 36) ist, trotz der auch hier anfallenden vollen Terminsgebühr für den eigenen und den gegnerischen Anwalt (Nr. 3104 VV RVG), eine kostengünstige Möglichkeit, einen aussichtslosen Prozess zu beenden; für das Anerkenntnisurteil zahlt der Beklagte nur eine Gerichtsgebühr (Nr. 1211 KV GKG).
11 Der Zeitpunkt für die Abgabe des Anerkenntnisses ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung, wenn der Beklagte von der Klage überrascht worden ist: Hat er durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Klage gegeben, was in einem Schriftsatz, der mit oder vor Ankündigung, dass ein (sofortiges) Anerkenntnis abgegeben wird, darzulegen und ggf. zu beweisen ist (OLG Frankfurt NJW-RR 2009, 1437; KG MDR 2015, 855; Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Beweislast“), und erkennt er den Anspruch sofort an, fallen die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zur Last (§ 93 ZPO).
12 „Anlass zur Klageerhebung“ gibt der Beklagte durch ein Verhalten, das vernünftigerweise den Schluss auf die Notwendigkeit einer klageweisen Durchsetzung des Anspruchs rechtfertigt. Das ist – nach Einführung der „obligatorischen“ Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 ZPO) – auch dann der Fall, wenn der Beklagte das Anerkenntnis erst nach gescheitertem Güteversuch abgibt.
13 Da es gem. § 307 Satz 2 ZPO zum Erlass eines Anerkenntnisurteils einer mündlichen Verhandlung nicht mehr bedarf, muss beim frühen ersten Termin das „sofortige“ Anerkenntnis innerhalb der Klageerwiderungsfrist abgegeben werden (Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 4). War diese Frist (§§ 275 Abs. 1, 277 Abs. 3 ZPO) für eine sachgerechte Reaktion des Beklagten zu kurz bemessen und wurde sie allein aus diesem Grund versäumt, soll das Anerkenntnis auch noch in der Klageerwiderung abgegeben werden können (OLG Zweibrücken MDR 2008, 354). In solchen Fällen sollte rechtzeitig Fristverlängerung (§ 224 Abs. 2 ZPO) beantragt werden.
14 Beim schriftlichen Vorverfahren kann das „sofortige“ Anerkenntnis jedenfalls dann noch innerhalb der Frist zur Klageerwiderung abgegeben werden, wenn der Beklagte innerhalb der Frist des § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt, jedoch keinen Sachantrag angekündigt hat (BGH MDR 2007, 233; Zöller/Herget § 93 Rz. 4). Nach hier vertretener Ansicht lässt der Inhalt der Entscheidung darauf schließen, dass ein Klageabweisungsantrag bereits iS eines Bestreitens verstanden werden muss, das ein „sofortiges“ Anerkenntnis iS des § 93 ZPO ausschließt. Es sollte mit der Verteidigungsanzeige daher kein Klageabweisungsantrag angekündigt werden.
412
Assies
Rz. 20 Kap. 20
Gibt es Gründe, die es dem Beklagten erlauben, die Erfüllung zu verweigern, bedarf es keines soforti- 15 gen Anerkenntnisses, um sich die Kostenvorteile zu erhalten. Ein „sofortiges“ Anerkenntnis kann noch erklärt werden, sobald diese Gründe entfallen (vgl. BGH MDR 2005, 1068 bei Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts, sofern der Beklagte vor Erlöschen des Gegenrechts eine Zug-um-Zug-Verurteilung beantragt hatte – der Beklagte kann alternativ aber auch ein sofortiges Anerkenntnis mit Zug-um-Zug Einschränkung erklären, BGH MDR 2016, 232; BGH MDR 2007, 858 f. bei einer zunächst unschlüssigen Klage; Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Unschlüssige Klage“). b) Erfüllung Umstritten ist die Frage, ob das sofortige Anerkenntnis bei einer fälligen Geldschuld auch erfordert, die Forderung zu erfüllen (dagegen die wohl hM: BGH NJW 1979, 2041; HansOLG ZMR 2008, 714; OLG München MDR 2003, 1134; Celle OLGR 1994, 159; dafür: OLG Köln MDR 1992, 813 – Überweisungsauftrag reicht; OLG Hamm MDR 1985, 505; Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Geldschulden“).
16
K
Praxistipp: Will der Beklagte sichergehen, sollte nicht nur das Anerkenntnis bereits in der Vertretungsanzeige erklärt, sondern der Anspruch auch sofort erfüllt werden.
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Bei hohen Streitwerten und für den Fall, dass Veranlassung zur Klage gegeben sein könnte, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn der Beklagte vorprozessual mit der Hauptforderung in Verzug war, den Anspruch bestritten oder die Leistung verweigert hat (KG ZMR 2008, 447, 448) empfiehlt sich zu prüfen, ob nicht noch vor dem ersten Termin die Forderung erfüllt werden kann. Nach erfolgter Erfüllung muss der Kläger die Hauptsache für erledigt erklären. Das zieht zwar die Kostenfolge des § 91a ZPO nach sich; der Streitwert bemisst sich jedoch bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers nach den bis zur Erledigung entstandenen Kosten (vgl. BGH WuM 2008, 35). Über die Erfüllung kann das Kostenrisiko demnach stark reduziert werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass Veranlassung zur Klageerhebung gegeben wurde.
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c) Flucht in das Ruhen des Verfahrens, die Güteverhandlung und die Säumnis Will sich der Beklagte verteidigen und ist die vom Gericht gesetzte Frist für die Klageerwiderung bereits abgelaufen, besteht die Gefahr, dass sämtlicher Vortrag als verspätet zurückgewiesen wird. Es empfiehlt sich daher, vor Eintritt in die Güteverhandlung zu erklären, „ich erscheine zur Güteverhandlung nicht“, was unter den Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 ZPO das Ruhen des Verfahrens zur Folge hat. Dies wiederum kann genutzt werden, um nunmehr vollständig vorzutragen. Liegen die Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 ZPO nicht vor, ist zweckmäßigerweise auf eine außergerichtliche Streitschlichtung gem. § 278 Abs. 5 ZPO hinzuwirken, um den dadurch entstehenden Zeitvorteil für weiteren Vortrag zu nutzen. Gelingt dies nicht, ist – wie bisher – zu empfehlen, im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufzutreten, ein Versäumnisurteil ergehen zu lassen und in der Einspruchsbegründung vollständig vorzutragen. Die Kosten der Säumnis hat der Beklagte allerdings zu tragen (§ 344 ZPO).
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II. Verweisungsanträge 1. Verweisung an die Kammer für Handelssachen Voraussetzung sind: Eine Handelssache iSv. § 95 GVG und ein Verweisungsantrag des Beklagten spä- 20 testens in der Klageerwiderung (§ 101 GVG), wobei nach der wohl hM auch der vor Ablauf der verlängerten Klageerwiderungsfrist gestellte Verweisungsantrag fristgerecht ist (OLG München MDR 2009, 946; Zöller/Lückemann § 101 GVG Rz. 1 mwN). Danach kann der Antrag nur noch bis zur Verhandlung des Beklagten zur Sache und Entschuldigung der Verspätung entsprechend § 296 Abs. 3 ZPO gestellt werden.
Assies 413
ZPO
Klageerwiderung
Kap. 20 Rz. 21
Klageerwiderung
Praxistipp: Im Hinblick auf die aA (vgl. LG München MDR 2009, 647; LG Heilbronn MDR 2003, 231) sollte der Verweisungsantrag bereits vor Ablauf der ersten Erwiderungsfrist gestellt werden.
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Wichtig: Mit „Verhandlung zur Sache“ ist nicht eine Verhandlung zur Hauptsache gemeint, sondern jede Verhandlung, die sich nicht nur auf Prozessförmlichkeiten und prozessuale Vorfragen bezieht, sondern die Prozesserledigung fördern soll (Zöller/Lückemann § 101 GVG Rz. 1).
ZPO
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23 Stützt der Beklagte seinen Verweisungsantrag darauf, dass er zum Zeitpunkt der Klageerhebung Kaufmann war (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG), muss er – soweit nicht die Eintragung aufgrund Sondervorschrift entbehrlich ist – im Handels- oder Genossenschaftsregister eingetragen sein (§ 98 Abs. 1 Satz 2 GVG).
24 K
Praxistipp: Zum Beweis für die Kaufmannseigenschaft aktuellen Registerauszug beifügen.
25 Das streitige Rechtsgeschäft muss eine Handelssache sein. Wenn der Kläger seinen Anspruch auf mehrere Gründe stützt, müssen bei allen Anspruchsgrundlagen die Voraussetzungen des § 95 GVG vorliegen, bei objektiver Klagehäufung müssen demnach alle Ansprüche Handelssachen iSv. § 95 GVG sein, bei subjektiver Klagehäufung muss die Kaufmannseigenschaft bei allen Beklagten gegeben sein (Zöller/Lückemann § 95 GVG Rz. 2), es sei denn, der Beklagte wird – neben der OHG – als Gesellschafter der OHG persönlich gem. § 128 HGB in Anspruch genommen.
26 Entscheidungen über Verweisungsanträge sind unanfechtbar (§ 102 Satz 1 GVG). 27 K
Wichtig: Fristen, die vor einer Verweisung gesetzt worden sind, laufen weiter, zB die Frist für die Klageerwiderung (OLG Frankfurt NJW-RR 1993, 1084).
2. Verweisung an die Zivilkammer
28 Hat der Kläger die Kammer für Handelssachen angerufen, obwohl keine Handelssache iSv. § 95 GVG gegeben ist (Fall des § 97 Abs. 1 GVG), oder wird die Kammer für Handelssachen nachträglich durch eine Klageänderung oder die Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage, die nicht die Voraussetzungen des § 95 GVG erfüllen, unzuständig (Fälle des § 99 GVG), erfolgt die Verweisung nur auf Antrag; der Antrag muss vor der Verhandlung zur Sache gestellt werden.
29 Wenn bei objektiver Klagehäufung ein Teil der Ansprüche keine Handelssache ist, kann vom Beklagten eine Prozesstrennung nach § 145 ZPO angeregt und eine Verweisung des Teils des Rechtsstreits, der keine Handelssache ist, an die Zivilkammer beantragt werden (MüKo.ZPO/Wolf § 97 GVG Rz. 7; Zöller/Lückemann § 95 GVG Rz. 2); die zu verweisenden Ansprüche müssen genau bezeichnet werden.
30 Stellt von mehreren Beklagten nur einer einen Verweisungsantrag mit der Begründung, die Kammer für Handelssachen sei für ihn nicht zuständig, wirkt dieser Antrag nur für ihn; die Kammer für Handelssachen trennt nur die Sache gegen ihn ab, falls die weiteren Voraussetzungen des § 145 ZPO vorliegen, sich die Verweisung mit den Grundsätzen der §§ 96 Abs. 1, 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 und 99 ZPO vereinbaren lassen. Ist eine Trennung nicht möglich, wird der Rechtsstreit insgesamt verwiesen.
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Assies
Klageerwiderung
Rz. 35 Kap. 20
M 20.3 Klageerwiderung und Antrag auf Verweisung an eine Zivilkammer/an eine
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Kammer für Handelssachen An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Vorab beantrage ich, den Rechtsstreit an die sachlich zuständige Zivilkammer/an die sachlich zuständige Kammer für Handelssachen zu verweisen. Begründung: … Kosten: Gericht: Das frühere erstinstanzliche Verfahren ist kostenrechtlich Teil des Verfahrens vor dem Gericht, an das verwiesen worden ist (§ 4 Abs. 1 GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; das frühere erstinstanzliche Verfahren und das Verfahren vor dem Gericht, an das verwiesen worden ist, sind ein Rechtszug (§ 20 Satz 1 RVG).
III. Übertragung auf die Kammer/den Einzelrichter In der Klageerwiderung (nicht in der Vertretungs- und Verteidigungsanzeige) sollte der Beklagte sich dazu äußern, ob er im Rahmen von § 348 Abs. 3 ZPO eine Entscheidung durch die Kammer anregt (§ 348 Abs. 3 Nr. 1, 2 ZPO) und/oder beantragt (§ 348 Abs. 3 Nr. 3 ZPO) bzw. ob er im Rahmen von § 348a Abs. 1 ZPO mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter einverstanden ist oder ob einer Übertragung Gründe entgegenstehen (s. M 20.4).
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In manchen Fällen ist es wegen des Sechs-Augen-Prinzips, das für Kammerentscheidungen gilt, geboten, eine Entscheidung durch die Kammer anzuregen und/oder zu beantragen: Schwierige Rechtsfragen aus einem entlegenen Sachgebiet; Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung; komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge; ein sogenannter Musterprozess für bereits absehbar folgende parallele Fallgestaltungen; voraussichtliches Erfordernis einer umfangreichen Beweisaufnahme mit ggf. schwieriger Beweiswürdigung; Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber, so dass eine Güteverhandlung mit der Autorität der Kammer mehr Erfolg verspricht, und/oder der außergewöhnliche Umfang der Sache.
33
Der Beschluss, mit dem eine Übernahme des Rechtsstreits durch die Kammer abgelehnt bzw. der Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen wird, ist unanfechtbar (§ 348 Abs. 4 bzw. § 348a Abs. 3 ZPO).
34
Die Zustimmung zur Übertragung auf den Einzelrichter ist nicht endgültig. Bei einer „wesentlichen Änderung der Prozesslage“ (§ 348a Abs. 2 ZPO) kommt eine Übernahme durch die Kammer in Betracht, zB bei einer Klageänderung, einer Haupt- oder Hilfsaufrechnung oder bei Erhebung einer Widerklage. Gleiches gilt, wenn die Parteien die Übernahme durch die Kammer übereinstimmend beantragen (§ 348a Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
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Assies 415
ZPO
M 20.3
ZPO
Kap. 20 Rz. 36
Klageerwiderung
M 20.4
36 M 20.4 Klageerwiderung und Äußerung zur Übertragung auf die Kammer/
auf den Einzelrichter An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Die Sache sollte auf die Kammer1 (alternativ: nicht auf den Einzelrichter)2 übertragen werden; wegen des ganz außergewöhnlichen Umfangs der Sache3 rege ich eine Entscheidung durch die Kammer an. Begründung: … Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Wenn es um § 348 Abs. 3 ZPO geht. 2 Wenn es um § 348a Abs. 1 ZPO geht. 3 Hier sollte eine Spezifizierung der streitigen Positionen erfolgen, damit der Antrag mit Substanz ausgefüllt ist.
IV. Gegenantrag 1. Bei Einrede der Zug-um-Zug-Leistung
37 Es kann angezeigt sein, dass sich der Beklagte seine Gegenforderung sichert und die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§§ 273, 1000, 2022 BGB; § 369 HGB) oder des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) erhebt. Hat die Einrede Erfolg, wird die Klage zwar nicht abgewiesen, sie führt jedoch zu einer Verurteilung nur Zug um Zug (§§ 274 Abs. 1, 322 Abs. 1 BGB).
38 K
Wichtig: Sowohl das Zurückbehaltungsrecht als auch die Einrede des nicht erfüllten Vertrages müssen im Prozess geltend gemacht werden; sie werden nicht von Amts wegen berücksichtigt (BGH NJW 2006, 2839, 2842).
39 Wenn der Beklagte in erster Linie den geltend gemachten Klaganspruch angreifen will und eine Verurteilung Zug um Zug nur in zweiter Linie anstrebt, ist die Einrede hilfsweise zu erheben.
40 M 20.5 Klageerwiderung mit hilfsweisem Antrag zur Verurteilung Zug um Zug An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Hilfsweise werde ich beantragen, den Beklagten nur Zug um Zug gegen Übertragung des Eigentums am Pkw … mit der FahrgestellNr. … und Herausgabe des Fahrzeugbriefs und der Schlüssel an den Beklagten zu verurteilen.1,2
416
Assies
M 20.6
Klageerwiderung
Rz. 43 Kap. 20
Begründung:
ZPO
… Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Die Leistung muss so genau bezeichnet werden, dass sie unverwechselbar ist; der Titel ist sonst nicht vollstreckbar (§ 756 ZPO). 2 Bei beweglichen Sachen genügt der Antrag auf Übertragung des Eigentums. Bei Grundstücken sollte der Antrag lauten: „… nur Zug um Zug gegen Auflassung des im Grundbuch von … eingetragenen Grundstücks Flurstück … und Bewilligung der Eintragung des Beklagten im Grundbuch“; um Zweifel im Falle der Vollstreckung zu beseitigen, empfiehlt es sich allerdings, nicht die Auflassung selbst, sondern das formwirksame (§ 311b BGB) Angebot auf Einigung des Eigentumsübergangs am – genau bezeichneten – Grundstück zum Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts zu machen (§ 756 ZPO; vgl. auch Kap. 46 Rz. 55 ff. sowie Kap. 15 Rz. 102, 257).
Ist die Einrede das einzige Mittel der Verteidigung, sollte der Beklagte den Klaganspruch unter Hinweis auf die von ihm begehrte Verurteilung Zug um Zug anerkennen, bei sofortigem Anerkenntnis kommt eine Kostenentscheidung nach § 93 ZPO in Betracht (Zöller/Herget § 93 ZPO „Einwendungen“; zur Verteilung der Kostenlast beim Zug-um-Zug-Urteil s. Hensen NJW 1999, 395).
41
M 20.6 Teil-Anerkenntnis und Antrag auf Verurteilung nur Zug um Zug
42
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) … wird der Klaganspruch mit der Maßgabe anerkannt, dass der Beklagte zur Zahlung nur Zug um Zug gegen Beseitigung folgender Mängel verurteilt wird: …1 Begründung: … Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Es folgt eine genaue Bezeichnung der Mängel.
2. Bei teilweisem Anerkenntnis oder teilweiser Erfüllung a) Teilweises Anerkenntnis Bei einem Teilanerkenntnis ist der Teil des Anspruchs, der anerkannt werden soll, genau zu bezeichnen. Macht der Kläger mehrere Ansprüche geltend, ist genau anzugeben, welcher Einzelanspruch anerkannt wird. Wird das Teilanerkenntnis erst in der Klageerwiderung erklärt, weil der geltend gemachte Anspruch erst nach erfolgter Vertretungs- und Verteidigungsanzeige – aufgrund weiterer eingetretener klagebegründender Tatsachen – teilweise begründet ist, etwa weil erst nach Abgabe der Vertretungs- und Verteidigungsanzeige der Anspruch teilweise fällig geworden ist (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 1993, 126), wird über die Kosten bei streitiger Reststreitentscheidung im Schlussurteil entschieden. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen vor, die der Beklagte in der Klageerwiderung darlegen und gegebenenfalls beweisen muss, kommt ihm in Höhe seines Anerkenntnisses die Regelung des § 93 ZPO zugute. Allerdings trifft den Beklagten nach wohl herrschender Meinung bei einem Teilanerkenntnis das Risiko, zu wenig anzuerkennen, da er zu Teilleistungen iS des § 266 BGB nicht berechtigt ist (Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Teilleistungen“); bleibt also der anerkannte TeilAssies 417
43
ZPO
Kap. 20 Rz. 44
Klageerwiderung
M 20.7
betrag nicht nur geringfügig hinter dem begründeten Anspruch zurück, greift § 93 ZPO nicht, es sei denn, der Gläubiger dürfte gem. § 242 BGB die Teilleistung ausnahmsweise nicht ablehnen.
44 M 20.7 Klageerwiderung und Teilanerkenntnis An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) wird der geltend gemachte Anspruch iHv. … Euro nebst Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … unter Protest gegen die Kosten anerkannt.1 Soweit der Anspruch nicht anerkannt wird, werde ich beantragen, die Klage abzuweisen. Begründung: … Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Ein Antrag ist nicht erforderlich, da das Gericht von Amts wegen über die Kosten entscheidet; die Ankündigung, die Kostenfolge des § 93 ZPO herbeiführen zu wollen, ist jedoch sinnvoll.
b) Teilweise Erfüllung
45 In Betracht kommt auch, dass der Beklagte den Anspruch nach Rechtshängigkeit teilweise erfüllt. 46 M 20.8 Klageerwiderung und Mitteilung von der teilweisen Erfüllung nach
Rechtshängigkeit An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) … hat der Beklagte den Anspruch iHv. … erfüllt; der Kostenanspruch wird anerkannt … oder … der Beklagte wird sich der Teilerledigungserklärung des Klägers unter Protest gegen die Kosten anschließen.1 Soweit der Beklagte den Anspruch nicht erfüllt hat, werde ich beantragen, die Klage abzuweisen. Begründung: … Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Liegen alle Voraussetzungen für ein berechtigtes Zahlungsverlangen des Klägers vor, ist der Kostenanspruch des Klägers unter Kostengesichtspunkten anzuerkennen. Hat der Beklagte vorprozessual keine Veranlassung zur Klage gegeben, was in der Klageerwiderung darzulegen und unter Beweis zu stellen ist, kann in der § 91a ZPO-Entscheidung – der Kläger wird nach Erfüllung den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklären und der Beklagte wird sich der Erledigungserklärung anschließen – der Rechtsgedanke des § 93 ZPO zum Tragen kommen.
418
Assies
K
Klageerwiderung
Rz. 51 Kap. 20
Wichtig: Die Erfüllung des Anspruchs sollte unter Beweis gestellt werden, weil nicht auszuschließen ist, dass der Kläger die Erfüllung bestreitet.
47
ZPO
M 20.9
3. Vorbehalt der Haftungsbeschränkung Wird der Erbe (zum weiteren Personenkreis s. Zöller/Geimer § 780 ZPO Rz. 5) für Nachlassverbindlichkeiten in Anspruch genommen und kommt eine beschränkte Haftung in Betracht, ist ein Antrag auf Haftungsvorbehalt zu stellen; es kann sonst in das eigene Vermögen des Erben vollstreckt werden (§ 780 ZPO). Ist das Urteil rechtskräftig, ohne dass der Haftungsvorbehalt geltend gemacht worden ist, ist eine Beschränkung nicht mehr möglich. Der Haftungsvorbehalt wird nur auf entsprechende Einrede in das Urteil aufgenommen; ein besonderer Antrag ist zwar nicht erforderlich, das Begehren des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung muss jedoch spätestens bis zum Schluss der letzten Tatsachenverhandlung geltend gemacht werden. Ist die Sache revisibel, kann die Revision nicht allein mit dem Ziel durchgeführt werden, die Haftungsbeschränkung auszusprechen (BGH BGHZ 54, 204 = MDR 1970, 832). Dem Erben bleibt, verstirbt der Beklagte nach Beendigung der Tatsacheninstanz, nur die Möglichkeit der Klage aus § 767 ZPO. Das gilt auch für den Fall, dass die Partei nach Rechtskraft der Entscheidung verstirbt (Zöller/Herget § 767 ZPO Rz. 12 „Miterben“). S. im Übrigen auch Kap. 89 Rz. 118 ff.
48
Wird die Einrede durch das Gericht übergangen, ist Urteilsergänzung gem. § 321 ZPO zulässig.
49
K
Wichtig: Ist der Vorbehalt gem. § 780 ZPO im Rechtsstreit vom Beklagten geltend gemacht wor- 50 den und wird der Rechtsstreit verglichen, muss der Vorbehalt der Beschränkung der Haftung auch in den Vergleich aufgenommen werden (vgl. BGH MDR 1992, 195). Geschieht dies nicht, reicht auch nicht die Bezeichnung des Beklagten als Erbe, um die unbeschränkte persönliche Haftung auszuschließen.
M 20.9 Klageerwiderung und Vorbehalt der Haftungsbeschränkung
51
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Hilfsweise werde ich beantragen, dem Beklagten vorzubehalten, seine Haftung auf den Nachlass des am … verstorbenen … (Name des Erblassers) zu beschränken. Begründung: … Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Assies 419
Kap. 20 Rz. 52
Klageerwiderung
ZPO
V. Inhaltliche Klageerwiderung 1. Rügen gegen die Zulässigkeit der Klage
52 Der Beklagte kann sich gegen die Zulässigkeit der Klage wehren. 53 Checkliste: Rügen gegen die Zulässigkeit der Klage l Zulässigkeit des Rechtswegs l Der Zivilrechtsweg ist zulässig: – bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten iS des § 13 GVG. – kraft Zuweisung, zB für Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung gem. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG; weitere Beispiele Zöller/Lückemann § 13 GVG Rz. 55 ff. – kraft sog. Ersatzzuweisung gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG. l Der Zivilrechtsweg ist unzulässig: – wenn aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt sind, zB die Zuweisung an die Arbeitsgerichte (§§ 2, 2a, 3 ArbGG) oder an die Patentgerichte. – wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des § 40 Abs. 1 VwGO vorliegt. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs führt nicht zur Klagabweisung, vielmehr wird der Rechtsstreit von Amts wegen an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verwiesen (§ 17a Abs. 2 GVG). Zur Bindungswirkung der Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs vgl. BGH MDR 2013, 1242.
54 l Zuständigkeit des Gerichts l Internationale Zuständigkeit – Aufgrund staatsvertraglicher Regelung (zB EuGVVO, s. Kap. 101 Rz. 19 ff., oder Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – EuGVÜ, BGBl. II 1972, 774). – Aufgrund Sonderbestimmung (zB §§ 98–105 FamFG). – Aufgrund einer allgemeinen Zuständigkeit gem. § 12 ff. ZPO, die die internationale Zuständigkeit indiziert. l Örtliche Zuständigkeit – Ausschließliche Zuständigkeit (Überblick bei Zöller/Schultzky § 40 ZPO Rz. 8, 10), die allen anderen Gerichtsständen vorgeht (§ 12 letzter Halbs. ZPO). – Zuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 ZPO). – Allgemeine Zuständigkeit gem. § 12 ff. ZPO, anderen Vorschriften der ZPO und Sondergesetzen (vgl. Zöller/Schultzky § 12 ZPO Rz. 6, 7). – zur Bindungswirkung der Verweisung durch das unzuständige Gericht vgl. BGH MDR 2013, 481. l Sachliche Zuständigkeit – Zuständigkeit des Amtsgerichts gem. §§ 23, 23a, 27 GVG und innerhalb des Amtsgerichts die Zuständigkeit des Familiengerichts gem. § 23b GVG.
420
Assies
Klageerwiderung
Rz. 61 Kap. 20
ZPO
– Zuständigkeit des Landgerichts gem. § 71 GVG u.a. Sondergesetzen (§ 19 Abs. 3 BNotO; Überblick bei Zöller/Schultzky § 40 ZPO Rz. 9, 10). – Zuständigkeit des OLG gem. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG. – Zuständigkeit des BGH gem. § 201 Abs. 1 Satz 2 GVG. l Zuständigkeit eines Schiedsgerichts
55
– aufgrund einer Schiedsvereinbarung der Parteien (§ 1029 ZPO). – aufgrund Satzung.
K
Wichtig: Es erfolgt keine Verweisung an das Schiedsgericht; die begründete Einrede der Schiedsvereinbarung führt zur Abweisung der Klage als unzulässig (§ 1032 ZPO).
l Rüge der anderweitigen Rechtshängigkeit
56
Die Rechtshängigkeit hat zur Folge, dass die Streitsache nicht anderweitig anhängig gemacht werden darf (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Entscheidend ist die Identität der Streitsache, die sich nach der Lehre vom Streitgegenstand richtet (vgl. Zöller/G. Vollkommer Einl. Rz. 60 ff.). l Rüge der Rechtskraft
57
Ist über eine Klage rechtskräftig entschieden, so ist eine neue Klage, mit der dieselbe oder die gegenteilige Rechtsfolge verfolgt wird, unzulässig (§ 322 Abs. 1 ZPO; BGH NJW 2004, 1252; Zöller/G. Vollkommer vor § 322 Rz. 19, 21). Vgl. zum Umfang der materiellen Rechtskraft bei – Klageabweisung mangels Fälligkeit: BGH MDR 2011, 1252; – teilbaren Ansprüchen: BGH ZfIR 2012, 759; – Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs: BGH ZInsO 2012, 2406; – Gestaltungsrechten: NJW 2004, 1252). Entscheidungen von Gerichten der früheren DDR, die vor dem 3.10.1990 rechtskräftig geworden sind, bleiben wirksam (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EinigungsV). l Kostenrügen
58
§ 110 ZPO, sog. Ausländersicherheit; gilt auch für Personenvereinigungen und juristische Personen.
K
Wichtig: Die Rüge muss grundsätzlich schon im ersten Rechtszug vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache erhoben werden, und zwar für alle Rechtszüge (BGH NJW-RR 2005, 148); beachte dazu Rz. 65.
Die mangelnde Kostenerstattung eines durch Klagerücknahme erledigten Vorprozesses (§ 269 Abs. 6 ZPO). l Rüge der Parteifähigkeit
59
l Rüge der Prozessfähigkeit
60
Der Mangel wird geheilt, wenn der zu bestellende gesetzliche Vertreter oder die nachträglich prozessfähig gewordene Partei die bisherige Prozessführung im Ganzen genehmigt. l Rüge der gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 51 ZPO) und der Vollmacht
61
Die ohne gesetzliche Vertretungsmacht erhobene Klage ist als unzulässig abzuweisen (Zöller/Althammer § 51 ZPO Rz. 8). Ergibt sich der Mangel erst im Laufe des Rechtsstreits, ist der vollmachtlose Vertreter zurückzuweisen; gegen die dann nicht mehr vertretene Partei kann Versäumnisurteil ergehen (Zöller/Althammer § 56 ZPO Rz. 13).
Assies 421
Kap. 20 Rz. 62
Klageerwiderung
ZPO
Dem Gegner muss der Bevollmächtigte eine Vollmacht immer dann nachweisen, wenn der Gegner es verlangt; dem Gericht gegenüber immer dann, wenn der Bevollmächtigte kein Rechtsanwalt ist oder wenn die Vollmacht bemängelt wird (§ 88 ZPO).
K
Wichtig: Die Rüge mangelnder Vollmacht kann in jedem Stadium des Prozesses erhoben werden (§ 88 Abs. 1 ZPO).
62 l Rüge der Postulationsfähigkeit 63 l Rüge der Prozessführungsbefugnis Abweichungen vom „Normalfall“ (s. dazu Kap. 14) bei: – Gesetzlicher Prozessstandschaft, dh. Prozessführung kraft Amtes oder kraft gesetzlicher Ermächtigung aus dem Prozessrecht oder dem materiellen Recht. – Verbandsklage (Einzelheiten bei Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 58 f.). – Gewillkürter Prozessstandschaft, die eine Ermächtigung zur Prozessführung und ein schutzwürdiges Interesse des Prozessstandschafters an der Geltendmachung des fremden Rechts voraussetzt. Gegenüber Manipulationen bei der Parteistellung (Ansprüche werden vom Rechtsinhaber an einen Dritten abgetreten, um als Zeuge auftreten zu können; Klage einer vermögenslosen Partei als Prozessstandschafter, um das Prozesskostenrisiko auszuschließen) werden vorgeschlagen: Fehlen einer wirksamen Ermächtigung (vgl. Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 45), Verneinung eines schutzwürdigen Interesses (BGH NJW 2009, 1213, 1215; Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rz. 44), Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung (BGH NJW-RR 1988, 126, 127). Aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit ist für den Fall der Zeugenvernehmung des Rechtsträgers die Gegenpartei zum Gegenbeweis mittels Parteivernehmung entgegen § 447 ZPO und auch ohne Einverständnis des Prozessstandschafters zuzulassen.
64 l Rüge des Rechtsschutzinteresse Bei der Feststellungsklage ist das Rechtsschutzinteresse besonders zu begründen (vgl. § 256 ZPO).
65 K
Wichtig: Verzichtbare Rügen (= Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, Schiedsvereinbarung, fehlende Ausländersicherheit, fehlende Kostenerstattung) müssen innerhalb der Frist für die Klageerwiderung, spätestens vor Antragstellung geltend gemacht werden; danach werden sie gem. §§ 282 Abs. 3, 296 Abs. 3 ZPO in jedem Fall zurückgewiesen. Alle anderen Rügen müssen ebenfalls innerhalb der Frist für die Klageerwiderung, spätestens vor Stellung der Anträge vorgebracht werden; es droht sonst Zurückweisung gem. § 296 Abs. 1 ZPO.
66 K
Wichtig: Ist dem Beklagten im Vorprozess der Streit verkündet worden, und ist der Beklagte im Vorprozess nicht beigetreten, muss die Rüge, die die Zulässigkeit der Streitverkündung betrifft, in der ersten mündlichen Verhandlung im Regressprozess erhoben werden (BGH NJW 1986, 848); andernfalls tritt die Streitverkündungswirkung ein! (vgl. Kap. 19 Rz. 7, 12).
2. Erwiderung auf die Anspruchsbegründung
67 Der Beklagte kann die vom Kläger behaupteten Tatsachen zugestehen. Die Tatsache, dass ein Vorbringen nicht bestritten wird, wird als Zugeständnis fingiert (§ 138 Abs. 3 ZPO).
68 Der Beklagte kann sich zu den vom Kläger behaupteten Tatsachen erklären. Der Umfang der Darlegungslast richtet sich nach dem Umfang des Vortrags des Klägers, soweit er darlegungs- und beweisbelastet ist (BGH MDR 1999, 696). Erfüllt der Kläger die ihm obliegende Substantiierungslast, muss sich auch der Beklagte substantiiert äußern, dh. er muss sein Bestreiten mit einer genauen Darstel422
Assies
Klageerwiderung
Rz. 74 Kap. 20
ZPO
lung der abweichenden Tatsachen versehen (substantiiertes Bestreiten). Substantiiertes Bestreiten ist auch dann erforderlich, wenn dem Kläger eine Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, weil nur der Beklagte die Verhältnisse kennt (BGH MDR 2010, 926, 927; Zöller/Greger vor § 284 ZPO Rz. 34). Ist eine sekundäre Darlegungslast gegeben, genügt das einfache Bestreiten nicht (vgl. Einzelheiten bei Zöller/Greger § 138 ZPO Rz. 8a, 8b und vor § 284 ZPO Rz. 34). Sind aber die Behauptungen des Klägers unsubstantiiert oder hat der Kläger die für ein substantiiertes Bestreiten des Beklagten erforderliche Informationsbeschaffung verhindert, genügt einfaches Bestreiten. Behauptet der Kläger Tatsachen, die weder eigene Handlungen des Beklagten noch Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen sind, kann der Beklagte mit Nichtwissen bestreiten (§ 138 Abs. 4 ZPO). Den Handlungen und Wahrnehmungen des Beklagten stehen die seiner gesetzlichen Vertreter gleich. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist auch dann unzulässig, wenn sich die Partei das fehlende Wissen in zumutbarer Weise beschaffen kann (vgl. BGH SVR 2007, 177). Der Bundesgerichtshof nimmt eine Erkundigungspflicht an, wenn es sich um Vorgänge im Bereich einer anderen Person oder Firma handelt, die unter Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung des Beklagten tätig geworden ist (vgl. BGH NJW-RR 2009, 1666 f.).
69
Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung eigene Einwendungen und Einreden vorbringt, gilt: Er muss in der Klageerwiderung alle zur Begründung erforderlichen Tatsachen vorbringen; es droht sonst Verspätung.
70
Da nach §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 1–3 ZPO neue Tatsachen und Beweismittel in zweiter Instanz nur noch sehr eingeschränkt zugelassen sind, muss äußert sorgfältig darauf geachtet werden, dass vollständig vorgetragen wird und die Richtigkeit der Behauptungen, die die Verteidigung begründen, unter Beweis gestellt werden.
71
Einen bestimmten Aufbau für die Klageerwiderung gibt es nicht. Bewährt hat sich eine Aufteilung in einen ersten Teil (I.), der sich mit der Sachdarstellung des Klägers auseinandersetzt und in einen zweiten Teil (II.), der sich mit den Rechtsausführungen des Klägers befasst; dabei ist darauf zu achten, sich nicht die Gliederung des Klägers aufzwingen zu lassen, sondern eine eigene Darstellung des Sachverhalts und der Rechtsfragen zu bringen. Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, sollten zu Beginn des zweiten Teils behandelt werden. Eigene Einwendungen und Einreden des Beklagten können im dritten Teil (III.) gebracht werden. Ist der Streitstoff umfangreich (Bauprozess!), hilft es, die einzelnen Positionen entsprechend der obigen Gliederung zu behandeln und den jeweiligen streitigen Posten vorab als vorgezogene kurz gefasste Darstellung des Streits erläutern.
72
VI. Vollstreckungsschutzantrag Der Beklagte kann als Schuldner Vollstreckungsschutz gem. § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO (M 20.10) oder § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO (M 20.11) beantragen. § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einschlägig, wenn der Beklagte zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in der Lage ist; der Kläger kann dann trotz eigener Sicherheitsleistung nicht vollstrecken. Ist der Beklagte zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung außerstande, greift § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO; die vorläufige Vollstreckbarkeit kann ausgeschlossen oder auf die in § 720a Abs. 1 und Abs. 2 ZPO genannten Sicherungsmaßnahmen beschränkt werden.
73
Bei Urteilen, die unter § 708 ZPO fallen (also ohne Sicherheitsleistung durch den Kläger vorläufig vollstreckbar sind), kann ausnahmsweise eine vorherige Sicherheitsleistung durch den Kläger angeordnet werden, wenn auf Seiten des Beklagten ein nicht zu ersetzender Nachteil bejaht wird, eine Abwägung der widerstreitenden Interessen jedoch ergibt, dass das Vollstreckungsbegehren des Klägers überwiegt (§ 712 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
74
Assies 423
Kap. 20 Rz. 75
Klageerwiderung
M 20.10
ZPO
75 Voraussetzungen sind – Vollstreckungsschutzantrag vor Schluss der mündlichen Verhandlung; ein erstinstanzlich vergessener Antrag kann in der Berufungsinstanz nachgeholt werden (vgl. BGH MDR 2012, 671). – Glaubhaftmachung (§ 714 ZPO). Bei § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss der Beklagte glaubhaft machen, dass ihm die Vollstreckung einen unersetzlichen Nachteil (zB weil eine Handlung wie Auskunft oder Widerruf vorzunehmen ist oder die Vernichtung oder Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz, die Einstellung des Geschäftsbetriebs oder die Räumung der Wohnung drohen) bringen würde. Bei § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO muss auch glaubhaft gemacht werden, dass der Beklagte zur Sicherheitsleistung oder zur Hinterlegung nicht in der Lage ist (zB Vermögenslosigkeit, Kreditunwürdigkeit). – Rechtsmittelfähiges Urteil (§ 713 ZPO).
76 K
Wichtig: Ist kein Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 ZPO gestellt worden, kann in der Revisionsinstanz auch nicht die Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 719 Abs. 2 ZPO begehrt werden (vgl. BGH MDR 2012, 671; Zöller/Herget § 719 ZPO Rz. 7).
77 Ist ein Vollstreckungsschutzantrag übergangen worden, muss Urteilsergänzung beantragt werden (§§ 716, 321 ZPO).
78 K
Praxistipp: Soll eine Sicherheit durch Erbringung einer Bankbürgschaft zugelassen werden – das gilt nicht nur im Fall des § 712 ZPO, sondern auch für alle anderen Fälle – muss kein entsprechender Antrag gestellt werden (§ 108 ZPO; s. im Übrigen Kap. 15 Rz. 289 ff. sowie M 15.59, die für die Klageerwiderung entsprechend gelten).
79 M 20.10 Klageerwiderung und Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 Abs. 1
Satz 1 ZPO An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, 1. die Klage abzuweisen, 2. dem Beklagten gem. § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Klägers abzuwenden. Begründung: … Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Vollstreckungsschutzantrag gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG), daher keine besonderen Gebühren.
424
Assies
Rz. 1 Kap. 21
M 20.11 Klageerwiderung und Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 Abs. 1
80
Satz 2 ZPO An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, 1. die Klage abzuweisen, 2. das Urteil gem. § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO für nicht vorläufig vollstreckbar zu erklären, hilfsweise die Zwangsvollstreckung nach Maßgabe der § 720a Abs. 1 und 2 ZPO zu beschränken, da der Beklagte zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist. Begründung: … Kosten: s. Anm. zu M 20.10.
Kapitel 21 Widerklage, Aufrechnung I. 1. 2. 3.
Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . Erhebung der Widerklage . . . . . . . . . . . . . . a) Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.1 Klageerwiderung und Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Negative Feststellungswiderklage und Zwischenfeststellungswiderklage . . . . . . M 21.2 Klageerwiderung und negative Feststellungswiderklage . . . . . . . c) Hilfswiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.3 Klageerwiderung und Hilfswiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.4 Klageerwiderung, Widerklage und Hilfswiderklage . . . . . . . . . d) Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.5 Klageerwiderung, Widerklage, Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 15 15 16 17 21 22 26 28 29 34
4. 5. II. 1. 2. 3. 4. 5. III. 1. 2.
e) Drittwiderklage auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . . Sachliche und internationale Zuständigkeit Gebührenstreitwert und Kosten . . . . . . . . . Aufrechnung im Prozess (Prozessaufrechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärung der Aufrechnung, Hilfsaufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung der Prozessaufrechnung . . . . . . . Gebührenstreitwert und Kosten . . . . . . . . . Berufungsfragen und Beschwer . . . . . . . . . Prozessaufrechnung und Widerklage . . . . Prozessaufrechnung und unbedingte Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessaufrechnung und Hilfswiderklage . . M 21.6 Klageerwiderung, Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage . . . . . . . . . . .
39 39 41 45 45 52 57 65 70 76 78 79 80
I. Widerklage 1. Allgemeines Die Bedeutung der Widerklage und ihr sinnvoller Einsatz werden häufig übersehen. Sie kann maßgeblich zu einer Konzentration des Rechtsstreits beitragen und damit prozessökonomisch wirken. EiAssies/Jaspersen
425
1
ZPO
Widerklage, Aufrechnung
Rz. 1 Kap. 21
M 20.11 Klageerwiderung und Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 Abs. 1
80
Satz 2 ZPO An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, 1. die Klage abzuweisen, 2. das Urteil gem. § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO für nicht vorläufig vollstreckbar zu erklären, hilfsweise die Zwangsvollstreckung nach Maßgabe der § 720a Abs. 1 und 2 ZPO zu beschränken, da der Beklagte zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist. Begründung: … Kosten: s. Anm. zu M 20.10.
Kapitel 21 Widerklage, Aufrechnung I. 1. 2. 3.
Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . Erhebung der Widerklage . . . . . . . . . . . . . . a) Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.1 Klageerwiderung und Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Negative Feststellungswiderklage und Zwischenfeststellungswiderklage . . . . . . M 21.2 Klageerwiderung und negative Feststellungswiderklage . . . . . . . c) Hilfswiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.3 Klageerwiderung und Hilfswiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.4 Klageerwiderung, Widerklage und Hilfswiderklage . . . . . . . . . d) Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 21.5 Klageerwiderung, Widerklage, Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 15 15 16 17 21 22 26 28 29 34
4. 5. II. 1. 2. 3. 4. 5. III. 1. 2.
e) Drittwiderklage auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . . Sachliche und internationale Zuständigkeit Gebührenstreitwert und Kosten . . . . . . . . . Aufrechnung im Prozess (Prozessaufrechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärung der Aufrechnung, Hilfsaufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung der Prozessaufrechnung . . . . . . . Gebührenstreitwert und Kosten . . . . . . . . . Berufungsfragen und Beschwer . . . . . . . . . Prozessaufrechnung und Widerklage . . . . Prozessaufrechnung und unbedingte Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessaufrechnung und Hilfswiderklage . . M 21.6 Klageerwiderung, Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage . . . . . . . . . . .
39 39 41 45 45 52 57 65 70 76 78 79 80
I. Widerklage 1. Allgemeines Die Bedeutung der Widerklage und ihr sinnvoller Einsatz werden häufig übersehen. Sie kann maßgeblich zu einer Konzentration des Rechtsstreits beitragen und damit prozessökonomisch wirken. EiAssies/Jaspersen
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Kap. 21 Rz. 2
Widerklage, Aufrechnung
ner Divergenz von Entscheidungen über Klage und Widerklage wird vorgebeugt. Die Widerklage verlangt keinen Kostenvorschuss (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG). Sie führt zur Hemmung der Verjährung. Prozesstaktisch setzt sie – anders als andere prozessuale Gegenrechte – den Kläger unmittelbar unter Druck, der er nicht durch eine Klagerücknahme ausweichen kann. Soweit sich der Gebührenstreitwert erhöht (vgl. Rz. 41), wirkt dies wegen der Degression der Gebührentabelle kostensparend. Bei einer Teilklage kann der Beklagte mit der Widerklage eine rechtskraftfähige Entscheidung über den vollständigen Anspruch erreichen. Da die Rechtskraft eines Urteils präjudizielle Rechtsverhältnisse nicht erfasst, kann der Beklagte durch Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) im Wege der Widerklage, eine endgültige Klärung fördern.
2 Beispiel: Der Kläger begehrt Pachtzins für einen begrenzten Zeitraum, der Beklagte beruft sich auf eine wirksame Kündigung. Er muss widerklagend die Beendigung des Pachtverhältnisses durch eine Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) geltend machen, um einer erneuten Inanspruchnahme wegen weiterer Zeiträume vorzubeugen.
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Wichtig: Versäumt der Beklagtenvertreter es, hierauf hinzuweisen, liegt hierin ein Anwaltsverschulden, das ggf. schadensersatzpflichtig machen kann. Alternativ sollte überlegt werden, eine privatvertragliche Vereinbarung dahin zu erreichen, dass die Parteien die grundsätzlich nicht in Rechtskraft erwachsenden Gründe des Urteils auch für etwaige Folgeprozesse für verbindlich erachten.
4 Immer noch auffallend häufig verzichtet der Beklagte darauf, seine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Wege der Widerklage geltend zu machen (vgl. zB BGH NJW 2014, 2566 Rz. 24). Beachtlich ist insoweit, dass die Kosten streitwerterhöhend wirken sollen (OLG Rostock JurBüro 2013, 194). 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen
5 Zulässigkeitsvoraussetzung der Widerklage ist die fortdauernde, dh. nicht durch übereinstimmende Erledigung (§ 91a ZPO), Rücknahme (§ 269 ZPO) oder Prozessvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) beendete Rechtshängigkeit einer Hauptklage (BGH MDR 2009, 100 f.). Die Widerklage ist nicht an Einlassungsfristen gebunden; sie kann also bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung oder im schriftlichen Verfahren bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, erhoben werden (BGH NJW-RR 1992, 1085). Wird die mündliche Verhandlung geschlossen und Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt, eventuell mit der Einräumung eines Schriftsatznachlasses für den Beklagten gem. § 283 ZPO zur Erwiderung auf verspätetes Vorbringen des Klägers, so ist eine während dieser Frist erhobene Widerklage – vorbehaltlich einer Wiedereröffnung (§ 156 ZPO) – auch dann unbeachtlich, wenn sie dem Kläger zugestellt worden ist; es ergeht keine Entscheidung über eine solche Widerklage (OLG Hamburg MDR 1995, 526). Da eine Widerklage nicht unter die Angriffs- und Verteidigungsmittel gem. §§ 146, 282 ZPO fällt, kann mit ihr eine Präklusion unterlaufen werden (sog. „Flucht in die Widerklage“).
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Praxistipp: Der Kläger kann in einem solchen Fall darauf hinwirken, dass das Gericht Klage und Widerklage trennt, vorausgesetzt die geltend gemachten Forderungen stehen nicht in einem rechtlichen Zusammenhang (§ 145 Abs. 2 ZPO). Die Folge der Prozesstrennung wäre, dass das im Rahmen der Widerklagebegründung erfolgte Vorbringen, soweit es die Klage betrifft, verspätet sein und gem. § 296 ZPO zurückgewiesen werden kann.
7 Die Widerklage ist eine echte Klage; es gelten die allgemeinen Prozessvoraussetzungen. § 33 Abs. 1 ZPO beinhaltet keine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Widerklage in dem Sinne, dass zwischen Klage und Widerklage ein Zusammenhang (sog. Konnexität) bestehen muss (Zöller/Schultzky § 33 ZPO Rz. 1 mwN auch zur aA der älteren Rspr.). Vielmehr eröffnet § 33 Abs. 1 ZPO nur einen zusätzlichen besonderen Gerichtsstand für den Fall einer Konnexität. Diese ist immer gegeben, wenn die geltend gemachten Ansprüche aus dem gleichen Rechtsverhältnis hervorgehen (Zöller/Schultzky 426
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Widerklage, Aufrechnung
Rz. 13 Kap. 21
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§ 33 ZPO Rz. 4); ein lediglich tatsächlicher, zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang genügt nicht. Ausreichend ist, wenn zwischen einem Verteidigungsmittel des Beklagten und der Widerklage ein rechtlicher Zusammenhang besteht (Regelbeispiel: Der Beklagte erhebt Widerklage mit dem Teil der Gegenforderung, der durch die Aufrechnung noch nicht verbraucht ist). Versteht man § 33 ZPO nur als Zuständigkeitsregelung, ist eine Widerklage, für die ein ausschließlicher Gerichtsstand vorgeschrieben ist, nicht schlechthin unzulässig, sondern kann zulässig sein, wenn die Klage an dem ausschließlichen Gerichtsstand erhoben ist; § 33 Abs. 2 iVm. § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann dem nicht entgegenstehen. Entsprechendes gilt für eine Widerklage betreffend einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch, über den unabhängig vom Streitwert das Landgericht zu entscheiden hat (§ 33 Abs. 2 iVm. § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Für Rechtstreitigkeiten eines Verbrauchers aus einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (§ 312b BGB) ist § 29c Abs. 2 ZPO beachtlich. Ist das Gericht der Klage unzuständig für eine Entscheidung über die Widerklage, ist das Verfahren insoweit abzutrennen (§ 145 Abs. 2 ZPO) und bei entsprechendem Antrag an das zuständige Gericht zu verweisen, andernfalls als unzulässig abzuweisen.
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Wichtig: Fallen Klage und Widerklage in die Zuständigkeit einer Zivilkammer einerseits bzw. einer Kammer für Handelssachen andererseits, sind §§ 97 Abs. 2, 99 Abs. 2 GVG maßgeblich, was häufig verkannt wird.
Die Widerklage kann grundsätzlich nur der Beklagte erheben. Darüber hinaus wird dem Kläger im Rahmen der sog. Wider-Widerklage ein Klagerecht zugesprochen und dem Hauptintervenienten gem. § 64 ZPO. Ein Dritter – mag er auch Nebenintervenient auf Beklagtenseite sein – ist nicht widerklagebefugt. Die „Widerklage“ eines Dritten ist richtigerweise als eine eigenständige Klage zu verstehen und zu behandeln, für die die besonderen Widerklagevorschriften der §§ 33, 110 Abs. 2 Nr. 4, 260 Abs. 2 ZPO, § 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG, § 15a Abs. 2 Nr. 1 EGZPO nicht gelten.
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Gegenüber einem possessorischen Besitzschutzanspruch ist eine Widerklage gestützt auf ein Besitz- 11 recht nicht grundsätzlich ausgeschlossen (BGH NJW 1979, 1358; BGH NJW 1979, 1359, 1360). Das Gericht muss allerdings – worauf der Rechtsanwalt ggf. hinweisen muss – der Besitzschutzklage durch Teilurteil (§ 301 ZPO) stattgeben, sobald sie im positiven Sinne entscheidungsreif ist; es darf nicht erst Beweis über die Widerklageforderung erheben (BGH NJW 1979, 1359, 1360). Sind Besitzschutzklage und Widerklage gleichzeitig entscheidungsreif und begründet, soll die Besitzschutzklage abzuweisen sein und der Widerklage stattzugeben sein (arg. ex § 864 Abs. 2 BGB; aA MüKo.BGB/Joost § 863 BGB Rz. 10). Auf das einstweilige Verfügungsverfahren ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar (OLG Köln MDR 2000, 152; aA OLG Rostock OLG-NL 2001, 279: Gegenantrag analog § 33 ZPO zulässig; KG ZMR 2000, 818 f.: Inzidentprüfung). Im zweiten Rechtszug ist die Widerklage nur noch unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 533 ZPO möglich. Voraussetzung ist stets eine zulässige Berufung oder Anschlussberufung des Widerklägers.
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Wichtig: Unterliegt die Berufung des Klägers der Zurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO, wird 13 eine mit einer Anschlussberufung erhobene neue Widerklage des Beklagten entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos (BGH NJW 2014, 151). Entsprechendes gilt, wenn der Beklagte mit seiner Berufung eine neue Widerklage erhebt und die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird. Die hiermit verbundene Kostenfrage wird im erstgenannten Fall von den Gerichten unterschiedlich beantwortet. Der Rechtsanwalt muss gegenwärtigen, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Berufungsgerichte den Berufungskläger alle Kosten entsprechend § 524 ZPO tragen lässt, es sei denn, die Widerklageerhebung ist erst nach dem Hinweis iSv. § 522 Abs. 2 ZPO erfolgt (vgl. hierzu ausf. Baumert NJ 2014, 145, 149 mwN). Eine Problemlösung liegt darin, die Widerklage unter der auflösenden Bedingung einer Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO zu erheben (vgl. OLG Nürnberg NJW 2012, 3451).
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Kap. 21 Rz. 14
Widerklage, Aufrechnung
M 21.1
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14 Die Erhebung einer Widerklage ist nicht statthaft im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess (§ 595 Abs. 1 ZPO), wohl aber im Nachverfahren (vgl. Kap. 38 Rz. 38, 76, 98). Dem Arrest- und im einstweiligen Verfügungsverfahren ist eine Widerklage fremd; auch kann nicht widerklagend ein Arrest bzw. eine einstweilige Verfügung begehrt werden. Wohl aber kann eine Widerklage im Urkundenprozess erhoben werden (BGH MDR 2002, 406 mit Anm. Remmerbach auch zu den prozessualen Folgen). 3. Erhebung der Widerklage a) Normalfall
15 Im Normalfall wird die Widerklage wie im folgenden Muster erhoben. 16 M 21.1 Klageerwiderung und Widerklage An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen und den Kläger zu verurteilen, dem Beklagten 20.700 Euro nebst … Zinsen ab … zu zahlen. Begründung: … Kosten: Die Widerklage hat keine Auswirkungen auf die zu erhebenden Gebühren (Anwalt und Gericht), allerdings werden die Werte von Klage und Widerklage zusammengerechnet (§ 45 Abs. 1 Satz 1 GKG; vgl. Rz. 41–44). Die Zustellung der Widerklage kann nicht von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG).
b) Negative Feststellungswiderklage und Zwischenfeststellungswiderklage
17 Macht der Kläger nur einen Teilbetrag seiner Forderung geltend, kann der Beklagte die Feststellung begehren, dass dem Kläger eine über den geltend gemachten Betrag hinausgehende Forderung nicht zusteht; vgl. BGH NJW-RR 2009, 505 f. (s. Kap. 15 Rz. 254 f.).
18 Wird eine solche negative Feststellungsklage in der Form der Widerklage erhoben, gelten zum einen die Regelungen über die Feststellungsklage (zum Feststellungsinteresse s. Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 14a: Es muss dargelegt werden, dass der Kläger sich eines über die geltend gemachte Forderung hinausgehenden Anspruchs berühmt) und zum anderen die Vorschriften der Widerklage. Entsprechendes gilt für eine Zwischenfeststellungswiderklage (vgl. § 256 Abs. 2 ZPO; BGH MDR 2008, 158 f.), die als Widerklage geltend gemacht wird. Zur Zwischenfeststellungsklage allgemein vgl. Kap. 15 Rz. 228 ff.
19 Erweitert der Kläger nach Erhebung der negativen Feststellungswiderklage seine Klage auf den bislang nicht geltend gemachten Teil (zur Zulässigkeit beachte Art. 27 EuGVÜ), entfällt für die negative Feststellungswiderklage das rechtliche Interesse ab dem Zeitpunkt, ab dem der Kläger die Klage gem. § 269 Abs. 1 ZPO nicht mehr ohne Zustimmung des Beklagten zurücknehmen kann (BGH MDR 1995, 492); der Beklagte muss seine unzulässig gewordene Feststellungswiderklage für erledigt erklären (vgl. Kap. 32 sowie Kap. 15 Rz. 266).
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Widerklage, Aufrechnung
Rz. 25 Kap. 21
Wichtig: Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen bzw. Nichtbestehen des Anspruchs ist eine Frage des materiellen Rechts und deshalb von der Parteirolle unabhängig. Auch bei der negativen Feststellungsklage muss deshalb der Anspruchsteller Grund und Höhe des von ihm behaupteten Anspruchs nach den allgemeinen Grundsätzen darlegen und beweisen (Zöller/Greger § 256 ZPO Rz. 18 sowie Kap. 15 Rz. 214).
M 21.2 Klageerwiderung und negative Feststellungswiderklage
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M 21.2
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen, sowie festzustellen, dass dem Kläger über den (mit der Klage begehrten) Betrag von 15.000 Euro hinaus keine weiteren Ansprüche zustehen. Begründung: … (Erforderlich ist die bestimmte Angabe des Schuldgrundes (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), aus dem der Kläger die Klageforderung ableitet.) Kosten: s. Anm. zu M 21.1.
c) Hilfswiderklage Ebenso wie eine eventuelle Klagenhäufung zulässig ist (vgl. Kap. 16 Rz. 24), kann eine Widerklage aufschiebend oder auflösend bedingt erhoben werden, sofern es sich um eine innerprozessuale Bedingung handelt (BGH MDR 1996, 1135). Eine solche Bedingung kann sein, dass der Beklagte mit seinem Verteidigungsvorbringen ganz oder teilweise keinen Erfolg hat (sog. echte Hilfswiderklage) oder dass er mit diesem ganz oder teilweise Erfolg hat (sog. unechte Hilfswiderklage).
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Beispiele: – Klage auf Feststellung, dass Pachtvertrag nicht durch Kündigung beendet ist; Hilfswiderklage auf Zahlung von Pachtzins für den Fall, dass Klage begründet ist. – Klage auf Zahlung des Restkaufpreises; Hilfswiderklage auf Rückzahlung der bereits geleisteten Kaufpreisraten für den Fall, dass Klage abgewiesen wird.
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Wichtig: Soweit eine streitgenössische oder isolierte Drittwiderklage zulässig ist (vgl. Rz. 29), darf sie nicht hilfsweise erhoben werden, weil sie auch Klage und deshalb bedingungsfeindlich ist (Zöller/Schultzky § 33 ZPO Rz. 26).
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Praxistipp: Die Bedingung, unter der die hilfsweise erhobene Widerklage steht, muss im Einzel- 25 nen dargestellt werden.
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ZPO
Kap. 21 Rz. 26
Widerklage, Aufrechnung
M 21.3
26 M 21.3 Klageerwiderung und Hilfswiderklage An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Hilfsweise für den Fall, dass und soweit die Klage im Hinblick auf den streitigen Pachtzeitraum abgewiesen wird, erhebe ich Widerklage auf Zahlung rückständigen Pachtzinses und werde beantragen, den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten … Euro nebst … Zinsen seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen. Begründung: … Kosten: Die hilfsweise Widerklage hat keine Auswirkungen auf die zu erhebenden Gebühren (Anwalt und Gericht), allerdings werden die Werte von Klage und Widerklage zusammengerechnet, wenn über die Hilfswiderklage entschieden wird (§ 45 Abs. 1 Satz 1 und 2 GKG). Die Zustellung der Widerklage kann nicht von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG).
27 Der Beklagte stellt einen oder mehrere Widerklageanträge in ein Hilfsverhältnis für den Fall, dass er mit dem Hauptantrag der Widerklage erfolglos bleibt.
28 M 21.4 Klageerwiderung, Widerklage und Hilfswiderklage An das Amtsgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen, und den Kläger zu verurteilen, dem Beklagten 4.500 Euro nebst … Zinsen zu zahlen, sowie hilfsweise den Kläger zu verurteilen, die in dem als Anlage beigefügten Grundriss rot markierten Wände des Wohn- und Schlafzimmers der Wohnung im 1. Stockwerk links im Hause … Werderstraße 7 in … gegen Feuchtigkeit zu isolieren sowie die an diesen Wänden aufgetretene Schimmelbildung zu beseitigen. Begründung: 1. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des rückständigen Mietzinses; der Beklagte hat den Mietvertrag fristlos wegen erheblicher Gesundheitsgefährdung gem. §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 1 BGB gekündigt … 2. Mit der Widerklage macht der Beklagte folgenden Anspruch geltend: Der Beklagte konnte wegen erheblicher Feuchtigkeit im Wohn- und Schlafzimmer nicht in der Wohnung bleiben. Für den Umzug hat der Beklagte einen Pauschalpreis iHv. 4.500 Euro gezahlt … 3. Sollte das Gericht von einem fortbestehenden Mietvertrag ausgehen, hat der Beklagte den mit der Hilfswiderklage geltend gemachten Anspruch: Der Kläger muss die Wände des Wohn- und Schlafzimmers gegen Feuchtigkeit isolieren und die an diesen Wänden aufgetretene Schimmelbildung entfernen …
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Jaspersen
M 21.4
Widerklage, Aufrechnung
Rz. 32 Kap. 21
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Kosten: Die Widerklage hat keine Auswirkungen auf die zu erhebenden Gebühren (Anwalt und Gericht), allerdings werden die Werte von Klage und Widerklage zusammengerechnet (§ 45 Abs. 1 Satz 1 GKG; vgl. Rz. 41–44). Die hilfsweise Widerklage hat ebenfalls keine Auswirkungen auf die zu erhebenden Gebühren (Anwalt und Gericht), allerdings werden die Werte von Klage und Hilfswiderklage zusammengerechnet, wenn über die Hilfswiderklage entschieden wird (§ 45 Abs. 1 Satz 1 und 2 GKG). Die Zustellung der Widerklage kann nicht von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG).
d) Drittwiderklage Der Beklagte kann eine Widerklage auch gegen einen Dritten richten, der bislang nicht Partei des Rechtsstreits ist. Der Regelfall ist die sog. streitgenössische Drittwiderklage (BGH MDR 1996, 194: Der Beklagte erhebt eine Widerklage gegen den Kläger und zugleich gegen einen Dritten als Streitgenossen iS der §§ 59, 60 ZPO). Sie ist nur zulässig, wenn über die allgemeinen Klage- und Widerklagevoraussetzungen hinaus entsprechend § 263 ZPO entweder der Drittwiderbeklagte in die Widerklage einwilligt oder das Gericht die Widerklage für sachdienlich erklärt (BGH NJW 2011, 460 Rz. 6 mwN).
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Wichtig: Die Zuständigkeit kann in Bezug auf den streitgenössischen Drittwiderbeklagten grundsätzlich nicht gem. § 33 ZPO begründet werden (BGH MDR 2008, 1178); das Gericht der Klage ist für eine Drittwiderklage örtlich nur zuständig, wenn alternativ – für sie ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei dem Klagegericht besteht, – dessen Zuständigkeit durch rügelose Einlassung begründet wird (§ 39 ZPO) oder – das übergeordnete Gericht den Gerichtsstand für die Drittwiderklage nach § 36 ZPO Abs. 1 Nr. 3 ZPO beim Klagegericht bestimmt (BGH MDR 2008, 1178; vgl. Rz. 37).
Bei einer sog. isolierten Drittwiderklage richtet sich die Widerklage allein gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten. Eine solche Drittwiderklage ist grundsätzlich unzulässig, weil eine Widerklage nach § 33 ZPO begrifflich eine anhängige Klage zwischen Widerkläger und Widerbeklagtem voraussetzt; der Widerkläger muss ein Beklagter und der Widerbeklagte ein Kläger sein; die Stellung als Nebenintervenient reicht hierfür nicht aus. Die Rechtsprechung hat bislang nur in wenigen Fällen aus prozessökonomischen Erwägungen eine Ausnahme von diesem Grundsatz gebilligt. Die zu erörternden Gegenstände von Klage und Widerklage müssen tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sein (was nicht der Fall bei unterschiedlichen Auftragsverhältnissen sei [BGH MDR 2014, 296]) und es dürfen weder schutzwürdige Interessen des Drittwiderbeklagten noch des Klägers verletzt werden (vgl. u.a. BGH MDR 2008, 1296 Rz. 26 ff.: Isolierte Drittwiderklage gegen den Zedenten der Klageforderung, mit der die Feststellung begehrt wird, dass ihm keine Ansprüche zustehen). Eine solche Verknüpfung ist immer gegeben, wenn Gegenstand der Drittwiderklage eine Vorfrage der Klage ist (zB BGH NJW 2001, 2094, 2095. Ob der Beklagte als Freistellungsgläubiger eine isolierte Drittwiderklage gegen den Freistellungsschuldner erheben kann, hat die Rechtsprechung bislang nicht geklärt (bejahend Schweer/Todorow NJW 2013, 3004, 3006). Unzulässig ist die isolierte Drittwiderklage des vom Bauherrn verklagten Generalunternehmers gegen seinen Subunternehmer (BGH MDR 2014, 296).
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Ob eine Drittwiderklage des Beklagten gegen den eigenen Streitgenossen oder den auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten zulässig ist, wird kontrovers beurteilt (vgl. die Nachweise bei OLG Naumburg v. 18.10.2013 – 10 U 25/13 Rz. 15). Zu Recht lehnt die überwiegende Literatur eine solche Drittwiderklage ab. Für den Drittwiderbeklagten besteht die Gefahr widersprüchlichen Vorbringens zum haftungsbegründenden Sachverhalt und eines möglichen Interessenkonflikts zwischen seiner Stellung auf Beklagtenseite einerseits und seiner Stellung als Drittwiderbeklagter auf Klägersei-
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te andererseits; nur wenn sich Klage und Drittwiderklage unzweifelhaft und eindeutig voneinander abgrenzen lassen, dürfte eine Ausnahme gerechtfertigt sein.
33 Zu den Besonderheiten bei der Zwischenfeststellungswiderklage s. Kap. 15 Rz. 278. 34 M 21.5 Klageerwiderung, Widerklage, Drittwiderklage An das Landgericht … In Sachen … (Langrubrum)1 1. K. – Kläger und Widerbeklagter – 2. Y-Versicherung – Drittwiderbeklagte – gegen B. – Beklagter und Widerkläger – werde ich beantragen, die Klage abzuweisen und den Kläger sowie die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Beklagten … Euro nebst … Zinsen seit Zustellung dieses Schriftsatzes2 zu zahlen. Begründung: 1. Die Klage ist unbegründet: … 2. Mit der Widerklage macht der Beklagte folgenden Anspruch gegen den Kläger geltend: … 3. Bei der Drittwiderbeklagten handelt es sich um den Haftpflichtversicherer des Klägers, der gem. § 3 Pflichtversicherungsgesetz gesamtschuldnerisch mit dem Kläger haftet. 4. Für die Zustellung an die Drittwiderbeklagte füge ich eine weitere beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes sowie eine Abschrift der Klage bei.3 Kosten: Die Widerklage hat keine Auswirkungen auf die zu erhebenden Gebühren (Anwalt und Gericht), allerdings werden die Werte von Klage und Widerklage zusammengerechnet (§ 45 Abs. 1 Satz 1 GKG; vgl. Rz. 41–44). Die Zustellung der Widerklage kann nicht von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG). 1 Bei der Widerklage gegen den Dritten handelt es sich um eine neue Klage. Die Parteien und der Drittwiderbeklagte sind daher mit ladungsfähigen Anschriften, gesetzlichen Vertretern, Parteistellung usw. zu bezeichnen. 2 Sollte der Zinsanspruch zu einem früheren Zeitpunkt begründet sein, ist dieser Zeitpunkt anzugeben. 3 Die Widerklage ist dem Drittwiderbeklagten zuzustellen. Da es sich ihm gegenüber um eine „isolierte“ Klage handelt, besteht die Pflicht, Kostenvorschuss zu zahlen, um die Zustellung der Drittwiderklage zu erreichen. Eine Abschrift der Klage sollte beigefügt werden, da die Klageerwiderung sonst nicht verständlich sein wird.
35 Die Drittwiderklage lässt sich nur mit beschränktem Erfolg prozesstaktisch einsetzen: Der Kläger klagt den Schaden aus einem Unfall ein und beruft sich zum Beweis für seine Unfalldarstellung auf das Zeugnis des Fahrers. Der Beklagte erhebt Widerklage auf Ersatz seines Schadens, aber nicht nur 432
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Widerklage, Aufrechnung
Rz. 40 Kap. 21
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gegen den Kläger, sondern im Wege der Drittwiderklage auch gegen den Fahrer, der damit Partei des Rechtsstreits wird. Der Fahrer ist damit durch die Drittwiderklage als Zeuge ausgeschaltet. Diese Vorgehensweise ist jedoch von zweifelhaftem Erfolg, weil die Gerichte gehalten sind, diese „Störung“ durch eine Parteianhörung auszugleichen (vgl. ausf. Dräger MDR 2008, 1373; vgl. zudem Art. 6 EMRK). Mittels einer Parteianhörung kann nicht nur der Gegenbeweis geführt werden, sondern auch ein Hauptbeweis (vgl. BGH MDR 2018, 172).
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Praxistipp: Wird aus abgetretenem Recht geklagt, um den Zedenten als Zeugen zu gewinnen, stellt sich die Frage der taktischen Drittwiderklage gegen den Zedenten mit dem Ziel der Feststellung, dass das abgetretene Recht nicht bestehe (§ 256 Abs. 1 ZPO). Die Rechtsprechung bejaht das erforderliche Feststellungsinteresse großzügig (BGH MDR 2008, 1296, 1297; krit. Foerste MDR 2016, 1123). Dem kann nur kostenneutral vorgebeugt werden, indem der Drittwiderbeklagte bereits vorprozessual sein Recht im Hinblick auf die Abtretung aufgibt. Eine nachprozessuale Aufgabe entzieht dem Feststellungsinteresse und damit der Drittwiderklage zwar den Boden, birgt aber die Gefahr einer Kostenbelastung gem. §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1 ZPO (ausf. Regenfus BKR 2016, 403). Auch ein sofortiges Anerkenntnis der Drittwiderklage verspricht keine Kostenentlastung des Drittwiderbeklagten gem. § 93 ZPO (OLG Celle OLGR 2009, 879).
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Wichtig: Die jüngere Rechtsprechung hat in den o.g. Ausnahmefällen der sog. isolierten Drittwiderklage (vgl. Rz. 31) zugelassen, eine Zuständigkeit des Gerichts der Klage für die isolierte Drittwiderklage entsprechend § 33 ZPO zu begründen (BGH NJW 2011, 460 Rz. 10 ff.); dies ist aber durchaus bedenklich und man sollte hierauf nicht vertrauen. Teilweise wird bei der isolierten Drittwiderklage analog § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine Gerichtsstandsbestimmung für zulässig erachtet (OLG München NJW 2009, 2609 f.).
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e) Drittwiderklage auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung Erhebt der Verfügungsgläubiger nach Erlass einer einstweiligen Verfügung Hauptsacheklage, stellt sich für den Verfügungsschuldner die Frage, ob er prozessökonomisch im Wege der Widerklage den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gem. § 927 ZPO stellen kann. Die jüngere Rechtsprechung lässt dies jedenfalls für Unterlassungsansprüche zu, weil keine grundsätzlichen Unterschiede der Verfahren bestehen (BGH MDR 2017, 1257). Sinnvoll ist es, die Widerklage von der Bedingung abhängig zu machen, dass die Hauptsacheklage erfolglos bleibt.
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4. Sachliche und internationale Zuständigkeit Gemäß § 5 ZPO findet eine Wertaddition von Klage und Widerklage für die Ermittlung des Zustän- 39 digkeitsstreitwerts nicht statt. Die sachliche Zuständigkeit von Klage und Widerklage ist isoliert zu betrachten. Das heißt bei einer Klage über 1.500 Euro und einer Widerklage über 4.500 Euro bleibt es bei der Zuständigkeit des Amtsgerichts. Beträgt der Streitwert für die Widerklage allein schon mehr als 5.000 Euro, sind Klage und Widerklage auf Antrag an das Landgericht zu verweisen (vgl. § 506 Abs. 1 ZPO), wenn nicht das Amtsgericht durch Vereinbarung der Parteien oder rügeloses Einlassen nach § 39 ZPO zuständig bleibt (s. Schneider MDR 1998, 21, 22 zum prozesstaktischen Einsatz der Widerklage bei Verweisungsmöglichkeiten). Liegen weder die Voraussetzungen für eine Prorogation vor noch die Verweisungsvoraussetzungen, muss die Widerklage als unzulässig abgewiesen werden. Ist die Klage bereits beim Landgericht erhoben und dessen sachliche Zuständigkeit für die Klage gegeben, bleibt das Landgericht auch für eine Widerklage sachlich zuständig, die wegen ihres Streitwerts eigentlich vor das Amtsgericht gehören würde; Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass keine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Widerklage vorgeschrieben ist. Im Geltungsbereich der EuGVVO verdrängt Art. 8 Nr. 3 EuGVVO nF – bzw. in Versicherungssachen Art. 14 Abs. 2 EuGVVO nF – die Zuständigkeitsvorschrift des § 33 ZPO. Außerhalb des GeltungsJaspersen 433
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Kap. 21 Rz. 41
Widerklage, Aufrechnung
bereichs der EuGVVO und vorbehaltlich anderer vorrangiger Bestimmungen kann sich nach dem Grundsatz der Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeitsnormen aus § 33 ZPO die internationale Zuständigkeit des Klagegerichts ergeben. 5. Gebührenstreitwert und Kosten
41 Für den Gebührenstreitwert werden die Streitwerte von Klage und Widerklage zusammengerechnet, wenn verschiedene Streitgegenstände gegeben sind (§ 45 Abs. 1 GKG). Soweit Klage und Widerklage denselben Streitgegenstand betreffen, berechnen sich die Gebühren nach dem höheren Wert (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Sind die Streitgegenstände teilweise identisch, erhöht sich der Streitwert der Klage um den Teil des Streitwertes der Widerklage, der einen anderen Streitgegenstand als die Klage betrifft.
42 Die Frage desselben Streitgegenstandes beantwortet sich nicht nach dem zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff, sondern danach, ob zwischen Klage und Widerklage eine wirtschaftliche Identität besteht. Eine solche Identität ist dann gegeben, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass beiden stattgegeben werden kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht; sie betreffen nicht denselben Streitgegenstand, wenn das Gericht der Klage und der Widerklage stattgeben oder beide abweisen kann (BGH AnwBl. 2014, 564).
43 Der Streitwert einer negativen Feststellungswiderklage richtet sich nach dem Umfang der Ansprüche, deren sich der Kläger berühmt.
44 Der Streitwert der Hilfswiderklage kommt nur dann zum Tragen, wenn über die Hilfswiderklage entschieden worden ist (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG). Soweit einer Entscheidung infolge einer Widerklageoder Rechtsmittelrücknahme der Boden entzogen wird, schlägt sich die Widerklage im Gebührenstreitwert nicht nieder; der Rechtsanwalt verliert seinen diesbezüglichen Gebührenanspruch wegen der Abhängigkeit der Rechtsanwaltsgebühren von der Streitwertfestsetzung nach dem GKG (vgl. §§ 23 Abs. 1, 32 Abs. 1 RVG). Der Rechtsanwalt sollte diese Lücke durch eine Gebührenvereinbarung schließen (vgl. auch Rz. 69). Anders als bei der Hilfsaufrechnung, bei der § 45 Abs. 3 GKG für die Streitwertberücksichtigung eine „der Rechtskraft fähige Entscheidung“ verlangt (vgl. Rz. 75), stellt § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG nur auf eine „Entscheidung“ ab; wird die Hilfswiderklage infolge einer Rechtsmittelentscheidung hinfällig, weil die Bedingung, unter der sie steht, verneint wird, lässt dies die Streitwertberechnung der Vorinstanz unberührt (probl.).
II. Aufrechnung im Prozess (Prozessaufrechnung) 1. Allgemeines
45 Die Aufrechnung ist eine rechtsvernichtende Einwendung, deren materiell-rechtliche Zulässigkeit und Wirksamkeit sich nach §§ 387 ff. BGB bestimmen. Eine Aufrechnung kann im Prozess in zweierlei Art und Weise relevant werden: Zum einen kann lediglich der Tatbestand einer Aufrechnung im Prozess beachtlich sein, indem die Parteien einen Tatbestand vortragen, aus dem sich eine Aufrechnung ergibt (zB ergibt sich aus dem vorprozessualem Schriftverkehr eine Aufrechnung, bzgl. der sich die Parteien nur darum streiten, ob ein Aufrechnungsverbot durchgreift oder nicht). Es handelt sich dann um ein schlichtes Verteidigungsvorbringen, auf das die speziellen Vorschriften für eine Prozessaufrechnung nicht anwendbar sind. Trägt der Kläger einen Aufrechnungstatbestand vor, hindert dies schon die Schlüssigkeit seiner Klage. Zum anderen kann sich der Beklagte im Prozess damit verteidigen, er erkläre die Aufrechnung mit einer Forderung. Erst hierbei handelt es sich um eine sog. Prozessaufrechnung. Sie liegt auch dann vor, wenn der Beklagte unter Hinweis auf eine bereits vor- oder außerprozessual erfolgte Aufrechnung im Prozess erklärt, er rechne mit der diesbezüglichen Forderung auf.
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Rz. 50 Kap. 21
Wichtig: Die Unterscheidung und Abgrenzung sind wichtig, weil nur für die Prozessaufrechnung 46 besondere prozessuale Regeln und Folgen gelten (zB Rechtskraft und Kosten). Die Rechtsprechung nimmt großzügig eine Prozessaufrechnung an, wenn sich ein Beklagter auf eine außerprozessuale Aufrechnung beruft (BGH MDR 1994, 1144). Es sollte aber nicht aus dem Auge verloren werden, dass eine Prozessaufrechnung als Prozesshandlung eine eindeutige Erklärung erfordert, auf die ggf. hinzuwirken ist.
Die Doppelnatur der Prozessaufrechnung – einerseits materiell-rechtliche Willenserklärung, anderer- 47 seits Prozesshandlung – wirft eine Reihe von Problemen auf. Insbesondere stellt sich die praxisrelevante Frage, wie sich die Unwirksamkeit bzw. Unzulässigkeit (nicht Unbegründetheit!) der materiellrechtlichen Aufrechnungserklärung auf die Prozesshandlung auswirkt und umgekehrt. Erfolgt die Aufrechnung erstmals im Prozess, sind materiell-rechtliche Aufrechnungserklärung und Prozesshandlung derart miteinander verknüpft, dass die Unwirksamkeit der einen zur Unwirksamkeit der anderen führt (hA; vgl. MüKo.ZPO/Wagner § 145 ZPO Rz. 26); gut begründen lässt sich dies mit § 139 BGB oder mit einer konkludent erklärten innerprozessualen Bedingung dergestalt, dass die Prozessaufrechnung nur beachtlich sein soll, wenn sowohl die materiell-rechtliche Aufklärung zulässig ist als auch ihre Geltendmachung im Prozess. Ist Gegenstand der Prozessaufrechnung eine bereits vor- oder außerprozessual erfolgte Aufrechnung, versteht es sich nicht von selbst, dass die Unzulässigkeit der Prozesshandlung auch die materiell-rechtliche Aufrechnung hinfällig werden lässt. Würde man der materiellrechtlichen Aufrechnung ihre Wirksamkeit belassen, wäre es denkbar, dass die Klage zugesprochen wird, weil das Gericht die Klageforderung für begründet erachtet, die Aufrechnungsforderung gleichwohl verbraucht wäre und auch nicht mehr anderweitig geltend gemacht werden könnte. Deshalb soll nach streitiger Ansicht (MüKo.ZPO/Wagner § 145 ZPO Rz. 27 f.) die materiell-rechtliche Aufrechnung rückwirkend als ungeschehen zu behandeln sein. Nach beachtlicher Ansicht besteht kein Grund, die materiell-rechtliche Aufrechnungswirkung entfallen zu lassen. Der Fall liege nicht anders als der Fall, dass ein Beklagter es versäumt eine Erfüllung der Klageforderung vorzutragen (Wolf JA 2008, 753, 754 f.). Die Prozessaufrechnung ist Verteidigungsmittel (§§ 146, 282 Abs. 1 ZPO) und unterliegt damit den 48 Präklusionsvorschriften (§§ 296, 533 ZPO); die Sachdienlichkeit gem. § 533 Nr. 1 ZPO lässt sich im Allgemeinen nur verneinen, wenn ein neuer Streitstoff in das Verfahren mit der Prozessaufrechnung eingeführt werden soll (BGH v. 30.3.2011 – IV ZR 137/08). Für die Prozessaufrechnung gilt die Klageerwiderungsfrist, weshalb sie in der Klageerwiderung zu begründen ist, da sonst Verspätung droht (BGH NJW 1984, 1964, 1967). Sie ist eine Einwendung und hat demnach keinen Einfluss auf die Prozessvoraussetzungen der Klage (etwa auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Zivilkammer/ Kammer für Handelssachen). Dass für die Aufrechnungsforderung eine andere örtliche oder sachliche Zuständigkeit gegeben wäre, ist ebenso unbeachtlich. Nach strittiger Ansicht der Rechtsprechung (ausf. LG Saarbrücken MDR 2012, 669 mwN zum Streitstand; BAG MDR 2008, 464) darf das Gericht allerdings über eine rechtswegfremde Aufrechnungsforderung nicht entscheiden, es sei denn, die Aufrechnungsforderung ist rechtskräftig festgestellt oder unbestritten; das Gericht kann (und sollte) bei einer unbeachtlichen rechtswegfremden Aufrechnungsforderung ein Vorbehaltsurteil erlassen (vgl. §§ 145 Abs. 3, 302 ZPO) und den Rechtsstreit im Hinblick auf die Aufrechnungsforderung verweisen. Ebenso verlangt eine Prozessaufrechnung mit einer inkonnexen, bestrittenen, nicht rechtskräftig festgestellten Gegenforderung die internationale Zuständigkeit des Prozessgerichts für diese Forderung (OLG Karlsruhe v. 15.8.2012 – 8 W 48/12). Da durch die Prozessaufrechnung die zur Aufrechnung gestellte Forderung nicht rechtshängig wird, 49 kann sie anderweitig eingeklagt oder mit ihr in einem anderen Prozess nochmals aufgerechnet werden (BGH MDR 2004, 705, 706).
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Praxistipp: Wird mit einer rechtshängigen Forderung hilfsweise aufgerechnet, ist auf eine Aussetzung des ersten Prozesses gem. § 148 ZPO hinzuwirken bis über die Prozessaufrechnung eine Entscheidung vorliegt (vgl. § 322 Abs. 2 ZPO) oder keine Entscheidung mehr ergehen kann,
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Kap. 21 Rz. 51
Widerklage, Aufrechnung
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um die Konkurrenz der Verfahren aufzuheben. Wird eine im Prozess bereits hilfsweise aufgerechnete Forderung eingeklagt, gilt Entsprechendes für diesen Prozess (BGH MDR 2004, 705, 706; nach Zöller/Greger § 145 ZPO Rz. 18a fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für den zweiten Prozess).
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Wichtig: Gegenstand einer Prozessaufrechnung kann nur eine „materiell-rechtliche Aufrechnung“ sein, keine „Ab- bzw. Verrechnung“. Die Abgrenzung richtet sich nach materiellem Recht und ist unbedingt zu beachten, weil – unabhängig von der Bezeichnung im Prozess – die Wirkungen der Prozessaufrechnung (vgl. Rz. 57 f.) nur im Falle einer Aufrechnung gelten. Nach der Rechtsprechung liegt zB kein Verrechnungsverhältnis zwischen einem Werklohnanspruch und einem Gegenanspruch wegen Nicht- oder Schlechterfüllung vor (BGH MDR 2005, 1344). Rechnet ein Beklagter mit einer abzurechnenden bzw. zu verrechnenden Forderung auf, liegt keine Prozessaufrechnung vor.
2. Erklärung der Aufrechnung, Hilfsaufrechnung
52 Die Aufrechnung ist Prozesshandlung; es müssen daher alle Prozesshandlungsvoraussetzungen erfüllt sein, dh. im Anwaltsprozess muss die Aufrechnung durch den Prozessbevollmächtigten erklärt werden. Aufrechnungsbefugt ist grundsätzlich nur der Beklagte bzw. Widerbeklagte, bei spiegelverkehrten Parteirollen (negative Feststellungsklage, Drittwiderspruchsklage) ausnahmsweise auch der Kläger. Eine von der Partei in einem Anwaltsprozess vor- oder außerprozessual erfolgte Aufrechnung hat nur materiell-rechtliche Wirkung und Bedeutung. Wird die Prozessaufrechnung in einem vorbereitenden Schriftsatz angekündigt, wird sie erst wirksam, indem sich der Beklagte auf sie in der mündlichen Verhandlung beruft (anders im schriftlichen Verfahren). Verweist der Beklagte auf eine vor- bzw. außerprozessuale Aufrechnung, soll hierin eine konkludente Prozessaufrechnung liegen (BGH MDR 1994, 1144; aA Zöller/Greger § 145 ZPO Rz. 11). Ergibt sich eine vor- bzw. außerprozessuale Aufrechnung lediglich aus den eingereichten Anlagen, ohne dass der Beklagte sie erwähnt, kann hierin noch keine Prozessaufrechnung gesehen werden. Eine erstinstanzlich erklärte Prozessaufrechnung bleibt auch im Berufungsverfahren beachtlich, solange der Beklagte nicht hinreichend deutlich zu erkennen gibt, er lasse sie fallen (zur Rücknahme der Aufrechnung vgl. Rz. 54).
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Wichtig: Die aufgerechnete Gegenforderung ist genauso substantiiert zu bezeichnen wie im Falle einer Klage (arg. ex §§ 253 Abs. 2, 322 Abs. 2 ZPO). Insbesondere ist bei einer Prozessaufrechnung mit mehreren Forderungen ein Stufenverhältnis anzugeben (§ 396 Abs. 1 Satz 1 BGB) und bei teilweiser Aufrechnung mit einer aus mehreren Rechnungspositionen bestehenden Forderung das Rangverhältnis der Rechnungspositionen. Mangels einer anderweitigen Tilgungsbestimmung gelten §§ 396 Abs. 1 Satz 2, 366 Abs. 2 BGB (allg. Ansicht). Die Tilgungsreihenfolge bei mehreren im Prozess zur Hilfsaufrechnung gestellten Gegenforderungen bestimmt sich nach dem Sachstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz; der Beklagte kann bis dahin die Reihenfolge ändern; die Änderung selbst ist kein neues Vorbringen und unterliegt deshalb nicht der Präklusion (BGH MDR 2009, 403 f.).
54 Eine Prozessaufrechnung kann grundsätzlich gegenüber dem Gericht bis zum Erlass einer abschließenden Entscheidung zurückgenommen werden und sogar im Rechtsmittelzug mit Rückwirkung schon für den ersten Rechtszug (OLG München v. 15.10.2012 – 21 U 544/12); eine solche Rücknahme sperrt ihr Wiederaufgreifen im Prozess vorbehaltlich der allg. Präklusionsvorschriften nicht. Die Rücknahme kann von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden wie zB einem Vergleichswiderruf (OLG Schleswig MDR 2009, 889). Wird kein Rechtsmittel eingelegt ist problematisch, ob eine Rücknahme auch nach Erlass eines Urteils und vor dessen Rechtskraft erfolgen kann (instruktiv zu dieser Problematik Leichsenring NJW 2013, 2155, die sogar eine Rücknahme bis zur Rechtskraft für zulässig erachtet). Sehr problematisch ist, ob mit der Rücknahme der Prozessaufrechnung auch ihre materiell-rechtliche Wirkung entfällt (so OLG Schleswig MDR 2009, 889; aA Zöller/ Greger § 145 ZPO Rz. 11a). 436
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Rz. 61 Kap. 21
Praxistipp: An eine Rücknahme der Prozessaufrechnung ist immer zu denken, wenn das Gericht zu erkennen gibt, die streitentscheidende Aufrechnungsforderung für unbegründet zu erachten, und der Beklagte keine Möglichkeit sieht, seinen Vortrag nachzubessern. Der Beklagte erhält sich zum einen die Aussicht, in einem erneuten Verfahren die Aufrechnungsforderung klageweise „mit besserem tatsächlichen Vortrag“ durchsetzen zu können. Zum anderen entgeht er im Falle einer Hilfsaufrechnung der für den Beklagten nachteiligen Kostenfolge (vgl. Rz. 66).
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Widerklage, Aufrechnung
Man unterscheidet Haupt- und Hilfsaufrechnung. Erstere ist gegeben, wenn sich der Beklagte gegen 56 die Klageforderung nur mit der Prozessaufrechnung verteidigt. Hat der Beklagte außer dem Aufrechnungseinwand auch Einwendungen gegen die Klageforderung, erklärt er die Aufrechnung hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Hauptforderung für begründet ansieht, vgl. M 21.6. Die Zulässigkeit einer solchen prozessualen Hilfsaufrechnung ist allgemein anerkannt, obwohl die materiell-rechtliche Aufrechnung bedingungsfeindlich ist (vgl. § 388 Satz 2 BGB). Zur Abgrenzung einer unbedingten zur bedingten Prozessaufrechnung und den maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen vgl. BGH v. 8.5.2018 – XI ZR 538/17. 3. Wirkung der Prozessaufrechnung Sind Klage- und Gegenforderung begründet, gelten sie gem. § 389 BGB von dem Zeitpunkt an als erlo- 57 schen, in dem sie sich aufrechenbar gegenübergestanden haben; die Klage ist als unbegründet abzuweisen, selbst wenn es sich um eine prozessuale Hilfsaufrechnung gehandelt hat. Die Prozessaufrechnung hemmt die Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 5 BGB), selbst wenn – sie hilfsweise erfolgt ist (BGH NJW 1990, 2680 f.), – über sie aus materiellen Gründen (etwa infolge eines Aufrechnungsverbots) nicht entschieden werden kann, – sie unzulässig ist (BGH MDR 2008, 875 für eine Hilfsaufrechnung des Klägers), – sie später zurückgenommen wird. Die Hemmung wirkt grundsätzlich nur bis zur Höhe der Klageforderung; sie erfasst nicht etwaige da- 58 rüber hinausgehende Beträge (BGH NJW 1990, 2680 f.; vgl. aber auch Kap. 17 Rz. 2). Werden mehrere Forderungen zur Aufrechnung gestellt, wirkt die Hemmung für alle Forderungen bis zur Höhe der Klageforderung.
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Wichtig: Die Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 BGB ist zu beachten! Die Hemmung der Ver- 59 jährung endet, sobald über die Prozessaufrechnung eine Entscheidung ergangen ist bzw. keine Entscheidung mehr ergehen kann (etwa weil der Beklagte seine Prozessaufrechnung zurückgenommen hat) oder das Verfahren zum Stillstand gekommen ist. Ist die Aufrechnung begründet, erlischt die Gegenforderung und die Verjährungsfrage ist gegenstandslos. Nimmt der Beklagte den Aufrechnungseinwand im Prozess zurück, beginnt die 6-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 BGB sofort (dh. gem. § 187 Abs. 1 BGB am Tag danach) zu laufen. Die Prozessaufrechnung wahrt auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gesetzte Ausschlussfristen (BGHZ 83, 260, 270).
Bei der Hauptaufrechnung (Rz. 56) gilt der schlüssige Klagevortrag zur Klageforderung als zugestanden iS des § 288 ZPO (vgl. BGH MDR 1996, 1067). Nach der mündlichen Verhandlung, die auf die Primäraufrechnung folgt, kann die Klageforderung vorbehaltlich § 290 ZPO nicht mehr damit bekämpft werden, dass die sie begründenden Tatsachen bestritten werden.
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Praxistipp: Erkennt der Kläger, dass die Hauptaufrechnung durchgreift, kann er den Rechtsstreit für erledigt erklären. Unabhängig davon, ob die Aufrechnungslage schon vor Rechtshängigkeit gegeben gewesen ist, liegt trotz der materiell-rechtlichen Rückwirkung der Aufrechnung (§ 389 BGB) ein erledigendes Ereignis vor. Denn erst die Aufrechnungserklärung vollendet das „erledigende Ereignis“ für eine bis dahin zulässige und begründete Klage (ausf. BGH NJW 2003, Jaspersen 437
Kap. 21 Rz. 62
Widerklage, Aufrechnung
ZPO
3134, 3135 mwN). Stimmt der Beklagte der Erledigung zu, ist gem. § 91a ZPO über die Kosten zu entscheiden (vgl. hierzu Schneider MDR 2000, 507). Bei der Prüfung der Billigkeit kommt es auch darauf an, ob der Kläger um die Aufrechnungslage vor Rechtshängigkeit gewusst hat oder ob er selbst zur Aufrechnung befugt gewesen ist. Bei der Hilfsaufrechnung kann der Kläger nicht entsprechend verfahren, weil dem Gesetz eine hilfsweise Erledigung fremd ist (str.; MüKo.ZPO/ Lindacher § 91a ZPO Rz. 36 mwN) und der Kläger einer rechtskräftigen Entscheidung über die streitige Klageforderung bedarf. Der Kläger sollte die Hilfsaufrechnung „unstreitig stellen“ bzw. „anerkennen“, um – was allerdings nicht diskutiert wird – analog §§ 93, 97 Abs. 2 ZPO der teilweisen Kostenlast bei begründeter Klage zu entgehen. Alternativ kann er – soweit er befugt ist – selbst aufrechnen und seine Klage umstellen auf Feststellung, dass seine Klageforderung durch Aufrechnung erloschen ist.
62 Verneint das Gericht das Bestehen der im Prozess aufgerechneten Forderung, erwächst diese Entscheidung in Rechtskraft (§ 322 Abs. 2 ZPO); die Aufrechnungsforderung ist verloren. Entsprechendes gilt analog § 322 Abs. 2 ZPO im spiegelverkehrten Fall: Wird die Klage abgewiesen, weil die Prozessaufrechnung durchgreift, ist damit die Feststellung verbunden, dass die aufgerechnete Forderung in Höhe der Klageforderung verbraucht ist (BGH MDR 2002, 601, 602).
63 Hat das Gericht die Prozessaufrechnung – zu Recht oder Unrecht (BGH MDR 1997, 397) – für unzulässig erachtet (etwa weil die aufgerechnete Forderung nicht hinreichend individualisiert ist, vgl. Rz. 53, oder einem materiell-rechtlichen Aufrechnungsverbot unterliegt, BGH MDR 2001, 1256 f. für § 390 BGB, oder weil die Prozessaufrechnung verspätet erfolgt ist), ist keine aberkennende Entscheidung gem. § 322 Abs. 2 ZPO ergangen. Davon zu trennen ist die Frage, ob eine Vollstreckungsabwehrklage gegen das zusprechende Urteil gem. § 767 ZPO auf die nicht zur Entscheidung gelangte Aufrechnung gestützt werden kann oder ob insoweit § 767 Abs. 2 ZPO eingreift (eine Präklusion bejahend BGH MDR 2007, 1394 f.: Der Beklagte hätte die seine Prozessaufrechnung zurückweisende Entscheidung angreifen müssen).
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Wichtig: Wenn die Prozessaufrechnung wegen unzureichender Substantiierung nicht durchgreift, ist die Aufrechnungsforderung aberkannt; gleiches gilt, wenn die an sich zulässige Prozessaufrechnung scheitert, weil die Aufrechnungstatsachen wegen Verspätung nicht zugelassen werden (BGH NJW-RR 1991, 971 f.; str.).
4. Gebührenstreitwert und Kosten
65 Die prozessuale Hauptaufrechnung erhöht den Gebührenstreitwert nicht, weil Voraussetzung der Wertaddition gem. § 45 Abs. 3 GKG ist, dass die Haupt- und Aufrechnungsforderung jeweils streitig ist (Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Aufrechnung“). Das Obsiegen/Unterliegen gem. § 92 Abs. 1 ZPO richtet sich allein danach, in welcher Höhe die Klageforderung durch Aufrechnung erloschen bzw. noch begründet ist.
66 Bei der prozessualen Hilfsaufrechnung findet gem. § 45 Abs. 3 GKG eine Wertaddition statt, soweit über die Aufrechnungsforderung eine rechtskraftfähige Entscheidung gem. § 322 Abs. 2 ZPO ergeht (zum Streitwert bei Hilfsaufrechnung mit Ansprüchen aus §§ 49b Abs. 5 BRAO, 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB im Anwaltshonorarprozess vgl. BGH MDR 2009, 1251). Auch wenn die Aufrechnungsforderung die Klageforderung übersteigt, erhöht sich der Gebührenstreitwert maximal um den Betrag, der dem für begründet erachteten Klageanteil zukommt (allg. Ansicht; vgl. Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Aufrechnung“). Mit dieser Maßgabe ist im Falle einer Hilfsaufrechnung mit mehreren selbständigen Forderungen jede einzelne zu berücksichtigen. Wird die erste von mehreren Gegenforderungen unbedingt, also nicht hilfsweise, zur Aufrechnung gestellt, bleibt sie beim Streitwert allerdings unberücksichtigt (BGH NJW-RR 1992, 316). Diese Kumulation hat die Konsequenz, dass sich der Gesamtgebührenstreitwert auf ein Vielfaches des Wertes für die Klageforderung belaufen kann. Die Kostenverteilung gem. § 92 Abs. 1 ZPO richtet sich danach, in welcher Höhe das Gericht die der
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Rz. 73 Kap. 21
Klage und der Aufrechnung zugrunde liegenden Forderungen für begründet bzw. unbegründet erachtet.
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Praxistipp: Bei mehreren Hilfsaufrechnungen (vgl. Rz. 53) ist die Rangfolge, in der über die Aufrechnungsforderungen zu entscheiden ist, so zu bestimmen, dass den ersten Rang die Forderung erhält, für die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit das Bestehen dargestellt werden kann.
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Eine streitwerterhöhende Hilfsaufrechnung liegt nur dann vor, wenn die Klageforderung sachlich bestritten wird (OLG Karlsruhe MDR 1998, 1249); die Rüge von Prozessvoraussetzungen genügt nicht. Die Klageforderung sollte daher nur dann bestritten und die Prozessrechnung nur hilfsweise erfolgen, wenn das Bestreiten realistische Aussicht auf Erfolg hat. Ansonsten sollte der Beklagte sich auf die Aufrechnung beschränken, wenn nicht der Mandant nach hinreichender Aufklärung anderes wünscht.
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Praxistipp: Die Abhängigkeit der Rechtsanwaltsgebühren von der Streitwertfestsetzung nach 69 GKG (vgl. §§ 23 Abs. 1, 32 Abs. 1 RVG) führt dazu, dass der Rechtsanwalt seine Arbeit im Zusammenhang mit einer Hilfsaufrechnung nicht vergütet erhält, wenn keine rechtskraftfähige Entscheidung über die Hilfsaufrechnung ergeht (vgl. BGH MDR 2009, 54 mwN). Der Rechtsanwalt wird zu überlegen haben, ob er diese „Lücke“ durch eine entsprechende Gebührenvereinbarung schließt.
5. Berufungsfragen und Beschwer Bei der Hauptaufrechnung kann der Beklagte seine Berufung nicht darauf stützen, das Gericht habe zu Unrecht die Klageforderung für begründet erachtet; das Geständnis (vgl. Rz. 60) wirkt fort (§ 535 ZPO).
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Bei der Hilfsaufrechnung ist folgenden Fragen Beachtung zu schenken:
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– Die Klage wird unter Verneinung der Hilfsaufrechnung zugesprochen: Beschwert ist nur der Beklagte. Greift er mit seiner Berufung nur die Entscheidung zur Klageforderung an oder nur die Aberkennung der hilfsweise aufgerechneten Forderung, erfasst seine Berufung nicht die Entscheidung über die andere Forderung (BGH v. 14.9.2017 – VII ZR 116/15; BGH NJW 1999, 2817 ff.; BGH MDR 2001, 1184 f.; aA Musielak/Voit/Ball § 528 ZPO Rz. 11), weil es sich um prozessual selbständige Elemente des Streitstoffs handelt (BGH MDR 1996, 244). Ergeht über die Hilfsaufrechnung keine rechtskraftfähige Entscheidung gem. § 322 Abs. 2 ZPO (zB weil sie für unzulässig erachtet worden ist), kann sie die Beschwer nicht erhöhen (BGH BauR 2018, 145; BGH BauR 2018, 555). – Die Klage wird abgewiesen ohne Entscheidung über die Hilfsaufrechnung, weil schon die Klageforderung unbegründet ist: Beschwert ist nur der Kläger. Auf seine Berufung fällt ohne Weiteres und ohne Anschlussberufung auch die Hilfsaufrechnung zur Prüfung an (Musielak/Voit/Ball § 528 ZPO Rz. 11), weil es sich bei der Prozessaufrechnung lediglich um die Geltendmachung eines Gegenrechts handelt. – Die Klage wird wegen der Hilfsaufrechnung abgewiesen: Beschwert ist der Kläger wegen der für begründet erachteten Hilfsaufrechnung, der Beklagte wegen der zuerkannten Klageforderung. Der jeweilige Berufungsbeklagte muss seine Beschwer im Wege einer Anschlussberufung geltend machen; ohnedem fällt die seiner Beschwer zugrunde liegende Forderung nicht zur Entscheidung an (BGH NZBau 2005, 509 f.). Hat der Beklagte mit seiner Berufung Erfolg, wird die Entscheidung zur Hilfsaufrechnung gegenstandslos. Unterliegt die Berufung des Beklagten der Zurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO, wird eine mit der Berufung erhobene neue Prozessaufrechnung wirkungslos (vgl. Zöller/Heßler § 522 ZPO Rz. 37 aE).
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Übergeht das Gericht eine Prozessaufrechnung, ist dies kein Fall des § 321 ZPO (OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 640); der Beklagte muss Berufung einlegen.
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Widerklage, Aufrechnung
Kap. 21 Rz. 74
Widerklage, Aufrechnung
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74 Die Zulässigkeit einer neuen Prozessaufrechnung durch den Beklagten bzw. Widerbeklagten im Berufungsverfahren richtet sich nach § 533 ZPO. Neu ist eine Prozessaufrechnung insbesondere auch dann, wenn sie in erster Instanz zurückgenommen worden war.
75 Ergeht letztlich keine rechtskraftfähige Entscheidung über die Hilfsaufrechnungsforderung (zB weil das Berufungsgericht anders als die Vorinstanz bereits die Klageforderung für unbegründet erachtet oder weil die Hilfsaufrechnung zurückgenommen wird), erfolgt für alle Instanzen keine Erhöhung des Streitwerts gem. § 45 Abs. 3 GKG unabhängig davon, ob der Tatbestand des § 45 Abs. 3 GKG in einer Vorinstanz erfüllt gewesen ist (BGH NJW 1985, 1556 Rz. 59; aA OLG Schleswig v. 19.12.2013 – 1 W 67/13; OLG München MDR 1990, 934). Das Berufungsgericht muss – was häufig übersehen wird und worauf ein Rechtsanwalt für seine Partei achten muss – von Amts wegen den Streitwert für die Vorinstanz ändern und die Kostenentscheidung korrigieren. Die dadurch bedingte Lücke in der Rechtsanwaltsvergütung ließe sich durch eine Gebührenvereinbarung schließen.
III. Prozessaufrechnung und Widerklage 76 Aufrechnung und Widerklage sind zwei Instrumente, eine Gegenforderung in das Verfahren einzuführen. Der Rechtsanwalt wird immer zu überlegen haben, welches Instrument vorzugswürdig ist und ob eine Verknüpfung der beiden sinnvoll ist. Hierzu gilt es, die wesentlichen Unterschiede im Auge zu behalten: – Die Widerklage gilt anders als die Prozessaufrechnung nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das der Präklusion gem. § 296 ZPO unterliegen kann. – Für die Widerklage muss das Gericht der Klage zuständig sein, während die Prozessaufrechnung keine Fragen der örtlichen, sachlichen oder funktionellen Zuständigkeit aufwirft. – Die eine Zuständigkeit begründende Konnexität iSv. § 33 Abs. 1 ZPO kann auch dadurch geschaffen werden, dass eine Prozessaufrechnung geltend gemacht wird, mit der die Widerklage in einem rechtlichen Zusammenhang steht. – Eine Prozessaufrechnung bedingt keine Rechtshängigkeit der aufgerechneten Forderung und kann deshalb anderweitig eingeklagt werden. – Ein vertragliches Aufrechnungsverbot sperrt keine Widerklage.
77 Im Folgenden sollen die wichtigsten Fallbeispiele genannt werden, bei denen sich eine Kombination der Instrumente anbietet. 1. Prozessaufrechnung und unbedingte Widerklage
78 Eine Kombination von Aufrechnung und Widerklage kommt bei folgender Konstellation in Betracht: Eine Gegenforderung, die die Klageforderung übersteigt, droht zu verjähren. Mit der Aufrechnung wird die Verjährung zwar gehemmt, jedoch nur bis zur Höhe der Klageforderung. Deshalb ist hinsichtlich des überschießenden Teils Widerklage zu erheben. 2. Prozessaufrechnung und Hilfswiderklage
79 Muss der Beklagte befürchten, mit der Aufrechnung nicht gehört zu werden, weil die Parteien die Aufrechnung zB in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschlossen haben oder scheint eine Aufrechnung aus anderen Gründen, zB wegen eines gesetzlichen Aufrechnungsverbots, zweifelhaft oder besteht die Gefahr, dass die Aufrechnung als verspätet zurückgewiesen wird, sollte die Aufrechnung mit einer Hilfswiderklage verknüpft werden: Der Beklagte verteidigt sich in erster Linie mit einer Aufrechnung, erhebt aber hilfsweise Widerklage für den Fall, dass die Aufrechnung unzulässig ist.
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M 21.6 Klageerwiderung, Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Hilfsweise erhebe ich Widerklage und werde beantragen, den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten … Euro nebst … % Zinsen seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen. Begründung: 1. Die Klage ist unzulässig/unbegründet; dem Kläger steht der geltend gemachte Mietzinsanspruch nicht zu … 2. Sollte der Anspruch des Klägers begründet sein, rechnet der Beklagte hilfsweise mit folgender Gegenforderung auf: … 3. Sollte die Aufrechnung im Hinblick auf Ziff. … des Mietvertrages nicht möglich sein, erhebt der Beklagte Hilfswiderklage: … … Kosten: Keine Auswirkungen auf die Gebühren (Gericht und Anwalt); zur Auswirkung auf den Streitwert vgl. Rz. 65 f.
Kapitel 22 Ablehnung I. 1. 2. 3. 4.
II. 1. 2. 3. 4.
Ablehnung eines Richters . . . . . . . . . . . . . Zweck der Richterablehnung . . . . . . . . . . . Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form, Adressat und Inhalt . . . . . . . . . . . b) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 22.1 Ablehnung des Richters . . . . . . . Ablehnung eines Sachverständigen oder eines Dolmetschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 10 12 12 14 15 18 20 21 21 22 29 30 30 31
III. 1. 2. 3.
IV.
c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 22.2 Ablehnung des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnung eines Schiedsrichters . . . . . . . Zweck der Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formalien der Ablehnung . . . . . . . . . . . . . M 22.3 Ablehnung eines Schiedsrichters gegenüber dem Schiedsgericht . . . . M 22.4 Antrag auf Entscheidung über die Schiedsrichterablehnung durch das staatliche Gericht . . . . . . . . . . . M 22.5 Antrag auf Aussetzung des Schiedsgerichtsverfahrens . . . . . . . . . . . . . M 22.6 Antrag auf Feststellung der Beendigung des Schiedsrichteramtes . . . . Ablehnung des Rechtspflegers, Gerichtsvollziehers pp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jaspersen/Wiemer
32 37 38 38 41 46 58 59 61 62 63
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ZPO
Kap. 22
Ablehnung
M 21.6 Klageerwiderung, Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage
80
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Ich werde beantragen, die Klage abzuweisen. Hilfsweise erhebe ich Widerklage und werde beantragen, den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten … Euro nebst … % Zinsen seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen. Begründung: 1. Die Klage ist unzulässig/unbegründet; dem Kläger steht der geltend gemachte Mietzinsanspruch nicht zu … 2. Sollte der Anspruch des Klägers begründet sein, rechnet der Beklagte hilfsweise mit folgender Gegenforderung auf: … 3. Sollte die Aufrechnung im Hinblick auf Ziff. … des Mietvertrages nicht möglich sein, erhebt der Beklagte Hilfswiderklage: … … Kosten: Keine Auswirkungen auf die Gebühren (Gericht und Anwalt); zur Auswirkung auf den Streitwert vgl. Rz. 65 f.
Kapitel 22 Ablehnung I. 1. 2. 3. 4.
II. 1. 2. 3. 4.
Ablehnung eines Richters . . . . . . . . . . . . . Zweck der Richterablehnung . . . . . . . . . . . Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form, Adressat und Inhalt . . . . . . . . . . . b) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 22.1 Ablehnung des Richters . . . . . . . Ablehnung eines Sachverständigen oder eines Dolmetschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 10 12 12 14 15 18 20 21 21 22 29 30 30 31
III. 1. 2. 3.
IV.
c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 22.2 Ablehnung des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnung eines Schiedsrichters . . . . . . . Zweck der Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formalien der Ablehnung . . . . . . . . . . . . . M 22.3 Ablehnung eines Schiedsrichters gegenüber dem Schiedsgericht . . . . M 22.4 Antrag auf Entscheidung über die Schiedsrichterablehnung durch das staatliche Gericht . . . . . . . . . . . M 22.5 Antrag auf Aussetzung des Schiedsgerichtsverfahrens . . . . . . . . . . . . . M 22.6 Antrag auf Feststellung der Beendigung des Schiedsrichteramtes . . . . Ablehnung des Rechtspflegers, Gerichtsvollziehers pp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jaspersen/Wiemer
32 37 38 38 41 46 58 59 61 62 63
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ZPO
Kap. 22
Ablehnung
Kap. 22 Rz. 1
Ablehnung
ZPO
I. Ablehnung eines Richters 1. Zweck der Richterablehnung
1 Die Richterablehnung dient dazu, den unabhängigen und unparteiischen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zu gewährleisten, weil nur Neutralität und Distanz des Richters zu den Parteien ein faires Verfahren garantieren (BVerfGE 42, 78; 89, 28; Zöller/G. Vollkommer vor § 41 ZPO Rz. 1). Ablehnungsgründe sind die in § 41 ZPO genannten Ausschließungsfälle und die Besorgnis der Befangenheit. Es muss ein Grund vorliegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei geht es nicht um die subjektive Sicht der sich falsch behandelt oder verstanden fühlenden Partei. Vielmehr müssen objektive Gründe bestehen, die – vom Standpunkt des Ablehnenden aus – einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfGE 142, 302; Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 9). Denn der Richter ist verpflichtet, auch den Standpunkt der Gegenseite zu beachten und in seine Überlegungen einzubeziehen.
2 Ablehnen kann jede Partei, auch die durch den Vorgang begünstigte (§ 42 Abs. 3 ZPO). Der Anwalt hat kein eigenes Ablehnungsrecht. 2. Ablehnungsgründe
3 Die nachfolgende Aufzählung ist eine Zusammenstellung der in der Praxis häufig vorkommenden Ablehnungsgründe. Eine ins Detail gehende Aufstellung aller in der Praxis in Betracht kommenden Ablehnungsgründe ist bei Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Index vor Rz. 1 zu finden.
4 Enge Beziehungen des Richters zu einer Partei: Nahe Verwandtschaft oder Schwägerschaft (§ 41 Nr. 3 ZPO) sowie (frühere) Ehe (§ 41 Nr. 2 ZPO) oder (frühere) Lebenspartnerschaft (§ 41 Nr. 2a ZPO) und gesetzliche Vertretung einer Partei (§ 41 Nr. 4 ZPO) stellen gesetzliche Ausschlussgründe dar; (früheres) Verlöbnis, nichteheliche Lebensgemeinschaft sowie enge Freund- oder Feindschaft können die Besorgnis der Befangenheit begründen (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 12).
5 Enges rechtliches oder wirtschaftliches Verhältnis des Richters zum Streitgegenstand: Die zu einer Partei bestehende Stellung als (unmittelbar betroffener) Mitberechtigter, Mitverpflichteter oder Regresspflichtiger begründet einen gesetzlichen Ausschlussgrund (§ 41 Nr. 1 ZPO; vgl. Zöller/G. Vollkommer § 41 ZPO Rz. 7); ein nur mittelbares Interesse am Verfahrensausgang kann die Besorgnis der Befangenheit begründen (Zöller/G. Vollkommer § 41 ZPO Rz. 7, § 42 ZPO Rz. 11 u. 30). Die einfache Mitgliedschaft in einer Partei, Religionsgemeinschaft, Gewerkschaft, Genossenschaft oder einem Verein (mit größerer Mitgliederzahl) sowie die Stellung als Kleinaktionär genügen hierfür idR nicht (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 11 und 30; BGH WM 2003, 847; BVerfG NJW 2013, 3360).
6 Interessenwahrnehmung für eine Partei: einseitiger vorprozessualer Rat oder einseitige Rechtsauskunft oder einseitiges Privatgutachten (BVerfGE 82, 39; Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 14).
7 Vorbefassung mit der Sache in anderer Instanz oder in anderer Funktion: Ein gesetzlicher Ausschlussgrund (§ 41 Nr. 6 ZPO) besteht in Sachen, in denen der Richter in einem früheren Rechtszug (zB bei Versetzung an das Berufungsgericht oder umgekehrt) oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt; andere nicht § 41 Nr. 6 ZPO unterfallende prozessrechtliche Vorbefassungen (zB auch als Staatsanwalt oder bei einer Verwaltungsbehörde (BVerfGE 72, 296), können im Einzelfall nach Hinzutreten besonderer Umstände die Besorgnis der Befangenheit begründen. Ein Tätigwerden im Vorprozess (§ 592 ZPO), bei einer dem Verfahren in der Hauptsache vorangegangenen einstweiligen Verfügung, im Wiederaufnahmeverfahren oder in anderen Prozessen der Partei genügt für sich alleine nicht (BAG MDR 1993, 383; BayObLG MDR 1988, 1063; Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 15–18). 442
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Rz. 11 Kap. 22
Formelle Unsachlichkeit: Äußerungen, Handlungen und Gesten beleidigungsähnlichen Charakters 8 (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 22, 22a, 29 mit zahlreichen Beispielen) wie „Der Schriftsatz gehört in den Abfalleimer“, Vortrag sei „Kinkerlitzchen“, bezeichnendes „Sich-an-den-Kopf-Fassen“, „der Beweisantritt sei eine Frechheit“, „mit dem Verfahren verbrenne der Prozessbevollmächtigte das Geld seines Mandanten“, es sei denn, die Partei hat den Richter – mitunter gerade deshalb, um diesen als befangen ablehnen und ausschalten zu können – zuvor provoziert (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 29). Unsachliche Verfahrensleitung und mangelnde Neutralität: langandauernde Nichtbearbeitung ohne ersichtlichen Grund, (wiederholt) unterbliebene Reaktion auf Erinnerungsschreiben, Gesuche oder Anträge einer Partei (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 23, 24), die Häufung – auch kleinerer – prozessualer Fehler (OLG München MDR 2016, 352), willkürliche Verfahrensweisen ohne jede gesetzliche Grundlage (BVerfGE 42, 73 u. NJW 2007, 3771; BAG MDR 1993, 383), die einseitige Kontaktaufnahme zu einer Partei oder das Sichbewirtenlassen durch eine Partei mit einem gewissen Aufwand bei einem Ortstermin (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 25).
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3. Keine Befangenheit
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Keine Befangenheitsgründe sind: Einfache Verfahrensfehler, bei denen nichts dafür spricht, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BGH MDR 2012, 49; BayObLG MDR 1988, 1063), und unrichtige Rechtsansichten (BGH MDR 2012, 49; Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 28), Äußerungen zu den Erfolgsaussichten und zum möglichen Verfahrensausgang bzw. zum Gang des Verfahrens (zB Ladung nur bestimmter Zeugen), richterliche Initiativen im Zusammenhang mit der umfassenden Erörterung des Rechtsstreits in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, sowie die Entschließungsfreiheit nicht beeinträchtigende Anregungen, Hinweise (auch auf Verjährung, BGH MDR 1998, 303; Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 27; aA BGH MDR 2004, 167, und auf die Ausübung von Gestaltungsrechten, Zöller/G. Vollkommer aaO, sowie auf die Erteilung einer Genehmigung, BGH MDR 2016, 902), Aufforderungen (zur Rücknahme von Anträgen/Rechtsmitteln oder zur Abgabe einer Erledigterklärung), Belehrungen, Ratschläge und Empfehlungen an eine Partei oder Vergleichsvorschläge, soweit ihnen allen noch keine abschließende Festlegung des Richters zugrunde liegt (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 26, 27 mit einer Vielzahl von Nachweisen). Dabei ist nicht vom Rechtsstandpunkt der Partei auszugehen, sondern von derjenigen des Gerichts, dessen evtl. unrichtige Auffassung durch das Rechtsmittelgericht zu klären ist. Das Gericht hat aktiv – ggf. durch prozessleitende Verfügungen gem. § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO – darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig (§§ 138 Abs. 1, Abs. 2, 139 Abs. 1 Satz 2, 282 Abs. 1, Abs. 2 ZPO) erklären, dass sie ihren Vortrag ergänzen, dass sie sachdienliche Anträge stellen und Beweismittel nennen (Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 26). Auch soll das Gericht eine Güteverhandlung durchführen und darüber hinaus in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein (§ 278 Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Dazu muss es die Sache mit den Parteien erörtern, sich um die Wahrheit bemühen, seine Meinung sagen und auf rechtliche Gesichtspunkte hinweisen. Es kann dabei die Klage als unschlüssig bezeichnen (OLG Frankfurt MDR 1989, 461) oder auf der Basis seiner vorläufigen Rechtsauffassung aus Kostengründen zur Rücknahme der Berufung raten (OLG Stuttgart MDR 2000, 50). Maßnahmen des Gerichts zur Erfüllung der genannten gesetzlichen Aufgaben geben keinen Grund zur Besorgnis der Befangenheit.
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ZPO
Ablehnung
Kap. 22 Rz. 12
Ablehnung
ZPO
4. Ablehnungsgesuch a) Form, Adressat und Inhalt
12 Für die Form und den Adressaten des Ablehnungsgesuchs gilt: – Schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle oder in der mündlichen Verhandlung vor dem zur Entscheidung zuständigen Gericht durch Erklärung zu (gerichtlichem) Protokoll (§§ 44 Abs. 1, 159 Abs. 1 Satz 1, 160 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 ZPO). – Kein Anwaltszwang (§§ 44 Abs. 1, 78 Abs. 3 ZPO). – Antrag ist anzubringen bei dem Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört (§ 44 Abs. 1 ZPO), die Person des Abgelehnten muss namentlich oder sonst genau bezeichnet sein. – Antrag muss den Ablehnungsgrund glaubhaft machen (statt Beweisantritt, §§ 44 Abs. 2, 294 ZPO), zB durch Bezugnahme auf die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richter (§ 44 Abs. 2 ZPO) oder durch beigefügte schriftliche Beweismittel, wie etwa die eidesstattliche Versicherung – aber nicht eine solche der ablehnenden Partei selbst, § 44 Abs. 2 ZPO – des eigenen Anwalts (OLG Köln MDR 1986, 152; Zöller/Greger § 294 ZPO Rz. 5), schriftliche Zeugenaussagen (§ 377 Abs. 3 ZPO) und Urkunden.
13 K
Praxistipp: Um zu vermeiden, dass der abgelehnte Richter bzw. Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des/der abgelehnten Richter(s) über das für unzulässig oder missbräuchlich erachtete Ablehnungsgesuch entscheidet, weil dieses entweder keine oder nur eine für die Ablehnung im konkreten Fall völlig ungeeignete Begründung enthält (vgl. zu diesen und weiteren in der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmefällen Zöller/G. Vollkommer § 45 ZPO Rz. 4), sollten pauschale, aber auch (grob) verunglimpfende Ausführungen vermieden und Befangenheitsgründe vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die sich individuell auf den oder die an der zu treffenden Entscheidung beteiligten Richter (BVerwG MDR 1976, 783) und den konkreten Zusammenhang beziehen, aus dem die Besorgnis der Befangenheit abgeleitet wird.
b) Frist
14 Für die gesetzlich nicht starr geregelte Frist gilt: – Der Antrag muss vor einer Einlassung in einer mündlichen oder schriftlichen Verhandlung (zum Einlassen gehört jede Erklärung zur Sache, aber idR nicht durch Einreichung eines vorbereitenden Schriftsatzes; anders im nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordneten schriftlichen Verfahren, BGH MDR 2014, 492) und vor dem Stellen von Anträgen angebracht werden (§ 43 ZPO; BGH MDR 2008, 582). Bloße Formalanträge (zB auf Vertagung, Akteneinsicht oder Fristverlängerung) sind unschädlich (str., vgl. Zöller/G. Vollkommer § 43 ZPO Rz. 5). Tritt der Ablehnungsgrund erst in der mündlichen Verhandlung zu Tage, muss das Ablehnungsgesuch bis zum Schluss dieser Verhandlung gestellt werden (BGH MDR 2008, 582). – Falls der Ablehnungsgrund erst nach dem Einlassen entstanden oder der Partei bekanntgeworden ist, muss dies dargelegt und glaubhaft gemacht werden (§ 44 Abs. 4 ZPO). Die Kenntnis des Anwalts steht der Kenntnis der Partei gleich (§ 166 Abs. 1 BGB). – Keine (erstmalige) Ablehnung ist mehr möglich nach Beendigung der Instanz (BVerwG MDR 1970, 442; BayObLG MDR 1993, 471; OLG Zweibrücken OLGR 2000, 417). Wurde allerdings ein angebrachtes Ablehnungsgesuch übersehen oder nicht verbeschieden, kann ein Verfahrensmangel iS der §§ 520 Abs. 3 Nr. 2, 551 Abs. 3 Nr. 2b ZPO geltend gemacht werden.
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Wiemer
Ablehnung
Rz. 19 Kap. 22
Der abgelehnte Richter hat sich eingehend dienstlich zu äußern, was der Tatsachenfeststellung dient (§ 44 Abs. 3; BGH MDR 2012, 49). Die Äußerung des Richters gehört zum engeren Bereich seiner richterlichen Tätigkeit, kann also nicht Anlass für dienstrechtliche Maßnahmen sein (BGH MDR 1981, 138). Den Parteien muss Gelegenheit zur Stellungnahme zu der dienstlichen Äußerung, aber auch zu einer Selbstanzeige des Richters gegeben werden (BVerfGE 89, 28; Zöller/G. Vollkommer § 46 ZPO Rz. 3).
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Der Prozess ruht bis zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag (Ausnahme: Vornahme von Hand- 16 lungen, die keinen Aufschub gestatten, § 47 Abs. 1 ZPO). Erfolgt die Ablehnung während der Verhandlung und würde die Entscheidung eine Vertagung erfordern, kann der Termin unter Mitwirkung des Abgelehnten fortgesetzt werden. Bei Begründetheit der Ablehnung wird der nach dem Antrag liegende Verhandlungsteil wiederholt (§ 47 Abs. 2 ZPO). Diese Vorschrift beugt missbräuchlichen Ablehnungsgesuchen vor, um eine Verzögerung zu vermeiden. Die Entscheidung über den Ablehnungsantrag ergeht durch Beschluss (§ 46 Abs. 1 ZPO).
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d) Rechtsmittel Die stattgebende Entscheidung ist unanfechtbar, die in erster Instanz ergehende ablehnende Ent- 18 scheidung ist mit der sofortigen Beschwerde angreifbar (§ 46 Abs. 2 ZPO); eine Ablehnung in zweiter Instanz kann mit der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO angefochten werden, falls sie zugelassen worden ist (Zöller/G. Vollkommer § 46 ZPO Rz. 14, 14a). Weist ein abgelehnter Richter das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch zurück und entscheidet sodann in der Hauptsache, so entfällt für eine sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs regelmäßig das Rechtsschutzinteresse, wenn eine Berufung in der Hauptsache statthaft ist, in deren Rahmen auf entsprechende Rüge hin auch über die Ablehnung zu entscheiden ist (BGH MDR 2007, 288).
K
Praxistipp: Von einem Rechtsanwalt wird erwartet, dass er auf seine Partei beruhigend und mäßigend einwirkt, um eine aufgekommene Streiterei und Aufgeregtheit in der Verhandlung beizulegen (vgl. OLG Karlsruhe OLGZ 1987, 249). Das Gleiche gilt für den Richter, der nach einer emotionalen Reaktion unverzüglich zu einer ruhigen und angemessenen Verhandlungsführung zurückfinden muss und dies auch durch eine souveräne Klarstellung und ggf. entschuldigend zum Ausdruck bringen sollte (vgl. OLG Hamburg NJW 1992, 2036). Am besten: kurze Pause beantragen! Ein besonnener Anwalt wird – ggf. nach einer Pause – sogleich zur betont sachlichen Argumentation zurückfinden und versuchen, dem Richter – ggf. unterstützt durch Hinweise auf einschlägige Rechtsprechung – rechtliche Argumente aufzuzeigen, die den Standpunkt der vertretenen Partei untermauern. Eine Ablehnung bringt im Rahmen des Austausches kontroverser Rechtsansichten in der Sache selbst meist nichts. Ein Ablehnungsantrag stoppt den Prozess und kostet die eigene Partei Zeit: Der abgelehnte Richter muss sich erst äußern und die Akten dem Entscheidungsrichter vorlegen, der den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen wird; erst nach der Entscheidung und dem Abschluss eines etwaigen Beschwerdeverfahrens kann der Prozess in der Sache fortgesetzt und neuer Termin bestimmt werden.
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ZPO
c) Verfahren
ZPO
Kap. 22 Rz. 20
Ablehnung
M 22.1
20 M 22.1 Ablehnung des Richters In Sachen … / … (Kurzrubrum) lehne ich namens des Klägers, den Richter am Amtsgericht … Dr. M wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Gründe: Der Kläger hat Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (§ 42 Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Der Richter hat am Tage vor der Verhandlung mit dem Beklagten in der Gaststätte „Zum Hirsch“ zusammengesessen, sich von dem Beklagten bewirten lassen und mit ihm über diesen Rechtsstreit gesprochen. Damit lässt der Richter die von ihm zu erwartende Neutralität vermissen. Von diesem Sachverhalt hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers erst am Tage nach der Verhandlung erfahren (und von ihm der Kläger), als ihm Rechtsanwalt S – der in der Gaststätte am Nebentisch saß – zufällig davon berichtet hat. Der Kläger hat sein Ablehnungsrecht daher nicht verloren (§ 44 Abs. 4 ZPO). Glaubhaftmachung: 1. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts S (Anlage) 2. Dienstliche Äußerung des Richters Dr. M (Anlage) Kosten: Gericht: keine (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: keine (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
e) Kostenentscheidung
20a Für eine Kostenentscheidung ist bei Stattgabe des Ablehnungsgesuchs kein Raum; die Kosten sind solche des Rechtsstreits (§ 91 ZPO); aber auch bei Verwerfung oder Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs scheidet eine Kostenentscheidung (und damit eine Kostenerstattung) aus (str., vgl. Zöller/G. Vollkommer § 46 ZPO Rz. 8).
II. Ablehnung eines Sachverständigen oder eines Dolmetschers 1. Zweck der Ablehnung
21 Der Sachverständige ist Gehilfe des Gerichts, der auch von Amts wegen eingeschaltet werden darf (§ 144 Abs. 1 ZPO), und vermittelt diesem das fehlende Fachwissen. Er muss daher wie dieses unparteiisch und neutral sein (§ 410 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und kann deshalb aus denselben Gründen abgelehnt werden wie der Richter (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 41, 42 ZPO). Das gilt ebenso für den Dolmetscher (§ 191 Satz 1 GVG). Die Ablehnung ist in allen Verfahrensarten zulässig, auch im selbständigen Beweisverfahren, darf dort aber den Eilzweck nicht behindern (OLG Köln VersR 1993, 72; KG NJW-RR 1998, 144; Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 1). 2. Ablehnungsgründe
22 Enge Beziehung zu einer Partei: wie beim Richter (s. Rz. 4). 23 Tätigkeit für eine Partei: Vorgerichtliche (Beratungs-)Tätigkeit eines Sachverständigen/Dolmetschers für eine Partei im Rahmen eines Privatauftrags, Erstellung eines Privatgutachtens.
24 Gleichermaßen besteht ein Ablehnungsgrund wegen des Konflikts des Sachverständigen zwischen der Rücksichtnahme auf den früheren Auftraggeber und der Pflicht zu einer von der früheren Begutachtung losgelösten, objektiven Gutachtenerstattung, wenn der Sachverständige bereits ein Privatgutachten für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten zu einer
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Rz. 30 Kap. 22
gleichartigen Fragestellung in einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat und wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren (BGH MDR 2017, 479). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann bei anberaumter mündlicher Verhandlung der von einer Partei mitgebrachte Sachverständige zwar wegen Befangenheit abgelehnt werden, jedoch nicht mit der Begründung, dieser habe dem Antragsteller ein zur Glaubhaftmachung (§§ 294, 920 Abs. 2 ZPO) erforderliches schriftliches Gutachten erstattet (OLG Nürnberg MDR 1978, 499).
25
Sachverständiger oder Dolmetscher ist oder war Angestellter oder Beamter (OLG München MDR 2002, 291; OLG Hamburg MDR 1983, 412) einer Partei, Haussachverständiger einer Versicherung, aber nicht, wenn er für alle Versicherungen tätig ist (OLG Celle NJW-RR 2003, 135).
26
Sachverständiger hat ein Vertrauensverhältnis zu einer Partei, zB aufgrund einer länger dauernden, nicht nur einmaligen ärztlichen Behandlung (OLG Köln VersR 1992, 517).
27
Mangelnde Neutralität: Sachverständiger lädt zum Ortstermin nur eine Partei (BGH NJW 1975, 1363; 28 OLG Saarbrücken MDR 2014, 180), nimmt Kontakt nur zu einer Partei auf (OLG Düsseldorf BB 1972, 1248) oder zieht Unterlagen einer Partei ohne Wissen der anderen Partei heran (OLG Stuttgart MDR 2014, 560), lässt einen technischen Berater einer Partei nicht zum Ortstermin zu (OLG Düsseldorf MDR 1979, 409); anders bei ärztlicher Untersuchung: aus Gründen der Achtung der Menschenwürde keine anderen Anwesenden (OLG Köln MDR 2013, 1195). Dolmetscher übersetzt nicht wortgetreu, sondern verfälscht den Inhalt der Aussage in einen anderen Sinn. 3. Keine Befangenheit
29
Keine Ablehnungsgründe sind gegeben – wegen mangelnder Sachkunde und kleiner Fehler (BGH MDR 2011, 1373). – bei Gründen gegen Mitarbeiter des Sachverständigen, deren Ablehnung im Gesetz nicht vorgesehen und unzulässig ist (OLG Zweibrücken MDR 1986, 417; Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 2). – wegen scharfer Reaktion auf über sachliche Erfordernisse hinausgehende Angriffe einer Partei (OLG Celle MDR 1970, 243; OLG Düsseldorf BB 1975, 627). – gegen die Sachverständigenstellung einer Behörde (vgl. BGHZ 62, 94) oder eines Gutachterausschusses, der weder komplett noch in Form einzelner Mitglieder abgelehnt werden kann (OLG Oldenburg FamRZ 1992, 451; OLG Hamm NJW-RR 1990, 1471). – wegen einer gleichzeitigen Zeugenstellung des Sachverständigen (§ 406 Abs. 1 Satz 2 ZPO). – im Falle der Erstellung eines Gutachtens in 1. Instanz, das gem. § 529 Abs. 1 Satz 1 ZPO in 2. Instanz verwertbar ist, sofern nicht Zweifel an seiner Richtigkeit und Vollständigkeit bestehen (Zöller/Heßler § 529 ZPO Rz. 9). – im Falle der Ernennung des Sachverständigen mit Zustimmung der Partei, in der ein Verzicht auf die Geltendmachung eines der Partei bereits bekannten Ablehnungsgrunds zu sehen ist (OLG Köln VersR 1993, 1502). Gleiches gilt bei einer Einigung der Parteien auf einen Sachverständigen gem. § 404 Abs. 4 ZPO (Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 12). 4. Ablehnungsgesuch a) Form
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Für die Form des Ablehnungsgesuchs gilt: – Schriftlich oder mündlich zu Protokoll (§§ 406 Abs. 2 Satz 3, 159 Abs. 1 Satz 1, 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Wiemer 447
ZPO
Ablehnung
Kap. 22 Rz. 31
Ablehnung
ZPO
– Kein Anwaltszwang (§§ 78 Abs. 3, 406 Abs. 2 Satz 3 ZPO). – Zu richten an das Gericht, das den Sachverständigen bestellt oder den Dolmetscher zugezogen hat (§§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO, 191 Satz 2 GVG). – Antrag ist als Prozesshandlung bedingungsfeindlich und kann deshalb nicht hilfsweise für den Fall gestellt werden, dass das Gericht dem Gutachten folgen will (vgl. Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 10); zur Ratsamkeit einer substantiierten Begründung vgl. den Praxistipp Rz. 13. – Glaubhaftmachung erforderlich (§ 406 Abs. 3 ZPO; s. Rz. 12), jedoch schließt das Gesetz wie bei der Ablehnung des Richters die eidesstattliche Versicherung der Partei aus. Anders aber als bei der Ablehnung des Richters kann zur Glaubhaftmachung nicht auf das Zeugnis des abgelehnten Sachverständigen Bezug genommen werden, da § 406 ZPO eine § 44 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechende Regelung nicht enthält. b) Frist
31 Für die Frist gilt: – Binnen 2 Wochen ab Verkündung, Zustellung oder formlosen Erhalt (vgl. § 189 ZPO sowie Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 11) des Beschlusses über die Ernennung zum Sachverständigen oder Dolmetscher (§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO). – Jedenfalls vor der Vernehmung des Sachverständigen oder dem Beginn der Tätigkeit des Dolmetschers (§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO). – Danach nur, wenn die Partei glaubhaft macht, ohne ein Verschulden an der früheren Geltendmachung des Ablehnungsgrunds verhindert gewesen zu sein (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO), und die Ablehnung unverzüglich nach Kenntniserlangung geschieht, also nach kurzer Prüfungs- und Überlegungszeit von ca. 2 Wochen (BayObLG MDR 1995, 413; OLG München MDR 2004, 228). Ergibt sich der Ablehnungsgrund erst aus der Prüfung des Gutachtens, soll eine gesetzte – und ggf. verlängerte – Stellungnahmefrist (§ 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO) auch für die Ablehnung gelten (BGH NJW 2005, 1869; OLG Köln BauR 2013, 498; aA Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 11). – Verhandeln zur Sache oder zum Beweisergebnis kann zum Rechtsverlust führen, § 296a ZPO (OLG Düsseldorf MDR 1994, 620; Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 12). – In zweiter Instanz nur mit neu hinzugetretenen Gründen (§§ 520 Abs. 3 Nr. 3 u. 4, 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). c) Verfahren
32 Eine Anhörung des Sachverständigen oder Dolmetschers erfolgt nur, soweit dies sachlich erforderlich (OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 105; Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 12a), sein Persönlichkeitsrecht oder im Falle einer begründeten Ablehnung sein Honoraranspruch betroffen ist, also nicht, wenn die Ablehnung ohnehin zurückzuweisen ist.
33 Eine Anhörung des Gegners ist erforderlich, wenn das Gericht der Ablehnung stattzugeben beabsichtigt, insbesondere wenn der Gegner an dem Vorgang beteiligt ist und Gegengründe glaubhaft machen könnte (BVerfGE 89, 36; Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 12a).
34 Folgen der Ablehnung: Ein neuer Sachverständiger oder Dolmetscher muss bestellt werden, andere Vorgehensweisen (vgl. § 412 Abs. 2 ZPO: „kann“) scheiden bei fortbestehendem Aufklärungsbedarf aus.
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Praxistipp: Trotz Anbringung eines Ablehnungsgesuches muss zur Sache Stellung genommen werden (Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 13), um zu verhindern, dass das Gericht von einer erfolgWiemer
Ablehnung
Rz. 40 Kap. 22
ten Klärung des Beweisthemas ausgeht (vgl. hierzu Rz. 34) und eine Sachentscheidung trifft, woran es nicht gehindert ist. Die Ablehnungsgründe können (zB nach Fristverlust) auch innerhalb der Beweiswürdigung als Angriff gegen den Überzeugungswert des Gutachtens geltend gemacht werden (BGH MDR 1981, 739). Dies kann zu einem neuen Gutachten führen.
36
M 22.2 Ablehnung des Sachverständigen
37
In Sachen … / … (Kurzrubrum) wird der Sachverständige M wegen Besorgnis der Befangenheit vom Kläger abgelehnt. Begründung: Der vom Gericht mit der Erstellung des Gutachtens über die von der Beklagten geltend gemachten Mängel beauftragte Sachverständige M ist seit Jahren für die Beklagte als bauplanender und bauausführender Architekt tätig. Aufgrund seiner ständigen persönlichen Kontakte zu dem Geschäftsführer der Beklagten und auch aus wirtschaftlichen Gründen (er erzielt einen wesentlichen Teil seines Einkommens aus Aufträgen der Beklagten) muss der Kläger annehmen, dass der Sachverständige sein Gutachten nicht unparteiisch erstatten wird. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass weder die Beklagte noch der Sachverständige nach Ergehen des Beweisbeschlusses von diesen Verhältnissen Mitteilung gemacht haben. Von diesen Tatsachen hat der Kläger erst vor wenigen Tagen Kenntnis erhalten, weil ein Mitarbeiter des Klägers zufällig an einer Baustelle der Beklagten ein Baustellenschild mit dem Hinweis auf den Architekten M gesehen hat. Glaubhaftmachung: Eidesstattliche Versicherung des Arbeiters A (Anlage) Die Ablehnung erfolgt daher zu Recht (§§ 406, 42 ZPO). Kosten: Gericht: keine (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: keine (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
III. Ablehnung eines Schiedsrichters 1. Zweck der Ablehnung Im Schiedsgerichtsverfahren kommt dem Recht der Partei auf Ablehnung eines Schiedsrichters be- 38 sondere Bedeutung bei. Denn die Parteien können Schiedsrichter frei benennen (§ 1035 ZPO), grundsätzlich also auch solche, die diesem Amt geistig nicht gewachsen sind (BGH NJW 1986, 3079). Es gibt keine Auswahlkriterien wie für ehrenamtliche Richter (§ 109 GVG). Es gelten nur der Grundsatz der Unparteilichkeit der Rechtspflege (Art. 97 GG) und das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit nach § 104 BGB (Zöller/Geimer § 1035 ZPO Rz. 3, 5 und 6). Allgemeiner Erfahrung nach betrachten sich die von den Parteien ernannten Schiedsrichter vielfach als deren Interessenvertreter und üben demgemäß ihr Amt mehr oder weniger einseitig aus. Dies entspricht auch der Erwartung der Parteien, die die von ihnen gerade zu diesem Zwecke benannten Persönlichkeiten leicht als Anwälte ihrer Interessen im Schiedsgericht ansehen und von ihnen eine Entscheidung des Rechtsstreits zu ihren Gunsten erhoffen (BGH MDR 1972, 491). Umso mehr wird die andere Partei auf Ablehnungsgründe achten (müssen).
39
Wer das Amt des Schiedsrichters angetragen erhält, muss sogleich (und auch nach seiner Bestellung 40 bis zum Ende des schiedsrichterlichen Verfahrens) unverzüglich alle Umstände offenlegen, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können (§ 1036 Abs. 1 ZPO). Eine Ab-
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M 22.2
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Kap. 22 Rz. 41
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lehnung ist eine Aufforderung zum Rücktritt (§ 1037 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Zur Ablehnung des Schiedsrichters vgl. auch Kap. 97 Rz. 45 ff. und M 97.6. 2. Ablehnungsgründe
41 Ein Schiedsrichter kann aus denselben Gründen abgelehnt werden wie ein Richter (§ 1036 Abs. 2 Satz 1 ZPO): wegen mangelnder Unabhängigkeit (= Ausschluss vom Richteramt, § 41 ZPO) und wegen mangelnder Unparteilichkeit (= Besorgnis der Befangenheit, § 42 Abs. 2 ZPO). Insofern ist auf die Aufstellung in den Rz. 4 ff. zu verweisen. Als weiterer Ablehnungsgrund tritt die Nichterfüllung der zwischen den Parteien ggf. vereinbarten Voraussetzungen, zB die Befähigung zum Richteramt (für den Obmann) oder besondere Kenntnisse auf einem bestimmten Rechtsgebiet, hinzu (§ 1036 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
42 Ist eine juristische Person Partei des Schiedsverfahrens, sind in der Regel – weil niemand in eigener Sache richten darf – Mitglieder ihrer Organe (Vorstand, Aufsichtsrat, Vertreterversammlung, vgl. Zöller/ Geimer § 1035 ZPO Rz. 3; BGH v. 11.10.2017 – I ZB 12/17), im Übrigen aber auch weisungsabhängige Angestellte, der Hausanwalt oder vertraglich gebundene Personen (beispielhaft BGHZ 17, 7) als befangen anzusehen und vom Schiedsrichteramt ausgeschlossen.
43 Die Parteien können vertraglich nicht nur Ablehnungsgründe hinzufügen (vgl. Rz. 41), sondern Ablehnungen auch (in Grenzen) einschränken (Zöller/Geimer § 1036 ZPO Rz. 10).
44 Nicht ein Ablehnungsgrund, aber ein Beendigungsgrund sind die rechtliche oder tatsächliche Unfähigkeit der Aufgabenerfüllung und die ungebührliche Verzögerung der Erfüllung der Schiedsrichterpflichten (§ 1038 Abs. 1 Satz 1 ZPO), ohne dass es auf ein Verschulden des Schiedsrichters ankommt. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn ein Schiedsrichter (zB bei Verlust der Geschäftsfähigkeit) dem Amt geistig nicht gewachsen ist (BGH NJW 1986, 3079), eine lange Geschäftsreise ins Ausland antritt, auf längere Zeit im Krankenhaus liegt oder sich weigert, einen Beweisbeschluss zu unterschreiben.
45 In den Fällen der Rz. 44 ist der Schiedsrichter aufzufordern, von seinem Amt zurückzutreten. Die Parteien können auch die Beendigung seines Amtes vereinbaren. Ist beides nicht zu erreichen, kann – ohne Bindung an eine Frist – das Gericht zur Entscheidung über die Beendigung des Amtes angerufen werden (§§ 1038 Abs. 1 Satz 2, 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). 3. Formalien der Ablehnung
46 Zuständigkeit: Die Parteien können das Ablehnungsverfahren vereinbaren (§ 1037 Abs. 1 ZPO), zB bestimmen, dass das staatliche Gericht zuständig sein soll oder ein bestimmter Dritter oder ein vom Präsidenten des Landgerichts zu bestimmender Richter. Fehlt eine Vereinbarung, muss das Ablehnungsgesuch beim Schiedsgericht angebracht werden (§ 1037 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
47 Zeitpunkt: Innerhalb der vereinbarten Frist oder bei Fehlen einer Fristbestimmung binnen zwei Wochen nach Bekanntwerden der Zusammensetzung des Schiedsgerichts oder eines zur Ablehnung berechtigenden Umstands (§ 1037 Abs. 2 Satz 1 ZPO), jedoch nur während des schiedsgerichtlichen Verfahrens bis zum Erlass des Schiedsspruchs (Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 4).
48 Ergeht ein Schiedsspruch, ist ein anhängiges Ablehnungsverfahren fortzusetzen (Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 4).
49 Eine verspätete Ablehnung führt aufgrund der Präklusionswirkung des § 1037 Abs. 3 ZPO zum Verlust des Ablehnungsrechts (Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 6).
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Wiemer
Ablehnung
Rz. 58 Kap. 22
Unabhängig davon kann eine Partei einen von ihr oder unter ihrer Mitwirkung bestellten Schieds- 50 richter nicht aus Gründen ablehnen, die ihr bei der Bestellung bereits bekannt gewesen sind (§ 1036 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Der abgelehnte Schiedsrichter kann von seinem Amt zurücktreten oder die andere Partei kann der 51 Ablehnung zustimmen (§ 1037 Abs. 2 Satz 2 ZPO). In beiden Fällen erledigt sich das Ablehnungsverfahren. Die Ablehnungsgründe sind schriftlich (oder elektronisch, vgl. Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 2) dar- 52 zulegen. Eine Glaubhaftmachung wie bei § 44 Abs. 2 ZPO ist nicht erforderlich. Ist ein Verfahren nicht vereinbart, gelten § 1042 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 ZPO: Der Gegner ist anzuhören. Im Übrigen steht das Verfahren im freien Ermessen des Schiedsgerichts. Es sollte den Abgelehnten anhören; denn das Schiedsgericht muss sich mit dem gesamten Parteivorbringen auseinandersetzen und den Sachverhalt ermitteln, ggf. Beweise erheben (Zöller/Geimer § 1042 ZPO Rz. 30). Die erfolgreiche Ablehnung ist nicht anfechtbar. Bleibt die Ablehnung erfolglos, kann die Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zugang (oder innerhalb vereinbarter Frist) beim staatlichen Gericht angefochten werden (§ 1037 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
53
Zuständig ist das Oberlandesgericht, das im Schiedsvertrag bestimmt ist oder hilfsweise dasjenige, in 54 dessen Bezirk das Schiedsverfahren stattfindet (§ 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Dieses entscheidet nach Anhörung des Gegners ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 1063 Abs. 1 ZPO; auf Antrag auch nach mündlicher Verhandlung; vgl. Zöller/Geimer § 1063 ZPO Rz. 2, str.), und zwar unanfechtbar (§ 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Im Verfahren vor dem staatlichen Gericht besteht kein Anwaltszwang, solange eine mündliche Verhandlung nicht angeordnet ist (§§ 78 Abs. 3, 1063 Abs. 4 ZPO).
55
Während das Ablehnungsverfahren beim Oberlandesgericht anhängig ist, kann das Schiedsgericht ein- 56 schließlich des abgelehnten Schiedsrichters das Verfahren fortsetzen und einen Schiedsspruch erlassen (§ 1037 Abs. 3 Satz 2 ZPO), wird aber vorzugsweise das Verfahren bis zur Entscheidung aussetzen. Denn bei begründeter Ablehnung würde ein Schiedsspruch auf einem unzulässigen Verfahren beruhen und gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 1d ZPO aufhebbar sein (BGHZ 24, 1; Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 5). Die Fortsetzung des Schiedsgerichtsverfahrens ist daher untunlich, sofern es sich bei der Ablehnung nicht um einen Verschleppungsversuch handelt. Nach erfolgreicher Ablehnung ist ein Ersatzschiedsrichter zu bestellen (§ 1039 ZPO).
57
M 22.3 Ablehnung eines Schiedsrichters gegenüber dem Schiedsgericht
58
An das Schiedsgericht bestehend aus den Schiedsrichtern … z.Hd. des Vorsitzenden … in … In der Schiedssache … / … lehnt die Beklagte den Schiedsrichter F ab. Begründung: In dem genannten Schiedsgerichtsverfahren hat der Kläger Herrn F zum Schiedsrichter bestellt. Die Beklagte lehnt diesen Schiedsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab (§ 1036 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es liegen objektive Umstände vor, die aus Sicht der Beklagten und aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Schiedsrichters aufkommen lassen.
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ZPO
M 22.3
ZPO
Kap. 22 Rz. 59
Ablehnung
M 22.4
Herr F und der Kläger bilden seit Jahren den Vorstand des Fußballvereins SV L. und sind eng befreundet. Das hat die Beklagte gestern aus einem Artikel in der Tageszeitung entnommen. Dort sind beide Arm in Arm abgebildet. Beweis: 1. Auszug aus dem Vereinsregister (Anlage) 2. Artikel aus der Tageszeitung (Anlage) Herr F hat diese Umstände nicht offengelegt, wie es § 1036 Abs. 1 Satz 1 ZPO von ihm aber verlangt hätte. Die Beklagte befürchtet deshalb zu Recht, dass Herr F nicht objektiv urteilen wird. Kosten: Anwalt: die Ablehnung gehört zum Rechtszug des schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 36 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG) und löst daher keine besondere Gebühr aus.
59 M 22.4 Antrag auf Entscheidung über die Schiedsrichterablehnung durch das
staatliche Gericht An das Oberlandesgericht – Zivilsenat – in … In der Schiedssache … / … (Langrubrum) beantragt die Schiedsbeklagte, über die Ablehnung des Schiedsrichters F zu entscheiden und diese für begründet zu erklären. Begründung: Das Schiedsgericht hat durch den anliegenden Beschluss vom 11.4. … (zugestellt am 15.4. … ) den Antrag der Schiedsbeklagten auf Ablehnung des Schiedsrichters F zurückgewiesen. Schiedsrichter F hat es abgelehnt, von seinem Amt zurückzutreten. Das Oberlandesgericht … ist als das im Schiedsvertrag bestimmte Gericht nach § 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für die Entscheidung zuständig. Das Schiedsgericht hat bislang keinen Schiedsspruch getroffen. … (sodann Text wie M 22.3.) Kosten: Gericht: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 1624 KV GKG. Anwalt: 0,75 Verfahrensgebühr nach Nr. 3327 VV RVG und 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3332 VV RVG; das Verfahren und das schiedsrichterliche Verfahren sind dieselbe Angelegenheit (§ 16 Nr. 8 RVG); die Gebühren entstehen demnach nicht gesondert.
60 K
Praxistipp: Der im Antrag auf Entscheidung über die Schiedsrichterablehnung durch das staatliche Gericht enthaltene Hinweis zum noch nicht ergangenen Schiedsspruch beugt Zweifeln am Rechtsschutzbedürfnis vor. Solche können dann berechtigt sein (vgl. OLG München SchiedsVZ 2014, 45; Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 5), wenn das Schiedsverfahren durch abschließenden Schiedsspruch beendet ist, ohne dass die nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1d ZPO veranlasste Aufhebung rechtzeitig (vgl. § 1059 Abs. 3 ZPO) beantragt wurde. Denn in diesem Fall ist das Verfahren in jeder Hinsicht beendet und der bei begründeter Ablehnung des Schiedsrichters bestehende Aufhebungsgrund könnte auch die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nicht verhindern (§ 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Im Falle eines bereits ergangenen Schiedsspruchs kann der im Antrag enthaltene Hinweis wie folgt lauten: „Das Schiedsgericht hat zwar zwischenzeitlich einen (stattgebenden) Schiedsspruch getroffen. Jedoch steht die Entscheidung über den von der Schiedsbeklagten gestellten und [auch] auf § 1059 Abs. 2 Nr. 1d ZPO gestützten Aufhebungsantrag noch aus.
452
Wiemer
Ablehnung
Rz. 62 Kap. 22
M 22.5 Antrag auf Aussetzung des Schiedsgerichtsverfahrens
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An das Schiedsgericht bestehend aus den Schiedsrichtern … z. Hd. des Vorsitzenden … in … In der Schiedssache … / … (Langrubrum) beantragt die Beklagte, das Schiedsgerichtsverfahren bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts … über die Ablehnung des Schiedsrichters F auszusetzen. Begründung: Die Beklagte hat gegen den Beschluss des Schiedsgerichts vom 11.4. … (zugestellt am 15.4. … ) die Entscheidung des Oberlandesgerichts … über die Ablehnung des Schiedsrichters F beantragt. Da im Falle eines die Ablehnung aussprechenden Gerichtsbeschlusses ein Schiedsspruch auf einem unzulässigen Verfahren beruhen würde und aufzuheben wäre (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1d ZPO; vgl. BGHZ 24, 1; Zöller/Geimer § 1037 ZPO Rz. 5), ist es geboten, das Verfahren bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts auszusetzen.
M 22.6 Antrag auf Feststellung der Beendigung des Schiedsrichteramtes An das Oberlandesgericht – Zivilsenat – in … In der Schiedssache … / … (Langrubrum) wird beantragt, zu entscheiden, dass das Amt des Schiedsrichters F beendet ist. Begründung: In dem genannten Schiedsgerichtsverfahren hat der Schiedskläger Herrn F zum Schiedsrichter bestellt. Die Schiedsbeklagte hat Herrn F aufgefordert, gem. § 1038 Abs. 1 Satz 1 ZPO von seinem Amt zurückzutreten, aber keine Antwort erhalten. Der Schiedskläger hat es abgelehnt, die Beendigung des Amtes des Schiedsrichters F mit der Schiedsbeklagten zu vereinbaren. Deshalb hat das Oberlandesgericht … gem. §§ 1038 Abs. 1 Satz 2, 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO über die Beendigung des Amtes des Schiedsrichters zu entscheiden. Zwar fehlt eine Zuständigkeitsregelung in der Schiedsvereinbarung, aber das Schiedsgericht tagt in … Schiedsrichter F ist tatsächlich außerstande, seine Aufgaben zu erfüllen. Er hat am 22.4. … einen Schlaganfall erlitten, ist seitdem teilweise gelähmt und zurzeit kaum ansprechbar. Er wird sich von dem Schlaganfall – wenn überhaupt – nur nach langer Rehabilitation erholen. Beweis: Auskunft des Krankenhauses X Sachverständigengutachten Bis dahin kann das Schiedsgerichtsverfahren über die Höhe des Auseinandersetzungsguthabens nicht liegen bleiben. Das ist für die Schiedsbeklagte nicht zumutbar. Kosten: s. Anm. zu M 22.4.
Wiemer 453
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M 22.6
Kap. 22 Rz. 63
Ablehnung
ZPO
IV. Ablehnung des Rechtspflegers, Gerichtsvollziehers pp. 63 Die Vorschriften über die Ablehnung eines Richters gelten nach § 10 Satz 1 RPflG auch für den Rechtspfleger und nach § 49 ZPO auch für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.
64 Der Gerichtsvollzieher kann hingegen nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden; es gilt nur § 155 GVG, ein Ablehnungsgesuch ist unzulässig (BGH MDR 2005, 169).
65 Ein Insolvenzverwalter ist nicht Gerichtsperson iS der ZPO und kann nicht nach §§ 41 ff. ZPO abgelehnt werden. Für seine Abberufung enthalten die §§ 56–59 InsO eine abschließende Sonderregelung (BGH NJW-RR 2007, 1535).
Kapitel 23 Verspätetes Vorbringen I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prozessförderungsobliegenheit . . . . . . . . . M 23.1 Brief an den Mandanten bei verabredetem Zurückhalten von Verteidigungsvorbringen . . . . . . . . . . . . . III. Zurückweisung verspäteten Vorbringens . 1. Eingangsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Missachtung richterlicher Fristen . . . . . . b) Verletzung der Prozessführungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstinstanzlich zurückgewiesenes Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 7 8 11 12 14 15 16
IV. 1. 2.
3. 4. V. 1. 2.
b) Neues Vorbringen im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsorgemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise gegenüber Mandanten . . . . . . . . Entschuldigung gegenüber dem Gericht . . . M 23.2 Entschuldigung für verspätetes Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flucht in die Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . Flucht in die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . Reaktion des Gegners . . . . . . . . . . . . . . . . Frist des § 132 ZPO ist gewahrt . . . . . . . . . Frist des § 132 ZPO ist nicht gewahrt . . . . .
17 22 22 25 26 29 32 33 34 40
I. Grundlagen 1 Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens steht im Spannungsfeld von Einzelfallgerechtigkeit, rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und Justizgewährung in angemessener Zeit (Art. 6 EMRK). Sie ist die zulässige und angemessene Sanktion der Verletzung der allgemeinen Prozessförderungsobliegenheit (§ 282 Abs. 1 ZPO) und der Missachtung richterlicher oder gesetzlicher Fristen, die jedoch unter besonderer verfassungsrechtlicher Kontrolle steht (BVerfGE 75, 302, 312 ff. = MDR 1987, 904.). Insbesondere ist die Zurückweisung ausgeschlossen, wenn die Verspätung oder der Mangel der Entschuldigung auch auf einer Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht beruht (BVerfGE 75, 183, 190 = MDR 1987, 814).
II. Prozessförderungsobliegenheit 2 Die Prozessförderungsobliegenheit kennt vor Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 296a Satz 1 ZPO) grundsätzlich keine festen Schranken für die Zulässigkeit neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel, sondern verlangt in jedem Einzelfall von beiden Parteien eine sorgfältige und auf Förderung des Verfahrens bedachte Prozessführung (§ 282 Abs. 1 ZPO). Eine Überfrachtung des Prozessstoffs mit allen Eventualitäten ist nicht gewollt. Daher muss der Kläger in der Klageschrift zunächst nur die wesentlichen anspruchsbegründenden Tatsachen vortragen und dafür, soweit mit einem Bestreiten der Gegenseite zu rechnen ist, Beweis antreten (§§ 253 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, 130 Nr. 3, 5 ZPO). Der Beklag454
Wiemer/Piekenbrock
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IV. Ablehnung des Rechtspflegers, Gerichtsvollziehers pp. 63 Die Vorschriften über die Ablehnung eines Richters gelten nach § 10 Satz 1 RPflG auch für den Rechtspfleger und nach § 49 ZPO auch für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.
64 Der Gerichtsvollzieher kann hingegen nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden; es gilt nur § 155 GVG, ein Ablehnungsgesuch ist unzulässig (BGH MDR 2005, 169).
65 Ein Insolvenzverwalter ist nicht Gerichtsperson iS der ZPO und kann nicht nach §§ 41 ff. ZPO abgelehnt werden. Für seine Abberufung enthalten die §§ 56–59 InsO eine abschließende Sonderregelung (BGH NJW-RR 2007, 1535).
Kapitel 23 Verspätetes Vorbringen I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prozessförderungsobliegenheit . . . . . . . . . M 23.1 Brief an den Mandanten bei verabredetem Zurückhalten von Verteidigungsvorbringen . . . . . . . . . . . . . III. Zurückweisung verspäteten Vorbringens . 1. Eingangsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Missachtung richterlicher Fristen . . . . . . b) Verletzung der Prozessführungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstinstanzlich zurückgewiesenes Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 7 8 11 12 14 15 16
IV. 1. 2.
3. 4. V. 1. 2.
b) Neues Vorbringen im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsorgemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise gegenüber Mandanten . . . . . . . . Entschuldigung gegenüber dem Gericht . . . M 23.2 Entschuldigung für verspätetes Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flucht in die Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . Flucht in die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . Reaktion des Gegners . . . . . . . . . . . . . . . . Frist des § 132 ZPO ist gewahrt . . . . . . . . . Frist des § 132 ZPO ist nicht gewahrt . . . . .
17 22 22 25 26 29 32 33 34 40
I. Grundlagen 1 Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens steht im Spannungsfeld von Einzelfallgerechtigkeit, rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und Justizgewährung in angemessener Zeit (Art. 6 EMRK). Sie ist die zulässige und angemessene Sanktion der Verletzung der allgemeinen Prozessförderungsobliegenheit (§ 282 Abs. 1 ZPO) und der Missachtung richterlicher oder gesetzlicher Fristen, die jedoch unter besonderer verfassungsrechtlicher Kontrolle steht (BVerfGE 75, 302, 312 ff. = MDR 1987, 904.). Insbesondere ist die Zurückweisung ausgeschlossen, wenn die Verspätung oder der Mangel der Entschuldigung auch auf einer Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht beruht (BVerfGE 75, 183, 190 = MDR 1987, 814).
II. Prozessförderungsobliegenheit 2 Die Prozessförderungsobliegenheit kennt vor Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 296a Satz 1 ZPO) grundsätzlich keine festen Schranken für die Zulässigkeit neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel, sondern verlangt in jedem Einzelfall von beiden Parteien eine sorgfältige und auf Förderung des Verfahrens bedachte Prozessführung (§ 282 Abs. 1 ZPO). Eine Überfrachtung des Prozessstoffs mit allen Eventualitäten ist nicht gewollt. Daher muss der Kläger in der Klageschrift zunächst nur die wesentlichen anspruchsbegründenden Tatsachen vortragen und dafür, soweit mit einem Bestreiten der Gegenseite zu rechnen ist, Beweis antreten (§§ 253 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, 130 Nr. 3, 5 ZPO). Der Beklag454
Wiemer/Piekenbrock
M 23.1
Rz. 7 Kap. 23
Verspätetes Vorbringen
ZPO
te hat sich in seiner Klageerwiderung zu den tatsächlichen Behauptungen des Klägers zu erklären und zu Einwendungen, soweit erforderlich beweisbewehrt, vorzutragen (§§ 277 Abs. 1, 130 Nr. 4, 5 ZPO). Maßstab für die Rechtzeitigkeit ist grundsätzlich der nächste Termin zur mündlichen Verhandlung. Die weitergehende Obliegenheit zu rechtzeitigen schriftsätzlichen Ankündigungen (§§ 282 Abs. 2, 132 ZPO) besteht dagegen nur in Anwaltsprozessen (§ 129 Abs. 1 ZPO) und bei Anordnungen nach § 129 Abs. 2 ZPO (BVerfG NJW 1993, 1319). Die einzige gesetzliche Schranke besteht für den Beklagten bei Zulässigkeitsrügen, die stets vor der Ver- 3 handlung zur Hauptsache und ggf. schon in der Klageerwiderung zu erheben sind (§ 282 Abs. 3 ZPO, vgl. Kap. 20 Rz. 39). Durch Zurückweisung nach § 296 Abs. 3 ZPO sanktioniert ist diese Obliegenheit jedoch nur bei den verzichtbaren Rügen aus §§ 110, 269 Abs. 6 ZPO und – beschränkt auf die mündliche Verhandlung – aus § 1032 ZPO (BGHZ 147, 394, 396 = MDR 2001, 1071). Dagegen ist die Zuständigkeit unverzichtbar und nur nach Maßgabe der §§ 39, 40 Abs. 2 Satz 2, 504 ZPO durch rügelose Einlassung nachträglich begründbar (OLG Saarbrücken NJW 2005, 906, 907; BGHZ 134, 127, 135 [internationale Zuständigkeit]; BGHZ 147, 394, 397 [obiter]; aA Stein/Jonas/Thole § 296 ZPO Rz. 132, 133). Ergänzt wird die allgemeine Prozessförderungsobliegenheit durch die Möglichkeiten des Gerichts, den Parteien verbindliche Fristen für das Vorbringen bestimmter Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu setzen (§§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 5, 275, 276, 277 ZPO).
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Aus der gesetzlichen Prozessförderungsobliegenheit ergibt sich für den Anwalt die vertragliche Pflicht, 5 seinem Mandanten unverzüglich nach der Erteilung des Mandats nachdrücklich zu erläutern, wie wichtig es ist, die durch das Vorbringen des Gegners ausgelösten Fragen unverzüglich und umfassend zu beantworten und insbesondere die dafür notwendigen (zusätzlichen) Informationen zu erteilen, um innerhalb der gesetzten Frist erwidern zu können. Dabei ist dem Mandanten unmissverständlich klarzumachen, dass er allein durch Nachlässigkeiten bei der Informationsbeschaffung den Prozess verlieren kann, weil sich Laien erfahrungsgemäß schwertun, solche verfahrensrechtlichen Folgen zu verstehen oder gar einzusehen. Probleme bei der Informationsbeschaffung hat der Anwalt bei Fristverlängerungsanträgen glaubhaft zu machen (§ 224 Abs. 2 ZPO).
K
Praxistipp: Das anfängliche Zurückhalten eines Verteidigungsmittels durch den Anwalt, etwa ei- 6 ner Hilfsaufrechnung, mag taktisch vorteilhaft sein, wenn es der Gegenseite die Erwiderung erschwert. Solches Vorgehen muss der Anwalt jedoch sorgfältig abwägen gegen die Gefahren, die in diesem Falle aus dem möglichen Vorwurf drohen, der Beklagte habe seine Obliegenheit verletzt, den Prozess in jeder Lage angemessen zu fördern. Neben der Gefahr der Zurückweisung als verspätet ist immer auch die atmosphärische Störung einer solchen Taktik zu bedenken. Auf die Gefahren ist der Mandant hinzuweisen, was zur Vermeidung eines Regresses schriftlich zu dokumentieren ist.
M 23.1 Brief an den Mandanten bei verabredetem Zurückhalten von
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Verteidigungsvorbringen Sehr geehrter Herr Klein, in Ihrer Sache gegen Groß finden Sie anbei die Klagerwiderung, die ich dem Landgericht inzwischen vorgelegt habe. Ich habe darin, wie am … besprochen, lediglich vorgetragen, …, mithin noch nicht eingewandt …. Wir wollten insoweit warten, wie Groß aufgrund unseres Vortrags in der Klagerwiderung reagieren wird. Sie wissen, dass Termin zur mündlichen Verhandlung am … ansteht. Sollten Sie bis zum … von mir keine Nachricht vorliegen haben, müssen Sie mit mir umgehend Kontakt aufnehmen, damit wir erneut erörtern können, ob verantwortet werden kann, dass wir unseren Vortrag … weiter zurückhalten. Ungeachtet dessen müssen Sie schon jetzt sämtliche Informationen zusammentragen, mithin auch die Zeugen, die wir für die Richtigkeit unseres Vortrags benennen können, ausfindig machen, damit, sollte dies aufgrund ergänzenden Vortrags von Groß erforderlich werden, am … spätestens umfassend zur Frage … vorgetragen werden kann. …
Piekenbrock
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Kap. 23 Rz. 8
Verspätetes Vorbringen
ZPO
III. Zurückweisung verspäteten Vorbringens 8 Hat eine Partei ihrer Prozessförderungsobliegenheit nicht genügt, droht ihr die Zurückweisung ihres Vorbringens als verspätet (§ 296 ZPO). Dabei gilt einheitlich, dass die Zulassung des Vorbringens in der Rechtsmittelinstanz nicht überprüfbar ist und dass bei der Überprüfung der Zurückweisung ein Wechsel des Präklusionsgrundes durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht in Betracht kommt (BGHZ 166, 227, 230 = MDR 2006, 1306; Zöller/Greger § 296 ZPO Rz. 36). Lag der genannte Präklusionsgrund nicht vor, ist unter Berücksichtigung des zu Unrecht zurückgewiesenen Vorbringens zu prüfen, ob das angefochtene Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO). Die offenkundig fehlerhafte Anwendung der Präklusionsnormen begründet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Partei iSv. Art. 103 Abs. 1 GG und § 544 Abs. 7 ZPO (BGH NJW-RR 2009, 332 Rz. 8; BeckRS 2017, 109882, Rz. 9).
9 K
Praxistipp: Ist erstinstanzliches Vorbringen zurückgewiesen worden, ist bei der Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO) stets sorgfältig zu prüfen, ob die Frist wirksam gesetzt ist (vgl. dazu Zöller/Greger § 296 ZPO Rz. 9 ff.). Zur Prüfung sind die Gerichtsakten einzusehen.
10 Im Übrigen ist jedoch zwischen Eingangs- und Berufungsinstanz zu unterscheiden. 1. Eingangsinstanz
11 Für die Eingangsinstanz ist zu beachten, dass die Zurückweisung als verspätet ungleich eher droht, wenn die Partei eine gerichtliche Frist nicht eingehalten hat (§ 296 Abs. 1 ZPO), als wenn ihr „nur“ einer Verletzung der allgemeinen Prozessförderungsobliegenheit zur Last fällt (§ 296 Abs. 2 ZPO). a) Missachtung richterlicher Fristen
12 Bei Missachtung richterlicher Fristen darf das Gericht das verspätete Vorbringen nur noch berücksichtigen, wenn entweder die Erledigung des Rechtsstreits nach freier richterlicher Überzeugung nicht verzögert wird oder die Partei die Verspätung genügend entschuldigt (§ 296 Abs. 1 ZPO). Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Rechtsstreit bei Einhaltung der Frist schneller hätte erledigt werden können (relativer Verzögerungsbegriff), sondern ob er bei Zulassung des Vorbringens trotz gerichtlicher Anstrengungen voraussichtlich länger dauert als bei Zurückweisung (absoluter Verzögerungsbegriff) (BGHZ 75, 138, 142; 76, 133, 135 f.). Verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist die Zurückweisung aber, wenn sich regelrecht aufdrängt, dass die Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre (BVerfGE 75, 302, 316 f. = MDR 1987, 904.; NJW 1995, 1417, 1418). Im Übrigen fehlt es an der erforderlichen Kausalität der Verspätung für die Verzögerung, wenn der Rechtsstreit auch aus anderen Gründen nicht erledigt werden kann oder wenn das Gericht die Verzögerung durch eine sachgerechte Terminsvorbereitung hätte verhindern können (Zöller/Greger § 296 ZPO Rz. 14, 14a).
13 K
Praxistipp: Auch wenn sich diese verfassungsrechtlich gebotene Einschränkung auch in einigen obergerichtlichen Judikaten widerspiegelt (OLG Celle BauR 2000, 1900 f.; OLG Naumburg VersR 2005, 1099 f.), verletzt ein Anwalt seine Sorgfaltspflichten, wenn er im Vertrauen auf das Fehlen einer relativen Verzögerung eine richterliche Frist ohne rechtzeitigen Verlängerungsantrag missachtet.
b) Verletzung der Prozessführungsobliegenheit
14 Bei Verletzung der Prozessführungsobliegenheit setzt die Zurückweisung dagegen neben der Verzögerung voraus, dass die Verspätung auf grober Nachlässigkeit der Partei oder des Anwalts (§ 85 ZPO) beruht (§ 296 Abs. 2 ZPO). Selbst wenn dies der Fall ist, besteht ein Entschließungsermessen des Gerichts, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Vorbringens und die mögliche Dauer der Verzöge-
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Piekenbrock
Verspätetes Vorbringen
Rz. 18 Kap. 23
ZPO
rung zu berücksichtigen sind. Hat der Beweisführer den Auslagenvorschuss erst nach Ablauf der gesetzten Frist bezahlt (§ 379 Satz 2 ZPO), kommt nur die Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO in Betracht; dabei indiziert die verspätete Zahlung allein noch nicht die grobe Nachlässigkeit (BVerfG NJW 2000, 1327; BGH BeckRS 2016, 10411, Rz. 11, 15). 2. Berufungsinstanz Wesentlich komplexer wirkt sich die Verspätung dagegen in der Berufungsinstanz aus, in der grundsätzlich die Regelungen zum erstinstanzlichen Verfahren entsprechend gelten (§ 525 Satz 1 ZPO).
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a) Erstinstanzlich zurückgewiesenes Vorbringen Eine erste Einschränkung ergibt sich jedoch daraus, dass das in der Eingangsinstanz zu Recht zu- 16 rückgewiesene Vorbringen auch in der Berufungsinstanz ausgeschlossen bleibt (§ 531 Abs. 1 ZPO). Voraussetzung dafür ist, dass das Vorbringen in der tragenden Begründung nach § 296 ZPO (ggf. iVm. § 340 Abs. 3 Satz 3 ZPO) zurückgewiesen worden ist. Wurde ein verspätetes Vorbringen dagegen als unerheblich angesehen, hat es die Erledigung nach der für die Anwendung des Verfahrensrechts maßgeblichen Auffassung des Eingangsgerichts nicht verzögert und kann daher nicht im Rahmen einer Hilfsbegründung zurückgewiesen werden (BGHZ 94, 195, 212 ff.; Zöller/Heßler § 531 ZPO Rz. 7). Vielmehr gelangt es dann nach dem Grundsatz der Einheit der mündlichen Verhandlung mit dem ganzen aktenkundigen Prozessstoff erster Instanz in die Berufungsinstanz und ist dort nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen (BGHZ 158, 269, 278 = MDR 2004, 954 m. Anm. Fellner). Da es sich damit nicht um neues Vorbringen iSv. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO handelt, ist die erstinstanzliche Verspätung für die Berücksichtigung im Berufungsverfahren unbeachtlich. b) Neues Vorbringen im Berufungsverfahren Die zweite wesentliche Einschränkung ergibt sich aus der Begrenzung neuen Vortrags durch § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der Berufungsinstanz. Danach ist neues Vorbringen nur zuzulassen, wenn es einen Gesichtspunkt betrifft, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder wenn es infolge eines Verfahrensmangels (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) oder sonst ohne Nachlässigkeit im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Neu ist auch das Vorbringen, das in der ersten Instanz fallen gelassen worden ist (vgl. zu Zeugen § 399 ZPO). Hierzu gehört aber nicht ohne weiteres ein in erster Instanz angetretener Sachverständigen- oder Zeugenbeweis, der mangels Einzahlung des angeforderten Vorschusses gemäß § 379 Satz 2 ZPO (ggf. iVm. § 402 ZPO) nicht erhoben worden ist (BGH MDR 2017, 963 = NJW 2017, 2288 Rz. 19 ff.).
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Zuzulassen ist damit erstens ein Vorbringen, das durch neue rechtliche Überlegungen in der Beru- 18 fungsinstanz erforderlich wird (Zöller/Heßler § 531 ZPO Rz. 27). Bei der für die Anwendung dieses Zulassungsgrundes erforderlichen Voraussetzung, dass die Rechtsansicht des Gerichts des ersten Rechtszugs den Sachvortag der Partei mit beeinflusst hat, zeigt sich die Rechtsprechung großzügig (BGH MDR 2012, 487 = NJW-RR 2012, 341 Rz. 20). Zweitens kann ein Vorbringen nachgeholt werden, das das erstinstanzliche Gericht in seinem Urteil als fehlend beanstandet hat, ohne zuvor den nach § 139 Abs. 1, 2 ZPO gebotenen Hinweis zu erteilen (BGHZ 158, 295, 302 = MDR 2004, 1077). Drittens sind Tatsachen oder Beweismittel zu berücksichtigen, die erstinstanzlich ohne „Nachlässigkeit der Partei“ (= einfache Fahrlässigkeit) nicht geltend gemacht worden sind (Zöller/Heßler § 531 ZPO Rz. 30). Das gilt insbesondere für die Tatsachen, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (§ 296a Satz 1 ZPO) erkennbar geworden oder gar entstanden sind. In diesem letzten Fall gebietet es aber schon die anwaltliche Sorgfaltspflicht, vor dem Urteilsspruch die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung erster Instanz anzuregen (§§ 296a Satz 2, 156 Abs. 1 ZPO).
Piekenbrock
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Kap. 23 Rz. 19
Verspätetes Vorbringen
ZPO
19 Über die ausdrücklichen Fälle hinaus ist inzwischen anerkannt, dass § 531 Abs. 2 ZPO auf unstreitigen neuen Sachvortrag nicht anzuwenden ist (BGHZ 161, 138, 142 = MDR 2005, 527 m. Anm. Timme; BGHZ 166, 29, 31 = MDR 2006, 822). Schon deshalb musste unstreitiger Vortrag zu einer voroder außerprozessual erfolgten Berufung auf den Eintritt der Verjährung zugelassen werden (so zutreffend Meller-Hannich NJW 2006, 3385 f.). Es war daher folgerichtig, dass der Große Senat für Zivilsachen auch die prozessuale Erhebung der Einrede aus § 214 Abs. 1 BGB in der Berufungsinstanz unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–3 ZPO zugelassen hat, wenn die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig sind (BGHZ 177, 212, = MDR 2008, 1414 Rz. 9 ff.; so zuvor auch BGH NJW 2008, 1312, Rz. 25 ff. [XI. Zivilsenat]; aA BGH MDR 2006, 766 = GRUR 2006, 401, 404 [X. Zivilsenat]). Dass sich damit die Tendenz zu einer einschränkenden Auslegung des § 531 Abs. 2 ZPO seinem Sinn und Zweck nach weiter fortgesetzt hat, ist uneingeschränkt zu begrüßen.
20 K
Wichtig: Unabhängig von der Zulassung in der Berufungsinstanz ist die Einrede der Verjährung aus anwaltlicher Sicht in jedem Fall schon in erster Instanz zu erheben, wenn die Möglichkeit der Verjährung auch nur denkbar erscheint.
21 Schließlich ist in der Berufungsinstanz zu beachten, dass der Berufungskläger neues Vorbringen grundsätzlich in der Berufungsbegründung geltend zu machen hat (§§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO) und ihm daher auch ohne richterliche Frist die Zurückweisung droht (§ 530 ZPO). Dem Berufungsbeklagten muss dagegen, wie dem Beklagten erster Instanz (§ 277 ZPO), eine richterliche Frist gesetzt worden sein (§§ 521 Abs. 2, 530 ZPO). Andernfalls kommt für ein Vorbringen, das nach § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig ist, nur die Zurückweisung nach §§ 525 Satz 1, 296 Abs. 2 ZPO in Betracht.
IV. Vorsorgemaßnahmen 1. Hinweise gegenüber Mandanten
22 Als anwaltliche Maßnahme, Nachteilen infolge verspäteten Vorbringens vorzubeugen, steht an erster Stelle, den Mandanten in geeigneter Form damit vertraut zu machen, dass er sich sorgfältig nach den zeitlichen Vorgaben seitens des Gerichts um seinen Prozess zu kümmern hat. Dazu ist zunächst der bereits einleitend in Rz. 5 gegebene wichtige Hinweis zu erwähnen.
23 K
Wichtig: Hat das Gericht eine Frist für Vorbringen gesetzt, etwa in einer terminsvorbereitenden Verfügung (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), zur Erwiderung auf die Klage (§§ 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO) oder zur Gegenerklärung auf die Klagerwiderung (§§ 275 Abs. 4, 276 Abs. 3 ZPO), muss der Anwalt sicherstellen, dass der Mandant diese Frist unverzüglich mitgeteilt und eine kürzere Frist als die gerichtliche genannt bekommt, den Anwalt zu unterrichten, damit dieser die ihm vom Gericht aufgegebene Erklärung fristgerecht zu den Akten reichen kann. Der Anwalt muss in seiner Kanzlei dafür sorgen, dass sein Personal beide Fristen so notiert, dass es deren Einhaltung zuverlässig überwachen kann.
24 K
Praxistipp: Die gesetzten Fristen sind – wie die übrigen vom Gericht gesetzten Fristen – mit dem entsprechenden Farbstift im Fristenkalender zu notieren (vgl. Kap. 27 Rz. 28, M 27.1), und zwar mit Vorfristen, entsprechend den im Zusammenhang mit Rechtsmittelfristen zu notierenden Vorfristen.
2. Entschuldigung gegenüber dem Gericht
25 Da an die Entschuldigung der Verspätung hohe Anforderungen gestellt werden, empfiehlt es sich, notfalls die Verlängerung der maßgeblichen Frist zu beantragen und diesen Antrag sorgfältig zu begründen (vgl. zu Gründen für eine Fristverlängerung Kap. 27 Rz. 44 sowie Kap. 67 Rz. 5 ff.). Grün458
Piekenbrock
M 23.2
Verspätetes Vorbringen
Rz. 31 Kap. 23
M 23.2 Entschuldigung für verspätetes Vorbringen
ZPO
de, die zwar nicht der Anwalt, wohl aber der Mandant verschuldet hat (etwa: Abbruch des Kontaktes), sind nicht hilfreich, können jedoch – dennoch in einem Fristverlängerungsantrag vorgebracht – den Anwalt vor einem Regress schützen.
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… … Dies alles hat der Kläger erst jetzt vortragen können. Der Kläger war in der Zeit vom … bis … schwer erkrankt. Er hat sich zunächst ambulant ärztlich behandeln lassen, war jedoch auch in dieser Zeit aufgrund der Schwere seiner Krankheit nicht in der Lage, die Informationen heranzuschaffen, auf denen der obige Vortrag beruht. Da die ambulante ärztliche Behandlung keinen Erfolg hatte, musste sich der Kläger bis zum … in stationäre ärztliche Behandlung begeben. Der Kläger ist daher entschuldigt, dass er die obigen Tatsachen erst jetzt aktenkundig gemacht hat. Sollte das Landgericht es für erforderlich erachten, ist der Kläger auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis jederzeit bereit, die Richtigkeit der Angaben zu seiner Erkrankung glaubhaft zu machen.
K
Praxistipp: Die alleinige Begründung des Antrags mit dem Abbruch des Kontakts sollte stets mit einer sachgerechten Einschätzung der Zuverlässigkeit des Mandanten verbunden werden. War der Mandant bisher in der Informationserteilung zuverlässig, ist möglich, dass er überraschend erkrankt ist. Diese Vermutung oder auch nur Möglichkeit sollte gegebenenfalls im Verlängerungsantrag angeführt werden.
K
Praxistipp: Man sollte – sei es schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung – grundsätz- 28 lich nicht erläutern, warum die Zulassung des verspäteten Vorbringens nicht zu einer Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits führt. Denn dadurch gibt man in der Regel dem Gericht Veranlassung darzulegen, warum dennoch eine Verzögerung eintritt. Dies zwingt das Gericht voraussichtlich, den Sachverhalt, den es seiner Beurteilung zugrunde legt, gründlicher als üblich festzustellen, das Recht präziser als gewohnt auf ihn anzuwenden, und vermindert dadurch die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels. Die unzureichend begründete Zurückweisung des Vorbringens eröffnet im Berufungsverfahren alsdann die Möglichkeit einer Verfahrensrüge (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO), die allerdings entsprechend auszuführen ist (§ 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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3. Flucht in die Säumnis Droht einer Partei die Zurückweisung von Vorbringen als verspätet, bleibt die Möglichkeit, der (nächsten) mündlichen Verhandlung fern zu bleiben (§ 332 ZPO) oder dort keinen Antrag zu stellen (§ 333 ZPO), um das verspätete Vorbringen in der Einspruchsschrift gegen das Versäumnisurteil weiterzuverfolgen (§ 340 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Da sich § 345 ZPO nur auf den unmittelbar folgenden Termin bezieht, lässt sich diese Taktik in einer Instanz notfalls sogar mehrmals anwenden.
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Das Gericht kann der „Flucht in die Säumnis“ begegnen, indem es der säumigen Partei eine zusätzliche Verzögerungsgebühr mit einem Gebührensatz von 1,0 auferlegt, die bis auf 0,3 ermäßigt werden kann (§ 38 Satz 1, 2 GKG). Wenn die säumige Partei später voll obsiegt, trägt sie zudem die entstandene Terminsgebühr des gegnerischen Anwalts (Nr. 3105, 3203 VV RVG; § 344 ZPO).
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Ob die „Flucht in die Säumnis“ – auch unter Berücksichtigung der besagten Mehrkosten – sinnvoll 31 ist, hängt von der Terminslage des Spruchkörpers und der Art des voraussichtlich bei Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens zu erhebenden Beweises ab. Denn das Gericht muss die Verspätung nach Möglichkeit auffangen, soweit dies unter Berücksichtigung der Belange der Rechtsuchenden, die ihre Prozesse sorgfältig führen, zumutbar ist (BGHZ 86, 198, 203 = MDR 1983, 398; BGH
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ZPO
Kap. 23 Rz. 32
Verspätetes Vorbringen
MDR 1980, 574 = NJW 1980, 1105 f.). Daraus folgt, dass der Zeugenbeweis regelmäßig zu erheben sein wird, nicht jedoch der Sachverständigenbeweis, wenn nur schriftliche Begutachtung tunlich ist und mit dem Vorliegen des schriftlichen Gutachtens bis zum nächsten Termin, der bei Eingang des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil frei ist, voraussichtlich nicht zu rechnen ist. 4. Flucht in die Berufung
32 Der Taktik, tatsächliches Vorbringen fallen zu lassen, um es in der Berufungsinstanz erneut geltend zu machen, ist dagegen nicht erfolgversprechend, weil die Voraussetzungen von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO offensichtlich nicht vorliegen (Zöller/Greger § 296 ZPO Rz. 41). Aber auch die Zurückhaltung von möglicherweise erstinstanzlich verspätetem Vorbringen wird sich kaum hinreichend entschuldigen lassen. Da sich daran auch durch Klageänderung, Aufrechnungserklärung oder Widerklage in der Berufungsinstanz nichts ändert (§ 533 Nr. 2 ZPO), ist von der Flucht in die Berufung generell abzuraten.
V. Reaktion des Gegners 33 Wie der Anwalt des Gegners vorzugehen hat, hängt davon ab, ob das verspätete Vorbringen ihm unter Wahrung der Fristen des § 132 ZPO zugegangen ist oder erst nach deren Ablauf, namentlich im Termin selbst. 1. Frist des § 132 ZPO ist gewahrt
34 Sind die Fristen des § 132 ZPO gewahrt, liegen die Voraussetzungen des § 283 Satz 1 ZPO nicht vor. Daher darf sich der Anwalt nicht darauf verlassen, dass das Gericht ihm auf seinen Antrag im Termin hin eine Frist bestimmt, um sich auf das verspätete Vorbringen noch zu erklären (§ 283 Satz 1 ZPO).
35 K
Praxistipp: Der Anwalt sollte, wenn ihm verspätetes Vorbringen so zugeht, dass die kurzen Fristen des § 132 ZPO (eine Woche und bei Gegenerklärungen sogar nur drei Tage vor der mündlichen Verhandlung) zwar eingehalten sind, er jedoch die Informationen, die er benötigt, um sachgerecht erwidern zu können, bis zum Verhandlungstermin nicht mehr bekommen kann, unverzüglich beantragen, den Termin zu verlegen (§ 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO), und zwar mit der – im Detail auszuführenden – Begründung, das verspätete Vorbringen mache Erkundigungen erforderlich, die sich bis zum Termin nicht mehr einholen ließen; trifft diese Begründung zu, dürfte sie einen erheblichen Grund für die Terminsverlegung liefern.
36 Dieser Antrag eröffnet zwei Wege, auf denen der Anwalt die Belange seines Mandanten schützen kann. Entweder gibt das Gericht dem Antrag statt oder es lässt das verspätete Vorbringen nicht zu mit dem Argument, dass die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, weil bei Zulassung der Verhandlungstermin hätte verlegt werden müssen.
37 Niemals sollte der Anwalt – in der prozessualen Praxis jedoch ein erschreckend häufiger Fall – das verspätete Vorbringen kurzerhand bestreiten mit dem Hinweis, dass der neue Vortrag aufgrund dieses Bestreitens, wenn das Gericht ihn jetzt noch berücksichtigte, die Erledigung des Rechtsstreits verzögerte. Zum einen bestehen erhebliche Bedenken, ob der entsprechende Vortrag ohne vorherige Befragung des Mandanten mit Nichtwissen bestritten werden kann. In der Regel wird das ohne weitere Erläuterung aus der Situation heraus erfolgte Bestreiten nur ein Bestreiten aufgrund Nichtwissens des Anwalts, nicht aber aufgrund fehlenden Wissens der Partei sein. Zum anderen bedarf es regelmäßig der Überlegung, ob ein einfaches Bestreiten überhaupt hilfreich ist. Das ist regelmäßig dann nicht der Fall, wenn das verspätete Vorbringen die Beweislastverteilung ändert (etwa: Einwand der Schenkung; Einrede des Pauschalvertrags gegenüber der Forderung auf übliche Vergütung). In all diesen Fällen bedarf es ruhigen Überlegens innerhalb einer Erklärungsfrist über die neu geschaffene Prozesssituation und eines diese Situation berücksichtigenden Vortrags. 460
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Verspätetes Vorbringen
Rz. 43 Kap. 23
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K
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Wichtig: Der Anwalt muss die Erklärungsfrist beantragen, auch wenn es an den gesetzlichen Voraussetzungen für eine Gewährung fehlt. Zum einen handhaben die Gerichte die Bestimmung des § 283 Satz 1 ZPO mitunter sehr großzügig, zum anderen wird bei Ablehnung des Antrags – für den weiteren Prozessverlauf sowie den Schutz vor Regressen bedeutsam – durch den ablehnenden Beschluss in der Sitzungsniederschrift aktenkundig, dass der Anwalt nichts unversucht gelassen hat, die Rechte seines Mandanten zu wahren.
ZPO
Falls das Gericht weder den Termin verlegt noch die Zurückweisung des verspäteten Vorbringens der anderen Seite, wie es im Termin erörtert, als geboten erachtet noch dem Anwalt des Gegners des verspäteten Vorbringens die daraufhin beantragte Erklärungsfrist bewilligt, muss der Anwalt nach der mündlichen Verhandlung umgehend, wenn sein Mandant dem verspäteten Vorbringen mit Substanz etwas Erhebliches und, soweit beweisbelastet, unter Beweisantritt entgegenzusetzen hat, das Gegenvorbringen im Schriftsatz vortragen mit der Anregung, die Verhandlung wiederzueröffnen (§§ 296a Satz 2, 156 Abs. 1 ZPO). Sollte das Gericht auch dieser Anregung nicht folgen und ein ungünstiges Urteil fällen, das auf diesem verspäteten Vorbringen beruht, bestehen nunmehr, sofern ein Rechtsmittel möglich ist, gute Aussichten zu obsiegen, ohne dem Vorwurf zu begegnen, das Gegenvorbringen zu dem verspäteten Vorbringen in erster Instanz nicht mehr rechtzeitig vorgebracht zu haben. Denn nunmehr hätte das Gericht erster Instanz das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt, was zur Not auch nach § 321a ZPO gerügt werden muss (s. dazu Kap. 41 Rz. 32 ff.).
2. Frist des § 132 ZPO ist nicht gewahrt Besteht das Recht auf eine Erklärungsfrist nach § 283 ZPO, sollte der Anwalt es routinemäßig wahr- 40 nehmen und sich nicht, was in der Praxis vor allem gegenüber neuem Tatsachenvortrag der Gegenseite erst in der mündlichen Verhandlung zu beobachten ist, zu voreiligem Sachvortrag hinreißen lassen.
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Praxistipp: Hat der Prozessgegner mit seinem Schriftsatz, der neues Vorbringen iS der §§ 296, 530 ZPO enthält, die Wochenfrist des § 132 ZPO nicht eingehalten, sollte vor dem Termin nicht mehr erwidert werden. Empfehlenswert ist vielmehr, sich eine Erklärungsfrist einräumen zu lassen (§ 283 ZPO). Das gilt für das Verfahren erster Instanz, aber auch für die Berufungsinstanz. Erwidert man im Verfahren erster Instanz vor dem Termin, besteht die Gefahr, dass in der Erwiderung wiederum neues Vorbringen enthalten ist, das dem Prozessgegner seinerseits die Gelegenheit gibt, sich eine Erklärungsfrist einräumen zu lassen (§ 132 Abs. 2 Satz 1, § 283 ZPO). Im Verfahren zweiter Instanz ist dies nicht mehr ganz so streng zu handhaben, weil neue Tatsachen sowieso nur unter den Einschränkungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen sind. Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist prozesstaktisch zu verfahren und eine Erklärungsfrist zu erbitten.
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Keinesfalls darf in der mündlichen Verhandlung lediglich gerügt werden, das gegnerische Vorbrin- 42 gen sei verspätet, weil die neuen Tatsachen dann als zugestanden angesehen werden (§ 138 Abs. 3 ZPO) und sogar in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen wären (BGHZ 161, 138, 142 = MDR 2005, 527 m. Anm. Timme). Stellt der Prozessgegner die neuen Tatsachen im ersten Rechtszug durch einen präsenten Zeugen unter Beweis, kann die Beweisaufnahme unter Hinweis darauf verhindert werden, dass man sich innerhalb der Erklärungsfrist zu neuen Tatsachen äußern werde, die Beweisbedürftigkeit der neuen Tatsachen demnach noch nicht feststehe. Wird die Beweisaufnahme (prozessordnungswidrig) dennoch durchgeführt, verschafft die Erklärungsfrist, die auch in jenem Fall zu beantragen ist, die Möglichkeit, Gegenzeugen zu benennen, so dass zumindest das Beweisergebnis ohne Vernehmung der Gegenzeugen nicht verwertbar ist (vgl. BGH MDR 1982, 658 = NJW 1982, 1535). Im zweiten Rechtszug schützt § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der Regel vor der Vernehmung des präsenten Zeugen. Andernfalls ist wie im ersten Rechtszug zu verfahren.
K
Wichtig: Eine Neuerung ergibt sich schließlich aus § 139 Abs. 5 ZPO. Ist durch einen gerichtlichen Hinweis, vor allem im Termin, der den Anwalt unvorbereitet trifft, voraussichtlich neuer
Piekenbrock
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Kap. 24
Beweisaufnahme
ZPO
Tatsachenvortrag veranlasst, ist eine Erklärungsfrist zu beantragen. Dass die Frist nur bestimmt werden „soll“, eröffnet dem Gericht kein Entschließungs-, sondern nur ein Auswahlermessen, weil das rechtliche Gehör auch durch Vertagung gewährt werden kann (Stein/Jonas/Kern § 139 ZPO Rz. 109). Unterbleibt der Antrag, könnte das Gericht bei nachgeholtem Tatsachenvortrag der Anregung, die Verhandlung wiederzueröffnen (§§ 296a Satz 2, 156 Abs. 1 ZPO), eventuell nicht folgen.
Kapitel 24 Beweisaufnahme I. Beweisbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Änderung des Beweisbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mit Zustimmung des Gegners . . . . . . . b) Berichtigung oder Ergänzung der Beweistatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.1 Antrag auf Ergänzung des Beweisbeschlusses . . . . . . . . . . c) Vernehmung anderer Zeugen oder Sachverständiger . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbindung mehrerer Verfahren zur Durchführung der Beweisaufnahme (§ 147 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllung der im Beweisbeschluss erteilten Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderung auferlegter Auslagenvorschüsse beim Mandanten . . . . . . . . . . M 24.2 Aufforderung Auslagenvorschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag auf Verlängerung einer zur Erfüllung von Auflagen gesetzten Frist . . M 24.3 Fristverlängerungsantrag . . . . . c) Einzahlung des Auslagenvorschusses, Zeugengebührenverzichtserklärung . . . d) Folgen der Fristversäumung . . . . . . . . M 24.4 Zeugengebührenverzichtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abweichender Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . a) Präsente Beweismittel . . . . . . . . . . . . . b) Gegenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abbruch der Beweisaufnahme vor Vernehmung der gegenbeweislich benannten Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweisaufnahme durch abgelehnten Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausbleiben der Partei im Termin zur Beweisaufnahme (§ 367 ZPO) . . . . . . . . . a) Vorhersehbare Verhinderung . . . . . . . . b) Unvorhersehbare Verhinderung . . . . . . M 24.5 Antrag auf Wiederholung und Vervollständigung der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 5 8 9 10
3. 4. III. 1.
11 2. 13 15
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IV. 1. 2. 3.
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V. 1.
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c) Bei angeordneter Vernehmung der Partei (§ 454 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . Beweisaufnahme per Videoübertragung . . Erörterung nach Beweisaufnahme . . . . . . Beweisaufnahme vor beauftragtem und ersuchtem Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Änderung einer Entscheidung des beauftragten oder ersuchten Richters (§§ 576, 577 Abs. 4 ZPO) . . . . . . . . . . . . M 24.6 Befristete Erinnerung . . . . . . . . . Sofortige Beschwerde gegen Entscheidung des Prozessgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.7 Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . Zwischenstreit vor beauftragtem oder ersuchtem Richter (§ 366 ZPO) . . . . . . . . Beweisaufnahme im Ausland . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtshilfeersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . Angeordnete Parteimitwirkung (§ 364 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung der Beweisaufnahme . . . . Beweisaufnahme auf dem Gebiet der EuBeweisVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeordnete Parteimitwirkung (§ 364 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen eines nach ausländischem Recht unterlaufenen Verfahrensfehlers (§ 369 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweis durch Augenschein . . . . . . . . . . . Antrag auf Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 372 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . M 24.8 Antrag auf Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Augenscheinseinnahme . . . . . . . . . . . . . Protokollierung bei Übertragung der Augenscheinseinnahme (§ 372 Abs. 2 ZPO) . M 24.9 Antrag auf Protokollergänzung . . Vorlegungspflicht, Beweisvereitelung . . . . Vorlage von elektronischen Dokumenten .
45 47 50 53
54 56 57 58 59 61 61 63 66 68 71 73
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Kap. 24
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Tatsachenvortrag veranlasst, ist eine Erklärungsfrist zu beantragen. Dass die Frist nur bestimmt werden „soll“, eröffnet dem Gericht kein Entschließungs-, sondern nur ein Auswahlermessen, weil das rechtliche Gehör auch durch Vertagung gewährt werden kann (Stein/Jonas/Kern § 139 ZPO Rz. 109). Unterbleibt der Antrag, könnte das Gericht bei nachgeholtem Tatsachenvortrag der Anregung, die Verhandlung wiederzueröffnen (§§ 296a Satz 2, 156 Abs. 1 ZPO), eventuell nicht folgen.
Kapitel 24 Beweisaufnahme I. Beweisbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Änderung des Beweisbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mit Zustimmung des Gegners . . . . . . . b) Berichtigung oder Ergänzung der Beweistatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.1 Antrag auf Ergänzung des Beweisbeschlusses . . . . . . . . . . c) Vernehmung anderer Zeugen oder Sachverständiger . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbindung mehrerer Verfahren zur Durchführung der Beweisaufnahme (§ 147 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllung der im Beweisbeschluss erteilten Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderung auferlegter Auslagenvorschüsse beim Mandanten . . . . . . . . . . M 24.2 Aufforderung Auslagenvorschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag auf Verlängerung einer zur Erfüllung von Auflagen gesetzten Frist . . M 24.3 Fristverlängerungsantrag . . . . . c) Einzahlung des Auslagenvorschusses, Zeugengebührenverzichtserklärung . . . d) Folgen der Fristversäumung . . . . . . . . M 24.4 Zeugengebührenverzichtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abweichender Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . a) Präsente Beweismittel . . . . . . . . . . . . . b) Gegenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abbruch der Beweisaufnahme vor Vernehmung der gegenbeweislich benannten Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweisaufnahme durch abgelehnten Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausbleiben der Partei im Termin zur Beweisaufnahme (§ 367 ZPO) . . . . . . . . . a) Vorhersehbare Verhinderung . . . . . . . . b) Unvorhersehbare Verhinderung . . . . . . M 24.5 Antrag auf Wiederholung und Vervollständigung der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Bei angeordneter Vernehmung der Partei (§ 454 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . Beweisaufnahme per Videoübertragung . . Erörterung nach Beweisaufnahme . . . . . . Beweisaufnahme vor beauftragtem und ersuchtem Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Änderung einer Entscheidung des beauftragten oder ersuchten Richters (§§ 576, 577 Abs. 4 ZPO) . . . . . . . . . . . . M 24.6 Befristete Erinnerung . . . . . . . . . Sofortige Beschwerde gegen Entscheidung des Prozessgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.7 Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . Zwischenstreit vor beauftragtem oder ersuchtem Richter (§ 366 ZPO) . . . . . . . . Beweisaufnahme im Ausland . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtshilfeersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . Angeordnete Parteimitwirkung (§ 364 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung der Beweisaufnahme . . . . Beweisaufnahme auf dem Gebiet der EuBeweisVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeordnete Parteimitwirkung (§ 364 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen eines nach ausländischem Recht unterlaufenen Verfahrensfehlers (§ 369 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweis durch Augenschein . . . . . . . . . . . Antrag auf Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 372 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . M 24.8 Antrag auf Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Augenscheinseinnahme . . . . . . . . . . . . . Protokollierung bei Übertragung der Augenscheinseinnahme (§ 372 Abs. 2 ZPO) . M 24.9 Antrag auf Protokollergänzung . . Vorlegungspflicht, Beweisvereitelung . . . . Vorlage von elektronischen Dokumenten .
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5. Verweigerung der Untersuchung zur Feststellung der Abstammung (§ 372a ZPO) . VI. Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aussageerleichternde Unterlagen . . . . . . . 2. Erklärung der Zeugnisverweigerung (§ 386 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.10 Mitteilung der Zeugnisverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwischenstreit über Zeugnisverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.11 Antrag auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung . . . . . . . . . . b) Zeugniszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.12 Antrag auf Anordnung von Beugehaft . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entlassung des vernommenen Zeugen aus der Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwertung richterlicher Vernehmungsniederschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Sachverständigenbeweis . . . . . . . . . . . . . 1. Auswahl des Sachverständigen . . . . . . . . . 2. Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.13 Ablehnungsgesuch (Sachverständiger) . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.14 Nachträgliche Ablehnung . . . . . . 3. Antrag bei Ausbleiben des Gutachtens . . . M 24.15 Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den Sachverständigen . . . . . . . . . . . . 4. Einwendungen gegen das Gutachten . . . . a) Gegenstand der Einwendungen . . . . . . b) Antrag auf Ladung des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.16 Antrag auf Anhörung des Sachverständigen . . . . . . . . . . 5. Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rz. 2 Kap. 24
VIII. Beweis durch Urkunden . . . . . . . . . . . . 1. Beweiskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Privaturkunden und öffentliche Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mangelbehaftete Urkunden . . . . . . . . c) Elektronische Dokumente . . . . . . . . . 2. Vorlegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 24.17 Antrag auf Vorlegung von Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Niederlegung auf der Geschäftsstelle . . b) Vorlage von Kopien . . . . . . . . . . . . . . 3. Urkunden im Besitz Dritter . . . . . . . . . . . M 24.18 Antrag auf Fristbestimmung zur Herbeischaffung einer Urkunde . M 24.19 Klage auf Vorlegung einer Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . 1. Parteivernehmung auf Antrag des Beweisführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Vernehmung des Beweisführers als Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von Amts wegen angeordnete Vernehmung des Beweisführers als Partei . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rüge, Folgen des Rügeverzichts . . . . . c) Prozessuale Waffengleichheit . . . . . . . 4. Durchführung der Vernehmung . . . . . . . 5. Antrag auf Beeidigung . . . . . . . . . . . . . . . X. Freibeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollständige Protokollierung . . . . . . . . . . 2. Berichterstattervermerk . . . . . . . . . . . . . . 3. Tonbandprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beanstandung der Prozessleitung und Beanstandung von Fragen . . . . . . . . . . . . a) Umfang des Fragerechts . . . . . . . . . . . b) Antrag auf Entscheidung durch das Gericht (§ 140 ZPO) . . . . . . . . . . . . .
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ZPO
Beweisaufnahme
141 143 145 146 149 150 154 155 157 160 163 165 166 168 168 170 172 175 177 180 186 186 189 192 195 197 200
I. Beweisbeschluss Ein förmlicher Beweisbeschluss, der den Parteien noch vor dem Haupttermin zugestellt wird, ist als Voraussetzung für die Beweiserhebung grundsätzlich nicht erforderlich. Das Gericht ist vielmehr nach § 279 Abs. 2 ZPO gehalten, die Beweisaufnahme sogleich nach Scheitern der Güteverhandlung (§ 279 Abs. 1 ZPO) im Haupttermin durchzuführen und diesen gem. § 273 Abs. 2 ZPO durch prozessleitende Verfügungen vorzubereiten.
1
Ein förmlicher Beweisbeschluss ist gem. § 358 ZPO allerdings dann nötig, wenn die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert, also bei
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Fullenkamp
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Kap. 24 Rz. 3
Beweisaufnahme
ZPO
– Anordnung einer Parteivernehmung (§ 450 ZPO), – Anordnung einer vor dem Haupttermin durchzuführenden Beweisaufnahme gem. § 358a ZPO oder für den Fall, dass – eine Vertagung der Verhandlung nötig ist. Dies ist wiederum in der Regel der Fall, sofern die – Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, – Durchführung der Beweisaufnahme durch den beauftragten oder ersuchten Richter (§§ 361, 362 ZPO), – Durchführung einer Beweisaufnahme im Rahmen der Entscheidung nach Lage der Akten (§ 251a ZPO), – Beweisaufnahme im Ausland (§ 363 ZPO) anzuordnen ist. Der Inhalt des Beweisbeschlusses selbst ergibt sich aus § 359 ZPO.
3 K
Wichtig: Will das Gericht von den Möglichkeiten einer erleichterten Beweiserhebung nach § 284 Satz 2 ZPO Gebrauch machen, ist nicht auszuschließen, dass bereits im Beweisbeschluss ein Einverständnis mit diesem Verfahren unterstellt wird, „wenn nicht innerhalb einer Frist von … Wochen seit Zustellung des Beschlusses Widerspruch erhoben wird“. Es ist nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung diese Verfahrensweise billigt. Angesichts dessen sollte schon in der Klage oder der Klageerwiderung „einem Verfahren gem. § 284 Satz 2 ZPO ausdrücklich widersprochen“ werden.
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Wichtig: Der Anwalt hat den Beweisbeschluss insbesondere im Hinblick auf die Änderungen der Regeln in – § 284 ZPO (Beweiserhebung durch das Gericht in der ihm geeignet erscheinenden Weise; Widerspruch notwendig!); – § 374 ZPO (Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen durch Verwertung der Niederschrift über seine richterliche Vernehmung in einem anderen Verfahren; Antrag auf Vernehmung des Zeugen vor dem Prozessgericht erforderlich); – § 411a ZPO (die schriftliche Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden. Das Gutachten muss in das Verfahren eingeführt werden. Alsdann sogleich substantiierte Angriffe gegen das Gutachten erheben und ggf. durch Privatgutachter erstelltes Gegengutachten vorlegen(!), Antrag auf Anhörung des Sachverständigen stellen, um ihm die schriftlich vorbereiteten Vorhalte machen zu können!) zu überprüfen, um insbesondere nicht durch rügeloses Verhandeln Verfahrensfehler zu Lasten seiner Partei eintreten zu lassen.
1. Antrag auf Änderung des Beweisbeschlusses
5 Der Beweisbeschluss ist grundsätzlich unanfechtbar (§ 355 Abs. 2 ZPO; vgl. BGH NJW-RR 2007, 1375), aber abänderbar gem. § 360 ZPO, der jedoch nicht im Falle des § 358a ZPO eingreift (str., wie hier Zöller/Greger § 360 ZPO Rz. 1, 2; aA Stein/Jonas/Berger § 360 ZPO Rz. 1). Ausnahmsweise anfechtbar analog § 252 ZPO durch sofortige Beschwerde ist der in der Praxis einen Verfahrensstillstand herbeiführende Beweisbeschluss, der eine erst nach erheblichem Zeitablauf durchführbare Beweisaufnahme (Zöller/Greger § 252 ZPO Rz. 1; offengelassen BGB NJW-RR 2009, 995) oder die Anordnung für eine Partei einen bleibenden rechtlichen Nachteil zur Folge hat (vgl. BGH NJW-RR
464
Fullenkamp
Beweisaufnahme
Rz. 10 Kap. 24
2009, 1223: Einholung eines Gutachtens über die Prozessfähigkeit der Partei ohne deren vorherige Anhörung).
K
Wichtig: Die in diesem Fall mögliche sofortige Beschwerde (§ 252 ZPO) ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen (§ 569 ZPO) einzulegen.
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Aufgrund neuer mündlicher Verhandlung ist jede Änderung des Beweisbeschlusses möglich (Um- 7 kehrschluss aus § 360 Satz 2 ZPO); ohne erneute mündliche Verhandlung kann ihn das Gericht auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen unter folgenden Voraussetzungen ändern: a) Mit Zustimmung des Gegners Die Änderung oder Ergänzung des Beweisbeschlusses von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei 8 ist mit Zustimmung beider Parteien grundsätzlich möglich, wobei das Gericht einem solchen Antrag nicht zu entsprechen braucht. Keine Partei hat Anspruch auf Änderung des Beweisbeschlusses (§ 360 Satz 1 ZPO). Bei der Zustimmung handelt es sich um eine Prozesshandlung, die gegenüber dem Prozessgericht abzugeben ist. Eine Änderung des Beweisbeschlusses in diesem Sinne liegt vor, wenn der Beschluss sich auf neue Tatsachen erstreckt oder das Beweisthema gegen ein anderes ausgetauscht werden soll. b) Berichtigung oder Ergänzung der Beweistatsachen Berichtigung oder Ergänzung des Beweisbeschlusses bedürfen nicht der Zustimmung des Gegners, 9 sondern können auch von Amts wegen erfolgen. Bei der Berichtigung geht es um die Korrektur von versehentlich verursachten Unrichtigkeiten, wie etwa der Angabe einer falschen Jahreszahl, eines falschen Namens oder einer Adresse. Die Ergänzung darf nicht zur Einfügung eines vollständig neuen Beweisthemas führen. Zulässig ist die Präzisierung und Vervollständigung des Beweisthemas durch neue Tatsachen, soweit diese mit dem ursprünglichen Beweisthema in Zusammenhang stehen.
M 24.1 Antrag auf Ergänzung des Beweisbeschlusses
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An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, den Beweisbeschluss vom … zu ergänzen und Beweis durch Sachverständigengutachten auch über die Frage einzuholen, ob die Feuchtigkeit im Mauerwerk des Hauses … darauf zurückzuführen ist, dass die um das Haus verlegte Drainage verstopft ist. Begründung: Das Landgericht hat am … einen Beweisbeschluss erlassen, aufgrund dessen ein Sachverständigengutachten dazu eingeholt werden soll, ob das feuchte Kellermauerwerk im Haus des Klägers auf eine nicht den Regeln der Technik entsprechende Außenisolierung zurückzuführen ist. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom … vorgetragen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt, dass die Feuchtigkeit im Kellermauerwerk auf die durch den Kläger nicht fachgerecht verlegte Drainage zurückzuführen ist. Die Klärung dieser Frage ist erforderlich, um die Ursache für die aufgetretenen Feuchtigkeitserscheinungen im Kellermauerwerk zu klären. Sollte sich herausstellen, dass die verstopfte Drainage ursächlich ist, wäre ein eigenes schuldhaftes Verhalten des Klägers für den eingetretenen Schaden jedenfalls mitursächlich. Kosten: Gericht und Anwalt: Keine besonderen Gebühren.
Fullenkamp
465
ZPO
M 24.1
Kap. 24 Rz. 11
Beweisaufnahme
ZPO
c) Vernehmung anderer Zeugen oder Sachverständiger
11 Ohne Zustimmung einer oder beider Parteien kann das Gericht den Beweisbeschluss dahin ergänzen, dass zu einem bestimmten Beweisthema weitere oder andere Zeugen vernommen oder ein anderer Sachverständiger gehört werden soll. Eine solche Ergänzung kommt etwa in Betracht, wenn das Gericht die vom Beweisführer benannten Zeugen versehentlich nicht vollständig erfasst hat oder wenn das Gericht zunächst nur einige der benannten Zeugen geladen hat, später aber zu dem Ergebnis kommt, dass doch sämtliche Zeugen vernommen werden sollten. Darin liegt keine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung (vgl. Stein/Jonas/Berger § 360 ZPO Rz. 10). Durch einen entsprechenden Antrag kann die Partei – ohne Zustimmung des Gegners – auf diese Weise die Auswechselung eines Zeugen erreichen, wenn sie festgestellt hat, dass der ursprünglich benannte Zeuge sich nicht zu der Beweistatsache äußern kann, sondern für das Beweisthema ein anderer Zeuge in Betracht kommt.
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Wichtig: Der Anwalt muss den Beweisbeschluss gründlich durcharbeiten, weil sich daraus Rückschlüsse auf die rechtliche Beurteilung durch das Gericht ziehen lassen. Er muss prüfen, ob das Gericht über die nach seiner Auffassung erheblichen Tatsachen Beweis erheben will oder ob bestimmte Tatsachen nicht in den Beweisbeschluss aufgenommen wurden, weil kein oder nur ein unzureichender Beweisantritt erfolgte. Er sollte auch nochmals prüfen, ob zu den Beweisthemen weitere Beweismittel (auch gegenbeweislich) benannt werden können. Die besondere Wichtigkeit der Überprüfung des Beweisbeschlusses ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1987, 3077, 3080) das Gericht seinerseits nicht – abweichend von § 139 ZPO – auf einen unvollständigen Beweisantritt hinweisen muss, wenn der Anwalt aus dem Beweisbeschluss erkennen kann, dass es auf einen unzureichend unter Beweis gestellten Gesichtspunkt ankommt (in dem vom BGH entschiedenen Fall hatte die Partei eine bestimmte Tatsache durch „Zeugnis N. N.“ unter Beweis gestellt). Soweit sich aus dem Beweisbeschluss eine rechtliche Wertung des Gerichts ableiten lässt, muss der Anwalt sich darauf einstellen und kann dazu keinen richterlichen Hinweis mehr erwarten! Bei Indizienbeweisführung ist zu prüfen, ob die Gesamtheit der vorgetragenen Indizien den Rückschluss auf die Richtigkeit der Haupttatsache zulässt (vgl. BGH NJW-RR 2013, 743, 745).
d) Verbindung mehrerer Verfahren zur Durchführung der Beweisaufnahme (§ 147 ZPO)
13 Mehrere bei demselben Gericht anhängige Verfahren können auch nur zum Zwecke der Durchführung einer einheitlichen Beweisaufnahme unter den Voraussetzungen des § 147 ZPO miteinander verbunden werden. Die Verbindung steht im Ermessen des Gerichts. Sie kann für den Prozess von weitreichender Bedeutung sein, weil die Parteien der vorher selbständigen Verfahren nicht mehr als Zeugen vernommen werden können, es sei denn, das Beweisthema lässt sich klar vom Streitgegenstand der jeweils anderen Klage trennen.
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Praxistipp: Gegebenenfalls ist zu beantragen, die Verfahren zu trennen. Die Verbindung kann – wenn dadurch Beweismittel aus prozessualen Gründen ausscheiden – gegen den Grundsatz der fairen Verfahrensführung (Art. 6 EMRK) verstoßen. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn eine in dem einen Verfahren beteiligte Partei im anderen Verfahren als Zeuge gehört werden soll. Die Verbindung würde sie zur Partei im verbundenen Verfahren machen und ihre Vernehmung als Zeuge verbieten.
2. Erfüllung der im Beweisbeschluss erteilten Auflagen
15 Das Gericht macht regelmäßig die Ladung von Zeugen sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig (§ 379 ZPO). Die Höhe des Vorschusses steht im Ermessen des Gerichts. Anfechtbar ist eine solche Anordnung nur, wenn sie trotz Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht (§ 127 ZPO).
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Fullenkamp
Beweisaufnahme
Rz. 20 Kap. 24
In allen übrigen Fällen bleibt bei einer nicht richtigen Anordnung nur die Gegenvorstellung (OLG Bremen VRR 2008, 42 = LSK 2008, 010362; Zöller/Greger § 379 ZPO Rz. 6). Setzt das Gericht eine unangemessen kurze Frist zur Einzahlung eines Kostenvorschusses, ist die Fristsetzung unwirksam (vgl. BGH v. 10.5.2016 – VIII ZR 97/15 Rz. 13).
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ZPO
M 24.2
Darüber hinaus kann das Gericht die Durchführung der Beweisaufnahme von der Erfüllung weiterer 17 Auflagen abhängig machen. Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Durchführung der Beweisaufnahme ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegensteht. Das Gericht kann der Partei nach § 356 ZPO eine Frist zur Beseitigung des Hindernisses setzen, zB um die Anschrift eines Zeugen anzubringen, der Verwertung ärztlicher Untersuchungsergebnisse zuzustimmen oder sich einer solchen Untersuchung zu unterziehen (vgl. zu weiteren Beispielsfällen Zöller/Greger § 356 ZPO Rz. 2). Setzt das Gericht keine Beibringungsfrist, besteht keine Beschwerdemöglichkeit (OLG Celle NJW-RR 2000, 1166), das Gericht darf aber nur nach fruchtlosem Ablauf einer Beibringungsfrist von einer Erhebung des Beweises absehen (BGH NJW-RR 2011, 428 f. zur Beibringung von Name und Anschrift individualisierbarer Zeugen). Gegen die Einräumung einer unangemessen langen Beibringungsfrist kann sofortige Beschwerde erhoben werden (s. Rz. 5, 6). a) Anforderung auferlegter Auslagenvorschüsse beim Mandanten Der Anwalt muss darauf hinwirken, dass der Auslagenvorschuss innerhalb der gesetzten Frist eingezahlt wird. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Der Anwalt fordert den Mandanten auf,
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– entweder den Vorschuss auf ein konkret mitzuteilendes Konto der Staatskasse zu einem bestimmten Aktenzeichen zu zahlen oder – das Geld an ihn zum Zwecke der Weiterleitung zu zahlen. In beiden Fällen muss der Anwalt auf die Folgen der Fristversäumung hinweisen. Die erste Variante bietet für den Anwalt den Vorteil, dass er damit das Risiko der rechtzeitigen Einzahlung des Auslagenvorschusses allein dem Mandanten überträgt. Auf der anderen Seite ergeben sich aus dieser Verfahrensweise aber auch Risiken. Denn der Anwalt muss dafür sorgen, dass die Anordnung den Mandanten rechtzeitig erreicht; das Schreiben muss deshalb an die richtige Anschrift verschickt werden, und dem Anwalt dürfen keine Informationen darüber vorliegen, dass der Mandant etwa aus Urlaubsgründen oder wegen eines Auslandsaufenthalts das Schreiben nicht rechtzeitig erhält und deswegen die Auflage nicht erfüllen kann. Die zweite Variante bietet den Vorteil, dass der Anwalt die Frist überwachen kann, also „Herr des Verfahrens“ bleibt und ggf. rechtzeitig einen Fristverlängerungsantrag stellen kann.
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M 24.2 Aufforderung Auslagenvorschuss
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Sehr geehrter Herr …, in Ihrer Sache gegen … überreiche ich den Beweisbeschluss des Gerichts vom … Das Gericht hat die Ladung der Zeugen davon abhängig gemacht, dass Sie einen Auslagenvorschuss iHv. 500 Euro bis zum 21.1.2018 einzahlen. Die Zahlung hat auf das Konto der Regierungsbezirkskasse Lüneburg (Kontonr. …) zu dem Aktenzeichen LG Lüneburg 4 O 340/17 zu erfolgen. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich die Einhaltung der Frist zur Einzahlung des Auslagenvorschusses nicht weiter überwache. Sie müssen also dafür Sorge tragen, dass das Geld rechtzeitig gezahlt wird. Sollte die Zahlung nicht erfolgen, wird das Gericht die Zeugen nicht laden. Eine verspätete Zahlung kann dazu führen, dass die Zeugen nicht mehr rechtzeitig zum Verhandlungstermin geladen werden können und Sie deswegen mit diesem Beweismittel ausgeschlossen werden.
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Kap. 24 Rz. 21
Beweisaufnahme
M 24.3
ZPO
Sollten einer Einzahlung Hinderungsgründe entgegenstehen, bitte ich um eine umgehende schriftliche Nachricht, die mich spätestens bis zum 19.1.2018 erreichen muss. Mit freundlichen Grüßen Kosten: Gericht und Anwalt: Keine besonderen Gebühren.
b) Antrag auf Verlängerung einer zur Erfüllung von Auflagen gesetzten Frist
21 Die Frist zur Erfüllung von Auflagen ist nach § 224 Abs. 2 ZPO verlängerbar, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind.
22 M 24.3 Fristverlängerungsantrag An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, die Frist zur Erfüllung der gem. Beschluss vom … gesetzten Auflagen um zwei Wochen bis zum 20.2.2018 zu verlängern. Die Kammer hat dem Kläger durch Beschluss vom … aufgegeben, einen Auslagenvorschuss iHv. 250 Euro einzuzahlen. Ich habe diesen Beschluss sogleich an den Kläger weitergeleitet, der ihn bisher aber noch nicht erhalten hat, weil er am … einen dreiwöchigen Auslandsurlaub angetreten hat. Das teilte mir seine Schwiegermutter mit. Der Kläger wird am 15.2.2018 aus dem Urlaub zurückkehren und danach unverzüglich den Vorschuss einzahlen. Zur Glaubhaftmachung überreiche ich eine eidesstattliche Versicherung der Schwiegermutter Martha Müller sowie eine Kopie, aus der die Buchung des Urlaubs durch den Kläger ersichtlich ist.
c) Einzahlung des Auslagenvorschusses, Zeugengebührenverzichtserklärung
23 Wenn der Anwalt die Einzahlung des Auslagenvorschusses übernimmt, muss er sich die Zahlung quittieren lassen. Er trägt die Verantwortung dafür, den rechtzeitigen Eingang des Geldes nachzuweisen. d) Folgen der Fristversäumung
24 Mit der Übersendung des Beweisbeschlusses und der Anforderung eines Zeugenvorschusses ist der Mandant darauf hinzuweisen, dass der Vorschuss nicht gezahlt zu werden braucht, wenn dem Gericht innerhalb der gesetzten Frist eine Zeugengebührenverzichtserklärung vorgelegt wird. Dabei ist es sinnvoll, dem Mandanten sogleich das Muster einer Zeugengebührenverzichtserklärung zu übermitteln. Die Verzichtserklärung des Zeugen beseitigt die Vorschusspflicht (BVerfG NJW 1986, 833).
25 Die Nichteinzahlung des Vorschusses oder Versäumung einer Ausschlussfrist nach § 356 ZPO führt dazu, dass die Ladung des Zeugen oder Sachverständigen unterbleibt, ohne dass es einer Androhung dieser Folge bedarf (BGH NJW 1998, 761, 762). Das Beweismittel ist damit aber nicht präkludiert, sondern kann noch genutzt werden, wenn das Verfahren dadurch nicht verzögert wird (BGH v. 10.5.2016 – VIII ZR 97/15; NJW-RR 2011, 526). Wird die Beweisaufnahme von Amts wegen angeordnet, darf die Durchführung nicht davon abhängig gemacht werden, dass die beweisbelastete Partei einen Auslagenvorschuss zahlt (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1059, 1060). Auch bei Nichtzulassung des Beweismit468
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M 24.4
Beweisaufnahme
Rz. 31 Kap. 24
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tels darf das Gericht den Beweisführer nicht ohne nähere Prüfung als beweisfällig ansehen. Vielmehr muss es versuchen, in anderer Weise aufgrund des bereits vorhandenen oder anzuregenden Parteivortrags und der verfügbaren Beweismittel die Beweisfrage zu klären (BGH NJW 2007, 2121, 2122). Wichtig: Hat das Gericht einen Zeugen nicht geladen, sollte die Partei auf jeden Fall versuchen, 26 den Zeugen zum Verhandlungstermin zu sistieren und damit die Vernehmung zu ermöglichen, weil sie mit dem Beweismittel nicht ausgeschlossen ist.
M 24.4 Zeugengebührenverzichtserklärung
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An das Landgericht … In Sachen … Az.: 4 O 554/14 soll ich als Zeuge vernommen werden. Ich verzichte hiermit auf jegliche Entschädigung (Verdienstausfall, Fahrtkosten, sonstige Aufwendungen). Unterschrift
II. Beweisaufnahme 1. Abweichender Verlauf Der Anwalt muss sich zur Vorbereitung der Beweisaufnahme gründlich mit dem Prozessstoff vertraut machen, um den Zeugen oder Sachverständigen Fragen zu stellen und Vorhalte machen zu können. Er soll darauf achten, dass die Zeugen ordnungsgemäß belehrt werden, insbesondere auch über ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht. Je nach dem Verlauf der Beweisaufnahme muss entschieden werden, ob auf die Vereidigung der Zeugen verzichtet wird.
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Praxistipp: Es ist wichtig, sich vor der Beweisaufnahme darüber Gedanken zu machen, ob zu- 29 gestimmt werden soll, dass die Aussagen der Zeugen nicht ins Protokoll diktiert, sondern in einem sog. Berichterstattervermerk festgehalten werden, der mit Zustimmung der Parteien die Protokollierung ersetzt (s. BGH DS 2009, 35). Die Aufnahme der Aussage in den Berichterstattervermerk hat den Nachteil, dass während der Vernehmung nicht kontrolliert werden kann, welche Teile der Aussage und mit welchen Nuancen die Aussage selbst protokolliert wird. Es lässt sich daher während der Verhandlung nicht erkennen, welche Tendenz das Gericht der Aussage entnimmt. Das wiederum führt dazu, dass der Anwalt Rückfragen beim Zeugen unterlässt, die er bei der Protokollierung der Aussage tätigen würde, um vom Zeugen die konkrete Aussage zu erhalten, die für die Beweisführung erforderlich ist (s. auch Rz. 181).
a) Präsente Beweismittel Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Beweismittel, die nicht im Beweisbeschluss genannt sind, in dem Beweisaufnahmetermin zu präsentieren (s. auch Rz. 25). Das kann beispielsweise geboten sein, wenn der Partei erst unmittelbar vor dem Termin einfällt, dass an einem Gespräch, über dessen Inhalt Beweis erhoben werden soll, ein weiterer nicht benannter Zeuge teilgenommen hat. Dieser Zeuge sollte unbedingt zum Termin sistiert werden, weil damit zu rechnen ist, dass ein entsprechender Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung als verspätet zurückgewiesen wird, wenn der Zeuge nicht sistiert wird. Damit wäre die Partei mit diesem Beweismittel ausgeschlossen.
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Andererseits kann es aber auch aus taktischen Gründen sinnvoll sein, ein Beweismittel erstmals in der mündlichen Verhandlung zu präsentieren, damit der Prozessgegner sich nicht darauf einstellen
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Kap. 24 Rz. 32
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kann. Das gilt im Hinblick auf die Präklusionsvorschriften allerdings wohl nur noch für eine Urkunde, die den Vortrag der eigenen Partei untermauert und ggf. dem Gegenzeugen vorgehalten werden kann; sistierte Zeugen müssen nicht vernommen werden, das Beweisangebot kann vielmehr als verspätet zurückgewiesen werden (s. dazu BGH NJW 1986, 2257; Musielak/Voit/Foerster § 279 ZPO Rz. 6). b) Gegenreaktion
32 Ob der im Termin sistierte Zeuge vernommen wird, steht im Ermessen des Gerichts. Der Gegner kann die Vernehmung des Zeugen grundsätzlich nicht verhindern, ihm muss aber rechtliches Gehör gewährt werden. Kann der Anwalt sich in der Verhandlung zu diesem neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht erklären, weil er die erforderlichen Informationen nicht hat, muss er auf jeden Fall eine Erklärungsfrist beantragen oder aber einen Vertagungsantrag stellen. Dieser ist zB dann geboten und nach § 227 Abs. 1 ZPO auch begründet, wenn die persönlich nicht geladene Partei im Termin nicht anwesend ist, dem sistierten Zeugen aber aufgrund eigener Erkenntnisse Vorhalte machen könnte, die dem Anwalt nach Lage der Akten nicht möglich sind.
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Praxistipp: Es empfiehlt sich, in diesen Fällen darum zu bitten, die Verhandlung kurz zu unterbrechen, um zu versuchen, in dieser Zeit den Mandanten telefonisch zu erreichen. Kann der Mandant Gegenzeugen benennen und benennt der Anwalt nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung diese Zeugen, wird das Gericht in der Regel den Beweisantritt des Gegners als verspätet zurückweisen und die Beweisaufnahme nicht durchführen. Vorsorglich sollte aber auch in diesem Fall eine Erklärungsfrist beantragt werden, da nie abzusehen ist, wie das Gericht nach der Beratung weiterverfährt. Es ist dann innerhalb der Erklärungsfrist zunächst der Gegenbeweisantritt zu wiederholen.
34 Ist mit der Benennung des sistierten Zeugen neuer Tatsachenvortrag verbunden, sollte – wie schon im Praxistipp angeführt – auf jeden Fall eine Erklärungsfrist beantragt werden. Kann zu dem neuen Tatsachenvortrag in einem nachgelassenen Schriftsatz ein Gegenzeuge benannt werden, muss das Gericht diesem Beweisantritt nachgehen und – sofern der sistierte Zeuge vernommen wurde – die Beweisaufnahme wiederholen, es sei denn, das Gericht weist den neuen Sachvortrag als verspätet zurück, weil mit der Vernehmung des weiteren Zeugen eine erhebliche Verzögerung des Rechtsstreits verbunden wäre (vgl. BGHZ 83, 310 ff.). c) Abbruch der Beweisaufnahme vor Vernehmung der gegenbeweislich benannten Zeugen
35 Das Gericht kann die Beweisaufnahme abbrechen, wenn es nach Vernehmung der vom Beweisführer benannten Zeugen zu der freien Überzeugung gelangt, dass der Beweis nicht geführt ist. Die gegenbeweislich benannten Zeugen brauchen dann nicht mehr vernommen zu werden. Der Beweisführer kann den Abbruch der Beweisaufnahme verhindern, wenn er sich auf das Zeugnis der vom Prozessgegner benannten Zeugen bezieht. Das Gericht muss dann diesem Beweisantritt nachgehen. Die Verspätungsvorschriften greifen nicht ein, wenn die Zeugen präsent sind, weil sie bereits geladen wurden.
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Praxistipp: Auf die gegenbeweislich benannten Zeugen sollte sich der Beweisführer in diesem Fall stets berufen. Er hat nichts zu verlieren, weil der Abbruch der Beweisaufnahme bedeutet, dass der Beweis nicht erbracht ist. Es bleibt deshalb nur die Hoffnung, noch durch Befragung der Gegenzeugen das Blatt wenden zu können.
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Rz. 42 Kap. 24
Nach § 47 Abs. 2 ZPO kann ein Richter, der während der mündlichen Verhandlung abgelehnt wird, 37 die Verhandlung fortführen, wenn für die Entscheidung über die Richterablehnung die Verhandlung sonst zu vertagen wäre. Der nach Ablehnung noch von dem abgelehnten Richter geführte Verhandlungsteil ist zu wiederholen, wenn die Ablehnung begründet ist. Diese Regelung birgt die Gefahr, dass der befangene Richter aus seiner Befangenheit heraus Zeugenaussagen ungenau oder fehlerhaft gewertet protokolliert. Es ist nach einem Befangenheitsantrag deshalb darauf zu achten, dass das Protokoll der Aussagen korrekt erstellt wird. Auch wenn die Beweisaufnahme wiederholt wird, weil dem Befangenheitsantrag stattgegeben wird, ist nicht auszuschließen, dass das frühere Protokoll der Aussage dem Zeugen bei seiner erneuten Vernehmung vorgehalten wird. 2. Ausbleiben der Partei im Termin zur Beweisaufnahme (§ 367 ZPO) Hat das Gericht die Parteien ordnungsgemäß von einem Beweisaufnahmetermin benachrichtigt, darf 38 auch in Abwesenheit der Parteien oder Anwälte die Beweisaufnahme durchgeführt werden. Gleiches gilt, wenn das Gericht Zeugen oder Sachverständige prozessleitend geladen und die Parteien gem. § 273 Abs. 4 ZPO benachrichtigt hat. a) Vorhersehbare Verhinderung Ist bereits zum Zeitpunkt der Ladung vorhersehbar, dass die Partei zu dem anberaumten Termin nicht erscheinen kann, sollte sogleich ein Vertagungsantrag gestellt werden. Auf diese Weise kann die Partei bereits vor dem Beweisaufnahmetermin feststellen, ob das Gericht einen Entschuldigungsgrund als gegeben ansieht oder nicht.
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b) Unvorhersehbare Verhinderung
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Die Partei kann im Falle der unvorhersehbaren Verhinderung – einen Antrag auf nachträgliche Beweisaufnahme (Wiederholung) oder – einen Antrag auf Vervollständigung der Beweisaufnahme stellen. Der Antrag auf nachträgliche Beweisaufnahme kommt in Betracht, wenn die Beweisaufnahme wegen des Ausbleibens der Partei nicht durchgeführt werden konnte, weil zB auf Antrag der säumigen Partei nach § 411 Abs. 3 ZPO das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens angeordnet war. Diesem Antrag ist nur stattzugeben, wenn er nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens führt oder die Partei glaubhaft gemacht hat (§ 294 ZPO), dass sie schuldlos nicht zum Termin erschienen ist.
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Eine Vervollständigung der in Abwesenheit der Partei durchgeführten Beweisaufnahme setzt darüber hinaus voraus, dass durch das Nichterscheinen der Partei eine Unvollständigkeit der Beweisaufnahme veranlasst ist. Die Unvollständigkeit der Beweisaufnahme ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die glaubhaft gemacht werden muss. Das erfordert eine sorgfältige Begründung des Antrages, indem beispielsweise diejenigen Fragen formuliert werden, welche die Partei dem Zeugen bei Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung gestellt hätte.
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d) Beweisaufnahme durch abgelehnten Richter
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Kap. 24 Rz. 43
Beweisaufnahme
M 24.5
43 M 24.5 Antrag auf Wiederholung und Vervollständigung der Beweisaufnahme An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, die Beweisaufnahme vom 20.12.2018 durch Vernehmung des Zeugen Müller zu wiederholen. Begründung: Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2018 Beweis über die Behauptung des Klägers erhoben, dass die Parteien am 30.5.20017 in der Wohnung des Beklagten einen Kaufvertrag über einen BMW 318i geschlossen haben. Der Beklagte konnte den Beweisaufnahmetermin am 20.12.2018 nicht wahrnehmen, weil er wegen einer Lungenentzündung bettlägerig war. Zur Glaubhaftmachung füge ich ein ärztliches Attest des Dr. Wunderheiler im Original bei. Der Zeuge Müller hat ausgesagt, er sei am 30.5.2017 zusammen mit dem Kläger in der Wohnung des Beklagten gewesen. Das aber ist nicht richtig. Der Zeuge Müller war weder am 30.5.2017 noch an irgendeinem anderen Tag in der Wohnung des Beklagten. Deswegen hätte der Beklagte, wenn er an der mündlichen Verhandlung hätte teilnehmen können, dem Zeugen Müller konkrete Fragen dazu gestellt, wie es in der Wohnung des Beklagten aussieht, um den Wahrheitsgehalt der Aussage des Zeugen überprüfen zu können.
44 Das Gericht entscheidet über diesen Antrag entweder durch Erlass eines entsprechenden Beweisbeschlusses oder durch ein den Antrag zurückweisendes Zwischenurteil; möglich ist auch – und dies geschieht in der Praxis am häufigsten –, über den Antrag in den Gründen des Endurteils zu entscheiden. Eine selbständige Anfechtung der Zurückweisung ist nicht möglich (vgl. Zöller/Geimer § 367 ZPO Rz. 4). c) Bei angeordneter Vernehmung der Partei (§ 454 ZPO)
45 Erscheint die Partei in dem zu ihrer Vernehmung anberaumten Termin nicht, kann das zu einer für sie nachteiligen Beweiswürdigung führen (§ 454 ZPO). Eine zum Nachteil der zur Vernehmung geladenen, aber nicht erschienenen Partei ausfallende Beweiswürdigung ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn die Parteivernehmung selbst zulässig war, insbesondere wenn alle anderen Beweismittel ausgeschöpft worden sind, die Partei persönlich geladen war und bis zum Schluss des Termins unentschuldigt nicht erscheint. Im Rahmen der Würdigung hat das Gericht die mitgeteilten Entschuldigungsgründe auch dann zu berücksichtigen, wenn sie das Fernbleiben nicht rechtfertigen. Das Gericht muss prüfen, ob die Entschuldigung nur als Vorwand für die tatsächlich gewollte Aussageverweigerung vorgetragen wird.
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Wichtig: Wenn die zu vernehmende Partei überraschend nicht zum Termin erscheint, sollte der Anwalt nach erfolgter Bitte um kurze Unterbrechung der Verhandlung möglichst auf der Stelle versuchen, den Grund für das Ausbleiben herauszufinden, um Entschuldigungsgründe vortragen zu können und eine nachteilige Beweiswürdigung zu vermeiden. Erscheint die Partei in einem späteren Termin, ist sie zu vernehmen.
3. Beweisaufnahme per Videoübertragung
47 § 128a Abs. 2 ZPO gestattet ausdrücklich eine Beweisaufnahme per Video-Übertragung, sofern beide Parteien einverstanden sind. Zu vernehmende Sachverständige, Parteien oder Zeugen müssen sich während der Vernehmung in einem Gerichtssaal aufhalten und werden der Verhandlung zugeschaltet, so dass sie alle Beteiligten sehen und hören können. Für die Video-Vernehmung ist die zeitglei472
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Beweisaufnahme
Rz. 51 Kap. 24
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che Übertragung in den Sitzungsraum vorgeschrieben. Eine Video-Vernehmung ist – unter Berücksichtigung der entsprechenden Abkommen – auch im Ausland möglich (s. Videokonferenzen im Zivilprozess, H. Schultzky NJW 2003, 314 f.; Musielak/Voit/Stadler § 128a ZPO Rz. 8).
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Wichtig: Die Entscheidung des Gerichts, die Video-Vernehmung durchzuführen, oder die Ab- 48 lehnung einer entsprechenden Anregung ist nicht anfechtbar. Der Einsatz des Video-Verfahrens kann deswegen auch nicht erzwungen werden (Zöller/Greger § 128a ZPO Rz. 7). Aus diesem Grunde sollte die Entscheidung, einer Video-Vernehmung zuzustimmen, stets sorgfältig überlegt werden. Der zu Vernehmende braucht sich auf die Video-Vernehmung nicht einzulassen, sondern kann stattdessen zum Termin am Gerichtsort anreisen, wobei dann allerdings Fahrtkosten regelmäßig nicht zu erstatten sind (vgl. Zöller/Greger § 128a ZPO Rz. 11). Das Gericht darf einen Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht ablehnen, wenn die Möglichkeit besteht, den Zeugen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu vernehmen (vgl. BGH v. 1.7.2010 – V ZR 238/09).
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Praxistipp: Die Vernehmung per Video-Übertragung ermöglicht nur in den seltensten Fällen 49 eine abgewogene Entscheidung über die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Der Zeuge ist für die anderen Prozessbeteiligten nur in dem Bildausschnitt zu erkennen, den der für die Übertragung verantwortliche „Kameramann“ wählt. Ob der Zeuge seine Aussage aus Aufzeichnungen abliest, ob sich andere Personen im Raum aufhalten, in dem die Vernehmung stattfindet, wird nicht sicher erkennbar sein. Es ist nicht immer gewährleistet, Unsicherheiten des Zeugen bei der Aussage (nervöses Verhalten, Schweißperlen auf der Stirn etc.) zu erkennen. Sollte das Gericht die Video-Übertragung erwägen, ist es für den Gegner der beweisbelasteten Partei idR zweckmäßig, das Einverständnis zu verweigern. Allerdings sollte die Verweigerung – vorerst – stets mit Gründen versehen werden; es ist noch nicht abzusehen, ob die Verweigerung des Einverständnisses als Beweisvereitelung gewertet werden darf.
4. Erörterung nach Beweisaufnahme Nach der Beweiserhebung hat das Gericht gem. § 279 Abs. 3 ZPO das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern, soweit das möglich ist. Im Einzelfall (komplexe Beweisaufnahme, umfassende Erörterung eines Gutachtens) kann die Vertagung oder Gewährung einer Schriftsatzfrist zum Beweisergebnis geboten sein, wenn die Partei verständlicherweise Zeit braucht, um in Kenntnis der Sitzungsniederschrift angemessen vorzutragen (BGH NJW 2011, 3040; s. auch BGH v. 12.4.2018 – V ZR 153/17). Enthält das Protokoll keinen Hinweis darauf, dass die Partei zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht der Verstoß gegen §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO fest (BGH ZMGR 2007, 141). Jener Verfahrensfehler kann einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör begründen (was zur Möglichkeit führt, die Anhörungsrüge oder, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich durchzuführen, wenn nicht auszuschließen ist, dass eine Stellungnahme zum Beweisergebnis zu einer anderen Würdigung der erhobenen Beweise geführt hätte (BGH aaO; die Möglichkeit anderer Würdigung muss in der Rüge detailliert begründet werden!). Fraglich ist, ob für den Fall der drohenden Beweisfälligkeit einer Partei die Pflicht des Gerichts besteht, in eine Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzutreten, seine eigene Würdigung zu offenbaren und die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen. Insoweit ist anerkannt, dass eine Hinweispflicht des Gerichts besteht, wenn die beweisbelastete Partei nach dem Verlauf der Verhandlung nicht damit rechnen muss, dass das Gericht den Beweis als nicht geführt ansehen wird (BGH 15.3.2006 – IV ZR 146/05; NJW 2016, 3100, 3103). Nach Auffassung des BGH (NJW 2016, 3100, 3103) ist das Gericht aber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Parteien im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um ihnen Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten.
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Sieht das Gericht sich nicht in der Lage, das vorläufige Beweisergebnis oder zumindest die für die Beweiswürdigung wesentlichen Gesichtspunkte, die sich aus der Beweisaufnahme ergeben haben, den Parteien darzulegen, sollte der Anwalt im Rahmen der Erörterung des Beweisergebnisses seine
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Kap. 24 Rz. 52
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M 24.6
Argumente vortragen, auf die aus seiner Sicht neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte eingehen und ggfs. weitere Beweisanträge zu Protokoll erklären oder eine Schriftsatzfrist beantragen, wenn er sich noch nicht abschließend äußern kann.
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Wichtig: Teilt das Gericht ein für die eigene Partei ungünstiges Beweisergebnis mit, ist zu prüfen, auf welcher Tatsachengrundlage die Würdigung erfolgt ist. Insbesondere ist zu prüfen, ob ein Zeuge neue Tatsachen bekundet hat, die nicht Gegenstand des bisherigen Parteivorbringens waren, was in der Praxis recht häufig vorkommt. In diesem Fall muss unbedingt eine Erklärungsfrist zu dem neuen Tatsachenvorbringen beantragt werden, weil die andere Partei sich im Zweifel die für sie günstigen Bekundungen des Zeugen zu eigen macht. Das Gericht muss der Partei dann Gelegenheit geben, sich zu dem neuen Tatsachenvortrag zu äußern.
III. Beweisaufnahme vor beauftragtem und ersuchtem Richter 53 Das Prozessgericht kann gem. § 355 Abs. 1 ZPO in den gesetzlich normierten Fällen (§§ 372 Abs. 2, 375, 402, 434, 451 ZPO) die Beweisaufnahme dem beauftragten Richter (Mitglied des Prozessgerichts) oder dem ersuchten Richter (Amtsgericht als Rechtshilfegericht) die Durchführung der Beweisaufnahme übertragen. Die Übertragung erfolgt im Beweisbeschluss, der nicht selbständig anfechtbar ist (§ 355 Abs. 2 ZPO). Vor dem beauftragten oder ersuchten Richter findet keine mündliche Verhandlung statt. Die Sitzung braucht nicht öffentlich zu sein (§ 169 GVG), allerdings ist den Parteien der Termin formlos mitzuteilen (§ 357 Abs. 2 ZPO), so dass sie an der Beweisaufnahme teilnehmen können. 1. Antrag auf Änderung einer Entscheidung des beauftragten oder ersuchten Richters (§§ 576, 577 Abs. 4 ZPO)
54 Der mit der Beweisaufnahme betraute Richter ist grundsätzlich verpflichtet, den Beweisbeschluss auszuführen. Er ist aber gem. § 360 Satz 3 ZPO berechtigt, unter bestimmten Voraussetzungen den Beweisbeschluss zu ergänzen oder zu berichtigen, und nach § 405 ZPO kann ihm die Benennung eines Sachverständigen übertragen werden.
55 Gegen Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters ist nach § 573 Abs. 1 ZPO die befristete Erinnerung zulässig. Sie ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen an den verordneten Richter oder das Prozessgericht zu richten (§ 573 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO), es besteht kein Anwaltszwang (§ 78 Abs. 3 ZPO). Über die Erinnerung entscheidet das Prozessgericht.
56 M 24.6 Befristete Erinnerung An das Amtsgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen den Beschluss des ersuchten Richters vom 12.1.2018, zugestellt am 15.1.2018, Erinnerung ein. Begründung: Die Erinnerung ist gem. § 573 Abs. 1 ZPO zulässig. Die Notfrist von zwei Wochen wird durch diesen Schriftsatz gewahrt. Die Erinnerung ist auch begründet. Nach dem Beweisbeschluss des Prozessgerichts ist Beweis über den Vortrag des Klägers zu erheben, ob die Parteien am 3.3.2017 einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw VW Golf geschlossen haben. Dazu soll nach dem Beweisbeschluss der Zeuge Dieter Schwarz vernommen werden, der nach dem Vorbringen
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M 24.7
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Rz. 58 Kap. 24
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des Klägers an diesem Gespräch teilgenommen hat. Nach der Entscheidung des ersuchten Richters soll nunmehr auch Beweis über die Behauptung des Beklagten erhoben werden, der Kläger habe denselben Pkw VW Golf bereits am 1.3.2017 an den Zeugen Karl Weiß verkauft. Dabei soll es sich nach dem Vorbringen des Beklagten um eine Indiztatsache handeln, die den Rückschluss zulassen soll, der Kläger habe das Fahrzeug nicht zwei Tage später an den Beklagten veräußert. Bei dieser Entscheidung des ersuchten Richters handelt es sich um eine Ausweitung des Beweisbeschlusses, die nicht mehr als eine bloße Vervollständigung oder Präzisierung des bisherigen Beweisthemas angesehen werden kann. Aus diesem Grunde stimmt der Kläger der Ergänzung des Beweisbeschlusses nicht zu. Der Kläger ist entgegen § 360 Satz 4 ZPO nicht vorher angehört worden. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RVG); ist der Rechtsanwalt nur für das Erinnerungsverfahren beauftragt, erhält er eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG.
2. Sofortige Beschwerde gegen Entscheidung des Prozessgerichts Die Entscheidung des Prozessgerichts erster Instanz ist mit der sofortigen Beschwerde gem. § 573 Abs. 2 ZPO anfechtbar. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist bei Zulassung gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft.
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M 24.7 Sofortige Beschwerde
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An das Oberlandesgericht (Beschwerdegericht) … In Sachen … / … (Langrubrum) lege ich hiermit für den Kläger gegen den Beschluss des Landgerichts … vom 13.12.2017, zugestellt am 15.12.2017, sofortige Beschwerde ein. Begründung: 1. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 573 Abs. 2 ZPO zulässig. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 5.1.2017 den beauftragten Richter zur Durchführung des Beweisbeschlusses vom … gem. § 261 ZPO eingesetzt und ihm die Auswahl des Sachverständigen gem. § 405 ZPO übertragen. Der beauftragte Richter hat durch Beschluss vom … Herrn Dipl.-Ing. Ernst Müller als Sachverständigen ernannt. Nach Zustellung des Beschlusses am … hat der Kläger innerhalb der Frist des § 406 Abs. 2 ZPO beantragt, den Sachverständigen Dipl.-Ing. Müller wegen Befangenheit abzulehnen. Diesen Antrag hat der beauftragte Richter mit Beschluss vom … zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Erinnerung des Klägers hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss des Landgerichts richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde, die mit diesem Schriftsatz rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eingelegt wird und deshalb zulässig ist. 2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Der Sachverständige Dipl.-Ing. Müller ist für den Beklagten bei mehreren Bauvorhaben als Architekt tätig. Zur Glaubhaftmachung überreiche ich die eidesstattliche Versicherung des Bauunternehmers Schmidt, der die Baustellen des Beklagten mit Material beliefert. Aus der Tätigkeit des Dipl.-Ing. Müller für den Beklagten ergibt sich die Besorgnis der Befangenheit. Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1812 KV GKG; Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG; das Beschwerdeverfahren ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
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Kap. 24 Rz. 59
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3. Zwischenstreit vor beauftragtem oder ersuchtem Richter (§ 366 ZPO)
59 Entstehen bei der Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter Streitigkeiten zwischen den Parteien untereinander, mit den Zeugen oder Sachverständigen oder zwischen den Parteien und dem Richter, von deren Erledigung die Fortsetzung der Beweisaufnahme abhängt, darf der verordnete Richter nur in seinem eigenen Wirkungskreis entscheiden. Das ist regelmäßig bei Fragen der Fall, die Art und Weise der Ausführung des Auftrages oder Ersuchens betreffen (vgl. Zöller/Geimer § 366 ZPO Rz. 1).
60 In allen übrigen Fällen, insbesondere etwa beim Streit über die Rechtmäßigkeit der Zeugnis- oder Gutachtenverweigerung (§§ 387, 389 Abs. 2, 400, 402 ZPO) hat das Prozessgericht zu entscheiden, dem die Akten vom verordneten Richter sofort zu übersenden sind.
IV. Beweisaufnahme im Ausland 1. Allgemeines
61 Von der Beweisaufnahme im Ausland ist die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland zu unterscheiden. Das Prozessgericht kann zB einen im Ausland lebenden Zeugen unter Verzicht auf die Androhung von Zwangsmaßnahmen formlos laden oder die schriftliche Beantwortung der Beweisfrage gem. § 377 Abs. 3 ZPO anordnen (vgl. Musielak/Voit/Huber § 377 ZPO Rz. 2 f.). Dabei wird nicht die Souveränität des ausländischen Staates verletzt (vgl. MüKo.ZPO/Heinrich § 363 ZPO Rz. 4). Ist die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland nicht möglich, hat das Gericht gem. § 363 ZPO die zuständige Behörde um Aufnahme des Beweises im Ausland zu ersuchen. Das gilt auch, wenn es „nur“ um die Augenscheinseinnahme geht, weil das Tätigwerden des Gerichts auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung einen Verstoß gegen Völkerrecht darstellt (MüKo.ZPO/ Heinrich § 363 ZPO Rz. 6).
62 Für das Rechtshilfeersuchen sind insbesondere das Haager Übereinkommen v. 18.3.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HBÜ), das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954 (HZPÜ) sowie die Gesetze zur Ausführung dieser Übereinkommen zu beachten (s. dazu auch Zöller/Geimer § 363 ZPO Rz. 38 ff.; MüKo.ZPO/Heinrich § 363 ZPO Rz. 1). Die Bestimmungen der HZPÜ und HBÜ werden gem. Art. 21 der VO (EG) Nr. 1206/2001 v. 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBeweisVO) von den vorrangigen Bestimmungen der EuBeweisVO (zu den Besonderheiten der EuBeweisVO s. unten Rz. 71 und Kap. 99) überlagert (vgl. Zöller/Geimer § 363 ZPO Rz. 50). Ferner sind im Hinblick auf die Abwicklung des Rechtshilfeverkehrs aufgrund europäischen Gemeinschaftsrechts, den Haager Übereinkommen oder sonstigen vertraglichen sowie vertragslosen Übereinkünften die Bestimmungen der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen (ZRHO) v. 19.10.1956 zu beachten. 2. Rechtshilfeersuchen
63 Das Ersuchungsschreiben ist nach § 17 ZRHO in deutscher Sprache abzufassen, wobei Abkürzungen nur zulässig sind, wenn sie bei ihrer erstmaligen Verwendung zusammen mit der ungekürzten Bezeichnung aufgeführt werden. Gemäß § 20 Abs. 2 ZHRO sind Beschlüsse und Verfügungen, die den Anlass zu dem Ersuchen geben, nicht in Abschrift mitzuteilen, sondern inhaltlich aufzunehmen. Die Ersuchen müssen gem. § 19 Abs. 1 ZRHO eine klare und leicht verständliche Darstellung des Sachverhalts enthalten, wobei Akten zur Erläuterung des Ersuchens nicht mit übersandt werden dürfen. Weiter sind gem. § 26 Abs. 1 ZRHO dem Ersuchen an eine ausländische Stelle nebst Anlagen die von einem vereidigten Dolmetscher oder Übersetzer beglaubigte Übersetzung beizufügen, sofern nicht im Länderteil (abgedruckt in der ZRHO) etwas anderes bestimmt ist.
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Beweisaufnahme
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Rz. 69 Kap. 24
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Der Adressat des Rechtshilfeersuchens ist gem. § 363 Abs. 2 ZPO die Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland (Bundeskonsul), sofern zwischenstaatliche Vereinbarungen oder – wenn solche nicht bestehen – das ausländische Recht die Vernehmung von Zeugen durch den deutschen Konsularbeamten zulassen (vgl. Zöller/Geimer § 363 ZPO Rz. 2 f.; s. dazu auch MüKo.ZPO/Heinrich § 363 ZPO Rz. 12).
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ZPO
Wichtig: Es muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass das Beweisthema so präzise wie möglich gefasst wird, damit der mit der Beweiserhebung Betraute zu erkennen vermag, welche Tatsachen klärungsbedürftig sind.
3. Angeordnete Parteimitwirkung (§ 364 ZPO) Kann das Prozessgericht nicht den Weg über § 363 Abs. 2 ZPO beschreiten, weil der deutsche Kon- 66 sularbeamte keine Vernehmung von Zeugen durchführen darf, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es von Amts wegen nach § 363 Abs. 1 ZPO verfährt oder ob es gem. § 364 Abs. 1 ZPO anordnet, dass der Beweisführer das Ersuchungsschreiben zu besorgen und die Erledigung des Ersuchens zu betreiben hat (vgl. Musielak/Voit/Stadler § 364 ZPO Rz. 1; aA Zöller/Geimer § 364 ZPO Rz. 1). Gleichzeitig hat das Gericht dem Beweisführer gem. § 364 Abs. 3 ZPO eine Frist zu setzen, innerhalb derer er die Urkunde über die Beweisaufnahme im Ausland auf der Geschäftsstelle des Prozessgerichts niederzulegen hat. Diesen Weg kann das Prozessgericht auch dann beschreiten, wenn das Rechtshilfeersuchen nach § 363 Abs. 1 ZPO ohne Erfolg geblieben ist. Beweisführer ist derjenige, der sich auf das Beweismittel berufen hat, gleichviel, ob ihn die Beweislast trifft oder nicht (vgl. BGH NJW 1984, 2039). Im Übrigen gilt für die Fristsetzung § 356 ZPO (BGH aaO).
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Wichtig: Gemäß § 364 Abs. 4 ZPO hat die Partei den Gegner von Ort und Zeit der Beweis- 67 aufnahme zu benachrichtigen. Dies ist vielfach aufgrund tatsächlicher Schwierigkeiten nicht rechtzeitig möglich. Unterbleibt die Benachrichtigung, liegt die Verwertung des Beweisergebnisses im freien Ermessen des Prozessgerichts, das insbesondere darauf zu achten hat, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der Gleichheit beider Parteien nicht verletzt wird (vgl. MüKo.ZPO/Heinrich § 364 ZPO Rz. 3).
4. Durchführung der Beweisaufnahme Wird die Beweisaufnahme durch den Bundeskonsul (§ 363 ZPO) in eigener Zuständigkeit durch- 68 geführt, sind die Vorschriften der ZPO anzuwenden. Wird eine ausländische Behörde tätig, wendet sie regelmäßig die für sie geltenden Vorschriften ihres Staates an (vgl. MüKo.ZPO/Heinrich § 363 ZPO Rz. 13). Letzteres gilt auch bzgl. des Rechts der Parteien zur Anwesenheit bei der Beweisaufnahme im Ausland. Bei Geltung der Haager Übereinkommen wird das Prozessgericht auf sein Verlangen hin von dem Zeitpunkt und dem Ort der Beweisaufnahme benachrichtigt, damit die beteiligten Parteien und ggf. ihre Vertreter anwesend sein können (vgl. MüKo.ZPO/Heinrich § 363 ZPO Rz. 14). Nach § 60 ZRHO ist bei der Vorbereitung des Ersuchens zu klären, ob die Beteiligten der Beweisaufnahme beiwohnen möchten oder ob sie auf eine Benachrichtigung von dem Beweistermin verzichten. Die Teilnahme deutscher Richter an der Beweisaufnahme im Ausland bedarf nach § 61 ZRHO der Genehmigung der Bundesregierung und des Staates, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll. Unterbleibt die (gebotene) Benachrichtigung der Partei vom Termin der Beweisaufnahme, steht im 69 Ermessen des Prozessgerichts, ob es das Ergebnis dieser Beweisaufnahme seiner Entscheidung zugrunde legen will. Das ergibt sich aus dem Gedanken des § 364 Abs. 4 Satz 2 ZPO (vgl. BGH NJW 1960, 1950). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hat das Gericht insbesondere zu erwägen, ob es der Partei bei Anwesenheit möglich gewesen wäre, durch Fragen, Vorhaltungen oder in anderer Weise die Klärung der Beweisfrage zu fördern (BGH aaO).
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Kap. 24 Rz. 70
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Wichtig: Das Protokoll über die Vernehmung eines Zeugen im Ausland ist regelmäßig nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen, weil diese Beurteilung wesentlich von dem persönlichen Eindruck abhängt, den das Gericht von dem Zeugen gewinnt. Das Gericht muss dann den Zeugen unmittelbar vernehmen, sofern dieser bereit ist, in Deutschland auszusagen, oder versuchen, im Rahmen eines weiteren Rechtshilfeersuchens durch bestimmte Fragestellungen die Glaubwürdigkeit weiter zu klären (BGH NJW 1990, 3088, 3090).
5. Beweisaufnahme auf dem Gebiet der EuBeweisVO
71 Die Wahrung des Grundsatzes der Beweisunmittelbarkeit kann auf dem Gebiet der EU-Mitgliedsstaaten – mit Ausnahme Dänemarks (vgl. Art. 1 EuBeweisVO) – stets gewährleistet werden (s. dazu auch ausf. Vorwerk in FS Krämer, 2009, S. 551 ff.). Der deutsche Gesetzgeber hat Vorgaben der EuBeweisVO in den §§ 1072 ff. ZPO umgesetzt. Nach Art. 17 EuBeweisVO ist dem ersuchenden Gericht die eigene Beweisaufnahme im fremden Mitgliedsstaat zu gestatten, wobei das ersuchende Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme sein eigenes Verfahrensrecht anwendet (vgl. Vorwerk aaO, mwN). Voraussetzung für diese „passive Rechtshilfe“ ist nach Art. 17 Abs. 2 EuBeweisVO, dass die Beweisaufnahme auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgt. So ist einem Zeugen, der in einem anderen Mitgliedsstaat vernommen werden soll, mitzuteilen, dass die Vernehmung auf freiwilliger Grundlage erfolgt. Ersucht das Prozessgericht gem. Art. 1 Abs. 1a) EuBeweisVO das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedsstaates um Beweisaufnahme (aktive Rechtshilfe), ist dem inländischen Tatrichter gem. Art. 12 EuBeweisVO zu gestatten, an der Beweisaufnahme teilzunehmen. Das ersuchte Gericht kann Zwangsmaßnahmen anordnen, wie sie das Recht des Mitgliedsstaats des ersuchten Gerichts für die Erledigung eines zum gleichen Zweck gestellten Ersuchens inländischer Behörden oder einer beteiligten Partei vorsieht (Art. 13 EuBeweisVO). Das Prozessgericht ist daher sowohl im Falle der aktiven als auch der passiven Rechtshilfe in der Lage, sich von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen einen eigenen persönlichen Eindruck zu verschaffen.
72 Form und Inhalt des Ersuchens sind in Art. 4 und 5 EuBeweisVO geregelt. Danach ist ein Formblatt zu verwenden, das bestimmte Angaben zu enthalten hat, u.a. Namen und Anschrift der zu vernehmenden Person sowie die Fragen, welche an die zu vernehmende Person gerichtet werden sollen. Um zu verhindern, dass die Fragen schlicht mit ja oder nein beantwortet werden, kann es durchaus sinnvoll sein, dem ersuchten Gericht die Erfordernisse des nationalen Rechts zu erläutern (s. dazu Vorwerk aaO, S. 10 f.). 6. Angeordnete Parteimitwirkung (§ 364 ZPO)
73 Kann das Prozessgericht nicht über einen Bundeskonsul eine Beweisaufnahme erreichen – dies ist häufig schon deswegen der Fall, weil deutschen Konsulen die Vernehmung von Angehörigen des Empfangsstaates und dritter Staaten oftmals untersagt ist (vgl. Zöller/Geimer § 363 ZPO Rz. 3) –, kann es anordnen, dass die Partei das Ersuchen an die ausländische Behörde zu besorgen und die Erledigung des Ersuchens zu betreiben hat (§ 364 ZPO). Ob eine Anordnung gem. § 364 ZPO unabhängig von der Beweislast für diejenige Partei zulässig ist, die sich auf das Beweismittel berufen hat, ist umstritten (vgl. MüKo.ZPO/Heinrich § 364 ZPO Rz. 3; BLAH/Hartmann § 364 ZPO Rz. 4).
74 Von den zahlreichen bilateralen Rechtshilfeverträgen und den beiden Haager Übereinkommen von 1954 und 1970 nebst Ausführungsgesetzen hängt ab, ob eine Mitwirkung der Partei überhaupt möglich ist. Die Haager Übereinkommen sind u.a. im MüKo.ZPO/Band 3 (Anh. HBewÜ/HZPÜ 1954) abgedruckt. Im Übrigen finden sich Regelungen zu Art und Inhalt der Ersuchen in der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen (ZRHO), die u.a. in den Justizverwaltungsvorschriften, begründet von Richard Piller und Georg Hermann, weiterbearbeitet von Hans-Georg Hermann, sowie im Kulturbuchverlag veröffentlicht sind. Nach § 17 ZRHO sind Ersuchen in deutscher Sprache abzufassen, wobei Abkürzungen nur zulässig sind, wenn sie bei ihrer erstmaligen Verwendung zusammen mit der ungekürzten Bezeichnung aufgeführt werden. Gemäß § 20 ZHRO sind Beschlüsse und Verfügun478
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Beweisaufnahme
Rz. 80 Kap. 24
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gen, die den Anlass zu dem Ersuchen geben, nicht in Abschrift mitzuteilen, sondern inhaltlich aufzunehmen. Die Anschrift der zu vernehmenden Person ist genau anzugeben. Gemäß § 26 ZHRO sind Ersuchen an eine ausländische Behörde mit den Anlagen von einem vereidigten Dolmetscher oder Übersetzer als beglaubigte Übersetzungen beizufügen, sofern sich nicht im Länderteil, der in der ZRHO abgedruckt ist, etwas anderes ergibt. In den meisten Staaten begegnet ein Parteiersuchen größeren Schwierigkeiten als ein amtliches Ersuchen, wie § 55 ZRHO zutreffend feststellt, dies gilt allerdings nicht im anglo-amerikanischen Rechtskreis, in dem ein Parteivorgehen schneller zu einer Beweiserhebung führen kann (Zöller/Geimer § 364 ZPO Rz. 2; Stein/Jonas/Berger § 364 ZPO Rz. 1).
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Das Prozessgericht kann entweder gem. § 364 Abs. 1 ZPO der Partei aufgeben,
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– das Ersuchungsschreiben zu besorgen und die Erledigung des Ersuchens zu betreiben – oder das Gericht kann gem. § 364 Abs. 2 ZPO der Partei auferlegen, – eine den Gesetzen des fremden Staates entsprechende öffentliche Urkunde über die Beweisaufnahme vorzulegen. In beiden Fällen ist der Partei eine Frist zu setzen. Gemäß § 364 Abs. 4 ZPO hat die Partei den Gegner von Ort und Zeit der Beweisaufnahme zu benachrichtigen. Dies ist vielfach aufgrund tatsächlicher Schwierigkeiten nicht rechtzeitig möglich. Unterbleibt die Benachrichtigung, führt dies dazu, dass das Gericht das Beweisergebnis nach freiem Ermessen beurteilt; gänzlich unverwertbar ist das Ergebnis nicht.
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7. Folgen eines nach ausländischem Recht unterlaufenen Verfahrensfehlers (§ 369 ZPO) Die Beweisaufnahme im Ausland erfolgt nach den dort geltenden Gesetzen (Zöller/Greger § 369 ZPO 78 Rz. 1). § 369 ZPO stellt klar, dass eine nach dem möglicherweise strengeren ausländischen Recht verfahrensfehlerhaft vorgenommene Beweisaufnahme, die indessen nach deutschem Recht als ordnungsgemäß zu bewerten ist, nicht bemängelt werden kann. Gleiches soll auch dann gelten, wenn die ausländische Behörde das für sie geltende Recht beachtet, die Beweisaufnahme deutschen Verfahrensregeln aber nicht entspricht (vgl. MüKo.ZPO/Heinrich § 369 ZPO Rz. 3 und 4). Stellt sich die Beweisaufnahme sowohl nach dem ausländischen wie auch nach dem deutschen Recht als verfahrensfehlerhaft dar, so ist dies gem. § 295 ZPO zu rügen, damit die Beweisaufnahme ggf. wiederholt werden muss. Allerdings hält die hM das Gericht auch für berechtigt, im Falle der Verfahrensrüge das Ergebnis der mangelhaften Beweisaufnahme gem. § 286 ZPO frei zu würdigen (MüKo.ZPO/Heinrich § 369 ZPO Rz. 5).
V. Beweis durch Augenschein Die Einnahme des Augenscheins erfolgt von Amts wegen (§ 144 ZPO) oder auf Antrag einer Partei (§ 371 ZPO). Der Beweisantritt muss die zu beweisende Tatsache und die genaue Bezeichnung des Gegenstandes bzw. der Person enthalten, die vom Gericht wahrgenommen werden sollen. Bei elektronischen Dokumenten erfolgt der Beweisantritt durch Vorlage oder Übermittlung der Datei (§ 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
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1. Antrag auf Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 372 ZPO) Das Gericht kann zu der Augenscheinseinnahme einen Sachverständigen hinzuziehen, was insbesondere dann geboten ist, wenn das Ergebnis der Augenscheinseinnahme Grundlage eines Sachverständigengutachtens sein wird.
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M 24.8
81 M 24.8 Antrag auf Hinzuziehung eines Sachverständigen zur
Augenscheinseinnahme An das Landgericht … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) beantragt der Beklagte, einen Sachverständigen zu dem Beweisaufnahmetermin, in dem eine Augenscheinseinnahme erfolgen soll, hinzuzuziehen. Begründung: Der Kläger macht Gewährleistungsansprüche geltend, weil 10 der von dem Beklagten gelieferten 90 Fenster Farbabweichungen aufweisen sollen. Das Gericht hat für den … einen Termin zur Einnahme des Augenscheins anberaumt. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen zu diesem Termin ist geboten, weil die Ursache der vom Kläger behaupteten Farbabweichungen umstritten ist. Der Beklagte hat dazu durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, dass etwaige Farbabweichungen auf die nach Durchführung der Lackierarbeiten erfolgte Verwendung eines ungeeigneten Reinigungsmittels zurückzuführen sind. Demgegenüber behauptet der Kläger, es seien unterschiedliche Materialien verwendet worden. Sollte das Gericht im Rahmen der Augenscheinseinnahme zu dem Ergebnis kommen, dass ein optischer Mangel vorliegt, wird der Sachverständige die vom Gericht konkret bezeichneten Fenster mit Farbabweichungen näher untersuchen müssen. Kosten: Gericht und Anwalt: Keine besonderen Gebühren.
2. Protokollierung bei Übertragung der Augenscheinseinnahme (§ 372 Abs. 2 ZPO)
82 Die Übertragung der Beweisaufnahme durch Augenscheinseinnahme auf den beauftragten oder ersuchten Richter steht im Ermessen des Prozessgerichts, ohne dass die Voraussetzungen des § 375 ZPO vorliegen müssen (vgl. BGH NJW 1990, 2936 f.). Der beauftragte/ersuchte Richter muss das Ergebnis der Augenscheinseinnahme gem. § 160 Abs. 3 Nr. 5 ZPO protokollieren, die Ausnahmevorschrift des § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gilt für ihn nicht. Dabei ist im Protokoll nicht nur festzustellen, was besichtigt wurde, sondern auch der den Parteien mitzuteilende Eindruck des Gerichts. Dazu gehören alle entscheidungserheblichen Umstände, wie etwa eine Skizze der Unfallstelle, erkennbare Schäden eines Gegenstandes und der Eindruck von Lärm oder Gerüchen (vgl. Zöller/Schultzky § 160 ZPO Rz. 9).
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Praxistipp: Der Anwalt muss darauf achten, dass das Ergebnis der Augenscheinseinnahme vollständig protokolliert wird. Eine unvollständige Protokollierung oder ein unvollständiger Vermerk sind zu rügen. Unterbleibt die Rüge, kann das Ergebnis auch nach einem Richterwechsel verwertet werden (vgl. BGH NJW 1972, 1202).
84 M 24.9 Antrag auf Protokollergänzung An das Amtsgericht … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, das Protokoll über die Augenscheinseinnahme am … durch den ersuchten Richter dahin zu ergänzen, dass die Bremsspur des aus nördlicher Richtung kommenden Fahrzeuges 40 m betrug.
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M 24.9
Beweisaufnahme
Rz. 89 Kap. 24
Begründung:
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Der ersuchte Richter hat in dem Protokoll über die Augenscheinseinnahme festgehalten, dass eine lange Bremsspur vor der Unfallstelle zu erkennen war, die von dem aus nördlicher Richtung kommenden Fahrzeug stammt. Beim Termin zur Augenscheinseinnahme hat das Gericht die Bremsspur ausgemessen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass diese 40 m lang ist, ohne dass sich das im Protokoll niedergeschlagen hat. Diese Feststellung ist für das weitere Verfahren von wesentlicher Bedeutung. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 RVG).
Verweigert der ersuchte Richter die begehrte Protokollergänzung, kann diese Entscheidung durch die dem Prozessgericht vorzulegende befristete Erinnerung angefochten werden (s. Rz. 54 f.).
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3. Vorlegungspflicht, Beweisvereitelung Befindet sich der Gegenstand der Augenscheinseinnahme im Besitz des Prozessgegners, kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen gem. §§ 371 Abs. 2, 144 Abs. 1 ZPO gegenüber der Partei die Vorlegung eines in ihrem Besitz befindlichen Gegenstandes anordnen und hierfür eine Frist setzen. Gegenüber der Prozesspartei ist die Vorlage des Gegenstandes nicht durch das Prozessgericht erzwingbar (Zöller/Greger § 144 ZPO Rz. 4 und § 142 ZPO Rz. 14). Kommt die Partei dem zumutbaren Vorlageverlangen nicht nach, kann das Gericht die Behauptungen des Beweisführers über die Beschaffenheit des Gegenstandes gem. § 371 Abs. 3 ZPO im Rahmen freier Beweiswürdigung als bewiesen ansehen. In der Nichtvorlage des Gegenstandes kann ebenso wie in seiner schuldhaften Zerstörung oder Beiseiteschaffung eine Beweisvereitelung gesehen werden. Der Dritte, in dessen Besitz sich der Gegenstand befindet, kann – anders als die Partei – durch das Gericht zur Vorlage des Gegenstandes gezwungen werden. Das Gericht kann auf Antrag oder von Amts wegen gem. § 371 Abs. 2 ZPO iVm. § 144 ZPO die Vorlage anordnen, sofern diese zumutbar ist. Neben der Möglichkeit der Anordnung kann, ebenso wie bisher beim Urkundenbeweis, beantragt werden, dass das Gericht eine Frist zur Herbeischaffung des Gegenstandes bestimmt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 ZPO; s. zu der Vorlage von Urkunden Rz. 147 f. sowie M 24.18).
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Wichtig: Der umständliche Weg zur Herbeischaffung des Gegenstandes durch eine Klage dürfte 87 sich in den meisten Fällen durch den Antrag auf Anordnung der Vorlage vermeiden lassen. Zu den Anforderungen an den zu stellenden Antrag s. Kap. 18 Rz. 106 ff.
4. Vorlage von elektronischen Dokumenten In § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist geregelt, dass in Fällen, in denen ein elektronisches Dokument Gegenstand des Beweises ist, der Beweis durch Vorlegung oder Übermittlung der Datei angetreten wird. Elektronische Dokumente sind alle auf entsprechenden Speichermedien aufgebrachte Dateien, also Text-, Grafik-, Audio-, Video- und Programmdateien (Zöller/Greger § 371 ZPO Rz. 1). Durch den Prozessgegner oder einen Dritten ist hier das Speichermedium (Diskette, CD-ROM usw.) vorzulegen (Zöller/ Greger § 371 ZPO Rz. 3). Darüber hinaus regelt § 371b ZPO speziell die Beweiskraft gescannter öffentlicher Urkunden (s. auch Wagner, Das elektronische Dokument im Zivilprozess, JUS 2016, 29).
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Nach § 371a Abs. 1 ZPO gilt zu Gunsten des Empfängers von privaten elektronischen Dokumenten eine Beweiserleichterung, sofern das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Der Begriff der „qualifizierten elektronischen Signatur“ richtet sich früher nach dem Signaturgesetzt, das mit Wirkung seit dem 29.7.2017 durch das eIDAS-Durchführungsgesetz aufgehoben wurde. Maßgeblich ist nunmehr die Begriffsbestimmung in Art. 3 Nr. 12 eIDAS-VO (vgl. Musielak/ Voit/Huber § 371a ZPO Rz. 3 f.). Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ist davon auszugehen, dass die Erklärung von dem Signaturschlüssel-Inhaber abgegeben worden ist (vgl. Musielak/Voit/Hu-
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ZPO
Kap. 24 Rz. 90
Beweisaufnahme
M 24.10
ber § 371a ZPO Rz. 6). Auch ohne Signatur haben öffentliche elektronische Dokumente, die von der zuständigen Stelle in der vorgeschriebenen Form erstellt wurden, die Beweiskraft von öffentlichen Urkunden (vgl. Zöller/Greger § 371a ZPO Rz. 4; Roßnagel NJW 2006, 806 ff.). 5. Verweigerung der Untersuchung zur Feststellung der Abstammung (§ 372a ZPO)
90 In Kindschaftssachen kann das Gericht zum Nachweis der Abstammung die Entnahme von Blutproben zur Durchführung einer Blutgruppenuntersuchung anordnen (vgl. dazu ausf. Kap. 128 Rz. 50 ff.). Eine solche Untersuchung ist grundsätzlich auch von Dritten zu dulden. Bezüglich des Weigerungsrechts der Testperson verweist § 372a Abs. 2 ZPO auf die §§ 386–390 ZPO. Ob die Weigerung berechtigt ist, entscheidet das Prozessgericht nach einem Zwischenstreit durch Zwischenurteil (§ 387 ZPO), gegen das die sofortige Beschwerde statthaft ist.
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Wichtig: Bei wiederholter Verweigerung kann das Gericht den entsprechend belehrten Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung so behandeln, als hätte die Untersuchung keine schwerwiegenden Zweifel an der Vaterschaft erbracht (vgl. BGH NJW 1993, 1391, 1393).
VI. Zeugenbeweis 1. Aussageerleichternde Unterlagen
92 Der Zeuge ist gem. § 378 ZPO verpflichtet, sein Wissen vor dem Beweisaufnahmetermin anhand von ihm zugänglichen oder in seinem Besitz befindlichen Aufzeichnungen zu überprüfen und sein Gedächtnis aufzufrischen, ohne allerdings verpflichtet zu sein, solche Unterlagen selbst zu beschaffen. Eine Pflicht zur Vorlage oder Aushändigung von Unterlagen, die dem Zeugen zur Gedächtnisauffrischung gedient haben, besteht nicht (vgl. Zöller/Greger § 378 ZPO Rz. 2). Die Aushändigung von Urkunden kann ggf. durch Klage erzwungen werden (s. dazu Rz. 148 ff.). Dieser umständliche Weg lässt sich vermeiden, wenn das Gericht gem. § 378 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Vorlage von Unterlagen gem. § 142 ZPO anordnet.
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Praxistipp: Es empfiehlt sich folglich, die Anregung zu geben, gem. § 142 ZPO zu verfahren, wenn der Zeuge Urkunden zur Vernehmung mitbringt, deren Inhalt für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sind.
94 Nach entsprechender Anordnung des Gerichts ist der Zeuge zudem gezwungen, die in seinem Besitz befindlichen Unterlagen zur Gedächtnisauffrischung einzusehen und mitzubringen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann das Gericht Zwangsmaßnahmen gem. § 390 ZPO anordnen. 2. Erklärung der Zeugnisverweigerung (§ 386 ZPO)
95 Ein Zeuge, der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 383, 384 ZPO) Gebrauch machen will, hat dies vor dem Termin schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle oder in dem Beweisaufnahmetermin zu erklären und die Tatsachen, auf die er die Weigerung stützt, glaubhaft zu machen.
96 M 24.10 Mitteilung der Zeugnisverweigerung An das Landgericht … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) zeige ich unter Vorlage einer auf mich lautenden Vollmacht an, dass ich die Zeugin Corinna Grünzweig vertrete. Die Zeugin hat mich beauftragt, dem Gericht mitzuteilen, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Das Gericht hat Frau Grünzweig als Zeugin zu dem Termin vom … geladen. Frau Grünzweig ist die Verlobte des Beklagten, was durch die beigefügte eidesstattliche Versicherung der
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M 24.11
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Rz. 101 Kap. 24
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Zeugin Grünzweig sowie die Verlobungsanzeige im Rheinischen Merkur vom 21.12.2017 glaubhaft gemacht wird. Die Zeugin ist gem. § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO berechtigt, die Aussage zu verweigern. Sie wird zu dem Beweisaufnahmetermin nicht erscheinen (§ 386 Abs. 3 ZPO). Kosten: Anwalt: Es entstehen die gleichen Gebühren wie für einen Verfahrensbevollmächtigten in diesem Verfahren (Vorbem. 3 Abs. 1 VV RVG).
a) Zwischenstreit über Zeugnisverweigerung Das Gericht entscheidet gem. § 387 Abs. 1 ZPO über die Rechtmäßigkeit der Weigerung durch Zwischenurteil.
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Wichtig: Das Gericht entscheidet nicht von Amts wegen, erforderlich ist immer ein Antrag, den Zeugen dennoch zu vernehmen, weil das Verweigerungsrecht nicht besteht, oder zumindest eine Rüge, die als entsprechender Antrag auszulegen ist (vgl. Zöller/Greger § 387 ZPO Rz. 2). In der rügelosen Verhandlung liegt ein Verzicht auf den Zeugen (vgl. Zöller/Greger § 387 ZPO Rz. 2).
M 24.11 Antrag auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der
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Zeugnisverweigerung An das Landgericht … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, durch Zwischenurteil zu entscheiden, dass die Zeugnisverweigerung der Zeugin Corinna Grünzweig nicht rechtmäßig ist. Begründung: Die Zeugin Grünzweig hat die gegenüber dem Gericht erklärte Zeugnisverweigerung damit begründet, dass sie mit dem Beklagten seit dem 25.7.2017 verlobt sei. Das ist nicht zutreffend. Die Zeugin Grünzweig erklärte Anfang Dezember 2017 gegenüber ihrer Freundin Petra Müller, dass sie die Verlobung mit dem Beklagten gelöst habe. Beweis: Zeugnis Petra Müller, Zeugenweg 1, Wuppertal-Elberfeld. Damit besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht der Zeugin Grünzweig. Kosten: Gericht und Anwalt: Keine besonderen Gebühren.
Zuständig für die Entscheidung über den Zwischenstreit ist das Prozessgericht. Parteien des Zwischenstreits sind der Zeuge und der Beweisführer, im Falle des § 399 ZPO auch der Gegner, wenn nur dieser die Zeugnisverweigerung beanstandet.
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b) Zeugniszwang Verweigert der zur Aussage verpflichtete Zeuge die Aussage, werden dem Zeugen von Amts wegen die 101 durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt, und es wird gegen den Zeugen ein Ordnungsgeld festgesetzt. Im Falle der wiederholten Weigerung wird auf Antrag des Beweisführers und nach dessen Verzicht oder Untätigkeit gem. § 399 ZPO auch auf Antrag des Gegners Beugehaft angeordnet. Ein unterlassener Haftantrag bedeutet den Verzicht auf den Zeugen (vgl. Zöller/Greger § 390 ZPO Rz. 6).
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Kap. 24 Rz. 102
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102 M 24.12 Antrag auf Anordnung von Beugehaft An das Landgericht … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) beantrage ich für den Kläger als Beweisführer, gegen die Zeugin Corinna Grünzweig zur Erzwingung der Aussage Beugehaft anzuordnen. Begründung: Nachdem das Gericht durch Zwischenurteil rechtskräftig entschieden hat, dass die Zeugin Corinna Grünzweig sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann, ist die Zeugin zu dem folgenden Beweisaufnahmetermin am … nicht erschienen. Daraufhin hat das Gericht ein Ordnungsgeld iHv. 200 Euro gegen die Zeugin verhängt und die Zeugin zu dem Beweisaufnahmetermin am … erneut geladen. Trotz ordnungsgemäßer Ladung ist die Zeugin auch zu diesem Termin nicht erschienen. Aus diesem Grunde ist gem. § 390 Abs. 2 ZPO zur Erzwingung der Aussage der Zeugin Grünzweig Beugehaft anzuordnen. Kosten: Gericht: Keine besonderen Gebühren (§ 1 GKG). Anwalt: Gehört nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG zum Rechtszug.
3. Entlassung des vernommenen Zeugen aus der Vernehmung
103 Die Aussage des Zeugen ist erst mit Entlassung durch den Vorsitzenden beendet. Bis dahin ist der Zeuge nicht Teil der Öffentlichkeit, hat also kein Recht, bei der Vernehmung der anderen Zeugen zugegen zu sein.
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Praxistipp: Werden mehrere Zeugen vernommen, sollte der Anwalt darauf achten, dass der bereits vernommene Zeuge nicht entlassen wird, wenn eine Beeidigung des Zeugen in Betracht kommt oder dem Zeugen Vorbehalte aus der Aussage eines anderen Zeugen gemacht werden sollen. Im Falle der Entlassung hat der Zeuge aber die Möglichkeit, an der Beweisaufnahme als Zuhörer teilzunehmen. Entlässt das Gericht den Zeugen und sind noch Vorhalte möglich, sollte der Zeuge gebeten werden, an der weiteren Verhandlung teilzunehmen.
4. Verwertung richterlicher Vernehmungsniederschriften
105 Der im Entwurf des 1. JuMoG vorgesehene § 374 ZPO-E, der die Verwertung der richterlichen Vernehmungsniederschriften von Zeugen regelte, ist nicht Gesetz geworden. Es bleibt deswegen dabei, dass Protokolle über die Aussagen von Zeugen in anderen Verfahren verwertet werden können, wenn die beweispflichtige Partei dies beantragt (BGH NJW 1995, 2856, 2857). Der Prozessgegner kann die Verwertung verhindern, indem er zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung des Zeugen beantragt; die Verwertung ist dann unzulässig (BGH aaO).
106 Die Verwertung setzt weiter voraus, dass der Zeuge über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, weil ansonsten ein Beweisverwertungsverbot besteht (vgl. Musielak/Voit/Huber § 373 ZPO Rz. 4). Die verwertbare Niederschrift unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung, wobei ihr im Allgemeinen ein geringerer Beweiswert beizumessen ist als dem unmittelbaren Zeugenbeweis.
107 K
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Wichtig: Die Verwertung des Protokolls über die Vernehmung eines Zeugen in einem anderen Verfahren bedarf nicht der Zustimmung des Prozessgegners (BGH NJW 1995, 2856, 2857). Dieser kann die Verwertung nur verhindern, indem er die Vernehmung des Zeugen beantragt.
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Rz. 112 Kap. 24
Bei Verwertung der protokollierten Aussage ist eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung regelmäßig nicht zulässig (BGH NJW 2000, 1420, 1422). Das Gericht kann lediglich durch andere Beweistatsachen über die Glaubhaftigkeit der Aussage entscheiden (BGH aaO).
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ZPO
Beweisaufnahme
VII. Sachverständigenbeweis 1. Auswahl des Sachverständigen Die Auswahl des Sachverständigen steht im Ermessen des Gerichts. Eine Anhörung der Parteien zu 109 der Frage, welcher Sachverständige ausgewählt wird, ist nach § 404 Abs. 1 ZPO nicht erforderlich (vgl. BGHZ 131, 76, 80). Findet das Gericht keinen geeigneten Sachverständigen, kann es unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO von einer Beweisaufnahme absehen (vgl. BGH DS 2017, 198, 199). Den Feststellungen eines Privatgutachtens darf das Gericht sich nur anschließen, wenn es über die erforderliche eigene Sachkunde verfügt und darlegt, dass es in der Lage ist, die streitigen Fragen abschließend zu beurteilen (BGH MDR 2008, 1110 = NJW-RR 2008, 1252). Der vom Gericht bestellte Sachverständige hat das Gutachten selbst und eigenverantwortlich zu erstatten, eine Vertretung in der Ausarbeitung des Gutachtens ist ausgeschlossen. Gehilfen dürfen nur für unterstützende Dienste nach Weisung und unter Aufsicht des Sachverständigen herangezogen werden (vgl. BeckOK.ZPO/Scheuch § 404 ZPO Rz. 6). Stützt der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten auf das Ergebnis einer Erörterung mit einem anderen Sachverständigen, der auf einem anderen Spezialgebiet tätig ist, muss das Gericht den Parteien Gelegenheit geben, auch den hinzugezogenen Sachverständigen zu befragen (BGH NJW-RR 2009, 409 f.).
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Die Parteien können sich gem. § 404 Abs. 4 ZPO auf einen Sachverständigen einigen. Das Gericht ist an die Einigung, für die Anwaltszwang gem. § 78 ZPO besteht, gebunden Das Gericht kann sich auch allein auf ein vorgelegtes Privatgutachten im Rahmen der Beweisführung beziehen. Dass es dies will, hat es jedoch anzukündigen, so dass der Gegner ein eigenes Privatgutachten als Gegenbeweis vorlegen muss oder das Beweisergebnis des anderen Privatgutachtens auf andere Weise zu erschüttern hat (OLG Hamburg Schaden-Praxis 2003, 100).
111
2. Ablehnung Ein Sachverständiger kann aus den Gründen, die auch zur Ablehnung eines Richters berechtigen, ab- 112 gelehnt werden (§ 406 Abs. 1 ZPO). Für eine Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteilich ist oder ob das Gericht selbst Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hat. Schon der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit rechtfertigt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Entscheidend ist, ob objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH GRUR-RR 2008, 365). Das kann zu bejahen sein, wenn der Sachverständige in einem aktuellen Mandatsverhältnis zu den Prozessbevollmächtigten des Prozessgegners oder in näheren Beziehungen zu einer Partei steht (BGH DS 2007, 384 f. = WRP 2008, 127), der Sachverständige in einem Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung ein Gutachten erstellt hat (BGH NJW 2017, 1247, 1248), wenn der Sachverständige mit seinen Feststellung über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinausgeht und vom Auftrag nicht umfasste Fragen beantwortet (OLG Oldenburg MDR 2008, 101), wenn er von einem falschen oder nicht feststehenden Sachverhalt ausgeht oder den Eindruck erweckt, er halte eine streitige Behauptung zu Lasten einer Partei für erwiesen (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2008, 1121). Ob scharfe und überzogen formulierte Angriffe eines gerichtlichen Sachverständigen gegen die fachlichen Thesen einer Partei die Ablehnung des Sachverständigen rechtfertigen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (die Ablehnung bejahend OLG Saarbrücken MDR 2008, 1121; verneinend OLG Nürnberg NJW 2002,
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ZPO
Kap. 24 Rz. 113
Beweisaufnahme
M 24.13
2254). Die mangelnde Fachkunde des Sachverständigen oder etwaige Unzulänglichkeiten der Begutachtung rechtfertigen die Ablehnung nicht (vgl. OLG Saarbrücken DS 2008, 148).
113 Auch die geschäftlichen Beziehungen des vom Sachverständigen eingeschalteten Mitarbeiters zu einer Partei können die Ablehnung rechtfertigen. Der Sachverständige ist verpflichtet, seine Mitarbeiter nach solchen Umständen zu befragen und Beziehungen des Mitarbeiters zu einer Partei zu offenbaren (OLG Celle BauR 2008, 134 f.; aA Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 2: § 406 ZPO ist auf Hilfskräfte des Sachverständigen nicht anwendbar).
114 Der Antrag unterliegt nicht dem Anwaltszwang und kann nur innerhalb von zwei Wochen gestellt werden. Die 2-Wochen-Frist beginnt gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Bekanntgabe der Ernennung des Sachverständigen, und zwar auch dann, wenn die Ernennung nur formlos mitgeteilt wird (vgl. Zöller/Greger § 406 ZPO Rz. 11). Wird die Frist nicht eingehalten, muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass er den Sachverständigen unverschuldet nicht früher ablehnen konnte (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Das gilt insbesondere, wenn die Ablehnung auf Tatsachen gestützt wird, die sich aus dem Gutachten ergeben. In diesem Falle sind die Ablehnungsgründe grundsätzlich unverzüglich nach Kenntnis des Gutachtens geltend zu machen. Der Ablehnungsantrag muss dann zwar nicht sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist gestellt werden. In einem einfach gelagerten Fall können bereits wenige Tage ausreichend sein, um die Ablehnungsgründe zu erkennen, während sich diese Frist verlängern kann, wenn der Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung des Gutachtens zu erkennen ist. Hat das Gericht den Parteien eine Frist zur Stellungnahme gem. § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt, ist es im Allgemeinen ausreichend, aber auch erforderlich, den Befangenheitsantrag innerhalb dieser Frist zu stellen (BGH NJW 2005, 1869, 1870). Der Ablehnungsgrund ist gem. § 406 Abs. 3 ZPO glaubhaft zu machen, wobei die Partei zur Versicherung an Eides statt nicht zugelassen werden darf. Die Partei muss deshalb auch eine eidesstattliche Versicherung Dritter, ggf. des Sachverständigen selbst, einholen, da das Gericht für die Einholung eidesstattlicher Versicherungen Dritter selbst nicht Sorge zu tragen hat (OLG Brandenburg MDR 2002, 1092). Dies gilt allerdings nicht für die Glaubhaftmachung des Vortrages, dass Ablehnungsgründe der Partei erst nach Ablauf der zwei Wochen bekannt geworden sind (s. dazu auch Kap. 22 Rz. 21 ff.).
115 K
Wichtig: Auch wenn das Gericht eine Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt hat, sollte das Befangenheitsgesuch unverzüglich eingereicht werden, wenn der Anwalt bereits erhebliche Zeit vor Ablauf der Frist das Gutachten durcharbeitet und den Ablehnungsgrund erkennt. Ferner dürfte der Befangenheitsantrag verspätet sein, wenn die vom Gericht gesetzte Stellungnahmefrist nicht ausgeschöpft und das Ablehnungsgesuch nicht bereits in dem Schriftsatz mit den Einwendungen zum Gutachten gestellt wird.
116 Der Beschluss kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, sofern dem Ablehnungsgesuch nicht stattgegeben wird (vgl. § 406 Abs. 5 ZPO). Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung durch Beschluss. Gericht iS des § 45 Abs. 1 ZPO ist der durch seine geschäftsplanmäßigen Vertreter ergänzte Spruchkörper (BGH NJW-RR 2011, 427). Zum Ablehnungsgesuch s. auch M 22.2.
117 M 24.13 Ablehnungsgesuch (Sachverständiger) An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich für den Kläger, den Sachverständigen Baumhüter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
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M 24.14
Rz. 119 Kap. 24
Beweisaufnahme Begründung:
ZPO
Das Gericht hatte in dem Beweisbeschluss vom 2.2.2017 den Sachverständigen Baumhüter ernannt. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.2.2017 zugegangen, so dass mit diesem Antrag (vom 1.3.2017) die 2-Wochen-Frist des § 406 Abs. 2 ZPO gewahrt wird. Der Antrag ist begründet, weil objektive Gründe vorliegen, die Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen erregen. Der Sachverständige Baumhüter hat in dieser Sache bereits im Auftrage des Beklagten eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben, die ich zur Glaubhaftmachung beifüge. Damit bestehen Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen.
M 24.14 Nachträgliche Ablehnung
118
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, den Sachverständigen Baumhüter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen und gem. § 412 Abs. 2 ZPO die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anzuordnen. Begründung: 1. Aus dem vom Sachverständigen erstatteten Gutachten ergibt sich, dass der Sachverständige in Anwesenheit des Beklagten einen Ortstermin im Hause des Beklagten durchgeführt hat, um die vom Beklagten gerügten Baumängel in Augenschein zu nehmen. Der Sachverständige hat weder dem Kläger noch seinen Prozessbevollmächtigten von dem Ortstermin unterrichtet. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass aber der Beklagte bei der Besichtigung anwesend war. Aus dem Gutachten ergibt sich weiter, dass der Sachverständige vom Beklagten während des Ortstermins Informationen erhalten hat, die bisher prozessual noch nicht vorgetragen waren. Diese Vorgehensweise des Sachverständigen rechtfertigt die Zweifel des Klägers an der Unparteilichkeit des Sachverständigen (vgl. BGH LM Nr. 5 zu § 406 ZPO). Zur Glaubhaftmachung verweise ich auf das Gutachten des Sachverständigen, dem kein Hinweis auf eine Information des Klägers zu entnehmen ist. Der Sachverständige hat auch nicht den Prozessbevollmächtigten von dem Ortstermin unterrichtet, sondern er hat gegenüber dem Unterzeichner am gestrigen Tage telefonisch eingeräumt, den Ortstermin nur mit dem Beklagten abgestimmt zu haben. 2. Das Sachverständigengutachten ist vor drei Tagen im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen. Demgemäß ist das Ablehnungsgesuch unverzüglich. Die Frist des § 406 Abs. 2 ZPO konnte nicht eingehalten werden, weil sich der Ablehnungsgrund erst nach dem Gutachten selbst und aus dem Verhalten des Sachverständigen vor und während des Ortstermins ergibt. 3. Das Gericht hat ein neues Sachverständigengutachten einzuholen, weil die Feststellungen des Sachverständigen im Wesentlichen auf Informationen des Beklagten basieren, die der Beklagte dem Sachverständigen während des Ortstermins erteilt hat. Die Behauptungen des Beklagten sind aus den nachfolgend im Einzelnen dargelegten Gründen unzutreffend. Daher ist das Gutachten nicht verwertbar, vielmehr ist gem. § 412 Abs. 2 ZPO ein neues Sachverständigengutachten einzuholen. …
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Wichtig: Das Gericht muss auch im Falle der erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen kein 119 neues Gutachten einholen. Nach § 412 Abs. 2 ZPO steht die Einholung eines weiteren Gutachtens im Ermessen des Gerichts. Deswegen muss die Partei darlegen, warum die Feststellungen des Sachverständigen unzutreffend sind und deswegen ein neues Gutachten erforderlich ist.
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Kap. 24 Rz. 120
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M 24.15
ZPO
120 Ist das Gutachten infolge einer erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen nicht verwertbar, kann der Sachverständige seinen Anspruch auf Vergütung gem. § 8 JVEG verlieren (vgl. BGH NJW 1976, 1154; OLG Zweibrücken v. 11.4.2007 – 6 W 34/06). Aus diesem Grunde ist es ratsam, in Fällen, in denen der Sachverständige durch grobe Fahrlässigkeit die Unverwertbarkeit seines Gutachtens herbeiführt (vgl. BGH NJW 1976, 1154, 1155, wo allerdings offengelassen wird, ob eine Verwirkung des Entschädigungsanspruchs nur in Betracht kommt, wenn der Sachverständige bewusst gegen die Verpflichtung zur Unparteilichkeit verstößt, oder ob die grob fahrlässige Herbeiführung der Unverwertbarkeit ausreicht), auf den – möglichen – Verlust des Entschädigungsanspruchs hinzuweisen und zu beantragen, entsprechend zu entscheiden. 3. Antrag bei Ausbleiben des Gutachtens
121 Wenn der Sachverständige zu einem Gutachtentermin nicht erscheint oder sich weigert, das Gutachten zu erstatten, kann das Gericht ihm die dadurch verursachten Kosten auferlegen und ein Ordnungsgeld festsetzen (§ 409 ZPO).
122 Hat der Sachverständige ein schriftliches Gutachten zu erstatten, kann das Gericht ihm eine Frist zur Vorlage des Gutachtens setzen. Versäumt der Sachverständige die Frist, kann gem. § 411 Abs. 2 ZPO – nach vorheriger Androhung und der Setzung einer Nachfrist – ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Gegen den Beschluss findet die sofortige Beschwerde statt (§ 409 Abs. 2 ZPO).
123 M 24.15 Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den
Sachverständigen An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, gegen den Sachverständigen Dipl.-Ing. Baumhüter ein Ordnungsgeld iHv. 500 Euro festzusetzen. Begründung: Das Gericht hat den Sachverständigen am … beauftragt, zu den Beweisfragen im Beweisbeschluss vom … ein Gutachten zu erstatten. Nachdem der Sachverständige zwei Monate untätig geblieben ist, hat das Gericht den Sachverständigen am … eine Nachfrist zur Vorlage des Gutachtens bis zum … gesetzt und gleichzeitig Festsetzung eines Ordnungsgeldes iHv. 1.000 Euro angedroht. Diese Frist ist verstrichen, ohne dass der Sachverständige sein Gutachten vorgelegt oder die Nichteinhaltung der Frist entschuldigt hat. Der Sachverständige ist offenbar noch immer nicht tätig geworden, was sich daraus ergibt, dass er noch nicht einmal den für die Begutachtung erforderlichen Ortstermin anberaumt hat. Ein Ordnungsgeld iHv. 1.000 Euro ist angemessen. § 411 Abs. 2 ZPO sieht ein Ordnungsgeld von bis zu 3.000 Euro vor. Kosten: Gericht: Keine besonderen Gebühren (§ 1 GKG). Anwalt: Gehört nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG zum Rechtszug.
4. Einwendungen gegen das Gutachten
124 Nach § 411 Abs. 4 ZPO haben die Parteien Einwendungen gegen das Gutachten innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist oder jedenfalls so rechtzeitig mitzuteilen, dass die Ladung des Sachverständigen zu dem nächsten Verhandlungstermin möglich ist (vgl. BLAH/Hartmann § 411 ZPO Rz. 12 ff.). Unter Umständen darf auch ein nur wenige Tage vor dem Verhandlungstermin gestellter Antrag auf Ladung des Sachverständigen nicht als verspätet zurückgewiesen werden, wenn die Ladung des Sach488
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Rz. 130 Kap. 24
ZPO
verständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO von Amts wegen geboten war, weil das Gutachten zur Behebung von Zweifeln oder zur Beseitigung von Unklarheiten und Widersprüchen der mündlichen Erläuterung bedurfte, oder der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif ist, sondern lediglich ein Teilurteil ergehen kann (vgl. BGH NJW-RR 1997, 1487, 1488). a) Gegenstand der Einwendungen Der Inhalt eines Sachverständigengutachtens ist oft prozessentscheidend, so dass der Frage, wie Feststellungen des Sachverständigen widerlegt werden können, eine besondere Bedeutung zukommt. Der Anwalt muss prüfen, ob der Sachverständige von den richtigen Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist, die Schlussfolgerungen des Sachverständigen also auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen. Weiter ist zu prüfen, ob die Ausführungen des Sachverständigen logisch nachvollziehbar oder widersprüchlich sind.
125
Soweit es um fachliche Fragen aus dem Spezialgebiet des Sachverständigen geht, ist der Anwalt auf 126 die Unterstützung seiner Partei angewiesen und sollte auch die Vorlage eines Parteigutachtens zur Widerlegung des gerichtlichen Gutachtens in die Überlegungen einbeziehen. Das Parteigutachten ist auch dann, wenn die Partei lediglich darauf Bezug nimmt, ohne den Inhalt mit eigenen Worten zu wiederholen, als besonders substantiierter, urkundlich belegter Parteivortrag einzuordnen (BGH MDR 2009, 802). Das Gericht muss sich mit dem Parteigutachten, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, auseinandersetzen und muss mit einleuchtender und logisch nachvollziehbarer Begründung einem der Sachverständigen den Vorzug geben (BGH BeckRS 2016, 07958). Die Kosten des Privatgutachtens können im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden, ohne dass es einer Vorankündigung an die Prozessbeteiligten über die voraussichtliche Höhe der Kosten des Privatgutachtens bedarf (BGH NZBau 2007, 308 f.). Die Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen im selben Verfahren ist unzulässig. Die Zustellung der Streitverkündungsschrift ist vom Gericht nicht zu veranlassen (BGH NJW 2006, 3214).
127
Setzt das Gericht den Parteien eine Frist zur Stellungnahme, hat es zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Parteien darauf zu achten, dass je nach Schwierigkeitsgrad und Umfang der Sache den Parteien genügend Zeit zur Überprüfung des Gutachtens verbleibt. Bei schwierigen Sachfragen ist den Parteien Gelegenheit zu geben, sich anderweitig sachverständig beraten zu lassen (BGH v. 12.4.2018 – V ZR 153/17).
128
b) Antrag auf Ladung des Sachverständigen Das Gericht muss bei rechtzeitigem Antrag der Partei den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstat- 129 tung des schriftlichen Gutachtens zur mündlichen Erläuterung auch dann laden, wenn es selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht. Die Partei, die den Antrag stellt, muss die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, nicht im Voraus konkret formulieren. Vielmehr genügt Vortrag dazu, in welcher Richtung die Partei durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeiführen möchte. Das gilt auch für das Ergänzungsgutachten (BGH NJW-RR 2007, 1294). Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur aus den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs und der Prozessverschleppung (BGH DS 2018, 94, 95).
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Praxistipp: Die Partei sollte genau abwägen, ob sie bereits im Vorfeld Fragen an den Sachverständigen formuliert oder der gerichtlich bestellte Sachverständige in der mündlichen Verhandlung mit Vorhalten „überrascht“ werden soll. Letzteres empfiehlt sich nur, wenn die Partei in der mündlichen Verhandlung durch einen Spezialisten auf dem Sachgebiet des gerichtlich bestellten Sachverständigen begleitet wird. Räumt das Gericht dem zur mündlichen Verhandlung
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Kap. 24 Rz. 131
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mitgebrachten Privatgutachter kein eigenes Fragerecht ein, kann dieser den Anwalt bei seinem Fragerecht jedenfalls unterstützen.
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Wichtig: Nach einer umfassenden Erörterung des Gutachtens oder dann, wenn der Sachverständige in seinen mündlichen Ausführungen noch ausführlichere Beurteilungen gegenüber dem bisherigen Gutachten abgegeben hat, kann die Vertagung oder Gewährung einer Schriftsatzfrist von Amts wegen geboten sein (vgl. BGH NJW 2011, 3040). Der Rechtsanwalt sollte in einem solchen Fall stets eine Schriftsatzfrist beantragen!
132 M 24.16 Antrag auf Anhörung des Sachverständigen An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich für den Beklagten, den Sachverständigen Dipl.-Ing. Müller zu dem Verhandlungstermin am … zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden. Begründung: 1. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass durch den Verkehrsunfall vom … am Fahrzeug des Klägers ein Schaden iHv. insgesamt 9.850 Euro entstanden ist. Dabei hat der Sachverständige nicht berücksichtigt, dass nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien im Heckbereich des Fahrzeuges des Klägers bereits ein Vorschaden vorhanden war. Der rechte Kotflügel des Fahrzeuges des Klägers ist bereits bei einem früheren Unfall beschädigt worden. Das Ausmaß dieses Vorschadens ergibt sich aus einem zu den Akten gereichten Lichtbild. Den Ausführungen des Sachverständigen ist nicht zu entnehmen, dass er bei seiner Begutachtung diesen Vorschaden berücksichtigt hat. 2. Der Beklagte hat ein Privatgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Krämer zu den Akten gereicht, in dem der Sachverständige zu dem Ergebnis kommt, dass der Schaden am Fahrzeug des Klägers lediglich 6.000 Euro beträgt. Dabei hat der Sachverständige Krämer im Einzelnen dargelegt, wie er zu diesem Ergebnis gekommen ist. Den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist nicht zu entnehmen, dass er sich mit dem Privatgutachten auseinandergesetzt hat. Es ist von ihm nicht dargetan, warum die Ausführungen des Privatsachverständigen unzutreffend seien.
5. Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens
133 Nach § 411a ZPO kann die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens durch Verwertung eines gerichtlich eingeholten Gutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden; bisher war die Verwertung eines solchen Gutachtens nur im Rahmen des Urkundenbeweises möglich (vgl. BGH NJW 1997, 1381 f.). Die Verwertung kann auf Antrag einer Partei oder auch von Amts wegen entsprechend § 144 Abs. 1 ZPO erfolgen. In Betracht kommen Gutachten, die im Rahmen eines anderen Zivilverfahrens oder aber in einem Strafverfahren (zB Gutachten über die Rekonstruktion eines Verkehrsunfalls) oder im Verwaltungsgerichtsverfahren eingeholt worden sind (vgl. BGH NJW 2013, 775, 777). Das Gericht muss die Verwertung anordnen und den Parteien zuvor rechtliches Gehör gewähren (BGH NJW-RR 2016, 833, 834; DS 2018, 94, 96).
134 Unabhängig davon, welchen Inhalt der Beweisbeschluss hat, muss der Anwalt das in einem anderen Verfahren erstattete Sachverständigengutachten durcharbeiten und prüfen, welche Einwendungen in Betracht kommen. Die Prüfung hat damit zu beginnen, ob Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen, weil eine Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit gemäß § 406 ZPO bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich ist (s. dazu Rz. 112 ff.). Dabei kann der Befangenheitsantrag zum einen darauf gestützt werden, dass der Sachverständige das bereits vorliegende Gutachten nicht unparteiisch erstellt hat. Des Weiteren kann sich die Befangenheit aber auch da490
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Rz. 140 Kap. 24
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raus ergeben, dass Zweifel daran bestehen, ob das Sachverständigengutachten wegen besonderer Beziehungen des Sachverständigen zu einer Partei des neuen Prozesses einem Verwertungsverbot unterliegen kann (s. Rz. 112). Lassen sich keine Einwendungen gegen den Sachverständigen erheben, ist zu prüfen, auf welcher Grundlage der Sachverständige im Vorprozess tätig geworden ist (Inhalt des Beweisbeschlusses des Vorprozesses durcharbeiten) bzw. welche konkreten Fragen dem Sachverständigen nach Anfertigung des Gutachtens gestellt worden sind. Wichtig: Diese Prüfung wird es in der Regel erforderlich machen, die Verfahrensakten des Vor- 135 prozesses einzusehen. Nicht selten lassen Sachverständige den Prozessstoff, der sich aus den Akten ergibt, in die Bewertung einfließen, ohne diese Grundlage des Gutachtens besonders zu kennzeichnen.
Ist die Beantwortung der vom Sachverständigen im Vorprozess zu beantwortenden Frage im aktuel- 136 len Prozess nicht erheblich, ergeben sich daraus schwerwiegende Bedenken gegen die Verwertung des Gutachtens. Die im aktuellen Prozess maßgebliche Beweisfrage hat der Sachverständige nämlich nicht als Beweisfrage beantwortet. Die aktuelle Beweisfrage ist allenfalls „bei Gelegenheit“ der Erstattung des Gutachtens im Vorprozess beantwortet werden. Der Verwertung des Gutachtens sollte in diesem Fall ausdrücklich widersprochen werden. Gleiches gilt, wenn sich aus den Akten des Vorprozesses Prämissen für das Gutachten ergeben, die nicht richtig sind. In jedem dieser Fälle muss zwingend die ergänzende Anhörung des Sachverständigen beantragt werden, um nicht Gefahr zu laufen, dass das Gericht das vorliegende Gutachten ohne weitere Anhörung des Sachverständigen aus seiner Sicht deutet. Dem Antrag auf ergänzende Anhörung muss das Gericht stattgeben, um der Partei zu ermöglichen, dem Sachverständigen Vorhalte zu machen. Deshalb sind die Vorhalte auch schriftsätzlich anzukündigen. Schwierig wird die Situation regelmäßig, wenn das Gutachten eine erhebliche Beweisfrage eindeutig zu Lasten der betroffenen Partei beantwortet. Dann bleibt in vielen Fällen nur die Möglichkeit, mit Hilfe eines Privatgutachtens das bereits vorliegende Gutachten substantiiert anzugreifen und darzulegen, warum die Ausführungen des Sachverständigen im Vorprozess nicht richtig sind. Die Einholung eines solchen Privatgutachtens muss frühzeitig erfolgen, damit die Partei nicht Gefahr läuft, wegen des Verspätungsvorbringens mit den Angriffen im Privatgutachten ausgeschlossen zu werden. Gleichzeitig muss beantragt werden, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zum Verhandlungstermin zu laden, damit dem Sachverständigen die Ausführungen des Privatgutachters vorgehalten werden können, sofern das Gericht dem Sachverständigen das Privatgutachten nicht bereits vorgelegt und eine schriftliche Stellungnahme angefordert hat.
VIII. Beweis durch Urkunden Urkunden iS der §§ 415 ff. ZPO sind durch Niederschrift verkörperte Gedankenerklärungen, die aus 137 sich heraus ohne Weiteres verständlich und geeignet sind, Beweis für streitiges Parteivorbringen zu erbringen (BGHZ 65, 300, 301). Die Fotokopie einer Urkunde ist selbst keine Urkunde (BGH NJW 1992, 829), unterliegt aber der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Gesetz erachtet den Urkundenbeweis als das sicherste Beweismittel, was u.a. dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO bei Auffinden einer entscheidungserheblichen Urkunde zulässig ist, nicht aber bei Auftauchen anderer Beweismittel.
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1. Beweiskraft Die Urkunde erbringt unter Ausschluss der richterlichen Beweiswürdigung den vollen Beweis für die Abgabe der beurkundeten Erklärung, nicht aber für deren inhaltliche Richtigkeit.
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Wichtig: Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde wirkt sich bei der Auslegung des Vereinbarten dahin aus, dass die Par-
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tei, die ein ihr günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, diese zu beweisen hat (BGH NJW 1999, 1702 f.). a) Privaturkunden und öffentliche Urkunden
141 Das Gesetz unterscheidet zwischen Privaturkunden und drei Arten von öffentlichen Urkunden, die jeweils unterschiedliche Beweiskraftwirkungen entfalten: – Bei öffentlichen Urkunden über Erklärungen (§ 415 ZPO) – zu den öffentlichen Urkunden gehören auch die notariellen Urkunden – erstreckt sich die Beweiskraft unter Ausschluss richterlicher Beweiswürdigung auf die Abgabe der beurkundeten Erklärung. Bewiesen werden der beurkundete Vorgang, die Abgabe der Erklärung nach Zeit, Ort und sonstigen Umständen und der Inhalt der Erklärung (Stein/Jonas/Leipold § 415 ZPO Rz. 23; Zöller/Geimer § 415 ZPO Rz. 5). Gemäß § 415 Abs. 2 ZPO ist der Beweis der objektiven Unrichtigkeit der Beurkundung möglich. Der Beweis der Falschbeurkundung ist gem. § 415 Abs. 2 ZPO zulässig. – Die öffentliche Urkunde über eigene Willenserklärungen einer Behörde gem. § 417 ZPO (amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung) erbringt den unwiderlegbaren Beweis, dass die Behörde die beurkundete Erklärung abgegeben hat (vgl. Zöller/Geimer § 417 ZPO Rz. 2). – Öffentliche Urkunden mit einem anderen als dem in den §§ 415 und 417 ZPO bezeichneten Inhalt beweisen alle in der Urkunde bezeugten Tatsachen, soweit diese auf eigenen Wahrnehmungen der Urkundsperson beruhen (vgl. Zöller/Geimer § 418 ZPO Rz. 3). – Privaturkunden begründen gem. § 416 ZPO den Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Urheberschaft des Ausstellers der Urkunde erkennbar ist. Deswegen muss die Urkunde nach dem Wortlaut des § 416 ZPO von den Ausstellern unterschrieben oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sein (zu dem Meinungsstreit, ob die Unterzeichnung handschriftlich vorzunehmen ist, vgl. MüKo.ZPO/Schreiber § 416 ZPO Rz. 6; Zöller/Geimer § 416 ZPO Rz. 2).
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Wichtig: Bei unterschriebenen Vertragsurkunden besteht zwischen den Vertragspartnern eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Urkunde (vgl. BGH NJW 2002, 3164 f.). Gegenüber Dritten gilt diese Vermutung nicht.
b) Mangelbehaftete Urkunden
143 Weist die Urkunde äußere Mängel iS des § 419 ZPO auf, fällt sie aus dem Anwendungsbereich der §§ 415–418 ZPO heraus. Die Urkunde unterliegt dann der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl. BGH NJW 1988, 60, 62). Dabei beschränkt sich die freie Beweiswürdigung nicht auf die mangelbehafteten Teile der Urkunde, sondern auf die Urkunde insgesamt (BGH NJW 1980, 893).
144 § 419 ZPO greift nicht nur ein, wenn die nachträgliche Veränderung einer Urkunde feststeht, sondern auch schon dann, wenn eine Veränderung naheliegend möglich ist (BGH NJW 1980, 893). c) Elektronische Dokumente
145 EDV-Datenträger sind grundsätzlich keine Urkunden, sondern Gegenstand des Augenscheins gem. § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO (vgl. Zöller/Geimer vor § 415 ZPO Rz. 2). Bezüglich der Beweiskraft elektronischer Dokumente verweist § 371a ZPO auf die Vorschriften über den Urkundenbeweis (s. dazu Rz. 88).
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M 24.17
Beweisaufnahme
Rz. 150 Kap. 24
Befindet sich die Urkunde im Besitz des Beweisführers, erfolgt der Beweisantritt durch Vorlage der 146 Urkunde. Allein der Hinweis auf die Urkunde genügt nicht. Die Privaturkunde ist in der Urschrift vorzulegen, bei öffentlichen Urkunden kann gem. § 435 ZPO die Vorlage einer beglaubigten Abschrift genügen. Befindet sich die Urkunde im Besitz des Prozessgegners, kann das Gericht gem. § 142 Abs. 1 ZPO die Vorlage der Urkunde anordnen und dem Prozessgegner hierfür eine Frist setzen. Die Anordnung darf nicht zum Zwecke der Ausforschung erfolgen. Voraussetzung ist die Entscheidungserheblichkeit des Inhalts der Urkunde sowie die Bezugnahme der beweispflichtigen Partei auf die Urkunde, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Partei befindet (BGH NJW 2017, 3304, 3306; 2007, 2989, 2991).
147
Unterbleibt eine solche Anordnung, kann der Beweisführer nach § 421 ZPO beantragen, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben. Der Inhalt des Antrages richtet sich nach § 424 ZPO. Dabei handelt es sich entgegen dem Wortlaut um eine Mussvorschrift (vgl. BLAH/Hartmann § 424 ZPO Rz. 4). Der Antrag muss also die Urkunde und deren Inhalt genau bezeichnen, die Umstände benennen, aus denen sich ergibt, dass sich die Urkunde im Besitz des Gegners befindet und nach § 424 Nr. 5 ZPO ist die Darlegung glaubhaft zu machen, woraus sich der Anspruch auf Vorlage der Urkunde ergibt. Dabei handelt es sich um einen materiell-rechtlichen Anspruch, der sich beispielsweise aus § 810 BGB, § 675 BGB oder § 716 BGB ergeben kann (zu weiteren Anspruchsgrundlagen s. Zöller/Geimer § 422 ZPO Rz. 2).
148
M 24.17 Antrag auf Vorlegung von Urkunden
149
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich für den Kläger, dem Beklagten aufzugeben, den zwischen dem Beklagten und der Fa. Schmuck GmbH am 10.5.2014 geschlossenen Kaufvertrag über eine 30 cm lange Perlenkette mit diamantbesetztem Verschluss in Hufeisenform vorzulegen. Begründung: Der Kläger beauftragte am 28.4.2017 den Beklagten, die im Antrag erwähnte Perlenkette zu verkaufen. Diesen Auftrag erfüllte der Beklagte am 10.5.2014, indem er die Perlenkette an die Fa. Schmuck GmbH zu einem Kaufpreis von 7.800 Euro verkaufte. Der Beklagte behauptet hingegen, lediglich einen Kaufpreis iHv. 6.500 Euro erhalten zu haben. Aus dem schriftlichen Kaufvertrag ergibt sich der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis von 7.800 Euro. Der Beklagte ist gem. § 667 BGB verpflichtet, diese Urkunde dem Kläger herauszugeben. Zur Glaubhaftmachung des Auftragsverhältnisses überreiche ich im Original die vom Beklagten unterzeichnete Bestätigung vom 28.4.2017, dass er die Perlenkette zum Zwecke des Verkaufs übernommen hat. Der Geschäftsführer der Schmuck GmbH teilte dem Kläger auf Nachfrage mit, dass er mit dem Beklagten einen schriftlichen Kaufvertrag geschlossen hat.
a) Niederlegung auf der Geschäftsstelle Das Gericht kann nach § 142 ZPO anordnen, dass eine Partei zur weiteren Sachverhaltsaufklärung Urkunden, auf die sie Bezug genommen hat, vorzulegen hat. Die vorgelegten Schriftstücke, die zu Beweiszwecken verwertet werden können, haben auf Anordnung des Gerichts für eine bestimmte Zeit auf der Geschäftsstelle zu verbleiben (§ 142 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
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493
150
ZPO
2. Vorlegungspflicht
Kap. 24 Rz. 151
Beweisaufnahme
M 24.18
ZPO
151 Bezieht sich der Gegner zur Beweisführung auf eine Urkunde, hat er diese nach § 423 ZPO im Original vorzulegen, damit die andere Partei die Echtheit überprüfen kann. Der Verzicht auf die Urkunde lässt die einmal begründete Vorlegungspflicht nicht entfallen (vgl. Zöller/Geimer § 423 ZPO Rz. 1).
152 K
Wichtig: Eine Partei kann den Gegner, der in einem vorbereitenden Schriftsatz auf eine Urkunde Bezug genommen hat, auffordern, diese Urkunde auf der Geschäftsstelle niederzulegen, damit die Echtheit überprüft werden kann. Der Gegner ist dann nach § 134 Abs. 1 ZPO zur Niederlegung verpflichtet, die andere Partei hat das Recht, die Urkunde innerhalb einer Frist von drei Tagen einzusehen (§ 134 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Kommt der Gegner der Aufforderung nicht nach, bleibt seine Bezugnahme unbeachtet, soweit der Inhalt und die Echtheit bestritten werden (BeckOK.ZPO/von Selle § 134 ZPO Rz. 7). Die unterlassene Aufforderung oder Einsichtnahme kann zum Verlust von Einwendungen gegen die Echtheit der Urkunde führen (vgl. Zöller/Greger § 134 ZPO Rz. 5; aA Stein/Jonas/Kern § 134 ZPO Rz. 4).
153 Ordnet das Gericht auf einen Antrag nach § 424 ZPO oder von Amts wegen nach § 142 ZPO die Vorlage einer Urkunde an, kommt der Gegner dieser Anordnung aber nicht nach, können nach § 427 ZPO die Behauptungen des Beweisführers über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden (Zöller/Geimer § 427 ZPO Rz. 2). b) Vorlage von Kopien
154 Die Vorlage einer Fotokopie reicht aus, wenn der Gegner die Echtheit der Urkunde und die Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift nicht bestreitet (vgl. MüKo.ZPO/Schreiber § 420 ZPO Rz. 3; OLG Köln DB 1983, 105). 3. Urkunden im Besitz Dritter
155 Befindet sich eine Urkunde, auf die sich der Beweisführer zu Beweiszwecken beruft, in den Händen eines Dritten, kann das Gericht nach § 142 Abs. 1 ZPO die Vorlage anordnen (s. dazu auch Rz. 86 ff.). Die Pflicht zur Vorlage durch den Dritten entfällt, sofern diesem die Vorlage der Urkunde unzumutbar ist oder er ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. §§ 383–385 ZPO hat (§ 142 Abs. 2 ZPO). Befindet sich die Urkunde im Besitz einer juristischen Person, ist Adressat der Anordnung nicht der organschaftliche Vertreter, sondern die juristische Person selbst (BGH NJW 2007, 155 f.). Bei der Frage nach einem Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 384 Nr. 1 ZPO ist deswegen auf die Verhältnisse der juristischen Person abzustellen und ein Weigerungsrecht bei einem drohenden eigenen Schaden zu bejahen (BGH aaO). Bei einer Nichtbefolgung der Anordnung durch den Dritten oder bei einem Streit über das Weigerungsrecht gelten gem. § 142 Abs. 2 Satz 2 ZPO die §§ 386–390 ZPO entsprechend.
156 Unterbleibt eine solche Anordnung, ist die Herbeischaffung der Urkunde Sache des Beweisführers. Er muss gem. § 428 ZPO einen Antrag stellen, zur Herbeischaffung der Urkunde eine Frist zu bestimmen. Der gem. § 428 ZPO zu stellende Antrag hat gem. § 430 ZPO den Erfordernissen des § 424 Nr. 1–3, 5 ZPO zu genügen. Ferner muss glaubhaft gemacht werden, dass sich die Urkunde in den Händen des Dritten befindet.
157 M 24.18 Antrag auf Fristbestimmung zur Herbeischaffung einer Urkunde An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) trage ich für den Kläger vor: 1. Der Kläger schloss mit dem Beklagten am … einen Vertrag über die Errichtung eines Wohnhauses nebst Keller zu einem Pauschalfestpreis von 500.000 Euro. Nach Vertragsschluss erteilte der Beklagte dem Kläger
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Fullenkamp
M 24.19
Beweisaufnahme
Rz. 160 Kap. 24
ZPO
zusätzlich den Auftrag, eine Garage zu errichten. Hierfür verlangte der Kläger den üblichen und angemessenen Werklohn iHv. 23.000 Euro. Der Beklagte behauptet, der Kläger sei aufgrund des am … geschlossenen Pauschalfestpreisvertrages verpflichtet gewesen, die Garage zu errichten. Der Vertrag habe sich auch auf die Herstellung der Garage erstreckt. Die Unrichtigkeit der Behauptung des Beklagten ergibt sich unmittelbar aus dem schriftlichen Vertrag vom …. Dort haben die Parteien ausdrücklich festgelegt, dass Gegenstand des Vertrages nur das Wohnhaus nebst Keller war. Eine Garage wird in dem Vertrag nicht erwähnt. Ich beantrage, dem Kläger eine Frist zur Vorlage des zwischen den Parteien geschlossenen Bauvertrages vom … zu setzen. 2. Der Kläger ist nicht in der Lage, das Original des Vertrages zu Beweiszwecken vorzulegen, weil sich das Original im Besitz des Steuerberaters Kurz befindet, dem der Kläger den Vertrag zur Prüfung von umsatzsteuerrechtlichen Fragen überlassen hat. Das Mandatsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Steuerberater Kurz ist zwischenzeitlich beendet. Der Steuerberater Kurz verweigert die Herausgabe des Vertrages mit der Begründung, dass wegen seines Honoraranspruches ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Kläger bestehe. Dieser Einwand des Steuerberaters Kurz ist falsch. Der Kläger hat den Honoraranspruch des Steuerberaters vollständig befriedigt. Zur Glaubhaftmachung dafür, dass sich der Steuerberater Kurz im Besitz des Vertrages befindet, überreiche ich im Original sein Schreiben vom …, mit dem er die Herausgabe des Bauvertrages verweigerte. Zur Glaubhaftmachung der Erfüllung des Honoraranspruches überreiche ich das Original der Rechnung des Steuerberaters Kurz sowie den Überweisungsbeleg und den Kontoauszug, dem zu entnehmen ist, dass die Überweisung ausgeführt wurde.
Die Fristsetzung erfolgt gem. § 431 ZPO durch Beschluss ohne notwendige mündliche Verhandlung.
158
Klage gegen den Dritten auf Vorlage der Urkunde: Der Dritte kann nicht vom Prozessgericht zur Vorlage gezwungen werden. Vielmehr muss der Beweisführer den Dritten auf Herausgabe der Urkunde gem. § 429 ZPO verklagen. Bei dem Verfahren gegen den Dritten handelt es sich um einen selbständigen Prozess, für den kein besonderer Gerichtsstand gilt. Die Klage ist auf Vorlegung der Urkunde vor dem Prozessgericht zu richten. Der Dritte hat die Einsichtnahme der Urkunde durch die Verfahrensbeteiligten zu dulden.
159
M 24.19 Klage auf Vorlegung einer Urkunde
160
An das Landgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) erhebe ich namens und in Vollmacht des Klägers Klage und beantrage, den Beklagten zu verurteilen, das Original des zwischen dem Kläger und Herrn Klaus Wende geschlossenen Bauvertrags vom 4.2.2016 über die Errichtung eines unterkellerten Einfamilienhauses dem Landgericht … zum Aktenzeichen … vorzulegen. Begründung: 1. Der Kläger beauftragte den Beklagten, seinen Steuerberater, mit der Prüfung von umsatzsteuerrechtlichen Fragen, die sich aus dem als Anlage K 1 beigefügten Vertrag ergeben, den der Kläger mit dem Subunternehmer Sand geschlossen hat. Im Rahmen dieses Mandatsverhältnisses übergab der Kläger dem Beklagten auch das Original des Bauvertrages vom 4.2.2016. Beweis: …
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ZPO
Kap. 24 Rz. 161
Beweisaufnahme
M 24.19
Nach Beendigung des Mandatsverhältnisses verweigerte der Beklagte die Herausgabe des Originals des Bauvertrages mit der Begründung, dass der Kläger die Honorarrechnung des Beklagten nicht beglichen habe. Diese Behauptung des Beklagten ist unzutreffend. Aus der als Anlage K 2 überreichten Honorarrechnung des Beklagten ergibt sich ein Honoraranspruch iHv. 1.500 Euro, den der Kläger durch Scheckzahlung beglichen hat. Der Beklagte hat diesen Scheck der Sparkasse Neumünster zur Einziehung vorgelegt. Der Scheck wurde dem Konto des Beklagten bei der Sparkasse Neumünster gutgeschrieben. Beweis: Zeugnis Manfred Meier, zuständiger Sachbearbeiter des Kontos der Sparkasse Neumünster, zu laden über die Sparkasse Neumünster Der Beklagte ist nach Beendigung des Mandatsverhältnisses verpflichtet, sämtliche Unterlagen, die der Kläger dem Beklagten im Rahmen des Auftrages zur Verfügung gestellt hat, herauszugeben. Ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten besteht nicht. 2. Der Kläger macht nun die restliche Werklohnforderung gegen seinen Subunternehmer vor dem Landgericht … zum Aktenzeichen … geltend. In jenem Verfahren hat der Kläger sich zu Beweiszwecken auf das Original des Bauvertrages bezogen. Das Landgericht hat den Kläger zur Vorlage der Urkunde eine Frist bis zum … gesetzt. Beweis: anliegende Kopie des Beschlusses des LG … vom … 3. Den Gerichtskostenvorschuss habe ich nach einem Streitwert von … Euro iHv. … Euro durch … beigefügt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1211 KV GKG erfüllt sind. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
161 Der Antrag auf Vorlegung der Urkunde an das Gericht ist insbesondere dann bedeutsam, wenn der Beweisführer materiell-rechtlich nur einen Anspruch auf Einsichtnahme der Urkunde und nicht auf Herausgabe an sich hat. In diesem Fall kann er nur die Urkunde als Beweismittel einführen, wenn der Dritte sie dem Prozessgericht vorzulegen hat.
162 K
Praxistipp: Da sowohl die Klage gegen den Prozessgegner als auch die gegen den Dritten auf Vorlage einer Urkunde umständlich sowie kosten- und zeitaufwendig ist, sollte der Rechtsanwalt vor Beschreiten dieses Weges stets die Anordnung der Vorlage der Urkunde gem. § 142 ZPO anregen (s. dazu auch Rz. 86 ff.).
IX. Beweis durch Parteivernehmung 163 Eine Parteivernehmung kommt auf Antrag, aber auch von Amts wegen in Betracht. Der Beweispflichtige kann die Vernehmung des Gegners nach § 445 ZPO, die eigene Vernehmung nach § 447 ZPO beantragen. Die Vernehmung von Amts wegen ist in § 448 ZPO geregelt.
164 Verweigert die Partei die Aussage, kann das Gericht dieses Prozessverhalten in die Beweiswürdigung einfließen lassen (§§ 446, 453 Abs. 2 ZPO). 1. Parteivernehmung auf Antrag des Beweisführers
165 Nur der Beweisführer kann nach § 445 ZPO Beweis durch Vernehmung des Gegners als Partei antreten. Das Gericht darf die Parteivernehmung nur dann anordnen, wenn alle anderen Beweismittel ausgeschöpft sind. Der Partei steht es frei, ob sie andere Beweismittel benennt oder sich nur auf eine Parteivernehmung bezieht. Allerdings läuft sie bei diesem Vorgehen Gefahr, dass nach der Durchführung der Parteivernehmung andere Beweisanträge als verspätet zurückgewiesen werden.
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Beweisaufnahme
Rz. 172 Kap. 24
Die Vernehmung der beweisbelasteten Partei ist nach § 447 ZPO nur mit Zustimmung des Gegners zulässig (BGH NJW 2017, 3367, 3368). Aus der Verweigerung des Einverständnisses dürfen keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden.
166
K
167
Praxistipp: Wurde eine Partei trotz fehlenden Einverständnisses vernommen und lagen auch nicht die Voraussetzungen des § 448 ZPO vor, darf die Aussage nicht verwertet werden. Dieser Verfahrensmangel ist jedoch heilbar, so dass eine Rüge zur Vermeidung der Folgen des § 295 ZPO unbedingt erforderlich ist.
3. Von Amts wegen angeordnete Vernehmung des Beweisführers als Partei a) Voraussetzungen Das Gericht kann nach § 448 ZPO, der eine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz normiert, von 168 Amts wegen eine Partei vernehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass alle angebotenen, zulässigen und erheblichen Beweise erhoben wurden und die Würdigung des Beweisergebnisses noch keine Überzeugung des Gerichts zu begründen vermag. Allerdings muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung sprechen (BGH NJW 2017, 3367, 3368). Auch wenn die Voraussetzungen des § 448 ZPO vorliegen, liegt die Parteivernehmung von Amts wegen weiterhin im Ermessen des Gerichts, das ausnahmsweise eine „vorweggenommene Beweiswürdigung“ vornehmen darf (vgl. BGH WM 1968, 406 f.). Für die Ermessensentscheidung kann es nach BGH NJW 1990, 1721 f. von Bedeutung sein, ob sich eine Partei unverschuldet in Beweisnot befindet. In diesem Falle sind an die Gründe, mit denen der Tatrichter die Wahrscheinlichkeit der Behauptung verneint, erhöhte Anforderungen zu stellen. Sie müssen erkennen lassen, dass sich das Gericht der Beweisnot bewusst war (vgl. BGH aaO).
169
b) Rüge, Folgen des Rügeverzichts Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 448 ZPO nicht vorliegen, ohne 170 alle wesentlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, liegt darin ein Verfahrensfehler, der in der Berufungs- oder Revisionsinstanz gerügt werden kann (BGH NJW 2017, 3367, 3368). Ebenso ist es verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht die Parteivernehmung durchgeführt hat, obwohl die Voraussetzungen des § 448 ZPO nicht vorlagen. Das Beweisergebnis darf nicht verwertet werden (OLG Celle v. 23.2.1994 – 6 U 105/93; Zöller/Greger § 448 ZPO Rz. 6a).
K
Praxistipp: Dieser Verfahrensfehler ist nach § 295 ZPO heilbar. Deswegen muss der Anwalt ihn ausdrücklich rügen, ein rügeloses Verhandeln hat die gleiche Wirkung wie ein Rügeverzicht (vgl. dazu Zöller/Greger § 295 ZPO Rz. 7 ff.).
171
c) Prozessuale Waffengleichheit Eine vom sonstigen Beweisergebnis unabhängige Pflicht zur Parteivernehmung lässt sich auch nicht 172 aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit herleiten. Auch die hierfür in der Praxis gelegentlich herangezogene Entscheidung des EGMR (EGMR NJW 1995, 1413) gebietet nicht grundsätzlich die Parteivernehmung, wenn sich eine Partei in Beweisnot befindet (vgl. BGH NJW 2012, 3367, 3368; Zöller/Greger § 448 ZPO Rz. 4a). Dem Grundsatz der Waffengleichheit kann auch dadurch genügt werden, dass die durch ihre prozessuale Stellung bei der Aufklärung des Vier-Augen-Gesprächs benachteiligte Partei nach § 141 ZPO persönlich angehört wird (Zöller/Greger § 448 ZPO Rz. 4a). Das Gericht ist nicht gehindert, einer solchen Parteierklärung den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben (BGH NJW 2011, 2889 f.; NJW 1999, 363, 364).
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2. Antrag auf Vernehmung des Beweisführers als Partei
Kap. 24 Rz. 173
Beweisaufnahme
ZPO
173 Die Anhörung von Amts wegen nach § 141 ZPO ist verfassungsrechtlich nicht notwendig, wenn der Partei das Ergebnis der Vernehmung der Zeugen bekannt ist und sie aufgrund ihrer Anwesenheit bei der Beweisaufnahme oder in einem nachfolgenden Termin in der Lage ist, ihre Darstellung vom Verlauf eines Vier-Augen-Gesprächs persönlich vorzutragen (BVerfG 2008, 2170, 2171). Offengelassen hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung, ob das Gericht die anwaltlich vertretene Partei auf die Möglichkeit hinweisen muss, die persönliche Anhörung seines Mandanten zum Inhalt des zwischen ihm und dem Zeugen geführten Vier-Augen-Gesprächs herbeizuführen.
174 K
Wichtig: Auch im Rahmen der Anhörung einer Partei muss der Anwalt ebenso wie bei der Parteivernehmung von seinem Fragerecht Gebrauch machen, um dafür zu sorgen, dass die eigene Partei sich zu allen wesentlichen Gesichtspunkten äußern kann. Er muss weiter dafür sorgen, dass sein Mandant sich gem. § 137 Abs. 4 ZPO zum Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs äußert und diese Erklärung protokolliert wird.
4. Durchführung der Vernehmung
175 Für die Vernehmung der Partei gelten die in § 451 ZPO abschließend aufgeführten Vorschriften über die Zeugenvernehmung. Nicht anwendbar ist § 377 Abs. 3 ZPO (keine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage), ferner gilt nicht § 394 ZPO, jede Partei hat also das Recht, an der Vernehmung der anderen Partei teilzunehmen. Erscheint die Partei in dem zu ihrer Vernehmung oder Beeidigung anberaumten Termin nicht, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen, ob die Aussage als verweigert anzusehen ist (§ 454 Abs. 1 ZPO).
176 K
Wichtig: Ist eine Partei aus entschuldbaren Gründen gehindert, den Termin wahrzunehmen, müssen die Entschuldigungsgründe unverzüglich dem Gericht mitgeteilt werden, um eine negative Würdigung dieses Verhaltens zu vermeiden. Eine ungenügende Entschuldigung erlaubt eine nachteilige Beweiswürdigung nur dann, wenn sie erkennbar als Vorwand für die tatsächlich gewollte Aussageverweigerung dient (vgl. Zöller/Greger § 454 ZPO Rz. 4).
5. Antrag auf Beeidigung
177 Die Beeidigung einer Partei steht als Teil der freien richterlichen Beweiswürdigung im pflichtgebundenen Ermessen des Prozessgerichts. Einem förmlichen Antrag auf Beeidigung der Aussage einer Partei braucht das Gericht auch nur in diesem Rahmen nachzugehen.
178 Die Anordnung der Beeidigung stellt eine Ergänzung des Beweisbeschlusses dar, die nach § 360 ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen kann.
179 Unzulässig ist die Beeidigung bei Verzicht des Gegners; wurden beide Parteien vernommen, darf nur eine Partei beeidigt werden (§ 452 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Welche Partei ihre Aussage zu beeiden hat, entscheidet das Gericht ebenfalls im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl. Zöller/Greger § 452 ZPO Rz. 3; Stein/Jonas/Leipold § 452 ZPO Rz. 5). Nach § 452 Abs. 4 ZPO darf eine Partei dann nicht beeidigt werden, wenn sie wegen eines vorsätzlichen Eidesdelikts vorbestraft ist.
X. Freibeweis 180 In den §§ 355–484 ZPO wird verbindlich geregelt, in welcher Form die zugelassenen Beweismittel in das Verfahren einzuführen sind (sog. Strengbeweis). Diese Vorschriften gelten nur für das landgerichtliche Erkenntnisverfahren im ersten Rechtszug und auch für das Verfahren vor den Amtsgerichten (§ 495 ZPO) sowie für das Berufungsverfahren (§ 525 ZPO), nicht aber für das Verfahren der sofortigen Beschwerde (BGH v. 28.11.2007 – XII ZB 217/05 Rz. 20). Zur Begründung führt der BGH aus, dass die in den §§ 355 ff. ZPO vorgeschriebene Art der Beweisaufnahme auf Verfahrens-
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Rz. 184 Kap. 24
abschnitte zugeschnitten sei, in denen eine mündliche Verhandlung stattfinde und demgegenüber sei der Freibeweis in einem Beschwerdeverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen. Durch die Zulassung des Freibeweises wird das Gericht lediglich bei der Gewinnung von Beweismitteln und im Beweisverfahren freier gestellt, wobei insbesondere die Bedeutung der zu beweisenden Tatsachen das gerichtliche Ermessen über Art und Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen haben (BGH aaO Rz. 24). Dagegen werden die Anforderungen an das Beweismaß nicht vermindert. Entscheidungserhebliche Tatsachen müssen auch im Rahmen des Freibeweises zur vollen richterlichen Überzeugung bewiesen werden. Dafür ist eine eidesstattliche Versicherung, die lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, regelmäßig nicht ausreichend (BGH aaO Rz. 24).
181
Nach § 284 Satz 2 ZPO kann das Gericht mit Zustimmung der Parteien auf die Grundsätze des Freibeweises (s. dazu BeckOK.ZPO/Bacher § 284 ZPO Rz. 106 und 14 ff.) zurückgreifen. In diesem Fall wird Beweis in der dem Gericht geeignet erscheinenden Art unter Außerachtlassung der Grundsätze der Parteiöffentlichkeit und der Beweisunmittelbarkeit erhoben. Die Einverständniserklärung der Parteien kann nur über eine wesentliche Änderung der Prozesslage widerrufen werden. Der Gesetzgeber will mit dieser Regelung eine Vereinfachung des Verfahrensablaufes und eine Beschleunigung erreichen. In der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfes in der BT-Drucks. 15/1508 B Art. 1 zu Nr. 9 wird als Beispiel genannt, dass in der Erörterung über das Ergebnis einer Beweisaufnahme ein weiterer Beweiserhebungsbedarf entsteht. Hier könne die sofortige telefonische Befragung eines Zeugen oder Sachverständigen möglicherweise einen erneuten Verhandlungstermin entbehrlich machen; auch eine E-Mail-Befragung eines Zeugen oder Sachverständigen könne sehr schnell und effizient sein.
182
Die Bestimmung des § 284 Satz 2 ZPO hat – soweit ersichtlich – bisher keine praktische Bedeutung 183 erlangt. Der Anwalt wird äußerst kritisch prüfen müssen, ob er die erforderliche Zustimmung erteilt oder im Zweifel schon deshalb die Durchführung des Freibeweises ablehnen muss, weil er seinen Mandanten vor der Zustimmung eindringlich über die mit der Durchführung des Freibeweises verbundenen Gefahren (Ausschluss der Parteiöffentlichkeit und der Beweisunmittelbarkeit) belehren muss. Die telefonische Befragung eines Zeugen, die in den Gesetzesmaterialien erwähnt wird, beinhaltet so große Unwägbarkeiten, dass der Anwalt vernünftigerweise seine Zustimmung zum Freibeweis nicht erteilen kann. Bei der telefonischen Befragung eines Zeugen ist völlig unklar, in welcher Situation das Gericht den Zeugen „telefonisch“ antrifft. Der Zeuge kann sich in einer Extremsituation (beruflicher oder privater Stress, Alkohol, Drogen) befinden oder sich von dem Anruf belästigt fühlen, weil er einfach keine Lust hat, mit dem Richter eingehend zu sprechen und die Frage des Richters demnach in der einen oder anderen Weise beantworten, lediglich um „seine Ruhe“ zu haben. Der Anwalt muss diese Risiken, die eine Folge der Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sind, in seine Beurteilung einfließen lassen und kann dann dem Mandanten nicht raten, die Zustimmung zur Durchführung des Freibeweises zu erteilen. Ähnliche Risiken bestehen bei der telefonischen Befragung eines Sachverständigen. Es ist stets zu bedenken, dass die Fragestellung durch den Richter bereits die Antwort des Sachverständigen beeinflussen kann. Deswegen sollte auch hier die Zustimmung regelmäßig nicht erteilt werden. Zudem ist nicht auszuschließen, dass der Richter „nach Art der Amtsermittlung“ Beweismittel beschafft, die keine der Parteien zuvor in Erwägung gezogen hat. Das Beweisergebnis wird „zufällig“. Wird die Zustimmung erteilt, kann diese nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage vor Beginn der Beweiserhebung widerrufen werden. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Fälle, in denen das Gericht zunächst nur beabsichtigt, einen einzigen Zeugen zu einer bestimmten Frage zu vernehmen, und sich dann entschließt, zu derselben Beweisfrage weitere Zeugen zu vernehmen. Darin dürfte eine Änderung der Prozesslage liegen, die den Widerruf rechtfertigt, damit alle Zeugen in einem Termin vernommen und ihnen Vorhalte gemacht werden können. Denkbar ist der Widerruf auch, wenn sich
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Kap. 24 Rz. 185
Beweisaufnahme
nach der Zustimmung herausstellt, dass ein Zeuge, der ursprünglich von allen Seiten als unbeteiligt angesehen wurde, im Lager des Beweisführers steht, der sich auf ihn berufen hat.
185 Wird die Beweisaufnahme in Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit und der Parteiöffentlichkeit durchgeführt, muss der Anwalt besonders achtsam sein. Hat der Richter zB mit einem Zeugen telefoniert und hierüber einen Vermerk erstellt, muss er diesen Vermerk den Parteien und Parteivertretern zuleiten, um ihnen rechtliches Gehör zum Ergebnis des Freibeweises zu gewähren (vgl. Huber ZRP 2003, 268, 269 f.). Der Anwalt muss dann von dem Fragerecht gem. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO Gebrauch machen, um auf diese Weise die Weiterführung der Beweiserhebung als Strengbeweis zu erreichen. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass weitere Zeugen zu demselben Beweisthema vernommen werden müssen, muss beantragt werden, auch den im Wege des Freibeweises vernommenen Zeugen nochmals vor dem Spruchkörper in Anwesenheit der Parteien zu vernehmen. Zwar kann der im Wege des Freibeweises gewonnene Beweis auch dann weiter verwertet werden, der Anwalt muss sich jedoch die Möglichkeit eröffnen, dem Zeugen Vorhalte zu machen, die sich beispielsweise aus der Aussage anderer Zeugen ergeben.
XI. Protokoll 1. Vollständige Protokollierung
186 Nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO sind die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien grundsätzlich zu protokollieren. Hierdurch sollen die Beweisergebnisse gesichert werden. Dabei ist die wörtliche Wiedergabe der Aussage besonders wichtig bei der Beeidigung.
187 K
Praxistipp: Der Anwalt muss darauf achten, dass die Aussage in ihren wesentlichen Teilen möglichst genau und wortgetreu wiedergegeben wird, damit einem später vernommenen Zeugen Vorhalte gemacht werden können und (im Falle der negativen Beweiswürdigung) das Beweisergebnis in der Rechtsmittelinstanz nachvollzogen werden kann.
188 Ein unvollständiges Protokoll, dem sich insbesondere beim gerichtlichen Augenschein die tatsächlichen Feststellungen nicht entnehmen lassen, begründet einen Verfahrensfehler, auf den eine Berufung mit der Folge gestützt werden kann, dass das Berufungsgericht eigene Feststellungen trifft (OLG Hamm NJW-RR 2003, 1006 f.). 2. Berichterstattervermerk
189 Aus § 161 ZPO ergibt sich, dass eine ausführliche Protokollierung des Beweisergebnisses nicht erforderlich ist, wenn das Endurteil nicht rechtsmittelfähig ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise ohne streitiges Urteil beendet wird. In diesem Fall wird das Protokoll dadurch entlastet, dass lediglich die Durchführung der Vernehmung, nicht aber die Aussage selbst festgehalten wird.
190 Unterbleibt die Protokollierung der Aussage des Zeugen oder des Sachverständigen, ohne dass die Voraussetzungen vorliegen, liegt darin ein Verstoß gegen § 161 ZPO, der aber unbeachtlich ist, wenn ein Berichterstattervermerk gefertigt wird (BGH DS 2009, 35 Rz. 9). Der Berichterstattervermerk über die mündliche Anhörung eines Sachverständigen muss so klar und vollständig abgefasst sein, dass das Rechtsmittelgericht nachprüfen kann, ob der Tatrichter den Sachverständigen richtig verstanden hat (vgl. BGH NJW 1995, 779 f.). Wird die Aussage nicht protokolliert und auch kein Berichterstattervermerk erstellt, liegt darin in rechtsmittelfähigen Sachen ein Verfahrensmangel, der nicht der Parteidisposition unterliegt, sofern die Aussage auch nicht im Urteil nachvollziehbar wiedergegeben wird (vgl. BGH NJW 1995, 779 f.).
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Praxistipp: Bei Vernehmung von Zeugen sollte stets darauf geachtet werden, dass die Aussage ins Protokoll diktiert wird. Nur dann kann der Anwalt erkennen, wie das Gericht die Aussage wertet. Aus dem Wortlaut der Wiedergabe der Aussage für das Protokoll lässt sich nämlich häuFullenkamp
Beweisaufnahme
Rz. 199 Kap. 24
ZPO
fig entnehmen, welchen Inhalt das Gericht der Aussage gibt. Dadurch lässt sich dann auch erkennen, ob der Zeuge weiter zu befragen und seiner Aussage womöglich doch eine andere Färbung zu geben ist. Wird ein Berichterstattervermerk gefertigt, ist darauf zu achten, dass dieser den Parteien vor dem Verkündungstermin bekannt gemacht wird, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Irrtümer oder Missverständnisse aufzuklären (s. dazu Doms MDR 2001, 73 f.). 3. Tonbandprotokoll Nach § 160a ZPO ist die vorläufige Aufzeichnung des Protokollinhalts durch Ton- oder Datenaufnahmegeräte gestattet. In der Praxis wird dies wegen der Änderung des § 159 Abs. 1 ZPO durch das JuMoG die Regel werden. Wird das Protokoll per Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet, muss die Übertragung unverzüglich erfolgen.
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Werden die Aussagen von Zeugen, Sachverständigen oder Parteien und Ergebnisse des Augenscheins auf Tonaufnahmegerät aufgezeichnet, reicht es grundsätzlich aus, wenn das Protokoll einen Hinweis auf die Aufzeichnung enthält. Die Übertragung ist nach § 160a Abs. 2 Satz 3 ZPO nachzuholen, wenn eine Partei diese Protokollergänzung beantragt oder das Rechtsmittelgericht sie verlangt.
193
K
Wichtig: Aufzeichnungen auf Ton- oder Datenträgern können innerhalb eines Monats nach Mit- 194 teilung der Abschrift gelöscht werden, sofern nicht innerhalb dieser Frist Einwendungen erhoben werden (§ 160a Abs. 3 ZPO). Demgemäß muss der Anwalt innerhalb der Frist von einem Monat die Langschrift des Protokolls überprüfen, damit Einwendungen überprüfbar bleiben.
4. Beanstandung der Prozessleitung und Beanstandung von Fragen Die Leitung der mündlichen Verhandlung obliegt dem Vorsitzenden (§ 136 Abs. 1 ZPO). Im Rah- 195 men der materiellen Prozessleitung hat er dafür zu sorgen, dass die Sache erschöpfend erörtert wird (§ 136 Abs. 3 ZPO). Dazu gehört auch, einer Partei Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, wenn sich zB in der mündlichen Verhandlung im Rahmen der Anhörung des Sachverständigen neue tatsächliche Gesichtspunkte ergeben. Ist der Partei die Stellungnahme ad hoc nicht möglich, ist eine Erklärungsfrist zu gewähren, ansonsten droht die Versagung des rechtlichen Gehörs (vgl. BGH NJW 1984, 1823). Bei der Befragung von Zeugen hat das Gericht den Zeugen zu veranlassen, dasjenige, was Gegenstand der Vernehmung ist, im Zusammenhang zu schildern (§ 396 Abs. 1 ZPO). Zur weiteren Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage ist das Gericht nach § 396 Abs. 2 ZPO gehalten, dem Zeugen weitere Fragen zu stellen.
196
a) Umfang des Fragerechts Die Partei und auch deren Streithelfer sind nach § 397 ZPO berechtigt, dem Zeugen Fragen vorzulegen. Auch im Anwaltsprozess kann der Partei persönlich gestattet werden, das Fragerecht auszuüben (§ 397 Abs. 2 ZPO).
197
Der Umfang des Fragerechts richtet sich nach dem Beweisthema. Unzulässig sind Fragen, die mit dem Beweisthema nichts zu tun haben, insbesondere Ausforschungsfragen sowie auch Suggestivfragen (vgl. Zöller/Greger § 397 ZPO Rz. 3).
198
Das Fragerecht besteht auch, wenn das Gericht eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage gem. § 377 Abs. 3 ZPO anordnet. Der Zeuge ist dann auf Antrag zur mündlichen Verhandlung zu laden, damit das Fragerecht ausgeübt werden kann (vgl. Zöller/Greger § 377 ZPO Rz. 10a).
199
Fullenkamp
501
Kap. 24 Rz. 200
Beweisaufnahme
ZPO
b) Antrag auf Entscheidung durch das Gericht (§ 140 ZPO)
200 Bei Streit über die Zulässigkeit von Fragen entscheidet das Gericht gem. §§ 397 Abs. 3, 140 ZPO durch einen förmlichen Beschluss, der zu begründen ist (vgl. Musielak/Voit/Stadler § 140 ZPO Rz. 5; BLAH/ Hartmann § 140 ZPO Rz. 11). Die Protokollierung von Fragen, über die Streit besteht, ist nicht vorgeschrieben, aber zweckmäßig.
Kapitel 25 Überlange Verfahrensdauer I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. III. IV.
Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu § 839 BGB . . . . . . . . . . . . . . . Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unangemessene Verfahrensdauer . . . . . . . Gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . Überlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten des Anspruchsstellers . . . . . . . . . Verzögerungsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 4 6 7 7 9 11 12 18
1. 2. V. 1. 2. 3. 4.
Ersatz materieller Schäden . . . . . . . . . . . . . Vermutung immaterieller Nachteile . . . . . . Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 25.1 Rüge überlanger Verfahrensdauer . M 25.2 Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer . . . . . .
18 20 24 24 26 28 29 31 32
I. Grundsätze 1 Die §§ 198–201 GVG wurden erst im Jahre 2011 in das GVG eingefügt. Der Gesetzgeber reagierte damit auf eine Entscheidung des EGMR aus dem Jahre 2006 (NJW 2006, 2389). In dieser hatte der EGMR festgestellt, dass nicht nur die überlange Verfahrensdauer eines konkreten deutschen Zivilprozesses, sondern auch die Tatsache, dass es dagegen keinen gerichtlichen Rechtsbehelf im deutschen Zivilprozessrecht gab, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK begründete. 1. Verhältnis zu § 839 BGB
2 Die §§ 198 ff. GVG bilden einen Unterfall der Staatshaftung, der im Gegensatz zu § 839 BGB kein Verschulden des Richters oder des sonst zuständigen Rechtspflegeorgans voraussetzt (MüKo.ZPO/ Zimmermann § 198 GVG Rz. 4; Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 1).
3 Zwischen § 839 BGB und §§ 198 ff. GVG besteht insoweit Anspruchskonkurrenz (BT-Drucks. 17/3802, S. 19), so dass verschuldensanhängige Amtshaftungsansprüche neben den §§ 198 ff. GVG weiter anwendbar sind. 2. Aktivlegitimation
4 Der Anspruch steht nur Verfahrensbeteiligten zu. Dies sind im Zivilprozessrecht nur die Parteien, also Kläger und Beklagte sowie Antragsteller und Antragsgegner. Nebenintervenienten sowie Streitverkündete, die dem Rechtsstreit beigetreten sind, fallen ebenso wie Zeugen und Verfahrensbevollmächtigte nicht in den persönlichen Anwendungsbereich von § 198 GVG (Althammer/Schäuble NJW 2012, 1).
502
Fullenkamp
Kap. 24 Rz. 200
Beweisaufnahme
ZPO
b) Antrag auf Entscheidung durch das Gericht (§ 140 ZPO)
200 Bei Streit über die Zulässigkeit von Fragen entscheidet das Gericht gem. §§ 397 Abs. 3, 140 ZPO durch einen förmlichen Beschluss, der zu begründen ist (vgl. Musielak/Voit/Stadler § 140 ZPO Rz. 5; BLAH/ Hartmann § 140 ZPO Rz. 11). Die Protokollierung von Fragen, über die Streit besteht, ist nicht vorgeschrieben, aber zweckmäßig.
Kapitel 25 Überlange Verfahrensdauer I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. III. IV.
Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu § 839 BGB . . . . . . . . . . . . . . . Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unangemessene Verfahrensdauer . . . . . . . Gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . Überlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten des Anspruchsstellers . . . . . . . . . Verzögerungsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 4 6 7 7 9 11 12 18
1. 2. V. 1. 2. 3. 4.
Ersatz materieller Schäden . . . . . . . . . . . . . Vermutung immaterieller Nachteile . . . . . . Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 25.1 Rüge überlanger Verfahrensdauer . M 25.2 Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer . . . . . .
18 20 24 24 26 28 29 31 32
I. Grundsätze 1 Die §§ 198–201 GVG wurden erst im Jahre 2011 in das GVG eingefügt. Der Gesetzgeber reagierte damit auf eine Entscheidung des EGMR aus dem Jahre 2006 (NJW 2006, 2389). In dieser hatte der EGMR festgestellt, dass nicht nur die überlange Verfahrensdauer eines konkreten deutschen Zivilprozesses, sondern auch die Tatsache, dass es dagegen keinen gerichtlichen Rechtsbehelf im deutschen Zivilprozessrecht gab, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK begründete. 1. Verhältnis zu § 839 BGB
2 Die §§ 198 ff. GVG bilden einen Unterfall der Staatshaftung, der im Gegensatz zu § 839 BGB kein Verschulden des Richters oder des sonst zuständigen Rechtspflegeorgans voraussetzt (MüKo.ZPO/ Zimmermann § 198 GVG Rz. 4; Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 1).
3 Zwischen § 839 BGB und §§ 198 ff. GVG besteht insoweit Anspruchskonkurrenz (BT-Drucks. 17/3802, S. 19), so dass verschuldensanhängige Amtshaftungsansprüche neben den §§ 198 ff. GVG weiter anwendbar sind. 2. Aktivlegitimation
4 Der Anspruch steht nur Verfahrensbeteiligten zu. Dies sind im Zivilprozessrecht nur die Parteien, also Kläger und Beklagte sowie Antragsteller und Antragsgegner. Nebenintervenienten sowie Streitverkündete, die dem Rechtsstreit beigetreten sind, fallen ebenso wie Zeugen und Verfahrensbevollmächtigte nicht in den persönlichen Anwendungsbereich von § 198 GVG (Althammer/Schäuble NJW 2012, 1).
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Fullenkamp
K
Rz. 11 Kap. 25
Wichtig: Gemäß § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ist ein Anspruch auf Entschädigung erst übertragbar (dh. abtretbar), wenn über die Entschädigung entschieden wurde.
5
ZPO
Überlange Verfahrensdauer
3. Passivlegitimation Passivlegitimiert ist das jeweilige Bundesland, vor dessen Gerichten die überlange Verfahrensdauer aufgetreten ist. Bei Bundesgerichten ist der Bund passivlegitimiert.
6
II. Unangemessene Verfahrensdauer 1. Gerichtliches Verfahren Die überlange Verfahrensdauer muss in einem Gerichtsverfahren aufgetreten sein. Was ein Gerichts- 7 verfahren ist, wird in § 198 Abs. 6 Nr. 1 definiert. Ein Gerichtsverfahren ist demnach jedes (staatliche) Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Mediations- und Schlichtungsverfahren sowie auch Schiedsverfahren iS der §§ 1025 ff. ZPO werden vom Anwendungsbereich nicht erfasst. Die Verfahrensdauer bezieht sich immer auf das Gesamtverfahren von der Einleitung bis zum rechts- 8 kräftigen Abschluss. Das Verfahren über die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO oder § 44 FamFG gehört auch noch zum Hauptsacheverfahren (BGH NJW 2017, 2478, 2479). Ist es in einzelnen Verfahrensabschnitten zu Verzögerungen gekommen, führt das nicht zwingend zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Vielmehr ist im Rahmen der Gesamtabwägung zu prüfen, ob die Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (BGH NJW 2014, 220, 222; vgl. auch Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 5). 2. Überlänge Wann ein Verfahren unangemessen lange dauert, ist jeweils eine Einzelfallbetrachtung. In diese sind sowohl die Umstände des jeweiligen Einzelfalls und dabei insbesondere die Schwierigkeit des Falles, die Natur des Verfahrens sowie das Verhalten des Anspruchstellers und des zuständigen Gerichts einzubeziehen (BVerfG NJW-RR 2009, 207). Die Verfahrensdauer muss eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (BGH NJW 2014, 220, 222; BVerfG NVwZ 2013, 789, 791). Dem Gericht muss in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen hat (BGH NJW 2014, 220, 222).
9
Wird das Verfahren fachgerecht betrieben, ist seine Dauer niemals unangemessen (MüKo.ZPO/Zim- 10 mermann, § 198 GVG Rz. 35). Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den besonderen Umständen des Einzelfalls auch bei Berücksichtigung des dem Gericht zustehenden Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor (BGH NJW 2014, 220, 223; BGH NJW 2011, 1072). 3. Verhalten des Anspruchsstellers Hat der Anspruchssteller die unangemessene Verfahrenslänge durch eigenes Verhalten (mit-)ver- 11 ursacht, kann er keinen Ersatz beanspruchen. Verzögerungen infolge der Wahrnehmung prozessualer Rechte wie zB Fristverlängerungsanträge können dem Anspruchsteller nicht vorgeworfen werden, sind aber auch nicht dem Staat zuzurechnen (Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 3).
Fullenkamp
503
Kap. 25 Rz. 12
Überlange Verfahrensdauer
ZPO
III. Verzögerungsrüge 12 Nach § 198 Abs. 3 GVG kann eine Entschädigung nur gewährt werden, wenn zuvor im laufenden Verfahren eine Verzögerungsrüge erhoben wurde. Die Verzögerungsrüge ist an die Gehörsrüge nach § 321a ZPO angelehnt (MüKo.ZPO/Zimmermann § 198 GVG Rz. 51). Sie soll dem Gericht im Ausgangsverfahren eine Warnung sein und sollte im Hinblick auf die Bedeutung der Rüge als Entschädigungsvoraussetzung stets in einem gesonderten Schriftsatz erhoben werden (Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 9).
13 Die Rüge muss von dem späteren Anspruchsteller erhoben worden sein. Die Verzögerungsrüge des Prozessgegners reicht nicht (kein „dulde und liquidiere“).
14 K
Wichtig: Der Rechtsanwalt muss den Mandanten bei einer überlangen Verfahrensdauer darüber aufklären, dass ein späterer Entschädigungsanspruch nur dann in Betracht kommt, wenn zuvor eine Rüge erfolgt ist. Der Mandant muss dann entscheiden, ob eine entsprechende Rüge erhoben werden soll. Erfolgt keine entsprechende Beratung, kommt eine spätere Haftung des Rechtsanwalts in Betracht.
15 Die Verzögerungsrüge ist erst dann statthaft, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessen Zeit abgeschlossen werden wird. Sie kann auch mehrfach erhoben werden, wobei zwischen zwei Rügen grundsätzlich ein Abstand von mindestens sechs Monaten liegen soll. Wenn ein besonderer Ausnahmefall – wie ein Richterwechsel – vorliegt, kann diese Frist auch kürzer sein (BT-Drucks. 17/3802, S. 21). Zu beachten ist, dass eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Die Rüge sollte also nicht erst zum Ende des Verfahrens erhoben werden, sondern bereits dann, wenn die überlange Dauer absehbar ist.
16 K
Praxistipp: Dabei sollte jedoch eine Rüge nicht verfrüht gestellt werden. Verfrühte Verzögerungsrügen sind gegenstandlos und schaffen auch nicht die nötigen Voraussetzungen für eine Klage.
17 Wurde ein Verfahren vor Inkrafttreten der §§ 198 ff. GVG am 3.12.2011 abgeschlossen, konnte im Verfahren keine Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine Rüge gilt in diesen Fällen jedoch noch als unverzüglich, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes ergangen ist (BGH v. 17.7.2014 – III ZR 228/13). Bei anwaltlich nicht vertretenen Parteien kann diese Frist auch noch länger sein (OLG Celle v. 20.11.2013 – 23 SchH 3/13). In allen anderen Fällen muss die die Dauer des Verfahrens zumindest Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim EGMR sein oder noch werden können (OLG Celle v. 9.5.2012 – 23 SchH 6/12).
IV. Entschädigung 1. Ersatz materieller Schäden
18 Der Anspruchssteller kann Ersatz sämtlicher materieller Schäden verlangen, die ihm durch das überlange Verfahren entstanden sind. Insoweit gibt es keine prozessualen Besonderheiten zu anderen Schadensersatzprozessen.
19 K
Praxistipp: Materieller Schaden sind auch die Rechtsanwaltskosten für die vorprozessuale Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs.
2. Vermutung immaterieller Nachteile
20 Aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG entsteht weiterhin eine widerlegbare Vermutung, dass die unangemessen lange Verfahrensdauer zu einem Nachteil bei dem Anspruchsteller geführt, der nicht Vermögensnachteil ist (immaterieller Schaden). 504
Fullenkamp
Rz. 30 Kap. 25
Die Entschädigung für immaterielle Schäden beträgt gem. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG pauschal 1.200 Eu- 21 ro für jedes Jahr, um das der Rechtsstreit verzögert wurde. Für Zeiträume unter einem Jahr erfolgt eine zeitanteilige Berechnung. Auch kann nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Pauschale in Ausnahmefällen nach oben oder unten angepasst werden.
K
Praxistipp: Der auf Ersatz immaterieller Nachteile gerichtete Anspruch braucht aufgrund der Billigkeitsregel nicht beziffert zu werden (siehe auch Klageantrag im Muster). Für den materiellen Schaden gilt § 253 ZPO.
22
Ist eine anderweitige Wiedergutmachung, wie etwa die bloße Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer, ausreichend, ist eine Entschädigung in Geld zu versagen. In schwerwiegenden Fällen kann diese Feststellung jedoch auch ebenso neben der Entschädigung in Geld ausgesprochen werden.
23
V. Geltendmachung 1. Zuständiges Gericht Zuständig für Klagen gegen das Land ist das Obergericht der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit, also bei Zivilverfahren vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten das OLG. Für Klagen gegen den Bund ist der BGH zuständig, vgl. § 201 Abs. 1 GVG.
24
Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist nach § 204 Abs. 2 Satz 2 GVG ausgeschlossen.
25
2. Zeitpunkt Die Klage kann gem. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG frühestens sechs Monate nach der Verzögerungsrüge geltend gemacht werden. Das Hauptsacheverfahren muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sein. Es besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Entschädigungsklage schon vor Abschluss des Ausgangsverfahrens (vgl. dazu Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 11).
26
Die nach Ablauf der Wartefrist erhobene Klage ist unzulässig. Bei der in § 198 Abs. 5 Satz 2 geregel- 27 ten Klagefrist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Verwirkung des Anspruchs eintritt (vgl. Zöller/Lückemann § 198 GVG Rz. 11; MüKo.ZPO/Zimmermann § 198 GVG Rz. 72). 3. Streitwert Der Streitwert setzt sich aus dem immateriellen und materiellen Nachteil zusammen, wobei der immaterielle Nachteil aufgrund der Vermutung mit 1.200 Euro pro Jahr (bzw. anteilig bei einem Zeitraum von unter einem Jahr) anzusetzen ist.
28
4. Kosten Über die Kosten entscheidet das Gericht nach § 91 ZPO. Für die Höhe der Gerichts- und Anwaltskosten gibt es keine Besonderheiten.
29
Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht nach § 201 Abs. 4 GVG über die Kosten nach billigem Ermessen.
30
Fullenkamp
505
ZPO
Überlange Verfahrensdauer
ZPO
Kap. 25 Rz. 31
Überlange Verfahrensdauer
M 25.1
31 M 25.1 Rüge überlanger Verfahrensdauer An das Landgericht … In Sachen … wird die überlange Dauer des Verfahrens gerügt. Begründung: Die Rüge ist nach § 198 Abs. 3 GVG statthaft. Die bisherige Dauer des Verfahrens ist unangemessen lang, so dass auch insgesamt ein überlanges Verfahren zu erwarten ist. Der Kläger hat bereits am 15.9.2016 und mithin vor über einem Jahr Klage erhoben, ohne dass bisher ein schriftliches Vorverfahren oder ein früher erster Termin angeordnet wurde. Dem Kläger, der auf Herausgabe seines Kraftfahrzeuges aus einem Rückabwicklungsschuldverhältnis gegen den Beklagtem vorgeht, entstehen durch die unangemessen lange Verfahrensdauer erhebliche Nachteile. Der Kläger muss befürchten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit zunehmendem Zeitablauf erheblich an Wert verliert. Der Beklagte, der bereits nicht in der Lage war, den Kaufpreis aufzubringen, wird mangels Leistungsfähigkeit für entsprechende Ersatzansprüche nicht einstehen können.
32 M 25.2 Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer An das Oberlandesgericht … Klage des … (Langrubrum) wegen Entschädigung aufgrund überlanger Verfahrensdauer. Streitwert: 4.013,64 Euro Namens und im Auftrag erheben wir Klage und werden beantragen, 1. festzustellen, dass die Verfahrensdauer in dem Verfahren vor dem LG … (Az. …) unangemessen lang war, 2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger immaterielle Nachteile auszugleichen, die er aufgrund der überlangen Verfahrensdauer erlitten hat, 3. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten von 413,64 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Begründung: Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigung aufgrund von überlanger Verfahrensdauer gegen das beklagte Bundesland …, da sein Rechtsstreit gegen das P.-Klinikum vor dem Landgericht … (Az. …) eine überlange Verfahrensdauer aufwies. Der Kläger klagte dort auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer langwierigen bakteriellen Infektion, die bei ihm im Nachgang einer Operation im P.-Klinikum auftrat, da man dort nicht die geltenden Hygienestandards einhielt. Das Verfahren dauerte insgesamt mehr als fünf Jahre. Die Klageerhebung erfolgte am 17.8.20010. Am 23.8.20010 wurde das schriftliche Vorverfahren angeordnet und dem dortigen Beklagten eine Klageerwiderungsfrist von sechs Wochen gesetzt, die auf Antrag um weitere acht Wochen verlängert wurde. Nach Eingang der Klageerwiderung hat es das Gericht dann für sieben Monate unterlassen, weitere prozessleitende Verfügungen anzuordnen. Beweis: Beiziehung der Gerichtsakte des LG … – Az. … Erst nach einer ersten Verzögerungsrüge des Klägers vom 18.7.2011 wurde eine mündliche Verhandlung für den 2.4.2012 anberaumt. Der Termin wurde auf Antrag des dortigen Beklagten noch insgesamt viermal verlegt und fand letztlich erst am 5.9.2012 statt. Am 8.11.2012 erging dann ein Beweisbeschluss, mit
506
Fullenkamp
Überlange Verfahrensdauer
Rz. 32 Kap. 25
dem die Erstellung eines Sachverständigengutachtens angeordnet wurde. Der Sachverständige S. nahm zwar am 16.3.2017 den Auftrag zur Begutachtung an, fertigte jedoch sein Gutachten erst zum 24.7.2015. Obwohl der Kläger am 17.4.2014 eine weitere Verzögerungsrüge erhob, forderte das Gericht den Sachverständigen nicht auf, sein Gutachten früher zu erstellen. Nachdem der Sachverständige auf Antrag des dortigen Beklagten zum 28.4.2016 ein Ergänzungsgutachten fertigte, erkannte der dortige Beklagte die Klageforderung schließlich am 8.5.2016 an. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Beweis: Beiziehung der Gerichtsakte des LG … – Az. … In dem Verhalten des Gerichts liegt wenigstens eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens um 36 Monate, so dass dem Kläger gem. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG ein Entschädigungsanspruch zusteht. Dabei wird eine Entschädigung iHv. mindestens 3.600,00 Euro für angemessen gehalten. Mit Schreiben vom 15.7.2016 (Anlage K 1) wurde sodann das beklagte Bundesland vorprozessual aufgefordert, dem Kläger eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Dies wurde jedoch abgelehnt. Für die Korrespondenz sind dem Kläger Anwaltskosten iHv. 413,64 Euro entstanden (1,3 Geschäftsgebühr bei Gegenstandswert von 3.600,00 Euro). Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1212 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 2,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1213 KV GKG erfüllt sind. Anwalt: 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3300 VV RVG, Terminsgebühr nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG (Vorbem. 3.3.1.).
Fullenkamp
507
ZPO
M 25.2
ZPO
B. Zustellung, Fristen, Termine Kapitel 26 Zustellung I. 1. 2. II. 1.
2. III. 1. 2. 3.
4. IV. 1.
Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand der Zustellung . . . . . . . . . . . Form des zuzustellenden Schriftstücks . . . a) Gegenständliches Schriftstück . . . . . . . b) Telekopie und „virtuelle Schriftstücke“ Herstellung beglaubigter Abschriften . . . . Zustellungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . Natürliche und juristische Personen . . . . . Bevollmächtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatzzustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ersatzperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einwurf in den Briefkasten . . . . . . . . . d) Niederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annahmeverweigerung . . . . . . . . . . . . . . Amtszustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausführung durch die Geschäftsstelle . . . .
1 1 2 6 6 6 7 9 10 10 18 23 23 24 25 26 27 28 28
2. Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustellung gegen Empfangsbekenntnis . . V. Zustellung auf Betreiben der Partei . . . . M 26.1 Zustellungsauftrag an den Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . VI. Zustellung von Anwalt zu Anwalt . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 26.2 Empfangsbekenntnis . . . . . . . . . . M 26.3 Zustellungsbescheinigung . . . . . . VII. Nachweis der Zustellung . . . . . . . . . . . . 1. Zustellungsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustellungsbescheinigung . . . . . . . . . . . . VIII. Heilung von Zustellungsmängeln . . . . . IX. Besondere Zustellungsverfahren . . . . . . 1. Öffentliche Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . M 26.4 Antrag auf Bewilligung der öffentlichen Zustellung . . . . . . . . 2. Zustellung im Ausland . . . . . . . . . . . . . .
31 32 38 41 43 43 45 47 48 49 49 52 54 56 56 61 62
I. Grundsätze 1. Allgemeines
1 Die §§ 166–195 ZPO bestimmen, wie bei der Zustellung von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken bzw. Dokumenten zu verfahren ist. Die Regelungen selbst finden sowohl in Zivil- als auch in Strafverfahren (§ 37 Abs. 1 StPO) sowie in Familiensachen und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 15 Abs. 2 FamFG) Anwendung. Ergänzt werden die Vorschriften der ZPO u.a. durch die einschlägigen Regelungen der GVGA (Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher) und der ZRHO (Zustellungs- und Rechtshilfeordnung). Im internationalen Rechtsverkehr sind das Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ, s. Zöller/Geimer § 183 ZPO Rz. 93) und die europäische Verordnung über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen – VO (EG) Nr. 1393/2007 (EuZustVO, vgl. §§ 1067–1069 ZPO) zu beachten (s. dazu Rz. 62; Kap. 101 und Zöller/Geimer Anh. II). 2. Begriff
2 Zustellung ist die in gesetzlicher Form zu bewirkende Bekanntgabe eines Schriftstücks an den Adressaten (§ 166 Abs. 1 ZPO), dem damit die Gelegenheit verschafft werden soll, Kenntnis von diesem Schriftstück zu erlangen. Ziel der Zustellung ist die Möglichkeit, den Zeitpunkt und die Tatsache des Zugangs zu beurkunden und damit nachweisbar zu machen.
3 Entsprechend dem Auftraggeber einer Zustellung unterscheidet man zwischen der Zustellung von Amts wegen (§§ 166–190 ZPO) und einer solchen im Parteibetrieb (§§ 191–195 ZPO). Dabei ist 508
Riedel
Zustellung
Rz. 7 Kap. 26
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die Amtszustellung, also die Zustellung auf Veranlassung des Gerichts, die Regel und immer dort durchzuführen, wo durch eine entsprechende verfahrensrechtliche Bestimmung die Zustellung eines Schriftstücks normiert und nicht ausdrücklich eine Zustellung im Parteibetrieb zugelassen (vgl. § 699 Abs. 4 ZPO) oder verlangt wird (vgl. § 922 Abs. 2 ZPO; zu den Wirkungen, die mit der Amtszustellung einer einstweiligen Verfügung verbunden sind, vgl. OLG Celle, BauR 2000, 1901). Von Amts wegen zuzustellen sind demnach u.a. die Klageschrift (§ 253 ZPO), die gerichtlichen Entscheidungen sowie all die Schriftstücke, die geeignet sind, eine Frist auszulösen oder einen Vollstreckungstitel darstellen (vgl. § 329 ZPO). Darüber hinaus wird ein Schriftstück dann von Amts wegen zugestellt, wenn das Gericht dies im Einzelfall bestimmt (§ 166 Abs. 2 ZPO). Soll mit der Zustellung von Amts wegen eine Frist gewahrt werden, tritt diese Wirkung bereits mit dem Eingang des entsprechenden Antrags ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (§ 167 ZPO; vgl. BGH MDR 2008, 580; BGH MDR 2007, 45). Dies gilt auch in Fällen, in denen die Fristwahrung durch außergerichtliche Geltendmachung herbeigeführt werden kann (BGH NJW 2009, 765). Nach der Person oder Institution, die mit der Durchführung einer Zustellung beauftragt wird, unter- 4 scheidet man zwischen der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher und einer solchen durch andere Zustellungsorgane, wie etwa die Deutsche Post AG, der Gerichtswachtmeister oder der Urkundsbeamte. Letztlich ist zu unterscheiden zwischen einer unmittelbaren Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Adressaten und einer sogenannten Ersatzzustellung, die dazu führt, dass ein Schriftstück als zugegangen gilt, auch wenn es den Adressaten tatsächlich nicht erreicht hat.
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Praxistipp: Der Zugang eines vorprozessualen Schriftstücks (zB Kündigung, Mahnung) gilt nur 5 bei Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher als erfolgt (§ 132 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine Einschreibesendung oder eine ähnliche Förmlichkeit fingiert den Zugang der Willenserklärung nicht.
II. Gegenstand der Zustellung 1. Form des zuzustellenden Schriftstücks a) Gegenständliches Schriftstück Welche Schriftstücke an wen zuzustellen sind, wird durch die einschlägigen Verfahrensnormen regle- 6 mentiert (zB § 253 ZPO). Allerdings ist diesen Normen regelmäßig nicht zu entnehmen, in welcher Form die jeweiligen Schriftstücke zu übermitteln sind. Auch die Bestimmungen der §§ 166–195 ZPO enthalten hierzu keine Aussagen. In Betracht kommt die Urschrift, die Ausfertigung oder die Abschrift eines Schriftstücks. Im zivilprozessualen Bereich ist es regelmäßig notwendig, aber auch ausreichend, die beglaubigte Abschrift eines Schriftstücks zuzustellen (vgl. § 169 Abs. 2 ZPO). Abweichend hiervon schreibt zB § 377 ZPO für die Zeugenladung die Übermittlung einer Ausfertigung vor. Entspricht das übermittelte Schriftstück nicht der vorgeschriebenen Form, ist die Zustellung unwirksam (BGHZ 52, 934). Dies gilt für die Amtszustellung ebenso wie für die Zustellung im Parteibetrieb. Wird statt einer beglaubigten Abschrift die einfache Abschrift einer Nachweisurkunde oder einer Klageschrift zugestellt, ist der darin liegende Zustellungsmangel nach Ansicht des BGH gem. § 189 ZPO geheilt, wenn diese Abschrift nach Inhalt und Fassung mit der Nachweisurkunde oder der Klageschrift übereinstimmt (BGH MDR 2017, 111). b) Telekopie und „virtuelle Schriftstücke“ An die in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Personen, bei denen aufgrund ihres Berufs von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann (zB Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher, Steuerberater), sowie an Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts kann ein Schriftstück auch durch Telekopie bzw. Telefax übermittelt werden (§ 174 Abs. 2 ZPO). Dabei soll die Zustellung mit einem Vorblatt eingeleitet werden, das den deutlichen Hinweis auf eine förmliche Zustellung gegen Empfangsbekenntnis enthält. Mit § 174 Abs. 3 ZPO wird darüber hinaus die Mög-
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lichkeit eröffnet, Zustellungen mittels eines elektronischen Dokuments iS des § 130a Abs. 4 ZPO zu übermitteln.
8 Von den genannten Möglichkeiten können nicht nur die Gerichte innerhalb der Amtszustellung Gebrauch machen, sie finden vielmehr auch dort Anwendung, wo eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt möglich ist (§ 195 ZPO; vgl. Rz. 10). 2. Herstellung beglaubigter Abschriften
9 Die beglaubigte Abschrift ist eine Zweitschrift (auch eine Fotokopie), auf der eine hierzu befugte Person bezeugt, dass diese Zweitschrift mit der Urschrift oder einer Ausfertigung der Urschrift übereinstimmt (BGH NJW 1961, 2307). Dies geschieht regelmäßig durch einen am Ende des Schriftstücks anzubringenden und handschriftlich zu unterzeichnenden Vermerk mit dem Inhalt „Für die Richtigkeit der Abschrift (Ablichtung)“ oder „Beglaubigt“. Die Bezeichnung „Beglaubigte Abschrift“ sollte als Überschrift angebracht werden (vgl. Zöller/Schultzky § 169 ZPO Rz. 9). Die Abschrift muss erkennen lassen, wer die Urschrift unterzeichnet hat, was zB mit dem Vermerk „gez. [Name]“ bewirkt werden kann. Ebenso muss sich aus der beglaubigten Abschrift einer Ausfertigung auch der Ausfertigungsvermerk ergeben (OLG Hamm, NJW-RR 1988). Besteht die anzufertigende Abschrift aus mehreren Seiten, sind diese zusammenzuheften und am Ende der letzten Seite mit dem Beglaubigungsvermerk zu versehen (vgl. OLG Düsseldorf OLGR 1997, 9 f.). Zur Herstellung einer beglaubigten Abschrift sind – in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich – jeweils befugt: – Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts (§ 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO); – Rechtsanwälte (§ 169 Abs. 2 Satz 2 ZPO); – Gerichtsvollzieher (§ 192 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
III. Zustellungsadressat 1. Natürliche und juristische Personen
10 Wie die Geschäftsstelle des Gerichts im Rahmen der Amtszustellung hat die Partei bzw. deren Vertreter bei der Zustellung im Parteibetrieb sorgfältig darauf zu achten, dass die Zustellung ordnungsgemäß adressiert wird, die Person, der ein Schriftstück zuzustellen ist, also richtig bezeichnet ist. Der mit der Zustellung zu beauftragende Gerichtsvollzieher stellt insoweit keine Nachforschungen an.
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Praxistipp: Die unrichtige Schreibweise einer ausländischen Adresse macht die Zustellung nicht unwirksam, wenn eine Verwechslungsgefahr nicht besteht (BGH NJW-RR 2001, 1361); das Schriftstück ist demnach im Zustellungszeitpunkt zugegangen. Auf die Heilungsmöglichkeit (§ 189 ZPO) kommt es nicht an.
12 Zu unterscheiden ist zwischen dem Adressaten und dem Empfänger einer Zustellung. Adressat ist die natürliche oder juristische Person, der ein Schriftstück zuzustellen ist. Sie muss in der Postzustellungsurkunde bzw. in der Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers im Anschriftenfeld genannt sein. Unter dem Empfänger eines Schriftstücks ist dagegen diejenige Person zu verstehen, der das Schriftstück ausgehändigt wird. Bei Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Adressaten, ist dieser gleichzeitig Empfänger. Diese Übergabe kann grundsätzlich an jedem Ort und auch zu jeder Zeit erfolgen (§ 177 ZPO).
13 Der gesetzliche Vertreter einer nicht prozessfähigen natürlichen Person ist der Adressat der Zustellung eines Schriftstücks, das die nicht prozessfähige Person betrifft (§ 170 Abs. 1 ZPO). Eine Zustellung, die eine nicht prozessfähige Person als Adressaten ausweist, ist ungeachtet einer eventuellen Heilungsmöglichkeit auch dann unwirksam, wenn deren gesetzlicher Vertreter das zuzustellende Schriftstück tatsächlich entgegennimmt (§ 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO). War die fehlende Prozessfähigkeit 510
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zum Zeitpunkt der Zustellung nicht erkennbar, löst auch die unwirksame Zustellung die Rechtsmittelfrist aus. Gegen eine in der Folge formell rechtskräftig gewordene Entscheidung ist die Nichtigkeitsklage statthaft (vgl. § 586 Abs. 3 ZPO; BGH MDR 2008, 762). Bei der Zustellung an eine juristische Person ist dagegen diese als Adressat mit ihrer Geschäfts- 14 anschrift zu benennen. Die Angabe des organschaftlichen Vertreters ist daneben nicht notwendig (vgl. BGH NJW 1997, 1584; NJW 1993, 2811; MDR 1989, 1081). Es ist vielmehr die Aufgabe des Zustellungsorgans, die Person zu ermitteln, die zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigt ist, die an die juristische Person gerichtet sind. Dabei kommt neben dem organschaftlichen Vertreter auch der „Leiter“ der juristischen Person in Betracht (§ 170 Abs. 2 ZPO). Als solcher ist eine Person anzusehen, die – ohne notwendig gesetzlicher Vertreter zu sein – aufgrund ihrer Stellung zum Handeln für juristische Personen, Personengesellschaften oder Behörden befugt ist (Zöller/Schultzky § 170 ZPO Rz. 4). Die an eine juristische Person zu bewirkende Zustellung kann auch an deren organschaftlichen Vertreter als Adressaten gerichtet werden. Soweit dies unter der Privatanschrift des Vertreters erfolgt, kommt eine Ersatzzustellung gem. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Familienangehörigen in Betracht.
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Praxistipp: Um nachfolgenden Streit zu vermeiden, ist es ratsam, die jeweiligen Vertreter – soweit bekannt – im Anschriftenfeld der Zustellungsurkunde namentlich zu benennen. Bei der Zustellung an eine BGB-Gesellschaft sollte deren Geschäftsführer oder zumindest einer der Gesellschafter (BGH MDR 2006, 1254), bei der Zustellung an eine Wohnungseigentümergemeinschaft der Verwalter benannt werden (§ 27 Abs. 3 Nr. 1 WEG).
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Hat eine GmbH keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch die Gesellschafter vertreten (§ 35 Abs. 1 GmbHG). An diese kann unter der Geschäftsanschrift der GmbH (§ 35 Abs. 2 GmbHG) oder unter deren Wohnanschrift zugestellt werden (BT-Drucks. 16/6140, S. 53). Für die AG sieht § 78 Abs. 1 AktG im Falle der Führungslosigkeit die Vertretung durch den Aufsichtsrat vor (für die Genossenschaft: § 24 Abs. 1 GenG).
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Praxistipp: Die in Frage kommenden Personen sowie die inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft sind dem Handelsregister bzw. Genossenschaftsregister zu entnehmen. Die Einsichtnahme ist bundesweit online über www.handelsregister.de möglich.
2. Bevollmächtigte Ist ein Prozessbevollmächtigter bestellt, haben alle Zustellungen, die in einem anhängigen Verfahren 18 an den Vollmachtgeber zu bewirken sind, zwingend an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Er ist insoweit Adressat der Zustellung (§ 172 Abs. 1 ZPO). Außerhalb eines anhängigen Verfahrens ist die Vorschrift nicht anzuwenden. Es kann deshalb nicht verlangt werden, dass nach Anzeige der Bestellung eines Anwalts, Schreiben nur noch an diesen und nicht mehr an den Vertretenen gerichtet werden (BGH MDR 2011, 422). „Bestellt“ ist der Verfahrensbevollmächtigte durch Mitteilung seiner Prozessvollmacht (§ 80 ZPO) an das Gericht oder den Gegner (BGH MDR 2011, 620; vgl. Zöller/ Schultzky § 172 ZPO Rz. 6). Die Bestellung ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Es reicht aus, dass sie für das Gericht oder bei Parteizustellung für den Gegner durch irgendeine Handlung der Partei oder des Vertreters oder aus den Umständen erkennbar wird (KG NJW 1994, 3111). Der Umstand, dass sich die Parteien bereits außergerichtlich anwaltlicher Hilfe bedient und über diese miteinander Korrespondenz geführt haben, reicht für die Annahme einer Bestellung zum Prozessbevollmächtigten dagegen nicht aus (vgl. BGH NJW-RR 1986, 286 f.). Der Partei ist selbst zuzustellen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat (§ 172 Abs. 2 ZPO). Die Ladung zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft ist dem Schuldner nach § 802f Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 ZPO zuzustellen, auch wenn dieser einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat. Die Zustellung eines Urteils an einen lediglich als Terminsvertreter anzusehenden Unterbevollmächtigten ist unwirksam und setzt Rechtsmittelfristen nicht in Lauf (BGH MDR 2007, 479).
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19 Im Anwaltsprozess ist auch im Falle einer Mandatsniederlegung oder einer Kündigung des Mandatsverhältnisses so lange an den bisherigen Prozessbevollmächtigten zuzustellen bis die Bevollmächtigung eines neuen Anwalts angezeigt wird (§ 87 Abs. 1 ZPO; BGH MDR 2007, 1033). Im Parteiprozess oder in Nebenverfahren, die nicht vom Anwaltszwang umfasst sind, müssen dagegen Zustellungen nach Anzeige der Mandatsniederlegung oder der Kündigung des Mandatsverhältnisses nicht mehr an den bisherigen Prozessbevollmächtigten bewirkt werden. Dieser ist aber im Rahmen des § 87 Abs. 2 ZPO weiterhin berechtigt, Zustellungen für die Partei entgegenzunehmen. Macht er hiervon Gebrauch ist die an ihn erfolgte Zustellung wirksam (BGH MDR 2007, 1444). Die Zustellung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses hat auch dann an den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn in zweiter Instanz kein Rechtsanwalt mandatiert wurde (BGH DGVZ 2013, 20).
20 An sonstige rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter kann gem. § 171 ZPO wie an den Vertretenen zugestellt werden. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Bevollmächtigung dem Gericht angezeigt wurde, als auch insbesondere dann, wenn gegenüber dem Zustellungsorgan die Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen nachgewiesen wird. Umfasst sind Einzelbevollmächtigungen ebenso wie die Übertragung umfassender Vertretungsmacht auf einen Prokuristen oder einen Generalbevollmächtigten.
21 Im Anwendungsbereich der seit dem 1.7.2002 geltenden Zustellungsregeln der ZPO genügt es – möglicherweise – nicht mehr, dem Vertreter mehrerer Personen eine Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks zu übermitteln. Vielmehr muss eine der Anzahl der vertretenen Personen entsprechende Zahl von Abschriften bzw. Ausfertigungen übergeben werden. Ebenso genügt es nicht, einem Vertreter, der gleichzeitig auch im eigenen Namen auftritt, nur eine Abschrift bzw. Ausfertigung des zuzustellenden Schriftstücks zu übergeben (vgl. OLG Frankfurt/M. FamRZ 1999, 168).
22 Zu einer anderen Auffassung gelangt man nur, wenn man davon ausgeht, dass sich in der Person des Vertreters mehrerer Vollmachtgeber alle Vollmachtgeber vereinigen. Diese Überlegung ist mit den §§ 164 ff. BGB allerdings nicht vereinbar. Praktische Bedeutung hat das Problem (s. auch BGH NJW 1981, 282) deshalb, weil bei Übergabe einer zu geringen Zahl beglaubigter Abschriften im Rahmen der Zustellung die Frage aufgeworfen wird, wem gegenüber die Zustellung wirkt und wem gegenüber die Hemmung der Verjährung eingetreten ist. 3. Ersatzzustellung a) Voraussetzungen
23 Für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach §§ 178–181 ZPO genügt, vorbehaltlich dolosen Verhaltens, nicht, dass der Adressat in zurechenbarer Weise den Rechtsschein geschaffen hat, unter der Zustellanschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume zu nutzen. Insbesondere reicht nicht, dass er nach Aufgabe der Wohnung oder der Geschäftsräume ein Schild mit seinem Namen an dem Briefeinwurf belässt (BGH MDR 2011, 1196). b) Ersatzperson
24 Trifft das Zustellungsorgan den Adressaten oder dessen organschaftlichen Vertreter nicht persönlich an, besteht die Möglichkeit, das zuzustellende Schriftstück einer anderen Person auszuhändigen; als solche kommt in Betracht: – in der Wohnung des Adressaten ein erwachsener Familienangehöriger, eine in der Familie beschäftigte Person oder ein erwachsener ständiger Mitbewohner (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO); – in den Geschäftsräumen des Adressaten eine dort beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO); – in Gemeinschaftseinrichtungen (Krankenhaus, Altenheim etc.) der Leiter der Einrichtung oder ein zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigter Vertreter (§ 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). 512
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Unwirksam ist die Ersatzzustellung, wenn sie an eine Person erfolgt, die an dem Rechtsstreit als Gegner des Adressaten beteiligt ist (§ 178 Abs. 2 ZPO). Dies gilt auch für die Ersatzzustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den beim Drittschuldner beschäftigten Schuldner (vgl. BAG NJW 1981, 1399). Dagegen ist eine Ersatzzustellung nicht deshalb unwirksam, weil die Geschäftsstelle des Gerichts – objektiv zu Unrecht – im Zustellungsauftrag eine Ersatzzustellung ausgeschlossen hat (BGH NJW-RR 2003, 208). c) Einwurf in den Briefkasten Wird in der Wohnung oder in den Geschäftsräumen weder der Adressat noch eine Ersatzperson angetroffen, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung (zB Briefschlitz in der Haustür) eingelegt bzw. eingeworfen werden. Dies gilt auch, wenn die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO daran scheitert, dass das Geschäft nicht mehr geöffnet ist (BGH MDR 2007, 1093). Die Zustellung gem. § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten setzt jedoch voraus, dass der Zustellungsempfänger in der Wohnung seinen Lebensmittelpunkt hat (BGH WuM 2007, 712). Dem alleinigen Geschäftsführer einer GmbH kann ein an ihn persönlich gerichtetes Schriftstück unter der Adresse der Gesellschaft wirksam durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt werden (vgl. Zöller/Schultzky § 178 ZPO Rz. 16). Mit dem Zeitpunkt der Einlegung oder des Einwurfs gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 ZPO). Diesen Zeitpunkt hat der Zusteller auf dem Umschlag zu vermerken, in dem sich das zuzustellende Schriftstück befindet (§ 180 Satz 3 ZPO; bei einem Verstoß hiergegen kommt eine Heilung nach § 189 ZPO in Betracht, vgl. BFH NJW 2014, 2524).
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d) Niederlegung Ist ein Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung nicht vorhanden oder nicht nutzbar, kann das zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des AG, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, oder an diesem Ort, wenn die Post (nicht bei sonstigen Unternehmen und nicht bei dem Gerichtsvollzieher) mit der Ausführung der Zustellung beauftragt ist, bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle niedergelegt werden. Eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung ist ggf. an der Tür der Wohnung oder des Geschäftsraums anzuheften. Das Schriftstück gilt mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt (§ 181 ZPO). Eine Zustellung durch Niederlegung ist auch in den Fällen zulässig, in denen in einer Gemeinschaftseinrichtung weder der Adressat noch eine Ersatzperson iS des § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO angetroffen wird. Der Einwurf in den Briefkasten der Einrichtung scheidet dagegen aus.
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4. Annahmeverweigerung Verweigert der Adressat oder eine Ersatzperson iS des § 178 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO die Annahme 27 des Schriftstücks, ist dieses nicht nach § 181 ZPO niederzulegen, sondern in der Wohnung oder in dem Geschäftsraum zurückzulassen und gilt mit der Annahmeverweigerung als zugestellt (§ 179 Satz 1 ZPO). Wird die Annahme innerhalb einer Gemeinschaftseinrichtung verweigert oder hat der Adressat keine Wohnung oder ist kein Geschäftsraum vorhanden, ist das zuzustellende Schriftstück zurückzusenden, gilt aber dennoch mit der Annahmeverweigerung als zugestellt (§ 179 Satz 2 ZPO). Wird die Annahme des Schriftstücks allerdings zu Recht verweigert, ist das Schriftstück an den Absender zurückzugeben, ohne dass eine Zugangsfiktion eintritt. Eine Annahmeverweigerung ist dann berechtigt, wenn – die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung fehlen, weil sich zB eine Person in der Wohnung des Adressaten nur zu Besuch aufhält und nicht zur Familie gehört;
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– die Person des Adressaten zweifelhaft ist (zB bei fehlerhafter Anschriftenangabe oder fehlendem Namenszusatz, „jun.“, „sen.“); – die Übergabe zu unpassender Zeit oder an einem unpassenden Ort erfolgt (vgl. § 177 ZPO).
IV. Amtszustellung 1. Ausführung durch die Geschäftsstelle
28 Die Geschäftsstelle des Gerichts kann mit der Ausführung der ihr obliegenden Amtszustellungen entweder ein nach § 33 Abs. 1 PostG beliehenes Unternehmen (Post) bzw. einen Justizbediensteten beauftragen oder die Zustellung selbst ausführen (§ 168 Abs. 1 ZPO). Hierzu stehen ihr folgende Alternativen zur Wahl: – Zustellung durch die (persönliche) Aushändigung des zuzustellenden Schriftstücks an der Amtsstelle (§ 173 ZPO); – Zustellung durch Übermittlung gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO); – Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO); – Zustellung durch Aufgabe zur Post, die nicht auf die Fälle der Auslandszustellung beschränkt ist, sondern zB im Bereich des Insolvenz- und Zwangsversteigerungsverfahrens zur Anwendung kommt (s. § 8 InsO; vgl. BGH NJW-RR 2003, 626; BGH ZInsO 2008, 320; s. auch § 4 ZVG); die Zustellung gilt zwei Wochen nach der Aufgabe des Schriftstücks zur Post als bewirkt (§ 184 Abs. 2 ZPO, abweichend: § 8 Abs. 1 Satz 3 InsO – drei Tage).
29 Welche von den dargestellten Möglichkeiten der Geschäftsstellenbeamte auswählt, liegt in seinem Ermessen. Soweit die interessierte Partei fundiert darlegen kann, dass die eine oder andere Zustellungsalternative im Einzelfall nicht angezeigt ist, hat dies der Geschäftsstellenbeamte zu beachten (zB Gefahr der verweigerten Anerkennung einer Entscheidung im Ausland, wenn diese nur durch Aufgabe zur Post zugestellt wurde).
30 Auf Anordnung des Vorsitzenden des Prozessgerichts oder eines von ihm bestimmten Mitglieds kann auch der Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde (zB Polizei) mit der Ausführung der Zustellung beauftragt werden (§ 168 Abs. 2 ZPO). 2. Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein
31 Im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 (EuZustVO) besteht auch nach nationalem Recht die Möglichkeit der Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO; vgl. Kap. 101). Als Nachweis der Zustellung dient der Rückschein, der jedoch keine öffentliche Urkunde darstellt. Ist eine Übergabe an den Adressaten, seinen Ehepartner oder Postbevollmächtigten nicht möglich, kann nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG der eingeschriebene Brief einem Ersatzempfänger ausgehändigt werden. Trägt der eingeschriebene Brief allerdings den Vermerk „Eigenhändig“, ist eine Zustellung nur an den Adressaten selbst möglich. Verweigert der Adressat oder der Ersatzempfänger die Annahme der Einschreibesendung, wird sie an den Absender als unzustellbar zurückgeschickt; die Zustellungsfiktion des § 179 Satz 3 ZPO findet keine Anwendung. Dasselbe gilt für den Fall, dass weder der Adressat noch der Ersatzempfänger angetroffen wird und die Einschreibesendung bei der Poststelle nicht abgeholt wird. Eine Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten oder durch Niederlegung ist nicht möglich.
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Rz. 36 Kap. 26
Die Geschäftsstelle des Gerichts kann von Amts wegen vorzunehmende Zustellungen auch dadurch 32 bewirken, dass sie den zuzustellenden Schriftsatz den in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Personen (Rechtsanwalt, Notar, Gerichtsvollzieher, Steuerberater) oder Einrichtungen mit der Aufforderung übersendet, den Empfang des Schriftstücks mittels Unterschrift und Datumsangabe zu bestätigen (Empfangsbekenntnis). Dabei ist die Ausstellung des Empfangsbekenntnisses wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung (vgl. BT-Drucks. 13/4554); es dient nicht nur, wie die Zustellungsurkunde, als Nachweis der Zustellung, sondern ist notwendiger Ausdruck des Empfangswillens des Adressaten. Die Übermittlung des Schriftstücks erfolgt durch einfachen Brief oder durch die Nutzung von Anwaltsfächern. Zur möglichen Verwendung von Telekopie oder elektronischem Dokument vgl. Rz. 7. Als sonstige Personen iS des § 174 Abs. 1 ZPO, bei denen aufgrund ihres Berufs von einer erhöhten 33 Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann und denen deshalb Schriftstücke gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden können, kommen Wirtschaftsprüfer, Patentanwälte oder Rechtsbeistände in Betracht; dagegen nicht Zwangsverwalter, Betreuer oder Pfleger, da diese Tätigkeiten nicht als Beruf anzusehen sind.
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Wichtig: Das Empfangsbekenntnis ist stets sorgfältig auszufüllen und umgehend an die Geschäftsstelle zurückzusenden. Dies kann auch dann durch Telekopie geschehen, wenn das zuzustellende Schriftstück seinerseits nicht auf diese Art übermittelt wurde. Erweist sich ein Adressat als unzuverlässig, wird die Geschäftsstelle des Gerichts spätestens nach dem zweiten misslungenen Versuch Zustellungen nur noch über die Post oder gleichwertige Einrichtungen vornehmen, was mit entsprechenden Kosten verbunden ist.
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Ein Formerfordernis für das Empfangsbekenntnis sieht § 174 Abs. 4 ZPO nur für den Fall vor, dass 35 ein elektronisches Dokument zugestellt wird. In diesem Fall ist auch das Empfangsbekenntnis als elektronisches Dokument iS des § 130a ZPO zu erstellen. Ansonsten genügt eine mit Datum und eigenhändiger Unterschrift versehene schriftliche Bestätigung, aus der sich ergibt, dass der Adressat das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gelten zu lassen (vgl. BGH FamRZ 1995, 799). Insoweit ist es ausreichend, wenn ein Anwalt, dem die Geschäftsstelle des Gerichts ein Urteil zum Zwecke der Zustellung übersandt hat, auf die Frage der Geschäftsstelle nach dem Verbleib des Empfangsbekenntnisses schriftlich erklärt, dass er das Urteil an einem bestimmten Tag erhalten hat (BGH MDR 1994, 718). Die Anbringung des Eingangsstempels durch das Kanzleipersonal reicht dagegen nicht aus (BGH NJW 1991, 23). Als Zustellungstag gilt das der Unterschrift hinzugefügte Datum; ansonsten ist das mit dem Eingangsstempel auf das vom Gericht übermittelte und zurückgesandte Formular aufgedruckte Datum maßgebend, das den zu vermutenden Zugangszeitpunkt darstellt (vgl. BGH MDR 2000, 290). Fehlt jegliche Datumsangabe, ist davon auszugehen, dass die Zustellung spätestens an dem Tag erfolgte, an dem das Empfangsbekenntnis zurückgesandt wurde (BGH MDR 2005, 1427). Unwirksam ist eine Zustellung dann, wenn der Empfang des Schriftstücks nicht vom Anwalt, sondern von dessen Mitarbeiter bestätigt (BGH NJW 1994, 2295) oder ein Faksimile-Stempel verwendet wird (BGH MDR 1989, 352).
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Wichtig: Das Empfangsbekenntnis erbringt Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin 36 bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Zwar ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig. Dieser setzt jedoch voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können. Hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (BGH JurBüro 2007, 504; BGH MDR 2006, 885; BGH MDR 2012, 798). Das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Schriftstücks darf ein Rechtsanwalt deshalb erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn der Zeitpunkt der Zustellung und der Beginn einer ggf. durch die Zustellung ausgelösten Frist entweder auf dem Riedel 515
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3. Zustellung gegen Empfangsbekenntnis
Kap. 26 Rz. 37
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zugestellten Schriftstück selbst oder sonst in den Handakten vermerkt oder durch besondere Anordnung dafür Sorge getragen ist, dass das Zustellungsdatum festgehalten wird, damit anhand des entsprechenden Vermerks die Eintragung im Fristenkalender vorgenommen und auch kontrolliert werden kann (vgl. BGH FamRZ 1996, 1004).
37 Um Probleme im Zusammenhang mit der Erteilung von Empfangsbekenntnissen zu vermeiden, sollte zB stets ein Eingangsstempel verwendet werden, der auch den Namen der Anwaltspraxis – bei überörtlichen Sozietäten auch den Standort des jeweiligen Büros – enthält. Wird ein Urteil versandt, versieht der Adressat es idR auch mit einem Eingangsstempel. Lässt sich aus dem Eingangsstempel – verwendet werden in der Praxis sogar einfache Tagesstempel als Eingangs-stempel – nicht der Empfänger erkennen, sind vermeidbare Fehler bei der Berechnung von Fristen vorprogrammiert.
V. Zustellung auf Betreiben der Partei 38 Im Parteibetrieb kann ein Zustellungsauftrag nur dem Gerichtsvollzieher erteilt werden (§ 192 Abs. 1 ZPO), was auch unter Vermittlung der Geschäftsstelle des Amtsgerichts geschehen kann (§ 192 Abs. 3 Satz 1 ZPO; vgl. zur Vermittlung der Zustellung eines Pfändungsbeschlusses § 829 Abs. 2 ZPO). Dazu übergibt die Partei dem Gerichtsvollzieher das zuzustellende Schriftstück in Urschrift oder Ausfertigung mit der erforderlichen Anzahl von Abschriften (§ 192 Abs. 2 ZPO). Liegen dem zuzustellenden Schriftstück die erforderlichen Abschriften nicht bei, fertigt diese der Gerichtsvollzieher, wofür er dem Auftraggeber entsprechende Kosten in Rechnung stellt. Die notwendige Beglaubigung der zuzustellenden Abschriften kann der Anwalt gem. § 169 Abs. 2 ZPO selbst vornehmen. Ansonsten übernimmt dies ebenfalls der Gerichtsvollzieher (vgl. § 16 Abs. 3 GVGA).
39 Auf der Urschrift bzw. Ausfertigung beurkundet der Gerichtsvollzieher die Ausführung der Zustellung und gibt diese zurück an den Auftraggeber (§ 193 ZPO). Er kann die Zustellung entweder selbst, dh. persönlich bewirken oder damit die Post beauftragen (§ 194 ZPO). Soll zum Zwecke der Zwangsvollstreckung der Vollstreckungstitel dem Schuldner im Auftrag des Gläubigers durch den Gerichtsvollzieher zustellt werden, ist diesem Auftrag deshalb neben der erforderlichen Zahl von Abschriften auch die vollstreckbare Ausfertigung des Titels beizufügen (BayOblG Rpfleger 2005, 250).
40 Die örtliche Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers richtet sich für die persönliche Zustellung nach dem Wohnsitz/Sitz des Adressaten (§ 14 GVGA). Zustellungen durch die Post kann sowohl der Gerichtsvollzieher des Adressaten-Wohnsitzes als auch der Gerichtsvollzieher bewirken, in dessen Zuständigkeitsbezirk der Auftraggeber seinen Wohnsitz/Sitz hat (§ 22 GVO). Eine Verletzung der örtlichen Zuständigkeitsregeln hat auf die Wirksamkeit der Zustellung keinen Einfluss.
41 M 26.1 Zustellungsauftrag an den Gerichtsvollzieher An das Amtsgericht – Gerichtsvollzieher-Verteilerstelle – … Beiliegend übersende ich namens und in Vollmacht des … die Ausfertigung des Urteils des … -gerichts … vom … mit dem Auftrag, dieses unter Verwendung der anliegenden beglaubigten Abschrift an den … zuzustellen, die Ausführung der Zustellung auf der Ausfertigung zu vermerken und diese an mich zurück zu leiten. Anfallende Kosten können bei mir erhoben werden. Kosten: Gerichtsvollzieher: 10 Euro für persönliche Zustellung (Nr. 100 KV GvKostG) oder 3 Euro für sonstige Zustellung (Nr. 101 KV GvKostG) zzgl. Auslagen (Entgelt für Zustellung mit Zustellungsurkunde, Nr. 701 KV GvKostG; Wegegeld, Nr. 711 KV GvKostG; Auslagenpauschale, Nr. 716 KV GvKostG).
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Rz. 46 Kap. 26
Praxistipp: Soweit ein Gerichtsvollzieher als der zuständige Gerichtsvollzieher bekannt ist, kann dieser auch ohne Einschaltung der Gerichtsvollzieher-Verteilerstelle mit einer Zustellung beauftragt werden.
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Zustellung
VI. Zustellung von Anwalt zu Anwalt 1. Voraussetzungen Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, kann ein Schriftstück auch dadurch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das zu übergebende Schriftstück dem anderen Anwalt übermittelt (§ 195 ZPO). Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf andere Personen oder Behörden, denen nach § 174 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden kann, ist ausgeschlossen (Zöller/Schultzky § 195 ZPO Rz. 3).
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Im Einzelnen gelten für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt folgende Voraussetzungen:
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– Beide Parteien sind durch Anwälte vertreten; auch: Anwalt vertritt sich in eigener Sache; Anwalt ist Partei kraft Amtes, gesetzlicher oder organschaftlicher Vertreter. – Prozess- oder Zustellungsvollmacht liegt für das betreffende Verfahren, in dem die Zustellung erfolgen soll bzw. für die Zustellung selbst vor. – Das Schriftstück ist im Parteibetrieb zuzustellen oder zwar von Amts wegen zuzustellen, es sind aber mit der Zustellung keine gerichtlichen Anordnungen, wie etwa die Aufforderungen zur Klageerwiderung gem. § 253 Abs. 5 ZPO mitzuteilen. – Der zustellende Anwalt hat Zustellungsabsicht. Diese liegt vor bei: Zustellungsvermerk auf dem zu übergebenden Schriftstück; beigefügtem, vorbereitetem Empfangsbekenntnis. Sie fehlt bei: formloser Übersendung zur Information („Gegner hat Abschrift“); Zugang eines Widerrufs vor oder gleichzeitig mit Empfangnahme des Schriftstücks. – Der Empfänger muss unzweifelhaft den Willen äußern, den Schriftsatz zur Zustellung anzunehmen, was ggf. auch konkludent erfolgen kann (vgl. OLG Köln NJW-RR 1999, 882); zwar besteht keine verfahrensrechtliche, aber eine standesrechtliche Verpflichtung des gegnerischen Anwalts zur Empfangnahme eines Schriftstücks zur Zustellung und zur unverzüglichen Rücksendung des Empfangsbekenntnisses. 2. Verfahren Das zu übergebende Schriftstück (Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift) kann dem anderen Anwalt vom zustellenden Anwalt selbst ausgehändigt werden. Es kann aber auch durch die Post, einen Boten oder einen Gerichtsvollzieher (formlos) übermittelt werden. Das Schriftstück muss dem Empfänger persönlich oder dessen Bevollmächtigtem zugehen. Eine Ersatzzustellung, etwa an einen Kanzleimitarbeiter, ist ausgeschlossen. Die Zustellung ist erst dann bewirkt, wenn der Empfänger von dem Gewahrsam, den er an dem Schriftstück erlangt hat, Kenntnis erhält und das Schriftstück auch behalten will.
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Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt wurde (§ 195 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es gelten insoweit dieselben Grundsätze wie für das im Rahmen der Amtszustellung gem. § 174 ZPO abzugebende Empfangsbekenntnis (vgl. dazu Rz. 32). Auf Verlangen hat der zustellende Anwalt dem anderen Anwalt eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen (§ 195 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
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Riedel 517
ZPO
Kap. 26 Rz. 47
Zustellung
M 26.2
47 M 26.2 Empfangsbekenntnis In der Sache … / …, (Gz.: …, Amts-/Landgericht …) wurde mir heute durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers, Herrn Rechtsanwalt … die beglaubigte Abschrift des … vom … gem. § 195 ZPO zugestellt. … Ort, Datum
… Rechtsanwalt
48 M 26.3 Zustellungsbescheinigung In der Sache … / …, (Gz.: …, Amts-/Landgericht …) habe ich heute als Prozessbevollmächtigter des Klägers dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten, Herrn Rechtsanwalt … die beglaubigte Abschrift des … vom … gem. § 195 ZPO zugestellt. … Ort, Datum
… Rechtsanwalt
VII. Nachweis der Zustellung 1. Zustellungsurkunde
49 Die mit der Zustellung beauftragte Person, also der Mitarbeiter der Post, der Justizbedienstete oder der Gerichtsvollzieher, beurkundet die Zustellung und schafft damit einen Nachweis für deren Durchführung (§ 182 Abs. 1 ZPO). Die Beurkundung ist auf dem hierfür vorgesehenen Vordruck vorzunehmen (Zustellungsurkunde). Die in gerichtlichen Verfahren zu verwendenden Vordrucke für die Zustellung von Schriftstücken sind in der Zustellungsvordruckverordnung v. 12.2.2002 (BGBl. I, 671; zuletzt geändert mit VO v. 23.4.2004, BGBl. I, 619) beschrieben. Nach § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO gilt für die Zustellungsurkunde § 418 ZPO; bei der Zustellungsurkunde handelt es sich folglich um eine öffentliche Urkunde, die den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen begründet. Ein Gegenbeweis kann nach § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Die bloße Behauptung, ein Dokument nicht erhalten zu haben, kann daher den Beweis der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung nicht entkräften. Soweit die Geschäftsstelle des Gerichts eine Zustellung selbst ausführt, dient der Aktenvermerk iS des § 173 Satz 2 ZPO bzw. des § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO, das Empfangsbekenntnis iS des § 174 Abs. 1 Satz 2 ZPO sowie der Rückschein iS des § 175 Satz 2 ZPO als Nachweis der Zustellung.
50 Die Zustellungsurkunde muss gem. § 182 Abs. 2 ZPO folgende Angaben enthalten: – die Bezeichnung der Person, der zugestellt werden soll, also den Adressaten; – die Bezeichnung der Person, an die der Brief oder das Schriftstück übergeben wurde, also den Empfänger; – im Falle des § 171 ZPO die Angabe, dass die Vollmachtsurkunde vorgelegen hat; – im Falle der §§ 178, 180 ZPO die Angabe des Grunds, der diese Zustellung rechtfertigt und wenn nach § 181 ZPO verfahren wurde, die Bemerkung, wie die schriftliche Mitteilung abgegeben wurde (vgl. BGH MDR 2006, 589);
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Riedel
Zustellung
Rz. 55 Kap. 26
ZPO
– im Falle des § 179 ZPO die Erwähnung, wer die Annahme verweigert hat und dass der Brief am Ort der Zustellung zurückgelassen oder an den Absender zurückgesandt wurde; – die Bemerkung, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt ist; – den Ort, das Datum und auf Anordnung der Geschäftsstelle auch die Uhrzeit der Zustellung; – Name, Vorname und Unterschrift des Zustellers sowie die Angabe des beauftragten Unternehmens oder der ersuchten Behörde; die Unterschrift des Zustellers kann nachgeholt werden, die ergänzte Urkunde ist gem. § 419 ZPO frei zu würdigen (s. Rz. 51); – bei der Zustellung auf Betreiben einer Partei ist zusätzlich die Person zu benennen, in deren Auftrag die Zustellung erfolgte (§ 192 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine fehler- oder lückenhafte Erstellung der Zustellungsurkunde macht die Zustellung nicht unwirksam (BGH MDR 2008, 161). Anders als das Empfangsbekenntnis dient die Zustellungsurkunde nur dem Nachweis der Zustellung und stellt nicht deren notwendigen Bestandteil dar. Es bleibt dem Gericht überlassen, nach freier Überzeugung über die Beweiskraft einer mangelhaften Zustellungsurkunde zu entscheiden (§ 419 ZPO; BGH MDR 2008, 161).
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2. Zustellungsbescheinigung Der Zeitpunkt der Zustellung ist u.a. für die Feststellung des Beginns der Rechtsmittelfrist oder für die Zwangsvollstreckung erforderlich. Dieser Zeitpunkt ergibt sich bei einer von Amts wegen vorgenommenen Zustellung nur aus den Gerichtsakten. Soweit ein Verfahrensbeteiligter zB als Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung die Zustellung des Vollstreckungstitels an den Schuldner nachzuweisen hat, erteilt ihm die Geschäftsstelle auf Antrag eine Bescheinigung über die von Amts wegen erfolgte Zustellung (§ 169 Abs. 1 ZPO). In diesem Rahmen kann auch eine Abschrift der Zustellungsurkunde verlangt werden, die u.a. dann erforderlich ist, wenn ein Titel im Ausland für vollstreckbar erklärt werden soll (vgl. Kap. 102).
K
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Praxistipp: Zustellungsurkunden werden nach den einschlägigen Aufbewahrungsbestimmungen 53 nach fünf Jahren vernichtet. Ist abzusehen, dass ein Vollstreckungstitel im Ausland vollzogen werden muss, ist demzufolge die Anforderung einer beglaubigten Abschrift der Zustellungsurkunde anzuraten. Eine gerichtliche Bescheinigung über die erfolgte Zustellung reicht insoweit schon deshalb nicht aus, weil aus ihr nicht zu ersehen ist, auf welche Art und Weise die Zustellung erfolgte.
VIII. Heilung von Zustellungsmängeln Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Schriftstücks nicht nachweisen oder ist das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Schriftstück der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gem. gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich und nachweisbar zugegangen ist (§ 189 ZPO). Dies ist dann und zu dem Zeitpunkt der Fall, zu dem der Adressat das Schriftstück „in die Hand bekommen hat“ (BGH NJW 1989, 1154). Die Heilung eines Zustellungsmangels ist nicht dadurch gehindert, dass mit der mangelhaften Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden soll. Eine solche beginnt wie jede andere Frist gem. § 189 ZPO in dem Zeitpunkt, in dem der Adressat von dem zuzustellenden Schriftstück tatsächlich Kenntnis erlangt.
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Umstritten ist, ob sich die Heilung nur auf solche Mängel bezieht, die dem Zustellungsvorgang selbst anhaften (so BGH MDR 1987, 820; OLG Karlsruhe WM 2015, 1816; Zöller/Schultzky § 189 ZPO Rz. 9), oder auch solche Fälle einschließt, in denen das zuzustellende Schriftstück mangelhaft ist, weil es zB keine ordnungsgemäße Beglaubigung enthält (so BGHZ 15, 142; BGH MDR 1965,
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ZPO
Kap. 26 Rz. 56
Zustellung
117; BGH MDR 2017, 111). Der Mangel des Empfangswillens des Rechtsanwalts bei einer Zustellung nach § 195 ZPO kann jedenfalls nach § 189 ZPO nicht geheilt werden (vgl. BGH MDR 1989, 345).
IX. Besondere Zustellungsverfahren 1. Öffentliche Zustellung
56 Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung gem. § 185 ZPO erfolgen, wenn – der Aufenthaltsort einer Person (nicht notwendig Partei) unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist; – bei einer GmbH, AG, einer vergleichbaren Auslandsgesellschaft mit inländischer Zweigniederlassung sowie bei einer SE, also bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind (vgl. § 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG, § 37 Abs. 3 Nr. 1 AktG, § 13d HGB), eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, § 39 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 13e Abs. 3 HGB) oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist; – eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht oder – die Zustellung nicht erfolgen kann, weil der Ort der Zustellung die Wohnung einer Person ist, die nach den §§ 18–20 GVG der Gerichtsbarkeit nicht unterliegt (§ 185 ZPO).
57 Über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung entscheidet das Prozessgericht (§ 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Abweichend hiervon ist die öffentliche Zustellung nach der Systematik der Zustellungsvorschriften grundsätzlich von der Stelle anzuordnen, deren Entscheidung zugestellt werden soll. So obliegt es etwa dem Gerichtsvollzieher, die öffentliche Zustellung einer Terminsladung zur Abgabe der Vermögensoffenbarung zu bewilligen (BGH MDR 2018, 621). Dabei ist es zunächst Sache der Partei, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht darzulegen (BGH FamRZ 2012, 1376). Dies gilt auch dann, wenn die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist (BGH MDR 2013, 484). Hat das Gericht Zweifel an der Darstellung der Partei, ist es, sofern die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist, auch zu eigenen Überprüfungen verpflichtet (BGH FamRZ 2012, 1376; OLG Bamberg MDR 2013, 672 zur öffentlichen Zustellung eines Arrestbeschlusses).
58 Bewilligt das Prozessgericht die öffentliche Zustellung, obwohl objektiv die Voraussetzungen des § 185 ZPO nicht vorlagen, ist die vorgenommene Zustellung dennoch wirksam (vgl. BVerfG NJW 1988, 2361; BGH MDR 1992, 997). Durfte dagegen das bewilligende Gericht nach den ihm bekannten Tatsachen die Voraussetzung einer öffentlichen Zustellung nicht, jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen bejahen, kann sich hieraus uU die Unwirksamkeit der Zustellung ergeben (vgl. BGH MDR 2002, 600). Das gilt nicht, wenn der Antragsteller die Anschrift des Zustellungsadressaten arglistig verschwiegen hat (BGH NJW 2003, 1326).
59 Ist die öffentliche Zustellung gemessen an den Voraussetzungen des § 185 ZPO unwirksam, ist es dem von der Unwirksamkeit Begünstigten verwehrt, sich hierauf zu berufen, wenn er zielgerichtet versucht hat, eine Zustellung, mit der er sicher rechnen musste, zu verhindern. In einem solchen Fall ist das Berufen auf die Unwirksamkeit rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich (BGH MDR 2008, 995).
60 Ist die öffentliche Zustellung bewilligt, obliegt die weitere Ausführung der Geschäftsstelle des Gerichts. Sie hat für den öffentlichen Aushang an der Gerichtstafel ebenso Sorge zu tragen wie für die
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Riedel
Kap. 27
Fristen
M 26.4 Antrag auf Bewilligung der öffentlichen Zustellung
ZPO
Veröffentlichung im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern, die allerdings nur noch auf ausdrückliche Anordnung des Prozessgerichts vorgenommen wird (§ 187 ZPO).
61
An das Amts-/Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich namens und in Vollmacht des …, die öffentliche Zustellung der/des … (Beschreibung des Schriftstücks) an den/die … zu bewilligen. Der Zustellungsadressat ist unbekannten Aufenthalts. Weder eine entsprechende Nachfrage beim Einwohnermeldeamt des letzten bekannten Wohnortes noch eine schriftliche Anfrage beim letzten bekannten Arbeitgeber des Adressaten haben Anhaltspunkte auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort ergeben. Auch bei der Strafverfolgungsbehörde konnten keine entsprechenden Auskünfte erlangt werden. Kosten: Gericht: Für das Verfahren des Gerichts entstehen keine Gebühren (§ 1 GKG); Auslagen insbesondere nach Nr. 9004 KV GKG können anfallen.
2. Zustellung im Ausland Unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 (EuZustVO) über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen v. 13.11.2007 regeln die §§ 183, 184 die Zustellung im Ausland (vgl. dazu Kap. 101). Ist eine Zustellung im Ausland nicht möglich oder verspricht sie keinen Erfolg, kann gem. § 185 Nr. 3 ZPO die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen (Zöller/Schultzky § 185 ZPO Rz. 5). Im Anwendungsbereich der EuZustVO ist eine öffentliche Zustellung mangels entsprechender Regelungen nicht möglich. Nach Art. 1 Abs. 2 EuZustVO kommt die Verordnung nicht zur Anwendung, wenn die Anschrift des Empfängers unbekannt ist. Dies eröffnet die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO (vgl. EuGH IPRax 2013, 341).
Kapitel 27 Fristen I. 1. 2. 3. 4. II. III. 1. 2. 3.
Einzelne Arten von Prozessfristen . . . . . . Eigentliche und uneigentliche Fristen . . . . . Gesetzliche und richterliche Fristen . . . . . . Notfristen und so genannte Promptfristen . Sonstige Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätze der Fristberechnung . . . . . . . Fristenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung auf das Kanzleipersonal . . . . . Dokumentation, Überwachung der Frist . . . a) Dokumentation der Frist . . . . . . . . . . . .
1 1 3 6 9 12 14 14 16 22 22
IV. 1. 2. 3.
4.
b) Überwachung der Frist . . . . . . . . . . . . . c) Beispiel eines Fristenkalenders . . . . . . . Friständerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Disponible Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friständerung durch Parteivereinbarung . . Gerichtliche Friständerung . . . . . . . . . . . . a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einbeziehung des Mandanten . . . . . . . . . .
25 28 32 32 34 42 42 50 56 56
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Kap. 27
Fristen
M 26.4 Antrag auf Bewilligung der öffentlichen Zustellung
ZPO
Veröffentlichung im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern, die allerdings nur noch auf ausdrückliche Anordnung des Prozessgerichts vorgenommen wird (§ 187 ZPO).
61
An das Amts-/Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich namens und in Vollmacht des …, die öffentliche Zustellung der/des … (Beschreibung des Schriftstücks) an den/die … zu bewilligen. Der Zustellungsadressat ist unbekannten Aufenthalts. Weder eine entsprechende Nachfrage beim Einwohnermeldeamt des letzten bekannten Wohnortes noch eine schriftliche Anfrage beim letzten bekannten Arbeitgeber des Adressaten haben Anhaltspunkte auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort ergeben. Auch bei der Strafverfolgungsbehörde konnten keine entsprechenden Auskünfte erlangt werden. Kosten: Gericht: Für das Verfahren des Gerichts entstehen keine Gebühren (§ 1 GKG); Auslagen insbesondere nach Nr. 9004 KV GKG können anfallen.
2. Zustellung im Ausland Unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 (EuZustVO) über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen v. 13.11.2007 regeln die §§ 183, 184 die Zustellung im Ausland (vgl. dazu Kap. 101). Ist eine Zustellung im Ausland nicht möglich oder verspricht sie keinen Erfolg, kann gem. § 185 Nr. 3 ZPO die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen (Zöller/Schultzky § 185 ZPO Rz. 5). Im Anwendungsbereich der EuZustVO ist eine öffentliche Zustellung mangels entsprechender Regelungen nicht möglich. Nach Art. 1 Abs. 2 EuZustVO kommt die Verordnung nicht zur Anwendung, wenn die Anschrift des Empfängers unbekannt ist. Dies eröffnet die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO (vgl. EuGH IPRax 2013, 341).
Kapitel 27 Fristen I. 1. 2. 3. 4. II. III. 1. 2. 3.
Einzelne Arten von Prozessfristen . . . . . . Eigentliche und uneigentliche Fristen . . . . . Gesetzliche und richterliche Fristen . . . . . . Notfristen und so genannte Promptfristen . Sonstige Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätze der Fristberechnung . . . . . . . Fristenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung auf das Kanzleipersonal . . . . . Dokumentation, Überwachung der Frist . . . a) Dokumentation der Frist . . . . . . . . . . . .
1 1 3 6 9 12 14 14 16 22 22
IV. 1. 2. 3.
4.
b) Überwachung der Frist . . . . . . . . . . . . . c) Beispiel eines Fristenkalenders . . . . . . . Friständerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Disponible Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friständerung durch Parteivereinbarung . . Gerichtliche Friständerung . . . . . . . . . . . . a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einbeziehung des Mandanten . . . . . . . . . .
25 28 32 32 34 42 42 50 56 56
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Kap. 27 Rz. 1
Fristen
ZPO
I. Einzelne Arten von Prozessfristen 1. Eigentliche und uneigentliche Fristen
1 Fristen iS der §§ 221–225 ZPO und des § 16 FamFG sind Zeiträume, innerhalb deren die Prozessbeteiligten Prozesshandlungen vornehmen können oder müssen (vgl. BGH VersR 1985, 574). Gebräuchlich ist hierfür die Bezeichnung „eigentliche Fristen“.
2 Davon abzugrenzen sind sog. uneigentliche Fristen. Hierunter sind zum einen solche Fristen zu verstehen, die das Gesetz dem Gericht zur Vornahme von Amtshandlungen setzt, ohne dass die Missachtung einer solchen Frist unmittelbare Wirkungen auslöst (zB Frist, innerhalb derer ein Verkündungstermin zu bestimmen ist, § 310 Abs. 1 ZPO). Zum anderen zählen zu den uneigentlichen Fristen solche Zeiträume, die auch als absolute Fristen bezeichnet werden und letztlich dazu dienen, unabhängig von Handlungen der Parteien oder des Gerichts Rechtssicherheit zu gewährleisten (zB §§ 586 Abs. 2, 234 Abs. 3 ZPO). Auf die uneigentlichen Fristen sind die §§ 221–226 ZPO grundsätzlich nicht anzuwenden (BGHZ 32, 17, 27). Nur die Regelungen des § 222 ZPO finden entsprechende Anwendung, wobei eine absolute Frist entgegen § 222 Abs. 2 ZPO auch an einem Sonnabend, Sonn- oder Feiertag endet. 2. Gesetzliche und richterliche Fristen
3 Innerhalb der eigentlichen Fristen ist zu unterscheiden zwischen gesetzlichen Fristen, deren absolute Dauer und Beginn sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (zB Berufungsfrist, § 517 ZPO), und richterlichen Fristen, deren Dauer von dem Gericht festgesetzt wird (zB Erwiderungsfrist, § 275 Abs. 1 ZPO), wobei deren Mindest- bzw. Höchstdauer auch durch das Gesetz vorgegeben sein kann (zB § 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
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Wichtig: Zu beachten ist, dass die ZPO die einzelnen Fristen nicht ausdrücklich als gesetzliche oder richterliche Frist bezeichnet. Vielmehr ist anhand der genannten Kriterien (Rz. 1, 2) zu klären, um welche Art von Frist es sich jeweils handelt. Wichtig ist diese Qualifizierung zB deshalb, weil nach § 224 ZPO die Verlängerung einer gesetzlichen Frist nur dann in Betracht kommt, wenn dies im Gesetz besonders bestimmt ist (zB § 520 Abs. 2 ZPO). Für die Verlängerung richterlicher Fristen genügt es dagegen, wenn hierfür erhebliche Gründe glaubhaft gemacht werden.
5 K
Wichtig: Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist durch die Neuregelung im ZPO-RG für die Anschlussberufung eine richterliche Frist geworden; sie läuft parallel zur Frist für die Beantwortung der Berufung. Eine Ausnahme gilt für den Fall des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO; jene Frist ist zur eigentlichen Frist (s. Rz. 1) mutiert. Da richterliche Fristen neu gesetzt werden können, ist fraglich, ob bei der unverschuldeten Versäumung der Frist für die Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) eine Wiedereinsetzung in die Frist in Betracht kommt; oder: die Säumnis dadurch beseitigt werden kann, dass der Richter die Frist für die Beantwortung der Berufung neu setzt.
3. Notfristen und so genannte Promptfristen
6 Weiterhin abzugrenzen sind innerhalb der eigentlichen Fristen die sog. Notfristen von den sonstigen Fristen, wobei als Notfristen solche Fristen zu verstehen sind, die vom Gesetz ausdrücklich als Notfristen bezeichnet werden (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Als Notfrist sind regelmäßig nur gesetzliche Fristen ausgewiesen. In den Fällen der §§ 276 Abs. 1 Satz 3 und 339 Abs. 2 ZPO stellen die dort genannten richterlichen Fristen allerdings ebenfalls Notfristen dar.
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Riedel
Fristen
Rz. 12 Kap. 27
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Der Begriff Promptfrist ist für solche Fristen gebräuchlich, bei deren Versäumung Rechtsnachteile drohen (vgl. BGH NJW 1989, 2393). Bedeutung hat der Begriff Promptfrist insbesondere im Zusammenhang mit der Führung des Fristenkalenders.
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ZPO
Wird eine Notfrist versäumt, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, soweit die Partei an der Fristversäumung kein Verschulden trifft (§ 233 ZPO). Die Heilung von Zustellungsmängeln gem. § 189 ZPO tritt auch ein, wenn mit der (mangelhaften) Zustellung eine Notfrist in Gang gesetzt wird.
4. Sonstige Fristen Eine Sonderstellung nehmen solche Fristen ein, die – wie die Ladungsfrist (§ 217 ZPO), die Einlas- 9 sungsfrist (§ 274 Abs. 3 ZPO) oder die Frist nach § 132 ZPO – nicht dazu bestimmt sind, einen zeitlichen Rahmen für Partei- bzw. Gerichtshandlungen vorzugeben, sondern vielmehr der allgemeinen Vorbereitung auf einen Termin dienen und auch als Zwischenfristen bezeichnet werden (aA die hM, die die Zwischenfristen als gesetzliche Fristen ansieht, dabei aber außer Acht lässt, dass das Gesetz diese Fristen nur mit ihrer Mindestdauer normiert und es mithin dem Gericht überlässt, längere Zeiträume zu bestimmen, was bei gesetzlichen Fristen aber nur im Rahmen des § 224 Abs. 2 ZPO möglich ist). Letztlich kommt der systematischen Einordnung der genannten Zwischenfristen aber keine allzu große Bedeutung zu. Nur die allerorts nachzulesende Aussage, dass zB die Ladungsfrist nach § 217 ZPO nicht verlängert werden kann, weil es sich um eine gesetzliche Frist handle, ist missverständlich. Wenn zwischen der Zustellung der Ladung und dem Termin mindestens eine Woche liegen soll, so ist das Gericht wohl kaum gehindert, einen längeren Zeitraum verstreichen zu lassen. Auch ist über eine Terminsänderung nach § 227 ZPO faktisch eine Verlängerung der Ladungs- bzw. der Einlassungsfrist (§ 274 ZPO) möglich. Gemeint sein kann hier wohl nur, dass das Gericht die Mindestfrist nicht verlängern und sich somit nicht selbst eine längere Fristdauer auferlegen kann. Als berechnete Frist bezeichnet man eine Frist, deren Ablaufdatum – wie etwa bei der Einräumung einer Wochen- oder Monatsfrist – aus der Angabe eines bestimmten Zeitraums zu errechnen ist. Im Gegensatz dazu steht die datierte Frist, deren Ablaufdatum kalendarisch bestimmt ist.
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Kein echtes Abgrenzungsmerkmal stellt der Begriff der Ausschlussfrist dar. Eine solche ist immer dann gegeben, wenn die Versäumung einer Frist gem. § 230 ZPO zur Folge hat, dass die säumige Partei mit der vorzunehmenden Prozesshandlung ausgeschlossen wird. Dies trifft im Prinzip auf alle eigentlichen Fristen zu.
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II. Grundsätze der Fristberechnung Ausgehend von dem Zeitpunkt des Fristbeginns und unter Berücksichtigung der Fristdauer ist das Ende einer Frist zu bestimmen. Der Fristbeginn ergibt sich bei gesetzlichen Fristen unmittelbar aus dem Gesetz (zB § 517 ZPO); wobei ggf. für die Ermittlung des Fristbeginns § 189 ZPO (Heilung eines Zustellungsmangels) heranzuziehen ist. Richterliche Fristen beginnen gem. § 221 ZPO entweder mit der Zustellung des Schriftstückes, in dem die Frist festgesetzt ist, mit dem Zeitpunkt, in dem die mangelhafte Zustellung geheilt ist (§ 189 ZPO), oder mit der Verkündung der Frist. Die Dauer der Frist wird durch das Gesetz bzw. das Gericht bestimmt. Hinsichtlich der Berechnung des Fristendes sind die Regelungen des BGB anzuwenden (§ 222 Abs. 1 ZPO; § 16 Abs. 2 FamFG), insbesondere die §§ 187, 188 BGB. Danach ist als Ende einer Tagesfrist der Ablauf des letzten Tages der Frist zu bestimmen (zB Ladungszustellung am 15.5., Ende der dreitägigen Ladungsfrist damit am 18.5., 24.00 Uhr). Eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist endet an dem Tag, der durch seine Benennung (Wochenfrist) oder durch seine Zahl (Monatsfrist) dem Anfangstag entspricht (zB Klagezustellung am Montag, 15.5., Ende der zweiwöchigen Erwiderungsfrist somit am Montag, 29.5., 24.00 Uhr; Urteilszustellung am 15.5., Ende der einmonatigen Berufungsfrist somit am 15.6., 24.00 Uhr).
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Kap. 27 Rz. 13
Fristen
ZPO
13 Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 222 Abs. 2 ZPO). Dies gilt auch für datierte Fristen, also für Fristen, deren Ende mit einem Datum bestimmt ist (BVerfG FamRZ 2013, 1876).
III. Fristenverwaltung 1. Bedeutung
14 Die Versäumung von Fristen kann zu Rechtsverlusten führen, die letztlich nicht mehr reparabel sind. Die Partei, deren Bevollmächtigter eine Frist verstreichen lässt, ist so zu behandeln, als ob sie selbst die Frist versäumt hätte. Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Ein Wiedereinsetzungsantrag (vgl. hierzu Kap. 71) der Partei ist demnach unbegründet, wenn ihren Anwalt an der Fristversäumung ein Verschulden trifft (vgl. BGH NJW 1994, 3171; Müller, Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 1998, 497), was im Innenverhältnis regelmäßig zu Schadensersatzansprüchen des Mandanten gegen seinen Anwalt führt.
15 Besondere Bedeutung erhält die Fristenberechnung der Verjährungsfristen dadurch, dass durch die Rechtsverfolgung die Verjährungsfristen nicht mehr unterbrochen, sondern lediglich gehemmt werden (§ 204 Abs. 1 BGB). Die Hemmung hat lediglich die Wirkung, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungszeit nicht eingerechnet wird (§ 209 BGB). Die Verjährung beginnt, mit Ausnahme der in § 212 BGB genannten Fälle, also nicht neu. Der Ablauf der Verjährungsfrist muss unter Berücksichtigung der Maßnahmen der Rechtsverfolgung und der Bestimmungen über die Hemmung laufend neu berechnet werden. 2. Übertragung auf das Kanzleipersonal
16 Es gehört zu den vordringlichen Aufgaben eines Anwalts, für die Einhaltung von Fristen Sorge zu tragen. Auf welche Art und Weise dies geschieht, bleibt grundsätzlich dem Anwalt überlassen.
17 Möglich und durchweg üblich ist es, mit der Eintragung und Überwachung von Fristen entsprechend geschultes und überwachtes Personal zu beauftragen (BGH VersR 1983, 753). Um sich nicht dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens auszusetzen, hat der Anwalt aber Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, Fristversäumungen möglichst auszuschließen (BGH NJW-RR 1992, 826). Dabei kann der Rechtsanwalt grundsätzlich davon ausgehen, dass innerhalb der Kanzlei getroffene Anordnungen von den dort Beschäftigten auch befolgt werden (BGH NJW-RR 1995, 58; FamRZ 1996, 1468; NJW-RR 1999, 429; MDR 2008, 331); dies gilt auch für mündlich erteilte Einzelanweisungen (BGH NJW 1988, 1853). Es müssen allerdings Vorkehrungen getroffen werden, dass derartige mündlich erteilte Einzelanweisungen nicht in Vergessenheit geraten (BGH BGHR 2004, 263).
18 Ein Rechtsanwalt genügt seinen Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Eintragung und der Überwachung von Fristen, wenn er einer erfahrenen und zuverlässigen Büroangestellten die allgemeine Anweisung erteilt, eine Rechtsmittelfrist nach Berechnung stets zunächst im Fristenkalender und erst anschließend in der Handakte zu notieren. Die Befolgung dieser allgemeinen Anweisung braucht von dem Rechtsanwalt nicht im Einzelfall überprüft zu werden (BGH NJW-RR 1998, 1139; NJW-RR 1987, 710).
19 Die Führung des Fristenkalenders sollte regelmäßig einem oder allenfalls einigen wenigen bestimmten qualifizierten Mitarbeitern übertragen werden. Bleibt die Eintragung und Überwachung von Fristen dem gesamten Personal überlassen, so kann dies im Einzelfall ein Organisationsverschulden des Anwalts darstellen (vgl. BGH NJW 1992, 3176; VersR 1981, 276).
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Rz. 25 Kap. 27
Grundsätzlich kann auch die Berechnung zumindest der üblichen Routinefristen dem gut ausgebilde- 20 ten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen werden (BAG NJW 1995, 3339). Sind mit der Fristberechnung jedoch rechtliche Schwierigkeiten verbunden, wie dies zB bei sog. Anschlussfristen der Fall sein kann (zB § 517 Halbs. 2 ZPO), so ist die Fristberechnung durch den Anwalt selbst vorzunehmen. In der Praxis ist mitunter festzustellen, dass sich die in einer Anwaltskanzlei Beschäftigten zeitlich versetzt darin abwechseln, die Verantwortung für eine Fristversäumung zu übernehmen. Dabei werden zB im Rahmen des § 236 Abs. 2 ZPO auch eidesstattliche Versicherungen abgegeben, in denen sich die Beschäftigten bezichtigen, eine klare Kanzleianweisung nicht befolgt zu haben. Ob mit derartigen Erklärungen eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist erreicht werden kann, erscheint zweifelhaft (vgl. BGH NJW-RR 2013, 1008).
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3. Dokumentation, Überwachung der Frist a) Dokumentation der Frist Zunächst ist die jeweils zu beachtende Frist in einer Weise festzuhalten, die Gewähr dafür bietet, dass 22 die Frist eingehalten wird. Hierzu wird die Führung eines Fristenkalenders dienen, der sinnvollerweise in gebundener Form vorzuliegen hat. Verwendet ein Rechtsanwalt einen EDV-gestützten Fristenkalender, muss er durch eine hinreichende Kontrolle gewährleisten, dass Eingaben von Datensätzen, die von dem entsprechenden Programm nicht ausgeführt worden sind, rechtzeitig erkannt werden. Eine hinreichende Kontrolle ist zB dann gewährleistet, wenn Eingaben von Datensätzen nach jedem Eingabevorgang in einem Ausdruck festgehalten und kontrolliert oder durch die Ausgabe eines Fehlerprotokolls, das die nicht ausgeführten Eingaben in einer Liste erfasst, überprüft werden (BGH NJW 1995, 1756). Zudem muss das Programm als erledigt gekennzeichnete Fristen am Tage des Fristablaufs – trotz Erledigung der Frist – im Fristenkalender anzeigen, damit bei der Endkontrolle versehentlich gelöschte Fristen noch erkannt werden können (BGH NJW 2000, 1957). Jedoch ist es nicht erforderlich, als Vorsorge für etwaige Störungen des EDV-gestützten Fristenkalenders zusätzlich einen schriftlichen Fristenkalender zu führen (BGH MDR 1997, 297). Allerdings muss gewährleistet sein, dass eine entsprechende Servicefirma im Störfall notwendige Reparaturen unverzüglich durchführt oder den Versuch unternimmt, vor der Reparatur dafür zu sorgen, dass die gespeicherten Fristen ausgegeben werden.
23
Neben der Dokumentation in einem Fristenkalender ist die Frist auch in der Handakte zu vermerken. Hier bietet es sich an, auf dem Aktenumschlag einen entsprechenden auffälligen Hinweis anzubringen. Die Wiedervorlage des Vorgangs sollte so verfügt werden, dass ggf. auch unter Berücksichtigung der Postlaufzeit ausreichend Zeit bleibt, die innerhalb der Frist abzugebenden Erklärungen abzufassen. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung an das Kanzleipersonal, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann (BGH v. 6.2.2018 – II ZB 14/17).
24
b) Überwachung der Frist Welche einzelnen Vorkehrungen seitens des Anwalts zu treffen sind, um Fristversäumungen zu verhindern, wird durch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs u.a. dahingehend konkretisiert, dass eine Ausgangskontrolle zu schaffen ist, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen.
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ZPO
Fristen
Kap. 27 Rz. 26
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Wichtig: Der Rechtsanwalt muss demgemäß sicherstellen, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt ist (BGH VersR 2000, 1387; NJW 1996, 1540; VersR 1993, 772). Der Eintrag des endgültigen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender ist erst zulässig, wenn eine beantragte Fristverlängerung tatsächlich gewährt wurde (BGH MDR 2008, 97). Durch entsprechende organisatorische Maßnahmen muss Gewähr dafür bestehen, dass vor der Streichung einer Frist durch die Kontrolle der entsprechenden Akte oder des postfertigen, die Frist erledigenden Schriftsatzes nochmals überprüft wird, ob die Streichung vorgenommen werden kann (BGH VersR 1994, 703). Hierzu kann auch die Anordnung einer abendlichen Erledigungskontrolle anhand des Fristenkalenders dienen.
27 Soweit das fristwahrende Schriftstück durch Telefax übermittelt wird, endet die anwaltliche Pflicht, Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen soweit wie möglich auszuschließen, erst, wenn feststeht, dass der Schriftsatz auch wirklich übermittelt worden ist (vgl. BGH NJW 1993, 1655). Zur korrekten Büroorganisation gehört die Anweisung an das Kanzleipersonal, die Fax-Nr. der jeweiligen Empfangsstellen auf dem Laufenden zu halten (BGH MDR 2005, 1367). Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax erfüllt der Rechtsanwalt seine Pflicht zu einer wirksamen Ausgangskontrolle nur dann, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (BGH MDR 2013, 1328). Siehe dazu auch Kap. 28 Rz. 29 ff. c) Beispiel eines Fristenkalenders
28 Es empfiehlt sich, die Notfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen mit rotem Stift (im folgenden Muster fett hervorgehoben), die übrigen Promptfristen mit grünem Stift (im Muster kursiv) und Vorfristen mit blauem Stift (im Muster in normaler Schrift) einzutragen, auch wenn eine farbliche Unterscheidung nicht zwingend erforderlich ist (vgl. BGH NJW 1989, 2393). Darüber hinaus ist es ebenfalls empfehlenswert, die Not- und Promptfristen in einem nur für diese Fristen bestimmten Kalender zu notieren (im Bürofachhandel, der sich speziell an Anwälte richtet, gibt es dafür rot eingebundene Kalender). Geschieht dies nicht, kann dies uU einen Organisationsmangel darstellen, wenn die Not- und Promptfristen mit üblichen Wiedervorlagefristen verwechselt werden können (vgl. dazu BGH NJW 1989, 2393). Ist die Berufungsbegründungsfrist errechnet und befindet sich in den Handakten ein Vermerk über die Notierung der Frist im Fristenbuch, kann sich der Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken und braucht nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist, außer es drängen sich an der Richtigkeit Zweifel auf (BGH MDR 2017, 1380).
29 Die Führung des Kalenders und die Überwachung der Fristen ist stets ein- und demselben qualifizierten Mitarbeiter und ggf. dessen Vertreter zu übertragen, weil Kompetenzüberschneidungen Fehlerquellen eröffnen (vgl. BGH NJW 1992, 3176; s. auch Rz. 19) und anhand des Kalenders für den Antrag auf Wiedereinsetzung nachvollzogen werden können muss, wer welche Eintragung oder Streichung vorgenommen hat. Wechseln sich Fristenführer und Vertreter etwa im Falle des Urlaubs ab, sollte die Übernahme der Führung des Kalenders deshalb auch an geeigneter Stelle im Kalender jeweils vermerkt werden.
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Rz. 30 Kap. 27
Fristen
M 27.1 Beispiel eines sorgfältig geführten Not- und Promptfristenkalenders Kalender übernommen Frau Schöne1
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30
ZPO
M 27.1
Kap. 27 Rz. 30
ZPO
M 27.1
Fristen
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1 Vermerk über die Übernahme der Fristeneintragung durch die Mitarbeiterin Schöne am 14.3. d.J. Anhand des Eingangsstempels auf dem Urteil – etwa 15.3. d.J. – und der Eintragung, dass das Notieren der Fristen am 14.3. d.J. von der Mitarbeiterin Schöne übernommen worden ist, lässt sich jederzeit nachvollziehen, dass für das Notieren der Berufungsfrist, die aufgrund des „Eingangs“, also der Zustellung des Urteils am 15.3. d.J. zu vermerken war, Frau Schöne zuständig war. Darüber hinaus ist durch den Vermerk über die Übernahme des Fristkalenders durch Frau Schöne klargestellt, dass Frau
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Rz. 30 Kap. 27
Schöne ab 14.3. d.J. dafür verantwortlich war, auf die Einhaltung der notierten Fristen zu achten. Der Vermerk über die Übernahme der Verantwortung für die Führung des Fristenkalenders hat sein Vorbild in der Urkundenrolle der Notare, in der die Übernahme der Geschäfte durch den Vertreter ebenfalls zu kennzeichnen ist; der Vermerk folgt der Anforderung, die BGH VersR 1993, 772 stellt. Diese Eintragung betrifft die Berufungsfrist (= Ber) in der Sache Roller gegen Dose. Der Vermerk „einger. 13.3.“ besagt, dass die Berufungsschrift am 13.3. d.J., also einen Tag vor Fristablauf eingereicht worden ist. Der (blaue) Querstrich hat die Bedeutung, dass das fristwahrende Schriftstück in den Umschlag gelegt worden ist, den der Bote anschließend sofort zum Gericht oder auf die Post bringt (vgl. BGH NJW 1997, 3446; NJW-RR 1998, 1604). Mit dem – waagerechten – Durchstreichen der Frist wird die – und nur diese – Frist auch mit einem „senkrechten Strich“ versehen (vgl. die Eintragung am 15.3. d.J., Fn. 3). Sinn dieses Vermerks ist: Sind alle Fristen des Tages erledigt, durchzieht den Kalender ein durchgehender senkrechter Strich, wie dies in der Eintragung am 14.3. d.J. zu erkennen ist. Sind viele Fristen an einem Tag notiert, fällt die noch unerledigte Frist nicht nur durch das Fehlen des waagerechten „Erledigungsvermerks“, also des waagerechten „Strichs“, sondern noch viel deutlicher dadurch ins Auge, dass der senkrechte „Balken“ genau an der Stelle unterbrochen ist, an der die unerledigte Frist eingetragen ist. Peter gegen Rust, Berufungserwiderung. Diese für den 15.3. d.J. notierte Frist ist bereits erledigt und daher sowohl waagerecht durchgestrichen als auch mit einem senkrechten Strich versehen worden. Vermerk über die Frist für die Berufungsbegründung (= BB) in der Sache Werner gegen Klimpel. Oberhalb der Fristnotierung ist eingetragen, dass die Frist – auf Antrag – bis zum 14.4. d.J. verlängert (= verl) und umgetragen worden ist auf den 14.4. d.J.; die Frist ist für den Zeitpunkt des Fristablaufs, der gem. Berechnung zum 14.3. d.J. eingetragen war, erledigt. Wird der Antrag auf Verlängerung der Frist eingereicht, muss beim Streichen der Frist das voraussichtliche Ende der verlängerten Frist sogleich im Fristenkalender notiert werden. Das vorsorgliche Notieren des Endes der gemäß Antrag zu verlängernden Frist ist Pflicht (BGH VersR 1998, 77; NJW 1996, 2514; NJW 1994, 458). Das gilt auch dann, wenn der fristwahrende Schriftsatz dem Gericht direkt überbracht wird (BGH FamRZ 1994, 437). Sobald die Verfügung des Richters über die Fristverlängerung zugestellt worden ist, muss die Fristeintragung überprüft und ggf. korrigiert werden (NJW 1996, 2514; BGH MDR 2008, 97; NJW 1994, 458). Die Rechtsprechung verlangt, dass das wahre Ende der Frist im Kalender eingetragen ist (BGH NJW-RR 1998, 1526; VersR 1997, 642). Vermerk über die Frist für die Berufungsbegründung in Sachen Meier gegen Wagner. Die Berufungsbegründung ist am 10.3. d.J. eingereicht. Die Frist ist erledigt. Der Fristeintrag erfolgte im Zeitpunkt der Zustellung des mit der Berufung anfechtbaren Urteils (§ 520 Abs. 2 ZPO). Wie Fn. 5. Vermerk über die Frist für die Berufungserwiderung (= BE) in Sachen Stange gegen Müller. Die Berufungserwiderung ist am 14.3. d.J. eingereicht; die Frist ist erledigt. Wie Fn. 2. Vorfrist für die Berufungsfrist in Sachen Ludwig ./. Siemers. Vorfristen sind zu notieren (BGH VersR 1985, 148; NJW 1994, 2831). Auf welchen Zeitpunkt die Vorfrist notiert werden muss, richtet sich nach den Gegebenheiten der Kanzlei. In Sachen, in denen die fristwahrenden Schriftstücke per Post versandt werden, muss die Vorfrist weiträumiger vor dem Zeitpunkt des Fristablaufs notiert werden, als bei Sachen, in denen das fristwahrende Schriftstück mit dem Boten dem Gericht am Tag des Fristablaufs abgeliefert werden kann. Allgemeine Grundsätze lassen sich daher nur eingeschränkt aufstellen. Bewährt hat sich, eine Vorfrist 10 Werktage vor Fristablauf und eine weitere Frist, 3 Werktage vor Fristablauf, zu notieren. Hier ist die Vorfrist 3 Tage vor Fristablauf notiert. Sie ist zur Unterscheidung gegenüber der 10 Tage vor Fristablauf notierten unterhalb des Vermerks „(Ber)“ in der Farbe der Frist (hier also rot, s. Rz. 24) unterstrichen. Vorfrist zur Berufungsbegründung vgl. dazu im Übrigen Fn. 9. Vorfrist zur Berufungserwiderung; sonst wie Fn. 9. Vorfrist 10 Werktage vor Fristablauf Berufungsbegründung. Vorfrist 10 Werktage vor Fristablauf Berufungsantwort. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Kanzleiorganisation sicherzustellen, dass am Abend des jeweiligen Tages, die Erledigung fristgebundener Sachen kontrolliert wird (BGH NJWRR 1998, 1604; BGHR Fristenkontrolle 30, 31 zu § 233 ZPO; VersR 1993, 1420). Der durchgehende senkrechte Balken, der die Eintragungen des Tages als Erledigungsvermerk durchzieht, stellt sicher, dass keine unerledigte Frist übersehen worden ist. Vgl. dazu die Abbildung der auf den 16.3. d.J. eingetragenen und erledigten Fristen.
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ZPO
M 27.1
ZPO
Kap. 27 Rz. 31
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M 27.1
15 Berufungsbegründungsfrist in Sachen Herzog gegen Steudt. Da in der Kanzlei mehrere Verfahren mit demselben Rubrum existieren, muss zur Differenzierung das Aktenzeichen der Sache, in der die Frist läuft, zusätzlich notiert werden (BGH NJW 1995, 2562). 16 Vorfrist zur Erklärungsfrist oder Frist zur Stellungnahme (= St) in Sachen Meinert gegen Ludwig. 17 Frist für die Erinnerung (= Erinn.) gegen einen Beschluss in Sachen Hofstatt gegen Lohse. 18 Frist für den Widerruf eines Vergleichs. 19 Wie Fn. 2. 20 Ist der Tag des Eingangs der fristgebundenen Schriftstücke bei Gericht festgestellt – vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 4 – und nunmehr anhand des Eingangsdatums kontrolliert, dass die verlängerten Fristen zutreffend notiert oder umgetragen worden sind, wird die entsprechende Seite des Kalenders mit der „Schlangenlinie“ versehen. Derjenige, der die Verantwortung für den Fristenkalender hat, hat dadurch – selbst im Falle der unvorhergesehenen Übernahme der Fristenverantwortung etwa wegen Krankheit – stets die Übersicht, ob noch die Eintragung von Berufungsbegründungsfristen zu kontrollieren und entsprechende Fristen umzutragen sind.
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Praxistipp: Über die vorgenannten Fristen hinaus müssen im Not- und Promptfristenkalender folgende Fristen notiert werden, wobei bei den gewählten Abkürzungen darauf zu achten ist, dass sie leicht verständlich sind und keine Gefahr der Verwechslung eröffnen: – Revisionsfrist (Rev.) – Revisionsbegründungsfrist (RB) – Nichtzulassungsbeschwerde (NiZulB) – Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (NiZulBegr.) – Frist für die sofortige Beschwerde (SBeschw) – Verjährungsfrist (Verj) – Einspruchsfrist für Versäumnisurteil und Vollstreckungsbescheid (Einspr.) – Widerspruchsfrist (Wspr.) – Frist für die Urteilsergänzung (UE) – Frist für die Tatbestandsberichtigung (TB) – Frist für die Wiedereinsetzung (WE) – Frist für die Vollziehung des Arrestes und der einstweiligen Verfügung (Vollz) – Frist für die Verteidigungsanzeige (VertA) – Frist für die Klageerwiderung (KlE) – Frist für die Kündigungsschutzklage (KüKl) – Monatsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG (WEGM) – Frist zur Stellungnahme [auf ein Gutachten eines Sachverständigen, auf einen Schriftsatz des Gegners etc.] (StN) – alle weiteren Fristen, deren Nichteinhaltung Rechtsnachteile nach sich ziehen kann.
IV. Friständerung 1. Disponible Fristen
32 Grundsätzlich können sowohl gesetzliche als auch richterliche Prozessfristen abgekürzt bzw. verlängert werden, auch soweit es sich um Ausschlussfristen handelt (aA: Zöller/Feskorn § 224 ZPO Rz. 1; 530
Riedel
M 27.2
Fristen
Rz. 39 Kap. 27
Veränderbar in der Form einer Abkürzung sind weiterhin die Einlassungs- und Ladungsfristen sowie diejenigen Fristen, die für die Zustellung vorbereitender Schriftsätze (§ 132 ZPO) bestimmt sind (§ 226 ZPO). Zur Verlängerung dieser Fristen vgl. Rz. 9.
ZPO
zweifelnd: BGH MDR 2010, 42); gesetzliche Fristen allerdings nur dann, wenn deren Änderungsmöglichkeit im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (§ 224 Abs. 2 ZPO; zB: § 520 Abs. 2 ZPO, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist). Ausgenommen von der Möglichkeit einer Änderung sind die Notfristen (§ 224 Abs. 1 ZPO) sowie die sog. uneigentlichen Fristen, auf die § 224 ZPO keine Anwendung findet. Sie können weder abgekürzt noch verlängert werden. In Verfahren nach dem FamFG ist § 224 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO entsprechend anwendbar; nicht jedoch § 224 Abs. 1 ZPO (§ 16 Abs. 2 FamFG). Für Ehe- und Familienstreitsachen enthält § 113 FamFG dagegen keine Einschränkung der Anwendbarkeit des § 224 ZPO.
33
2. Friständerung durch Parteivereinbarung Gemäß § 224 Abs. 1 ZPO genügt für die Abkürzung einer disponiblen Frist die (formlose) Vereinbarung der Parteien. Die praktisch bedeutsame Verlängerung einer Frist sowie deren einseitig verfolgte Abkürzung kann dagegen nur durch das Gericht bzw. den Vorsitzenden erfolgen.
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K
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Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Zustimmung zur Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO) keine Parteivereinbarung über den Ablauf der Frist darstellt. Die Zustimmung ist vielmehr Voraussetzung dafür, dass es auf die Gründe, die für die Verlängerung gem. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erforderlich sind, nicht ankommt. Die Zustimmung ist bedeutsame Prozesserklärung und sollte deshalb dokumentiert werden, wenn sie selbst eingeholt wird.
Die Vereinbarung über die Verlängerung einer Frist kann außergerichtlich getroffen werden und wäre 36 ggf. mit der Einrede geltend zu machen. Praktische Relevanz hat die Friständerung durch Parteivereinbarung nur in Bezug auf die Widerrufsfrist hinsichtlich eines Prozessvergleichs. Hier sieht der BGH (BGHZ 61, 394, 398) über den Wortlaut des § 224 Abs. 1 ZPO hinaus die Parteien auch als allein berechtigt an, über die Verlängerung der Widerrufsfrist zu disponieren (vgl. auch OLG Hamm NJW-RR 1992, 121). Die Änderung der Widerrufsfrist setzt voraus, dass diese noch nicht abgelaufen ist. Die Verlängerung wie die Abkürzung einer Vergleichswiderrufsfrist bedarf nicht derselben Form, die 37 für die ursprüngliche Fristvereinbarung galt. Mithin ist die Vereinbarung nicht zu protokollieren, unterliegt aber als Verfahrenshandlung dem Anwaltszwang (vgl. Zöller/Geimer § 794 ZPO Rz. 10c).
M 27.2 Vereinbarung über die Verlängerung der Widerrufsfrist eines Vergleichs
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) vereinbaren wir hiermit die Verlängerung der Frist für den Widerruf des am 17.5.2019 vor dem Landgericht protokollierten Vergleichs bis zum 30.7.2019 Für die Klägerin … Rechtsanwalt
K
Für den Beklagten … Rechtsanwalt
Praxistipp: Die verlängerte Frist sollte stets ihren Endzeitpunkt ausweisen. Die Angabe eines Zeitraums kann zu Problemen bei dessen Berechnung führen (vgl. BGH MDR 2006, 588).
Riedel 531
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Kap. 27 Rz. 40
Fristen
M 27.3
ZPO
40 Die Vereinbarung ist dem Gericht zweckmäßigerweise vor Ablauf der Widerrufsfrist zur Kenntnis zu bringen, damit keine Zweifel darüber aufkommen können, ob die Vereinbarung vor Ablauf der Widerrufsfrist getroffen worden ist.
41 M 27.3 Vereinbarung über die Verlängerung der Widerrufsfrist eines Vergleichs
durch gleichlautende Schriftsätze In Sachen … / … (Kurzrubrum) haben die Prozessbevollmächtigten der Parteien die Frist für den Widerruf des am 17.5.2019 geschlossenen und zu Protokoll genommenen Vergleichs bis zum 30.7.2019 einverständlich verlängert. Ich bringe dies dem Gericht hiermit zur Kenntnis. Rechtsanwalt (der Klägerin) In Sachen … / … (Kurzrubrum) bestätige ich, dass die Frist für den Widerruf des Vergleiches, dem die Parteien am 17.5.2019 haben protokollieren lassen, bis zum 30.7.2019 einverständlich verlängert worden ist. Rechtsanwalt (des Beklagten)
3. Gerichtliche Friständerung a) Antrag
42 Eine gerichtliche Verlängerung oder (in der Praxis wohl eher unbedeutende) Abkürzung einer veränderbaren Prozessfrist setzt einen entsprechenden schriftlichen Antrag voraus (§ 225 ZPO; vgl. BGH NJW 1985, 1558), soweit der Antrag nicht in einem Termin gestellt wird. Der Antrag muss vor Ablauf der Frist, auf deren Veränderung er gerichtet ist, bei Gericht eingehen (vgl. BGH MDR 1982, 637; MDR 1992, 407). Die entsprechende Entscheidung kann auch nach Ablauf der ursprünglichen Frist ergehen, soweit nicht deren Abkürzung verfolgt wird, da sich insoweit eine Entscheidung erübrigt. Im Anwaltsprozess besteht für den Antrag Anwaltszwang (§ 78 ZPO).
43 Der Antrag, der auf eine Friständerung abzielt, hat den Zeitraum zu benennen, um den die Frist verlängert bzw. verkürzt werden soll. Dabei muss sich die Zeitspanne, um die eine Frist verlängert werden soll, orientieren an der Dauer der ursprünglichen Frist, an dem mit der fristwahrenden Handlung verbundenen Zeitaufwand und an dem jeweiligen Hindernis, das einem fristgerechten Vorgehen entgegensteht. Daneben sind erhebliche Gründe darzulegen und auf gerichtliche Anforderung glaubhaft zu machen (§ 224 Abs. 2 ZPO).
44 Zu den erheblichen Gründen, die eine Fristverlängerung rechtfertigen (vgl. hierzu auch Kap. 67 Rz. 5 ff.), zählen u.a. die berufliche Überlastung, bzw. besonders starke Arbeitsbelastung des Prozessbevollmächtigten (vgl. BGH NJW-RR 1989, 1280; NJW 1991, 2080). Einer weiter gehenden Glaubhaftmachung einer solchen Situation bedarf es nicht. Auch muss die starke Arbeitsbelastung nicht auf die konkrete Sache näher substantiiert werden (vgl. BAG MDR 1994, 942). Vielmehr genügt die allgemeine Darstellung der Situation. Der Hinweis, eine weitere Besprechung mit der Partei sei not532
Riedel
Fristen
Rz. 51 Kap. 27
Die Abkürzung einer Frist wird regelmäßig mit der Eilbedürftigkeit der Sache zu begründen sein. Dabei ist allerdings zu beachten, dass durch die regelmäßig erforderliche Anhörung der Gegenpartei zu einem Abkürzungsantrag die beabsichtigte Zeitersparnis oftmals nicht erreicht werden kann.
ZPO
wendig, um die Durchführung des Rechtsmittels zu klären, kann jedenfalls dann einen erheblichen Grund iS dieser Vorschrift darstellen, wenn der Anwalt zugleich darlegt, er könne diesen Termin wegen eines Fortbildungslehrgangs nicht innerhalb der Begründungsfrist wahrnehmen (vgl. BGH MDR 1995, 742).
45
Eine wiederholte Fristverlängerung oder eine Fristabkürzung kann das Gericht nur nach Anhö- 46 rung des Gegners anordnen (§ 225 Abs. 2 ZPO; Ausnahme: § 226 Abs. 3 ZPO). Davon unabhängig hat der Antragsteller die (erheblichen) Gründe darzustellen, die den Antrag rechtfertigen sollen. Dabei sind bei einem Antrag auf wiederholte Fristverlängerung wohl regelmäßig strengere Anforderungen zu stellen als bei einem erstmaligen Antrag. Auch kann der Antragsteller nicht davon ausgehen, dass seinem Antrag auf wiederholte Fristverlängerung regelmäßig stattgegeben wird.
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Wichtig: Deshalb sollte bei einem wiederholten Antrag auf Fristverlängerung – notfalls tele- 47 fonisch – im Vorfeld abgeklärt werden, ob eine weitere Fristverlängerung gewährt werden kann. Der Anwalt darf eine fristwahrende Handlung nicht im Vertrauen darauf unterlassen, dass dem wiederholten Fristverlängerungsantrag stattgegeben wird. Der Anwalt, der sich auf eine stillschweigende (wiederholte) Fristverlängerung verlässt, ohne nachzufragen, ob die Frist tatsächlich verlängert wurde, verletzt seine Sorgfaltspflichten (vgl. BGH MDR 1990, 323).
Dies gilt auch dann, wenn der Antragsgegner sein Einverständnis mit der Fristverlängerung erklärt 48 hat und das Einverständnis nicht unmittelbare Wirkung auf die Möglichkeit zur Fristverlängerung zeigt. Allerdings wird beim Einverständnis der gegnerischen Partei das Gericht eine wiederholte Fristverlängerung regelmäßig dann nicht versagen, wenn zur Begründung der Verlängerung der Frist Gründe genannt sind. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Antrag mit dem Hinweis beschieden wird, dass die Frist nicht zur Disposition der Parteien steht. Das erklärte Einverständnis des Gegners kann dem Gericht gegenüber anwaltlich versichert werden.
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Praxistipp: Welche Art von Ermessen dem Vorsitzenden im Rahmen der Fristverlängerung bei Zustimmung des Gegners in § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingeräumt ist, und was ggf. Maßstab für die Ermessensausübung ist, ist offen. Die Stellung der entsprechenden Regelung im Regelungsgefüge kann dafür sprechen, dass der Vorsitzende bei Einwilligung verlängern muss; die Formulierung „kann verlängert werden“ bedeutet dann nur, dass die Frist nicht unverlängerbar ist.
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b) Entscheidung Hat der Anwalt seinen Antrag auf eine angemessene Fristverlängerung entsprechend begründet, so 50 kann er grundsätzlich davon ausgehen, dass dem erstmalig gestellten Antrag seitens des Gerichts stattgegeben wird (vgl. BGH NJW-RR 1989, 1280; VersR 1985, 972; vgl. auch BVerfG NJW 1989, 1147). Dessen ungeachtet muss die Fristverlängerung ausdrücklich erfolgen und dem Antragsteller bekanntgegeben werden, was zunächst auch telefonisch geschehen kann (vgl. BGH NJW 1990, 1797). Eine formlose Mitteilung sollte auch an die übrigen Beteiligten erfolgen. Einer Zustellung der fristverlängernden Entscheidung bedarf es nicht, da insoweit keine neue Frist in Lauf gesetzt wird (BGH NJW 1985, 1558). Eine fristverkürzende Entscheidung ist derjenigen Partei zuzustellen, die die verkürzte Frist einzuhalten hat (§ 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Entscheidung ergeht regelmäßig in Beschlussform, soweit nicht, entsprechend § 226 Abs. 3 ZPO, 51 die Bestimmung des Vorsitzenden in der Form einer Verfügung getroffen werden kann. Einer wiederholten Fristverlängerung bzw. einer Fristabkürzung muss die Anhörung der gegnerischen Partei vorausgehen (§ 225 Abs. 2 ZPO; Ausnahme: § 226 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen steht die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (s. aber Rz. 49!). Riedel 533
Kap. 27 Rz. 52
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Wichtig: Der Vorsitzende, der eine erste Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ablehnt, weil dafür kein erheblicher Grund dargelegt worden war, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Entscheidung dem Rechtsmittelführer noch vor Fristablauf (per Telefon oder Telefax) mitzuteilen. Vielmehr hat der Anwalt sich rechtzeitig bei Gericht danach zu erkundigen, ob seinem Antrag stattgegeben wurde, weil er mit einer Ablehnung des unbegründeten Antrags rechnen muss (BGH MDR 2008, 41).
53 Soweit im Gesetz nicht anders bestimmt, trifft die Entscheidung innerhalb der mündlichen Verhandlung das Gericht, also das Kollegium, ansonsten der Vorsitzende bzw. der Einzelrichter. Ist der Vorsitzende, wie zB nach § 275 Abs. 1 ZPO für die Fristbestimmung zuständig, so entscheidet er auch über eine Abänderung dieser Frist.
54 Die friständernde Entscheidung muss eindeutig zum Ausdruck bringen, bis zu welchem Zeitpunkt nunmehr die Prozesshandlung vorzunehmen ist. Dies kann entweder durch die Benennung des (neuen) Endzeitpunkts oder durch die Angabe des Verlängerungszeitraums geschehen (vgl. BGHZ 4, 389). Im letzteren Fall beginnt die Verlängerungsfrist mit dem Ablauf der geänderten Frist (§ 224 Abs. 3 ZPO). Fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (BGH MDR 2006, 588). Enthält die Entscheidung des Gerichts nur die Aussage, dass eine Frist verlängert wird, ohne das neue Fristende zu bestimmen, so wird dadurch zwar das bisherige Fristende aufgehoben, jedoch keine Bindung an ein neues Fristende begründet. c) Rechtsmittel
55 Der Beschluss, durch den das Gesuch um Verlängerung einer Frist zurückgewiesen wird, ist nicht anfechtbar (§ 225 Abs. 3 ZPO). Wird dagegen der Antrag auf Abkürzung einer Frist abgelehnt, so ist hiergegen die sofortige Beschwerde statthaft (Umkehrschluss aus § 225 Abs. 3, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), soweit es sich um die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung eines Amts- oder Landgerichts handelt. Gegen die bewilligte Verlängerung oder Abkürzung steht der insoweit beschwerten Gegenpartei kein Beschwerderecht zu, da ein solches Recht gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO voraussetzt, dass ein das Verfahren betreffende Gesuch zurückgewiesen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsgegner dem Gesuch widersprochen hat, da ein bloßer Widerspruch kein Gesuch iS des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO darstellt (vgl. Zöller/Heßler § 567 ZPO Rz. 32). 4. Einbeziehung des Mandanten
56 Wurde eine Frist verlängert, so gebietet es das Informationsrecht des Mandanten, diesen hiervon zu unterrichten, soweit es sich nicht nur um wenige Tage handelt. Dies gilt sowohl in den Fällen, in denen die Fristverlängerung selbst beantragt wurde, als auch dann, wenn auf Antrag der gegnerischen Partei eine Fristverlängerung erfolgte.
Kapitel 28 Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Elektronische Übermittlung bestimmender Schriftsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Telegramm und Fernschreiben . . . . . . . . . 2. Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. 4. 5. III.
Computerfax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Wirkung der Übermittlung . . Sorgfaltsanforderungen bei der Absendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 14 16 18
Kap. 27 Rz. 52
52 K
Fristen
ZPO
Wichtig: Der Vorsitzende, der eine erste Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ablehnt, weil dafür kein erheblicher Grund dargelegt worden war, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Entscheidung dem Rechtsmittelführer noch vor Fristablauf (per Telefon oder Telefax) mitzuteilen. Vielmehr hat der Anwalt sich rechtzeitig bei Gericht danach zu erkundigen, ob seinem Antrag stattgegeben wurde, weil er mit einer Ablehnung des unbegründeten Antrags rechnen muss (BGH MDR 2008, 41).
53 Soweit im Gesetz nicht anders bestimmt, trifft die Entscheidung innerhalb der mündlichen Verhandlung das Gericht, also das Kollegium, ansonsten der Vorsitzende bzw. der Einzelrichter. Ist der Vorsitzende, wie zB nach § 275 Abs. 1 ZPO für die Fristbestimmung zuständig, so entscheidet er auch über eine Abänderung dieser Frist.
54 Die friständernde Entscheidung muss eindeutig zum Ausdruck bringen, bis zu welchem Zeitpunkt nunmehr die Prozesshandlung vorzunehmen ist. Dies kann entweder durch die Benennung des (neuen) Endzeitpunkts oder durch die Angabe des Verlängerungszeitraums geschehen (vgl. BGHZ 4, 389). Im letzteren Fall beginnt die Verlängerungsfrist mit dem Ablauf der geänderten Frist (§ 224 Abs. 3 ZPO). Fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (BGH MDR 2006, 588). Enthält die Entscheidung des Gerichts nur die Aussage, dass eine Frist verlängert wird, ohne das neue Fristende zu bestimmen, so wird dadurch zwar das bisherige Fristende aufgehoben, jedoch keine Bindung an ein neues Fristende begründet. c) Rechtsmittel
55 Der Beschluss, durch den das Gesuch um Verlängerung einer Frist zurückgewiesen wird, ist nicht anfechtbar (§ 225 Abs. 3 ZPO). Wird dagegen der Antrag auf Abkürzung einer Frist abgelehnt, so ist hiergegen die sofortige Beschwerde statthaft (Umkehrschluss aus § 225 Abs. 3, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), soweit es sich um die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung eines Amts- oder Landgerichts handelt. Gegen die bewilligte Verlängerung oder Abkürzung steht der insoweit beschwerten Gegenpartei kein Beschwerderecht zu, da ein solches Recht gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO voraussetzt, dass ein das Verfahren betreffende Gesuch zurückgewiesen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsgegner dem Gesuch widersprochen hat, da ein bloßer Widerspruch kein Gesuch iS des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO darstellt (vgl. Zöller/Heßler § 567 ZPO Rz. 32). 4. Einbeziehung des Mandanten
56 Wurde eine Frist verlängert, so gebietet es das Informationsrecht des Mandanten, diesen hiervon zu unterrichten, soweit es sich nicht nur um wenige Tage handelt. Dies gilt sowohl in den Fällen, in denen die Fristverlängerung selbst beantragt wurde, als auch dann, wenn auf Antrag der gegnerischen Partei eine Fristverlängerung erfolgte.
Kapitel 28 Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Elektronische Übermittlung bestimmender Schriftsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Telegramm und Fernschreiben . . . . . . . . . 2. Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Riedel/Jaspersen/Bacher
1 4 7 9
3. 4. 5. III.
Computerfax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Wirkung der Übermittlung . . Sorgfaltsanforderungen bei der Absendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. V. VI. VII. 1. 2. 3. VIII. 1.
Ausgangskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugang und sein Beweis . . . . . . . . . . . . . Einzelfälle aus der Rechtsprechung . . . . Der Telefax-Ausdruck nachfolgend nur als Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glaubhaftmachung durch Telefax . . . . . . . Nachweis der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . Telefax als Beweismittel im Urkundenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektronischer Rechtsverkehr . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulassung kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . b) Ergänzende Regelungen . . . . . . . . . . . c) Übergangsregelungen . . . . . . . . . . . . . d) Benutzungszwang . . . . . . . . . . . . . . . .
29 40 45 59 60 62 69 72 72 74 79 81 83
Rz. 3 Kap. 28
2. Technische Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . a) Besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustellung und elektronisches Empfangsbekenntnis . . . . . . . . . . . . . c) Dateiformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Maximale Anzahl und Größe der übermittelten Dateien . . . . . . . . . . . . e) Elektronische Signatur und Verschlüsselung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) XML-Datensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zugang und Fristwahrung . . . . . . . . . 3. Büroorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erforderliche Ausstattung . . . . . . . . . . b) Delegation von Tätigkeiten . . . . . . . . .
86 86 89 93 101 103 112 114 122 124 130
I. Problemstellung Der Einsatz moderner Technologien im Büroablauf, aber auch die Not, innerhalb kürzester Zeiträume 1 Schriftsätze über weite Distanzen zu übermitteln, um Fristen zu wahren, stellen den Anwalt seit langem vor die Aufgabe, die Organisation seines Büros so einzurichten, dass Fehler in der elektronischen Übermittlung von fristwahrenden Schriftsätzen sich nicht so auswirken, dass eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist (s. dazu Kap. 71) ausgeschlossen ist. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Organisation des Anwaltsbüros in diesem Zusammenhang stellt, sind teils überspitzt und technikfeindlich, wie die Anforderungen der Rechtsprechung an die Fristüberwachung per EDV belegen (s. dazu BGH NJW 2000, 1957; NJW 1999, 582; NJW-RR 1997, 698; NJW 1997, 327; VersR 1996, 387; NJW 1995, 1756). Zurückzuführen ist dies sicher darauf, dass moderne Kommunikationsmittel in der richterlichen Tätigkeit noch immer nicht in dem Umfang Verwendung finden, in dem dies notwendig wäre, um das Vertrauen in moderne Technologien zu wecken. Zu hoffen ist deshalb, dass die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs (s. dazu Rz. 72 ff.) zu einem anderen Bewusstsein beim Umgang mit modernen Technologien im Büroablauf führt und die Schwelle heraufsetzt, ab der ein Organisationsverschulden des Anwalts anzunehmen ist. Vorerst muss der Anwalt jedoch weiterhin davon ausgehen, dass die Verwendung moderner Techno- 2 logien bei der Übermittlung von fristwahrenden Schriftsätzen größte Aufmerksamkeit in der Büroorganisation fordert. Das ist besonders wichtig, sobald sich der Anwalt mit dem Gedanken trägt, am elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen. Bis vor kurzem sind die üblichen derzeit auf dem Markt befindlichen E-Mail-Programme nicht geeignet gewesen, eine sichere Fristüberwachung beim Absenden des fristwahrenden Schriftsatzes per E-Mail zu gewährleisten. DE-Mail (auf der Grundlage des DeMailG) und E-Postbrief bieten mittlerweile bessere Möglichkeiten; ob sie ausreichen, den strengen Anforderungen der Rechtsprechung an eine Fristüberwachung zu genügen, bleibt abzuwarten. Ziel des Abschnitts Elektronischer Rechtsverkehr (s. Rz. 72 ff.) ist es deshalb, einen Organisations- 3 ablauf darzustellen, über den fristwahrende Schriftsätze im elektronischem Rechtsverkehr versandt werden können, ohne sogleich Gefahr laufen zu müssen, Organisationsfehlern zu unterliegen. Die Entwicklung des Organisationsablaufs zum elektronischen Rechtsverkehr lag in den Händen des Herausgebers und des Autors des entsprechenden Abschnitts des vorliegenden Kapitels. Der Autor dieses Kapitels des entsprechenden Abschnitts ist Leiter der Arbeitsgruppe elektronischer Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof gewesen; der Herausgeber ist anwaltliches Mitglied in dieser Arbeitsgruppe, die aus Fachleuten aller Organisationsebenen des Bundesgerichthofs zusammengesetzt war. Für den Anwalt mag dies die Gewähr geben, dass der Organisationsablauf zum elektronischen Rechtsverkehr, zu dem es kein unmittelbares Vorbild gibt, durchdacht ist. Dennoch können – wie stets – sowohl Verlag, Herausgeber und Autor dieses Abschnitts keine Haftung dafür übernehmen, dass die Wiedereinsetzung in Jaspersen 535
ZPO
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
ZPO
Kap. 28 Rz. 4
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
eine versäumte Frist mangels Organisationsverschuldens gesichert ist, wenn nach dem vorgegebenen Organisationsablauf gearbeitet wird.
II. Elektronische Übermittlung bestimmender Schriftsätze 4 §§ 129, 130 ZPO sehen für vorbereitende wie bestimmende Schriftsätze und damit insbesondere auch für die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder dessen Begründung eine verkörperte Urkunde in Schriftform nebst einer Unterschrift vor. Mit dem technischen Fortschritt haben sich alternative Formen (u.a. Telefax, Computerfax, E-Mail) entwickelt. Die Rechtsprechung hat deshalb – im Gegensatz zum Formerfordernis des materiellen Rechts – seit vielen Jahren Zugeständnisse an das Formerfordernis im Hinblick auf eine zeitgemäße Kommunikation gemacht. Damit hat sie dem verfassungsrechtlichen Gebot, allen Bürgern einen gleichen und praktikablen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, Rechnung getragen. Bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsatzdaten wird dem Urkundenformerfordernis genüge getan, indem das Gericht die Dokumentdaten ausdruckt; erst der Ausdruck ist die Urkunde. Der Eingang und die vorherige elektronische Speicherung der Daten bei Gericht haben lediglich Bedeutung für die Frage der Rechtzeitigkeit (ausf. BGH MDR 2007, 168, 169). Problematisch ist immer, wie dem Unterschriftserfordernis Rechnung getragen werden kann. Denn die elektronische Übermittlung befreit grundsätzlich nicht vom Erfordernis einer Unterschrift des verantwortlichen Absenders, da mit ihr der Nachweis geführt wird, dass für den Inhalt des Schriftsatzes Verantwortung übernommen wird (BGH NJW 2006, 3784 f.). § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO hat nur für das Telefax das Problem gesetzlich gelöst. Maßgeblich muss immer sein, ob sich auf andere und jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Weise als durch eine originale Unterschrift aus dem Schriftsatz ergibt, dass der postulationsfähige Rechtsanwalt ihn verantwortet und willentlich dem Gericht zugeleitet hat (BGH NJW-RR 2004, 755 = NZV 2004, 491).
5 Die elektronische Übermittlung bestimmender Schriftsätze gem. §§ 129, 130 ZPO ist zu unterscheiden vom sog. elektronischen Rechtsverkehr, bei dem ein elektronisches Dokument übersandt wird (vgl. § 130a ZPO und Rz. 72 ff.). Zur Unterscheidung vgl. BGH NJW-RR 2015, 624.
6 K
Wichtig: Der Mangel einer etwa wegen fehlender Unterschrift unwirksamen Prozesshandlung kann zwar geheilt werden, die Heilung wirkt aber nur ex nunc, dh. eine abgelaufene prozessuale oder materiell-rechtliche Frist kann nicht mehr gewahrt werden.
1. Telegramm und Fernschreiben
7 Kraft Gewohnheitsrechts können beide wirksame bestimmende Schriftsätze sein, obwohl weder eine eigenhändige noch handschriftliche Unterzeichnung nicht einmal einer Urschrift erforderlich ist. Maßgeblich ist allein die auf Veranlassung des Absenders bei Gericht erstellte, für den Adressaten bestimmte Urkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer Urschrift beruht, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden ist. Konsequent hat die Rechtsprechung deshalb auch die mündliche Telegrammaufgabe zugelassen (GmS OGB NJW 2000, 2340 f.). Bei der Übermittlung von Schriftsätzen mittels Fernschreiben muss das Fernschreiben von der Fernschreibstelle des zuständigen Gerichts aufgezeichnet werden (BGH NJW 1981, 1618).
8 K
Wichtig: Sowohl beim Telegramm als auch beim Fernschreiben wird – wie auch bei den anderen elektronischen Übermittlungsarten – nur auf die eigenhändige handschriftliche Unterzeichnung verzichtet, nicht aber auf die übrigen Essentialia eines bestimmenden Schriftsatzes. Insbesondere muss eindeutig sein, wer verantwortlicher Urheber ist.
2. Telefax
9 Die derzeit am weitest verbreitete Übermittlungstechnik ist das Telefax, bei dem ein körperliches Schriftstück (Sendevorlage) in das Sende-Faxgerät „eingelesen“ und durch das Empfänger-Faxgerät 536
Jaspersen
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
Rz. 13 Kap. 28
Unzureichend ist ein Schriftstück oder ein Computerfax als Sendevorlage mit eingescannter Unterschrift oder mit einer aufgeklebten Blankounterschrift, weil keine technische Notwendigkeit besteht, auf eine Unterschrift auf der gefaxten Urschrift zu verzichten (BGH NJW 2015, 3246 Rz. 12; BGH MDR 2007, 481, 482). Nach OLG Oldenburg (NJW 2009, 536 f.) ist ein über einen Internet-Dienst an das Gericht gesandtes Faxschreiben wie ein vom Absender selbst versandtes Computerfax zu behandeln. Solange keine gegenläufige Rechtsprechung publiziert ist, darf ein Rechtsanwalt hierauf vertrauen. Vor dem Hintergrund von § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO dürfte es auch zulässig sein, das Telefax von einem privaten Faxgerät an das Gericht unmittelbar zu senden oder es von einem Dritten ausdrucken zu lassen und an das Gericht per Boten zu übermitteln oder zu faxen.
K
ZPO
wiederum in Gestalt eines körperlichen Schriftstücks „ausgelesen“ wird. Übermittelt wird eine sog. Bilddatei. Dieses Schriftstück ersetzt die Vorlage und hat Urkundenqualität. Das Telefax ist in allen Gerichtszweigen zulässig. Bei ihm wird allerdings nur die Originalität, nicht das Erfordernis einer eigenhändigen handschriftlichen Unterzeichnung auf der Sendevorlage für entbehrlich erachtet (vgl. § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO). Die Sendevorlage muss nicht nachgereicht werden.
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Wichtig: Die Entscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. 11 GmS OGB NJW 2000, 2340 f.) zum sog. Computerfax, bei dem nicht nur durch die eingescannte Unterschrift, sondern auch auf andere Art und Weise belegt werden kann, wer Urheber und Verantwortlicher des Schriftsatzes ist, ist auf die Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax nicht übertragbar (vgl. BGH NJW 2001, 1581 f.).
3. Computerfax Das sog. Computerfax ist ebenso wie das herkömmliche Telefax zulässig (vgl. GmS OGB NJW 2000, 2340, 2341). Es unterscheidet sich vom Telefax nur in einem – allerdings wesentlichen – Punkt. Dem Ausdruck bei Gericht liegt (wie beim telefonisch aufgegebenen Telegramm) kein körperliches Originalschriftstück als Sendevorlage zu Grunde, sondern nur eine Textdatei, die der Urheber elektronisch von seinem Computer als Fax an das Gericht sendet. Es handelt sich allerdings nicht um ein elektronisches Dokument iS des elektronischen Rechtsverkehrs, der nur zulässig ist, wenn die zuständige Landes- oder Bundesregierung durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt, von dem an elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden können, sowie die für die Bearbeitung der Dokumente geeignete Form bestimmt hat (§ 130a Abs. 2 ZPO). Ausreichend, aber auch erforderlich ist – anders als bei einem normalen Telefax – eine eingescannte Unterschrift oder ein Hinweis, dass der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht unterzeichnen kann (BGH v. 17.4.2018 – XI ZB 4/17). Da die Schriftlichkeit kein Selbstzweck ist, kann das Fehlen einer Unterschrift bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise unschädlich sein. Voraussetzung ist, dass sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (BGH MDR 2004, 349, 350 zu § 66 Abs. 2 MarkenG; ausf. BGH MDR 2005, 1182, 1184 mwN). Berücksichtigungsfähig können nur solche Anhaltspunkte sein, die spätestens bei Ablauf der Begründungsfrist bekannt geworden sind (BVerwG NJW 2003, 1544).
K
12
Wichtig: Die Möglichkeit, fristgebundene bestimmende Schriftsätze per Computerfax einzurei- 13 chen, verführt den Rechtsanwalt dazu, die Absendung ohne nennenswerten zusätzlichen Aufwand selbst vorzunehmen. Bei dieser Verfahrensweise muss er selbst darauf achten, dass die erforderlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Absendung erfüllt werden (vgl. hierzu Rz. 18 ff.) und vor allem die Ausgangskontrolle erfolgt (vgl. hierzu Rz. 29 ff.). Weil dem Rechtsanwalt eine Entlastung für persönliches Verschulden verwehrt ist, muss er darauf achten, dass er sein fehlerfreies Vorgehen für eine etwaige Glaubhaftmachung lückenlos dokumentieren kann. Eine Kopie des Computerausdrucks sollte unbedingt mit Datum zu den Handakten verfügt werden. Die Protokolldatei über die Versendung sollte über die tägliche Sicherungsroutine verfügbar bleiben. Diese Notwendigkeiten müssen dem für die Datensicherheit und den Datenschutz verantwortlichen Jaspersen 537
Kap. 28 Rz. 14
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
ZPO
Servicepartner vermittelt werden. Zu häufig wird diesem Gesichtspunkt zu geringe Beachtung geschenkt. 4. E-Mail
14 Auch die Übermittlung eines bestimmenden Schriftsatzes per E-Mail ist möglich, ohne dass sie dem Erfordernis an ein elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) genügen muss. Die Daten des Schriftsatzes müssen in einem Bilddateiformat (zB als P[ortable]D[ocument]F[ormat]) der E-Mail beigefügt sein, die ausgedruckte Bilddatei muss die Unterschrift des Absenders wiedergeben und das Gericht muss die E-Mail entgegennehmen und ausdrucken (BGH NJW 2015, 1527). Dem Unterschriftserfordernis wird analog § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO Rechnung getragen, wenn die PDF-Datei mittels scannen einer Vorlage erstellt worden ist und die Vorlage eine Unterschrift aufweist. Diese Rechtsprechung konsequent weitergedacht, kann selbst eine eingescannte Unterschrift ausreichend sein oder ein Hinweis, dass der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht unterzeichnen kann. Voraussetzung ist, dass der E-Mail eine Textdatei als Anhang ohne deren vorherigen Ausdruck beigefügt wird. Auch nach der Rechtsprechung des BGH soll es unzureichend sein, wenn der Schriftsatz als E-Mail ohne Anhang übermittelt wird (BGH NJW 2009, 357). Entsprechendes gilt für die Übermittlung eines Schriftsatzes durch E-Post-Brief der Deutschen Post AG (OLG Hamm NJW 2016, 1896). Hierbei wird die Identifizierung des Urhebers durch dessen vorherige Registrierung im sog. Post-IdentVerfahren sichergestellt.
15 K
Praxistipp: Die Rechtsprechung birgt nach wie vor Risiken für den Anwalt. Insbesondere hat sich die Rechtsprechung bislang nur zu Fällen verhalten, in denen die E-Mail bzw. der E-PostBrief ausgedruckt worden ist. Darauf darf nicht vertraut werden, zumal Gerichte teilweise ihre E-Mail-Adresse nicht für den Rechtsverkehr freigegeben haben, sondern nur für Verwaltungsangelegenheiten. Sobald für ein Gericht der elektronische Rechtsverkehr (§ 130a ZPO) eröffnet ist, ist dieser als der sicherste Weg zu nutzen.
5. Prozessuale Wirkung der Übermittlung
16 Die Einlegung eines Rechtsbehelfs durch vollständige elektronische Übermittlung seiner Daten stellt für sich noch keine vollgültige Rechtsbehelfseinlegung dar, auch soweit die inhaltlichen Anforderungen erfüllt sind, sondern erst die Fertigung eines entsprechenden Ausdrucks. Die vollständige Speicherung ist nur für die Rechtzeitigkeit des Schriftsatzes maßgeblich (BGH MDR 2007, 168, 169). Es bedarf keiner nachfolgenden Übersendung des als Vorlage verwandten Originals (allg. Ansicht). Wird die Vorlage – was durchaus sinnvoll ist – nachgereicht, ist dies als eine wiederholte Rechtsbehelfseinlegung anzusehen, die solange als wirkungslos behandelt wird, bis die vorangegangene Einlegung ihre Wirkung verliert, etwa durch eine Rücknahme (vgl. BGH NJW 2003, 3782). Der nach Fristablauf eingehende Originalschriftsatz kann einer fehlerhaften und deshalb verfristeten Rechtsbehelfseinlegung durch elektronische Datenübermittlung nicht zur Wirksamkeit verhelfen.
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Praxistipp: Wenn das Gericht anregt, einen der beiden Schriftsätze zurückzunehmen, gibt es keinen Grund, dieser Anregung Folge zu leisten.
III. Sorgfaltsanforderungen bei der Absendung 18 Bei Störungen sind weitere Übermittlungsversuche vorzunehmen. Eine Fehlerquelle im eigenen Bereich gilt es auszuschließen. Im Falle einer Störung muss diese dokumentiert werden. Elektronische Kommunikationsmittel ermöglichen es, Fristen auch bei weiter Entfernung vom Ort des zuständigen Gerichts „bis zur Neige“ auszuschöpfen. Der Absender darf zur Übersendung insbesondere wegen der günstigeren Tarife die Abend- und Nachtstunden wählen.
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Jaspersen
Rz. 27 Kap. 28
K
Wichtig: Auch wenn Fristen bis zuletzt ausgenutzt werden dürfen, erhöhen sich doch die Sorg- 19 faltspflichten, je näher der Fristablauf rückt. Er muss insbesondere den Grundsatz im Auge behalten, dass so rechtzeitig mit der Übertragung zu beginnen ist, dass unter normalen Umständen mit einem vollständigen Eingang bei Gericht (BGH NJOZ 2012, 935; vgl. hierzu auch Rz. 40) vor Fristablauf zu rechnen ist. Bei seinen diesbezüglichen Überlegungen muss der Absender berücksichtigen, dass uU mehrere Absender mit dem Gericht kommunizieren möchten und sich hierdurch der Empfang (etwa wegen Überlastung der Leitungswege oder des Empfangsgeräts) verzögern kann; hierbei handelt es sich nicht um eine ihm nicht anzulastende Störung aus der Sphäre des Gerichts (BVerfG NJW 2000, 574). Hingegen muss er nicht mit technischen Störungen oder verlängerten Übertragungszeiten zur Nachtzeit rechnen (BGH NJW-RR 2012, 1341).
K
Praxistipp: Dem ist Rechnung zu tragen, indem der Anwalt die Übersendung mit einem zeitlichen „Sicherheitszuschlag“ beginnt (BVerfG NJW 2001, 3473 f.). Die Frage, wie groß dieser sein muss, beantwortet die Rechtsprechung nicht eindeutig. Bei einer geschätzten Übertragungsdauer von vier Minuten, ist ein zeitlicher Sicherheitszuschlag von gleicher Dauer zu gering (BVerfG NJW 2000, 574; vgl. aber auch BGH NJW-RR 2001, 916); eine halbe Stunde wird im Allgemeinen nicht zu beanstanden sein (vgl. zB OLG Saarbrücken NJW 2013, 3797 mwN). Der Zuschlag muss so groß sein, das weitere Übermittlungsversuche möglich sind.
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Wichtig: Bemerkt der Anwalt, dass zeitliche Probleme bei der rechtzeitigen Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax an das Gericht entstehen können, empfiehlt sich jede Seite des Schriftsatzes „unten“ mit einer Unterschrift zu versehen. Es geht dann stets „ein unterzeichnetes Schriftsatzexemplar bis zum Fristablauf“ ein. Fraglich kann dann nur noch sein, ob der bis zum Fristablauf übermittelte Text – etwa bei der Rechtsmittelbegründung – ausreichend ist, um die nötigen weiteren Anforderungen zu erfüllen.
21
Vorsicht ist geboten, wenn der Rechtsanwalt bei der Absendung Dritte einschaltet (sog. Zwischenempfängerproblematik). Es gilt der Grundsatz, dass die jeweilige Vorlage vom postulationsfähigen Rechtsanwalt herrühren, unterzeichnet sein und unmittelbar dem Gericht zugehen muss. Unzulässig ist es, einen privaten Zwischenempfänger einzuschalten und ihn um eine Weiterleitung zu bitten.
22
K
Praxistipp: Dritter im vorgenannten Sinne ist nicht die Kanzlei des postulationsfähigen Rechtsanwalts, wenn dieser sie als verlängerten Arm einschaltet; in diesem Fall ist ausreichend sichergestellt, dass nicht lediglich ein Entwurf bei Gericht eingeht (BGH NJW 1998, 762).
23
Häufig beruht ein Fristversäumnis auf einer falschen Adressierung. Im Faxverkehr beschränkt sich die Adressierung auf die Verwendung der Faxnummer. Die vielstelligen und vielzähligen Faxnummern bergen eine besondere Gefahr, dass eine Nummer verwechselt oder fehlerhaft übernommen und damit das Fax falsch adressiert wird (zu den hieraus resultierenden besonderen Anforderungen bei der Ausgangskontrolle s. Rz. 29 ff.).
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Praxistipp: Es sollte ein übersichtliches Verzeichnis in schriftlicher oder IT-unterstützter Form 25 mit den einschlägigen Faxnummern vorgehalten werden (BGH MDR 2004, 291). Die Pflege des Verzeichnisses sollte einem namentlich bestimmten Mitarbeiter übertragen sein, um die Verantwortlichkeit eindeutig zu regeln.
Der Rechtsanwalt darf sich auf die telefonische Auskunft eines Dienstes für Telefaxnummern (zB Telekom, TelDaFax) verlassen, wenn die mitgeteilte Nummer keinen Anlass gibt, ihre Richtigkeit anzuzweifeln, und wenn er Sprech- und Hörfehler und andere Verwechslungsgefahren ausschließen kann (BAG NJW 2001, 1594 f.; VGH Kassel NJW 2001, 3722 f.). Auf die Fax-Nummer, die das Gericht auf seiner offiziellen Homepage angibt, darf vertraut werden.
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Praxistipp: Die organisatorischen Regeln sollten bei solchen telefonischen Auskünften vorgeben, dass eine wiederholende Nachfrage bei Auskünften von einem Tonband obligatorisch ist Jaspersen 539
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
Kap. 28 Rz. 28
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
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und im Übrigen die Bitte um eine Bestätigung der verstandenen Auskunft. Die akustische (in Zukunft uU auch optische) Auskunft ist unbedingt schriftlich zu dokumentieren und zu den Akten zu nehmen.
28 Die Absendung eines Telefax gilt als eine einfache Tätigkeit, und ein Rechtsanwalt kann sie als solche einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft durch eine allgemeine oder eine Einzelweisung übertragen (BGH MDR 2014, 610 Rz. 9 mwN). Die Faxnummer gehört dabei nicht zu den notwendigen Angaben der Adressierung, die er überprüfen oder vorgeben müsste (BGH NJW 2003, 2259 f.). Er darf sich im Allgemeinen auch darauf verlassen, dass die Bürokraft seine Weisungen befolgt, einer Kontrolle bedarf es nicht. Insbesondere muss er nicht zusätzlich persönlich das Sendeprotokoll kontrollieren, selbst wenn die Übersendung kurz vor Ablauf einer Frist erfolgt ist. Die Anweisung sollte die Pflicht umfassen, bei Auftreten eines Fehlers bei der Übersendung diesen zu dokumentieren Die allgemeinen Grundsätze für Einzelanweisungen gilt es ergänzend zu beachten (vgl. Kap. 71 Rz. 35 ff.).
IV. Ausgangskontrolle 29 Beim Faxverkehr erfordert eine Ausgangskontrolle zusätzliche organisatorische Regelungen. Diese sollten – wie auch im Allgemeinen – schriftlich fixiert sein, um bei Bedarf im Rahmen eines Verfahrens auf Wiedereinsetzung vorgelegt werden zu können. Die mit der Aufgabe betraute zuverlässige sowie hinreichend geschulte und überwachte Bürokraft muss die Absendung optisch überwachen. Nur dann ist ein fehlerhafter Papiereinzug u.a. durch Überlappen von Seiten entschuldbar. Nach der Rechtsprechung kommt der gewissenhaften Auswertung des Sendeprotokolls eine herausgehobene Bedeutung zu. Die Ausgangskontrolle durch Überprüfung des Faxprotokolls muss nicht notwendigerweise in unmittelbarem Anschluss an den Sendevorgang, aber so rechtzeitig erfolgen, dass eine erfolglos gebliebene Übermittlung eines Schriftsatzes noch innerhalb der verbleibenden Frist ohne weiteres möglich ist (BGH MDR 2007, 419). Fehlt eine Einzelanweisung oder allgemeine Kanzleianweisung, die Übersendung des Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, muss singulär oder allgemein angewiesen sein, die Überprüfung am Ende eines jeden Arbeitstages nachzuholen (BGH v. 29.6.2017 – V ZB 124/16). Die diesbezüglichen Vorgaben müssen wenigstens folgende Maßgaben beinhalten (BGH MDR 2007, 1347 f.; MDR 2008, 936):
30 – Man darf sich nicht nur auf den sog. „OK-Vermerk“ verlassen. Denn dieser belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (BGH NJW-RR 2014, 179 Rz. 12). – Das Sendeprotokoll ist darauf zu überprüfen, ob es die richtige Fax-Nummer ausweist. Dabei ist die Faxnummer des Sendeprotokolls mit der Faxnummer abzugleichen, die für das vom Rechtsanwalt angegebene Gericht in einer vorgehaltenen Fax-Nummern-Liste im Büro geführt wird oder die in schriftlich fixierter Form nach einer Nachfrage bei einem Auskunftsdienst (s. Rz. 25) vorliegt (BGH FamRZ 2004, 866; MDR 2007, 1034; BGH v. 19.12.2017 – XI ZB 16/17: zuverlässige Quelle). Dies gilt selbst dann, wenn die Faxnummer automatisch aus einer Stammdatendatei übernommen wird (BGH MDR 2014, 176; BGH NJW 2000, 1043, 1044). Ein Abgleich nur mit der im Schriftsatz wiedergegebenen Fax-Nummer ist grundsätzlich nicht ausreichend ebenso wenig wie mit einer geräteintern verwendeten Kurzwahl (BGH MDR 2014, 240). Ist die Telefaxnummer aber aus einem Schreiben des Gerichts, das sich im konkreten Aktenvorgang befindet, handschriftlich auf den zu versendenden Schriftsatz übertragen worden, genügt es zur Überprüfung auf mögliche Eingabefehler, die gewählte Empfängernummer mit der übertragenen Nummer abzugleichen (BGH MDR 2007, 686, 687). – Eine entsprechende Überprüfungspflicht besteht hinsichtlich der Zahl der übermittelten Seiten (BGH NJW-RR 2001, 1072). Immer wieder erreichen den Empfänger nicht alle Seiten oder Anlagen eines Schriftsatzes. Das Sendeprotokoll ist aus diesem Grund darauf zu überprüfen, ob die vollständige Seitenzahl den Empfänger erreicht hat. Das Fehlen nur einer Seite – zB der Seite mit der wie540
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dergegebenen oder eingescannten Unterschrift – kann eine Unwirksamkeit der Rechtsbehelfseinlegung oder -begründung zur Folge haben (s. dazu auch den Hinweis zur Vorsorge Rz. 21). Im Zweifel ist gezielt bei dem Gericht nachzufragen, ob die Übersendung vollständig gewesen ist, wenn dazu Zeit besteht, oder der Übermittlungsvorgang ist zu wiederholen. Nicht erforderlich ist eine inhaltliche Kontrolle der gefaxten Seiten zB darauf, ob eine Seite vertauscht ist (BGH NJW-RR 2017, 1140 Rz. 14).
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Wichtig: Ist der Sendebericht ordnungsgemäß überprüft worden und mit einem sog. „OK-Vermerk“ versehen, darf sich ein Rechtsanwalt – vorbehaltlich besonderer anderer Umstände – darauf verlassen, dass ein ordnungsgemäßer Zugang erfolgt ist; einer wirksamen Ausgangskontrolle ist genüge getan (BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 148/10).
Die Löschung der Frist im Kalender darf erst erfolgen, wenn die Überprüfung des Sendeprotokolls kei- 33 nen Übertragungsfehler ergeben hat (BGH MDR 2008, 876, 877) oder wenn hilfsweise der ordnungsgemäße Zugang der Sendung bei Gericht telefonisch kontrolliert worden ist (BGH MDR 2008, 703, 704). Dies ist durch eine allgemeine organisatorische Anweisung oder im Rahmen einer Einzelanweisung vorzugeben (vgl. dazu auch Kap. 27 Rz. 16 ff.). Kritisch zu den strengeren Anforderungen bei der Ausgangskontrolle von Telefaxschreiben im Vergleich zur Ausgangskontrolle beim postalischen Versand Koch NJW 2014, 2391.
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Praxistipp: Das Sendeprotokoll mit dem „OK-Vermerk“ ist stets zu den Akten zu nehmen, um die ordnungsgemäße Fristlöschung nachweisen zu können.
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Für den Fall einer fehlerhaften Übermittlung muss der Rechtsanwalt organisatorische Vorsorge treffen. Auch ein zuverlässiger Mitarbeiter lässt nicht erwarten, dass er ohnedem das Gebotene tut bzw. veranlasst.
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Praxistipp: Eine solche Anweisung muss und kann nicht alle Eventualitäten berücksichtigen. Ausreichend dürfte eine Regelung dahingehend sein, dass der Sendevorgang zweimal zu wiederholen ist und dass als ultima ratio stets der Rechtsanwalt um eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu ersuchen ist, wenn sich auch nicht telefonisch der ordnungsgemäße Zugang der Sendung hat klären lassen. Bei Anhaltspunkten für eine fehlerhafte Übersendung müssen die Fehlversuche sorgfältig dokumentiert und zu den Handakten verfügt werden. Falls das Fax-Gerät die Fehlversuche nicht automatisch dokumentiert, muss dies individuell erfolgen wie zB Zeitraum und Anzahl der Fehlversuche (vgl. BGH NJW 2014, 2047).
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Das Problem, ob der Rechtsanwalt verpflichtet ist, eine andere Art der Übersendung zu wählen, dürfte nach der jüngsten Rechtsprechung wie folgt zu lösen sein:
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– Hat das Hindernis seine Ursache in der Sphäre des Gerichts, weil etwa das Empfangsgerät nicht funktionsbereit ist wegen eines Papierstaus oder eines Papiermangels, oder in einer Leitungsstörung, kann vom Rechtsanwalt nicht verlangt werden, dass er unter Aufbietung aller nur erdenklichen Anstrengungen innerhalb kürzester Zeit eine andere als die offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (BGH NJW-RR 2004, 283). – Hat das Hindernis seine Ursache indes in der Sphäre des Absenders, weil etwa sein Faxgerät defekt ist, muss er alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um ein Fristversäumnis zu verhindern (BayObLG NJW-RR 1998, 418).
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Wichtig: Hat das Sendeprotokoll bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt Zweifel an einer fehlerfreien und insbesondere rechtzeitigen Übertragung wecken müssen, ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Sendeprotokolls maßgeblich für den Lauf der Wiedereinsetzungsfrist gem. § 234 Abs. 1 ZPO (BGH NJW-RR 2000, 1591). Andererseits gilt der Grundsatz, dass ein nicht
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erkennbares Scheitern einer Faxsendung nicht zu Lasten des Absenders geht; er darf in diesem Fall auf eine ordnungsgemäße Übermittlung vertrauen (vgl. u.a. BAG NZA 2001, 1204).
39 Bei der Übersendung einer E-Mail ist – soweit man sie überhaupt genügen lässt (vgl. Rz. 14) – ebenfalls die Gefahr zu bedenken, dass diese den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender zumindest über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms eine Übermittlungs- und Lesebestätigung anzufordern (BGH NJW 2014, 556 f.) und die Frist darf erst gelöscht werden, wenn die – zu den Handakten zu nehmende – Übermittlungsbestätigung eingegangen ist.
V. Zugang und sein Beweis 40 In erster Linie muss ein Rechtsanwalt bemüht sein, auf den rechtzeitigen Zugang seines bestimmenden Schriftsatzes abzustellen. Mittlerweile ist geklärt, dass – entgegen der überholten Rechtsprechung – für die Rechtzeitigkeit der Zeitpunkt entscheidend ist, in dem die Daten des Schriftsatzes bei Gericht elektronisch gespeichert worden sind (ausf. BGH NJW 2013, 2514 Rz. 1); es kommt nicht mehr auf den Zeitpunkt des Ausdrucks an, weil der Absender hierauf keinen Einfluss hat. Richtigerweise spricht man von einer Zugangsfiktion (BVerfG NJW 1996, 2857).
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Praxistipp: Nur die Daten sind entscheidend, die bei Fristablauf gespeichert sind. Enthalten sie keine Unterschrift, liegt ein Fristversäumnis vor. Deshalb empfiehlt es sich, bei einem fristgebundenen Schriftsatz, der „Minuten vor Fristablauf“ per Telefax an das Gericht übermittelt wird, jede Seite einzeln zu unterschreiben (s. dazu im Einzelnen oben Rz. 21).
42 Dem Rechtsbehelfsführer obliegt die volle Beweislast dafür, dass sein Schriftsatz rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist. Das Gericht muss von Amts wegen die Fristeinhaltung prüfen und verbleibende Unklarheiten dürfen nicht zu Lasten des Rechtsuchenden gehen, wenn sie ihre Ursache in der Sphäre des Gerichts haben.
43 Im Rahmen der Beweisführung kann sich der Anwalt nicht darauf verlassen, dass er dieser Nachweispflicht schon durch Vorlage des bei seinen Akten befindlichen Sendeprotokolls (s. Rz. 29 f.) genügt. Der BGH vertritt nach wie vor die Ansicht, dass – wie bei gewöhnlichen Briefen – der „OKVermerk“ im Sendeprotokoll keinen Anscheinsbeweis für den Zugang begründe, sondern lediglich ein entsprechendes Indiz darstelle; bewiesen werde lediglich die ordnungsgemäße Absendung (BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 148/10). Offen ist, ob dieser Grundsatz auch dann noch vertretbar bleibt, wenn feststeht, dass der Schriftsatz bis auf ein oder zwei Seiten fehlerfrei ist und rechtzeitig den Adressaten erreicht hat (BGH NJW 1999, 3783). Lässt sich seitens des Gerichts als Empfänger bei Vorlage eines Sendeprotokolls, das keinen Fehler ausweist, nichts dazu ermitteln, was auf eine fehlerhafte Übermittlung hinweist, so ist es aber schwerlich gerechtfertigt, von einer verspäteten Übersendung auszugehen. Anders ist es aber dann, wenn sich seitens des Gericht feststellen lässt, dass in dem vom Rechtsmittelführer für die Übersendung des Fax angegebenen Zeitraum das Empfangsgerät nicht angewählt worden ist (BGH NJW 2014, 2047). Einem Beweisantritt für die Behauptung, dass das mit dem „OK-Vermerk“ versehene Fax fristgerecht bei Gericht eingegangen ist, ist nachzugehen. Da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der „OK-Vermerk“ zutreffend ist, handelt es sich nicht um eine unzulässigerweise ohne tatsächliche Anhaltspunkte „ins Blaue hinein“ aufgestellte Behauptung (BGH NJW NJW-RR 2014, 683 Rz. 35). Der Nachweis eines ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Zugangs kann – jedenfalls – durch das Sendeprotokoll und die Auszüge aus den Journalen des Sende- und Empfangsgeräts geführt werden (OLG München v. 6.6.2018 – 20 U 2297/17).
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Praxistipp: Da der Wiedereinsetzungsantrag auch hilfsweise für den Fall gestellt werden kann, dass die Frist versäumt sein sollte, ist es angeraten, zunächst zu versuchen, sich auf einen rechtzeitigen Zugang zu berufen (vgl. Kap. 71 Rz. 15). Der Anwalt sollte vor allem durch Akteneinsicht oder Rückfragen bei der Poststelle des Gerichts zu klären versuchen, ob die Signale fristJaspersen
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gerecht bei Gericht eingegangen und in einem sog. Internspeicher festgehalten worden sind mit der Folge, dass damit ein rechtzeitiger Zugang uU zu fingieren ist (BVerfG NJW 1996, 2857; an die Befragung über die technische Aufzeichnungsart bei der Posteingangsstelle des Gerichts denken!). Ein entsprechender Hinweis kann sich insbesondere aus einem Vermerk auf dem Fax-Ausdruck ergeben (Liwinska MDR 2000, 500 f.). Unbedingt ist darzulegen, dass am Tag des Fristablaufs mehr elektronische Daten von dem Empfangsgerät des Gerichts empfangen worden sind als dem Ausdruck entspricht und keine Störung im Empfangsgericht zum Abbruch der Verbindung während der Übermittlung geführt hat (BGH MDR 2005, 526 f.).
VI. Einzelfälle aus der Rechtsprechung – Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, für den rechtzeitigen Postausgang doppelte Sicherungen zu 45 treffen. Es genügt, wenn er einen Schriftsatz so rechtzeitig zur Post gibt, dass er innerhalb der von der Post als normal angegebenen Zeit beim Empfänger ankommen kann; erfährt der Anwalt noch vor Fristablauf, dass der Schriftsatz nicht angekommen ist und scheitert ein Rettungsversuch per Fax an der fehlenden Anwaltsunterschrift, so rechnet dieses Versehen nicht zu seinem Verschulden (BGH BRAK 2001, 215). – Grundsätzlich muss der Anwalt seinen Mitarbeitern für die Übersendung von Telefaxen an das Gericht die allgemeine Weisung erteilen, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang auszudrucken, ihn zu prüfen und erst dann die Frist im Fristenkalender zu löschen; für eine wirksame Ausgangskontrolle genügt jedoch auch die allgemeine Weisung, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage beim Empfänger zu streichen (BGH BRAK 2001, 214).
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– Irrt eine Büro-Fachkraft beim Ablesen der Telefax-Empfängernummer aus einer Liste sowohl bei der Eingabe in das Faxgerät als auch bei Kontrolle des Sendeprotokolls, so ist dies eine außergewöhnliche, dem Anwalt nicht zuzurechnende Fehlleistung (BGH NJW-RR 2001, 1071).
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– Zur Behandlung einer per Telekopie übermittelten, unvollständig zu den Akten gelangten Berufungsbegründung (BGH MDR 2001, 828; NJW 2001, 1581).
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– Unterschiedliche Schriftsätze sind durch getrennte Fax-Sendungen zu veranlassen.
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– Zum Nachweis, dass mit dem fristgemäßen Eingang einer dem Gericht per Fax übermittelten Berufungsbegründung habe gerechnet werden können, kann der Hinweis auf eine frühere vergleichbare Sendung geeignet sein (BGH BRAK 2001, 215; NJW-RR 2001, 916).
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– Wird beim Telefax-Verkehr mit den Gerichten die Telefax-Nr. des Adressaten von der Computer- 51 anlage im Büro des Rechtsanwalts automatisch aus einem Stammdatenblatt übernommen, dann hat der Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass die Eintragung der Telefax-Nr. in das Stammdatenblatt kontrolliert wird oder aber dass jede einzelne Sendung zB anhand des Sendeberichts auf die Richtigkeit des Adressaten und der Telefax-Nr. überprüft wird (BGH NJW 2000, 1043; MDR 2000, 416). – Der Anwalt genügt seinen Organisationspflichten, wenn die allgemeine Anweisung besteht oder eine Einzelanweisung ergeht, bei Telefaxübermittlungen anhand des auszudruckenden und zu den Akten zu nehmenden Sendeprotokolls 1. den „OK-Vermerk“ festzustellen, 2. die Anzahl der gesendeten (zu sendenden) Seiten mit der im Sendebericht zu vergleichen und 3. die Fax-Nummer anhand einer zuverlässigen Quelle abzugleichen (vgl. aber Rz. 29 f.). Eine Notfrist, die gleichzeitig gelöscht werden müsste, braucht im Fristenkalender nicht eingetragen zu werden (BGH FamRZ 2001, 1294).
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– Die Frist darf im Fristenkalender erst gelöscht werden, wenn der Sendebericht überprüft worden 53 ist. Dies ist durch entsprechende konkrete Anweisung an den Fristenführer sicherzustellen (BGH VersR 1999, 996).
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Kap. 28 Rz. 54
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54 – Ein Rechtsanwalt kann die Überprüfung eines Schriftsatzes darauf, ob er unterschrieben ist, dele-
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gieren. Er muss dann allerdings durch eine allgemeine Anweisung Vorsorge dafür getroffen haben, dass bei normalem Lauf der Dinge, Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift vermieden werden (OLG Düsseldorf MDR 2008, 163).
55 – Ein Rechtsanwalt, der seiner Kanzleiangestellten die Einzelanweisung erteilt, einen Schriftsatz zur Wahrung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungfrist noch am selben Tag per Telefax an das zuständige Gericht abzusenden, muss, jedenfalls wenn er nicht anordnet, den Schriftsatz sogleich abzuschicken, Vorkehrungen dagegen treffen, dass sein Auftrag im Drange der übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird (BGH MDR 2013, 616 Rz. 9 f.; BGH MDR 2007, 966).
56 – Gelingt es dem Rechtsanwalt trotz zahlreicher Anwählversuche nicht, einen fristgebundenen Antrag per Telefax an eine ihm vom Gericht genannte Telefaxnummer zu übermitteln, ist von ihm zu verlangen, dass er über allgemein zugängliche Quellen, insbesondere den Internetauftritt des Gerichts, die Telefaxnummer überprüft und ggf. eine etwa vorhandene weitere Telefaxnummer des Gerichts ermittelt und den Antrag an diese Telefaxnummer übersendet (BGH NJW 2012, 3516 f.).
57 – Ein Rechtsanwalt darf die Telefax-Sendung seiner ausgebildeten Fachangestellten überlassen. Einer Auszubildenden darf er die Aufgabe nur dann übertragen, wenn diese mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle ihrer Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat, was im Wiedereinsetzungsgesuch darzulegen und glaubhaft zu machen ist (BGH NJW 2014, 225).
58 – Bei einer Übersendung per E-Mail ist die richtige Adressierung fehlerträchtig, weil – anders als bei einer Briefsendung – jeder Fehler „durchschlägt“. Aus diesem Grunde muss mittels der Funktion „Eingangs- und Sendebestätigung“ die ordnungsgemäße Übersendung überprüft werden (VG Regensburg v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30668). Eine Lesebestätigung muss für die Fristenlöschung nicht abgewartet werden.
VII. Der Telefax-Ausdruck nachfolgend nur als Beweismittel 59 Unter Umständen bedarf es nicht nur des rechtzeitigen Zugangs eines bestimmenden Schriftsatzes, sondern auch des fristgerechten Nachweises bzw. der fristgerechten Widerlegung behaupteter Tatsachen. Es stellt sich damit die Frage, welche Beweiskraft per Telefax übermittelten Anlagen zu fristwahrenden Schriftsätzen zukommt. Folgende Fälle sind im besonderen Maße praxisrelevant: 1. Glaubhaftmachung durch Telefax
60 Die ZPO lässt die Glaubhaftmachung als Beweismittel in besonderen Verfahren zu (zB Wiedereinsetzungsverfahren, Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, soweit keine andere gesetzliche Bestimmung Freibeweisverfahren bzgl. der Sachurteilsvoraussetzungen ermöglicht). Ein häufiges Mittel der Glaubhaftmachung ist die eidesstattliche Versicherung. Für diese ist eine vom Gesetz vorgeschriebene Form, insbesondere die Schriftform, nicht vorgeschrieben. Als Wissensbekundung über tatsächliche Umstände kann sie deshalb auch mündlich abgegeben werden (MüKo.ZPO/Prütting § 294 ZPO Rz. 18). Wesentlich ist der erkennbare Wille, die tatsächliche Bekundung in Hinsicht auf ihre Richtigkeit „an Eides Statt“ abzugeben. Damit bestehen auch keine Bedenken, das Telefax als Glaubhaftmachungsmittel grundsätzlich zuzulassen, wenn der Urheber des Telefax individualisiert ist (BayObLG NJW 1996, 406 ff.).
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Wichtig: Von der Frage der Zulässigkeit ist die Frage der Beweiskraft zu unterscheiden. Für den Urheber eines Telefax streitet nach allgemeiner Ansicht nicht die Beweisregel des § 440 Abs. 2 ZPO (OLG Frankfurt MDR 2000, 1330, 1331). Um von vorneherein möglichen Einwänden gegen den Beweiswert der eidesstattlichen Versicherung (etwa dem Einwand, die Unterschrift decke nicht den gesamten Text ab oder es sei nur eine Kopie als Vorlage für das Telefax Jaspersen
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Rz. 66 Kap. 28
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verwandt worden, was als nicht ausreichend angesehen werden könnte, OLG Düsseldorf StV 1994, 284) den Boden zu entziehen, sollte das Original unverzüglich, spätestens aber in einer etwaigen mündlichen Verhandlung vorgelegt werden. Dem Umstand, dass die Vorlage eines Telefax ein zulässiges Glaubhaftmachungsmittel ist, korrespondiert die Strafbarkeit der Vorlage einer „gefälschten“ eidesstattlichen Erklärung oder die Bezugnahme auf ein „falsches Telefax“ in einer mündlichen Verhandlung; hierauf sollte der Rechtsanwalt hinweisen. 2. Nachweis der Vollmacht Die Prozessvollmacht kann formlos im Innenverhältnis dem Rechtsanwalt oder im Außenverhältnis 62 dem Gericht gegenüber erteilt werden. Bedarf es allerdings des Nachweises der Prozessvollmacht (vgl. § 88 ZPO), muss der Bevollmächtigte den Nachweis durch Einreichung einer schriftlichen Vollmacht zu den Gerichtsakten führen (§ 80 S. 1 ZPO). Das Tatbestandsmerkmal der Schriftlichkeit knüpft an § 416 ZPO an. Keinesfalls darf der Rechtsanwalt daraus, dass er bestimmende Schriftsätze per Telefax wirksam bei Gericht einreichen kann, schließen, auch der Nachweis gem. § 80 S. 1 ZPO sei entsprechend möglich. Es geht insoweit nicht um die (rechtzeitige) Einreichung eines Schriftsatzes unter Wahrung der Schriftform mittels moderner Übertragungsmittel, sondern um den Nachweis eines tatsächlichen Geschehens mittels eines Schriftstücks, das seiner Funktion, Beweis zu erbringen, auch gerecht werden kann. Bei einer sog. Vollmachtskette müssen die Voraussetzungen für jedes Glied der Kette erfüllt sein. Ob ein Telefax ausreichend ist, bedarf wegen der nach wie vor nicht restlos geklärten Rechtslage einer differenzierten Betrachtungsweise: – Hat die Prozesspartei bei ihrem Rechtsanwalt eine Vollmachtsurkunde unterschrieben, ist dieses Formular – wie jede Privaturkunde, mit der Beweis angetreten werden soll – im Original dem Gericht vorzulegen. Daraus ergibt sich von selbst, dass eine Information des Gerichts durch ein Telefax nicht ausreichend ist. Denn ein Telefax ist nichts anderes als eine Fernkopie. So wenig es genügt, wenn der Rechtsanwalt die vom Mandanten unterschriebene Vollmacht kopiert und die Kopie mit der Post oder persönlich an das Gericht übermittelt (vgl. BGH NJW 1992, 829), so wenig genügt es, wenn das Gericht per Telefax eine (Fern-)Kopie erhält (BGH MDR 1994, 938; ausf. Wirges/Laghzaoui MDR 1996, 230; aA Karst NJW 1995, 3278, 3280).
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– Hat die Prozesspartei den Rechtsanwalt durch Übersendung eines Telefax beauftragt, ist es jedenfalls erforderlich, das beim Rechtsanwalt ausgedruckte Telefax im Original bei Gericht einzureichen (BGH MDR 2002, 773 f.). Es spricht viel dafür, das Telefax insofern als eine Privaturkunde zu qualifizieren, wenn nur eine Unterschrift auf den Urheber schließen lässt. § 416 ZPO verlangt nach ganz überwiegender Ansicht weder eine Namensunterschrift noch eine Originalunterschrift. Nicht notwendig ist die Einreichung des für das Telefax verwendeten Originals, welches bei einem Computerfax ohnedies nicht in verkörperter Form existiert (Bork JZ 1997, 256). Entsprechend ist damit auch der Fall zu beurteilen, dass der Mandant die Erteilung der Vollmacht im Außenverhältnis dem Gericht per Telefax mitteilt. Auch dies muss zum Nachweis genügen (LG Mönchengladbach MDR 2004, 837 mwN). Ob ein Nachweis der Vollmacht dadurch erfolgen kann, dass die Partei durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments unmittelbar an das Gericht gem. § 130a ZPO die Vollmacht erteilt, ist – noch – ungeklärt, dürfte aber zu bejahen sein (vgl. § 126a BGB).
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– Übermittelt der Rechtsanwalt eine ihm vorliegende Originalvollmacht der Partei auf elektro- 65 nischem Weg an das Gericht (vgl. § 130a Abs. 1 ZPO), genügt dies ebenso wenig § 80 S. 1 ZPO wie eine Übermittlung per Telefax. Denn es lässt sich nicht feststellen, ob die Partei die OriginalVollmachtsurkunde unterzeichnet hat (LG Bochum v. 4.10.2017 – 13 O 136/17).
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Praxistipp: Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, ob einem Tele- bzw. Computerfax Urkundeneigenschaft zukommen kann und mit welcher Wirkung, fehlt nach wie vor (bejahend für ein Telefax OLG Frankfurt MDR 2000, 1330; OLG Brandenburg v. 5.8.2008 – 11 U 41/07). Bedauerlicherweise beantwortet auch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften v. 13.7.2001
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(BGBl. I 2001, 1542) nicht ausdrücklich die Frage, ob und in welchem Umfang einem Tele- bzw. Computerfax Urkundenqualität gem. §§ 415 ff. ZPO zukommt. Selbst wenn die jüngsten Rechtsänderungen in ihrer Gesamtheit einer weniger restriktiven Rechtsprechung den Weg weisen mögen, empfiehlt es sich, sicherheitshalber soweit möglich dem Gericht eine vom Mandanten handschriftlich unterzeichnete Vollmacht spätestens in der mündlichen Verhandlung vorzulegen bzw. bereit zu halten. Dies hat auch den Vorteil, dass sich der Urheber auf die Beweisregel des § 440 Abs. 2 ZPO berufen kann. Der Nachweis einer rechtzeitigen Vollmacht kann selbst noch im Revisionsverfahren nachgeholt werden (BGH MDR 2002, 773 f.).
67 Von der Frage, ob eine Prozessvollmacht gem. § 80 Abs. 1 ZPO durch ein Telefax nachweisbar ist, ist die Frage zu unterscheiden, ob ein Telefax eine Vollmachtsurkunde iS des § 174 BGB sein kann.
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Wichtig: Diese Frage ist zu verneinen (u.a. OLG Hamm NJW 1991, 1185 f.). Bei der Vornahme eines einseitigen privatrechtlichen Geschäfts im Rahmen eines Zivilverfahrens – etwa einer wiederholenden Kündigung – ist deshalb die Originalvollmachtsurkunde über das Gericht dem Gegner zukommen zu lassen, um der Gefahr einer erfolgreichen Zurückweisung gem. § 174 BGB und einer hierauf beruhenden Fristüberschreitung zu entgehen.
3. Telefax als Beweismittel im Urkundenprozess
69 In einem Urkundenprozess sind die erforderlichen Urkunden (s. hierzu Kap. 38 Rz. 77 ff.) in Urschrift oder in Abschrift rechtzeitig gem. § 593 Abs. 2 ZPO vorzulegen. Der Urkundenbegriff in § 592 ZPO deckt sich mit dem der §§ 415 ff. ZPO und umfasst alle schriftlichen Beweisstücke. Deshalb wird es auch – unabhängig von der nach wie vor streitigen Frage, ob eine Kopie Urkundenqualität besitzt – für ausreichend erachtet, dass ein ausgedrucktes Telefax als Urkunde vorgelegt wird (u.a. OLG Schleswig NJW 2014, 945; OLG Köln MDR 1991, 900). Da § 440 Abs. 2 ZPO nicht einschlägig ist (s. Rz. 61), ist die Beweiskraft in freier Beweiswürdigung zu beurteilen.
70 Eine andere Frage ist, ob es genügt, eine Originalurkunde oder die Abschrift einer solchen per Telefax dem Gericht zukommen zu lassen. Lässt man „alle schriftlichen Beweisstücke“ genügen (s. Rz. 4), bestehen keine Bedenken, ein Telefax die Originalurkunde bzw. eine Abschrift ersetzen zu lassen.
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Wichtig: Keinesfalls darf aber der Beweiswert eines Telefax überschätzt werden. Der Rechtsanwalt muss deshalb darauf vorbereitet sein, spätestens in der mündlichen Verhandlung die Originalurkunde vorlegen zu müssen. Der Gegner des Beweisführers sollte bei Zweifeln rechtzeitig die Echtheit der Kopie bestreiten, um die Vorlage des Originals zu erreichen.
VIII. Elektronischer Rechtsverkehr 1. Grundlagen
72 Elektronische Kommunikation per E-Mail, Vertragsabschlüsse über Webseiten, Internetportale, Onlinebanking-Anwendungen und die elektronische Abgabe von Steuererklärungen sind mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil des Alltags geworden. Für den elektronischen Rechtsverkehr, also die rechtsverbindliche Übermittlung von Schriftsätzen und Entscheidungen zwischen Anwälten und Gerichten, ist die Entwicklung wesentlich langsamer vorangeschritten – nicht zuletzt deshalb, weil der Gesetzgeber schon früh begonnen hat, Regelungen zu schaffen, die sich wegen allzu strenger Vorgaben für die Verbreitung der neuen Technik eher als Hemmschuh erwiesen haben. Seit längerem etabliert haben sich elektronische Kommunikationsformen für den Anwalt bislang nur in Randbereichen: Zum einen in dem – in der Regel den Notaren vorbehaltenen – Bereich der Anmeldungen zum Handelsregister, zum anderen im Bereich des gerichtlichen Mahnverfahrens. Anders als in sonstigen Bereichen ist für den elektronischen Mahnantrag die Verwendung einer Signaturkarte oder eines sicheren Übertragungswegs iSv. § 130a Abs. 4 ZPO nicht zwingend erforderlich. 546
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Einen neuen Anlauf hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten unternommen, das bereits am 16.10.2013 verkündet wurde (BGBl. I, 3786), seinem wesentlichen Inhalt nach aber erst am 1.1.2018 in Kraft getreten ist (zum Inhalt Bacher MDR 2014, 998). Es sieht erstmals auch für den Kernbereich aller Verfahrensordnungen eine bundeseinheitliche Regelung der technischen Rahmenbedingungen vor. Seither ist die elektronische Einreichung von Schriftsätzen nach einheitlichen Regeln bei nahezu allen Gerichten in Deutschland möglich. Eine weitere Phase wird nach derzeitigem Gesetzesstand am 1.1.2022 beginnen. Dann werden Rechtsanwälte nicht mehr nur berechtigt, sondern verpflichtet sein, Schriftsätze auf elektronischem Weg bei Gericht einzureichen.
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
a) Zulassung kraft Gesetzes Die zentrale Vorschrift für den elektronischen Rechtsverkehr bildet § 130a Abs. 1 ZPO. Danach können vorbereitende Schriftsätze und dergleichen als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Die wesentlichen Anforderungen an die elektronischen Dokumente ergeben sich aus § 130a Abs. 2–6 ZPO und der auf Grundlage von § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO erlassenen Regelungen.
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Praxistipp: Praktisch alle Gerichte sind auch per E-Mail erreichbar und bitten mitunter zur Verfahrensvereinfachung im Einzelfall um zusätzliche Übermittlung eines Schriftsatzes auf diesem Weg. In solchen Fällen ist stets daran zu denken, dass die Übersendung per E-Mail zur rechtswirksamen und fristwahrenden Einreichung in aller Regel nicht ausreicht. Der Schriftsatz muss also zusätzlich auf einem nach der einschlägigen Verfahrensordnung zulässigen Weg eingereicht werden. Dafür stehen der elektronische Rechtsverkehr nach § 130a ZPO und – bis 31.12.2021 – alle konventionellen Übermittlungsarten (Briefpost, Telefax, Bote, Telegramm) zur Verfügung.
Eine formal eigenständige, aber mit § 130a ZPO inhaltlich übereinstimmende Regelung enthalten:
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– für die Arbeitsgerichte: § 46c ArbGG; – für die Verwaltungsgerichte: § 55a VwGO; – für die Sozialgerichte: § 65a SGG; – für die Finanzgerichte: § 52a FGO; – für das Strafverfahren: § 32a StPO.
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Zahlreiche andere Verfahrensordnungen enthalten eine Bezugnahme auf eine dieser Vorschriften: – für Anträge und Erklärungen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit: § 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG (§ 130a ZPO gilt entsprechend); – für Beschwerden und Rechtsbeschwerden in Grundbuchsachen: § 73 Abs. 2 Satz 2 und § 78 Abs. 3 GBO (§ 14 Abs. 1–3 und 5 FamFG gilt entsprechend); – für Beschwerden und Rechtsbeschwerden in Schiffsregistersachen: § 77 Abs. 2 Satz 2 und § 83 Abs. 3 SchRegO (§ 14 Abs. 1–3 und 5 FamFG gilt entsprechend); – für gerichtliche Verfahren nach dem Patentgesetz: § 125a Abs. 2 PatG (Vorschriften der ZPO über elektronische Dokumente gelten entsprechend); – für gerichtliche Verfahren nach dem Markengesetz: § 95a Abs. 2 MarkenG (Vorschriften der ZPO über elektronische Dokumente gelten entsprechend); – für gerichtliche Verfahren nach dem Designgesetz: § 25 Abs. 2 DesignG (Vorschriften der ZPO über elektronische Dokumente gelten entsprechend);
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
– für Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren in Kartellverwaltungssachen: § 73 Nr. 2 und § 76 Abs. 5 GWB (Vorschriften der ZPO über den elektronischen Rechtsverkehr gelten entsprechend); – für Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz: § 85 Nr. 2 und § 88 Abs. 5 EnWG (Vorschriften der ZPO über den elektronischen Rechtsverkehr gelten entsprechend); – für Bußgeldverfahren: § 110c OWiG (§ 32a StPO gilt entsprechend).
78 Daneben sind die oben aufgezählten Vorschriften auch dann anwendbar, wenn das einschlägige Verfahrensrecht eine allgemeine Bezugnahme auf eine dieser Verfahrensordnungen enthält und keine abweichende Regelung trifft. Demnach ist der elektronische Rechtsverkehr – anders als nach der bis 31.12.2017 geltenden Rechtslage (vgl. dazu BGH DNotZ 2015, 548 Rz. 11 für ein Disziplinarverfahren gegen einen Notar) – zum Beispiel auch für folgende Verfahren zulässig: – für gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen: § 9 LwVfG (Vorschriften des FamFG gelten sinngemäß); – für gerichtliche Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen: § 112c Abs. 1 BRAO (Bestimmungen der VwGO gelten entsprechend); – für gerichtliche Disziplinarverfahren: § 3 BDG (Bestimmungen der VwGO gelten entsprechend); – für gerichtliche Disziplinarverfahren gegen Notare: § 96 Abs. 1 Satz 1, § 105 und § 109 BNotO (Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes gelten entsprechend); – für Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz: § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG (Vorschriften der StPO gelten entsprechend). b) Ergänzende Regelungen
79 Details der einzuhaltenden technischen Vorgaben sind in der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs (ERVV, BGBl. I 2017, 3803) geregelt. Darin sind insbesondere die zulässigen Dateiformate festgelegt. Wegen Einzelheiten vgl. Rz. 93 ff.
80 Gemäß § 5 Abs. 1 ERVV hat die Bundesregierung weitere Detailfragen durch eine Bekanntmachung zu regeln, die im Bundesanzeiger und auf den Internetseiten des Justizportals (http://www.justiz.de) zu veröffentlichen ist. Dies betrifft die zulässigen Versionen der jeweiligen Dateiformate (Rz. 100), die Struktur der maschinenlesbaren Datensätze (Rz. 113), die Höchstgrenzen für die Anzahl und das Volumen elektronischer Dokumente (Rz. 101), die zulässigen physischen Datenträger (Rz. 102) und die Einzelheiten der Anbringung einer qualifizierten elektronischen Signatur (Rz. 110). Die erste Fassung dieser Bekanntmachung (ERVB 2018) ist am 19.12.2017 veröffentlicht worden (https://justiz. de/elektronischer_rechtsverkehr/index.php). Die darin getroffenen Festlegungen bleiben bis mindestens 31.12.2020 in Kraft. c) Übergangsregelungen
81 Nach Art. 24 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (Rz. 73) und § 15 EGStPO können die Landesregierungen durch Verordnung bestimmen, dass sich der elektronische Rechtsverkehr bis Ende 2018 oder Ende 2019 weiterhin nach den bis 31.12.2017 geltenden Regeln richtet. Von dieser Ermächtigung haben Bund und Länder nur für Strafsachen und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten Gebrauch gemacht. Einige Länder haben den elektronischen Rechtsverkehr in diesem Bereich auf der Basis des alten Rechts eröffnet, also durch Verordnung der Landesjustizverwaltung. In Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren verbleibt es damit bis zum 31.12.2019 bei einem bunten Strauß von Sonderregelungen. 548
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Rz. 88 Kap. 28
Praxistipp: Vor der Einreichung eines elektronischen Dokuments in einem Straf- oder Ord- 82 nungswidrigkeitenverfahren muss bis 31.12.2019 für jeden einzelnen Empfänger geklärt werden, ob und nach welchen Regeln der elektronische Rechtsverkehr bereits zugelassen ist. Der aktuelle Stand kann auf einer Informationsseite der Bundesrechtsanwaltskammer (http://bea.brak.de/ bea-und-erv/achtung-opt-out/) eingesehen werden.
d) Benutzungszwang Während die ZPO und die oben (Rz. 76) aufgezählten Verfahrensordnungen einen Benutzungszwang erst ab 1.1.2022 vorsehen (§ 130d ZPO nF), ist die elektronische Einreichung von Anmeldungen und Unterlagen bei den Registergerichten gem. § 12 HGB schon seit 1.1.2007 zwingend vorgeschrieben. Einzelheiten haben die Länder in überwiegend gleichlautenden Verordnungen auf der Grundlage von § 8a Abs. 2 HGB geregelt. Elektronische Anmeldungen sind bei allen Registergerichten mittels des EGVP-Verfahrens (elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach, http://www.egvp.de) zu übermitteln. Zum Versenden und Empfangen solcher Nachrichten auf Anwaltsseite sieht das Gesetz insbesondere das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vor.
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Für Rechtsanwälte ist in § 690 Abs. 3 Satz 2 ZPO aF die elektronische Einreichung seit 1.12.2008 auch bei Anträgen im gerichtlichen Mahnverfahren zwingend vorgeschrieben. Seit 1.1.2018 gilt dies gem. § 702 Abs. 2 ZPO für alle Anträge und Erklärungen im Mahnverfahren, für die maschinell bearbeitbare Formulare eingeführt sind, mit Ausnahme des Widerspruchs. Die Einreichung solcher Anträge ist auch ohne Signaturkarte und Spezialsoftware über die Internetseite https://www.mahnge richte.de möglich.
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Praxistipp: Für Anwaltskanzleien, die in größerem Umfang Mahnverfahren bearbeiten, empfiehlt sich die Anschaffung spezieller Software, die die Übernahme der in den Antrag aufzunehmenden Daten aus einem vorhandenen Kanzleiverwaltungsprogramm erlaubt.
2. Technische Ausgestaltung a) Besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) Als Ankerpunkt des elektronischen Rechtsverkehrs für den Anwalt sieht das Gesetz das besondere 86 elektronische Anwaltspostfach (beA) vor. § 31a Abs. 1 BRAO verpflichtet die Bundesrechtsanwaltskammer, für jedes im Gesamtverzeichnis eingetragene Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ein solches Postfach einzurichten. Technische Einzelheiten des Betriebs sind in der Rechtsanwaltsverzeichnisund -postfachverordnung (RAVPV) geregelt. Jeder Inhaber eines beA – also jeder Rechtsanwalt – ist gem. § 31a Abs. 6 BRAO verpflichtet, die zur Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das besondere elektronische Anwaltspostfach zur Kenntnis zu nehmen. Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ermöglicht die Übersendung von Nachrichten 87 und Dokumenten zwischen Anwalt und Gericht oder von Anwalt zu Anwalt. Das Gegenstück auf Seiten der Gerichte bildet das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP), das auf derselben Technik beruht. Entsprechend der Vorgabe in § 19 Abs. 3 Abs. 3 RAVPV ist auch die Kommunikation zwischen einem Anwalt und anderen Inhabern eines EGVP-Postfachs möglich. Ein solches Postfach hat wegen § 12 HGB grundsätzlich jeder Notar. Mandanten können sich mit Hilfe von frei verfügbarer Software (zB Governikus Communicator, https://www.governikus.de/produkte-loesun gen/governikus-communicator/justiz-edition) ein sog. Bürgerpostfach einrichten und darüber Nachrichten und Dokumente mit Anwälten und Gerichten austauschen. In Kanzleien mit mehreren Anwälten kann sich die Handhabung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) schwierig gestalten. Trotz zahlreicher Wünsche aus der Praxis ist die Einrichtung eines gemeinsamen Postfachs für mehrere Anwälte derzeit nicht vorgesehen. Möglich ist Bacher
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
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Kap. 28 Rz. 89
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
die Einräumung von Zugriffsrechten zugunsten von Kollegen und Mitarbeitern. Beim Versand von Dokumenten ohne qualifizierte elektronische Signatur muss aber darauf geachtet werden, dass das „richtige“ Postfach verwendet wird (vgl. Rz. 107 f.). b) Zustellung und elektronisches Empfangsbekenntnis
89 Zur Wirksamkeit einer Zustellung ist auch bei Versand an das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ein Empfangsbekenntnis erforderlich. Das Gericht kann zwar alsbald nach dem Versand feststellen, ob und zu welchem Zeitpunkt das Dokument im Postfach des Empfängers eingegangen ist. Für die mit der Zustellung beginnenden Fristen und sonstigen Rechtswirkungen ist aber der Zeitpunkt maßgeblich, für den der Anwalt den Empfang bestätigt.
90 Nach § 174 Abs. 4 Satz 3 ZPO, der kraft Verweisung auch für die übrigen Verfahrensordnungen maßgeblich ist, muss eine elektronische Zustellung durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis bestätigt werden. Dieses muss in strukturierter maschinenlesbarer Form anhand eines von der zustellenden Stelle zur Verfügung gestellten Datensatzes erstellt und auf elektronischem Weg an den Absender zurückgesandt werden. Für die von der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verfügung gestellte beA-Software (https://www.bea-brak.de/bea) sowie gängige Kanzleiprogramme mit beA-Anbindung ist die hierfür erforderliche Funktionalität vorgesehen.
91 Das Empfangsbekenntnis für eine mittels Post oder Telefax übermittelte Zustellung kann gem. § 174 Abs. 4 Satz 2 ZPO wahlweise auf einem dieser beiden Übermittlungswege oder als elektronisches Dokument gem. § 130a ZPO (dh. als PDF-Dokument) zurückgesandt werden.
92 Die Regeln über das Empfangsbekenntnis gelten gem. § 185 Abs. 2 ZPO entsprechend für eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt. Bei einer Zustellung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) muss der Absender mithin einen maschinenlesbaren strukturierten Datensatz übermitteln. Der Empfänger muss diesen Datensatz vervollständigen und als elektronisches Empfangsbekenntnis iSv. § 174 Abs. 4 Satz 3 ZPO an den Absender zurücksenden. c) Dateiformate
93 Die einzuhaltenden Anforderungen an die technische Beschaffenheit der einzureichenden Dokumente sind in der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr (ERVV) geregelt. Zentrale Bedeutung kommt dabei § 2 Abs. 1 ERVV zu. Danach müssen alle Dokumente als PDF-Datei übermittelt werden. Diese muss druckbar, kopierbar und – bei Einreichungen ab 1.7.2019 – durchsuchbar sein. Wenn bildliche Darstellungen in einer PDF-Datei nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf zusätzlich eine TIFF-Datei übermittelt werden.
94 Die Anforderungen des § 2 Abs. 1 ERVV gelten grundsätzlich für alle Schriftsätze und Anlagen. Ausgenommen sind Dateien, die als Beweismittel eingereicht werden, etwa Audio- oder Videodateien, die zum Zwecke des Augenscheins vorgelegt werden. Diese können in anderen Formaten wie zB WAV, MP3 oder AVI übermittelt werden (BR-Drucks. 645/17, S. 11).
95 Das Dateiformat PDF (portable document format) hat sich in der Praxis als Quasi-Standard für den Austausch von Dokumenten etabliert. Die Version 1.7 (ISO 32000-1:2008) sowie die speziell für die Langzeitarchivierung konzipierten Versionen PDF/A-1 und PDF/A-2 (ISO 19005-1:2005 und ISO 19005-2:2011) sind sogar zu internationalen technischen Standards erhoben worden. Programme zum Lesen von PDF-Dokumenten sind für viele Betriebssysteme erhältlich. PDF bietet zudem den Vorteil, dass das Dokument mit allen Programmen und Betriebssystemen im Wesentlichen mit demselben Layout angezeigt wird. Die Erstellung von PDF-Dokumenten gehört bei moderneren Textverarbeitungssystemen in der Regel zum normalen Funktionsumfang.
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Rz. 102 Kap. 28
Die Möglichkeit, das Dokument auszudrucken und dessen Inhalt (zumindest als Grafik) ganz oder 96 teilweise in andere Dokumente zu kopieren, ist bei PDF-Dokumenten von Haus aus gegeben. Probleme können allenfalls bei Dokumenten aus fremder Quelle bestehen, die als Anlagen vorgelegt werden sollen und mit einem Druck- oder Kopierschutz versehen sind. Solche Dokumente dienen aber in aller Regel Beweiszwecken und unterliegen als solche grundsätzlich nicht den Anforderungen aus § 2 Abs. 1 ERVV (vgl. Rz. 94). Die Möglichkeit, ein PDF-Dokument nach Volltext zu durchsuchen, bereitet in der Regel ebenfalls keine Schwierigkeiten, wenn das Dokument in der Anwaltskanzlei aus einem Textverarbeitungssystem heraus erstellt wird. Bei eingescannten Dokumenten muss hingegen eine Texterkennung mittels einer so genannten OCR-Software (optical character recognition) durchgeführt werden. Bei höherwertigen Kopiergeräten ist diese Funktion mitunter schon eingebaut.
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Das Dateiformat TIFF (tagged image file format) dient der Speicherung und Wiedergabe von grafischen Informationen. Es ermöglicht je nach Einsatzszenario eine höhere Detailtreue als PDF und ist in § 2 ERVV deshalb als zusätzliches Format für den Fall zugelassen, dass die – stets erforderliche – Übermittlung in einer PDF-Datei nicht ausreicht, um die grafische Information hinreichend deutlich darzustellen. Nach der Begründung des Verordnungsentwurfs kommt dies vor allem bei aufwändigen Grafiken, Planzeichnungen, Fotos und sonstigen Abbildungen in Betracht. Ob die zusätzliche Übermittlung einer TIFF-Datei danach geboten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. In allen Zweifelsfällen entspricht es anwaltlicher Vorsicht, eine TIFF-Datei mitzuversenden.
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Praxistipp: Detailreiche TIFF-Dateien nehmen häufig sehr viel Speicherplatz in Anspruch. In entsprechenden Fällen ist deshalb besonders sorgfältig darauf zu achten, dass die zulässige Maximalgröße für eine Nachricht (Rz. 101) nicht überschritten wird. Kann die Grenze nicht eingehalten werden, muss die TIFF-Datei in einer separaten Nachricht versendet werden. Überschreitet die TIFF-Datei schon für sich gesehen die zulässige Maximalgröße, bleibt nur die Einreichung auf Papier (Rz. 102).
Die zulässigen Versionen der Formate PDF und TIFF werden gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV durch Bekanntmachung der Bundesregierung festgelegt. Nach der ersten Fassung dieser Bekanntmachung (Rz. 79) sind bis mindestens 31.12.2020 alle Versionen bis einschließlich PDF 2.0, ferner PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA sowie TIFF 6 zugelassen. Die Verwendung anderer Versionen ist nicht zulässig. Sie birgt das Risiko, dass die Datei als nicht bearbeitbar zurückgewiesen wird.
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d) Maximale Anzahl und Größe der übermittelten Dateien Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 ERVV hat die Bundesregierung durch Bekanntmachung die Höchstgrenzen 101 für die Anzahl und das Volumen elektronischer Dokumente festzulegen. Nach der ersten Fassung der Bekanntmachung (Rz. 80) darf eine Nachricht mindestens bis 31.12.2018 höchstens 100 Dateien als Anlagen enthalten und insgesamt eine Größe von 60 Megabyte haben. Die zuerst genannte Grenze erscheint recht großzügig. Sie relativiert sich aber, weil pro Dokument bis zu vier Dateien anfallen können (PDF, TIFF, XML, Signatur), so dass sie im Extremfall schon bei einem Schriftsatz mit 24 Anlagen erreicht sein kann. Die Höchstgrenze für die Dateigröße kann selbst bei einer deutlich kleineren Anzahl von Dateien überschritten sein, wenn der überwiegende Teil davon aus eingescannten PDF-Dateien oder aus TIFF-Dateien besteht. Wenn die Höchstgrenzen überschritten werden, besteht häufig die Möglichkeit, eine Sendung auf 102 mehrere Nachrichten zu verteilen. Nach § 3 ERVV ist es in solchen Fällen aber auch zulässig, die Dokumente auf herkömmlichem Weg einzureichen. Hierbei sollen der Schriftsatz und die Anlagen möglichst auf einem zulässigen Datenträger beigefügt werden. Nach der gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 ERVV einschlägigen Bekanntmachung der Bundesregierung (Rz. 80) dürfen hierzu bis mindestens 31.12.2020 CDs und DVDs eingesetzt werden. USB-Sticks sind nicht zugelassen.
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
Kap. 28 Rz. 103
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
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e) Elektronische Signatur und Verschlüsselung
103 Eine wichtige Grundlage für die Sicherheit des elektronischen Rechtsverkehrs ist die elektronische Signatur. Dies ist eine Art elektronisches Siegel. Es wird mit Hilfe einer speziellen Software und einer persönlichen Chipkarte erzeugt. Seine Zusammensetzung hängt vom Inhalt des signierten Dokuments und von der eingesetzten Chipkarte ab. Zur Erzeugung werden mathematische Verfahren eingesetzt, die gewährleisten, dass eine eindeutige Zuordnung zum Inhalt und zur benutzten Chipkarte möglich ist. Deshalb kann eine vorhandene elektronische Signatur jederzeit darauf überprüft werden, ob sie von der angegebenen Person erzeugt wurde und ob das zugehörige Dokument nach der Signatur unverändert geblieben ist.
104 Die grundlegenden technischen Anforderungen sind in Art. 25 ff. der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 (eIDAS-Verordnung, ABl. EU 2014 L 257, S. 73) geregelt. Dort werden für verschiedene Einsatzzwecke unterschiedliche Sicherheitsstufen definiert (einfache – fortgeschrittene – qualifizierte Signatur, vgl. Art. 3 Nr. 10–12 eIDAS).
105 Materiell-rechtlich ist die qualifizierte elektronische Signatur der herkömmlichen Unterschrift weitgehend gleich gestellt. Gemäß § 126 Abs. 3 BGB kann die gesetzliche Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Zur Einhaltung der elektronischen Form muss der Erklärende gem. § 126a Abs. 1 BGB der Erklärung seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zur Einhaltung dieser Form ist bei den am Markt erhältlichen technischen Lösungen die Verwendung einer persönlichen Signaturkarte erforderlich.
106 Zur Einhaltung der prozessrechtlichen Anforderungen muss das Dokument gem. § 130a Abs. 3 ZPO grundsätzlich mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person, bei anwaltlichen Schriftsätzen also des Anwalts versehen sein. Eine einfache Signatur, dh. die Wiedergabe des Namens am Ende des Schriftsatzes, genügt, wenn das Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird.
107 Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört gem. § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO insbesondere der Weg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Die Übermittlung auf diesem Weg macht eine qualifizierte Signatur des Dokuments allerdings nur dann entbehrlich, wenn der Anwalt, dessen Name im Dokument angegeben ist, selbst den Versand übernimmt. Wie bei anderen Übermittlungsarten kann es aus organisatorischen und haftungsrechtlichen Gründen indes zweckmäßig sein, den Versand an eine sorgfältig ausgewählte, angeleitete und überwachte Kanzleikraft zu delegieren (näher dazu Rz. 131 f.). In Kanzleien mit mehreren Anwälten ist zudem denkbar, dass ein Anwalt einen Schriftsatz übermittelt, in dem einer seiner Sozien als verantwortende Person angegeben ist (vgl. Rz. 88). In beiden Konstellationen muss der Anwalt, der den Schriftsatz verantwortet, das zu versendende Dokument, dh. die PDF-Datei, die an das Gericht übermittelt werden soll, zwingend mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen.
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Praxistipp: Um Haftungsrisiken zu minimieren, empfiehlt es sich, jedes zum Versand an ein Gericht bestimmte elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des verantwortenden Anwalts zu versehen, auch dann, wenn der Anwalt es selbst über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versendet.
109 Sofern eine qualifizierte elektronische Signatur eingesetzt wird, muss gem. § 4 Abs. 2 ERVV jedes elektronische Dokument gesondert signiert werden. Eine so genannte Container-Signatur, mit der (ähnlich wie bei einer Unterschrift auf einem verschlossenen Briefumschlag) mehrere PDF-Dateien mit einer gemeinsamen Signatur versehen werden, ist anders als nach früherem Recht (dazu BGH MDR 2013, 1064 Rz. 10) nicht zulässig (BSG NJW 2018, 2222 Rz. 5). Bei Verstoß gegen diese Vorgabe kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur unter relativ engen Voraussetzungen in Betracht (BSG NJW 2018, 2222 Rz. 11).
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Rz. 116 Kap. 28
Nach der aufgrund von § 5 Abs. 1 Nr. 5 ERVV ergangenen Bekanntmachung (Rz. 80) ist die Sig- 110 naturinformation entweder nach einem näher definierten Standard in die PDF-Datei einzubetten (inline signature) oder nach Maßgabe eines ebenfalls näher definierten Standards in einer gesonderten Datei abzulegen (detached signature). Das Einbetten bietet den Vorteil, dass nur eine Datei versendet werden muss. Ein möglicher Nachteil ist, dass nicht jedes Programm zum Lesen von PDFDateien mit eingebetteten Signaturinformationen umgehen kann. Die Ablage in einer gesonderten Datei (typische Dateiendung: P7S) vermeidet dieses Problem. Diese Verfahrensweise erfordert aber zusätzliche Sorgfalt, weil für jedes signierte Dokument zwei Dateien (PDF und P7S) übermittelt werden müssen; darüber hinaus benötigt der Empfänger ein spezielles Programm, um die P7S-Datei auswerten zu können. Nicht zugelassen ist die Zusammenfassung von Dokument und Signaturinformation in einer so genannten Verbunddatei (typische Dateiendung: P7M). Die elektronische Signatur soll sicherstellen, dass ein Dokument von einer bestimmten Person her- 111 rührt (Authentizität) und dass es seit der Unterschrift nicht verändert worden ist (Integrität). Die Verschlüsselung von Daten dient demgegenüber der Vertraulichkeit. Technisch sind die Verfahren zur Signatur und Verschlüsselung aber weitgehend vergleichbar. Die eIDAS-Verordnung enthält keine Vorgaben für Verschlüsselungsmechanismen. § 130a ZPO und § 4 ERVV schreiben eine Verschlüsselung mittelbar vor, weil auf allen danach zulässigen Übermittlungswegen die übersandten Nachrichten automatisch so verschlüsselt werden, dass grundsätzlich nur der Adressat sie im Klartext lesen kann. f) XML-Datensatz Nach § 2 Abs. 3 ERVV soll dem elektronischen Dokument ein strukturierter maschinenlesbarer Datensatz im Dateiformat XML beigefügt werden, aus dem mindestens die Bezeichnung des Gerichts, das Aktenzeichen des Verfahrens, die Bezeichnung der Parteien oder Verfahrensbeteiligten und der Gegenstand des Verfahrens hervorgehen. Dieser Datensatz soll es ermöglichen, die darin enthaltenen Angaben automatisiert in das Computersystem des Empfängers zu übernehmen.
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Die Struktur des XML-Datensatzes hat die Bundesregierung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 ERVV durch Bekanntmachung (Rz. 80) festzulegen. Die Software für das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sieht die Erzeugung solcher Datensätze vor, erfordert aber die manuelle Eingabe der benötigten Daten. In der Regel ist deshalb der Einsatz einer Kanzleisoftware zweckmäßig, die den Datensatz anhand der dort hinterlegten Daten automatisch erstellt und zusammen mit dem signierten Dokument zum Versand über das beA bereitstellt.
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g) Zugang und Fristwahrung Vor allem bei fristgebundenen Schriftsätzen ist von entscheidender Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen ein Dokument wirksam bei Gericht eingereicht ist.
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Der Zeitpunkt der Einreichung ist in § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO geregelt. Danach ist ein elektronisches Dokument eingereicht, sobald es auf der den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dies ist in der Regel der Zeitpunkt, zu dem die Nachricht im EGVP-Postfach des Gerichts abgelegt wurde. Hierüber erhält der Einsender entsprechend der Vorgabe in § 130 Abs. 5 Satz 2 ZPO eine automatisierte Bestätigung.
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Die Regelung in § 130a Abs. 5 ZPO ist – wie die gesamte Vorschrift – nur für die Übermittlung von 116 Dokumenten und Daten auf elektronischem Weg anwendbar. Bei der – nur im Mahnverfahren zulässigen – Einreichung von Daten auf Datenträger gelten für den Eingang hingegen dieselben Regeln wie für die Einreichung papiergebundener Schriftsätze (OLG Karlsruhe NJW-RR 2007, 1222 f. zu § 130a ZPO aF).
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
Kap. 28 Rz. 117
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
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117 Die Wirksamkeit der Einreichung setzt voraus, dass das eingereichte Dokument den allgemeinen Vorgaben in § 130a Abs. 2 und 3 ZPO genügt. Die hierfür maßgeblichen Anforderungen ergeben sich aus § 2 ERVV und der Bekanntmachung gem. § 5 Abs. 1 ERVV.
118 Eine Einreichung ist danach grundsätzlich unwirksam, wenn einer der folgenden Fehler vorliegt: – Die eingereichte Datei ist nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, die den gem. § 5 Abs. 1 Nr. 5 ERVV bekannt gemachten Anforderungen genügt, und wurde nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) oder einen anderen sicheren Übermittlungsweg eingereicht. – Die eingereichte Datei weist nicht das in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV vorgeschriebene PDF-Format (mit der in der Bekanntmachung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgeschriebenen Version) auf. – Der Inhalt der PDF-Datei kann entgegen § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV nicht ausgedruckt, nicht kopiert oder (bei Einreichungen ab 1.7.2019) nicht durchsucht werden. – Eine der nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 ERVV bekannt gemachten Höchstgrenzen für die Anzahl oder das Volumen elektronischer Dokumente ist überschritten.
119 Ist einer dieser Fehler aufgetreten, so hat das Gericht dies gem. § 130 Abs. 6 Satz 1 ZPO dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Der Einreicher hat dann gem. § 130 Abs. 6 Satz 2 ZPO die Möglichkeit, die betroffenen Dokumente in ordnungsgemäßer Form nachzureichen. Sofern dies unverzüglich geschieht und der Einreicher glaubhaft macht, dass der Inhalt der nachgereichten Dokumente mit demjenigen der ursprünglich eingereichten übereinstimmt, gelten die Dokumente als im Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen. Anders als bei einem Wiedereinsetzungsantrag ist hierbei unerheblich, ob der ursprünglich aufgetretene Fehler auf einem Verschulden des Einsenders beruht.
120 Die Möglichkeit zur Nachreichung gem. § 130 Abs. 6 Satz 1 ZPO besteht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht, wenn eine eingereichte Datei zwar ordnungsgemäß signiert ist, hierzu aber entgegen § 4 Abs. 2 ERVV Containersignatur eingesetzt wurde. In diesem Fall soll nur eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen (BSG NJW 2018, 2222 Rz. 11; dazu oben Rz. 109).
121 Der Verstoß gegen eine in der ERVV enthaltene Soll-Vorschrift lässt die Wirksamkeit der Einreichung grundsätzlich unberührt. Je nach den Umständen des Einzelfalls können dennoch Rechtsnachteile drohen, etwa dann, wenn entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV keine TIFF-Datei beigefügt wurde und die grafische Information in der übermittelten PDF-Datei nicht detailliert genug ist, um den Parteivortrag hinreichend zu verdeutlichen. Ferner ist nicht auszuschließen, dass das Empfangssystem des Gerichts eine Sendung wegen Nichteinhaltung einer Soll-Vorschrift im Einzelfall zurückweist und es deshalb nicht zu einer wirksamen Einreichung iSv. § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO kommt.
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Praxistipp: Wenn das Empfangssystem des Gerichts eine Sendung wegen Nichteinhaltung einer Soll-Vorschrift zurückweist, sollte der Einsender nach § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO (Rz. 119) verfahren, also die Sendung unverzüglich in korrekter Form wiederholen und glaubhaft machen, dass die neue Sendung inhaltlich mit der früheren übereinstimmt.
3. Büroorganisation
123 Der elektronische Rechtsverkehr erfordert keine grundlegende Erneuerung bewährter kanzleiinterner Organisationsstrukturen (vgl. dazu auch Bacher MDR 2014, 1053, 1054 f.). Unumgänglich ist allerdings die Anpassung oder Neudefinition einzelner Abläufe im Zusammenhang mit der Ausfertigung, Signatur und Versendung von ausgehenden Dokumenten und im Zusammenhang mit dem Empfang, der Weiterleitung und der Ablage von eingehenden Dokumenten.
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Rz. 129 Kap. 28
Darüber hinaus eröffnet der elektronische Rechtsverkehr die Möglichkeit zur Umstellung der Aktenführung. Sofern Akten schon bislang elektronisch geführt wurden, entfällt ggf. die Notwendigkeit, ein eingehendes Dokument einzuscannen, mit Metadaten zu versehen und der einschlägigen Akte zuzuordnen. Ein elektronisch übermitteltes Dokument kann bei Einsatz geeigneter Kanzleisoftware anhand des beigefügten XML-Datensatzes automatisch zugeordnet und in einen elektronischen Posteingangskorb gelegt werden. Sofern die Akten bislang auf Papier geführt werden, kann dieser Vorteil einen Anreiz bilden, auf elektronische Aktenführung umzustellen. Eine zwingende Verknüpfung zwischen elektronischem Rechtsverkehr und elektronischer Aktenführung besteht indes nicht. So ist es durchaus möglich, auch elektronische eingegangene Dokumente auszudrucken und zur Papierakte zu nehmen und die Umstellung auf elektronische Aktenführung einem zweiten, zeitlich nachfolgenden Schritt vorzubehalten.
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Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
a) Erforderliche Ausstattung Zur Erstellung von Dokumenten kann in aller Regel die vorhandene Hard- und Softwareausstattung weiterverwendet werden. Die Minimalanforderung bilden insoweit ein handelsüblicher Personal Computer (PC) und ein Textverarbeitungsprogramm. Sofern dieses nicht in der Lage ist, ein Dokument im PDF-Format abzuspeichern, ist zusätzliche Software erforderlich, die diese Aufgabe bewältigen kann. Darüber hinaus wird in der Regel ein Kopier- oder Scangerät nebst OCR-Software (Rz. 97) benötigt, das Anlagen, die nur auf Papier vorliegen, in ein PDF-Dokument mit den in § 2 Abs. 1 ERVV festgelegten Eigenschaften (druckbar, kopierbar, durchsuchbar) umwandeln kann.
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Für den Versand und Empfang von Nachrichten über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sind ein Internet-Anschluss, eine beA-Karte, ein Chipkartenlesegerät und besondere Softwarekomponenten zum Betrieb desselben erforderlich. Nähere Informationen können den Internetseiten des beA entnommen werden (http://bea.brak.de). Bei der Bestellung der beA-Karte sollte darauf geachtet werden, dass diese auch für die Erstellung qualifizierter elektronischer Signaturen (Rz. 127) eingesetzt werden kann; dies ist bei der Bestellung gesondert zu vermerken. Sofern die Kanzleisoftware über integrierte beA-Funktionen verfügt, ist es zweckmäßig, diese zu nutzen. Ansonsten kann die WebAnwendung des beA (https://www.bea-brak.de) genutzt werden, die alle erforderlichen Grundfunktionalitäten zur Verfügung stellt, aber eine manuelle Eingabe aller für den Versand erforderlichen Daten erfordert.
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Für die qualifizierte elektronische Signatur von PDF-Dokumenten (Rz. 107 f.) werden zweckmäßiger- 127 weise die beA-Karte (Rz. 126) und das zugehörige Lesegerät eingesetzt. Zusätzlich ist eine Software erforderlich, die eines der beiden zugelassenen Signaturformate (inline oder detached, Rz. 110) erzeugen kann. Auch diese Funktionen können je nach Ausstattungsgrad in einer Kanzleisoftware integriert sein. Der Einsatz verschiedener Softwarekomponenten kann sich im Einzelfall schwierig gestalten. Dies schafft Risiken bei der Bearbeitung von Fristsachen. Nicht nur in hektischen Phasen des Kanzleibetriebs kann eine verhältnismäßig geringfügige Fehlbedienung dazu führen, dass eine Sendung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht an den richtigen Empfänger versandt wird. Ein Wiedereinsetzungsgesuch könnte dann mit der Begründung zurückgewiesen werden, die eingesetzte Software sei zu komplex und deshalb ungeeignet für einen ordnungsgemäßen Kanzleibetrieb.
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Praxistipp: Um diese Risiken auszuschalten, sollten die oben aufgeführten Teilkomponenten durch ein Workflow-System verbunden werden, das die Teilprogramme für Texterstellung, Signatur, Verschlüsselung und Versand unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche zusammenfasst und eine leichte und sichere Bearbeitung ermöglicht. Idealerweise sollte hierfür eine Kanzleisoftware eingesetzt werden, das alle Funktionen „aus einer Hand“ bietet. Sofern für die einzelnen Funktionen Standardprogramme eingesetzt werden (Word, Signaturprogramm, beA-Web-An-
Bacher
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Kap. 28 Rz. 130
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
wendung), ist zumindest ein Zusatzprogramm empfehlenswert, das die einzelnen Funktionen aufruft und den Arbeitsablauf transparent macht und für eine spätere Überprüfung aufzeichnet.
130 Für den elektronischen Rechtsverkehr sollte ein derartiges System folgenden Mindestanforderungen genügen: – Für den unterschreibenden Anwalt muss jederzeit erkennbar sein, welche Dokumente noch elektronisch zu signieren sind und welche Dokumente er bereits elektronisch signiert hat. – Vor dem Anbringen der elektronischen Signatur muss der Anwalt erkennen können, welchen Inhalt das zu signierende Dokument hat. – Für den mit Versand und Fristenüberwachung betrauten Mitarbeiter (Rz. 131 f.) muss jederzeit erkennbar sein, welche Dokumente bereits elektronisch signiert und damit versandfertig sind und welche Dokumente noch elektronisch signiert werden müssen. – Vor dem Versand des Dokuments muss überprüft werden können, ob die elektronische Signatur ordnungsgemäß angebracht ist. Dabei muss zugleich erkennbar sein, welches Mandat das Dokument betrifft und an wen es adressiert ist. – Nach dem Auslösen der „Senden“-Funktion dürfen keine weiteren Schritte mehr erforderlich sein, um die Sendung an den Empfänger zu leiten. b) Delegation von Tätigkeiten
131 Ähnlich wie beim Computerfax (dazu Rz. 12 f.) ist beim elektronischen Rechtsverkehr die Versuchung groß, dass der Rechtsanwalt bei einem Dokument, das er elektronisch signiert hat, nach der Signatur auch den Versand an das Gericht übernimmt, der sich in der Regel mit wenigen Mausklicks bewirken lässt. Damit übernimmt der Anwalt aber zugleich die Verantwortung für die Durchführung der Absende- und Ausgangskontrolle. Unterläuft ihm ein Fehler, ist ihm auch bei leichtester Fahrlässigkeit eine Entlastung und damit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwehrt.
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Praxistipp: Um Risiken zu minimieren, empfiehlt sich auch beim elektronischen Rechtsverkehr, sowohl die Absendung als auch die Ausgangskontrolle auf einen Mitarbeiter zu übertragen (vgl. dazu auch Bacher MDR 2017, 613, 615). Wegen der Anforderungen an die Auswahl, Anleitung und Überwachung dieses Mitarbeiters gelten die Ausführungen in Kap. 27. Der Vorgang des Versendens eines elektronischen Dokuments entspricht dem „Postfertigmachen“ der fristgebundenen Schriftsätze durch den für die Fristüberwachung zuständigen Mitarbeiter und ist nicht mit der Arbeit des Boten zu verwechseln, der die Post zum Nachtbriefkasten bringt. Beim Einsatz des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) hat diese Arbeitsteilung zur Konsequenz, dass nicht nur die (vom Mitarbeiter versandte) beA-Nachricht, sondern auch das damit versendete Dokument (die PDF-Datei) elektronisch signiert werden muss. Letzteres muss zwingend durch den Anwalt erfolgen (vgl. Rz. 107 f.).
Kapitel 29 Termine I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Terminsbestimmung und deren Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Wahrnehmung von Terminen . . . . . . . . . . a) Folgen des Versäumens . . . . . . . . . . . . . b) Organisatorische Behandlung . . . . . . . . c) Unterrichtung des Mandanten . . . . . . .
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Kap. 28 Rz. 130
Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen
wendung), ist zumindest ein Zusatzprogramm empfehlenswert, das die einzelnen Funktionen aufruft und den Arbeitsablauf transparent macht und für eine spätere Überprüfung aufzeichnet.
130 Für den elektronischen Rechtsverkehr sollte ein derartiges System folgenden Mindestanforderungen genügen: – Für den unterschreibenden Anwalt muss jederzeit erkennbar sein, welche Dokumente noch elektronisch zu signieren sind und welche Dokumente er bereits elektronisch signiert hat. – Vor dem Anbringen der elektronischen Signatur muss der Anwalt erkennen können, welchen Inhalt das zu signierende Dokument hat. – Für den mit Versand und Fristenüberwachung betrauten Mitarbeiter (Rz. 131 f.) muss jederzeit erkennbar sein, welche Dokumente bereits elektronisch signiert und damit versandfertig sind und welche Dokumente noch elektronisch signiert werden müssen. – Vor dem Versand des Dokuments muss überprüft werden können, ob die elektronische Signatur ordnungsgemäß angebracht ist. Dabei muss zugleich erkennbar sein, welches Mandat das Dokument betrifft und an wen es adressiert ist. – Nach dem Auslösen der „Senden“-Funktion dürfen keine weiteren Schritte mehr erforderlich sein, um die Sendung an den Empfänger zu leiten. b) Delegation von Tätigkeiten
131 Ähnlich wie beim Computerfax (dazu Rz. 12 f.) ist beim elektronischen Rechtsverkehr die Versuchung groß, dass der Rechtsanwalt bei einem Dokument, das er elektronisch signiert hat, nach der Signatur auch den Versand an das Gericht übernimmt, der sich in der Regel mit wenigen Mausklicks bewirken lässt. Damit übernimmt der Anwalt aber zugleich die Verantwortung für die Durchführung der Absende- und Ausgangskontrolle. Unterläuft ihm ein Fehler, ist ihm auch bei leichtester Fahrlässigkeit eine Entlastung und damit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwehrt.
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Praxistipp: Um Risiken zu minimieren, empfiehlt sich auch beim elektronischen Rechtsverkehr, sowohl die Absendung als auch die Ausgangskontrolle auf einen Mitarbeiter zu übertragen (vgl. dazu auch Bacher MDR 2017, 613, 615). Wegen der Anforderungen an die Auswahl, Anleitung und Überwachung dieses Mitarbeiters gelten die Ausführungen in Kap. 27. Der Vorgang des Versendens eines elektronischen Dokuments entspricht dem „Postfertigmachen“ der fristgebundenen Schriftsätze durch den für die Fristüberwachung zuständigen Mitarbeiter und ist nicht mit der Arbeit des Boten zu verwechseln, der die Post zum Nachtbriefkasten bringt. Beim Einsatz des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) hat diese Arbeitsteilung zur Konsequenz, dass nicht nur die (vom Mitarbeiter versandte) beA-Nachricht, sondern auch das damit versendete Dokument (die PDF-Datei) elektronisch signiert werden muss. Letzteres muss zwingend durch den Anwalt erfolgen (vgl. Rz. 107 f.).
Kapitel 29 Termine I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Terminsbestimmung und deren Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Wahrnehmung von Terminen . . . . . . . . . . a) Folgen des Versäumens . . . . . . . . . . . . . b) Organisatorische Behandlung . . . . . . . . c) Unterrichtung des Mandanten . . . . . . .
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M 29.1 Mitteilung an den Mandanten über die Anberaumung des Verhandlungstermins . . . . . . . . . . . M 29.2 Mitteilung eines Verhandlungstermins (M 29.1) mit Hinweis auf nicht erforderliches Erscheinen des Mandanten . . . . . . . . . . M 29.3 Mitteilung eines Verhandlungstermins (M 29.1) mit Hinweis auf erforderliches Erscheinen zum Verhandlungstermin . . . . . M 29.4 Mitteilung eines Termins zur Durchführung der Beweisaufnahme mit Hinweis auf Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Terminsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 29.5 Antrag auf Verlegung des Termins aus erheblichen Gründen . . . . . . . . M 29.6 Antrag auf Verlegung eines auf den Zeitraum zwischen dem 1.7. und dem 31.8. bestimmten Verhandlungstermins . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Anberaumung eines Verhandlungstermins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 29.7 Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen . . . . . . . . . . . M 29.8 Antrag auf Aufhebung eines Ordnungsgeldes . . . . . . . . . . . . . .
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Termine
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I. Allgemeines 1. Begriff Unter einem Termin im Sinne der ZPO ist – abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch – kein 1 Zeitpunkt zu verstehen, zu dem Handlungen vorzunehmen sind oder vorgegebene Wirkungen eintreten (vgl. § 193 BGB). Vielmehr ist Termin im Sinne der ZPO der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, Beweisaufnahme oder Verkündung der Entscheidung (§§ 128 Abs. 1, 355 Abs. 1, 310 Abs. 1 ZPO). 2. Terminsbestimmung und deren Bekanntgabe Termine werden gem. § 216 Abs. 1 ZPO von Amts wegen durch den Vorsitzenden (§ 216 Abs. 2 ZPO) bzw. den Einzelrichter (§ 348 ZPO) bestimmt. Die Bekanntgabe der Terminsbestimmung richtet sich nach § 329 Abs. 2 ZPO. Danach ist die Terminsbestimmung den Parteien oder, wenn die Voraussetzungen des § 172 ZPO vorliegen, deren Prozessbevollmächtigten zuzustellen. Dies geschieht entweder in Form einer Ladung (§ 214 ZPO) oder durch die Übermittlung einer Ausfertigung der die Terminsbestimmung enthaltenen Entscheidung. Im Übrigen erfolgt die Terminsmitteilung formlos (§§ 377, 402, 141 Abs. 2 ZPO). Die gesonderte Bekanntgabe eines Termins ist entbehrlich, wenn er innerhalb einer verkündeten Entscheidung bestimmt wird (§ 218 ZPO), wie dies etwa bei der Bestimmung eines – neuen – Verkündungs- oder Verhandlungstermins der Fall ist. Die ordnungsgemäße Terminsbestimmung ist Voraussetzung für die Säumnis der im Termin nicht erschienenen Partei. Fehlt es daran, darf gegen sie kein (zweites) Versäumnisurteil ergehen (BGH MDR 2011, 252).
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3. Wahrnehmung von Terminen a) Folgen des Versäumens Die Versäumung eines vom Gericht bestimmten Termins kann, ähnlich wie die Versäumung einer ge- 3 setzten Frist, zu Rechtsverlusten führen, ohne dass die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand besteht. Auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an. Die Säumnis des Bevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Am schwerwiegendsten sind die Folgen, die sich aus der Versäumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung (Verhandlungstermin) ergeben. Hier sieht das Gesetz in den §§ 330 ff. ZPO den Erlass eines Versäumnisurteils vor, das, soweit es sich um ein sog. zweites Versäumnisurteil handelt, nur eingeschränkt anfechtbar ist (vgl. §§ 345, 514 ZPO, s. dazu Kap. 34). Die Versäumung eines BeweisRiedel 557
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termins hat uU zur Folge, dass die säumige Partei ein Beweismittel oder (vgl. § 367 Abs. 2 ZPO) ihr Fragerecht verliert. Dagegen sind mit dem Nichterscheinen zum Verkündungstermin keine weitergehenden Folgen verbunden (vgl. § 312 Abs. 1 ZPO). In der Praxis ist es im Übrigen durchaus üblich, dass die Parteien oder deren Bevollmächtigte den Verkündungstermin nicht wahrnehmen, die Entscheidung vielmehr telefonisch bei der Geschäftsstelle nach erfolgter Verkündung abfragen. b) Organisatorische Behandlung
5 Der Anwalt hat dafür Sorge zu tragen, dass die wahrzunehmenden Termine in einer Weise dokumentiert werden, die Gewähr dafür bietet, dass der Termin auch beachtet wird. Dringend zu empfehlen ist die gesonderte Führung eines Terminkalenders. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit, die nachteiligen Folgen eines versäumten Termins mit einem Wiedereinsetzungsantrag oder einem ähnlichen Rechtsinstitut zu beseitigen, sind an die Terminüberwachung kanzleiintern ebenso strenge Anforderungen zu stellen wie an die Verwaltung von Notfristen und sogenannten Promptfristen (Frist für die Berufungsbegründung, Klageantwort, Erfüllung von Auflagen; zum Begriff vgl. etwa BGH NJW 1989, 2393; s. auch Kap. 27). Mit der Führung des Terminkalenders sollte deshalb nur eine äußerst zuverlässige und erprobte Kraft betraut werden. c) Unterrichtung des Mandanten
6 Die Partei, die einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat, erhält vom Gericht nur dann eine gesonderte Terminsnachricht, wenn das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet wurde (§ 141 Abs. 2 ZPO). Ansonsten werden Terminsbestimmungen nur dem Bevollmächtigten bekanntgegeben (§ 172 ZPO). Es gehört mithin zu den Aufgaben des Anwalts, seinen Mandanten von einem stattfindenden Termin in Kenntnis zu setzen und ihn ggf. über die Bedeutung und den Inhalt des jeweiligen Termins zu unterrichten. Dazu gehört auch eine Beurteilung seitens des Anwalts, inwieweit es sinnvoll ist, dass die Partei an dem Termin teilnimmt. Unterbleiben kann dies hinsichtlich des Verkündungstermins. Hat das Gericht das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet, so ist es ungeachtet der von Amts wegen zu bewirkenden Ladung angezeigt, den Mandanten entsprechend zu unterrichten.
7 M 29.1 Mitteilung an den Mandanten über die Anberaumung des
Verhandlungstermins Herrn Alfred Mustermann Kieler Straße 30 20530 Hamburg 10.12.2018 Sehr geehrter Herr Mustermann, in Ihrer Sache gegen Schulze hat das Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf Mittwoch, den 21.1.2019, 10.00 Uhr im Gerichtsgebäude des Landgerichts, Gerichtsstraße 4, Saal 200. Ich werde den Termin wahrnehmen und Sie anschließend über den Verlauf der Verhandlung unterrichten; wobei ich davon ausgehe, dass die beigefügte Vorschusskostenrechnung, in der ich auch die Gebühr für die Wahrnehmung des Termins in Ansatz gebracht habe, bis zum Verhandlungstermin ausgeglichen ist.
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Termine
Rz. 10 Kap. 29
M 29.2 Mitteilung eines Verhandlungstermins (M 29.1) mit Hinweis auf nicht
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erforderliches Erscheinen des Mandanten … Ihr persönliches Erscheinen ist nicht angeordnet worden. Ich halte es auch nicht für angezeigt, dass Sie zur Verhandlung erscheinen. Wir haben die Sache eingehend besprochen. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass Sie bei Erörterung der Sache noch dazu beitragen können, Fragen, die das Gericht stellen könnte, zu klären.
M 29.3 Mitteilung eines Verhandlungstermins (M 29.1) mit Hinweis auf
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erforderliches Erscheinen zum Verhandlungstermin … Ihr persönliches Erscheinen ist nicht angeordnet worden. Ich halte es jedoch für notwendig, dass Sie an der Verhandlung teilnehmen. Ich schließe nicht aus, dass das Gericht Fragen stellt, die der Aufklärung dienen und die wir noch in der mündlichen Verhandlung beantworten sollten. Bringen Sie daher zur Verhandlung sämtliche Unterlagen mit, die Sie in dieser Sache zusammengetragen haben. Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass ich das Gericht bitte, die Verhandlung kurz zu unterbrechen, wenn ich mit Ihnen vor der Beantwortung einer vom Gericht gestellten Frage noch einmal sprechen möchte. Bedenken Sie zudem, dass Sie dem Gericht wahrheitsgemäß antworten müssen; was Sie sagen, muss aber abgewogen und sprachlich bedacht sein. Sie können eine Antwort zwar korrigieren. Ob das Gericht die korrigierte Erläuterung noch als der Wahrheit entsprechend ansieht, ist jedoch fraglich. Wir treffen uns zehn Minuten vor Beginn vor dem Verhandlungssaal. Bitte erscheinen Sie pünktlich. Die Verhandlung beginnt, da Ihr Erscheinen nicht angeordnet ist, auch wenn Sie noch nicht anwesend sind.
M 29.4 Mitteilung eines Termins zur Durchführung der Beweisaufnahme mit Hinweis auf Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens Sehr geehrter Herr Mustermann, in Ihrer Sache gegen Schulze hat das Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung und Durchführung der Beweisaufnahme anberaumt auf Mittwoch, den 21.1.2019, 10.00 Uhr im Gerichtsgebäude des Landgerichts Gerichtsstraße 4, Zimmer 200. Ich werde den Termin wahrnehmen und Sie anschließend über den Verlauf der Verhandlung und der Beweisaufnahme unterrichten; wobei ich davon ausgehe, dass die beigefügte Vorschusskostenrechnung, in der ich auch die Gebühr für die Wahrnehmung des Termins und die Beweisaufnahme in Ansatz gebracht habe, bis zum Verhandlungstermin ausgeglichen ist. Ihr persönliches Erscheinen ist nicht angeordnet worden. Ich halte es jedoch für notwendig, dass Sie an der Verhandlung teilnehmen. Sie haben die Gespräche, über die der geladene Zeuge Meier in der Beweisaufnahme berichten soll, mit dem Kläger selbst geführt. Ich schließe daher nicht aus, dass sich bei Anhörung des Zeugen Meier Fragen ergeben, die der Aufklärung bedürfen. Bitte nehmen Sie daher an der Beweisaufnahme teil, damit ich dem Zeugen gegebenenfalls sachdienliche Vorhalte machen kann. Bringen Sie zur Verhandlung sämtliche Unterlagen mit, die Sie in dieser Sache zusammengetragen haben. Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass ich das Gericht bitte, die Beweisaufnahme kurz zu unterbrechen, wenn ich es für nötig erachte, mit Ihnen noch einmal zu sprechen, bevor ich dem Zeugen einen Vorhalt mache. Soll-
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Kap. 29 Rz. 11
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te das Gericht Fragen an Sie stellen, müssen Sie diese wahrheitsgemäß beantworten; was Sie sagen, muss aber abgewogen und sprachlich bedacht sein. Sie können eine Antwort zwar korrigieren. Ob das Gericht die korrigierte Erläuterung noch als der Wahrheit entsprechend ansieht, ist jedoch fraglich. Wir treffen uns 15 Minuten vor Beginn vor dem Verhandlungssaal. Bitte erscheinen Sie pünktlich. Die Verhandlung beginnt, auch wenn Sie noch nicht anwesend sind.
4. Terminsänderung
11 Ein Termin kann gem. § 227 Abs. 1 ZPO von Amts wegen (vgl. § 337 ZPO) oder auf Antrag aufgehoben, verlegt oder vertagt werden, wenn hierfür erhebliche Gründe vorliegen, die auf Verlangen des Vorsitzenden bzw. des Gerichts glaubhaft zu machen sind (§ 227 Abs. 2 ZPO). Unter der Aufhebung ist dabei die Annullierung des Termins vor dessen Beginn, ohne gleichzeitige Neubestimmung eines neuen Termins zu verstehen. Die Verlegung eines Termins enthält die Aufhebung des bisherigen noch nicht begonnenen und die Bestimmung eines neuen Termins. Unter einer Vertagung ist schließlich die Neuterminierung eines bereits begonnenen Termins zu verstehen.
12 Erhebliche Gründe iS des § 227 ZPO sind dann anzunehmen, wenn die Beibehaltung des Termins einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstellen würde, der nicht mit dem Gebot der Beschleunigung des Verfahrens zu rechtfertigen ist (vgl. BVerwG NVwZ 1995, 373). In § 227 Abs. 1 ZPO zählt das Gesetz beispielhaft Fallgestaltungen auf, die nicht geeignet sind, Terminsänderungen zu begründen. Hieraus ist u.a. zu entnehmen, dass eine entsprechende Parteivereinbarung unbeachtlich ist. In Ergänzung und Auslegung der gesetzlichen Aufzählung hat die Rspr. auch festgestellt, dass eine Terminsänderung nicht damit begründet werden kann, dass die Partei, die durch einen Anwalt vertreten wird und deren persönliche Anwesenheit nicht erforderlich erscheint, aufgrund eines religiösen Feiertags an der Terminsteilnahme verhindert ist (vgl. BVerwG NJW 1990, 2079). Ein Anwaltswechsel nach einer Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ist nur dann ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung, wenn die Partei darlegt, dass der Anwalt den Vertrauensverlust verschuldet hat (BGH MDR 2008, 706). Die Niederlegung des Mandats zur Unzeit kann gegen den Anwalt einen Verschuldensvorwurf begründen, der dem Mandanten bei Versäumung eines Termins wegen mangelnder Vertretung zuzurechnen ist (BGH VersR 1985, 542).
13 M 29.5 Antrag auf Verlegung des Termins aus erheblichen Gründen In Sachen … / … (Kurzrubrum) bitte ich darum, den auf den 21.12.2018 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung auf einen Zeitpunkt nach dem 28.2.2019 zu verlegen. Das Landgericht hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 21.12.2018 anberaumt. Es hat zugleich das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Der Kläger ist, wie ich von seiner Ehefrau soeben erfahren habe, auf eisglatter Straße gestürzt und hat sich einen schweren Beckenbruch zugezogen. Eine ärztliche Bescheinigung reiche ich in Kürze nach. Nach der Prognose des behandelnden Chirurgen wird der Kläger frühestens Mitte Februar 2019 soweit wiederhergestellt sein, dass er nach Hause entlassen wird. Der Kläger wird allerdings auch dann noch gehbehindert sein, so dass ich darum bitte, den Verhandlungstermin nicht auf einen Zeitpunkt ab Mitte Februar 2019 anzuberaumen, sondern erst Anfang März 2019. Die Ehefrau des Klägers wird wegen der Gehbehinderung des Klägers einen Fahrdienst organisieren müssen, der den Kläger zum Gerichtsgebäude bringt. Außerdem muss sich der Fahrdienst davon überzeugen, wie der Kläger den im zweiten Stock des Gerichtsgebäudes gelegenen Verhandlungssaal erreichen kann. Ich bitte insoweit zu bedenken, dass das Gericht nicht über einen Fahrstuhl verfügt und der Kläger nach Entlassung in seine häusliche Umgebung vermutlich – und sei es nur vorübergehend – sich der Hilfe eines Rollstuhls bedienen muss.
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Ohne Darlegung erheblicher Gründe ist eine Terminsverlegung auf Antrag dann vorzunehmen, wenn der Termin, der kein Verkündungstermin ist, ursprünglich auf einen Zeitpunkt zwischen dem 1. Juli und dem 31. August bestimmt worden war und kein in § 227 Abs. 3 Nr. 1–8 ZPO angeführtes Verfahren betrifft. Der Antrag ist innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung bzw. der Terminsbestimmung zu stellen.
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M 29.6 Antrag auf Verlegung eines auf den Zeitraum zwischen dem 1.7. und dem
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Als erheblicher Grund, der eine Terminsänderung auf entsprechende fernmündliche Anzeige erforderlich macht, ist dagegen der Fall anzusehen, in dem der Prozessbevollmächtigte aufgrund schlechter Wetterlage den Termin nicht wahrnehmen und eine Vertretung nicht mehr organisiert werden kann (vgl. BVerwG NJW 1986, 1057). Zu weiteren Fällen vgl. Zöller/Feskorn § 227 ZPO Rz. 6 und 7.
31.8. bestimmten Verhandlungstermins In Sachen … / … (Kurzrubrum) bitte ich, den auf den 12.7.2018 anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen. Die Sache betrifft keinen Gegenstand, der in § 227 Abs. 3 Nr. 1 bis 8 ZPO angeführt ist. Die Sache bedarf darüber hinaus keiner besonderen Beschleunigung. Ich bitte deshalb – wie beantragt – um Verlegung des Verhandlungstermins. Die Ladung ist mir am 14.12.2017 zugegangen. Der Verlegungsantrag wird am 17.12.2017 bei Gericht eingehen. Die Wochenfrist des § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist demnach gewahrt.
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Wichtig: Grundsätzlich gilt, dass jede Terminsänderung, soweit sie nicht von Amts wegen vorzu- 17 nehmen ist oder im Rahmen des § 227 Abs. 3 ZPO erfolgt, möglichst frühzeitig und unter konkreter Darlegung der Gründe beantragt werden muss. Jeder Anschein einer Verfahrensverschleppung ist zu vermeiden. Im Anwaltsprozess unterliegt der Antrag dem Anwaltszwang (§ 78 ZPO). Soweit es die Gegebenheiten erfordern, kann der Antrag, zB bei plötzlicher Erkrankung, auch fernmündlich gestellt werden. Es sollte jedoch umgehend der schriftliche Antrag folgen.
Die Entscheidung des Vorsitzenden bzw. des Gerichts ist gem. § 227 Abs. 4 ZPO unanfechtbar. Wird 18 aber unter Verweigerung einer beantragten Terminsverlegung ein Urteil erlassen, so ist dieses mit den üblichen Rechtsmitteln anfechtbar.
II. Besonderheiten 1. Antrag auf Anberaumung eines Verhandlungstermins Ohne mündliche Verhandlung kann entschieden werden, soweit nur noch über die Kosten zu entscheiden ist. Ebenso können Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 128 Abs. 4 ZPO). Darüber hinaus kann im amtsgerichtlichen Verfahren das Gericht nach billigem Ermessen bestimmen, dass das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durchgeführt werden soll, soweit der Streitwert 600 Euro nicht übersteigt. In diesem Fall ist eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, wenn eine der Parteien dies beantragt (§ 495a ZPO). Der Antrag bedarf keiner weiteren Begründung. Sinnvoll erscheint ein solcher Antrag in denjenigen Fällen, in denen durch die mündliche Verhandlung der umfangreiche Austausch von Schriftsätzen vermieden werden kann.
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Kap. 29 Rz. 20
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2. Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen
20 Das Gericht soll nach § 141 Abs. 1 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint, wobei darin keine Beweiserhebung nach §§ 445 ff. ZPO zu sehen ist. Demzufolge wird durch die Anhörung nach § 141 ZPO auch keine Beweisgebühr ausgelöst (vgl. OLG Hamm MDR 1987, 417).
21 Die Anordnung liegt im Ermessen des Gerichts. Abzusehen ist von der Anordnung des persönlichen Erscheinens dann, wenn einer Partei wegen großer Entfernung oder aus sonstigen wichtigen Gründen die Wahrnehmung des Termins nicht zuzumuten ist. Gegen eine Partei, die trotz entsprechender Anordnung und ordnungsgemäßer Ladung, den Termin nicht wahrnimmt, kann gem. § 141 Abs. 3 ZPO Ordnungsgeld festgesetzt werden. Wird die abwesende Partei im Termin nicht vertreten, so führt dies zur Anwendbarkeit der §§ 330 ff. ZPO; ein Ordnungsgeld kommt nicht in Betracht.
22 Die Festsetzung von Ordnungsgeld unterbleibt u.a. dann, wenn die Partei ohne Verschulden daran gehindert war, den Termin wahrzunehmen, und dies dem Gericht glaubhaft dargelegt werden kann. Unzulässig ist die Verhängung von Ordnungsgeld auch, wenn im Termin keine Frage zum Sachverhalt offengeblieben sind und der Rechtsstreit ohne weiteren Vortrag durch Urteil entschieden wird (BGH MDR 2007, 1090). Ebenso ist die Verhängung von Ordnungsgeld dann ausgeschlossen, wenn die Partei einen Vertreter zu dem Termin entsendet, der zur Aufklärung des Sachverhalts in der Lage und zu allen Prozesserklärungen bevollmächtigt ist, die nach Sachlage und nach dem Verhandlungsverlauf geboten sein können, wie Vergleich, Anerkenntnis, Verzicht, Klagerücknahme oder Rechtsmittelrücknahme. Soweit die Bevollmächtigung sich nur auf einen Vergleichsabschluss mit Widerrufsvorbehalt erstreckt, schadet dies nicht (OLG München MDR 1992, 513).
23 Da der Vertreter nicht aus eigenen Wahrnehmungen heraus zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen muss, kann auch der beauftragte Rechtsanwalt als Vertreter iS des § 141 Abs. 3 ZPO angesehen werden, wenn er durch die Partei umfassend informiert wurde (vgl. Zöller/Greger § 141 ZPO Rz. 17). Allerdings besteht insoweit die Gefahr, dass während des Verhandlungstermins Themen erörtert werden, zu denen der Anwalt von der Partei keine Informationen erhielt und sich der Anwalt demzufolge als nicht ausreichender Vertreter erweist; was zur Folge hat, dass die Partei als nicht erschienen behandelt wird.
24 Mithin ist davon abzuraten, der Anordnung des persönlichen Erscheinens mit einer Vertretung iS des § 141 Abs. 3 ZPO durch den Anwalt zu begegnen. Soweit die Partei an dem Termin nicht teilnehmen kann, ist es wesentlich sinnvoller, bei dem Gericht die Befreiung vom persönlichen Erscheinen zu beantragen. Dabei sind die (persönlichen) Gründe darzustellen, die einer Terminswahrnehmung durch die Partei entgegenstehen. Daneben ist ggf. auszuführen, dass alles, was die Partei zur Sachaufklärung beitragen kann, bereits in den vorbereitenden Schriftsätzen enthalten ist. Der Antrag ist so rechtzeitig zu stellen, dass er noch vor dem Beginn des Termins verbeschieden werden kann. Eine Antragsablehnung ist nicht anfechtbar.
25 Ergibt sich die Verhinderung der Partei kurzfristig, etwa durch Erkrankung, so kann die Festsetzung eines Ordnungsgeldes durch eine vom anwesenden Parteivertreter vorgebrachte Entschuldigung, die durch die Vorlage eines ärztlichen Attests untermauert werden kann, vermieden werden.
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Rz. 27 Kap. 29
M 29.7 Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) bitte ich darum, den Geschäftsführer der Beklagten vom persönlichen Erscheinen anlässlich des auf den 13.12.2018 anberaumten Verhandlungstermins zu entbinden. Der Geschäftsführer der Beklagten ist mit der Angelegenheit, die Gegenstand des Rechtsstreits ist, nicht persönlich befasst gewesen und auch heute nicht befasst. Für die Hausverwaltung, der die Streupflicht vor dem Grundstück der Klägerin obliegt, ist der Leiter der Verwaltung der Beklagten, der Prokurist Streubart, zuständig. Ich werde daher auch für den Fall der Entbindung des Geschäftsführers der Beklagten vom persönlichen Erscheinen den Prokuristen Streubart zur Verhandlung mitbringen. Der Prokurist Streubart ist – als Einzelprokurist – auch zum Abschluss eines Vergleiches bevollmächtigt (§ 49 HGB).
M 29.8 Antrag auf Aufhebung eines Ordnungsgeldes
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich im Verfahren über die Festsetzung des Ordnungsgeldes den Geschäftsführer der Klägerin vertrete. Ich beantrage, den Ordnungsgeldbeschluss des Gerichts vorm 13.12.2018 aufzuheben. Das Gericht hat das persönliche Erscheinen des Geschäftsführers der Klägerin zur mündlichen Verhandlung angeordnet. Den Termin habe ich wahrgenommen. Der Geschäftsführer der Klägerin ist zum Termin nicht erschienen. Gründe dafür hatte ich in der Verhandlung nicht mitteilen können. Ich habe aber darauf hingewiesen, dass der Geschäftsführer der Klägerin mir in einem Telefongespräch am Tage vor dem Termin mitgeteilt hat, er werde zur Verhandlung pünktlich erscheinen; es müsse daher ein unvorhersehbares Ereignis eingetreten sein, das ihn am Erscheinen gehindert habe. Dem war so. Der Geschäftsführer der Klägerin ist auf der Fahrt zum Gericht in einen Verkehrsunfall verwickelt worden. Durch den Unfall ist er verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die entsprechende ärztliche Bescheinigung lege ich bei. Das Ausbleiben des Geschäftsführers der Klägerin im Verhandlungstermin ist demnach entschuldigt. Der Ordnungsgeldbeschluss ist demnach aufzuheben. Kosten: Anwalt: keine besonderen Gebühren; die Tätigkeit gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 RVG).
Riedel 563
ZPO
M 29.8
ZPO
C. Abweichender Verlauf im Prozess Kapitel 30 Nebenintervention, Hauptintervention I. Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 30.1 Beitrittserklärung des Nebenintervenienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 30.2 Abraten vom Beitritt . . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . . . . . . M 30.3 Nebenintervention bei Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . . . . . b) Vorgreiflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2 4 5 6 7 9
3. 4. 5. II.
M 30.4 Nebenintervention bei gestelltem Haftpflichtfall . . . . . . . . . . c) Sonstige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rücknahme des Beitritts . . . . . . . . . . . . . . Kosten der Nebenintervention . . . . . . . . . . Hauptintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 30.5 Hauptinterventionsklage . . . . . . . .
11 11 12 13 14 15 16
I. Nebenintervention 1. Zweck
1 Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass ein anderer in einem zwischen dem anderen und einem Dritten schon anhängigen Prozess obsiegt, kann dem Dritten im Wege der Nebenintervention beitreten (§ 66 ZPO). Es handelt sich um das Gegenstück der Streitverkündung, einen Beitritt aus eigenem Antrieb durch eine Person, der auch der Streit verkündet werden könnte. So könnte in allen in Kap. 19 erörterten Fällen derjenige, dem der Streit verkündet wird, auch selbst ohne Streitverkündung dem Rechtsstreit beitreten. Wer mangels Stellung als „Dritter“ iSv. § 72 ZPO nicht Streitverkündungsempfänger sein kann, kann auch nicht Nebenintervenient sein (Zöller/Althammer § 66 ZPO Rz. 7). Auch im Mahnverfahren ist der Beitritt möglich (BGHZ 165, 358 = NJW 2006, 773 = MDR 2006, 826), ebenso im selbständigen Beweisverfahren (BGH NJW 2016, 1020 = MDR 2016, 347). Darzulegen ist ein rechtliches Interesse. Dieses erfordert, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt (BGH NJW-RR 2011, 907 = MDR 2011, 813). Es kann immer damit begründet werden, dass der Nebenintervenient für den Fall, dass die unterstützte Partei unterliegt, einem Regressanspruch der unterstützten Partei ausgesetzt sein wird. Außerdem kann ein Streitverkündeter uU dem Gegner beitreten. Wenn der Beklagte einem mit ihm haftenden Gesamtschuldner den Streit verkündet, dann hat der Streitverkündete ein rechtliches Interesse daran, dem Kläger als Nebenintervenient beizutreten (BGH NJW 2016, 1020 = MDR 2016, 347).
2 M 30.1 Beitrittserklärung des Nebenintervenienten … gericht … In Sachen … / … (Langrubrum) bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Herrn …. Dieser tritt dem Rechtsstreit hiermit aufseiten der Beklagten als Nebenintervenient bei. Ich beantrage, die Klage abzuweisen.
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Freyberger
M 30.2
Nebenintervention, Hauptintervention
Rz. 5 Kap. 30
ZPO
Das rechtliche Interesse an der Nebenintervention (§ 68 ZPO) ergibt sich daraus, dass … (weitere Ausführungen, mit denen das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten an der Nebenintervention dargelegt wird; Anwendungsfälle s. Rz. 5 ff.). Kosten: Gericht: Der Beitritt hat für die Gerichtsgebühren keine Bedeutung. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Vor der Nebenintervention ist allerdings genau abzuwägen, ob die durch den Beitritt eintretenden Interventionswirkungen, die dazu führen, dass der Nebenintervenient im Regressprozess nicht mehr einwenden kann, der Vorprozess sei falsch entschieden oder schlecht geführt worden (§ 68 ZPO), die Rechtsposition des Mandanten verschlechtern können. Ist das der Fall, ist von der Nebenintervention abzuraten. Besser ist es deshalb in aller Regel, dem Rechtsstreit nicht beizutreten.
3
M 30.2 Abraten vom Beitritt
4
Sehr geehrter Herr … in dem Rechtsstreit … /. Bauunternehmung … rate ich Ihnen im derzeitigen Stadium davon ab, sich am Prozess zu beteiligen. Bisher hat die Beklagte, für die Sie Fliesenlegerarbeiten am Objekt des Klägers ausgeführt haben, Ihnen nur die Klageschrift des Bauherrn zugeschickt und angekündigt, dass sie bei Ihnen Regress nehmen werde, wenn sie unterliegt. Einen solchen Regressanspruch hat sie aber nicht ohne Weiteres, weil das Urteil nur im Verhältnis zwischen ihr und der Klägerin wirkt (§ 322 ZPO). Das Gericht des Regressprozesses wäre deshalb nicht an die Feststellungen des jetzigen Gerichts gebunden. Es müsste die ganze Sache noch einmal aufklären und könnte auch andere Rechtsansichten vertreten. Das Ergebnis könnte durchaus sein, dass die Bauunternehmung … beide Prozesse verliert. Diese Möglichkeit würden Sie sich im jetzigen Stadium des Prozesses durch einen Beitritt zum Rechtsstreit, der prinzipiell möglich wäre (§ 66 ZPO), verbauen. Sie könnten dann zwar zur Sache vortragen und Beweisanträge stellen. Sie müssten aber die Feststellungen des Urteils gegen sich gelten lassen, könnten im Regressprozess also nicht mehr argumentieren, der erste Prozess sei schlecht geführt oder falsch entschieden worden. Es empfiehlt sich deshalb im Augenblick, eine abwartende Haltung einzunehmen. Vielleicht gewinnt die Bauunternehmung … den Prozess ja. In diesem Fall haben Sie nichts zu befürchten. Unterliegt sie, ist Ihre Position nicht geschwächt, denn im Regressprozess können Sie immer noch alle Einwendungen erheben. Da es allerdings für Sie am besten wäre, wenn die Bauunternehmung … schon den jetzigen Prozess gewinnt, weil Sie dann nicht mehr in einen Regressprozess verwickelt werden können, empfiehlt es sich, der Bauunternehmung … mitzuteilen, warum Ihre Arbeiten nicht mangelhaft sind und inwieweit das Vorbringen in der Klageschrift falsch ist. Die Bauunternehmung … kann dies dann über ihren Anwalt im Prozess vortragen. Ich befürchte, dass der Anwalt der Bauunternehmung … Sie zur Beteiligung am Rechtsstreit noch zwingen wird. Die Möglichkeit dazu hätte er über eine so genannte Streitverkündung. Diese müsste Ihnen vom Gericht formell zugestellt werden. Ich bitte deshalb, unter allen Umständen auf förmliche Zustellungen seitens des Gerichts zu achten und solche umgehend an mich weiterzuleiten. Es ist nicht gewährleistet, dass die Zustellung unmittelbar an mich erfolgt. Kosten: Anwalt: keine gesetzliche Gebührenregelung, sondern Gebührenvereinbarung, ohne Vereinbarung fällt die übliche Vergütung an, bei einem Verbraucher höchstens 250 Euro (§ 34 Abs. 1 RVG).
2. Fallgruppen Für die Nebenintervention bleiben deshalb nur wenige Ausnahmefälle. Sie sind dadurch gekenn- 5 zeichnet, dass der Erstprozess präjudizierend für den zweiten Prozess ist. Hierfür hat die Rechtsprechung Fallgruppen entwickelt.
Freyberger
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Kap. 30 Rz. 6
Nebenintervention, Hauptintervention
M 30.3
ZPO
a) Rechtskrafterstreckung
6 Die wichtigste Fallgruppe ist die der Rechtskrafterstreckung auf den Nebenintervenienten. 7 M 30.3 Nebenintervention bei Rechtskrafterstreckung … gericht … In Sachen … / … (Langrubrum) bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten des Herrn …. Dieser tritt dem Rechtsstreit hiermit aufseiten des Beklagten als Nebenintervenient bei. Ich beantrage, die Klage abzuweisen. Der Beklagte ist Testamentsvollstrecker über den Nachlass des Herrn …. Der Kläger macht gegen den Beklagten eine vermeintliche Nachlassverbindlichkeit geltend. Für diese ist die Passivlegitimation des Beklagten nicht zu bestreiten (§ 2213 BGB). Das Urteil erwächst allerdings auch im Verhältnis zum Streithelfer in Rechtskraft, da dieser Erbe des Verstorbenen ist (§ 327 ZPO). Aus diesem Grund hat der Streithelfer ein rechtliches Interesse daran, dass der Beklagte obsiegt. Dieses Interesse ist gerade in den Fällen der Rechtskrafterstreckung anerkannt (vgl. Zöller/Althammer § 66 ZPO Rz. 11). Kosten: Gericht: Der Beitritt hat für die Gerichtsgebühren keine Bedeutung; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
8 Bei den Fällen der Rechtskrafterstreckung besteht die Besonderheit, dass der Streithelfer nicht „einfacher“, sondern „streitgenössischer“ Nebenintervenient ist (§§ 69, 61 ZPO), dh. er kann auch gegen den Willen der Hauptpartei vortragen (BGH NJW 1985, 386), ein Rechtsmittel einlegen (BGH NJWRR 1997, 865), ein Anerkenntnis der Hauptpartei verhindern (BGH NJW-RR 1993, 1253, 1254). Außerdem wird seine Berufungsfrist – anders als im Falle einfacher Nebenintervention (BGH NJW 2001, 1355 = MDR 2001, 586) – erst durch Zustellung des Urteils an ihn in Gang gesetzt (BGH aaO; NJW 1984, 353 = MDR 1984, 312). b) Vorgreiflichkeit
9 Eine weitere Gruppe stellen die Fälle dar, in denen das streitige Rechtsverhältnis für die rechtlichen Beziehungen des Schuldners zu einer Partei vorgreiflich ist. Das ist vor allem bei akzessorischer Schuld und Haftung anzunehmen. So kann zB der Bürge dem Hauptschuldner und der Haftpflichtversicherer seinem Versicherungsnehmer beitreten. Die Variante, in der der Haftpflichtversicherer seinem Versicherungsnehmer beitritt, taucht bei den so genannten gestellten Unfällen immer wieder auf. Auch hier kann eine streitgenössische Nebenintervention in Betracht kommen (erwogen von BGH NJW-RR 1993, 765, 766).
10 M 30.4 Nebenintervention bei gestelltem Haftpflichtfall … gericht In Sachen … / … (Langrubrum) bestelle ich mich zum Prozessbevollmächtigten der X-Versicherungs-AG. Diese ist Privathaftpflichtversicherer des Beklagten. Im Namen der X-Versicherungs-AG trete ich hiermit dem Rechtsstreit aufseiten des Beklagten im Wege der streitgenössischen Nebenintervention (hilfsweise im Wege der einfachen Nebenintervention) bei und beantrage, die Klage abzuweisen.
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Freyberger
M 30.4
Nebenintervention, Hauptintervention
Rz. 13 Kap. 30
ZPO
Der Beitritt der Nebenintervenientin ist zumindest im Wege der einfachen Nebenintervention zulässig. Zugrunde liegt, wie nachstehend noch ausführlich dargelegt werden wird, ein Betrugsfall, in welchem die Klägerin und der Beklagte gemeinsame Sache zum Schaden der Nebenintervenientin machen. In Fällen der Pflichtversicherung ist anerkannt, dass dies einer der Anwendungsfälle der Nebenintervention ist (vgl. BGH NJW-RR 1993, 765 f.; OLG Köln r+s 1991, 220; Freyberger VersR 1991, 842). Für den Fall der allgemeinen Haftpflicht kann nichts anderes gelten (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 606; OLG Hamm ZfS 1996, 287; Freyberger NZV 1992, 391). Ebenso wie im Fall der Pflichtversicherung muss auch dem privaten Haftpflichtversicherer die Möglichkeit gegeben werden, Einfluss auf den Haftpflichtprozess zu nehmen. Wird der Versicherungsnehmer nämlich im Haftpflichtprozess rechtskräftig verurteilt, steht aufgrund der Bindungswirkung auch für den Deckungsprozess fest, dass eine unerlaubte Handlung stattgefunden hat. Folglich kann der Haftpflichtversicherer auch nicht mehr einwenden, in Wahrheit liege ein gestelltes Geschehen vor. Damit ist die (einfache) Nebenintervention zulässig. Diese hat zur Folge, dass der Nebenintervenient alle Prozesshandlungen vornehmen kann. Ausgenommen sind nur die Prozesshandlungen, denen die Hauptpartei widerspricht. Tut die Hauptpartei nichts, ist das kein Widerspruch, und der Nebenintervenient ist zu allen Prozesshandlungen befugt. Die Nebenintervenientin ist allerdings der Auffassung, dass ihre Rechte noch weiter gehen, dass sie sich nämlich im Wege der streitgenössischen Nebenintervention am Prozess beteiligen kann. Hierzu verweise ich auf das zitierte Urteil des BGH. Der BGH hat ausdrücklich erwogen, ob sich nicht der Haftpflichtversicherer sogar als streitgenössischer Nebenintervenient am Prozess beteiligen könnte. Dafür spricht Folgendes: Für die streitgenössische Nebenintervention muss eine Rechtskrafterstreckung iSv. § 69 ZPO vorliegen. Zuzugeben ist, dass es sich bei der Bindungswirkung, die im Versicherungsrecht gilt, nicht um den klassischen Fall der Rechtskrafterstreckung handelt, so wie ihn die ZPO versteht. Die Bindungswirkung führt aber zu demselben Ergebnis wie die Rechtskrafterstreckung. Aus Gründen, die nicht im Prozessrecht, sondern im materiellen Recht, insbesondere im VVG, wurzeln, muss der Versicherer nämlich das Urteil des Haftpflichtprozesses gegen sich gelten lassen. Aus diesem Grunde ist auch eine streitgenössische Nebenintervention zulässig. Sie hat nicht nur zur Folge, dass die Nebenintervenientin den Beklagten im Termin vor einem Versäumnisurteil schützen kann, sondern auch, dass sie Prozesshandlungen gegen seinen Willen vornehmen kann. Kosten: s. Anm. zu M 30.3.
c) Sonstige Fälle Selten sind die Fälle, in denen aus dem Urteil die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Nebenintervenienten betrieben werden kann oder in denen der Träger des materiellen Rechtsverhältnisses dem Rechtsstreit beitritt (zB bei Prozessstandschaft).
11
3. Zwischenstreit Jede Partei, insbesondere aber natürlich der Gegner des Nebenintervenienten, der durch die Beteiligung des Streithelfers einem Kostenrisiko ausgesetzt ist, kann dem Beitritt widersprechen (s. Kap. 19 Rz. 79 und M 19.21). In diesem Fall kommt es zu einem Zwischenstreit, der – nach mündlicher Verhandlung – durch ein Zwischenurteil abgeschlossen wird. Gegen das Zwischenurteil ist die sofortige Beschwerde zulässig.
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4. Rücknahme des Beitritts Der Nebenintervenient kann seinen Beitritt auch zurücknehmen. Er trägt dann seine Kosten, § 269 Abs. 3 ZPO. Seine Prozesshandlungen bleiben wirksam. Die Interventionswirkungen bleiben allerdings bestehen (Zöller/Althammer § 66 ZPO Rz. 18).
Freyberger
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Kap. 30 Rz. 14
Nebenintervention, Hauptintervention
M 30.5
ZPO
5. Kosten der Nebenintervention
14 Die Kostenentscheidung bei der Nebenintervention ergibt sich aus § 101 ZPO; s. hierzu die Ausführungen in Kap. 19 Rz. 99 ff. Beachte § 101 Abs. 2 ZPO bei streitgenössischer Nebenintervention.
II. Hauptintervention 15 Die Hauptintervention steht zwar an der Spitze der gesetzlichen Regelungen über die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit, sie stellt aber den Ausnahmefall dar. Sie betrifft den Fall, dass ein Dritter eine Sache oder ein Recht, über welches zwei andere Personen prozessieren, für sich in Anspruch nimmt. Dies geschieht dann durch eine besondere Klage gegen die beiden anderen Parteien (§ 64 ZPO), der Erstprozess kann in diesem Fall ausgesetzt werden (§ 65 ZPO).
16 M 30.5 Hauptinterventionsklage … gericht Hauptinterventionsklage des … – Kläger – gegen … – Beklagte zu 1) – … – Beklagte zu 2) – Ich bestelle mich zum Prozessbevollmächtigten der Klägerin und werde beantragen, 1. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin … Euro nebst … % Zinsen seit dem … zu zahlen; 2. im Verhältnis zur Beklagten zu 2) festzustellen, dass die Klageforderung der Klägerin und nicht der Beklagten zu 2) zusteht. Im Jahre … verbürgte sich die Beklagte zu 2) gegenüber der Hausbank der Klägerin iHv. … Euro für einen Betriebsmittelkredit dieser Firma. Zur Sicherung der Bürgschaftsforderung trat die Klägerin Werklohnforderungen gegen die Beklagte zu 1) iHv. … Euro an die Beklagte zu 2) ab. Diese Forderung macht die Beklagte zu 2) in einem Rechtsstreit … gegen die Beklagte zu 1) geltend. Beweis: Beiziehung der Akte … Inzwischen – nach Rechtshängigkeit dieses Rechtsstreits – hat sich die Bürgschaft erledigt, weil die Klägerin keinen Kredit der Hausbank mehr in Anspruch nimmt und die Hausbank die Beklagte zu 2) daraufhin aus der Bürgschaft entließ. Beweis: Vorlage einer entsprechenden Mitteilung der Hausbank. Die Klägerin verlangte alsdann von der Beklagten zu 2) die Rückabtretung der Werklohnforderung, was diese jedoch verweigerte. Die Beklagte zu 1) verweigert mit Rücksicht auf den Rechtsstreit … die Zahlung an die Klägerin. Bei diesem Sachverhalt ist die Hauptinterventionsklage zulässig. Die Klägerin nimmt ein Recht für sich in Anspruch, über welches bereits ein Rechtsstreit zwischen zwei Parteien schwebt. Dies hat durch Klage ge-
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Freyberger
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 1 Kap. 31
ZPO
gen beide Parteien zu geschehen, und zwar gegen die eine Partei auf Leistung und gegen die andere Partei auf Feststellung (vgl. Zöller/Althammer § 64 ZPO Rz. 3). Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Kapitel 31 Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens I. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich und Rechtsmittel . . . . 2. Wirkung auf prozessuale Fristen . . . . . . . . . a) Ende des Fristenlaufs . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuer Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterbrechung zwischen den Instanzen . M 31.1 Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens verbunden mit Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . 3. Wirkung auf materielle Fristen . . . . . . . . . . II. Aussetzung nach § 246 ZPO (Tod, Prozessunfähigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag des Prozessbevollmächtigten der verstorbenen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 31.2 Aussetzungsantrag bei laufender Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag des Gegners der verstorbenen Partei 3. Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens . . . . a) Durch Erben der verstorbenen Partei . . . M 31.3 Aufnahme des Verfahrens und Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . b) Durch Prozessgegner (Aufnahmeerzwingung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 31.4 Aufnahmeerzwingung . . . . . . . . III. Aussetzung nach §§ 148, 149 ZPO . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussetzung wegen Aufrechnung . . . . . . . . . M 31.5 Antrag auf Aussetzung wegen Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aussetzung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit in einem Mitgliedstaat der EU . .
1 5 9 9 11 14 17 18
4. IV. 1. 2. V. 1. 2. 3.
22 24
4.
26 28 29 30 34 35 36 37 37 39 41
5. 6. VI.
Aussetzung wegen Verdachts einer Straftat . Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durch Tod, Prozessunfähigkeit . . . . . . . . . Durch Anwaltsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbrechung durch Insolvenzverfahren Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ende der Unterbrechung durch Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . Aufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufnahme im Aktivprozess . . . . . . . . . . b) Aufnahme im Passivprozess . . . . . . . . . Aufnahme des Verfahrens durch den Prozessgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei Insolvenzforderung iS der §§ 35, 38 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 31.6 Antrag auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle . b) Bei Verzögerung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . c) Nach Ablehnung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . Freigabe der Forderung durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten und Kostenerstattung . . . . . . . . . . . Ruhen des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . M 31.7 Antrag auf Ruhen des Verfahrens . . M 31.8 Antrag auf Fortsetzung des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 52 52 57 58 63 68 71 72 74 76 76 77 79 81 82 83 85 86 91
42
I. Grundsätze Die §§ 239–252 ZPO behandeln den Stillstand des Verfahrens. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Unterbrechung (§§ 239–245 ZPO), Aussetzung (§§ 246–248, 252 ZPO) und Ruhen des Verfahrens (§§ 251, 251a ZPO).
Freyberger/Fullenkamp
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Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 1 Kap. 31
ZPO
gen beide Parteien zu geschehen, und zwar gegen die eine Partei auf Leistung und gegen die andere Partei auf Feststellung (vgl. Zöller/Althammer § 64 ZPO Rz. 3). Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Kapitel 31 Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens I. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich und Rechtsmittel . . . . 2. Wirkung auf prozessuale Fristen . . . . . . . . . a) Ende des Fristenlaufs . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuer Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterbrechung zwischen den Instanzen . M 31.1 Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens verbunden mit Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . 3. Wirkung auf materielle Fristen . . . . . . . . . . II. Aussetzung nach § 246 ZPO (Tod, Prozessunfähigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag des Prozessbevollmächtigten der verstorbenen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 31.2 Aussetzungsantrag bei laufender Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag des Gegners der verstorbenen Partei 3. Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens . . . . a) Durch Erben der verstorbenen Partei . . . M 31.3 Aufnahme des Verfahrens und Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . b) Durch Prozessgegner (Aufnahmeerzwingung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 31.4 Aufnahmeerzwingung . . . . . . . . III. Aussetzung nach §§ 148, 149 ZPO . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussetzung wegen Aufrechnung . . . . . . . . . M 31.5 Antrag auf Aussetzung wegen Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aussetzung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit in einem Mitgliedstaat der EU . .
1 5 9 9 11 14 17 18
4. IV. 1. 2. V. 1. 2. 3.
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4.
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5. 6. VI.
Aussetzung wegen Verdachts einer Straftat . Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durch Tod, Prozessunfähigkeit . . . . . . . . . Durch Anwaltsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbrechung durch Insolvenzverfahren Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ende der Unterbrechung durch Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . Aufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufnahme im Aktivprozess . . . . . . . . . . b) Aufnahme im Passivprozess . . . . . . . . . Aufnahme des Verfahrens durch den Prozessgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei Insolvenzforderung iS der §§ 35, 38 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 31.6 Antrag auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle . b) Bei Verzögerung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . c) Nach Ablehnung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . Freigabe der Forderung durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten und Kostenerstattung . . . . . . . . . . . Ruhen des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . M 31.7 Antrag auf Ruhen des Verfahrens . . M 31.8 Antrag auf Fortsetzung des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 52 52 57 58 63 68 71 72 74 76 76 77 79 81 82 83 85 86 91
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I. Grundsätze Die §§ 239–252 ZPO behandeln den Stillstand des Verfahrens. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Unterbrechung (§§ 239–245 ZPO), Aussetzung (§§ 246–248, 252 ZPO) und Ruhen des Verfahrens (§§ 251, 251a ZPO).
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Kap. 31 Rz. 2
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
ZPO
2 Die Unterbrechung tritt in den gesetzlich vorgesehenen Fällen kraft Gesetzes ein, ohne dass es dazu eines Antrages oder einer Entscheidung des Gerichts bedarf BGH NZI 2012, 572,573). Über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens entscheidet das Gericht durch Beschluss, wobei für die Entscheidung regelmäßig ein Antrag erforderlich ist. Während der Unterbrechung und Aussetzung laufen keine prozessualen Fristen. Ordnet das Gericht das Ruhen des Verfahrens an, laufen die in § 233 ZPO bezeichneten Fristen weiter.
3 K
Wichtig: Eine gerichtliche Entscheidung, die trotz Unterbrechung des Verfahrens ergeht, ist nicht nichtig, sondern lediglich mit den allgemein zulässigen Rechtsmitteln anfechtbar (BGH WM 2009, 871).
4 Ein Rechtsmittel, das bereits vor Unterbrechung des Verfahrens unzulässig war, kann in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO auch während der Unterbrechung verworfen werden (BGH MDR 2014, 109). Tritt die Unterbrechung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein, darf das Gericht nach § 249 Abs. 3 ZPO noch eine Entscheidung verkünden, es sei denn, bei Eintritt der Unterbrechung läuft noch eine Schriftsatzfrist (BGH NJW 2012, 682). Bei einfachen Streitgenossen kann das Gericht über den nicht unterbrochenen oder ausgesetzten Teil des Rechtsstreits trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen durch Teilurteil entscheiden, sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfahren alsbald fortgesetzt werden kann (BGH NJW 2007, 156, 157 f.). Dasselbe gilt bei Unterbrechung durch Insolvenz, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsstreit nur teilweise aufnehmen kann (BGH NZM 2012, 417 f.). 1. Anwendungsbereich und Rechtsmittel
5 Die Vorschriften gelten in erster Linie für Verfahren mit notwendiger mündlicher Verhandlung, aber auch für das Mahn-, Kostenfestsetzungs- und Beschwerdeverfahren (vgl. dazu Zöller/Greger vor § 239 ZPO Rz. 4; BGH NZI 2012, 625 mwN für das Kostenfestsetzungsverfahren). Das selbständige Beweisverfahren wird durch die Insolvenz einer der Parteien des Verfahrens nicht unterbrochen, solange die Beweisaufnahme nicht beendet ist. Die Entscheidung über einen Antrag nach § 494a ZPO ist nicht mehr möglich (BGH NJW 2011, 1679). Das Prozesskostenhilfeverfahren wird durch die Insolvenz einer Partei ebenfalls nicht berührt (vgl. BGH NJW-RR 2006, 1208; str.; zum Meinungsstand s. MüKo.InsO/Schumacher § 85 InsO Rz. 47). Zum Anwendungsbereich im Übrigen s. Zöller/Greger vor § 239 ZPO Rz. 4.
6 Besteht über die Frage der Unterbrechung Streit, kann das Gericht durch Zwischenurteil gem. § 303 ZPO entscheiden (vgl. BGHZ 82, 209, 218), das grundsätzlich nicht selbständig anfechtbar ist (vgl. Zöller/Feskorn § 303 ZPO Rz. 5), es sei denn, mit dem Zwischenurteil wird gem. § 280 ZPO über die Zulässigkeit der Klage entschieden (BGHR § 303 ZPO Anfechtbarkeit 1; aA Stein/Jonas/Roth vor § 239 ZPO Rz. 7). Anfechtbar ist auch ein Zwischenurteil, das die Unterbrechung des Verfahrens feststellt, weil es die rechtssuchende Partei auf unbestimmte Zeit an der Weiterverfolgung eines Anspruchs hindert und sie damit in gleicher Weise wie ein Endurteil beschwert (BGH NZI 2012, 572, 573). Die Anfechtbarkeit ist ebenfalls zu bejahen, wenn im Zwischenurteil festgestellt wird, dass die Partei, die das Verfahren aufnehmen will, daran endgültig gehindert ist (BGH NJW-RR 2006, 288; NZI 2005, 64)oder das Zwischenurteil die Unterbrechung wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 240 ZPO oder § 17 AnfG feststellt und der Kläger geltend macht, der erhobene Anspruch betreffe nicht die Insolvenzmasse (BGH NJW 2005, 290, 291).
7 Die Unterbrechung tritt auch ein, wenn der Schuldner die rechtshängige Forderung vor Insolvenzeröffnung in anfechtbarer Weise abgetreten hat (vgl. BGH NJW-RR 2012, 1351,1352). Nach OLG Celle ZInsO 2003, 948 f. kann die Feststellung des Gerichts, der Rechtsstreit sei wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten unterbrochen, analog § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden (OLG Celle ZInsO 2003, 948 f.).
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Rz. 12 Kap. 31
Der Beschluss über den Aussetzungsantrag ist gem. § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde an- 8 fechtbar, wobei das Beschwerdegericht uneingeschränkt zu prüfen hat, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (BGH NJW-RR 2006, 1289). Die Beschwerdemöglichkeit besteht nach allgemeiner Ansicht (vgl. BGH NJW 2009, 2539, 2541; Zöller/Greger § 252 ZPO Rz. 1) bei allen den Stillstand des Verfahrens herbeiführenden oder ablehnenden Entscheidungen, es sei denn, das Gericht ordnet auf Antrag beider Parteien das Ruhen des Verfahrens an. Zu den anfechtbaren Entscheidungen gehören auch die Terminsbestimmung entgegen einem Ruhens- oder Aussetzungsgesuch beider Parteien (OLG München NJW-RR 1989, 64) oder die Fälle, in denen das Gericht die Sache auf unbestimmte Zeit vertagt, einen Termin grob unangemessen weit hinausschiebt, eine Terminsbestimmung ablehnt (BLAH/Hartmann § 252 ZPO Rz. 9) oder praktisch einen Verfahrensstillstand durch einen Beweisbeschluss herbeiführt, der eine erst nach erheblichem Zeitablauf durchführbare Beweisaufnahme anordnet (Zöller/ Greger § 252 ZPO Rz. 1). Ebenso ist die Entscheidung über die Ablehnung der Aufnahme eines ausgesetzten Verfahrens mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (BGH WM 2002, 1725, 1728; OLG Nürnberg MDR 2004, 231). Unstatthaft ist die Beschwerde bei Aussetzungsentscheidungen, die mit einer Vorlageentscheidung an ein höheres Gericht verbunden sind (vgl. OLG Celle NJW-RR 2009, 857). 2. Wirkung auf prozessuale Fristen a) Ende des Fristenlaufs Mit der Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens hören gem. § 249 Abs. 1 ZPO alle eigentlichen Fristen – das sind Fristen zur Vornahme einer Parteihandlung, s. zum Unterschied zwischen eigentlichen und uneigentlichen Fristen Zöller/Feskorn vor § 214 ZPO Rz. 3–6 auf zu laufen. Die Aussetzungswirkung setzt nicht bereits mit der Antragstellung ein, sondern erst mit der Verlautbarung der gerichtlichen Entscheidung durch formlose Mitteilung (vgl. BGH v. 26.5.2011 – V ZB 248/10). Die Dauer der Unterbrechung oder Aussetzung hängt vom jeweiligen Grund ab.
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Hat der Lauf der Frist bei Eintritt der Unterbrechung oder Aussetzung noch nicht begonnen, verhin- 10 dert die Unterbrechung oder Aussetzung, dass die Frist zu laufen beginnt (vgl. BGHZ 9, 308, 309). Hat das Gericht eine Frist gesetzt, wird die Fristsetzung durch die Unterbrechung oder Aussetzung hinfällig. Das Gericht muss nach Beendigung der Unterbrechung oder Aussetzung eine neue Frist bestimmen (RGZ 118, 158, 160; BGHZ 64, 1, 4). b) Neuer Fristbeginn Mit der Aufnahme des unterbrochenen oder ausgesetzten Verfahrens beginnt die Frist, deren Lauf 11 durch Unterbrechung oder Aussetzung beendet worden ist (Rz. 9), neu zu laufen (vgl. BGH WM 2016, 1747; BGH v. 28.6.2017 – I ZB 100/16), wobei die Aufnahme nach § 250 ZPO durch Zustellung eines bei Gericht einzureichenden Aufnahmeschriftsatzes erfolgt und die Aufnahme erst mit Zustellung jenes Aufnahmeschriftsatzes wirksam wird. Das gilt auch für den Fall, dass der Erbe die Aufnahme verzögert und der Gegner ein Aufnahmeerzwingungsverfahren nach § 239 Abs. 2–4 ZPO betreibt. Auch in diesem Fall endet die Unterbrechung nicht bereits mit dem Antrag, den Rechtsnachfolger zur Aufnahme und zur Verhandlung der Hauptsache zu laden, sondern ebenfalls erst mit der Aufnahmeerklärung durch den Rechtsnachfolger oder mit der Entscheidung des Gerichts, die die Rechtsnachfolge feststellt. Erscheint der Rechtsnachfolger in dem nach § 239 Abs. 2, 3 ZPO bestimmten Termin nicht, endet die Unterbrechung mit der mündlichen Verhandlung über die Rechtsnachfolge, die gem. § 239 Abs. 4 ZPO als zugestanden angenommen wird (BGH NJW 1957, 1840; Zöller/Greger § 239 ZPO Rz. 16a).
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Wichtig: Nimmt der Anwalt für den Erben den Rechtsstreit auf oder wird ihm ein Aufnahmeschriftsatz des gegnerischen Anwalts zugestellt, hat er stets zu prüfen, ob eine Frist neu zu laufen beginnt, und dafür zu sorgen, dass diese Frist notiert wird. Da bei Aufnahme des Rechtstreits für den Erben nicht bekannt ist, wann die Zustellung an den Prozessgegner erfolgt, sollte vorsorglich die Frist, von der der Anwalt weiß, dass sie läuft, ab dem Tag der Einreichung des Fullenkamp
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Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
ZPO
Kap. 31 Rz. 13
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
M 31.1
Schriftsatzes berechnet und alsdann das Zustellungsdatum ermittelt werden, um die Fristberechnung und Eintragung der Frist alsdann zu korrigieren.
13 Besonders regressträchtig sind die Fälle, in denen eine förmliche Aufnahme entbehrlich ist, weil das Verfahren nur für eine bestimmte Zeit ausgesetzt worden ist oder wenn das Gericht das Verfahren von Amts wegen fortsetzen darf, weil das die Aussetzung bedingende Ereignis, etwa die rechtskräftige Entscheidung des vorgreiflichen Verfahrens bei § 148 ZPO (vgl. dazu BGHZ 106, 295, 298), weggefallen ist. Wird der Lauf einer Frist nicht durch eine Zustellung in Gang gesetzt, ist der Anwalt nämlich gehalten, alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um den Fristbeginn festzustellen (BGH NJW 1990, 1239). Trifft er solche Vorkehrungen nicht, vermag ihn seine Unkenntnis nicht zu entlasten, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. c) Unterbrechung zwischen den Instanzen
14 Wird der Rechtsstreit nach Verkündung eines Urteils durch Tod der nicht anwaltlich vertretenen Partei oder durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen, ist hinsichtlich des Laufs der Rechtsmittelfristen zu differenzieren:
15 – Tritt die Unterbrechung vor Zustellung des Urteils ein, beginnt die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen. Während der Unterbrechung erfolgte Rechtshandlungen, zu denen auch die Zustellung gehört, sind grundsätzlich unwirksam (BGHZ 111, 104, 107). Die Zustellung kann regelmäßig erst nach der Aufnahme des Rechtsstreits bewirkt werden. Allerdings hält der BGH (BGHZ 111, 104, 109 f.) aus prozessökonomischen Gründen trotz fehlender Zustellung die mit der Aufnahmeerklärung verbundene Rechtsmitteleinlegung beim Rechtsmittelgericht für zulässig.
16 – Wird das Verfahren nach der Zustellung unterbrochen, hört die Rechtsmittelfrist auf zu laufen. Die Aufnahmeerklärung kann gleichzeitig mit der Rechtsmitteleinlegung gegenüber dem Rechtsmittelgericht abgegeben werden (BGHZ 30, 112, 119 f.; BGHZ 36, 258, 260; BGHZ 111, 104, 109). Bei einem nach § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit, der gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO nur vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden kann, ist das Verfahren zur Erzwingung der Aufnahme (§ 85 Abs. 1 Satz 2 InsO iVm. § 239 Abs. 2 ZPO) beim erstinstanzlichen Gericht durchzuführen (s. dazu Rz. 73).
17 M 31.1 Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens verbunden mit
Rechtsmitteleinlegung An das Oberlandesgericht … – Zivilsenat – Berufung und Aufnahme des Rechtsstreits in Sachen 1. der Jochen Blau GmbH, Wiesenweg 19, 49186 Bad Iburg, 2. … – Klägerin zu 1) und Berufungsklägerin – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt … gegen Sascha Landarski, Fasanenweg 15, 21706 Drochtersen, – Beklagter und Berufungsbeklagter – Prozessbevollmächtigte I. Instanz: Rechtsanwälte …
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M 31.1
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 22 Kap. 31
zeige ich an, dass ich Frau
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RAin Tatjana Bartz, geschäftsansässig …, als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Klägerin vertrete. Namens und in Vollmacht der RAin Bartz nehme ich hiermit den Rechtsstreit auf und lege zugleich gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück – Az. … – vom …, der Klägerin zugestellt am …, Berufung ein. Eine Kopie des angefochtenen Urteils füge ich bei. Über das Vermögen der Klägerin wurde nach Zustellung des angefochtenen Urteils am … das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Amtsgericht (Insolvenzgericht) … hat Frau RAin Tatjana Bartz ausweislich des in Fotokopie beigefügten Beschlusses zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Klägerin bestellt. Die Insolvenzverwalterin ist gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt, das Verfahren aufzunehmen und fortzusetzen. Mit der hiermit erfolgten Aufnahme des Rechtsstreits ist die gem. § 240 ZPO eingetretene Unterbrechung beendet. Die Aufnahmeerklärung kann gleichzeitig mit der Rechtsmitteleinlegung erfolgen (BGHZ 111, 104, 109). Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
3. Wirkung auf materielle Fristen Die durch Klageerhebung bewirkte Hemmung der Verjährungsfrist dauert trotz der Unterbrechung des Verfahrens oder der Aussetzung durch das Gericht fort, weil § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB in diesen Fällen nicht eingreift. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn der Stillstand des Verfahrens auf einer vom Gericht beschlossenen Aussetzung und damit nicht auf Untätigkeit der Parteien beruht (vgl. MüKo.BGB/Grothe § 204 BGB Rz. 76 f.). Dabei kommt es in den Fällen der Aussetzung nicht darauf an, ob tatsächlich ein Aussetzungsgrund vorlag (vgl. OLG Köln OLGE 22, 173; MüKo.BGB/Grothe § 204 BGB Rz. 81).
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Demgegenüber endet die Hemmung der Verjährungsfrist gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB, wenn das Verfahren in Stillstand gerät, weil die Parteien es nicht betreiben. Die Hemmung endet 6 Monate nach der letzten Verfahrenshandlung. Das gilt auch, wenn das Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO angeordnet wird (MüKo.BGB/Grothe § 204 BGB Rz. 76).
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Wichtig: Der Anwalt muss die 6-Monats-Frist notieren, um die gehemmte Frist zu überwachen.
Bei einem Insolvenzverfahren endet die Hemmung sechs Monate nach dessen Aufhebung oder Einstellung und nicht erst nach Abschluss des Restschuldbefreiungsverfahrens (OLG Düsseldorf NZI 2010, 694). Zweifelhaft ist, ob nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens von einem Verfahrensstillstand ausgegangen werden kann, wenn das Gericht nicht von Amts wegen klärt, ob das Verfahren fortgesetzt werden soll (so aber OLG Köln v. 6.4.2011 – 11 U 107/10). Die Unterbrechung endet nicht, wenn der Massebezug einer Forderung entfällt, sondern erst mit Aufnahme des Rechtsstreits durch eine befugte Partei (BGH NJW-RR 2010, 1351, 1352).
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II. Aussetzung nach § 246 ZPO (Tod, Prozessunfähigkeit) Der Tod einer Partei, der Verlust der Prozessfähigkeit, der Tod des gesetzlichen Vertreters, die Anordnung einer Nachlassverwaltung oder Eintritt der Nacherbfolge führt gem. § 246 ZPO nicht zur Unterbrechung des Verfahrens, wenn eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfindet. Das Gericht hat jedoch auf Antrag des Bevollmächtigten und in den Fällen des Todes und der Fullenkamp
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Kap. 31 Rz. 23
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
M 31.2
Nacherbfolge auch auf Antrag des Gegners die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen. Voraussetzung ist, dass der Prozessbevollmächtigte für die Instanz, während deren Dauer das Ereignis eintritt, bestellt und postulationsfähig ist und das Mandat nicht niedergelegt hat (vgl. BGHZ 2, 227; BGHZ 43, 135, 137). Während der Aussetzung des Rechtsstreits sind die der anderen Prozesspartei gegenüber vorgenommenen Prozesshandlungen ohne rechtliche Wirkung. Das gilt auch für die Zustellung einer Klageerweiterung, die deswegen keine verjährungshemmende Wirkung hat (vgl. KG Berlin v. 3.2.2003 – 8 U 387/01).
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Wichtig: Nach Zustellung des rechtsmittelfähigen Urteils, also während des Laufs der Rechtsmittelfrist zwischen den Instanzen, gilt die Partei als durch den Prozessbevollmächtigten der Vorinstanz vertreten, so dass keine Unterbrechung stattfindet, sondern Aussetzung beantragt werden muss (vgl. RGZ 68, 247; Zöller/Greger § 246 ZPO Rz. 2, 2b). Ist demgegenüber das Rechtsmittel vom Rechtsmittelführer eingelegt und stirbt alsdann der Rechtsmittelgegner, ohne zuvor einen Prozessbevollmächtigten für die nächste Instanz bestellt zu haben, tritt eine Unterbrechung des Verfahrens ein (BGHZ 2, 227, 229; Zöller/Greger § 246 ZPO Rz. 2).
1. Antrag des Prozessbevollmächtigten der verstorbenen Partei
24 Erhält der Anwalt Nachricht von dem Tod seiner Partei, sollte er sogleich einen Aussetzungsantrag stellen, sofern er keine sichere Kenntnis davon hat, wer die Erben der Partei sind und dass die Erben den Rechtsstreit fortsetzen wollen. Der Anwalt muss prüfen, ob Fristen laufen, und hat diese weiter zu überwachen, weil die Aussetzungswirkung erst mit der Bekanntgabe der Aussetzungsentscheidung eintritt. Es empfiehlt sich deswegen, in diesem Falle den Aussetzungsantrag mit einem Fristverlängerungsantrag zu verbinden.
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Wichtig: Allein die Anzeige des Todes der von ihm vertretenen Partei durch den Prozessbevollmächtigten ist nicht als Aussetzungsantrag zu verstehen (BGH VersR 1993, 1375).
26 M 31.2 Aussetzungsantrag bei laufender Frist An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, durch Beschluss gem. § 246 ZPO die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen. Ferner beantrage ich, die am 30.5.2018 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Begründung: Der Kläger ist am 5.5.2018 verstorben. Eine Sterbeurkunde, durch die der Tod des Klägers dokumentiert wird, füge ich bei. Demnach ist aufgrund des gestellten Antrags durch Beschluss die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen. Die Frist zur Begründung der Berufung läuft am 30.5.2018 ab. Da die Wirkung der Aussetzung erst mit Zustellung des beantragten Beschlusses eintritt (Zöller/Greger § 246 ZPO Rz. 7), ist die Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung für den Fall erforderlich, dass die Kammer vor Ablauf der derzeit laufenden Frist über den gestellten Aussetzungsantrag nicht entscheidet. Kosten: keine Besonderheiten.
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Rz. 33 Kap. 31
Der Aussetzungsantrag muss beim Prozessgericht gestellt werden (§ 248 ZPO), das auch nach Verkündung eines Endurteils bis zur Einlegung eines Rechtsmittels zuständig bleibt (vgl. Zöller/Greger § 248 ZPO Rz. 1).
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2. Antrag des Gegners der verstorbenen Partei Im Falle des Todes der Partei (§ 239 ZPO) und der Nacherbfolge (§ 242 ZPO) hat auch der Prozessgegner nach § 246 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit, die Aussetzung zu beantragen. Dadurch soll der Prozessgegner davor geschützt werden, bei einer Unklarheit über die Erbfolge oder Nacherbfolge vom falschen Rechtsnachfolger in Anspruch genommen zu werden. Deswegen kann dieses Antragsrecht auch dann ausgeübt werden, wenn die vermeintlichen Erben der verstorbenen Partei den Rechtsstreit aufnehmen wollen (vgl. BLAH/Hartmann § 246 ZPO Rz. 5). Stellt der Prozessgegner keinen Aussetzungsantrag, nachdem er Kenntnis von dem Tod der anderen Partei erlangt hat, muss er jedenfalls darauf achten, dass das Rubrum berichtigt wird und ins Rubrum die Erben aufgenommen werden, um Schwierigkeiten bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung zu vermeiden.
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3. Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens Wird eine Partei vom Prozessgegner allein beerbt, endet das Verfahren in der Hauptsache wegen des Verbots des Insichprozesses von selbst. Eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO kommt nicht in Betracht (BGH NJW-RR 2011, 487 f.). In allen anderen Fällen kann der Rechtsstreit durch Aufnahme fortgesetzt werden.
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a) Durch Erben der verstorbenen Partei Die Aufnahme des ausgesetzten Rechtsstreits durch die Erben oder auch einen einzelnen Miterben 30 (vgl. BGH NJW-RR 2012, 8) erfolgt gem. § 246 iVm. §§ 239, 250 ZPO durch Einreichung eines Schriftsatzes, der dem Prozessgegner von Amts wegen zuzustellen ist. Der Rechtsnachfolger muss in dem Schriftsatz seine Absicht deutlich machen, den Rechtsstreit fortzuführen, und hat ferner Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Rechtsnachfolge ergibt (vgl. BGHZ 104, 1, 3). Die allgemeine Prozessvollmacht des Rechtsanwalts erlischt nicht durch den Tod der Partei (§ 86 ZPO) und auch nicht durch die Aussetzung. Allerdings hat der Bevollmächtigte nach der Aussetzung des Rechtsstreits bei dessen Aufnahme die Vollmacht des Erben vorzulegen (§ 86 Halbs. 2 ZPO).
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Wichtig: Bei Aufnahme des Rechtsstreits sollte gleichzeitig auch der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nach § 780 ZPO geltend gemacht werden, um eine etwaige Zwangsvollstreckung in das eigene Vermögen des Erben zu vermeiden (vgl. hierzu auch Kap. 89 Rz. 99 ff., 118 ff.). Der Vorbehalt muss wegen der Prozesskosten des Erblassers gesondert geltend gemacht werden (s. dazu M 31.3).
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Dieser Vorbehalt kann auch noch in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden, wobei die Berufung auch lediglich mit dem Ziel zulässig ist, nachträglich den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung zu erreichen. Der Vorbehalt ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 1–3 ZPO zulässig, sofern die Erhebung der Einrede selbst, der Erbfall und die Erbenstellung des Beklagten unstreitig sind (BGH NJW-RR 2010, 664; zum Nichtzulassungsbeschwerde- oder Revisionsverfahren s. BGH ZErb 2018, 129).
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Die Klärung des Haftungsumfangs ist im Erkenntnisverfahren nicht zwingend zu klären, sondern kann dem Verfahren gem. § 785 ZPO überlassen werden (BGH NJW-RR 2010, 664).
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Kap. 31 Rz. 34
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
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34 M 31.3 Aufnahme des Verfahrens und Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Langrubrum) zeige ich an, dass Herr Lothar Müller, Lessingstr. 12, Saarbrücken den Beklagten allein beerbt hat. Eine Fotokopie des Erbscheins füge ich diesem Schriftsatz bei. Namens des Alleinerben Lothar Müller nehme ich den Rechtsstreit auf und beantrage, dem Alleinerben Lothar Müller die Beschränkung seiner Haftung gem. § 780 ZPO vorzubehalten, und zwar auch für die Kosten, die bis zum Zeitpunkt der Aufnahme des Rechtsstreits entstanden waren. Der Erbe kann hinsichtlich derjenigen Kosten, die in der Person des Erblassers entstanden sind, den Vorbehalt der beschränkten Haftung geltend machen. Der Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung für die Urteilsforderung erstreckt sich nicht auch auf die Prozesskosten, so dass der Haftungsvorbehalt auch für die Prozesskosten im Urteil gesondert ausgesprochen werden muss (vgl. Zöller/Geimer § 780 ZPO Rz. 7). Kosten: keine Besonderheiten.
b) Durch Prozessgegner (Aufnahmeerzwingung)
35 Der Prozessgegner kann die Aufnahme des Rechtsstreits durch die Erben gem. §§ 246 Abs. 2, 239 Abs. 2–4 ZPO erzwingen, wenn der Erbe die Aufnahme verzögert. Der Antrag muss die die Rechtsnachfolge begründenden Tatsachen enthalten und ist darauf gerichtet, den Rechtsnachfolger zur Aufnahme und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache zu laden. Zuvor sollte der Rechtsnachfolger außergerichtlich zur Aufnahme aufgefordert werden, weil der Rechtsnachfolger die Möglichkeit zur Abgabe eines sofortigen Anerkenntnisses mit der Kostenfolge des § 93 ZPO hat (vgl. MüKo.ZPO/ Stackmann § 239 ZPO Rz. 44). Das Gericht hat diesen Schriftsatz sowohl dem gegnerischen Prozessbevollmächtigten als auch dem Erben direkt (§ 239 Abs. 3 ZPO) zuzustellen. Erscheint der Rechtsnachfolger in dem anberaumten Termin nicht, gilt die Rechtsnachfolge gem. § 239 Abs. 4 ZPO als zugestanden, und es ist zur Hauptsache zu verhandeln.
36 M 31.4 Aufnahmeerzwingung An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Langrubrum) beantrage ich, die Alleinerbin des Klägers, Frau Gerda Glücklich, zur Aufnahme des Rechtsstreits und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache zu laden. Der Kläger ist am 3.8.2017 verstorben. Seine Prozessbevollmächtigten haben bisher nicht den Erben des Klägers benannt und für diesen den Rechtsstreit aufgenommen. Der Beklagte hat zwischenzeitlich durch Nachfrage beim Nachlassgericht in Erfahrung gebracht, dass Frau Gerda Glücklich den Kläger beerbt hat. Beweis: Beiziehung der Nachlassakten …
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Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 39 Kap. 31
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Das Nachlassgericht erteilte der Alleinerbin bereits am 14.12.2017 einen Erbschein. Mit dem beigefügten Schreiben vom 20.2.2018 forderte der Beklagte die Alleinerbin auf, den Rechtsstreit aufzunehmen. Eine Reaktion erfolgte nicht, was belegt, dass die Alleinerbin die Aufnahme des Rechtsstreits verzögert. Kosten: keine Besonderheiten.
III. Aussetzung nach §§ 148, 149 ZPO 1. Voraussetzungen § 148 ZPO ermöglicht dem Richter des laufenden Zivilprozesses, die Entscheidung einer Vorfrage in 37 einem anderen Rechtsstreit oder Verwaltungsverfahren abzuwarten. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass der Ausgang des anhängigen Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängig ist, über das in einem anhängigen Zivilprozess oder in einem Verwaltungsverfahren entschieden wird. Dabei reicht es bei einem Verwaltungsverfahren aus, dass die Vorfrage von einer Verwaltungsbehörde zu beantworten ist. Ein Verwaltungsrechtsstreit braucht nicht anhängig zu sein (vgl. Zöller/Greger § 148 ZPO Rz. 6a). Die Vorgreiflichkeit des anderen Verfahrens kann sich daraus ergeben, dass über eine Vorfrage mit Gestaltungswirkung entschieden oder die Voraussetzungen einer Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden können (vgl. BGHZ 97, 135, 145 f.). Ebenso kommt die (teilweise) Aussetzung des Hauptsacheverfahrens in Betracht, wenn es in einem selbständigen Beweisverfahren um die Klärung von Mängeln geht, die auch Gegenstand des Hauptsachverfahrens sind (BGH NJW-RR 2007, 307 und 456). Die Aussetzung steht grds. im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. § 148 ZPO ist analog heranzuziehen, wenn das erkennende Gericht nicht von der Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen Bestimmung überzeugt ist und die Bestimmung bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde ist (vgl. BGH v. 17.7.2013 – IV ZR 150/12) oder die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung derselben Frage abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt wurde (BGH v. 30.10.2013 – I ZR 203/12). Die Anhängigkeit eines oder mehrerer Verfahren mit einem parallelen Sachverhalt (Musterprozess) rechtfertigt die Aussetzung auch dann nicht, wenn ein Revisionsverfahren beim BGH anhängig ist, weil das andere Verfahren nicht von präjudizieller Bedeutung ist (BGH NJW 2005, 1947 f.; NJW-RR 2006, 1289). Die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss, durch den ein Befangenheitsantrag abgelehnt wurde, rechtfertigt die Aussetzung nicht (BGH v. 5.7.2018 – IX ZR 264/17). Gesetzliche Fälle der Aussetzung sind zB in den §§ 152–154 ZPO, Art. 100 GG und § 46 Abs. 2 WEG geregelt (zu weiteren gesetzlich geregelten Fällen s. Zöller/Greger § 148 ZPO Rz. 2–4).
38
2. Aussetzung wegen Aufrechnung Besondere Bedeutung hat die Aussetzung zur Klärung der Frage, ob eine zur Aufrechnung gestellte Ge- 39 genforderung besteht. Die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung darf nur berücksichtigt werden, wenn diese rechtskräftig festgestellt oder unbestritten ist. Die Unzulässigkeit des Rechtsweges hindert nach Sinn und Zweck der Rechtswegaufteilung eine Prüfung und Entscheidung des Gerichts über die Gegenforderung (vgl. BGHZ 16, 124, 127 ff.; Zöller/Greger § 145 ZPO Rz. 19a; aA Musielak/Stadler § 145 ZPO Rz. 32). Der Bundesgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung angenommen, dass der Zivilprozess, in dem die Aufrechnung mit einer öffentlich-rechtlichen Gegenforderung erklärt wird, zwingend bis zur Entscheidung über das Bestehen der öffentlich-rechtlichen Gegenforderung ausgesetzt werden muss. Der Beklagte hat dann Gelegenheit, seine Gegenforderung vor dem zuständigen Gericht geltend zu machen, wobei das Gericht des Erstprozesses ihm eine Frist zur Klageerhebung setzen und bei inkonnexer Gegenforderung auch ein Vorbehaltsurteil erlassen kann (vgl. MüKo.ZPO/Fritsche § 145 ZPO Rz. 31).
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Kap. 31 Rz. 40
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
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ZPO
40 Wird mit einer bereits eingeklagten Forderung hilfsweise aufgerechnet, steht die Entscheidung über die Aussetzung des Erstprozesses oder des Aufrechnungsprozesses im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe v. 7.5.2007 – 15 W 22/07) bejaht die Aussetzung des Prozesses, in dem aufgerechnet wurde (demgegenüber: Zöller/Greger § 145 ZPO Rz. 18a befürwortet die Aussetzung des ursprünglichen Rechtsstreits), sofern das Gericht das Bestehen der Hauptforderung bejaht. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist auch der Erlass eines Vorbehaltsurteils gem. § 302 ZPO in Erwägung zu ziehen (OLG Schleswig MDR 2006, 707). Im Falle der doppelten Prozessaufrechnung (Aufrechnung mit einer Forderung in zwei unabhängig laufenden Verfahren) ist es im Allgemeinen zweckmäßig, den zweiten Prozess bis zur Erledigung desjenigen Verfahrens auszusetzen, in dem die erste Aufrechnung erklärt wurde (vgl. BGH MDR 2004, 705). Das gilt auch im Urkundenprozess, weil anderenfalls die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1000 f.).
41 M 31.5 Antrag auf Aussetzung wegen Aufrechnung An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich für den Kläger, das Verfahren gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits zwischen den Parteien vor dem Amtsgericht Minden (Az.: …) auszusetzen. Begründung: Der Kläger verlangt im vorliegenden Rechtsstreit vom Beklagten Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung, weil der Beklagte den Pkw des Klägers beschädigte. In einem weiteren vor dem AG Minden zum Az. … anhängigen Rechtsstreit verlangt der Beklagte vom Kläger die Zahlung rückständigen Mietzinses. In jenem Verfahren hat der Kläger im Schriftsatz vom 11.5.2018 hilfsweise die Aufrechnung mit dem hier geltend gemachten Schadensersatzanspruch erklärt. Beweis: die als Anlage beigefügte beglaubigte Abschrift des Schriftsatzes vom 11.5.2018. Sobald das Amtsgericht die dortige Klage wegen der Aufrechnung mit den Schadensersatzansprüchen abweist, ist die Forderung erloschen. Aus diesem Grunde ist die amtsgerichtliche Entscheidung vorgreiflich. Erst wenn durch das derzeit beim Amtsgericht anhängige Verfahren geklärt ist, ob die Mietzinsforderung des Beklagten diesem tatsächlich zugestanden hat und deswegen die Hilfsaufrechnung im Vorprozess entschieden sein wird, steht fest, ob das vorliegende Verfahren noch weiter zu betreiben ist. Sollte nämlich der klägerische Vortrag in dem anderen Verfahren zutreffend sein, wäre die Forderung wegen Schadensersatz noch nicht verbraucht. Kosten: keine Besonderheiten.
3. Aussetzung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit in einem Mitgliedstaat der EU
42 Nach Art. 29 Abs. 1 EuGVVO hat eine Aussetzung des Verfahrens zu erfolgen, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig sind. Die Aussetzung erfolgt gem. § 148 ZPO analog von Amts wegen (vgl. Musielak/Voit/Stadler Art. 29 EuGVVO Rz. 8). Die Auslegung des Begriffs „derselbe Anspruch“ hat sich daran zu orientieren, dass so weit wie möglich Parallelprozesse vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten vermieden werden, in denen Entscheidungen ergehen können, die miteinander „unvereinbar“ iSv. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sind und deshalb in dem jeweils anderen Staat nicht anerkannt werden (BGH FD-InsR 2016, 384343; EuGH NJW 1989, 665 Rz. 8, 13). Maßgeblich ist, ob der Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten derselbe ist. Der Streitgegenstand in den beiden Verfahren muss nicht identisch sein (vgl. Zöller/ 578
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Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 46 Kap. 31
ZPO
Geimer Art. 29 EuGVVO Rz. 4, 20). Derselbe Anspruch wird auch dann verfolgt, wenn Gegenstand des einen Verfahrens eine Zahlungsklage ist und Gegenstand des anderen eine Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass entweder der geltend gemachte Zahlungsanspruch oder ein für den Zahlungsanspruch vorgreifliches Rechtsverhältnis nicht besteht (BGH WM 2002, 1725, 1726). Das spätere Verfahren wird nach dem Prioritätsprinzip durch das frühere blockiert (vgl. Musielak/Voit/Stadler Art. 29 EuGVVO Rz. 5). Wird derselbe Anspruch in diesem Sinne bei unterschiedlichen Gerichten geltend gemacht, hat das zuletzt angerufene Gericht den Rechtsstreit von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Zu welchem Zeitpunkt die Rechtshängigkeit bei den betroffenen Gerichten eingetreten ist, richtet sich nach den nationalen Vorschriften des jeweiligen Gerichts (vgl. Zöller/Geimer Art. 29 EuGVVO Rz. 15).
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Die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts steht erst dann fest, wenn nach dem Recht des Erststaates die internationale Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann. Es muss also die rechtskräftige Entscheidung des zuerst angegangenen Gerichts oder die Entscheidung eines ihm übergeordneten Gerichts feststehen (vgl. Schlosser Art. 27 EuGVVO Rz. 10; Geimer/Schütze Art. 27 EuGVVO Rz. 54).
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Eine noch weiter gehende Aussetzungsmöglichkeit hat das Gericht nach Art. 30 Abs. 1 EuGVVO (ent- 45 spricht Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ). Danach kann in Fällen, in denen bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen anhängig sind, die im Zusammenhang stehen, das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen. Ziel dieser Bestimmung ist es, Parallelverfahren untereinander widersprechender Entscheidungen zu vermeiden (vgl. Musielak/Voit/Stadler Art. 30 EuGVVO Rz. 1). Der erforderliche Zusammenhang ist bereits bei einer Identität des Lebenssachverhalts gegeben, wobei die Aussetzung nur erfolgen soll, wenn die Ergebnisse des einen Prozesses im anderen verwertet werden können (vgl. Zöller/Geimer Art. 30 EuGVVO Rz. 4 mit Hinweis auf EuGH-Vorlage des BGH v. 18.9.2013 – V ZB 163/12, MDR 2013, 1480). So ist ein „Zusammenhang“ iS des Art. 28 Abs. 1 EuGVVO etwa gegeben, wenn unterschiedliche Ansprüche aus ein und demselben Vertrag in verschiedenen Staaten eingeklagt werden und die Zuständigkeit der beiden angerufenen Gerichte von der Wirksamkeit einer in dem Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel abhängt. Gleiches gilt, wenn in einem Vertragsstaat Klage auf Minderung des Kaufpreises und Schadensersatz erhoben und in dem anderen Vertragsstaat auf Zahlung des Restkaufpreises geklagt wird (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 28 EuGVVO Rz. 5). Bei der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung soll vor allem berücksichtigt werden, wieweit ein mögliches Ergebnis des früher angestrengten Verfahrens Einfluss auf das Zweitverfahren hat, ohne dass es auf eine bindende Feststellung von Urteilselementen ankommt (vgl. Zöller/Geimer Art. 30 EuGVVO Rz. 4). Allerdings sollte Art. 28 Abs. 1 EuGVVO nur moderat gehandhabt werden, um nicht den Justizgewährungsanspruch zu unterlaufen (vgl. Geimer/Schütze Art. 28 EuGVVO Rz. 3). 4. Aussetzung wegen Verdachts einer Straftat Gemäß § 149 ZPO kann das Gericht ein Zivilverfahren dann aussetzen, wenn der Verdacht einer Straftat besteht und deren Ermittlung in einem Strafverfahren Einfluss auf die Entscheidung haben kann. Zweck der Aussetzung ist es insbesondere, etwaig bessere Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens im Gegensatz zu der im Zivilprozess geltenden Verhandlungsmaxime auszunutzen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Dabei bleibt allerdings das Zivilgericht in seiner Beweiswürdigung frei, das Strafurteil ist nicht für das Zivilgericht gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 EGZPO bindend. Das Zivilgericht muss bei der Ausübung seines Ermessens überprüfen, ob die Beschleunigung des Zivilprozesses vorrangig ist oder die besseren Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens ausgenutzt werden (Zöller/Greger § 149 ZPO Rz. 2). Nach überwiegender Ansicht soll im Arzthaftungsprozess die Aussetzung wegen eines Strafverfahrens nur ausnahmsweise möglich sein, sie ist also in der Regel untunlich (vgl. OLG Köln NJW 1990, 778). Auch soweit ein Zeuge im Hinblick auf ein mit dem Vernehmungsgegenstand zusammenhängendes Ermittlungsverfahren die Aussage im ZivilFullenkamp
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Kap. 31 Rz. 47
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
prozess verweigert, soll nach Auffassung des KG eine Aussetzung nicht vorgenommen werden (KG Berlin MDR 1983, 139).
47 Stets muss der Verdacht zur Überzeugung des Gerichts bestehen, dass ein Prozessbeteiligter, sei es Partei, Streithelfer, Zeuge, Sachverständiger oder auch ein Dritter, eine strafbare Handlung begangen hat. Der Verdacht muss nicht dringend iS des § 112 StPO sein, es genügen Anhaltspunkte iS des § 152 Abs. 2 StPO. Ein Strafverfahren braucht im Übrigen noch nicht anhängig zu sein, es reicht aus, dass das Gericht von sich aus die Akten zur Prüfung des Verdachtes der Staatsanwaltschaft zuleitet (Zöller/ Greger § 149 ZPO Rz. 3).
48 Die Verfahrensaussetzung gem. § 149 ZPO und Vorlage der Akten an die Staatsanwaltschaft kann eine Richterablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit begründen (OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 1319), was nach OLG Brandenburg (MDR 1997, 779) nicht gilt, wenn der Zivilrichter offenlässt, gegen welche Partei ein Verdacht bestehen soll.
49 Bei der Ermessensentscheidung muss das Gericht im Übrigen auch berücksichtigen, ob möglicherweise der im Zivilverfahren Beteiligte, der in einem Strafverfahren beschuldigt ist, durch die ihm obliegende Wahrheitspflicht gem. § 138 Abs. 1 ZPO unter Umständen gezwungen sein kann, Erklärungen abzugeben, die im Strafverfahren gegen ihn verwendet werden können (vgl. LG Dortmund Strafverteidiger 1994, 36).
50 Das Gericht muss den Aussetzungsbeschluss begründen und die streitigen Umstände, auf die es im Zivilverfahren ankommt und die im Strafverfahren leichter oder einfacher geklärt werden können, so konkret und eingehend darstellen, dass das Beschwerdegericht die Entscheidung auf Ermessensfehler überprüfen kann (BGH NJW-RR 2010, 423 = MDR 2010, 280). Setzt das Gericht das Verfahren nicht aus und bleibt die sofortige Beschwerde gem. § 252 ZPO erfolglos, kann der Rechtsanwalt nur versuchen, durch Vereinbarung mit dem Gegner das Ruhen des Verfahrens zu erreichen.
51 Zur Aufnahme des Verfahrens bedarf es keines Aufnahmebeschlusses, das Zivilverfahren wird nach Erledigung des Strafverfahrens fortgesetzt, wobei es auf die Kenntnis der Parteien von der Erledigung des Strafverfahrens nicht ankommt (BGHZ 106, 295, 298; s. Rz. 13). Unterbrochene Fristen beginnen neu zu laufen. Nach Ablauf eines Jahres hat das Gericht gem. § 149 Abs. 2 ZPO – grundsätzlich – die Verhandlung auf Antrag einer Partei fortzusetzen.
IV. Unterbrechung 1. Durch Tod, Prozessunfähigkeit
52 Der Tod der nicht anwaltlich vertretenen Partei unterbricht das Verfahren (§ 239 Abs. 1 ZPO). 53 K
Praxistipp: Für den Fall des Todes zwischen den Instanzen s. Rz. 23 und 25.
54 Entsprechendes gilt beim Untergang einer juristischen Person oder einer Personengesellschaft, soweit keine Liquidation, sondern Gesamtrechtsnachfolge eintritt (vgl. BGH NJW 2004, 1528; Zöller/ Greger § 239 ZPO Rz. 6). Nach § 241 ZPO wird das Verfahren ebenfalls unterbrochen, wenn eine Partei die Prozessfähigkeit verliert, der gesetzliche Vertreter stirbt oder dessen Vertretungsbefugnis aufhört, sofern keine anwaltliche Vertretung besteht. Im familienrechtlichen Verfahren, in dem es um den Unterhaltsanspruch eines minderjährigen Kindes gegen die Mutter geht, tritt eine Unterbrechung auch dann ein, wenn vor Abschluss des Verfahrens das ursprünglich durch den Vater vertretene Kind zur Mutter wechselt, der im Verlauf des Verfahrens auch die elterliche Sorge übertragen wird. Die Kindesmutter ist dann zwar neuer gesetzlicher Vertreter, allerdings an der Vertretung im Verfahren deswegen gehindert, weil sie nicht die Parteirolle auf beiden Seiten zugleich einnehmen kann. In diesem Fall ist ein Pfleger zu bestellen.
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Rz. 60 Kap. 31
Praxistipp: Wird eine Partei vom Prozessgegner allein beerbt, so endet das Verfahren in der Hauptsache wegen des Verbots des Insichprozesses von selbst. Eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO kommt dann grundsätzlich nicht mehr in Betracht (BGH NJW-RR 2011, 487, 488).
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Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Die Aufnahme des Rechtsstreits erfolgt nach § 250 ZPO durch Einreichung eines Schriftsatzes oder 56 durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung (vgl. Zöller/Greger § 250 ZPO Rz. 4). Die Aufnahme kann gem. § 239 Abs. 2 ZPO vom Prozessgegner erzwungen werden (zu den Einzelheiten s. Rz. 35). Ist im Falle des Todes einer Partei ein zur Führung des Rechtsstreits berechtigter Testamentsvollstrecker vorhanden und handelt es sich um einen Aktivprozess (§ 2212 BGB), kann die Aufnahme nicht durch den Erben, sondern nur durch den Testamentsvollstrecker erfolgen (BGHZ 104, 1, 3 f.). Im Passivprozess ist der Erbe auch allein zur Aufnahme befugt. Der Passivprozess kann vom Kläger gem. § 2213 BGB sowohl gegen den Erben als auch gegen den Testamentsvollstrecker als auch gegen beide geführt werden, und zwar jedenfalls mit einem Zahlungsantrag gegen den Erben und einem Duldungsantrag gegen den Testamentsvollstrecker oder mit einem Feststellungsantrag gegen beide (BGHZ 104, 1, 4). 2. Durch Anwaltsverlust Stirbt im Anwaltsprozess der Anwalt oder wird er unfähig, seine Partei zu vertreten, etwa wegen 57 Wegfalls der Geschäftsfähigkeit (BGHZ 30, 112, 119) oder Wegfalls der Postulationsfähigkeit des Abwicklers (BGHZ 66, 59, 61), oder wird dem Anwalt ein Berufsverbot auferlegt (BGHZ 111, 104, 106), wird das Verfahren unterbrochen. Die Unterbrechung endet, wenn der neu bestellte Rechtsanwalt dem Gericht seine Bestellung anzeigt. Wird diese Anzeige verzögert, hat das Gericht nach § 244 Abs. 2 ZPO auf Antrag des Gegners die Partei selbst zur Hauptsache zu laden oder zur Bestellung eines neuen Anwalts binnen einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden Frist aufzufordern. Kommt die Partei dieser Aufforderung nicht nach, so gilt das Verfahren als aufgenommen.
V. Unterbrechung durch Insolvenzverfahren Gemäß § 240 ZPO führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei nach 58 Zustellung der Klage (vgl. BGH NJW-RR 2009, 566, 567) zur Unterbrechung des Rechtsstreits, sofern der Rechtsstreit die Insolvenzmasse betrifft (Rz. 66). Dadurch soll dem infolge der Insolvenzeröffnung eintretenden Wechsel der Prozessführungsbefugnis Rechnung getragen und sowohl dem Insolvenzverwalter als auch den Parteien Gelegenheit gegeben werden, sich auf die durch die Insolvenz veränderte rechtliche und wirtschaftliche Lage einzustellen (vgl. BGH NJW-RR 2013, 1461 f.). Das gilt auch für das Verfahren über eine Vollstreckungsabwehrklage (BGH MDR 2008, 1421) und die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils (BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 285/17), nicht aber für die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 ZPO (BGH NJW-RR 2014, 248 f.), das Klauselerteilungsverfahren (BGH MDR 2008, 410) und Pfändungsmaßnahmen im Rahmen der Zwangsvollstreckung (BGH NJW 2007, 3132). Die Unterbrechung beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) und tritt kraft Gesetzes ein, ohne dass es auf eine Kenntnis der Parteien oder des Gerichts von der Insolvenzeröffnung ankommt (vgl. BGHZ 66, 59, 61; NJW 1995, 2563). Dieser Zeitpunkt bleibt auch dann maßgeblich, wenn gegen den Eröffnungsbeschluss sofortige Beschwerde eingelegt wird (vgl. Uhlenbruck § 85 InsO Rz. 6). Die Unterbrechung tritt nach § 240 Satz 2 ZPO auch ein, wenn nur ein vorläufiger Insolvenzverwal- 59 ter bestellt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf diesen übertragen wird. Bei Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (BGH NJW-RR 2013, 1461 f.).
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Praxistipp: Weil diese Voraussetzung nur aus dem Beschluss über die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters selbst ersichtlich ist, muss sich der Anwalt den Beschluss beschaffen und bis zur Prüfung der Frage, ob die Unterbrechung eingetreten ist (s. Rz. 59), alle Fristen wahren! Fullenkamp
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ZPO
61 Die nach Insolvenzeröffnung vorgenommenen Prozesshandlungen sind unwirksam, das auf die mündliche Verhandlung nach Insolvenzeröffnung ergangene Urteil ist allerdings nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar (s. Rz. 1). Die Ermächtigung zur Prozessführung im Falle der gewillkürten Prozessstandschaft erlischt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH NJW 2000, 738 f.).
62 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts führt in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG zur Unterbrechung des Rechtsstreits, in dem ein Gläubiger den Gesellschafter aufgrund seiner persönlichen Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch nimmt (BGH NJW 2003, 590; zuvor auch schon BGH v. 18.9.2002 – II ZR 210/02 unveröffentlicht). Offen gelassen hat der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung die Frage, durch wen der Rechtsstreit aufzunehmen ist. Nach § 93 InsO kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (BGH NJW-RR 2012, 1391 f.). Dieser kann das Verfahren analog § 17 Abs. 1 Satz 2 AnfG aufnehmen. Bei verzögerter Aufnahme gelten § 239 Abs. 2–4 ZPO nach § 17 Abs. 1 Satz 3 AnfG entsprechend (vgl. Uhlenbruck § 93 InsO Rz. 44). Macht die Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Anspruch geltend und wird während des Verfahrens das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines der Gesellschafter eröffnet, ist das Verfahren insgesamt auszusetzen (BGH BauR 2003, 1758). 1. Voraussetzungen
63 Das Verfahren muss zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch rechtshängig sein. War die Klage eingereicht, aber nicht zugestellt, tritt die Unterbrechungswirkung nicht ein (BGH ZIP 2009, 240 f.). Verfahren iS des § 240 ZPO ist jedes Verfahren, auf das die ZPO Anwendung findet, also auch das Arrest- und Verfügungsverfahren (BGH NJW 1962, 591; Zöller/Greger vor § 239 ZPO Rz. 4). Unerheblich ist, ob das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter bestellt oder die Eigenverwaltung durch den Schuldner anordnet (BGH NZI 2008, 188). Der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 27, 80 InsO) steht es gleich, wenn das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) erlässt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Gemeinschuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Nicht ausreichend ist insoweit, wenn das Gericht dem Gemeinschuldner lediglich einen Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO auferlegt (s. Rz. 59, 60).
64 Auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland führt gem. § 352 Abs. 1 InsO zur Unterbrechung eines im Inland anhängigen Rechtsstreits, der die Insolvenzmasse betrifft. Das ausländische Verfahren muss gem. § 343 Abs. 1 InsO „anerkannt“ werden, was voraussetzt, dass damit in etwa die gleichen Ziele verfolgt werden wie mit den in der InsO vorgeschriebenen Verfahren (BGH NZI 2012, 572 f.). Das ist bei einem Verfahren nach Chapter 11 des US-Amerikanischen Bankruptcy Code der Fall (BGH NZI 2009, 859 f.). Demgegenüber führt die Gewährung einer Nachlassstundung nach Art. 295 Abs. 1 des Schweizer Bundesgesetzes über Schuldbeitreibung und Konkurs nicht zur Unterbrechung eines inländischen Rechtsstreits (BGH NZI 2012, 572 f.). Der BGH betont in dieser Entscheidung, dass in den Fällen, in denen nach dem Recht des Insolvenzeröffnungsstaats das Insolvenzverfahren keinerlei Einfluss auf anhängige Rechtsstreitigkeiten haben soll, die Annahme einer Unterbrechung in Deutschland nicht gerechtfertigt ist.
65 Die Insolvenzeröffnung muss das Vermögen einer am Rechtsstreit formell beteiligten Partei betreffen und die Unterbrechung tritt auch ein, wenn die Partei durch einen Streithelfer unterstützt wird (vgl. BGH MDR 2014, 794). Die Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Zessionars, an den die streitbefangene Forderung nach Rechtshängigkeit abgetreten wurde, führt nicht zur Unterbrechung des vom Zedenten nach § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO weitergeführten Prozesses. Es genügt nicht, dass der Insolvenzschuldner materiell Inhaber des betroffenen Rechts ist (vgl. BGH NJW 1998, 156, 157 mwN). Bei notwendiger Streitgenossenschaft erfolgt eine Unterbrechung hinsichtlich aller Streitgenossen (str.; bejahend OLG Frankfurt ZIP 2001, 1884; Zöller/Greger § 240 ZPO Rz. 7; MüKo.ZPO/ 582
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Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 69 Kap. 31
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Gehrlein § 240 ZPO Rz. 17; aA Zöller/Althammer § 62 ZPO Rz. 29: Verfahren ist entsprechend § 148 ZPO auszusetzen). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit iS des § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO unterbricht ein Verfahren nur, wenn das Gesellschaftsvermögen betroffen ist. Unterbrochen werden ferner auch Rechtsstreitigkeiten, die die persönliche Haftung eines Gesellschafters betreffen, weil diese Haftungsansprüche der Gesellschafter nach § 93 InsO nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können (s. dazu Uhlenbruck § 85 InsO Rz. 5). Werden die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und deren Gesellschafter als Gesamtschuldner verklagt (einfache Streitgenossen), unterbricht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters nicht das Verfahren gegen die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter (BGH NJW 2008, 2114). Schließlich muss das Verfahren die Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) betreffen, also das gesamte 66 pfändbare Vermögen des Schuldners zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Massebezug ist auch gegeben, wenn der Schuldner die Forderung vor Insolvenzeröffnung abgetreten hat und die Abtretung nach insolvenzrechtlichen Vorschriften anfechtbar ist (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1351, 1352). Betrifft nur ein Teil von mehreren Ansprüchen die Masse, wird der gesamte Rechtsstreit unterbrochen (vgl. BGH NZM 2015, 254; Zöller/Greger § 240 ZPO Rz. 8). Von der Insolvenzeröffnung unberührt bleiben diejenigen Verfahren, in denen um nicht vermögensrechtliche Ansprüche gestritten wird, ferner gehören nicht zur Masse das unpfändbare bewegliche Vermögen sowie das insolvenzfreie Vermögen (vgl. Zöller/Greger § 240 ZPO Rz. 8a; BLAH/Hartmann § 240 ZPO Rz. 10–12). Die Unterbrechung erstreckt sich auf den gesamten Anspruch im prozessualen Sinne, auch wenn dieser Anspruch auf unterschiedliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird (vgl. BGH WM 2000, 324 f.). Die Anzeige der Unterbrechung kann durch den Prozessgegner, den Insolvenzverwalter oder den Gemeinschuldner erfolgen. Die Insolvenzeröffnung ist von Amts wegen zu berücksichtigen.
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2. Ende der Unterbrechung durch Aufhebung des Insolvenzverfahrens Die Unterbrechung des Rechtsstreits endet mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Schlussverteilung (§ 200 Abs. 1 InsO), Bestätigung des Insolvenzplans (§ 258 Abs. 1 InsO) oder mit Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses durch die Beschwerdeinstanz (§ 34 Abs. 3 InsO). Die Einstellung des Verfahrens nach §§ 207–216 InsO steht der Aufhebung gleich. Von der Frage, wann die Unterbrechung des Rechtsstreits endet, ist die ebenso bedeutsame Frage zu unterscheiden, wann die Unterbrechungswirkung (§ 249 ZPO) entfällt. Das ist bereits mit Wirksamwerden des Aufhebungs- und Einstellungsbeschlusses und nicht erst mit dessen formeller Rechtskraft der Fall (BGHZ 64, 1, 3; Zöller/Greger § 240 ZPO Rz. 19; Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 126). Von diesem Zeitpunkt an beginnen Fristen neu zu laufen. Das ist regressträchtig, weil der Anwalt und auch die Partei regelmäßig nicht sogleich von der Aufhebung des Insolvenzverfahrens Kenntnis erlangen. Hat zB der in erster Instanz zur Zahlung verurteilte Beklagte Berufung eingelegt und wird der Rechtsstreit während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist unterbrochen, muss er darauf achten, dass die Berufungsbegründungsfrist mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens neu zu laufen beginnt. Erlangt die Partei oder der Anwalt nicht rechtzeitig Kenntnis von der Aufhebung, wird die Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig, sofern nicht ein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt. Der Anwalt muss Vorkehrungen treffen, um den Fristbeginn zu erfahren (BGH NJW 1990, 1239 f.).
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Wichtig: Aus diesem Grunde sollte der Anwalt in einer solchen Fallkonstellation den Mandan- 69 ten unbedingt darauf hinweisen, dass er zur Vermeidung von Rechtsnachteilen überwachen muss, wann das Insolvenzverfahren aufgehoben wird. Zudem ist der Anwalt auch gehalten, die unterbrochene Frist unter Kontrolle zu halten, was nur möglich ist, wenn immer wieder eine neue Monatsfrist notiert wird und er sich stets darüber informiert, ob das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich aufgehoben wurde.
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Kap. 31 Rz. 70
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
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70 Lehnt der Insolvenzverwalter die Aufnahme ab, liegt darin die Freigabe des streitbefangenen Gegenstandes (BGH NJW 1966, 51). Die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO gilt bis zur Aufnahme des Verfahrens (BGH NJW-RR 2010, 1351, 1352; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kuth § 85 InsO Rz. 19; Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 68). 3. Aufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter
71 Mit der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter endet eine Unterbrechung, und die prozessualen Fristen beginnen neu zu laufen (s. auch Rz. 11, 12). Eine nachfolgende Aufhebung des Insolvenzverfahrens unterbricht entsprechend den §§ 239, 242 ZPO den vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreit (vgl. Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 130). War der Insolvenzverwalter anwaltlich vertreten, ist auf Antrag des Prozessbevollmächtigten eine Aussetzung gem. § 246 ZPO anzuordnen. Die vorbehaltlose Verhandlung zur Hauptsache in Kenntnis der Beendigung des Insolvenzverfahrens beinhaltet regelmäßig den Verzicht auf das Recht, einen Aussetzungsantrag zu stellen (vgl. BGH NZI 2011, 27 f.). Eine Teilaufnahme ist möglich, wenn über den aufgenommenen Teil ohne Verstoß gegen das Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil entschieden werden könnte (vgl. BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 285/17). a) Aufnahme im Aktivprozess
72 Ist Gegenstand des Rechtsstreits ein Vermögensgegenstand oder Anspruch, der im Falle des Bestehens zur Masse gehört, kann der Insolvenzverwalter nach § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO den Rechtsstreit in der Lage aufnehmen, in der er sich zum Zeitpunkt der Unterbrechung befand. Ob ein Aktivprozess vorliegt, richtet sich nicht nach der Parteirolle des Insolvenzschuldners, sondern allein danach, ob in dem Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (vgl. BGH NJW-RR 2016, 899; NJW-RR 2009, 60). Handelt es sich bei dem Rechtsstreit sowohl um einen Aktiv- als auch einen Passivprozess (Klage und Widerklage), gelten hinsichtlich der Aufnahme unterschiedliche Regelungen mit der möglichen Folge, dass der Rechtsstreit nur teilweise fortgesetzt wird (BGH NJW 1995, 1750). Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Partei des Rechtsstreits nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils eröffnet, stellt sich die Frage, wie der Gegner des Insolvenzverwalters das Verfahren beschleunigen kann. War der spätere Insolvenzschuldner in erster Instanz unterlegen, kann der Prozessgegner den Insolvenzverwalter nicht zur Einlegung der Berufung zwingen. Er kann ihn jedoch in entsprechender Anwendung des § 239 Abs. 2 ZPO durch das erstinstanzliche Gericht zur Aufnahme des Rechtsstreits laden lassen. In diesem Verfahren wird geklärt, ob der Insolvenzverwalter das Verfahren aufnimmt (BGH NJW-RR 2009, 60). Entsprechend ist zu verfahren, wenn der spätere Insolvenzschuldner in erster Instanz obsiegt hat. Zwar hat der Prozessgegner in diesem Fall die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Diese ist als eine dem Gericht gegenüber abzugebende Prozesshandlung voll wirksam (BGH BGHZ 50, 397, 399 f.), kann dem Insolvenzverwalter aber nicht wirksam zugestellt werden (BGH BGHZ 95, 397, 400, wonach der Zustellungsmangel geheilt wird, wenn der Gegner diesen im Termin nicht rügt). Offen ist aber, ob das Berufungsgericht den Verwalter in diesem Falle auf Antrag des Rechtsmittelführers zur Aufnahme und zur Verhandlung der Hauptsache laden darf (bejahend MüKo.InsO/Schumacher § 85 InsO Rz. 41).
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Wichtig: Ein Passivprozess kann in der Rechtsmittelinstanz zum Aktivprozess des Insolvenzverwalters werden, wenn der in der ersten Instanz unterlegene Beklagte und spätere Gemeinschuldner den ausgeurteilten Betrag zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt hat und es nach Aufnahme des Rechtsmittelverfahrens durch den Insolvenzverwalter nur noch darum geht, ob der Insolvenzverwalter den gezahlten Betrag ganz oder teilweise zurückverlangen kann (vgl. BGH NJW 1995, 1750; NJW 1995, 678 f.).
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M 31.6
Rz. 77 Kap. 31
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Ein Rechtsstreit, der auf die Aussonderung eines Gegenstandes aus der Insolvenzmasse gerichtet ist, die abgesonderte Befriedigung oder eine Masseverbindlichkeit betrifft, kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden (§ 86 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter hat gleichzeitig die Möglichkeit, den Anspruch sofort anzuerkennen mit der Folge, dass der Gegner den Anspruch auf Erstattung der Kosten des Rechtsstreits nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann (§ 86 Abs. 2 InsO).
74
Ist Gegenstand des Rechtsstreits eine Forderung des Insolvenzschuldners, die ihm in erster Instanz zuerkannt wurde und macht der Titelschuldner nach Erbringung der Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung einen Anspruch gem. § 717 Abs. 2 ZPO geltend, wandelt sich der Aktivprozess in einen Passivprozess (vgl. BGH NJW-RR 2004, 825).
75
4. Aufnahme des Verfahrens durch den Prozessgegner a) Bei Insolvenzforderung iS der §§ 35, 38 InsO Der Gläubiger hat seine Forderung zunächst zur Eintragung in die Insolvenztabelle anzumelden. Der Rechtsstreit erledigt sich in der Hauptsache, wenn die Forderung im Feststellungstermin unbestritten bleibt und zur Tabelle festgestellt wird (§ 178 Abs. 1 InsO). Wird die Forderung vom Insolvenzverwalter oder einem Insolvenzgläubiger bestritten, ist der Gläubiger zur Aufnahme des Rechtsstreits befugt (nicht der Insolvenzverwalter, vgl. Zöller/Greger § 240 ZPO Rz. 15).
76
M 31.6 Antrag auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle
77
An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Langrubrum) nimmt der Kläger den Rechtsstreit gegen Herrn RA Ludger Freudenberg geschäftsansässig … als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Beklagten auf und beantragt, festzustellen, dass dem Kläger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eine Insolvenzforderung aus dem Kaufvertrag vom 15.1.2013 über einen BMW 320i iHv. 40.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1.5.2013 zusteht. Begründung: Das Amtsgericht Celle hat am 19.7.2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Herrn RA Ludger Freudenberg zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger hat daraufhin mit dem als Anlage 1 beigefügten Schreiben vom 20.8.2017 die Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Mit Schreiben vom 5.9.2017 (Anlage 2) teilte der Insolvenzverwalter dem Kläger mit, dass die Forderung bestritten und nicht zur Tabelle festgestellt werde. Der Kläger ist gem. § 180 Abs. 2 InsO berechtigt, den Rechtsstreit aufzunehmen und die Feststellung der Forderung zu betreiben. Mit der Aufnahme des Rechtsstreits durch den Kläger verändert sich der Streitgegenstand kraft Gesetzes mit der Folge, dass der Kläger seinen Antrag auf Feststellung der Forderung zur Tabelle umzustellen hat (BGH NJW-RR 1994, 1251). Die Begründetheit der Forderung ergibt sich aus dem bisherigen Vortrag des Klägers. Kosten: keine Besonderheiten.
Fullenkamp
585
ZPO
b) Aufnahme im Passivprozess
Kap. 31 Rz. 78
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
ZPO
78 Der Streitwert des Rechtsstreits richtet sich von diesem Zeitpunkt an nach § 182 InsO. Maßgeblich ist der Betrag, der bei Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist (BGH WM 2000, 211; WM 1999, 2178; NJW-RR 1993, 317). b) Bei Verzögerung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter
79 Verzögert der Insolvenzverwalter in einem Aktivprozess die Aufnahme des Rechtsstreits, hat der Gegner die Möglichkeit, die Aufnahme entsprechend § 239 Abs. 2–4 ZPO zu erzwingen. In den meisten Fällen wird der Schuldner (Beklagte) kein Interesse daran haben, diesen Weg zu beschreiten und den Insolvenzverwalter zu zwingen, den Rechtsstreit fortzuführen. Hat aber der Gemeinschuldner zB aus einem obsiegenden erstinstanzlichen Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben und eine Sicherungshypothek auf einem Grundstück des Beklagten eintragen lassen, ist er darauf angewiesen, das Verfahren fortzusetzen, sofern der Insolvenzverwalter nicht freiwillig die Löschung des Sicherungsrechts bewilligt.
80 Dem Insolvenzverwalter ist eine angemessene Überlegungszeit zur Prüfung der Frage, ob er den Rechtsstreit aufnehmen will, zu gewähren. Wenn der Insolvenzverwalter danach die Aufnahme verzögert, kann der Prozessgegner beantragen, den Insolvenzverwalter zur Aufnahme und sogleich zur Verhandlung zur Hauptsache zu laden (vgl. Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth § 85 InsO Rz. 20; Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 160). Vgl. hierzu M 31.4. c) Nach Ablehnung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter
81 Lehnt der Insolvenzverwalter die Aufnahme ab, wird der Gegenstand des Rechtsstreits freies Vermögen des Schuldners (vgl. BGH NZI 2007, 173, 174; NJW 2005, 2015; Zöller/Greger § 240 ZPO Rz. 11). Durch diese Freigabe haben sowohl der Prozessgegner als auch der Gemeinschuldner die Möglichkeit, den Rechtsstreit aufzunehmen. 5. Freigabe der Forderung durch den Insolvenzverwalter
82 Gibt der Insolvenzverwalter die streitbefangene Forderung frei oder lehnt er die Aufnahme des Prozesses ab, bringt er damit zum Ausdruck, dass das Insolvenzverfahren nicht weiter mit diesem Rechtsstreit belastet werden soll (BGH NZI 2007, 173, 174). Zur Beendigung der Unterbrechungswirkung bedarf es noch der Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzschuldner oder dessen Prozessgegner (vgl. BGHZ 36, 258, 261 ff.; Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 125). Die Klagebefugnis des Insolvenzverwalters geht mit der Freigabe unter; die Klagebefugnis des Insolvenzschuldners lebt in dem Umfang wieder auf, wie sie vor der Insolvenzeröffnung bestand. Eine Rechtsnachfolge findet dadurch nicht statt, so dass § 265 ZPO nicht eingreift (BGHZ 46, 249, 251 f.). Nach OLG Stuttgart, NJW 1973, 1756 haftet die Masse nicht für die bis zum Ausscheiden des Insolvenzverwalters entstandenen Kosten (aA MüKo.InsO/Schumacher § 85 InsO Rz. 31). 6. Kosten und Kostenerstattung
83 Bei dem zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschlossenen Vertrag handelt es sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag iS der §§ 115, 116 InsO, der mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mandanten erlischt. § 103 InsO wird durch die §§ 115, 116 InsO verdrängt, so dass der Verwalter nicht die Erfüllung des Vertrages verlangen kann. Das erloschene Rechtsverhältnis lässt sich nicht einseitig reaktivieren (vgl. Uhlenbruck/Sinz §§ 115, 116 InsO Rz. 8). Bei der Forderung des Rechtsanwalts handelt es sich um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsanwalt auffordert, den Rechtsstreit fortzuführen. Darin liegt nicht ein Erfüllungsverlangen, sondern der (stillschweigende) Neuabschluss eines neuen Vertrages, wobei die daraus entstehende Forderung als Masseschuld nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu befriedigen ist (vgl. Uhlenbruck/Sinz §§ 115, 116 InsO Rz. 11). Auch wenn der Rechtsanwalt 586
Fullenkamp
M 31.7
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
Rz. 88 Kap. 31
ZPO
das Mandat im Rahmen eines neuen Vertrages mit dem Insolvenzverwalter fortführt, ist er verpflichtet, dem Insolvenzverwalter alles, was er im Rahmen des Auftrages erhalten hat, herauszugeben. Ein Zurückbehaltungsrecht wegen seines Honoraranspruches besteht nicht (Uhlenbruck/Sinz §§ 115, 116 InsO Rz. 9). Führt der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung den Rechtsstreit anstelle des Insolvenz- 84 schuldners weiter, sind die hierdurch entstehenden Mehrkosten grundsätzlich nicht erstattungsfähig (OLG München KTS 1989, 449). Der Insolvenzverwalter kann mithin im Falle des Obsiegens nicht die Erstattung der Kosten verlangen, die durch Einschaltung des Prozessbevollmächtigten des Insolvenzschuldners angefallen sind. Bei dem Kostenerstattungsanspruch des Prozessgegners handelt es sich im Falle der Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter nach überwiegender Auffassung um eine Masseverbindlichkeit iS des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (OLG Düsseldorf ZInsO 2001, 560, 561; str., zum Meinungsstand s. Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 156 f.). Lehnt der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ab, fallen der Insolvenzmasse keine Kosten zur Last (Uhlenbruck/Mock § 85 InsO Rz. 100). Nimmt der Schuldner den Rechtsstreit auf und führt ihn fort, wird er im Falle des Unterliegens mit allen Kosten belastet, auch soweit sie vor Verfahrenseröffnung entstanden sind (Uhlenbruck § 85 InsO Rz. 100).
VI. Ruhen des Verfahrens Das Gericht kann nach § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens anordnen, wenn beide Parteien dies be- 85 antragen und das Gericht die Anordnung als zweckmäßig ansieht. Mit Rücksicht auf die Prozessförderungspflicht des Gerichts müssen wichtige Gründe vorliegen. Zweckmäßig ist die Anordnung regelmäßig nur dann, wenn mit hinreichender Sicherheit eine Förderung des Verfahrens durch andere außergerichtliche Maßnahmen zu erwarten ist (vgl. Zöller/Greger § 251 ZPO Rz. 2). Das Gesetz selbst erwähnt Vergleichsverhandlungen als wichtigen Grund für die Anordnung der Verfahrensruhe. Als weiterer wichtiger Grund kommt in Betracht, dass die Parteien die Beweisaufnahme in einem anderen Verfahren oder den Ausgang eines anderen Verfahrens abwarten wollen (vgl. BLAH/Hartmann § 251 ZPO Rz. 5).
M 31.7 Antrag auf Ruhen des Verfahrens
86
An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Zwischen den Parteien schweben erfolgversprechende Vergleichsverhandlungen, die voraussichtlich zu einer einvernehmlichen Beendigung des Rechtsstreits führen werden. In einem ersten Vergleichsgespräch haben die Parteien auch bereits über einzelne Punkte, die Gegenstand dieses Rechtsstreits sind, Einvernehmen erzielt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten wird einen gleich lautenden Antrag stellen.
Gibt das Gericht einem solchen Antrag nicht statt, kann die Anordnung des Ruhens des Verfahrens praktisch erzwungen werden, solange noch nicht mündlich verhandelt wurde. Erscheinen beide Parteien in der ersten mündlichen Verhandlung nicht, kann das Gericht nach § 251a ZPO das Ruhen des Verfahrens anordnen oder den Termin vertagen.
87
K
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Wichtig: § 251 Abs. 1 ZPO bestimmt ausdrücklich, dass die Anordnung auf den Lauf der in § 233 ZPO bezeichneten Fristen keinen Einfluss hat. Das bedeutet, dass sämtliche Notfristen sowie auch die Frist zur Berufungs- und Revisionsbegründung weiterlaufen. Das gilt auch bei Durchführung eines Mediationsverfahrens (vgl. BGH NJW 2009, 1149). Fullenkamp
587
Kap. 31 Rz. 89
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
M 31.8
ZPO
89 Das Ruhen des Verfahrens ist ein Nichtbetreiben iS des § 204 Abs. 2 BGB, so dass die durch Klageerhebung herbeigeführte Hemmung der Verjährung 6 Monate nach der letzten Verfahrenshandlung endet. Der Anwalt sollte auf jeden Fall den weiteren Lauf der Verjährungsfrist notieren, weil häufig nicht vorhersehbar ist, wie lange das Verfahren ruht. Vor Ablauf der Verjährung muss eine erneute Verfahrenshandlung, also etwa ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens, erfolgen (s. auch M 31.8).
90 Die Aufnahme des Verfahrens kann selbst jederzeit in der Form des § 250 ZPO durch Einreichung eines Schriftsatzes ausgesprochen werden. Benötigt wird eine Erklärung, die deutlich den Willen erkennen lässt, den Prozess weiter zu betreiben.
91 M 31.8 Antrag auf Fortsetzung des Rechtsstreits An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, einen Verhandlungstermin anzuberaumen. Das Gericht hat durch Beschluss vom 19.4.2017 das Ruhen des Verfahrens angeordnet, weil zwischen den Parteien Vergleichsverhandlungen schwebten. Diese sind inzwischen endgültig gescheitert, so dass der Rechtsstreit fortgesetzt werden muss. Kosten: keine Besonderheiten.
92 Durch einen solchen Antrag wird das Verfahren wieder betrieben, so dass die Verjährung erneut unterbrochen wird.
Kapitel 32 Erledigung der Hauptsache I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erledigendes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgenabschätzung durch den Rechtsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analogie zu § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO . . . . 2. Entscheidungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erklärung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . M 32.1 Erledigungserklärung des Klägers . 2. Erklärung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . M 32.2 Anschlusserklärung des Beklagten 3. Streitgenossenschaft und Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übereinstimmende Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit . . . . .
588
Fullenkamp/Jaspersen
1 2 7 8 10 13 14 14 16 17 19 21 23
5. Übereinstimmende Erledigung eines Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung des Rechtsmittelklägers . . . . M 32.3 Erledigung des Rechtsmittels nach Teilverzicht auf Rechte aus dem ergangenen Titel . . . . b) Erklärung des Rechtsmittel-Beklagten . V. Einseitige Erledigungserklärung . . . . . . 1. Erklärung und Antrag des Klägers . . . . . . M 32.4 Feststellungsantrag des Klägers . . 2. Erklärung und Antrag des Beklagten . . . . M 32.5 Nicht-Anschluss-Erklärung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erledigung nach Schluss der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einseitige Erledigung des Rechtsmittels . . VI. Teilweise Erledigung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übereinstimmende Teil-Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 33 34 35 35 39 40 43 45 46 48 48
Kap. 31 Rz. 89
Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens
M 31.8
ZPO
89 Das Ruhen des Verfahrens ist ein Nichtbetreiben iS des § 204 Abs. 2 BGB, so dass die durch Klageerhebung herbeigeführte Hemmung der Verjährung 6 Monate nach der letzten Verfahrenshandlung endet. Der Anwalt sollte auf jeden Fall den weiteren Lauf der Verjährungsfrist notieren, weil häufig nicht vorhersehbar ist, wie lange das Verfahren ruht. Vor Ablauf der Verjährung muss eine erneute Verfahrenshandlung, also etwa ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens, erfolgen (s. auch M 31.8).
90 Die Aufnahme des Verfahrens kann selbst jederzeit in der Form des § 250 ZPO durch Einreichung eines Schriftsatzes ausgesprochen werden. Benötigt wird eine Erklärung, die deutlich den Willen erkennen lässt, den Prozess weiter zu betreiben.
91 M 31.8 Antrag auf Fortsetzung des Rechtsstreits An das Landgericht … In dem Rechtsstreit …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, einen Verhandlungstermin anzuberaumen. Das Gericht hat durch Beschluss vom 19.4.2017 das Ruhen des Verfahrens angeordnet, weil zwischen den Parteien Vergleichsverhandlungen schwebten. Diese sind inzwischen endgültig gescheitert, so dass der Rechtsstreit fortgesetzt werden muss. Kosten: keine Besonderheiten.
92 Durch einen solchen Antrag wird das Verfahren wieder betrieben, so dass die Verjährung erneut unterbrochen wird.
Kapitel 32 Erledigung der Hauptsache I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erledigendes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgenabschätzung durch den Rechtsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analogie zu § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO . . . . 2. Entscheidungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erklärung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . M 32.1 Erledigungserklärung des Klägers . 2. Erklärung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . M 32.2 Anschlusserklärung des Beklagten 3. Streitgenossenschaft und Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übereinstimmende Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit . . . . .
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1 2 7 8 10 13 14 14 16 17 19 21 23
5. Übereinstimmende Erledigung eines Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung des Rechtsmittelklägers . . . . M 32.3 Erledigung des Rechtsmittels nach Teilverzicht auf Rechte aus dem ergangenen Titel . . . . b) Erklärung des Rechtsmittel-Beklagten . V. Einseitige Erledigungserklärung . . . . . . 1. Erklärung und Antrag des Klägers . . . . . . M 32.4 Feststellungsantrag des Klägers . . 2. Erklärung und Antrag des Beklagten . . . . M 32.5 Nicht-Anschluss-Erklärung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erledigung nach Schluss der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einseitige Erledigung des Rechtsmittels . . VI. Teilweise Erledigung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übereinstimmende Teil-Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Einseitige Teil-Erledigungserklärung . . . . . a) Antrag des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kosten-Beschluss nach § 91a ZPO nach übereinstimmender Erledigung der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenentscheidung im Urteil nach übereinstimmender teilweiser Erledigung nach § 91a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 52 53 54
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Rz. 5 Kap. 32
3. Entscheidung nach einseitiger Erledigung 4. Entscheidung nach einseitiger Teilerledigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Streitwert und Gebühren . . . . . . . . . . . . 1. Übereinstimmende Erledigung . . . . . . . . 2. Einseitige Erledigung . . . . . . . . . . . . . . .
59
ZPO
Erledigung der Hauptsache
60 61 62 67
56
I. Allgemeines Maßgeblich für die Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (oder dem entsprechenden Zeitpunkt bei einem schriftlichen Verfahren). Ist der Kläger im Laufe des Rechtstreits klaglos gestellt worden, müsste seine Klage erfolglos bleiben und er die Kosten tragen. Weder Klageverzicht (§ 306 ZPO) noch Klagerücknahme (§ 269 ZPO; vgl. dazu Kap. 33 Rz. 1) bieten einen Ausweg. Die ZPO sieht für diesen Fall das Rechtsinstitut der übereinstimmenden Erledigung im Sinne von § 91a Abs. 1 ZPO vor, um einen interessengerechten Ausgleich zu erreichen. Dieses Rechtsinstitut ist auf kontradiktorische Verfahren zugeschnitten. Ob und inwieweit es auf andere als Klageverfahren nach der ZPO anwendbar ist, bedarf stets einer sorgfältigen Prüfung (die Anwendbarkeit verneinend für das selbständige Beweisverfahren BGH NJW 2018, 402). Die sog. einseitige Erledigung des Klägers ist in der ZPO nicht geregelt. Für sie haben Rechtsprechung und Literatur eigene Grundsätze entwickelt (vgl. hierzu Rz. 35 ff.).
K
1
Wichtig: Bei der Erledigung muss unbedingt zwischen der Erledigungserklärung und der Zustimmung einerseits und dem erledigenden Ereignis andererseits unterschieden werden.
II. Erledigendes Ereignis Aus der Sicht des Rechtsanwalts stellt sich vorrangig die Frage, wann von einem erledigenden Ereignis gem. § 91a ZPO auszugehen ist. Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten. Verweigert sich der Beklagte der Erledigung, kommt es darauf an, ob sich der Rechtstreit tatsächlich im Rechtssinne erledigt hat (vgl. Rz. 36).
2
Ein erledigendes Ereignis wird gemeinhin dahin definiert, dass
3
– nach Rechtshängigkeit (bzw. Anhängigkeit, wenn sie der Rechtshängigkeit gleichsteht wie im einstweiligen Rechtsschutz) bis zum rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens – ein tatsächlicher Umstand eingetreten ist, der die bis dahin zulässige und begründete Klage unzulässig bzw. unbegründet hat werden lassen. Insoweit kann jeder Umstand Bedeutung gewinnen, der die Schlüssigkeit der Klage entfallen lässt oder die Verteidigung des Beklagten erheblich werden lässt.
K
Wichtig: Die Frage, ob ein erledigendes Ereignis anzunehmen ist, kann dahinstehen, wenn sich der Beklagte der Erledigung anschließt und der Kläger sein Interesse an der Klage verloren hat. Denn bei der zu treffenden Kostenentscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO wird nicht geprüft, ob die von den Parteien angenommene Erledigung gegeben ist. Den Parteien steht es frei, den Rechtstreit gem. § 91a ZPO auch ohne ein erledigendes Ereignis zu beenden.
4
Das erledigende Ereignis kann sowohl eine Zulässigkeitsvoraussetzung betreffen als auch eine Begründetheitsvoraussetzung. Wichtige Beispiele:
5
Jaspersen 589
ZPO
Kap. 32 Rz. 6
Erledigung der Hauptsache
– Die Klageforderung geht durch Erfüllung (§ 362 BGB) unter oder durch Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB). – Der Vertrag, aus dem die Klageforderung hergeleitet wird, entfällt infolge Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Widerruf. – Die Klageforderung erlischt infolge Unmöglichkeit (§ 275 BGB): Der herausverlangte Ring geht verloren; das Haus, in dem sich die zu räumende Wohnung befindet, brennt ab (§ 275 Abs. 1 BGB). – Die Prozessführungsbefugnis erlischt, ohne dass der Rechtstreit unterbrochen und ein Rechtsnachfolger rechtszuständig wird (zB Aufhebung der Zwangsverwaltung (OLG Frankfurt v. 28.3.2012 – 4 U 252/11). – Die Durchsetzbarkeit der Klageforderung entfällt. Bsp.: Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung, auch wenn diese vor Rechtshängigkeit eingetreten ist (BGH MDR 2010, 650); hat der Beklagte die Verjährungseinrede schon vorprozessual erhoben, ist die Klage von vorneherein unbegründet gewesen und eine Erledigung im Rechtssinne ist nicht gegeben. – Die eingeklagte Auskunft wird erteilt. – Die Parteien einigen sich über die Hauptsache außergerichtlich. Wird keine Rücknahme der Klage oder des Rechtsmittels vereinbart, hat sich der Rechtstreit erledigt. Die Parteien bedürfen für eine Kostenfestsetzung einer Kostengrundentscheidung, die sie gem. § 91a Abs. 1 ZPO erreichen können. Entbehrt der Vergleich einer Kostenregelung, ist er auszulegen, ob eine Kostenentscheidung gem. § 91a ZPO oder § 98 ZPO gewollt ist.
6 In zeitlicher Hinsicht muss das erledigende Ereignis in den Zeitraum zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft fallen. Ein vorheriges oder späteres Ereignis kann den Rechtstreit nicht erledigen. Zur übereinstimmenden Erledigung während Anhängigkeit bzw. im Mahnverfahren vgl. Rz. 23 ff.
III. Rechtsfolgenabschätzung durch den Rechtsanwalt 7 Der Rechtsanwalt muss – um seinen Mandanten beraten zu können – abschätzen, welche Folgen mit einer übereinstimmenden Erledigung verbunden sind und welche Grundsätze das Gericht bei einer Kostentscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO anwendet. 1. Analogie zu § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO
8 Wird die Hauptsache übereinstimmend und uneingeschränkt für erledigt erklärt, hat dies zur Folge, dass der zuvor ergangene und noch nicht rechtskräftig gewordene, aber vollstreckbare Titel entfällt (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog). Das kann für das Kostenfestsetzungsverfahren bedeutsam sein, wenn es bereits auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung eines vorläufig vollstreckbaren Titels begonnen worden ist. Denn die Kostenentscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO ersetzt nicht die titulierte Kostengrundentscheidung. Der Kostengläubiger verliert seinen Zinsvorteil aus dem Kostenfestsetzungsantrag und muss einen neuen Kostenfestsetzungsantrag stellen.
9 K
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Wichtig: Im Unterlassungsrechtsstreit hat diese Wirkung auch zur Folge, dass nach übereinstimmender Erledigungserklärung nicht mehr aus dem Titel vollstreckt werden, also auch kein Ordnungsgeld mehr für Verstöße gegen das Unterlassungsgebot festgesetzt werden kann, das vor Wegfall des Titels verwirkt ist (BGH NJW 2004, 506). Der Gläubiger muss für diesen Fall seine Erklärung als Teilerledigung (vgl. Rz. 49) auf die Zeit nach dem erledigenden Ereignis beschränken („… erkläre ich die Hauptsache für die Zeit nach dem … für erledigt“), wenn er den Vollstreckungstitel für die Ahndung von Verstößen noch erhalten wissen will, die vor dem erledigenden Ereignis begangen worden sind (BGH aaO).
Jaspersen
Erledigung der Hauptsache
Rz. 13 Kap. 32
Von großer Bedeutung ist, auf welcher Tatsachengrundlage das Gericht seine Entscheidung gem. 10 § 91a Abs. 1 ZPO trifft. Über die Kosten ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Es ist hierbei summarisch zu prognostizieren, wie der Rechtstreit geendet hätte. Die einschlägigen Kostenvorschriften (§§ 91, 92–101 ZPO) sind heranzuziehen; auch § 49 Abs. 2 WEG ist relevant. Weder sind schwierige Rechtsfragen zu beantworten noch streitiger Sachverhalt weiter aufzuklären. Die Gerichte lassen im Allgemeinen keinen ergänzenden Sachvortrag zu. Beweisantritten gehen sie nicht nach. Lediglich präsente Beweise und Beweismittel werden einbezogen. Im Falle unzureichenden Sachvortrags spielt es keine Rolle, wie die Partei nach einem gebotenen Hinweis vermutlich reagiert hätte. Nur naheliegende hypothetische Entwicklungen können beachtlich sein (BGH MDR 2010, 888; OLG Saarbrücken FamRZ 2018, 1104). Lediglich in engen Grenzen ist eine Beweisantizipation möglich (OLG Dresden NJOZ 2017, 1448). Für die Beantwortung von rechtlichen und tatsächlichen Streitfragen kann es genügen, auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit abzustellen (BGH NJW 1994, 256, 257). Bei Zweifeln neigen die Gerichte zu einer Kostenaufhebung.
K
Praxistipp: Mit der Erledigungserklärung sollte der Kläger trotz der eingetretenen Erledigung noch relevanten Sachvortrag einführen, noch fehlende Urkunden vorlegen und ggf. noch nicht erfolgte Beweisantritte nachholen. U.U. macht es sogar Sinn, die Erledigungserklärung hinauszuzögern, um eine Beweiserhebung abzuwarten, auch wenn dadurch vermeidbare Kosten anfallen, die dem Kläger auferlegt werden können.
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Wichtig: Will der Kläger dem ausweichen, bietet es sich an, nicht die Erledigung zu erklären, son- 12 dern die Klage umzustellen auf die Feststellung der Erledigung. In diesem Fall wird der Prozess nicht beendet, sondern Zulässigkeit, Begründetheit und Erledigung sind im Rahmen eines Erkenntnisverfahrens festzustellen. Die streitige Rspr. (vgl. KG MDR 2018, 559 mwN) neigt in jüngerer Zeit allerdings dazu, eine Klage auf Feststellung der Erledigung für unzulässig zu erachten, wenn der Beklagte bereit ist, der Erledigung zuzustimmen.
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3. Beispiele Die Rechtsprechung hat eine Reihe von Fallgruppen entwickelt, an denen sich eine Entscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO ausrichtet: – Bei ungewissem Ergebnis einer Beweisaufnahme, bei komplexen und schwierigen Tatsachen- und Rechtsfragen ist eine Kostenaufhebung gerechtfertigt. – Unterwirft sich eine Partei freiwillig und ohne ersichtlichen anderen Grund dem Antrag des Gegners, rechtfertigt dies eine Kostenbelastung dieser Partei. – Der Rechtsgedanke des § 93 ZPO kann eine Kostenbelastung des Klägers rechtfertigen. – Lässt sich einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich eine Aussage zur Kostenverteilung entnehmen, ist diese maßgeblich und geht der Auslegungsregel des § 98 ZPO vor. – Nach der Rechtsprechung ist ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch nur dann beachtlich, wenn sein Bestehen sich ohne besondere Schwierigkeiten, insbesondere ohne Beweisaufnahme, feststellen lässt (BGH NJW 2002, 680). – Spezielle Kostenvorschriften sind vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung der Beteiligten vorrangig zu berücksichtigen (zB § 101 ZPO; § 238 Abs. 4 ZPO; § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO; § 344 ZPO). Kosten eines Selbständigen Beweisverfahrens können unter Heranziehung von § 96 ZPO bei unvollständiger sachlicher oder persönlicher Identität gesondert aufzuerlegen sein. – Nach der Erledigung der Stufenklage bereits auf der Auskunftsstufe im vollen Umfang (also nicht nur hinsichtlich der Auskunftsstufe), muss auch die Erfolgsaussicht der noch unbezifferten, aber Jaspersen 591
13
ZPO
2. Entscheidungsgrundsätze
ZPO
Kap. 32 Rz. 14
Erledigung der Hauptsache
bereits rechtshängigen Leistungsklage prognostiziert werden (OLG Stuttgart FamRZ 2008, 529). Erklären die Parteien nur die Auskunftsstufe für erledigt, kommt es darauf an, ob dem Kläger insoweit ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch zusteht. – Beruht die Erledigung auf der Erhebung einer Einrede im Prozess, kommt es darauf an, welcher Partei das Risiko zuzuweisen ist, dass die Einrede erhoben wird.
IV. Übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien 1. Erklärung des Klägers
14 Für die Erledigungserklärung des Klägers gelten folgende Maßgaben: – Die Erledigungserklärung kann gegenüber dem Gericht schriftlich oder mündlich zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung oder in der Geschäftsstelle erfolgen. – Es ist kein Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) gegeben (vgl. § 78 Abs. 3 ZPO). Dies gilt nach str. Ansicht auch dann, wenn in der mündlichen Verhandlung die Erledigung erklärt wird (OLG Schleswig MDR 1999, 252). Bei Verweisung an ein anderes Gericht kann der bisherige, bei dem neuen Gericht ggf. nicht zugelassene Anwalt schriftsätzlich die Erklärung abgeben. – Die Erledigungserklärung muss sich auf die Hauptsache beziehen. Die Hauptsache bestimmt sich nach dem Streit- bzw. Verfahrensgegenstand. Zur Erledigung des Rechtsmittels vgl. Rz. 27 ff. – Die Erledigungserklärung ist – ebenso wie die Zustimmung des Beklagten – ab Rechtshängigkeit nur bis zum Ende der Rechtshängigkeit möglich. Zur übereinstimmenden Erledigung in der Phase der Anhängigkeit vgl. Rz. 23 ff. Im Prozesskostenhilfeverfahren gibt es noch keinen Rechtsstreit, weshalb auch § 91a ZPO keine Anwendung findet. Bei einem erledigenden Ereignis im Laufe des Prozesskostenhilfeverfahrens bleibt nur die Möglichkeit, etwaige Kosten als materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gesondert geltend zu machen. – Bis zur Einlegung eines Rechtsmittels mit Devolutiveffekt ist das Ausgangsgericht noch zuständiger Adressat, erst danach das Rechtsmittelgericht. – Bis zur Zustimmung des Beklagten ist die Erledigungserklärung als sog. Erwirkungshandlung frei widerruflich, danach nicht mehr. Als Prozesshandlung kommt eine Anfechtbarkeit grundsätzlich nicht in Betracht. – Eine Erledigungserklärung darf hilfsweise für den Fall des Eintritts oder Ausfalls einer innerprozessualen Bedingung erklärt werden (zB Widerruf eines Prozessvergleichs (OLG Frankfurt MDR 1978, 499); Zulässigkeit eines Rechtsmittels (OLG Hamm NJW 1973, 1376); Zustellung der Klageschrift vor Erfüllungshandlung (KG NJW-RR 1998, 1074)). Nach richtiger Ansicht ist es allerdings unzulässig, die primären Klageanträge aufrechtzuerhalten und hilfsweise für den Fall ihrer Erfolglosigkeit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären in der Erwartung einer Zustimmung durch den Gegner, weil dies mit der Wirkung der übereinstimmenden Erledigung nicht in Einklang zu bringen wäre (BGHZ 106, 359, 368 f.). – Eine Beendigung des Rechtsstreits durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beider Parteien in der Rechtsmittelinstanz soll nach strittiger Ansicht nur wirksam möglich sein, wenn das jeweilige Rechtsmittel zur Zeit der Erledigungserklärung (noch) zulässig gewesen ist (BAG NJW 2015, 3680; probl.). – Zur Teilerledigung vgl. Rz. 48 ff.
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M 32.1
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Rz. 16 Kap. 32
Praxistipp: Es gilt mehreres zu beachten bei Abfassung der Erledigungserklärung.
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– Das Erledigungsereignis sollte substantiiert angegeben werden, damit der Beklagte weiß, auf welcher Grundlage er erwidern soll, und weil davon die Kostenentscheidung abhängen kann. – Für die Kostenentscheidung maßgeblicher Sachvortrag einschließlich von Beweisanträgen und Beweismitteln (insbes. Urkunden) sollte spätestens mit der Erledigungserklärung erfolgen. – Auch wenn über die Kosten des Rechtsstreits von Amts wegen zu entscheiden ist (§ 308 Abs. 2 ZPO), sollte ein Kostenantrag gestellt und dieser jedenfalls kurz begründet werden. Hierbei sind die für § 91a ZPO durch die Rechtsprechung entwickelten Entscheidungsbeispiele heranzuziehen. Dem Gericht ist ggf. aufzuzeigen, wie der Rechtstreit bei summarischer Betrachtung voraussichtlich ausgegangen wäre. Je überzeugender dieser Vortrag ist, desto schwieriger fällt es dem Gericht, eine andere Einschätzung vorzunehmen. – Falls bereits ein Versäumnisurteil, Teilurteil, Vorbehaltsurteil oder Urteil erster Instanz ergangen ist, wird dieses analog § 269 Abs. 4 ZPO gegenstandslos (BGH NJW 2004, 506); zur Klarstellung sollte beantragt werden, dieses festzustellen (BGH MDR 1995, 952).
M 32.1 Erledigungserklärung des Klägers
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) erklärt der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragt: 1. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. 2. Das (klageabweisende) Versäumnisurteil vom … ist gegenstandslos. Begründung: Fall 1: Der Beklagte hat den eingeklagten Kaufpreis nach der mündlichen Verhandlung am 21.2. … bezahlt. Damit ist der Rechtstreit in der Hauptsache erledigt. Der geltend gemachte Zinsanspruch wird nicht weiterverfolgt und der Rechtstreit im Ganzen für erledigt erklärt. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Er hat sich freiwillig dem von Beginn an begründeten Anspruch aus der Klageforderung unterworfen. Fall 2: Die Parteien haben sich nach der mündlichen Verhandlung am 15.2. … außergerichtlich verglichen: Der Beklagte zahlt auf den vereinbarten Kaufpreis von 800 Euro einen Betrag von 700 Euro. Über die Kosten des Rechtsstreits konnten die Parteien sich nicht einigen. Die Forderung ist von Beginn an begründet gewesen. Da die vergleichsweise zu leistende Summe nur unwesentlich von der eingeklagten abweicht, ergibt sich aus §§ 91a, 92 Abs. 2, 93 ZPO, dass der Beklagte praktisch den eingeforderten Anspruch anerkannt hat und die Kosten des Verfahrens tragen muss. Kosten: Die Erledigungserklärung führt nicht zu einer Ermäßigung der Gerichtsgebühren, weil noch eine Entscheidung über die Kosten zu treffen ist (Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG). Die Gebührenermäßigung gem. Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG auf 1,0 Gebühren tritt ein, wenn keine Kostenentscheidung ergeht (zB wegen Verzichts oder Vorgabe in einem außergerichtlichen Vergleich) oder wenn die Kostenentscheidung einer zuvor mitgeteilten Einigung der Parteien über die Kostentragung oder der Kostenübernahmeerklärung einer Partei folgt. Die Auffassung, dass Gleiches bei einem Begründungsverzicht gelte, ist abzulehnen (LG Aachen JurBüro 2017, 469 mwN, str.). Liegt der übereinstimmenden Erledigung eine außergerichtliche Verständigung im Sinne eines Vergleichs zugrunde, ohne dass ein gerichtlicher Termin stattgefunden hat, fällt eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 VV-RVG an.
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Kap. 32 Rz. 17
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M 32.2
ZPO
2. Erklärung des Beklagten
17 Der Beklagte erwidert, dass er sich der Erledigungserklärung des Klägers anschließt. Zu Form, Anwaltszwang, Widerruflichkeit, Zeitpunkt vgl. Rz. 14. Gibt er binnen 2 Wochen ab Zustellung des Schriftsatzes des Klägers keine Erklärung ab, wird dies wie eine Zustimmung behandelt, sofern er ordnungsgemäß auf diese Folge hingewiesen worden ist (§ 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO). Für die Anschlusserklärung gelten spiegelverkehrt die gleichen Maßgaben wie für die Erledigungserklärung des Klägers. Insbesondere sollte auch eine Begründung eines Kostenantrags erfolgen (vgl. Rz. 15).
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Praxistipp: Der Beklagte muss beachten, dass er sich im Rahmen der §§ 717 Abs. 2 und § 945 ZPO nicht auf die Entscheidung gem. § 91a ZPO berufen kann, weil dem Beschluss gem. § 91a ZPO keine Bindungswirkung zukommt (vgl. dazu Zöller/Herget § 717 ZPO Rz. 5 sowie BGH NJW-RR 1992, 998 zu § 945 ZPO).
19 M 32.2 Anschlusserklärung des Beklagten In Sachen … / … (Kurzrubrum) schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers an und beantragt, 1. die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen, 2. das Versäumnisurteil vom … für gegenstandslos zu erklären. Begründung: Der Beklagte hat den eingeklagten Werklohn am 21.2. … bezahlt, nachdem der Kläger nunmehr (nach Klagerhebung) die Mängel beseitigt hat. Da die Mängelrüge des Beklagten berechtigt gewesen ist, hat er zu Recht die Abnahme verweigert und ist bis zur Mängelbeseitigung berechtigt gewesen, die Zahlung des Werklohns zu verweigern. Bis dahin war die Klage unbegründet. Mit der freiwilligen Mängelbeseitigung hat der Kläger die Berechtigung der Mängelrüge anerkannt, weshalb er gem. § 91a ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Das Versäumnisurteil vom … ist für gegenstandslos zu erklären (entspr. § 269 Abs. 4 ZPO). Kosten: Die Erledigungserklärung führt nicht zu einer Ermäßigung der Gerichtsgebühren, weil noch eine Entscheidung über die Kosten zu treffen ist (Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG).
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Praxistipp: Der Beklagte kann sich in zweiter Instanz seines erstinstanzlichen Anwalts zur Erklärung bedienen, ob er sich der Erledigungserklärung anschließen will.
3. Streitgenossenschaft und Nebenintervention
21 Bei einer einfachen Streitgenossenschaft kann jeder Streitgenosse das ihn betreffende Prozessverhältnis für erledigt erklären. Bei einer notwendigen Streitgenossenschaft ist zwischen dem Fall einer solchen aus prozessualen Gründen (§ 62 Alt. 1 ZPO) und einer solchen aus materiell-rechtlichen Gründen (§ 62 Alt. 2 ZPO) zu unterscheiden. Im erstgenannten Fall ist jeder notwendige Streitgenosse erledigungsberechtigt ist (BGH NJW-RR 2011, 618 Rz. 19). Im zweitgenannten Fall bedarf es nach streitiger Ansicht (Zöller/Althammer § 62 ZPO Rz. 25 mwN auch zur Gegenansicht) grundsätzlich der Zustimmung seiner Streitgenossen, es sei denn sie wird rechtsmissbräuchlich verweigert; der andere Streitgenosse muss dann hinnehmen, dass seine Prozessführungsbefugnis erlischt.
22 Der einfache Nebenintervenient muss eine übereinstimmende Erledigung der Parteien hinnehmen. Auf das Innenverhältnis zwischen Partei und Nebenintervenient kommt es nicht an. Die Kostenentscheidung betreffend die Kosten der Nebenintervention unterliegt gem. §§ 101, 91a ZPO dem 594
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Rz. 28 Kap. 32
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Grundsatz der Kostenparallelität. Gleiches soll auch bei einer streitgenössischen Nebenintervention gelten (OLG Koblenz NZG 2004, 46). 4. Übereinstimmende Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit Bei einem erledigenden Ereignis vor Eintritt der Rechtshängigkeit stehen dem Kläger zwei Alternativen zur Auswahl: Zum einen kann er die noch anhängige oder schon rechtshängige Klage zurücknehmen. Die Kosten bestimmen sich nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO. Zum anderen kann er die Klage für erledigt erklären in der Hoffnung und Erwartung, dass der Beklagte zustimmt. Die Kosten bestimmen sich nach§ 91a Abs. 1 ZPO.
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Praxistipp: Der Rechtsanwalt muss – wenn er für erledigt erklären will – sicherstellen, dass der 24 Beklagte der Erledigung zustimmt. Denn ein erledigendes Ereignis vor Rechtshängigkeit stellt keine Erledigung im Rechtssinne dar, weshalb eine Erledigungsfeststellungsklage erfolglos wäre. Die Rechtsprechung bejaht in einem solchen Fall allerdings die Zulässigkeit eines Klageantrags gerichtet auf Feststellung der entstandenen Verfahrenskosten; seine Begründetheit verlangt einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG Düsseldorf OLGR 2002, 296). Er muss auch bedenken, dass die Alternativen § 91a ZPO und § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO sich zwar weitgehend auf der Rechtsfolgenseite decken, nicht aber auf der Tatbestandsseite: Bei einer übereinstimmenden Erledigung wird nicht geprüft, ob eine Erledigung gegeben ist, während bei § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu prüfen ist, ob „der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen“ ist. Die diesbezügliche Feststellungslast trägt der Kläger.
Wie auf ein erledigendes Ereignis während des Mahnverfahrens vor Rechtshängigkeit (vgl. §§ 696 Abs. 3, 700 Abs. 2 ZPO) zu reagieren ist, wird sehr unterschiedlich und differenziert gesehen (vgl. u.a. Joost JR 2010, 507). Will der Antragsteller eine Erstattung seiner Verfahrenskosten erreichen, muss er eine Kostengrundentscheidung gem. § 91a ZPO durch übereinstimmende Erledigung erreichen oder eine Kostengrundentscheidung analog § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durch Rücknahme des Mahnbescheidsantrags. In beiden Fällen ist nicht das Mahngericht zuständig für eine Entscheidung, sondern das Streitgereicht, weshalb es eines Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens bedarf (BGH NJW 2005, 512).
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Praxistipp: Der Rechtsanwalt des Antragstellers sollte vor Einleitung des Mahnverfahrens den 26 Antragsgegner in Verzug setzen, um einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu begründen. Bei einer teilweisen Erledigung zB durch Zahlung im Mahnverfahren kann sich die sachliche Zuständigkeit des Streitgerichts ändern. Im Streitverfahren sollte er in Bezug auf die zu treffende Kostengrundentscheidung klarstellen, dass hinsichtlich der teilweisen Erledigung eine übereinstimmende Erledigung anzunehmen ist oder eine Veranlassung des Mahnverfahrens im Sinne von § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO.
5. Übereinstimmende Erledigung eines Rechtsmittels a) Erklärung des Rechtsmittelklägers Nach überwiegender Ansicht kann ein Rechtsmittel analog § 91a ZPO für erledigt erklärt werden (vgl. u.a. BGH MDR 2006, 44). Ob eine Erledigung des Rechtsstreits sinnvoll ist oder (nur) eine Erledigung des Rechtsmittels, bedarf der Abwägung. Ein maßgebliches Entscheidungskriterium ist, ob eine Kassation der angegriffenen Entscheidung begehrt wird oder nur eine kostengünstige Beendigung des Rechtsmittelverfahrens bei Aufrechterhaltung der angegriffenen Entscheidung. Die Kostenentscheidung selbst beurteilt sich nach den entsprechend zur Anwendung kommenden Grundsätzen von § 91a Abs. 1 ZPO. Zu fragen ist, welche Erfolgsaussicht das Rechtsmittel gehabt hätte.
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Praxistipp: Wird das Rechtsmittel für erledigt erklärt, sollte ggf. klargestellt werden, dass nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu befinden ist, nicht aber über die Kosten des geJaspersen 595
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M 32.3
samten Rechtsstreits, wenn die Parteien die mit dem Rechtsmittel angegriffene Entscheidung inkl. der Kostengrundentscheidung rechtskräftig werden lassen wollen.
29 Beispiele für eine Erledigung des Rechtsmittels: – Das Urteil wird nach § 319 ZPO berichtigt, so dass die Beschwer für das Rechtsmittel wegfällt (BGH MDR 1994, 1142 und NJW-RR 2010, 19). – Das Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel, der sich in zweiter Instanz erledigt (OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 63). – Zeitablauf (KG OLGZ 86, 359). – Anderweitige Entscheidung (BGH MDR 1998, 1114). – Prozessuale Überholung (zB im Befangenheitsverfahren wird der betroffene Richter pensioniert oder versetzt).
30 Voraussetzung für die Erledigung des Rechtsmittels ist nach strittiger Ansicht dessen Zulässigkeit; ein unzulässiges Rechtsmittel ist trotz übereinstimmender Erledigungserklärung nach § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
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Wichtig: Daher muss ein Berufungsantrag samt Begründung (Erläuterung der Beschwer, des Fehlers des angefochtenen Urteils und des Erledigungsereignisses) erfolgen. Hilfsweise sollte der Rechtsmittelantrag samt Begründung gestellt werden, der ohne das Erledigungsereignis erforderlich gewesen wäre. Dieser Weg ist zu empfehlen, weil das Berufungsgericht das Erledigungsereignis für nicht gegeben erachten könnte und weil das Rechtsmittel fortgeführt werden muss, wenn der Rechtsmittelbeklagte der Erledigung nicht zustimmt (zur einseitigen Erledigung eines Rechtsmittels vgl. Rz. 35 ff.).
32 Handelt es sich um die Erledigung des Rechtsmittels (Rz. 27), kann die Niederschlagung der Gerichtskosten nach § 21 GKG beantragt werden (OLG Hamm FamRZ 1987, 1056).
33 M 32.3 Erledigung des Rechtsmittels nach Teilverzicht auf Rechte aus dem
ergangenen Titel An das Oberlandesgericht – Zivilsenat – … In Sachen … / … (Kurzrubrum) verzichte ich namens des Klägers auf Rechte aus dem angefochtenen Urteil, soweit der Beklagte zu mehr als 113.927,02 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist. Der Verzicht erfasst – mit Ausnahme des Kostenpunkts – den Teil der Entscheidung, hinsichtlich dessen die Berufung gegenüber der Entscheidung des Landgerichts zutreffend die Rüge aus § 308 ZPO erhoben hat. Das Landgericht hat mit seiner Entscheidung dem Kläger mehr zugesprochen, als er begehrt hat. Für den Fall, dass der Beklagte, nachdem sich durch den Verzicht das Rechtsmittel der Berufung teilweise erledigt hat, nunmehr die Berufung, soweit über sie aufgrund des Verzichtes nicht mehr zu entscheiden ist, in der Hauptsache für erledigt erklärt, schließe ich mich der Erledigungserklärung an und beantrage, die Kosten des Berufungsverfahrens dem Beklagten aufzuerlegen. Der Beklagte hätte, statt sofort nach Zustellung der Entscheidung des Landgerichts Berufung einzulegen, einen Berichtigungsantrag stellen müssen. Das Urteil des Landgerichts macht in seiner Begründung deut-
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lich, dass ein Fehler iS des § 319 ZPO vorliegt. Erst wenn die Berichtigung innerhalb von etwa drei Wochen nach Zustellung nicht hat erreicht werden können, bestand Anlass für die Einlegung der Berufung. Darüber hinaus bitte ich für jenen Fall darum, den Tenor des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung des erklärten Verzichts auf Rechte aus dem angefochtenen Urteil und der sich gem. § 91a ZPO ergebenden Kostenentscheidung klarstellend neu zu fassen, sowie den Streitwert für die Zeit ab Erledigung des Rechtsmittels festzusetzen. Kosten: Weder der Verzicht noch die Erledigung der Hauptsache haben kostenrechtliche Auswirkungen hinsichtlich der Gerichtsgebühren, da nicht das gesamte Verfahren erledigt wird (Nrn. 1221 bis 1223 KV GKG); hinsichtlich der Anwaltsgebühren reduziert sich für das weitere Verfahren der Gegenstandswert (Terminsgebühr).
b) Erklärung des Rechtsmittel-Beklagten Der Rechtsmittel-Beklagte erklärt, dass er sich der Erledigungserklärung des Rechtsmittel-Klägers an- 34 schließe. Nichterklärung kann als Zustimmung aufgefasst werden, wenn Beklagter in zweiter Instanz vertreten ist (BGH MDR 1994, 1142). Zudem gilt § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO analog. Der RechtsmittelBeklagte stellt ferner einen Antrag zu den Kosten und begründet ihn kurz (vgl. Rz. 17).
V. Einseitige Erledigungserklärung 1. Erklärung und Antrag des Klägers Schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht an, ist eine sog. einseitige Erle- 35 digungserklärung gegeben. Im Allgemeinen legt die Rechtsprechung – vorbehaltlich besonderer Umstände, die eine andere Auslegung nahelegen – diese dahin aus, dass der Kläger nunmehr die Feststellung der Erledigung begehre. Es handelt sich um eine zulässige Klageumstellung gem. § 264 Nr. 2 ZPO. Die Klage ist begründet, wenn die ursprüngliche Klage im Zeitpunkt des vom Kläger angeführten Erledigungsereignisses zulässig und begründet gewesen ist und durch das behauptete Erledigungsereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist. Hieraus folgt, dass ein Ereignis vor Rechtshängigkeit (bzw. vor Anhängigkeit, wenn sie mit der Rechtshängigkeit – wie im einstweiligen Rechtschutz – zusammenfällt) kein erledigendes Ereignis im Rechtssinne darstellen kann. Maßgeblich für die vorgenannten Voraussetzungen ist der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.
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Wichtig: Der Kläger sollte seinen Klageantrag ausdrücklich anpassen. Die Praxis lässt es genügen, wenn der Kläger beantragt, der Rechtstreit habe sich erledigt. Das behauptete Erledigungsereignis muss aber – wenn es nicht in den Klageantrag mit aufgenommen wird – hinreichend bestimmt beschrieben werden (zB durch Zahlung am …); anderenfalls droht eine Klageabweisung wegen Unbestimmtheit der Klage. Sind die Tatsachen betreffend das angeführte Erledigungsereignis streitig, muss der Kläger ggf. entsprechend ergänzend vortragen und Beweis anbieten. Ob ein Erledigungsereignis vorliegt, ist in einer Reihe von Fällen sehr problematisch und mittels der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur sorgfältig zu prüfen. Wichtige Beispiele: – Erfüllungshandlungen: Problematisch kann sein, ob der Beklagte zur endgültigen Befriedigung gehandelt hat oder nur unter dem Druck einer Zwangsvollstreckung. – Aufrechnung: Erst die Aufrechnungserklärung vollendet das erledigende Ereignis (BGH NJW 2003, 3134). Die Rückwirkung der Aufrechnung spielt keine Rolle.
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Kap. 32 Rz. 37
Erledigung der Hauptsache
M 32.4
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– Ende einer Prozessführungsbefugnis: Nur wenn die gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschaft ersatzlos wegfällt und weder § 265 Abs. 2 ZPO eingreift noch der Rechtsinhaber bzw. ein Dritter in den Rechtsstreit eintritt, erledigt sich der Rechtstreit. – Verjährung: Erst die Erhebung der Verjährungseinrede hindert die Durchsetzbarkeit, es sei denn die Einrede ist bereits vorprozessual erhoben worden. – Stufenklage: Ergibt die Auskunft bei einer Stufenklage, dass kein Leistungsanspruch besteht, handelt es sich nicht um den Fall einer Erledigung, weil der Leistungsanspruch von Beginn an nicht bestanden hat.
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Praxistipp: Nach der str. Rechtsprechung des BGH muss der Kläger seine Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für die dem Kläger nutzlos aufgewendeten Kosten umzustellen (BGH NJW 1994, 2895, 2896; zum Meinungsstand Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a ZPO Rz. 43). Es handele sich um eine sachdienliche Klageänderung gem. § 263 ZPO oder § 264 Nr. 3 ZPO. Das Gericht muss den Klageantrag ggf. entsprechend auslegen oder aber einen entsprechenden Hinweis (§ 139 Abs. 1 ZPO) erteilen. Die Sach- und Problemlage bei dieser Feststellungsklage ist der umgestellten Klage nach einseitiger Erledigung vergleichbar.
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Praxistipp: Für den Fall, dass das Erledigungsereignis im Streit ist (zB der Beklagte erklärt, er habe bereits vor Rechtshängigkeit oder nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet), sollte der Kläger hilfsweise seinen alten Klagantrag weiterverfolgen (zulässig: BGH MDR 1965, 641; WM 1982, 1260). Zur umgekehrten Staffelung beachte BGH NJW-RR 1998, 1571 f.
39 M 32.4 Feststellungsantrag des Klägers In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantragt der Kläger, 1. festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, 2. dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Begründung: Nachdem der Beklagte sich meiner Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, ist die Erledigung des Rechtstreits festzustellen. Es handelt sich um eine zulässige Klageumstellung gem. § 264 Nr. 2 ZPO. Auf die einschlägige Rspr. verweise ich. Das erledigende Ereignis besteht darin, dass die streitgegenständliche Forderung am … durch Erfüllung erloschen ist (§§ 362 Abs. 1, 267 Abs. 1 BGB). Hierzu ist folgendes ergänzend vorzutragen: … Bis zu diesem Ereignis ist die Klage zulässig und begründet gewesen. Auf meinen bisherigen Vortrag verweise ich.
2. Erklärung und Antrag des Beklagten
40 Der Beklagte bestreitet das Erledigungsereignis und wendet sich gegen Zulässigkeit oder Begründetheit der Klage. Zu beachten ist die Fristsetzung gem. § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO: Im Falle ordnungsgemäßer Belehrung (vgl. OLG Hamm MDR 2014, 424) muss der Beklagten binnen 2 Wochen der Erledigung widersprechen; für den Widerspruch gilt auch im Anwaltsprozess kein Anwaltszwang, wohl aber für das weitere Verfahren.
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Erledigung der Hauptsache
Rz. 44 Kap. 32
Für den Beklagten gibt es drei alternative Ansatzpunkte, sich der Erledigung zu verweigern:
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– Die Klage ist unzulässig. – Die Klage ist unbegründet. – Es fehlt an dem behaupteten erledigenden Ereignis.
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Praxistipp: Für den Beklagten kann es durchaus sinnvoll sein, sich einer Erledigungserklärung des Klägers anzuschließen, selbst wenn er nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand einer Verteidigung gegen die Erledigungsfeststellungsklage Erfolgsaussichten beimisst. Er muss die Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander abwägen. Wichtige Kriterien hierfür sind u.a.:
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– Kommt es dem Beklagten auf eine Rechtskraftwirkung hinsichtlich Zulässigkeit, Begründetheit und Erledigung der ursprünglichen Klage an (zur Rechtskraftproblematik vgl. Musielak/ Voit/Flockenhaus § 91a ZPO Rz. 46)? – Lässt eine Fortsetzung des Erkenntnisverfahrens eine günstigere Entscheidung erwarten als eine summarische Entscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO? – Ist der weitere Prozessaufwand, den die Fortsetzung des Erkenntnisverfahrens bedingt, gerechtfertigt? – Eine übereinstimmende Erledigung lässt sämtliche vorangegangenen Entscheidungen gegenstandslos werden, die anderenfalls bis zum Abschluss des Erkenntnisverfahrens Bestand hätten.
M 32.5 Nicht-Anschluss-Erklärung des Beklagten
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht an und beantragt weiterhin, die Klage kostenpflichtig abzuweisen. Begründung: Fall 1: Die Hauptsache ist nicht erledigt. Der Beklagte hat den eingeklagten Werklohn nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Vollstreckungsbescheid vom … an den Gerichtsvollzieher gezahlt. Der Werklohn ist nicht fällig, weil der Beklagte die Leistung des Klägers wegen Mängeln nicht abgenommen hat (§ 641 BGB). Fall 2: Eine Erledigung der Hauptsache ist nicht eingetreten. Die Klage war von Anfang an unbegründet. Zwar hat der Bürge Z die Forderung des Klägers bezahlt. Er hat jedoch für die Ehefrau des Beklagten gebürgt. Der Beklagte war und ist nicht Schuldner des Klägers; denn er hat den mündlichen Vertrag mit dem Kläger ausdrücklich als Vertreter seiner Ehefrau geschlossen. Beweis: 1. Zeuge Z 2. Zeugin B
Bestreitet der Beklagte das Erledigungsereignis durch Zahlung nicht und hält die Klage für von An- 44 fang an unbegründet, weil der Klaganspruch laut Vertrag soeben erst fällig geworden sei oder weil der Kläger diesen soeben erst durch Abtretung erlangt habe, dann darf er der Erledigung nicht widersprechen; denn der Anspruch ist nunmehr begründet worden. Er muss der Erledigungserklärung zustimmen und beim Kostenantrag im Rahmen des § 91a ZPO die Anwendung des § 93 ZPO geltend machen. Jaspersen 599
Kap. 32 Rz. 45
Erledigung der Hauptsache
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3. Erledigung nach Schluss der mündlichen Verhandlung
45 Stimmt der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zu, ist gem. § 91a ZPO zu verfahren; zuständig für die Entscheidung ist das Ausgangsgericht. Eine einseitig bleibende Erledigungserklärung des Klägers ist dagegen ohne Relevanz. Das Gericht kann, muss aber nicht die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wiedereröffnen. Ist die Klage abgewiesen worden, kann und muss der Kläger Rechtsmittel einlegen, um im Rechtsmittelverfahren die Erledigungsfeststellung zu erreichen. Ist die Klage erfolglos geblieben, muss der Beklagte Rechtsmittel einlegen, um einer Erledigung Geltung zu verschaffen. 4. Einseitige Erledigung des Rechtsmittels
46 In der Praxis wird häufig nicht ausreichend unterschieden zwischen der Erledigungserklärung betreffend die Hauptsache und der Erledigungserklärung des Rechtsmittels. Ob das eine oder das andere sinnvoll ist, bedarf der Abwägung seitens des Rechtsanwalts. Ein wichtiges Abwägungskriterium ist, ob eine Kassation der angegriffenen Entscheidung gewollt ist oder nur eine kostengünstige Beendigung des Rechtsmittelverfahrens bei Aufrechterhaltung der angegriffenen Entscheidung.
47 Nach überwiegender Ansicht ist die einseitige Erledigung eines Rechtsmittels analog den allgemeinen Grundsätzen zur einseitigen Erledigung grundsätzlich zwar zulässig, erfordert aber, dass hierfür ein „Bedarf“ besteht (MüKo.ZPO/Schulz § 91a ZPO Rz. 111). Der Rechtsmittelführer muss ein anzuerkennendes Interesse haben, ohne Kostenbelastung allein das Rechtsmittel zu beenden, und es darf keine andere Möglichkeit als die Erledigung des Rechtsmittels geben, dieses Ziel zu erreichen (BGH NJW-RR 2009, 855). Zu nennen sind vor allem die Fälle prozessualer Überholung (BGH NJW 1998, 2453, 2454) bzw. die Fälle, in denen das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist (OLG Rostock NJW-RR 2007, 429) oder in denen keine Kostengrundentscheidung gem. § 91a ZPO ergehen kann (vgl. BGH NJW-RR 2009, 855).
VI. Teilweise Erledigung 1. Übereinstimmende Teil-Erledigungserklärung
48 Die Teilerledigung kann sich auf einzelne Klagen bei einer Klagenhäufung oder einzelne Streitgegenstände beziehen und sogar nur auf einen abtrennbaren Teil eines Streitgegenstands; unzulässig ist die Erledigung eines unselbständigen Teils eines Streitgegenstands wie zB eines unselbständigen Rechnungspostens. Zu beachten ist, dass eine Teilerledigung auch dann gegeben ist, wenn die Klage hinsichtlich der Hauptklageforderung für erledigt erklärt wird; in diesem Fall werden die Nebenklageforderungen (Zinsen) zur Hauptsache.
49 Zulässig ist es, die Erledigung auf die Zukunft zu beschränken: Bedeutsam ist dies, wenn ein Vollstreckungstitel für die Vergangenheit Gültigkeit behalten soll, etwa weil aus ihm bereits vollstreckt worden ist oder noch vollstreckt werden soll (BGH NJW 2004, 506 Rz. 34 f.). Gegenstand des anhängig gebliebenen Teils des Verfahrens ist in diesem Fall das Bestehen des streitgegenständlichen Anspruchs bis zum Zeitpunkt des Erledigungsereignisses; insoweit ist das Erkenntnisverfahren fortzusetzen und durch kontradiktorische Endentscheidung zu beenden, was allerdings einen entsprechenden Antrag der Parteien voraussetzt, was ggf. mittels Hinweis oder durch Auslegung zu klären ist (BGH MDR 2016, 411).
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Wichtig: Die Teilerledigung muss hinreichend bestimmt sein. Wird wegen einer Teilzahlung die Erledigung erklärt, muss der Kläger darlegen, auf welchen Teil der Klageforderung er die Teilzahlung gem. §§ 366, 367 BGB verrechnet wissen will und mit welchem Wirkungstag die Teilzahlung berücksichtigt werden soll. Der Klageantrag ist wie folgt umzustellen:
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Rz. 55 Kap. 32
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1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.5.2016 zu zahlen abzüglich am 10.7.2018 gezahlter 5.000 Euro. 2. Im Übrigen ist der Rechtstreit erledigt. Die Entscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Teilerledigung ergeht zwar zusammen mit der Kostengrundentscheidung bei Abschluss des Verfahrens (Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung). Maßgeblich muss aber auch insoweit der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Wirksamkeit der Teilerledigung sein. Der weitere Verlauf des Erkenntnisverfahrens darf keine Berücksichtigung finden. Deshalb sollte der Kläger mit seiner Teilerledigung und der Beklagte mit seiner Zustimmung soweit möglich zur Kostenverteilung gem. § 91a Abs. 1 ZPO vortragen.
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2. Einseitige Teil-Erledigungserklärung a) Antrag des Klägers
52
Es gelten die Ausführungen zu Rz. 35 ff. Der Kläger beantragt 1. Feststellung der Erledigung der Hauptsache zum Teilanspruch … 2. restlicher Klagantrag 3. hilfsweise: voller alter Klagantrag. b) Antrag des Beklagten
53
Es gelten die Ausführungen zu Rz. 40 ff. Der Beklagte beantragt 1. Abweisung des Feststellungsantrages zur teilweisen Erledigung 2. Abweisung der Klage im Übrigen.
VII. Rechtsmittel 1. Kosten-Beschluss nach § 91a ZPO nach übereinstimmender Erledigung der Hauptsache Gegen die Entscheidung der 1. Instanz ist die sofortige Beschwerde eröffnet (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 91a 54 Abs. 2 ZPO). Besteht bezüglich des Gerichts, dessen Entscheidung angegriffen wird, Anwaltszwang (§ 78 ZPO), gilt auch für die Beschwerdeeinlegung Anwaltszwang (OLG Naumburg OLGR 2004, 149). Eine Beschwer muss in zweierlei Hinsicht gegeben sein: Zum einen ist Kostenbeschwer von 200 Euro gem. § 567 Abs. 2 ZPO beachtlich. Der Beschwerdeführer muss deshalb einen konkreten Beschwerdeantrag stellen, wenn er lediglich eine günstigere Quote begehrt. Zum anderen muss sich die Hauptsachebeschwer auf mindestens 600,01 Euro belaufen (§ 91a Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dies bestimmt sich nach dem voraussichtlichen Unterliegen bzw. Obsiegen der beschwerdeführenden Partei, von dem das Gericht bei seinem angegriffenen Kostenausspruch ausgegangen ist (BGH NJW-RR 2004, 1504, 1505).
K
Wichtig: Bei Abschätzung der Erfolgsaussichten einer Beschwerde ist die Prüfungskompetenz 55 des Beschwerdegerichts im Auge zu behalten. Nach einer wohl überwiegend in der Praxis vertretenen Ansicht muss das Beschwerdegericht die angegriffene Entscheidung nicht insgesamt überprüfen und eine eigene Ermessensentscheidung treffen. Die Überprüfungsbefugnis ist darauf beschränkt, ob das erstinstanzliche Gericht das ihm eingeräumte Ermessen fehlerfrei gebraucht hat.
Jaspersen 601
Kap. 32 Rz. 56
Erledigung der Hauptsache
ZPO
Relevant sind nur Verfahrensfehler, ein Ermessensnichtgebrauch oder -fehlgebrauch und die Frage, ob alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind. 2. Kostenentscheidung im Urteil nach übereinstimmender teilweiser Erledigung nach § 91a ZPO
56 Gegen die Entscheidung hinsichtlich des nicht erledigten Hauptsache-Teiles ist die Berufung zulässig. Die erforderliche Beschwer gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimmt sich allein nach der verbliebenen Hauptsache; das Kosteninteresse hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils der Klageforderung spielt keine Rolle (BGH MDR 2013, 671). Die Berufung erfasst auch die Kostengrundentscheidung zu Lasten des Berufungsführers, soweit diese auf § 91a Abs. 1 ZPO beruht, nach zutreffender Ansicht aber nur, wenn sich der Berufung ein entsprechender Angriff entnehmen lässt. Die Beschwerdefrist (§ 569 Abs. 1 ZPO) muss ebenso wenig eingehalten sein wie die Kosten- und Hauptsachebeschwer im o.g. Sinne. Sicherheitshalber sollte die Beschwerde jedenfalls kurz begründet werden (vgl. OLG Stuttgart WRP 1997, 355). Will der Berufungsgegner die ihn belastende Teilkostenentscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO angreifen, muss er Anschlussberufung einlegen.
57 K
Wichtig: Wenn die Berufung unzulässig ist (etwa infolge fehlender ausreichender Beschwer) oder wegfällt bzw. gegenstandslos wird (etwa infolge Berufungsrücknahme; Vergleich, Erledigung) kann die Berufung zwar in eine sofortige Beschwerde umgedeutet werden; jedoch müssen für diese dann die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sein (insbes. muss die zweiwöchige Beschwerdefrist eingehalten sein und es gilt wieder das Erfordernis der ausreichenden Kostenund Hauptsachebeschwer).
58 Unabhängig von einer Berufung ist gegen die auf § 91a Abs. 1 ZPO beruhende Kostenentscheidung die sofortige Beschwerde zulässig (BGHZ 113, 365). Insoweit müssen alle Zulässigkeitsvoraussetzungen gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 91a Abs. 2 ZPO erfüllt sein. Für die Kosten- und Hauptsachebeschwer ist allein auf den für erledigt erklärten Teil der Hauptsache abzustellen. 3. Entscheidung nach einseitiger Erledigung
59 Die Entscheidung über die Feststellung zur einseitigen (vollen oder teilweisen) Erledigung der Hauptsache ist selbst eine Hauptsache-Entscheidung über die geänderte Klage; die Kostenentscheidung wird nach §§ 91, 92 ff. ZPO getroffen. Es ist nur die Entscheidung über die geänderte Hauptsache anfechtbar, nicht aber isoliert die Kostenentscheidung (§ 99 Abs. 1 ZPO). Für die Beschwer muss auf das Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung abgestellt werden. Dieses richtet sich im Allgemeinen nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten; an die Stelle des Sachinteresses muss für beide Parteien das Kosteninteresse treten (BGH WuM 2016, 632). Die Höhe der Beschwer wird gedeckelt durch den Wert der – erledigten – Hauptsache (BGH NJW-RR 1990, 1474). Ein höheres Interesse als das Kosteninteresse kann sich nur ausnahmsweise ergeben, wenn der Umstellung auf die Feststellungsklage ein anderes Interesse zugrunde gelegen hat als das Kosteninteresse. 4. Entscheidung nach einseitiger Teilerledigung
60 Große Schwierigkeiten und Unsicherheiten bestehen darin, die Beschwer zu ermitteln. Es sind zwei Grundfälle auseinanderzuhalten: Fall 1:
Fall 2:
602
Der Kläger unterliegt nur mit seiner Klage auf Feststellung der Teilerledigung Die Beschwer bemisst sich allein nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten, soweit sie durch die für erledigt erklärte Klage bedingt gewesen sind. Für die Berechnung ist auf die Differenzmethode abzustellen (Rz. 69). Der Kläger ist sowohl hinsichtlich der verbliebenen Hauptsache belastet als auch mit seiner Klage auf Feststellung der Erledigung.
Jaspersen
Erledigung der Hauptsache
Rz. 67 Kap. 32
ZPO
Die Beschwer des Klägers bemisst sich nach der Summe der Beschwer für die verbliebene Hauptsache und den bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten, soweit sie durch den für erledigt erklärten Klageteil bedingt gewesen sind (BGH NJW 2015, 3173). Für deren Berechnung ist auf die Differenzmethode abzustellen (Rz. 69).
VIII. Streitwert und Gebühren Die Berechnung der Gebühren und des Streitwerts ist sehr differenziert. Zu unterscheiden ist zwischen der übereinstimmenden Erledigung und der einseitigen Erledigung.
61
1. Übereinstimmende Erledigung Für den Streitwert ist das Kosteninteresse ab dem Zeitpunkt maßgeblich, in dem die übereinstimmende Erledigung wirksam wird; der Höhe nach wird der Streitwert durch den ursprünglichen Hauptsachestreitwert gedeckelt. Fallen Erledigungserklärung des Klägers und Zustimmung des Beklagten zeitlich auseinander, ermäßigt sich der Streitwert bereits mit Eingang der Erledigungserklärung des Klägers. Zum Kosteninteresse zählen ggf. auch vorprozessuale Rechtsanwaltskosten, weil sie mit der Erledigung der Hauptsache ihre Unselbständigkeit verlieren (BGH NJW 2008, 999).
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K
Wichtig: Wird der Rechtstreit im Rahmen der Güte- bzw. Hauptverhandlung für erledigt erklärt, ohne dass die Anträge zur Hauptsache gestellt werden, berechnet sich die Terminsgebühr dennoch nach dem ursprünglichen Hauptsachestreitwert, weil sie bereits mit dem Aufruf zur Sache entsteht (vgl. § 220 Abs. 1 ZPO). Eine Terminsgebühr nach dem Hauptsachestreitwert kann selbst dann anfallen, wenn die übereinstimmende Erledigung Ergebnis vorgerichtlicher Vergleichsverhandlungen ist.
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Im erstinstanzlichen Rechtszug kommt eine Ermäßigung der Gerichtsgebühren gem. Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG auf 1,0 Gebühren in Betracht, wenn die Parteien dem Gericht eine Kostenentscheidung vorgeben. Ob gleiches gilt, wenn die Parteien auf eine Begründung der Entscheidung verzichten ist sehr strittig. Haben sich die Parteien außergerichtlich im Wege eines Vergleichs auf eine Erledigung der Hauptsache verständigt, kann sowohl eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 VV RVG anfallen (OLG Köln JurBüro 2016, 467) wie eine Vergleichsgebühr nach Nr. 1000, 1003 VV RVG (OLG Oldenburg MDR 2016, 674).
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Bei einer teilweisen übereinstimmenden Erledigung ist für den künftigen Streitwert nur noch die rechtshängig gebliebene Hauptsache maßgeblich; das Kosteninteresse bzgl. des für erledigt erklärten Teils der Hauptsache fällt unter den Tisch (BGH NJW 2013, 2361). Das gilt selbst für den Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens, wenn in diesem auch die Teilkostenentscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO überprüft wird (aA OLG Rostock NJOZ 2004, 368).
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Wichtig: Etwaige Nebenforderungen gem. § 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO des für erledigt erklärten Teils der Hauptforderung (zB anteilige vorprozessuale Rechtsanwaltskosten und Zinsen) werden – soweit sie weiterverfolgt werden – selbst Hauptforderung und erhöhen den Streitwert.
2. Einseitige Erledigung Der Gebührenstreitwert bestimmt sich mit Wirksamwerden der einseitigen Erledigungserklärung nach 67 dem Kosteninteresse, das sich nach der Summe der bis dahin – und nicht nur bis zum Zeitpunkt des behaupteten erledigenden Ereignisses – entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten bemisst (BGH MDR 2010, 1342). Denn das wirtschaftliche Interesse der Partei an der Fortsetzung des Rechtsstreits ist im Allgemeinen nur so hoch wie diese Kosten.
Jaspersen 603
Kap. 32 Rz. 68
ZPO
68 K
Erledigung der Hauptsache
Wichtig: Der Kläger hat es allerdings nicht in der Hand, durch eine „verspätete“ Erledigungserklärung noch Gebührentatbestände nach dem ursprünglichen Hauptsachestreitwert belastbar zu begründen; im Kostenfestsetzungsverfahren kann dies den Einwand von Treu und Glauben rechtfertigen (BGH MDR 2010, 1342 für den Fall, dass der Kläger erst im Termin und nicht bereits vorher – was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre – die Erledigung erklärt hat).
69 Bei der teilweisen Erledigung bildet sich der Gebührenstreitwert für das weitere Verfahren aus der Summe der Teilstreitwerte für die verbliebene Hauptsache und für die teilweise Erledigung. Letzterer richtet sich nach den anteiligen bis dahin angefallenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten. Jeweils ist zu prüfen, welcher Anteil der aufgelaufenen Kosten auf den Erledigungsstreit entfällt. Für die Berechnung gilt die sog. Differenzmethode (BGH NJW-RR 1996, 1210): In einem 1. Schritt ist festzustellen, welche Kosten tatsächlich bis zur Erledigungserklärung entstanden sind. In einem 2. Schritt ist – fiktiv – zu klären, welche Kosten angefallen wären, wenn von vorneherein nur die verbliebene Hauptsache geltend gemacht worden wäre. Die Differenz dieser Kosten ist der für die Teilerledigung anzusetzende Wert (3. Schritt).
Kapitel 33 Klagerücknahme I. Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rücknahmeerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache . . . . . . . . . . 2. Nach mündlicher Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anträge und Erklärungen des Beklagten . . 1. Zustimmung und Kostenantrag . . . . . . . . . a) Bei Klagerücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . b) Zustimmung für den Fall des Verzichts auf die Klagforderung und Kostenantrag 2. Antrag auf klarstellenden Beschluss . . . . . .
1 5 5 13 19 19 19 21 23
3. Rechtsmittel gegen Kostenbeschluss . . . . . . IV. Feststellungsantrag bei Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme . . . . . . V. Einrede fehlender Kostenerstattung . . . . . M 33.1 Klagerücknahme . . . . . . . . . . . . . . M 33.2 Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme . . . . . . . . . . . . . . M 33.3 Antrag des Klägers bei Wegfall des Klageanlasses vor Zustellung . . . . . M 33.4 Widerspruch des Beklagten gegen Rücknahme der Klage (§ 269 Abs. 2 Satz 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 25 26 29 30 31 32
I. Ziel 1 Die Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) ist das geeignete Mittel des Klägers zur vergleichsweise kostengünstigen Beendigung des Rechtsstreits, wenn er einsehen muss, dass sein Klagebegehren keine Aussicht auf Erfolg hat, weil – er rechtliche Aspekte übersehen hat, die in der Klageerwiderung dargelegt werden, – dem Kläger durch einen versagenden Prozesskostenhilfe-Beschluss (grundsätzlich empfiehlt es sich, einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vorab unter Beifügung nur eines Klageentwurfs zu stellen) überzeugend verdeutlicht wird, dass seine Klage keine Aussicht auf Erfolg hat, er selbst die Prozesskosten auch nicht aufbringen kann, – der Zeuge des Klägers ausfällt, eine Zustellung der Klage nicht erfolgen kann oder der Beklagte in Vermögensverfall gerät,
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Jaspersen/Assies
Kap. 32 Rz. 68
ZPO
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Erledigung der Hauptsache
Wichtig: Der Kläger hat es allerdings nicht in der Hand, durch eine „verspätete“ Erledigungserklärung noch Gebührentatbestände nach dem ursprünglichen Hauptsachestreitwert belastbar zu begründen; im Kostenfestsetzungsverfahren kann dies den Einwand von Treu und Glauben rechtfertigen (BGH MDR 2010, 1342 für den Fall, dass der Kläger erst im Termin und nicht bereits vorher – was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre – die Erledigung erklärt hat).
69 Bei der teilweisen Erledigung bildet sich der Gebührenstreitwert für das weitere Verfahren aus der Summe der Teilstreitwerte für die verbliebene Hauptsache und für die teilweise Erledigung. Letzterer richtet sich nach den anteiligen bis dahin angefallenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten. Jeweils ist zu prüfen, welcher Anteil der aufgelaufenen Kosten auf den Erledigungsstreit entfällt. Für die Berechnung gilt die sog. Differenzmethode (BGH NJW-RR 1996, 1210): In einem 1. Schritt ist festzustellen, welche Kosten tatsächlich bis zur Erledigungserklärung entstanden sind. In einem 2. Schritt ist – fiktiv – zu klären, welche Kosten angefallen wären, wenn von vorneherein nur die verbliebene Hauptsache geltend gemacht worden wäre. Die Differenz dieser Kosten ist der für die Teilerledigung anzusetzende Wert (3. Schritt).
Kapitel 33 Klagerücknahme I. Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rücknahmeerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache . . . . . . . . . . 2. Nach mündlicher Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anträge und Erklärungen des Beklagten . . 1. Zustimmung und Kostenantrag . . . . . . . . . a) Bei Klagerücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . b) Zustimmung für den Fall des Verzichts auf die Klagforderung und Kostenantrag 2. Antrag auf klarstellenden Beschluss . . . . . .
1 5 5 13 19 19 19 21 23
3. Rechtsmittel gegen Kostenbeschluss . . . . . . IV. Feststellungsantrag bei Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme . . . . . . V. Einrede fehlender Kostenerstattung . . . . . M 33.1 Klagerücknahme . . . . . . . . . . . . . . M 33.2 Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme . . . . . . . . . . . . . . M 33.3 Antrag des Klägers bei Wegfall des Klageanlasses vor Zustellung . . . . . M 33.4 Widerspruch des Beklagten gegen Rücknahme der Klage (§ 269 Abs. 2 Satz 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 25 26 29 30 31 32
I. Ziel 1 Die Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) ist das geeignete Mittel des Klägers zur vergleichsweise kostengünstigen Beendigung des Rechtsstreits, wenn er einsehen muss, dass sein Klagebegehren keine Aussicht auf Erfolg hat, weil – er rechtliche Aspekte übersehen hat, die in der Klageerwiderung dargelegt werden, – dem Kläger durch einen versagenden Prozesskostenhilfe-Beschluss (grundsätzlich empfiehlt es sich, einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vorab unter Beifügung nur eines Klageentwurfs zu stellen) überzeugend verdeutlicht wird, dass seine Klage keine Aussicht auf Erfolg hat, er selbst die Prozesskosten auch nicht aufbringen kann, – der Zeuge des Klägers ausfällt, eine Zustellung der Klage nicht erfolgen kann oder der Beklagte in Vermögensverfall gerät,
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Rz. 10 Kap. 33
– die Parteien außergerichtlich einen Vergleich einschließlich Kostenregelung geschlossen haben, der den Kläger zur Klagerücknahme verpflichtet. Folge der Klagerücknahme ist idR die Pflicht des Klägers, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen 2 (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Diese Entscheidung wird dem Kläger dadurch erleichtert, dass die drei bereits eingezahlten Gerichtsgebühren auf eine ermäßigt werden (aber nur bei Rücknahme vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz und wenn kein Urteil vorausgegangen ist [Ausnahme: Teil-Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil oder Urteil ohne Tatbestand und Gründe nach § 313a Abs. 2 ZPO] und kein Beschluss über die Kosten nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergeht [Ausnahme: Dieser Beschluss folgt einer zuvor mitgeteilten Einigung der Parteien über die Kostentragung oder der Kostenübernahmeerklärung einer Partei]; s. KV 1211 Nr. 1 GKG). Ausnahmsweise trägt der Beklagte ganz oder teilweise die Kosten, wenn er Anlass zur Klage gegeben hat (vgl. Rz. 12 und M 33.3), wenn er im Vergleich Kosten übernommen hat (BGH MDR 1972, 945) oder wenn bereits Versäumnisurteil gegen ihn ergangen war (BGH MDR 2004, 1882). Das einfache Nicht-Fortführen des Rechtsstreits kann ebenfalls eine Methode sein, um diesen nicht formell beenden zu müssen. Dies bringt dem Kläger aber weder eine Klärung der Sache noch einen gebührenrechtlichen Vorteil; denn es erfolgt dann keine anteilige Rückzahlung des Gerichtsgebührenvorschusses (während er wie Rz. 2 dargelegt bei rechtzeitiger Klagerücknahme oder im Falle des das Verfahren insgesamt beendenden Vergleichs zwei Gebühren zurückerhält).
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3
Wichtig: Keine Klagerücknahme, wenn Beklagter nach Zustellung der Klage mit einer vor 4 Klagerhebung aufrechenbar gegenüberstehenden Forderung die Aufrechnung erklärt. Nach überwiegender Rspr. stellt trotz materiell-rechtlicher Rückwirkung (§ 389 BGB) erst die Aufrechnungserklärung das erledigende Ereignis für eine bis dahin begründete Klage dar (BGH NJW 2003, 3134; BayObLG NJW-RR 2002, 373; Zöller/Althammer § 91a ZPO Rz. 58 „Aufrechnung“). Daher: Hauptsache für erledigt erklären und zur Begründung Rspr. zitieren! Das gilt auch für Einrede der Verjährung (BGH NJW 2010, 2422).
II. Rücknahmeerklärung 1. Vor Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache Die Rücknahme erfolgt durch (ausdrückliche oder schlüssige) Rücknahmeerklärung an das Prozessgericht. Dies gilt auch für Widerklage, Arrest oder einstweilige Verfügung.
5
In zeitlicher Hinsicht ist die Rücknahme ab Zustellung der Klage (OLG Hamm MDR 2004, 50; KGR 2003, 95) und bis unmittelbar vor Rechtskraft des Urteils, also auch zwischen den Instanzen möglich (BGH MDR 1999, 626). Im Mahnverfahren nach Abgabe an das Prozessgericht (§ 696 Abs. 1 ZPO; Zöller/Seibel § 690 ZPO Rz. 24).
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Bei (unechter) Rücknahme vor Zustellung (zulässig: § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO) und vor Abgabe im Mahnverfahren ist der Beklagte mangels Rechtshängigkeit am Rechtsstreit noch nicht beteiligt (vgl. Rz. 12).
7
Die Klagerücknahme wirkt ab Eingang bei Gericht (§ 269 Abs. 2 Satz 1): Damit entfallen die prozes- 8 sualen Wirkungen der Rechtshängigkeit rückwirkend (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Kein Widerruf oder Anfechtung der Rücknahme durch den Kläger möglich (BGH NJW 2007, 1460). Im Mahnverfahren steht die Rücknahme des Antrags auf Durchführung des Streitverfahrens der Klagrücknahme nicht gleich, weil das Mahnverfahren anhängig bleibt (BGH MDR 2006, 42).
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Eine Teil-Klagerücknahme ist zulässig. Der Rechtsstreit wird im Übrigen fortgesetzt. Ein gesonderter Kostenbeschluss nach § 269 Abs. 3 ZPO ist hier gegen den Kläger nicht zulässig. Es muss viel-
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Assies 605
ZPO
Klagerücknahme
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Kap. 33 Rz. 11
Klagerücknahme
mehr eine Kostenquote im Schlussurteil gebildet werden (OLG Hamm JurBüro 1973, 994; Zöller/ Greger § 269 ZPO Rz. 19a). Ausnahme: Ist die Klage gegen einen von mehreren Beklagten zurückgenommen oder der Beklagte ausgewechselt, hat der Ausscheidende Anspruch auf einen Kostentitel (nur) hinsichtlich seiner außergerichtlichen Kosten (OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1459). Bei Übernahme des Rechtsstreits durch den Rechtsnachfolger des Beklagten gilt § 91a ZPO (BGH NJW 2006, 1351).
11 Haben die Parteien (zB in einem außergerichtlichen Vergleich) die Klagerücknahme vereinbart, wirkt dies prozessual erst, wenn die Rücknahme gegenüber dem Gericht erklärt wird. Wird sie nicht erklärt, hat der Beklagte den Einwand fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses, worauf die Klage als unzulässig abgewiesen wird (BGH MDR 1984, 302; JurBüro 1986, 1660).
12 K
Wichtig: Bei Wegfall des Anlasses zur Klage vor Zustellung nimmt der Kläger die inzwischen zugestellte Klage unverzüglich zurück (zB Beklagter bezahlt die Klagforderung einen Tag vor Zustellung, Aufrechnungserklärung geht vor Zustellung ein). Auf Antrag des Klägers entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstandes (§ 269 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 ZPO). Dieser Fall wird wie Erledigung der Hauptsache behandelt (s. M 33.3). Die Kostenentscheidung setzt keine zugestellte Klage voraus (§ 269 Abs. 3 Satz 3 aE ZPO). Die Schriftsätze sind dem Beklagten lediglich formlos mitzuteilen (§ 270 Satz 1 ZPO). Zur Gebührenermäßigung vgl. Rz. 2.
12a K
Praxistipp: Vor Kostenantrag ist stets zu prüfen, ob der Kläger stattdessen Kostenerstattungsklage erheben sollte, um eine Billigkeitsentscheidung zu vermeiden. Klageantrag dann umstellen, evtl. auf Kostenfeststellung (BGH NJW 2013, 2201 m. Anm.; Zöller/Greger § 269 ZPO Rz. 18e).
2. Nach mündlicher Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache
13 Die Einwilligung des Beklagten ist erforderlich (§ 269 Abs. 1 ZPO), sobald die mündliche Verhandlung über die Hauptsache begonnen hat (hierzu zählen noch nicht Erörterungen zur Zulässigkeit oder zu Verfahrensfragen [BGHZ 100, 383, 389], auch nicht die Erörterung im Rahmen der Güteverhandlung nach § 278 Abs. 2 ZPO; wohl aber sachliche Erwiderung, sachlicher Klagabweisungsantrag, Erhebung der Widerklage; vgl. Zöller/Greger § 269 ZPO Rz. 13). Für die Einwilligung besteht Anwaltszwang.
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Wichtig: Keine Einwilligung des Beklagten liegt vor, wenn er Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Kläger gestellt hat, aber der Kläger gegen dieses Einspruch einlegt (§ 342 ZPO; BGHZ 4, 328, 339) oder das Versäumnisurteil wegen § 335 Abs. 1 ZPO nicht erlassen wird (BGH MDR 1980, 839).
15 Im Arrest- oder einstweiligen Verfügungsverfahren ist Einwilligung nicht erforderlich (Zöller/G. Vollkommer § 920 ZPO Rz. 13). Bei einer Stufenklage ist nach Durchführung des Auskunftsverfahrens die Rücknahme des Leistungsantrages (vor Verhandlung darüber) ohne Einwilligung des Beklagten zulässig (Zöller/Greger § 269 ZPO Rz. 14).
16 Erhebt der Beklagte binnen einer Notfrist von 2 Wochen seit Zustellung der Klagrücknahme keinen Widerspruch gegen diese, gilt seine Einwilligung als erteilt (§ 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO), wenn mit der Zustellung ein Hinweis auf diese Rechtsfolge erfolgt ist (s. M 32.4).
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Praxistipp: Die Klagrücknahme „zwischen den Instanzen“ – oder nach verkündetem, aber noch nicht zugestellten Versäumnisurteil – birgt für den Kläger Gefahren, weil unsicher ist, ob nach versäumtem Widerspruch des Beklagten diesem Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist gewährt wird.
Assies
Rz. 24 Kap. 33
Bei Verweigerung der Einwilligung wird der Rechtsstreit fortgesetzt; denn die Rücknahme entfällt, weil sie nicht wirksam geworden ist (BGHZ 141, 185, 193). Hat der Kläger einen Sachantrag gestellt (den er nicht wiederholen muss), wird über diesen durch Urteil entschieden; stellt er diesen nicht (§ 333 ZPO), ergeht auf Antrag des Beklagten klageabweisendes Versäumnisurteil.
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ZPO
Klagerücknahme
III. Anträge und Erklärungen des Beklagten 1. Zustimmung und Kostenantrag a) Bei Klagerücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung Zur Sache erklärt der Beklagte, er stimme der Klagerücknahme zu und stellt den Antrag, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Bei PKH ist kein Kostenantrag erforderlich (§ 269 Abs. 4 Satz 2 ZPO).
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Für den Fall, dass der Beklagte nicht zustimmt (vgl. Rz. 18), bleibt er bei seinem Klagabweisungsantrag.
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b) Zustimmung für den Fall des Verzichts auf die Klagforderung und Kostenantrag Hat der Kläger außerhalb der mündlichen Verhandlung (sonst evtl. § 306 ZPO) auf den Klaganspruch verzichtet, ist dies zunächst eine materiell-rechtliche Willenserklärung, die im Schuldrecht nach § 397 BGB der vertraglichen Annahme bedarf, während sie im Sachenrecht in der Regel einseitig ist (zB §§ 928, 959 BGB). Meist ist damit zugleich die Klagerücknahme gemeint, die ausschließlich Prozesshandlung ist. Erklärt der Kläger nicht ausdrücklich Verzicht und Klagerücknahme, ist er zur Klarstellung zu befragen.
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Der Beklagte erklärt,
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1. er nehme den Verzicht an, 2. er stimme der Klagerücknahme zu, 3. er beantrage, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. 2. Antrag auf klarstellenden Beschluss Hat der Kläger bereits ein nichtrechtskräftiges Versäumnisurteil oder Vorbehaltsurteil erwirkt, ist die- 23 ses wirkungslos. Zur Klarstellung beantragt der Beklagte stets, dieses Urteil für wirkungslos zu erklären (§ 269 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 ZPO). In der Rechtsmittelinstanz beantragt der Beklagte, das erstinstanzliche Urteil für wirkungslos zu erklären. 3. Rechtsmittel gegen Kostenbeschluss Der Beschluss über die Kosten und die Wirkungslosigkeit von Urteilen in 1. Instanz ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar (§ 269 Abs. 5 ZPO), sofern der Streitwert der Hauptsache 600 Euro übersteigt. Gegen die Entscheidung des Berufungs- oder Beschwerdegerichts ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn sie zugelassen ist (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO).
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Kap. 33 Rz. 25
Klagerücknahme
M 33.1
ZPO
IV. Feststellungsantrag bei Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme 25 Bestreitet der Beklagte die Wirksamkeit einer Klagerücknahme (zB weil diese ohne seine erforderliche Zustimmung erfolgt sei), beantragt der Kläger die Feststellung der Wirksamkeit der Klagerücknahme. Darüber ist durch Beschluss nach § 269 Abs. 4 ZPO zu entscheiden (BGH MDR 1993, 1073).
V. Einrede fehlender Kostenerstattung 26 Nach Klagerücknahme ist eine neue Klage zulässig, sofern der Kläger nicht auch auf den Anspruch materiell-rechtlich verzichtet hat (s. Rz. 21).
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Wichtig: – Soll die erneute Klage die Verjährung ununterbrochen hemmen, ist die Frist des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB zu beachten. – Wegen der Möglichkeit einer erneuten Klageerhebung sollte die Einwilligung zur Klagerücknahme im Zweifel nur dann erfolgen, wenn zuvor ein materieller Klageverzicht durch den Kläger erklärt wurde.
28 Soweit noch keine Kostenerstattung im Ausgangsverfahren erfolgte, hat der Beklagte im Folgeverfahren die Einrede der nicht erstatteten Kosten der ersten Klage (§ 269 Abs. 6 ZPO).
29 M 33.1 Klagerücknahme In Sachen … / … (Kurzrubrum) erkläre ich namens des Klägers: Der Kläger nimmt die Klage hiermit zurück. Kosten: Gericht: Die Klagrücknahme vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung führt zu einer Ermäßigung der Verfahrensgebühr auf 1,0 (Nr. 1211 Nr. 1 Buchst. a KV GKG); Anwalt: kein Einfluss auf bereits entstandene Gebühren.
30 M 33.2 Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme In Sachen … / … (Kurzrubrum) erkläre und beantrage ich namens des Beklagten: 1. Der Beklagte stimmt der Klagerücknahme zu. (Alternativ: Der Beklagte stimmt der Klagerücknahme für den Fall zu, dass der Kläger zuvor einen materiellen Klageverzicht erklärt.) 2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3. Das Versäumnisurteil des LG … vom … ist wirkungslos.
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Assies
M 33.3 Antrag des Klägers bei Wegfall des Klageanlasses vor Zustellung
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich namens des Klägers, die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen. Begründung: Der Kläger hat seine Klage unverzüglich zurückgenommen, nachdem der Anlass zu ihrer Einreichung weggefallen ist. Der Beklagte hat die Klageforderung 2 Tage vor Zustellung der Klage bezahlt. Wie sich aus der Klage ergibt und dort unter Beweis gestellt ist, war die Darlehensforderung nach dem Vertrag zur Rückzahlung fällig und der Beklagte zweimal unter Fristsetzung gemahnt. Er hat Anlass zur Klage gegeben und die Verfahrenskosten nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu tragen.
M 33.4 Widerspruch des Beklagten gegen Rücknahme der Klage (§ 269 Abs. 2
32
Satz 3 ZPO) In Sachen … / … (Kurzrubrum) willigt der Beklagte in die Rücknahme der Klage nicht ein.
Kapitel 34 Versäumnisverfahren I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwaltliches Standesrecht . . . . . . . . . . . . . M 34.1 Ankündigung des Antrags auf Versäumnisurteil in der Klageschrift . . II. Versäumnisurteil gegen den Beklagten, § 331 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren, § 331 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . a) Prozessantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.2 Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Beklagten im schriftlichen Vorverfahren . . . . . . . . . b) Mehrere Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenantrag des Beklagten trotz nicht fristgerechter Anzeige der Verteidigungsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.3 Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nach Fristversäumung M 34.4 Ankündigung der Verteidigungsbereitschaft und Wiedereinsetzungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versäumnisurteil im Verhandlungstermin .
1 1 2 3 4 4 4 6 7 9 10 12 13
3. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versäumnisurteil gegen den Kläger, § 330 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Echtes und unechtes Versäumnisurteil . . . 2. Prozessantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.5 Antrag des Beklagten auf Versäumnisurteil gegen den Kläger . . 3. Gegenantrag und Gegenmaßnahmen des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.6 Antrag auf Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sofortige Beschwerde bei Ablehnung des Erlasses des Versäumnisurteils . . . . . . . . M 34.7 Sofortige Beschwerde bei Ablehnung des Erlasses des Versäumnisurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Assies/Wiemer
16 16 17 19 19 21 22 23 27 28 28 29 30 31
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ZPO
Kap. 34
Versäumnisverfahren
M 33.3 Antrag des Klägers bei Wegfall des Klageanlasses vor Zustellung
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In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich namens des Klägers, die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen. Begründung: Der Kläger hat seine Klage unverzüglich zurückgenommen, nachdem der Anlass zu ihrer Einreichung weggefallen ist. Der Beklagte hat die Klageforderung 2 Tage vor Zustellung der Klage bezahlt. Wie sich aus der Klage ergibt und dort unter Beweis gestellt ist, war die Darlehensforderung nach dem Vertrag zur Rückzahlung fällig und der Beklagte zweimal unter Fristsetzung gemahnt. Er hat Anlass zur Klage gegeben und die Verfahrenskosten nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu tragen.
M 33.4 Widerspruch des Beklagten gegen Rücknahme der Klage (§ 269 Abs. 2
32
Satz 3 ZPO) In Sachen … / … (Kurzrubrum) willigt der Beklagte in die Rücknahme der Klage nicht ein.
Kapitel 34 Versäumnisverfahren I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwaltliches Standesrecht . . . . . . . . . . . . . M 34.1 Ankündigung des Antrags auf Versäumnisurteil in der Klageschrift . . II. Versäumnisurteil gegen den Beklagten, § 331 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren, § 331 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . a) Prozessantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.2 Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Beklagten im schriftlichen Vorverfahren . . . . . . . . . b) Mehrere Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenantrag des Beklagten trotz nicht fristgerechter Anzeige der Verteidigungsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.3 Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nach Fristversäumung M 34.4 Ankündigung der Verteidigungsbereitschaft und Wiedereinsetzungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versäumnisurteil im Verhandlungstermin .
1 1 2 3 4 4 4 6 7 9 10 12 13
3. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versäumnisurteil gegen den Kläger, § 330 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Echtes und unechtes Versäumnisurteil . . . 2. Prozessantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.5 Antrag des Beklagten auf Versäumnisurteil gegen den Kläger . . 3. Gegenantrag und Gegenmaßnahmen des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.6 Antrag auf Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sofortige Beschwerde bei Ablehnung des Erlasses des Versäumnisurteils . . . . . . . . M 34.7 Sofortige Beschwerde bei Ablehnung des Erlasses des Versäumnisurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Assies/Wiemer
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ZPO
Kap. 34
Versäumnisverfahren
ZPO
Kap. 34 Rz. 1
Versäumnisverfahren
V. Versäumnisurteil in der Berufungsinstanz 1. Versäumnisurteil gegen den Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.8 Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Berufungsbeklagten . . . . . . . . 2. Versäumnisurteil gegen den Berufungskläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einspruch gegen das Versäumnisurteil . . 1. Einspruchsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einspruchsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.9 Einspruch gegen das Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.10 Einspruch und Antrag auf Fristverlängerung . . . . . . . . . . . . . . . .
33 34 35 36 37 39 40 41
3. Anpassung der Sachanträge . . . . . . . . . . . M 34.11 Anpassung der Anträge für die neue Verhandlung nach Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsmittel bei Verwerfung des Einspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zweites Versäumnisurteil, § 345 ZPO . . . 1. Voraussetzungen und Sachanträge . . . . . . 2. Besonderheiten im Mahnverfahren . . . . . . 3. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 34.12 Berufung gegen zweites Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 46 47 50 50 53 54 55
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I. Allgemeines 1. Bedeutung
1 Zur Zwangsvollstreckung benötigt der Gläubiger immer einen Titel. Nicht immer ist der Schuldner aber bereit, seinerseits am zur Titulierung eines Anspruchs erforderlichen Verfahren mitzuwirken. Nicht jeder Anspruch gegen einen mitwirkungsunwilligen Schuldner kann im Mahnverfahren tituliert werden (vgl. Kap. 8 Rz. 7). Umgekehrt kann auch der Gläubiger sein Interesse am Verfahren verlieren und nicht mehr auf eine den Streit beendende sowie die Kosten des bisherigen Verfahrens regelnde und der Rechtskraft fähige Entscheidung hinwirken. Deshalb ist es erforderlich, dass auch im streitigen Verfahren, ohne dass der Gegner – noch – am Verfahren mitwirkt, ein das Verfahren beendender, auch die Beitreibung der Kosten ermöglichender Titel erstritten werden kann, aus dem die Zwangsvollstreckung zulässig ist und der in Rechtskraft erwächst. Diesem Bedürfnis dient das Versäumnisverfahren. 2. Anwaltliches Standesrecht
2 Eine standesrechtliche Verpflichtung, gegen einen anwaltlich vertretenen Gegner bei Nichterscheinen zum Termin nur dann ein Versäumnisurteil zu beantragen, wenn dies dem Kollegen vorher angekündigt worden war, gibt es nicht. Dennoch entspricht eine solche Ankündigung kollegialen Gepflogenheiten, die auch dann, wenn sie nicht mit Sanktionen verbunden sind, beachtet werden sollten (s. M 34.1). Gleichwohl darf ein Rechtsanwalt nicht darauf vertrauen, der Gegenanwalt werde ohne rechtzeitige Vorankündigung kein Versäumnisurteil beantragen; vielmehr darf dieser die Interessen seines Mandanten vor die kollegiale Rücksichtnahme stellen (OLG Düsseldorf MDR 2012, 556). Von den anwaltlichen Standespflichten zu unterscheiden sind die „gerichtlichen Gepflogenheiten“ (BGH MDR 1999, 178), den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils erst nach einer bestimmten, meist 15-minütigen, vor Erlass eines zweiten Versäumnisurteils (§ 345 ZPO) ggf. auch längeren Wartefrist (Zöller/ Herget vor § 330 ZPO Rz. 12) entgegenzunehmen. Diese Wartefristen sind keine „Kulanz“, sondern Ausfluss des verfassungsrechtlichen Anspruchs der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), der eine angemessene Berücksichtigung unvorhergesehener Verhinderungen, die nicht immer sogleich – etwa fernmündlich – angekündigt und entschuldigt werden können, verlangt. Teilweise wird bereits von einer gewohnheitsrechtlichen Verfestigung der genannten Wartefrist ausgegangen (MüKo.ZPO/Prütting § 337 ZPO Rz. 22). Zur Verpflichtung des Anwalts, eine nicht vermeidbare Verhinderung unter Nutzung aller zumutbaren Maßnahmen dem Gericht rechtzeitig anzuzeigen: BGH NJW 2009, 687; OLG Düsseldorf MDR 2012, 556. Der Sachverhalt, auf dem die Verhinderung beruht, muss – in Anlehnung an die für einen Antrag auf Wiedereinsetzung geltenden Anforderungen – verständlich und nachvollziehbar dargestellt sein (BGH MDR 2016, 210).
610
Wiemer
Versäumnisverfahren
Rz. 5 Kap. 34
M 34.1 Ankündigung des Antrags auf Versäumnisurteil in der Klageschrift
3
(Schlusssatz nach den Anträgen vor Beginn der Klagebegründung oder am Ende der Klagebegründung): Da der Beklagte bereits vorprozessual hinreichend Gelegenheit hatte, den Anspruch des Klägers zu erfüllen, ist der Kläger nicht mehr bereit, weitere Verzögerungen hinzunehmen. Er wird bei Säumnis des – auch anwaltlich vertretenen – Beklagten im schriftlichen Vorverfahren oder im Verhandlungstermin sofort Versäumnisurteil beantragen und weist hierauf schon jetzt ausdrücklich hin.
II. Versäumnisurteil gegen den Beklagten, § 331 ZPO 1. Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren, § 331 Abs. 3 ZPO a) Prozessantrag Hat sich das Gericht dafür entschieden (vgl. § 272 Abs. 2 ZPO), ein schriftliches Vorverfahren (§ 276 4 ZPO) durchzuführen, so kann bereits in diesem Verfahrensabschnitt ohne mündliche Verhandlung ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen (§ 331 Abs. 3 ZPO), wenn dieser nach entsprechender Aufforderung (§ 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und Belehrung über die Folgen (§ 276 Abs. 2 ZPO) nicht innerhalb einer Notfrist von 2 Wochen nach wirksamer Zustellung der Klageschrift (vgl. BGH NJW 2013, 387 m. Anm. Schäfer zur Wirksamkeit der Zustellung der Klageschrift, wenn nicht alle in ihr in Bezug genommenen Anlagen mit zugestellt worden waren, sowie zu dem in diesem Fall ggf. vorliegenden Erlasshindernis nach § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) angezeigt hat, dass er sich gegen die Klage verteidigen wolle. Dies gilt, wenn der Kläger entweder bereits in der Klageschrift (§ 331 Abs. 3 Satz 2 ZPO) oder in einem späteren Schriftsatz, der dem Beklagten nicht vor Erlass des Versäumnisurteils zugestellt oder formlos übermittelt worden sein muss (str.: wie hier KG Berlin NJW-RR 1994, 1344; Musielak/ Voit/Stadler § 331 ZPO Rz. 22; Thomas/Putzo/Reichold § 331 ZPO Rz. 2; Zöller/Herget § 331 ZPO Rz. 12; aA [vorherige Zustellung erforderlich]: OLG München MDR 1980, 235; MüKo.ZPO/Prütting § 331 ZPO Rz. 48), den Erlass des Versäumnisurteils ausdrücklich beantragt hat (s. M 34.2 – also kein Versäumnisurteil von Amts wegen). Um diesbezüglich jedes Verzögerungsrisiko zu vermeiden, sollten dem nachträglichen Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils die für die Zustellung notwendigen Abschriften beigefügt und auf dem Schriftsatz deutlich vermerkt sein: „Sofort von Amts wegen zustellen!“ Natürlich müssen auch im schriftlichen Verfahren die Voraussetzungen des § 331 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO gegeben sein, der Klageantrag muss also durch den – als im Tatsächlichen zugestanden unterstellten – Klägervortrag gedeckt sein, damit Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen kann. Ist das Vorbringen des Klägers im Hinblick auf sein Begehren zur Hauptsache nicht schlüssig, so wird die Klage nicht durch unechtes Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren abgewiesen; das Gericht muss den Kläger vielmehr im Rahmen des § 139 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO auf seine Bedenken hinweisen und Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmen (Zöller/Herget § 331 ZPO Rz. 13; Musielak/Voit/ Stadler § 331 ZPO Rz. 18; Stadler/Jarsumbek JuS 2006, 34, 38). Ist nur das Vorbringen des Klägers zu einer Nebenforderung (zB zum Zinsanspruch) nicht schlüssig, so kann insoweit gem. § 331 Abs. 3 Satz 3 ZPO in zulässiger Durchbrechung des Mündlichkeitsprinzips (§ 128 Abs. 1 ZPO) eine Entscheidung zu Lasten des Klägers im schriftlichen Vorverfahren in dem seiner Hauptforderung stattgebenden Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen, wenn der Kläger auf diese Möglichkeit zuvor hingewiesen worden ist.
Wiemer 611
5
ZPO
M 34.1
ZPO
Kap. 34 Rz. 6
Versäumnisverfahren
M 34.2
6 M 34.2 Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Beklagten im schriftlichen
Vorverfahren An das … gericht in … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum ausreichend) beantragt der Kläger ergänzend zu den Anträgen in der Klageschrift, den Beklagten bei Versäumung der ihm gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO gesetzten Notfrist durch Versäumnisurteil ohne mündliche Verhandlung entsprechend den Klageanträgen zu verurteilen. Gleichzeitig bittet der Kläger, dem Beklagten diesen Schriftsatz sofort von Amts wegen zuzustellen. Die für die Zustellung erforderlichen Überstücke sind in der Anlage beigefügt. Kosten: Anwalt: 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 und 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 (Abs. 1 Nr. 2 der Anmerkung). Das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das vorausgegangene Verfahren sind in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit (§ 342 ZPO). Findet nach zulässigem Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein Einspruchstermin (§ 341a ZPO) statt, fällt die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 an, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der ermäßigten Gebühr Nr. 3105 nicht mehr vorliegen. Ein Rechtsanwalt kann jedoch in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG erneut Gebühren verlangen, wenn er nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, der mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung des Urteils eingelegt worden ist, in dem gerichtlichen Verfahren weiter tätig wird (BGH MDR 2018, 629).
b) Mehrere Beklagte
7 Sind mehrere Beklagte als Streitgenossen verklagt, so ist zu unterscheiden, ob es sich um einfache (§§ 59, 60 ZPO) oder um notwendige Streitgenossen (§ 62 ZPO) handelt: Der Prozess gegen jeden einfachen Streitgenossen (Beispiel: Der Makler verklagt den Verkäufer und den Käufer auf den Maklerlohn, BGH MDR 1991, 222; s. auch Kap. 13 Rz. 56 ff.) ist unabhängig von dem gegen die anderen Streitgenossen. Deshalb kann auch gegen jeden, der nicht rechtzeitig seine Verteidigung angekündigt hat, isoliert vom Schicksal des Prozesses gegen die anderen Streitgenossen Versäumnisurteil beantragt werden. Ergeht irrtümlich gegen den falschen von mehreren Beklagten Versäumnisurteil, kann dies nicht nach § 319 ZPO berichtigt, sondern nur durch Urteil im Einspruchsverfahren aufgehoben werden (OLG Stuttgart NJW-RR 2009, 1364).
8 Gegen notwendige Streitgenossen als Beklagte (Beispiele: Testamentsvollstrecker und Erbe als gemeinsam Verklagte im Fall des § 2213 Abs. 1 Satz 1 BGB; Klage gegen mehrere Miterben auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das zum Nachlass gehörende Grundstück; Klage gegen mehrere Miteigentümer auf Auflassung des gemeinschaftlichen Grundstücks) kann dagegen gem. § 62 Abs. 1 ZPO ein Versäumnisurteil nur ergehen, wenn sie insgesamt säumig sind; einzelne säumige Streitgenossen werden auch gegen ihren Willen durch die nicht säumigen vertreten; sie sind auch dann, wenn sie sich gar nicht verteidigen wollen, weiter am Rechtsstreit zu beteiligen (§ 62 Abs. 2 ZPO). c) Gegenantrag des Beklagten trotz nicht fristgerechter Anzeige der Verteidigungsbereitschaft
9 Hat der Beklagte die Frist des § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstreichen lassen, ohne seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen, so ist dies unschädlich, wenn die entsprechende Ankündigung (M 34.3) noch eingeht, bevor das von allen Richtern unterzeichnete beabsichtigte Versäumnisurteil der Geschäftsstelle übermittelt ist (§ 331 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 ZPO). Das im schriftlichen Vorverfahren erlassene Versäumnisurteil wird nicht verkündet und erlangt seine Wirksamkeit erst, wenn es beiden Par612
Wiemer
M 34.4
Versäumnisverfahren
Rz. 12 Kap. 34
M 34.3 Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nach Fristversäumung
ZPO
teien zugestellt ist, § 310 Abs. 3 Satz 1 ZPO (Thomas/Putzo/Reichold § 331 ZPO Rz. 9; Zöller/Herget § 331 ZPO Rz. 12; zuvor liegt nur ein Entscheidungsentwurf vor, vgl. BGH MDR 2012, 424 für die Situation vor Verkündung). Erst durch die letzte Amtszustellung wird die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt. Eine Zustellung im Parteibetrieb genügt nicht. Eine Heilung nach § 189 ZPO kommt insoweit nicht in Betracht (BGH MDR 2010, 885). Zu einem im schriftlichen Vorverfahren ergangenen, nicht wirksam zugestellten Versäumnisurteil kann eine Vollstreckungsklausel nicht erteilt werden (OLG Koblenz JurBüro 2010, 154), weil der Titel nicht existent ist.
10
In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum ausreichend) bestelle ich mich unter Bezugnahme auf die anliegende Vollmacht für den Beklagten und zeige an, dass der Beklagte sich gegen die Klage verteidigen will. Die kurzfristige Versäumung der dem Beklagten gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO gesetzten Frist bitte ich zu entschuldigen. Der Beklagte war durch seinen bereits seit langer Zeit geplanten Erholungsurlaub gehindert, rechtzeitig einen Anwalt aufzusuchen. In der Sache werde ich beantragen, die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Ich bitte, mir zur Begründung dieses Antrages eine Fristverlängerung bis zum … zu gewähren, da ich noch keine Gelegenheit zur Akteneinsicht hatte. Diesbezüglich beantrage ich, mir die Akten für zwei Wochen auszuhändigen. Kosten: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Ist das unterschriebene Versäumnisurteil bereits der Geschäftsstelle übergeben, aber noch nicht zugestellt, so kann der Beklagte das Wirksamwerden immer noch verhindern, wenn er nunmehr seine Verteidigungsbereitschaft ankündigt und hinsichtlich der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (M 34.4; vgl. MüKo.ZPO/Prütting § 331 ZPO Rz. 46; Zöller/Greger § 276 ZPO Rz. 10a; Zöller/Herget § 331 ZPO Rz. 12). In diesem Fall ist die Zustellung auszusetzen, bis über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden ist; wird Wiedereinsetzung gewährt, so ist der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückzuweisen. Ist das Versäumnisurteil bereits – durch Zustellung – existent geworden, geht der Wiedereinsetzungsantrag ins Leere; es bleibt nur noch der Einspruch, § 338 ZPO (s. auch Kap. 20 Rz. 4 und Kap. 71 Rz. 4).
11
M 34.4 Ankündigung der Verteidigungsbereitschaft und Wiedereinsetzungsantrag
12
In dem Rechtsstreit …/… (Langrubrum) bestelle ich mich unter Bezugnahme auf die anliegende Vollmacht für den Beklagten. Da ich auf der Geschäftsstelle erfahren habe, dass dort bereits das vom Richter unterzeichnete Versäumnisurteil vorliegt, die Zustellung aber noch nicht veranlasst ist, weil die Kanzlei noch die Ausfertigungen erstellt, beantrage ich, dem Beklagten für die Erklärung seiner Verteidigungsbereitschaft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gleichzeitig kündige ich an, dass der Beklagte sich gegen die Klage verteidigen wird. Zur Sache werde ich beantragen, die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Wiemer 613
Kap. 34 Rz. 13
Versäumnisverfahren
M 34.4
ZPO
Zur Begründung meiner Anträge führe ich aus: Der Beklagte hat sich vor 2 Monaten von seiner Ehefrau getrennt und lebt nicht mehr unter der in der Klageschrift angegebenen Adresse, wenngleich er dort noch gemeldet ist, sondern bei seiner Mutter, Frau B., X-Straße …, in … Die Ehefrau des Beklagten hatte die Zustellung der Klageschrift entgegengenommen, aber vergessen, den Brief an den Beklagten weiterzuleiten, obwohl vereinbart war, dass die Ehefrau alle Post umgehend an die neue Anschrift des Beklagten weiterleiten sollte. Erst vor zwei Tagen, als der Beklagte seine Ehefrau aufsuchte, um mit ihr einiges zu besprechen, händigte sie ihm den Brief aus. Zur Glaubhaftmachung füge ich eine eidesstattliche Versicherung des Beklagten bei. Der Beklagte war also ohne sein Verschulden gehindert, seine Verteidigungsbereitschaft gegen die Klage rechtzeitig mitzuteilen. Die Klage ist in der Sache nicht begründet. Der Beklagte schuldet dem Kläger den geltend gemachten Betrag nicht; denn … Anlage 1: Eidesstattliche Versicherung des Beklagten. Kosten: Durch den Wiedereinsetzungsantrag entstehen keine besonderen Gerichts- (§ 1 GKG) und Anwaltsgebühren (§ 15 Abs. 1 RVG).
2. Versäumnisurteil im Verhandlungstermin
13 Erscheint der Beklagte – im Anwaltsprozess: der Prozessbevollmächtigte des Beklagten – trotz ordnungsgemäßer Ladung und ohne hinreichende Entschuldigung für die Verhinderung nicht zum obligatorischen Gütetermin und zum sich unmittelbar anschließenden Haupttermin (§ 279 Abs. 1 Satz 1 ZPO) oder zu einem sonst zur mündlichen Verhandlung bestimmten Termin oder verweigert er im Termin trotz Erscheinens die Verhandlung (§ 333 ZPO), so erlässt, wenn der – rechtzeitig mitgeteilte (§ 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) – Vortrag des Klägers schlüssig im Hinblick auf sein Klagebegehren ist, das Gericht nach Ablauf der gerichtsüblichen Wartezeit (s. Rz. 2) auf Antrag des anwesenden und ordnungsgemäß vertretenen Klägers ein (sog. „echtes“, weil wegen der Säumnis und gegen den Säumigen ergehendes) Versäumnisurteil gegen den Beklagten. Der Antrag muss trotz § 297 Abs. 1 ZPO – der für Prozessanträge nicht gilt – nicht vorher schriftlich angekündigt sein, kann also in der Verhandlung zu Protokoll erklärt werden. Der Vorsitzende kann dies im Hinblick auf § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht verweigern.
14 Ist auch der Kläger im Termin nicht anwesend oder verweigert er ebenfalls die Verhandlung zur Sache, kann ein Versäumnisurteil nicht ergehen. Bei beiderseitiger Säumnis (schon) in der Güteverhandlung hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 278 Abs. 4 ZPO), ohne dass es zu einer mündlichen Verhandlung kommt, wie es in § 279 Abs. 1 Satz 2 ZPO für den Fall der Säumnis nur einer Partei vorgesehen ist. Bei beiderseitiger Säumnis in der mündlichen Verhandlung kann das Gericht entweder nach Lage der Akten entscheiden (§ 251a Abs. 1 ZPO, durch Urteil allerdings nur unter den Voraussetzungen des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO; s. auch Kap. 35), unter den dort genannten Voraussetzungen die Verhandlung nach § 227 ZPO vertagen oder nach § 251a Abs. 3 ZPO das Ruhen des Verfahrens anordnen.
15 Verhandelt der Beklagte – oder auch der Kläger – nur „teilweise“, ist der Erlass eines Teilversäumnisurteils nur zulässig, wenn das Nichtverhandeln einen teilurteilsfähigen Teil des Verfahrens betrifft (BGH MDR 2001, 1371; MüKo.ZPO/Prütting § 333 ZPO Rz. 11; Zöller/Herget § 333 ZPO Rz. 3); andernfalls handelt es sich um ein unvollständiges Verhandeln iS des § 334 ZPO, das dem Erlass eines streitigen Urteils über den gesamten nicht teilurteilsfähigen Teil des Verfahrens nicht entgegensteht und dessen prozessuale Folgen sich nach allgemeinen Vorschriften beurteilen (vgl. §§ 138 Abs. 3, 286, 296, 427, 439 Abs. 3, 446, 453, 454, 510, 530 ZPO und MüKo.ZPO/Prütting § 334 ZPO Rz. 3).
614
Wiemer
Versäumnisverfahren
Rz. 20 Kap. 34
a) Stufenklage Ist Stufenklage (§ 254 ZPO) erhoben (zB Auskunft – eidesstattliche Versicherung – Zahlung; s. auch 16 Kap. 15 Rz. 80 ff.), so kann die Klage, wenn der Beklagte im Termin nicht erscheint, zwar durch sog. „unechtes“ (weil nicht gegen den Säumigen gerichtetes) Versäumnisurteil insgesamt – also auch schon der noch nicht bezifferte Zahlungsantrag – als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden, wenn das Gericht das Vorbringen des Klägers als bereits insgesamt nicht schlüssig ansieht (OLG Stuttgart NJW-RR 1990, 766; Zöller/Greger § 254 ZPO Rz. 16). Zu Lasten des Beklagten ist aber immer sukzessiv Stufe für Stufe zu verhandeln und zu entscheiden, und Versäumnisurteil entsprechend dem Antrag der nächsten Stufe kann jeweils erst ergehen, wenn die vorhergehende Stufe – regelmäßig durch Teilurteil – bereits erledigt ist (Zöller/Herget § 331 ZPO Rz. 9). Das gilt auch für das schriftliche Vorverfahren (§ 331 Abs. 3 ZPO), wenn der Beklagte insgesamt keine Verteidigungsbereitschaft signalisiert. b) Widerklage Hatte der Beklagte in seiner – dem Kläger insoweit zumindest nach § 195 ZPO zugestellten (vgl. hier- 17 zu §§ 195 Abs. 1 Satz 2, 261 Abs. 2 ZPO sowie Zöller/Greger § 253 ZPO Rz. 21 und Zöller/Schultzky § 195 ZPO Rz. 8) – Klageerwiderung die Erhebung einer Widerklage angekündigt, erscheint er aber dann nicht zum Termin, kann der Kläger sowohl Versäumnisurteil gem. § 331 ZPO hinsichtlich seines eigenen Klageantrages als auch Versäumnisurteil gem. § 330 ZPO (s. Rz. 19) hinsichtlich der Widerklage beantragen. Erscheint umgekehrt der Kläger nicht zum Termin, kann der Beklagte hinsichtlich der Klage Versäum- 18 nisurteil gem. § 330 ZPO und hinsichtlich seiner Widerklage, soweit sie nachweislich zugestellt und die den Kläger schützenden Fristen (§ 217 – Ladungsfrist – iVm. § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; § 132 Abs. 1 Satz 1 – Frist für vorbereitende Schriftsätze – iVm. § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO; nicht dagegen die Einlassungsfrist gem. § 274 Abs. 3 ZPO, vgl. Zöller/Greger § 274 ZPO Rz. 4; MüKo.ZPO/Prütting § 274 ZPO Rz. 10; Musielak/Voit/Foerste § 274 ZPO Rz. 3) gewahrt sind, Versäumnisurteil gem. § 331 ZPO beantragen (Zöller/Herget § 330 ZPO Rz. 8).
III. Versäumnisurteil gegen den Kläger, § 330 ZPO 1. Echtes und unechtes Versäumnisurteil Erscheint der Kläger nicht zum Verhandlungstermin oder stellt er dort keinen Antrag, so ist er auf Antrag des Beklagten mit der Klage durch Versäumnisurteil abzuweisen (§ 330 ZPO), wenn seine Klage zulässig war. Dieses Versäumnisurteil wird allgemein als „echtes“ (weil auf der Säumnis beruhendes und gegen den Säumigen ergehendes) Versäumnisurteil bezeichnet. War die Klage dagegen unzulässig, wird sie auch bei Säumnis des Klägers durch kontradiktorisches Urteil (sog. „unechtes“, weil nicht auf der Säumnis beruhendes Versäumnisurteil) abgewiesen (BGH GRUR-RR 2001, 48; NJW-RR 1986, 1041; Zöller/Herget vor § 330 ZPO Rz. 11).
19
Erscheint der Beklagte nicht zum Termin oder verhandelt er dort nicht, beantragt der Kläger darauf- 20 hin Versäumnisurteil, ist das Gericht aber der Auffassung, die Klage sei schon aufgrund des Vorbringens des Klägers nicht zulässig oder nicht begründet, so weist es seine Klage ebenfalls durch kontradiktorisches Endurteil ab. Dieses kontradiktorische Urteil gegen den Kläger, das im Gegensatz zum echten Versäumnisurteil die Instanz beendet und das deshalb mit der Berufung angefochten werden muss, wird allgemein als „unechtes“ Versäumnisurteil bezeichnet, obwohl es im technischen Sinne gar kein Versäumnisurteil ist; denn die Säumnis ist auf die Entscheidung ohne Einfluss. Im schriftlichen Vorverfahren kann kein „unechtes“ Versäumnisurteil gegen den Kläger ergehen, es sei denn, die Unschlüssigkeit der Klage betrifft nur ein Nebenforderung (s. Rz. 5). Wiemer 615
ZPO
3. Sonderfälle
Kap. 34 Rz. 21
Versäumnisverfahren
M 34.5
ZPO
2. Prozessantrag
21 Auch das „echte“ Versäumnisurteil gegen den Kläger wird nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Beklagten erlassen. Da es sich um einen Prozess-, nicht um einen Sachantrag handelt, gilt § 297 Abs. 1 Satz 1 ZPO (wie auch § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, vgl. BGH MDR 2010, 1340) nicht. Der Beklagte muss also seinen Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Kläger, wenn dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen oder verhandeln sollte, vorher nicht schriftlich ankündigen. Der Vorsitzende kann sich im Hinblick auf § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO trotz § 297 Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht weigern, den Antrag zu Protokoll erklären zu lassen. Beantragt der Beklagte nur „Klageabweisung“ ohne den Hinweis, dass dies im Wege des Versäumnisurteils geschehen solle, ist sein Antrag dann dahin auszulegen, dass auch Versäumnisurteil beantragt werde, wenn nicht auch die Voraussetzungen des § 251a Abs. 2 ZPO für ein Urteil nach Lage der Akten erfüllt sind (BGH MDR 1962, 557).
22 M 34.5 Antrag des Beklagten auf Versäumnisurteil gegen den Kläger Ich beantrage für den Beklagten, die Klage durch Versäumnisurteil abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Kosten: Es gelten keine kostenrechtlichen Besonderheiten. Für die Wahrnehmung des Termins erhält der Anwalt im Falle der Säumnis des Klägers eine 0,5-Terminsgebühr (Nr. 3105 VV RVG).
3. Gegenantrag und Gegenmaßnahmen des Klägers
23 Ist der im Termin erschienene Kläger nicht verhandlungsbereit (§ 333 ZPO), will er aber den Erlass eines Versäumnisurteils vermeiden, obwohl diesem kein Hindernis nach § 335 ZPO entgegensteht, kann er versuchen, zwingende Gründe für eine Vertagung gem. § 227 ZPO vorzutragen (§ 337 ZPO ist auch im Falle des § 333 ZPO anwendbar, wenn die im Nichtverhandeln liegende Säumnis entschuldigt ist: BGH MDR 2016, 1108; Zöller/Herget § 337 ZPO Rz. 1), und neben dem Vertagungsantrag einen Verfahrensantrag stellen, den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückzuweisen.
24 Ferner sollte er beantragen, über seinen Vertagungsantrag zunächst zu entscheiden, damit er im Falle der Zurückweisung sein weiteres prozessuales Vorgehen überdenken kann. Je nach der Begründung der Zurückweisung des Vertagungsantrages kann im Einzelfall nun Anlass bestehen, die Richter wegen Befangenheit abzulehnen (OLG Karlsruhe MDR 1991, 1195; OLG Schleswig NJW 1994, 1227; Zöller/G. Vollkommer § 42 ZPO Rz. 23; s. auch Kap. 22 Rz. 12 ff.). Der Antrag hindert für die Zeit bis zu seiner Verbescheidung zwar den Erlass einer Sachentscheidung im Wege des Versäumnisurteils, jedoch nicht die Fortsetzung des Termins (§ 47 Abs. 2 ZPO). Erfolg wird der Befangenheitsantrag nur haben, wenn die Gründe für eine Vertagung offensichtlich vorliegen (so BGH NJW 2006, 2492; OLG Frankfurt NJW 2009, 1007). Hat der Antrag keinen Erfolg, ergeht das Versäumnisurteil nach Zurückweisung des Befangenheitsantrags, ohne dass dem eine hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde entgegensteht (OLG Düsseldorf r+s 2008, 535).
25 K
Praxistipp: Entsprechende Gegenmaßnahmen kann selbstverständlich auch der Beklagte ergreifen, wenn er nicht verhandlungsbereit ist.
26 Ist der Kläger zum Termin nicht erschienen, wurde aber das Versäumnisurteil nicht sogleich verkündet, sondern ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt, kann der Kläger versuchen, das dem Gericht bislang nicht bekannte Vorliegen der Voraussetzungen des § 337 ZPO darzulegen, etwa, dass er den Termin ohne Verschulden nicht wahrnehmen, das Gericht aber auch nicht rechtzeitig verständigen konnte. Liegt das Erlasshindernis des fehlenden Verschuldens nach § 337 616
Wiemer
M 34.6
Versäumnisverfahren
Rz. 29 Kap. 34
M 34.6 Antrag auf Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils
ZPO
ZPO vor, darf kein Versäumnisurteil ergehen. Der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils muss dann durch Beschluss (vgl. § 336 Abs. 1 ZPO) zurückgewiesen und Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt werden.
27
In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum ausreichend) beantrage ich für den Beklagten, den Antrag des Klägers auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückzuweisen und neuen Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen. Zur Begründung führe ich aus: Der Beklagte war im gestrigen Termin zur mündlichen Verhandlung nicht säumig. Der Unterzeichner und der Beklagte hatten sich um … Uhr, also eine Stunde vor Verhandlungsbeginn, im Büro des Unterzeichners verabredet, um die Sache noch einmal durchzusprechen und dann den 10-minütigen Fußweg von der Kanzlei zum Gericht gemeinsam zum Termin zu gehen. Infolge von Bauarbeiten auf der Straße vor der Kanzlei kam es um … Uhr zu einem totalen Stromausfall in der Kanzlei. Alle Computer stürzten ab. Der Unterzeichner bemühte sich verständlicherweise zunächst, die Ursache für den Stromausfall zu erfragen und um sofortige Abhilfe zu bitten sowie in seinem Büro die notwendigen Weisungen für diesen Unglücksfall zu geben. Um …, also 5 Minuten nach der festgesetzten Terminsstunde, informierte der Unterzeichner telefonisch die Geschäftsstelle des Gerichts von diesem Sachverhalt und bat, die Mitteilung an den Richter weiterzuleiten und diesen und den Kollegen auf Klägerseite um eine 20-minütige Vertagung zu bitten. Als der Unterzeichner dann um …, also 25 Minuten nach der festgesetzten Terminsstunde in den Sitzungssaal kam, traf er dort nur noch die Protokollführerin an. Sie erklärte, der Gegner habe es abgelehnt zu warten und habe Versäumnisurteil beantragt. Das Gericht habe daraufhin Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den nächsten Montag bestimmt. Da es die letzte Sache am Sitzungstag gewesen sei, sei der Richter dann gegangen. Der Unterzeichner, der innerhalb der gerichtsüblichen Wartefrist von 15 Minuten nach der festgesetzten Terminsstunde, bei Gericht angerufen hat, konnte fest darauf vertrauen, dass das Gericht und der Gegner seine besondere Notsituation, die auch nicht vorhersehbar war, berücksichtigen würden. Er war innerhalb der von ihm angekündigten 20 Minuten im Gerichtssaal. Das Gericht wird daher gebeten, nach § 337 ZPO zu verfahren. Kosten: Es gelten keine kostenrechtlichen Besonderheiten.
4. Sonderfälle a) Stufenklage Anders als bei einer Säumnis des Beklagten (s. Rz. 16) kann bei Säumnis des Klägers sogleich über alle Stufen entschieden und die Klage insgesamt abgewiesen werden.
28
b) Widerklage § 330 ZPO gilt auch für Widerklagen des Beklagten. Bei Säumnis des Beklagten kann also nicht nur 29 der Klage gegen ihn gem. § 331 ZPO stattgegeben, sondern auch seine Widerklage gem. § 330 ZPO abgewiesen werden (s. Rz. 17). Umgekehrt kann bei Säumnis des Klägers dessen Klage gem. § 330 ZPO abgewiesen und der Widerklage des Beklagten gem. § 331 ZPO stattgegeben werden (s. Rz. 18).
Wiemer 617
Kap. 34 Rz. 30
M 34.7
Versäumnisverfahren
ZPO
IV. Sofortige Beschwerde bei Ablehnung des Erlasses des Versäumnisurteils 30 Wird der Antrag auf Erlass eines echten Versäumnisurteils ausdrücklich oder inzident durch Erlass eines Vertagungsbeschlusses (OLG Hamm NJW-RR 1991, 703; Zöller/Herget § 336 ZPO Rz. 1) abgelehnt, so steht dem Antragsteller hiergegen die sofortige Beschwerde gem. §§ 336 Abs. 1 Satz 1, 567 ff. ZPO zu. Die Zweiwochenfrist beginnt mangels anderweitiger Bestimmung in § 336 erst mit der Zustellung dieses Beschlusses (§ 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dieser Fristbeginn gilt auch für verkündete Beschlüsse (Zöller/Heßler § 569 ZPO Rz. 4); s. hierzu auch Kap. 69 Rz. 28.
31 M 34.7 Sofortige Beschwerde bei Ablehnung des Erlasses des Versäumnisurteils An das … gericht in … In dem Rechtsstreit des … – Kläger – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt … gegen den … – Beklagter – Prozessbevollmächtigter: … lege ich hiermit gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom …, durch den der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils abgelehnt wurde, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führe ich aus: Das … gericht hat den angefochtenen Beschluss damit begründet, der Kläger habe dem Beklagten den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zuvor nicht angekündigt. Diese Begründung rechtfertigt die Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils nicht. Es ist allein Sache des Unterzeichners und des Klägers, ob er die unter Rechtsanwälten üblichen Gepflogenheiten beachtet oder nicht. Das Gericht hat sich ausschließlich an den Vorschriften der ZPO zu orientieren, die eine entsprechende Regelung nicht kennt. Der Kläger war im Übrigen auch nach den gängigen Gepflogenheiten berechtigt, Versäumnisurteil zu beantragen, da der Beklagte den Rechtsstreit ganz offensichtlich nur verzögern will. Schon vorprozessual hat der Beklagte alles getan, um den Kläger von einer Klageerhebung abzuhalten, aber dann keine seiner Ratenzahlungsversprechungen eingehalten. Der Beklagte war im Termin trotz ordnungsgemäßer Ladung säumig. Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich; sie wurden bis heute nicht vorgetragen. Es wird beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, damit das Amtsgericht zur Nachholung des Erlasses des Versäumnisurteils von Amts wegen unverzüglich einen neuen Termin ohne Ladung des Beklagten anberaumen kann, in dem der Kläger den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils wiederholen wird. Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1812 KV GKG, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG und ggf. 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3513 VV RVG.
618
Wiemer
Versäumnisverfahren
Rz. 35 Kap. 34
Der säumige Gegner wird am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt. Hat die Beschwerde Erfolg, er- 32 lässt nicht das Beschwerdegericht selbst das Versäumnisurteil, sondern gibt die Sache an das Ausgangsgericht zurück, das von Amts wegen Termin bestimmt, in dem der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils erneut gestellt werden muss. Zu diesem Termin ist der Säumige nicht zu laden (§ 336 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Wird der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils nicht wiederholt oder erscheint (auch) der Gegner der säumigen Partei nicht, so kann, wenn die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, Entscheidung nach Aktenlage gem. § 251a Abs. 1 ZPO ergehen, ansonsten ist neuer Termin zu bestimmen, zu dem nunmehr auch der Säumige zu laden ist. Erscheint der Säumige schon im ersten Termin, zu dem er nicht geladen wurde, ist, wenn er verhandlungsbereit ist, letztlich aus prozessökonomischen Gründen streitig zu verhandeln. Es ergeht also kein Versäumnisurteil gegen die ursprünglich einmal säumige, nunmehr aber anwesende und verhandlungsbereite Partei (OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 506; MüKo.ZPO/Prütting § 336 ZPO Rz. 6; Thomas/Putzo/Reichold § 336 ZPO Rz. 1; Zöller/Herget § 336 ZPO Rz. 3). Das Vorstehende zeigt, dass der Anwalt der säumigen Partei, auch wenn zunächst kein Versäumnisurteil ergangen ist, sich ständig über den Fortgang des Verfahrens informieren muss (Wurde Beschwerde eingelegt? Wie wurde über sie entschieden? Wann ist der Termin, zu dem er selbst nicht geladen wird?), um von der Partei Schaden abzuwenden und Haftungsrisiken auszuschließen.
V. Versäumnisurteil in der Berufungsinstanz Das Versäumnisverfahren findet in allen Instanzen statt (§§ 539, 555 ZPO). Bei der Antragstellung ebenso wie bei der Tenorierung der gerichtlichen Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass bereits ein Urteil vorliegt, das als Vollstreckungstitel geeignet ist. Die Möglichkeit eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren nach § 276 Abs. 1 und 2 ZPO besteht in den Rechtsmittelinstanzen nicht (vgl. § 521 Abs. 2 ZPO).
33
1. Versäumnisurteil gegen den Berufungsbeklagten Nach § 539 Abs. 2 ZPO ist im Falle der Säumnis des Berufungsbeklagten im Termin auf Antrag des Berufungsklägers (unabhängig davon, ob es sich um den Kläger oder den Beklagten erster Instanz handelt) Versäumnisurteil entsprechend dem Berufungsantrag zu erlassen, wenn sein zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gemachtes Vorbringen erster und zweiter Instanz (ohne Berücksichtigung eines etwa für den Berufungskläger ungünstigen Beweisergebnisses erster Instanz; BGH WM 1979, 784; Musielak/Voit/Ball § 539 ZPO Rz. 8) diesen Antrag rechtfertigt (zur Schlüssigkeitsprüfung in der Berufungsinstanz: Musielak/Voit/Ball § 539 ZPO Rz. 7). Rechtfertigt das Vorbringen des Berufungsklägers den Berufungsantrag nicht oder ist die Berufung bereits unzulässig, so ist sie durch unechtes Versäumnisurteil zurückzuweisen bzw. als unzulässig zu verwerfen (Zöller/Heßler § 539 ZPO Rz. 14).
34
M 34.8 Antrag auf Versäumnisurteil gegen den Berufungsbeklagten1
35
Ich beantrage, den Beklagten im Wege des Versäumnisurteils in Abänderung des angefochtenen Urteils entsprechend dem Antrag in der Berufungsbegründung zu verurteilen. oder: Ich beantrage, das angefochtene Urteil im Wege des Versäumnisurteils abzuändern und die Klage abzuweisen.
Wiemer 619
ZPO
M 34.8
ZPO
Kap. 34 Rz. 36
Versäumnisverfahren
M 34.8
Kosten: Keine kostenrechtlichen Besonderheiten; der Anwalt erhält die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV RVG, weil die Ermäßigung nach Nr. 3203 nur gilt, wenn der Berufungskläger nicht erschienen oder ordnungsgemäß vertreten ist. 1 Der Antrag kann so im Termin vor dem Berufungsgericht in das Protokoll diktiert werden, wenn der Berufungsbeklagte im Termin säumig ist.
2. Versäumnisurteil gegen den Berufungskläger
36 Ist der Berufungskläger säumig (§ 539 Abs. 1 ZPO), so wird auf Antrag des Berufungsbeklagten seine Berufung, soweit sie zulässig war, durch (echtes) Versäumnisurteil zurückgewiesen, soweit sie bereits unzulässig war, durch unechtes Versäumnisurteil verworfen (OLG Brandenburg NJW-RR 1998, 1678).
VI. Einspruch gegen das Versäumnisurteil 37 Gegen das erste – echte – Versäumnisurteil (s. Rz. 19), unabhängig davon, in welcher Instanz es erlassen wurde (zum sog. zweiten Versäumnisurteil s. Rz. 50), steht dem Säumigen gem. § 338 ZPO nur der Rechtsbehelf des Einspruchs zu, nicht die Berufung oder die Revision. Dies gilt auch, wenn der Säumige der Ansicht ist, dass das Urteil zu Unrecht als Versäumnisurteil erlassen worden sei, weil er nicht säumig gewesen sei oder weil ein Erlasshindernis bestanden habe, und dass es deshalb als kontradiktorisches Urteil zu behandeln sei. Der sog. Meistbegünstigungsgrundsatz (vgl. Zöller/Heßler vor § 511 ZPO Rz. 30; Thomas/Putzo/Reichold Vorbem § 511 ZPO Rz. 6 ff.), der eine Abweichung der formalen Ausgestaltung vom Inhalt der Entscheidung voraussetzt, kommt deshalb nicht zur Anwendung, weil auch eine rechtsfehlerhafte Entscheidung durch Versäumnisurteil ohne zusätzliche vom Gericht geschaffene Verlautbarungsdefizite (so zB bei einem – trotz der in § 313b Abs. 1 ZPO vorgesehenen Möglichkeit – mit Gründen versehenen „Versäumnisurteil“, das die Klage als unzulässig abweist) keine objektive Unsicherheit der betroffenen Partei über die Art des statthaften Rechtsbehelfs begründet. Wird trotz Säumnis des Klägers prozessordnungswidrig durch kontradiktorisches Urteil entschieden, obwohl nur ein Versäumnisurteil hätte erlassen werden dürfen, hat der Kläger hiergegen demzufolge nur das Rechtsmittel der Berufung, wobei die Möglichkeit erwogen wird, den Rechtsstreit entsprechend § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO zur Durchführung des Einspruchsverfahrens an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen (BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf/Toussaint § 338 ZPO Rz. 4.1; OLG Stuttgart NJOZ 2013, 1546). Der Einspruch belässt den Rechtsstreit in der Instanz, in der das Versäumnisurteil erging und stellt damit kein Rechtsmittel dar (fehlender Devolutiveffekt). Ist er zulässig (also statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt; § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO), wird der Rechtsstreit in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Da über § 342 ZPO mit den Folgen der Säumnis auch die Wirkungen der Prozesshandlungen der anwesenden Partei beseitigt werden (vgl. Thomas/Putzo/Reichold § 342 ZPO Rz. 2; BGH NJW 1993, 861), kann zB der Beklagte, auf dessen Antrag hin ein klageabweisendes Versäumnisurteil ergangen war, in der aufgrund des Einspruchs des Klägers anberaumten mündlichen Verhandlung die fehlende örtliche/sachliche Zuständigkeit des Gerichts rügen, obwohl in dem auf Erlass eines klageabweisenden („echten“) Versäumnisurteils (= Sachurteil) gerichteten Antrag ein rügeloses Verhandeln iS des § 39 Satz 1 ZPO lag. Die säumige Partei kann das Versäumnisurteil auch teilweise hinnehmen und den Einspruch auf einen Teil beschränken. In diesem Fall muss die Einspruchsschrift den Umfang der Anfechtung genau bezeichnen (§ 340 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
38 Gegen unechte Versäumnisurteile (s. Rz. 20) hat der Betroffene das Rechtsmittel, das ihm gegen kontradiktorische Endurteile dieser Instanz allgemein zusteht (Berufung, Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision).
620
Wiemer
M 34.9
Versäumnisverfahren
Rz. 41 Kap. 34
Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils (§ 339 Abs. 1 ZPO), selbst wenn die auch im Falle anwaltlicher Vertretung nicht entbehrliche Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist (vgl. hierzu und zur Möglichkeit der Wiedereinsetzung: §§ 232 Satz 1 und 2, 233 Satz 2 ZPO). Ist das Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren gem. § 331 Abs. 3 Satz 1 erlassen worden, beginnt die Frist erst mit der Zustellung an beide Parteien (BGH MDR 2010, 885). Ist das Versäumnisurteil an eine unerkannt prozessunfähige Partei zugestellt worden, ist es in Anbetracht der Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage bei mangelhafter Vertretung einer Partei (§§ 578 Abs. 1, 579 Abs. 1 Nr. 4, 586 Abs. 3, 584 Abs. 2 ZPO) und des Gebots der Rechtssicherheit ausnahmsweise nicht unwirksam. Der später bestellte Betreuer muss vielmehr – innerhalb der Jahresfrist des § 234 Abs. 2 ZPO – Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragen oder Nichtigkeitsklage erheben (BGH MDR 2014, 856; MDR 2008, 762). Die Wiedereinsetzung kann auch noch vom Revisionsgericht im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens ausgesprochen werden (BGH WuM 2008, 155). Bei Zustellung im Ausland oder durch öffentliche Bekanntmachung bestimmt das Gericht die Einspruchsfrist (§ 339 Abs. 2 ZPO). Im Arbeitsgerichtsprozess beträgt die Frist abweichend vom Zivilprozess nur eine (!) Woche (§ 59 Satz 1 ArbGG).
39
2. Einspruchsschrift Der Einspruch wird durch Einreichung einer ordnungsgemäß eigenhändig unterzeichneten (BGH 40 MDR 1987, 930) oder als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur erstellten (§ 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO) Einspruchsschrift (der Schriftsatz muss nicht so bezeichnet sein, wenn das Gewollte bis zum Ablauf der Einspruchsfrist für das Gericht und den Gegner deutlich wird: BGH NJW 1999, 2125) eingelegt (§ 340 ZPO), die der Gegenpartei zuzustellen ist (§ 340a Satz 1 ZPO). Die zur Zustellung erforderlichen Überstücke sollen mit der Einspruchsschrift eingereicht werden (§ 340a Satz 3 ZPO), es sei denn, diese ist als elektronisches Dokument übermittelt worden (§ 340a Satz 4 ZPO). Die Einspruchsschrift hat nicht nur das Versäumnisurteil und den Umfang der Anfechtung genau zu bezeichnen (§ 340 Abs. 2 ZPO), sondern, da die Partei schon durch ihre Säumnis den Rechtsstreit verzögert hat, auch alle diejenigen Erklärungen, Anträge und Ausführungen zu enthalten, die nach der Prozesslage von einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung zu erwarten sind (§ 340 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Diesen Anforderungen genügt ein in Unkenntnis des Versäumnisurteils verfasster Schriftsatz nicht, der nach Erlass des Versäumnisurteils bei Gericht eingeht und in dem als verspätete Reaktion auf die Klageschrift zwar die Verteidigungsbereitschaft angezeigt, nicht aber das Versäumnisurteil bezeichnet (§ 340 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) wird (OLG Köln NJW-RR 2002, 1231; MüKo.ZPO/Prütting § 340 ZPO Rz. 7; aA OLG Braunschweig FamRZ 1995, 237).
M 34.9 Einspruch gegen das Versäumnisurteil
41
An das … gericht in … In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum ist nicht erforderlich) lege ich hiermit für den Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom …, dem Beklagten zugestellt am …, Einspruch ein. Ich beantrage, 1. das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen 2. die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil einstweilen gem. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einzustellen.
Wiemer 621
ZPO
1. Einspruchsfrist
Kap. 34 Rz. 42
Versäumnisverfahren
M 34.10
ZPO
Zur Begründung führe ich aus: Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Der Beklagte befand sich nicht mit der Fertigstellung des Pkws des Klägers in Verzug, als der Kläger den Pkw vom Werkshof des Beklagten abholen und zur Firma F fahren ließ. Der Beklagte hatte dem Kläger schon bei Auftragserteilung mitgeteilt, dass die Reparatur wegen der Beschaffung von Ersatzteilen mindestens drei Wochen dauern werde. Der Kläger war hiermit einverstanden. Beweis: Zeugnis des …, zu laden bei dem Beklagten. Offensichtlich hat sich der Kläger dann nach einer Woche anders besonnen und den Pkw in die erheblich teurere Werkstatt F gebracht. Den deutlichen Mehrpreis für die Reparatur hat sich der Kläger selbst zuzuschreiben. Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist gem. § 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO veranlasst, weil das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist. Die beklagte Partei war an der Wahrnehmung des Termins am … ohne ihr Verschulden gehindert. Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Umständen: … Es bestand somit ein gesetzliches Erlasshindernis, das zur Vertagung der Verhandlung hätte führen müssen (§ 337 ZPO). Kosten: Der Einspruch und das Verfahren über den Einspruch haben keinen Einfluss auf die Kosten; der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
42 Da die Partei uU wegen der Kürze der Einspruchsfrist nicht in der Lage ist, alles Erforderliche bereits in der Einspruchsschrift abschließend auszuführen, eröffnet § 340 Abs. 3 Satz 2 ZPO auf Antrag die Möglichkeit, nach Fristverlängerung durch den Vorsitzenden die nach Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlichen Angaben in einem zweiten Schriftsatz nachzutragen. Die innerhalb der gesetzlichen Notfrist eingereichte Einspruchsschrift kann sich dann auf den Inhalt des Abs. 2 beschränken. Dem Antrag ist nur stattzugeben, wenn die Verlängerung der Begründungsfrist nach der freien Überzeugung des Vorsitzenden den Rechtsstreit nicht verzögert oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt. Der Antrag der Partei muss deshalb entsprechende Ausführungen zur Notwendigkeit der Fristverlängerung enthalten.
43 M 34.10 Einspruch und Antrag auf Fristverlängerung An das … gericht in … In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum nicht erforderlich) lege ich für den Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom …, dem Beklagten zugestellt am …, Einspruch ein. Gleichzeitig beantrage ich für den Beklagten, 1. die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil gem. §§ 719, 707 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, 2. die Frist zur Begründung des Einspruchs bis zum … zu verlängern. Der Beklagte, der alleinstehend ist, befand sich nach einem Autounfall vom … bis … im Krankenhaus. Infolge der bei dem Unfall erlittenen Gehirnerschütterung war dem Beklagten der Gerichtstermin entfallen, und er konnte deshalb das Gericht nicht von seiner Verhinderung benachrichtigen. Beweis: anliegendes Attest des St. Anna-Krankenhauses in X. Bei seiner gestrigen Rückkehr aus dem Krankenhaus fand er zu Hause die Unterlagen über den Rechtsstreit und hat sofort das Büro des Unterzeichners aufgesucht. Der Unterzeichner befand sich bei einem auswär-
622
Wiemer
M 34.10
Versäumnisverfahren
Rz. 45 Kap. 34
ZPO
tigen Ortstermin. Der Beklagte hat sein Anliegen sodann im Büro des Unterzeichners auf Band gesprochen. Beweis: Zeugnis der Bürovorsteherin Frau X, zu laden beim Unterzeichner. Der Unterzeichner kann wegen zahlreicher anderer Termine erst nächste Woche einen Besprechungstermin mit dem Beklagten durchführen und danach die Einspruchsbegründung formulieren. Deshalb ist die beantragte Verlängerung der Einspruchsbegründungsfrist vonnöten. Kosten: s. Anm. zu M 34.9.
Nach einem zulässigen Einspruch ist erneut zur Hauptsache zu verhandeln (§ 341a ZPO). § 340 44 Abs. 3 Satz 1 ZPO ermöglicht es, zur Vorbereitung dieses unverzüglich anzuberaumenden (vgl. §§ 216 Abs. 2, 272 Abs. 3 und Abs. 4 ZPO) neuen Termins auch neu vorzutragen. Die Verspätungsvorschriften der §§ 296, 530, 531 ZPO stehen der Berücksichtigung dieses neuen Vortrags nicht generell entgegen (Zöller/Herget § 340 ZPO Rz. 7; Thomas/Putzo/Reichold § 340 ZPO Rz. 9), da das Gericht im Rahmen des Zumutbaren das rechtzeitig innerhalb der Einspruchsfrist Vorgebrachte berücksichtigen und alles ihm Mögliche veranlassen muss, um die Folgen der Fristversäumung wieder auszugleichen. Hierzu gehört auch die Anhörung von Zeugen im Rahmen des vorgegebenen Terminrahmens (BVerfG NJW-RR 1995, 1469; BGH MDR 1980, 574). Es besteht aber keine Pflicht zur späteren Terminierung, wenn (nur) in einem etwas späteren Termin die benannten Zeugen zwanglos vernommen werden könnten (BGH NJW 1981, 286). Deshalb kann die „Flucht in die Säumnis“ (Zöller/Greger § 296 ZPO Rz. 40; MüKo.ZPO/Prütting § 340 ZPO Rz. 23 ff.) der Partei, die zunächst infolge verspäteten Vorbringens an § 296 ZPO zu scheitern drohte, die Möglichkeit eröffnen, verspäteten Vortrag und verspätete Beweisantritte doch noch berücksichtigungsfähig nachzuholen. Ein solches Vorgehen muss jedoch vorab – auch im Hinblick auf die genannten Einschränkungen – prozessrechtlich genauesten durchdacht werden und setzt die Inkaufnahme der auch im Falle des späteren Obsiegens notwendigen Übernahme der durch die Säumnis verursachten Kosten (§ 344 ZPO) voraus. 3. Anpassung der Sachanträge Im neuen Verhandlungstermin sind die Anträge zur Sache zu wiederholen und der neuen Situation im Hinblick auf das bereits vorhandene vollstreckbare Versäumnisurteil nach Maßgabe des § 343 ZPO anzupassen. Schwierigkeiten können dabei im Fall der nach Erlass des Versäumnisurteils erfolgten (zulässigen) Klageänderung entstehen, weil hier von einer „Übereinstimmung“ bzw. „Nichtübereinstimmung“ iS des § 343 ZPO ggf. nur bei einer Entscheidung über denselben Streitgegenstand gesprochen werden kann. Bei unterschiedlichen Streitgegenständen bietet sich an, die Verurteilung gemäß der geänderten Klage und eine Kostenentscheidung zum Nachteil des Beklagten zu beantragen. Einer Aufhebung des Versäumnisurteils bedarf es in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO nicht, sie wäre auf Antrag (§ 269 Abs. 4 ZPO) möglich, aber lediglich deklaratorisch (vgl. zur Thematik: Rinze DRiZ 1995, 106). Gemäß § 297 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind diese Anträge in den den neuen Termin vorbereitenden Schriftsätzen vorzuformulieren.
Wiemer 623
45
ZPO
Kap. 34 Rz. 46
Versäumnisverfahren
M 34.11
46 M 34.11 Anpassung der Anträge für die neue Verhandlung nach Einspruch Ich beantrage, das Versäumnisurteil vom … aufrechtzuerhalten, dem Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Oder: Ich beantrage, das Versäumnisurteil vom … aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst … % Zinsen hieraus seit dem … zu zahlen, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Oder: Ich beantrage, das Versäumnisurteil vom … aufzuheben und die Klage abzuweisen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Oder: Ich beantrage, das Versäumnisurteil vom … aufrechtzuerhalten und den Beklagten darüber hinaus zu verurteilen, an den Kläger weitere … Euro nebst … % Zinsen hieraus seit dem … zu zahlen, dem Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Oder: Ich beantrage, das Versäumnisurteil vom … aufzuheben, soweit der Beklagte verurteilt wurde, mehr als … Euro nebst … % Zinsen hieraus an den Kläger zu zahlen.
4. Rechtsmittel bei Verwerfung des Einspruchs
47 Das Gericht hat die Zulässigkeit des Einspruchs von Amts wegen zu prüfen (§ 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es muss die Partei gegebenenfalls auf Bedenken hinweisen, ihr also vor der Entscheidung insoweit – zumindest schriftlich – rechtliches Gehör gewähren (BGH VersR 1975, 899; OLG Köln NJW-RR 1996, 1151). Fehlt es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung, wird der Einspruch entweder ohne mündliche Verhandlung (Regelfall) oder aufgrund mündlicher Verhandlung, in jedem Fall aber durch Urteil (§ 341 Abs. 2 ZPO) als unzulässig verworfen.
48 Ist der Einspruch zulässig, kann das Gericht dies durch Zwischenurteil feststellen, falls das Endurteil nicht in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Dieses Zwischenurteil ist nicht anfechtbar (Zöller/Herget § 341 ZPO Rz. 8). In der Regel wird jedoch die Zulässigkeit des Einspruchs in der Begründung des Endurteils festgestellt.
49 Das den Einspruch als unzulässig verwerfende Urteil ist immer ein kontradiktorisches Urteil (BGH MDR 2011, 1251; BGH NJW 1995, 1561; Thomas/Putzo/Reichold § 341 ZPO Rz. 5), das nach den allgemeinen Regeln mit der Berufung (§ 511 ZPO) oder der Revision (§§ 542, 543 ZPO), falls zugelassen, andernfalls mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) anzufechten ist. § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO ist nicht entsprechend anwendbar (BGH MDR 2011, 1251). Die Berufung oder Revision ist damit zu begründen, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Einspruchs (§ 341 Abs. 1 Satz 1
624
Wiemer
Versäumnisverfahren
Rz. 53 Kap. 34
ZPO
ZPO) entgegen der Annahme der Vorinstanz doch erfüllt waren (BGH MDR 2007, 901; ohne diese Begründung ist das Rechtsmittel selbst unzulässig).
VII. Zweites Versäumnisurteil, § 345 ZPO 1. Voraussetzungen und Sachanträge Ist die säumige Partei im Einspruchstermin (tritt die erneute Säumnis – etwa in einem Fortsetzungstermin – erst auf, nachdem die Parteien im Einspruchstermin streitig zur Sache verhandelt haben, kann ein technisch zweites Versäumnisurteil nicht ergehen) trotz ordnungsgemäßer Ladung erneut säumig, ergeht auf Antrag des Gegners sog. zweites Versäumnisurteil, durch das der – an sich zulässige – Einspruch verworfen wird. Die ordnungsgemäße Ladung setzt nicht voraus, dass die Partei in der Terminsladung zusätzlich zu den in § 215 Abs. 1 ZPO aufgeführten Hinweisen auch noch darüber belehrt worden ist, dass ein im Falle ihrer Säumnis gegen sie ergehendes zweites Versäumnisurteil nur im Wege der Berufung angefochten werden kann (BGH MDR 2010, 1340). War der Einspruch schon nicht zulässig, so ist nach § 341 ZPO zu verfahren, der Einspruch also trotz der Säumnis durch „normales“ kontradiktorisches Urteil als unzulässig zu verwerfen (BGH NJW 1995, 1561), denn der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils setzt einen zulässigen Einspruch voraus.
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K
51
Praxistipp: Der Anwalt muss, auch wenn er kurzfristig und unvorhersehbar an die Wahrnehmung des Termins verhindert ist, alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um dies dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen; andernfalls liegt eine schuldhafte Säumnis vor. In diesem Fall empfiehlt es sich stets, die Geschäftsstelle schon bei anzunehmender Gefahr nicht rechtzeitigen Erscheinens telefonisch zu informieren.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Gericht vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht erneut zu prüfen, ob die Klage schlüssig ist (NJW 1999, 2599; aA BAG NJW 1971, 1198); die neuere OLG-Rechtsprechung (OLG Rostock MDR 1999, 1084; OLG Hamm MDR 1991, 796 und OLGR 2002, 38; KG MDR 2000, 293) und ein Teil der Literatur folgen dem BGH (BLAH § 345 ZPO Rz. 6; MüKo.ZPO/Prütting § 345 ZPO Rz. 9–15; Thomas/Putzo/Reichold § 345 ZPO Rz. 4; Musielak/Voit/Stadler § 345 ZPO Rz. 4), während andere (Zöller/Herget § 345 ZPO Rz. 4) nach wie vor unter Hinweis auf § 342 ZPO eine Prüfung verlangen, ob das erste Versäumnisurteil auch insoweit gesetzmäßig ergangen ist. Etwas anderes muss aber – bereits aufgrund von § 700 Abs. 6 ZPO – gelten, wenn die erste Entscheidung ein – einem für vorläufig vollstreckbar erklärtem Versäumnisurteil gleichgestellter (§ 700 Abs. 1 ZPO) – Vollstreckungsbescheid war. Hier muss vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils auch die Schlüssigkeit der Klage geprüft werden, da ansonsten nie eine richterliche Schlüssigkeitsprüfung stattfinden würde (BGHZ 112, 367; BGH MDR 2011, 1370; aA [auch hier keine Schlüssigkeitsprüfung]: Adolphsen/Dickler ZZP 2012, 463). Der Beklagte kann sich also nicht darauf verlassen, dass das zweite Versäumnisurteil nicht ergehen wird, weil er in der Begründung des Einspruchs zutreffend deutlich gemacht hat, dass das erste Versäumnisurteil mangels Schlüssigkeit der Klage nicht hätte ergehen dürfen.
52
2. Besonderheiten im Mahnverfahren Ein auf Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid gegen den säumigen Schuldner ergehendes Versäumnisurteil gilt nach § 700 Abs. 6 ZPO bereits als zweites Versäumnisurteil, obwohl bisher noch kein bereits versäumter Verhandlungstermin anstand; wegen der gem. § 700 Abs. 4 Satz 2 ZPO ausgeschlossenen Möglichkeit der Setzung einer Notfrist zur Verteidigungsanzeige darf kein auf § 331 Abs. 3 ZPO gestütztes Versäumnisurteil ergehen. Ein gleichwohl in dieser Weise ergangenes Versäumnisurteil kann nicht mit dem Einspruch angegriffen werden, sondern unterliegt allein der Berufung (OLG Dresden MDR 2008, 165).
Wiemer 625
53
Kap. 34 Rz. 54
M 34.12
Versäumnisverfahren
ZPO
3. Rechtsmittel
54 Obwohl auch das zweite Versäumnisurteil ein echtes Versäumnisurteil ist (zum Begriff s. Rz. 19), schließt § 345 ZPO ausdrücklich einen weiteren Einspruch als Rechtsbehelf aus. Das Urteil ist allerdings nicht unanfechtbar, sondern kann unter den engen Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO, dafür ohne die Beschränkung des § 511 Abs. 2 ZPO, mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung kann nur auf die schlüssige Behauptung gestützt werden, dass ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder dass diese unverschuldet gewesen sei. Dies muss mit der Berufungsbegründung ausdrücklich als Berufungsangriff geltend gemacht werden, damit die Berufung nicht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen wird (BGH v. 13.5.2014 – XI ZB 20/13; OLG Hamm NJOZ 2012, 12). Die Berufung kann nicht auf den Restitutionsgrund des nachträglichen Auffindens einer Urkunde gem. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO (BGH MDR 2011, 1370) und auch nicht darauf gestützt werden, die Klage sei nicht schlüssig gewesen (BGH NJW 1999, 2599; BAG MDR 1995, 201). § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO schließt dies ausdrücklich aus. Ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts unterliegt der Revision auch ohne Zulassung (BGH NJW-RR 2008, 876; Musielak/Voit/Ball § 539 ZPO Rz. 16).
55 M 34.12 Berufung gegen zweites Versäumnisurteil An das … gericht (Berufungsgericht) in Y Berufungsschrift und Berufungsbegründungsschrift In dem Rechtsstreit des … – Beklagter und Berufungskläger – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt … gegen … – Kläger und Berufungsbeklagter – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt … lege ich hiermit im Namen des Beklagten gegen das zweite Versäumnisurteil des … gerichts X vom … – Az. … – Berufung ein. Ich werde beantragen, das zweite Versäumnisurteil des … gerichts X vom … – Az. … – aufzuheben und unter Abänderung des (ersten) Versäumnisurteils des … gerichts X vom … – Az. … – die Klage abzuweisen sowie dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Ferner beantrage ich, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil einstweilen bis zur Entscheidung über die Berufung gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Zur Begründung führe ich aus: Gegen den Beklagten war im Termin am … Versäumnisurteil ergangen. Auf den Einspruch des Beklagten hin hatte das … gericht X Termin zur mündlichen Verhandlung auf den …, … Uhr bestimmt. Der Unterzeichner hatte sich mit dem Beklagten in seinem Büro für … Uhr verabredet, um gemeinsam den Termin wahrzunehmen. Auf der Fahrt in sein Büro erlitt der Unterzeichner einen schweren Verkehrsunfall. Er musste mit einem Krankenwagen in das Städtische Krankenhaus X eingeliefert werden.
626
Wiemer
Entscheidung nach Lage der Akten
Rz. 1 Kap. 35
ZPO
Beweis: anliegendes Unfallprotokoll der Polizei X sowie anliegendes Attest des Städtischen Krankenhauses X. Die Polizei verständigte das Büro des Unterzeichners um … Uhr, also fünf Minuten nach Beginn der Terminsstunde. Das Büro verständigte sofort die Geschäftsstelle des Gerichts. Beweis: dienstliche Äußerung des Geschäftsstellenbeamten G der Abt. … des Amtsgerichts sowie Zeugnis der Frau F, zu laden im Büro des Unterzeichners Die Geschäftsstelle leitete die Mitteilung aus dem Unterzeichner nicht bekannten Gründen erst um … Uhr, also 20 Minuten nach der festgesetzten Terminsstunde, an den Richter weiter. Zu diesem Zeitpunkt war bereits das zweite Versäumnisurteil erlassen. Da der Beklagte ohne sein Verschulden im Termin nicht vertreten war, hätte das zweite Versäumnisurteil nicht ergehen dürfen. In der Sache selbst ist die Klage nicht begründet. Dies kann das Berufungsgericht selbst entscheiden (§ 538 Abs. 1 ZPO), so dass es keiner – nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZPO und Satz 3 ZPO nur auf Antrag möglichen – Zurückverweisung der ohne eine langwierige Beweisaufnahme entscheidungsreifen Angelegenheit an das … gericht X bedarf. Der Kläger hat dem Beklagten am … selbst quittiert, dass er das eingeklagte Darlehen bereits am … zurückerhalten hat. Beweis: anliegende handschriftliche Quittung vom … sowie Parteivernehmung des Klägers Der mit der Klage verfolgte Anspruch war daher bei Klageerhebung längst erloschen. Kosten: Gericht und Anwalt: Es entstehen die üblichen Gebühren für das Berufungsverfahren; Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG.
Kapitel 35 Entscheidung nach Lage der Akten Die Entscheidung nach Lage der Akten (§§ 251a, 331a ZPO) hat in der gerichtlichen Praxis nur äußerst geringe Bedeutung, birgt aber gerade deshalb Risiken für die Parteien. Sie beendet den Prozess bei gegebener Entscheidungsreife durch abschließendes kontradiktorisches Urteil trotz Säumnis beider Parteien (§ 251a ZPO) oder einer der Parteien (§ 331a ZPO). Im Falle der Säumnis beider Parteien kann ein Urteil nach Lage der Akten nur ergehen, wenn in der Instanz bereits in einem früheren Termin verhandelt worden ist (§ 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO), was von Parteien oder dem Gericht gelegentlich übersehen wird. Für andere „Entscheidungen“ (zB einen Beweisbeschluss) gilt die Sperre des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht. Die Entscheidung nach Lage der Akten ergeht auf Antrag bei einseitiger Säumnis (§ 331a ZPO), ohne Antrag bei beidseitiger Säumnis (§ 251a ZPO). Auf Antrag hat sie zu ergehen, wenn der Sachverhalt für eine derartige Entscheidung hinreichend geklärt erscheint (§ 331a Satz 2 aE ZPO), ohne Antrag steht sie im Ermessen des Gerichts (§ 251a Abs. 1 ZPO). Da arbeitsintensiver als ein Versäumnisurteil oder die Anordnung des Ruhens des Verfahrens, ist das Verfahren unwirtschaftlich und wird Ausnahme bleiben. Andererseits darf das Gericht bei Verschleppung sogar auf den Antrag hinwirken (OLG Rostock OLG-NL 2004, 209). Die Entscheidung nach Lage der Akten kann nachteilig sein, weil damit weiteres Vorbringen abgeschnitten wird und das Urteil nur mit der Berufung bzw. Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann. Auch muss sich die einen Antrag nach § 331a ZPO stellende Partei darüber im Klaren sein, dass die Entscheidung unter voller Berücksichtigung des schriftsätzlichen Vorbringens des Säumigen („nach Lage der Akten“) ergeht, also anders als beim Versäumnisurteil die Klage des säumigen Klägers nicht ohne Sachprüfung abgewiesen (vgl. § 330 ZPO) und gegen den säumigen Beklagten nicht aufgrund einer Schlüssigkeitsprüfung auf Basis des als zugestanden geltenden Klagevorbringens (vgl. § 331 Abs. 1 Wiemer 627
1
ZPO
Kap. 35 Rz. 2
Entscheidung nach Lage der Akten
M 35.1
Satz 1 ZPO) entschieden wird. Gerade weil die Gerichte von der Entscheidung nach Lage der Akten selten Gebrauch machen, kann sie die Parteien überraschend treffen. Das Gericht darf in Abwesenheit der säumigen Partei sogar noch den zur Anhörung geladenen Sachverständigen vernehmen und das Ergebnis der Anhörung verwerten (BGH NJW 2002, 301).
2 K
Praxistipp: Vorsicht bei „Flucht in die Säumnis“ oder bei Säumnis wegen abgelehnter Terminsverlegung, ebenso bei anwaltlich verabredetem „Nichtauftreten“ des im Termin anwesenden Kollegen. Hier sollte sich der abwesende Anwalt vorher zB durch telefonische Nachfrage beim Richter vergewissern, dass das Gericht nicht von der Möglichkeit der Entscheidung nach Lage der Akten Gebrauch machen wird und ihm die Fortsetzung des Verfahrens in der Instanz durch Vertagung oder Ruhenlassen (§ 251a Abs. 3 ZPO) offenhält. Begrenzter sind die Risiken dann, wenn noch nicht in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist, da dann kein – die Instanz beendendes – Urteil ergehen kann (§ 251 Abs. 2 Satz 1 ZPO); von den mit Ausnahme von Urteilen möglichen „Entscheidungen“ kommen in der Rechtspraxis vor allem Beweisbeschlüsse in Betracht.
3 Auf Klägerseite ist eine die Instanz beendende Entscheidung nach Lage der Akten nur von Interesse, um die erwartete Verzögerung durch Säumnis und anschließenden Einspruch des Beklagten zu vermeiden. Allerdings gilt dann das eigene Vorbringen nicht als zugestanden (vgl. Rz. 1), und der Kläger muss wie bei jedem anderen kontradiktorischen Urteil die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sowie sein Beweisrisiko einkalkulieren.
4 K
Praxistipp: Der Anwalt sollte vor Antragstellung um einen gerichtlichen Hinweis bitten, ob bei Entscheidung nach Lage der Akten der Klage in vollem Umfang stattgegeben würde oder ob das Risiko einer Teilabweisung besteht. Letzterenfalls sollte Versäumnisurteil beantragt werden, damit – im Falle des Einspruchs – nachgebessert werden kann.
5 Der Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten gem. § 331a ZPO sollte mit einem Hilfsantrag auf Erlass eines Versäumnisurteils für den Fall verbunden werden, dass das Gericht die prozessualen Voraussetzungen des § 331a ZPO nicht als gegeben ansieht.
6 M 35.1 Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten Der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte Antrag des Klägers lautet: Der Anwalt des Klägers stellt den Antrag aus der Klageschrift vom 7.6.2018, Bl. 2 d.A. Er beantragt, nach Lage der Akten zu entscheiden, hilfsweise, gegen den Beklagten Versäumnisurteil zu erlassen.
Kapitel 36 Anerkenntnis, Verzicht I. Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenbefreiung durch sofortiges Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitpunkt des „sofortigen“ Anerkenntnisses
628
Wiemer
1 1 3
3. Klageveranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 36.1 Anerkenntnis im schriftlichen Vorverfahren mit Vertretungsanzeige . . M 36.2 Anerkenntnis im Falle anberaumter mündlicher Verhandlung . . . . . . . .
7 11 13
ZPO
Kap. 35 Rz. 2
Entscheidung nach Lage der Akten
M 35.1
Satz 1 ZPO) entschieden wird. Gerade weil die Gerichte von der Entscheidung nach Lage der Akten selten Gebrauch machen, kann sie die Parteien überraschend treffen. Das Gericht darf in Abwesenheit der säumigen Partei sogar noch den zur Anhörung geladenen Sachverständigen vernehmen und das Ergebnis der Anhörung verwerten (BGH NJW 2002, 301).
2 K
Praxistipp: Vorsicht bei „Flucht in die Säumnis“ oder bei Säumnis wegen abgelehnter Terminsverlegung, ebenso bei anwaltlich verabredetem „Nichtauftreten“ des im Termin anwesenden Kollegen. Hier sollte sich der abwesende Anwalt vorher zB durch telefonische Nachfrage beim Richter vergewissern, dass das Gericht nicht von der Möglichkeit der Entscheidung nach Lage der Akten Gebrauch machen wird und ihm die Fortsetzung des Verfahrens in der Instanz durch Vertagung oder Ruhenlassen (§ 251a Abs. 3 ZPO) offenhält. Begrenzter sind die Risiken dann, wenn noch nicht in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist, da dann kein – die Instanz beendendes – Urteil ergehen kann (§ 251 Abs. 2 Satz 1 ZPO); von den mit Ausnahme von Urteilen möglichen „Entscheidungen“ kommen in der Rechtspraxis vor allem Beweisbeschlüsse in Betracht.
3 Auf Klägerseite ist eine die Instanz beendende Entscheidung nach Lage der Akten nur von Interesse, um die erwartete Verzögerung durch Säumnis und anschließenden Einspruch des Beklagten zu vermeiden. Allerdings gilt dann das eigene Vorbringen nicht als zugestanden (vgl. Rz. 1), und der Kläger muss wie bei jedem anderen kontradiktorischen Urteil die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sowie sein Beweisrisiko einkalkulieren.
4 K
Praxistipp: Der Anwalt sollte vor Antragstellung um einen gerichtlichen Hinweis bitten, ob bei Entscheidung nach Lage der Akten der Klage in vollem Umfang stattgegeben würde oder ob das Risiko einer Teilabweisung besteht. Letzterenfalls sollte Versäumnisurteil beantragt werden, damit – im Falle des Einspruchs – nachgebessert werden kann.
5 Der Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten gem. § 331a ZPO sollte mit einem Hilfsantrag auf Erlass eines Versäumnisurteils für den Fall verbunden werden, dass das Gericht die prozessualen Voraussetzungen des § 331a ZPO nicht als gegeben ansieht.
6 M 35.1 Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten Der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte Antrag des Klägers lautet: Der Anwalt des Klägers stellt den Antrag aus der Klageschrift vom 7.6.2018, Bl. 2 d.A. Er beantragt, nach Lage der Akten zu entscheiden, hilfsweise, gegen den Beklagten Versäumnisurteil zu erlassen.
Kapitel 36 Anerkenntnis, Verzicht I. Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenbefreiung durch sofortiges Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitpunkt des „sofortigen“ Anerkenntnisses
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Wiemer
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3. Klageveranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 36.1 Anerkenntnis im schriftlichen Vorverfahren mit Vertretungsanzeige . . M 36.2 Anerkenntnis im Falle anberaumter mündlicher Verhandlung . . . . . . . .
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M 36.3 Anerkenntnis im späteren Prozessverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teilanerkenntnis, Anerkenntnis unter Vorbehalt, Zug um Zug, dem Grunde nach . . . M 36.4 Teilanerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . M 36.5 Anerkenntnis Zug um Zug . . . . . . . M 36.6 Antrag des Klägers nach Anerkenntnis des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . 5. Anerkenntnisurteil, Kostenentscheidung, Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anerkenntnis in der Berufungs- oder Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rz. 5 Kap. 36
7. Anfechtung, Widerruf, Widerspruch . . . . . II. Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ankündigung der Verzichtserklärung . . . . . M 36.7 Ankündigung der Verzichtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärung des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antrag des Prozessgegners . . . . . . . . . . . . . M 36.8 Antrag des Beklagten bei Verzicht des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verzichtsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 35 36
ZPO
Anerkenntnis, Verzicht
38 39 41 42 43
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I. Anerkenntnis 1. Kostenbefreiung durch sofortiges Anerkenntnis Das Anerkenntnis ist ein wichtiges prozessuales Instrument des Beklagten zur Einflussnahme auf die Kostenverteilung. In der Kostenabwälzung auf den Gegner liegt seine zentrale Funktion. Anerkenntnisse können abgegeben werden zur Klage oder zur Widerklage. Das Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) erlegt die Kosten gem. § 93 ZPO dem Gegner auf, wenn
1
– der Klageanspruch sofort anerkannt wird (dazu s. Rz. 3) und – zur Erhebung der (Wider-)Klage keine Veranlassung gegeben wurde (dazu s. Rz. 7).
K
Praxistipp: Sind von mehreren Positionen einige unstreitig, andere streitig, kann es im Sinne einer vorausschauenden Prozesstaktik ratsam sein, kein Teilanerkenntnis zu erklären, sondern die unbestrittenen Positionen vorerst im Streit zu lassen, um die Verhandlungsmasse für einen späteren Vergleich zu vergrößern. Dann sind zwar die Prozesskosten etwas höher, man vermeidet aber, dass bereits akzeptierte Positionen schon „abgehakt“ sind und von Gericht und Gegner in den Vergleichsverhandlungen nicht mehr als Nachgeben wahrgenommen werden.
2
2. Zeitpunkt des „sofortigen“ Anerkenntnisses Ein „sofortiges“ Anerkenntnis liegt nur vor, wenn es mit der ersten Äußerung des Beklagten – schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung – gegenüber dem Gericht erklärt wird. Unterschiede zwischen den in Betracht kommenden Verfahrensweisen (§ 272 Abs. 2 ZPO) bestehen nicht, weil nach § 307 Satz 2 ZPO das Anerkenntnisurteil stets im schriftlichen Verfahren ergehen kann.
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K
Wichtig: Im schriftlichen Vorverfahren wird das sofortige Anerkenntnis am besten schon anstelle der Verteidigungsanzeige erklärt. Der Schuldner kann im Mahnverfahren oder im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur kostenbefreiend sofort anerkennen, wenn er den Widerspruch (§§ 694, 924, 936 ZPO) auf die Kostenlast beschränkt (vgl. Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Einstweilige Verfügung“, „Kostenwiderspruch“, „Mahnverfahren“).
4
K
Praxistipp: Erwägt der Beklagte ein (Teil-)Anerkenntnis, darf in keinem Fall eine Verteidigungsanzeige mit Klageabweisungsantrag (ohne einen solchen Sachantrag ist die Verteidigungsanzeige unschädlich, BGH MDR 2007, 233) erfolgen. Vielmehr empfiehlt sich der sichere Weg des Anerkenntnisses innerhalb der Notfrist des § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO (s. M 36.1). Zur Nutzung der Kostenvorteile muss daher schon vor der ersten Äußerung gegenüber dem Gericht mit dem Mandanten geklärt werden, ob bestimmte Positionen oder Teile des Klageanspruchs oder sogar der gesamte Klageanspruch kostenbefreiend anerkannt werden können.
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Wiemer 629
Kap. 36 Rz. 6
Anerkenntnis, Verzicht
M 36.1
ZPO
6 Ein sofortiges Anerkenntnis ist auch zu einem späteren Zeitpunkt denkbar, wenn im Verlaufe des Verfahrens erstmals die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind oder die Fälligkeit des Anspruchs eintritt (Beispiele: Kläger lässt sich die Forderung vom Inhaber abtreten; Werklohnklage aus Schlussrechnungssaldo [OLG Stuttgart v. 4.10.2011 – 10 W 43/11, NJW-RR 2011, 1591]; nachgeholte Rechnungsspezifizierung eines Steuerberaters; M 36.3). Aber auch dann, wenn das Gericht hinsichtlich eines Schriftsatzes des Klägers keine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat, gefährdet ein monatelanges, in der der Sache nicht erforderliches Abwarten die Annahme eines „sofortigen“ Anerkenntnisses (OLG Düsseldorf v. 27.9.2017 – I-1 W 53/16, MDR 2018, 53). 3. Klageveranlassung
7 Zur Klage hat der Beklagte üblicherweise Veranlassung gegeben, wenn er auf eine vorprozessuale Mahnung grundlos nicht geleistet oder auf andere Weise gezeigt hat, dass der andere ohne gerichtliche Durchsetzung nicht zu seinem Recht kommen werde (vgl. die ausführliche Stichwortliste zu einzelnen Ansprüchen bei Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6). Dem Beklagten ist eine angemessene Prüfungsfrist einzuräumen, bevor er mit einer Klage überzogen werden kann. Hat sich der Beklagte vorprozessual mit berechtigten Einwendungen gegen den Anspruch verteidigt, zB Mängeln des Bauwerks, gibt er keine Veranlassung zur Werklohnklage und kann kostenbefreiend anerkennen, wenn die Mängel bei Prozessbeginn beseitigt sind.
8 Veranlassung zur Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage ist gegeben, wenn der Titelgläubiger (Beklagte) zu erkennen gegeben hat, dass er vollstrecken werde (OLG Köln v. 6.9.1995 – 19 W 25/95, MDR 1996, 197). Droht aufgrund des Vorliegens eines Vollstreckungstitels die Zwangsvollstreckung, ist der Titelschuldner (Kläger) – jedenfalls im Falle der Eilbedürftigkeit – nicht gehalten, zur Vermeidung der Kostenfolge des § 93 ZPO vor Klageerhebung dem Titelgläubiger (Beklagten) gegenüber Einwände gegen die Zwangsvollstreckung vorzubringen (OLG Saarbrücken v. 21.7.2009 – 5 W 169/09-62). Bringt er dennoch Einwände vor, die den Titelgläubiger nicht von der Zwangsvollstreckung abbringen, kann der Titelschuldner im Prozess auch andere als die vorprozessual genannten Einwendungen geltend machen, ohne ein sofortiges Anerkenntnis befürchten zu müssen. Denn den Titelgläubiger trifft eine eigene und nicht auf die ihm mitgeteilten Einwendungen beschränkte Prüfungspflicht, sich von der Berechtigung seines Anspruchs zu überzeugen.
9 K
Wichtig: Ein Teil der Rechtsprechung meint, der Anerkennende müsse den anerkannten Anspruch auch sofort erfüllen, also zB Auskunft erteilen oder Zahlung leisten, um die günstige Kostenfolge des § 93 ZPO auszulösen (zum Meinungsstand Zöller/Herget § 93 ZPO Rz. 6 „Geldschulden“). Auf die möglichen Kostenfolgen der verspäteten Erfüllung sollte der Beklagtenanwalt seinen Mandanten, der Klägeranwalt das Gericht hinweisen.
10 Abgesehen von der Möglichkeit des § 93 ZPO bietet das Anerkenntnis für den Beklagten gegenüber einer streitigen Verhandlung insofern Kostenvorteile, als sich die dreifache Gerichtsgebühr nach Nr. 1210 KV GKG auf die einfache Gebühr (Nr. 1211 KV GKG) ermäßigt. Zu beachten sind aber Anwaltsmehrkosten im Vergleich zur Säumnis, wenn das Anerkenntnis erst in der mündlichen Verhandlung erklärt wird. In solchen Fällen kann sich wegen der geringeren Terminsgebühr die Herbeiführung der Säumnis empfehlen (Schroeder/Riechert NJW 2005, 2187).
11 M 36.1 Anerkenntnis im schriftlichen Vorverfahren mit Vertretungsanzeige An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Beklagten vertrete. Der Beklagte wird sich gegen die Klage nicht verteidigen. Er erkennt den mit der Klage geltend gemachten Anspruch vielmehr in vollem Umfang an.
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Wiemer
M 36.3
Anerkenntnis, Verzicht
Rz. 14 Kap. 36
ggf. ergänzen:
ZPO
Zugleich beantrage ich, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. (es folgen Ausführungen dazu, dass es sich um ein sofortiges Anerkenntnis handelt und der Beklagte zur Klage keine Veranlassung gegeben hat) Kosten: Gericht: Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn das gesamte Verfahren mit Anerkenntnisurteil endet (Nr. 1211 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; es entsteht eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG (Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV RVG).
Der folgende Schriftsatz M 36.2 kündigt ein Anerkenntnis mit der Vertretungsanzeige gem. § 130 Nr. 2 ZPO an. Die im M 36.2 abgegebene Erklärung kann auch in einem Schriftsatz an das OLG verwendet werden, wenn der Beklagte das Anerkenntnis erst im Berufungsverfahren erklärt.
12
M 36.2 Anerkenntnis im Falle anberaumter mündlicher Verhandlung
13
An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Beklagten vertrete. Der Beklagte erkennt den mit der Klage geltend gemachten Anspruch in vollem Umfang an. Dies wird ggf. auch in der anberaumten mündlichen Verhandlung erklärt werden. Im Hinblick darauf, dass es für eine dem Anerkenntnis gemäß erfolgende Verurteilung einer mündlichen Verhandlung nicht bedarf (§ 307 Satz 2 ZPO), rege ich an, den auf den 23.2.2018 bestimmten Termin aufzuheben und die Beteiligten, insbesondere die geladenen Zeugen, hiervon zu verständigen. Kosten: s. Anm. zu M 36.1.
M 36.3 Anerkenntnis im späteren Prozessverlauf
14
An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) erkennt der Beklagte, nachdem der Kläger nunmehr erstmals eine prüffähige Schlussrechnung vorgelegt hat, den geltend gemachten Anspruch unter Protest gegen die Kostenlast in vollem Umfang an. … (es folgen die Ausführungen, aus denen zu ersehen ist, dass der Anspruch erst jetzt fällig geworden ist). Kosten: s. Anm. zu M 36.1.
Wiemer 631
Kap. 36 Rz. 15
Anerkenntnis, Verzicht
M 36.4
ZPO
4. Teilanerkenntnis, Anerkenntnis unter Vorbehalt, Zug um Zug, dem Grunde nach
15 Neben dem Anerkenntnis in vollem Umfang ist auch ein Teilanerkenntnis möglich (§ 307 Satz 1 ZPO: „ganz oder zum Teil“). Sofern das Teilanerkenntnis sich auf einen selbständigen Teil des Streitgegenstandes bezieht, muss das Teilanerkenntnisurteil in Abweichung von § 301 Abs. 2 ZPO („kann unterbleiben“) ergehen; dem Gericht kommt in diesem Fall also kein Ermessensspielraum zu (vgl. dazu Zöller/Feskorn § 307 ZPO Rz. 8).
16 Es ist nach herrschender Meinung zulässig, dass der Beklagte den Klageanspruch bestreitet und nur für den Urkundenprozess anerkennt, weil er ihn mit den beschränkten Beweismitteln des Urkundenprozesses nicht entkräften kann. Es ergeht dann ein sog. Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil in der Hauptsache und im Kostenpunkt (vgl. dazu Zöller/Greger § 599 ZPO Rz. 8). Zulässig ist auch der Vorbehalt beschränkter Haftung oder der Ausführung der Rechte im Nachverfahren. § 93 ZPO ist auf die Kostenentscheidung des Anerkenntnis-Vorbehaltsurteils nicht anwendbar, da der Vorbehalt die fehlende Leistungsbereitschaft des Beklagten zeigt (Zöller/Greger § 599 ZPO Rz. 9).
17 Der Beklagte kann das Anerkenntnis auch in der Weise einschränken, dass der Anspruch nur Zug um Zug gegen Erbringung einer Gegenleistung anerkannt wird (vgl. Kap. 20 Rz. 37 ff.).
18 Erkennt der Beklagte an, dass der Klageanspruch dem Grunde nach besteht, bestreitet er aber die Höhe, ist auf Antrag ein Anerkenntnis-Grundurteil zu erlassen. Wegen der Bindungswirkung, die ein Grundurteil entfaltet (§ 318 ZPO), ist bei einem Anerkenntnis dem Grunde nach Vorsicht geboten. Es ist sorgfältig zu prüfen, ob die beabsichtigten Einwendungen zur Höhe nicht Einwendungen zum Anspruchsgrund sind oder durch das Anerkenntnis etwa der Einwand des Mitverschuldens ausgeschlossen wird. Das Anerkenntnis muss daher den Umfang der noch beabsichtigten Einwendungen klar erkennen lassen. So wäre beim Mitverschuldenseinwand etwa zu formulieren: Der Beklagte erkennt den Klageanspruch an, jedoch nur mit Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Klägers iHv. … %.
19 Das Anerkenntnis ist demnach so zu formulieren, wie der Tenor eines Grundurteils lauten würde (vgl. dazu Zöller/Feskorn § 304 ZPO Rz. 29).
20 M 36.4 Teilanerkenntnis An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Beklagten vertrete. Der Beklagte wird im Termin den Anspruch iHv. … Euro zzgl. Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit anerkennen. Im Übrigen will sich der Beklagte gegen die Klage verteidigen. (hier folgen die Ausführungen zur Zulässigkeit des Teilanerkenntnisses sowie ggf. dazu, dass im Umfang des Anerkenntnisses die Voraussetzungen des § 93 ZPO vorliegen) Kosten: Eine Ermäßigung der Gerichtsgebühr tritt nicht ein, weil nicht das gesamte Verfahren beendet wird (Nr. 1211 KV GKG).
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Wiemer
Anerkenntnis, Verzicht
Rz. 24 Kap. 36
M 36.5 Anerkenntnis Zug um Zug
21
An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den Beklagten vertrete. Der Beklagte wird den Anspruch iHv. … Euro mit der Einschränkung anerkennen, dass der Anspruch auf Zahlung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw … zu erfüllen ist. (es folgen Ausführungen zur Frage, warum die Leistung noch nicht fällig ist, die Gegenleistung also noch nicht erbracht ist) Kosten: s. Anm. zu M 36.1.
M 36.6 Antrag1 des Klägers nach Anerkenntnis des Beklagten
22
An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) hat der Beklagte den geltend gemachten Anspruch im Schriftsatz vom … anerkannt. Ich beantrage2, den Beklagten im schriftlichen Verfahren (§ 307 Satz 2 ZPO) dem Anerkenntnis entsprechend zu verurteilen und ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. (es folgen Ausführungen dazu, dass kein „sofortiges“ Anerkenntnis vorliegt und dass der Beklage zur Klage Veranlassung gegeben hat) ggf. ergänzen: Im Hinblick darauf, dass es für eine dem Anerkenntnis gemäß erfolgende Verurteilung einer mündlichen Verhandlung nicht bedarf (§ 307 Satz 2 ZPO), rege ich an, den auf den 29.3.2018 bestimmten Termin aufzuheben und die Beteiligten, insbesondere die geladenen Zeugen, hiervon zu verständigen. 1 Obwohl das Anerkenntnisurteil – von Amts wegen (§ 307 Satz 1 ZPO: „so ist sie dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen“) – auch ohne einen besonderen Verfahrensantrag des Klägers ergeht, kann eine entsprechende Anregung an das Gericht erfolgen. 2 Vgl. Fn. 1.
5. Anerkenntnisurteil, Kostenentscheidung, Rechtsmittel Auf das Anerkenntnis ergeht gem. § 307 ZPO Anerkenntnisurteil, ggf. mit den zu 4. (Rz. 15 ff.) genann- 23 ten Vorbehalten, Beschränkungen und Modifizierungen. In Abgrenzung zum materiellen (Schuld-) Anerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) muss das prozessuale Anerkenntnis (Prozesshandlung) als solches eindeutig und frei von Bedingungen erklärt werden, um ein Anerkenntnisurteil auszulösen (die Verteidigung gegen die Klage mit einer Aufrechnung, s. Kap. 21 Rz. 60, ist kein Anerkenntnis).
K
Wichtig: Nach BGH NJW 2002, 55 wirkt das prozessuale Anerkenntnis instanzübergreifend für den gesamten Prozess, auch wenn der Kläger keinen Antrag (s. Fn. 1 in M 36.3) auf Erlass des Anerkenntnisurteils gestellt hat oder auf das prozessuale Anerkenntnis nicht sogleich ein An-
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24
ZPO
M 36.6
ZPO
Kap. 36 Rz. 25
Anerkenntnis, Verzicht
erkenntnisurteil ergangen ist. Das Gericht ist im Umfang des Anerkenntnisses grundsätzlich jeder Prüfung des Streitstoffes enthoben, außer bei Rechtsmissbrauch.
25 K
Praxistipp: Zu beachten ist, dass das Anerkenntnisurteil nicht mit Gründen versehen wird (§ 313b Abs. 1 ZPO, vgl. aber die in Abs. 3 vorgesehene Ausnahme). Vorsicht ist demnach geboten, wenn auf die Grundlagen der Entscheidung – etwa im Rahmen einer Abänderung (§ 323 ZPO) – noch einmal zurückgegriffen werden muss (s. auch Kap. 76 Rz. 112).
26 Hinsichtlich der Gerichtsgebühren ist das Anerkenntnisurteil durch die allgemeine Verfahrensgebühr abgegolten. Diese ermäßigt sich beim Anerkenntnis allerdings in allen Instanzen um zwei Gebühren (Nr. 1211 Ziff. 2, 1222 Ziff. 2, 1232 Ziff. 2 KV GKG). Dies gilt nicht bei einem Teilanerkenntnis sowie einem Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast (str., vgl. zum Meinungsstand Zöller/ Feskorn § 307 ZPO Rz. 14).
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Wichtig: Bei den Anwaltsgebühren fällt neben der Verfahrensgebühr die volle Terminsgebühr gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG an, auch wenn das Anerkenntnisurteil im schriftlichen Verfahren ergeht (OLG Stuttgart MDR 2005, 1259; OLG Jena MDR 2005, 1436).
28 Das Anerkenntnisurteil ist ein Endurteil und daher wie ein solches mit der Berufung, der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision oder – im Falle deren Zulassung – der Revision anfechtbar, auch von dem anerkennenden Beklagten. Die erforderliche Beschwer ist gegeben. Die Berufung kann aber nur darauf gestützt werden, dass das Anerkenntnis wegen Fehlens der Prozesshandlungsvoraussetzungen unwirksam ist oder ein Grund vorliegt, der zum Widerruf des Anerkenntnisses berechtigt. Stellt sich die Unwirksamkeit des Anerkenntnisses in der Rechtsmittelinstanz heraus, so erfolgt eine Zurückverweisung analog § 538 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (Zöller/Feskorn § 307 ZPO Rz. 13 und Zöller/Heßler § 538 ZPO Rz. 54). Eine isolierte Anfechtung des Kostenausspruchs des Anerkenntnisurteils ist gem. § 99 Abs. 2 ZPO mit der sofortigen Beschwerde möglich, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 ZPO genannten Betrag (600 Euro) übersteigt.
29 Demgegenüber kann die Kostenentscheidung nicht mit der Berufung angefochten werden (BGH NJW-RR 1999, 1741).
30 Ausnahmsweise ist die Berufung des Klägers gegen das Anerkenntnisurteil zulässig, wenn das Urteil von seinem geänderten Sachantrag abgewichen ist (BGH NJW 2004, 2019). Mit der Berufung kann auch der streitgenössische Nebenintervenient das Anerkenntnisurteil 1. Instanz anfechten (BGH NJW-RR 1997, 865). 6. Anerkenntnis in der Berufungs- oder Revisionsinstanz
31 Das Anerkenntnis kann noch in der Berufungs- oder Revisionsinstanz und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (BGH MDR 2010, 708) erklärt werden, solange das Rechtsmittel zulässig ist, also bis zum Ablauf der Begründungfrist (BGH NJW-RR 2010, 275), und bis zum Eingang einer Revisionsbegründung auch durch einen nicht beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt (BGH v. 12.5.2015 – XI ZR 397/14, MDR 2015, 1151). Der trotz Aufrechnung unterlegene Beklagte kann die rechtskräftige Aberkennung der Gegenforderung (vgl. § 322 Abs. 2 ZPO) als Berufungskläger durch Anerkenntnis des Klageanspruchs während laufender Rechtsmittelfrist verhindern (Erman/Wagner § 388 BGB Rz. 14). 7. Anfechtung, Widerruf, Widerspruch
32 Das materielle Anerkenntnis kann bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen gem. §§ 119 ff. BGB durch Anfechtungserklärung wirksam angefochten werden.
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Wiemer
Anerkenntnis, Verzicht
Rz. 40 Kap. 36
Das prozessuale Anerkenntnis lässt sich als Prozesshandlung weder anfechten noch widerrufen. Der 33 Widerruf ist jedoch ausnahmsweise möglich, wenn das Anerkenntnis durch ein Verhalten veranlasst worden ist, das einen Restitutionsgrund (§ 580 Nr. 2 bis 4 und 7 Buchst. b) ZPO) darstellen würde, bei Rechtsmissbrauch (BGH NJW 2002, 55) oder wenn ein Abänderungsgrund iSv. § 323 ZPO vorliegt (vgl. dazu Zöller/Feskorn vor § 306 ZPO Rz. 4). Der Widerrufsgrund kann auch noch mit der Berufung geltend gemacht werden (OLG Schleswig NJW-RR 1993, 1416). Bei notwendigen Streitgenossen muss der Säumige prozessual wirksam widersprechen, um ein gegen ihn gem. § 62 Abs. 1 ZPO wirkendes Anerkenntnis zu vermeiden (OLG Karlsruhe ZEV 2011, 324).
34
II. Verzicht Im Klageverzicht des Klägers (§ 306 ZPO) kommt sein Wille zum Ausdruck, den prozessualen Anspruch überhaupt nicht mehr geltend machen zu wollen. Auch der Verzicht ist nach herrschender Meinung eine reine Prozesshandlung, die nur wirksam ist, wenn die Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen.
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1. Ankündigung der Verzichtserklärung Ein Verzicht auf den Klageanspruch ist – anders als das Anerkenntnis – nur „bei der mündlichen Ver- 36 handlung“ (§ 306 ZPO) möglich und in der Praxis sehr selten. Da die Klagerücknahme gem. § 269 ZPO der einfachere Weg ist, kommt ein Verzicht nur in Betracht, wenn der Beklagte die erforderliche Zustimmung zur Rücknahme verweigert.
K
Praxistipp: Der Beklagte lässt sich häufig dazu bewegen, der Klagerücknahme doch noch zuzustimmen, wenn neben dieser ein materieller Verzicht auf den Klageanspruch – meist in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll – erklärt wird, der vom Beklagten aber angenommen werden muss, weil das materielle Recht einen einseitigen Forderungsverzicht nicht kennt (Staudinger/Rieble § 397 BGB Rz. 1). Dies ist allerdings kein Verzicht, der ein Verzichtsurteil ermöglicht.
M 36.7 Ankündigung der Verzichtserklärung
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38
An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) wird der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf den geltend gemachten Anspruch gem. § 306 ZPO verzichten. Kosten: Auch im Falle der Beendigung des gesamten Verfahrens durch ein Verzichtsurteil ermäßigt sich die vom Gericht zu erhebende Gebühr auf 1,0 (Nr. 1211 KV GKG).
2. Erklärung des Verzichts Der Verzicht als einseitige Prozesshandlung ist dem Gericht gegenüber in der mündlichen Verhandlung zu erklären. Eine ausdrückliche Erklärung ist nicht erforderlich, es muss jedoch unzweifelhaft der Wille zum Verzicht auf den Klageanspruch zum Ausdruck kommen.
39
Die Erklärung des Verzichts kann auch in einem anstelle der mündlichen Verhandlung angeordneten schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2, Abs. 3 ZPO erfolgen.
40
Wiemer 635
ZPO
M 36.7
Kap. 36 Rz. 41
Anerkenntnis, Verzicht
M 36.8
ZPO
3. Antrag des Prozessgegners
41 Auf die angekündigte bzw. abgegebene Verzichtserklärung reagiert der Beklagte mit einem entsprechenden Antrag. Anders als das Anerkenntnisurteil ergeht das Verzichtsurteil nur auf einen entsprechenden Verfahrensantrag des Gegners hin.
42 M 36.8 Antrag des Beklagten bei Verzicht des Klägers An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) wird der Beklagte aufgrund des Verzichts im Termin beantragen, die Klage mit dem geltend gemachten Anspruch abzuweisen.
4. Verzichtsurteil
43 Auf den Verzicht ergeht gem. § 306 ZPO das Verzichtsurteil. Beim Teilverzicht muss entgegen § 301 Abs. 2 ZPO („kann unterbleiben“) ein Teilurteil ergehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Das Verzichtsurteil ist mit der Berufung anfechtbar. Es gelten dieselben Regeln wie beim Anerkenntnisurteil (s. Rz. 28). Verzichtet der Kläger im Berufungsverfahren auf einen Teil des Anspruchs, wird die Berufung auch dann nicht unzulässig, wenn der Restanspruch unter der Berufungssumme bleibt (vgl. Zöller/Feskorn § 306 ZPO Rz. 12).
Kapitel 37 Gerichtlicher Vergleich I. Bedeutung, Vorteile, Risiken . . . . . . . . . II. Rat und Dokumentation gegenüber dem Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhandeln des Vergleichs . . . . . . . . . . . IV. Gestaltung und Kostenregelung . . . . . . . M 37.1 Vergleich mit Verpflichtung zur Ratenzahlung und Widerrufsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.2 Vergleich mit Verpflichtung zur Ratenzahlung mit Verfallklausel . . M 37.3 Vergleich mit Anreiz zur Zahlung eines Mindestbetrages . . . . . . . . . M 37.4 Vergleich mit Auflassungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.5 Vergleich mit Verpflichtung zur Auflassung und Kostenantrag nach § 91a ZPO . . . . . . . . . . . . . . M 37.6 Vergleich mit Verpflichtung zum Widerruf einer ehrverletzenden Behauptung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 6 9 14
V. VI.
VII. 26 27 29
VIII. IX. X. XI.
33 XII. 35 37
M 37.7 Vergleich mit Verschwiegenheitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . Fehler beim Vergleich . . . . . . . . . . . . . . Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.7a Vergleich mit Beteiligung eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begünstigung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . M 37.8 Vergleich zugunsten Dritter . . . . . Widerruf des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . Abänderung des Vergleichs . . . . . . . . . . Anfechtung des Vergleichs . . . . . . . . . . . Unwirksamkeit des Vergleichs und Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . Fortsetzung des Prozesses oder neue Klage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.9 Vergleich mit Vereinbarung einer Geschäftsgrundlage . . . . . . M 37.10 Antrag auf Fortsetzung wegen Unwirksamkeit des Vergleichs und Gegenantrag . . . . . . . . . . . .
39 40 44 47 48 49 50 55 57 59 61 63 64
Kap. 36 Rz. 41
Anerkenntnis, Verzicht
M 36.8
ZPO
3. Antrag des Prozessgegners
41 Auf die angekündigte bzw. abgegebene Verzichtserklärung reagiert der Beklagte mit einem entsprechenden Antrag. Anders als das Anerkenntnisurteil ergeht das Verzichtsurteil nur auf einen entsprechenden Verfahrensantrag des Gegners hin.
42 M 36.8 Antrag des Beklagten bei Verzicht des Klägers An das Landgericht … In der Sache … / … (Kurzrubrum) wird der Beklagte aufgrund des Verzichts im Termin beantragen, die Klage mit dem geltend gemachten Anspruch abzuweisen.
4. Verzichtsurteil
43 Auf den Verzicht ergeht gem. § 306 ZPO das Verzichtsurteil. Beim Teilverzicht muss entgegen § 301 Abs. 2 ZPO („kann unterbleiben“) ein Teilurteil ergehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Das Verzichtsurteil ist mit der Berufung anfechtbar. Es gelten dieselben Regeln wie beim Anerkenntnisurteil (s. Rz. 28). Verzichtet der Kläger im Berufungsverfahren auf einen Teil des Anspruchs, wird die Berufung auch dann nicht unzulässig, wenn der Restanspruch unter der Berufungssumme bleibt (vgl. Zöller/Feskorn § 306 ZPO Rz. 12).
Kapitel 37 Gerichtlicher Vergleich I. Bedeutung, Vorteile, Risiken . . . . . . . . . II. Rat und Dokumentation gegenüber dem Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhandeln des Vergleichs . . . . . . . . . . . IV. Gestaltung und Kostenregelung . . . . . . . M 37.1 Vergleich mit Verpflichtung zur Ratenzahlung und Widerrufsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.2 Vergleich mit Verpflichtung zur Ratenzahlung mit Verfallklausel . . M 37.3 Vergleich mit Anreiz zur Zahlung eines Mindestbetrages . . . . . . . . . M 37.4 Vergleich mit Auflassungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.5 Vergleich mit Verpflichtung zur Auflassung und Kostenantrag nach § 91a ZPO . . . . . . . . . . . . . . M 37.6 Vergleich mit Verpflichtung zum Widerruf einer ehrverletzenden Behauptung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. VI.
VII. 26 27 29
VIII. IX. X. XI.
33 XII. 35 37
M 37.7 Vergleich mit Verschwiegenheitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . Fehler beim Vergleich . . . . . . . . . . . . . . Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.7a Vergleich mit Beteiligung eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begünstigung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . M 37.8 Vergleich zugunsten Dritter . . . . . Widerruf des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . Abänderung des Vergleichs . . . . . . . . . . Anfechtung des Vergleichs . . . . . . . . . . . Unwirksamkeit des Vergleichs und Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . Fortsetzung des Prozesses oder neue Klage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 37.9 Vergleich mit Vereinbarung einer Geschäftsgrundlage . . . . . . M 37.10 Antrag auf Fortsetzung wegen Unwirksamkeit des Vergleichs und Gegenantrag . . . . . . . . . . . .
39 40 44 47 48 49 50 55 57 59 61 63 64
Gerichtlicher Vergleich
Rz. 5 Kap. 37
Der Vergleich hat als Erledigungsart enorme Bedeutung. Das Verhältnis von Vergleich zu streitiger Entscheidung beträgt in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht nahezu 2:3 und vor dem Landgericht etwa 1:1. In Berufungsverfahren beträgt das Verhältnis vor dem Landgericht 1:2 und vor dem Oberlandesgericht 2:3 (vgl. Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte 2016, abrufbar unter www.destatis.de). Die obligatorische Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der verfassungsrechtlich gebilligte Vorrang gütlicher Einigung (vgl. BVerfG NJW-RR 2007, 1073), die Einführung des Güterichters, der befugt ist, alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Meditation einzusetzen (§ 278 Abs. 5 ZPO), sowie die verstärkte Richterfortbildung zur Verhandlungsführung werden die Bedeutung des gerichtlichen Vergleichs weiter fördern. Fazit: auf die Vergleichsverhandlung sollten sich Anwälte und Parteien bei der professionellen Prozessführung beizeiten einstellen und vorbereiten, sie in das Prozesskonzept einbeziehen und ihr Potenzial für die Interessen der Mandanten ausschöpfen. Zugleich aber hat der Anwalt Beratungspflichten und Haftungsrisiken zu bedenken.
1
Gerichtliche Entscheidungen sind infolge der tatsächlichen und rechtlichen Bewertung durch das 2 Gericht als einen Dritten nicht ohne Weiteres steuerbar und vielfach schwer vorhersehbar. Auch können sie nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Rechtsmitteln überprüft werden. Ein wesentlicher Vorteil des Vergleichs ist daher die Risikominimierung und die Beseitigung des Unsicherheitsfaktors einer ungewissen möglicherweise negativen Entscheidung. Zugleich bieten Vergleichsverhandlungen für die Parteien noch eine Gelegenheit, steuernd in den Konflikt einzugreifen, gestaltend an dessen Bewältigung mitzuwirken und zu einer interessengerechten, oft auch zukunftsorientierten Lösung zu gelangen. Durch den Vergleichsschluss vermeiden Partei und Anwalt, dass in der gerichtlichen Urteilsbegrün- 3 dung Bewertungen erfolgen und Zuschreibungen von Verschulden und Verantwortung festgeschrieben werden, die zu unnötigen weiteren Auseinandersetzungen, Folgeprozessen und Regressen führen können. Der Vergleich kann gerade in Umfangsverfahren aus ökonomischen Gründen sinnvoll sein, weil ein rasches Verfahrensende erreicht wird, während das gerichtliche Verfahren durch Beweisaufnahmen und sonstige Bearbeitungsdauer erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann. Damit verbunden ist eine Kostenreduzierung infolge geringeren eigenen Kapital- und Zeitaufwandes, geringerer Gerichtsgebühren und ersparten Beweisaufnahmekosten sowie einer teilweisen Kostenabwälzung auf den Gegner. Durch Ratenzahlung, Druckzuschläge oder andere Anreize kann die Durchsetzung der Forderung erhöht und unnötiger Vollstreckungsaufwand vermieden werden. Dem stehen nur geringe Risiken gegenüber, die individuell abgewogen werden müssen. Mit dem Ver- 4 gleich wird auf eine überprüfbare Entscheidung verzichtet. Ein Nachgeben im Vergleichswege kann außerdem zuweilen als Gesichtsverlust empfunden werden. Die Unzufriedenheit des Mandanten wegen des Aufgebens vermeintlich erfolgversprechender Positionen muss bedacht werden. Das Eigeninteresse des Gerichts an einem Vergleich wegen geringeren Arbeitsaufwandes sollte nicht dominierend sein.
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Praxistipp: Eine vorsichtige und taktisch kluge Prozessführung nutzt Vergleichsverhandlungen 5 aktiv, um die rechtliche Einschätzung des Gerichts in Erfahrung zu bringen, das Verhalten des Prozessgegners zu beobachten, Fragen an Gericht und Gegner zu richten und die eigene Prozessführung auf neue Gesichtspunkte einzustellen. Der Anwalt sollte heraushören, wie die Risiken einzuschätzen sind, seinen Mandanten entsprechend beraten und die eigenen Positionen optimal vertreten, ohne eine Blockadehaltung einzunehmen. Die im Alltag häufig anzutreffende Scheu von Anwälten, aber auch mancher Gerichte, Vergleichsgespräche mit einem von Sachargumenten getragenen konkreten Vorschlag zu beginnen und voranzutreiben, ist nicht immer gerechtfertigt und selten geeignet, rasch zu einem tragfähigen Ergebnis zu gelangen. Ein defensives Gesprächsverhalten mag im Einzelfall geboten sein, um als Anwalt nicht zu früh erkennen zu lassen, welches Ergebnis für die eigene Partei (noch) akzeptabel wäre. Sich jedoch routinemäßig so zu verhalten und erst auf Vorschläge des Gegners oder des Gerichts zu reagieren, lässt Wiemer 637
ZPO
I. Bedeutung, Vorteile, Risiken
Kap. 37 Rz. 6
Gerichtlicher Vergleich
ZPO
die in einer proaktiven – also die Entwicklung eines Geschehens selbst bestimmenden und eine Situation herbeiführenden – Verhandlungsführung liegenden Möglichkeiten ungenutzt. So kann es im Einzelfall vorzugswürdig und effektiv sein, in Zahlungsangelegenheiten als erster einen genauen Zahlbetrag vorzugeben, um einen – bei allen Beteiligten im weiteren Gespräch jedenfalls unterbewusst wirkenden – „Anker“ zu setzen.
II. Rat und Dokumentation gegenüber dem Mandanten 6 Der Anwalt muss sich und seinen Mandanten im Prozess vor der mündlichen Verhandlung darauf einstellen, dass das Gericht regelmäßig auf eine vergleichsweise Erledigung des Rechtstreits hinwirken wird (§ 278 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO). Über Inhalt und Tragweite des Vergleichs muss er den Mandanten umfassend und nach allen Richtungen aufklären (BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 222/09); das betrifft auch die mit dem Abschluss des Vergleichs eintretenden Kostenfolgen.
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Wichtig: Der Rechtsanwalt muss dem Mandanten die Vorteile und Nachteile eines Vergleichs darlegen und selbst von einem ausdrücklich vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich abraten, wenn dieser für die Partei eine unangemessene Benachteiligung bringt und die begründete Aussicht auf eine – ggf. erst auf ein Rechtsmittel hin zu erwartende – günstigere Entscheidung besteht (BGH v. 14.7.2016 – IX ZR 291/14, MDR 2016, 1235 = NJW 2016, 3430). Umgekehrt muss er zuraten, wenn zureichende Anhaltspunkte bestehen, dass die Partei bei streitiger Entscheidung ein schlechteres Ergebnis erzielen würde (OLG Koblenz v. 21.10.2010 – 5 U 653/10, MDR 2012, 124).
8 Aus Dokumentationsgründen muss der Rechtsanwalt zur Minimierung des Haftungsrisikos dem Mandanten in seinem Terminsbericht die von ihm erteilten Hinweise schriftlich bestätigen und bei einem Widerrufsvergleich in Abwesenheit des Mandanten umfassend über das Für und Wider des abgeschlossenen Vergleiches, insbesondere über dessen mögliche nachteilige Wirkungen, aufklären.
III. Verhandeln des Vergleichs 9 Die Vergleichsverhandlung wird vom Gericht – in jeder Lage des Verfahrens – üblicherweise mit der Einschätzung der beiderseitigen Erfolgsaussichten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (vgl. §§ 139 Abs. 1 Satz 1, 278 Abs. 2 Satz 2, 279 Abs. 3 ZPO) eröffnet. Professionelles Verhandeln über einen Vergleich ist mehr als die Wiederholung des eigenen rechtlichen Standpunktes. Verhandeln bedeutet ein darüber hinausgehendes Gegenüberstellen der beiderseitigen Interessen zur Erreichung eines von beiden Seiten als fair bewerteten und deshalb tragfähigen Ergebnisses. Unterstützt durch das Gericht geben Vergleichsverhandlungen dem Anwalt und auch der Partei selbst die Gelegenheit, sich aktiv an der Lösungsfindung zu beteiligen und zu einem optimalen und interessengerechten Ausgleich zu gelangen.
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Praxistipp: Agieren ist besser als reagieren (vgl. Rz. 5). Stellen Sie Ihren eigenen Fahrplan für Verhandlungen auf und entwickeln Sie eigene Ideen der Vergleichsverhandlung. Bewegen Sie das Gericht durch die eigene Flexibilität für Verhandlungen zu einer offenen rechtlichen Einschätzung, die in die Beratung des Mandanten aufgenommen werden kann. Die bei Anwälten gelegentlich anzutreffende Scheu davor, das Gericht freundlich, aber nachhaltig um eine (vorläufige) Einschätzung der Sach- und Rechtslage zu bitten, ist nicht angebracht. Einem Gericht gegenüber, das Vergleichsgespräche führen möchte, ohne sich zu den zentralen Sachund Rechtsfragen klar zu positionieren, was das vorläufige Ergebnis der angestellten Überlegungen bzw. deren etwaige Offenheit und das weitere prozessuale Vorgehen anbelangt, sollte deutlich gemacht werden, dass die vertretene Partei einen von ihr als akzeptabel empfundenen Kompromiss nur auf der Basis einer nachvollziehbaren, fundierten und möglichst konkreten Einschätzung der Prozessrisiken eingehen kann.
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Rz. 15 Kap. 37
Dem Gegner persönlichen Respekt zu erweisen wird diesen eher zum Nachgeben veranlassen als Angriffe, Vorwürfe und Kritik, die – falls nötig – stets in sachlichem Ton erfolgen sollten. Für den eigenen Verhandlungsfahrplan sind Vorüberlegungen anzustellen, welche Vorteile mit einem 11 Vergleich erreicht werden könnten, wie zB die rasche Zahlung des Beklagten durch Vereinbarung eines „Druckzuschlages“ bei Überschreitung einer bestimmten Zahlungsfrist. Ist der Streitgegenstand des Prozesses nicht der einzige Streitpunkt zwischen den Parteien oder bestehen zwischen ihnen in die Zukunft wirkende Verbindungen, kann sich eine Einbeziehung anderer, nicht rechtshängiger Konflikte in die Verhandlung anbieten, um auf diese Weise den „Kuchen zu vergrößern“ und die Verhandlungsmasse und damit die Lösungsoptionen zu erweitern.
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Praxistipp: Kommt die Einbeziehung nicht rechtshängiger Streitpunkte in den Vergleich – zur 12 Herbeiführung einer „Gesamtlösung“ – in Betracht, sollte der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm bzw. seiner Partei zu diesen prozessfremden Konfliktpunkten möglichst viele konkrete Informationen zur Verfügung stehen. Die Akten des – über andere Gegenstände geführten – Rechtsstreits enthalten nur selten die notwendigen Angaben, die es dem Gericht ermöglichen würden, die Parteien bei einer umfassenden Einigung effektiv zu unterstützen. Immer wieder wird die Arbeit an einer für alle Beteiligten befriedigenden Lösung des „Gesamtkonflikts“ dadurch behindert, dass Parteien und ihre Anwälte in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend vorbereitet sind und auf relevante Unterlagen zu prozessfremden Gegenständen nicht zugreifen können.
Telefonisch oder schriftlich ausgehandelte Vergleiche können ohne Anberaumung eines Verhandlungstermins im Bürowege durch Gerichtsbeschluss festgestellt werden (§ 278 Abs. 6 ZPO). Erforderlich ist lediglich, dass der Vergleichsinhalt dem Gericht mitgeteilt und der Antrag gestellt wird, dass das Zustandekommen des Vergleichs durch Beschluss festgestellt wird.
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IV. Gestaltung und Kostenregelung In der Gestaltung des Vergleichs beweisen sich einerseits anwaltliche Vorsicht, andererseits juristische Fantasie und Kreativität bei der Lösungsfindung. Vielfach geht es schlicht um die Modalitäten einer vom Beklagten zu leistenden Zahlung. Dann bieten sich Ratenzahlungsvereinbarungen mit entsprechenden Sanktionen, wie etwa Verfallsklauseln, Betragserhöhungen bei Nichtzahlung („Druckzuschläge“) oder Ermäßigungen bei früherer Zahlung an. Bei Dauerschuldverhältnissen, Unterhaltszahlungen oder Abfindungszahlungen, wie sie häufig von Versicherungen in Schadensfällen vereinbart werden, kann sich die einvernehmliche Dokumentation einer Vergleichsgrundlage (Geschäftsgrundlage) empfehlen, um die Verpflichtungen unerwarteten künftigen Entwicklungen ggf. anpassen zu können.
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Für die meist vom Gericht übernommene Formulierung des Vergleichs gelten die allgemeinen Kri- 15 terien für Verträge. Der Anwalt muss darauf achten, dass der Text eindeutig und vollständig ist und solche Formulierungen gewählt werden, die keiner Auslegung bedürfen, vielmehr aus sich heraus verständlich sind und den Willen des Mandanten richtig wiedergeben (BGH NJW 2002, 1048) und keine unbedachten Folgen zeitigen: Wird im Vergleich ein Anspruch als auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhend anerkannt, entfaltet das Bindungswirkung für die weitreichenden Folgen des § 302 Nr. 1 InsO (BGH v. 25.6.2009 – IX ZR 154/08, MDR 2009, 1299; für die erweiterten Pfändungsmöglichkeiten nach § 850f Abs. 2 ZPO gilt nichts anderes, vgl. auch Zöller/ Herget § 850f ZPO Rz. 9). Schließt ein Gesamtschuldner einen Vergleich, muss er darauf bedacht sein, dass der Wille, dem Vergleich Gesamtwirkung beizumessen (vgl. § 423 BGB), unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Denn ohne hierauf hindeutende klare Anhaltspunkte ist nicht davon auszugehen, dass der Gläubiger auf die Möglichkeit, sich bei dem anderen Gesamtschuldner schadlos zu halten, verzichtet. Der den Vergleich schließende Gesamtschuldner muss dann befürchten, die in seinem Außenverhältnis zum Gläubiger ausgehandelten Vorteile aufgrund eines Gesamtschuldnerregresses (§ 426 Abs. 2 Satz 1 BGB) wieder zu verlieren (BGH MDR 2012, 214, s. auch Rz. 48). Zur Wiemer 639
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Kap. 37 Rz. 16
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Vollstreckbarkeit des Vergleichs muss auf eine präzise und bestimmte Formulierung der vereinbarten Ansprüche geachtet werden (vgl. Christopoulos MDR 2014, 438).
16 Die gängige Formulierung „Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien erledigt“ sollte jedenfalls dann durch eine konkrete Bezeichnung der erledigten Forderungen ersetzt werden, wenn unbekannte Ansprüche vorhanden sein könnten, deren Erledigung nicht beabsichtigt ist oder zu einem anderen Vereinbarungsergebnis führen würde.
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Praxistipp: Bei Geldbeträgen sollte ausdrücklich erwähnt werden, ob der Betrag mit oder ohne Mehrwertsteuer zu zahlen ist, um spätere Auseinandersetzungen und Auslegungsprobleme zu vermeiden. Soll vermieden werden, dass die Zahlung sofort mit Vergleichsschluss fällig wird (Normalfall, der keines ausdrücklichen Zusatzes im Vergleichstext bedarf), sind konkrete – möglichst datumsmäßig fixierte – Zahlungszeitpunkte bzw. -fristen zu nennen. Anbieten kann sich schließlich auch die Angabe eines abweichenden Zahlungsempfängers oder der genauen Kontoverbindung des Zahlungsempfängers.
18 Bei strafbewehrten Unterlassungserklärungen im Prozessvergleich kann die ausschließlich durch den Richter auszusprechende Androhung (vgl. § 890 Abs. 2 ZPO) nicht wirksam bereits in den Vergleich aufgenommen werden (BGH MDR 2012, 1060). Die strafbewehrte Verpflichtung des Schuldners zur Unterlassung steht einem Antrag des Gläubigers auf gerichtliche Androhung von Ordnungsmitteln, die nicht voraussetzt, dass der Unterlassungsschuldner bereits gegen die im Prozessvergleich titulierte Unterlassungspflicht verstoßen hat, nicht entgegen (BGH v. 3.4.2014 – I ZB 3/12, MDR 2014, 800).
19 Die Verteilung der Prozesskosten sollte ggf. die Kosten eines vorangegangenen selbständigen Beweisverfahrens oder einer Nebenintervention ausdrücklich einbeziehen. Wenn es zum Hauptsacheprozess kommt, stellen die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zwar ohne Weiteres Kosten dieses Rechtsstreits dar (Zöller/Herget § 490 ZPO Rz. 7 und § 91 ZPO Rz. 13). Dennoch werden mit einer entsprechenden Klarstellung Missverständnisse im Hinblick auf § 98 ZPO vermieden. Die Kosten, die durch Säumnis (§ 344 ZPO) oder durch Anrufung des unzuständigen Gerichts (§ 281 Abs. 3 ZPO) entstanden sind, sind von der Kostenregelung im Vergleich nur ausgenommen, wenn dies ausdrücklich vereinbart wird. Kosten eines außergerichtlichen Vergleichs gehören nur dann zu den zu erstattenden Kosten des Rechtsstreits, wenn die Parteien dies vereinbart haben (BGH v. 15.3.2011 – VI ZB 45/09, MDR 2011, 571).
20 Zu erwägen ist, auch die vom Beklagten an den Kläger zu zahlenden Gerichts- und Anwaltskosten in die Ratenzahlungsvereinbarung aufzunehmen. Wird bereits im Vergleich der entsprechende Erstattungsbetrag in bestimmter Höhe tituliert, bedarf es des anschließenden Kostenfestsetzungsverfahrens nicht mehr. Ferner kann geregelt werden, dass der Kostenerstattungsanspruch des Klägers erst fällig ist nach Tilgung der Hauptschuld.
21 Ist einer der Parteien Prozesskostenhilfe gewährt worden, ist bei der Kostenregelung des Vergleiches § 123 ZPO zu beachten. Wenn die mit Prozesskostenhilfe prozessierende Partei im Vergleich übernommen hat, die Kosten zu tragen, kann ihr Gegner uneingeschränkt die Erstattung von Kosten einschließlich der aufgewandten Gerichtskosten verlangen (vgl. Zöller/Geimer § 123 ZPO Rz. 6). Der Übernahmeschuldner (vgl. § 29 Nr. 2 GKG) wird auch dann nicht geschützt, wenn die Kostenübernahme im Prozessvergleich der materiellen Rechtslage entspricht und er sonst zur Kostentragung verurteilt worden wäre (OLG Saarbrücken v. 20.10.2009 – 6 WF 105/09). Die Inanspruchnahme des Hilfsbedürftigen wegen der Gerichtskosten kann dadurch vermieden werden, dass der Prozessvergleich auf die Hauptsache beschränkt und eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO beantragt wird (s. Kap. 10 Rz. 19 ff. sowie M 37.5). Sie unterbleibt nach § 31 Abs. 4 GKG ebenfalls, wenn der Vergleich einschließlich der enthaltenen Kostenregelung vom Gericht vorgeschlagen worden ist und das Gericht in seinem Vorschlag ausdrücklich festgestellt hat, dass die Kostenregelung der sonst zu erwartenden Kostenentscheidung entspricht. Die mit Prozesskostenhilfe prozessierende Partei sollte im 640
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M 37.2
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Rz. 27 Kap. 37
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Falle eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags auf eine entsprechende Feststellung des Gerichts hinwirken. Aber auch dann, wenn die Einigung der Parteien (zunächst) nicht auf einem Vorschlag des Gerichts beruht, kann beim Gericht erfragt werden, ob dieses sich in der Lage sieht, aufgrund seiner Einschätzung der Sach- und Rechtslage den Parteien einen entsprechenden Vorschlag (auch zur Kostenverteilung) zu unterbreiten. Haben sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich über die Hauptsache und die Kosten geeinigt, ist § 91a ZPO nicht anwendbar. Enthält der Vergleich aber keine Kostenregelung und haben die Parteien die Wirkung des § 98 ZPO ausgeschlossen, ist Raum für eine Entscheidung nach § 91a ZPO (BGH NJW 2007, 835). Bei der Entscheidung kann im Rahmen des billigen Ermessens berücksichtigt werden, welche Kostenregelung die Parteien selbst angestrebt haben; jene Regelung kann auch im Vergleich als Anregung für das Gericht niedergelegt werden (BGH NJW 2007, 835).
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Wichtig: Die Anregung sollte dann nicht in den Vergleich aufgenommen werden, wenn einer der Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt ist; es besteht die Gefahr, dass jene Regelung im Hinblick auf die Prozesskostenhilfebewilligung als vergleichsweise Übernahme der Kosten angesehen wird (s. dazu Kap. 10 Rz. 19 ff. und 116 ff. sowie oben Rz. 21).
Ist einer Partei eine Deckungszusage durch ihre Rechtsschutzversicherung gewährt worden, ist zu be- 24 rücksichtigen, dass die Kostenregelung in einem Vergleich dem formalen Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen (vgl. § 2 Abs. 3a ARB 1975) bzw. dem Verhältnis des vom Versicherungsnehmer tatsächlich erstrebten Ergebnisses zum erzielten Ergebnis (vgl. § 5 Abs. 3b ARB 2010) entsprechen muss. Überlassen die Parteien es dem Gericht, eine Entscheidung nach § 91a ZPO zu treffen, gilt dies nicht (vgl. Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 30. Aufl., ARB 2010 § 5 Rz. 61). Zur Vereinfachung und Kostenreduzierung können sich anstelle eines Vergleichs alternative Gestaltungen anbieten, wie zum Beispiel ein im Termin erklärtes Teilanerkenntnis des Beklagten und eine auf den übrigen Anspruchsteil bezogene Teilrücknahme der Klage.
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M 37.1 Vergleich mit Verpflichtung zur Ratenzahlung und Widerrufsvorbehalt
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Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte zahlt an den Kläger 7.000 Euro. 2. Der Beklagte kann die Zahlung in monatlichen Raten von 1.000 Euro leisten. Die Raten sind jeweils, beginnend mit dem 15.3.2018, am 15. eines jeden Monats fällig. … 4. Der Beklagte kann diesen Vergleich durch Einreichung eines Schriftsatzes [ggf.: seiner Prozessbevollmächtigten] widerrufen, der spätestens am 5.3.2018 beim …gericht eingegangen sein muss.
M 37.2 Vergleich mit Verpflichtung zur Ratenzahlung mit Verfallklausel
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Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte zahlt an den Kläger 7.000 Euro. 2. Der Beklagte kann die Zahlung in monatlichen Raten von 1.000 Euro leisten. Die Raten sind jeweils am 15. eines Monats fällig, beginnend mit dem 15.3.2018. Kommt der Beklagte mit einer Rate (ggf.: mehr als 10 Tage) in Rückstand, wird der gesamte dann noch offene Betrag sofort fällig. …
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Kap. 37 Rz. 28
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M 37.3
Praxistipp: Es sollte nicht formuliert werden, dass der Restbetrag sofort fällig wird, wenn der Beklagte mit der Zahlung in Verzug gerät. Verzug setzt Verschulden voraus (§ 286 Abs. 4 BGB), über dessen Vorliegen die Parteien in erneuten Streit geraten können.
29 M 37.3 Vergleich mit Anreiz zur Zahlung eines Mindestbetrages Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte zahlt an den Kläger 70.000 Euro. 2. Die Zahlung ist fällig am 31.12.2018. Zahlt der Beklagte bis zum 31.7.2018 einen Betrag von insgesamt 40.000 Euro, ist er von der Zahlung des dann noch offenen Restbetrages befreit. 3. …
30 Das M 37.4 enthält die Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück mit Auflassung. Die gem. § 925 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Auflassung erforderliche notarielle Beurkundung wird gem. § 127a BGB bei einem gerichtlichen Vergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in das Protokoll ersetzt. Die sofortige Erklärung der Auflassung in dem Vergleich (vgl. auch § 925 Abs. 1 Satz 3 BGB) hat für den Kläger den Vorteil, dass er den Beklagten im Weigerungsfall nicht erst auf Abgabe der Auflassungserklärung verklagen muss, damit diese gemäß § 894 Satz 1 ZPO mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils als abgegeben gelten kann.
31 Zwar tritt die Beurkundungswirkung entsprechend § 127a BGB auch im Falle der Vergleichsfeststellung durch Beschluss gem. § 278 Abs. 6 ZPO ein (BGH v. 1.2.2017 – XII ZB 71/16, MDR 2017, 416) ein. Im schriftlichen Vergleich kann jedoch nach umstrittener Auffassung mangels gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien iS des § 925 Abs. 1 Satz 1 BGB keine Auflassung erklärt werden (vgl. Zöller/ Greger § 278 Rz. 35; Staudinger/Pfeifer/Diehn § 925 BGB Rz. 83 aE). Zum Zwecke der rechtssicheren Ausgestaltung der Vereinbarung sollten die Parteien daher die Anberaumung eines gerichtlichen Termins zur Vergleichsprotokollierung beantragen.
32 Sofern der Vergleich durch die Anwälte der Parteien in deren Abwesenheit abgeschlossen wird, haben sich diese vor Abschluss des Vergleiches zu vergewissern, dass die ihnen erteilte Prozessvollmacht sie auch zur Auflassungserklärung berechtigt (s. dazu auch Kap. 1 Rz. 62).
33 M 37.4 Vergleich mit Auflassungserklärung Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger das Eigentum an dem Grundstück Gemarkung …, Flurstück Nummer …, Grundbuchheft … zu übertragen und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen. 2. In Vollzug der Verpflichtung gemäß Ziffer 1 erklären beide Parteien: Wir sind darin einig, dass das Eigentum an dem Grundstück Gemarkung …, Flurstück Nummer …, Grundbuchheft …, auf den Kläger übergeht. …
34 Das M 37.5 trägt dem Umstand Rechnung, dass eine bedingte Auflassung gem. § 925 Abs. 2 BGB unwirksam ist und deshalb nicht in einem gerichtlichen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt vereinbart werden kann (vgl. BGH NJW 1984, 312; BGH NJW 1988, 415). Die Widerrufsmöglichkeit ist für eine Partei aber dann bedeutsam, wenn sie sich vor Erklärung der Auflassung zB über ein Vorkaufsrecht der Gemeinde oder die Höhe der zu zahlenden Anliegerbeiträge Klarheit verschaffen möchte.
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Rz. 38 Kap. 37
M 37.5 Vergleich mit Verpflichtung zur Auflassung und Kostenantrag
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nach § 91a ZPO Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger das Eigentum an dem Grundstück Gemarkung …, Flurstück Nummer …, Grundbuchheft …, zu übertragen und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen. 2. Der Kläger kann diesen Vergleich durch Einreichung eines Schriftsatzes [ggf.: seiner Prozessbevollmächtigten] widerrufen, der spätestens am 5.3.2018 beim …gericht eingegangen sein muss. 3. Wird dieser Vergleich nicht widerrufen, erklären die Parteien den Rechtsstreit schon jetzt in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt und stellen widerstreitende Kostenanträge mit der Bitte an das Gericht, über die Kosten gem. § 91a ZPO zu entscheiden1, da eine Kostenaufhebung gem. § 98 Satz 2 ZPO von den Parteien nicht gewollt ist. 1 Die Bitte erscheint notwendig, um dem Gericht bei der Kostenentscheidung die Möglichkeit des Ausweichens auf § 98 ZPO abzuschneiden; s. dazu BGH v. 26.6.2003 – III ZB 57/02.
Das M 37.6 enthält den Widerruf einer ehrverletzenden Behauptung. Auch in diesem Muster ist schon die Erklärung des Beklagten enthalten, um eine Zwangsvollstreckung gem. § 888 ZPO zu vermeiden. Allerdings ist eine Widerrufserklärung erst wirksam, wenn sie demjenigen gegenüber abgegeben ist, gegenüber dem der Beklagte die ehrverletzende Behauptung aufgestellt hat. Es kann deshalb entweder so verfahren werden, dass der Beklagte sich verpflichtet, die Ausfertigung des Vergleiches dem Empfänger der Widerrufserklärung zugänglich zu machen, oder dass der Kläger dies übernimmt. Der Kläger ist dann – was für die Abwicklung vorzuziehen ist – Erklärungsbote des Beklagten. M 37.6 wählt diese Variante.
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M 37.6 Vergleich mit Verpflichtung zum Widerruf einer ehrverletzenden
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Behauptung Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte widerruft hiermit seine gegenüber der Firma C im Schreiben vom 2.5.2018 aufgestellte Behauptung, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Firma D sei wegen eines Diebstahls des Klägers durch fristlose Kündigung der Firma D beendet worden. 2. Der Kläger ist berechtigt, die in Ziffer 1 enthaltene Widerrufserklärung durch Übersendung einer Ausfertigung dieses Vergleiches der Firma C … mitzuteilen. 3. … …
Das M 37.7 enthält eine Verschwiegenheitsvereinbarung, deren Abschluss sich in Situationen anbietet, in denen es eine Partei verhindern (oder erschweren) möchte, dass in der Öffentlichkeit oder bei bestimmten am Rechtsstreit nicht beteiligten Personen, mit denen etwa vergleichbare Prozesse geführt werden (sollen), bekannt wird, dass und zu welchen Konditionen sie sich im laufenden Verfahren mit dem Gegner geeinigt hat. Die Parteien können sich auch beiderseitig zur Verschwiegenheit verpflichten und entsprechende Sanktionen (Vertragsstrafen) für einen Bruch der Vereinbarung vorsehen. Sinnvoll ist eine Ausnahmeregelung im Hinblick auf gegenüber Dritten bestehende Auskunfts- und Informationspflichten (zB gegenüber einer Rechtsschutzversicherung).
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M 37.6
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Kap. 37 Rz. 39
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M 37.7
39 M 37.7 Vergleich mit Verschwiegenheitsvereinbarung Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. … 2. Der Kläger verpflichtet sich, über den Inhalt dieses Vergleichs Stillschweigen zu bewahren. Ausgenommen sind etwaige gesetzliche, vertragliche oder behördliche Auskunftspflichten. Der Kläger verpflichtet sich im selben Umfang, seine Prozessbevollmächtigten nicht von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. 3. …
V. Fehler beim Vergleich 40 Fehler des Anwalts und der Partei beim Vergleichsschluss, die nicht innerhalb einer ausbedungenen Widerrufsfrist bemerkt werden, sind meist nur schwer zu korrigieren. Die Anfechtung des Vergleichs ist nur in Ausnahmefällen möglich. Aus diesem Grund kann sich aus Fehlern beim Vergleich die Gefahr des Anwaltsregresses ergeben. Das beginnt schon mit der Entscheidung für oder gegen den Vergleich, die jede für sich gesehen risikoträchtig sein kann, und setzt sich fort bei der konkreten Ausgestaltung des vereinbarten Ergebnisses.
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Praxistipp: Grundlage der Entscheidung des Mandanten muss eine umfassende und genaue Aufklärung darüber sein, welchen Inhalt der beabsichtigte Vergleich haben soll, welche Vor- und Nachteile damit verbunden sind, welche Positionen aufgegeben werden und wie die Erfolgsaussichten im Falle einer Fortsetzung des Rechtsstreits einzuschätzen sind. Dabei sind rechtliche, wirtschaftliche und persönliche Gesichtspunkte zu bedenken.
42 Der Anwalt hat seinen Mandanten in die Lage zu versetzen, in jeder Hinsicht eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will (BGH NJW 1998, 900).
43 Beispiele für Fehler beim Vergleich sind: – Fehlerhafte Beratung des Mandanten vor dem Vergleichsabschluss, zB unzureichende Beratung über die Erfolgsaussichten und fehlender Hinweis auf einen (teilweisen) Anspruchsverlust. – Zuraten zu einem Vergleich ohne Hinweis auf den Verlust einer Rechtsposition, die der Mandant erkennbar gewahrt wissen will (BGH NJW 1993, 1325). – Zuraten zu einem Vergleich mit deutlich ungünstigerem Ergebnis als bei einer gerichtlichen Entscheidung im Prozess (BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 222/09, MDR 2010, 926). – Abraten von einer günstigen Vergleichsmöglichkeit bei geringer Erfolgsaussicht im Prozess (OLG Oldenburg NJW-RR 1991, 1499; OLG Koblenz MDR 2012, 124). – Übersehen eines Risikos, das mit der im Vergleich getroffenen Regelung verbunden ist, zB Abschluss eines Abfindungsvergleichs unter Aufgabe eines immateriellen oder materiellen Vorbehalts für Zukunftsschäden nach einem Verkehrsunfall (OLG Köln NJW-RR 1995, 1529). – Außerachtlassen weiterer Ansprüche des Mandanten bei Erledigung sämtlicher Ansprüche der Parteien durch den Vergleich. – Rechenfehler bei Ermittlung der Vergleichssumme oder der Kostenquote, die weder durch Anfechtung noch durch Berichtigung korrigiert werden können (BayVerfGH NJW 2005, 1347; OLG Hamm NJW-RR 2006, 65).
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M 37.8
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Rz. 50 Kap. 37
An dem Vergleich kann auch ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter teilnehmen. Bei Streitgenossen 44 wirkt der Vergleich nur für und gegen den, der ihn abschließt (vgl. § 61 ZPO). Vollstreckungstitel ist der Vergleich für einen Dritten nur, wenn er mit einer Partei (oder den Parteien) den Vergleich zur Beilegung des Rechtsstreits abgeschlossen hat und nach dem Vergleichsinhalt der zu vollstreckende Anspruch für ihn als Gläubiger oder gegen ihn als Schuldner begründet ist (vgl. Zöller/Geimer § 794 ZPO Rz. 6). Der lediglich dem Prozessvergleich beitretende Dritte braucht auch im Anwaltsprozess nicht durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten zu sein (BGHZ 86, 160).
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Die Beteiligung eines Dritten am Vergleich empfiehlt sich insbesondere dann, wenn hierdurch ein Fol- 46 geprozess zwischen einer der Parteien und dem Dritten wegen Regressansprüchen vermieden werden kann. Auch kommt die Beteiligung des Dritten in Betracht, wenn er neben dem Beklagten Schuldner des gerichtlich geltend gemachten Anspruches ist.
M 37.7a Vergleich mit Beteiligung eines Dritten
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Die Parteien sowie der Streithelfer C schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte und der Streithelfer C zahlen als Gesamtschuldner an den Kläger bis zum … 25.000 Euro. …
VII. Begünstigung Dritter Die Parteien des Vergleichs können auch für einen nicht bei dem Vertragsabschluss mitwirkenden Dritten einen Leistungsanspruch materiell-rechtlich begründen (Vertrag zugunsten Dritter, § 328 BGB). Der begünstigte Dritte rückt damit jedoch nicht in die Parteistellung ein und erlangt somit nicht das (prozessuale) Recht, eine vollstreckbare Ausfertigung zu verlangen und aus dem Vergleich zu vollstrecken (vgl. Zöller/Geimer § 794 ZPO Rz. 6). Vollstreckbar ist der Vergleich hinsichtlich der Leistung an den Dritten nur auf Antrag einer Partei oder eines am Vertragsabschluss entsprechend beteiligten Dritten (OLG Celle VersR 1966, 1038; KG Berlin NJW 1973, 2032; OLG München NJW 1957, 1367; dazu auch BGH FamRZ 1980, 342; anders Stein/Jonas/Münzberg § 794 ZPO Rz. 45 mwN: Für Dritten vollstreckbar, wenn ihm ersichtlich eigene Rechte verschafft sind). Soll ein nicht am Prozess beteiligter Gesamtschuldner begünstigt und die Forderung auch gegen ihn erledigt werden (vgl. § 423 BGB), empfiehlt sich eine klare Vereinbarung, da sonst nur Einzelwirkung eintritt oder Auslegungsprobleme entstehen (BGH MDR 2000, 943; BGH MDR 2012, 214).
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M 37.8 Vergleich zugunsten Dritter
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Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Der Beklagte zahlt an die Firma C bis zum … 25.000 Euro. …
VIII. Widerruf des Vergleichs Der Widerrufsvorbehalt als auflösende Bedingung ist eine verbreitete Regelung, um eine Überlegungsfrist einzuräumen oder den Vergleichsinhalt mit Dritten, zB der Versicherung, abzustimmen. Der Widerruf ist gegenüber dem vereinbarten Adressaten zu erklären, typischerweise dem Gericht. Wiemer 645
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VI. Beteiligung Dritter
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Fehlt die Vereinbarung eines Adressaten, kann der Widerruf sowohl dem Gericht als auch der anderen Vergleichspartei erklärt werden (BGH NJW 2005, 3576). Eine einvernehmliche Verlängerung der Widerrufsfrist ist möglich, wenn eine Partei dies dem Gericht anzeigt und die andere Partei ihr Einverständnis erklärt. Gegen die Versäumung der Frist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (BGHZ 61, 394; BAG MDR 1998, 794). Der Streit über die Wirksamkeit des Widerrufs und damit über den Fortbestand des Vergleichs sowie dessen prozessbeendende Wirkung ist durch Fortsetzung des alten Verfahrens auszutragen (BGH NJW 1972, 159). Die Parteien können einen Widerrufsvorbehalt für eine Partei oder für beide Parteien – hier uU auch mit unterschiedlich langen Widerrufsfristen – vereinbaren.
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Wichtig: Der Widerruf des Vergleichs ist nur möglich, wenn der Widerruf vorbehalten war. Nach erklärter Annahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags im schriftlichen Verfahren gem. § 278 Abs. 6 ZPO ist ein Widerruf der Erklärung nicht mehr möglich, auch wenn das Gericht den Feststellungsbeschluss, dem lediglich deklaratorische Wirkung zukommt, noch nicht gefasst hat (OLG Hamm NJW 2011, 1373).
52 Neben dem vorbehaltenen Widerruf gibt es Fälle des Rücktritts vom Vergleich. Ob ein gesetzliches Rücktrittsrecht besteht, richtet sich nach den allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen. Ist es gegeben, bringt seine Ausübung die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs nicht in Wegfall (Zöller/ Geimer § 794 ZPO Rz. 15c).
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Praxistipp: Der Vergleich hat häufig Vorbereitungsarbeit des Gerichts gekostet und Erwartungen der Beteiligten hervorgerufen. Wird der Vergleich widerrufen, empfiehlt sich eine kurze Begründung, mit der die Gründe für den Widerruf dargelegt werden. Damit macht der Widerrufende seine Entscheidung nachvollziehbar und gibt dem Gericht Gelegenheit, die Argumente für seine Position noch einmal zu überdenken.
54 Sind auf einer Seite mehrere am Vergleich beteiligt, muss der Widerrufsvorbehalt regeln, ob der Widerruf eines Streitgenossen den Vergleich insgesamt zu Fall bringt.
IX. Abänderung des Vergleichs 55 Wie andere Schuldtitel über künftige Leistungen unterliegt auch der Prozessvergleich der Abänderbarkeit bei Änderung der Vergleichsgrundlagen (§ 323a ZPO sowie in Unterhaltssachen § 239 FamFG). Das hat Bedeutung im Falle der Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen.
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Wichtig: Begründet ein Vergleich dauerhafte oder auf künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen gerichtete Pflichten, deren spätere Anpassung an geänderte Verhältnisse (vgl. § 313 BGB) von den Parteien in Betracht gezogen oder jedenfalls nicht ausgeschlossen wird, sollten die Vergleichsgrundlagen präzise umschrieben werden, damit ausreichende Anhaltspunkte zur Bewertung der wesentlichen Veränderung der Umstände vorhanden sind.
X. Anfechtung des Vergleichs 57 Die Anfechtungsgründe der §§ 119, 123 BGB gelten mit Einschränkungen. Grundsätzlich kann sich auch der Vertragspartner eines Vergleichs auf einen Erklärungs- oder Inhaltsirrtum oder auf eine arglistige Täuschung berufen. Die Einschränkungen ergeben sich unter Kausalitätsgesichtspunkten daraus, dass der Irrtum – sei er durch Täuschung oder auf andere Weise veranlasst – sich nicht gerade auf die durch den Vergleich beigelegten bzw. beseitigten Streitpunkte und Unsicherheiten beziehen darf. Deshalb kann zB die Erklärung, dass alle zwischen den Parteien bestehenden Ansprüche erledigt seien, nicht mit der Begründung angefochten werden, man habe sich darüber geirrt, dass noch eine weitere Forderung bestehe (OLG Celle NJW 1971, 145). Beim Vergleich sind Erklärungs- und Inhaltsirrtum selten. Die Anfechtung wird häufig an der Unbeachtlichkeit eines Motivirrtums scheitern. 646
Wiemer
Rz. 62 Kap. 37
Verschweigt der Unterhaltsgläubiger eine Geldzuwendung, die möglicherweise unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen ist, und offenbart er diese nicht ungefragt, kann der Schuldner den Unterhaltsvergleich wegen arglistiger Täuschung anfechten (BGH MDR 1999, 1069).
58
ZPO
Gerichtlicher Vergleich
XI. Unwirksamkeit des Vergleichs und Störung der Geschäftsgrundlage Vergleiche können wegen gemeinsamer Fehlvorstellungen unwirksam sein. Auch beiderseitige Fehlvorstellungen über die Rechtslage, zB über das Bestehen einer Entschädigungspflicht, können zur Unwirksamkeit des Vergleichs führen (BGH MDR 2004, 441). Gem. § 779 BGB kann Unwirksamkeit bei beiderseitiger anfänglicher Fehlvorstellung über als feststehend zugrunde gelegte Verhältnisse eintreten. Es handelt sich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall des Fehlens der Geschäftsgrundlage (BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 34/93, NJW-RR 1994, 434), so dass auch eine Anpassung in Betracht kommt. Beispiel: Irren sich die Parteien bei den Vergleichsverhandlungen über die Bezugsgröße der Versicherungsentschädigung, entfällt die Vergleichsgrundlage (BGH VersR 1970, 243). Eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) wird nur dann rechtlich erheblich, wenn und soweit das Festhalten an der Vereinbarung unter Berücksichtigung der wirklichen oder veränderten Sachlage zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Das setzt voraus, dass die Geltung des Vereinbarten für die eine Partei schlechthin unzumutbar ist und dass der anderen Partei ein Abgehen von dem Vereinbarten zugemutet werden kann (BGH NJW-RR 1994, 434).
K
59
Wichtig: Bezieht sich der Irrtum allerdings auf einen Umstand, der vor dem Vergleich als strei- 60 tig oder ungewiss angesehen wurde und deshalb gerade Gegenstand der Streitbeilegung war, findet § 779 BGB keine Anwendung (BGH NJW 2000, 2497). Diese Vorschrift setzt einen Irrtum über tatsächliche Gegebenheiten voraus, die sich außerhalb des Streits oder der Ungewissheit befanden (BGH MDR 2007, 649).
XII. Fortsetzung des Prozesses oder neue Klage? Auf welchem Wege Einwendungen gegen den Vergleich geltend zu machen sind, lässt sich nicht ein- 61 heitlich mit einer Kurzformel beantworten, sondern hängt von dem jeweiligen Ziel der Rechtsverfolgung und der Art des Einwands ab (anschaulich BGH NJW 1972, 159). Soll die Beendigung des Prozesses wegen (anfänglicher) Unwirksamkeit oder einer mit Wirkung ex-tunc (§ 142 Abs. 1 BGB) erklärten Anfechtung des Vergleichs in Frage gestellt werden, ist das Ursprungsverfahren mit dem bisherigen Klageziel fortzusetzen (st. Rspr. BGH v. 21.11.2013 – VII ZR 48/12, MDR 2014, 241). Das Gericht kann dann durch Urteil entweder über die Klage entscheiden oder feststellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist. Die Rückerstattung der aufgrund des angefochtenen Vergleichs bereits erbrachten Leistungen muss ebenfalls im Wege der Fortsetzung des Ursprungsverfahrens (BGH MDR 1999, 1217) geltend gemacht werden. Einer auf Rückerstattung gerichteten neuen Klage fehlt aber dann das Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr, wenn eine Rechtsverfolgung im fortgesetzten, aber rechtskräftig abgeschlossenen Ausgangsverfahren nicht mehr möglich ist (BGH MDR 2011, 811). Soll hingegen der Vergleich als fortbestehend vorausgesetzt und auf seiner Grundlage ein neues Rechtsschutzziel verfolgt werden – Beispiele: Nachträgliche Anpassung des Vergleichs wegen Änderung der Geschäftsgrundlage; Vollstreckungsgegenklage – muss ein neues Klageverfahren eingeleitet werden ähnlich wie bei einer Anpassung gem. § 323a ZPO.
K
Wichtig: Der Einwand der Unwirksamkeit des Vergleichs ist eine verzichtbare Rüge iS der 62 §§ 282 Abs. 3, 296 Abs. 3 ZPO. Hält der Beklagte die neue Klage zum Gegenstand des früheren Vergleichs deshalb für unzulässig, weil das Altverfahren wegen Unwirksamkeit des Vergleichs nicht beendet worden sei und fortgesetzt werden müsse, hat er diesen Einwand zur Vermeidung einer Präklusion sogleich mit der Klageerwiderung geltend zu machen. Den Parteien steht es frei, übereinstimmend einen Zivilprozess als durch Vergleich beendet anzusehen unabhängig davon, ob dieser wegen prozessualer oder materiell-rechtlicher Mängel unwirksam ist und Wiemer 647
Kap. 37 Rz. 63
Gerichtlicher Vergleich
M 37.9
ZPO
auf welcher rechtlichen Grundlage die Unwirksamkeit beruht. Dem Gericht ist es dementsprechend verwehrt, die neue Klage wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) als unzulässig abzuweisen (BGH NJW 2014, 394).
63 M 37.9 Vergleich mit Vereinbarung einer Geschäftsgrundlage Die Parteien schließen folgenden Vergleich: 1. Die Beklagte zahlt an den Kläger zur Abfindung der aus dem am … stattgefundenen Unfall resultierenden Ansprüche wegen Gesundheitsschäden 20.000 Euro. 2. Geschäftsgrundlage dieses Vergleiches ist, dass das linke Bein des Klägers nicht versteift. Falls eine Versteifung des Beines eintritt, hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz eines weiteren angemessenen Geldbetrages, der unter Berücksichtigung aller Umstände anhand der zum Zeitpunkt des Eintritts der Versteifung geltenden Schmerzensgeldtabellen zu ermitteln ist. …
64 M 37.10 Antrag auf Fortsetzung wegen Unwirksamkeit des Vergleichs und
Gegenantrag1 An das Landgericht – Zivilkammer – In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) beantrage ich namens des Klägers, 1. das Verfahren fortzusetzen und einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, 2. den Beklagten zu verurteilen, … (es folgt der ursprüngliche Klageantrag). Begründung: Die Parteien haben zu Protokoll des Gerichts am 17.7.2017 einen Vergleich geschlossen. Dieser Vergleich ist unwirksam. Denn der Kläger ist vom Beklagten arglistig getäuscht worden. Der Beklagte hat im Verlaufe der Vergleichsverhandlungen erklärt, er werde …. Diese Angaben waren, wie der Beklagte wusste, unrichtig und sind erfolgt, um den Kläger zum Abschluss des Vergleichs und zu den vereinbarten Zugeständnissen zu bewegen. Nur aufgrund dieser Angaben war der Kläger überhaupt bereit, sich gütlich zu einigen. Der Kläger hat den Vergleich durch Anwaltsschreiben vom 5.9.2017 wegen arglistiger Täuschung angefochten … usw. Gegenantrag: Ich [Beklagter] beantrage, unter Zurückweisung der Anträge des Klägers festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 17.7.2017 beendet worden ist. Begründung: Der von den Parteien am 17.7.2017 geschlossene Vergleich ist wirksam und hat den Rechtsstreit beendet. Der Beklagte hat den Kläger keineswegs arglistig getäuscht. Der Beklagte hatte keine Kenntnis davon, dass …. Er hat die Angaben in gutem Glauben gemacht. 1 S. auch M 75.2 und M 75.3.
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ZPO
D. Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess Kapitel 38 Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess I. 1. 2. 3. 4. 5.
6. 7. 8.
II. 1. 2.
Wechselprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzen des Wechselverfahrens . . . . . . . . . . Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechsel-Mahnbescheid . . . . . . . . . . . . . . . Einwendungen des Beklagten . . . . . . . . . . . a) Widerspruch ohne Begründung . . . . . . . b) Anerkenntnis unter Vorbehalt der Rechte im Nachverfahren . . . . . . . . . . . c) Einwendungen gegen die Prozessvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einwendungen aus dem Wechsel . . . . . . e) Einwendungen gegen die Echtheit der Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Andere Einwendungen . . . . . . . . . . . . . Abstandnahme vom Wechselprozess . . . . . . Übergang in andere Verfahren . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 38.1 Wechselklage . . . . . . . . . . . . . . . . . M 38.2 Widerspruch (Vorbehalt) . . . . . . . . M 38.3 Einwendungen (Unterschrift) . . . . . M 38.4 Einwendungen aus dem Wechsel . . M 38.5 Erwiderung des Klägers . . . . . . . . . M 38.6 Abstandnahme . . . . . . . . . . . . . . . . Wechsel-Nachverfahren . . . . . . . . . . . . . . Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrag des Beklagten auf Einleitung des Nachverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . .
1 1 2 8 12 14 14 15 16 17 18 20 23 26 30 32 33 34 35 36 37 38 38 43
III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
IV. V. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
43 VI.
c) Gegenantrag des Klägers . . . . . . . . . . . . M 38.7 Antrag auf Nachverfahren . . . . . M 38.8 Erwiderung des Klägers . . . . . . M 38.9 Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . Scheckprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzen des Scheckverfahrens . . . . . . . . . . . Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheckklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheck-Mahnbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . Einwendungen des Beklagten . . . . . . . . . . . Abstandnahme, Übergang in andere Verfahren, Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . M 38.10 Scheckklage . . . . . . . . . . . . . . . . . M 38.11 Widerspruch (Vorbehalt) . . . . . . . M 38.12 Einwendungen (aus dem Scheck) . Scheck-Nachverfahren . . . . . . . . . . . . . . . Urkundenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzen des Urkundenprozesses . . . . . . . . . Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urkundenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urkunden-Mahnbescheid . . . . . . . . . . . . . Einwendungen des Beklagten . . . . . . . . . . . Abstandnahme, Übergang in andere Verfahren, Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . M 38.13 Urkundenklage . . . . . . . . . . . . . . M 38.14 Widerspruch (Vorbehalt) . . . . . . . M 38.15 Einwendungen aus der Urkunde . Urkunden-Nachverfahren . . . . . . . . . . . .
48 51 52 53 54 54 56 60 64 65 71 72 73 74 76 77 77 78 83 88 89 92 94 95 96 98
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I. Wechselprozess 1. Nutzen des Wechselverfahrens Der Wechselprozess (§§ 602–605, 592–600 ZPO) ist eine besondere Verfahrensart, mit deren Hilfe der Kläger schnell einen (ohne Sicherheitsleistung, § 708 Nr. 4 ZPO) vorläufig vollstreckbaren Titel gegen den Wechselakzeptanten, den Aussteller, die Indossanten oder Wechselbürgen erlangen kann. Zur Beschleunigung sind Ladungsfristen verkürzt (§ 604 Abs. 2 ZPO), Beweismittel beschränkt bzw. ausgeschlossen (vgl. zB §§ 592 Satz 1, 595 Abs. 2 ZPO) und Widerklagen unstatthaft (§ 595 Abs. 1 ZPO). Das Urteil ist aber nur vorläufig und steht unter dem Vorbehalt der vollen Aufklärung im Nachverfahren (§ 599 Abs. 1 ZPO).
Wiemer 649
1
Kap. 38 Rz. 2
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
ZPO
2. Formalien
2 Der Wechselprozess betrifft nur Ansprüche aus dem Wechsel (§ 602 ZPO), nämlich solche auf Zahlung (Art. 28, 32, 48, 49, 78, 90 Abs. 1 Satz 2 WG) und auf weitere Wechselausfertigung (Art. 64 Abs. 3, 66 Abs. 1 Satz 2, 68 Abs. 1 Satz 2 WG), nicht dagegen aber auf Herausgabe des Wechsels (Art. 16 Abs. 2, 50 WG), auf Ersatz des Wechselschadens (Art. 45 Abs. 6 WG) und auf Ehrenzahlung (Art. 55 Abs. 4 WG). Der Anspruch auf Wechselbereicherung (Art. 89 WG) kann zwar im Wechselprozess geltend gemacht werden (BGH NJW 1992, 118), was aber zwecklos ist, weil er in der Regel nicht durch Wechsel und andere Urkunden belegbar ist. Erforderlich ist die Bezeichnung als Wechselklage oder Klage im Wechselprozess (§ 604 Abs. 1 ZPO).
3 Gerichtsstand: Zahlungsort aus dem Wechsel (Art. 1 Abs. 1 Nr. 5, 2 Abs. 3, 4, 75 Nr. 4 WG, § 603 Abs. 1 Alt. 1 ZPO), Wohnort des Beklagten (§ 13 ZPO) und die anderen allgemeinen Gerichtsstände (§§ 12 ff., 603 Abs. 1 Alt. 2 ZPO). Bei mehreren Beklagten gilt jeder mögliche Gerichtsstand für alle (§ 603 Abs. 2 ZPO).
4 Für die Prozessvoraussetzungen, Prozesseinreden (zB anderweitige Rechtshängigkeit) und prozessuale Tatsachen (wie zB Richterablehnung, Wiedereinsetzung) gilt die Beschränkung der Beweismittel (§§ 592 Satz 1, 595 Abs. 2 ZPO) nicht (BGH MDR 1986, 130; Zöller/Greger § 592 ZPO Rz. 9).
5 Die Einrede des Schiedsvertrags (§ 1032 Abs. 1 ZPO) greift im Wechselprozess – anders als im gewöhnlichen Urkundenprozess (BGH NJW 2006, 779) – nicht durch, weil ein Wechselgläubiger auch bei Vereinbarung einer umfassenden Schiedsklausel regelmäßig auf den besonderen Vorteil der vorläufigen Durchsetzung des Wechselanspruchs in dem eigens ausgestalteten zivilprozessualen Verfahren mit der Aussicht auf alsbaldige Titulierung des Anspruchs nicht verzichtet (BGH NJW 1994, 136).
6 Fristen: Einlassungsfrist 2 Wochen (§ 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO), auf Antrag abkürzbar aus besonderen Gründen (§ 226 Abs. 1 ZPO); Ladungsfrist (§ 217 ZPO) abgekürzt auf 24 Stunden bis zu einer Woche (§ 604 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO); auch im Juli und August besteht kein Anspruch auf Terminsverlegung (§ 227 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO).
7 Es besteht Anwaltszwang nach Maßgabe des § 78 Abs. 1 ZPO ohne Besonderheiten. Wechselsachen sind Handelssachen (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 GVG); § 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG schließt einen Urkunden-, Wechsel und Scheckprozess im Arbeitsgerichtsverfahren aus, steht der Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Wechsel für Arbeitsentgelt vor dem ordentlichen Gericht aber nicht entgegen (BGH MDR 1976, 206). 3. Wechselklage
8 Die Klage muss die Erklärung enthalten, dass im Wechselprozess geklagt wird (§ 604 Abs. 1 ZPO). Sie wird nur auf den Wechsel nebst Vorlage und Protest gestützt. Zusammen mit der Klage wird der Wechsel nebst Anhang über Wechsel-Vorlage und -Protest in Kopie vorgelegt (§ 593 Abs. 2 ZPO). Eine Ausnahme gilt für Klagen gegen Akzeptanten („Haftung des Annehmers“, Art. 53 Abs. 1 WG) oder bei aufgebrachtem Wechselvermerk „ohne Kosten“ oder „ohne Protest“ („Protesterlass“ gem. Art. 46 WG). Hier genügt der bloße Wechsel und als Beweis für dessen Vorlage der Antrag auf Parteivernehmung des Beklagten (§ 605 Abs. 1 ZPO).
9 Spätestens im Termin ist – auch bei Säumnis des Beklagten – die Vorlage der Originale erforderlich (§ 595 Abs. 3 ZPO; Kopien sind keine Urkunden, BGH MDR 1992, 806), es sei denn, der Beklagte bestreitet Echtheit und Inhalt der Urkunden nicht (BGH MDR 1994, 565). Nebenforderungen (wie Wechselzinsen, -spesen und -provisionen) müssen lediglich glaubhaft gemacht werden (§ 605 Abs. 2 ZPO), etwa durch Vorlage von Bankbelegen.
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Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 15 Kap. 38
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Sie richtet sich nicht nur gegen die Wechselschuldner, sondern auch gegen die kraft Gesetzes Haftenden: zB Vertreter ohne Vertretungsmacht (Art. 8 WG), Erben (§ 1967 Abs. 1 BGB), Gesellschafter der OHG und KG (§§ 128, 161 Abs. 1, 171 HGB), Geschäftsübernehmer (§ 25 HGB), Ehegatten bei Gesamtgut (§ 1437 BGB) (Zöller/Greger § 602 ZPO Rz. 4), Gesellschafter der aus dem Wechsel haftenden BGB-Gesellschaft, wenn die Gesellschafterstellung mit den im Wechselprozess zulässigen Beweismitteln (s. Rz. 1, 15) bewiesen werden kann (BGHZ 146, 341). Andere Klagegründe wie Schuldanerkenntnis oder Grundgeschäft sowie Hilfsanträge auf Übergang in den Urkundenprozess sind zunächst nicht zulässig (BGH MDR 1982, 297; MDR 1982, 992), können jedoch im Nachverfahren oder in einem zugleich laufenden ordentlichen Verfahren geltend gemacht werden.
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ZPO
Die Wechselklage steht auch dem nicht durch den Wechsel selbst ausgewiesenen Inhaber zu, wie etwa dem Zessionar, Gesamtrechtsnachfolger und Pfändungspfandgläubiger (Zöller/Greger § 602 ZPO Rz. 3).
4. Wechsel-Mahnbescheid
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Zum Wechsel-Mahnverfahren sind erforderlich: – ausdrücklicher Antrag auf Erlass eines Wechsel-Mahnbescheids (§ 703a Abs. 1 ZPO): Eintrag „Wechsel“ an der richtigen Stelle des amtlichen Formulars. Der Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen (§ 96 Abs. 1 GVG) kann noch fristgerecht nach Widerspruch mit der Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 ZPO) erfolgen (OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1471; Zöller/ Seibel § 690 ZPO Rz. 18, 20), – Bezeichnung des Anspruchs aus dem Wechsel mit den Wechsel-, Vorlage- und Protestdaten (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), – Bezeichnung – nicht: Beifügung (in Kopie) – der Urkunden, die erst nach Abgabe der Streitsache im Original oder in Abschrift der Anspruchsbegründung beizufügen sind (§ 703a Abs. 2 Nr. 2 ZPO; wie Rz. 8). Der Antragsgegner kann seinen Widerspruch auf den Antrag beschränken, ihm die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorzubehalten (§ 703a Abs. 2 Nr. 4 ZPO). Der Vollstreckungsbescheid ergeht dann mit diesem Vorbehalt (entsprechend §§ 599, 600 ZPO).
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5. Einwendungen des Beklagten a) Widerspruch ohne Begründung Der Beklagte, den im Vorverfahren keine prozessuale Pflicht trifft, sich sachlich gegen den Klageanspruch zu verteidigen, kann ohne Begründung erklären, er widerspreche dem Anspruch aus dem Wechsel (BGH MDR 1988, 207; 1993, 475; Zöller/Greger § 599 ZPO Rz. 5). Das hat zur Folge, dass das Vorbehaltsurteil ergeht und ihm die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorzubehalten ist (§ 599 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte darf aber im Termin nicht säumig sein, sonst ergeht Versäumnisurteil ohne Vorbehalt, sofern die Klage zulässig und schlüssig ist (Zöller/Greger § 599 ZPO Rz. 6).
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b) Anerkenntnis unter Vorbehalt der Rechte im Nachverfahren Wenn der Beklagte gegen Echtheit und Inhalt der Wechselurkunde nichts vorbringen kann und damit rechnen muss, dass seine Einwendungen, die er nicht mit Urkunden beweisen kann (andere Beweismittel außer Parteivernehmung sind unzulässig, §§ 592 Satz 1, 595 Abs. 2, 598 ZPO; Zöller/Greger § 595 ZPO Rz. 6, § 592 ZPO Rz. 14), bestritten werden, wird er in der Regel erklären, dass er den Wechselanspruch nur für das Urkundenverfahren unter Vorbehalt seiner Rechte anerkennt. Es ergeht dann nach einhelliger Praxis ein Wechsel-Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil (Zöller/Greger § 599 ZPO Rz. 8;
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ZPO
Kap. 38 Rz. 16
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Zöller/Feskorn § 307 ZPO Rz. 9), ohne dass es einer mündlichen Verhandlung bedarf (§ 307 Satz 2 ZPO). c) Einwendungen gegen die Prozessvoraussetzungen
16 Diese unterliegen ohne Beschränkungen den allgemeinen Beweisregeln und werden weder von § 592 ZPO noch von § 595 Abs. 2 und 3 ZPO erfasst, so dass der Beklagte sie in vollem Umfang erheben kann (BGH MDR 1986, 130). Um einen durch die Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils (vgl. zu deren im Einzelnen umstrittenen Umfang Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 19 f.) bedingten Verlust dieser Einwendungen für das Nachverfahren zu verhindern, müssen diese erhoben werden, wenn sie bestehen (BGH MDR 1993, 475). Für in und vor der Verhandlung zur Hauptsache vorzutragende (vgl. § 282 Abs. 3 ZPO sowie BGH NJW-RR 1989, 802) verzichtbare Zulässigkeitsrügen gilt – von der Bindungswirkung unabhängig – ohnehin § 296 Abs. 3 ZPO. d) Einwendungen aus dem Wechsel
17 Diese können im Wechselverfahren erhoben werden, sofern sie sich aus der Urkunde ergeben, wie zB die Unterbrechung der Indossamentenkette (Art. 16 Abs. 1 WG) oder der verspätet erhobene Protest (Art. 44 Abs. 3 WG). Sie verhindern den Erlass eines Vorbehaltsurteils. Werden sie nicht erhoben, gehen sie für das Nachverfahren verloren, weil sie den Wechselanspruch beseitigen und das Vorbehaltsurteil ohne vorherige Prüfung dieser Punkte nicht ergehen kann (BGH MDR 1993, 475; Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 19). e) Einwendungen gegen die Echtheit der Unterschrift
18 Nimmt der Beklagte an, die Unterschrift (Akzept, Aussteller, Indossament) sei nicht echt, sollte er dies sofort geltend machen. Denn die Beweislast trifft den Kläger (BGH MDR 1995, 628), der daraufhin vom Wechselprozess Abstand nehmen sollte, weil der Antrag auf Parteivernehmung des Beklagten meist nicht weiterhilft und Zeugen- oder Sachverständigenbeweis (Schriftgutachten) nicht stattfindet (§§ 597 Abs. 2, 596 ZPO).
19 Dasselbe gilt für die Einwendung, der Unterzeichnende habe keine Vertretungsmacht besessen; auch deren Bestehen muss der Kläger beweisen (BGH WM 1991, 1909), der jedoch die Vollmachturkunde oder einen Registerauszug vorlegen könnte. f) Andere Einwendungen
20 Diese (etwa: Zahlung außerhalb des Wechsels oder durch Dritte, Mängel des Begebungsvertrags, Zahlung auf das Grundgeschäft, Mängel im Grundgeschäft, Zurückbehaltungsrecht, Prolongationsabrede, Aufrechnung) sollten nur erhoben werden, wenn sie durch Urkunden belegbar sind (§ 598 ZPO) oder voraussichtlich nicht bestritten werden und daher keines Beweises bedürfen (BGH NJW 2008, 523). Der zulässige Antrag auf Parteivernehmung des Klägers (§ 595 Abs. 2 ZPO) wird in der Regel keinen Erfolg versprechen.
21 Vorsicht: Unschlüssige Einwendungen – und mit ihnen auch die Möglichkeit späterer Präzisierung – können durch das Vorbehaltsurteil endgültig verloren gehen (BGH MDR 1993, 475 u. NJW 2004, 1159; Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 19). Lediglich im Wechselverfahren unzulässige Einwendungen werden als unstatthaft zurückgewiesen (§ 598 ZPO) bleiben aber für das Nachverfahren erhalten (BGH MDR 1972, 41).
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Wichtig: Widerklagen stehen dem auf Beschleunigung gerichteten Verfahrenszweck entgegen und sind deshalb – auch als Urkundenwiderklage – nicht statthaft (§ 595 Abs. 1 ZPO).
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Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 29 Kap. 38
In der Regel braucht der Kläger auf Einwendungen des Beklagten nur mit Bestreiten zu reagieren, 23 weil den Beklagten die Beweislast gegen den Wechsel trifft (BGH NJW-RR 1988, 1314; BGHZ 125, 251) und jener den Beweis nicht mit Urkunden führen kann.
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Ausnahmen: – die Einwendungen aus dem Wechsel treffen zu, so dass ein Bestreiten gegen § 138 Abs. 1 ZPO verstieße, – der Beklagte wendet sich gegen die Echtheit der Unterschrift (Beweislast: Kläger) oder gegen die Vertretungsmacht des Unterzeichnenden, es sei denn, der Kläger kann die Vollmachtsurkunde vorlegen (s. Rz. 18, 19), – der Beklagte führt den Beweis mit Urkunden (etwa mit einer Zahlungsquittung) und der Kläger kann diesen nicht seinerseits mit Urkunden oder der Parteivernehmung (§ 595 Abs. 2 ZPO), sondern nur mithilfe von Zeugen oder eines Sachverständigenbeweises entkräften (BGH MDR 1968, 647; BGHZ 80, 97; Zöller/Greger § 598 ZPO Rz. 5). In diesen Fällen muss der Kläger vom Wechselprozess Abstand nehmen und ins ordentliche Verfahren übergehen (§ 596 ZPO). Das ist jetzt in der Berufungsinstanz nur noch unter den durch § 533 ZPO beschränkten Voraussetzungen der Klagänderung (BGH NJW 2012, 2662) zulässig; das gilt auch für die auf den mit der Klageänderung erhobenen neuen Angriff hin erfolgte Widerklage oder Aufrechnung des Beklagten (diese sind in der Regel sachdienlich (BGH NJW 2000, 143).
25
7. Übergang in andere Verfahren Der Übergang vom ordentlichen Verfahren in den Urkundenprozess ist trotz § 593 Abs. 1 ZPO in 26 einem späteren Schriftsatz gem. § 261 Abs. 2 ZPO unter den Voraussetzungen der Klagänderung (§ 263 ZPO: Zustimmung des Beklagten oder Sachdienlichkeit, die nur selten vorliegen wird) zulässig, weil die Unterschiede zwischen den Verfahrensarten nicht so gewichtig sind (BGH MDR 1977, 918), um dem Kläger den Übergang zum Urkundenprozess mit Rücksicht auf übergeordnete Rechtspflegeinteressen oder schutzwürdige Belange der beklagten Partei stets zu versagen. Der Übergang vom ordentlichen Verfahren in den Wechsel-/Scheckprozess wird wegen § 604 Abs. 1 ZPO teilweise nicht für zulässig gehalten (Zöller/Greger § 604 ZPO Rz. 1, anders § 593 ZPO Rz. 2). Der für diese Auffassung herangezogenen Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 79, 71) ist der Bundesgerichtshof (BGH MDR 1977, 918) jedoch im Rahmen der Anwendung des § 593 Abs. 1 ZPO, der im Wortlaut nicht von § 604 Abs. 1 ZPO abweicht, entgegengetreten. Der Übergang ist daher als zulässig anzusehen.
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Der Übergang vom Wechselprozess in den Urkundenprozess ist zulässig (in der Berufungsinstanz jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 529, 531 ZPO), denn er stellt keine Klagänderung dar (BGH MDR 1994, 723). Er ist zB erforderlich, wenn der Wechsel formungültig, aber – im Wege der Umdeutung – als wirksames Schuldversprechen (§ 780 BGB) angesehen werden kann (BGH WM 1994, 56). Das soll beim Scheck nicht in Betracht kommen, weil eine Umdeutung die Regelung des Art. 40 ScheckG aushöhlen würde (BGH MDR 1989, 635).
28
Da keine Klagänderung vorliegt, muss – den obigen Grundsätzen (vgl. Rz. 28 und BGH MDR 1994, 723) folgend – auch umgekehrt der Übergang vom Urkundenprozess in den Wechsel-/Scheckprozess zulässig sein, zB um bei einem im Ausland wohnenden Beklagten den Gerichtsstand des Zahlungsortes nutzen zu können.
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Wiemer 653
ZPO
6. Abstandnahme vom Wechselprozess
Kap. 38 Rz. 30
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
M 38.1
ZPO
8. Rechtsmittel
30 Das Vorbehaltsurteil ist ein Endurteil und mit der Berufung oder Revision anfechtbar (§ 599 Abs. 3 ZPO). Ist die Klage abgewiesen, kann der Kläger nicht ins Nachverfahren übergehen (BGH MDR 1989, 428); will er dies, muss er zunächst das klageabweisende Vorbehaltsurteil anfechten; ansonsten kann er nur eine neue Klage erheben, zB aus dem Grundgeschäft (BGH aaO). Hat das Gericht den Vorbehalt trotz Widerspruchs gegen den Klaganspruch nicht ausgesprochen, kommt eine Ergänzung des Urteils in Betracht (§§ 599 Abs. 2, 321 ZPO). Der Beklagte kann (unter den Voraussetzungen der §§ 529, 531 ZPO) auch Berufung einlegen, um den Vorbehalt zu erreichen, zB wenn er die Frist des § 321 Abs. 2 ZPO hat verstreichen lassen. Sind dem Beklagten Einwendungen nicht als unstatthaft gem. § 598 ZPO abgewiesen worden (wonach er sie im Nachverfahren wiederholen könnte), sondern als unschlüssig oder unbegründet, muss er gegen das Vorbehaltsurteil Berufung einlegen, um sie weiter verfolgen zu können (BGH MDR 1960, 397; 1993, 475).
31 K
Praxistipp: 1. Für Wechsel- und Scheckprozesse beim LG: Zur Beschleunigung Kammer für Handelssachen wählen (§ 96 GVG), da der Vorsitzende alleine entscheidet (§ 349 Abs. 2 Nr. 8 ZPO) und Aussicht auf eine größere richterliche Expertise in wechsel- und scheckrechtlichen Fragen besteht. 2. Für den Kläger: Kein (entbehrlicher) Vortrag zum Grundgeschäft. 3. Für den Beklagten: Keine sonstigen Einwendungen (vgl. Rz. 20, 21) erheben, wenn zu befürchten ist, dass diese bestritten werden und nicht durch Urkunden belegbar sind; dann vielmehr lediglich dem Anspruch aus dem Wechsel widersprechen oder diesen unter Vorbehalt der Rechte im Nachverfahren anerkennen.
32 M 38.1 Wechselklage In Sachen …/… (Langrubrum) erhebt der Kläger Klage im Wechselprozess mit den Anträgen, 1. den Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen zu verhandeln, 2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 25.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB, mindestens aber 6 %, seit dem 4.5. … sowie 50 Euro Wechselunkosten und 75 Euro Wechselprovision zu zahlen. Begründung: Der Kläger ist Aussteller und Inhaber des im Inland ausgestellten und zahlbaren Wechsels vom 3.2. … über 25.000 Euro, fällig am 3.5. …. Der Beklagte hat den Wechsel akzeptiert, aber nicht bezahlt. Protest mangels Zahlung wurde am 4.5. … erhoben. Der Beklagte hat dem Kläger die Wechselsumme nebst Wechselzinsen, 50 Euro Wechselunkosten sowie 1/3 % Provision zu zahlen (Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 WG). Beweis: Wechsel vom 3.2. … nebst Protesturkunde und Kostenbeleg (in Kopie beigefügt). Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG, die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Vor- und Nachverfahren sind ein Verfahren (§ 600 Abs. 1 ZPO, Zöller/Greger vor § 592 ZPO Rz. 8); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Vor- und Nachverfahren sind kraft ausdrücklicher Regelung verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 5 RVG); die Verfahrensgebühr des Vorverfahrens wird jedoch auf die Verfahrensgebühr des Nachverfahrens angerechnet (Abs. 2 der Anm. zu Nr. 3100 VV RVG).
654
Wiemer
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 37 Kap. 38
M 38.2 Widerspruch (Vorbehalt)
33
In Sachen …/… (Kurzrubrum) widerspricht der Beklagte dem erhobenen Wechselanspruch und wird seine Einwendungen im Nachverfahren darlegen. Allein für das Urkundenverfahren erkennt er den Wechselanspruch unter Vorbehalt seiner Rechte im Nachverfahren an.
M 38.3 Einwendungen (Unterschrift)
34
In Sachen …/… (Kurzrubrum) widerspricht der Beklagte dem erhobenen Wechselanspruch. Er bestreitet die Echtheit seiner angeblichen Unterschrift unter dem Wechsel. Er hat den Wechsel nicht akzeptiert. Es ist Sache des Klägers, Beweis anzutreten (BGH MDR 1995, 628).
M 38.4 Einwendungen aus dem Wechsel
35
In Sachen …/… (Kurzrubrum) widerspricht der Beklagte dem erhobenen Wechselanspruch. Dem Kläger steht ein Rückgriffsanspruch aus dem Wechsel (Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 WG) nicht zu, weil Protest mangels Zahlung (Art. 53 Abs. 1 WG) nicht durch den aus dem Wechsel legitimierten Inhaber erhoben ist. Die Legitimation kann nur durch eine ununterbrochene Kette von Indossamenten nachgewiesen werden (BGH MDR 1991, 963). Beim Wechsel an eigene Order muss die Kette mit einem Indossament des Ausstellers beginnen. Ein solches Indossament weist der Wechsel nicht auf.
M 38.5 Erwiderung des Klägers
36
In Sachen … / … (Kurzrubrum) bestreitet der Kläger den Vortrag des Beklagten zu den Einwendungen. Da der Beklagte seine Einwendungen nicht mit Urkunden belegt hat, sind diese unstatthaft (§ 598 ZPO). Er ist auf das Nachverfahren zu verweisen, in dem der Kläger ausführlich Stellung nehmen wird.
M 38.6 Abstandnahme
37
In Sachen …/… (Kurzrubrum) geht der Kläger in das ordentliche Verfahren über. Der Beklagte hat die von ihm geltend gemachte Aufrechnungsforderung iHv. 5.000 Euro auf den PkwKaufvertrag vom 31.1. … gestützt und die Vertragsurkunde vorgelegt. Der Kläger hat den Vertrag mit Schreiben vom 11.2. … wegen arglistiger Täuschung angefochten und braucht deshalb den Kaufpreis nicht mehr zu leisten. Der Pkw ist entgegen der vertraglichen Zusicherung des Beklagten über eine Laufleistung von 65.000 km tatsächlich 165.000 km gelaufen. Das hat der Beklagte, der den Pkw die gesamte Zeit über in Besitz gehabt und gefahren hatte, gewusst und den Kläger, der zu diesem Punkt ausdrücklich nachgefragt hatte, vorsätzlich zum Vertragsabschluss verleitet, was die Ehefrau des Beklagten inzwischen zugegeben hat.
Wiemer 655
ZPO
M 38.6
ZPO
Kap. 38 Rz. 38
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
M 38.6
Beweis: 1. Zeugnis der Frau … 2. Sachverständigengutachten 3. Schreiben vom 11.2. … Da der Kläger den Beweis nicht mit Urkunden erbringen kann, geht er ins ordentliche Verfahren über.
II. Wechsel-Nachverfahren 1. Zweck
38 Wegen der Beschränkung der Beweismittel im Vorverfahren ist dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbehalten worden. Der Rechtsstreit bleibt deshalb im Nachverfahren anhängig (§ 600 Abs. 1 ZPO), das der Fortsetzung des Wechselverfahrens dient und mit diesem eine Einheit bildet (Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 1). Grundlage des Nachverfahrens ist nach wie vor der Anspruch aus dem Wechsel (BGH NJW-RR 1994, 114), gegen den nunmehr alle Einwendungen und alle Beweismittel ohne Beschränkung zulässig sind. Da die Rechte des Klägers durch das Vorbehaltsurteil gewahrt sind, wird praktisch der Beklagte zum Führer des Nachverfahrens, ohne dass sich die Parteirollen ändern: Er muss darlegen und nachweisen (BGH NJW-RR 1988, 1314; MDR 1995, 310; beim Scheck: BGH NJW-RR 1994, 114), dass der Wechselanspruch dem Kläger nicht zusteht bzw. dass der Kläger um den Wechsel bereichert ist.
39 Der Beklagte kann – alle Einwendungen vorbringen, die er im Vorverfahren nicht erhoben hat (BGH MDR 1982, 209; MDR 1992, 518; MDR 1993, 475), – alle Einwendungen vorbringen, die im Vorverfahren wegen der Beweisbeschränkungen nach § 598 ZPO als unstatthaft abgewiesen sind (Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 11), – Widerklage erheben (Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 18b), – dagegen solche Einwendungen nicht mehr vorbringen, die ihm durch das Vorbehaltsurteil rechtskräftig abgeschnitten sind: Als unschlüssig oder unbegründet abgewiesene Einwendungen (BGH MDR 1993, 475; NJW 2004, 1159) sowie Einwendungen zu den Prozessvoraussetzungen und zu den Wechselvoraussetzungen, ohne deren Vorliegen das Vorbehaltsurteil nicht hätte ergehen können (BGH MDR 1993, 475; MDR 1988, 207).
40 Neue Tatsachen und neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel können nicht als verspätet zurückgewiesen werden (BGH MDR 1992, 518). Bisheriger Vortrag nebst Beweisanträgen bleibt wegen der Einheit des Verfahrens bestehen, Geständnisse und Anerkenntnisse behalten ihre Wirkung (Zöller/ Greger § 600 ZPO Rz. 1).
41 K
Wichtig: Das Nachverfahren setzt keine Rechtskraft des ergangenen Vorbehaltsurteils voraus. Mit ihm kann deshalb auch begonnen werden, wenn gegen das Vorbehaltsurteil Berufung eingelegt ist (BGH MDR 1973, 312). Dieses Vorgehen ist zu empfehlen, wenn sonstige Einwendungen des Beklagten (vgl. Rz. 20, 21) zu erwarten sind und offen ist, ob diese durchgreifen, in der Zwischenzeit aber vollstreckt werden soll (vgl. §§ 708 Nr. 4, 711, 717 Abs. 2 ZPO).
42 Vor- und Nachverfahren bilden für die Gerichtsgebühren eine Instanz. Für die Anwälte handelt es sich um verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 5 RVG), in denen jeweils die Gebühren nach Nr. 3100 ff. VV RVG anfallen. Eine Anrechnung erfolgt nur hinsichtlich der Verfahrensgebühr nach Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 3100 VV RVG.
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Wiemer
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 50 Kap. 38
a) Antrag des Beklagten auf Einleitung des Nachverfahrens In der Regel ist der Beklagte an der Fortsetzung des Verfahrens interessiert und stellt schriftsätzlich den Antrag,
43
– Termin zur mündlichen Verhandlung im Nachverfahren zu bestimmen, – das Vorbehaltsurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen (§§ 302 Abs. 4 Satz 2, 600 Abs. 2 ZPO). Eine Frist für die Einleitung des Nachverfahrens besteht nicht. An sich ist es Sache des Gerichts, von 44 Amts wegen alsbald einen Termin im Nachverfahren zu bestimmen (OLG Celle NJW-RR 1993, 559). Eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung sogleich nach der Verkündung des Vorbehaltsurteils ist nur mit Einverständnis der Parteien zulässig (Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 8), denen es freisteht, auf die Einhaltung der Ladungsfrist (§ 217 ZPO) zu verzichten. Für das Nachverfahren ist das Gericht zuständig, das das Vorbehaltsurteil erlassen hat; ist dieses erst auf ein Rechtsmittel hin geschehen, dann ist das Berufungsgericht zur Verhandlung und Entscheidung im Nachverfahren zuständig (BGH NJW 2005, 2701); es entfällt in diesem Fall für das Nachverfahren folglich eine Instanz.
45
b) Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung Das Vorbehaltsurteil ist für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung zu erklären (§ 708 Nr. 4 ZPO) und dem Beklagten ist von Amts wegen die Befugnis einzuräumen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden zu dürfen (§ 711 ZPO). Da Wechsel-Vorbehaltsurteile in der Regel nicht angefochten werden, entfällt diese Befugnis mit der Rechtskraft des Urteils; die Anhängigkeit des Nachverfahrens hat darauf keinen Einfluss (BGH MDR 1978, 221).
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K
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Wichtig: Möglich ist jedoch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 707 ZPO, sofern der Beklagte mit seinen Einwendungen begründete sachliche Aussicht auf Erfolg hat und das Interesse des Klägers auf eine schnelle Vollstreckung aus dem Wechselurteil nicht entgegensteht (Zöller/Herget § 707 ZPO Rz. 9; Zöller/Greger § 599 ZPO Rz. 17). Wird die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung einstweilig eingestellt, ist der Beklagte auch ohne eine entsprechende ausdrückliche gerichtliche Anordnung befugt, die Sicherheitsleistung durch eine Bankbürgschaft zu erbringen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
c) Gegenantrag des Klägers
48
Der Kläger beantragt, das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos zu erklären. Der Kläger nimmt zum Vortrag des Beklagten Stellung und kann sich im Übrigen wegen der Darlegungs- und Beweislast des Beklagten auf das – nicht im Widerspruch zur prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) stehende – Bestreiten der von diesem behaupteten Tatsachen beschränken. Ausnahme: Der Beklagte hat die Echtheit der Urkunde oder die Vertretungsmacht des Unterzeichnenden bestritten; hier ist der Kläger beweisbelastet (s. Rz. 18, 19).
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Der Kläger kann die Klage erweitern oder ändern, insbesondere (hilfsweise) aus dem Grundgeschäft klagen (BGHZ 17, 31). Er kann – falls der Beklagte dies nicht tut – die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung im Nachverfahren beantragen (OLG Celle WM 1993, 1958).
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ZPO
2. Formalien
ZPO
Kap. 38 Rz. 51
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
M 38.7
51 M 38.7 Antrag auf Nachverfahren In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantragt der Beklagte, 1. Termin zur mündlichen Verhandlung im Nachverfahren zu bestimmen, 2. das Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil vom 10.7. … aufzuheben und die Klage abzuweisen. Begründung: Der Beklagte geht in das Nachverfahren über. Dem Kläger steht der Anspruch aus dem erfüllungshalber hingegebenen Wechsel vom 29.4. … über 18.000 Euro nicht zu. Die Parteien haben einen Werkvertrag über einen vom Kläger am Haus des Beklagten zu errichtenden Anbau geschlossen. Der Wechsel ist als Abschlag auf den Werklohn hingegeben. Einen Monat nach Akzept des Wechsels hat der Kläger die Schlussrechnung vom 29.5. … über 120.000 Euro vorgelegt, deren Prüfung durch den Architekten A ergeben hat, dass das Aufmaß des Klägers in Pos. 3–6 zu groß und die Schlussrechnung um 8.000 Euro zu kürzen ist. Beweis: 1. Schlussrechnung vom 29.5. … (Anlage) 2. Prüfbericht des Architekten A (Anlage) 3. Sachverständigengutachten Außerdem ist die Schlussrechnung nur zu 90 % mit 100.800 Euro fällig. Aufgrund einer mündlich getroffenen Vereinbarung ist der Restbetrag von 11.200 Euro ist als Sicherheit für evtl. Mängel erst ein Jahr nach Erhalt der Schlussrechnung fällig. Beweis: 1. Zeugnis der Ehefrau des Beklagten 2. Parteivernehmung des Klägers Da unstreitig 102.000 Euro gezahlt sind, hat der Kläger derzeit keinen weiteren Zahlungsanspruch, insbesondere nicht aus dem hingegebenen Wechsel.
52 M 38.8 Erwiderung des Klägers In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantragt der Kläger, das Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil vom 10.7. … für vorbehaltlos zu erklären. Begründung: Der Kläger bestreitet, dass sein Aufmaß in Pos. 3–6 unzutreffend ist. In dem Prüfbericht des Architekten A fehlt die Pos. 14. Die Schlussrechnung ist auch in vollem Umfang fällig. Ein Sicherheitseinbehalt von 10 % ist nicht mündlich vereinbart worden. In dem schriftlichen Bauauftrag steht im Schlussabsatz, dass Änderungen und weitere Vereinbarungen nur gültig sind, wenn sie schriftlich getroffen werden. Eine mündliche Vereinbarung wäre daher auch nicht wirksam.
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Wiemer
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 54 Kap. 38
M 38.9 Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung
53
In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantragt der Beklagte, die Zwangsvollstreckung aus dem Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil vom 20.3. … ohne Sicherheitsleistung einstweilig einzustellen. Hilfsweise wird beantragt, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung einstweilig einzustellen. Begründung: Das Vorbehaltsurteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Ein Anspruch aus dem eingeklagten Wechsel über 10.000 Euro steht dem Kläger nicht zu. Der Wechsel ist erfüllungshalber zur Begleichung des Kaufpreises für einen gebrauchten Bagger hingegeben worden. Nach der schriftlichen Zusicherung des Klägers im Kaufvertrag soll der Bagger drei Jahre alt und werkstattgeprüft voll funktionsfähig sein. Beweis: Kaufvertrag vom 10.10. … (Anlage) Wie sich nach Hingabe des Wechsels herausgestellt hat, ist der Bagger tatsächlich sechs Jahre alt und der Motor so verschlissen, dass er beim ersten Einsatz ausgefallen ist und ausfallen musste (wie durch das Gutachten eines Sachverständigen festgestellt worden ist). Der Beklagte konnte den Vorbesitzer V ausfindig machen, der schriftlich erklärt hat, den Bagger vor sechs Jahren gekauft zu haben. Beweis: 1. Eidesstattliche Versicherung des Fahrers F (Anlage) 2. Schriftliche Erklärung des Herrn V (Anlage) 3. Gutachten des Sachverständigen S (Anlage) Der Beklagte hat deshalb durch Schreiben vom 2.11. … den Kauf rückgängig gemacht. Die Zwangsvollstreckung ist ohne Sicherheitsleistung einstweilig einzustellen. Die hierfür geltenden Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind erfüllt. Denn der Beklagte ist nicht in der Lage, eine Sicherheit aufzubringen. Er verfügt derzeit nicht über ausreichende liquide Mittel, was schon daraus ersichtlich ist, dass er vom Gerichtsvollzieher in anderer Sache zur Abgabe der Vermögensauskunft aufgefordert worden ist. Auch eine Bankbürgschaft kann der Beklagte unter diesen Umständen nicht beibringen. Glaubhaftmachung: Terminsladung des Gerichtsvollziehers … vom … zur Abgabe der Vermögensauskunft Mit einer Vollstreckung wäre auch der Eintritt eines nicht zu ersetzenden Nachteils für den Beklagten verbunden. Denn … Glaubhaftmachung: … Sollte das Gericht die Erfüllung der Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht für ausreichend glaubhaft gemacht erachten, beantragt der Beklagte hilfsweise die Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung. Kosten: Gericht: keine Gebühren (§ 1 GKG); Anwalt: Der Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gehört hinsichtlich der Anwaltsgebühren zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
III. Scheckprozess 1. Nutzen des Scheckverfahrens Der Scheckprozess (§§ 605a, 602–605, 592–600 ZPO) ist eine besondere Verfahrensart, die dem Kläger und Scheckinhaber die schnelle Erlangung eines (ohne Sicherheitsleistung, § 708 Nr. 4 ZPO) vorläufig vollstreckbaren Titels gegen den Scheckaussteller (oder den Indossanten oder den ScheckWiemer 659
54
ZPO
M 38.9
ZPO
Kap. 38 Rz. 55
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
bürgen) ermöglichen soll. Zur Beschleunigung sind Ladungsfristen verkürzt, Beweismittel beschränkt (insbesondere kein Zeugen- und Sachverständigenbeweis) und Widerklagen ausgeschlossen. Das Urteil ist aber nur vorläufig und steht unter dem Vorbehalt der vollen Aufklärung im Nachverfahren.
55 Durch das inzwischen eingeführte beleglose Scheckeinzugsverfahren der Banken steht dem Einklagen eines Schecks allerdings häufig entgegen, dass die Scheckurkunde mit Vorlegungsvermerk nicht vorgelegt werden kann (Zöller/Greger § 605a ZPO Rz. 1). 2. Formalien
56 Der Scheckprozess betrifft nur Ansprüche auf Zahlung aus dem Scheck (§ 605a ZPO) gegen den Scheckaussteller (Art. 40, 12 ScheckG), gegen die Indossanten (Art. 40, 18 Abs. 1, 20 ScheckG) oder Scheckbürgen (Art. 40, 25, 27 ScheckG), einschließlich des Scheckbereicherungsanspruchs (Art. 58 ScheckG; BGH MDR 1992, 45; dessen Geltendmachung ist in der Regel nicht erfolgversprechend, weil er nicht durch den Scheck oder andere Urkunden belegbar ist). Erforderlich ist die Bezeichnung als Scheckklage oder Klage im Scheckprozess (§§ 605a, 604 ZPO).
57 Gerichtsstand: Zahlungsort (Art. 1 Nr. 4, 2 Abs. 2 und Abs. 3 ScheckG, § 603 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) oder Wohnort des Beklagten (§ 13 ZPO) bzw. die anderen allgemeinen Gerichtsstände (§§ 12 ff. ZPO, 603 Abs. 1 Alt. 2 ZPO). Bei mehreren Beklagten gilt jeder mögliche Gerichtsstand für alle (§ 603 Abs. 2 ZPO).
58 Zu Prozessvoraussetzungen, Fristen und Anwaltszwang s. Wechselprozess zu Rz. 4–7. 59 K
Wichtig: Schecksachen sind Handelssachen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 GVG); Ansprüche aus einem Scheck für Arbeitsentgelt sind nicht vor dem Arbeitsgericht (dort findet kein Urkundenprozess statt: § 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG), sondern vor dem Zivilgericht geltend zu machen (BGH MDR 1976, 206).
3. Scheckklage
60 Die als solche zu bezeichnende Scheckklage (§§ 604 Abs. 1, 605a ZPO) wird nur auf den Scheck nebst Vorlage und Nichtzahlung gestützt. Mit der Klage wird der Scheck in Kopie vorgelegt, auf dem sich die fristgerechte, schriftliche, datierte und unterschriebene Erklärung des Bezogenen oder einer Abrechnungsstelle „vorgelegt am … und nicht bezahlt“ befinden muss (Art. 40 Nr. 2 und 3 ScheckG). Es genügt auch eine Protesturkunde (Art. 40 Nr. 1, 55 ScheckG).
61 Im Termin ist – auch bei Säumnis des Beklagten – die Vorlage des Scheck-Originals erforderlich (§ 595 Abs. 3 ZPO; Kopien sind keine Urkunden, BGH MDR 1992, 806). Ausnahme: Der Beklagte bestreitet Echtheit und Inhalt nicht (BGH MDR 1994, 565). Für Scheckzinsen, -unkosten und -provisionen genügt die Glaubhaftmachung (§ 605 Abs. 2 ZPO), die durch Vorlage von Bankbelegen erfolgen kann.
62 Die Scheckklage steht beim Inhaberscheck („Zahlen Sie an … oder an Überbringer“) jedem Inhaber zu, beim Orderscheck auch dem Erwerber aufgrund Zession sowie dem Pfändungspfandgläubiger (Zöller/Greger § 602 ZPO Rz. 3).
63 Sie richtet sich nicht nur gegen die Scheckschuldner, sondern auch gegen die kraft Gesetzes Haftenden: s. Rz. 11. Andere Klagegründe wie ein Schuldanerkenntnis oder das Grundgeschäft oder Hilfsanträge auf Übergang in den Urkundenprozess sind zunächst nicht zulässig (BGH MDR 1982, 297; MDR 1992, 992), wohl aber im Nachverfahren oder in einem zugleich laufenden ordentlichen Verfahren.
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Wiemer
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 70 Kap. 38
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Siehe Wechselprozess zu Rz. 12, 13. 5. Einwendungen des Beklagten Zum Widerspruch ohne Begründung sowie zum Anerkenntnis unter Vorbehalt s. Wechselprozess Rz. 14.
65
Einwendungen aus dem Scheck können im Scheckverfahren erhoben werden, sofern sie sich aus der Urkunde ergeben, zB
66
– eine verspätete Vorlage (Art. 29, 40, 41 ScheckG), – ein fehlerhafter Vorlagevermerk (Art. 40 Nr. 2 ScheckG), – eine fehlerhafte Ausfüllung (zB die fehlende Jahreszahl im Ausstellungsdatum: BGH MDR 1993, 753), – ein fehlerhafter Scheck-Text (Art. 1 ScheckG; gerade auch im Falle fremdsprachiger Scheckformulare).
K
Praxistipp: Schon geringfügige Fehler in dem Bankvermerk über die Vorlage und Nichtzahlung 67 nach Art. 40 Nr. 2 und 3 ScheckG können zur Unwirksamkeit des Scheckanspruchs führen (BGH MDR 1986, 206).
68
Zu prüfende Gesichtspunkte: – Die Vorlagefrist (Art. 29 ScheckG) muss gewahrt sein (BGH MDR 1992, 45). – Der Tag der Vorlage darf nicht fehlen („vorgelegt und nicht bezahlt“ reicht nicht; BGH NJWRR 1995, 240). – Der Nichteinlösungsvermerk muss von der bezogenen Bank oder einer Abrechnungsstelle stammen. – Der Nichteinlösungsvermerk muss datiert (BGH MDR 1989, 635 und NJW-RR 1995, 240) und unterschrieben sein. Stempel oder Computer-Aufdruck reichen insoweit nicht; auch spätere Ergänzungen können Mängel nicht beseitigen (BGH NJW-RR 1995, 240). – Bei Fehlern bleiben: – Scheckbereicherungsanspruch (Art. 58 ScheckG; BGH MDR 1992, 45), der allerdings urkundlich kaum oder nur schwer belegt werden kann; – Schadensersatzanspruch gegen die Bank wegen fehlerhafter/verspäteter Weiterleitung (BGH MDR 1986, 206 und MDR 1990, 335); – Klage aus dem Grundgeschäft. Eine Umdeutung des Schecks in Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis etc. ist – wegen der damit verbundenen Aushöhlung des Art. 40 ScheckG – unzulässig (BGH MDR 1989, 635). Die Einwendungen verhindern das Vorbehaltsurteil und führen zur Klagabweisung. Werden sie nicht erhoben oder vom Gericht übersehen, gehen sie für das Nachverfahren verloren, weil sie den Scheckanspruch beseitigen und ein Vorbehaltsurteil ohne vorherige Prüfung dieser Punkte nicht ergehen darf (BGH MDR 1993, 475; NJW 2004, 1159; Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 19).
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Zu Einwendungen gegen die Prozessvoraussetzungen, die Unterschrift und die Vertretungsmacht, zu anderen Einwendungen sowie zur Widerklage s. Wechselprozess Rz. 16–22.
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Wiemer 661
ZPO
4. Scheck-Mahnbescheid
Kap. 38 Rz. 71
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
M 38.10
ZPO
6. Abstandnahme, Übergang in andere Verfahren, Rechtsmittel
71 Zur Abstandnahme vom Scheckprozess, zum Übergang in andere Verfahren und zu Rechtsmitteln s. Wechselprozess Rz. 23–30.
72 M 38.10 Scheckklage In Sachen …/… (Langrubrum) erhebt der Kläger Klage im Scheckprozess mit den Anträgen, 1. den Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen zu verhandeln, 2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 20.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB, mindestens aber 6 %1, seit dem 8.5. … sowie 30 Euro Scheckunkosten und 60 Euro Scheckprovision zu zahlen. Begründung: Der Kläger ist Inhaber des vom Beklagten ausgestellten Schecks vom 3.5. … über 20.000 Euro. Der Scheck wurde der Bank des Beklagten am 8.5. … vorgelegt und nicht bezahlt, wie auf dem Scheck vermerkt ist. Dem Kläger sind 30 Euro Scheckunkosten entstanden. Beweis: Scheck über 20.000 Euro in Kopie Scheckrückrechnung der Bank des Klägers Der Kläger verlangt von dem Beklagten gem. Art. 45 ScheckG Zahlung der Schecksumme, der Scheckzinsen, der Scheckunkosten und der Scheckprovision. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG, die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Vor- und Nachverfahren bilden ein Verfahren (§ 600 Abs. 1 ZPO, Zöller/Greger vor § 592 ZPO Rz. 8); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Vor- und Nachverfahren sind kraft ausdrücklicher Regelung verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 5 RVG); die Verfahrensgebühr des Vorverfahrens wird jedoch auf die Verfahrensgebühr des Nachverfahrens angerechnet (Abs. 2 der Anm. zu Nr. 3100 VV RVG). 1 Wegen der Zinsen vgl. Art. 45 Nr. 2 ScheckG.
73 M 38.11 Widerspruch (Vorbehalt) In Sachen …/… (Kurzrubrum) widerspricht der Beklagte dem erhobenen Scheckanspruch und wird seine Einwendungen im Nachverfahren darlegen. Allein für das Urkundenverfahren erkennt er den Scheckanspruch unter Vorbehalt seiner Rechte im Nachverfahren an.
74 M 38.12 Einwendungen (aus dem Scheck) In Sachen …/… (Kurzrubrum) widerspricht der Beklagte dem erhobenen Scheckanspruch. Der Scheck ist wirkungslos, weil er nicht die vorgeschriebene Erklärung über die Vorlage zur Zahlung aufweist (Art. 40 Nr. 2 ScheckG). Die Bank hat das Vorlagedatum nicht angegeben. Der Rückgriffsanspruch ist dadurch entfallen (BGH MDR 1986, 206). Die spätere Ergänzung mit Angabe des Vorlagedatums ist unzulässig (BGH NJW-RR 1995, 240).
75 Weitere Muster s. Wechselprozess Rz. 32–37. 662
Wiemer
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 85 Kap. 38
Zweck und Formalien sowie Muster s. Wechsel-Nachverfahren Rz. 38–50, M 38.7–M 38.9.
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V. Urkundenprozess 1. Nutzen des Urkundenprozesses Der Urkundenprozess (§§ 592–600 ZPO) dient dazu, dem Kläger schnell zu einem (ohne Sicher- 77 heitsleistung, § 708 Nr. 4 ZPO) vollstreckbaren Titel zu verhelfen, wenn er seinen Anspruch durch Urkunden belegen kann. Zur Beschleunigung sind die Beweismittel beschränkt (insbesondere kein Zeugen- und Sachverständigenbeweis, §§ 592 Satz 1, 595 Abs. 2, 598 ZPO) und Widerklagen ausgeschlossen (§ 595 Abs. 1 ZPO). Das Urteil steht aber unter dem Vorbehalt der vollen Aufklärung im Nachverfahren. 2. Formalien Der Urkundenprozess betrifft nur Ansprüche aus Urkunden auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme (auch auf Miete und Betriebskostennachzahlungen, BGH MDR 1999, 822; NJW 2005, 2701; MDR 2009, 1297; 2015, 15, aus Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld auf Duldung der Zwangsvollstreckung [§ 592 Satz 2 ZPO]), auf Leistung einer bestimmten Menge vertretbarer Sachen oder Wertpapiere (= Gattungsschulden, § 592 ZPO, § 91 BGB), nicht aber solche auf Herausgabe individuell bestimmter Gegenstände (OLG Celle OLGR 1996, 32), auf Abgabe einer Willenserklärung (OLG Köln MDR 1959, 1017), auf Vornahme von Handlungen oder Unterlassungen (Zöller/Greger § 592 ZPO Rz. 4) und auf Feststellung (BGH MDR 2012, 1237). Erforderlich ist die Bezeichnung als Urkundenklage oder Klage im Urkundenprozess (§ 593 Abs. 1 ZPO).
78
Gerichtsstand: Es gelten (anders als im Wechsel- und Scheckprozess) keine Besonderheiten (§§ 13 ff. 79 ZPO).
80
Fristen: Es gelten (anders als im Wechsel- und Scheckprozess) keine Besonderheiten.
Für die Prozessvoraussetzungen (zB Prozessfähigkeit), Prozesseinreden (zB anderweitige Rechtshän- 81 gigkeit, Schiedsgerichtsabrede) und prozessuale Tatsachen (zB Richterablehnung, Wiedereinsetzung) gilt die Beschränkung der Beweismittel nicht (BGH MDR 1986, 130; Zöller/Greger § 592 ZPO Rz. 9). Anwaltszwang: Es gilt die allgemeine Regelung des § 78 Abs. 1 ZPO. Vor dem Arbeitsgericht gibt es keinen Urkundenprozess (§ 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG).
82
3. Urkundenklage Die Klage wird nur auf Urkunden gestützt, auch hinsichtlich der Nebenforderungen (Zöller/Greger § 592 ZPO Rz. 12). Zum Nachweis des Klageanspruchs sind Zeugen- und Sachverständigenbeweis sowie die Einnahme eines Augenscheins nicht zulässig (§§ 592, 595 Abs. 2 ZPO). Als Beweismittel zum Nachweis der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde sowie bezüglich anderer als der im § 592 ZPO erwähnten Tatsachen ist jedoch der Antrag auf Parteivernehmung zulässig (§ 595 Abs. 2 ZPO).
83
Mit der Klage sind alle Urkunden im Original oder in Kopie vorzulegen (§ 593 Abs. 2 ZPO).
84
K
85
Wichtig: Spätestens im Termin ist – auch bei Säumnis des Beklagten – die Vorlage der Originale erforderlich (§ 595 Abs. 3 ZPO). Ausnahme: Der Beklagte bestreitet Inhalt und Echtheit der Urkunde nicht (Zöller/Greger § 592 ZPO Rz. 11).
Wiemer 663
ZPO
IV. Scheck-Nachverfahren
Kap. 38 Rz. 86
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
ZPO
86 Urkunden im Urkundenprozess – sind nur vorgelegte Originale (§ 420 ZPO). Sie können nicht durch Kopien (BGH MDR 1992, 806) oder beglaubigte Abschriften (BGH MDR 1980, 299) ersetzt werden. – Privaturkunden beweisen in formeller Hinsicht nur (§ 416 ZPO), dass die Erklärung vom Aussteller stammt, aber nicht die materielle Richtigkeit des Inhalts der Erklärung (BGH NJWRR 1989, 1323; MDR 1993, 1119). – Die Urkundenunterschrift gehört unter die Erklärung, nicht links daneben oder darüber (BGH MDR 1991, 335; 1992, 806). – Zur Beweiskraft einer Bankquittung mit Stempel: BGH NJW-RR 1988, 881. – Nachträgliche Veränderungen beeinträchtigen nach § 419 ZPO die Beweiskraft oder heben sie gar auf (BGH MDR 1980, 385; 1994, 912). – Die Auslegung der Urkunden unter Berücksichtigung von Erfahrungssätzen und sich aus dem vorgetragenen Akteninhalt ergebenden Indizien ist auch im Urkundenprozess zulässig und genügt zur Erfüllung des § 592 ZPO, wenn der Inhalt der vorgelegten Urkunden für das Gericht ausreicht, um im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO den vom Kläger behaupteten Sachverhalt feststellen zu können (BGH MDR 1995, 628; NJW-RR 2006, 760, 761). – Keine zulässigen Urkunden sind: Protokolle mit Zeugenaussagen, Gutachten aus selbstständigen Beweisverfahren, soweit dadurch der Beweis durch Sachverständige ersetzt werden soll (BGH NJW 2008, 523), oder eidesstattliche Versicherungen, die ihrem Inhalt nach auf einen „Ersatzbeweis“ für unzulässige Zeugenvernehmungen hinauslaufen (BGH NJW-RR 2012, 1242).
87 Auch eine Rechtsnachfolge muss durch Urkunden belegt werden. Die Urkundenklage richtet sich nicht nur gegen den Schuldner aus der Urkunde, sondern auch gegen die kraft Gesetzes Haftenden, s. Rz. 11. 4. Urkunden-Mahnbescheid
88 Dieser entspricht dem Wechsel-Mahnbescheid, s. dort Rz. 12, 13. 5. Einwendungen des Beklagten
89 Zum Widerspruch ohne Begründung und Anerkenntnis unter Vorbehalt s. Wechselprozess Rz. 14, 15. 90 Einwendungen können im Urkundenprozess erhoben werden, wenn sie sich unmittelbar aus der Urkunde ergeben, wie zB bei fehlender Bezeichnung des Klägers als Anspruchsgläubiger oder fehlenden Angaben zur Fälligkeit der Forderung. Vgl. auch Rz. 86: „Urkunden“. Sie verhindern den Erlass eines Vorbehaltsurteils. Werden sie nicht erhoben, gehen sie für das Nachverfahren verloren, weil sie den Anspruch aus der Urkunde beseitigen und das Vorbehaltsurteil ohne vorherige Prüfung dieser Punkte nicht ergehen kann (BGH MDR 1993, 475; NJW 2004, 1159; Zöller/Greger § 600 ZPO Rz. 19).
91 Zu Einwendungen gegen die Prozessvoraussetzungen, die Echtheit der Unterschrift oder die Vertretungsmacht sowie zu anderen Einwendungen und zur Widerklage s. Wechselprozess Rz. 16, 18–22. 6. Abstandnahme, Übergang in andere Verfahren, Rechtsmittel
92 Zur Abstandnahme vom Urkundenprozess, zum Übergang in andere Verfahren und zu den Rechtsmitteln s. Wechselprozess Rz. 23–30.
93 Sonderfall: Der in einem ordentlichen Verfahren Beklagte kann dort eine Widerklage in der Form des Urkundenprozesses erheben (BGH MDR 2002, 406). 664
Wiemer
Wechsel-, Scheck- und Urkundenprozess
Rz. 98 Kap. 38
M 38.13 Urkundenklage
94
In Sachen …/… (Langrubrum) erhebt der Kläger Klage im Urkundenprozess mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 20.000 Euro nebst 6 % Zinsen seit dem 1.2. … zu zahlen. Begründung: Der Kläger hat dem Beklagten am 1.2. … 20.000 Euro als Darlehen überlassen. Das Darlehen nebst 6 % Zinsen ist vereinbarungsgemäß am 30.6. … zur Rückzahlung fällig. Beweis: Darlehensvertrag (Kopie liegt an) Der Beklagte hat nicht gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG, die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen. Vor- und Nachverfahren bilden ein Verfahren (§ 600 Abs. 1 ZPO, Zöller/Greger vor § 592 ZPO Rz. 8); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Vor- und Nachverfahren sind kraft ausdrücklicher Regelung sind verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 5 RVG); die Verfahrensgebühr des Vorverfahrens wird jedoch auf die Verfahrensgebühr des Nachverfahrens angerechnet (Abs. 2 der Anm. zu Nr. 3100 VV RVG).
M 38.14 Widerspruch (Vorbehalt)
95
In Sachen …/… (Kurzrubrum) widerspricht der Beklagte dem erhobenen Anspruch und wird seine Einwendungen im Nachverfahren darlegen. Allein für das Urkundenverfahren erkennt er den Anspruch aus der Urkunde unter Vorbehalt seiner Rechte im Nachverfahren an.
M 38.15 Einwendungen aus der Urkunde
96
In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantragt der Beklagte, die Klage abzuweisen. Begründung: Der Beklagte widerspricht der geltend gemachten Kaufpreisforderung. Aus dem vorgelegten Kaufvertrag ergibt sich, dass der Kaufpreis erst nach Lieferung fällig ist. Eine Lieferung ist bislang nicht erfolgt. Der Kläger hat zwar versucht zu liefern. Der Beklagte hat die Annahme jedoch deshalb abgelehnt, weil es sich nicht um die vereinbarte Ware handelte. Gekauft ist ein Schrank in Eiche; der angelieferte Schrank war in Kiefer.
97
Weitere Muster s. Wechselprozess hinter Rz. 31.
VI. Urkunden-Nachverfahren Zu Zweck, Formalien und Mustern s. Wechsel-Nachverfahren Rz. 37–49, M 38.7–M 38.9. Wiemer 665
98
ZPO
M 38.15
ZPO
E. Einstweiliger Rechtsschutz Kapitel 39 Arrest I. Ziel, Arrestanspruch, Arrestgrund, Arrestgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziel, Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arrestanspruch, Arrestgrund, Gericht, Taktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arrestanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arrestgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollstreckung im Ausland . . . . . . . . . . . d) Persönlicher Arrest . . . . . . . . . . . . . . . . e) Arrestgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Taktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . II. Arrestgesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vollziehung, Vollziehungsfrist . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollziehungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 39.1 Antrag auf dinglichen Arrest . . . . . M 39.2 Antrag auf Anordnung des dinglichen Arrestes und Arrestpfändung M 39.3 Antrag auf persönlichen Arrest . . . . M 39.4 Antrag auf Versteigerung arrestgepfändeter Sachen . . . . . . . . . . . .
1 2 7 7 9 12 14 16 24 25 29 32 32 33 40 46 47 48
IV. 1.
2.
3.
4. V.
M 39.5 Antrag auf Eintragung einer Arresthypothek . . . . . . . . . . . . . . . Gegenwehr, Rechtsbehelfe des Arrestschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 39.6 Widerspruch gegen Anordnung des Arrestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung der Klageerhebung . . . . . . . . . M 39.7 Antrag auf Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage gem. § 926 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Aufhebung des Arrestes . . . . . . M 39.8 Antrag auf Aufhebung des Arrestes wegen Nichterhebung der Hauptsacheklage . . . . . . . . . . . . . M 39.9 Antrag auf Arrestaufhebung wegen veränderter Umstände . . . . . . M 39.10 Antrag auf Aufhebung des Arrestvollzugs wegen Hinterlegung . . . . Schutzschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe des Arrestgläubigers . . . . . M 39.11 Schutzschrift . . . . . . . . . . . . . . . .
50 51 51 55 56 59 60 61 65 67 69 73 75
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I. Ziel, Arrestanspruch, Arrestgrund, Arrestgericht 1 Bis der Gläubiger einen Vollstreckungstitel erhält und daraus die Zwangsvollstreckung durchführen kann, vergehen in der Regel zumindest Monate. Innerhalb dieser Zeit kann der Schuldner Vermögenswerte beiseiteschaffen, so dass ein obsiegendes Urteil für den Gläubiger keinen Nutzen mehr hat. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, müssen Maßnahmen getroffen werden können, die sicherstellen, dass der Gläubiger seinen Anspruch auch noch nach Abschluss des ordentlichen Prozesses verwirklichen kann. Dazu stehen ihm das Arrestverfahren und – in Teilbereichen – das Verfahren der einstweiligen Verfügung (Kap. 40) zur Seite. Beide Verfahren unterscheiden sich im Allgemeinen dadurch, dass der Arrest die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung, die einstweilige Verfügung die Möglichkeit der endgültigen Durchsetzung sonstiger Ansprüche sichert. Das Ziel beider Verfahren ist – soweit sie hier gemeinsam abgehandelt werden – also regelmäßig die jeweilige Sicherung des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses (§ 940 ZPO). In Ausnahmefällen ist eine Leistungsverfügung zulässig mit dem Ziel einer vorläufigen Befriedigung des Gläubigers (Kap. 40 Rz. 11 ff.). Arrest und einstweilige Verfügung schließen grundsätzlich einander aus (Zöller/G. Vollkommer vor § 916 ZPO Rz. 1). 1. Ziel, Risiken
2 Der Arrest findet zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung oder wegen eines Anspruchs statt, der in eine Geldforderung übergehen kann. Auch wegen betagter oder bedingter Ansprüche ist der Arrest zulässig (§ 916 ZPO). Der Arrest dient der Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche und unbewegliche Vermögen. Mit dem Erlass einer 666
Parigger
Rz. 7 Kap. 39
Arrestentscheidung erhält der Gläubiger einen Vollstreckungstitel. Dieser ermöglicht es ihm, die begehrte Sicherung zur späteren Befriedigung zwangsweise durchzusetzen. Erweist sich die durch das Gericht erfolgte Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung im Hauptsacheverfahren im Nachhinein als ungerechtfertigt oder erfolgt die Aufhebung der angeordneten Maßregel, so ist der Gläubiger dem Schuldner schadensersatzpflichtig. Darin liegt sein Risiko (Risikohaftung). Er hat in diesem Fall den Schaden aus der Vollziehung der angeordneten Maßnahme oder der erfolgten Sicherheitsleistung zu ersetzen (§ 945 ZPO). Der Ersatzanspruch erfordert kein Verschulden (Zöller/G. Vollkommer § 945 ZPO Rz. 13). Der Gläubiger trägt mithin die volle Gefahr aus den vorläufigen Maßnahmen des Arrestes und der einstweiligen Verfügung (BGHZ 54, 80). Es ist daher besondere Vorsicht bei der Erwirkung eines Arrestes oder der die Durchsetzung eines späteren Anspruchs sichernden einstweiligen Verfügung geboten, zumal der Schaden auch in einer Kreditschädigung bestehen kann und sogar Ersatz für eine durch den Arrest eingetretene seelische Beeinträchtigung von der Rechtsprechung zugebilligt worden ist (RGZ 143, 120). Die Vorschrift des § 945 ZPO verwirklicht demnach den Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel auf Gefahr des Gläubigers erfolgt (Zöller/G. Vollkommer § 945 ZPO Rz. 3, 8).
3
K
4
Praxistipp: Über dieses Risiko aus § 945 ZPO muss der Anwalt den Mandanten ausreichend belehren; seine Belehrung sollte er vorsorglich schriftlich dokumentieren.
Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches aus § 945 ZPO erfolgt nicht im Arrestverfahren 5 selbst. Er ist vielmehr in einem eigenen Prozess auf Leistung oder negative Feststellung (BGH NJW 1994, 2765) geltend zu machen. Im Schadensersatzprozess trägt der frühere Arrestgläubiger und jetzige Beklagte die Beweislast dafür, dass sein Antrag auf Erlass des Arrestes bzw. der einstweiligen Verfügung von Anfang an gerechtfertigt war (BGH NJW-RR 1992, 998). Ersatzfähig ist nur der Vollziehungsschaden. Es genügt dabei, dass über das Erwirken des Titels hinaus ein gewisser Vollstreckungsdruck erzeugt ist (BGH MDR 1996, 451). Zum Einwand des Mitverschuldens vgl. BGH NJW 2006, 2557; im Rahmen des Mitverschuldenseinwandes ist zu beachten, dass die Vollziehung des Arresttitels auf Gefahr des Gläubigers geht. Hat der Verfügungsbeklagte schuldhaft Anlass gegeben, um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen, kann der Schadensersatzanspruch durch Mitverschulden gemindert sein oder ganz entfallen (BGH NJW 2006, 2557). Der Schadensersatzanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährung (§§ 195, 199 BGB). Die Frist 6 beginnt mit Kenntnis von der Person des Schuldners und den den Anspruch begründenden Umständen. Diese hat der Gläubiger, sobald ihm aufgrund hinreichender Erfolgsaussicht die Erhebung der Schadensersatzklage – und sei es nur in Form der Feststellungsklage – zumutbar ist (BGH NJW 1993, 2303; BAG NJW 2002, 1066). Das ist regelmäßig erst mit Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegeben bzw. mit Erlass eines noch nicht rechtskräftigen Urteils zugunsten des vormaligen Antragsgegners, das in hohem Maße dafür spricht, dass die einstweilige Verfügung (bzw. der Arrest) von Anfang an nicht gerechtfertigt war (BGH NJW 2003, 2610). 2. Arrestanspruch, Arrestgrund, Gericht, Taktik a) Arrestanspruch Arrestanspruch kann nur eine Geldforderung oder ein Individualanspruch des Gläubigers sein, der in eine Geldforderung übergehen kann, insbesondere in den Fällen der Nicht- oder Schlechterfüllung und der §§ 887, 893 ZPO (Thomas/Putzo/Seiler § 916 ZPO Rz. 4; BLAH § 916 ZPO Rz. 5). Ebenso findet der Arrest statt bei betagten Ansprüchen (das sind solche, deren künftige Fälligkeit kalendermäßig feststeht oder durch Kündigung herbeigeführt werden kann). § 916 Abs. 2 ZPO lässt daneben die Sicherung durch Arrest bei bedingten Ansprüchen zu, was uneingeschränkt für auflösend bedingte Ansprüche gilt; dann allerdings nicht, wenn der bedingte Anspruch wegen des – etwa weit – entfernten Eintritts der Bedingung keinen gegenwärtigen Vermögenswert hat (Zöller/G. Vollkommer § 916 ZPO Rz. 7). Parigger 667
7
ZPO
Arrest
Kap. 39 Rz. 8
Arrest
ZPO
8 Vom bedingten Anspruch zu unterscheiden ist der künftige Anspruch; dh. die Aussicht auf den künftigen Erwerb eines Anspruchs beim Eintritt bestimmter, noch nicht vorliegender Voraussetzungen. Welche Kriterien zur Sicherung eines künftigen Anspruchs durch einen Arrest erfüllt sein müssen, ist nicht völlig geklärt. Die hM geht aufgrund des § 926 ZPO davon aus, dass künftige Ansprüche nur gesichert werden können, wenn die Voraussetzungen für die Erhebung einer Feststellungsklage (§ 256 ZPO) gegeben sind (Thomas/Putzo/Seiler § 916 ZPO Rz. 5; BLAH § 916 ZPO Rz. 10; Zöller/G. Vollkommer § 916 ZPO Rz. 8 mwN). Weiter ist darauf abzustellen, ob ein schutzwertes Interesse besteht, den Anspruch jetzt schon sichern zu können (Zöller/G. Vollkommer § 916 ZPO Rz. 8). b) Arrestgrund
9 Für den Erlass eines Arrestes ist nicht nur das Bestehen eines Arrestanspruches, sondern als zweite Voraussetzung das Bestehen eines Arrestgrundes erforderlich. Als Arrestgrund bezeichnet das Gesetz die Besorgnis, dass die Vollstreckung eines Urteils ohne Arrestverhängung vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Ob ein Arrestgrund vorliegt, ist nach dem objektiven Urteil eines verständigen, gewissenhaft prüfenden Menschen zu beweisen. Auf die persönliche Ansicht des Gläubigers kommt es nicht an (Rostock NJW-RR 2012, 222; Zöller/G. Vollkommer § 917 ZPO Rz. 4). Das Gericht besitzt im Rahmen seiner Wertung einen gewissen Beurteilungsspielraum; allerdings handelt es sich insoweit nicht um die Ausübung richterlichen Ermessens (Schwendtner NJW 1970, 597). Vielmehr muss der Arrest erlassen werden, wenn die Besorgnis einer Vollstreckungsvereitelung oder -erschwerung gegeben ist. Verschulden des Schuldners ist nicht nötig. Der Arrestgrund wird in der Gefahr gesehen, dass sich die bestehenden Vermögensverhältnisse zu verändern drohen (Koblenz ZIP 1986, 1559, 1563). Jene Veränderung oder der Eintritt ihrer Wirkung muss unmittelbar bevorstehen und darf nicht bereits abgeschlossen sein (Thomas/Putzo/Seiler § 917 ZPO Rz. 1).
10 Ein Arrestgrund ist angenommen worden beim Beiseiteschaffen von Vermögensstücken (OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 454), Verdacht der Veräußerung von erheblichen Vermögenswerten (OLG Karlsruhe NJW 1997, 1017, 1018), Verschiebung von Vermögenswerten ins Ausland (OLG Köln ZIP 1988, 969), auffallende Grundstücksbelastung (OLG Düsseldorf v. 20.4.1998 – 21 W 19/98), verschwenderische Lebensweise, Verschleuderung von Waren, Abtretung aller fälligen und erst in Aussicht stehenden Ansprüche etc. (vgl. auch die umfangreiche Aufzählung in Zöller/G. Vollkommer § 917 ZPO Rz. 5). Ebenso kann eine gegen das Vermögen des Gläubigers gerichtete strafbare Handlung einen Arrestgrund darstellen, wenn deren Wiederholung zu befürchten ist (OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 1192; vgl. bei Veruntreuung von Firmengeldern gem. §§ 246, 266 StGB OLG Dresden MDR 1998, 795 sowie beim Kapitalanlagebetrug gem. § 264a StGB OLG Hamburg WM 1998, 523; ferner OLG Koblenz ZIP 1998, 1563). Allein dadurch, dass der Gläubiger eine Straftat oder unerlaubte Handlung des Schuldners gegen sein Vermögen behauptet, wird jedoch ein Arrestgrund nicht angenommen. Die den Tatbestand eines Vermögensdeliktes erfüllenden Tatsachen werden jedoch im Falle ihrer Glaubhaftmachung einen Arrestgrund nach Abs. 1 ergeben (Zöller/G. Vollkommer § 917 ZPO Rz. 6 mwN).
11 Auch vom Schuldner nicht zu vertretende Umstände können für einen Arrestgrund ausreichend sein, wenn aus jenen Umständen die Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung oder -erschwerung droht. Diese Voraussetzungen können bei drohenden Einkommensausfällen aufgrund einer Krankheit des Schuldners oder dessen Inhaftierung, Boykott seines Gewerbebetriebes, Naturereignissen wie Überschwemmungen, Feuer oder Sturm vorliegen; das gilt ebenfalls beim Vermögensverfall des Schuldners, der eine Schmälerung der Haftungsmasse befürchten lässt (Schuschke/Walker § 917 ZPO Rz. 5). Eine (unverändert) schlechte Vermögenslage oder die drohende Vollstreckung durch andere Gläubiger ergeben indes keinen Arrestgrund, weil der Arrest nicht die Lage einzelner Gläubiger verbessern soll (Zöller/G. Vollkommer § 917 ZPO Rz. 9 mwN). Die Vermögensbeschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft nach §§ 111b, 111e StPO stellt keinen Arrestgrund dar (s. dazu: Zöller/G. Vollkommer § 916 ZPO Rz. 2a und § 917 ZPO Rz. 9).
668
Parigger
Arrest
Rz. 17 Kap. 39
Die seit 1.1.2004 geltende Fassung des § 917 Abs. 2 ZPO knüpft allgemein an das Kriterium der Gegenseitigkeit an. Der besondere Arrestgrund nach § 917 Abs. 2 ZPO wird nur dann angenommen, wenn das Urteil im Ausland vollstreckt werden muss und die Gegenseitigkeit der Vollstreckungsmöglichkeit nicht verbürgt ist (s. dazu Rz. 13).
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Im Fall des § 917 Abs. 2 ZPO geht es um die Vollstreckung inländischer Urteile im Ausland (hM, s. Zöller/G. Vollkommer § 917 ZPO Rz. 16 mwN). Die Gegenseitigkeit ist gewährleistet, wenn die Anerkennung und Vollstreckung eines inländischen Urteils in dem Urteilsstaat auf keine wesentlich größeren Schwierigkeiten stößt als die Anerkennung und Vollstreckung dieses Urteils in Deutschland (Zöller/Geimer § 328 ZPO Rz. 264). Dabei ist nach der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 2001, 524, 525) darauf abzustellen, „ob das beiderseitige Anerkennungsrecht und die Anerkennungspraxis bei einer Gesamtwürdigung im Wesentlichen gleichwertige Bedingungen für die Vollstreckung eines ausländischen Urteils gleicher Art schaffen“. Eine völlige Übereinstimmung wird somit nicht verlangt (zur Verbürgung der Gegenseitigkeit vergleiche: Zöller/Geimer § 328 ZPO Rz. 264). Ist die Gegenseitigkeit nicht verbürgt, stellt § 917 Abs. 2 ZPO wegen der mit einer Auslandsvollstreckung verbundenen abstrakten Schwierigkeiten eine unwiderlegliche Vermutung des Arrestgrundes dar (Schuschke/Walker § 917 ZPO Rz. 6 mwN; BLAH § 917 ZPO Rz. 24; Musielak/Voit § 917 ZPO Rz. 6).
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d) Persönlicher Arrest Der Arrestgrund für den persönlichen Sicherheitsarrest besteht darin, dass der Arrest erforderlich ist, 14 um die gefährdete Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners zu sichern (§ 918 ZPO). Dieser Arrestgrund ist subsidiär, dh. im Verhältnis zum dinglichen Arrest greift der persönliche Arrest nur dann ein, wenn der dingliche Arrest sich als nicht ausreichend erweist, etwa wenn der Schuldner unmittelbar im Begriff steht, mit seinem Vermögen ins Ausland zu gehen oder wenn das vorhandene inländische Vermögen des Schuldners nicht ermittelt werden kann, etwa weil der Schuldner keine oder nur unzureichende Angaben über den Verbleib seines Vermögens macht (OLG Karlsruhe NJW-RR 1997, 450). Auch der persönliche Arrest dient nur der Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung. Er kommt mithin nicht in Betracht, wenn der Schuldner zur Herbeischaffung von Vermögen (etwa aus dem Ausland), zur Erzielung von Einkünften durch Arbeitsleistung, zur Vornahme sonstiger Handlungen oder Unterlassungen oder zur Herausgabe von Sachen angehalten werden soll (Schuschke/Walker § 918 ZPO Rz. 1; Zöller/G. Vollkommer § 918 ZPO Rz. 1). Ziel des persönlichen Arrestes ist es zu verhindern, dass der Schuldner Vermögensgegenstände beiseiteschafft, die – was glaubhaft zu machen ist – vorhanden und pfändbar sind. Ist der Verbleib glaubhaft gemachten inländischen Vermögens unklar, kann neben dem dinglichen Arrest auch ein persönlicher Sicherheitsarrest angeordnet werden, wenn nur so der Entzug pfändbaren Vermögens abwendbar ist (Zöller/G. Vollkommer § 918 ZPO Rz. 1).
15
e) Arrestgericht Für die Anordnung des Arrestes ist sowohl das Gericht der Hauptsache als auch das Amtsgericht zu- 16 ständig, in dessen Bezirk sich der Arrestgegenstand oder der sich in seiner persönlichen Freiheit zu beschränkende Schuldner befindet (§ 919 ZPO). Beide Gerichtsstände hat der Gläubiger zur Wahl. Anderen Gerichten gegenüber ist diese Zuständigkeit eine ausschließliche (§ 802 ZPO). Im Anwendungsbereich der EuGVVO gilt § 919 ZPO unabhängig von der Zuständigkeitsordnung der Art. 2 ff. EuGVVO (Zöller/G. Vollkommer § 919 ZPO Rz. 2), da diese Vorschriften nur den Hauptsacheprozess betreffen. Das Arrestgericht bleibt zuständig auch für das Widerspruchs- und Aufhebungsverfahren (§§ 925–927 ZPO). Zu beachten sind jedoch die Ausnahmen in §§ 927 Abs. 2 und 943 Abs. 2 ZPO.
Parigger 669
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ZPO
c) Vollstreckung im Ausland
Kap. 39 Rz. 18
Arrest
ZPO
18 Gericht der Hauptsache ist das für die Hauptsache örtlich und sachlich zuständige Gericht. Hauptsache ist beim Arrest das Verfahren über die zu sichernde Geldforderung, bei der einstweiligen Verfügung der zu sichernde Individualanspruch bzw. das zu regelnde Rechtsverhältnis, § 940 ZPO (Zöller/G. Vollkommer § 919 ZPO Rz. 3).
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Wichtig: Aus dem Hauptsacheanspruch muss sich regelmäßig der Arrest-/Verfügungsanspruch ergeben.
20 Ist die Hauptsache bereits anhängig, so ist das damit befasste Gericht selbst dann Hauptsachegericht, wenn es für den Hauptsacheanspruch eigentlich unzuständig ist. Voraussetzung ist allerdings, dass zurzeit des Eingangs des Arrestgesuchs der gewählte Rechtsweg gegeben ist, zumal es in den anderen Rechtswegen bis auf das arbeitsgerichtliche Verfahren gar kein Arrestverfahren, sondern nur ein Verfahren auf Erlass einstweilige Anordnungen gibt (Schuschke/Walker § 919 Rz. 5; Zöller/G. Vollkommer § 919 ZPO Rz. 4 ff.).
21 Ist wegen der Hauptsache ein Mahnbescheid erlassen, so ist bis zur Abgabe der Mahnsache an das Streitgericht (§§ 696 Abs. 1 Satz 4, 700 Abs. 3 ZPO) Gericht der Hauptsache das Amtsgericht, dessen Rechtspfleger den Mahnbescheid erlassen hat, und zwar ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes. Nach Abgabe an das für das streitige Verfahren zuständige Gericht gilt der Rechtsstreit als dort anhängig, so dass dieses zweite Gericht nunmehr alleiniges Hauptsachegericht ist (Zöller/G. Vollkommer § 919 ZPO Rz. 4; BLAH § 916 ZPO Rz. 6).
22 Ist die Hauptsache noch nicht anhängig, ist jedes Gericht zuständiges Arrestgericht, das für die Hauptsache örtlich und sachlich zuständig wäre. Das angerufene Gericht hat demnach zu prüfen, ob die Hauptsache beim ihm zulässigerweise anhängig gemacht werden könnte. Unter mehreren zuständigen Gerichten kann der Antragsteller wählen (§ 35 ZPO).
23 Daneben ist nach Wahl des Gläubigers auch das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die mit Arrest zu belegende Sache oder Person sich befindet. Sie ist als zuständigkeitsbegründendes Merkmal im Arrestantrag anzugeben. Das Amtsgericht ist auch zuständig, wenn kein anderes deutsches Gericht für die Hauptsache zuständig wäre (Zöller/G. Vollkommer § 919 ZPO Rz. 10). f) Streitwert
24 Der Arrest ist wie die einstweilige Verfügung ein summarisches Verfahren und dient grundsätzlich nur der Sicherung, nicht aber der Befriedigung des Gläubigers. Er stellt somit nur eine vorläufige Maßnahme dar. Für den Streitwert maßgebend ist das Interesse des Antragstellers (vgl. dazu Zöller/ Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Arrestverfahren“). Demzufolge richtet er sich nach den Vorteilen, die der Antragsteller durch die Anordnung des Arrestes erlangt, also zB Erleichterung der Durchsetzung von Ansprüchen. Regelwert ist etwa ein Drittel des Hauptsacheanspruchs des Antragstellers. Nach anderer Ansicht soll grundsätzlich etwa die Hälfte des Hauptsacheanspruchs maßgebend sein (vgl. dazu Schneider/Herget, 14. Aufl. 2016, Rz. 1108, 1109). Das Widerspruchsverfahren hat den gleichen Wert; ebenso das Abänderungs- und Aufhebungsverfahren. g) Taktische Erwägungen
25 Das Gericht kann nach freiem Ermessen darüber bestimmen, ob eine mündliche Verhandlung stattfindet (§ 922 ZPO). Im Falle einer mündlichen Verhandlung ergeht die Entscheidung über das Arrestgesuch durch Endurteil, sonst durch Beschluss (§ 128 Abs. 4 ZPO). Wird eine mündliche Verhandlung anberaumt, ist der Überraschungseffekt, der mit dem Arrest – auch – erreicht werden soll, entfallen, da sich der Gegner auf die Arretierung einstellen kann. Es empfiehlt sich daher, im Arrestgesuch darum zu bitten, den Antragsteller vor einer etwa beabsichtigten Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zu unterrichten. Geschieht dies, kann in einem persönlichen Gespräch in der Regel der Grund für diese Entscheidung des Gerichts in Erfahrung gebracht werden. Entweder ge670
Parigger
Arrest
Rz. 32 Kap. 39
K
ZPO
lingt es dann, das Arrestgesuch in dem einen oder anderen Punkt, der für das Gericht zweifelhaft erscheint, nachzubessern, oder aber der Antragsteller kann sich überlegen, den Antrag zurückzunehmen und ggf. nach weiterer Vorbereitung erneut bei dem gleichen Gericht oder aber, falls ein Wahlgerichtsstand vorhanden ist, bei einem anderen Gericht einzureichen. Jedenfalls gilt es, den Arrestgegner nicht zu warnen. Wichtig: Der den Arrestantrag zurücknehmende Gläubiger hat die Kosten des Arrestverfahrens zu tragen und im Falle erneuter Antragstellung ein um die Gerichtskosten erhöhtes Kostenrisiko, da er die Kosten des ersten Antrages auch im Falle des Obsiegens nicht erstattet verlangen kann.
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Vor Einreichung eines Arrestantrages sollten auch Informationen gesammelt werden, um nach Erhalt des Vollstreckungstitels möglichst treffsicher vollstrecken zu können. Gelingt dies, bietet es sich auch an, den Vollziehungsantrag im Arrestgesuch gleichzeitig zu stellen, zB die Pfändung einer bestimmten Forderung zu beantragen, da das Arrestgericht zugleich für die Pfändung zuständig ist (§ 930 Abs. 1 Satz 3 ZPO).
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Entsprechendes gilt für den Antrag auf Eintragung einer Arresthypothek (s. dazu insbesondere auch Rz. 41).
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II. Arrestgesuch Das Arrestverfahren wird eingeleitet durch ein Gesuch des Gläubigers um die Anordnung des Arrestes. 29 Das Gesuch hat die Bezeichnung des Arrestanspruchs unter Angabe des Geldbetrags oder Geldwerts und die Bezeichnung des Arrestgrundes zu enthalten. Beide, Arrestanspruch und Arrestgrund, sind nach § 920 Abs. 2 ZPO vom Gläubiger darzulegen und glaubhaft zu machen (zur Glaubhaftmachung vgl. auch Kap. 94 Rz. 100, 105 ff.). Die Glaubhaftmachung erfolgt gem. § 294 ZPO, also u.a. durch Versicherung an Eides statt. Jene eidesstattliche Versicherung bedarf wegen §§ 156, 161 StGB besonderer Sorgfalt. Ergibt sich aus dem Antrag, dass dem Antragsgegner möglicherweise eine Einwendung zusteht, muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass die möglicherweise zustehende Einwendung nicht durchgeht (OLG Celle WRP 1974, 277). Soweit der Antragsgegner durch eine vorsorglich eingereichte Schutzschrift zu dem befürchteten Arrestantrag Stellung nimmt, ist dieses Vorbringen vom Gericht zu berücksichtigen (Zöller/G. Vollkommer § 920 ZPO Rz. 11 und § 945a ZPO Rz. 3). Das Gericht kann den Arrest auch anordnen, wenn der Anspruch oder der Arrestgrund nicht glaubhaft gemacht ist, sofern wegen der dem Gegner drohenden Nachteile Sicherheit geleistet ist (§ 921 Satz 1 ZPO).
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Praxistipp: Zur Sicherung der durch das Arrest- und das Hauptverfahren entstehenden Kosten 30 empfiehlt sich die Angabe eines Kostenpauschbetrages, da sonst der Gläubiger nur seine Forderung, nicht aber die Kosten, auch die etwa durch die Hauptklage entstehenden, beitreiben könnte.
Das Arrestgesuch kann schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Es besteht für 31 den Antrag selbst deshalb kein Anwaltszwang. Anders wenn Widerspruch gegen einen vom LG erlassenen Arrest erhoben wird und es zur mündlichen Verhandlung kommt (Zöller/G. Vollkommer § 920 ZPO Rz. 7). Der Arrestantrag kann jederzeit ohne Zustimmung des Antragsgegners bis zum rechtskräftigen Abschluss des Arrestverfahrens zurückgenommen werden (Zöller/G. Vollkommer § 920 ZPO Rz. 13).
III. Vollziehung, Vollziehungsfrist 1. Allgemeines Der Arrestvollzug setzt immer einen wirksamen Arrestbefehl voraus. Auf die Vollziehung finden im Allgemeinen die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechende Anwendung (§ 928 Parigger 671
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Kap. 39 Rz. 33
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ZPO). Eine Vollstreckungsklausel ist nur dann erforderlich, wenn die Vollziehung für einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Gläubiger oder gegen einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Schuldner erfolgen soll (§ 929 Abs. 1 ZPO). Gleiches gilt, wenn die Zwangsvollstreckung in einem ausländischen Vertragsstaat stattfinden soll (§ 31 AVAG). Das Gleiche ist in anderen deutschen Ausführungsgesetzen zu zweiseitigen Verträgen über die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen vorgesehen (Thomas/Putzo/Seiler § 929 ZPO Rz. 1). 2. Vollziehungsfrist
33 Von besonderer Bedeutung ist die Einhaltung der Vollziehungsfrist. Die Vollziehung wird dem Bereich der Vollstreckung zugeordnet und ist damit Gläubigersache. Die Vollziehungsfrist beträgt einen Monat. Das bedeutet, dass nach § 929 Abs. 2 ZPO die Vollziehung des Arrestbefehls unstatthaft ist, wenn seit dem Tag, an dem der Arrestbefehl verkündet oder dem Antragsteller zugestellt worden (Letzteres im Falle der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung), ein Monat verstrichen ist. Die gesetzliche Regelung dient dem Schuldnerschutz. Ist die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO versäumt worden, wird der Arrest ohne die Möglichkeit einer Heilung endgültig wirkungslos (BGH NJW 1991, 496; Schuschke/Walker § 929 ZPO Rz. 34 mwN). Ist die Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht, muss der Nachweis der Sicherheitsleistung gegenüber dem Schuldner innerhalb der Frist geführt sein (§ 751 Abs. 2 ZPO). Der Arrestbefehl ist als Vollstreckungstitel nicht mehr geeignet. Die Vollstreckungsorgane haben dies von Amts wegen zu beachten, ohne dass der Schuldner dies erst rügen müsste. Bereits durchgeführte Vollstreckungsakte sind nichtig, weil sie nicht aufgrund eines vollstreckungsfähigen Titels erfolgten. Die Frist ist keine Notfrist (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Deshalb kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BGH NJW 1993, 1076; Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 3 mwN).
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Praxistipp: Der Vollziehungsantrag sollte, sofern der Gläubiger Kenntnis über Vermögensgegenstände des Schuldners hat (s. Rz. 27) deshalb gleichzeitig mit dem Arrestantrag gestellt werden. Für die Pfändung ist das Arrestgericht zuständig (§ 930 Abs. 1 Satz 3 ZPO); s. auch M 39.2.
35 Die Zustellung des Arrestbefehls muss im Anwaltsprozess an den Prozessbevollmächtigten des Schuldners erfolgen (OLG Hamm MDR 1976, 407), auch wenn dieser sich nur in einer Schutzschrift bestellt hat und der Gläubiger davon Kenntnis hat (Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 12a mwN). Wenn die Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) scheitert, ist die Vollziehung fehlgeschlagen (OLG Karlsruhe NJW-RR 2016, 821).
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Praxistipp: Vorsorglich sollte die Zustellung auch im Anwaltsprozess durch den Gerichtsvollzieher (§§ 192 ff. ZPO) erfolgen.
36 Der Arrestbefehl wird vollzogen durch die Zustellung des Arrestbefehls und den rechtzeitigen Antrag des Gläubigers beim zuständigen Vollstreckungsorgan auf Vornahme von Vollstreckungshandlungen (Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 10 mwN). Beim Beschlussarrest ist Zustellung im Parteibetrieb erforderlich (§ 922 Abs. 2 ZPO), beim Urteilsarrest genügt neben dem Antrag des Gläubigers auf die Vornahme von Vollstreckungshandlungen beim zuständigen Vollstreckungsorgan die Zustellung von Amts wegen in der Monatsfrist (Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 10). Die Beendigung der Vollzugsmaßnahmen innerhalb der Frist ist nicht immer notwendig (vgl. OLG Celle NJW 1968, 1882; Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 10).
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Praxistipp: Ergeht die Entscheidung über das Arrestgesuch nach mündlicher Verhandlung, kann es vorkommen, dass die Geschäftsstelle – etwa weil die Kanzlei des Gerichts überlastet ist – dem Arrestkläger die Ausfertigung des erlassenen Arrestbefehls nicht unverzüglich nach der mündlichen Verhandlung zustellt. In diesem Fall muss sich der Arrestkläger selbst darum bemühen, dass die Ausfertigung des Arrestbefehls ihm so rechtzeitig zugestellt wird, dass er selbst die Vollziehungsfrist einhalten kann. Gegebenenfalls ist eine abgekürzte Fassung des Arrestbefehls anzufor-
Parigger
Rz. 44 Kap. 39
dern. Um die Vollziehungsfrist nicht zu versäumen, ist die Frist im Not- und Promptfristenkalender (vgl. Kap. 27 Rz. 6 ff., 28) zu notieren. Die Einhaltung der Vollziehungsfrist wird dadurch erleichtert, dass die Vollziehung schon vor der Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner zulässig ist (§ 929 Abs. 3 ZPO). Dabei ist aber unbedingt darauf zu achten, dass innerhalb einer Woche nach Vollziehung (zB Zustellung an den Drittschuldner im Fall der Forderungspfändung) und vor Ablauf eines Monats nach der Verkündung oder Zustellung des Arrestbeschlusses eine zusätzliche Zustellung des Arrestbefehls im Parteibetrieb an den Antragsgegner oder dessen Prozessbevollmächtigten erfolgt.
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Wichtig: Außerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO dürfen keine Vollstreckungshandlungen mehr vorgenommen werden. Der Arrestbefehl ist nicht mehr als Titel für eine neue Vollstreckung geeignet (BGH MDR 1991, 242).
3. Vollziehung Auf die Vollziehung des Arrestes sind die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung anzuwenden 40 (§ 928 ZPO). Vollzogen wird der Arrestbefehl durch Zustellung an den Gegner und Antrag des Gläubigers bei der zuständigen Vollstreckungsstelle auf Durchführung von Vollstreckungshandlungen (BGH NJW 1991, 497; 2006, 1290). Zuzustellen ist dem Gegner eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses durch den Gerichtsvollzieher mit Anlagen (farbrichtig; s. Zöller/G. Vollkommer § 922 ZPO Rz. 11 und § 929 ZPO Rz. 13; Frankfurt MDR 2010, 48 f.). Die Vollziehung des Arrestes in das bewegliche Vermögen erfolgt durch Pfändung nach den allgemeinen Vorschriften (aber in der Regel keine Verwertung, etwa durch Zwangsversteigerung!). Für die Pfändung einer Forderung ist das Arrestgericht als Vollstreckungsgericht zuständig. Ist der gepfändete Gegenstand der Gefahr beträchtlicher Wertverringerung ausgesetzt oder verursacht seine Aufbewahrung unverhältnismäßige Kosten, kann der Gläubiger beantragen, dass das Vollstreckungsgericht ausnahmsweise die Versteigerung und Hinterlegung des Erlöses anordnet (§ 930 Abs. 3 ZPO). Die Vollziehung des Arrestes in ein Grundstück erfolgt durch Eintragung einer Sicherungshypo- 41 thek für die Arrestforderung. Dabei bezeichnet die Lösungssumme den Höchstbetrag, für den das Grundstück dem Gläubiger haftet (§ 932 ZPO). Die Arresthypothek darf nur für einen Betrag von mehr als 750 Euro eingetragen werden (§ 866 Abs. 3 ZPO). Die Vollziehungsfrist ist gewahrt, wenn der Antrag auf Eintragung der Sicherungshypothek dem Amtsgericht des zuständigen Grundbuchamtes fristgerecht (also auch per Nachtbriefkasten!) zugeht (BGH NJW 2001, 1134). § 13 Abs. 2, 3 GBO regelt also nur die funktionale Zuständigkeit des Grundbuchamtes.
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Wichtig: Der für die Eintragung der Sicherungshypothek maßgebende Rang bestimmt sich jedoch nach § 13 Abs. 2, 3 GBO! Es kann daher vorkommen, dass dem Grundbuchamt, wenn der Antrag auf Eintragung der Sicherungshypothek in den Nachtbriefkasten geworfen worden ist, am nächsten Morgen ein anderer Eintragungsantrag präsentiert wird, mit der Folge, dass dieser Antrag zu einer rangbesseren Eintragung führt, weil der in den Nachtbriefkasten eingeworfene Antrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der allgemeinen Einlaufstelle des Amtsgerichts zum Grundbuchamt befördert worden ist.
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Praxistipp: Wird die Vollziehungsfrist über den Einwurf in den Nachtbriefkasten voll ausgenutzt, am nächsten Morgen bei Dienstbeginn des Gerichts auf sofortige Beförderung des Antrags zum Grundbuchamt dringen!
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Die Vollziehung des persönlichen Sicherheitsarrestes erfolgt entweder durch Haft wie im Verfahren bei der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung (§§ 807, 901 ZPO), oder durch sonstige Beschränkung der persönlichen Freiheit nach den vom Arrestgericht getroffenen besonderen Anordnungen (§ 933 ZPO).
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Parigger 673
ZPO
Arrest
Kap. 39 Rz. 45
M 39.1
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ZPO
45 Im Aufhebungsverfahren kann in analoger Anwendung des § 924 Abs. 3 ZPO die Vollstreckung des angegriffenen Arrestes einstweilen eingestellt werden (Zöller/G. Vollkommer § 927 ZPO Rz. 9c).
46 M 39.1 Antrag auf dinglichen Arrest An das Landgericht … – Zivilkammer –1 Antrag auf dinglichen Arrest des Kaufmanns … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den Handelsvertreter … – Antragsgegner – wegen Erlass eines dinglichen Arrestes Namens und in Vollmacht des Antragstellers beantragen wir, gegen den Antragsgegner – wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorgängige mündliche Verhandlung2 – den Erlass folgenden Arrestbefehles: 1. Wegen einer Forderung des Antragstellers aus dem Schuldschein vom … iHv. … Euro nebst … Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit … sowie einer Kostenpauschale von … Euro wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Antragsgegners angeordnet. 2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Arrestverfahrens zu tragen. 3. Die Vollziehung des Arrestes kann seitens des Antragsgegners durch Hinterlegung eines Geldbetrages iHv. … Euro gehemmt werden3. Begründung: Der Antragsgegner schuldet dem Antragsteller aufgrund des als – Anlage 1 – beigefügten Schuldscheins vom … einen Betrag iHv. … Euro nebst … Zinsen seit dem …, rückzahlbar am …. Die Rückzahlung ist trotz Mahnung des Antragstellers vom … nicht erfolgt. Glaubhaftmachung: 1. Mahnschreiben vom … – Anlage 2 – 2. anliegende eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom … – Anlage 3 –. Der Antragsgegner hat am … in der … Zeitung bekannt gegeben, dass er dem … seine Handelsvertretung als Nachfolger mit Wirkung zum … übergeben werde. Glaubhaftmachung: beiliegende Anzeige der … Zeitung vom … – Anlage 4 –. Der Antragsgegner hat am … gegenüber dem Mitarbeiter X des Antragstellers darüber hinaus geäußert, dass er die Absicht habe, nach erfolgter Übergabe seiner Handelsvertretung nach Dubai auszuwandern. Glaubhaftmachung: anliegende eidesstattliche Versicherung des Herrn X vom … – Anlage 5 –. Da der Antragsgegner sonstiges Vermögen im Inland nicht besitzt und der Antragsteller unter den genannten Umständen befürchten muss, dass er im ordentlichen Verfahren nicht rechtzeitig einen Vollstreckungstitel erlangen wird, ist der vorstehende Arrestantrag begründet. Es besteht die Besorgnis, dass der Antragsgegner im Zusammenhang mit dem Vorhaben, auszuwandern, seine sämtlichen Vermögenswerte
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Parigger
M 39.2
Rz. 47 Kap. 39
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ZPO
beiseiteschafft. Ferner besteht die Gefahr, dass der Antragsgegner ins außereuropäische Ausland verzieht und dort eine Vollstreckung wegen fehlender Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht möglich ist (§ 917 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Kosten: Gericht: 1,5 Gebühr nach Nr. 1410 KV GKG; wird durch Urteil entschieden oder ergeht ein Beschluss nach § 91a oder § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, erhöht sich die Gebühr auf 3,0 (Nr. 1412 KV GKG); wenn die Voraussetzungen der Nr. 1411 KV GKG gegeben sind, ermäßigt sich die Gebühr auf 1,0; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; das Verfahren über den Arrest und das Verfahren in der Hauptsache sind verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 4 Buchst. a RVG); Wert: § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO (vgl. vorstehend unter Rz. 24). 1 Wahlmöglichkeiten zwischen Gericht der Hauptsache und Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der mit Arrest zu belegende Gegenstand befindet (§ 919 ZPO). 2 § 921 Abs. 1 ZPO; in dringenden Fällen kann der Vorsitzende allein entscheiden, § 944 ZPO. 3 Der Arrestbefehl muss auch den Grund der Forderung neben dem Betrag und der Art des Arrestes bezeichnen (Zöller/G. Vollkommer § 922 ZPO Rz. 2). Gemäß § 923 ZPO ist im Arrestbefehl von Amts wegen eine Lösungssumme anzugeben. Ihre Höhe entspricht dem Geldbetrag der zu sichernden Forderungen mit Nebenforderungen. Bei Nachweis der Sicherheitsleistung ist der Arrestgegner (Schuldner) berechtigt, die Vollziehung des Arrestbefehls zu verhindern und die Aufhebung etwa durchgeführter Vollziehungsmaßnahmen beim Vollstreckungsgericht (§ 934 ZPO) gem. § 766 ZPO zu beantragen. Nach § 233 BGB erwirbt der Gläubiger ein Pfandrecht an der hinterlegten Lösungssumme.
M 39.2 Antrag auf Anordnung des dinglichen Arrestes und Arrestpfändung An das Landgericht … – Zivilkammer –1/– Kammer für Handelssachen – Antrag auf Anordnung des dinglichen Arrestes und Arrestpfändung des Getränkegroßhändlers … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den Restaurantbetreiber … – Antragsgegner – wegen Erlass eines dinglichen Arrestes Namens und im Auftrage des Antragstellers beantrage ich wegen der Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung2, folgenden Arrestbefehl und Arrestpfändungsbeschluss zu erlassen: 1. Wegen einer Forderung von … Euro nebst … Zinsen iHv. … Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit … sowie einer Kostenpauschale von … Euro wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Antragsgegners angeordnet. 2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Arrestverfahrens zu tragen. 3. Die Vollziehung des Arrestes wird seitens des Antragsgegners durch Hinterlegung eines Betrages iHv. … Euro gehemmt3. 4. In Vollziehung des Arrestes wird die Forderung des Antragsgegners gegen die X-Bank auf Auszahlung seines Guthabens auf dem Konto des Antragsgegners bei der X-Bank, Konto-Nr. … bis zum Höchstbetrag von … Euro4 gepfändet. Der Antragsgegner hat sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten. Die X-Bank als Drittschuldner darf an den Antragsgegner nicht mehr leisten5.
Parigger 675
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Kap. 39 Rz. 47
Arrest
M 39.2
ZPO
Begründung: Der Antragsteller betreibt einen Getränkegroßhandel. Der Antragsgegner schuldet aus Getränkelieferungen vom … einen Gesamtbetrag von … Euro. Glaubhaftmachung: 1. Lieferscheine vom … – Anlagenkonvolut 1 – 2. Rechnungen vom … – Anlagenkonvolut 2 – Auf Bitten des Antragsgegners wurde die aus den vorgenannten Lieferungen zu zahlende Gesamtschuld am … gestundet und in eine Darlehensschuld umgewandelt, die in Raten am 1. Juli, 1. August und 1. September des Jahres zurückgezahlt werden sollte. Glaubhaftmachung: Anerkenntnis und Schuldschein des Antragsgegners vom … – Anlage 3 – Der Antragsgegner zahlte trotz mehrfacher Mahnungen keine der ausbedungenen Raten. Glaubhaftmachung: anliegende eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom … – Anlage 4 – Der Antragsgegner hat am … die von ihm angemieteten Gaststättenräume, in denen er bislang ein Restaurant betrieben hat, zum … gekündigt und am … gegenüber dem Vermieter erklärt, er werde in die Dominikanische Republik auswandern. Gleichzeitig hat er den Vermieter, Herrn Y gebeten, ihm seine Mietkaution auf ein neu eingerichtetes Konto in Liechtenstein bei der V-Bank zu zahlen. Glaubhaftmachung: anliegende eidesstattliche Versicherung des Vermieters Herrn … vom … – Anlage 5 – Bei der X-Bank besitzt der Antragsgegner ein Konto, von dem er bislang die Rechnungen des Antragstellers beglichen hat. Die Brauerei Z hat dem Antragsgegner aus der Rückgabe umfangreichen Leerguts in den vergangenen Monaten mehrfach Beträge auf dieses Konto überwiesen. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Antragstellers – Anlage 4 – Es besteht der dringende Verdacht, dass der Antragsgegner seine wesentlichen Vermögensgegenstände dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen sucht, weil er in die Dominikanische Republik auszuwandern gedenkt und Gelder ins Ausland zu schaffen sucht. Ohne eine Verhängung des Arrestes würde eine künftige Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert werden6. Kosten: Wegen des Arrestes s. Anm. zu M 39.1; wird der Arrestbeschluss erlassen gilt für dessen Vollziehung durch Forderungspfändung Folgendes: Gericht: Gebühr 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; zum Streitwert vgl. Rz. 24. 1 2 3 4 5
S. M 39.1 Fn. 1. S. M 39.1 Fn. 2. S. M 39.1 Fn. 3. Der Höchstbetrag entspricht der von Amts wegen festzusetzenden Lösungssumme (§ 923 ZPO). Es empfiehlt sich, dieses Verbot und Gebot, das zwar von Amts wegen auszusprechen ist, in den Antrag aufzunehmen, da die Arrestpfändung unter Umständen nicht wirksam ist, wenn dies versehentlich vom Gericht unterlassen wird. 6 Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen ist Arrestgrund nach § 917 Abs. 1 ZPO; die Vollstreckung im außereuropäischen Ausland stellt den Arrestgrund nach § 917 Abs. 2 ZPO dar. Die zu pfändende Forderung muss nicht glaubhaft gemacht werden. Gegebenenfalls empfiehlt sich zusätzlich die Pfändung des Rückzahlungsanspruches der Kaution zu beantragen.
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Parigger
Arrest
Rz. 48 Kap. 39
M 39.3 Antrag auf persönlichen Arrest
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An das Landgericht … – Zivilkammer –1 Antrag auf persönlichen Arrest des Kaufmanns … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den Kaufmann … – Antragsgegner – wegen Erlasses eines persönlichen Arrestes beantragen wir namens und laut anliegender Vollmacht des Antragstellers – wegen der Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung – den Erlass folgenden Arrestbefehles: 1. Wegen einer Forderung von 130.000 Euro nebst … Zinsen seit … sowie einer Kostenpauschale von … Euro wird der persönliche Sicherheitsarrest gegen den Antragsgegner angeordnet. 2. Die Vollziehung des Arrestes erfolgt durch Verhängung von Haft2. 3. Die Vollziehung wird durch Hinterlegung eines Geldbetrages von … Euro oder durch Stellung einer schriftlichen, unwiderruflichen, unbedingten und unbefristeten Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts über … Euro gehemmt. 4. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Begründung: Der Antragsteller betreibt einen Teppichhandel. Der Antragsgegner – ein Geschäftspartner des Antragstellers – ist iranischer Staatsangehöriger und lebt im Iran. Er hält sich derzeit unter der im Rubrum angegebenen Anschrift im Hotel … auf, plant allerdings seine Abreise für den …, wie der Antragsteller von einem Geschäftsfreund des Antragsgegners erfahren hat. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des … – Anlage 1 – Der Antragsgegner hat unter der betrügerischen Vorspiegelung, er sei vom Prokuristen des Antragstellers beauftragt worden, Teppiche im Iran für den Antragsteller zu erwerben, von der Buchhalterin des Antragstellers 130.000 Euro in bar erhalten. Er hat ihr erklärt, die Parteien hätten dies auch schon bei früheren Geschäften so gehandhabt. Den Erhalt des Geldes hat der Antragsgegner quittiert. Nach Rückkehr des Prokuristen des Antragstellers aus dem Urlaub hat dieser erklärt, einen solchen Auftrag an den Antragsgegner nie erteilt zu haben. Der Antragsgegner ist daher zur sofortigen Rückzahlung der 130.000 Euro verpflichtet. Gegen den Antragsgegner läuft aus diesem Sachverhalt zurzeit bei der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges, und zwar unter dem Aktenzeichen … Glaubhaftmachung: 1. Quittung vom … – Anlage 2 – 2. eidesstattliche Versicherung des … – Anlage 3 – 3. eidesstattliche Versicherung der … – Anlage 4 – 4. Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft … vom … – Anlage 5 – Da der Antragsgegner nach seiner Abreise aus dem Hotel … in den Iran zurückkehren wird und im Inland über kein Vermögen verfügt und damit zu rechnen ist, dass er die ihm vor zwei Wochen ausgehändigten
Parigger 677
ZPO
M 39.3
Kap. 39 Rz. 49
Arrest
M 39.4
ZPO
130.000 Euro schon auf dem Bankwege ins Ausland geschafft hat, so wie er dies mit Vorschusszahlungen bei Geschäften auch früher gehandhabt hat, Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Prokuristen … – Anlage 3 besteht die Besorgnis, dass ein dinglicher Arrest nicht zum Ziel führt. Das einzige Mittel zur Sicherung der gefährdeten Zwangsvollstreckung ist daher die Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit des Antragsgegners durch Haft. Irgendwelche Vermögenswerte des Antragsgegners, die die geltend gemachte Forderung im Geltungsbereich der EuGVVO oder Ländern, in denen die Gegenseitigkeit verbürgt ist, decken könnten, sind dem Antragsteller nicht bekannt. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Antragstellers – Anlage 6 – Kosten: s. Anm. zu M 39.1. 1 Vgl. M 39.1 Fn. 1–3. 2 Der Antrag auf persönliche Freiheitsbeschränkung gegen den Schuldner muss das einzige Mittel (Ultima Ratio) zur Sicherung künftiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sein. Der persönliche Arrest ist nach § 918 ZPO zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nur subsidiär zulässig. Allerdings kann ein persönlicher Sicherheitsarrest auch dann angeordnet werden, um den Schuldner zu hindern, sich der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu entziehen (OLG München NJW-RR 1988, 382). Die Art der Freiheitsbeschränkung ist im Arrestbefehl anzugeben (§ 933 ZPO). Nach Erlass des Arrestbefehles kann der Antragsteller den Antragsgegner ggf. durch den Gerichtsvollzieher verhaften lassen (§§ 933, 802g Abs. 2 ZPO). Wird Haft angeordnet, ist neben dem Arrestbefehl ein Haftbefehl auszustellen. Es gelten im Falle der Haft die §§ 802g, 802h und 802j Abs. 1 und 2, nicht aber § 802j Abs. 3 ZPO; im Übrigen die gerichtlichen Anordnungen (Thomas/Putzo/Seiler § 933 ZPO Rz. 2).
49 M 39.4 Antrag auf Versteigerung arrestgepfändeter Sachen1 An das Amtsgericht … – Vollstreckungsgericht – In Sachen …/… (Langrubrum) stelle ich Versteigerungsantrag gem. § 930 Abs. 3 ZPO. Begründung: In Vollzug des Arresturteils des Landgerichts … vom … hat der Gerichtsvollzieher Z laut anliegendem Pfändungsprotokoll am … beim Schuldner u.a. dreißig Dosen Beluga-Kaviar gepfändet. Auf den Dosen ist das Verfallsdatum … eingestanzt; die Dosen sind demnach in etwa vier Monaten nicht mehr verkäuflich. Ich beantrage deshalb, anzuordnen, dass diese Lebensmittel versteigert werden und der Erlös hinterlegt wird. Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; der Antrag bildet mit dem Vollziehungsantrag jedoch eine Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG); die Gebühr fällt also nicht ein weiteres Mal an. 1 Zuständig für die Anordnung nach § 930 Abs. 3 ZPO ist das Vollstreckungsgericht, dh. das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich die Sache befindet (§§ 847 Abs. 2, 764 Abs. 2, 802 ZPO), also nicht das Arrestgericht (Zöller/G. Vollkommer § 930 ZPO Rz. 6).
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Parigger
Arrest
Rz. 53 Kap. 39
M 39.5 Antrag auf Eintragung einer Arresthypothek
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An das Amtsgericht … – Grundbuchamt – In Sachen …/… (Langrubrum) wird beantragt, auf dem Grundstück Kaiserallee 7, in …, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts von …, Band …, Blatt …, gemäß dem Arrestbefehl des Landgerichts … (Az. …) vom … eine Sicherungshypothek mit dem Höchstbetrag von … Euro einzutragen. Begründung: Durch Arrestbefehl des Landgerichts … vom … (Az. …) ist wegen einer Forderung des Antragstellers über … Euro nebst … Zinsen seit … der dingliche Arrest in das Vermögen des Schuldners (Arrestgegner) angeordnet. Die Lösungssumme ist auf … Euro festgesetzt. Der Schuldner ist als Eigentümer des Grundbesitzes Kaiserallee 7 in … im Grundbuch des Amtsgerichts … Band … Blatt … eingetragen. Kosten: Gericht: 1,0 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 14121 KV GNotKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
IV. Gegenwehr, Rechtsbehelfe des Arrestschuldners 1. Widerspruch Gegen ein Arresturteil findet die Berufung nach allgemeinen Grundsätzen statt (bei Versäumnisurteil Einspruch). Beim Arrestbeschluss richtet sich der Rechtsbehelf danach, ob ein Arrest angeordnet oder das Arrestgesuch zurückgewiesen worden ist. Gegen den anordnenden Beschluss findet gem. § 924 ZPO der Widerspruch statt, gegen den abweisenden Beschluss sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO. Dies folgt aus §§ 567 Abs. 1 Nr. 2 iVm. 921, 922 ZPO.
51
Widerspruchsberechtigt ist nur der Schuldner oder sein Rechtsnachfolger, nicht aber Gläubiger oder Dritte. Der Schuldner muss in dem Widerspruch die Gründe angeben, die er für die Aufhebung des Arrestes geltend machen will (§ 924 Abs. 2 ZPO). § 924 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist indes nur eine Ordnungsvorschrift. Das Fehlen der Begründung macht den Widerspruch nicht unwirksam (Zöller/G. Vollkommer § 924 ZPO Rz. 7). Die Vollziehung des Arrestes wird durch den Widerspruch nicht gehemmt. Das Gericht kann jedoch die Zwangsvollstreckung einstweilen gem. § 707 ZPO einstellen (§ 924 Abs. 3 ZPO; Einstellung der Zwangsvollstreckung mit oder ohne Sicherheitsleistung). Auf den Widerspruch hin bestimmt das Gericht von Amts wegen Termin zur mündlichen Verhandlung und lädt dazu die Parteien. Über den Widerspruch wird durch Endurteil entschieden. Darin bestätigt das Gericht entweder den Arrest ganz oder teilweise (mit sofortiger Vollstreckbarkeit), oder es ändert ihn ab oder hebt ihn auf. Die Bestätigung, Abänderung oder Aufhebung kann auch von einer Sicherheitsleistung durch den Gläubiger oder Schuldner abhängig gemacht werden.
52
K
53
Praxistipp: Wird der Arrest aufgehoben und legt der Gläubiger Berufung ein, so ist höchst vorsorglich die einstweilige Einstellung der Vollziehung nach §§ 719, 707 ZPO wegen der Kosten aus dem Aufhebungsurteil zu beantragen, da bei völliger Aufhebung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen diese, auch wenn das Urteil I. Instanz aufgehoben wird, nicht wieder aufleben können (sehr str.; Zöller/G. Vollkommer § 925 ZPO Rz. 11; Thomas/Putzo/Seiler § 925 ZPO Rz. 4; BLAH § 925 ZPO Rz. 11).
Parigger 679
ZPO
M 39.5
Kap. 39 Rz. 54
M 39.6
Arrest
ZPO
54 Wenn Rechtsbehelfe gegen den Arrestbefehl keinen Erfolg versprechen, empfiehlt sich die Abgabe einer Abschlusserklärung (s. dazu Kap. 94 Rz. 164 ff.), um die Kosten des Abschlussschreibens (Kap. 94 Rz. 178–181) zu vermeiden.
55 M 39.6 Widerspruch gegen Anordnung des Arrestes An das Landgericht … – Streitgericht – Eilt sehr, bitte sofort vorlegen! Az.: … In Sachen … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen … – Antragsgegner – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte … zeige ich die Vertretung des Schuldners (Antragsgegners) an und erhebe namens und laut anliegender Vollmacht des Antragsgegners Widerspruch gegen den Arrestbefehl des Landgerichts … vom … Ich bitte um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, in der ich beantragen werde zu erkennen: 1. Der Arrestbefehl vom … wird aufgehoben. 2. Der Antrag des Antragstellers vom … auf Erlass eines Arrestbefehls wird zurückgewiesen. 3. Der Antragsteller hat die Kosten des Arrestverfahrens zu tragen. Begründung: Der Arrestbefehl des Landgerichts ist zu Unrecht ergangen. Es besteht weder ein Arrestanspruch noch ein Arrestgrund. Dazu führe ich Folgendes aus: 1. Es trifft zu, dass der Antragsgegner dem Antragsteller aus Getränkelieferungen … Euro geschuldet hat. Die Forderung des Antragstellers besteht indes nicht mehr, da dieser dem Antragsgegner im Rahmen einer anderen Lieferung wegen Überzahlung eine Gutschrift in gleicher Höhe erteilt hat. Glaubhaftmachung: Gutschrift des Antragstellers vom … – Anlage 1 – Der Antragsgegner hat dem Antragsteller durch Schreiben vom … mitgeteilt, er werde diese Gutschrift auf die nunmehr mit dem Arrestbefehl geltend gemachte Forderung verrechnen. Glaubhaftmachung: Schreiben des Antragsgegners vom … – Anlage 2 – Damit ist die Forderung des Antragstellers erloschen.
680
Parigger
M 39.6
Arrest
Rz. 58 Kap. 39
ZPO
2. Ein Arrestgrund ist ebenfalls nicht gegeben. Denn selbst für den Fall, dass die Forderung des Antragstellers berechtigt sein sollte, besteht keine Besorgnis der Gefährdung oder erheblichen Erschwernis der Zwangsvollstreckung. Es ist zwar richtig, dass der Antragsgegner seinen Geschäftsbetrieb aufgeben will, weil er aus Krankheitsgründen dazu gezwungen ist. Indes ist die Behauptung des Antragstellers, der Antragsgegner wolle in die Dominikanische Republik auswandern, unwahr und völlig aus der Luft gegriffen. Der Antragsgegner hat lediglich vor, nach Aufgabe und Abwicklung seines Geschäftsbetriebes einen Schulfreund, der vor Jahren in die Dominikanische Republik ausgewandert ist, zu besuchen. Mit irgendwelchen Auswanderungsgedanken hat sich der Antragsgegner jedoch nie befasst und diese auch nie geäußert. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners – Anlage 3 – Darüber hinaus besitzt der Antragsgegner neben seinem Wohnhaus in der Kaiserallee 7 in … mehrere Eigentumswohnungen in …. Diese sind sämtlichst vermietet. An deren Verkauf ist zu keinem Zeitpunkt gedacht. Glaubhaftmachung: 1. eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners – Anlage 3 – 2. Auszug aus dem Grundbuch des Amtsgerichts von … Band … Blatt … Im Übrigen ist aus der Liquidation des Geschäftsbetriebes des Antragsgegners ein erheblicher Überschuss zu erwarten, aus dem die vom Antragsteller geltend gemachte Forderung – wäre sie berechtigt – ohne Schwierigkeiten bezahlt werden könnte. Zu einem übereilten Vorgehen des Antragstellers hat der Antragsgegner in keiner Weise Anlass gegeben. Kosten: Gericht: Die Gebühr Nr. 1410 KV GKG erhöht sich auf 3,0, wenn durch Urteil entschieden wird oder ein Beschluss nach § 91a oder § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergeht (Nr. 1412 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; das Verfahren über den Arrest und das Verfahren in der Hauptsache sind verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 4 Buchst. a RVG).
2. Anordnung der Klageerhebung Ist die Hauptsache nicht anhängig, dann kann der Schuldner beantragen, dass das Arrestgericht dem 56 Gläubiger eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage bestimmt (§ 926 Abs. 1 ZPO). Diese Anordnung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Dem Schuldner steht die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages oder zu lang bemessene Fristen (§ 11 Abs. 1 RPflG, § 567 ZPO) zu. Das gilt auch bei (aufhebender) Entscheidung durch das Gericht (Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 21).
K
Wichtig: Auf Antrag (§ 224 Abs. 2 ZPO) des Gläubigers kann die Frist vor ihrem Ablauf durch schriftlichen Beschluss verlängert werden (Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 18).
57
Allerdings ist der Schuldner nicht auf dieses Verfahren nach § 926 ZPO beschränkt. Er kann daneben 58 selbst durch eine negative Feststellungsklage ein Hauptsacheverfahren einleiten und auf der Grundlage des obsiegenden Urteils die Aufhebung des Arrests gem. § 927 ZPO verlangen. Jedoch entfällt das erforderliche Feststellungsinteresse dann, wenn die Hauptsache sich inzwischen erledigt hat und deshalb für die Aufhebung der Kostenentscheidung mit dem Kostenwiderspruch ein einfacherer Weg zur Verfügung steht (Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 3).
Parigger 681
ZPO
Kap. 39 Rz. 59
M 39.7
Arrest
59 M 39.7 Antrag auf Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage gem.
§ 926 Abs. 1 ZPO An das Landgericht … – Streitgericht – Az. … In Sachen … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen … – Antragsgegner – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … beantrage ich, dem Antragsteller eine Frist gem. § 926 ZPO zur Erhebung der Hauptsacheklage zu bestimmen.1, Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: Der Antrag gehört gebührenrechtlich zum Anordnungsverfahren; wird der Vertreter des Schuldners erstmals tätig, erhält er die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG. 1 Die Länge der Frist ist im Gesetz nicht vorgeschrieben. Entsprechend §§ 276 Abs. 1 Satz 2, 277 Abs. 3 ZPO beträgt sie mindestens zwei Wochen. Sie ist nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend den für eine sorgfältige Partei erforderlichen Prozessvorbereitungen zu bestimmen. Auf Antrag des Gläubigers kann die Frist vor ihrem Ablauf durch schriftlichen Beschluss verlängert werden (Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 16, 18).
3. Antrag auf Aufhebung des Arrestes
60 Kommt der Gläubiger der Anordnung des Gerichtes zur Erhebung der Hauptsacheklage nicht fristgemäß nach, so spricht das Arrestgericht auf Antrag des Schuldners durch Endurteil die Aufhebung des Arrestes aus (§ 926 Abs. 2 ZPO).
61 M 39.8 Antrag auf Aufhebung des Arrestes wegen Nichterhebung der
Hauptsacheklage1 An das Landgericht … – Streitgericht – Az. … In Sachen … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe …
682
Parigger
M 39.8
Arrest
Rz. 64 Kap. 39
gegen
ZPO
… – Antragsgegner – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … stelle ich folgende Anträge: 1. Der Arrestbefehl des Landgerichts … vom … (Az. …) wird aufgehoben. 2. Die Vollziehung des Arrestes wird bis zur Entscheidung im Aufhebungsverfahren einstweilen eingestellt. 3. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Zur Begründung führe ich Folgendes aus: Nach dem Beschluss des Landgerichts … vom … war dem Antragsteller gem. § 926 Abs. 1 ZPO eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage bis zum … gesetzt. Diese Klage ist nicht rechtzeitig erhoben worden. Eine Nachfrage bei der zuständigen Geschäftsstelle des Landgerichts ergab, dass sie bis zum heutigen Tage, also einen Monat nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist nicht beim Landgericht eingegangen ist. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners vom … Da der Antragsteller der Anordnung des Gerichtes nicht Folge geleistet hat, ist der Arrest gem. § 926 Abs. 2 ZPO aufzuheben. Im Aufhebungsverfahren kann das Gericht auch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen. § 924 Abs. 3 ZPO ist entsprechend anzuwenden (Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 28). Kosten: Gericht: 1,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 1410 KV GKG; für das Aufhebungsverfahren werden die Gebühren gesondert erhoben (Vorbem. 1.4 Satz 1 KV GKG); Anwalt: Das Aufhebungsverfahren und das Anordnungsverfahren sind eine Angelegenheit (§ 16 Nr. 5 RVG). 1 Die Zustellung eines Mahnbescheids steht der Klageerhebung (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) gleich (str.); der (nicht zurückgewiesene) Antrag auf Prozesskostenhilfe wahrt die Frist ebenfalls (Zöller/G. Vollkommer § 926 ZPO Rz. 32 mwN).
Im Übrigen kann der Schuldner, wenn sich die Umstände verändert haben, die zum Erlass oder zur 62 Bestätigung des Arrestes geführt haben, gem. § 927 ZPO die Aufhebung des Arrestes verlangen. Zuständig für den Aufhebungsantrag ist das Gericht, das den Arrestbeschluss erlassen hat. Ist die Hauptsache anhängig, so entscheidet das Gericht der Hauptsache (§ 927 Abs. 2 ZPO). Ist die Hauptsache also in der Berufungsinstanz anhängig, hat allein diese über den Antrag zu befinden. Ist ein Hauptsacheverfahren nicht anhängig, so entscheidet das Gericht, das den Arrest erlassen hat oder hätte erlassen müssen.
K
Wichtig: Die veränderten Umstände sind in dem Aufhebungsantrag glaubhaft (§ 294 ZPO) zu 63 machen.
Ein Aufhebungsverfahren kommt bei Wegfall des Arrestanspruchs oder Erledigung des Arrestgrundes in Betracht. Der Wegfall des Arrestanspruchs kann etwa im Erlöschen der zu sichernden Forderung liegen. Eine Erledigung des Arrestgrundes kommt etwa in Betracht bei Ablauf der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, ohne dass die Vollziehung erfolgt ist, Nichtleistung der Sicherheit, von der der Arrestvollzug abhängig gemacht wurde (§§ 921 Abs. 2, 925 Abs. 2 ZPO) oder nunmehr mögliche Vollstreckung im Inland (Zöller/G. Vollkommer § 927 ZPO Rz. 6) oder in einem Staat, bei dem die Gegenseitigkeit verbürgt ist (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 917 ZPO Rz. 16).
Parigger 683
64
ZPO
Kap. 39 Rz. 65
M 39.9
Arrest
65 M 39.9 Antrag auf Arrestaufhebung wegen veränderter Umstände An das Landgericht … – Streitgericht – Az. … In Sachen … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen … – Antragsgegner – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … stelle ich folgende Anträge: 1. Der durch Urteil des Landgerichts … vom … bestätigte Arrest wird aufgehoben. 2. Die Vollziehung des Arrestes wird bis zur Entscheidung im Aufhebungsverfahren einstweilen eingestellt. 3. Die Kosten des Arrestverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.1 Begründung: Bei Wegfall des Arrestanspruches: Der Arrestanspruch ist dadurch weggefallen, dass die Hauptsacheklage des Gläubigers (Antragsgegners) durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts … vom … (Az. …) als unbegründet abgewiesen worden ist. Auf die vorgenannten Verfahrensakten nehme ich Bezug. Eine Kopie des vorgenannten Urteils füge ich als – Anlage 1 – diesem Antrag bei. Bei Wegfall des Arrestgrundes: Der Antragsteller hat von seinen Eltern im Wege vorweggenommener Erbfolge ein Sechsfamilienhaus in der … straße in … übertragen erhalten. Daraus bezieht er regelmäßig Mieteinkünfte, so dass etwa bestehende Ansprüche des Antragsgegners ohne Weiteres zu realisieren sind. Eine Gefährdung der Zwangsvollstreckung besteht nicht. Glaubhaftmachung: 1. Grundbuchauszug des Amtsgerichts … Band … Blatt … – Anlage 2 – 2. anliegende eidesstattliche Versicherung des Antragstellers – Anlage 3 – Kosten: s. Anm. zu M 39.8. 1 In diesem Verfahren geht es um die Rechtsmäßigkeit der Fortdauer des Arrestes. Es entspricht mit notwendiger mündlicher Verhandlung dem Urteilsverfahren in § 922 Abs. 1 ZPO. Allerdings vertauschen sich die Parteirollen. Das Verfahren wird auf Antrag des Schuldners eingeleitet, so dass dieser nunmehr als „Antragsteller“ und der Gläubiger als „Antragsgegner“ zu bezeichnen sind. Für das Verfahren besteht gem. § 78 ZPO Anwaltszwang (vgl. Thomas/Putzo/Seiler § 927 ZPO Rz. 2).
684
Parigger
M 39.10
Arrest
Rz. 68 Kap. 39
66
M 39.10 Antrag auf Aufhebung des Arrestvollzugs wegen Hinterlegung
67
ZPO
Das Erbieten zur Sicherheitsleistung berechtigt den Schuldner nur zur Antragstellung nach § 927 ZPO. Der Arrest wird allerdings erst aufgrund des Antrages aufgehoben, wenn die Sicherheit tatsächlich geleistet ist. Die Bestimmung der Sicherheit erfolgt nach § 108 ZPO (Zöller/G. Vollkommer § 927 ZPO Rz. 8). Ist lediglich Sicherheitsleistung angeordnet, muss der Schuldner die in § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO erwähnte Bürgschaft beibringen; es sei denn, die Parteien vereinbaren eine andere Sicherheit oder das Gericht ordnet – auf zu begründenden Antrag des Schuldners – eine anderweitige Sicherheit an.
An das Amtsgericht …– Vollstreckungsgericht –1 Az. … In Sachen … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen … – Antragsgegner – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … stelle ich folgende Anträge: 1. Der durch Pfändung betriebene Vollzug des Arrestbefehls des Landgerichts … vom … (Az. …) wird aufgehoben.2 2. Die Versteigerung der durch den Gerichtsvollzieher G durch Pfändungsprotokoll vom … gepfändeten Möbel wird eingestellt. Zur Begründung führe ich aus, dass der Schuldner am … die vom Landgericht … im Arrestbefehl vom … festgesetzte Lösungssumme hinterlegt hat. Zum Nachweis füge ich die Hinterlegungsquittung der Gerichtskasse … vom … bei. Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: Der Antrag bildet keine besondere Angelegenheit, er gehört zur Vollziehung (§ 19 Abs. 2 Nr. 6 RVG). 1 Das Vollstreckungsgericht ist ausschließlich zuständig gem. §§ 934, 802, 764 ZPO. 2 Nur die Aufhebung der Arrestvollziehung, nicht der Anordnung ist zulässig.
Beim Aufhebungsverfahren handelt es sich um ein Urteilsverfahren mit notwendiger mündlicher 68 Verhandlung. Streitige Tatsachen sind lediglich glaubhaft zu machen (§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Während des Aufhebungsverfahrens kann das Gericht analog § 924 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Arrestvollziehung unter erleichterten Voraussetzungen einstellen (Schuschke/Walker § 927 ZPO Rz. 20; Zöller/G. Vollkommer § 924 ZPO Rz. 12).
Parigger 685
Kap. 39 Rz. 69
Arrest
ZPO
4. Schutzschrift
69 Die Schutzschrift ist ein von der Rechtspraxis entwickeltes vorbeugendes Verteidigungsmittel gegen einen drohenden Antrag auf Erlass eines Arrestes bzw. einer einstweiligen Verfügung (siehe Kap. 40 Rz. 47 f.), durch das der Antragsgegner den Erlass eines Arrestbeschlusses zu verhindern sucht (Zöller/G. Vollkommer § 945a ZPO Rz. 1). Mit ihr soll erreicht werden, dass das Gericht den erwarteten Antrag ablehnt, zumindest aber nicht ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Die Gerichte sind verpflichtet, bei ihrer Entscheidung den Inhalt der Schutzschrift zu berücksichtigen (Art. 103 Abs. 1 GG). Das gilt auch für die Wahl des Verfahrens gem. § 937 Abs. 2 ZPO; BGH NJW 2003, 1257).
70 Die am 1.1.2016 in Kraft getretenen Vorschriften der §§ 945a, b ZPO sind die Rechtsgrundlage für die Schutzschriftenregisterverordnung (SRV) v. 24.11.2015 (BGBl. I, 2135). Betreiber des Registers ist die Landesjustizverwaltung Hessen für alle Länder. Zur Vermeidung einer Hinterlegung von Schutzschriften bei mehreren Gerichten ist jetzt nur noch eine Schutzschrift einzureichen (§ 945a Abs. 2 ZPO; Zöller/G. Vollkommer § 945a ZPO Rz. 1). Die Einzelheiten für die Einreichung der Schutzschrift regelt § 2 SRV. Das zentrale elektronische Schutzschriftenregister ist beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingerichtet. Berechtigt zur Einreichung sind Rechtsanwälte, natürliche und juristische Personen. Anwaltszwang besteht nicht. Jedoch sind Rechtsanwälte gem. § 49c BRAO verpflichtet, Schutzschriften ausschließlich beim zentralen Schutzschriftenregister zu hinterlegen. Ein Verstoß hat aber keine prozessualen Folgen (Zöller/G. Vollkommer § 945a ZPO Rz. 2). Mit der Einstellung in das Register gilt die Schutzschrift als bei allen ordentlichen Gerichten hinterlegt (§ 945a Abs. 2 ZPO). Wird die Schutzschrift von einem Rechtsanwalt eingereicht, ist sie an das zentrale elektronische Schutzschriftenregister als elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) zu übersenden.
71 Die Schutzschrift ist dem Antragsteller erst mit Antragstellung mitzuteilen. Vor Antragstellung hat der mögliche Antragsteller mangels Rechtshängigkeit kein Registereinsichtsrecht (Zöller/G. Vollkommer § 945a ZPO Rz. 3).
72 Die Kosten einer ins Register eingestellten Schutzschrift sind erstattungsfähig, wenn ein entsprechender Arrestantrag (bzw. Verfügungsantrag) bei Gericht eingeht und abgelehnt oder zurückgenommen wird, ohne das eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat (Zöller/G. Vollkommer § 945a ZPO Rz. 1; BGH NJW 2003, 1257; NJW-RR 2007, 1575). Erstattungsfähig ist eine 1,3-Verfahrensgebühr (BGH NJW-RR 2008, 1093).
V. Rechtsbehelfe des Arrestgläubigers 73 Wird der Antrag auf Erlass des Arrestes durch Urteil zurückgewiesen, findet die Berufung nach allgemeinen Grundsätzen statt. Wird der Arrestantrag durch Beschluss zurückgewiesen, so ist dagegen die sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) gegeben. Sie ist jedoch nur dann zulässig, wenn gegen ein Urteil gleichen Inhalts die Berufung zulässig wäre (so LG Köln MDR 2003, 831; strittig!, aA Thomas/ Putzo § 922 ZPO Rz. 7; Zöller/G. Vollkommer § 922 ZPO Rz. 13, die § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht für entsprechend anwendbar halten). Ebenso ist die sofortige Beschwerde zulässig, wenn das Gericht eine vorherige Sicherheitsleistung des Gläubigers festsetzt (§ 921 Abs. 1 ZPO).
74 Weist das Beschwerdegericht die Beschwerde zurück, findet gegen den Beschluss keine Rechtsbeschwerde statt, selbst dann nicht, wenn sie vom Beschwerdegericht zugelassen ist. § 574 Abs. 2 ZPO findet im Verfahren der §§ 916 ff. ZPO keine Anwendung (BGH NJW 2003, 1531). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision gem. § 542 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen (BGH aaO).
686
Parigger
Rz. 75 Kap. 39
Arrest
M 39.11 Schutzschrift
75
An das Zentrale Schutzschriftenregister https://www.zssr.justiz.de/ Schutzschrift1 Eilt sehr, bitte sofort vorlegen! In einem etwaigen Verfahren auf Anordnung eines Arrestes des/der … – mutmaßlicher Antragsteller – gegen … – mutmaßlicher Antragsgegner – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … bestellen wir uns zu Verfahrensbevollmächtigten des Herrn … (im Folgenden: Antragsgegner). Es ist zu befürchten, dass Herr … (im Folgenden: Antragsteller) wegen des nachstehend wiedergegebenen Sachverhalts einen Antrag auf Erlass eines Arrestes stellen wird. Es wird beantragt, 1. einen (eventuellen) Antrag auf Erlass eines Arrestes zurückzuweisen; hilfsweise über einen solchen Antrag auf Erlass eines Arrestes nach vorheriger mündlicher Verhandlung zu entscheiden; 2. für den Fall der Zurückweisung des Arrestantrages oder seiner Zurücknahme dem Antragsteller die Kosten des Arrestverfahrens einschließlich der durch die Hinterlegung der Schutzschrift entstandenen Kosten aufzuerlegen. Wir beantragen weiter, diese Schutzschrift dem Antragsteller nur dann zugänglich zu machen, wenn dieser einen Antrag auf Erlass eines Arrestes stellen sollte. Begründung: Die Parteien sind Kaufleute und stehen in Geschäftsbeziehung zueinander. Der Antragsteller betreibt einen Getränkegroßhandel, der Antragsgegner eine Restaurantkette, die er verkaufen möchte. Er hat für seine Lokale Getränke beim Antragsteller bezogen. Der Antragsteller macht aus Getränkelieferungen für die Monate Juni bis September … eine Forderung in Höhe von …. Euro geltend. Dem Antragsteller steht ein Arrestgrund nicht zur Seite. Er macht eine Forderung aus Getränkelieferungen geltend, für deren Ausgleich, selbst wenn sie berechtigt sein sollte, keine Besorgnis der Gefährdung oder erheblichen Erschwernis der Zwangsvollstreckung steht. Es trifft zwar zu, dass der Antragsgegner seinen Geschäftsbetrieb veräußern will, weil er aus Krankheitsgründen dazu gezwungen ist. Indes ist die vom Antragsteller gegenüber dem Erwerber des Geschäftsbetriebes des Antragsgegners aufgestellte Behauptung, der Antragsgegner wolle sich nach Veräußerung mit dem Kaufpreis nach Singapur absetzen, unwahr und völlig aus der Luft gegriffen. Der Antragsgegner hat vor, mit dem Erlös aus der Veräußerung seines Geschäftsbetriebes Immobilien in Deutschland zu erwerben. Darüber hinaus besitzt der Antragsgegner neben seinem Wohnhaus in der Mozartstr. 7 in … mehrere Eigentumswohnungen in …. Diese sind sämtlichst vermietet. Auch an deren Veräußerung ist zu keinem Zeitpunkt gedacht. Glaubhaftmachung: 1. eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners – Anlage 1 – 2. Auszug aus dem Grundbuch des AG von … Band … Blatt … Zu einem übereilten Vorgehen des Antragstellers hat der Antragsgegner in keiner Weise Anlass gegeben.
Parigger 687
ZPO
M 39.11
ZPO
Kap. 40 Rz. 1
Einstweilige Verfügung
Darüber hinaus ist auch ein Arrestanspruch nicht begründet. Es trifft zwar zu, dass der Antragsgegner dem Antragsteller aus Getränkelieferungen … Euro geschuldet hat. Die Forderung des Antragstellers besteht indes nicht mehr, da dieser dem Antragsgegner im Rahmen einer anderen Lieferung wegen Überzahlung eine Gutschrift in gleicher Höhe erteilt hat. Glaubhaftmachung: Gutschrift des Antragstellers vom … – Anlage 2 – Der Antragsgegner hat dem Antragsteller durch Schreiben vom …. mitgeteilt, er werde diese Gutschrift auf die nunmehr mit dem möglichen Arrestbefehl geltend gemachte Forderung verrechnen. Glaubhaftmachung: Schreiben des Antragsgegners vom … – Anlage 3 – Damit ist die Forderung des Antragstellers erloschen. Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Landesjustizverwaltung Hessen: 83 Euro für die Einstellung in das Schutzschriftenregister (§ 1 Abs. 2 Nr. 5a JVKostG, Nr. 1160 KV JVKostG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG, sofern kein Auftrag für eine Einzeltätigkeit vorliegt; sonst 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3403 VV RVG (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 23. Aufl. 2017 RVG Teil D Anhang II Rz. 175). 1 Weiteres Muster einer Schutzschrift s. M 94.6.
Kapitel 40 Einstweilige Verfügung I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. 4. 5.
Arten der einstweiligen Verfügung . . . . . . Sicherungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungs- oder Befriedigungsverfügung . . . Antragsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesuch und Verfügungsinhalt . . . . . . . . . . Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.1 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Herausgabeanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.2 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Besitzschutzes . . . M 40.3 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch . . . . . . M 40.4 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks eines Erwerbsverbotes und Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch . .
1 4 6 11 20 20 21 30 31 32 33 34
III. 1. 2. IV.
M 40.5 Antrag auf Ladung zum Rechtfertigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . M 40.6 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Regelung eines einstweiligen Zustandes (Übertragung der OHG-Geschäftsführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.7 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Schadensersatzrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.8 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen des Verbots der Abgabe von Erklärungen . . . . . Vollziehung der einstweiligen Verfügung, Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutzschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
39 40 41 42 42 46 47
35
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I. Arten der einstweiligen Verfügung 1 Einstweilige Verfügungen dienen – wie der Arrest – einem Sicherungszweck. Vom Regelungsgehalt aus gesehen sind zu unterscheiden die 688
Parigger
ZPO
Kap. 40 Rz. 1
Einstweilige Verfügung
Darüber hinaus ist auch ein Arrestanspruch nicht begründet. Es trifft zwar zu, dass der Antragsgegner dem Antragsteller aus Getränkelieferungen … Euro geschuldet hat. Die Forderung des Antragstellers besteht indes nicht mehr, da dieser dem Antragsgegner im Rahmen einer anderen Lieferung wegen Überzahlung eine Gutschrift in gleicher Höhe erteilt hat. Glaubhaftmachung: Gutschrift des Antragstellers vom … – Anlage 2 – Der Antragsgegner hat dem Antragsteller durch Schreiben vom …. mitgeteilt, er werde diese Gutschrift auf die nunmehr mit dem möglichen Arrestbefehl geltend gemachte Forderung verrechnen. Glaubhaftmachung: Schreiben des Antragsgegners vom … – Anlage 3 – Damit ist die Forderung des Antragstellers erloschen. Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Landesjustizverwaltung Hessen: 83 Euro für die Einstellung in das Schutzschriftenregister (§ 1 Abs. 2 Nr. 5a JVKostG, Nr. 1160 KV JVKostG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG, sofern kein Auftrag für eine Einzeltätigkeit vorliegt; sonst 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3403 VV RVG (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 23. Aufl. 2017 RVG Teil D Anhang II Rz. 175). 1 Weiteres Muster einer Schutzschrift s. M 94.6.
Kapitel 40 Einstweilige Verfügung I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. 4. 5.
Arten der einstweiligen Verfügung . . . . . . Sicherungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungs- oder Befriedigungsverfügung . . . Antragsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesuch und Verfügungsinhalt . . . . . . . . . . Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.1 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Herausgabeanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.2 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Besitzschutzes . . . M 40.3 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch . . . . . . M 40.4 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks eines Erwerbsverbotes und Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch . .
1 4 6 11 20 20 21 30 31 32 33 34
III. 1. 2. IV.
M 40.5 Antrag auf Ladung zum Rechtfertigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . M 40.6 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Regelung eines einstweiligen Zustandes (Übertragung der OHG-Geschäftsführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.7 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Schadensersatzrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 40.8 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen des Verbots der Abgabe von Erklärungen . . . . . Vollziehung der einstweiligen Verfügung, Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutzschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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39 40 41 42 42 46 47
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I. Arten der einstweiligen Verfügung 1 Einstweilige Verfügungen dienen – wie der Arrest – einem Sicherungszweck. Vom Regelungsgehalt aus gesehen sind zu unterscheiden die 688
Parigger
Einstweilige Verfügung
Rz. 7 Kap. 40
– einstweilige Verfügung zur Sicherung des Streitgegenstandes (§ 935 ZPO);
ZPO
– einstweilige Verfügung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 940 ZPO) und – einstweilige Verfügung zur vorläufigen Befriedigung wegen eines Geldanspruchs oder zur einstweiligen Erfüllung. Einstweilige Verfügungen dürfen nicht mit einstweiligen Anordnungen, die im Rahmen der Zwangsvollstreckung oder auf der Grundlage des FamFG (vgl. dazu Kap. 107) ergehen, verwechselt werden.
2
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist das Bestehen eines Verfügungsanspruchs, mithin eines mit der Eilentscheidung zu sichernden Anspruchs. Ferner bedarf es eines Verfügungsgrundes, also einer der Verwirklichung des Anspruchs drohenden Gefahr. Die den Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund belegenden Tatsachen sind vom Antragsteller glaubhaft (§ 294 ZPO) zu machen (vgl. dazu: auch Kap. 94 Rz. 100 ff.).
3
1. Sicherungsverfügung Sie ist zulässig, wenn zu befürchten ist, dass die Rechtsverwirklichung wegen einer Veränderung des bestehenden Zustands vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO). Verfügungsanspruch iS des § 935 ZPO ist ein (idR) nicht auf Geld gerichtetes subjektives Recht, das durch die einstweilige Verfügung gesichert werden soll (Zöller/G. Vollkommer § 935 ZPO Rz. 6). Im Gegensatz zum Arrest muss bei der Sicherungsverfügung die Durchsetzung des Anspruchs im Wege der Zwangsvollstreckung nicht gefährdet sein. Vielmehr genügt es, dass der Streitgegenstand als solcher objektiv gefährdet ist, zB ein Lieferungsanspruch, ein Herausgabeanspruch, eine Vormerkung auf Grundbucheintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek (vgl. OLG Celle NJW 1977, 1731).
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Streitgegenstand bei der Sicherungsverfügung ist nicht der gefährdete Anspruch. Vielmehr geht das Begehren des Antragstellers auf Sicherung seines gefährdeten Anspruches. Daraus ergeben sich die zu stellenden Anträge, innerhalb deren der Antragsteller (Verfügungskläger) den Streitgegenstand genau zu bezeichnen hat (Zöller/G. Vollkommer § 935 ZPO Rz. 4). Über den Antrag selbst darf das Gericht nicht hinausgehen (§ 308 ZPO; anders im Fall der Regelungsverfügung, s. Rz. 8). Der Verfügungsgrund liegt in der objektiv begründeten Besorgnis, dass die Verwirklichung des Individualanspruchs des Gläubigers durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes vereitelt oder wesentlich erschwert wird (Zöller/G. Vollkommer § 935 ZPO Rz. 10).
5
2. Regelungsverfügung Sie ist zulässig zur Regelung eines einstweiligen Zustands in den rechtlichen Beziehungen der streiten- 6 den Parteien, wenn die Regelung notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden, eine drohende Gefahr zu verhindern oder sonst den Rechtsfrieden zu sichern (§ 940 ZPO). Das gilt zB beim Schutz von Besitzrechten, zur Regelung der Geschäftsführung von Handelsgesellschaften, zur Wahrung von Nachbar- oder Vermieterrechten, bei der Verletzung gewerblicher Rechte, gegen Namensmissbrauch oder diffamierenden Äußerungen (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 8; BLAH § 940 ZPO Rz. 13 ff.). Bei der Regelungsverfügung tritt an die Stelle des zu sichernden Individualanspruchs das zu regelnde streitige Rechtsverhältnis (Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 2; Thomas/Putzo/Seiler § 940 ZPO Rz. 1). Ein Verfügungsanspruch ist ausnahmsweise entbehrlich. Entscheidend ist, dass ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien besteht, aus dem bestimmte Ansprüche entstehen können (Zöller/Vollkommer § 940 ZPO Rz. 2; Thomas/Putzo/Seiler § 940 ZPO Rz. 2; aA OLG Koblenz NJW-RR 1986, 1039).
Parigger 689
7
Kap. 40 Rz. 8
Einstweilige Verfügung
ZPO
8 Demzufolge hat der Antragsteller lediglich schlüssig Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO), aus denen sich das Rechtsverhältnis und sein möglicher Anspruch, bei Abwehr von Störungen durch den Antragsgegner auch die Grundlage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Störung ergeben (Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 3). Das hat Konsequenzen für die Antragstellung: Der Antrag muss zwar auf eine bestimmte Regelung gerichtet sein, braucht jedoch die zu treffende Maßnahme nicht im Einzelnen zu bezeichnen. Vielmehr ist dies Sache des Gerichts, das im Rahmen des gestellten Antrages nach § 938 ZPO unter Beachtung des vom Antragsteller vorgegebenen Rechtsschutzzieles nach freiem Ermessen entscheidet, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks notwendig sind (Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 3 und § 938 ZPO Rz. 1, 2).
9 Der Verfügungsgrund ist eine besondere Ausprägung des Rechtsschutzinteresses. Das Gesetz definiert ihn in § 940 ZPO dahin gehend, dass die einstweilig verfügte Maßnahme „zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen“ nötig sein muss. Dabei ist grundsätzlich vom Interesse des Gläubigers auszugehen, wie es sich aufgrund der tatsächlichen Lage objektiv darstellt (Thomas/Putzo/Seiler § 940 ZPO Rz. 5). Allerdings setzt der Begriff „nötig“ iS des § 940 ZPO voraus, dass eine Interessenabwägung erfolgt; „nötig“ ist eine Regelung nur dann, wenn sie nicht ihrerseits gewichtigere Interessen des Schuldners verletzt (Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 4). Der Verfügungsgrund ist glaubhaft (§ 294 ZPO) zu machen, es sei denn, das Gesetz hält eine Glaubhaftmachung für entbehrlich zB bei §§ 650d, 885 Abs. 1, 899 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 12 Abs. 2 UWG (Zöller/G. Vollkommer § 935 ZPO Rz. 12; BLAH § 940 ZPO Rz. 5).
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Wichtig: Der Verfügungsgrund entfällt, wenn der Antragsteller trotz ursprünglich bestehenden Regelungsbedürfnisses in Kenntnis der maßgeblichen Umstände untätig bleibt und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung erst nach längerer Zeit stellt. Es fehlt dann an der Dringlichkeit der Durchsetzung der Regelung. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist insoweit allerdings nicht einheitlich (vgl. dazu im Einzelnen, und zwar auch zur Frage der Auswirkung einer gewünschten Verlängerung der Rechtsmittelfrist Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rz. 3.15 ff.).
3. Leistungs- oder Befriedigungsverfügung
11 Sowohl die Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO) als auch die Regelungsverfügung (§ 940 ZPO) sollen eine spätere Befriedigung des Antragstellers sichern, nicht aber (vorzeitig) zu einer Befriedigung führen. Es geht also darum, den Hauptprozess nicht vorwegzunehmen mit der Folge, dass dieser und eine sich daran anschließende Vollstreckung durch die inzwischen eingetretene Entwicklung überholt sind. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Fällen, in denen bloße Sicherungsmaßnahmen oder Regelungen unterhalb der Befriedigung nicht ausreichen, um dem Gläubiger einen vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Die Rspr. lässt daher über die Sicherung eines Anspruchs und die vorläufige Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses hinaus ausnahmsweise eine teilweise Befriedigung zu, sofern der Antragsteller (Gläubiger) auf die sofortige Erfüllung so dringend angewiesen ist, dass er den Hauptprozess nicht abwarten kann, ohne unverhältnismäßig großen oder gar irreparablen Schaden zu erleiden (Thomas/Putzo/Seiler § 940 ZPO Rz. 6; Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 6).
12 Die Leistungs- oder Befriedigungsverfügung unterliegt in vollem Umfang den Bestimmungen der §§ 935 ff. ZPO. Wegen ihres Ausnahmecharakters werden aber an die Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs und des Verfügungsgrundes besonders strenge Anforderungen gestellt. Der Verfügungsgrund verlangt hier Folgendes: – Der Gläubiger muss auf die sofortige Erfüllung dringend angewiesen sein; – die geschuldete Leistung muss so kurzfristig zu erbringen sein, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und – die dem Gläubiger drohenden Nachteile bei Nichterfüllung müssen schwer wiegen und außer Verhältnis stehen zu dem Schaden, den der Schuldner erleiden kann (Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 6; Musielak/Voit/Huber § 940 ZPO Rz. 14). 690
Parigger
Einstweilige Verfügung
Rz. 17 Kap. 40
Als Leistungs- oder Befriedigungsverfügung kommen im Einzelnen u.a. in Betracht:
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ZPO
– Die Unterlassungsverfügung (zB im Wettbewerbs- oder Presserecht: Verbot, in unlauterer Weise zu werben oder eine diffamierende Behauptung zu veröffentlichen); – die Herausgabeverfügung (zB im Arbeitsrecht: Herausgabe von Arbeitspapieren bei Stellenwechsel, oder im Gesellschaftsrecht: durch Sicherstellung von Büchern und Papieren der Gesellschaft bei einem Sequester); – die Verfügung auf Vornahme einzelner Handlungen mit Erfüllungscharakter (zB bei Fixgeschäften); – das Gebot einer presserechtlichen Gegendarstellung; – die Verfügung auf Geldleistungen im Übrigen (zB Abschlagszahlungen auf periodisch wiederkehrende Leistungen wie Lohn- und Gehaltsansprüche, Schadensersatzrente etc.); – Räumungen § 940a ZPO.
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Wichtig: Die Bezeichnung des Streitgegenstandes bedarf auch hier höchster Sorgfalt. Der Antragsteller muss insbesondere bei der Unterlassungsverfügung die Verletzungshandlung so genau wie möglich umschreiben. Der Verbotsantrag muss möglichst konkret gefasst sein, damit Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Satz 1 ZPO) erkennbar abgegrenzt sind, der Antragsgegner sich erschöpfend verteidigen kann und bei der Vollstreckung klar ist, worauf sich das Verbot erstreckt (BGH NJW 2005, 2550 ff.).
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Einstweilige Verfügungen zur vorläufigen Befriedigung wegen eines Geldanspruchs, um wesentliche Nachteile vom Gläubiger abzuwenden, werden, von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen (zB § 1615o BGB), nur in Fällen fortlaufender Bezüge wie familienrechtlicher Unterhaltsansprüche, Löhne, Gehälter, Rentenansprüche oder auch Haftpflichtentschädigungen als zulässig angesehen. Ausnahmsweise kann die Verfügung auf einmalige Geldleistungen zulässig sein, wenn ohne ihren Erlass der Eintritt einer nicht mehr behebbaren Schädigung für den Gläubiger droht, zB für Arzt- oder Kurkosten (vgl. OLG Köln MDR 1959, 398; KG NJW 1969, 2019). Die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren muss praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkommen (OLG Jena NJW-RR 2012, 862 f.; Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 6). Zutreffend daher hat das OLG Rostock (MDR 1996, 1183 f.) Abschlagszahlungen auf Vertragserfüllung zur Abwendung des Insolvenzverfahrens einer juristischen Person im Weg der einstweiligen Verfügung angeordnet.
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Wichtig: Die Leistungs- und Befriedigungsverfügung ersetzt nicht den Hauptprozess; sie hemmt 16 aber den durch die Eilmaßnahme gesicherten (Hauptsache-)Anspruch (Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 7). Die Hemmung tritt durch Zustellung des Antrags auf Erlass der Verfügung bzw. des Arrestes ein (§ 204 Abs. 1 Nr. 9 Alt. 1 BGB), bei Zustellung „demnächst“ mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Antragseingangs entsprechend § 167 ZPO. Ergeht ein Beschluss (§§ 922, 937 Abs. 2 ZPO), tritt Hemmung der Verjährung mit der Einreichung des Antrags ein, wenn der Beschluss innerhalb eines Monats an den Schuldner zugestellt wird (§ 204 Abs. 1 Nr. 9 Alt. 2 BGB; Zöller/G. Vollkommer vor § 916 ZPO Rz. 5a). Zu den in der Rspr. entschiedenen Fällen, in denen Leistungs- und Befriedigungsverfügungen zugelassen oder versagt worden sind, vgl. Zöller/G. Vollkommer § 940 ZPO Rz. 8 „Einzelne Rechtsgebiete“.
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Praxistipp: Hemmungswirkung für den Hauptsacheanspruch hat § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB nur dann (beachte dazu auch die Frist des § 204 Abs. 2 BGB!), wenn der Streitgegenstand der Eilmaßnahme und der Hauptsacheklage identisch sind. Da die Eilmaßnahme häufig nicht im vollen Umfang – wegen des dafür nötigen Verfügungsgrundes (Rz. 9) – des Hauptsacheanspruchs durchgesetzt werden kann, muss schon bei Stellung des Verfügungsantrags streng darauf geachtet werden, ob eine Hemmung der Verjährung des Hauptsacheanspruchs durch Stellung des Verfügungsantrags eintritt.
Parigger 691
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Kap. 40 Rz. 18
Einstweilige Verfügung
ZPO
18 Wie beim Arrest trägt der Gläubiger auch im Falle des Erlasses einer einstweiligen Verfügung die volle Gefahr aus den vorläufigen Maßnahmen der einstweiligen Verfügung (BGHZ 54, 80). Es ist daher besondere Vorsicht bei der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung, insbesondere einer Leistungsoder Befriedigungsverfügung, geboten. Die Vorschrift des § 945 ZPO verwirklicht den Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel auf die Gefahr des Gläubigers erfolgt. Wer einen vorläufigen Titel erwirkt, trägt das Risiko, dass sich sein Vorgehen im Nachhinein als unberechtigt erweist (BGH NJW 2006, 2767; BLAH § 945 ZPO Rz. 2).
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Praxistipp: Über das Risiko aus § 945 ZPO muss der Anwalt den Mandanten ausreichend belehren. Seine Belehrung sollte er vorsorglich schriftlich dokumentieren.
II. Antragsschrift 1. Zuständigkeit
20 Für den Erlass der einstweiligen Verfügung ist grundsätzlich das Gericht der Hauptsache örtlich und sachlich ausschließlich zuständig (§ 937 Abs. 1 ZPO). Anders als beim Arrest kann das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet, eine einstweilige Verfügung nur in dringenden Fällen erlassen (§ 942 ZPO). 2. Gesuch und Verfügungsinhalt
21 Im Allgemeinen finden auf die Anordnung der einstweiligen Verfügung und das Verfahren die Vorschriften über den Arrest entsprechende Anwendung (§ 936 ZPO). Erforderlich ist auch hier ein Gesuch, in dem die Voraussetzungen für den Erlass anzuführen und glaubhaft (§ 294 ZPO) zu machen sind. Dabei hängen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des gefährdeten Rechts davon ab, in welchem Maße die beantragte einstweilige Verfügung in die Interessen des Antragsgegners eingreift. Bei sichernden Maßnahmen wie etwa der Sequestration, also der Verwahrung und Verwaltung durch einen Treuhänder, können geringere Anforderungen genügen (vgl. OLG München NJW 1958, 1880).
22 Mittel der Glaubhaftmachung sind u.a.: – Urkunden; – Parteigutachten; – eidesstattliche Versicherungen von Zeugen und Parteien; – anwaltliche Versicherung.
23 – Bei der Sicherungsverfügung gem. § 935 ZPO ist als Verfügungsanspruch das nicht auf eine Geldleistung gerichtete subjektive Recht, dessen Verwirklichung durch die einstweilige Verfügung gesichert werden soll, darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO). Das sind alle Ansprüche auf Handlungen, Duldungen und Unterlassungen gleich welcher Art (Zöller/G. Vollkommer § 935 ZPO Rz. 6).
24 Bei der einstweiligen Verfügung zur Regelung eines Zustandes ist das zu regelnde streitige Rechtsverhältnis darzulegen und glaubhaft zu machen; also Tatsachen, aus denen sich das Rechtsverhältnis und der mögliche Anspruch ergeben.
25 Bei der Leistungs- und Befriedigungsverfügung gilt dies mit strengeren Anforderungen für die Darlegung und Glaubhaftmachung der die geforderte Leistung tragenden Anspruchsgrundlage.
26 Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist ein Rechtsschutzinteresse. Dieses fehlt, wenn der Gläubiger für seinen Anspruch bereits einen ohne Sicherheitsleistung vollstreckbaren Titel besitzt. 692
Parigger
Rz. 32 Kap. 40
Erforderlich für den Verfügungsgrund sind in allen Fällen auch Ausführungen zur Eilbedürftigkeit der einstweiligen Regelung. Diese sind ebenfalls glaubhaft zu machen.
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Die Behauptungs- und Beweislast sind wie mit der entsprechenden Regelung im Hauptverfahren 28 identisch verteilt (Zöller/G. Vollkommer § 935 ZPO Rz. 8). Für die Verteilung der Glaubhaftmachungslast gelten im Eilverfahren keine Besonderheiten (str., Einzelheiten s. Zöller/G. Vollkommer vor § 916 ZPO Rz. 6a). Bei Beschlussentscheidungen ohne rechtliches Gehör ist ggf. darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der zu sichernde Anspruch einredefrei besteht (Thomas/Putzo/Seiler vor § 916 ZPO Rz. 9). Der Antragsteller hat demnach auch mögliche (naheliegende) Einwendungen und Einreden des Antragsgegners zu entkräften und die zugrundeliegenden Tatsachen glaubhaft zu machen. Abweichend von § 921 Abs. 1 ZPO kann die Entscheidung über den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung nur in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 937 Abs. 2 ZPO). Deshalb kann der Antrag in der Regel zurückgewiesen werden, ohne dass mündlich verhandelt wird (KG Berlin MDR 1979, 590; OLG Frankfurt MDR 1979, 945; BLAH § 937 ZPO Rz. 7). Ein dringender Fall iS des § 937 Abs. 2 ZPO, in dem die Verfügung ohne mündliche Verhandlung erlassen werden kann, liegt vor, wenn die Eilbedürftigkeit der Maßnahme über die dem einstweiligen Verfügungsverfahren ohnehin innewohnende Dringlichkeit (Verfügungsgrund) hinausgeht und selbst eine innerhalb kürzester Frist terminierte mündliche Verhandlung nicht abgewartet werden kann oder wenn der Zweck der einstweiligen Verfügung gerade den Überraschungseffekt der Beschlussverfügung erfordert (Zöller/G. Vollkommer § 937 ZPO Rz. 2 mwN). Die besondere Dringlichkeit des § 937 Abs. 2 ZPO ist somit zusätzlich darzulegen und glaubhaft zu machen.
29
3. Streitwert Die einstweilige Verfügung ist ein summarisches Verfahren und dient grundsätzlich nur der Sicherung, nicht aber der Befriedigung des Gläubigers. Sie stellt somit nur eine vorläufige Maßnahme dar. Für den Streitwert maßgebend ist das Interesse des Antragstellers. Demzufolge richtet er sich nach den Vorteilen, die der Antragsteller durch die Anordnung der einstweiligen Verfügung erlangt. Der Wert ist nach § 3 ZPO zu schätzen (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG). Er wird also nach freiem Ermessen des Gerichts festgesetzt. Dabei ist die Vorläufigkeit des Verfahrens in dem Sinn von Bedeutung, dass der Wert geringer ist als die zu sichernde Forderung. Regelwert ist etwa 1/3 bis 1/2 des Hauptsacheanspruchs des Antragstellers. Der Wert kann allerdings dem der zu sichernden Forderung nahe kommen, wenn im Verfahren der einstweiligen Verfügung der Streit praktisch endgültig erledigt wird, also die einstweilige Verfügung dem Antragsteller volle Befriedigung verschafft (vgl. dazu: Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 1978; Thomas/Putzo/Hüßtege § 3 ZPO Rz. 52; Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „einstweilige Verfügung“).
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4. Taktische Erwägungen Ist zweifelhaft, ob das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 937 Abs. 2 ZPO) entscheidet, kann der Überraschungseffekt, der mit der einstweiligen Verfügung erreicht werden soll, entfallen. Es empfiehlt sich daher, in der Antragsschrift so zu verfahren, wie dies für den Fall des Arrestauftrages oben (s. Kap. 39 Rz. 25) dargestellt worden ist.
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5. Besonderheiten Wird die einstweilige Verfügung wegen Dringlichkeit durch das Amtsgericht des Streitgegenstandes 32 erlassen (§ 942 ZPO), so muss es dem Gläubiger eine Frist bestimmen, innerhalb deren er die Ladung des Schuldners zur mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung beim Gericht der Hauptsache zu beantragen hat. Eine einstweilige Verfügung, aufgrund deren im Grundbuch eine Vormerkung oder ein Widerspruch eingetragen werden soll, kann von dem Amtsgericht erlassen werden, in dessen Bezirk das Grundstück liegt, und zwar ohne das Erfordernis der Parigger 693
ZPO
Einstweilige Verfügung
ZPO
Kap. 40 Rz. 33
Einstweilige Verfügung
M 40.1
Dringlichkeit (§ 942 Abs. 2 ZPO). Eine Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung wird dabei nur auf Antrag des Schuldners bestimmt. Legt der Schuldner gegen eine nach § 942 ZPO vom Amtsgericht erlassene einstweilige Verfügung den Widerspruch bei diesem Gericht ein, so empfiehlt es sich, ggf. damit den Verweisungsantrag an das Gericht der Hauptsache zu verbinden (vgl. LG Frankfurt NJW 1975, 932).
33 M 40.1 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Herausgabeanordnung An das Amtsgericht1 – Zivilrichter – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Firma … – Antragstellerin – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen den Versicherungsvertreter … – Antragsgegner – wegen Herausgabe Namens und im Auftrag der Antragstellerin beantrage ich, gegen den Antragsgegner – wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorherige mündliche Verhandlung – den Erlass folgender einstweiligen Verfügung: 1. Der Antragsgegner hat den in seinem Besitz befindlichen Pkw Marke … Motor Nr. …, Fahrgestell Nr. …, mit dem amtlichen Kennzeichen … an den Gerichtsvollzieher … als Sequester, hilfsweise an einen vom Gericht zu bestellenden Sequester herauszugeben. 2. Die Durchsuchung des Bürogrundstücks einschließlich der Garage des Antragsgegners zur Vollstreckung der Herausgabe wird gestattet.2 Begründung: 1. Die Antragstellerin handelt mit Kraftfahrzeugen. Sie hat dem Antragsgegner den im Antrag zu 1 bezeichneten Pkw, der zur Fahrzeugoberklasse gehört, am … unter Eigentumsvorbehalt veräußert. Glaubhaftmachung: Kaufvertrag vom … – Anlage eV K 1 – Nach den Vereinbarungen im Kaufvertrag war der Kaufpreis am … zur Zahlung fällig. Trotz verschiedener Mahnungen der Antragstellerin, zuletzt durch Schreiben vom … mit Fristsetzung … hat der Antragsgegner den Kaufpreis nicht gezahlt. Zwischenzeitlich hat die Antragstellerin in Erfahrung gebracht, dass der Versicherungsvertretervertrag des Antragsgegners mit der Firma … gekündigt worden ist und der Antragsgegner an seinen früheren Prinzipal, die Firma … zu Unrecht empfangene Provisionen iHv. … Euro zurückzuzahlen hat. Hierüber hat die Firma … bereits einen Titel gegen den Antragsgegner erwirkt, aus dem sie bislang ergebnislos vollstreckt hat. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Prokuristen der Antragstellerin … vom … – Anlage eV K 2 – Mit dem anliegenden Schreiben vom … – Anlage eV K 3 – ist die Antragstellerin daher vom Kaufvertrag zurückgetreten (§ 323 BGB) und hat zum … die Herausgabe des im Antrag zu 1 bezeichneten Pkw verlangt (§§ 323, 346, 449 Abs. 2 BGB; alternativ dazu: §§ 323, 449 Abs. 2, 985 BGB). Dieser Frist ist der Antragsgegner nicht nachgekommen. Vielmehr hat er eine neue Versicherungsvertretung für die Firma … übernommen und benutzt3 das Fahrzeug, um im Bereich der ehemaligen GUS-Staaten einen Kundenstamm aufzubauen. Dabei fällt eine monatliche Kilometerleistung von
694
Parigger
M 40.2
Einstweilige Verfügung
Rz. 34 Kap. 40
ZPO
ca. 10.000 km an. Ferner hat der Antragsgegner seine bisherige Wohnung gekündigt und den Pkw in einer zu seinem Büro gehörenden Garage untergebracht. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Vertriebsleiters der Antragstellerin V vom … – Anlage eV K 4 – Die Antragstellerin befürchtet, dass der Antragsgegner den aufgrund des Rücktritts sich ergebenden Herausgabeanspruch4 der Antragstellerin vereiteln will. Sie hat zwar am heutigen Tage Hauptsacheklage erhoben, bis zu einer Entscheidung im ordentlichen Verfahren wird jedoch noch geraume Zeit vergehen. Da das Fahrzeug durch die Benutzung einer ständigen Wertminderung unterliegt und darüber hinaus auch die Gefahr eines Schadens besteht, ist ein rasches Eingreifen durch einstweilige Verfügung des Gerichts geboten. Da der Antragsgegner viel im Ausland unterwegs ist und durch Aufgabe seiner Wohnung vermuten lässt, dass er den Anspruch der Antragstellerin zu vereiteln gedenkt, ist eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angezeigt. Kosten: Gericht: 1,5 Gebühr nach Nr. 1410 KV GKG; wird durch Urteil entschieden oder ergeht ein Beschluss nach § 91a oder § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, erhöht sich die Gebühr auf 3,0 (Nr. 1412 KV GKG); wenn die Voraussetzungen der Nr. 1411 KV GKG gegeben sind, ermäßigt sich die Gebühr auf 1,0; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; das Verfahren über die einstweilige Verfügung und das Verfahren in der Hauptsache sind verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 4 Buchst. b RVG). 1 Zuständig ist grundsätzlich das Gericht der Hauptsache, wobei in dringenden Fällen das Amtsgericht entscheiden kann, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet (§§ 937 Abs. 1, 942 Abs. 1 ZPO). Da die Gerichtsstände in der Zwangsvollstreckung ausschließliche sind (§ 802 ZPO), ist wegen §§ 758, 758a ZPO das Amtsgericht auch für den Erlass der einstweiligen Verfügung zuständig, wenn zugleich die Durchsuchung der „Wohnung“ (auch Geschäftsräume! BVerfG NJW 1998, 1627, 1631) beantragt wird. 2 Das Gericht muss bei der Anordnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und darf nur solche Maßnahmen anordnen, die zur Erreichung des Sicherungszwecks einerseits erforderlich, andererseits ausreichend sind. Im vorliegenden Fall ist dies die Herausgabe an einen Sequester (§ 938 Abs. 2 ZPO). Falls der vom Antragsteller benannte Gerichtsvollzieher verhindert ist, kann das Gericht ggf. einen eigenen Sequester bestellen. Um die Herausgabe vollstrecken zu können, sollte zugleich ein Durchsuchungsbeschluss beantragt werden (vgl. BVerfGE 51, 97 = NJW 1979, 1539). Dabei ist der Begriff „Wohnung“ in § 758 ZPO weit auszulegen. Er umfasst auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie Hof, Garten und Garage etc. (Zöller/Seibel § 758a ZPO Rz. 4). 3 Es ist strittig, ob die weitere Benutzung des Kaufgegenstandes nach Rücktritt vom Vertrag eine Gefährdung des Herausgabeanspruchs des Vorbehaltskäufers darstellt (vgl. dazu OLG Köln ZIP 1988, 445 f.). Vielfach wird die Auffassung vertreten, dass ein Verfügungsgrund nur dann besteht, wenn die Sache übermäßig benutzt und dadurch in ihrer Substanz wesentlich verändert wird (OLG Frankfurt/M NJW 1960, 827). Das dürfte im Muster der Fall sein. Hinzu kommt das (zzt.) erhöhte Diebstahlrisiko in den ehemaligen GUS-Ländern. 4 Der Käufer kann sich nicht auf ein Recht zum Besitz nach § 986 BGB berufen. Der Herausgabeanspruch des Verkäufers besteht nach § 449 Abs. 2 BGB jedoch nur dann, wenn der Verkäufer zuvor vom Vertrag zurückgetreten ist (vgl. BGHZ 54, 214 ff.).
M 40.2 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Besitzschutzes An das Landgericht – Zivilkammer – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Firma … – Antragstellerin – Verfahrensbevollmächtigte: RAe …
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34
Kap. 40 Rz. 34
M 40.2
Einstweilige Verfügung
ZPO
gegen Stadt: … vertreten durch den Bürgermeister … – Antragsgegnerin – wegen Besitzschutzes Namens und im Auftrag der Antragstellerin beantrage ich, gegen die Antragsgegnerin – wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorherige mündliche Verhandlung – den Erlass folgender einstweiligen Verfügung: Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, das Gelände der Kläranlage …, bestehend aus Teilflächen der Flurstücke …, eingetragen im Grundbuch von … Blatt … an die Antragstellerin herauszugeben, indem die Antragsgegnerin sämtliche Schlüssel herausgibt und das vorgenannte Grundstück räumt. Begründung: I. 1. Die Antragstellerin ist eine Projektgesellschaft für die Abwasserreinigung der Stadt … Die Antragsgegnerin ist im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsaufgaben zur schadlosen Abwasserableitung und Abwasserbehandlung verpflichtet. Zur Erfüllung dieser Pflicht hat sich die Antragsgegnerin der Antragstellerin bedient und am … einen Vertrag über die Beseitigung der Abwässer und Fäkalien geschlossen. Glaubhaftmachung: Vertrag vom … – Anlage eV K 1 – Die Antragstellerin betreibt die Klärwerksanlage aufgrund des vorgenannten Vertrages seit vielen Jahren unbeanstandet. 2. In den frühen Morgenstunden des … ist der Bürgermeister der Antragsgegnerin zusammen mit drei weiteren von ihm beauftragten Personen auf dem Gelände der Kläranlage erschienen und hat sich unter Androhung von Gewalt Zutritt zur Anlage verschafft. Auf dem Betriebsgelände der Kläranlage befanden sich zu diesem Zeitpunkt der Klärwärter … und der Klärwerksmeister … der Antragstellerin. Diese wurden vom Bürgermeister der Antragsgegnerin aufgefordert, die Schlüssel zum Klärwerksgelände und Klärwerksgebäude herauszugeben, sonst werde die Kläranlage mit Gewalt in Besitz genommen. Die Mitarbeiter der Antragstellerin verweigerten die Herausgabe, worauf die vom Bürgermeister der Antragsgegnerin herbeigerufenen weiteren Personen die Schlösser zum Eingangstor des Klärwerksgeländes aufbohrten. Sie drängten die Mitarbeiter der Antragstellerin zur Seite und nahmen das Klärwerksgelände in Besitz. Gleichzeitig erklärte der Bürgermeister der Antragsgegnerin, dass Mitarbeiter der Antragstellerin das Klärwerksgelände zu verlassen hätten und ihnen fortan der Zutritt versagt sei. Glaubhaftmachung: 1. eidesstattliche Versicherung des Klärwerkswärters … vom … – Anlage eV K 2 – 2. eidesstattliche Versicherung des Klärwerksmeisters … vom … – Anlage eV K 3 – Zum Hintergrund des Geschehens muss man wissen, dass die Antragstellerin mit der Antragsgegnerin seit langem über die Kosten für die Abwasserentsorgung verhandelt. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Die Antragsgegnerin möchte die Klärwerksanlage im Eigenbetrieb führen und will sich auf Biegen und Brechen über den geschlossenen Vertrag hinwegsetzen. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Antragstellerin … vom … – Anlage eV K 4 – 3. Die Antragsgegnerin hat sich in „Wildwestmanier“ in den Besitz des Klärwerksgeländes gebracht. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 Abs. 1 BGB. Die Antragstellerin erhielt den unmittelbaren Besitz am Gelände der Kläranlage aufgrund des Entsorgungsvertrages, der ein Recht zum Besitz gewährt (§ 986 BGB). Die Antragsgegnerin hat diesen Besitz durch Ausübung verbotener Eigenmacht iS des § 858 BGB entzogen. Sie hat sich ohne Grund über das Besitzrecht der Antragstellerin hinweggesetzt und gegen den ausdrücklichen Willen der Antragstellerin bzw. ihrer Vertreter das Gelände der Kläranlage besetzt. Da die Mitarbeiter der Antragstellerin keinen Zugang mehr zum Betriebsgelände haben, weil die Antragstellerin dies verwehrt, kann der Besitz nur wiedererlangt werden, indem die Antragsgegnerin sämtliche Schlüssel aushändigt und das Grundstück räumt.
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Parigger
M 40.3
Rz. 35 Kap. 40
Einstweilige Verfügung
ZPO
Das Vorgehen der Antragsgegnerin ist durch nichts gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin kann aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt das widerrechtliche Betreten und die widerrechtliche Inbesitznahme der Klärwerksanlage herleiten. Dieser vertragswidrige Zustand ist sofort zu beenden. II. Der Streitwert wird von der Antragstellerin mit … Euro angegeben.1 Kosten: s. Anm. zu M 40.1. 1 Bei einstweiligen Verfügungen auf Herausgabe bestimmt sich der Streitwert nicht nach § 6 ZPO, sondern ist nach § 3 ZPO zu schätzen, da es sich nur um eine vorläufige Regelung handelt. Es erscheint als angemessen, einen Bruchteil des nach § 6 ZPO zu ermittelnden Wertes (1/3 bis 1/2) als Wert anzunehmen (Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 1978; Zöller/ Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Herausgabeklagen“).
M 40.3 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch An das Amtsgericht – Streitgericht – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen den … – Antragsgegner – wegen Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch Namens und in Vollmacht des Antragstellers beantrage ich, gegen den Antragsgegner gem. § 942 Abs. 2 ZPO den Erlass folgender einstweiligen Verfügung: 1. Es wird die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs des Antragstellers auf Rückübereignung des im Grundbuch von … Gemarkung … Band … Blatt … eingetragenen Grundstücks an rangbereitester Stelle angeordnet. 2. Das Grundbuchamt wird um die Eintragung der Vormerkung ersucht.1 Begründung: 1. Der Antragsteller hat durch notariellen Vertrag vom … dem Antragsgegner das im Antrag zu 1. näher bezeichnete Grundstück geschenkt und die vollzogene Schenkung gem. § 530 BGB wegen groben Undanks widerrufen, weil der Antragsgegner den Antragsteller vor drei Monaten völlig grundlos bei der Staatsanwaltschaft in … wegen des Vorwurfs der Kinderpornographie angezeigt hat. Das Verfahren ist nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachtes eingestellt worden. Der Antragsteller hat die Schenkung durch Schreiben vom … an den Antragsgegner wegen groben Undanks widerrufen. Glaubhaftmachung: 1. notarieller Schenkungsvertrag vom … – Anlage eV K 1 – 2. Einstellungsverfügung der STA … vom … – Anlage eV K 2 – 3. Widerrufsschreiben vom … – Anlage eV K 3 – 2. Der Antragsteller kann nach diesem Sachverhalt die Rückübereignung des geschenkten Grundstücks gem. § 812 Abs. 1 BGB verlangen und diesen Anspruch nach § 883 Abs. 1 Satz 1 BGB durch eine Vormer-
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ZPO
Kap. 40 Rz. 36
Einstweilige Verfügung
M 40.4
kung sichern. Diese Vormerkung ist gem. § 885 Abs. 1 BGB aufgrund einer einstweiligen Verfügung einzutragen, und zwar ohne dass eine Gefährdung des zu sichernden Anspruchs glaubhaft gemacht zu werden braucht. Lediglich der zu sichernde Anspruch muss schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht sein (OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1993, 473 f.). Kosten: s. Anm. zu M 40.1. 1 Gemäß § 941 ZPO kann das die einstweilige Verfügung erlassende Gericht ein Eintragungsersuchen an das Grundbuchamt richten. Die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO wird mit Eingang des Eintragungsersuchens beim Grundbuchamt gewahrt (§§ 932 Abs. 3, 929 Abs. 3 ZPO). In diesem Fall Wichtig: Zustellung innerhalb der Wochenfrist des § 929 Abs. 3 ZPO!
36 M 40.4 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks eines
Erwerbsverbotes und Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch An das Amtsgericht – Streitgericht – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des … (Langrubrum) wegen Erwerbsverbotes und Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch Namens und in Vollmacht des Antragstellers beantragen wir – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – gegen den Antragsgegner gem. §§ 938 Abs. 2, 942 Abs. 2 ZPO den Erlass folgender einstweiliger Verfügung: 1. Dem Antragsgegner wird verboten1, sich durch Beantragung seiner Eintragung als Eigentümer des im Grundbuch des Amtsgerichts … von … Band … Blatt … verzeichneten Grundstückes das Eigentum an dem Grundstück zu verschaffen oder einen eventuell bereits gestellten Eintragungsantrag aufrechtzuerhalten. 2. Bei dem in Ziffer 1 beschriebenen Grundstück wird die Eintragung eines Widerspruchs gegen die zugunsten des Antragsgegners in Abteilung II eingetragene Auflassungsvormerkung angeordnet2. 3. Das Grundbuchamt wird gem. § 941 ZPO um die Eintragung des nach Ziffer 2 beantragten Widerspruchs ersucht. 4. Das Erwerbsverbot nach Ziffer 1 soll dem Grundbuchamt mitgeteilt werden3. 5. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Begründung: Der Antragsteller hat als alleiniger Eigentümer das im Antrag zu Ziffer 1 bezeichnete Grundstück durch Urkunde des Notars … vom …, Urk.-Roll.-Nr. … an den Antragsgegner verkauft. In der notariellen Urkunde wurde zugleich die Auflassung erklärt. Ferner wurde von den Vertragsbeteiligten eine Auflassungsvormerkung bewilligt und beantragt. Die Auflassungsvormerkung ist bereits im Grundbuch eingetragen. Glaubhaftmachung: 1. Notarieller Kaufvertrag vom … in beglaubigter Kopie – Anlage eV K 1 – 2. Kopie des Grundbuchauszuges vom … in beglaubigter Form – Anlage eV K 2 – Nach § … des notariellen Kaufvertrages hat sich der Antragsteller verpflichtet, das auf dem verkauften Grundstück befindliche Gebäude entsprechend einer vorliegenden Baubeschreibung und beiden Parteien bekannten Bauplänen umzubauen. Weder die Baubeschreibung noch die Baupläne lagen bei der Beurkundung vor. Der Antragsteller ist daher der Auffassung, dass der Vertrag nach § 311b BGB formnichtig ist (vgl. BGH NJW-RR 2001, 953, 954) und er insoweit die Berichtigung des Grundbuches verlangen kann. Der
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M 40.5
Einstweilige Verfügung
Rz. 38 Kap. 40
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Antragsteller möchte das Grundstück nunmehr im Besitz seiner Familie behalten und das darauf befindliche Gebäude für seine Kinder umbauen4. Sollte der Antragsgegner als Eigentümer im Grundbuch eingetragen werden, träte nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB die Heilung des ohne Beachtung der notariellen Form geschlossenen Kaufvertrages ein. Der Antragsteller verlöre hiernach seinen Grundbuchberichtigungsanspruch. Zur Verhinderung dieses dem Antragsteller drohenden Rechtsverlustes durch Eintragung des Antragsgegners als Eigentümer im Grundbuch sind der Erlass des Erwerbsverbotes und die Eintragung des Widerspruchs geboten. Kosten: s. Anm. zu M 40.1. 1 Nach § 938 Abs. 2 ZPO wird das Erwerbsverbot als zulässige gerichtliche Anordnung angesehen. Es soll der etwa bei Formnichtigkeit des Grundstückskaufvertrages bereits durch Auflassung eingeleitete Vorgang der Übereignung blockiert und damit die Heilung des Kaufvertrages verhindert werden (vgl. Staudinger/Gursky § 888 BGB Rz. 103 ff.) Danach ist es dem Erwerber untersagt, den Eintragungsantrag nach § 13 GBO zu stellen oder aufrechtzuerhalten (BayObLG MDR 1997, 595; Zöller/ Vollkommer § 938 ZPO Rz. 13; Palandt/Ellenberger § 136 BGB Rz. 5). Das Erwerbsverbot selbst ist grundsätzl8ich nicht eintragungsfähig (BayObLG MDR 1997, 595; Palandt/Bassenge § 888 BGB Rz. 11). Das Erwerbsverbot ist aber mit Zustellung an den Antragsgegner als Erwerber wirksam und stellt ein vom Grundbuchamt zu beachtendes Eintragungshindernis dar (BayObLG MDR 1997, 595). Sollte der Eintragungsantrag schon gestellt sein, hindert das Erwerbsverbot den weiteren Vollzug (MüKo.BGB/Kohler § 888 BGB Rz. 30). 2 Da das Erwerbsverbot nicht im Grundbuch eingetragen werden kann, empfiehlt es sich, das Petitum mit dem Antrag auf Eintragung eines Grundbuchwiderspruchs zu verbinden, sollte eine Auflassungsvormerkung bereits eingetragen sein. Allerdings ist strittig, ob bei der Auflassungsvormerkung ein Widerspruch eingetragen werden kann (vgl. MüKo.BGB/Kohler § 899 BGB Rz. 5; Palandt/Bassenge § 899 BGB Rz. 3; dafür: BGHZ 25, 16, 24; Erman/Lorenz § 899 BGB Rz. 6). 3 Nach allg. Meinung muss ein im Wege einstweiliger Verfügung ausgesprochenes Erwerbsverbot vom Grundbuchamt beachtet werden. Eine sachliche Überprüfung steht ihm nicht zu (BayObLG MDR 1997, 595). Das Grundbuchamt darf den Käufer nicht mehr als Eigentümer eintragen, seinen Eintragungsantrag aber auch nicht zurückweisen (MüKo.BGB/Kohler aaO). Es hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob eine Zwischenverfügung zu erlassen oder der Eintragungsantrag sogleich abzuweisen ist (BayObLG MDR 1997, 595). 4 Zur Frage, ob sich der Antragsteller auf diese Formnichtigkeit berufen kann, ist darauf abzustellen, dass die gesetzlichen Formvorschriften im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden dürfen (Palandt/Ellenberger § 125 BGB Rz. 22, 27). Nach der Rechtsprechung darf nur „zur Vermeidung schlechthin untragbarer Ergebnisse“ aufgrund des § 242 BGB von der Nichtigkeit abgesehen werden. Das Ergebnis muss für die betroffene Partei nicht bloß hart, sondern schlechthin untragbar sein (Erman/Arnold § 125 BGB Rz. 30; Palandt/Ellenberger aaO; BGHZ 138, 339, 348).
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Praxistipp: Da das Grundbuchamt das Erwerbsverbot von Amts wegen zu beachten hat, empfiehlt es sich, dem Grundbuchamt unmittelbar nach Erlass der einstweiligen Verfügung eine Ausfertigung des Erwerbsverbotes vorzulegen. Das sollte per Telefax vorab angekündigt werden.
M 40.5 Antrag auf Ladung zum Rechtfertigungsverfahren1
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An das Landgericht – Zivilkammer – In Sachen … (folgt das volle Rubrum und Geschäftszeichen des amtsgerichtlichen Verfahrens) wegen Schenkungswiderrufs hier: Eintragung einer Vormerkung im Wege der einstweiligen Verfügung
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Kap. 40 Rz. 39
M 40.6
Einstweilige Verfügung
hat das Amtsgericht … durch Beschluss vom … Az.: … eine einstweilige Verfügung erlassen und dabei eine Frist von … bestimmt, innerhalb deren die Entscheidung des Gerichts zur Hauptsache über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung zu beantragen ist. Namens und in Vollmacht des Antragstellers bitte ich hiermit um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, in dem ich beantragen werde zu erkennen: Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts … vom … Az. … wird bestätigt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1412 KV GKG; das Verfahren vor dem Gericht der belegenen Sache und vor dem Gericht der Hauptsache gilt als ein Rechtsstreit (Vorbem. 1.4 Satz 2 KV GKG); wenn die Voraussetzungen der Nr. 1411 KV GKG gegeben sind, beträgt die Gebühr 1,0; Anwalt: Die Verfahren vor beiden Gerichten sind eine Angelegenheit (§ 16 Nr. 5 RVG). 1 Nach § 942 Abs. 1 ZPO ist das Amtsgericht der belegenen Sache für einstweilige Verfügungen zuständig, wenn ein dringender Fall glaubhaft gemacht wird, dh. wenn die Anrufung des Gerichts der Hauptsache für den Gläubiger eine nachteilige Verzögerung brächte (Thomas/Putzo/Seiler § 942 ZPO Rz. 2). In einem solchen Fall hat das Amtsgericht in der Entscheidung, mit der dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung stattgegeben wird, eine Frist zur Durchführung des Rechtfertigungsverfahrens beim Gericht der Hauptsache zu setzen. Der Antrag zur Durchführung des Rechtfertigungsverfahrens selbst ist nicht beim Amtsgericht, sondern beim Gericht der Hauptsache zu stellen.
39 M 40.6 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Regelung eines
einstweiligen Zustandes (Übertragung der OHG-Geschäftsführung) An das Landgericht – Kammer für Handelssachen1 – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung 1. des … 2. des … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen den … – Antragsgegner – wegen Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis vorläufiger Streitwert: … Euro2 Namens und in Vollmacht der Antragsteller beantrage ich, gegen den Antragsgegner – wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorherige mündliche Verhandlung3 – den Erlass folgender einstweiligen Verfügung: 1. Dem Antragsgegner wird die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis für die A B & C Musikalienhandel oHG für die Dauer des Ausschließungsprozesses (LG …, Az.: …) entzogen. 2. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis für die A B & C Musikalienhandel oHG wird an … für die Dauer des Ausschließungsprozesses übertragen. Begründung: 1. Die Antragsteller sind zusammen mit dem Antragsgegner Gesellschafter der A B & C Musikalienhandel oHG mit Sitz in …. Nach § … des Gesellschaftsvertrages ist dem Antragsgegner allein die Geschäftsfüh-
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M 40.6
Einstweilige Verfügung
Rz. 39 Kap. 40
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rungs- und Vertretungsbefugnis der Gesellschaft übertragen. Die Antragsteller sind von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Glaubhaftmachung: Gesellschaftsvertrag vom … – Anlage eV K 1 – Die Gesellschaft ist eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts … unter der Nr. HRA …. 2. Zwischen den Parteien ist beim LG … – Kammer für Handelssachen – Az. … ein Ausschließungsverfahren anhängig, in dem die Antragsteller den Ausschluss des Antragsgegners aus der Gesellschaft begehren. Glaubhaftmachung: Akten des LG … Az. … Dem Ausschließungsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsgegner hat hinter dem Rücken der Antragsteller am … ein Baugrundstück in …, das für den Erweiterungsbau einer Filiale für die Gesellschaft vorgesehen war und in ihrem Eigentum stand, zu einem Gefälligkeitspreis an seine Lebensgefährtin veräußert. Dabei wusste der Antragsgegner, dass die Gesellschaft das Baugrundstück zu eigenen Zwecken benötigt. Lediglich aus Gründen der Liquidität waren Baumaßnahmen noch nicht durch die Gesellschaft eingeleitet. Der notariell verbriefte Kaufpreis betrug 300.000 Euro. Der tatsächliche Wert des Grundstücks dürfte sich indes auf 450.000 Euro belaufen haben. Glaubhaftmachung: 1. Kopie des notariellen Kaufvertrages vom … – Anlage eV K 2 – 2. eidesstattliche Versicherung des Prokuristen P … – Anlage eV K 3 – In dem Verhalten des Antragsgegners liegt nicht nur ein gesellschaftsschädliches missbräuchliches Verhalten zum Vorteil der Lebensgefährtin des Antragsgegners, vermutlich also mittelbar auch zum eigenen Vorteil. Das vom Antragsgegner ausgeführte Grundstücksgeschäft dürfte zugleich auch eine Straftat zum Nachteil der Gesellschaft darstellen und den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) erfüllen. Hierdurch hat der Antragsgegner schwerwiegend seine Pflichten als geschäftsführender Gesellschafter verletzt. Er hat sich rigoros über die Belange der Gesellschaft hinweggesetzt, um eigene Interessen bzw. die seiner Lebensgefährtin durchzusetzen. Damit ist das Vertrauensverhältnis der übrigen Gesellschafter in die Loyalität des Antragsgegners und in die Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung nachhaltig zerstört. Zur Wahrung und Sicherstellung des Rechtsfriedens für die Dauer des Ausschließungsprozesses ist es daher erforderlich, dass die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft anderweitig geregelt werden, da die Antragsteller selbst die Geschäftsführung und Vertretung aus persönlichen Gründen … (wird ausgeführt) nicht übernehmen können. Es kann den Antragstellern nicht mehr zugemutet werden, dem Antragsgegner die Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht der Gesellschaft zu belassen und das Ende des Ausschließungsverfahrens abzuwarten. Aus diesem Grunde ist als geschäftsführender Vertreter der oHG der im Antrag zu 2) benannte … einzusetzen. 3. Die grobe Pflichtverletzung des Antragsgegners ist ein wichtiger Grund zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis aufgrund § 117 HGB und der Vertretungsmacht aufgrund § 127 HGB. In einem ähnlichen Fall hat der Bundesgerichtshof ebenfalls die Auffassung vertreten, dass dem einzigen geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft durch einstweilige Verfügung die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis für die Dauer des Ausschließungsprozesses entzogen und diese Befugnisse einem Dritten (auch einem Nichtgesellschafter) übertragen werden können (vgl. BGHZ 33, 105 ff.). 4. Den Streitwert geben wir an mit … Euro. Kosten: Gericht: 1,5 Gebühr nach Nr. 1410 KV GKG; wird durch Urteil entschieden oder ergeht ein Beschluss nach § 91a oder § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, erhöht sich die Gebühr auf 3,0 (Nr. 1412 KV GKG); wenn die Voraussetzungen der Nr. 1411 KV GKG gegeben sind, ermäßigt sich die Gebühr auf 1,0; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; das Verfahren über die einstweilige Verfügung und das Verfahren in der Hauptsache sind verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 4 Buchst. b RVG). 1 Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG ist die Kammer für Handelssachen funktionell zuständig. Für die örtliche Zuständigkeit gelten sowohl § 22 ZPO als auch § 12 ZPO. 2 Der Streitwert ist nach § 3 ZPO zu schätzen. 3 § 929 Abs. 1 ZPO; in dringenden Fällen kann der Vorsitzende allein entscheiden, § 944 ZPO.
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Kap. 40 Rz. 40
Einstweilige Verfügung
M 40.7
40 M 40.7 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen
Schadensersatzrente An das Landgericht – Zivilkammer – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen 1. den … 2. die … VersicherungsAG … – Antragsgegner – wegen Schadensersatzes aus einem Verkehrsunfall Namens und in Vollmacht des Antragstellers beantrage ich gegen die Antragsgegner – wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorherige mündliche Verhandlung – den Erlass folgender einstweiliger Verfügung: Die Antragsgegner haben als Gesamtschuldner an den Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens Az. … eine monatlich vorauszahlbare, erstmals am … fällige Schadensrente iHv. … zu zahlen. Begründung: 1. Der Antragsteller ist am … bei einem Verkehrsunfall von einem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … angefahren und schwer verletzt worden. Fahrer und Halter des den Unfall verursachenden Pkws war der Antragsgegner zu 1. Die Antragsgegnerin zu 2 ist dessen Haftpflichtversicherer. Wegen der Schadensersatzansprüche des Antragstellers ist bei dem erkennenden Gericht zum Az. … der Hauptsacheprozess anhängig. Wegen des weiteren Sachverhalts beziehen wir uns daher auf die vorgenannten Gerichtsakten. Der Antragsgegner ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts … wegen des von ihm verursachten Unfalls zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden. Wir bitten, die Strafakten des Amtsgerichts … Az. … beizuziehen. 2. Der Antragsteller ist bis heute arbeitsunfähig. Es besteht derzeit keine Aussicht, dass er in absehbarer Zeit seiner Tätigkeit als Grundstücksmakler wieder nachgehen kann. Insbesondere ist er nicht in der Lage, sich ohne Gehhilfe fortzubewegen. Sein linkes Bein ist seit dem Unfall gelähmt. Er hat in der Zeit nach dem Unfall noch von rückständigen Provisionen gelebt, befindet sich jetzt aber in einer Notlage, da seine Rücklagen aufgebraucht sind und er keine Möglichkeit besitzt, sich notwendige Mittel für den laufenden Unterhalt zu beschaffen. Glaubhaftmachung: 1. eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Antragstellers … – Anlage eV K 1 – 2. ärztliches Zeugnis des behandelnden Unfallarztes … vom … – Anlage eV K 2 – 3. Der Antragsteller hat vor dem Unfall monatliche Courtageeinnahmen iHv. ca. … erzielt. Glaubhaftmachung: Provisionsübersicht des Antragstellers für das Jahr … mit Testat des Steuerberaters … – Anlage eV K 3 – Durch den Wegfall dieser Einnahmen und die Weigerung der Antragsgegner, irgendwelche Zahlungen zu leisten, ist der Antragsteller ohne finanzielle Mittel, so dass eine einstweilige Regelung der Schadensersatz-
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M 40.8
Einstweilige Verfügung
Rz. 41 Kap. 40
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pflicht der Antragsgegner durch Rentenzahlung notwendig ist. Nach dem Lebenszuschnitt des Antragstellers ist der Betrag von … monatlich das Minimum, das zur Fortführung seiner Existenz und zur Anwendung der notwendigen Heilmaßnahmen benötigt wird. Der Antragsteller benötigt die begehrte Schadensrente für monatlich folgende Kosten: … (wird ausgeführt im Einzelnen, zB Miete, Strom, Heizung, Kleidung, Lebensmittel etc.). Glaubhaftmachung: … Da sich der Schadensersatzprozess noch längere Zeit hinziehen wird, der Antragsteller andererseits aber existenznotwendig auf die Schadensrente angewiesen ist, ist ihm für die Dauer des Hauptsacheprozesses eine Schadensrente zuzusprechen. Kosten: s. Anm. zu M 40.6.
M 40.8 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen des Verbots der Abgabe von Erklärungen An das Landgericht1 – Zivilkammer – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Firma … – Antragstellerin – Verfahrensbevollmächtigte: RAe … gegen den … – Antragsgegner – wegen Unterlassung vorläufiger Streitwert: … Euro2 Namens und in Vollmacht der Antragstellerin beantrage ich, gegen den Antragsgegner – wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorherige mündliche Verhandlung3 – den Erlass folgender einstweiligen Verfügung: Der Antragsgegner hat es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, – der Mitarbeiter der Antragstellerin … sei wegen Betruges vorbestraft; – die Antragstellerin habe den Umbau ihres Bürogebäudes im Jahre … mit Kundengeldern finanziert. Begründung: I. 1. Die Antragstellerin ist eine Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft. Sie wurde im Jahre 1975 gegründet und verwaltet seither über mehrere Jahrzehnte hinweg ohne Beanstandung die ihr anvertrauten Vermögen ihrer Kunden. In diesem Zusammenhang werden der Antragstellerin auch die Führung von Wertpapierdepots sowie die Verwaltung von Festgeldkonten übergeben.
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Kap. 40 Rz. 41
Einstweilige Verfügung
M 40.8
ZPO
Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Prokuristen … der Antragstellerin – Anlage eV K 1 – 2. Der Antragsgegner ist ein früherer Angestellter der Antragstellerin und hat gegenüber dem Kunden … der Antragstellerin am … anlässlich eines Geschäftsessens im Restaurant „Don Giovanni“ in … die im Antrag genannten inkriminierenden Behauptungen aufgestellt. Glaubhaftmachung: eidesstattliche Versicherung des Herrn … vom … – Anlage eV K 2 – Mit Schreiben vom … hat die Antragstellerin den Antragsgegner abgemahnt und um Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung gebeten. Die in dem vorgenannten Schreiben gesetzte Frist zum … ist ergebnislos verstrichen. Daraufhin hat der Antragsgegner lediglich erklärt, er könne seine Behauptungen beweisen. Bei der Antragstellerin handele es sich um ein unseriöses Unternehmen. Er sähe sich gehalten, Kunden und mögliche Interessenten vor der Antragstellerin zu warnen. Glaubhaftmachung: 1. Schreiben vom … – Anlage eV K 3 – 2. Schreiben des Antragsgegners vom … – Anlage eV K 4 – 3. Die vom Antragsgegner aufgestellten Behauptungen sind erweislich unwahr4. Zu keiner Zeit hat es ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges gegen den Mitarbeiter … der Antragstellerin gegeben. Er ist auch nicht rechtskräftig wegen Betruges vorbestraft. Die ganze Behauptung ist eine schlichte Erfindung des Antragsgegners, um den Mitarbeiter … und die Antragstellerin selbst zu diskriminieren. Ebenso unwahr ist die Behauptung, die Antragstellerin habe mit Kundengeldern ihre Umbauten finanziert. Auch diese Behauptung gilt offensichtlich nur dem Ziel, die Antragstellerin bei ihren Kunden zu verunglimpfen. Richtig ist, dass die Umbaumaßnahmen im Bürokomplex der Antragstellerin durch deren Hausbank, die … -Bank finanziert worden sind. Glaubhaftmachung: 1. eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters M vom … – Anlage eV K 5 – 2. eidesstattliche Versicherung des für Finanzen zuständigen Geschäftsleitungsmitgliedes G der Antragstellerin vom … – Anlage eV K 6 – II. 1. Das Verhalten des Antragsgegners, die Antragstellerin gegenüber ihren Kunden zu verunglimpfen, stellt eine Anschwärzung und Kreditgefährdung im klassischen Sinne dar. Das Unterlassungsbegehren der Antragstellerin ist nach den §§ 824, 826, 1004, 823 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Das Verhalten des Antragsgegners stellt darüber hinaus einen unzulässigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerin dar (§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Die Behauptungen sind im hohen Maße kreditschädigend und geeignet, das Ansehen der Antragstellerin im Wirtschaftsleben und insbesondere im Kreise ihrer Kunden nachhaltig zu schädigen. Bei den beanstandeten Äußerungen handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, weil diese dem Beweise zugänglich sind. Dabei ist der Begriff „Behauptung“ weit zu fassen. Es genügen bereits Mitteilungen in „versteckter Form“. So reicht es aus, wenn zwar keine konkrete Tatsache mitgeteilt, wohl aber von einer bloßen Möglichkeit, einem Verdacht, einem Gerücht, einer Wahrscheinlichkeit etc. gesprochen wird (Palandt/Sprau § 824 BGB Rz. 5). Die unwahren Behauptungen des Antragsgegners sind auch nicht Ausfluss einer kritischen Meinungsäußerung, der möglicherweise der Schutz des Art. 5 GG zugutekäme. 2. Die Wiederholungsgefahr5 ist gegeben, weil der Antragsgegner offensichtlich an den unwahren Behauptungen festhalten will, um Dritte „vor der Antragstellerin zu warnen“. Zudem hat er sich geweigert, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, durch die er die Wiederholungsgefahr hätte beseitigen können. 3. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ergibt sich aus § 32 ZPO. Begehungsort einer unerlaubten Handlung ist sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt hat, als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wird (BGH NJW 2010, 1752 Rz. 8; Zöller/Schultzky § 32 ZPO Rz. 19). 4. Zum Streitwert gilt Folgendes: Das Interesse der Antragstellerin an der beantragten Unterlassung ist groß. Die Antragstellerin ist mit einem Stammkapital von … Euro versehen und bundesweit mit zwölf Niederlassungen tätig. Bei ihrem Unternehmensfeld handelt es sich um einen sehr sensiblen Bereich, in dem Kunden zu Recht sehr schnell empfindlich reagieren, wenn der Ruf eines Unternehmens, dem sie sich anvertraut haben, geschädigt ist. Die Antragstellerin muss befürchten, dass der Antragsgegner seine zu Un-
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M 40.8
Einstweilige Verfügung
Rz. 44 Kap. 40
ZPO
recht erhobenen diffamierenden Behauptungen weiter verbreitet. Daraus rechtfertigt sich der von der Antragstellerin angenommene Streitwert. Es kommt hinzu, dass der Unterlassungsanspruch bei Streitwerten dieser Art im Vordergrund steht und höher zu bewerten ist als die übrigen Ansprüche, im Verhältnis zum Schadensfeststellungs- und Auskunftsanspruch in der Regel mit dem drei- bis vierfachen Wert (OLG Düsseldorf WRP 1971, 483). Kosten: s. Anm. zu M 40.6. 1 Die Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus §§ 71, 23 GVG. Entscheidend ist nach § 71 Abs. 1 GVG, dass der Streitwert auch in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten über 5.000 Euro liegen muss. 2 Der Streitwert ist nach § 3 ZPO zu bestimmen (§ 53 Abs. 1 GKG). Dabei sind die Umstände, unter denen die Beleidigung geäußert wurde, sowie der Umfang, in dem sie Dritten zur Kenntnis gelangt ist, zu berücksichtigen. Wird die Unterlassung mehrerer Behauptungen begehrt, so ist der gesamte Komplex mit einem einheitlichen Streitwert zu bewerten. Die Klage auf Unterlassung ehrverletzender Behauptungen ist dann vermögensrechtlich, wenn sie auf § 824 BGB (Kreditgefährdung usw.) gestützt wird. Für die einstweilige Verfügung ist 1/3 bis 1/2 des Wertes der Hauptsache zugrunde zu legen (vgl. Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 1978; Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Unterlassung“). 3 § 921 Abs. 1 ZPO; in dringenden Fällen kann der Vorsitzende allein entscheiden, § 944 ZPO. 4 Der Antragsteller hat zunächst die Unwahrheit der vom Antragsgegner aufgestellten Tatsachenbehauptungen glaubhaft zu machen. 5 Wiederholungsgefahr ist notwendige Voraussetzung der Unterlassungsklage (BGHZ 14, 163). Dabei ist erforderlich eine ernstliche, sich auf Tatsachen begründende Besorgnis weiterer Eingriffe (Palandt/Sprau Einf. vor § 823 BGB Rz. 29). Meist begründet eine vorangegangene Verletzung eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr, an deren Widerlegung durch den Störer hohe Anforderungen zu stellen sind (Palandt/Bassenge § 1004 BGB Rz. 32).
III. Vollziehung der einstweiligen Verfügung, Rechtsbehelfe 1. Vollziehung Für den Vollzug der einstweiligen Verfügung gelten die gleichen Grundsätze wie beim Arrestvollzug (s. Kap. 39 Rz. 40 ff.; ferner zum Wettbewerbsprozess Kap. 94 Rz. 110 ff.). Besonders zu beachten ist, dass auch die Vorschriften für die Vollziehungsfristen gelten (§§ 936, 929 Abs. 2, 3 ZPO). Enthält die einstweilige Verfügung ein Gebot oder Verbot, dann ist sie vollzogen durch Zustellung an den Schuldner (im Anwaltsprozess Zustellung an den Prozessbevollmächtigten, OLG Hamm MDR 1976, 407).
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43
Wichtig: Die Amtszustellung nach §§ 270, 317 ZPO genügt nicht. Vielmehr erfordert die Vollziehung – enthält die Verfügung ein Gebot oder Verbot – die Zustellung im Parteibetrieb (OLG Hamm MDR 1978, 765; OLG Koblenz NJW 1980, 948). Die Einhaltung der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO durch wirksame Zustellung ist unverzichtbar (OLG Hamm NJW 1978, 830). Eine einstweilige Verfügung auf Eintrag in das Grundbuch ist vollzogen mit dem Eingang des Antrags oder des gerichtlichen Ersuchens (§ 941 ZPO) beim Grundbuchamt, sofern der Antrag den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Für die Nachholung der Zustellung nach Eingang des Antrags gilt die Wochenfrist des § 929 Abs. 3 ZPO.
Bei Zustellung der Unterlassungsverfügung zu Zwecken der förmlichen Vollziehung im Wege der 44 Parteizustellung ist erforderlich, dass der Titel bereits die Androhung des Ordnungsmittels nach § 890 Abs. 2 ZPO enthält (Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 18). Wenn das nicht der Fall ist, bedarf es der Zustellung einer zusätzlichen Ordnungsmittelandrohung (BGHZ 120, 82; Zöller/G. Vollkommer § 929 ZPO Rz. 18). Zur Problematik der Gefahr einer unwirksamen Zustellung vgl. Heistermann MDR 2001, 792: Der Rechtsanwalt muss besondere Sorgfalt aufwenden, die Anschrift des Antragsgegners zu ermitteln. Er darf sich nicht allein auf die Angaben seines Mandanten verlassen. Parigger 705
Kap. 40 Rz. 45
Einstweilige Verfügung
ZPO
45 Dem Schuldner ist die vollständige gerichtliche Entscheidung zuzustellen, ggf. die dem Gläubiger erteilte abgekürzte Ausfertigung (§ 750 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Nicht einmal eine Seite darf fehlen, da anderenfalls ein zur Unwirksamkeit der Zustellung führender wesentlicher Mangel vorliegt (BGH GRUR 1998, 746). Wird die Antragsschrift und andere Anlagen zum Bestandteil der einstweiligen Verfügung gemacht, müssen diese, wenn insbesondere zur Umschreibung eines Verbots auf sie Bezug genommen wird, ebenfalls zugestellt werden (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf v. 27.3.2007 – 20 U 168/06). 2. Rechtsbehelfe
46 Ebenso wie beim Arrest ist gegen die ohne mündliche Verhandlung erlassene einstweilige Verfügung Widerspruch zulässig (§§ 936, 924 ZPO). Ferner können der Antrag auf Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage (§ 926 Abs. 1 ZPO) sowie die Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände beantragt werden (§ 927 ZPO). Regelmäßig erfolgt die Aufhebung aber nur gegen Sicherheitsleistung (§ 939 ZPO). Im Übrigen wird auf die Ausführungen in Kap. 39 Rz. 51 ff. und Kap. 94 Rz. 123 ff. verwiesen.
IV. Schutzschrift 47 Droht ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, so hat sich aus der Wettbewerbspraxis heraus die Schutzschrift entwickelt, um dem Verfügungsschuldner einen angemessenen Schutz gegen unverhältnismäßige Nachteile einer ohne mündliche Verhandlung ergehenden einstweiligen Verfügung zu bieten. Die Schutzschrift hat inzwischen weit über den Bereich des Wettbewerbsrechts (vgl. dazu Kap. 94 Rz. 76 ff.) hinaus Bedeutung erlangt. Seit 1.1.2016 beschreibt § 945a ZPO Schutzschriften als „vorbeugende Verteidigungsschriftsätze gegen erwartete Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügung“. Mit den §§ 945a und 945b ZPO und der Schutzschriftenregisterverordnung (SRV) ist ein bundesweites elektronisches Register für Schutzschriften eingerichtet worden. Das Register wird beim OLG Frankfurt/Main geführt (weiteres s. Kap. 39 Rz. 69 ff.). Da sich die Schutzschrift gegen die Anordnung eines Arrestes bzw. den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren nach §§ 922 Abs. 1, 937 Abs. 2 ZPO wendet, ist sie darauf gerichtet, dass das Gericht über das schon vorliegende oder demnächst zu erwartende Gesuch erst nach mündlicher Verhandlung, mindestens aber nach schriftlicher Anhörung des Gegners entscheidet (zum Aufbau und Inhalt vgl. Kap. 39 Rz. 69 ff., M 39.11 und Kap. 94 Rz. 76, M 94.5). Die Schutzschrift begründet noch kein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien. Ihr Antrag ist kein Prozessantrag, sondern nur eine Anregung an das Gericht (OLG Hamburg MDR 1978, 151). Das Gericht muss aber, sofern es nicht ohnehin zur Zurückweisung des Verfügungsgesuches gelangt, den Vortrag der Schutzschrift zur Kenntnis nehmen und ihn bei seiner Ermessensentscheidung, ob es die einstweilige Verfügung im Urteils- oder im Beschlussverfahren erlässt, berücksichtigen.
48 Gerichtskosten entstehen durch die Einreichung der Schutzschrift nicht. Für die Einstellung einer Schutzschrift ins Register fällt eine Gebühr von 83 Euro an (KV Nr. 1160 JVKostG). Der Anwalt, dessen Tätigkeit sich auf die Einreichung der Schutzschrift beschränkt, erhält eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG (BGH GRUR 2008, 640). Diese Gebühr ist erstattungsfähig, sofern der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung eingereicht, aber zurückgenommen oder zurückgewiesen wird (BGH aaO). Das gilt allerdings nicht bei Rücknahme des Gesuchs vor Zustellung an den Gegner (OLG Düsseldorf WRP 1980, 561).
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Parigger
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F. Nach dem Urteil Kapitel 41 Anträge zum Urteil I. Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten . 1. Berichtigung des Rubrums . . . . . . . . . . . . . M 41.1 Antrag auf Berichtigung des Rubrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berichtigung des Tenors . . . . . . . . . . . . . . . M 41.2 Antrag auf Berichtigung des Tenors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berichtigung der Kostenentscheidung . . . . . 4. Nachträgliche Zulassung der Revision oder Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einfluss der Berichtigung auf Rechtsmittelfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestandsberichtigung . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei Entscheidung erster Instanz . . . . . . . b) Bei Entscheidungen der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 41.3 Antrag auf Tatbestandsberichtigung
1 5 6 9 10 11 13 14 16 17 17 22 24 25
III. 1. 2. 3. 4. IV.
1. 2. 3. 4. 5.
V.
Urteilsergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form und Frist des Antrages . . . . . . . . . . . Rechtsmittelzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . M 41.4 Antrag auf Urteilsergänzung . . . . . Rechtsmittel nach Urteilsergänzung . . . . . . Antrag auf Verfahrensfortführung bei Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 321a ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Verletzung des rechtlichen Gehörs . . . . . . . Rügeschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rügeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 41.5 Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Hinausschieben der Urteilszustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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32 32 38 40 42 46 48 49
I. Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten Urteile können wegen offenbarer Unrichtigkeiten von Amts wegen oder auf Antrag gem. § 319 ZPO berichtigt werden. Entsprechendes gilt für andere gerichtliche Entscheidungen, wie etwa den Mahnbescheid, den Vollstreckungsbescheid, den Kostenfestsetzungsbeschluss und den Berichtigungsbeschluss selbst, nicht aber für den gerichtlich protokollierten Vergleich (vgl. BAG NJW 2009, 1161, 1163; aA BLAH/Hartmann § 319 ZPO Rz. 4).
1
Berichtigt werden können alle Teile der gerichtlichen Entscheidung, also Rubrum, Tenor, Tatbestand, 2 Entscheidungsgründe und auch Unterschriftsfehler (vgl. BGHZ 18, 350 ff.). Erfasst werden solche Unrichtigkeiten, die sich aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder aus den Vorgängen bei seiner Verkündung ergeben und ohne Weiteres erkennbar sind (vgl. BGH NJW 1993, 1399 f.; BGHZ 20, 188, 192). Eine Unrichtigkeit iSv. § 319 Abs. 1 ZPO liegt vor, wenn das Gewollte in der Erklärung nicht richtig zum Ausdruck gebracht wird, der Fehler also bei der Verlautbarung des Willens und nicht bei der Willensbildung unterlaufen ist (vgl. BGH NJW 1985, 742 ff.; BLAH/Hartmann § 319 Rz. 7–8). Streitig ist, ob auch offensichtliche Fehler bei der gerichtlichen Willensbildung über § 319 Abs. 1 ZPO korrigierbar sind (bejahend OLG Hamm MDR 1986, 594, offengelassen BGH MDR 2008, 1292 f.; verneinend Musielak/Voit/Musielak § 319 ZPO Rz. 4. Der Beschluss, durch den die Berichtigung abgelehnt wird, ist nach § 319 Abs. 3 ZPO unanfechtbar. Das gilt nach BGH MDR 2004, 1316 f. auch im Falle greifbarer Gesetzeswidrigkeit.
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Praxistipp: Wird die Berichtigung versagt, muss ggf. Feststellungsklage erhoben werden (s. dazu Kap. 15 Rz. 228 f.).
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Kap. 41 Rz. 4
Anträge zum Urteil
M 41.1
ZPO
4 Die Berichtigung erfolgt durch das Gericht, welches das zu korrigierende Urteil erlassen hat. Befindet sich der Rechtsstreit in der Rechtsmittelinstanz, ist auch das Rechtsmittelgericht für die Berichtigung zuständig (vgl. BGHZ 106, 370, 373; BGHZ 133, 184, 191). 1. Berichtigung des Rubrums
5 Eine falsche Bezeichnung der Richter, der Prozessbevollmächtigten, der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter kann nach § 319 ZPO berichtigt werden. Bei einer Berichtigung der Parteibezeichnung ist darauf zu achten, dass die Identität der Partei gewahrt bleibt (vgl. OLG Zweibrücken OLGR 2001, 433; Zöller/Feskorn § 319 ZPO Rz. 14; s. auch Kap. 13 Rz. 21 ff.).
6 M 41.1 Antrag auf Berichtigung des Rubrums An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich für den Kläger, das Rubrum des Urteils vom 20.7.20 … wegen offenbarer Unrichtigkeit dahin zu berichtigen, dass 1. Kläger nicht Herr Karl Müller, sondern Conrad Müller, Breitestr. 67 in Hannover ist und 2. Beklagte sämtliche Mitglieder der Immobiliengesellschaft City-Center GbR, nämlich die Herren Ferdinand Fröhlich, Anton Wilke, Klaus Witzig, Peter Galanth und Oskar Bartz, alle geschäftsansässig …, in Berlin, vertreten durch Herrn Ferdinand Fröhlich, sind. Begründung: 1. Aus der Klageschrift ergibt sich, dass Kläger Herr Conrad Müller aus Hannover ist. Im Rubrum des Schlussurteils hat das erkennende Gericht versehentlich dessen Bruder Karl Müller als Kläger aufgeführt, der aber nicht Partei dieses Rechtsstreits ist. Herr Karl Müller wurde lediglich als Zeuge vernommen. 2. Die Klage richtet sich gegen die Immobiliengesellschaft City-Center GbR in Berlin, wobei in der Klageschrift lediglich die Herren Fröhlich und Wilke als Gesellschafter angeführt werden. Auf die Verfügung des Gerichts vom … haben die Beklagten den Gesellschaftsvertrag mit der vollständigen Gesellschafterliste vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass die Gesellschaft durch Herrn Dipl.-Kfm. Ferdinand Fröhlich vertreten wird und die Gesellschaft aus den Gesellschaftern Fröhlich, Wilke, Witzig, Galanth und Bartz besteht. Der Kläger hat daraufhin auch erklärt, dass das Rubrum zu berichtigen sei. Im Rubrum des Urteils vom … sind jedoch lediglich die Herren Fröhlich und Wilke als Gesellschafter angeführt. Somit ist das Rubrum nach dem unstreitigen Parteivortrag offenbar unrichtig und gem. § 319 ZPO zu berichtigen (vgl. BGH NJW-RR 1990, 867). Kosten: Gericht: keine; Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 RVG), daher keine besonderen Gebühren.
7 Im M 41.1 hat die Berichtigung Einfluss auf den Lauf der Rechtsmittelfrist, wenn der Kläger obsiegt hat. Die Berufungsfrist für die im Rubrum nicht aufgeführten Beklagten beginnt erst mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses zu laufen (vgl. BGHZ 113, 228, 231). Ist der Kläger unterlegen gewesen, errechnet sich der Ablauf der Berufungsfrist für den Kläger gegen die nicht im Rubrum aufgeführten Beklagten ebenfalls erst ab Zustellung des Berichtigungsbeschlusses. Berufungsbeklagter kann nur sein, wer in erster Instanz nach dem Rubrum des angefochtenen Urteils Gegenpartei war (BGH aaO). Ob diese zum Rechtszustand vor dem 1.7.2002 ergangene Rechtsprechung nach Inkrafttreten des § 189 ZPO, der die Heilung von Zustellungsmängeln betrifft (s. Kap. 26 Rz. 54 f.), aufrechterhalten bleibt, ist offen.
8 K
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Praxistipp: Wenn die Zustellung des Urteils an den „richtigen“ Beklagten oder Kläger erfolgt ist, ist aus anwaltlicher Vorsicht – trotz der in Rz. 7 angeführten Rechtsprechung – die RechtsFullenkamp
M 41.2
Rz. 11 Kap. 41
Anträge zum Urteil
ZPO
mittelfrist von dem Zeitpunkt zu errechnen, zu dem der „richtige“ Beklagte oder Kläger die zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit erkannt hat. Dies wird idR der „ursprüngliche“ Zustellungszeitpunkt sein (s. auch Rz. 14). 2. Berichtigung des Tenors Die Berichtigung nach § 319 ZPO kann auch zur Veränderung der Urteilsformel führen, sofern sich 9 aus den Entscheidungsgründen ergibt, dass der Tenor offenbar unrichtig ist. Nach OLG Frankfurt OLGR 2003, 430, 431 ist die Berichtigung der Grundbuchbezeichnung im Tenor auch möglich, wenn die Angaben in der Klageschrift unvollständig sind und die richtige Bezeichnung sich aus der „Informationsquelle Grundbuch“ ergibt. Die Korrektur kann sogar dazu führen, dass der Tenor in sein Gegenteil verkehrt wird (vgl. BGH NJW-RR 1990, 893; Zöller/Feskorn § 319 ZPO Rz. 15; MüKo.ZPO/ Musielak § 319 ZPO Rz. 9. In diesem Fall hat die Berichtigung ebenfalls Einfluss auf den Lauf der Rechtsmittelfristen (s. dazu Rz. 14). § 319 ZPO ist auch einschlägig, wenn die Entscheidungsgründe ergeben, dass das Gericht über einen Anspruch entschieden hat, dies aber nicht in der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH NJW 1964, 1858; OLG Rostock v. 5.7.2000 – 3 U 19/00 zur Abweisung der Widerklage; OLG Saarbrücken OLGR 2001, 330).
M 41.2 Antrag auf Berichtigung des Tenors
10
An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, den Tenor des Urteils vom … dahin zu berichtigen, dass 1. der Beklagte nicht 10.000 Euro, sondern 12.000 Euro an den Kläger zu zahlen hat, 2. der Beklagte auf die Hauptforderung 8 % Zinsen anstelle von 4 % zu zahlen hat, 3. die Widerklage abgewiesen wird. Begründung: 1. Das Landgericht hat in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger einen Kaufpreis von 12.000 Euro zu zahlen hat. Der Beklagte hat seine Behauptung, 2.000 Euro bereits gezahlt zu haben, nicht bewiesen. Das ergibt sich aus den Ausführungen auf Seite 9 des Urteils. Der Tenor ist deswegen offenkundig unrichtig. Außerdem hat das Landgericht ausgeführt, dass der Kläger einen Zinsschaden iHv. 8 % bewiesen hat. Ausgeurteilt sind demgegenüber aber 4 % Zinsen, was offenbar auf einem Versehen beruht. 2. Das Landgericht hat weiter auf Seite 12 des Urteils ausgeführt, dass die vom Beklagten mit Schriftsatz vom … erhobene Widerklage unbegründet ist, weil der Beklagte den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht schlüssig dargelegt habe. Die vom Landgericht begründete Abweisung der Widerklage schlägt sich nicht im Tenor nieder, so dass das Urteil gem. § 319 ZPO zu berichtigen ist (vgl. BGH NJW 1964, 1858). Kosten: Gericht: keine; Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 RVG), daher keine besonderen Gebühren.
3. Berichtigung der Kostenentscheidung Auch die Kostenentscheidung kann gem. § 319 ZPO korrigiert werden, wenn sich aus den Urteilsgrün- 11 den ergibt, wie das Gericht über die Kosten entscheiden wollte, der Tenor aber keine Kostenentscheidung oder eine andere enthält. Hat das Gericht aber vergessen, über die Kosten zu entscheiden, muss Fullenkamp
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ZPO
Kap. 41 Rz. 12
Anträge zum Urteil
ein Antrag auf Urteilsergänzung gem. § 321 ZPO innerhalb einer Frist von zwei Wochen gestellt werden (vgl. MüKo.ZPO/Musielak § 319 ZPO Rz. 9; Zöller/Feskorn § 321 ZPO Rz. 3). Eine Nachholung über die Entscheidung der Kosten des Streithelfers kommt grundsätzlich ebenfalls in Betracht, setzt aber voraus, dass eine versehentliche Abweisung von dem seitens des Gerichts Gewollten auch für einen außenstehenden Dritten ohne Weiteres erkennbar ist (BGH NJW 2016, 2754; NJW 2014, 3101).
12 Die Berichtigung der Kostengrundentscheidung scheidet nach Rechtskraft des Urteils allerdings aus, weil dies zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen isolierten Anfechtbarkeit der Kostengrundentscheidung führen würde (BGH AnwBl. 2008, 794 für den Fall der Streitwertänderung, die zu einer nach dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen anderen Kostenquotelung führen müsste). 4. Nachträgliche Zulassung der Revision oder Rechtsbeschwerde
13 Hat das Berufungsgericht weder im Urteilstenor noch in den Entscheidungsgründen ausgesprochen, dass die Revision oder Rechtsbeschwerde zugelassen wird, kann dies im Rahmen eines Berichtigungsbeschlusses nur nachgeholt werden, wenn die Zulassung versehentlich unterblieben ist und das Versehen nach außen hervorgetreten und dies auch für Dritte ohne Weiteres deutlich erkennbar ist (BGH v. 6.2.2014 – IX ZB 114/12). 5. Einfluss der Berichtigung auf Rechtsmittelfristen
14 Nach einer Urteilsberichtigung beginnt grundsätzlich keine neue Rechtsmittelfrist (vgl. BGH NJWRR 2017, 55), was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (s. BVerfG NJW 2001, 142). Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn das Urteil als Grundlage für die Entscheidung der Parteien, wer durch das Urteil beschwert ist, und somit auch für eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nicht geeignet ist (BGH NJW-RR 2017, 55; NJW 2003, 2991; BGHZ 113, 228, 230 f. mwN, s. Rz. 7, aber auch Rz. 8). Der Irrtum eines Gerichts darf sich nicht dahin auswirken, dass die Rechtsmittelmöglichkeit einer Partei beeinträchtigt oder gar vereitelt wird. Die Rechtsmittelfrist beginnt deswegen nicht zu laufen, wenn dem äußeren Anschein nach das nicht berichtigte Urteil eine Anfechtungsmöglichkeit nicht eröffnet und die Partei durch den Fehler des Gerichts davon abgehalten worden ist, gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel einzulegen (BGH NJW 1999, 647), die Partei durch den Berichtigungsbeschluss erst den richtigen Rechtsmittelgegner erfährt (BGHZ 113, 228, 231) oder davon Kenntnis erlangt, dass das Rechtsmittel ausdrücklich zugelassen ist (BGHR 2004, 286). Die beschwerte Partei kann nicht auf ein Wiedereinsetzungsgesuch verwiesen werden (BGHZ 113, 228, 232; BGHZ 17, 149, 152 f.). Ein Rechtsmittel zur Erreichung der angestrebten Korrektur des Urteils bleibt neben § 319 ZPO zulässig, wenn es sich nicht zweifelsfrei um offensichtliche Unrichtigkeiten des Urteils handelt (vgl. OLG Saarland NJWRR 2010, 1221 f.; Zöller/Feskorn § 321 ZPO Rz. 6).
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Wichtig: Bemerkt der Anwalt die Unrichtigkeit, sollte er sich keinesfalls darauf verlassen, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt. Er sollte vielmehr auch hier den sichersten Weg wählen und die Rechtsmittelfrist unter Zugrundelegung des Zeitpunkts der Zustellung des unberichtigten Urteils ermitteln. Um Klarheit zu schaffen, sollte der Antrag nach § 319 ZPO in solchen Fällen zudem unverzüglich gestellt werden. Das Rechtsmittel der Berufung kann nach erfolgter Berichtigung ggf. für erledigt erklärt werden (vgl. dazu auch Kap. 32 Rz. 29 f.).
II. Tatbestandsberichtigung 16 Der Tatbestand eines Urteils liefert gem. § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Dieser Beweis kann durch das Sitzungsprotokoll gem. § 314 Satz 2 ZPO nur entkräftet werden, wenn die darin enthaltenen Feststellungen ausdrücklich oder unzweideutig dem Tatbestand widersprechen (BGH NJW-RR 2013, 1334 f.). Der Begriff des Tatbestandes iS der §§ 314, 320 ZPO betrifft nicht 710
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Anträge zum Urteil
Rz. 22 Kap. 41
ZPO
nur den formellen Tatbestand, sondern erstreckt sich auch auf Tatbestandsfeststellungen in den Entscheidungsgründen (vgl. zB BGH NJW 1997, 1931 mwN) sowie auf die in der mündlichen Verhandlung abgegebenen prozessualen Erklärungen (BGH NJW 2013, 2361 f.). Die Tatbestandsberichtigung erfasst alle Unrichtigkeiten des Tatbestandes, die nicht nach § 319 ZPO zu korrigieren sind. Angaben über Erklärungen des Gerichts und über das übrige Prozessgeschehen sind dagegen einer Berichtigung nach § 320 ZPO nicht zugänglich (OLG Köln VersR 2003, 1337; OLG Koblenz NZBau 2001, 636). 1. Notwendigkeit a) Bei Entscheidung erster Instanz Die Unrichtigkeit einer tatbestandlichen Feststellung kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren gem. § 320 ZPO geltend gemacht werden (BGH NJW 2011, 1513 f.). Wird der Berichtigungsantrag versäumt, ist die Feststellung für das Rechtsmittelverfahren bindend (BGH v. 3.2.2011 – IX ZR 129/10). Der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff erster Instanz gelangt ohne Weiteres in die Berufungsinstanz (BGH NJW 2018, 1686, 1688). Jener Prozessstoff ist deshalb, auch ohne seine ausdrückliche Erwähnung im Tatbestand, in der Berufungsinstanz zu berücksichtigender Tatsachenstoff, soweit Tatbestand oder Entscheidungsgründe keine dem schriftsätzlichen Vorbringen entgegenstehende Feststellungen enthalten.
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Notwendig ist der Tatbestandsberichtigungsantrag folglich nur, dann aber stets, wenn prozessuales Vorbringen im Tatbestand oder den Entscheidungsgründen anders dargestellt wird, als es aus den Schriftsätzen folgt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Vorbringen, das streitig war, als unstreitig dargestellt wird, oder die Entscheidung Feststellungen zum Vorbringen einer Partei enthält, die im Widerspruch zum Vortrag stehen.
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Praxistipp: Da Berufungsurteile häufig auf Feststellungen des Gerichts erster Instanz Bezug nehmen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ist sehr wichtig zu prüfen, ob die in Bezug genommenen Teile der Entscheidung erster Instanz den Vortrag richtig wiedergeben. Die im erstinstanzlichen Urteil getroffenen tatbestandlichen Feststellungen gehören wegen der Bezugnahme zum Tatbestand des Berufungsurteils (vgl. BGH NJW-RR 2014, 381 f.). Versäumt wird häufig, den Vortrag erster Instanz klarstellenden oder berichtigenden Vortrag in der Berufungsinstanz im Urteil zu dokumentieren. Wird das versäumt und nur auf den Vortrag erster Instanz Bezug genommen, kann es zu einem Widerspruch im Sinne der obigen Ausführungen (Rz. 17) zwischen dem tatsächlich gehaltenen Vortrag und den dazu im Urteil getroffenen Feststellungen kommen. In diesem Fall muss ein Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt werden.
Aufgrund der nach Inkrafttreten des ZPO-RG ergangenen Rechtsprechung (BGH NJW 2004, 1876, 20 1879; BGH NJW 2004, 2152) ist davon auszugehen, dass dem Tatbestand keine negative Beweiskraft mehr zukommt (s. dazu Zöller/Feskorn § 314 ZPO Rz. 5). Mit der Berufung gelangt der gesamte aus den Akten ersichtliche Sachvortrag I. Instanz auch in die Berufungsinstanz. Das gilt auch für solches Vorbringen, das vom erstinstanzlichen Gericht für unerheblich gehalten worden ist und dem Tatbestand keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat (BGH NJW-RR 2012, 429 f.; NJW-RR 2010, 1286 f.). Notwendig ist der Tatbestandsberichtigungsantrag ungeachtet der Frage, ob die Entscheidung rechtsmittelfähig ist, stets auch dann, wenn die Entscheidung der Möglichkeit der Abänderung gem. § 323 ZPO unterliegt (s. dazu Kap. 76 Rz. 7 ff.).
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b) Bei Entscheidungen der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz Für Urteile, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Revision (§§ 544, 542 ZPO, § 26 Nr. 8, 9 EGZPO) oder Rechtsbeschwerde angefochten werden können, gelten die obigen Ausführungen zur Tatbestandswirkung (Rz. 20) entsprechend. Das aus der Entscheidung oder dem Sitzungsprotokoll ersichtliche Parteivorbringen, zu dem auch der in Bezug genommene Tatbestand des erstFullenkamp
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Kap. 41 Rz. 23
Anträge zum Urteil
M 41.3
instanzlichen Urteils gehört, bildet gem. § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO (bzw. § 577 Abs. 2 Satz 4 iVm. § 559 Abs. 1 ZPO) den Prozess-Stoff für die Entscheidung des Revisionsgerichts über die Revision oder die Rechtsbeschwerde (BGH NJW-RR 2007, 1434 f.). Ein Tatbestandsberichtigungsantrag muss aber gestellt werden, wenn in dem Berufungsurteil eine Bezugnahme gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil fehlt. Denn wenn sich die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht aus dem Berufungsurteil und dem Protokoll über die mündliche Verhandlung ergeben, kann das Revisionsgericht dieses Vorbringen gem. § 559 ZPO nicht seiner Nachprüfung zugrunde legen. Für die Nichtzulassungsbeschwerde gelten die obigen Ausführungen sinngemäß.
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Wichtig: Auch ein zurückgewiesener Berichtigungsantrag kann für das Rechtsmittelverfahren Bedeutung erlangen, wenn sich aus den Gründen des Beschlusses ergibt, dass die beanstandeten Ausführungen nur die Wertung des Prozessvortrags durch das Gericht wiedergeben. Diese Wertung ist durch das Revisionsgericht frei nachprüfbar. Bei rechtsfehlerhafter Wertung kann daher auch dem zurückgewiesenen Tatbestandsberichtigungsantrag für das Rechtsmittelverfahren entscheidende Bedeutung zukommen.
2. Antrag
24 Der Tatbestandsberichtigungsantrag ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu stellen (§ 320 Abs. 2 ZPO), wobei die Frist mit Zustellung des vollständigen Urteils beginnt. Der Antrag muss spätestens binnen drei Monaten ab Verkündung des Urteils gestellt werden (§ 320 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Frist kann nicht verlängert werden, eine Wiedereinsetzung ist nicht zulässig (Zöller/Feskorn § 320 ZPO Rz. 9). Für den Streithelfer beginnt die Frist mit der Zustellung der Entscheidung an die Hauptpartei zu laufen (BGH NJW 1963, 1251 f.).
25 Im Anwaltsprozess ist der Antrag schriftsätzlich zu stellen, im Parteiprozess ist die Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten möglich. Aus dem Antrag muss sich ergeben, in welchen Punkten eine Berichtigung des Tatbestandes begehrt wird. In der Begründung sollte dargelegt werden, warum die tatbestandlichen Feststellungen des Gerichts nicht zutreffend sind. Der Berichtigungsbeschluss selbst ist gem. § 320 ZPO nicht berichtigungsfähig (BGH NJW-RR 1988, 407 f.).
26 M 41.3 Antrag auf Tatbestandsberichtigung An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, den Tatbestand des Urteils vom …, zugestellt am …, dahin zu berichtigen, dass der Beklagte die Echtheit seiner Unterschrift unter der Bürgschaftserklärung vom … bestritten und durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt hat, dass die Unterschrift gefälscht ist. Begründung: Das Landgericht hat auf Seite … des am … zugestellten Urteils vom … im unstreitigen Tatbestand festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Bürgschaftsvertrag zustande gekommen sei. Dabei hat das Gericht übersehen, dass der Beklagte im Schriftsatz vom … die Echtheit seiner Unterschrift unter der von der Klägerin vorgelegten Bürgschaftsurkunde vom … bestritten hat. Die Frage des wirksamen Zustandekommens des Bürgschaftsvertrages wird auch nicht in den Entscheidungsgründen erörtert. Die beanstandete Passage im Tatbestand erweist sich demnach auch nicht als Wertung des Prozessvorbringens der Parteien. Die Zwei-Wochen-Frist des § 320 ZPO wird mit diesem Schriftsatz gewahrt. Kosten: Gericht: keine; Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 RVG), daher keine besonderen Gebühren.
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Anträge zum Urteil
Rz. 29 Kap. 41
ZPO
III. Urteilsergänzung 1. Voraussetzungen Die Vorschrift des § 321 ZPO setzt eine Entscheidungslücke voraus und dient nicht der Richtigstel- 27 lung eines falschen Urteils (BGH NJW-RR 1996, 1238; NJW 1980, 840, 841). Ein nach § 321 Abs. 1 ZPO von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch ist nach BGH NJW-RR 1996, 1238 übergangen, wenn das Gericht über einen Anspruch im prozessualen Sinne, der entweder von Amts wegen oder wegen des gestellten Antrages einer Entscheidung bedurfte, versehentlich nicht entschieden hat. Außerdem greift die Bestimmung nach ihrem Wortlaut ein, wenn der Kostenpunkt übergangen ist (zu weiteren Fallgestaltungen s. Zöller/Feskorn § 321 ZPO Rz. 4 ff.). Die versehentlich unterbliebene Entscheidung über die durch die Nebenintervention verursachten Kosten können regelmäßig nur durch eine Ergänzung gem. § 321 ZPO nachgeholt werden (vgl. BGH NJW 2016, 2754; NJW 2014, 3101). Das gilt auch für die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens selbst dann, wenn der Streithelfer des selbständigen Beweisverfahrens dem Hauptsacheverfahren nicht beigetreten ist (vgl. BGH NJW 2014, 1018 f. mwN). Unzulässig ist ein Ergänzungsurteil, wenn das Gericht versehentlich einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel oder Einwendungen nicht berücksichtigt hat (vgl. BGH MDR 2003, 589 zum übergangenen Zurückbehaltungsrecht; Zöller/Feskorn § 321 ZPO Rz. 4). 2. Form und Frist des Antrages Der Antrag muss innerhalb einer Frist von 2 Wochen gestellt werden, die mit Zustellung des Urteils zu laufen beginnt, wobei die abgekürzte Form die Frist nur in Gang setzt, wenn sich daraus bereits die Ergänzungsbedürftigkeit der Entscheidung ergibt (vgl. Zöller/Feskorn § 321 ZPO Rz. 11). Ergibt sich die Ergänzung erst aus einer Tatbestandsberichtigung, beginnt die Frist erst mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses zu laufen (vgl. BGH NJW 1982, 1821 f.). Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Frist, die nicht verlängerbar ist. Eine Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumung kommt nicht in Betracht (BGH FamRZ 1980, 669 f.). Der Antrag muss schriftsätzlich gestellt werden, beim Amtsgericht reicht eine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle.
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Wichtig: Mit Ablauf der Antragsfrist des § 321 Abs. 2 ZPO entfällt die Rechtshängigkeit der Klage, soweit sie Gegenstand des übergangenen Antrags gewesen ist; das gilt auch für die Berufungsinstanz (BGH NJW 2015, 1826; NJW-RR 2005, 790 f.). Der übergangene Antrag kann demnach erneut zum Gegenstand einer Klage gemacht werden (§ 204 Abs. 2 BGB beachten!). Anders, wenn sich das Versäumnis des Gerichts nicht bloß in einer Unvollständigkeit der Entscheidung erschöpft, sondern zu einem unschlüssigen Urteil führt; in diesem Fall ist zusätzlich der Rechtsmittelzug eröffnet (BGH v. 30.9.2009 – XIII ZR 29/09).
3. Rechtsmittelzulassung Das erstinstanzliche Gericht kann auch bei einer Beschwer unter 600 Euro die Berufung zulassen 29 (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Hat keine Partei die Zulassung beantragt, bedeutet das Schweigen im Urteil die Nichtzulassung (BGH NJW 2011, 926 f.). Nach überwiegender Auffassung kommt eine Ergänzung nicht in Betracht (s. dazu Zöller/Heßler § 511 ZPO Rz. 39; Musielak/Voit/Musielak § 321 ZPO Rz. 7a). Die Revision findet nach § 543 Abs. 1 ZPO statt, wenn das Berufungsgericht sie zugelassen oder die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat. Entfällt das Berufungsurteil nicht durch Zulassung der Revision, kann diese nicht durch eine Ergänzungsentscheidung nach § 321 ZPO nachgeholt werden, weil nicht eine unterbliebene Entscheidung nachgeholt, sondern eine getroffene Entscheidung abgeändert wird (BGH NJW 2011, 1516). Dasselbe gilt nach BGH v. 6.2.2014 – IX ZB 113/12 für die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde, wobei die Zulassung ausnahmsweise auf Anhörungsrüge oder befristete Gegenvorstellung nachgeholt werden kann, wenn die Nichtzulassung eine willkürliche Verletzung von Verfahrensgrundrechten des Beschwerdeführers darstellt (BGH NJW-RR 2013, 256). Bei der Entscheidung über die Zulassung der Berufung/Revision handelt es sich um eine Nebenentscheidung des Ur-
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ZPO
Kap. 41 Rz. 30
Anträge zum Urteil
M 41.4
teils, die der Ergänzung gem. § 321 ZPO zugänglich ist (Zöller/Feskorn § 321 ZPO Rz. 4). Die Zulassungsentscheidung erfolgt von Amts wegen. Wird die Zulassung nicht beantragt (= angeregt), ist eine ausdrückliche Entscheidung entbehrlich. Das Schweigen im Urteil bedeutet dann Nichtzulassung (vgl. OLG Celle NdsRpfl. 2002, 364; Zöller/Heßler § 511 ZPO Rz. 39, § 543 ZPO Rz. 16). In diesem Fall kommt eine Ergänzung oder Berichtigung nicht in Betracht.
30 M 41.4 Antrag auf Urteilsergänzung An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, 1. den Tatbestand des Urteils vom …, zugestellt am …, dahin zu berichtigen, dass der Beklagte sich die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass des verstorbenen Kurt Meier vorbehalten hat, 2. das Urteil vom … dahin zu ergänzen, dass a) dem Beklagten vorbehalten bleibt, seine Haftung auf den Nachlass des verstorbenen Kurt Meier zu beschränken und b) dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, die durch Anrufung des unzuständigen Landgerichts Wuppertal entstanden sind. Begründung: 1. Der Tatbestandsberichtigungsantrag ist gerechtfertigt, weil der Beklagte bereits in der Klageerwiderung die Einrede der beschränkten Erbenhaftung erhoben hat. Diese Einrede hat das Landgericht nicht in den Tatbestand des Urteils aufgenommen. Nachdem der Tatbestand berichtigt ist, enthält das Urteil rückwirkend eine Lücke. Das Gericht hat über die vom Beklagten erhobene Einrede nicht entschieden. 2. Nach der Berichtigung des Tatbestandes ist das Urteil deswegen zu ergänzen. Dem Beklagten ist im Urteilstenor die beschränkte Erbenhaftung vorzubehalten. Mit dieser Einrede hat das Landgericht sich in dem Urteil nicht befasst. Darüber kann im Rahmen eines Ergänzungsurteils nach § 321 ZPO entschieden werden (vgl. BGH NJW-RR 1996, 1238). 3. Des Weiteren hat das Landgericht nicht über die Kosten entschieden, die dadurch entstanden sind, dass der Kläger zunächst das unzuständige Landgericht Wuppertal angerufen hat. Die dadurch entstandenen Kosten hat der Kläger gem. § 281 Abs. 3 ZPO zu tragen. Das Urteil des Landgerichts enthält auch in diesem Punkt eine Lücke, die im Wege eines Ergänzungsurteils geschlossen werden kann (vgl. BGH NJW-RR 1996, 1238). Kosten: Gericht: keine; Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 RVG), daher keine besonderen Gebühren.
4. Rechtsmittel nach Urteilsergänzung
31 Das Ergänzungsurteil ist hinsichtlich des Rechtsmittels als selbständig anfechtbares Urteil anzusehen, die Rechtsmittelfrist beginnt mit der Zustellung des Ergänzungsurteils (Musielak/Voit/Musielak § 321 ZPO Rz. 13). Nach § 518 ZPO beginnt der Lauf der Berufungsfrist auch für das zuerst ergangene Urteil mit Zustellung des Ergänzungsurteils von neuem, sofern das Ergänzungsurteil innerhalb der Berufungsfrist des ersten Urteils zugestellt wird (s. auch Musielak/Voit/Ball § 518 ZPO Rz. 3).
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Anträge zum Urteil
Rz. 38 Kap. 41
ZPO
IV. Antrag auf Verfahrensfortführung bei Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 321a ZPO) 1. Anwendungsbereich Art 103 Abs. 1 GG will gewährleisten, dass der Einzelne vor einer Entscheidung zu Wort kommt, um Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (BVerfG NJW 2003, 1924 f.; NJW 2007, 2242 f.). Im Falle der Verletzung dieses Rechts wird dem Betroffenen durch § 321a ZPO ein Rechtsbehelf zur Überprüfung der ergangenen Entscheidung eröffnet. Die Überprüfung erfolgt durch den judex a quo. Eine entsprechende Anwendung des § 321a ZPO auf andere Verfahrensgrundrechte ist ausgeschlossen (BGH NJW-RR 2009, 144).
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Die Anhörungsrüge ist nur statthaft, wenn kein geregelter Rechtsbehelf gegen die Endentscheidung gegeben ist. Bei teilabweisenden Urteilen ist je nach dem Umfang des Unterliegens ein Zusammentreffen von Anhörungsrüge und Berufung möglich.
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Wichtig: Übersteigt die Beschwer der teilweise unterlegenen Partei nicht 600 Euro (§ 511 Abs. 2 34 Nr. 1 ZPO), ist die Anhörungsrüge grundsätzlich statthaft. Daran vermag auch die vom Prozessgegner eingelegte Berufung, durch welche der Weg zur Anschlussberufung eröffnet wird, nichts zu ändern (vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 2009, 1151), zumal eine gerichtliche Entscheidung über die Anschlussberufung wegen § 524 Abs. 4 ZPO nicht in der Hand des Berufungsbeklagten liegt. Unabhängig davon sollte der Berufungsbeklagte, der bereits eine Anhörungsrüge erhoben hat, vorsorglich auch innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO Anschlussberufung einlegen. Das gilt jedenfalls, solange nicht geklärt ist, welchen Weg die Rechtsprechung zu dieser Frage geht.
Da § 321a ZPO keinen Ausnahmetatbestand beinhaltet, kann sich die Rüge unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auch gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren richten, sofern dadurch keine unzumutbaren Nachteile für die Rechtsverfolgung im Übrigen zu erwarten sind (BVerfGE NJW 2003, 1924, 1927). Voraussetzung für den Rechtsbehelf aus § 321a ZPO ist jedoch stets, dass es sich bei der Entscheidung um eine Endentscheidung handelt (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 5).
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Entscheidungen, die ein selbständiges Zwischenverfahren abschließen, sind Endentscheidungen iS des § 321a ZPO und können deshalb mit der Anhörungsrüge angegriffen werden (BGH NJW-RR 2009, 642 für das Verfahren der Wiedereinsetzung).
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Praxistipp: Zweifelhaft ist, ob § 321a ZPO eingreift, wenn die mit einem befristeten Rechtsmit- 37 tel oder Rechtsbehelf angreifbare Entscheidung durch Fristablauf formell rechtskräftig geworden ist und die Partei erst danach Kenntnis von der Gehörsverletzung erlangt. Diese Frage ist streitig (bejahend Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 5; aA Stein/Jonas/Leipold § 321a ZPO Rz. 21). Dagegen spricht der Wortlaut des § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO; zudem dürfte in diesen Fällen die Möglichkeit der Anhörungsrüge verfassungsrechtlich nicht geboten sein. Unabhängig davon sollte der Anwalt bis zur gerichtlichen Klärung dieser Frage durch die Rechtsprechung den sichersten Weg wählen und die Anhörungsrüge erheben, wenn seine Partei erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Kenntnis von der Gehörsverletzung erlangt.
2. Verletzung des rechtlichen Gehörs Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen oder Anträge einer Partei entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BGH NJW-RR 2014, 381 f. mwN). Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung nicht auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in der Nichtberücksichtigung des Vortrages einer Partei hat (vgl. BGH NJW 2017, 1111, 1112). Das ist auch anzunehmen, wenn das Gericht ein ParteigutachFullenkamp
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ten, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, ohne nachvollziehbare Begründung übergeht (vgl. BGH NJW-RR 2011, 609). Demgegenüber ist der Anspruch auf rechtl. Gehör nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer – aus Sicht des Beschwerdeführers – unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist (vgl. BVerfGE 22, 267, 273). Die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Erstentscheidung ist mit dem zulässigen Rechtsbehelf geltend zu machen; unzulässig ist, die Gehörsverletzung des Gerichts erster Instanz erst mit der Anhörungsrüge gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu rügen (BGH NJW 2008, 923 sowie 2009, 1609 für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde).
39 Einzelfälle: Erfasst werden die sog. Pannenfälle, wenn das Gericht unbeabsichtigt einer Partei das rechtliche Gehör entzieht (ein fristgerecht eingereichter Schriftsatz wird dem Gericht versehentlich nicht vorgelegt (BGH NJW-RR 2011, 424 f.); ein nicht nachgelassener, neues Vorbringen enthaltender Schriftsatz wird zu Lasten des Gegners berücksichtigt; weitere Fälle vgl. Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 8). Die Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn die vom Beschwerdeführer gerügte Verfahrensweise im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BGH v. 28.10.2015 – IV ZR 139/15; BVerfGE 50, 32, 35 f.). Das ist zB auch zu bejahen, wenn das Gericht dem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen nicht nachgeht, weil der Zeugengebührenvorschuss nicht rechtzeitig gezahlt wird und das Gericht das Beweismittel allein deswegen als präkludiert ansieht (vgl. BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03). Die Partei ist nicht gehindert, den Zeugen im Termin zu stellen oder bis zur letzten mündlichen Verhandlung den Antrag auf Zeugenvernehmung aufrechtzuerhalten. Das Gericht kann den Beweisantritt nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückweisen (BVerfG aaO). In den Präklusionsfällen (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 9) ist ebenfalls von einer Verletzung auszugehen, wenn der Ausschluss von Vorbringen im Prozessrecht keine Stütze findet (BGH NJW-RR 2012, 110 f.) oder überhöhte Substanziierungsanforderungen gestellt werden (BGH NJW 2013, 3180). Eine Anhörungsrüge kommt auch bei einer Überraschungsentscheidung in Betracht. Es verstößt nach ständiger Rechtsprechung gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen braucht (BGH NJWRR 2011, 487; BVerfG NJW 2003, 3687 mwN). Ein unterbliebener richterlicher Hinweis gem. § 139 ZPO kann also die Anhörungsrüge rechtfertigen, damit die Partei in der Lage ist, ihren Vortrag auch auf neue und veränderte relevante Gesichtspunkte auszurichten (BGH NJW-RR 2010, 1363). Die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag vor Fristablauf verletzt das rechtliche Gehör der Partei (vgl. BGH NJW 2017, 1111, 1112). 3. Rügeschrift
40 Die Rügeschrift, die beim judex a quo einzureichen ist, muss nach § 321a Abs. 2 Satz 5 ZPO die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der Voraussetzungen in Abs. 1 Nr. 2 darlegen. Es muss also in der Rügeschrift konkret vorgetragen werden, worin die Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt und dass jener Grundrechtsverstoß entscheidungserheblich war. § 311a ZPO räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein (vgl. BGH NJW 2016, 3035, 3036).
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Wichtig: Aus der Rügeschrift muss sich daher die Kausalität zwischen der Verletzung des rechtl. Gehörs und der für den Beschwerten ungünstigen Entscheidung ergeben (vgl. BGH NJW 2016, 3035, 3036; NJW 2003, 3205; Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 7). Der Antragsteller muss also ganz konkret darlegen, wie das Verfahren ohne den Grundrechtsverstoß verlaufen und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung ohne die Gehörsverletzung anders ausgefallen wäre (vgl. BGH NJW-RR 2011, 424 f.). Dazu gehört, dass alle Denkschritte des sog. Entscheidungsbaums Schritt für Schritt aufgezeigt werden, aus denen sich ergibt, dass die vom Gericht gefundene Entscheidung rechtlich unzutreffend ist. Fullenkamp
Anträge zum Urteil
Rz. 47 Kap. 41
Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtl. Gehörs zu erheben, wobei der Zeitpunkt der Kenntniserlangung glaubhaft zu machen ist (§ 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es nicht auf die Zustellung oder den formlosen Zugang der Entscheidung an, sondern auf die Kenntnis von der Gehörsverletzung (BVerfG NJW 2007, 2242, 2244; BAG NJW 2006, 2346 zu § 78 Abs. 2 ArbG). Kenntnis besteht nach BGH (FamRZ 2006, 1029), wenn die Möglichkeit zur Kenntnisnahme gegeben ist, also in den meisten Fällen mit dem Zugang der Entscheidung, weil sich aus der Entscheidung ergibt, auf welchen Grundlagen die Entscheidung beruht (Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 14). Die Partei muss sich die Kenntnis ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (BGH v. 16.11.2016 – VII ZR 277/14).
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Praxistipp: Wenn eine Anhörungsrüge in Betracht kommt, muss der Anwalt auf jeden Fall den sichersten Weg wählen, eine ab dem Zugang der Endentscheidung berechnete Zweiwochenfrist notieren und diese einhalten, um nicht Gefahr zu laufen, dass das Gericht seinen Ausführungen zur Glaubhaftmachung der Einhaltung der Frist für die Rüge nicht folgt. Auch ein bewusstes Sich-Verschließen vor der erforderlichen Kenntnis markiert den Fristbeginn (BVerfG NJW-RR 2010, 1215 f.).
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Denkbar ist aber auch eine spätere Kenntnis der Gehörsverletzung, wenn zB nach der Entscheidung die Einsichtnahme in die Gerichtsakten die Erkenntnis vermittelt, dass ein fristgerechter und nachgelassener Schriftsatz dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorgelegen hat. In diesem Fall beginnt die Notfrist mit dem Zeitpunkt der Einsichtnahme der Gerichtsakten zu laufen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung muss in der Rügeschrift glaubhaft gemacht werden. Unproblematisch sind insoweit die Fälle, in denen die Rüge innerhalb einer Frist von 2 Wochen ab der förmlichen Zustellung der Entscheidung erhoben wird. Kommt es auf den Zugang der formlos übermittelten Entscheidung an, sollte der Anwalt den Zugangszeitpunkt möglichst durch eine eidesstattliche Versicherung eines Mitarbeiters oder durch eine eigene eidesstattliche Versicherung glaubhaft machen.
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Die Rüge muss auf jeden Fall innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem 3. Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 321a Abs. 2 Satz 3 ZPO). Diese Ausschlussfrist dient der Rechtssicherheit. Gegen die Versäumung der Ausschlussfrist gibt es keine Wiedereinsetzung (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 14).
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5. Rügeverfahren Das Gericht entscheidet über den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch einen Beschluss, der nach § 321a Abs. 4 ZPO unanfechtbar ist. Gegen den Beschluss mit dem die Anhörungsrüge zurückgewiesen wird, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, allerdings nur dann, wenn die Zurückweisung oder Verwerfung einen eigenständigen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör begründet (BVerfG NJW 2008, 2635). Wird durch das über die Anhörungsrüge entscheidende Gericht, das Vorliegen eines Gehörsverstoßes durch das Gericht erster Instanz lediglich verkannt, begründet dies nicht erneut den Weg zur Überprüfung jener Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG NJW 2005, 2635); der Plenarbeschluss des BVerfG v. 30.4.2003 (BVerfGE 107, 395) führe ausdrücklich an, dass es genüge, die behauptete Rechtsverletzung einer einmaligen Kontrolle zu unterziehen. Daraus folgt, dass die zurückgewiesene Anhörungsrüge nur mit der Behauptung der Verletzung eines Verstoßes gegen das Willkürverbot über die Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann, wenn die Verkennung eines Verstoßes gegen die Gehörsverletzung durch das Fachgericht gerügt werden soll.
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Bejaht das Gericht die Verletzung des rechtl. Gehörs, ist das Verfahren fortzusetzen. Der Rechtsstreit wird im Umfang des von der Rüge betroffenen abtrennbaren Teils in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung befand (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 15). Die Gewährung des rechtl. Gehörs ist nachzuholen und die Gegenpartei hat die
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4. Frist
ZPO
Kap. 41 Rz. 48
Anträge zum Urteil
M 41.5
Möglichkeit, ihren Sachvortrag zu ergänzen. Das Gericht ist in der danach folgenden Entscheidung völlig frei. Ein Verbot der reformatio in peius gibt es nicht (vgl. BGH NJW-RR 2010, 977 f.; Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 18). Das Verfahren endet damit, dass das Gericht entweder das vorangegangene Urteil aufrechterhält oder ganz bzw. teilweise aufhebt. Insoweit verweist § 321a Abs. 5 ZPO auf § 343 ZPO.
48 M 41.5 Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs An das Landgericht … In Sachen … (vorsorglich Langrubrum; Kurzrubrum dürfte allerdings auch reichen, da das Verfahren beim judex a quo fortgesetzt und die Rüge dort erhoben wird) beantrage ich, die Entscheidung des Landgerichts … vom …, zugestellt am … aufzuheben und die Entscheidung des Amtsgerichts … vom …, Az. …, auf die Berufung des Klägers dahin abzuändern, dass der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 3.000 Euro nebst 8 % Zinsen seit dem 3.2.20 … zu zahlen. Begründung: 1. Die Rüge nach § 321a ZPO ist statthaft. Der Kläger macht eine Kaufpreisforderung iHv. 3.000 Euro geltend. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landgericht durch das Berufungsurteil v. 1.7.20 …, zugestellt am 14.7.20 …, zurückgewiesen. Die Revision hat das Landgericht nicht zugelassen, so dass ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht gegeben ist. Die Frist des § 321a Abs. 2 ZPO wird durch diesen Schriftsatz gewahrt. Der Beklagte hat mit Zustellung des Berufungsurteils Kenntnis von der Gehörsverletzung erlangt. Die von diesem Tage an gerechnete Notfrist von 2 Wochen ist noch nicht abgelaufen. 2. Die Rüge ist auch begründet. a) Das Landgericht hat die Zahlungsklage des Klägers mit der Begründung abgewiesen, dass der Erfüllungseinwand des Beklagten durchgreife. Nach dem Ergebnis der vom Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagte den Kaufpreis von 3.000 Euro gezahlt habe. Der Zeuge Schröder habe bestätigt, dass ein Mitarbeiter des Klägers, Herr Schneider, das Geld für den Kläger entgegengenommen habe. Der Kläger habe nicht innerhalb der ihm bis zum 20.6.20 … nachgelassenen Schriftsatzfrist zu der Aussage des Zeugen Schneider Stellung genommen. Das Landgericht hat bei dieser Entscheidung den am 15.6.20 … eingereichten nachgelassenen Schriftsatz des Klägers nicht berücksichtigt. Die Einsichtnahme der Gerichtsakten hat ergeben, dass dieser Schriftsatz zunächst versehentlich in eine andere Akte gelangt ist und der Kammer erst nach Verkündung der Entscheidung vorgelegt wurde. In der Nichtberücksichtigung dieses Sachvortrages des Klägers liegt eine Verletzung des rechtl. Gehörs (vgl. Zöller/G. Vollkommer § 321a ZPO Rz. 6). b) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auch auf dieser Gehörsverletzung. Der Kläger hat in dem nachgelassenen Schriftsatz dargelegt und durch das Zeugnis seines Mitarbeiters Schneider unter Beweis gestellt, dass der Beklagte nicht dem Zeugen Schneider als Vertreter des Klägers einen Betrag von 3.000 Euro ausgehändigt hat. Bei Berücksichtigung dieses Sachvortrages wäre das Landgericht möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gekommen. Sofern der vom Kläger benannte Zeuge Schneider bestätigt, dass er den Betrag von 3.000 Euro nicht entgegengenommen hat, wird das Gericht sich mit der Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen auseinander setzen müssen und zu dem Ergebnis kommen, dass der Beklagte den ihm obliegenden Beweis der Erfüllung nicht geführt hat. Kosten: Gericht: 60 Euro, wenn die Rüge in vollem Umfang verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 1700 KV GKG); Anwalt: die Erhebung der Rüge gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RVG).
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Rechtskraftzeugnis
Rz. 4 Kap. 42
Nach § 317 Abs. 1 Satz 3 ZPO muss der Vorsitzende auf übereinstimmenden Antrag der Parteien die Zustellung verkündeter Urteile bis zum Ablauf von längstens fünf Monaten nach der Verkündung hinausschieben („kann“ ist nur Zuständigkeitsregelung; Zöller/Feskorn § 317 ZPO Rz. 3). Ein solcher Antrag ist vornehmlich dann sinnvoll, wenn die Parteien nach Verkündung des Urteils in Vergleichsverhandlungen eintreten. Auf diese Weise kann sich die Einlegung eines Rechtsmittels erübrigen.
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Kapitel 42 Rechtskraftzeugnis I. II. III. 1.
Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Teilanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 11 11
2. Bei Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendige Streitgenossenschaft . . . . . b) Einfache Streitgenossenschaft . . . . . . . .
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I. Bedeutung Das Rechtskraftzeugnis (§ 706 Abs. 1 ZPO) dient zum Nachweis des Eintritts der formellen Rechts- 1 kraft (§ 705 ZPO; § 19 EGZPO), also der Tatsache, dass gegen eine Entscheidung kein Rechtsmittel, kein Einspruch und keine Rüge nach § 321a ZPO mehr eingelegt werden kann. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Rechtsbehelfsfrist abgelaufen ist, ein Rechtsbehelf nicht statthaft ist oder auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs wirksam verzichtet wurde. Das Rechtskraftzeugnis entfaltet keine Bindung im Sinne einer rechtskräftigen Feststellung, ob und wann ein Urteil rechtskräftig geworden ist (BGH NJW 1960, 671). Die Bescheinigung über den Eintritt der Rechtskraft erhält Außenwirkung im Rahmen der Zwangs- 2 vollstreckung (vgl. Zöller/Seibel § 705 ZPO Rz. 2) sowie bei Gestaltungsurteilen. Erforderlich ist das Rechtskraftzeugnis darüber hinaus auch dann, wenn im Anwendungsbereich bi- oder multilateraler Vollstreckungsübereinkommen dem ausländischen Gericht gegenüber der Eintritt der Rechtskraft der anzuerkennenden inländischen Entscheidung nachzuweisen ist (vgl. Art. 7 Nr. 2 deutsch-italienisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen; dazu im Übrigen Kap. 102). Die Vorlage eines Rechtskraftzeugnisses ist weiterhin erforderlich, wenn gem. § 715 ZPO die Rückgabe einer zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Titel geleisteten Sicherheit beantragt wird. Für die Zwangsvollstreckung selbst ist das Rechtskraftzeugnis von Bedeutung, soweit die vorläufige Vollstreckbarkeit von der Leistung einer Sicherheit abhängig ist (§ 709 ZPO). Dort kann dem Vollstreckungsorgan im Rahmen des § 751 Abs. 2 ZPO die Entbehrlichkeit der Sicherheitsleistung mittels eines Rechtskraftzeugnisses belegt werden.
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Abzugrenzen ist das Rechtskraftzeugnis von dem sog. Notfristzeugnis (§ 706 Abs. 2 ZPO). Dieses 4 dient derjenigen Stelle, die für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses zuständig ist, als Nachweis dafür, dass bei dem für ein Rechtsmittel zuständigen Gericht ein solches Rechtsmittel nicht innerhalb des hierfür bestimmten Zeitraumes eingegangen ist (vgl. BGH MDR 2003, 826). Das Notfristzeugnis hat regelmäßig derjenige vorzulegen, der die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses beantragt; es kann aber auch von Amts wegen eingeholt werden. Ein Notfristzeugnis ist für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn gegen eine Entscheidung kein Fullenkamp/Riedel
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ZPO
V. Antrag auf Hinausschieben der Urteilszustellung
Rechtskraftzeugnis
Rz. 4 Kap. 42
Nach § 317 Abs. 1 Satz 3 ZPO muss der Vorsitzende auf übereinstimmenden Antrag der Parteien die Zustellung verkündeter Urteile bis zum Ablauf von längstens fünf Monaten nach der Verkündung hinausschieben („kann“ ist nur Zuständigkeitsregelung; Zöller/Feskorn § 317 ZPO Rz. 3). Ein solcher Antrag ist vornehmlich dann sinnvoll, wenn die Parteien nach Verkündung des Urteils in Vergleichsverhandlungen eintreten. Auf diese Weise kann sich die Einlegung eines Rechtsmittels erübrigen.
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Kapitel 42 Rechtskraftzeugnis I. II. III. 1.
Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Teilanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 11 11
2. Bei Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendige Streitgenossenschaft . . . . . b) Einfache Streitgenossenschaft . . . . . . . .
15 15 17
I. Bedeutung Das Rechtskraftzeugnis (§ 706 Abs. 1 ZPO) dient zum Nachweis des Eintritts der formellen Rechts- 1 kraft (§ 705 ZPO; § 19 EGZPO), also der Tatsache, dass gegen eine Entscheidung kein Rechtsmittel, kein Einspruch und keine Rüge nach § 321a ZPO mehr eingelegt werden kann. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Rechtsbehelfsfrist abgelaufen ist, ein Rechtsbehelf nicht statthaft ist oder auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs wirksam verzichtet wurde. Das Rechtskraftzeugnis entfaltet keine Bindung im Sinne einer rechtskräftigen Feststellung, ob und wann ein Urteil rechtskräftig geworden ist (BGH NJW 1960, 671). Die Bescheinigung über den Eintritt der Rechtskraft erhält Außenwirkung im Rahmen der Zwangs- 2 vollstreckung (vgl. Zöller/Seibel § 705 ZPO Rz. 2) sowie bei Gestaltungsurteilen. Erforderlich ist das Rechtskraftzeugnis darüber hinaus auch dann, wenn im Anwendungsbereich bi- oder multilateraler Vollstreckungsübereinkommen dem ausländischen Gericht gegenüber der Eintritt der Rechtskraft der anzuerkennenden inländischen Entscheidung nachzuweisen ist (vgl. Art. 7 Nr. 2 deutsch-italienisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen; dazu im Übrigen Kap. 102). Die Vorlage eines Rechtskraftzeugnisses ist weiterhin erforderlich, wenn gem. § 715 ZPO die Rückgabe einer zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Titel geleisteten Sicherheit beantragt wird. Für die Zwangsvollstreckung selbst ist das Rechtskraftzeugnis von Bedeutung, soweit die vorläufige Vollstreckbarkeit von der Leistung einer Sicherheit abhängig ist (§ 709 ZPO). Dort kann dem Vollstreckungsorgan im Rahmen des § 751 Abs. 2 ZPO die Entbehrlichkeit der Sicherheitsleistung mittels eines Rechtskraftzeugnisses belegt werden.
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Abzugrenzen ist das Rechtskraftzeugnis von dem sog. Notfristzeugnis (§ 706 Abs. 2 ZPO). Dieses 4 dient derjenigen Stelle, die für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses zuständig ist, als Nachweis dafür, dass bei dem für ein Rechtsmittel zuständigen Gericht ein solches Rechtsmittel nicht innerhalb des hierfür bestimmten Zeitraumes eingegangen ist (vgl. BGH MDR 2003, 826). Das Notfristzeugnis hat regelmäßig derjenige vorzulegen, der die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses beantragt; es kann aber auch von Amts wegen eingeholt werden. Ein Notfristzeugnis ist für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn gegen eine Entscheidung kein Fullenkamp/Riedel
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ZPO
V. Antrag auf Hinausschieben der Urteilszustellung
ZPO
Kap. 42 Rz. 5
Rechtskraftzeugnis
Rechtsmittel stattfindet. Die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels hat nämlich grundsätzlich das Rechtsmittelgericht zu prüfen.
II. Erteilungsverfahren 5 Das Rechtskraftzeugnis wird nur auf Antrag erteilt. Antragsberechtigt sind die Parteien des Rechtsstreits, auch die Streithelfer derselben. Der Antrag kann formlos gestellt werden, Anwaltszwang besteht nicht (§ 78 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH FamRZ 1971, 635). Die Angabe von Gründen ist nicht erforderlich.
6 Das Rechtskraftzeugnis wird kostenfrei durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 153 GVG) des Gerichts des ersten Rechtszuges und, solange der Rechtsstreit in einem höheren Rechtszug anhängig ist, von der Geschäftsstelle des Gerichts dieses Rechtszuges erteilt (§ 706 Abs. 1 ZPO).
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Praxistipp: Nimmt der Rechtsmittelführer das Rechtsmittel nach Ablauf der Rechtsmittelfrist zurück, sollte sogleich die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses beantragt werden. Dafür empfiehlt es sich, die Urteilsausfertigung stets bei den Handakten zu behalten und mit dem Antrag auf Erteilung des Rechtskraftzeugnisses vorzulegen. Der sofort nach Rücknahme des Rechtsmittels durch den Rechtsmittelführer gestellte Antrag auf Erteilung des Rechtskraftzeugnisses bewirkt in der Regel, dass der nunmehr von Amts wegen ergehende Beschluss, der den Verlust des Rechtsmittels ausspricht und dem Rechtsmittelführer die Kosten seines Rechtsmittels auferlegt (§ 516 Abs. 3 ZPO), dem Rechtsmittelgegner zeitgleich mit dem Rechtskraftzeugnis vorliegt. Das erspart Zeit, da nicht erst abgewartet werden muss, bis die Gerichtsakten an das Erstgericht zurückgeschickt worden und dort eingetroffen sind.
8 Gegenstand des Rechtskraftzeugnisses ist die auf die vom Antragsteller vorgelegte Urteilsausfertigung gesetzte Bestätigung des Gerichts, wonach die Entscheidung rechtskräftig ist. Die Bestätigung ist zu unterschreiben und mit dem Datum zu versehen. Das Dienstsiegel ist beizufügen. Bei Entscheidungen, die rechtsgestaltende Wirkung haben oder bei denen mit dem Eintritt der Rechtskraft eine Frist in Lauf gesetzt wird (zB Räumungsfrist), ist der Tag anzugeben, mit dessen Beginn die Rechtskraft eingetreten ist (vgl. § 7 Abs. 1 AktO NRW).
9 Die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses kann für alle Entscheidungen beantragt werden, die der formellen Rechtskraft fähig sind, also insbesondere Urteile, Beschlüsse oder Vollstreckungsbescheide. Ausgeschlossen ist die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses dagegen bei einem Prozessvergleich. Ein solcher kann nur rechtswirksam, aber nicht rechtskräftig werden.
10 Verweigert der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Erteilung des Zeugnisses, kann gem. § 573 ZPO die Entscheidung des Prozessgerichts beantragt werden. Dasselbe gilt bei Erteilung des Zeugnisses für den Antragsgegner. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist dann die sofortige Beschwerde gegeben (vgl. Zöller/Seibel § 706 ZPO Rz. 16).
III. Besonderheiten 1. Bei Teilanfechtung
11 Wird eine Entscheidung nur hinsichtlich eines Teilbetrags oder eines einzelnen Urteilsausspruchs angefochten, wird der Eintritt der Rechtskraft hinsichtlich des gesamten Urteils gehemmt. Die Hemmungswirkung erfasst insbesondere auch diejenigen Teile, die ausweislich der Rechtsmittelanträge nicht angefochten worden sind (vgl. RGZ 56, 31, 34; BGHZ 7, 143, 144; BGH NJW 1963, 444; NJW 1989, 170; MDR 1994, 657).
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Riedel
Rz. 17 Kap. 42
Ähnliches gilt für den Fall der (teilweisen) Rücknahme eines Rechtsmittels, da diese die erneute Ein- 12 legung des Rechtsmittels nicht hindert, solange die Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. BGH MDR 1994, 1038). Wer eine eingelegte Berufung zurücknimmt, geht lediglich dieser Berufung verlustig (vgl. § 516 Abs. 3 ZPO). Er kann also, solange die Berufungsfrist noch läuft, eine neue Berufung einlegen (vgl. BGHZ 27, 60, 61). Demzufolge kann bei der Teilanfechtung eines Urteils kein Rechtskraftzeugnis beantragt werden, das sich auf den nicht angefochtenen Teil des Urteils beschränkt. Etwas anderes gilt dann, wenn hinsichtlich eines Teilbetrags oder eines einzelnen Urteilsausspruchs auf die Einlegung eines Rechtsmittels ausdrücklich und wirksam verzichtet wurde (vgl. OLG Oldenburg MDR 2004, 1199). Ein solcher Verzicht führt zur (teilweisen) Rechtskraft der Entscheidung (vgl. BGH MDR 2005, 1072; BGH NJW 1958, 343; MDR 1988, 1033) und somit zu der Möglichkeit, hinsichtlich des in Rechtskraft erstarkten Teils der Entscheidung ein Rechtskraftzeugnis zu beantragen, das den Teil, auf den es sich bezieht, eindeutig beschreiben muss (vgl. auch Lappe Rpfleger 1956, 4). Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn für die gegnerische Partei die Rechtsmittelfrist ebenfalls abgelaufen ist. Rechtskraft bedeutet, unabhängig von der Möglichkeit eines Anschlussrechtsmittels, dass die Entscheidung von keiner der beteiligten Parteien angefochten werden kann.
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K
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Praxistipp: Ein Teilrechtskraftzeugnis sollte daher stets beantragt werden, wenn der Rechtsmittelbeklagte die Möglichkeit verloren hat, ein Anschlussrechtsmittel einzulegen; dies erleichtert die Vollstreckung, da die Abwendungsbefugnis im Verhältnis zum rechtskräftigen Teil des Rechtsstreits für den Rechtsmittelkläger mit Eintritt der Teilrechtskraft entfällt. Bei einheitlichen Verbundentscheidungen iS des § 142 FamFG ergibt sich die Möglichkeit einer Teilrechtskraft einzelner Bereiche aus § 145 FamFG. Ungeachtet der eingelegten Beschwerde etwa gegen die Entscheidung über den Versorgungsausgleich kann ein Rechtskraftzeugnis betreffend den Scheidungsausspruch verlangt werden (OLG München FamRZ 2013, 653).
2. Bei Streitgenossenschaft a) Notwendige Streitgenossenschaft Eine Entscheidung, die für oder gegen notwendige Streitgenossen ergangen ist, wird so lange nicht rechtskräftig, als einer der Streitgenossen oder der Gegner ein Rechtsmittel erhoben hat bzw. noch erheben kann (vgl. BGH MDR 1996, 737). Mithin kann auch bezüglich eines solchen (notwendigen) Streitgenossen, der selbst kein Rechtsmittel eingelegt hat, kein Rechtskraftzeugnis erteilt werden, so lange nicht das Urteil insgesamt rechtskräftig ist. Dies gilt auch dann, wenn ein zunächst untätiger Streitgenosse einseitig das Rechtsmittel zurücknimmt oder darauf verzichtet. Ob gegenüber einem einzelnen Streitgenossen die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen war, als ein anderer Streitgenosse oder der (gemeinsame) Gegner das Rechtsmittel einlegte, spielt keine Rolle.
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Ergeht allerdings unter Verstoß gegen § 62 ZPO gegen einen aus materiell-rechtlichen Gründen not- 16 wendigen Streitgenossen ein Teilurteil, ist dieses nicht nichtig. Vielmehr kann ein solches Teilurteil in Rechtskraft erwachsen. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsstreit hinsichtlich eines anderen Streitgenossen noch nicht abgeschlossen ist (vgl. BGH NJW-RR 2014, 903; BGH MDR 1996, 737). b) Einfache Streitgenossenschaft Das Bestehen einer einfachen Streitgenossenschaft hat zur Folge, dass das Verfahren jedes Streitgenossen selbständig ist. Auch die Frage der Rechtskraft ist für jeden einzelnen Streitgenossen besonders zu beurteilen. Mithin ist hinsichtlich eines (einfachen) Streitgenossen ein Rechtskraftzeugnis zu erteilen, wenn diesem gegenüber die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn hinsichtlich eines Streitgenossen die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, ohne dass er selbst oder der Gegner ein Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. OLG Karlsruhe OLGZ 1989, 77). Ein Riedel 721
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ZPO
Rechtskraftzeugnis
ZPO
Kap. 43
Anwaltsgebühren
von einem anderen Streitgenossen eingelegtes Rechtsmittel gilt insoweit nicht als auch von dem untätigen Streitgenossen erhoben. Auch kann sich ein einfacher Streitgenosse, für den die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, nicht dem Rechtsmittel des anderen Streitgenossen anschließen (vgl. BAG DB 1997, 1780). Nimmt demzufolge ein einfacher Streitgenosse sein eingelegtes Rechtsmittel zurück, wird ihm gegenüber das Urteil mit Ablauf der Rechtsmittelfrist auch dann rechtskräftig, wenn der andere Streitgenosse sein Rechtsmittel weiterverfolgt (vgl. auch Kap. 67 Rz. 79 ff.).
Kapitel 43 Anwaltsgebühren I. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abrechnung der Vergütung, Vorschuss, Fälligkeit und Verjährung . . . . . . . . . . . . 1. Form der Abrechnung . . . . . . . . . . . . . . . M 43.1 Einfache Kostenrechnung . . . . . . . M 43.2 Kostenrechnung bei unterschiedlichen Gegenstandswerten und Teilstreitwerten . . . . . . . . . . . . . . M 43.3 Umfangreiche Kostenrechnung . . M 43.4 Kostenrechnung, Kosten übernimmt ein Dritter . . . . . . . . . . . . 2. Fälligkeit und Verjährung . . . . . . . . . . . . . 3. Vorschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.5 Vorschussanforderung . . . . . . . . . M 43.6 Anmahnung des Vorschusses . . . . M 43.7 Vorschussanforderung bei Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . III. Gemeinsame Grundsätze für die Abrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebühren und Gebührensatz . . . . . . . . . . 3. Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.8 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 32 Abs. 2 RVG, § 63 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.9 Beschwerde gegen Wertfestsetzung nach § 32 Abs. 2 RVG, § 68 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichender Wert für die Anwaltsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.10 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG, wenn sich anwaltliche Tätigkeit und gerichtliches Verfahren nicht decken . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.11 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG, bei bloßem Verhandeln nicht anhängiger Ansprüche . . . . . . . . . . . . . .
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Riedel/Schneider
1 4 5 11 13 14 16 17 27 31 33
4. 5.
35 36 38 43 44 44 6. 49 53 54
57
58
7.
M 43.12 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG bei Festgebühren im gerichtlichen Verfahren M 43.13 Zusatzantrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG in Beschwerdeverfahren nach §§ 71 Abs. 2, 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 5 ZPO . . . . . . . . . . M 43.14 Beschwerde gegen Wertfestsetzung nach § 33 RVG . . . . . Gebührenbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrere Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erhöhung bei gemeinschaftlicher Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.15 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührenansätzen . . . . . . . . c) Haftung des einzelnen Auftraggebers . M 43.16 Abrechnung Haftung des einzelnen Auftraggebers . . . . . . . M 43.17 Abrechnung Haftung des einzelnen Auftraggebers unter Berücksichtigung des Innenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . Gebührenbegrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.18 Abrechnung bei unterschiedlichen Gebührensätzen . . . . . . . . Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.19 Abrechnung in Anrechnungsfällen, Mahnverfahren – Rechtsstreit M 43.20 Abrechnung in Anrechnungsfällen, Mahnverfahren – Rechtsstreit unterschiedlicher Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.21 Abrechnung in Anrechnungsfällen, außergerichtliche Vertretung – Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . M 43.22 Abrechnung in Anrechnungsfällen, außergerichtliche Vertretung – Rechtsstreit unterschiedlicher Gegenstandswert . . . . . . . . . . . .
60
61 63 63 65 65 66 71 72 73
75 76 78 79 87
89 91
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ZPO
Kap. 43
Anwaltsgebühren
von einem anderen Streitgenossen eingelegtes Rechtsmittel gilt insoweit nicht als auch von dem untätigen Streitgenossen erhoben. Auch kann sich ein einfacher Streitgenosse, für den die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, nicht dem Rechtsmittel des anderen Streitgenossen anschließen (vgl. BAG DB 1997, 1780). Nimmt demzufolge ein einfacher Streitgenosse sein eingelegtes Rechtsmittel zurück, wird ihm gegenüber das Urteil mit Ablauf der Rechtsmittelfrist auch dann rechtskräftig, wenn der andere Streitgenosse sein Rechtsmittel weiterverfolgt (vgl. auch Kap. 67 Rz. 79 ff.).
Kapitel 43 Anwaltsgebühren I. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abrechnung der Vergütung, Vorschuss, Fälligkeit und Verjährung . . . . . . . . . . . . 1. Form der Abrechnung . . . . . . . . . . . . . . . M 43.1 Einfache Kostenrechnung . . . . . . . M 43.2 Kostenrechnung bei unterschiedlichen Gegenstandswerten und Teilstreitwerten . . . . . . . . . . . . . . M 43.3 Umfangreiche Kostenrechnung . . M 43.4 Kostenrechnung, Kosten übernimmt ein Dritter . . . . . . . . . . . . 2. Fälligkeit und Verjährung . . . . . . . . . . . . . 3. Vorschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.5 Vorschussanforderung . . . . . . . . . M 43.6 Anmahnung des Vorschusses . . . . M 43.7 Vorschussanforderung bei Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . III. Gemeinsame Grundsätze für die Abrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebühren und Gebührensatz . . . . . . . . . . 3. Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.8 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 32 Abs. 2 RVG, § 63 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.9 Beschwerde gegen Wertfestsetzung nach § 32 Abs. 2 RVG, § 68 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichender Wert für die Anwaltsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.10 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG, wenn sich anwaltliche Tätigkeit und gerichtliches Verfahren nicht decken . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.11 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG, bei bloßem Verhandeln nicht anhängiger Ansprüche . . . . . . . . . . . . . .
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Riedel/Schneider
1 4 5 11 13 14 16 17 27 31 33
4. 5.
35 36 38 43 44 44 6. 49 53 54
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M 43.12 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG bei Festgebühren im gerichtlichen Verfahren M 43.13 Zusatzantrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG in Beschwerdeverfahren nach §§ 71 Abs. 2, 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 5 ZPO . . . . . . . . . . M 43.14 Beschwerde gegen Wertfestsetzung nach § 33 RVG . . . . . Gebührenbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrere Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erhöhung bei gemeinschaftlicher Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.15 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührenansätzen . . . . . . . . c) Haftung des einzelnen Auftraggebers . M 43.16 Abrechnung Haftung des einzelnen Auftraggebers . . . . . . . M 43.17 Abrechnung Haftung des einzelnen Auftraggebers unter Berücksichtigung des Innenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . Gebührenbegrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.18 Abrechnung bei unterschiedlichen Gebührensätzen . . . . . . . . Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.19 Abrechnung in Anrechnungsfällen, Mahnverfahren – Rechtsstreit M 43.20 Abrechnung in Anrechnungsfällen, Mahnverfahren – Rechtsstreit unterschiedlicher Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.21 Abrechnung in Anrechnungsfällen, außergerichtliche Vertretung – Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . M 43.22 Abrechnung in Anrechnungsfällen, außergerichtliche Vertretung – Rechtsstreit unterschiedlicher Gegenstandswert . . . . . . . . . . . .
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75 76 78 79 87
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IV. Vergütung im erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebühren des Verfahrensbevollmächtigten a) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abgeltungsbereich . . . . . . . . . . . . bb) Gebührenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . (1) Volle Verfahrensgebühr . . . . . . M 43.23 Berechnung der Verfahrensgebühr bei mehreren Auftraggebern . . . . . . . . . . . M 43.24 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen . . . . . . . . . (2) Ermäßigte Verfahrensgebühr . . M 43.25 Abrechnung Verfahrensgebühr bei vorzeitiger Erledigung . . M 43.26 Einigung unter Protokollierung nicht anhängiger Gegenstände M 43.27 Einigungsverhandlungen über nicht anhängige Gegenstände im Termin – ohne Erfolg M 43.28 Einigungsverhandlungen über nicht anhängige Gegenstände im Termin – mit Einigung . . . . . . . . . . . . . (3) Verschiedene Gebührensätze . . M 43.29 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen . . . . . . . . . cc) Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.30 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Mahnverfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . . M 43.31 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Mahnverfahrensgebühr, unterschiedliche Werte . . . . . . . . . . . . . . . M 43.32 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Geschäftsgebühr . . . . M 43.33 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Geschäftsgebühr, unterschiedliche Werte . . . . M 43.34 Anrechnung der Geschäftsgebühr bei mehreren aufeinander folgenden Geschäftsgebühren . .
94 94 95 96 96 97 97
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M 43.35 Anrechnung der Geschäftsgebühr bei mehreren nebeneinander entstandenen Geschäftsgebühren . . . . . . . . . . . . M 43.36 Anrechnung der Geschäftsgebühr bei mehreren Auftraggebern . . . . . dd) Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . b) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gerichtlicher Termin . . . . . . . . . . M 43.37 Abrechnung Terminsgebühr – Normalfall . . . . cc) Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins . . . . . dd) Teilnahme an Besprechungen zur Vermeidung oder Erledigung des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.38 Abrechnung Terminsgebühr, Besprechung vor Klageeinreichung . . . . . . ee) Einmaligkeit der Terminsgebühr . . ff) Entscheidung im schriftlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Schriftlicher Vergleich . . . . . . . . . hh) Höhe der Gebühr . . . . . . . . . . . . . M 43.39 Abrechnung ermäßigte Terminsgebühr bei Versäumnisurteil . . . . . . M 43.40 Abrechnung zweites Versäumnisurteil nach Vollstreckungsbescheid . . . . . ii) Zusammenrechnung mehrerer Terminsgebühren . . . . . . . . . . . . . M 43.41 Abrechnung Terminsgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen ohne Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG . . . . . . . M 43.42 Abrechnung Terminsgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen mit Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG . . . . . . . . . . . . . . . M 43.43 Abrechnung Terminsgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen (Haupt- und Nebenforderung) mit Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG . . . jj) Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . M 43.44 Abrechnung Terminsgebühr – Erörterung nicht anhängiger Gegenstände . . . . . . . . . . . . . .
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Anwaltsgebühren
127 129 130 134 134 138 139 140 141 143 144 145 148 151 159 163 164
165
166
168 169
170
125
Schneider 723
ZPO
Kap. 43
Anwaltsgebühren
c) Anrechnung der Verfahrens- und Terminsgebühr nach gescheiterter Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . bb) Anrechnung der Verfahrensgebühr M 43.45 Anrechnungsformel für die Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG . . . . . . cc) Anrechnung der Terminsgebühr . . M 43.46 Anrechnungsformel für die Terminsgebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG . . . . . . . . . . . . . M 43.47 Anrechnung der Verfahrens- und Terminsgebühr nach gescheiterten Einigungsverhandlungen . . . . d) Einigungsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begriff der Einigung . . . . . . . . . . . (1) Nachgeben . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . cc) Widerruf, Bedingung, Anfechtung dd) Höhe des Gebührensatzes . . . . . . . (1) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.48 Abrechnung Einigungsgebühr bei Miteinbeziehung nichtanhängiger Gegenstände . . . . . . . M 43.49 Abrechnung Einigungsgebühr bei Miteinbeziehung im Berufungsverfahren anhängiger Gegenstände . . . . . . . . . . . (2) Anhängigkeit . . . . . . . . . . . . . ee) Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . e) Übersendung von Handakten . . . . . . . f) Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen . . . . . . . . . . . M 43.50 Besonders umfangreiche Beweisaufnahme mit mindestens drei Terminen (Beweisaufnahme über den gesamten Streitgegenstand) . . . . . . . . . M 43.51 Besonders umfangreiche Beweisaufnahme mit mindestens drei Terminen (Beweisaufnahme nur über einen Teil des Streitgegenstands) . . . . . . 3. Gebühren weiterer Anwälte . . . . . . . . . . . a) Verkehrsanwalt – Gebührenteilung . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.52 Abrechnung Verkehrsanwalt mit Termins- und Einigungsgebühr . . . . . . . cc) Gebührenteilung . . . . . . . . . . . . .
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Schneider
174 174 176
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180 181 181 184 186 189 190 192 192
195
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210
211 212 212 212 214 217 219
M 43.53 Gebührenteilungsabrede . M 43.54 Terminsvertretungsvereinbarung . . . . . . . . . . . M 43.55 Abrechnung Prozessbevollmächtigter bei Beauftragung eines Terminsvertreters in eigenem Namen . . . . . . . b) Mehrere Anwälte in überörtlicher Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertreter des Streithelfers . . . . . . . . . . d) Vergütung des Terminsvertreters . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . cc) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . dd) Einigungsgebühr . . . . . . . . . . . . . M 43.56 Abrechnung Terminsvertreter, vorzeitige Erledigung . . . . . . . . . . . . . . . M 43.57 Abrechnung Terminsvertreter, Teilnahme am Termin . . . . . . . . . . . . . . M 43.58 Abrechnung Terminsvertreter mit Einigung über anhängige Gegenstände . M 43.59 Abrechnung Terminsvertreter mit Einigung auch über nicht anhängige Gegenstände . . . . . . . . . ee) Gebühren des Prozessbevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gebühren des Antragstellervertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.60 Abrechnung Mahnverfahren Antragsteller . . . . M 43.61 Abrechnung Mahnverfahren mit Besprechung und Einigung . . . . . . . . . . . . M 43.62 Abrechnung Mahnverfahren – Vollstreckungsbescheid nach Widerspruchsrücknahme im streitigen Verfahren . . . . bb) Gebühren des Antragsgegnervertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.63 Abrechnung Mahnverfahren Antragsgegner . . . b) Selbständiges Beweisverfahren . . . . . . aa) Anwendbare Vorschriften . . . . . . . bb) Selbständige Angelegenheit . . . . . cc) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . dd) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . ee) Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . gg) Anrechnung bei nachfolgendem Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . hh) Anrechnung bei vorangegangener Geschäftstätigkeit . . . . . . . . . . . . .
222 225
227 228 229 239 239 240 243 244 246 247 248
249 250 253 253 253 256 261
263 265 271 272 272 273 274 277 280 283 284 286
c)
d)
e) f)
M 43.64 Abrechnung Beweisverfahren ohne Terminswahrnehmung . . . . . . . . M 43.65 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung . . . . . . . . M 43.66 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung und nachfolgendem Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . M 43.67 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung und nachfolgendem Hauptsacheverfahren wegen Teilgegenständen . . . . . . . M 43.68 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung und nachfolgendem Hauptsacheverfahren und vorangegangener Vertretungstätigkeit . . . . . . . Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess und Nachverfahren . . . . . . . . . aa) Selbständige Angelegenheit . . . . . . bb) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . dd) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . M 43.69 Abrechnung Urkundenverfahren und Verfahren nach Abstandnahme . . . . M 43.70 Abrechnung Urkundenund Nachverfahren, Abstandnahme nach Versäumnisurteil . . . . . . . . . M 43.71 Abrechnung Urkundenund Nachverfahren bei unterschiedlichen Gegenstandswerten . . . . . . . . . Verfahren nach Zurückverweisung . . . . M 43.72 Abrechnung Verfahren vor und nach Zurückverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.73 Abrechnung Verfahren vor und nach teilweiser Zurückverweisung . . . . . . . . . . . . . . M 43.74 Abrechnung Verfahren vor und nach Zurückverweisung mit nachträglicher Klageerweiterung . . . . . . . . . . . . . . . Trennung und Verbindung . . . . . . . . . M 43.75 Abrechnung nach Verbindung M 43.76 Abrechnung nach Trennung . Arrest und einstweilige Verfügung . . . . aa) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anordnungs- und Aufhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kap. 43
M 43.77 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Schutzschrift ohne nachfolgendes Verfahren . . . . M 43.78 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Mündliche Verhandlung nach Widerspruch . . . . . M 43.79 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Mündliche Verhandlung nach Kostenwiderspruch M 43.80 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Vergleich auch über nicht anhängige Hauptsache . . M 43.81 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Vergleich auch über bereits anhängige Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . M 43.82 Abrechnung Beschwerde gegen Nichterlass einer einstweiligen Verfügung mit mündlicher Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.83 Abrechnung Verfügungsverfahren und Vollziehung durch Eintragung . ee) Abschlussschreiben . . . . . . . . . . . g) Landwirtschaftssachen . . . . . . . . . . . . h) Schiedsrichterliche Verfahren . . . . . . . 5. Vor- und Nebenverfahren . . . . . . . . . . . . a) Verfahren nach § 15a EGZPO . . . . . . . M 43.84 Abrechnung Schlichtungsverfahren mit nachfolgendem Rechtsstreit und vorangegangener Geschäftstätigkeit . . . . b) Prozesskostenhilfeverfahren . . . . . . . . M 43.85 Teilweise ProzesskostenhilfeBewilligung, Fortsetzung des Rechtsstreits nur im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.86 Teilweise ProzesskostenhilfeBewilligung, Fortsetzung des Rechtsstreits, auch soweit die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden ist . . . . . . . c) Beschwerde- und Erinnerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . bb) Erinnerungsverfahren . . . . . . . . . d) Vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorläufige unbedingte Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schneider 725
ZPO
Anwaltsgebühren
ZPO
Kap. 43
V. 1. 2.
3.
4.
5. VI.
726
Anwaltsgebühren
M 43.87 Abrechnung Antrag auf vorläufige Vollstreckbarerklärung f) Räumungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.88 Abrechnung gemeinsame Verhandlung über Räumungsklage und Räumungsfristantrag . M 43.89 Abrechnung Räumungsklage – gesonderter Räumungsfristantrag . . . . . . . . . . Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorzeitige Beendigung des Auftrags . . . M 43.90 Prüfung der Erfolgsaussicht einer Berufung mit nachfolgender beschränkter Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.91 Abrechnung fristwahrende Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensdifferenzgebühr . . . . . . . . . . M 43.92 Abrechnung der Verfahrensgebühr bei Einigung mit Mehrwert im Berufungsverfahren mit Mehrwert . . . . . . . e) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ermäßigte Terminsgebühr . . . . . . . . . . g) Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.93 Abrechnung Einigungsgebühr im Berufungsverfahren bei Einbeziehung erstinstanzlich anhängiger Gegenstände . . . . M 43.94 Abrechnung Berufungsverfahren bei Einbeziehung nicht anhängiger Gegenstände . . . . h) Zurückverweisung . . . . . . . . . . . . . . . i) Verkehrsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang der Angelegenheit . . . . . . . . . b) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorzeitige Beendigung des Auftrags . . . d) Ermäßigte Verfahrensgebühr . . . . . . . . e) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . c) Terminsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.95 Abrechnung Nichtzulassungsbeschwerde mit Teilzulassung Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO . . . . . M 43.96 Abrechnung Rechtsbeschwerde . . Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . .
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383 385 390 391 392 392 393 393 395 397
398 400 401
403 405 408 410
413 414 415 416 417 418 419 420 422 423 428 431 431 433 436 437 438 439 440 441 443 448 449
1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Umfang der Angelegenheiten in Zwangsvollstreckungssachen . . . . . . . . . . 3. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.97 Zwangsvollstreckungsauftrag für Gesamtgläubiger . . . . . . . . . . . . 4. Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.98 Berechnung des Gebührenstreitwerts für Vollstreckungsauftrag . VII. Auslagen, Reisekosten, Umsatzsteuer . . . 1. Auslagen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . M 43.99 Berechnung der Postentgeltpauschale in Anrechnungsfällen . . . 2. Dokumentenpauschale . . . . . . . . . . . . . . a) Höhe der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . b) Auszüge aus Behörden- oder Gerichtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablichtungen zur Zustellung oder Mitteilung an Gegner oder Beteiligte und Verfahrensbevollmächtigte . . . . . . d) Unterrichtung des Auftraggebers . . . . e) Einverständnis mit dem Auftraggeber . f) Überlassung elektronisch gespeicherter Dateien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Schriftsatzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reisekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.100 Abrechnung Reisekosten Pkw und Bahn . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.101 Abrechnung bei mehreren Geschäftsreisen . . . . . . . . . . . . 4. Haftpflichtversicherungsprämie . . . . . . . . 5. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verauslagte Beträge . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Hebegebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.102 Abrechnung Hebegebühren . . . IX. Übergangsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Die Durchsetzung der Vergütung . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütungsfestsetzung gegen den Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parteien des Verfahrens . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenstand der Festsetzung . . . . . . . . d) Verfahren, Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.103 Vergütungsfestsetzungsantrag nach Abschluss des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . M 43.104 Vergütungsfestsetzungsantrag nach Mandatsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Entscheidung über den Festsetzungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Wirkung des Festsetzungsbeschlusses . M 43.105 Sofortige Beschwerde gegen Ablehnungsbeschluss . . . . . 3. Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449 450 456 457 466 472 473 474 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485 490 493 494 495 497 499 509 510 513 513 516 518 521 523 529 533 534 535 540 543 544
4. Vergütungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . c) Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . d) Notwendiger Klagevortrag . . . . . . . . . . M 43.106 Einfache Klage auf Vergütung für außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . M 43.107 Klage auf Vergütung aus einem Rechtsstreit gegen mehrere Auftraggeber mit unterschiedlichem Auftrag . . . . . . e) Verteidigung im Vergütungsprozess . . . f) Herabsetzung einer vereinbarten Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.108 Negative Feststellungsklage und Hilfsantrag auf Herabsetzung der Vergütung . . . . . XI. Die Kostenfestsetzung gegen den Gegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festsetzung der im Rechtsstreit entstandenen Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.109 Berechnung Kostenausgleichung M 43.110 Kostenfestsetzungsantrag . . . . . M 43.111 Zusatzantrag Reisekosten und Zeitversäumnis der Partei . . . . . M 43.112 Zusatzantrag Verdienstausfall der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.113 Zusatzantrag vorgerichtliche Sachverständigenkosten . . . . . . M 43.114 Antrag auf Festsetzung der Kosten einer Vollstreckungsandrohung . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.115 Antrag auf Festsetzung der Vollstreckungskosten nach teilweiser Aufhebung des ursprünglichen Titels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsmittel gegen Kostenfestsetzungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . M 43.116 Sofortige Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschluss .
546 547 551 553 555
3. 4.
565 5. 566 567
XII.
576
1.
581 582 582 584 596 598 601 603 606 2. 607 608 608
Rz. 1 Kap. 43
b) Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.117 Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss . . . . . Nachfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.118 Antrag auf Nachfestsetzung . . . Antrag auf Abänderung der Kostenfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.119 Antrag auf Abänderung der Kostenfestsetzung . . . . . . . . . . Rückfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.120 Antrag auf Rückfestsetzung . . . Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe bei fehlender oder unvollständiger Kostengrundentscheidung . . . . a) Fehlender Antrag auf eine Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.121 Antrag auf Kostenentscheidung nach Klagerücknahme (Beklagter) . . . . . . . . . . . . . M 43.122 Antrag auf Kostenentscheidung nach Klagerücknahme mit Kostenfestsetzungsantrag (Beklagter) . . . . . . . . . . M 43.123 Klagerücknahme mit Antrag auf Kostenentscheidung gegen den Beklagten . . . . . . . . b) Vergleich ohne Einbeziehung des Streithelfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 43.124 Antrag auf Kostenentscheidung zugunsten des Streithelfers . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlende oder unvollständige Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel gegen Kostenentscheidung . . a) Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . M 43.125 Sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidung . . . . . . b) Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anwaltsgebühren
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I. Rechtsquellen Der Anwaltsvertrag ist regelmäßig ein Dienstvertrag gem. §§ 611 ff. BGB, der eine entgeltliche Geschäftsbesorgung iSv. § 675 BGB zum Inhalt hat (BGH NJW 1965, 106). Damit gilt eine Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB zumindest stillschweigend als vereinbart, wobei sich die Gebühren und die Gebührentatbestände selbst aus dem RVG ergeben. Nur soweit das RVG nicht anwendbar ist, kann auf die Regeln des BGB zurückgegriffen werden. Dies ist zB der Fall, wenn der Anwalt andere als die in § 5 RVG genannten Hilfspersonen einschaltet; die Vergütung ist dann nach § 612 Abs. 2 BGB zu bemessen (AnwKom-RVG/N. Schneider § 5 Rz. 55 ff.). Auch soweit der Anwalt für den Mandanten Geldbeträge verauslagt (Gerichtskosten, Gebühren für Akteneinsicht oÄ), ist in Ermangelung einer eigenen Erstattungsregelung des RVG auf die Vorschriften des BGB (§§ 670, 675 BGB) zurückzugreifen (Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG).
Schneider 727
1
Kap. 43 Rz. 2
Anwaltsgebühren
ZPO
2 Die Gebühren, die das RVG vorsieht, berechnen sich in zivilrechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich nach dem jeweiligen Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 RVG). Den Gegenstandswert wiederum regelt das RVG nur in ganz wenigen Fällen selbst (§§ 23a ff. RVG). Im Übrigen wird in § 23 Abs. 1 RVG auf die für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wertvorschriften verwiesen, insbesondere also auf die Wertvorschriften des GKG, des GNotKG und der ZPO. Daneben finden sich Wertvorschriften auch zuweilen in speziellen Gesetzen, wie etwa in § 247 AktG. Soweit die Bezugnahme auf die gerichtliche Wertfestsetzung nicht greift, gelten nach § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG bestimmte Vorschriften des GNotKG, hilfsweise billiges Ermessen (§ 23 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 RVG), und wenn sich auch hieraus nichts ergibt, ein Auffangwert von 5.000 Euro (§ 23 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 RVG).
3 Das RVG regelt ausschließlich das Vergütungsverhältnis zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten. Die Frage der Kostenerstattung, also das Verhältnis des Mandanten zu seinem Gegner, bleibt – mit Ausnahme des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und des § 15a Abs. 2 RVG – unberührt. Die prozessuale Kostenerstattung ist grundsätzlich in der ZPO geregelt, in den §§ 91 ff. ZPO sowie einigen weiteren Regelungen (zB §§ 269 Abs. 3, 344, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO); die Erstattungspflicht in der Zwangsvollstreckung regelt § 788 ZPO. Im Übrigen richtet sich ein eventueller Kostenersatz ausschließlich nach materiellem Recht (Verzug, Delikt, Geschäftsführung ohne Auftrag oÄ).
II. Abrechnung der Vergütung, Vorschuss, Fälligkeit und Verjährung 4 Der Anwalt kann seine Vergütung nur aufgrund einer ordnungsgemäßen Abrechnung einfordern (§ 10 Abs. 1 RVG). Voraussetzung hierfür ist die Fälligkeit der Vergütung (§ 8 Abs. 1 RVG). Vor Fälligkeit hat der Anwalt lediglich die Möglichkeit, Vorschüsse nach § 9 RVG anzufordern. 1. Form der Abrechnung
5 Bei der Abrechnung der Vergütung ist die Vorschrift des § 10 RVG zu beachten. Genügt die Abrechnung nicht den gesetzlichen Anforderungen, so hat dies zwar keinen Einfluss auf das Entstehen und die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs; die Vergütung kann jedoch nicht eingefordert werden (§ 10 Abs. 1 Satz 1 RVG). Eine Klage ohne ordnungsgemäße Abrechnung ist als zurzeit unbegründet abzuweisen; nicht einmal eine Aufrechnung ist möglich (BGH AnwBl. 1985, 257; OLG Köln OLGR 1997, 23) oder das Zurückhalten der Handakten (LG Mannheim AGS 2012, 324 = AnwBl. 2013, 149). Andererseits hat das Fehlen einer ordnungsgemäßen Abrechnung keinen Einfluss auf den Ablauf der Verjährungsfrist. Diese beginnt unabhängig von der ordnungsgemäßen Abrechnung (§ 10 Abs. 1 Satz 2 RVG). Die Abrechnung der Vergütung muss schriftlich erfolgen. Sie braucht allerdings nicht auf einem gesonderten Blatt abgefasst zu werden, sondern kann zB in einem Schreiben an den Mandanten enthalten sein. Gleichwohl empfiehlt es sich, schon aus Gründen der Übersichtlichkeit, eine gesonderte Rechnung zu verwenden. Insbesondere für Mandanten, die die Vergütung steuerlich geltend machen können, ist ein separater Rechnungsausdruck vorteilhaft.
6 Die Abrechnung setzt gem. § 10 Abs. 2 und 3 RVG voraus: – Der Rechnungsadressat muss der Auftraggeber sein (AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rz. 16). Dieser kann unter Umständen von der vertretenen Person verschieden sein (etwa der Versicherer im Haftpflichtprozess gegen den Versicherten, § 10 AKB). – Bei mehreren Auftraggebern muss jedem Auftraggeber eine eigene Rechnung über den ihn betreffenden Haftungsanteil mitgeteilt werden (LG Mannheim AGS 2012, 324 = AnwBl. 2013, 149; AG Kerpen AGS 2014, 375 = NJW-Spezial 2014, 508; s. auch Rz. 74 und M 43.106). – Die abgerechnete Angelegenheit muss bezeichnet werden. Grundsätzlich genügt die Angabe der Parteien zur Konkretisierung. Existieren mehrere Verfahren zwischen denselben Parteien, muss klar erkennbar sein, welches Verfahren abgerechnet wird. Bei mehreren Instanzen oder mehreren
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Schneider
Rz. 7 Kap. 43
Gebührenzügen (zB Scheck- und Nachverfahren; selbständiges Beweisverfahren und Hauptsache) muss zur Klarheit auch die jeweilige (Gebühren-)Instanz zitiert werden. – Die angewandten Gebührentatbestände müssen durch eine kurze Bezeichnung konkretisiert sein (zB „Verfahrensgebühr“ oder „Terminsgebühr“). – Soweit Satzrahmengebühren abgerechnet werden, ist die Angabe des konkret angesetzten Gebührensatzes erforderlich (LG Freiburg AGS 2012, 222), da anderenfalls der abgerechnete Betrag nicht überprüft werden kann. – Die jeweiligen Gebührenbeträge müssen einzeln ausgewiesen sein. – Die angewandten Nummern des Vergütungsverzeichnisses müssen zitiert werden. Soweit Hilfsnormen die Gebührenhöhe beeinflussen, müssen diese nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 RVG zwar nicht zitiert werden; es empfiehlt sich jedoch, diese zur Klarheit mit anzugeben (zB Nr. 1008 VV RVG bei einer Gebührenerhöhung wegen mehreren Auftraggebern). Eine möglichst genaue Angabe der angewandten Nummern des Vergütungsverzeichnisses erleichtert zudem das Verständnis und die eigene Überprüfung der Abrechnung. So sollte zB im Berufungsverfahren die Nr. 1004 VV RVG neben der Nr. 1000 VV RVG mit zitiert werden. Zwar ist der Gebührentatbestand der Einigung als solcher nur in Nr. 1000 VV RVG enthalten; die Angabe der Nr. 1004 VV RVG zur Bestimmung der Gebührenhöhe ist zum Verständnis jedoch unerlässlich. – Auch der Gegenstandswert, nach dem sich die jeweiligen Gebühren berechnen, muss angegeben werden. Nicht erforderlich ist es dagegen, auch die für die Wertbestimmung maßgebenden Vorschriften zu zitieren. Bei speziellen Vorschriften des GKG, oder des GNotKG empfiehlt sich dies jedoch. Auslagen müssen ebenfalls bezeichnet und mit der jeweiligen Nummer des Vergütungsverzeichnisses zitiert werden. Werden Post- und Telekommunikationsentgelte pauschal abgerechnet, so genügt der Hinweis auf die Postentgeltpauschale (Nr. 7002 VV RVG). Im Übrigen müssen die Auslagen benannt werden, wobei eine detaillierte Aufstellung nur auf Nachfrage des Mandanten erforderlich ist. Bei Entgelten für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, die nach Nr. 7001 VV RVG konkret abgerechnet werden, genügt die Angabe des Gesamtbetrags (§ 10 Abs. 2 Satz 3 RVG). – Eventuell erhaltene Vorschüsse, Zahlungen Dritter und anzurechnende Beträge (zB nach Vorbem. 3 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6 VV RVG; Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG) sind in die Abrechnung aufzunehmen. – Die Unterschrift des Anwalts oder seines Vertreters ist ebenfalls zwingende Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 RVG. Ein Faksimilestempel reicht nicht aus. Die Unterschrift ist unter die Kostennote zu setzen. Das OLG Hamburg (AnwBl. 1970, 233) hält es insoweit auch für ausreichend, dass sich aus einem vom Anwalt unterzeichneten Begleitschreiben ergibt, dass dieser die Verantwortung für die Kostenrechnung übernehmen will. Nach OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf MDR 2000, 360; offengelassen in BGH NJW 1998, 3486) soll im Vergütungsprozess sogar die Unterschrift des prozessbevollmächtigten Anwalts unter der Klageschrift ausreichen, wenn eine Kopie der Berechnung als Anlage beigefügt wird (s. zu Einzelheiten AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rz. 51 ff.). Fehlt bei Klagerhebung eine vom Anwalt unterzeichnete Kostenrechnung, unterbricht die Klage die Verjährungsfrist, wenn die Erteilung einer mit der Unterschrift des Anwalts versehenen Kostenrechnung bis zur letzten mündlichen Verhandlung nachgeholt wird (BGH NJW 1998, 3486 = MDR 1998, 1313).
K
Praxistipp: Beachtet das Gericht erster Instanz diese Rechtsprechung nicht und weist es die 7 Klage wegen fehlender vom Anwalt unterzeichneter Rechnung ab, ohne entsprechenden Hinweis gem. § 139 ZPO auf die zitierte Rechtsprechung des BGH zu geben, sollte mit der Berufungsbegründung die Rechnung vorgelegt (also auf diese Weise dem Gegner zugestellt) und zugleich die Verletzung des § 139 ZPO gerügt werden.
Schneider 729
ZPO
Anwaltsgebühren
Kap. 43 Rz. 8
M 43.1
Anwaltsgebühren
ZPO
8 Werden Betrags- oder Satzrahmengebühren abgerechnet, so ist eine Erläuterung der Höhe in der Rechnung nicht erforderlich. Soweit die Mittelgebühr (bei der Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV RVG die sog. „Schwellengebühr“) überschritten wird, empfiehlt es sich jedoch – insbesondere bei Abrechnungen mit Rechtsschutzversicherern – die jeweils festgesetzte Gebührenhöhe nach § 14 Abs. 1 RVG im Anschreiben zu begründen.
9 Darüber hinaus sind Anforderungen des § 14 UStG zu beachten. So muss die Rechnung auf der Grundlage der Richtlinie 2001/115 EG des Rates seit dem 1.1.2004 bestimmte Pflichtangaben enthalten. Dazu gehört u.a. die Angabe der Steuernummer oder der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, einer fortlaufenden Rechnungsnummer und des Zeitpunkts bzw. Zeitraums der Leistung (s. Enders, Neue Formerfordernisse für anwaltliche Kostenberechnungen – Praktische Auswirkungen des Steueränderungsgesetzes 2003, RVGreport 2004, 43; Otto, Anwaltsrechnungen, BRAK-Magazin 2004, 12). Die steuerrechtlichen Vorgaben haben allerdings keine Auswirkung im Rahmen des § 10 RVG. Die Vergütung ist also auch dann einforderbar und klagbar, wenn die Pflichtangaben nach § 14 UStG fehlen. Allerdings kann der Mandant ein Zurückbehaltungsrecht ausüben, wenn die Rechnung nicht ordnungsgemäß ist und sie daher nicht ausreichen würde, um den Vorsteuerabzug geltend zu machen (BGH NJW 1980, 2710; N. Schneider ProzRB 2003, 364).
10 Die Kosten der Abrechnung selbst sind allgemeine Geschäftskosten iS der Vorbem. 7 VV RVG. Der Anwalt kann hierfür weder Gebühren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 RVG) noch Auslagen verlangen. Insbesondere erzeugt weder das Anfertigen der Kostenrechnung die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG, noch löst die Versendung der Kostenrechnung Auslagen nach Nr. 7001 VV RVG oder gar die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG aus (so jetzt ausdrücklich geregelt in Anm. zu Nr. 7001 VV RVG).
11 M 43.1 Einfache Kostenrechnung Klage iHv. 6.000 Euro; nach mündlicher Verhandlung endet das Verfahren durch Urteil. Herrn … USt-Nr. des Anwalts1 Rechnung In Sachen … ./. … Leistungszeitraum: … Gegenstandswert 6.000 Euro 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamtbetrag
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
1 S. Rz. 9.
12 K
730
Wichtig: Sofern sich alle Gebühren nach demselben Gegenstandswert richten, genügt es, diesen vorab einmal anzuführen. Bei unterschiedlichen Teilwerten muss dagegen zu jeder Gebühr der maßgebliche Gegenstandswert gesondert angegeben werden.
Schneider
Rz. 14 Kap. 43
Anwaltsgebühren
M 43.2 Kostenrechnung bei unterschiedlichen Gegenstandswerten und
13
Teilstreitwerten Klage iHv. 4.000 Euro; hierüber wird mündlich verhandelt; sodann wird die Klage um 2.500 Euro erweitert. Im zweiten Verhandlungstermin ergeht ein Versäumnisurteil, gegen das kein Einspruch eingelegt wird. Herrn … USt-Nr. des Anwalts1 Rechnung Rechnungs-Nr. … In Sachen … ./. … Leistungszeitraum: … 1. 2. 3.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 6.500 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (4.000 Euro) 0,5-Terminsgebühr, Nrn. 3104, 3105 VV RVG (2.500 Euro)
526,50 Euro 302,40 Euro 100,50 Euro
(die Begrenzung des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,2 aus 6.500 Euro ist nicht überschritten) 3. 4.
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamtbetrag
20,00 Euro 949,40 Euro 180,39 Euro 1.129,79 Euro
1 S. Rz. 9.
M 43.3 Umfangreiche Kostenrechnung
14
Mahnverfahren über 10.000 Euro, Vollstreckungsbescheid über 4.000 Euro; wegen der restlichen 6.000 Euro folgt das streitige Verfahren vor einem auswärtigen Gericht. Dort wird die Klage vor mündlicher Verhandlung iHv. 2.000 Euro zurückgenommen. Im Verhandlungstermin erfolgt eine Einigung über die restlichen 4.000 Euro. Es war ein Vorschuss iHv. 595 Euro (incl. 19 % USt) gezahlt. Die Gerichtskosten hatte der Anwalt vorgelegt. Herrn … USt-Nr. des Anwalts1 Rechnung Rechnungs-Nr./ In Sachen … ./. … Leistungszeitraum: … I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 0,5-Vollstreckungsbescheidgebühr, Nr. 3308 VV RVG (Wert 4.000 Euro) Kostentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG
558,00 Euro 126,00 Euro 20,00 Euro
Schneider 731
ZPO
M 43.3
Kap. 43 Rz. 15
M 43.4
Anwaltsgebühren
ZPO
II. Streitiges Verfahren: 1. 2.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 6.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV RVG, 1,0-Gebühr aus 6.000 Euro 3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 4.000 Euro) 4. 1,0-Einigungsgebühr (Wert 2.000 Euro) 5. Dokumentenpauschale, Nr. 7001 Nr. 1a) VV RVG, 30 Seiten 6. Fahrtkosten zum Termin vom 23.4.2014, Nr. 7003 VV RVG, 2 × 15 km × 0,30 Euro 7. Abwesenheitspauschale bis zu 4 Stunden, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 8. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 9. abz. Vorschuss 1. Vorschussrechnung vom 17.4.2014 RechnungsNr. 674/14 (netto) Zwischensumme 10. 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar 12. Vorgelegte Gerichtskosten Mahnverfahren 13. Vorgelegte Gerichtskosten streitiges Verfahren Gesamtbetrag
460,20 Euro – 354,00 Euro 302,40 Euro 150,00 Euro 15,00 Euro 9,00 Euro 25,00 Euro 20,00 Euro – 500,00 Euro 831,60 Euro 158,00 Euro 989,60 Euro 120,50 Euro 412,50 Euro 1.522,60 Euro
1 S. Rz. 9.
15 K
Praxistipp: Es kommt vor, dass ein Dritter für die Kosten des Auftraggebers – im Innenverhältnis in Einverständnis mit diesem – aufkommt und deshalb vom Auftraggeber eine auf den Dritten ausgestellte Rechnung erbittet, damit die Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht werden kann. Dieser Bitte kann und darf (§ 379 Abs. 1 Nr. 1 AO) nur gefolgt werden, wenn der Leistungsempfänger – also der Auftraggeber – in der Rechnung ausdrücklich aufgeführt wird (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UStG). Die Rechnung wäre demnach wie folgt aufzumachen:
16 M 43.4 Kostenrechnung, Kosten übernimmt ein Dritter Firma Augustin GmbH USt-Nr. des Anwalts1 Rechnung Rechnungs-Nr. … In Sachen Müller ./. Schulz GmbH Leistungsempfänger: Schulz GmbH, … straße, 50668 Köln Leistungszeitraum: … Gegenstandswert 6.000 Euro 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamtbetrag
1 S. Rz. 9.
732
Schneider
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 23 Kap. 43
Vor Eintritt der Fälligkeit kann der Anwalt seine Vergütung nicht abrechnen und einfordern. Bis dahin hat er nur die Möglichkeit, gem. § 9 RVG zu seiner Absicherung Vorschüsse auf die zu erwartende Vergütung zu verlangen (s. Rz. 27 ff.). Verauslagte Beträge kann der Anwalt dagegen nach §§ 675, 670 BGB jederzeit erstattet verlangen, weil es sich nicht um eine Vergütung nach dem RVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RVG) handelt, sondern um Aufwendungsersatz nach BGB (s. Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG).
17
Nach Eintritt der Fälligkeit beginnt mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres (§ 199 BGB) der Lauf 18 der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. Gerade diese Folge wird in der Praxis allzu häufig übersehen. Eine zusätzliche Gefahr liegt für den Anwalt darin, dass nicht nur hinsichtlich jeder Angelegenheit eine selbständige Verjährungsfrist läuft, sondern sogar für die Vergütung in derselben Sache, ja sogar für Teile derselben Gebühr unterschiedliche Verjährungsfristen laufen können. Daher sollte stets ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, ob hinsichtlich der Vergütung oder eines Teils der Vergütung ein Fälligkeitstatbestand erfüllt wird. Ist dies der Fall, sollte der Ablauf der Verjährung zumindest dann notiert werden, wenn nicht sogleich abgerechnet wird. Grundsätzlich wird die gesetzliche Vergütung des Anwalts fällig mit der Erledigung des Auftrags 19 oder der Beendigung der Angelegenheit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dabei kommt es nicht auf die gebührenrechtliche Beendigung an, sondern auf die prozessuale Beendigung. Die Fälligkeit tritt daher bereits mit Erlass (nicht erst mit Zustellung) eines Urteils ein (OLG Düsseldorf OLGR 1998, 298). Darauf, dass sich noch durch § 16 RVG oder § 19 RVG abgegoltene Tätigkeiten anschließen, etwa eine Kostenfestsetzung, ein Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung oÄ, kommt es nicht an (OLG Naumburg JurBüro 1998, 81; Koblenz AGS 2007, 302 = AnwBl. 2007, 550; LG Karlsruhe RVGreport 2008, 26; VersR 2008, 815). Fälligkeit tritt zudem ein, wenn das Verfahren mehr als drei Monate ruht (§ 8 Abs. 1 Satz 2 RVG). Bei Abschluss des Verfahrens durch einen Vergleich, ist die Angelegenheit beendet, so dass die Vergütung sofort fällig wird. Der spätere Austausch der einigungsweise übernommenen Leistungen ist unerheblich (AG Köln AnwBl. 1999, 487 = JurBüro 1999, 528; VersR 2008, 815; OLG Koblenz AGS 2007, 302 = AnwBl. 2007, 550; LAG Rhl.-Pf. v. 5.1.2007 – 10 Ta 248/06; OLG Düsseldorf AGS 2008). Ist der Vergleich allerdings unter einem Widerrufsvorbehalt geschlossen, tritt eine Beendigung erst mit Verzicht auf den Widerruf oder Ablauf der Widerrufsfrist ein. Neben den allgemeinen Fälligkeitstatbeständen des § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG tritt nach § 8 Abs. 1 Satz 2 20 RVG in gerichtlichen Verfahren die Fälligkeit unter drei weiteren Voraussetzungen ein, nämlich wenn – eine Kostenentscheidung ergeht (1. Var.), – der Rechtszug beendet ist (2. Var.) oder – das Verfahren länger als drei Monate ruht (3. Var.). Bedeutung haben diese Fälligkeitstatbestände nur, wenn nicht ohnehin schon nach § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist. So ist in der Regel das Verfahren beendet, wenn eine Kostenentscheidung ergeht; zwingend ist das aber nicht (s. Rz. 22 – Teilfälligkeiten).
21
In gerichtlichen Angelegenheiten kann es – im Gegensatz zu außergerichtlichen Angelegenheiten – 22 auch zu Teilfälligkeiten innerhalb derselben Angelegenheit kommen. Beispiel: Der Anwalt hatte einen Klageauftrag über 7.500 Euro erhalten. Es erging daraufhin im November 2017 ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten, in dem dieser kostenpflichtig verurteilt wurde. Hiergegen legte der Beklagte im Dezember 2017 Einspruch ein, über den im Februar 2018 verhandelt und entschieden wurde. Da mit Erlass des Versäumnisurteils eine Kostenentscheidung ergangen ist, sind die bis dahin angefallenen Gebühren und Auslagen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG fällig geworden.
Schneider 733
23
ZPO
2. Fälligkeit und Verjährung
ZPO
Kap. 43 Rz. 24
Anwaltsgebühren
I. Rechtsstreit bis zum Versäumnisurteil 1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) 592,80 Euro 2. 0,5-Terminsgebühr, Nrn. 3104, 3105 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) 228,00 Euro 3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Zwischensumme 840,80 Euro 4. 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG 159,75 Euro Gesamt 1.000,55 Euro Erst bei endgültiger Beendigung der Instanz im Februar 2018 ist der Restbetrag fällig geworden, so dass der Anwalt erst dann die Schlussrechnung schreiben konnte. Die bereits vereinnahmte Teilzahlung muss er netto abziehen. II. Rechtsstreit (Schlussrechnung) 1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) 2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) 3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 4. ./. bereits gezahlter (netto) Zwischensumme 5. 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro – 840,80 Euro 319,20 Euro 60,65 Euro 379,85 Euro
24 Die Verjährung der Vergütung für eine Tätigkeit aus einem gerichtlichen Verfahren wird so lange gehemmt, als das Verfahren noch anhängig ist. Unter Anhängigkeit iS des § 8 Abs. 2 Satz 2 RVG ist hierbei nicht die formale prozessuale Anhängigkeit gemeint; vielmehr reicht es aus, dass noch Nebenverfahren wie zB ein Verfahren über die Streitwert- oder Kostenfestsetzung nach Rechtskraft der Hauptsache noch anhängig bleibt. Erst mit vollständiger Beendigung des Verfahrens endet die Hemmung des Verjährungsablaufs (§ 8 Abs. 2 Satz 2 RVG). Gleiches gilt, wenn das Verfahren länger als drei Monate, seitdem die Vergütung fällig geworden ist, ruht (§ 8 Abs. 2 Satz 3 RVG); in diesem Fall beginnt die Hemmung der Verjährung allerdings erneut, wenn das Verfahren von einer der Parteien weiter betrieben wird (§ 8 Abs. 2 Satz 4 RVG).
25 K
Wichtig: Zu beachten ist, dass § 8 Abs. 2 RVG weder die Fälligkeit hinausschiebt noch den Verjährungsbeginn. Die Fälligkeit tritt unbeschadet der Regelung des § 8 Abs. 2 RVG unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 RVG ein. Ebenso ist das Ende des Kalenderjahres, in dem die Vergütung fällig geworden ist, maßgeblich für die Berechnung der Verjährungsfrist, die dann gegebenenfalls lediglich nach § 8 Abs. 2 RVG gehemmt ist. Ist zB im November 2014 ein Urteil ergangen und hat das Kostenfestsetzungsverfahren noch bis zum 15.2.2015 fortgedauert, so begann nicht etwa die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2015. Der Ablauf der Verjährungsfrist begann vielmehr mit dem 1.1.2015 und war lediglich bis zum 15.2.2015 gehemmt, so dass die Verjährung mit Ablauf des 15.2.2018 eintritt und nicht erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2018.
26 Neben den allgemeinen Möglichkeiten des BGB, den Ablauf einer Verjährungsfrist zu hemmen, ist § 11 Abs. 7 RVG zu beachten. Durch die Einreichung eines Vergütungsfestsetzungsantrags bei Gericht wird der Ablauf der Verjährung ebenfalls gehemmt. Hier kommt es nur auf den Eingang bei Gericht an, nicht auf die Zustellung des Antrags an den Antragsgegner (LAG Düsseldorf JurBüro 1992, 799; AnwKom-RVG/N. Schneider § 11 Rz. 323). Des Weiteren ist der Ablauf der Verjährung gehemmt, solange der Anwalt aufgrund einer fehlerhaften zu geringen Streitwertfestsetzung nach § 32 Abs. 1 RVG gehindert ist, die zutreffende höhere Vergütung gegen den Auftraggeber geltend zu machen. Die Hemmung des Verjährungsablaufs endet in diesem Falle mit Erlass des höheren Streitwertfestsetzungsbeschlusses (BGH AnwBl. 1998, 666 = MDR 1998, 860).
734
Schneider
M 43.5
Anwaltsgebühren
Rz. 31 Kap. 43
Vor Eintritt der Fälligkeit nach § 8 Abs. 1 RVG kann der Anwalt seine Vergütung nicht verlangen; er ist 27 lediglich berechtigt, nach § 9 RVG Vorschüsse einzufordern. Die Vorschussanforderung bedarf keiner besonderen Form; insbesondere brauchen die Anforderungen des § 10 RVG nicht eingehalten zu werden (AnwKom-RVG/N. Schneider § 9 Rz. 74 f.).
K
Wichtig: Leider verkennen die Gerichte häufig, dass das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Berechnung nach § 10 RVG nicht für den Vorschuss nach § 9 RVG gilt (so zB AG München AGS 2006, 588). Der Anwalt sollte daher den Vorschuss zu seiner eigenen Sicherheit immer in Form einer Berechnung stellen und unterzeichnen, zumal der Auftraggeber, wenn er vorsteuerabzugsberechtigt ist, eine solche Berechnung benötigt.
28
Der Vorschuss darf bis zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Gebühren und Auslagen geltend ge- 29 macht werden. Es empfiehlt sich daher, schon aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, den Vorschuss nicht als Pauschalbetrag anzufordern, sondern ebenfalls in Form einer Berechnung, die die voraussichtlichen Gebühren ausweist. Dies erleichtert sowohl dem Mandanten als auch dem Anwalt den Überblick, welche weitere Vergütung gegebenenfalls noch anfallen kann. Da auch der Vorschuss der Umsatzsteuer unterliegt (AnwKom-RVG/N. Schneider § 9 Rz. 73), sollte diese unbedingt schon bei der Vorschussberechnung gesondert ausgewiesen und angefordert werden.
K
Praxistipp: Zweckmäßig ist es, den Vorschuss über eine als „1. Vorschussrechnung“, „2. Vorschussrechnung“ bezeichnete Rechnung einzufordern, da § 14 UStG (s. Rz. 9) auch für die Vorschussrechnung gilt. Es sind an jene Rechnung – umsatzsteuerrechtlich – deshalb die gleichen Anforderungen wie an die Endabrechnung zu stellen (s. Rz. 9; lediglich ein Leistungszeitraum braucht nicht angegeben zu werden).
M 43.5 Vorschussanforderung
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Sehr geehrte/r … in Ihrer Sache gegen … nehme ich Bezug auf unsere gemeinsame Besprechung vom … und übersende Ihnen den Entwurf der Klageschrift, in dem ich alle Informationen vermerkt habe, die sie mir in unserer Besprechung am … erteilt haben. Gleichzeitig darf ich für meine Bemühungen um einen Vorschuss gem. der beiliegenden Kostennote bitten. Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist nach § 41 Abs. 2 GKG von dem einjährigen Mietzins (12 × 500 Euro) auszugehen. … Anlage: Herrn … USt-Nr. des Anwalts1 1. Vorschussanforderung Rechnungs-Nr. … In Sachen … ./. … Gegenstandswert 6.000 Euro
Schneider 735
ZPO
3. Vorschuss
ZPO
Kap. 43 Rz. 32 1. 2. 3. 4.
M 43.6
Anwaltsgebühren
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamtbetrag
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
1 Auch bei der Vorschussanforderung muss die Steuernummer angegeben werden (s. Rz. 9). Die Angabe eine Leistungszeitraums ist dagegen entbehrlich.
32 Mit Anforderung des Vorschusses sollte sich der Anwalt eine angemessene Zahlungsfrist von etwa zwei bis vier Wochen notieren. Geht der Vorschuss in der erwarteten Frist nicht ein, sollte dem Mandanten grundsätzlich deutlich gemacht werden, dass eine weitere Bearbeitung der Sache nicht möglich ist und er mit der Niederlegung des Mandates rechnen muss, wenn der Vorschuss nicht innerhalb einer – konkret zu setzenden – Nachfrist eingeht. Die Androhung der Mandatsniederlegung sollte auf jeden Fall angekündigt werden (AnwKom-RVG/N. Schneider § 9 Rz. 82 ff.).
33 M 43.6 Anmahnung des Vorschusses Sehr geehrte/r …, in Ihrer Sache gegen … nehme ich Bezug auf meine Vorschussanforderung vom …. Bis heute habe ich keinen Zahlungseingang feststellen können. Ich bitte Sie, den angeforderten Vorschuss bis zum … auf eines meiner angegebenen Konten zu überweisen. Anderenfalls kann ich in Ihrer Sache nicht weiter tätig werden und müsste in Erwägung ziehen, das Mandat niederzulegen.
34 Auch wenn Prozesskostenhilfe bewilligt ist, kann der Anwalt gegenüber der Staatskasse von seinem Recht auf Vorschuss Gebrauch machen. Das Recht auf Vorschuss ergibt sich insoweit aus § 47 Abs. 1 RVG. Im Gegensatz zu § 9 RVG ist das Vorschussrecht hinsichtlich der Gebühren lediglich insoweit eingeschränkt, als nur für bereits entstandene Gebühren ein Vorschuss verlangt werden kann. Für Auslagen gilt diese Einschränkung nicht. Auch auf voraussichtlich entstehende Auslagen kann ein Vorschuss verlangt werden. Die Anforderung eines Vorschusses bei der Staatskasse ist formlos möglich. Die Höhe des Vorschusses richtet sich bei Gegenstandswerten von über 4.000 Euro nach der Tabelle des § 49 RVG.
35 M 43.7 Vorschussanforderung bei Prozesskostenhilfe An das Landgericht … In der Sache … ./. … Az. (PKH) beantrage ich, gem. § 47 Abs. 1 RVG einen Vorschuss festzusetzen iHv. 1. 2. 3.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, § 49 RVG (Wert 6.000 Euro) Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt Summe
347,10 Euro 20,00 Euro 367,10 Euro
Vorschüsse, Zahlungen Dritter oder anzurechnende Beträge habe ich nicht erhalten.
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Schneider
69,75 Euro 436,85 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 40 Kap. 43
Um zu einer ordnungsgemäßen und vollständigen Abrechnung zu gelangen, muss sich der Anwalt folgende Fragen stellen:
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Checkliste: Abrechnung
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l In welchen Angelegenheiten bin ich tätig geworden? l Welche Gebühren sind angefallen? l Welche Gebührensätze gelten für diese Gebühren? l Nach welchen Gegenstandswerten sind die Gebühren abzurechnen? l Bei mehreren Auftraggebern: l Liegen verschiedene Gegenstände vor, die zu einer Wertaddition nach § 23 Abs. 1 RVG iVm. den Vorschriften des GKG oder nach § 22 RVG führen, oder l sind die Auftraggeber gemeinschaftlich (§ 7 Abs. 1 RVG; Nr. 1008 VV RVG) beteiligt? l Ist eine Begrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG vorzunehmen? l Sind Gebühren einer vorangegangenen Angelegenheit anzurechnen? l Sind bereits gezahlte Vorschüsse oder Zahlungen Dritter anzurechnen? 1. Angelegenheit Die Gebührentatbestände der RVG sind nach Angelegenheiten aufgeteilt. Der Anwalt erhält in ge- 38 sonderten Angelegenheiten jeweils auch gesonderte Gebühren (§ 15 Abs. 1 RVG). In derselben Angelegenheit erhält er die Vergütung dagegen nur einmal (§ 15 Abs. 2 RVG). Die Abgrenzung, in welcher Angelegenheit die Tätigkeit entfaltet worden ist, wird bei der Abrechnung häufig vernachlässigt, so dass bereits hier Gebühren und Auslagen nicht in Ansatz gebracht werden, die gefordert werden könnten. Die Aufteilung in verschiedene Angelegenheiten hat nicht nur zur Folge, dass der Anwalt für jede Angelegenheit jeweils eigene Postentgeltpauschalen erhält (BGH AGS 2004, 343 m. Anm. N. Schneider; LG Essen JurBüro 2002, 246; ausf. N. Schneider ZAP Fach 24, S. 585 ff.; AGS 2003, 94); für jede Angelegenheit ist auch gesondert die Frage einer Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG zu beurteilen, ebenso die Anwendung des maßgeblichen Gebührenrechts (§§ 60, 61 RVG); je nach Angelegenheit kann die Höhe der Einigungsgebühren (Nrn. 1000 ff. VV RVG) unterschiedlich sein; der Gegenstandswert ist gesondert festzusetzen, etc. Auch können für die einzelnen Angelegenheiten unterschiedliche Umsatzsteuersätze anzuwenden sein (s. ausf. N. Schneider AGS 2007, 110; NJW 2007, 325, 1035).
K
Wichtig: Die Höhe des Umsatzsteuersatzes richtet sich nicht nach dem Datum der Abrechnung, sondern nach dem Tag der Fälligkeit. Für jede Angelegenheit ist der Umsatzsteuersatz zugrunde zu legen, der zum Zeitpunkt der Fälligkeit galt. Das kann bei Teilfälligkeiten (s. Rz. 22) sogar zu unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen innerhalb derselben Angelegenheit führen.
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– Die Einordnung in verschiedene Angelegenheiten wird vom RVG in zwei Ebenen vorgenommen: So unterteilt das RVG zum einen die zeitlich aufeinander folgenden anwaltlichen Tätigkeiten in verschiedene Angelegenheiten: Beratung, außergerichtliche Vertretung, Mahnverfahren, Rechtsstreit, Berufung, Revision und Zwangsvollstreckung stellen jeweils eigene Angelegenheiten dar, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist. So bilden zB das Verfahren vor und nach Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1 RVG), der Urkundenprozess und das Nachverfahren oder das Verfahren nach Abstandnahme (§ 17 Nr. 5 RVG), das selbständige Beweisverfahren und die Hauptsache jeweils wiederum eigene Angelegenheiten, die – unbeschadet einer eventuellen Gebührenanrechnung – je-
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ZPO
III. Gemeinsame Grundsätze für die Abrechnung
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Kap. 43 Rz. 41
Anwaltsgebühren
weils eigene Gebühren auslösen. Das Gleiche gilt für Beschwerde- oder bestimmte Erinnerungsverfahren (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
41 – Neben diesen sich jeweils aneinander anschließenden Angelegenheiten derselben Sache sind auch mehrere nebeneinander bestehende Angelegenheiten möglich; nämlich dann, wenn der anwaltlichen Tätigkeit unterschiedliche Gegenstände zugrunde liegen. Danach ist von einer Angelegenheit auszugehen, – wenn ein einheitlicher Auftrag vorliegt, – die Tätigkeit des Anwalts sich im gleichen Rahmen hält und – ein innerer Zusammenhang besteht.
42 Wann dies der Fall ist, muss sorgfältig geprüft werden (s. ausf. mit alphabetischer Darstellung AnwKom-RVG/N. Schneider § 15 Rz. 90 ff.). Sicherlich ist diese Frage im Rechtsstreit nicht so erheblich wie bei außergerichtlicher Tätigkeit, da der prozessuale Rechtszug in aller Regel gleichzeitig auch den Rahmen der gebührenrechtlichen Angelegenheit festlegt. Abgrenzungsfragen kommen jedoch auch hier vor: So ist das Erwirken zweier Vollstreckungsbescheide gegen Gesamtschuldner in einem Mahnverfahren nur eine Angelegenheit, die Vollstreckung hieraus löst jedoch zwei Angelegenheiten aus; das Verfahren auf Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit (§ 537 ZPO) kann je nach Fallgestaltung Teil des Berufungsverfahrens sein (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG) oder auch gegenüber dem Berufungsverfahren eine gesonderte Angelegenheit darstellen (s. Rz. 378 ff.). Auch das Einholen der Deckungsschutzanfrage beim Rechtsschutzversicherer ist eine gesonderte Gebührenangelegenheit (OLG Schleswig JurBüro 1979, 1321; LG Berlin BRAGOreport 2001, 43 m. Anm. Hansens; aA OLG München JurBüro 1993, 163). Nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit liegt dagegen vor bei objektiver oder subjektiver Klagenhäufung (BGH NJW-RR 2016, 883 = AGS 2016, 316), Klage und Widerklage, Klage und Drittwiderklage (BGH AGS 2016, 61 = RVGreport 2016, 94). Zur Verbindung und Trennung Rz. 313 ff. 2. Gebühren und Gebührensatz
43 Welche Gebühren angefallen sind, ergibt sich aus den entsprechenden Gebührentatbeständen des Vergütungsverzeichnisses (§ 2 Abs. 2 RVG), Anlage 1 zum RVG. Die Gebührensätze ergeben sich ebenfalls aus den dort aufgelisteten Gebührentatbeständen, gegebenenfalls auch aus Hilfsvorschriften. Für viele Gebühren kommen dabei unterschiedliche Sätze in Betracht (Terminsgebühr 1,2 – Terminsgebühr für ein Versäumnisurteil 0,5; Einigung 1,5 – Einigung bei Anhängigkeit in erster Instanz 1,0 – Einigung bei Anhängigkeit im Berufungsverfahren 1,3). Auch hier ist also besondere Aufmerksamkeit geboten, den zutreffenden Gebührensatz zu ermitteln. Möglich ist insoweit auch, dass eine Gebühr zum Teil nach dem vollen Satz anfällt und zum Teil nach einem reduzierten oder einem erhöhten Satz. Es gilt dann § 15 Abs. 3 RVG (s. Rz. 76 ff.). 3. Gegenstandswert a) Regel
44 Ist der Gebührensatz ermittelt, so ergibt sich die Höhe der jeweiligen Gebühr aus den Beträgen des § 13 Abs. 1 RVG, im Falle der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe bei Werten von über 4.000 Euro aus den Beträgen des § 49 RVG.
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Wichtig: Nach § 49b Abs. 5 BRAO muss der Anwalt den Auftraggeber vor Übernahme des Mandats darauf hinweisen, wenn sich die Gebühren nach dem Gegenstandwert berechnen. Unterlässt der Anwalt diesen Hinweis, macht er sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig (FamRZ 2007, 1322 = MDR 2007, 1046).
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M 43.8
Anwaltsgebühren
Rz. 52 Kap. 43
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Der bloße Hinweis auf Abrechnung nach dem RVG genügt nicht (LG Kiel AGS 2009, 264).
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ZPO
Den Auftraggeber trifft die Beweislast dafür, dass der Rechtsanwalt seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist. Der Anwalt muss allerdings konkret darlegen, in welcher Weise er belehrt haben will (BGH FamRZ 2008, 144 = NJW 2008, 371).
Die Höhe der jeweiligen Beträge sind wiederum von dem Wert der anwaltlichen Tätigkeit abhängig 48 (§ 2 Abs. 1 RVG). Maßgebend ist insoweit nach § 23 Abs. 1 Satz 1, 3 RVG zunächst der für die Gerichtsgebühren geltende Wert. Ist dieser gerichtlich festgesetzt, so ist dies für den Anwalt bindend, soweit sich der Gegenstand seiner Tätigkeit mit der des Gerichts deckt (§ 32 Abs. 1 RVG). Fehlt es an einer gerichtlichen Festsetzung oder deckt sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nicht mit dem gerichtlichen Gegenstand, kann der Anwalt aus eigenem Recht die Festsetzung des Gebührenwertes verlangen (§ 32 Abs. 2 RVG). Ein bezifferter Antrag ist nicht erforderlich. Es genügt, die bloße Festsetzung zu beantragen. Eine Begründung ist ebenfalls nicht erforderlich. Sie bietet sich aber an, wenn der Wert nicht offensichtlich ist und der Anwalt konkrete Wertvorstellungen hat.
M 43.8 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 32 Abs. 2 RVG, § 63 GKG
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An das Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) beantrage ich, den Streitwert auf 50.000 Euro festzusetzen. Begründung: Der Kläger hat vom Beklagten die Löschung der zu seinen Gunsten eingetragenen Auflassungsvormerkung verlangt. Der Wert dieses Antrags ist mangels spezieller Wertvorschriften nach § 48 Abs. 1 GKG iVm. § 3 ZPO zu schätzen. Insoweit ist von einem Bruchteil iHv. einem Viertel des Verkehrswertes auszugehen (OLG Nürnberg NJW 1977, 857). Da das Grundstück dem Beklagten zu einem Preis von 200.000 Euro veräußert worden war, kann von diesem Betrag als Verkehrswert ausgegangen werden, so dass sich der entsprechende Anteil auf 50.000 Euro beläuft. Kosten: Gericht: Gebührenfrei (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: keine Gebühren, da Tätigkeit in eigener Sache; Gegenanwalt durch Gebühren abgegolten (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
Gegen den Festsetzungsbeschluss kann der Anwalt diejenigen Rechtsmittel einlegen, die nach dem GKG vorgesehen sind (§ 32 Abs. 2 RVG). Ein Rechtsmittel ist für ihn allerdings nur zulässig mit dem Antrag, den Streitwert heraufzusetzen, da es anderenfalls an einer Beschwer fehlt.
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Praxistipp: Nach gewonnenem Verfahren ist bei einem Antrag auf Neufestsetzung des Streitwer- 51 tes oder einer Streitwertbeschwerde (vgl. M 43.9) besondere Aufmerksamkeit nötig, wenn das Gericht rückfragt, in wessen Namen der Antrag gestellt oder die Beschwerde eingelegt ist. Die häufig anzutreffende formelhafte Antwort, im Namen der Partei sei selbstverständlich gehandelt, führt zur Zurückweisung des Antrags oder der Beschwerde. Für die Partei selbst besteht grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis auf eine Höherfestsetzung des Streitwertes (Ausnahme bei vereinbarten wertunabhängigen Vergütungen zur Erhöhung des Kostenerstattungsanspruchs – OLG Celle JurBüro 1992, 761; VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 900).
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Wichtig: Eine Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag iHv. 200 Euro übersteigt (§ 32 Abs. 2 RVG iVm. § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG) oder das festsetzende Gericht die Beschwerde zugelassen hat (§ 32 Abs. 2 RVG iVm. § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG).
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Kap. 43 Rz. 53
Anwaltsgebühren
M 43.9
ZPO
Der höhere Streitwert bzw. Verfahrenswert muss also für den Anwalt zu einer Mehrvergütung von mindestens 200,01 Euro führen. Anderenfalls ist die Beschwerde unzulässig, es sei denn, sie ist zugelassen worden.
53 M 43.9 Beschwerde gegen Wertfestsetzung nach § 32 Abs. 2 RVG, § 68 GKG An das Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) lege ich gegen den Streitwertbeschluss der Kammer vom … Beschwerde ein und beantrage, den Streitwert für das Verfahren auf 10.500 Euro festzusetzen. Begründung: Die Kammer hat die Vorschrift des § 45 Abs. 4 GKG übersehen. Gegen die Klageforderung iHv. 7.500 Euro hatte der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer streitigen Gegenforderung iHv. 3.000 Euro erklärt. Ausweislich des vor der Kammer am … protokollierten Vergleichs haben sich die Parteien sowohl über die Klageforderung als auch über die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung des Beklagten verglichen. Der Wert dieser Forderung ist daher nach § 45 Abs. 4 iVm. Abs. 3 GKG dem Wert der Klageforderung hinzuzurechnen (OLG München MDR 1998, 668). Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG). Anwalt: keine Gebühren, da Tätigkeit in eigener Sache; Gegenanwalt: 0,5 Verfahrensgebühr Nr. 3500 VV RVG (N. Schneider AGS 2003, 13); eine Kostenerstattung ist allerdings ausgeschlossen (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).
b) Abweichender Wert für die Anwaltsgebühren
54 Sofern keine Gerichtsgebühren anfallen (etwa bei einem Vergleich im Arbeitsgerichtsprozess – Vorbem. 8 GKG-KostVerz.) oder sich die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit ausnahmsweise nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert richten (so insbesondere bei bloßem Mitverhandeln oder -erörtern nicht anhängiger Ansprüche im Termin oder einem widerrufenen Vergleich – Nr. 3101 Nr. 2, Alt. 2 VV RVG; Nr. 3104 VV RVG), muss das Gericht auf Antrag den Wert für die Anwaltsgebühren selbständig nach § 33 RVG festsetzen (AG Siegburg AGS 2008, 361). Das Gleiche gilt, wenn der für die Gerichtsgebühren geltende Wert an sich zwar maßgebend ist, sich der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit aber mit der gerichtlichen nicht deckt (etwa wenn der Anwalt nur eine Partei vertritt und hinsichtlich dieser nicht der volle Verfahrenswert maßgebend ist). Eine Festsetzung nach § 33 RVG ist ferner dann erforderlich, wenn die Gerichtsgebühren nicht nach dem Wert berechnet werden, sondern feste Beträge vorgesehen sind. Dies kommt im Erkenntnisverfahren allerdings nicht vor, sondern lediglich in bestimmten Vollstreckungs- oder Beschwerdeverfahren, in denen nicht nach Wert abgerechnet wird, sondern in denen Festgebühren gelten, so zB nach Nr. 1810 GKGKostVerz. in Beschwerdeverfahren nach §§ 71 Abs. 2, 91a Abs. 2, 99 Abs. 2 und 269 Abs. 5 ZPO. Dort ist eine Festgebühr iHv. 90 Euro vorgesehen.
55 Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 33 RVG ist formlos möglich und an keine Frist gebunden. Die Vergütung muss allerdings fällig (§ 8 Abs. 1 RVG) sein (§ 33 Abs. 1 RVG). Der Antrag ist solange zulässig, als ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür besteht. Antragsberechtigt sind sowohl der Anwalt als auch der Auftraggeber und die erstattungspflichtige Partei, bei PKH-Bewilligung auch die Staatskasse. Zuständig für die Festsetzung ist das Gericht in der Besetzung, in der es in der Hauptsache entschieden hat.
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Anwaltsgebühren
Rz. 58 Kap. 43
Gegen den Festsetzungsbeschluss des Gerichts kann binnen einer Frist von zwei Wochen (§ 33 Abs. 3 56 Satz 3 RVG) Beschwerde eingelegt werden, sofern der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 200 Euro übersteigt (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG) oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat (§ 33 Abs. 3 Satz 2 RVG). Die begehrte Abänderung der Wertfestsetzung müsste also im Ergebnis zu einer um mindestens 200,01 Euro abweichenden Vergütung führen. Möglich ist die Beschwerde auch gegen erstmalige Festsetzungen des Landgerichts als Berufungs- oder Beschwerdegericht. Eine Beschwerde an ein oberstes Bundesgericht ist dagegen nicht statthaft (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG); auch eine Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO ist insoweit nicht gegeben, selbst wenn sie irrtümlich zugelassen worden ist (BGH AGS 2004, 120; BGHR 2002, 750; 2003, 94; BAG AGS 2003, 318). Gegen die Entscheidung des Landgerichts als Beschwerdegericht kommt gegebenenfalls sogar die weitere Beschwerde in Betracht (§ 33 Abs. 6 RVG).
M 43.10 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG, wenn sich anwaltliche
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Tätigkeit und gerichtliches Verfahren nicht decken An das Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) beantrage ich, gem. § 33 RVG den Wert der anwaltlichen Vergütung für die Vertretung des Beklagten zu 2) auf 3.750 Euro festzusetzen. Begründung: Mit seiner Klage hatte der Kläger Unterlassungsansprüche gegen beide Beklagte geltend gemacht. Insoweit hat die Kammer einen Streitwert von 7.500 Euro festgesetzt, der nicht beanstandet wird. Da der Unterzeichner nicht mit der Vertretung beider Beklagten beauftragt war, sondern nur mit der des Beklagten zu 2), ist für die ihn betreffende Abrechnung nicht der volle Wert maßgebend, sondern nur der Wert, soweit die Unterlassungsansprüche gegen den Beklagten zu 2) gerichtet waren. Da nach dem Vortrag des Klägers beiden Unterlassungsansprüchen gleiches Gewicht zukommen soll, wird beantragt, den Wert für den gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Unterlassungsanspruch auf die Hälfte des Gesamtwertes festzusetzen. Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: keine zusätzlichen Gebühren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
M 43.11 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG, bei bloßem Verhandeln nicht anhängiger Ansprüche An das Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) beantrage ich, gem. § 33 RVG den Wert der anwaltlichen Vergütung für das Mitverhandeln weitergehender Ansprüche im Termin von … auf 1.860 Euro festzusetzen. Begründung: Mit seiner Klage hatte der Kläger auf Räumung einer Lagerhalle geklagt. Im Termin vom … sind Vergleichsverhandlungen geführt worden. Dabei ist auch über die streitige nicht anhängige Betriebskostennachforderung des Jahres 2013 iHv. 1.860 Euro verhandelt worden, da diese im Falle eines Vergleichs mit erledigt werden sollte.
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ZPO
M 43.11
ZPO
Kap. 43 Rz. 59
Anwaltsgebühren
M 43.12
Auch wenn es zum Abschluss eines Vergleichs nicht gekommen ist, sind aus dem Mehrwert für den Anwalt Gebühren entstanden (Nr. 3101 Nr. 2, 2. Var.; Nr. 3104 iVm. Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG). Zur Abrechnung dieser weiteren Vergütung bitten wir um Wertfestsetzung. Der Mehrwert beläuft sich auf 1.860 Euro, da die gesamte Nebenkostennachforderung zwischen den Parteien streitig war. Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: keine zusätzlichen Gebühren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG).
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Wichtig: Damit später der Nachweis geführt werden kann, dass vor Gericht auch über nicht anhängige Gegenstände verhandelt bzw. erörtert worden ist, und das Gericht später auch in der Lage ist, dafür einen Wert festzusetzen, sollte der Anwalt unbedingt darauf achten, dass die Verhandlungen über die nicht anhängigen Gegenstände im Protokoll festgehalten werden.
60 M 43.12 Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG bei Festgebühren im
gerichtlichen Verfahren An das Landgericht1 … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) beantrage ich, gem. § 33 RVG den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren auf 1.860 Euro festzusetzen. Begründung: Der Kläger hatte sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss nach § 91a ZPO gewandt, mit dem ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt worden waren; er hatte beantragt, die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen. In diesem Beschwerdeverfahren ist für die Gerichtsgebühren nach Nr. 1810 GKG-KostVerz. eine Festgebühr iHv. 90 Euro vorgesehen, so dass eine Wertfestsetzung nach § 63 GKG unterblieben ist. Da sich die Anwaltsgebühren (Nr. 3500 VV RVG) jedoch nach dem Gegenstandswert berechnen (§ 2 Abs. 1 RVG), ist insoweit eine Festsetzung nach § 33 RVG erforderlich. Die Höhe des Gegenstandswertes richtet sich nach dem Interesse des Beschwerdeführers (§ 23 Abs. 2 Satz 2 iVm. Abs. 3 Satz 2 RVG). Das Interesse des Beschwerdeführers richtet sich hier nach seiner Kostenbelastung, die er beseitigt wissen will. Zu berücksichtigen sind daher die eigenen Anwaltskosten des Klägers (ca. 600 Euro), die zu erstattenden Kosten des Beklagten (ebenfalls rund 600 Euro) sowie die Gerichtskosten (660 Euro), so dass sich ein Gesamtinteresse und damit ein Gegenstandswert iHv. 1.860 Euro ergibt. Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: keine zusätzlichen Gebühren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG). 1 Zuständig ist das Beschwerdegericht, das über die Beschwerde entschieden hat.
61 M 43.13 Zusatzantrag auf Wertfestsetzung nach § 33 RVG in Beschwerdeverfahren
nach §§ 71 Abs. 2, 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 5 ZPO Des Weiteren wird beantragt, mit Erlass der Beschwerdeentscheidung, bei Rücknahme der Beschwerde, Ruhen des Verfahrens von mehr als drei Monaten oder anderweitiger Erledigung des Verfahrens gem. § 33 RVG den Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens festzusetzen.
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Rz. 65 Kap. 43
M 43.14 Beschwerde gegen Wertfestsetzung nach § 33 RVG
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An das Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) lege ich gegen den Streitwertbeschluss der Kammer vom … Beschwerde ein und beantrage, den Streitwert für das Verfahren auf 3.750 Euro festzusetzen. Begründung: (wie M 43.12). Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1812 KV GKG, soweit Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; bei teilweiser Verwerfung oder Zurückweisung Ermäßigung nach Ermessen des Gerichts (Anm. zu Nr. 1812 KV GKG). Anwalt: keine Gebühren, da Tätigkeit in eigener Sache; Gegenanwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG (N. Schneider AGS 2003, 13); eine Kostenerstattung ist allerdings ausgeschlossen (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).
4. Gebührenbetrag Stehen die Gebührensätze und die jeweiligen Gegenstandswerte fest, so ergeben sich die Gebührenbeträge aus den in § 13 Abs. 1 RVG genannten Tabellen-Beträgen, die in der Anlage 2 des RVG (Anlage zu § 13 RVG) bis zu einem Gegenstandswert von 500.000 Euro einzeln ausgewiesen sind. Diese Tabellen-Beträge sind mit dem jeweiligen Gebührensatz zu multiplizieren. Gegebenenfalls sind die sich ergebenden Beträge ab 0,5 Cent auf volle Cent aufzurunden, im Übrigen abzurunden (§ 2 Abs. 2 Satz 2 RVG). Der Mindestbetrag einer Gebühr beläuft sich auf 15 Euro (§ 13 Abs. 2 RVG).
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Soweit der Anwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet ist, richten sich die Gebührenbeträge bei Gegenstandswerten von über 4.000 Euro nach den Beträgen des § 49 RVG.
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5. Mehrere Auftraggeber a) Überblick Vertritt der Anwalt in derselben Angelegenheit mehrere Auftraggeber, so kann er die Gebühren nur einmal abrechnen (§§ 7 Abs. 1; 15 Abs. 2 RVG). Soweit verschiedene Gegenstände mehrerer Auftraggeber zugrunde liegen, ändert sich an der Höhe des Gebührensatzes nichts; es werden lediglich die Werte der einzelnen Gegenstände zusammengerechnet (§ 23 Abs. 1 RVG iVm. den Vorschriften des GKG, insb. § 39 Abs. 1 GKG, ansonsten nach § 22 RVG). Die Auftraggeber haften dann anteilig für die Gebühr (§ 7 Abs. 2 RVG), wobei allerdings zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Behandlung der Streitgegenstände unterschiedliche Gebühren ausgelöst haben können. Vertritt der Anwalt dagegen mehrere Auftraggeber wegen desselben Gegenstands, werden wegen wirtschaftlicher Identität die Werte nicht addiert; stattdessen werden bestimmte Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG erhöht.
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M 43.14
Kap. 43 Rz. 66
M 43.15
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b) Erhöhung bei gemeinschaftlicher Beteiligung
66 Soweit der Anwalt für mehrere Auftraggeber gemeinschaftlich tätig wird, also hinsichtlich desselben Gegenstandes, erhöht sich gem. Nr. 1008 VV RVG die jeweilige Geschäfts- oder Verfahrensgebühr für jeden zusätzlichen Auftraggeber um 0,3, höchstens um 2,0.
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Wichtig: Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung gibt es keine selbständige Erhöhungsgebühr, sondern nur erhöhte Gebühren (KG KGR Berlin 2008, 968 = AGS 2009, 4; LG Düsseldorf AGS 2007, 381 = MDR 2007, 1164; LG Saarbrücken AGS 2009, 315). Es ist daher falsch, eine Erhöhungsgebühr gesondert auszuweisen.
68 Der Umfang der Erhöhung beträgt 0,3 für jeden weiteren Auftraggeber. Erhöht wird stets um 0,3 unabhängig davon, wie hoch die Ausgangsgebühr ist.
69 Insgesamt darf höchstens um 2,0 erhöht werden, so dass zB bei einer Ausgangsgebühr von 0,3 maximal eine Gebühr von insgesamt 2,3 entstehen kann, bei 1,0 iHv. 3,0 und bei 1,3 von 3,3.
70 Umstritten ist die Gebührenberechnung, wenn die verschiedenen Auftraggeber am Gesamtstreitwert unterschiedlich beteiligt sind. Dieser Sachverhalt tritt häufig in Haftpflichtprozessen auf, wenn eine Widerklage erhoben wird, um den Fahrer des gegnerischen Fahrzeugs als Zeugen auszuschalten. Nach zutreffender Auffassung erhält der Anwalt eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Gegenstände, an denen keine gemeinschaftliche Beteiligung vorliegt, und eine nach Nr. 1008 VV RVG erhöhte Verfahrensgebühr aus dem Wert der gemeinschaftlichen Beteiligung; diese Gebühren dürfen jedoch gem. § 15 Abs. 3 RVG den Betrag einer nach dem höchsten Satz berechneten Gebühr aus dem Gesamtwert nicht übersteigen (AG Augsburg AGS 2008, 434 = DAR 2008, 673 m. Anm. N. Schneider = NJWSpezial 2008, 636 = VRR 2008, 479; LG Saarbrücken AGS 2012, 56 = DAR 2012, 177; LG Bonn AGS 1994, 115 = Rpfleger 1995, 384; AnwKom-RVG/N. Schneider § 15 Rz. 225 ff. mwN; ausf. N. Schneider BRAGOreport 2000, 21; N. Schneider ProzRB 2003, 130).
71 M 43.15 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührenansätzen Klage des Fahrzeughalters gegen gegnerischen Halter, Fahrer und Versicherer auf Schadensersatz iHv. 10.000 Euro; Widerklage des beklagten Halters gegen den Kläger, dessen Fahrer und Versicherer über 7.000 Euro. I. Abrechnung Kläger- und Widerbeklagtenvertreter 1. 2.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 12.000 Euro) 1,9-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 7.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,9 aus 19.000 Euro
785,20 Euro 769,50 Euro 1.322,40 Euro
II. Abrechnung Beklagten- und Widerklägervertreter 1. 2.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 7.000 Euro) 1,9-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 12.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,9 aus 19.000 Euro
526,50 Euro 1.147,60 Euro 1.322,40 Euro
c) Haftung des einzelnen Auftraggebers
72 Jeder Auftraggeber schuldet dem Anwalt diejenigen Gebühren, die er schulden würde, wenn der Anwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden wäre (§ 7 Abs. 2 Satz 1 RVG). Wird der Anwalt gemeinschaftlich beauftragt, so schulden die Auftraggeber die Vergütung als Gesamtschuldner, allerdings begrenzt nach § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG, also nicht auch die Erhöhung (s. auch das Muster einer Vergütungsklage bei unterschiedlicher Beteiligung mehrerer Auftraggeber, M 43.107).
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Anwaltsgebühren
Rz. 75 Kap. 43
M 43.16 Abrechnung Haftung des einzelnen Auftraggebers
73
A und B werden iHv. 2.500 Euro als Gesamtschuldner verklagt, der A darüber hinaus auf weitere 5.000 Euro. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil. I. Haftung des A 1. 2. 3.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Gesamt
592,80 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 1.160,00 Euro
II. Haftung des B 1. 2. 3.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 2.500 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 2.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Gesamt
261,30 Euro 241,20 Euro 20,00 Euro 522,50 Euro
III. Insgesamt darf der Anwalt nur berechnen 1. 2.
1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 2.500 Euro) 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 5.000 Euro)
321,60 Euro 393,90 Euro
(die Höchstgrenze gem. § 15 Abs. 3 RVG: 1,6 aus 7.500 Euro = 729,60 Euro ist nicht überschritten) 3. 4.
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Gesamt
547,20 Euro 20,00 Euro 1.282,70 Euro
Soweit mehrere Auftraggeber auch gemeinsam zahlen, reicht es aus, ihnen die Gesamtrechnung zu- 74 kommen zu lassen. So werden Eheleute in aller Regel keinen Wert darauf legen, dass ihnen der Anwalt erläutert, inwieweit der einzelne Ehegatte im Innenverhältnis haftet, da sie ohnehin aus einer Kasse zahlen. Auch die Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft werden keinen Wert auf getrennte Rechnungen legen; im Gegenteil werden sie eine auf die Erbengemeinschaft ausgestellte Rechnung wünschen, da die Rechnung aus dem Nachlass beglichen werden soll. Das Gleiche gilt, wenn feststeht, dass einer der Auftraggeber die gesamte Rechnung bezahlt (etwa bei Haftpflichtversicherern). Falls der Anwalt allerdings die Festsetzung betreiben oder gar klagen muss, ist eine Aufteilung erforderlich (s. M 43.107). Ist zu erwarten, dass die verschiedenen Auftraggeber getrennt zahlen, so sollte von jedem zunächst nur derjenige Betrag angefordert werden, für den er letztlich auch haftet. Damit werden Doppelzahlungen und unnötiger Aufwand vermieden. Um die Haftung des Einzelnen insoweit zu ermitteln, ist zunächst zu prüfen, ob für bestimmte Gebühren oder Auslagen einer der Auftraggeber allein haftet, weil der Gebühren- oder Auslagentatbestand nur für ihn allein angefallen ist. Alsdann sind die übrigen Gebühren und Auslagen zu verteilen, und zwar nach den anteiligen Gegenstandswerten, an denen der einzelne Auftraggeber hieran beteiligt ist. Sind mehrere Positionen nach derselben Quote zu berechnen, ist es einfacher, die Positionen zunächst zu addieren und dann erst zu quotieren.
M 43.17 Abrechnung Haftung des einzelnen Auftraggebers unter
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Berücksichtigung des Innenverhältnisses A und B werden iHv. 2.500 Euro als Gesamtschuldner verklagt, der A darüber hinaus auf weitere 5.000 Euro. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil. Hinsichtlich der Gesamtschuld soll von einer hälftigen Haftung im Innenverhältnis ausgegangen werden.
Schneider 745
ZPO
M 43.17
Kap. 43 Rz. 76
M 43.17
Anwaltsgebühren
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I. Anteil des A 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) 1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 2.500 Euro) hiervon 1/2 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) hiervon 1/2 Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG hiervon 1/2 Gesamt
393,90 Euro 321,60 Euro 160,80 Euro 547,20 Euro 273,60 Euro 20,00 Euro 10,00 Euro 838,30 Euro
II. Haftung des B 1. 2. 3.
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 2.500 Euro) hiervon 1/2 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) hiervon 1/2 Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG hiervon 1/2 Gesamt
321,60 Euro 160,80 Euro 547,20 Euro 273,60 Euro 20,00 Euro 10,00 Euro 444,40 Euro
III. Insgesamt darf der Anwalt nur berechnen 1. 2. 3. 4. IV.
1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 2.500 Euro) 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) (die Höchstgrenze gem. § 15 Abs. 3 RVG [1,6 aus 7.500 Euro =] 729,60 Euro ist nicht überschritten) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Gesamt Kontrolle: Gesamtbetrag I + II (838,30 Euro + 444,40 Euro =)
321,60 Euro 393,90 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 1.282,70 Euro 1.282,70 Euro
6. Gebührenbegrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG
76 In derselben Sache können die Gebühren zwar nur einmal anfallen (§ 15 Abs. 2 RVG), jedoch kann eine Gebühr aus verschiedenen Teilwerten nach unterschiedlichen Gebührensätzen entstehen. Dies ist insbesondere bei Mehrwertvergleichen der Fall. Unterschiedliche Gebührensätze sind auch möglich, wenn zunächst ein Versäumnisurteil ergeht und später nur noch über einen Teil verhandelt wird (Nrn. 3104, 3105 VV RVG) oder bei bloßer Miterörterung nicht anhängiger Ansprüche im Rechtsstreit (Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG). Es sind dann zunächst alle Gebühren aus den Teilwerten unabhängig voneinander zu berechnen. Alsdann ist das Gesamtaufkommen nach § 15 Abs. 3 RVG ggf. auf eine Gebühr nach dem höchsten angefallenen Gebührensatz aus dem Gesamtwert aller Teilgebühren zu reduzieren.
77 Eine zutreffende Berechnung ist insoweit wiederum nur möglich, wenn man zunächst die einzelnen Teilgebühren ausrechnet. Dies sollte man zweckmäßigerweise auch in der Kostenrechnung so niederschreiben. Es erleichtert zum einen das Verständnis; zum anderen ermöglicht es, eventuelle spätere Änderungen des Gegenstandswertes oder andere Abweichungen zu berücksichtigen. Abgesehen davon ist die Trennung unerlässlich, wenn die Rechnung zur Kostenfestsetzung angemeldet wird und für die einzelnen Auftraggeber unterschiedliche Erstattungsquoten gelten. Erst nach Berechnung der Einzelgebühren sollte man die Begrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG auswerfen. Empfehlenswert ist es insoweit, auch optisch darzustellen, dass es sich bei den Gebühren aus den Teilwerten nur um Berechnungspositionen einer später folgenden Gesamtgebühr handelt, etwa durch eine Einrückung.
746
Schneider
Rz. 84 Kap. 43
Anwaltsgebühren
M 43.18 Abrechnung bei unterschiedlichen Gebührensätzen
78
Klage iHv. 5.000 Euro; in der mündlichen Verhandlung wird über weitere nicht anhängige Forderung iHv. 3.000 Euro erörtert; eine Einigung kommt jedoch nicht zustande. 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 3.000 Euro) (die Höchstgrenze gem. § 15 Abs. 3 RVG [1,3 aus 8.000 Euro =] 592,80 Euro ist nicht überschritten) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt Gesamt
393,90 Euro 160,80 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 1.121,90 Euro 213,16 Euro 1.335,06 Euro
7. Anrechnung Für die zeitlich aufeinander folgenden verschiedenen Angelegenheiten sieht das RVG in den meisten Fällen vor, dass die jeweilige Betriebsgebühr der vorangegangenen Angelegenheit auf die Betriebsgebühr der nachfolgenden Angelegenheit anzurechnen ist (zB in Anm. zu Nr. 2100 VV RVG, Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG Vorbem. 3 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6 VV RVG; Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG oder auch in § 34 Abs. 2 RVG). Anzurechnen sind allerdings nur die jeweiligen Betriebsgebühren, also Beratungsgebühr, Geschäftsgebühr oder Verfahrensgebühr. Andere Gebühren werden grundsätzlich nicht aufeinander angerechnet. So werden insbesondere Terminsgebühren grundsätzlich nicht aufeinander oder auf andere Gebühren einer nachfolgenden Angelegenheit angerechnet (Ausnahme Anm. Abs. 4 zu Nr. 3104 VV RVG).
79
Grundsätzlich wird in voller Höhe angerechnet. Lediglich die außergerichtliche Geschäftsgebühr wird 80 nur hälftig angerechnet, höchstens mit 0,75 (Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG; Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG). Auslagen werden ebenfalls nicht angerechnet. Der Anwalt kann in jeder Angelegenheit seine Auslagen erneut berechnen. Das gilt auch dann, wenn sie gem. Nr. 7002 VV RVG als Pauschale erhoben werden (BGH AGS 2004, 343 m. Anm. N. Schneider; LG Essen JurBüro 2002, 246; ausf. N. Schneider ZAP Fach 24, S. 585 ff.; N. Schneider AGS 2003, 94).
81
K
82
Wichtig: Die Anrechnung der Gebühren hat keinen Einfluss auf die Höhe der Auslagen, da sich die Pauschale nach dem Gebührenaufkommen vor Anrechnung ermittelt (LG Essen JurBüro 2002, 246; AG Miesbach NJW-RR 1997, 1431; N. Schneider ZAP Fach 24, S. 585 ff.; N. Schneider AGS 2003, 94). Dies dürfte aufgrund des § 15a Abs. 1 RVG nicht mehr in Zweifel zu ziehen sein.
Eine Gebühr ist nur dann anzurechnen, wenn der Anwalt die anzurechnende Vergütung erhalten hat 83 (§ 15a Abs. 1 RVG). Erhebt der Mandant zB wegen der Vergütung für die vorgerichtliche Tätigkeit zu Recht die Einrede der Verjährung, so braucht sich der Anwalt die Geschäftsgebühr nicht auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits anrechnen zu lassen. Das Gleiche gilt, wenn er die vorgerichtlichen Gebühren etwa wegen fehlerhafter Sachbehandlung nicht einfordern kann. Nicht anzurechnen sind vereinbarte Vergütungen, da es insoweit keine Anrechnungsvorschriften gibt. Insbesondere ist eine anstelle der Geschäftsgebühr vereinbarte Vergütung nicht – auch nicht in analoger Anwendung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV – anzurechnen (BGH AGS 2009, 523 = MDR 2009, 1417).
Schneider 747
84
ZPO
M 43.18
Kap. 43 Rz. 85
M 43.19
Anwaltsgebühren
ZPO
85 Erfahrungsgemäß bereitet die Gebührenberechnung in Anrechnungsfällen in der Praxis Schwierigkeiten. Probleme ergeben sich insbesondere dann, wenn sich die aufeinander anzurechnenden Gebühren nach unterschiedlichen Sätzen und/oder unterschiedlichen Gegenstandswerten berechnen.
86 K
Praxistipp: Auch wenn der neue § 15a RVG dem Anwalt jetzt ein Wahlrecht einräumt (§ 15a Abs. 1 RVG), welche Gebühr er kürzt, sollte er im Verhältnis zum Auftraggeber stets die in der vorangegangenen Angelegenheit angefallene Gebühr voll abrechnen. In der nachfolgenden Tätigkeit sollte er dann die Gebühr, auf die anzurechnen ist, zunächst ermitteln und abrechnen. Erst danach ist die Anrechnung vorzunehmen, und zwar ist – ähnlich wie eine Vorschusszahlung – derjenige Betrag in Abzug zu bringen, der sich nach dem Gebührensatz der vorangegangenen Angelegenheit ergibt, und zwar aus dem Wert derjenigen Gegenstände, die beiden Angelegenheiten gemeinsam sind. Zulässig wäre es aber auch, umgekehrt anzurechnen.
87 M 43.19 Abrechnung in Anrechnungsfällen, Mahnverfahren – Rechtsstreit Der Anwalt ist zunächst beauftragt, eine Forderung iHv. 8.000 Euro im Mahnverfahren geltend zu machen. Nach Widerspruch wird das streitige Verfahren durchgeführt und mündlich verhandelt. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
456,00 Euro 20,00 Euro 476,00 Euro 90,44 Euro 566,44 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu 3305 VV RVG, 1,0-Gebühr aus 8.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro – 456,00 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 704,00 Euro 133,76 Euro 837,76 Euro
88 Ist der Gegenstandswert der nachfolgenden Angelegenheit geringer, wird die vorangegangene Gebühr nur angerechnet, soweit sie nach dem reduzierten Wert angefallen wäre.
89 M 43.20 Abrechnung in Anrechnungsfällen, Mahnverfahren – Rechtsstreit
unterschiedlicher Gegenstandswert Der Anwalt ist zunächst außergerichtlich beauftragt, eine Forderung iHv. 8.000 Euro im Mahnverfahren geltend zu machen. Nach Einspruch wird das streitige Verfahren nur noch wegen einer Teilforderung iHv. 4.000 Euro durchgeführt und mündlich verhandelt. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
748
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
Schneider
456,00 Euro 20,00 Euro 476,00 Euro 90,44 Euro 566,44 Euro
M 43.22
Rz. 93 Kap. 43
Anwaltsgebühren
II. Streitiges Verfahren:
5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 4.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu 3305 VV RVG, 1,0-Gebühr aus 4.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 4.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
327,60 Euro – 252,00 Euro 302,40 Euro 20,00 Euro
ZPO
1. 2. 3. 4.
398,00 Euro 75,62 Euro 473,62 Euro
Die Geschäftsgebühr wird im Gegensatz zu anderen Gebühren nur zur Hälfte angerechnet. Darüber hinaus ist hier die Anrechnung auf einen Gebührensatz von 0,75 beschränkt (Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG).
90
M 43.21 Abrechnung in Anrechnungsfällen, außergerichtliche Vertretung –
91
Rechtsstreit Der Anwalt ist zunächst außergerichtlich beauftragt, eine Forderung iHv. 8.000 Euro geltend zu machen. Die Sache ist äußerst umfangreich, schwierig und von besonderer Bedeutung, so dass ein Satz von 2,0 angemessen ist. Anschließend wird Klage erhoben und mündlich verhandelt. I. Außergerichtliche Vertretung: 1. 2. 3.
2,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
912,00 Euro 20,00 Euro 932,00 Euro 177,08 Euro 1.109,08 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75-Gebühr aus 8.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro – 342,00 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 818,00 Euro 155,42 Euro 973,42 Euro
Ist der Gegenstandswert der nachfolgenden Angelegenheit geringer, wird die vorangegangene Gebühr nur nach dem Wert angerechnet, der in das gerichtliche Verfahren übergangen ist. Für die Geschäftsgebühr ist dies ausdrücklich geregelt in Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 5 VV RVG.
92
M 43.22 Abrechnung in Anrechnungsfällen, außergerichtliche Vertretung –
93
Rechtsstreit unterschiedlicher Gegenstandswert Der Anwalt ist zunächst außergerichtlich beauftragt, eine Forderung iHv. 8.000 Euro geltend zu machen. Die Tätigkeit war weder schwierig noch umfangreich, so dass lediglich 1,3 abgerechnet werden können (Anm. zu Nr. 2300 VV RVG). Anschließend wird Klage nur wegen einer Teilforderung iHv. 4.000 Euro erhoben und darüber mündlich verhandelt.
Schneider 749
Kap. 43 Rz. 94
M 43.22
Anwaltsgebühren
ZPO
I. Außergerichtliche Vertretung: 1. 2. 3.
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
592,80 Euro 20,00 Euro 612,80 Euro 116,43 Euro 729,23 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 4.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu 3305 VV RVG, 0,65-Gebühr aus 4.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 4.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
327,60 Euro – 163,80 Euro 302,40 Euro 20,00 Euro 486,20 Euro 92,38 Euro 578,58 Euro
IV. Vergütung im erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren 1. Vorbemerkung
94 Die Vergütung des Anwalts im erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren richtet sich nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses. Die erstinstanzlichen Gebühren sind in Abschnitt 1 (Nrn. 3100 ff. VV RVG) geregelt. Auch hier muss sich der Anwalt zunächst klar werden, in welchen Angelegenheiten er gebührenrechtlich tätig geworden ist. Der prozessuale Begriff des Rechtszugs ist keineswegs mit dem gebührenrechtlichen Begriff identisch. So liegen zB verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten vor bei Urkunden-, Scheck- oder Wechselprozess und Nachverfahren (§ 17 Nr. 5 RVG), bei Verfahren vor und nach Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1 RVG). Auch das selbständige Beweisverfahren und der Hauptsacheprozess sind nach dem RVG (im Gegensatz zur BRAGO) besondere Angelegenheiten und daher gesondert abzurechnen. 2. Gebühren des Verfahrensbevollmächtigten
95 Die Gebühren nach Nrn. 3100 ff. VV RVG gelten nur für den Verfahrensbevollmächtigten, also den Anwalt, der mit der Vertretung im gesamten Verfahren beauftragt worden ist. Nicht ausreichend ist, dass der Anwalt lediglich mit Einzeltätigkeiten, etwa nur mit einer Terminswahrnehmung oder mit einzelnen Schriftsatzentwürfen oÄ, beauftragt wurde. Die Vorschriften der Nrn. 3100 ff. VV RVG gelten zunächst einmal für den Prozessbevollmächtigten einer der Parteien oder eines Nebenintervenienten. Darüber hinaus sind sie nach Vorbem. 3 Abs. 1 VV RVG aber auch anzuwenden für den Beistand eines Zeugen oder Sachverständigen. a) Verfahrensgebühr aa) Abgeltungsbereich
96 Die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) ist im Rechtsstreit diejenige Gebühr, die der Anwalt für das Betreiben des Verfahrens einschließlich der Information erhält (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG). Abgegolten werden durch die Verfahrensgebühr sämtliche Tätigkeiten, die mit dem Betreiben des Prozesses zusammenhängen – ausgenommen die gesondert vergüteten Tätigkeiten für die Teilnahme an Terminen iS der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG sowie der Abschluss einer Einigung. Zum Abgeltungsbereich zählen insbesondere die in §§ 16 und 19 RVG aufgezählten Tätigkeiten, wie zB das Verfahren über die Prozesskostenhilfe (§ 16 Nr. 2 RVG), das Kostenfestsetzungsverfahren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 RVG), außergerichtliche Verhandlungen, sofern sie schriftsätzlich geführt werden (§ 19 Abs. 1 750
Schneider
M 43.23
Anwaltsgebühren
Rz. 100 Kap. 43
ZPO
Satz 2 Nr. 2 RVG), das Verfahren auf Bestimmung des zuständigen Gerichts (§ 16 Nr. 3a RVG), Schriftwechsel und Besprechungen mit dem Auftraggeber, dem Gegner und dem Gericht, die laufende Beratung des Mandanten, die Sammlung des Prozessstoffes, die gesamte Vorbereitung der Klage (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG) etc. Die Tätigkeit im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens wird dagegen nicht mehr durch die Prozessgebühr des Erkenntnisverfahrens mit abgegolten. Das selbständige Beweisverfahren ist eine eigene Angelegenheit iS des § 15 RVG. bb) Gebührenhöhe (1) Volle Verfahrensgebühr
97
Die Verfahrensgebühr beläuft sich nach Nr. 3100 VV RVG grundsätzlich auf 1,3.
Vertritt der Anwalt mehrere Auftraggeber, so erhöht sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV 98 RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber, soweit der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist (Anm. Abs. 1 zu Nr. 1008 VV RVG; s. Rz. 65 ff.), höchstens um 2,0. Vertritt der Anwalt mehrere Auftraggeber und liegen jeweils eigene Gegenstände zugrunde, so greift nicht Nr. 1008 VV RVG. Vielmehr sind dann die Gegenstandswerte der einzelnen Gegenstände nach § 23 Abs. 1 RVG iVm. § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.
M 43.23 Berechnung der Verfahrensgebühr bei mehreren Auftraggebern
99
A und B verklagen ihre Geschwister C und D (in ungeteilter Erbengemeinschaft) auf Zahlung eines Pflichtteils iHv. jeweils 10.000 Euro. Sowohl A und B als auch C und D werden jeweils durch einen Anwalt vertreten. I. Anwalt der Kläger Für den gemeinsamen Anwalt von A und B greift Nr. 1008 VV RVG nicht, da jeder Kläger einen eigenen Anspruch geltend macht. Es gilt somit § 23 Abs. 1 RVG iVm. § 39 Abs. 1 GKG. Der Anwalt von A und B erhält insgesamt: 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 20.000 Euro)
964,60 Euro
II. Anwalt der Beklagten Der Anwalt des C und D vertritt dagegen mehrere Auftraggeber gemeinschaftlich, da jeder Miterbe auf die Erfüllung der vollen Pflichtteilsansprüche haftet. Die Erbengemeinschaft ist keine eigene Rechtspersönlichkeit, so dass die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG hier nicht greift (BGH AGS 2004, 278 m. Anm. Onderka). Der Gegenstandswert beläuft sich auch hier auf 20.000 Euro, da jeder der Miterben in dieser Höhe in Anspruch genommen wird. Der Anwalt von C und D erhält 1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert: 20.000 Euro)
1.187,20 Euro
Problematisch ist die Berechnung der Verfahrensgebühr, wenn mehrere Auftraggeber unterschiedlich beteiligt sind, wenn sie also hinsichtlich eines Teils der Streitgegenstände gemeinschaftlich beteiligt sind und hinsichtlich anderer Streitgegenstände nur einzeln. Hier ist zutreffenderweise aus dem Teilwert der gemeinschaftlichen Gegenstände die nach Nr. 1008 VV RVG erhöhte Verfahrensgebühr zu berechnen und aus dem Teilwert der einzelnen Beteiligungen die einfache Gebühr. Hiernach ist dann das Gebührenaufkommen nach § 15 Abs. 3 RVG zu begrenzen (AG Augsburg AGS 2008, 434 = DAR 2008, 673 m. Anm. N. Schneider = NJW-Spezial 2008, 636; LG Saarbrücken AGS 2012, 56 = DAR 2012, 177; LG Bonn AGS 1994, 115 = Rpfleger 1995, 384; AnwKom-RVG/N. Schneider § 15 Rz. 215 ff. mwN; ausf. N. Schneider BRAGOreport 2000, 21; N. Schneider ProzRB 2003, 130).
Schneider 751
100
ZPO
Kap. 43 Rz. 101
M 43.24
Anwaltsgebühren
101 M 43.24 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen Klage des Fahrzeugeigentümers auf Schadensersatz iHv. 12.000 Euro; Widerklage des beklagten Halters gegen den Kläger, dessen Fahrer und Versicherer über 7.000 Euro. Der Anwalt des Klägers rechnet wie folgt: 1. 2.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 12.000 Euro) 1,9-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 7.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine 1,9-Gebühr aus 19.000 Euro
785,20 Euro 769,50 Euro 1.322,40 Euro
(2) Ermäßigte Verfahrensgebühr
102 Der Anwalt erhält lediglich eine auf 0,8 ermäßigte Verfahrensgebühr in den Fällen der Nr. 3101 VV RVG.
103 – Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG Nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG erhält der Anwalt lediglich eine reduzierte Verfahrensgebühr iHv. 0,8, wenn sich der Auftrag vorzeitig erledigt, (also wenn es nicht mehr zur Einreichung der Klage, der Einreichung eines Schriftsatzes mit Sachanträgen, Sachvortrag oder Antragsrücknahme oder der Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins kommt).
104 M 43.25 Abrechnung Verfahrensgebühr bei vorzeitiger Erledigung Der Anwalt erhält den Auftrag, eine Klage über 10.000 Euro einzureichen. Er entwirft die Klageschrift. Diese wird jedoch nicht mehr eingereicht, da sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt. 1. 2. 3.
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV (Wert: 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV Gesamt
446,40 Euro 20,00 Euro 466,40 Euro 88,62 Euro 555,02 Euro
105 – Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG Darüber hinaus erhält der Anwalt nach Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG auch dann die ermäßigte 0,8-Verfahrensgebühr, wenn beantragt wird, eine Einigung der Parteien oder mit Dritten über nicht anhängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen oder nach § 278 Abs. 6 ZPO feststellen zu lassen. Bei dieser Konstellation entsteht die ermäßigte Verfahrensgebühr in aller Regel nur neben einer vollen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG aus dem Wert der anhängigen Ansprüche, so dass hier wiederum § 15 Abs. 3 RVG zu berücksichtigen ist. Der Anwalt darf nicht mehr erhalten als eine 1,3-Gebühr aus dem Gesamtwert.
106 K
752
Wichtig: Entgegen einer häufig anzutreffenden Ansicht ist der Abschluss einer Einigung für den Tatbestand der Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG nicht erforderlich. Es genügt vielmehr der bloße Antrag auf Protokollierung. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass die protokollierte Einigung bestandskräftig wird, da Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG nur auf die Protokollierung abstellt (zur vergleichbaren früheren Regelung des § 32 Abs. 2 BRAGO: OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 70; OLG Frankfurt JurBüro 1979, 1664). Werden zB in eine Einigung nicht anhängige Ansprüche mit einbezogen und wird anschließend die Einigung aufgrund eines Widerrufsvorbehaltes widerrufen, so bleibt die Protokollierungsgebühr der Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG bestehen. Eine der in Anm. zu Abs. 3 zu Nr. 1000 VV RVG vergleichbare Regelung fehlt hier. Es ist sogar noch nicht einmal erforderlich, dass die Einigung tatsächlich auch protokolliert wird. Bereits der Antrag löst die 0,8-Gebühr aus. Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 110 Kap. 43
M 43.26 Einigung unter Protokollierung nicht anhängiger Gegenstände
107
In einem Rechtsstreit über 10.000 Euro einigen sich die Parteien unter Mitwirkung ihrer Anwälte über die Klageforderung und protokollieren weitergehende nicht anhängige 5.000 Euro, über die die Parteien sich selbst geeinigt hatten, so dass der Anwalt nicht an der Einigung, sondern nur an der Protokollierung beteiligt war. Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich aus den weiteren 5.000 Euro auf 0,8 (Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG). Eine Terminsgebühr aus dem Mehrwert fällt nicht an (Anm. Abs. 3 zu Nr. 3104 VV RVG). Auch die Einigungsgebühr entsteht nur aus 10.000 Euro. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 15.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro 242,40 Euro 845,00 Euro 669,60 Euro 558,00 Euro 20,00 Euro 2.092,60 Euro 397,59 Euro 2.490,19 Euro
108
– Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 2 VV RVG Darüber hinaus erhält der Anwalt die ermäßigte 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 2 RVG, wenn Verhandlungen vor Gericht zur Einigung über nicht anhängige Ansprüche geführt werden. Auch hier ist wiederum § 15 Abs. 3 RVG zu berücksichtigen.
M 43.27 Einigungsverhandlungen über nicht anhängige Gegenstände im Termin –
109
ohne Erfolg In einem Rechtsstreit über 10.000 Euro versuchen die Parteien unter Mitwirkung ihrer Anwälte im Termin sich über die Klageforderung und weitergehende nicht anhängige 5.000 Euro zu einigen. Eine Einigung kommt nicht zustande. 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 15.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 15.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro 242,40 Euro 845,00 Euro 780,00 Euro 20,00 Euro 1.645,00 Euro 312,55 Euro 1.957,55 Euro
M 43.28 Einigungsverhandlungen über nicht anhängige Gegenstände im Termin – mit Einigung In einem Rechtsstreit über 10.000 Euro verhandeln die Parteien unter Mitwirkung ihrer Anwälte im Termin über die Klageforderung und weitergehende nicht anhängige 5.000 Euro. Es kommt dann zu einem Gesamtvergleich. 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 15.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 15.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 10.000 Euro)
725,40 Euro 242,40 Euro 845,00 Euro 780,00 Euro 558,00 Euro
Schneider 753
110
ZPO
M 43.28
Kap. 43 Rz. 111
ZPO
5. 6. 7.
M 43.29
Anwaltsgebühren
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 15.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
454,50 Euro 975,00 Euro 20,00 Euro 2.620,00 Euro 497,80 Euro 3.117,80 Euro
111 – Mehrere Auftraggeber Auch die ermäßigte Verfahrensgebühr der Nr. 3101 VV RVG ist bei mehreren Auftraggebern nach Nr. 1008 VV RVG zu erhöhen. Auch hier beläuft sich die Erhöhung auf 0,3 je weiteren Auftraggeber. (3) Verschiedene Gebührensätze
112 Da bei der Verfahrensgebühr verschiedene Gebührensätze anfallen können, aufgrund der Reduzierung nach Nr. 3101 VV RVG oder aufgrund der Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG, kommt hier die Vorschrift des § 15 Abs. 3 RVG häufig zum Tragen. Die Praxis zeigt, dass hier offenbar erhebliche Schwierigkeiten bestehen, die zutreffende Gebühr zu berechnen. Eine fehlerfreie Berechnung ist nur möglich, wenn man zunächst die einzelnen Gebührensätze auswirft. Dies sollte zweckmäßigerweise auch in der Kostenrechnung so niedergeschrieben werden. Es erleichtert zum einen das Verständnis, zum anderen ermöglicht es, eventuelle spätere Änderungen des Gegenstandswertes oder andere Abweichungen zu berücksichtigen. Abgesehen davon ist die Trennung unerlässlich, wenn die Rechnung zur Kostenfestsetzung angemeldet wird und für die einzelnen Auftraggeber unterschiedliche Erstattungsquoten gelten.
113 Unzweckmäßig ist es, nur den nach § 15 Abs. 3 RVG errechneten Gesamtbetrag anzugeben, zumal dies gegen § 10 RVG verstößt. Ebenso unzutreffend ist es, eine der Teilgebühren in voller Höhe auszuweisen und die weitere Gebühr nur noch auf den Differenzbetrag zu kürzen. Auch eine solche Darstellung widerspricht der Vorschrift des § 10 RVG und kann zu Schwierigkeiten führen.
114 M 43.29 Abrechnung Verfahrensgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen Der Anwalt vertritt den beklagten Fahrzeughalter, -fahrer und -versicherer gegen eine Klage iHv. 10.000 Euro; für den Halter erhebt er eine Widerklage über 3.750 Euro; das Verfahren endet durch einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO, in den weitere nicht anhängige 2.500 Euro Forderungen des Klägers und weitere nicht anhängige 1.250 Euro Schmerzensgeld des beklagten Fahrers einbezogen werden. 1. 2. 3. 4.
1,9-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Klageforderung Wert 10.000 Euro) 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Widerklage Wert: 3.750 Euro) 1,4-Verfahrensgebühr, Nrn. 3101 Nr. 2, 1008 VV RVG (weitere Forderung Kläger Wert 2.500 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 RVG (Schmerzensgeld beklagter Fahrer Wert 1.250 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,9 aus 17.500 Euro
1.060,20 Euro 327,60 Euro 281,40 Euro 92,00 Euro 1.322,40 Euro
cc) Anrechnung
115 Bei der Verfahrensgebühr ist darüber hinaus häufig zu beachten, dass Gebühren vorausgegangener Angelegenheiten, etwa Beratungsgebühr, Mahnverfahrensgebühr, Geschäftsgebühr, Verfahrensgebühr eines Verfahrens vor Zurückverweisung, eines selbständigen Beweisverfahrens oder eines Urkundenverfahrens, anzurechnen sind. Hier ist es zweckmäßiger, zunächst einmal die Geschäfts- oder Verfahrensgebühr der vorangehenden Angelegenheit vollständig abzurechnen. Erst danach ist die Anrechnung vorzunehmen, und zwar ist derjenige Betrag in Abzug zu bringen, der sich aus dem 754
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 119 Kap. 43
Gebührensatz der vorangegangenen Angelegenheit nach demjenigen Gegenstandswert ergibt, der im laufenden Rechtsstreit noch anhängig ist. Zulässig ist es aber auch, umgekehrt vorzugehen. Soweit eine Beratungsgebühr (§ 34 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm. § 612 BGB), eine Mahnverfahrensgebühr (Nr. 3305 VV RVG), die Verfahrensgebühr eines Urkundenverfahrens, eines Verfahrens vor Zurückweisung oder eines Beweisverfahrens angerechnet wird, ergeben sich keine Probleme, da diese Gebühren in voller Höhe anzurechnen sind (§ 34 Abs. 2 RVG; Anm. zu Nr. 3305 VV RVG; Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG; Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG; Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG).
116
M 43.30 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der
117
Mahnverfahrensgebühr Tätigkeit im Mahnverfahren wegen einer Forderung iHv. 8.000 Euro. Nach Widerspruch wird das streitige Verfahren durchgeführt. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
456,00 Euro 20,00 Euro 476,00 Euro 90,44 Euro 566,44 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu 3305 VV RVG, 1,0-Gebühr aus 8.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro – 456,00 Euro 20,00 Euro 156,80 Euro 29,79 Euro 186,59 Euro
Lediglich dann, wenn sich Wertunterschiede ergeben, ist Acht zu geben. Angerechnet wird die vo- 118 rangegangene Gebühr nur nach dem Wert, der sich im Rechtsstreit fortsetzt.
M 43.31 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Mahnverfahrensgebühr, unterschiedliche Werte Tätigkeit im Mahnverfahren wegen einer Forderung iHv. 8.000 Euro. Nach Widerspruch wird das streitige Verfahren nur wegen 4.000 Euro durchgeführt. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
456,00 Euro 20,00 Euro 476,00 Euro 90,44 Euro 566,44 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 4.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu 3305 VV RVG, 1,0-Gebühr aus 4.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
327,60 Euro – 252,00 Euro 20,00 Euro 95,60 Euro 18,16 Euro 113,76 Euro
Schneider 755
119
ZPO
M 43.31
Kap. 43 Rz. 120
M 43.32
Anwaltsgebühren
ZPO
120 Bei Anrechnung der Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) ist zu beachten, dass diese nur hälftig angerechnet wird und darüber hinaus höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 (Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG). Mit anderen Worten: Dem Anwalt bleibt die Hälfte der Geschäftsgebühr anrechnungsfrei erhalten; darüber hinaus bleibt ihm derjenige Teil der Geschäftsgebühr, der über 1,5 hinausgeht, in voller Höhe erhalten.
121 M 43.32 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Geschäftsgebühr Vorgerichtliche Tätigkeit im Werte von 8.000 Euro; anschließend wird Klage erhoben.1 I. Außergerichtliche Vertretung: 1. 2. 3.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
684,00 Euro 20,00 Euro 704,00 Euro 133,76 Euro 837,76 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75-Gebühr aus 8.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro – 342,00 Euro 20,00 Euro 270,80 Euro 51,45 Euro 322,25 Euro
1 S. auch Rz. 79 ff.
122 Hier ist im Übrigen ausdrücklich geregelt, wie bei unterschiedlichen Gegenstandswerten abzurechnen ist. Angerechnet wird nur nach dem Wert, der sich im gerichtlichen Verfahren fortsetzt (Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 5 VV RVG).
123 M 43.33 Abrechnung Verfahrensgebühr bei Anrechnung der Geschäftsgebühr,
unterschiedliche Werte Vorgerichtliche Tätigkeit im Werte von 8.000 Euro; anschließend wird Klage nur über 4.000 Euro erhoben. I. Außergerichtliche Vertretung: 1. 2. 3.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
684,00 Euro 20,00 Euro 704,00 Euro 133,76 Euro 837,76 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
756
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75-Gebühr aus 4.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
592,80 Euro – 189,00 Euro 20,00 Euro 423,80 Euro 80,52 Euro 504,32 Euro
M 43.35
Anwaltsgebühren
Rz. 127 Kap. 43
124
M 43.34 Anrechnung der Geschäftsgebühr bei mehreren aufeinander folgenden
125
ZPO
Sind vorgerichtlich mehrere Geschäftsgebühren nacheinander angefallen, so wird nur die zuletzt entstandene Geschäftsgebühr angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 5 VV RVG).
Geschäftsgebühren Der Anwalt wird beauftragt, eine Forderung von 400 Euro außergerichtlich geltend zu machen. Die Angelegenheit ist weder umfangreich noch schwierig (Anm. zu Nr. 2300 VV RVG). Anschließend wird das Schlichtungsverfahren nach § 15a EGZPO durchgeführt und hiernach Klage erhoben. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil. I. Außergerichtliche Tätigkeit (Wert 400 Euro) 1. 2. 3.
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
58,50 Euro 11,70 Euro 70,20 Euro 13,34 Euro 83,54 Euro
II. Schlichtungsverfahren (Wert 400 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG gem. Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG anzurechnen, 0,65 aus 400 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
67,50 Euro – 29,25 Euro 13,50 Euro 51,75 Euro 9,83 Euro 61,58 Euro
III. Rechtsstreit (Wert 400 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Abs. 4 Vorbem. 3 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 400 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
58,50 Euro – 33,75 Euro 54,00 Euro 20,00 Euro 95,75 Euro 18,19 Euro 113,94 Euro
Sind vorgerichtliche mehrere Geschäftsgebühren nebeneinander, so sind nach der Rechtsprechung des BGH (AGS 2017, 170 = MDR 2017, 670) alle Geschäftsgebühren hälftig, höchsten zu 0,75 anzurechnen. Nach aA (OLG Koblenz AGS 2008, 167 = JurBüro 2009, 304; OVG NRW AGS 2017, 497 = AnwBl. 2017, 1006) sind zwar auch alle Geschäftsgebühren anzurechnen, in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG jedoch nicht mehr als eine hälftige Geschäftsgebühr nach dem höchsten Gebührensatz aus dem Gesamtwert.
126
M 43.35 Anrechnung der Geschäftsgebühr bei mehreren nebeneinander
127
entstandenen Geschäftsgebühren Der Anwalt macht außergerichtlich für den Auftraggeber gegen B eine Forderung iHv 8.000 Euro geltend. Gleichzeitig wehrt er in einer anderen Angelegenheit eine andere Forderung des B iHv 6.000 Euro ab. Die Sache ist umfangreich, aber durchschnittlich. Anschließend erhebt der Anwalt Klage auf Zahlung der 8.000 Euro. Der Gegner erhebt Widerklage wegen seiner 6.000 Euro. Es wird mündlich über Klage und Widerklage verhandelt. Der Streitwert wird auf 14.000 Euro festgesetzt (§ 45 Abs. 1 GKG). Im gerichtlichen Verfahren entsteht jetzt eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 14.000 Euro. Darauf sind jeweils 0,75 aus 8.000 Euro und aus 6.000 Euro anzurechnen.
Schneider 757
Kap. 43 Rz. 128
M 43.36
Anwaltsgebühren
ZPO
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 Euro) 1. 2. 3.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV Gesamt
684,00 Euro 20,00 Euro 704,00 Euro 133,76 Euro 837,76 Euro
II. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 6.000 Euro) 1. 2. 3.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV Gesamt
531,00 Euro 20,00 Euro 551,00 Euro 104,69 Euro 655,69 Euro
III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 14.000 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 8.000 Euro gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 6.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV Zwischensumme 6. 19 % USt, Nr. 7008 VV Gesamt Summe I + II + III
845,00 Euro – 342,00 Euro – 265,50 Euro 780,00 Euro 20,00 Euro 1.037,50 Euro 197,13 Euro 1.234,63 Euro 2.728,08 Euro
128 Zwischenzeitlich ist auch geklärt, wie bei mehreren Auftraggebern anzurechnen ist. Sowohl die Geschäfts- als auch die Verfahrensgebühr erhöhen sich nach Nr. 1008 VV RVG. Die Anrechnung bleibt auf 0,75 beschränkt (LG Düsseldorf MDR 2007, 1164 AG Stuttgart MDR 2007, 1107 = NJW-RR 2007, 1725; LG Ulm AGS 2008, 163 = AnwBl. 2008, 73; KG AGS 2009, 4 = JurBüro 2008, 585; LG Saarbrücken AGS 2009, 315).
129 M 43.36 Anrechnung der Geschäftsgebühr bei mehreren Auftraggebern Der Anwalt vertritt ein Vermieterehepaar, für die er zunächst außergerichtlich rückständige Mieten iHv. 5.000 Euro geltend gemacht hat und anschließend einklagt. Die außergerichtliche Tätigkeit war weder umfangreich noch schwierig, so dass gem. Anm. zu Nr. 2300 VV RVG von der sog. Schwellengebühr ausgegangen werden soll. Die 1,3-Geschäftsgebühr erhöht sich um 0,3 auf insgesamt 1,6. I. Außergerichtliche Vertretung: 1. 2. 3.
1,6-Geschäftsgebühr, Nrn. 2300, 1008 VV RVG (Wert 5.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
484,80 Euro 20,00 Euro 504,80 Euro 95,91 Euro 600,71 Euro
Ausgehend vom Wortlaut der Anrechnungsbestimmung in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist die Hälfte, höchstens aber 0,75 anzurechnen: II. Gerichtliches Verfahren: 1. 2.
758
1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 5.000 Euro) anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75-Gebühr aus 5.000 Euro
Schneider
484,80 Euro – 227,25 Euro
3. 4. 5.
Anwaltsgebühren
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 5.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Rz. 132 Kap. 43 363,60 Euro 20,00 Euro
ZPO
M 43.36
641,15 Euro 121,82 Euro 762,97 Euro
dd) Gegenstandswert Insbesondere bei der Berechnung des Gegenstandswertes für die Verfahrensgebühr sollte besonders 130 sorgfältig vorgegangen werden, da diese gleichzeitig auch Grundlage für die weiteren Gebühren ist. Die Verfahrensgebühr erfasst stets alle in dem Verfahren anhängigen Gegenstände sowie die miterörterten oder mitprotokollierten nicht anhängigen Ansprüche (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG). Es ist daher nie möglich, dass sich Termins- oder Einigungsgebühren nach einem Wert richten, der nicht auch in der Verfahrensgebühr seinen Niederschlag gefunden hat. Soweit der Anwalt also bei der Verfahrensgebühr einzelne Gegenstände übersieht, wird er diese bei der Berechnung anderer Gebühren ebenfalls übersehen. Ist aber einmal für die Verfahrensgebühr sorgfältig zusammengestellt worden, welche Gegenstände im gesamten Verfahren behandelt worden sind, so kann für die Berechnung der weiteren Gebühren hierauf zurückgegriffen werden. Es braucht lediglich nur noch geprüft zu werden, hinsichtlich welcher der betreffenden Gegenstände ein Termin stattgefunden hat oder eine Einigung getroffen worden ist. Die Gefahr, dass einzelne Gegenstände übersehen werden, ist nicht unerheblich. Besonders häufig wird missachtet, dass im Laufe des Verfahrens Klageaufträge erteilt worden sind, zu deren Durchführung es dann doch nicht gekommen ist, oder, dass Klageanträge später wieder zurückgenommen oder für erledigt erklärt worden sind. Ebenso wird häufig übersehen, dass die Hilfsaufrechnung den Gegenstandswert erhöht, wenn hierüber eine Entscheidung getroffen oder ein Vergleich geschlossen worden ist (§ 45 Abs. 3, Abs. 4 GKG). Vielfach wird auch verkannt, dass der gerichtlich nach Zeitabständen festgesetzte Gegenstandswert nicht mit dem Wert der Verfahrensgebühr identisch sein muss. Dies gilt insbesondere bei Klagen auf wiederkehrende Leistungen, wie etwa bei Mietzinsforderungen. Werden im Laufe des Verfahrens eingeklagte Monatsbeträge gezahlt, dafür aber neue Rückstände geltend gemacht, so bleibt zwar scheinbar der Streitwert gleich, weil sich der aktuelle Antrag stets in der gleichen Höhe hält. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass jedenfalls für die Verfahrensgebühr die Summe aller Gegenstände maßgebend ist, mit denen der Anwalt im Verlaufe des Verfahrens befasst war (OLG Koblenz AGS 2007, 151 = MietRB 2006, 268; OLG Hamm OLGR 2007, 324; KG AGS 2008, 188; AnwKom-RVG/N. Schneider § 22 Rz. 12; unzutreffend OLG Dresden JurBüro 2007, 315; OLG Düsseldorf AGS 2011, 86). Beispiel: Eingeklagt werden drei Monatsmieten für Januar, Februar und März zu jeweils 500 Euro. Während des laufenden Rechtsstreites werden die Mieten für Januar und Februar bezahlt. Dafür sind jedoch zwischenzeitlich die Mieten für April und Mai offen und werden eingeklagt. Anhängig war zwar stets nur eine Forderung iHv. insgesamt 1.500 Euro. Der Gegenstandswert für die Verfahrensgebühr beläuft sich jedoch auf 2.500 Euro, da im Laufe des Verfahrens insgesamt fünf Mieten (Januar bis Mai) zu jeweils 500 Euro anhängig waren.
131
Bei der Abrechnung sollte der Anwalt zweckmäßigerweise so vorgehen, dass er zunächst prüft, aus welchem Gegenstandswert die Verfahrensgebühr überhaupt entstanden ist. Das richtet sich nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG. Danach entsteht die Verfahrensgebühr durch das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Welche Qualität das „Betreiben“ hatte, ist an dieser Stelle, also für das Entstehen der Gebühr, zunächst unerheblich. Erst danach ist zu prüfen, ob einer der Ermäßigungstatbestände der Nr. 3101 VV RVG greift, so dass sich die Verfahrensgebühr auf 0,8 reduziert. Hiernach ist dann festzustellen, inwieweit diese Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG zu erhöhen sind. Danach stellt sich gegebenenfalls wiederum die Frage, inwieweit eine Reduzierung nach § 15 Abs. 3 RVG vorzunehmen ist. Die Frage der Anrechnung sollte wegen des Zusammenhangs bereits an dieser Stelle ebenfalls geprüft werden.
132
Schneider 759
Kap. 43 Rz. 133
Anwaltsgebühren
ZPO
133 Checkliste: Verfahrensgebühr Zu prüfen ist: l Aus welchem Gegenstandswert ist eine Verfahrensgebühr entstanden? l Welche Gegenstände sind im Laufe des Verfahrens für den Mandanten eingeklagt worden? l Welche Gegenstände sind im Laufe des Verfahrens vom Gegner eingeklagt worden? l Ist eine Hilfsaufrechnung erklärt und hierüber entschieden oder eine Einigung getroffen worden? l Ist eine Einigung über weitergehende nicht anhängige Gegenstände getroffen worden? l Aus welchen Gegenständen ist lediglich eine nach Nr. 3101 VV RVG reduzierte 0,8-Verfahrensgebühr entstanden? l Hat sich ein Teil des Verfahrens vorzeitig erledigt, bevor ein gerichtlicher Termin stattgefunden oder ein Schriftsatz mit Sachanträgen oder Sachvortrag eingereicht wurde (Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG)? l Ist eine Einigung der Parteien protokolliert worden, über in diesem Verfahren nicht anhängige Gegenstände (Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG)? l Ist über nicht anhängige Gegenstände verhandelt oder erörtert worden (Nr. 3101 Nr. 2. Alt. 2 VV RVG)? l Ist in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur ein Antrag gestellt und eine Entscheidung entgegengenommen worden (Nr. 3101 Nr. 3. Alt. 2 VV RVG)? l Inwieweit sind an einzelnen Gegenständen mehrere Auftraggeber gemeinschaftlich beteiligt (Nr. 1008 VV RVG)? l Bei unterschiedlichen Gebührensätzen ist § 15 Abs. 3 RVG zu berücksichtigen. l Sind Gebühren aus vorangegangenen Angelegenheiten anzurechnen? l Beratung, l Vorgerichtliche Vertretung, l Mahnverfahren, l Selbständiges Beweisverfahren, l Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess, l Verfahren vor Zurückverweisung. b) Terminsgebühr aa) Überblick
134 Neben der Verfahrensgebühr kann der Anwalt eine Terminsgebühr verdienen. Diese Gebühr entsteht nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG für – die Vertretung in einem gerichtlichen Termin, – die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder – die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts.
760
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 141 Kap. 43
Darüber hinaus entsteht die Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG auch ohne einen Termin, wenn in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,
135
ZPO
M 43.37
– ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, und zwar entweder – im Einverständnis mit den Parteien oder – gem. § 307 ZPO oder – gem. § 495a ZPO oder – ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Der Anfall einer Terminsgebühr setzt nicht voraus, dass ein Verfahren bereits anhängig ist. Erforderlich ist nur ein Verfahrensauftrag, so dass sich die Vergütung nach Teil 3 VV RVG bestimmt (BGH NJW-RR 2007, 720 = MDR 2007, 863).
136
Die Höhe der Terminsgebühr beläuft sich nach Nr. 3104 VV RVG grundsätzlich auf 1,2.
137
bb) Gerichtlicher Termin Zunächst einmal erhält der Anwalt die Terminsgebühr, wenn er an einem gerichtlichen Termin teilnimmt (Vorbem. 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), ausgenommen ein bloßer Termin zur Verkündung einer Entscheidung (Vorbem. 3 Abs. 1 Satz 2 VV RVG). Auf eine Unterscheidung, ob verhandelt oder erörtert worden ist, kommt es nicht an. Es ist noch nicht einmal erforderlich, dass überhaupt verhandelt worden ist. Die bloße Teilnahme an einem Termin genügt bereits, um die Terminsgebühr auszulösen. Daher wird auch nicht mehr unterschieden, ob streitig oder nicht streitig verhandelt worden ist. Diese Differenzierung entfällt mit Ausnahme der in Nr. 3105 VV RVG geregelten Fälle (s. Rz. 152 ff.).
138
M 43.37 Abrechnung Terminsgebühr – Normalfall
139
Klage iHv. 6.000 Euro; der Anwalt vertritt den Auftraggeber in einem gerichtlichen Verhandlungstermin. 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 6.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 6.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
cc) Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins Die Terminsgebühr entsteht auch dann, wenn der Anwalt lediglich einen von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termin wahrnimmt (Vorbem. 3 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VV RVG). Ein solcher Fall wird insbesondere im selbständigen Beweisverfahren auftreten (s. Rz. 272 ff.), kommt aber auch im Zivilprozess vor, etwa dann, wenn das Gericht ohne mündliche Verhandlung einen Beweisbeschluss nach § 358a ZPO erlässt, der Anwalt an dem vom Sachverständigen anberaumten Termin teilnimmt und hiernach die Klage ohne mündliche Verhandlung zurückgenommen wird.
140
dd) Teilnahme an Besprechungen zur Vermeidung oder Erledigung des Rechtsstreits Darüber hinaus erhält der Anwalt eine Terminsgebühr, wenn er an Besprechungen auch ohne Betei- 141 ligung des Gerichts teilnimmt, die darauf gerichtet sind, ein anhängiges Verfahren zu erledigen oder ein noch nicht anhängiges Verfahren zu vermeiden (Vorbem. 3 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VV RVG). Die BeSchneider 761
ZPO
Kap. 43 Rz. 142
M 43.38
Anwaltsgebühren
sprechungen müssen nicht unbedingt mit der Gegenpartei geführt werden. Auch Besprechungen mit Dritten können ausreichend sein, etwa Besprechungen mit einem Streitverkündeten oder einem Versicherer, der wirtschaftlich hinter einer der Parteien steht. Bei den Besprechungen muss nicht ein gemeinsames Treffen vereinbart worden sein. Fernmündliche Gespräche reichen daher ebenfalls aus.
142 Erforderlich und ausreichend ist, dass der Anwalt bereits einen Vertretungsauftrag nach Teil 3 VV RVG hatte, also dass er beauftragt war, Klage zu erheben oder sich gegen eine Klage zu verteidigen (Vorbem. 3 Abs. 1 VV). Die Terminsgebühr kann daher auch dann anfallen, wenn noch gar keine Klage eingereicht ist (BGH MDR 2007, 863). Nicht erforderlich ist, dass im zugrunde liegenden Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die dahin gehende bisherige verfehlte Rechtsprechung ist seit der Neufassung der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG durch das 2. KostRMoG überholt.
143 M 43.38 Abrechnung Terminsgebühr, Besprechung vor Klageeinreichung Der Anwalt erhält den Auftrag, Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall iHv. 4.000 Euro einzuklagen. Bevor die Klageschrift eingereicht wird, ruft der Sachbearbeiter des Versicherers den Anwalt an und unterbreitet einen Einigungsvorschlag, der dann auch angenommen wird. Zur Klageerhebung kommt es nicht mehr. Die Verfahrensgebühr ist wegen vorzeitiger Beendigung nur iHv. 0,8 angefallen (Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG). Die Terminsgebühr ist dagegen in voller Höhe entstanden. Die Einigungsgebühr entsteht zu 1,5, da noch keine Anhängigkeit eingetreten ist. 1. 2. 3. 4.
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert 4.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 4.000 Euro) 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert 4.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
5.
201,60 Euro 302,40 Euro 378,00 Euro 20,00 Euro 902,00 Euro 171,38 Euro 1.073,38 Euro
ee) Einmaligkeit der Terminsgebühr
144 Die Terminsgebühr entsteht insgesamt nur einmal (§ 15 Abs. 1 RVG). Dies gilt auch dann, wenn der Anwalt sowohl an einem gerichtlichen Verhandlungstermin teilnimmt, außergerichtliche Besprechungen mit dem Gegner führt und an einem Beweistermin teilnimmt. Bereits die erste Tätigkeit löst die volle Terminsgebühr aus. Eine weitere Terminsgebühr kann nicht entstehen (§ 15 Abs. 2 RVG). Lediglich der Gegenstandswert der Terminsgebühr kann sich erhöhen, wenn später weiter gehende Ansprüche noch anhängig oder mit erörtert werden. ff) Entscheidung im schriftlichen Verfahren
145 Die Terminsgebühr kann auch in einem schriftlichen Verfahren entstehen, nämlich dann, wenn – in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist – im Einverständnis mit den Parteien oder – gem. § 307 Abs. 2 ZPO oder – § 495a ZPO – ohne mündliche Verhandlung entschieden – oder ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.
146 Erforderlich ist, dass eine Entscheidung des Gerichts ergangen ist. Kommt es im schriftlichen Verfahren zu einer übereinstimmenden Erledigung der Hauptsache oder zur Klagerücknahme, entsteht keine Terminsgebühr. 762
Schneider
Rz. 154 Kap. 43
Andererseits ist nicht erforderlich, dass ein Antrag gestellt wird. Ergeht zB im Verfahren nach § 307 Abs. 2 ZPO ein Anerkenntnisurteil, obwohl dies nicht beantragt worden war, löst dies dennoch die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG aus (KG AGS 2003, 286; N. Schneider MDR 2003, 1269).
147
ZPO
Anwaltsgebühren
gg) Schriftlicher Vergleich Die Terminsgebühr fällt auch dann an, wenn in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Hauptanwendungsfall ist der Abschluss eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO. Stimmen die Parteien schriftsätzlich einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag zu und stellt das Gericht dann nach § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen des Vergleichs fest, so ist damit die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG entstanden (BGH NJW-RR 2006, 1507 = MDR 2007, 179; NJW-RR 2007, 1149 = FamRZ 2007, 1013).
148
Da der Wortlaut der Nr. 3104 VV RVG im Gegensatz zu Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG nicht ausdrücklich auf § 278 Abs. 6 ZPO Bezug nimmt, reichen auch sonstige schriftsätzliche Vergleiche aus, also wenn die Parteien ohne Beteiligung des Gerichts einen schriftlichen Vergleich schließen und damit das Verfahren beenden (OLG Köln AnwBl. 2016, 934 = MDR 2017, 180; AGS 2016, 391 = RVGreport 2016, 259; LAG Hamburg RVGprof. 2010, 192 = RVGreport 2011, 110; s. ausf. N. Schneider, Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs, NJW-Spezial 2014, 283 ff.).
149
Beispiel: Die Parteien einigen sich schriftsätzlich, dass zum Ausgleich der Klageforderung der hälftige Betrag gezahlt wird; der Kläger nimmt seine Klage zurück; der Beklagte verzichtet auf Kostenerstattung.
150
hh) Höhe der Gebühr Die Terminsgebühr entsteht grundsätzlich iHv. 1,2. Da für den Anfall der Terminsgebühr ein Verhan- 151 deln nicht mehr erforderlich ist, entfällt die frühere Unterscheidung zwischen streitiger und nichtstreitiger Verhandlung oder Anträgen zur Prozess- und Sachleitung. Mit der Wahrnehmung des Termins entsteht grundsätzlich die volle 1,2-Terminsgebühr (ausgenommen der Fall der Nr. 3105 VV RVG). Ausnahme: Versäumnisurteil, Antrag oder Entscheidung zur Prozess- und Sachleitung bei Säum- 152 nis: Der Anwalt erhält nach Nr. 3105 VV RVG lediglich eine 0,5-Gebühr, 1. wenn a) die Gegenpartei – nicht erschienen – und auch nicht ordnungsgemäß vertreten ist oder b) die Gegenpartei zwar erschienen ist, allerdings ohne Anwalt und damit wegen des Postulationszwangs des § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht ordnungsgemäß vertreten ist, 2. und a) lediglich ein Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt wird oder b) lediglich ein Antrag zur Prozess- und Sachleitung gestellt wird oder c) das Gericht von Amts wegen zur Prozess- und Sachleitung entscheidet. Die Vorschrift des § 333 ZPO (Nichtverhandeln trotz Erscheinens) ist nicht entsprechend anzuwenden (Anm. Abs. 3 zu Nr. 3105 VV RVG).
153
Erforderlich für das Entstehen der Terminsgebühr ist lediglich, dass ein Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt wird. Ob das Versäumnisurteil dann auch ergeht, oder möglicherweise wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung des Gegners der Antrag abgelehnt wird, ist unerheblich.
154
Schneider 763
Kap. 43 Rz. 155
155 K
M 43.39
Anwaltsgebühren
Wichtig: Eine Ermäßigung nach Nr. 3105 VV RVG tritt nicht ein, wenn
ZPO
– der Anwalt des Beklagten erscheint, aber erklärt, nicht aufzutreten (Anm. Abs. 3 zu Nr. 3105 VV RVG; KG AGS 2006, 117 = JurBüro 2006, 134), – der Beklagte persönlich vor dem LG oder OLG erscheint und die Sache mit ihm erörtert wird (BGH AGS 2007, 226 = AnwBl. 2007, 383), – weder der Beklagte noch sein Anwalt erscheinen, die Sache aber mit dem Gericht zuvor erörtert wird (KG AGS 2006, 117 = JurBüro 2006, 134; OLG Koblenz AGS 2005, 190 = RVGreport 2005, 231; OLG Naumburg AGS 2014, 388 = NJW-Spezial 2014, 539; OLG Frankfurt JurBüro 2017, 528 = AGS 2017, 452), – vor dem Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils einem Ablehnungsantrag des Gegners erörtert und zurückgewiesen wird (LG Paderborn JurBüro 2015, 35 = AGS 2015, 272), – der Anwalt sowohl ein erstes als auch ein zweites Versäumnisurteil erwirkt (BGH AGS 2006, 487 = AnwBl. 2006, 675; AGS 2006, 366 = AnwBl. 2006, 674).
156 Die Ermäßigung tritt nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3105 VV RVG ferner auch dann ein, wenn im schriftlichen Vorverfahren eine Entscheidung gem. § 331 Abs. 3 ZPO ergeht (Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3105 VV RVG). Die Gebühr entsteht daher auch dann, wenn der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils nicht gestellt worden ist, das Gericht aber dennoch ein Versäumnisurteil erlassen hat (BGH AGS 2017, 174 = MDR 2017, 561).
157–158 Einstweilen frei 159 M 43.39 Abrechnung ermäßigte Terminsgebühr bei Versäumnisurteil Im Termin zur mündlichen Verhandlung erscheint der Beklagte nicht, so dass über die Klageforderung iHv. 4.000 Euro auf Antrag des Klägeranwalts ein Versäumnisurteil erlassen wird. 1. 2. 3. 4.
160 K
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 4.000 Euro) 0,5-Terminsgebühr, Nrn. 3104, 3105 VV RVG (Wert 4.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
327,60 Euro 126,00 Euro 20,00 Euro 473,60 Euro 89,98 Euro 563,58 Euro
Wichtig: Nach zutreffender Ansicht entsteht die volle 1,2-Terminsgebühr auch dann, wenn der Beklagte sich im Verfahren nach § 495a ZPO nicht meldet und daraufhin ein Endurteil ergeht (OLG Düsseldorf AGS 2009, 172 = NJW-Spezial 2009, 284; AG Kleve AGS 2006, 542; aA: nur 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG: AG Freising JurBüro 2008, 142; AG Cloppenburg JurBüro 2007, 79; AG München AGS 2007, 442).
161 Kommt es zu einem zweiten Versäumnisurteil, entsteht die volle 1,2-Terminsgebühr, wenn der Anwalt auch am ersten Versäumnisurteil beteiligt war (BGH NJW 2006, 2927 = MDR 2007, 178; AGS 2006, 366 = NJW 2006, 3430).
162 Ergeht auf Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid ein zweites Versäumnisurteil, so entsteht nur eine Terminsgebühr iHv. 0,5 nach Nr. 3105 VV RVG (OLG Köln AGS 2007, 296 = RVGreport 2007, 189; OLG Nürnberg OLGR 2008, 661 = MDR 2008, 1127; AG Kaiserslautern, JurBüro 2005, 475). Eine 1,2-Terminsgebühr kommt hier nicht in Betracht, da es an einem zweiten Termin fehlt.
764
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 165 Kap. 43
M 43.40 Abrechnung zweites Versäumnisurteil nach Vollstreckungsbescheid
163
Im Mahnverfahren ergeht ein Vollstreckungsbescheid über 10.000 Euro. Hiergegen legt der Beklagte Einspruch ein. Im daraufhin anberaumten Termin bleibt er säumig, so dass sein Einspruch durch zweites Versäumnisurteil nach §§ 700 Abs. 6 Satz 1, 345 ZPO verworfen wird. I. Mahnverfahren 1. 2. 3. 4.
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3307 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
558,00 Euro 279,00 Euro 20,00 Euro 857,00 Euro 162,83 Euro 1.019,83 Euro
II. Streitiges Verfahren 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) gem. Anm. zu Nr. 3305 VV RVG anzurechnen, 1,0 aus 10.000 Euro 0,5-Terminsgebühr, Nrn. 3104, 3105 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro – 558,00 Euro 279,00 Euro 20,00 Euro 466,40 Euro 88,62 Euro 555,02 Euro
ii) Zusammenrechnung mehrerer Terminsgebühren Nach dem RVG gibt es nur noch selten Fälle, in denen die Terminsgebühr nach unterschiedlichen Gebührensätzen anfällt. Ist ausnahmsweise ein solcher Fall gegeben, so ist wiederum § 15 Abs. 3 RVG zu beachten. Zunächst sind die Teilgebühren aus den Einzelwerten zu ermitteln und hiernach dann nach § 15 Abs. 3 RVG zu begrenzen. Es darf nicht mehr als eine 1,2-Terminsgebühr aus dem Gesamtwert entstehen.
164
M 43.41 Abrechnung Terminsgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen ohne
165
Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG Klage iHv. 10.000 Euro; es ergeht ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren; wegen eines Teilbetrages iHv. 6.000 Euro wird Einspruch eingelegt und verhandelt. 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 6.000 Euro) 0,5-Terminsgebühr, Nr. 3105 VV RVG (Wert 4.000 Euro) (die Höchstgrenze nach § 15 Abs. 3 RVG, 1,2-Gebühr aus 10.000 Euro (= 669,60 Euro), ist nicht überschritten) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
725,40 Euro 424,80 Euro 126,00 Euro 20,00 Euro 1.296,20 Euro 246,78 Euro 1.542,48 Euro
Schneider 765
ZPO
M 43.41
ZPO
Kap. 43 Rz. 166
M 43.42
Anwaltsgebühren
166 M 43.42 Abrechnung Terminsgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen mit
Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG Klage iHv. 20.000 Euro; es ergeht ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren; wegen eines Teilbetrages iHv. 18.000 Euro wird Einspruch eingelegt und verhandelt. 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 20.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 18.000 Euro) 0,5-Terminsgebühr, Nr. 3105 VV RVG (Wert 2.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,2 aus 20.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
964,60 Euro 835,20 Euro 75,00 Euro 890,40 Euro 20,00 Euro 1.874,80 Euro 356,21 Euro 2.231,01 Euro
167 Zu unterschiedlichen Gebührensätzen kann es auch dann kommen, wenn die volle Terminsgebühr nur aus einer Nebenforderung anfällt (OLG Köln AGS 2006, 224 m. Anm. Schons = JMBl. NW 2006, 144 = JurBüro 2006, 254 = RVGreport 2006, 104).
168 M 43.43 Abrechnung Terminsgebühr bei unterschiedlichen Gebührensätzen
(Haupt- und Nebenforderung) mit Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG Im Termin zur mündlichen Verhandlung weist das Gericht darauf hin, dass die Klage iHv. 10.000 Euro zwar schlüssig sei, nicht jedoch der Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten iHv. 500 Euro. Nach Erörterung mit dem Gericht wird der Antrag auf Ersatz der vorgerichtlichen Kosten zurückgenommen und im Übrigen der Erlass eines Versäumnisurteils beantragt. Aus dem Wert der Hauptforderung (10.000 Euro) ist eine 0,5-Terminsgebühr nach Nrn. 3104, 3105 VV angefallen. Aus dem Wert der Kosten (500 Euro) ist dagegen eine 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) angefallen, da insoweit erörtert worden ist. Zudem löst die Klagerücknahme immer die volle Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV aus. Dass es sich um eine Nebenforderung handelt, ist unbeachtlich. Soweit – wie hier – ausschließlich die Nebenforderung betroffen ist, richten sich die Gebühren gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm. § 43 Abs. 2 GKG nach dem Wert der Nebenforderung, allerdings begrenzt auf den Wert der Hauptforderung. Insgesamt darf gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr verlangt werden, als eine Gebühr nach dem höchsten Gebührensatz (1,2) aus dem Gesamtwert. Der Gesamtwert wiederum ist unter Beachtung des § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm. § 43 Abs. 1 GKG zu berechnen und beläuft sich damit nur auf den Wert der Hauptforderung; insoweit bleibt die Nebenforderung außer Ansatz. 1. 2. 3. 4. 5.
766
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 500 Euro) 0,5-Terminsgebühr, Nrn. 3104, 3105 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) (die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,2 aus 10.000 Euro = 669,60 Euro wird nicht überschritten) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
725,40 Euro 54,00 Euro 279,00 Euro 20,00 Euro 1.078,40 Euro 204,90 Euro 1.283,30 Euro
M 43.44
Rz. 173 Kap. 43
Anwaltsgebühren
Der Gegenstandswert der Terminsgebühr berechnet sich nach der Summe sämtlicher Gegenstände, 169 über die verhandelt, erörtert oder Beweis erhoben worden ist. Es muss sich dabei nicht um anhängige Ansprüche handeln, wie sich aus Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG ergibt. Die Terminsgebühr entsteht also – vergleichbar der Gebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 Alt. 2 VV RVG – auch dann, wenn über nicht anhängige Ansprüche erörtert wird, und zwar unabhängig davon, ob es zu einer Einigung kommt oder nicht.
M 43.44 Abrechnung Terminsgebühr – Erörterung nicht anhängiger Gegenstände
170
Klage iHv. 6.000 Euro; im Termin wird über weiter gehende Ansprüche im Wert von 4.000 Euro erörtert. 1. 2. 3. 4. 5.
K
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 6.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert 4.000 Euro) (die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3 aus 10.000 Euro = 725,40 Euro wird nicht überschritten) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
460,20 Euro 201,60 Euro 669,60 Euro 20,00 Euro 1.351,40 Euro 256,77 Euro 1.608,17 Euro
Wichtig: Für die Kostenerstattung hat der Mehrwert keine Bedeutung, sofern die Parteien sich nicht einigen und eine entsprechende Kostenregelung treffen.
171
Werden nicht anhängige Ansprüche mit erörtert, kommt es aber nicht zu einer Einigung und entschei- 172 det das Gericht nur über die anhängigen Ansprüche, findet eine Kostenerstattung nur nach dem Wert der anhängigen Ansprüche statt. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Gebühren besteht kein prozessualer Kostenerstattungsanspruch (BGH MDR 2009, 53 = NJW 2009, 233). In Betracht kommen allenfalls materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche oder eine Erstattung im Folgeprozess.
173
Checkliste: Terminsgebühr Aus welchen Gegenständen ist eine Terminsgebühr entstanden? Worüber ist l verhandelt, l erörtert, l ein Beweistermin abgehalten, l ein von einem Sachverständigen anberaumter Termin wahrgenommen, l mit dem Gegner oder einem Dritten zur Vermeidung oder Erledigung eine Besprechung geführt, l ein schriftliches Verfahren nach §§ 128, 307, 495a, 331 Abs. 3 ZPO durchgeführt, l eine schriftliche Einigung geschlossen worden? Aus welchen Gegenständen ist die Terminsgebühr auf 0,5 zu ermäßigen? l Ist ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO ergangen? l Ist ein Versäumnisurteil in Abwesenheit des Gegners und dessen Vertreter beantragt worden? l Ist bei Säumnis des Gegners lediglich ein Antrag zur Prozess- und Sachleitung gestellt worden? Ggf. § 15 Abs. 3 RVG berücksichtigen.
Schneider 767
ZPO
jj) Gegenstandswert
Kap. 43 Rz. 174
Anwaltsgebühren
M 43.45
ZPO
c) Anrechnung der Verfahrens- und Terminsgebühr nach gescheiterter Einigung aa) Problemstellung
174 Nicht selten kommt es vor, dass die Parteien in einem gerichtlichen Verfahren versuchen, eine Einigung unter Einbeziehung nicht anhängiger Ansprüche zu erzielen, diese dann aber nicht zustande kommt. In diesen Fällen entsteht aus dem Wert der nicht anhängigen Gegenstände lediglich eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1, Nr. 2 VV RVG (s. Rz. 102), und zum anderen erhöht sich der Gegenstandswert der 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG (s. Rz. 169).
175 Werden die nicht anhängigen Gegenstände dann später selbständig eingeklagt, so entsteht in dem nachfolgenden Verfahren aus ihrem Wert die 1,3-Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV RVG und die 1,2-Terminsgebür nach Nr. 3104 VV RVG. Das Gesetz sieht für solche Fälle Anrechnungsbestimmungen vor, da der Anwalt die Verfahrens- und Terminsgebühren nicht doppelt erhalten soll (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG und Anm. Abs. 2 zu 3104 VV RVG). Diese Anrechnungsbestimmungen sind nicht einfach zu handhaben. bb) Anrechnung der Verfahrensgebühr
176 Nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG ist bei der Verfahrensgebühr eine Gebührendifferenz anzurechnen. Diese ermittelt sich nach folgender Formel:
177 M 43.45 Anrechnungsformel für die Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 zu
Nr. 3101 VV RVG + – =
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG aus dem Wert der anhängigen Ansprüche 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG aus dem Wert der nicht anhängigen Ansprüche (ggf. gekürzt gem. § 15 Abs. 3 RVG auf eine 1,3-Gebühr aus dem Gesamtwert) 1,3-Gebühr aus dem Wert der anhängigen Ansprüche Anrechnungsbetrag
cc) Anrechnung der Terminsgebühr
178 Für die Terminsgebühr gilt nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG Ähnliches. Da die Terminsgebühr jedoch insgesamt aus dem Wert der anhängigen und nicht anhängigen Ansprüche entsteht, also § 15 Abs. 3 RVG nicht zum Tragen kommt, ist die Ermittlung des anzurechnenden Betrages einfacher. Anzurechnen ist hier nach folgender Formel:
179 M 43.46 Anrechnungsformel für die Terminsgebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104
VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG aus dem Gesamtwert aller anhängigen und nicht anhängigen Ansprüche – 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG aus dem Wert der anhängigen Ansprüche = Anrechnungsbetrag
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Schneider
Rz. 181 Kap. 43
Anwaltsgebühren
M 43.47 Anrechnung der Verfahrens- und Terminsgebühr nach gescheiterten
180
Einigungsverhandlungen In einem Rechtsstreit über 10.000 Euro (Verfahren 1) erörtern die Parteien zum Zwecke einer Gesamtbereinigung im Termin die anhängigen 10.000 Euro sowie weitere nicht anhängige 8.000 Euro. Die Einigung scheitert. Das Gericht entscheidet über die 10.000 Euro durch Urteil. Die 8.000 Euro werden später eingeklagt (Verfahren 2). Auch hierüber wird verhandelt und durch Urteil entschieden. I. Ausgangsverfahren (Verfahren 1): 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 18.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 18.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro 364,80 Euro 904,80 Euro 835,20 Euro 20,00 Euro 1.760,00 Euro 334,40 Euro 2.094,40 Euro
II. Ermittlung des Anrechnungsbetrages aus der Verfahrensgebühr: –
Gesamtbetrag nach § 15 Abs. 3 RVG, 1,3 aus 18.000 Euro 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG aus 10.000 Euro Anrechnungsbetrag
904,80 Euro – 725,40 Euro 179,40 Euro
III. Ermittlung des Anrechnungsbetrages aus der Terminsgebühr: –
1,2-Gebühr aus 18.000 Euro 1,2-Gebühr aus 10.000 Euro Anrechnungsbetrag
835,20 Euro – 669,60 Euro 165,60 Euro
IV. Abrechnung nachfolgendes Verfahren (Verfahren 2): Insgesamt ergibt sich damit für das nachfolgende Verfahren folgende Berechnung: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG anzurechnen 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG anzurechnen Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro – 179,40 Euro 547,20 Euro – 165,60 Euro 20,00 Euro 815,00 Euro 154,85 Euro 969,85 Euro
d) Einigungsgebühr aa) Überblick Neben den Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG kann der Anwalt im Rechtsstreit zusätzlich eine Ei- 181 nigungsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG verdienen. Die Einigungsgebühr kann im Rechtsstreit ebenso wie die Terminsgebühr nie isoliert entstehen, sondern setzt immer eine entsprechende Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG, gegebenenfalls nach Nr. 3101 VV RVG ermäßigt) voraus. Auch kann der Gegenstandswert der Einigungsgebühr nie höher liegen als der Wert der Verfahrensgebühr. Werden in eine Einigung Ansprüche miteinbezogen, die bisher nicht anhängig waren, so werden sie durch ihre Einbeziehung in die Einigung zum Gegenstand des Verfahrens (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG) und lösen dort sowohl die Einigungsgebühr als auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG aus, die gegebenenfalls allerdings nur iHv. 0,8 entsteht (s. Rz. 105 ff.). Soweit über
Schneider 769
ZPO
M 43.47
ZPO
Kap. 43 Rz. 182
Anwaltsgebühren
die nicht anhängigen Gegenstände auch Besprechungen geführt worden sind, erhalten die beteiligten Anwälte auch eine Terminsgebühr.
182 Die Einigung muss nicht vor Gericht geschlossen oder protokolliert werden. Ebenso wie die außergerichtlichen Einigungsverhandlungen zum Gebührenrechtszug zählen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 RVG), gehört selbstverständlich auch der außergerichtliche Einigungsabschluss gebührenrechtlich zum Verfahren.
183 Werden in einem Verfahren mehrere Einigungen geschlossen, etwa zunächst eine Einigung zum Haftungsgrund und später eine Einigung zur Schadenshöhe, so entsteht nur eine einzige Einigungsgebühr aus dem Gesamtwert (§§ 15 Abs. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm. § 39 Abs. 1 GKG). bb) Begriff der Einigung
184 Der Begriff der Einigung ist in Anm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG selbständig geregelt; der Gebührentatbestand verweist im Gegensatz zu § 23 BRAGO nicht mehr auf § 779 BGB. Eine Einigung iS der Anm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG liegt danach vor, „wenn durch Vertrag der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht“.
185 Die Einigung enthält danach dieselben Voraussetzungen wie ein Vergleich mit dem Unterschied, dass ein gegenseitiges Nachgeben nicht erforderlich ist. (1) Nachgeben
186 Da ein Anerkenntnis und ein Verzicht nicht ausreichen, ist allerdings ein zumindest einseitiges Nachgeben nach wie vor erforderlich. Es genügt insoweit jedes Opfer (zB eine Stundung), das eine Partei aus ihrer Sicht auf sich nimmt, mag es auch ganz geringfügig sein. Ob tatsächlich ein Opfer vorliegt, ist nicht entscheidend. Es kommt nur darauf an, dass aus Sicht der Partei ein Opfer erbracht wird. Ein einseitiges vollständiges Nachgeben, etwa ein einseitiger Verzicht, reicht nicht aus. Nicht notwendig ist dagegen, dass sich die Parteien über die Klageforderung selbst einigen. Auch über die Kosten oder das weitere prozessuale Vorgehen können die Parteien eine Einigung schließen. Das Nachgeben liegt dann darin, dass jede Partei aus ihrer Sicht von eigenen prozessualen Rechten und Möglichkeiten abrückt. Ein solcher Fall kann insbesondere dann gegeben sein, wenn der Beklagte einen Teil der Klage anerkennt und der Kläger die restliche Klage zurücknimmt. Beruht dieses prozessuale Vorgehen auf einer gegenseitigen Vereinbarung der Parteien, so liegt eine Einigung vor (BGH NJW 2007, 2187 = MDR 2007, 979). Dabei ist nicht erforderlich, dass die Parteien ausdrücklich von einer Einigung sprechen. Es reicht aus, dass die Parteien ihre eigene prozessuale Erklärung jeweils von der des Gegners abhängig machen.
187 K
Praxistipp: Auch in diesem Fall muss sorgfältig bedacht werden, dass das Anerkenntnis und die Klagerücknahme kostenmäßig keinen Vorteil bieten, wenn zu den hierdurch ausgelösten Gebühren auch noch die Einigungsgebühr hinzuzurechnen ist. Es kann deshalb einen Beratungsfehler darstellen, wenn auf die Gebührenfolgen nicht ausdrücklich hingewiesen und die Einigungsgebühr alsdann abgerechnet wird.
188 Erklärt sich der Beklagte nach Klagezustellung bereit, die Klageforderung zu erfüllen, und vereinbaren die Parteien daraufhin, dass der Kläger die Klage zurücknimmt und der Beklagte die Kosten des Verfahrens trägt, so liegt hierin ebenfalls der Abschluss einer Einigung. Der Beklagte gibt nach, indem er die bisher bestrittene Klageforderung ausgleicht und entgegen § 269 Abs. 3 ZPO die Kosten des Verfahrens übernimmt. Das Nachgeben des Klägers liegt darin, dass er sein prozessuales Ziel, eine rechtskräftige Entscheidung, aufgibt (AG Frankfurt AGS 2017, 448; AG Itzehoe ZfS 1992, 351; AG Gronau ZfS 1996, 30; aA OLG München MDR 1993, 87; LG Düsseldorf MDR 1993, 182). Die bloße Zustimmung zur Klagerücknahme stellt dagegen keine Einigung dar (OLG Düsseldorf AGS 2009, 20). 770
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 194 Kap. 43
Die Einigungsgebühr erhält der Anwalt nur dann, wenn er beim Abschluss der Einigung mitwirkt (Anm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG). Dies dürfte in gerichtlichen Verfahren keine Probleme bereiten, da der Anwalt in aller Regel bei der Protokollierung der Einigung zugegen ist. Ist dies nicht der Fall, kann dennoch die Einigungsgebühr anfallen, wenn durch seine Tätigkeit ein Beitrag zur Einigung geleistet worden ist. Dies sind insbesondere die Fälle, in denen der Anwalt einen Einigungsvorschlag ausarbeitet, der zunächst nicht angenommen wird, und die Parteien später allein oder mit einem anderen Anwalt (etwa nach Mandatskündigung oder in einem anderen Verfahren) die Einigung doch noch schließen (BGH MDR 2009, 293 = NJW 2009, 922; OLG Celle MDR 1962, 489; KG AnwBl. 1970, 290; LG Heidelberg AGS 2010, 123 = NJW-Spezial 2010, 252). Ebenso verdient der Anwalt die Einigungsgebühr, wenn die Einigung zwischen dem Mandanten und dem Gegner ohne anwaltliche Hilfe oder von einem zuvor beauftragten Anwalt unter einem Widerrufsvorbehalt geschlossen worden ist und der Anwalt von der Ausübung des Widerrufsrechts abrät.
189
cc) Widerruf, Bedingung, Anfechtung Wird die Einigung unter einem Widerrufsvorbehalt geschlossen, so entsteht die Einigungsgebühr erst, wenn die Einigung nicht mehr widerrufen werden kann; ist die Einigung vom Eintritt einer Bedingung abhängig, so entsteht die Gebühr erst mit Eintritt der Bedingung (Anm. Abs. 3 zu Nr. 1000 VV RVG).
190
Wird eine Einigung im Nachhinein angefochten, so gilt sie damit nach § 142 BGB als von Anfang an nichtig. Diese Rechtsfolge ist auch für das Gebührenrecht zu beachten, sodass eine Einigungsgebühr nicht abgerechnet werden kann (ausf. N. Schneider, Einigungsgebühr bei Bedingung, Rücktritt, Widerruf und Anfechtung, NJW-Spezial 2017, 347).
191
dd) Höhe des Gebührensatzes (1) Überblick In den Nrn. 1000 ff. VV RVG sind drei Gebührensätze vorgesehen. Die Einigungsgebühr entsteht grundsätzlich iHv. 1,5 (Nr. 1000 VV RVG). Soweit sich die Parteien über erstinstanzlich anhängige Gegenstände einigen, entsteht sie zu 1,0 (Nr. 1000 VV RVG) und soweit sie sich über Gegenstände einigen, die im Berufungs-, Revisionsverfahren oder Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig sind, entsteht die Einigungsgebühr zu 1,3 (Nr. 1004 VV RVG). In Betracht kommen kann, dass die Einigungsgebühr aus Teilwerten zu unterschiedlichen Gebührensätzen anfällt. Dann dürfen gem. § 15 Abs. 3 RVG die Gebühren aus den Teilwerten den Betrag einer Gebühr aus dem Gesamtwert nach dem höchsten Satz nicht übersteigen.
192
193
Einigung über 1,5-Gebühr nicht anhängige Gegenstände
Nr. 1000 VV RVG
1,0-Gebühr erstinstanzlich anhängige Gegenstände
Nr. 1003 VV RVG
1,3-Gebühr Gegenstände, die im Berufungs- oder Revisionsverfahren oder einem Nr. 1004 VV RVG Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde anhängig sind (dazu gehören auch die in den Vorbem. 3.2.1 und 3.2.2 VV RVG genannten Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren – Anm. Abs. 1 zu Nr. 1004 VV RVG)
K
Hinweis: Es kommt nicht darauf an, in welcher Instanz die Einigung geschlossen worden ist, sondern allein darauf, ob die Gegenstände anhängig sind, und wenn ja, in welcher Instanz.
Schneider 771
194
ZPO
(2) Mitwirkung
ZPO
Kap. 43 Rz. 195
M 43.48
Anwaltsgebühren
195 M 43.48 Abrechnung Einigungsgebühr bei Miteinbeziehung nichtanhängiger
Gegenstände Klage über 10.000 Euro. Im Termin einigen sich die Parteien auch über weitere 8.000 Euro, die nicht anhängig sind. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 18.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert 18.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 18.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
904,80 Euro 835,20 Euro 558,00 Euro 684,00 Euro 1.044,00 Euro 20,00 Euro 2.804,00 Euro 532,76 Euro 3.336,76 Euro
196 M 43.49 Abrechnung Einigungsgebühr bei Miteinbeziehung im Berufungs-
verfahren anhängiger Gegenstände Klage über 10.000 Euro. Im Termin einigen sich die Parteien auch über weitere 8.000 Euro, die in einem Berufungsverfahren anhängig sind. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 18.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert 18.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 1,3-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1004 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 18.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
904,80 Euro 835,20 Euro 558,00 Euro 592,80 Euro 904,80 Euro 20,00 Euro 2.664,80 Euro 506,31 Euro 3.171,11 Euro
(2) Anhängigkeit
197 Anhängig iS der Nrn. 1003, 1004 VV RVG sind die Ansprüche, wenn sie Gegenstand – eines gerichtlichen Verfahrens (Mahnverfahren, Rechtsstreit, Beschwerdeverfahren o.Ä.), – eines Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens (Anm. Satz 1 zu Nr. 1003 VV RVG) oder – eines Hilfsantrags (nicht auch einer Hilfsaufrechnung, OLG Hamm JurBüro 1999, 470; Schneider AGS 2003, 150) – eines Auftrags an den Gerichtsvollzieher (Anm. Satz 2 zu Nr. 1003 VV RVG) sind.
198 K
772
Wichtig: Entgegen der Rechtslage zur BRAGO führt die Anhängigkeit in einem selbständigen Beweisverfahren nicht zu einer Reduzierung der Einigungsgebühr (Nr. 1003 VV RVG). Das Gleiche gilt, wenn ein Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeverfahren für ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist.
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 206 Kap. 43
Für den Gegenstandswert der Einigung kommt es nicht darauf an, welche Leistungen die Parteien einigungsweise übernommen haben, sondern allein darauf, über welche streitigen Ansprüche sie sich geeinigt haben (Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, Rz. 5473 ff.).
199
e) Übersendung von Handakten Die Übersendung der Handakten an einen anderen Prozessbevollmächtigten zählt nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 17 RVG zum Rechtszug und wird durch die dortigen Gebühren abgegolten. Eine Ausnahme hiervon gilt nach Anm. zu Nr. 3400 VV RVG, wenn der Prozessbevollmächtigte im Einverständnis mit dem Auftraggeber die Handakten an den Bevollmächtigten eines höheren Rechtszuges übersendet und dies mit gutachtlichen Äußerungen verbindet. Diese Tätigkeit zählt nicht mehr zum Gebührenrechtszug des Ausgangsverfahrens, sondern gilt als neue selbständige Angelegenheit. Der Anwalt erhält hierfür nach Anm. zu Nr. 3400 VV RVG eine Gebühr in Höhe der Verfahrensgebühr des Rechtsmittelanwaltes, höchstens jedoch eine Gebühr iHv. 1,0.
200
K
Praxistipp: Auch in diesen Fällen kommt es darauf an, ob der Mandant ausdrücklich den Auftrag erteilt hat, so zu verfahren. Die Übermittlung einer Stellungnahme zu den Entscheidungsgründen und Übersendung der Handakten ohne entsprechenden Auftrag – und ggf. ohne Belehrung über die Kostenfolgen – kann eine Zahlungspflicht des Mandanten daher nicht auslösen (BGH NJW 1991, 2084; OLG Koblenz MDR 1993, 181), zumal eine Erstattung dieser besonderen Gebühr grundsätzlich ausgeschlossen ist.
201
Erledigt sich der Auftrag, bevor der übersendende Anwalt gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Rechtsmittelverfahrens tätig geworden ist, reduziert sich diese Gebühr nach Nr. 3405 VV RVG auf 0,5.
202
f) Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen Seit Wegfall der Beweisgebühr wurde ständig kritisiert, dass das RVG für umfangreiche Beweisaufnahmen, insbesondere solche, die sich über mehrere Termine erstrecken, keine angemessene Vergütung vorhalte. Der Gesetzgeber hat sich gegen eine generelle Beweisgebühr entschieden, andererseits aber einen Ausgleich für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen durch eine Zusatzgebühr in Nr. 1010 VV RVG geschaffen. Voraussetzungen dieser Zusatzgebühr sind
203
– eine besonders umfangreiche Beweisaufnahme und – mindestens drei gerichtliche Termine, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden. Zunächst einmal ist Voraussetzung, dass eine „besonders umfangreiche Beweisaufnahme“ stattgefun- 204 den hat. Eine umfangreiche Beweisaufnahme genügt nicht. Sie muss „besonders“ umfangreich sein. Die entsprechenden Kriterien wird die Rechtsprechung sicherlich noch herausarbeiten. Klargestellt ist jedenfalls durch das Tatbestandsmerkmal der „besonders umfangreichen Beweisaufnahme“, dass drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen für sich allein nicht ausreichen. Andererseits fordert der Wortlaut nicht, dass sich der besondere Umfang gerade aus der Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen ergeben muss. Es genügt, dass die Beweisaufnahme insgesamt besonders umfangreich war. Hinzukommen muss, dass mindestens drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen stattgefunden haben. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass der Anwalt an den Terminen auch teilgenommen hat. Es handelt sich nicht um eine zusätzliche Terminsgebühr, die für die Terminsteilnahme gewährt wird, sondern um eine Zusatzgebühr, die den Mehraufwand der besonders umfangreichen Beweisaufnahme abdecken soll.
205
Termine zur Vernehmung eines Zeugen müssen solche nach den §§ 394 ff. ZPO oder nach vergleichbaren Vorschriften anderer Verfahrensordnungen sein. Schriftliche Zeugenaussagen zählen nicht
206
Schneider 773
ZPO
ee) Gegenstandswert
ZPO
Kap. 43 Rz. 207
M 43.50
Anwaltsgebühren
hierzu. Unerheblich ist, ob der Zeuge vor dem erkennenden Gericht, dem beauftragten oder ersuchten Richter vernommen worden ist. Erforderlich ist eine Vernehmung des Zeugen. Dazu reicht bereits die Vernehmung zur Person, auch wenn er sich zur Sache auf ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht beruft. Dagegen reicht es nicht aus, wenn der geladene Zeuge erschienen ist, es aber nicht mehr zur Vernehmung kommt, etwa weil sich die Parteien doch noch zuvor einigen, die Beweisfrage unstreitig wird, der Beweisführer auf den Zeugen verzichtet oder der Zeuge ohnehin nur vorbereitend geladen war und letztlich doch nicht benötigt wird. Wird derselbe Zeuge in mehreren Terminen vernommen, so zählen diese gesondert.
207 Termine zur Vernehmung eines Sachverständigen müssen solche nach § 411 Abs. 3 ZPO oder nach vergleichbaren Vorschriften anderer Verfahrensordnungen sein. Schriftliche Gutachten zählen nicht hierzu, ebenso wenig Termine, die von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumt worden sind, da es sich insoweit nicht um gerichtliche Termine handelt (unzutreffend AG Ravensburg AGS 2016, 393 = RVGreport 2015, 340). Das ergibt sich eindeutig aus der Unterscheidung in Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 VV RVG. Wird derselbe Sachverständige in mehreren Terminen vernommen, so zählen diese gesondert.
208 Werden Zeuge und Sachverständiger in einem Termin vernommen, zählt dies dagegen nur als ein Termin.
209 Die Höhe der Gebühr beträgt 0,3 und richtet sich nach dem Wert der Beweisaufnahme. Soweit in vollem Umfang Beweis erhoben wird, berechnet sich diese Gebühr aus dem Wert des Verfahrens, ansonsten aus dem betreffenden Teilwert.
210 M 43.50 Besonders umfangreiche Beweisaufnahme mit mindestens drei Terminen
(Beweisaufnahme über den gesamten Streitgegenstand) Im Verfahren (Wert: 200.000 Euro) kommt es zu einer umfangreichen Beweisaufnahme mit drei Terminen zur Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen. 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 200.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 200.000 Euro) 0,3-Zusatzgebühr, Nr. 1010 VV RVG (Wert: 200.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
2.616,90 Euro 2.415,60 Euro 603,90 Euro 20,00 Euro 5.656,40 Euro 1.074,72 Euro 6.731,12 Euro
211 M 43.51 Besonders umfangreiche Beweisaufnahme mit mindestens drei Terminen
(Beweisaufnahme nur über einen Teil des Streitgegenstands) In einer Bausache (Wert: 200.000 Euro) kommt es wegen eines Teils der Gewerke iHv. 120.000 Euro zu einer umfangreichen Beweisaufnahme mit drei Terminen zur Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen. Die Zusatzgebühr entsteht jetzt nur aus 120.000 Euro. 1. 2. 3. 4. 5.
774
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 200.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 200.000 Euro) 0,3-Zusatzgebühr, Nr. 1010 VV RVG (Wert: 120.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
2.616,90 Euro 2.415,60 Euro 476,40 Euro 20,00 Euro 5.528,90 Euro 1.050,49 Euro 6.579,39 Euro
M 43.52
Anwaltsgebühren
Rz. 218 Kap. 43
3. Gebühren weiterer Anwälte
ZPO
a) Verkehrsanwalt – Gebührenteilung aa) Überblick Muss ein Rechtsstreit vor einem auswärtigen Gericht geführt werden, so kann die Partei an ihrem 212 Wohnsitz einen Verkehrsanwalt beauftragen und vor dem auswärtigen Gericht einen Prozessbevollmächtigten. Seit dem Wegfall der Zulassungsbeschränkung auf ein Landgericht (§ 78 ZPO) sind solche Konstellationen seltener, zumal die zusätzliche Beauftragung eines Verkehrsanwalts jetzt immer höhere Kosten auslöst als die zusätzliche Beauftragung eines Terminsvertreters. Die Partei wird also in aller Regel einen am eigenen Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Anwalt als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten bestellen. Dieser wird am Termin selbst teilnehmen oder einen Terminsvertreter nach Nrn. 3401, 3402 VV RVG beauftragen (vgl. zur Kostenabwägung bei der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten vor Ort trotz Postulationsfähigkeit des Verkehrsanwalts: Zöller/Herget § 91 ZPO Rz. 13 Postulationsfähigkeit). Die Tätigkeit des Verkehrsanwalts besteht in aller Regel darin, den vor Ort tätigen Prozessbevoll- 213 mächtigten schriftlich oder mündlich über den Tatsachenstoff zu unterrichten. Eine rechtliche Bewertung ist im Rahmen der Abgrenzung zwischen erheblichem und unerheblichem Tatsachenstoff geschuldet. Auch der Entwurf von Schriftsätzen, die der Prozessbevollmächtigte bei Gericht einreichen soll, wird durch die Verkehrsanwaltsgebühr abgedeckt. bb) Vergütung Die Vergütung richtet sich nach Nr. 3400 VV RVG. Der Anwalt erhält für seine Tätigkeit eine Ge- 214 bühr in Höhe der Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten, höchstens jedoch 1,0. Der Gebührensatz kann sich daher erstinstanzlich auf 1,0 oder auf 0,8 belaufen, je nachdem, ob der Prozessbevollmächtigte die 1,3-Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG oder die reduzierte Gebühr nach Nrn. 3100, 3101 VV RVG erhält. Wird der Verkehrsanwalt für mehrere Auftraggeber gemeinschaftlich tätig, erhöht sich die Gebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0. Wirkt der Verkehrsanwalt beim Abschluss einer Einigung mit, so verdient auch er zusätzlich eine Einigungsgebühr nach den Nrn. 1000, 1003 VV RVG.
215
Eine Terminsgebühr kann der (bloße) Verkehrsanwalt nicht verdienen. Soll er (auch) an einem Termin 216 iS der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG teilnehmen, so liegt ein weiterer Auftrag als Terminsvertreter vor; er erhält dann zusätzlich die Vergütung nach Nrn. 3401, 3402, 3104 VV.
M 43.52 Abrechnung Verkehrsanwalt mit Termins- und Einigungsgebühr
217
Der Anwalt ist in einem Rechtsstreit über 8.000 Euro als Verkehrsanwalt beauftragt und führt auftragsgemäß mit dem Gegner telefonische Vergleichsverhandlungen, die mit einer Einigung enden. 1. 2. 3. 4. 5.
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3400 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamthonorar
456,00 Euro 547,20 Euro 456,00 Euro 20,00 Euro 1.479,20 Euro 281,05 Euro 1.760,25 Euro
Wird der Verkehrsanwalt später Prozessbevollmächtigter, etwa infolge einer Verweisung des Rechts- 218 streits, so kann er die Verfahrens- und die Verkehrsanwaltsgebühr nicht nebeneinander verlangen
Schneider 775
ZPO
Kap. 43 Rz. 219
Anwaltsgebühren
M 43.53
(Gedanke des § 15 Abs. 6 RVG). Die 1,0-Verkehrsanwaltsgebühr erstarkt dann zu einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. cc) Gebührenteilung
219 Seit der Neufassung des § 49b BRAO ist eine Gebührenteilung zwischen Verkehrsanwalt und Prozessanwalt unbedenklich, sofern dieser nicht am BGH oder ausschließlich bei einem OLG zugelassen ist (§ 49b Abs. 3 Satz 6 BRAO). Verkehrsanwalt und Prozessbevollmächtigter dürfen danach intern vereinbaren, dass die anfallenden Gebühren untereinander geteilt werden. Die Teilung darf jedoch nicht zur Bedingung der Mandatserteilung gemacht werden (§ 49b Abs. 3 Satz 3 BRAO). Auf die Vergütungsansprüche gegenüber dem Mandanten hat die interne Teilungsabrede keinen Einfluss.
220 Unzulässig ist eine Gebührenteilungsabrede allerdings, wenn nur die Teilung der erstattungsfähigen Gebühren vereinbart wird und darin gleichzeitig ein Verzicht auf die nicht erstattungsfähigen Gebühren, also in der Regel die Verkehrsanwaltsgebühr, liegt. Ein solcher Verzicht auf Gebühren ist nach § 49b BRAGO, § 1 UWG unzulässig und damit standeswidrig (BGH NJW 2006, 3569 = MDR 2007, 180; AnwG Tübingen AnwBl. 1999, 229 = AGS 1999, 101; LG Halle NJW-RR 1998, 1677). Keine Bedenken bestehen jedoch gegen eine Vereinbarung, dass nur die erstattungsberechtigten Gebühren geteilt werden sollen und der Verkehrsanwalt die Vergütung nach Nr. 3400 VV RVG zusätzlich – also ungeteilt – erhält (BGH NJW 2006, 3569 = MDR 2007, 180; Madert AGS 1999, 101). Eine solche Vereinbarung kann durchaus angemessen sein, wenn – wie in der Praxis häufig üblich – der Verkehrsanwalt den gesamten Prozessstoff mit der Partei aufarbeitet und die Schriftsätze unterzeichnungsreif anfertigt.
221 K
Praxistipp: Jede Gebührenteilung birgt die Gefahr, dass sich keiner der an der Teilungsvereinbarung beteiligten Anwälte für das Verfahren voll verantwortlich fühlt. Der Korrespondenzanwalt vertraut auf die Kontrolle des Prozessbevollmächtigten am Ort des Gerichts; der Prozessbevollmächtigte geht davon aus, dass der Korrespondenzanwalt alle erheblichen Fragen erörtert und bedacht hat. Zudem führt eine Teilung, die für den Prozessbevollmächtigten die Übernahme der Verantwortung auch von der Höhe der an ihn fließenden Vergütung aus gesehen vergällt, häufig dazu, dass in der mündlichen Verhandlung das Gericht auf einen unvorbereiteten Prozessbevollmächtigten trifft. Diese Folgen der Gebührenteilungsvereinbarung sind bei ihrer Ausgestaltung stets zu bedenken.
222 M 43.53 Gebührenteilungsabrede Sehr geehrter Herr Kollege, in vorbezeichneter Sache nehme ich Bezug auf unser Telefonat vom … und bestätige Ihnen die getroffenen Vereinbarungen wie folgt: Sie haben sich bereit erklärt, für die gemeinsamen Mandanten die Prozessführung vor dem LG … zu übernehmen, wobei sämtliche Schriftsätze von mir angefertigt und Ihnen unterschriftsreif1 zur Verfügung gestellt werden. Die Termine vor Gericht werden von Ihnen wahrgenommen. Hinsichtlich der Abrechnung hatten wir vereinbart, sämtliche bei Ihnen und bei mir anfallenden Gebühren hälftig zu teilen. Ich bitte Sie, mir diese Vereinbarung schriftlich zu bestätigen. Ausgehend hiervon übersende ich Ihnen als Anlage die vorbereitete Klageschrift mit der Bitte, diese auf Ihren Briefkopf zu nehmen und beim Landgericht einzureichen. 1 Diese Formulierung kann beim Prozessbevollmächtigten am Sitz des Gerichts das Verständnis erwecken, er habe sich um die Verfahrensführung nicht weiter zu kümmern. Dass dies nicht nur haftungsrechtlich, sondern auch für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten fatal sein kann, liegt auf der Hand. Eine genaue Abgrenzung der Aufgabenteilung im Innenverhältnis ist daher empfehlenswert (s. Kap. 1 Rz. 17 ff.).
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Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 227 Kap. 43
Anstatt im Namen des Mandanten einen weiteren Anwalt vor Ort zu beauftragen, kann der Prozess- 223 bevollmächtigte auch in eigenem Namen einen gerichtsansässigen Anwalt als Vertreter bestellen. In diesem Fall kommt ein Vertrag mit dem Mandanten nicht zustande. Der Vertreter wird ausschließlich im Auftrag des vertretenen Anwalts tätig, der wiederum nach § 5 RVG mit seinem Mandanten so abrechnet, als sei er selbst tätig geworden. Diese vertragliche Konstruktion wiederum hat zur Folge, dass das RVG im Verhältnis der Anwälte untereinander nicht anwendbar ist. Der Prozessbevollmächtigte kann daher mit dem beauftragten Anwalt eine beliebige Vergütungsvereinbarung treffen. Diese interne Vereinbarung unterliegt keinen Schranken. Insbesondere sind § 49b BRAO und § 1 UWG nicht einschlägig (BGH MDR 2001, 173 = BRAGOreport 2001, 26 m. Anm. Wolf = AGS 2001, 51). Nach zutreffender Ansicht können diese Kosten, die der Anwalt aufwendet, auch in Höhe der ersparten Kosten eines Terminsvertreters erstattet verlangt werden (unzutreffend OLG Stuttgart MDR 2017, 1212 = AGS 2017, 540).
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Wichtig: Bei der Annahme eines Auftrags als Vertreter des Prozessbevollmächtigten muss der Anwalt beachten, dass ihn ungeachtet der geringen Vergütung, die er mit dem Prozessbevollmächtigten vereinbart, das volle Haftungsrisiko trifft.
M 43.54 Terminsvertretungsvereinbarung
224
225
Sehr geehrter Herr Kollege, in vorbezeichneter Sache nehme ich Bezug auf unser Telefonat vom … und bestätige Ihnen die getroffenen Vereinbarungen wie folgt: Sie haben sich bereit erklärt, den Verhandlungstermin am … (Kopie der Ladung liegt bei) vor dem LG … wahrzunehmen. Sofern das Gericht eine Einigung vorschlägt, kann diese nur mit einer Widerrufsfrist von 14 Tagen abgeschlossen werden. Hinsichtlich der Abrechnung hatten wir vereinbart, dass Sie von mir für die Terminswahrnehmung ein Pauschalhonorar iHv. … Euro zuzüglich Umsatzsteuer erhalten. Ich bitte Sie, mir diese Vereinbarungen schriftlich zu bestätigen. Einen Auszug aus meinen Handakten zu Ihrer Unterrichtung sowie eine schriftliche Terminsvollmacht füge ich als Anlage bei.
K
Wichtig: Die Kostenrechnung des Terminsanwalts muss auf den Prozessbevollmächtigten ausgestellt werden, da nur dieser Auftraggeber ist, nicht die vertretene Partei. Anderenfalls kann der Prozessbevollmächtigte den an den Terminsvertreter gezahlten Betrag nicht steuerlich geltend machen. Der Prozessbevollmächtigte wiederum kann die Kosten der Terminsvertretung (netto) dem Auftraggeber zuzüglich Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) als Auslagen gem. Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG in Rechnung stellen, soweit diese Kosten die Kosten der eigenen Terminsreise oder eines Terminsvertreters nach Nrn. 3401 ff. VV RVG nicht übersteigen. Insoweit sind die Kosten auch nach § 91 ZPO erstattungsfähig (N. Schneider, AG kompakt 2014, 32 unzutreffend OLG Stuttgart MDR 2017, 1212 = AGS 2017, 540). Auch mit der Landeskasse können die Kosten des Terminsvertreters als Auslagen nach § 46 RVG abgerechnet werden (OLG Hamm MDR 2014, 308 = AGS 2014, 194).
M 43.55 Abrechnung Prozessbevollmächtigter bei Beauftragung eines Terminsvertreters in eigenem Namen Der Anwalt erhält den Auftrag, einen Rechtsstreit über 8.000 Euro zu führen. Die Klage muss vor einem auswärtigen Gericht eingereicht werden. Insoweit beauftragt der Prozessbevollmächtigte einen Terminsvertreter in eigenem Namen und vereinbart mit ihm für die Terminswahrnehmung ein Pauschalhonorar iHv. 300 Euro zuzüglich Umsatzsteuer. Die Reisekosten hätten sich auf 400 Euro belaufen.
Schneider 777
226
227
ZPO
M 43.55
ZPO
Kap. 43 Rz. 228
M 43.55
Anwaltsgebühren
Die Terminsgebühr kann der Prozessbevollmächtigte nach § 5 RVG unmittelbar abrechnen. Da sowohl die eigenen Reisekosten als auch die Kosten eines im Namen der Partei beauftragten Terminsvertreters (0,65-Gebühr nach Nr. 3401, 3100 VV RVG: 296,40 Euro zuzüglich 20 Euro Postentgeltpauschale) höher gelegen hätten, kann der Anwalt die geringeren tatsächlichen Auslagen dem Mandanten in Rechnung stellen. 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nrn. 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Auslagen Terminsvertreung, Vorbem. 7 Abs. 1 VV RVG, §§ 675, 670 BGB Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 300,00 Euro 1.460,00 Euro 274,40 Euro 1.737,40 Euro
b) Mehrere Anwälte in überörtlicher Sozietät
228 Werden in einem Rechtsstreit mehrere Anwälte einer überörtlichen Sozietät tätig, so entstehen sämtliche Gebühren nur ein einziges Mal. Nach ganz hM wird der Anwaltsvertrag mit sämtlichen Sozien geschlossen, so dass sämtliche Mitglieder der Sozietät von vornherein beauftragt sind und sämtliche Mitglieder auch den Vergütungsanspruch erwerben. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Gebühren auch nur ein einziges Mal verlangt werden können. Soweit der Mandant eine ortsansässige Kanzlei beauftragt, die am auswärtigen Prozessgericht ein soziiertes Büro unterhält, und einer der dortigen Anwälte als Prozessbevollmächtigter tätig wird, entsteht nur eine einzige Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Soweit die Mitglieder des ortsansässigen Büros den Verkehr mit dem auswärtigen Büro führen, entfällt keine Verkehrsanwaltsgebühr. Auch die anderen Gebühren – Termins- und Einigungsgebühren – fallen insgesamt nur ein einziges Mal an (OLG München MDR 1995, 752 = OLGR 1995, 131; KG KGR 1996, 117 = Rpfleger 1995, 433). c) Vertreter des Streithelfers
229 Vertritt der Anwalt einen Streithelfer (unselbständige Nebenintervention, § 67 ZPO; vgl. Kap. 19 und 30), so erhält auch er die Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG. Hinsichtlich seiner Vergütung kann daher auf die Vergütung des Prozessbevollmächtigten verwiesen werden. Zu beachten sind allerdings folgende Besonderheiten:
230 Ohne Beitritt des Streithelfers erhält der Anwalt lediglich eine reduzierte Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG. Die volle 1,3-Verfahrensgebühr sowie die Terminsgebühr kann der Anwalt nur verdienen, wenn die Gebührentatbestände in seiner Person nach Beitritt des Streithelfers eingetreten sind.
231 K
Wichtig: Für den Anspruch auf eine volle 1,3-Verfahrensgebühr ist unbedingt darauf zu achten, dass der Beitritt erklärt wird.
232 Die Einigungsgebühr kann dagegen auch ohne Beitritt entstehen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Einigung auch die Rechtsverhältnisse des Nebenintervenienten regelt (OLG Hamburg JurBüro 1979, 1013). Werden nur die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien geregelt, so erhält der Anwalt des Nebenintervenienten keine Einigungsgebühr, selbst wenn er an dem Abschluss der Einigung mitwirkt (OLG Stuttgart Justiz 1999, 336 noch zur Vergleichsgebühr).
233 Eine Terminsgebühr erhält der Streithelfer nach dem RVG schon, wenn er an der mündlichen Verhandlung teilnimmt. Einen Antrag muss er nicht stellen. Allerdings ist auch hier der Beitritt Voraussetzung.
778
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 240 Kap. 43
234
Der beigetretene Streithelfer erhält von der Gegenpartei nach § 101 ZPO eine Kostenerstattung, soweit diese unterlegen ist. Da der Streithelfer jedoch nicht Partei des Rechtsstreits ist, gehören die ihm entstandenen Anwaltskosten nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, so dass er aufgrund der dort ergehenden Kostenentscheidung keine Festsetzung beantragen kann. Es ist vielmehr erforderlich, dass das Gericht neben den Kosten des Rechtsstreits auch über die Kosten des Streithelfers entscheidet.
235
K
Wichtig: Eine Kostenerstattung kommt nur dann in Betracht, wenn die Partei beigetreten ist. Ohne Beitritt ist eine Kostenentscheidung nach § 101 ZPO nicht zulässig.
236
K
Wichtig: Der Anwalt muss daher dringend darauf achten, dass eine Kostenentscheidung zugunsten des Streithelfers ergeht. Unterbleibt dieser Kostenausspruch, muss innerhalb von zwei Wochen eine Ergänzung nach § 321 ZPO beantragt werden (vgl. Kap. 41 sowie M 19.29). Nach Ablauf der Frist ist ein Nachholen der Kostenentscheidung grundsätzlich nicht mehr möglich, so dass damit eine prozessuale Kostenerstattung endgültig ausfällt.
237
ZPO
Der Gegenstandswert für die Gebühren des Streithelfers bemisst sich nicht zwingend nach dem Wert der Hauptsache. Das Interesse des Streithelfers an dem Ausgang des Rechtsstreits ist vielmehr gesondert zu bewerten, so dass es einer gesonderten Streitwertfestsetzung bedarf (Schneider/Herget Rz. 4242 ff. m. Nachw. zur Rspr.).
Schließen die Hauptparteien einen Vergleich ohne Mitwirkung des Nebenintervenienten, indem sie 238 vereinbaren, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben, so war früher umstritten, welche Auswirkungen dies für den Streithelfer hat. Nach hM stand dem Streithelfer aufgrund dieser Kostenvereinbarung ein Erstattungsanspruch in Höhe der Hälfte seiner Kosten zu (OLG Bremen MDR 1998, 1310 = OLGR 1998, 285). Der BGH (AGS 2003, 293 = BGHR 2003, 769) hat diese Streitfrage zwischenzeitlich dahin gehend entschieden, dass eine prozessuale Kostenerstattung mangels Kostengrundentscheidung oder Kostenvereinbarung in diesem Falle ausscheide (ebenso schon OLG Karlsruhe MDR 1997, 401; OLG Frankfurt/M. OLGR 1998, 363). Schließen die Parteien zunächst einen Vergleich und wird hiernach die Klage zurückgenommen, geht die im Vergleich getroffene Kostenregelung auch im Verhältnis zum Streithelfer der gesetzlichen Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO vor (KG AGS 2004, 256 im Anschluss an BGHZ 154, 351). d) Vergütung des Terminsvertreters aa) Überblick Terminsvertreter ist derjenige Anwalt, der einen Termin iS der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG im Auftrag des Mandanten wahrnehmen soll, der also nicht mit der Prozessführung insgesamt beauftragt ist. Er erhält seine Vergütung nach den Nrn. 3401, 3402 VV RVG. Zu erstatten sind die dadurch anfallenden Mehrkosten über den Wortlaut des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO hinaus, wenn die Gesamtkosten, also die des Hauptbevollmächtigten und des Terminsvertreters, diejenigen Kosten nicht wesentlich übersteigen, die entstanden wären, wenn der Hauptbevollmächtigte umfassend tätig geworden wäre, also wenn er selbst zum Termin angereist wäre (BGH AGS 2003, 97 = NJW 2003, 898). Als unwesentlich werden dabei Überschreitungen von bis zu 10 % angesehen (BGH AGS 2003, 97 = NJW 2003, 898; BGH RVGreport 2004, 74; LG Köln AGS 2005, 524 = JurBüro 2005, 654; OLG Bamberg AGS 2007, 49 = JurBüro 2006, 541).
239
bb) Verfahrensgebühr Der Terminsvertreter erhält nach Nr. 3401 VV RVG zunächst einmal eine Verfahrensgebühr in Höhe der Hälfte der Verfahrensgebühr, die dem Verfahrensbevollmächtigten entsteht bzw. ihm entstehen würde. Zu fragen ist also danach, welche Verfahrensgebühr ein Prozessbevollmächtigter erhalten
Schneider 779
240
ZPO
Kap. 43 Rz. 241
M 43.56
Anwaltsgebühren
würde. Hiervon erhält dann der Terminsvertreter die Hälfte. Eine Begrenzung ist hier im Gegensatz zu Nr. 3400 VV RVG nicht vorgesehen. Erstinstanzlich entsteht also eine 0,65-Verfahrensgebühr.
241 Erledigt sich das Verfahren vorzeitig, so reduziert sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3405 VV RVG auf 0,5.
242 Soweit der Terminsvertreter mehrere Auftraggeber vertritt, erhöht sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3, höchstens um 2,0. Im erstinstanzlichen Verfahren fällt also bei der Vertretung von zwei Auftraggebern eine 0,95-Verfahrensgebühr an. cc) Terminsgebühr
243 Neben der Verfahrensgebühr erhält der Terminsvertreter nach Nr. 3402 VV RVG zusätzlich eine Terminsgebühr in Höhe der Terminsgebühr, die ein Prozessbevollmächtigter erhalten würde. Erstinstanzlich entsteht also die Gebühr nach Nr. 3104 VV RVG und im Falle eines Versäumnisurteils die Gebühr nach Nrn. 3104, 3105 VV RVG. dd) Einigungsgebühr
244 Wirkt der Terminsvertreter an einer Einigung iS der Anm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG mit, so erhält er daneben auch eine Einigungsgebühr, und zwar iHv. 1,0, soweit die Gegenstände anhängig sind (Nr. 1003 VV RVG) und iHv. 1,5, sofern nicht anhängige Gegenstände in die Einigung mit einbezogen werden (Nr. 1000 VV RVG).
245 Auch die bloße Protokollierung eines zwischen den Prozessbevollmächtigten bereits ausgehandelten Vergleichs löst nach der Neufassung der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG aus, da jeglicher gerichtlicher Termin ausreicht. Es muss nicht mehr ein Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin sein.
246 M 43.56 Abrechnung Terminsvertreter, vorzeitige Erledigung Der Anwalt erhält den Auftrag, in einem Rechtsstreit über 8.000 Euro einen Verhandlungs- und Beweisaufnahmetermin wahrzunehmen. Zur Durchführung des Termins kommt es jedoch nicht mehr, weil die Parteien sich ohne Mitwirkung des Terminsvertreters vorher einigen und der Termin aufgehoben wird. 1. 2. 3.
0,5-Verfahrensgebühr, Nrn. 3401, 3405 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
228,00 Euro 20,00 Euro 248,00 Euro 47,12 Euro 295,12 Euro
247 M 43.57 Abrechnung Terminsvertreter, Teilnahme am Termin Wie M 43.55, der Termin wird jedoch durchgeführt. 1. 2. 3. 4.
780
0,65-Verfahrensgebühr, Nr. 3401 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nrn. 3402, 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
296,40 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 863,60 Euro 164,08 Euro 1.028,68 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 252 Kap. 43
M 43.58 Abrechnung Terminsvertreter mit Einigung über anhängige Gegenstände
248
Wie M 43.55; im Termin schließt der Terminsvertreter eine Einigung unter Widerrufsvorbehalt. Die Einigung wird nicht widerrufen. 1. 2. 3. 4. 5.
0,65-Verfahrensgebühr, Nr. 3401 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nrn. 3402, 3104 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 8.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
296,40 Euro 547,20 Euro 456,00 Euro 20,00 Euro 1.319,60 Euro 250,72 Euro 1.570,32 Euro
M 43.59 Abrechnung Terminsvertreter mit Einigung auch über nicht anhängige
249
Gegenstände Wie M 43.55; im Termin schließt der Terminsvertreter eine Einigung, in die auch weitere nicht anhängige Forderungen iHv. 3.000 Euro einbezogen werden. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
0,65-Verfahrensgebühr, Nr. 3401, 3100 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 0,4-Verfahrensgebühr, Nr. 3401, 3101 VV RVG (Wert 3.000 Euro) (die Grenze des. § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 0,65 aus 11.000 Euro, 392,60 Euro ist nicht überschritten) 1,2-Terminsgebühr, Nrn. 3402, 3104 VV RVG (Wert 11.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 8.000 Euro) 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert 3.000 Euro) (die Grenze des. § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3 aus 11.000 Euro, 785,20 Euro ist nicht überschritten) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
296,40 Euro 80,40 Euro 724,80 Euro 456,00 Euro 301,50 Euro 20,00 Euro 1.894,90 Euro 360,03 Euro 2.254,93 Euro
ee) Gebühren des Prozessbevollmächtigten Der Prozessbevollmächtigte erhält – im Gegensatz zur BRAGO – für die Übertragung der mündlichen Verhandlung keine Gebühr mehr. Dem Prozessbevollmächtigten entsteht daher in aller Regel nur die Verfahrensgebühr, die auch die Einschaltung des unterbevollmächtigten Terminsvertreters abgilt. Nur dann, wenn auch der Prozessbevollmächtigte an einem Termin iS der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG teilnimmt, kann er zusätzlich die Terminsgebühr verdienen.
250
Beispiele: Der in Köln ansässige Prozessbevollmächtigte beauftragt im Namen des Mandanten einen Terminsvertreter für einen Rechtsstreit vor dem Amtsgericht München. Vor dem Amtsgericht Köln findet später eine Zeugenvernehmung vor dem ersuchten Richter statt, an der er teilnimmt. Der Prozessbevollmächtigte beauftragt für den Rechtsstreit im Namen des Mandanten vor einem auswärtigen Gericht einen Terminsvertreter. Nach dem Termin führt der Prozessbevollmächtigte unmittelbar mit dem Gegner Gespräche zur Erledigung des Rechtsstreits. In beiden Fällen entsteht dem Prozessbevollmächtigten ebenfalls die Terminsgebühr.
251
Der Prozessbevollmächtigte kann auch neben dem Terminsvertreter eine Einigungsgebühr verdienen, wenn er an einer Einigung mitwirkt. Diese ist auch erstattungsfähig (BGH AGS 2014, 202 = MDR 2014, 499; OLG München AGS 2008, 52 u. 102 = NJW-Spezial 2008, 60).
252
Schneider 781
ZPO
M 43.59
Kap. 43 Rz. 253
M 43.60
Anwaltsgebühren
ZPO
4. Besondere Verfahren a) Mahnverfahren aa) Gebühren des Antragstellervertreters
253 Im Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides erhält der Anwalt des Antragstellers eine 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG. Erledigt sich der Auftrag vor Einreichung des Mahnantrags, entsteht die Gebühr nur zu 0,5 (Nr. 3306 VV RVG). Bei gemeinschaftlicher Vertretung mehrerer Auftraggeber erhöht sich die Gebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0.
254 Im Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides erhält der Anwalt eine weitere 0,5-Gebühr nach Nr. 3308 VV RVG. Eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG kommt hier nur in Betracht, wenn der Anwalt nicht schon die erhöhte Gebühr nach Nr. 3305 VV RVG erhalten hat. Beide Erhöhungen können nicht nebeneinander eintreten (Anm. Satz 2 zu Nr. 3308 VV RVG).
255 K
Wichtig: Die Gebühr nach Nr. 3308 VV RVG entsteht bereits mit dem Auftrag, den Vollstreckungsbescheid zu beantragen, vorausgesetzt, der Gegner hat trotz Ablaufs der Widerspruchsfrist keinen Widerspruch erhoben oder er hat ihn wieder zurückgenommen. Ob der Antrag tatsächlich eingereicht und der Vollstreckungsbescheid auch erlassen wird, ist für die bereits entstandene Gebühr unerheblich (Beispiel: Vor Verfügung des Vollstreckungsbescheides nach § 694 Abs. 1 ZPO geht doch noch ein Widerspruch ein – OLG Hamburg MDR 2000, 356 = KostRsp. BRAGO § 43 Nr. 56 m. Anm. N. Schneider; N. Schneider AGS 2003, 58).
256 M 43.60 Abrechnung Mahnverfahren Antragsteller Auftrag zu Mahnverfahren iHv. 3.000 Euro; Zahlung iHv. 1.000 Euro; Antrag auf Vollstreckungsbescheid über 2.000 Euro. 1. 2. 3. 4.
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 3.000 Euro) 0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3308 VV RVG (Wert 2.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
201,00 Euro 75,00 Euro 20,00 Euro 296,00 Euro 56,24 Euro 352,24 Euro
257 Häufig wird übersehen, dass der Antrag auf Erlass des Vollstreckungsbescheides auch dann die Gebühr nach Nr. 3308 VV RVG auslöst, wenn das streitige Verfahren bereits anhängig war, dort aber der Widerspruch vor der mündlichen Verhandlung wieder zurückgenommen worden ist (§ 697 Abs. 4 ZPO). Zwar erlässt jetzt das Prozessgericht den Vollstreckungsbescheid; gebührenrechtlich zählt die Tätigkeit des Anwalts jedoch noch zum Mahnverfahren, so dass sie auch dort nach Nr. 3308 VV RVG abzurechnen ist.
258 Die Gebühr im Verfahren auf Erlass des Mahnbescheides ist nach Anm. zu Nr. 3305 VV RVG auf die Prozessgebühr eines späteren Rechtsstreits anzurechnen, nicht dagegen die Gebühr für den Vollstreckungsbescheid. Diese Gebühr bleibt erhalten und muss später vor Gericht gegebenenfalls als Kosten der Säumnis (§§ 702, 344 ZPO) ausgetrennt werden (ausf. N. Schneider AGS 2003, 58; aA AG Halle AGS 2010, 408). Eine Anrechnung unterbleibt allerdings gem. § 15 Abs. 5 Satz 2 BRAGO, wenn seit der Beendigung des Mahnverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre verstrichen sind (OLG München MDR 2000, 785).
259 Im Mahnverfahren kann auch eine Terminsgebühr anfallen, da nach Vorbem. 3.3.2 VV RVG auf die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG verwiesen wird. Zwar findet ein gerichtlicher Termin hier 782
Schneider
M 43.62
Rz. 263 Kap. 43
Anwaltsgebühren
ZPO
nicht statt, die beteiligten Anwälte können aber nach Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG die Terminsgebühr verdienen, wenn sie eine Besprechung mit dem Gegner oder einem Dritten zur Erledigung oder Vermeidung des Mahnverfahrens oder zur Vermeidung des nachfolgenden streitigen Verfahrens führen. Des Weiteren kann auch eine Einigungsgebühr (Anm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG) anfallen, wenn es zu einer Einigung kommt. Die Höhe beläuft sich dann auf 1,0 (Nr. 1003 VV RVG).
260
M 43.61 Abrechnung Mahnverfahren mit Besprechung und Einigung
261
Mahnverfahren über 7.500 Euro; nach Zustellung des Mahnbescheides verhandelt der Anwalt des Antragstellers mit dem Antragsgegner und schießt einen Vergleich. Mahnverfahren: 1. 2. 3. 4. 5.
K
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 7.500 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 7.500 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
456,00 Euro 547,20 Euro 456,00 Euro 20,00 Euro 1.479,20 Euro 281,05 Euro 1.760,25 Euro
Hinweis: Sowohl Termins- als auch Einigungsgebühr müssen auf Antrag in den Vollstreckungsbescheid aufgenommen werden, etwa wenn die Parteien einen Teilzahlungsvergleich oder einen Teilerlass bei Zahlung im Übrigen vereinbaren und der Antragsteller einen Vollstreckungsbescheid über die Gesamtforderung erhalten soll, für den Fall, dass nicht gezahlt wird (KG AGS 2006, 65 = Rpfleger 2005, 697; LG Bonn/AG Euskirchen AGS 2007, 265 m. Anm. N. Schneider; LG Bonn AGS 2007, 447; LG Lüneburg AGS 2007, 646 = NJW-Spezial 2007, 556). Gegebenenfalls ist der Vollstreckungsbescheid zu ergänzen (OLG Schleswig AGS 2008, 505 = MDR 2008, 1004).
M 43.62 Abrechnung Mahnverfahren – Vollstreckungsbescheid nach
263
Widerspruchsrücknahme im streitigen Verfahren Mahnverfahren über 7.500 Euro; es wird fristgerecht Widerspruch eingelegt und an das zuständige LG abgegeben; vor mündlicher Verhandlung wird der Einspruch zurückgenommen; das LG erlässt antragsgemäß den Vollstreckungsbescheid. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3. 4.
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 7.500 Euro) 0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3308 VV RVG (Wert 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
456,00 Euro 228,00 Euro 20,00 Euro 704,00 Euro 133,76 Euro 837,76 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 7.500 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV RVG, 1,0 aus 7.500 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
262
592,80 Euro – 456,00 Euro 20,00 Euro 156,80 Euro 29,79 Euro 186,59 Euro
Schneider 783
Kap. 43 Rz. 264
Anwaltsgebühren
ZPO
264 Checkliste: Bevollmächtigter des Anspruchstellers l Mahnantrag eingereicht? l Auftrag vor Mahnantrag erledigt? l Vollstreckungsbescheid nach Fristablauf beantragt? l Vollstreckungsbescheid beantragt nach Einspruchsrücknahme im streitigen Verfahren? l Mehrere Auftraggeber?
– 1,0-Gebühr, Nr. 3305 VV RVG – 0,5-Gebühr, Nr. 3306 VV RVG – 0,5-Gebühr, Nr. 3308 VV RVG – 0,5-Gebühr, Nr. 3308 VV RVG – Gebühren nach Nrn. 3305, 3308 VV RVG erhöhen sich nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 (Einschränkung nach Satz 2 Anm. zu Nr. 3308 VV RVG beachten) – 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, Vorbem. 3.3.2 VV RVG – 1,0-Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV RVG
l Ist eine Besprechung iS der Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG geführt worden? l Ist eine Einigung iS der Nr. 1000 VV RVG geschlossen worden? bb) Gebühren des Antragsgegnervertreters
265 Der Vertreter des Antragsgegners erhält für dessen Vertretung eine Verfahrensgebühr iHv. 0,5 (Nr. 3307 VV RVG). Mit dieser Gebühr ist seine gesamte Tätigkeit einschließlich der Entgegennahme der Information, Prüfung der Erfolgsaussichten und der eventuellen Begründung des Widerspruchs abgegolten (für den alten Rechtszustand: OLG Koblenz JurBüro 1978, 1200 m. Anm. Mümmler). Das ist nunmehr durch die Neufassung ausdrücklich klargestellt.
266 Stellt der Vertreter des Antragsgegners mit dem Widerspruch bereits den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens (§ 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO), so gehört diese Tätigkeit nicht mehr zur Gebührenangelegenheit des Mahnverfahrens. Vielmehr verdient der Anwalt damit bereits die Verfahrensgebühr des folgenden Rechtsstreits nach Nr. 3100 VV RVG (OLG Hamm AnwBl. 1989, 682 = MDR 1989, 648).
267 Ebenso zählt die Erhebung des Einspruchs nicht mehr zum Mahnverfahren. Auch diese Tätigkeit gehört zum nachfolgenden Rechtszug und löst bereits dort die Verfahrensgebühr aus.
268 Auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG wird auf die nachfolgende Verfahrensgebühr des Rechtsstreits angerechnet (Anm. zu Nr. 3307 VV RVG). Eine Anrechnung unterbleibt dagegen gem. § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, wenn seit der Beendigung des Mahnverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre verstrichen sind (OLG München MDR 2000, 785).
269 Ebenso wie der Vertreter des Antragstellers kann auch der Vertreter des Antragsgegners eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG (Vorbem. 3.3.2 VV RVG) und eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV RVG erhalten.
270 Checkliste: Bevollmächtigter des Antragsgegners l l l l
Widerspruch eingelegt? Beratung über Mahnantrag ohne Widerspruch? Streitantrag gestellt? Einspruch gegen Vollstreckungsbescheid eingelegt? l Mehrere Auftraggeber gemeinschaftlich vertreten? l Ist eine Besprechung iS der Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG geführt worden? l Ist eine Einigung iS der 1000 VV RVG geschlossen worden?
784
Schneider
– – – –
0,5-Gebühr, Nr. 3307 VV RVG 0,5-Gebühr, Nr. 3307 VV RVG 1,3-Gebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,3-Gebühr, Nr. 3100 VV RVG
–
alle Gebühren erhöhen sich nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, Vorbem. 3.3.2 VV RVG 1,0-Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 1003 VV RVG
– –
Anwaltsgebühren
Rz. 277 Kap. 43
M 43.63 Abrechnung Mahnverfahren Antragsgegner
271
Es ergeht ein Mahnbescheid iHv. 3.000 Euro; nach Beratung wird Widerspruch auf 2.000 Euro beschränkt und gleichzeitig Streitantrag gestellt. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3307 VV RVG (Wert 3.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
100,50 Euro 20,00 Euro 120,50 Euro 22,90 Euro 143,40 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 2.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV RVG, 0,5 aus 2.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
195,00 Euro – 75,00 Euro 20,00 Euro 140,00 Euro 26,60 Euro 166,60 Euro
b) Selbständiges Beweisverfahren aa) Anwendbare Vorschriften Im selbständigen Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO erhält der Anwalt die gleichen Gebühren 272 wie im ordentlichen Rechtsstreit, also nach den Nrn. 3100 ff. VV RVG. Die Gebühren nach Teil 3 VV RVG gelten unmittelbar. bb) Selbständige Angelegenheit Das selbständige Beweisverfahren ist gegenüber dem Hauptsacheverfahren eine eigene selbständige Gebührenangelegenheit. Der Anwalt kann daher im selbständigen Beweisverfahren und im Rechtsstreit sämtliche Gebühren gesondert verdienen. Lediglich die Verfahrensgebühren werden aufeinander angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG).
273
cc) Verfahrensgebühr Im selbständigen Beweisverfahren erhält der Anwalt zunächst einmal die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG.
274
Vertritt der Anwalt mehrere Auftraggeber wegen desselben Gegenstands, erhöht sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0 (s. dazu Rz. 65 ff.).
275
Nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV wird die Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs angerechnet. Die Terminsgebühr wird dagegen nicht angerechnet, sondern verbleibt anrechnungsfrei.
276
dd) Terminsgebühr Neben der Verfahrensgebühr kann der Anwalt auch im selbständigen Beweisverfahren eine 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) verdienen. Die Terminsgebühr entsteht nicht nur dann, wenn es in einem gerichtlichen Termin zu Verhandlungen oder Erörterungen kommt (zB im Fall des § 492 Abs. 3 ZPO), sondern auch dann, wenn der Anwalt an einem vom Sachverständigen anberaumten Termin teilnimmt. Dies ergibt sich ausdrücklich aus Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG. Danach
Schneider 785
277
ZPO
M 43.63
ZPO
Kap. 43 Rz. 278
Anwaltsgebühren
entsteht die Terminsgebühr auch für die Vertretung und Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins.
278 Darüber hinaus kann im selbständigen Beweisverfahren die Terminsgebühr auch dadurch anfallen, dass der Anwalt an Besprechungen oder Terminen ohne Beteiligung des Gerichts und des Sachverständigen mit dem Gegner teilnimmt, um eine weitere Auseinandersetzung oder einen nachfolgenden Rechtsstreit zu vermeiden (Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG). Dass im Beweisverfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, ist insoweit unerheblich.
279 Eine Anrechnung der Terminsgebühr ist nicht vorgesehen. ee) Einigung
280 Kommt es im Beweisverfahren zu einer Einigung, so entsteht nach Nr. 1000 VV RVG eine Einigungsgebühr. Die Höhe der Einigungsgebühr beläuft sich auf 1,5, und zwar auch dann, wenn über die Gegenstände, über die sich die Parteien geeinigt haben, das Beweisverfahren anhängig ist (Nr. 1003 VV RVG).
281 K
Wichtig: In Nr. 1003 VV RVG ist ausdrücklich klargestellt, dass die Anhängigkeit in einem selbständigen Beweisverfahren nicht zu einer Reduzierung der Gebühr nach Nr. 1000 VV RVG führt. Das gilt auch dann, wenn Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren für das selbständige Beweisverfahren anhängig ist (Anm. Satz 1 zu Nr. 1003 VV RVG).
282 Lediglich dann, wenn die Gegenstände des Beweisverfahrens bereits im Rechtsstreit, im Mahnverfahren oder in einem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zur Hauptsache anhängig sind, wird sich die Einigungsgebühr insoweit gem. Nrn. 1003 oder 1004 VV RVG reduzieren. Hierzu gehören die in der Praxis selteneren Fälle, dass während des laufenden Rechtsstreits ein Beweisverfahren eingeleitet wird, etwa, wenn der Verlust des Beweismittels droht. ff) Gegenstandswert
283 Umstritten war früher, welcher Gegenstandswert im selbständigen Beweisverfahren anzunehmen ist. Die in der Zwischenzeit wohl einhellige Rechtsprechung nimmt insoweit den vollen Wert der Hauptsache an. Ein Abschlag ist nicht gerechtfertigt (Nachweise bei Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „selbständiges Beweisverfahren“ u. Schneider/Herget/Kurpat, Der Streitwert-Kommentar, Rz. 4939 ff.). gg) Anrechnung bei nachfolgendem Hauptsacheverfahren
284 Kommt es nach dem Beweisverfahren zu einem Hauptsacheverfahren oder wird während des Hauptsacheverfahrens ein Beweisverfahren eingeleitet, entstehen die Gebühren nach Nrn. 3100 f. VV RVG erneut. Allerdings werden die Verfahrensgebühren aufeinander angerechnet, Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG. Eine Anrechnung unterbleibt jedoch gem. § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, wenn zwischen Abschluss des Beweisverfahrens und Einleitung des Hauptsacheverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre liegen (so schon zum bisherigen Recht OLG Zweibrücken JurBüro 1999, 414).
285 Werden mehrere Hauptsacheverfahren durchgeführt, etwa getrennte Prozesse, so ist fraglich, wie das Beweisverfahren zuzuordnen ist. Zutreffend dürfte es sein, das Beweisverfahren demjenigen Hauptsacheverfahren zuzuordnen, in dem das Beweisergebnis zuerst eingeführt worden ist, und dort nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG anzurechnen (so entsprechend zum bisherigen Recht: OLG Koblenz JurBüro 1995, 481). Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr auf ein einstweiliges Verfügungsverfahren kommt dagegen nicht in Betracht (OLG München MDR 1998, 1183). hh) Anrechnung bei vorangegangener Geschäftstätigkeit
286 War eine außergerichtliche Vertretung vorausgegangen, so ist die dort entstandene Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, höchstens jedoch zu 0,75 auf die Verfahrensgebühr des Beweisverfahrens anzurechnen (OLG Stuttgart BauR 2008, 1500 = AnwBl. 2008, 719). 786
Schneider
M 43.66
Rz. 290 Kap. 43
Anwaltsgebühren
287
M 43.64 Abrechnung Beweisverfahren ohne Terminswahrnehmung
288
ZPO
Soweit nur ein Teil der Gegenstände des selbständigen Beweisverfahrens in den Rechtsstreit übergeht, ist auch nur teilweise anzurechnen.
Es wird ein Beweisverfahren zur Echtheit einer Urkunde eingeholt (Wert: 30.000 Euro). Das Sachverständigengutachten wird ohne Anberaumung eines Termins erstattet. Beweisverfahren 1. 2. 3.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.121,90 Euro 20,00 Euro 1.141,90 Euro 216,96 Euro 1.358,86 Euro
M 43.65 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung
289
Der Anwalt führt ein Beweisverfahren über Baumängel iHv. 30.000 Euro. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.121,90 Euro 1.035,60 Euro 20,00 Euro 2.177,50 Euro 413,73 Euro 2.591,23 Euro
M 43.66 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung und
290
nachfolgendem Hauptsacheverfahren Der Anwalt führt ein Beweisverfahren über Baumängel iHv. 30.000 Euro. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. Anschließend kommt es zum Hauptsacheverfahren, in dem nach mündlicher Verhandlung ein Urteil ergeht. I. Beweisverfahren 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.121,90 Euro 1.035,60 Euro 20,00 Euro 2.177,50 Euro 413,73 Euro 2.591,23 Euro
II. Rechtsstreit 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG anzurechnen 1,3 aus 30.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.121,90 Euro – 1.121,90 Euro 1.035,60 Euro 20,00 Euro 1.055,60 Euro 200,56 Euro 1.256,16 Euro
Schneider 787
ZPO
Kap. 43 Rz. 291
M 43.67
Anwaltsgebühren
291 M 43.67 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung und
nachfolgendem Hauptsacheverfahren wegen Teilgegenständen Wie M 43.65. Das Hauptsacheverfahren wird nur wegen eines Teils der Gegenstände iHv. 10.000 Euro durchgeführt. I. Beweisverfahren (Wert: 30.000 Euro) wie M 43.65. II. Rechtsstreit (Wert: 10.000 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG anzurechnen 1,3 aus 10.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro – 725,40 Euro 669,60 Euro 20,00 Euro 689,60 Euro 131,02 Euro 820,62 Euro
292 M 43.68 Abrechnung Beweisverfahren mit Terminswahrnehmung und
nachfolgendem Hauptsacheverfahren und vorangegangener Vertretungstätigkeit Der Anwalt ist zunächst außergerichtlich tätig wegen Baumängeln iHv. 30.000 Euro. Die Sache ist sehr umfangreich, so dass eine 2,0-Gebühr angemessen ist. Anschließend führt der Anwalt das Beweisverfahren durch. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. Hiernach kommt es zum Hauptsacheverfahren, in dem nach mündlicher Verhandlung ein Urteil ergeht. I. Außergerichtliche Tätigkeit 1. 2. 3.
2,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG 1 Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.726,00 Euro 20,00 Euro 1.746,00 Euro 331,74 Euro 2.077,74 Euro
II. Beweisverfahren 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen 0,75 aus 30.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.121,90 Euro – 647,25 Euro 1.035,60 Euro 20,00 Euro 1.530,25 Euro 290,75 Euro 1.821,00 Euro
III. Rechtsstreit 1. 2. 3. 4. 5.
788
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG anzurechnen 1,3 aus 30.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
1.121,90 Euro – 1.121,90 Euro 1.035,60 Euro 20,00 Euro 1.055,60 Euro 200,56 Euro 1.256,16 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 300 Kap. 43
aa) Selbständige Angelegenheit Nach § 17 Nr. 5 RVG gilt das ordentliche Verfahren, das nach Abstandnahme vom Urkunden-, Wech- 293 sel- oder Scheckprozess oder nach Erlass eines Vorbehaltsurteils anhängig bleibt, als neue selbständige Gebührenangelegenheit. Dies hat zur Folge, dass sämtliche Gebühren sowohl im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess einerseits als auch im ordentlichen Verfahren nach Abstandnahme oder nach Erlass eines Vorbehaltsurteils andererseits gesondert anfallen können. Auch die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG kann zweimal entstehen (LG Kiel AnwBl. 1979, 354; LG Aachen AnwBl. 1969, 414). bb) Überblick Sowohl Urkunden-, Wechsel- als auch Scheckprozess sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, so dass sich 294 die Vergütung hierfür nach Teil 3 VV RVG bestimmt. Insoweit sei zunächst auf die Ausführungen zu Rz. 69 ff. verwiesen. cc) Verfahrensgebühr Der Anwalt erhält auch im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckverfahren zunächst einmal eine Verfah- 295 rensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Allerdings ist in Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG angeordnet, dass die Verfahrensgebühr, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess entstanden ist, auf die Verfahrensgebühr des ordentlichen Verfahrens anzurechnen ist. Die Verfahrensgebühr erhält der Anwalt im Ergebnis also nur einmal.
K
Wichtig: Verfehlt ist es allerdings, die Verfahrensgebühr im ordentlichen Verfahren zu vernachlässigen. So kann zB infolge Wertänderungen durchaus trotz der Anrechnung noch ein Teil der Verfahrensgebühr verbleiben, etwa wenn die Klage im ordentlichen Verfahren erweitert wird.
296
Für das Berufungsverfahren ist eine Anrechnungsbestimmung nicht vorgesehen. Auch dies ent- 297 spricht der bisherigen Rechtslage. Wird also sowohl gegen das Vorbehaltsurteil als auch gegen das Endurteil Berufung eingelegt, so erhält der Anwalt die Verfahrensgebühr für jede Berufung gesondert. Wird dagegen im Berufungsverfahren vom Urkundenverfahren Abstand genommen (zur Zulässigkeit; BGH MDR 2011, 936 = NJW 2011, 2796; MDR 2012, 986 = NJW 2012, 2662), dann dürfte die Anrechnung der Anm. Abs. 2 zu Nr. 3200 VV RVG analog anzuwenden sein (s. N. Schneider, Abstandnahme vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren – Ein kostenrechtliches Problem, NJW 2014, 2333). dd) Terminsgebühr Neben der Verfahrensgebühr entsteht unter den Voraussetzungen der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG die 298 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, gegebenenfalls nach Nr. 3105 VV RVG nur iHv. 0,5. Infolge des erweiterten Anwendungsbereichs der Terminsgebühr gegenüber der bisherigen Verhandlungsgebühr wird auch schon die bloße Erklärung des Klägervertreters im Termin, er nehme vom Urkundenprozess Abstand, die Terminsgebühr auslösen. Ebenso kann die volle Terminsgebühr für den Anwalt des Klägers entstehen, wenn der Beklagte säu- 299 mig ist, zuvor aber im Urkundenverfahren mit dem Gericht erörtert wird, etwa über die Zulässigkeit des Urkundsprozesses, oder wenn das Gericht die Originalurkunden prüft. Nach bisherigem Recht entstand dann lediglich die halbe Gebühr für den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils, aber keine Erörterungsgebühr. Auch für den Anwalt des Beklagten entsteht die volle Terminsgebühr, wenn er im Urkundenverfahren lediglich erklärt, dass er sich die Rechte im Nachverfahren vorbehalte. Nach bisherigem Recht erhielt er hierfür weder eine Verhandlungs- noch eine Erörterungsgebühr.
Schneider 789
300
ZPO
c) Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess und Nachverfahren
Kap. 43 Rz. 301
M 43.69
Anwaltsgebühren
ZPO
301 Für die Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) ist keine Anrechnung vorgesehen. Diese kann also sowohl im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess als auch im nachfolgenden Verfahren gesondert entstehen.
302 M 43.69 Abrechnung Urkundenverfahren und Verfahren nach Abstandnahme Urkundenklage iHv. 5.000 Euro. Im Termin nimmt der Kläger Abstand vom Urkundenverfahren; es wird sofort im ordentlichen Verfahren weiter verhandelt. I. Urkundenverfahren 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 777,50 Euro 147,73 Euro 925,23 Euro
II. Ordentliches Verfahren nach Abstandnahme 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnen 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro – 393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 383,60 Euro 72,88 Euro 456,48 Euro
303 M 43.70 Abrechnung Urkunden- und Nachverfahren, Abstandnahme nach
Versäumnisurteil Urkundenklage iHv. 5.000 Euro. Der Kläger lässt gegen sich Versäumnisurteil ergehen. Mit dem Einspruch nimmt der Kläger Abstand vom Urkundenverfahren; es wird anschließend im ordentlichen Verfahren verhandelt. I. Urkundenverfahren 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 0,5-Terminsgebühr, Nr. 3105 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro 151,50 Euro 20,00 Euro 565,40 Euro 107,43 Euro 672,83 Euro
II. Ordentliches Verfahren nach Abstandnahme 1. 2. 3. 4. 5.
790
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnen 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
393,90 Euro – 393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 383,60 Euro 72,88 Euro 456,48 Euro
Rz. 306 Kap. 43
Anwaltsgebühren
M 43.71 Abrechnung Urkunden- und Nachverfahren bei unterschiedlichen
304
Gegenstandswerten Urkundenklage iHv. 5.000 Euro; nach mündlicher Verhandlung ergeht Vorbehaltsurteil; der Kläger beantragt, dieses für vorbehaltlos zu erklären; der Beklagte erklärt die Hilfsaufrechnung mit einer Forderung von 1.500 Euro; hierüber wird verhandelt und entschieden. I. Urkundenverfahren (Wert: 5.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 777,50 Euro 147,73 Euro 925,23 Euro
II. Nachverfahren (Wert: 6.500 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnen, 1,3 aus 5000,0 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
526,50 Euro -393,90 Euro 486,00 Euro 20,00 Euro 638,60 Euro 121,33 Euro 759,93 Euro
d) Verfahren nach Zurückverweisung Wird ein Rechtsstreit an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen, so gilt das weitere Verfahren vor diesem Gericht als neuer Rechtszug. Auch hier können also die Gebühren im weiteren Verfahren erneut anfallen. Die Verfahrensgebühr des Verfahrens vor Zurückverweisung wird allerdings auf die Verfahrensgebühr, die nach Zurückverweisung entsteht, angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG). Eine Anrechnung ist jedoch gem. § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG ausgeschlossen, wenn zwischen Beendigung der Vorinstanz und der Fortsetzung nach Zurückverweisung mehr als zwei Kalenderjahre vergangen sind (OLG Köln MDR 2009, 1365; OLG Düsseldorf AGS 2009, 212; OLG München AGS 2006, 369).
305
Eine Zurückverweisung iS des § 21 Abs. 1 RVG liegt u.a. in folgenden Fällen vor:
306
– Das Rechtsmittelgericht hebt das vorinstanzliche Urteil auf (§§ 538, 539, 565 ZPO) und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. – Das LG als Berufungsgericht hebt das erstinstanzliche Urteil auf und verweist die Sache an eine erstinstanzliche Kammer desselben Gerichts (OLG Oldenburg AnwBl. 1985, 261). – Das Berufungsgericht zieht nach Erlass eines Teilurteils das gesamte Verfahren an sich, entscheidet zum Grund und verweist die Sache zur Entscheidung über die Höhe an das Erstgericht zurück (OLG München AnwBl. 1985, 589 = JurBüro 1985, 1190). – Das Berufungsgericht gibt auf die Berufung hin dem Auskunftsanspruch einer Stufenklage statt und verweist zum Leistungsantrag zurück (OLG Düsseldorf AnwBl. 1970, 289 = JurBüro 1970, 953; OLG Hamm JurBüro 2000, 302). – Das Revisionsgericht hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zu anderweitiger Entscheidung an einen anderen Senat des OLG (OLG Frankfurt JurBüro 1975, 473). – Nach Abweisung der Klage erklärt das Berufungsgericht den Anspruch dem Grunde nach gegeben und verweist den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe an das Erstgericht zurück. Schneider 791
ZPO
M 43.71
Kap. 43 Rz. 307
M 43.72
Anwaltsgebühren
ZPO
307 Keine Zurückverweisung iS des § 21 Abs. 1 RVG liegt vor: – Die Klage wird zum Teil durch Teilurteil abgewiesen; die Berufung wird zurückgewiesen und die Sache zur abschließenden Entscheidung über den noch nicht abschließend entschiedenen Teil zurückverwiesen (OLG Nürnberg JurBüro 1962, 467). – Das Berufungsgericht weist das Rechtsmittel gegen ein stattgebendes Grundurteil zurück und verweist die Sache zur weiteren Entscheidung über die Höhe an das Erstgericht zurück (BGH AGS 2004, 234). Spricht das Rechtsmittelgericht auf die Berufung hin allerdings eine höhere Haftungsquote aus, so ist eine Zurückverweisung in Höhe der Differenz der Haftungsquoten gegeben (OLG Schleswig JurBüro 1996, 135). – Die Revision gegen ein Grundurteil wird nicht angenommen und die Sache zurückverwiesen. Diese Frage war bislang str. (wie hier OLG Hamburg JurBüro 1987, 233; aA OLG Koblenz JurBüro 1997, 112 = OLGR 1997, 256), dürfte aufgrund der Entscheidung des BGH (BGH AGS 2004, 234) jetzt aber ebenfalls geklärt sein. – Das Rechtsmittelgericht verwirft die Berufung gegen ein Zwischenurteil und verweist zurück. Auch diese Frage war bislang str. (wie hier OLG München JurBüro 1984, 1177; aA OLG Koblenz JurBüro 1997, 642 = OLGR 1997, 280), dürfte aufgrund der Entscheidung des BGH (BGH AGS 2004, 234) jetzt aber ebenfalls geklärt sein.
308 M 43.72 Abrechnung Verfahren vor und nach Zurückverweisung Nach mündlicher Verhandlung wird der Beklagte dazu verurteilt, an den Kläger 700 Euro zu zahlen. Hiergegen legt er Berufung ein. Das LG verweist die Sache an das AG zurück, das nach erneuter mündlicher Verhandlung die Klage abweist. I. Ausgangsverfahren (Wert 700 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
104,00 Euro 96,00 Euro 20,00 Euro 220,00 Euro 41,80 Euro 261,80 Euro
II. Verfahren nach Zurückverweisung (Wert 700 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG anzurechnen 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
104,00 Euro – 104,00 Euro 96,00 Euro 20,00 Euro 116,00 Euro 22,04 Euro 138,04 Euro
309 Wird das Verfahren nur teilweise zurückverwiesen, so berechnen sich die Gebühren des Verfahrens nach Zurückverweisung lediglich aus dem Wert derjenigen Gegenstände, hinsichtlich deren das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden ist. Auch insoweit wird dann nur noch angerechnet.
792
Schneider
Rz. 312 Kap. 43
Anwaltsgebühren
M 43.73 Abrechnung Verfahren vor und nach teilweiser Zurückverweisung
310
Gegen das Urteil iHv. 18.000 Euro wird Berufung eingelegt. Die Berufung wird iHv. 13.000 Euro zurückgewiesen; im Übrigen wird das Urteil aufgehoben und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen. Dort wird nach Verhandlung ein Vergleich geschlossen. I. Ausgangsverfahren (Wert 18.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
904,80 Euro 835,20 Euro 20,00 Euro 1.760,00 Euro 334,40 Euro 2.094,40 Euro
II. Verfahren nach Zurückverweisung (Wert 5.000 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG anzurechnen, 1,3 aus 5.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro – 393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 383,60 Euro 72,88 Euro 456,48 Euro
Wird nach Zurückverweisung der Streitgegenstand erweitert, so erhöhen sich die Gebühren nach Zu- 311 rückverweisung. Angerechnet werden darf dann aber nur nach dem geringeren Wert des Ausgangsverfahrens.
M 43.74 Abrechnung Verfahren vor und nach Zurückverweisung mit
312
nachträglicher Klageerweiterung Klage aus einem Verkehrsunfall auf Ersatz des Sachschadens iHv. insgesamt 8.000 Euro. Die Klage wird abgewiesen. Das Berufungsgericht hebt das Urteil auf und verweist die Sache zurück. Nunmehr wird die Klage um 2.000 Euro für ein angemessenes Schmerzensgeld erweitert. Es wird erneut verhandelt. I. Ausgangsverfahren (Wert 8.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 1.160,00 Euro 220,40 Euro 1.380,40 Euro
II. Verfahren nach Zurückverweisung (Wert 10.000 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG anzurechnen, 1,3 aus 8.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro – 592,80 Euro 669,60 Euro 20,00 Euro 822,20 Euro 156,22 Euro 978,42 Euro
Schneider 793
ZPO
M 43.74
Kap. 43 Rz. 313
M 43.75
Anwaltsgebühren
ZPO
e) Trennung und Verbindung
313 Werden mehrere Verfahren verbunden (§ 147 ZPO), so bilden sie ab Verbindung eine Angelegenheit iSd. § 15 RVG. Soweit die jeweiligen Gebührentatbestände vor und nach Verbindung erfüllt sind, hat der Anwalt hinsichtlich jeder einzelnen Gebühr die Wahl, ob er die getrennten Gebühren aus den einzelnen Werten vor Verbindung oder ob er nur eine Gebühr aus dem Gesamtwert des verbundenen Verfahrens liquidiert (OLG Düsseldorf AGS 2009, 436). Die Einzelabrechnung der Gebühren für die Zeit vor der Verbindung dürfte in aller Regel zu einem höheren Gebührenaufkommen führen, da § 15 Abs. 1 RVG hier nicht gilt. Zu beachten ist, dass das verbundene Verfahren nicht etwa gegenüber den einzelnen Verfahren eine eigene (dritte) Angelegenheit bildet, sondern dass eine Angelegenheit fortbesteht (das führende Verfahren) und dass nur die Gegenstände des anderen Verfahrens hinzuaddiert werden. Soweit eine Gebühr nur vor oder nur nach Verbindung entstanden ist, besteht kein Wahlrecht (s. das Abrechnungsbeispiel M 43.74). Für die Trennung von Verfahren (§ 145 ZPO) gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.
314 M 43.75 Abrechnung nach Verbindung A klagt gegen B auf Zahlung von 6.000 Euro (Az. 1/18). B erhebt gleichzeitig Klage gegen A auf Zahlung von 4.000 Euro (Az. 2/18). Nachdem in beiden Verfahren mündlich verhandelt worden ist, wird die Klage des B als Widerklage zum Verfahren 1/18 verbunden. Anschließend wird erneut verhandelt. A. Gemeinsame Berechnung Verbundenes Verfahren 1/18 (Gegenstandswert: 10.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro 669,60 Euro 20,00 Euro 1.415,00 Euro 268,85 Euro 1.683,85 Euro
B. Getrennte Abrechnung I. Verfahren 1/18 vor Verbindung (Gegenstandswert: 6.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
II. Verfahren 2/18 vor Verbindung (Gegenstandswert: 4.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt Gesamt I. + II.
Die getrennte Berechnung ist daher günstiger.
794
Schneider
327,60 Euro 302,40 Euro 20,00 Euro 650,00 Euro 123,50 Euro 773,50 Euro 1.850,45 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 317 Kap. 43
M 43.76 Abrechnung nach Trennung
315
Klage in demselben Verfahren (Az. 1/18) auf Zahlung einer Kaufpreisforderung iHv. 2.000 Euro sowie auf Zahlung einer Darlehensforderung iHv. 4.000 Euro. Nach mündlicher Verhandlung wird das Verfahren wegen der Darlehensforderung abgetrennt und als neue Sache (Az. 2/18) geführt. Anschließend wird erneut verhandelt. A. Gemeinsame Berechnung Ursprungsverfahren 1/18 (Gegenstandswert: 6.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
B. Getrennte Abrechnung I. Verfahren 1/18 nach Trennung (Wert: 2.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
195,00 Euro 180,00 Euro 20,00 Euro 395,00 Euro 75,05 Euro 470,05 Euro
II. Verfahren 2/18 nach Trennung (Wert: 4.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt Gesamt I. + II.
327,60 Euro 302,40 Euro 20,00 Euro 650,00 Euro 123,50 Euro 773,50 Euro 1.243,55 Euro
Die getrennte Berechnung ist daher günstiger.
f) Arrest und einstweilige Verfügung aa) Übersicht Im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung erhält der Anwalt wiederum die Gebühren nach Teil 3 VV RVG unmittelbar. Ergänzend hierzu ordnet § 17 Nr. 4b) RVG an, dass solche Verfahren gegenüber dem Hauptsacheverfahren als besondere Angelegenheit iS des § 15 RVG gelten. Daher verdient auch der Anwalt, der im Hauptsacheverfahren tätig ist, neben den dortigen Gebühren die vollen Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG für seine Tätigkeit im Arrest- oder Verfügungsverfahren.
316
Im erstinstanzlichen Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren erhält der Anwalt die Gebühren nach Nr. 3100 VV RVG. Dies gilt auch dann, wenn das erstinstanzliche Arrest- oder Verfügungsverfahren vor dem Berufungsgericht als Gericht der Hauptsache (§ 943 ZPO) stattfindet (Vorbem. 3.2 Abs. 2 Satz 1 VV RVG). Im Verfahren über die Berufung gegen den Erlass oder die Ablehnung eines
317
Schneider 795
ZPO
M 43.76
ZPO
Kap. 43 Rz. 318
Anwaltsgebühren
Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung erhält der Anwalt dagegen die höheren Gebühren nach Nr. 3200 ff. VV RVG.
318 Mehrere, durch gesonderte Anträge eingeleitete Arrest- oder einstweilige Verfügungsverfahren gelten jeweils als besondere Angelegenheiten. Dies gilt auch dann, wenn ein Antrag wiederholt wird, etwa weil ein früheres Gesuch zurückgewiesen worden ist oder weil die zeitliche Befristung einer einstweiligen Verfügung oder die Vollziehungsfrist abgelaufen war (OLG Hamburg JurBüro 1991, 1084). bb) Anordnungs- und Aufhebungsverfahren
319 Im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes erhält der Anwalt ebenfalls die Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG. Diese Gebühren entstehen aber nicht, soweit der Anwalt die Gebühren bereits im Anordnungsverfahren verdient hat. Als eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit gelten nach § 16 Nr. 5 RVG – das Anordnungsverfahren (§ 922 ZPO), – das Widerspruchsverfahren (§§ 924, 925 ZPO), – das Verfahren auf Aufhebung wegen nicht fristgemäßer Klageerhebung (§ 926 Abs. 2 ZPO), – das Verfahren auf Aufhebung wegen veränderter Umstände (§ 927 ZPO), – das Verfahren auf Aufhebung gegen Sicherheitsleistung (§ 939 ZPO), – das Rechtfertigungsverfahren (§ 942 ZPO) und – das Verfahren auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen Nichteinhaltung der Ladungsfrist (§ 942 Abs. 3 ZPO).
320 Der Anwalt kann die Gebühren in diesen Verfahren, soweit sie auf demselben Arrest- oder Verfügungsantrag beruhen, insgesamt nur einmal verdienen. Diese Regelung ist insoweit problematisch, als es sich bei dem Verfahren auf Erlass des Arrestes oder der einstweiligen Verfügung und dem Aufhebungs- bzw. Abänderungsverfahren prozessual um verschiedene Verfahren handelt, mit der Folge, dass gegenteilige Kostenentscheidungen ergehen können. Jede Partei kann sich dann auf die ihr günstige Kostenentscheidung berufen (OLG Hamburg JurBüro 1982, 277; KG JurBüro 1979, 542).
321 Auch das Einreichen einer Schutzschrift für den Mandanten zählt gebührenrechtlich mit zum Rechtszug und wird durch die dortige Verfahrensgebühr abgegolten (BGH AGS 2008, 274 = NJW-Spezial 2008, 379 = MDR 2008, 1126). Zur Berechnung s. M 43.76.
322 Ebenso wie im Erkenntnisverfahren erhält der Anwalt auch im Arrest- und Verfügungsverfahren zunächst einmal eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Hier gelten grundsätzlich keine Besonderheiten. Auch für das Einreichen einer Schutzschrift bei Gericht entsteht die Verfahrensgebühr. Die Höhe dieser Gebühr beläuft sich auf 1,3, da die Schutzschrift bereits Sachvortrag enthält (arg. e. Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG, BGH AGS 2008, 274 NJW-Spezial 2008, 379 = MDR 2008, 1126).
323 K
796
Hinweis: Geht der einstweiligen Verfügung eine Abmahnung voraus, so ist die dafür angefallene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nicht gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens anzurechnen. Die Abmahnung betrifft die Hauptsache und damit einen anderen Gegenstand (N. Schneider NJW 2009, 2017 ff.; s. auch BGH NJW 2009, 2068 = MDR 2009, 772).
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 328 Kap. 43
M 43.77 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Schutzschrift ohne
324
nachfolgendes Verfahren Der Anwalt reicht eine Schutzschrift bei Gericht ein (Gegenstandswert 50.000 Euro). Der erwartete Verfügungsantrag wird nicht mehr gestellt. 1. 2. 3.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG (Wert: 50.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.511,90 Euro 20,00 Euro 1.531,90 Euro 291,06 Euro 1.822,96 Euro
Der Gegenstandswert für das Arrest- oder einstweilige Verfügungsverfahren ist gesondert festzusetzen. Keinesfalls darf ohne Weiteres der Wert der Hauptsache angesetzt werden. In aller Regel ist vom Wert der Hauptsache auszugehen und ein entsprechender Abschlag vorzunehmen (s. ausf. Schneider/Herget Rz. 1104 ff. und Rz. 1973 ff.).
325
Auch die Terminsgebühr entsteht unter den gleichen Voraussetzungen wie im Erkenntnisverfahren. 326 Insoweit kann auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen werden. In einstweiligen Verfügungsverfahren ist eine mündliche Verhandlung gem. § 128 Abs. 1 ZPO grundsätzlich vorgeschrieben (arg. e § 937 Abs. 2 ZPO; KG NJW-RR 1992, 576; OLG Köln NJW-RR 2002, 1596). Hier ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV durchweg anwendbar. Daher entsteht eine Terminsgebühr insbesondere bei Erlass eines Anerkenntnisurteils im schriftlichen Verfahren (OLG Düsseldorf AGS 2017, 559; ebenso OLG Zweibrücken AGS 2015, 16 = NJW-Spezial 2014, 732; OLG Oldenburg AGS 2017, 176 (beide allerdings mit unzutreffender Begründung. Ebenso entsteht die Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs (unzutreffend OLG München AGS 2005, 486 = AnwBl. 2006, 147). In Arrestverfahren ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben, im Anordnungsverfahren dagegen nicht, da das Gericht nach § 922 Abs. 1 ZPO wahlweise durch Urteil oder durch Beschluss – und damit ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 4 ZPO) – entscheiden kann. Erst im Verfahren über den Widerspruch sowie im Aufhebungs- oder Abänderungsverfahren ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben, so dass hier die Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO, bei Erlass eines Anerkenntnisurteils oder bei Abschluss eine schriftlichen Vergleichs anfallen kann. Maßgeblich ist auch hier der Gegenstandswert, über den verhandelt oder erörtert wird. Ist zB gegen eine einstweilige Verfügung lediglich wegen eines Teils Widerspruch eingelegt worden oder nur wegen der Kosten, so gilt für die Verhandlung ein reduzierter Wert. Werden nicht anhängige Gegenstände mit erörtert, so erhöht sich dadurch auch im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren der Gegenstandswert (s. Rz. 130).
327
M 43.78 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Mündliche Verhandlung 328 nach Widerspruch Gegen eine einstweilige Verfügung (Wert: 10.000 Euro) wird Widerspruch eingelegt. Hierüber wird verhandelt und entschieden. 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro 669,60 Euro 20,00 Euro 1.415,00 Euro 268,85 Euro 1.683,85 Euro
Schneider 797
ZPO
M 43.78
Kap. 43 Rz. 329
M 43.79
Anwaltsgebühren
ZPO
329 Für den Vertreter des Antragsgegners kommt es darauf an, ob er zunächst einen umfassenden Auftrag hatte, dann kann er ebenso abrechnen wie der Antragstellervertreter. Beschränkte sich sein Auftrag dagegen von vornherein darauf, lediglich Kostenwiderspruch einzulegen, so steht ihm auch die Prozessgebühr lediglich nach dem reduzierten Streitwert zu.
330 M 43.79 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Mündliche Verhandlung
nach Kostenwiderspruch Gegen eine einstweilige Verfügung (Wert: 10.000 Euro) legt der Anwalt des Antragsgegners auftragsgemäß Widerspruch nur hinsichtlich der Kosten ein. Hierüber wird streitig verhandelt und entschieden. Den Kostenstreitwert setzt das Gericht auf 1.860 Euro fest. I. Anwalt Antragstellervertreter 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 1.860 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
725,40 Euro 180,00 Euro 20,00 Euro 925,40 Euro 175,83 Euro 1.101,23 Euro
II. Anwalt Antragsgegnervertreter 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 1.860 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 1.860 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
195,00 Euro 180,00 Euro 20,00 Euro 395,00 Euro 75,05 Euro 470,05 Euro
331 Auch die Einigungsgebühr nach Nrn. 1000 ff. VV RVG kann in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren anfallen. Es gelten hier grundsätzlich keine Besonderheiten. Wird im Verfügungsverfahren eine Einigung geschlossen, die auch weitere Gegenstände umfasst, so erhöht sich dadurch der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren.
332 Wird im Arrest- oder Verfügungsverfahren die Hauptsache in eine Einigung mit einbezogen, erhält der Anwalt lediglich eine Einigungsgebühr aus den zusammengerechneten Werten von Hauptsache und Eilverfahren (§ 22 Abs. 1 RVG). Die Werte beider Verfahren sind zu addieren (OLG München AnwBl. 1993, 530; OLG Hamburg MDR 1991, 904 = JurBüro 1991, 1065; LG Stuttgart ZAP Fach 24, S. 609 m. ausf. Anm. Clausnitzer; aA OLG Frankfurt JurBüro 1981, 918: nur der höhere Wert der Hauptsache, gegebenenfalls zuzüglich Wert der Kosten des Arrest- oder Verfügungsverfahrens). Gleichzeitig erhöhen sich die Werte der Verfahrens- und Terminsgebühr, wobei für die Verfahrensgebühr ggf. die Ermäßigung auf 0,8 nach Nr. 3101 VV RVG in Betracht kommt (s. Rz. 105 ff.).
333 M 43.80 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Vergleich auch über
nicht anhängige Hauptsache Gegen einen Arrestbeschluss (Wert 25.000 Euro) wird Widerspruch eingelegt. Die noch nicht anhängige Hauptsache (Wert 50.000 Euro) wird im gerichtlichen Termin nach Erörterung mit in die Einigung einbezogen. 1. 2. 3.
798
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 25.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 50.000 Euro) Gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 75.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 75.000 Euro)
Schneider
1.024,40 Euro 581,50 Euro 1.732,90 Euro 1.599,60 Euro
4. 5. 6. 7.
Anwaltsgebühren
1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 25.000 Euro) 1,5-Einigungsgebühr, Nrn. 1000 VV RVG (Wert: 50.000 Euro) Gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 75.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Rz. 336 Kap. 43 788,00 Euro 1.744,50 Euro
ZPO
M 43.82
1.999,50 Euro 20,00 Euro 5.352,00 Euro 1.016,88 Euro 6.368,88 Euro
M 43.81 Abrechnung einstweiliges Verfügungsverfahren – Vergleich auch über
334
bereits anhängige Hauptsache Gegen eine einstweilige Verfügung (Wert 25.000 Euro) wird Widerspruch eingelegt. Die bereits anhängige Hauptsache (Wert 50.000 Euro) wird im gerichtlichen Termin nach Erörterung mit in die Einigung einbezogen. I. Verfügungsverfahren 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 25.000 Euro) 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 50.000 Euro) Gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 75.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 75.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 75.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.024,40 Euro 930,40 Euro 1.732,90 Euro 1.599,60 Euro 1.333,00 Euro 20,00 Euro 4.685,50 Euro 890,25 Euro 5.575,75 Euro
II. Hauptsacheverfahren 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 50.000 Euro) Gem. Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG anzurechnen, 0,8 aus 50.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.511,90 Euro – 930,40 Euro 20,00 Euro 2.462,30 Euro 467,84 Euro 2.930,14 Euro
cc) Beschwerdeverfahren Weist das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrestes ohne münd- 335 liche Verhandlung durch Beschluss zurück, so ist hiergegen die einfache Beschwerde gegeben (§ 567 Abs. 1 ZPO). Dieses Beschwerdeverfahren wiederum stellt gem. § 17 Nr. 1 RVG eine eigene Angelegenheit dar, die nach Teil 3 Abschnitt 5 VV RVG (Nrn. 3500 ff. VV RVG) zu vergüten ist. Wird vor dem Berufungsgericht eine mündliche Verhandlung anberaumt, erhält der Anwalt allerdings nicht die 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3513 VV RVG, sondern eine volle 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3514 VV RVG.
M 43.82 Abrechnung Beschwerde gegen Nichterlass einer einstweiligen
336
Verfügung mit mündlicher Verhandlung Das Amtsgericht lehnt den Erlass einer einstweiligen Verfügung (Wert 5.000 Euro) ab. Im Beschwerdeverfahren beraumt das Landgericht die mündliche Verhandlung an und entscheidet hiernach durch Urteil. 1. 2.
0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3500 VV RVG (Wert: 5.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3513, 3514 VV RVG (Wert: 5.000 Euro)
151,50 Euro 363,60 Euro
Schneider 799
Kap. 43 Rz. 337
ZPO
3. 4.
M 43.83
Anwaltsgebühren
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
20,00 Euro 535,10 Euro 101,67 Euro 636,77 Euro
dd) Vollziehung
337 Für die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrestes erhält der Anwalt grundsätzlich nach Nr. 3309 VV RVG eine 0,3-Gebühr. Für die Zustellung einer Gebots-, Verbots- oder Unterlassungsverfügung steht dem Anwalt dagegen gem. §§ 18 Abs. 1 Nr. 2, 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 16 RVG keine gesonderte Gebühr zu, obwohl es sich bereits um eine Maßnahme der Vollziehung handelt. Die Tätigkeit gehört vielmehr noch zum Ausgangsverfahren (LG Saarbrücken AGS 2014, 181 = NJW-Spezial 2014, 317). Wird eine einstweilige Verfügung auf Eintragung einer Sicherungshypothek oder einer Vormerkung vollzogen, so wurde früher schon nach wohl überwiegender Ansicht damit die Vollziehungsgebühr ausgelöst (OLG München OLGR 1998, 193 = AnwBl. 1998, 348; OLG Köln JurBüro 1998, 639; aA KG MDR 1991, 66; OLG Nürnberg MDR 1979, 506: Tätigkeit zählt noch zum Verfügungsverfahren). Jetzt ordnet Vorbem. 3.3.3 VV RVG ausdrücklich an, dass das Verfahren auf Eintragung einer Zwangshypothek nach Nr. 3309 VV RVG zu vergüten ist.
338 M 43.83 Abrechnung Verfügungsverfahren und Vollziehung durch Eintragung Aufgrund einer einstweiligen Verfügung, die der Anwalt für seinen Mandanten nach mündlicher Verhandlung erwirkt hat, lässt er anschließend eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eintragung einer Sicherungshypothek eintragen. Der Streitwert des Verfügungsverfahrens beläuft sich auf 7.500 Euro. I. Verfügungsverfahren 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
592,80 Euro 547,20 Euro 20,00 Euro 1.160,00 Euro 220,40 Euro 1.390,40 Euro
II. Vollziehung 1. 2. 3.
0,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3309 VV RVG (Wert: 7.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
136,80 Euro 20,00 Euro 156,80 Euro 29,79 Euro 186,59 Euro
ee) Abschlussschreiben
339 Ein sog. Abschlussschreiben, also ein Schreiben, mit dem der Rechtsanwalt den Antragsgegner nach Erlass einer einstweiligen Verfügung auffordert, den Verfügungsanspruch anzuerkennen und auf seine Rechte gegen die Verfügung zu verzichten, zählt nicht mehr zur Gebühreninstanz des Verfügungsverfahrens. Diese Tätigkeit betrifft vielmehr die Hauptsache (BGH NJW 2008, 1744 = MDR 2008, 650). Hat der Anwalt bereits Klageauftrag zur Hauptsache, dann verdient er durch das Abschlussschreiben eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG. Hat der Anwalt noch keinen Klageauftrag, so löst das Abschlussschreiben eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG aus (BGH NJW 2008, 1744 = MDR 2008, 650), die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, höchstens mit 0,75 auf ein eventuell nachfolgendes Hauptsacheverfahren anzurechnen ist (s. dazu ausf. N. Schneider NJW 2009, 2017).
800
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 348 Kap. 43
Auch in Verfahren nach dem LwVG richten sich die Gebühren grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften, insbesondere den Nrn. 3100 ff. VV RVG. Es gelten dann keine Besonderheiten, so dass auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen werden kann (s. Rz. 94 ff.). Im Falle einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren oder bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs kann die fiktive Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV anfallen, da nach § 15 Abs. 1 LwVfG das Gericht mündlich verhandeln muss, wenn eine Partei dies beantragt. Stellt keine Partei einen entsprechenden Antrag, ist dies als Zustimmung zum schriftlichen Verfahren zu werten (OLG Schleswig AGS 2018, 324; N. Schneider RdL 2007, 312; aA OLG Oldenburg AGS 2008, 331).
340
In Beschwerdeverfahren gegen eine den Rechtszug beendende Entscheidung wegen des Hauptgegenstands nach §§ 22, 24 LwVG erhält der Anwalt gem. Vorbem. 3.2.1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) VV RVG die gleichen Gebühren wie im Berufungsverfahren. Abzurechnen ist also nach den Nrn. 3200 ff. VV RVG. Für Beschwerden gegen den Rechtszug nicht beendende Entscheidungen oder Entscheidungen, die nicht den Hauptgegenstand betreffen (Neben- oder Zwischenentscheidungen), erhält der Anwalt dagegen nur die 0,5-Gebühr aus Nr. 3500 VV RVG.
341
h) Schiedsrichterliche Verfahren Auch in schiedsrichterlichen Verfahren erhält der Anwalt die Gebühren nach Teil 3 VV RVG. Obwohl 342 es sich um außergerichtliche Tätigkeiten handelt, gilt nicht Teil 2 VV RVG (Vorbem. 2 Abs. 1 VV RVG); vielmehr sind nach § 36 RVG die Gebührenvorschriften der gerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden. Insoweit kann auf die Ausführungen in Rz. 94 ff. Bezug genommen werden. Treffen die Parteien vor dem Schiedsgericht eine Einigung, so entsteht allerdings eine 1,5-Einigungsgebühr, soweit der Gegenstand nicht anderweitig gerichtlich anhängig ist. Das schiedsgerichtliche Verfahren selbst führt noch nicht zu Anhängigkeit iS der Nr. 1003 (AnwKom-RVG/Wahlen/Wolf/ Thiel § 36 Rz. 25).
343
Der Gegenstandswert für die Tätigkeit der Anwälte kann vom Schiedsgericht nicht festgesetzt werden 344 (KG OLGZ 13, 243). Möglich ist lediglich, dass die Parteien einen bestimmten Wert vereinbaren. Dieser ist für die Anwaltsgebühren nur dann maßgebend, wenn die Rechtsanwälte hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (AnwKom-RVG/Wahlen/Wolf/Thiel § 36 Rz. 45 f.). Auch die Kostenerstattung ist durch das Schiedsgericht auszusprechen. Das Gericht unterliegt dabei 345 nicht den Grundsätzen der §§ 91 ff. ZPO (AnwKom-RVG/Wahlen/Wolf/Thiel § 36 Rz. 49 ff.). Die Höhe der zu erstattenden Kosten ist im Schiedsspruch festzusetzen (OLG Koblenz NJW 1969, 1540). Fehlt eine Kostenfestsetzung im Schiedsspruch und ist eine Ergänzung nicht möglich, kann der Kostenanspruch im ordentlichen Verfahren geltend gemacht werden. Im schiedsrichterlichen Berufungs- und Revisionsverfahren erhält der Anwalt die Gebühren nach Nrn. 3200 ff. VV RVG und Nrn. 3206 ff. VV RVG.
346
5. Vor- und Nebenverfahren a) Verfahren nach § 15a EGZPO Aufgrund der zum 1.1.2000 eingeführten Vorschrift des § 15a EGZPO (Gesetz v. 15.12.1999, BGBl. I. 2300) sind die Landesjustizverwaltungen ermächtigt worden, Gütestellen zur obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung einzurichten (s. die Liste der Länder, die hiervon Gebrauch gemacht haben, in Kap. 15 Rz. 2).
347
Die Vergütung des Anwalts im Verfahren der obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung richtet sich nach Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG. Die Stellen der obligatorischen außergerichtlichen Streit-
348
Schneider 801
ZPO
g) Landwirtschaftssachen
ZPO
Kap. 43 Rz. 349
Anwaltsgebühren
schlichtung sind Gütestellen iS des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (§ 15a Abs. 6 EGZPO; § 1 Abs. 1 GüSchlG NW). Der Anwalt erhält nach Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG für seine Tätigkeit im Schlichtungsverfahren eine 1,5-Geschäftsgebühr. Vertritt er mehrere Auftraggeber, so erhöht sich diese Gebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 je Auftraggeber, höchstens jedoch um 2,0. Da Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG das gesamte Verfahren abdeckt, fällt folglich keine zusätzliche Terminsgebühr für eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung oder Mitwirkung in einer Beweisaufnahme an. Lediglich für das Mitwirken an einer Einigung erhält der Anwalt eine weitere Gebühr nach Nrn. 1000 ff. VV RVG. Auch eine Differenzgebühr wie etwa nach Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG ist nicht möglich. Der Anwalt erhält für die Protokollierung eines Vergleichs oder einer Einigung über nicht anhängige Gegenstände ebenfalls die volle Gebühr aus Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG. Endet der Auftrag vorzeitig, so ist im Gegensatz zu anderen Vorschriften, etwa Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG, eine Reduzierung nicht vorgesehen. Auch über § 14 Abs. 1 RVG ist eine Anpassung nicht möglich, da hier kein Gebührenrahmen vorgesehen ist, sondern ein fester Gebührensatz.
349 Neben der Gebühr der Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG kann der Anwalt eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000 ff. VV RVG verdienen. Die Gebühr entsteht mit dem Abschluss einer Einigung der Parteien, sofern der Anwalt daran mitgewirkt hat. Die Höhe der Einigungsgebühr beläuft sich auf 1,5, soweit die Gegenstände nicht anhängig sind (Nr. 1000 VV RVG). Ist der Gegenstand eines Schlichtungsverfahrens dagegen bereits in einem gerichtlichen Verfahren anhängig, so beläuft sich die Einigungsgebühr nur auf 1,0 (Nr. 1003 VV RVG).
350 Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist auch die Gebühr der Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG zur Hälfte, also zu 0,75 auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden Rechtsstreits anzurechnen. Ebenso ist die Gebühr auch auf eine Mahnverfahrensgebühr (Nr. 3305 VV RVG) anzurechnen, wenn dem Schlichtungsverfahren zunächst ein Mahnverfahren nachfolgt. Auch auf sonstige Verfahrensgebühren nach Teil 3 VV RVG ist die Gebühr nach Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG anzurechnen. Die im Schlichtungsverfahren entstandenen Auslagen bleiben dagegen dem Anwalt ungekürzt erhalten, auch dann, wenn er sie pauschal berechnet, da die Postentgeltpauschale aus dem Gebührenaufkommen vor Anrechnung bemessen wird.
351 Für die Berechnung des Gegenstandswertes gilt § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG iVm. den Wertvorschriften des GKG und der ZPO. Maßgebend ist nach § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG der Wert, der im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren gelten würde.
352 Eine Kostenentscheidung in Schlichtungsverfahren ist nicht vorgesehen. Daher kommt insoweit eine Kostenerstattung auch nicht in Betracht (ausdrücklich: § 20 Abs. 1 SchlG BW). Lediglich dann, wenn die Parteien vor der Schlichtungsstelle eine Einigung schließen, können sie sich über die zu ersetzenden Kosten anderweitig einigen (zB § 20 Abs. 2 SchlG BW).
353 Eine Erstattung der im Schlichtungsverfahren angefallenen Anwaltskosten im nachfolgenden Rechtsstreit wurde von der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur anfangs zunächst abgelehnt. Dies wurde aus den gleich lautenden Formulierungen in § 15a Abs. 4 EGZPO und § 91 Abs. 3 ZPO gefolgert. Dort heißt es nur, dass die Kosten der Gütestelle zu den Prozesskosten nach § 91 Abs. 1 u. 2 ZPO zählen. Von den außergerichtlichen Kosten der Parteien ist dort nicht die Rede. Zutreffend dürfte es aber wohl sein, eine Erstattung der Anwaltskosten zu bejahen. Auf § 15a EGZPO oder § 91 Abs. 3 ZPO kommt es insoweit gar nicht an, da die Anwaltskosten jedenfalls als Vorbereitungskosten erstattungsfähig sind. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ist gesetzlich vorgeschrieben und damit notwendig iS des § 91 Abs. 1 ZPO. Die Hinzuziehung eines Anwalts muss daher auch in diesen Fällen nach § 91 Abs. 2 ZPO erstattungsfähig sein. Die jüngere Rechtsprechung bejaht daher eine Erstattungsfähigkeit (OLG Karlsruhe AGS 2009, 98; BayObLG MDR 2004, 1263 NJW-RR 2005, 724; LG Freiburg AGS 2009, 99).
802
Schneider
M 43.84
Anwaltsgebühren
Rz. 359 Kap. 43
354
War dem Schlichtungsverfahren eine außergerichtliche Vertretung vorausgegangen, so wird die dort verdiente Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zur Hälfte auf die Gebühr nach Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG angerechnet, höchstens zu 0,75 (Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG).
355
M 43.84 Abrechnung Schlichtungsverfahren mit nachfolgendem Rechtsstreit und
356
ZPO
Eine Prozesskostenhilfebewilligung im Verfahren vor der Gütestelle kommt nicht in Betracht, da es sich nicht um ein gerichtliches Verfahren handelt. Der Mandant kann hier allenfalls Beratungshilfe erhalten.
vorangegangener Geschäftstätigkeit Der Anwalt wird beauftragt, eine Forderung von 400 Euro außergerichtlich geltend zu machen; die Tätigkeit ist nicht schwierig und nicht umfangreich. Anschließend wird das Schlichtungsverfahren nach § 15a EGZPO durchgeführt und hiernach Klage erhoben. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil. I. Außergerichtliche Tätigkeit (Wert 400 Euro) 1. 2. 3.
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
58,50 Euro 11,70 Euro 70,20 Euro 13,34 Euro 83,54 Euro
II. Schlichtungsverfahren (Wert 400 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2303 Nr. 1 VV RVG gem. Vorbem. 2.3 Abs. 6 VV RVG anzurechnen, 0,65 aus 400 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
67,50 Euro – 29,25 Euro 13,50 Euro 51,75 Euro 9,83 Euro 61,58 Euro
III. Rechtsstreit (Wert 400 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 400 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
58,50 Euro – 33,75 Euro 54,00 Euro 20,00 Euro 98,75 Euro 18,76 Euro 117,51 Euro
b) Prozesskostenhilfeverfahren Im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe verdient der Anwalt nach Nr. 3335 VV RVG die gleiche Verfahrensgebühr wie in der Hauptsache, höchsten jedoch eine 1,0-Verfahrensgebühr. In mehreren Verfahren desselben Rechtszugs erhält der Anwalt die Gebühren allerdings nur einmal (§ 16 Nr. 3 RVG).
357
Die Verfahrensgebühr entsteht bereits mit Einreichen des Prozesskostenhilfeantrags bzw. mit der Stellungnahme hierauf.
358
Erledigt sich der Auftrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorzeitig, so ermäßigt sich die Ver- 359 fahrensgebühr der Nr. 3335 VV RVG nach Nr. 3337 VV RVG auf 0,5, soweit in der Hauptsache kein geringerer Satz vorgesehen ist.
Schneider 803
Kap. 43 Rz. 360
M 43.85
Anwaltsgebühren
ZPO
360 Soweit der Anwalt mehrere Auftraggeber vertritt, erhöht sich diese Gebühr nach Nr. 1008 VV RVG um jeweils 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0.
361 Kommt es im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zu einem Termin, so gilt nach Vorbem. 3.3.6 VV RVG die Terminsgebühr nach Abschnitt 1, also nach Nr. 3104 VV RVG, da in Unterabschnitt 6 Teil 3 VV RVG nichts anderes bestimmt ist. Dort ist in Nr. 3332 VV RVG nur die Terminsgebühr in den Fällen der Nrn. 3324 bis 3331 VV RVG geregelt, nicht aber auch im Falle der Nr. 3335 VV RVG. Eine fiktive Terminsgebühr ist allerdings nicht möglich, da im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist (§ 127 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Kommt es nach dem Bewilligungsverfahren zur Hauptsache, so geht die nach Nrn. 3335 VV RVG verdiente Gebühr in der Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens auf. Dies gilt unabhängig davon, ob die Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist oder nicht.
362 Im Verfahren über die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfebewilligung erhält der Anwalt die Gebühr nach Nr. 3500 VV RVG.
363 Im erstinstanzlichen Verfahren auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe beläuft sich der Gegenstandswert auf den Wert der Hauptsache (§ 23a Abs. 1 Halbs. 1 RVG). Wird die Prozesskostenhilfe nur hinsichtlich eines Teils der Hauptsache beantragt, so ist dieser Wert maßgebend. Auch im Beschwerdeverfahren ist der Wert der Hauptsache maßgebend, soweit sich die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe oder die Aufhebung der Bewilligung nach § 124 Nr. 1 ZPO richtet (OLG Frankfurt JurBüro 1991, 1645; OLG Oldenburg OLGR 1994, 111). Anderenfalls ist er nach billigem Ermessen zu schätzen (§ 23a Abs. 1 Halbs. 2 RVG).
364 Zu beachten ist, dass der Anwalt die Gebühren nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht geltend machen kann, soweit er beigeordnet worden ist und er seine Vergütung dann aus der Staatskasse erhält. Das bedeutet, dass von der Vergütung für das Prozesskostenhilfeverfahren derjenige Teil auszuscheiden ist, der gem. § 16 Nr. 2 RVG durch die PKH-Gebühren aus der Hauptsache abgegolten wird. Zur Vergütung bei teilweiser Bewilligung von Prozesskostenhilfe s. ausf. mit Berechnungsbeispielen AnwKomRVG/N. Schneider § 15 Rz. 219 ff.; N. Schneider BRAGOreport 2001, 1 ff.; ProzRB 2002, 86.
365 Beschränkt sich die Partei nach teilweiser Prozesskostenhilfebewilligung, den Rechtsstreit nur im Rahmen der Bewilligung durchzuführen, verbleibt dem Anwalt der Mehrbetrag der Gebühren im Prüfungsverfahren aus dem höheren Wert.
366 M 43.85 Teilweise Prozesskostenhilfe-Bewilligung, Fortsetzung des Rechtsstreits
nur im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe Der Anwalt wird von der bedürftigen Partei beauftragt, für eine beabsichtigte Klage iHv. 25.000 Euro Prozesskostenhilfe zu beantragen. Das Gericht ordnet einen Termin im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren an und bewilligt nach mündlicher Verhandlung im Prüfungsverfahren Prozesskostenhilfe lediglich iHv. 20.000 Euro; iH der weiteren 5.000 Euro sieht das Gericht keine hinreichenden Erfolgsaussichten und lehnt den Antrag ab. Der Anwalt wird daraufhin beauftragt, das Verfahren lediglich nach einem Wert von 20.000 Euro durchzuführen, nach dem dann anschließend auch verhandelt wird. I. Vergütung aus der Staatskasse 1. 2. 3. 4.
804
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, § 49 RVG (Wert: 20.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, § 49 RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
471,90 Euro 435,60 Euro 20,00 Euro 927,50 Euro 176,23 Euro 1.103,73 Euro
M 43.86
Anwaltsgebühren
Rz. 367 Kap. 43
II. Weiter gehende Vergütung gegen den Auftraggeber
3. 4. 5. 6. 7. 8.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 20.000 Euro) 1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3335 VV (Wert: 5.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 25.000 Euro ./. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 20.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, Vorbem. 3.3.6 VV RVG (Wert: 25.000 Euro) ./. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 20.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG ./. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
964,60 Euro 303,00 Euro
ZPO
1. 2.
1.024,40 Euro – 964,60 Euro 945,60 Euro – 890,40 Euro 20,00 Euro – 20,00 Euro 115,00 Euro 21,85 Euro 136,85 Euro
III. Gesamt Insgesamt erhält der Anwalt also: Prozesskostenhilfe-Vergütung aus der Staatskasse: Wahlanwaltsgebühren vom Mandanten: Summe
1.103,73 Euro 136,85 Euro 1.240,58 Euro
M 43.86 Teilweise Prozesskostenhilfe-Bewilligung, Fortsetzung des Rechtsstreits, auch soweit die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden ist Der Beklagte will seinen Anwalt mit der Abwehr einer gegen ihn gerichteten Klage iHv. 20.000 Euro beauftragen und bittet den Anwalt zunächst, hierfür Prozesskostenhilfe zu beantragen. Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe lediglich zur Abwehr eines Teilbetrages iHv. 12.000 Euro bewilligt. Im Übrigen wird die Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die bedürftige Partei beauftragt den Anwalt ungeachtet dessen, das Verfahren in voller Höhe durchzuführen. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil. I. Vergütung aus der Staatskasse (Wert: 12.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, § 49 RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, § 49 RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
417,30 Euro 385,20 Euro 20,00 Euro 822,50 Euro 156,28 Euro 978,78 Euro
II. Weitere Vergütung gegen den Auftraggeber 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, § 13 RVG (Wert: 20.000 Euro) ./. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, § 13 RVG (Wert: 12.000 Euro) 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, § 13 RVG (Wert: 20.000 Euro) ./. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, § 13 RVG (Wert: 12.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG ./. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
964,60 Euro – 785,20 Euro 890,40 Euro – 724,80 Euro 20,00 Euro – 20,00 Euro 345,00 Euro 65,55 Euro 410,55 Euro
Schneider 805
367
Kap. 43 Rz. 368
Anwaltsgebühren
M 43.86
ZPO
III. Gesamt Insgesamt erhält der Anwalt also: Prozesskostenhilfe-Vergütung aus der Staatskasse: Wahlanwaltsgebühren vom Mandanten: Summe
978,77 Euro 410,55 Euro 1.389,32 Euro
c) Beschwerde- und Erinnerungsverfahren aa) Beschwerdeverfahren
368 Beschwerdeverfahren stellen grundsätzlich eigene selbständige Gebührenangelegenheiten dar. Jede Beschwerde gilt dabei als eigene Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG). Ist eine weitere Beschwerde gegeben, so ist auch dies eine weitere selbständige Angelegenheit. Für die Rechtsbeschwerde nach den §§ 574 ff. ZPO ist dagegen eine gesonderte Vorschrift vorgesehen (Nr. 3502 VV RVG, s. Rz. 443 ff.; s. dazu ausführlich, auch wegen der Notwendigkeit, für die Rechtsbeschwerde einen beim BGH zugelassenen Anwalt hinzuzuziehen, Kap. 70 Rz. 8).
369 Der Anwalt erhält im Beschwerdeverfahren die Gebühren der Nrn. 3500, 3513 VV RVG iHv. 0,5. Eine Reduzierung bei vorzeitiger Erledigung ist nicht vorgesehen.
370 Die Verfahrensgebühr entsteht bereits mit Entgegennahme der Information (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG). Für den Anwalt des Beschwerdegegners entsteht die Vergütung, sobald er auftragsgemäß in irgendeiner Form im Beschwerdeverfahren tätig wird. Die bloße Entgegennahme des Beschwerdebeschlusses und seine Mitteilung an die Partei genügt hierfür nicht (LG Berlin JurBüro 1984, 62). Ausreichend ist es allerdings, dass der Anwalt die Beschwerdeschrift entgegennimmt und prüft, ob etwas zu veranlassen ist, selbst dann, wenn er nichts Weiteres unternimmt (OLG Hamburg MDR 1994, 522).
371 Der Wert des Beschwerdeverfahrens muss nicht mit dem des Hauptverfahrens identisch sein. Sofern keine gesetzliche Regelung besteht, ist das Interesse des Beschwerdeführers maßgebend, das dieser verfolgt (§ 23 Abs. 2 RVG). bb) Erinnerungsverfahren
372 Hinsichtlich der Erinnerungsverfahren ist nunmehr zu differenzieren. Erinnerungen gegen Entscheidungen des Rechtspflegers sind nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG stets als eigene Angelegenheit iS des § 15 RVG; sonstige Erinnerungen sind dagegen nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RVG Teil des Hauptsacheverfahrens und werden nicht gesondert vergütet.
373 Nach § 16 Nr. 10 Buchst. a) RVG wiederum zählen mehrere Erinnerungsverfahren gegen den Kostenansatz einerseits und mehrere Erinnerungsverfahren im Kostenfestsetzungsverfahren andererseits als eine Angelegenheit. Hier wiederum gilt Folgendes: – Mehrere Erinnerungen gegen den Kostenansatz. Mehrere Erinnerungen gegen dieselbe Kostenrechnung zählen als eine einzige Angelegenheit. Dies gilt sowohl dann, wenn von derselben Partei mehrere Erinnerungen eingelegt, als auch dann, wenn wechselseitig von verschiedenen Parteien Erinnerungen eingelegt werden (AnwKom-RVG/N. Schneider § 16 Rz. 208). Werden dagegen mehrere Erinnerungen gegen verschiedene Kostenrechnungen geführt, dann handelt es sich um verschiedene Angelegenheiten (AnwKom-RVG/N. Schneider § 16 Rz. 212). – Mehrere Erinnerungen gegen die Kostenfestsetzung. Darüber hinaus werden mehrere Erinnerungen in der Kostenfestsetzung zusammengefasst. Auch hier ist allerdings wiederum zu differenzieren: – Werden gegen denselben Kostenfestsetzungsbeschluss mehrere Erinnerungsverfahren geführt, handelt es sich stets nur um eine Angelegenheit iS des § 15 RVG. Die Gebühren entstehen nur 806
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 378 Kap. 43
ZPO
einmal, allerdings aus den nach § 22 Abs. 1 RVG zusammengerechneten Werten (AnwKomRVG/N. Schneider § 16 Rz. 208). Gleiches gilt, wenn gegen einen Abhilfebeschluss des Rechtspflegers erneut Erinnerung eingelegt wird (AnwKom-RVG/N. Schneider Nr. 3500 VV RVG Rz. 67). – Werden dagegen mehrere Erinnerungen in der Kostenfestsetzung gegen verschiedene Kostenfestsetzungsbeschlüsse geführt, dann handelt es sich um verschiedene Angelegenheiten (AnwKom-RVG/ N. Schneider § 16 Rz. 212). – Verschiedene Angelegenheiten sind auch dann gegeben, wenn gegen verschiedene Kostenfestsetzungen aus verschiedenen Instanzen gesonderte Erinnerungen geführt werden (AnwKom-RVG/ N. Schneider § 16 Rz. 210). – Erinnerungen gegen den Kostenansatz einerseits und die Kostenfestsetzung andererseits. Klargestellt ist jetzt auch, dass Erinnerungen gegen den Kostenansatz einerseits und Erinnerungen gegen die Kostenfestsetzung andererseits nicht als eine Angelegenheit gelten (AnwKom-RVG/ N. Schneider § 16 Rz. 206). d) Vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung Die Verfahren auf vorläufige Einschränkung, Beschränkung oder Aufhebung der Zwangsvollstre- 374 ckung, insbesondere die Verfahren nach den §§ 707, 719, 769, 770, 771, 785, 786, 805, 810, 924, 1064 Abs. 2 ZPO, ebenso die Verfahren nach §§ 572 Abs. 3, 732 Abs. 2 ZPO gehören gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG zum Rechtszug, sofern keine gesonderte mündliche Verhandlung stattfindet (LAG München AGS 2008, 18; OLG Hamburg MDR 2001, 1441; OLG Naumburg KostRsp. BRAGO § 49 Nr. 12). Die Tätigkeit der Anwälte wird dann durch die Gebühren des Hauptsacheverfahrens abgegolten. Findet dagegen eine abgesonderte mündliche Verhandlung statt, so zählt das Verfahren über die vorläufige Einstellung, Beschränkung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung als eigene Angelegenheit, so dass der Anwalt dort nach Nr. 3328 VV RVG gesonderte Gebühren erhält, und zwar eine 0,5-Verfahrensgebühr. Wird der Antrag sowohl bei dem Vollstreckungsgericht als auch bei dem Prozessgericht gestellt, erhält der Anwalt nur eine einzige Prozessgebühr (Anm. Abs. 2 Satz 2 Nr. 3328 VV RVG).
375
Die Verfahrensgebühr entsteht, anders als sonst üblich – nicht bereits mit der Entgegennahme der Information (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG), sondern erst dann, wenn eine abgesonderte mündliche Verhandlung stattfindet. Solange dies nicht der Fall ist, zählt die Tätigkeit des Anwalts nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG zum Rechtszug und wird nicht gesondert vergütet.
376
Der Gegenstandswert für die Gebühren bemisst sich nicht nach dem Wert der Hauptsache oder des Teils der Hauptsache, hinsichtlich dessen die einstweilige Einstellung begehrt wird, sondern nach dem Interesse des Schuldners an der zeitlich begrenzten Verhinderung der Zwangsvollstreckung (Schneider/Herget Rz. 1968 ff.).
377
e) Vorläufige unbedingte Vollstreckbarerklärung Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung der durch Rechtsmittelanträge nicht angefochtenen Teile eines Urteils (§§ 537, 558 ZPO) zählt grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG zum Rechtszug. Diese an sich klare Vorschrift wird häufig missverstanden (ausf. N. Schneider, ZAP Fach 24, S. 597 ff.; N. Schneider AGS 1996, 85). Voraussetzung für die Anwendung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG ist, dass der Gegenstand, hinsichtlich dessen die vorläufige Vollstreckbarkeit beantragt wird, Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist oder war. Dies sind die Fälle, in denen – der Rechtsmittelkläger sein Rechtsmittel auf den ursprünglich nicht angefochtenen Teil erweitert, – der Rechtsmittelkläger das Rechtsmittel nachträglich beschränkt oder
Schneider 807
378
ZPO
Kap. 43 Rz. 379
M 43.87
Anwaltsgebühren
– die Parteien sich im Rechtsmittelverfahren auch über den nicht angegriffenen Teil des Urteils einigen und diesen somit nach Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG zum Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens machen (OLG Hamburg JurBüro 1982, 1512).
379 Ist der nicht angegriffene Teil des Urteils dagegen niemals Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens gewesen, ist § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG nicht anwendbar. Die Tätigkeit des Anwalts wird vielmehr gesondert nach Nr. 3328 VV RVG vergütet (LG Bonn MDR 2001, 416 = KostRsp. BRAGO § 49 Nr. 11 m. Anm. Schneider).
380 Der Anwalt erhält eine 0,5-Verfahrensgebühr (Nr. 3329 VV RVG). Diese Gebühr deckt die gesamte Tätigkeit des Anwalts ab. Bei mehreren gemeinschaftlich beteiligten Auftraggebern erhöht sich die Gebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber.
381 Für die Wahrnehmung eines Termins entsteht zusätzlich eine 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3332 VV RVG iHv. 0,5.
382 Der Gegenstandswert für die Gebühr der Nrn. 3329, 3332 VV RVG richtet sich nach dem vollen Wert des für vorläufig vollstreckbar zu erklärenden Teils des Urteils ohne Nebenforderungen (LG Bonn aaO; AnwKom-RVG/N. Schneider Nr. 3329 Rz. 24 ff.; aA OLG Hamm FamRZ 1994, 248: ein Fünftel).
383 M 43.87 Abrechnung Antrag auf vorläufige Vollstreckbarerklärung Der Beklagte wird vom Landgericht zur Zahlung eines Betrages von 40.000 Euro verurteilt. Er legt Berufung ein und beantragt jetzt nur noch, die Klage iHv. 30.000 Euro abzuweisen. Daraufhin beantragt der Berufungsanwalt des Klägers, das landgerichtliche Urteil von 10.000 Euro für vorläufig vollstreckbar zu erklären. In der mündlichen Verhandlung ergeht der beantragte Beschluss. I. Berufungsverfahren 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 30.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 30.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.121,90 Euro 1.035,60 Euro 20,00 Euro 2.177,50 Euro 413,73 Euro 2.591,23 Euro
II. Verfahren auf Vollstreckbarerklärung 1. 2. 3. 4.
0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3329 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) 0,5-Terminsgebühr, Nr. 3332 VV RVG (Wert: 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt Gesamt I + II
279,00 Euro 279,00 Euro 20,00 Euro 578,00 Euro 109,82 Euro 687,82 Euro 3.279,05 Euro
384 Da die Gebühr nach Nr. 3329 VV RVG nur dann entstehen kann, wenn der nicht angefochtene Teil niemals Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens war, kann die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren folglich auch nicht die Gebühr der Nr. 3329 VV RVG erfassen. Daher muss im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eine gesonderte Kostenentscheidung ergehen, damit diese Kosten festgesetzt werden können (OLG Hamm JurBüro 1972, 922; OLG München JurBüro 1993, 156). f) Räumungsfrist
385 Das Verfahren auf Bewilligung, Verlängerung oder Verkürzung einer Räumungsfrist (§§ 721, 794a ZPO) zählt als besondere Angelegenheit, wenn es mit dem Verfahren über die Hauptsache nicht ver808
Schneider
M 43.89
Anwaltsgebühren
Rz. 391 Kap. 43
ZPO
bunden ist (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 VV RVG). Entscheidet das Prozessgericht dagegen im Räumungsurteil zugleich auch über die Bewilligung einer Räumungsfrist, so ist Nr. 3334 VV RVG nicht anwendbar. Die Tätigkeit des Anwalts ist vielmehr bereits durch die Gebühren des Rechtsstreits abgegolten. Die Vorschrift der Nr. 3334 VV RVG ist nur dann anwendbar, wenn das Gericht das Verfahren über die Räumungsfrist abgetrennt hat, etwa zB durch gesonderte Verhandlung oder Beweiserhebung. Hat das Gericht den Räumungsfristantrag übersehen, kann hierüber noch im Wege der Urteilsergänzung nach § 321 ZPO entschieden werden. Da auch die Urteilsergänzung zum Rechtszug gehört (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 RVG), gilt Nr. 3334 VV RVG auch hier nicht. Wird dagegen die Räumungsfrist, deren Verlängerung oder Verkürzung erst nach Erlass des Räumungsurteils oder -vergleichs beantragt, so ist Nr. 3334 VV RVG anwendbar, weil das Verfahren dann hier von der Hauptsache getrennt durchgeführt wird. Als Vergütung erhält der Anwalt auch nach Nr. 3334 VV RVG eine 1,0-Verfahrensgebühr. Bei vorzeitiger Erledigung ermäßigt sich die Gebühr auf 0,5 (Nr. 3337 VV RVG).
386
Mehrere Räumungsfristverfahren gelten als besondere Angelegenheiten, so dass dort also die Gebühren jeweils erneut anfallen.
387
Der Gegenstandswert bemisst sich nach der Miete bzw. Nutzungsentschädigung für die Dauer der 388 begehrten Frist (OLG Braunschweig Rpfleger 1964, 66; LG Kempten AnwBl. 1968, 58). Soweit es sich bei dem Räumungsfristverfahren um eine eigene Angelegenheit handelt, ist insoweit auch eine gesonderte Kostenentscheidung zu treffen (LG Essen Rpfleger 1971, 407). Anderenfalls sind die dort entstandenen Gebühren nicht festsetzbar.
389
M 43.88 Abrechnung gemeinsame Verhandlung über Räumungsklage und
390
Räumungsfristantrag Im Räumungsrechtsstreit erkennt der Beklagte den Räumungsanspruch an, beantragt jedoch gleichzeitig eine Räumungsfrist von vier Monaten, über die streitig verhandelt wird. Die monatliche Miete beläuft sich auf 500 Euro. 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 6.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 6.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
M 43.89 Abrechnung Räumungsklage – gesonderter Räumungsfristantrag In einem Räumungsrechtsstreit vergleichen sich die Parteien dahin gehend, dass das Mietobjekt zum 21.11. geräumt werde. Vier Wochen vor dem Räumungstermin beantragt der Anwalt des Mieters für diesen eine Räumungsfrist von vier Monaten, die das Gericht ohne mündliche Verhandlung bewilligt. Die monatliche Miete beläuft sich auf 500 Euro. I. Rechtsstreit (Wert 6.000 Euro) 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
460,20 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 905,00 Euro 171,95 Euro 1.076,95 Euro
Schneider 809
391
Kap. 43 Rz. 392
M 43.89
Anwaltsgebühren
ZPO
II. Räumungsfristverfahren (Wert 1.500 Euro) 1. 2. 3.
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3334 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt Gesamt I. + II.
115,00 Euro 20,00 Euro 135,00 Euro 25,65 Euro 160,65 Euro 1.237,60 Euro
V. Rechtsmittelverfahren 1. Allgemeines
392 Die Gebühren in den Rechtsmittelverfahren sind gesondert geregelt (Berufung: Nrn. 3200 ff. VV RVG; Revision: Nrn. 3206 ff. VV RVG). Gleichwohl gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie im erstinstanzlichen Verfahren. 2. Berufung a) Übersicht
393 Im Berufungsverfahren gelten die Vorschriften nach Teil 3 Abschnitt 2 VV RVG, und zwar Unterabschnitt 1. Das Berufungsverfahren gilt als eigene Angelegenheit (§ 17 Nr. 1 RVG). Es beginnt für den Anwalt mit Einlegung der Berufung bzw. mit dem ersten auftragsgemäßen Tätigwerden nach Entgegennahme der gegnerischen Berufung. Wechselseitig geführte Berufungen, die miteinander verbunden werden, sind eine Angelegenheit. Die Gebühren entstehen dann aus den zusammengerechneten Werten (§ 45 Abs. 2 GKG) insgesamt nur einmal (LG Berlin MDR 1988, 329 m. Anm. Herget; AnwKom-RVG/N. Schneider § 15 Rz. 108). Auch die Tätigkeit des Anwalts im Hinblick auf die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht zählt noch zum Rechtszug. Erst die Nichtzulassungsbeschwerde ist eine neue Angelegenheit (§ 17 Nr. 9 RVG).
394 Ebenso wie im erstinstanzlichen Verfahren erhält der Anwalt im Berufungsverfahren eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr. Daneben kommt auch eine Einigungsgebühr in Betracht. b) Verfahrensgebühr
395 Für seine Tätigkeit im Berufungsverfahren erhält der Anwalt nach Nr. 3200 VV RVG eine 1,6-Verfahrensgebühr. Die Verfahrensgebühr deckt sämtliche Tätigkeiten im Rechtsstreit ab, ausgenommen die Teilnahme an Terminen sowie der Abschluss einer Einigung.
396 Vertritt der Anwalt mehrere Auftraggeber gemeinschaftlich wegen desselben Gegenstandes, erhöht sich die Verfahrensgebühr um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0. Die Verfahrensgebühr erhöht sich also zB bei zwei Auftraggebern auf 1,9. c) Vorzeitige Beendigung des Auftrags
397 Erledigt sich das Berufungsverfahren vorzeitig, so reduziert sich die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV RVG auf 1,1. Hierzu zählt zB der Fall, dass der Anwalt den Auftrag hatte, die Berufung einzulegen, der Mandant den Auftrag vor Einlegung der Berufung jedoch zurückzieht. Soweit der Anwalt noch nicht den Auftrag hatte, die Berufung einzulegen, sondern zunächst die Erfolgsaussicht der Berufung prüfen sollte und er von der Einlegung der Berufung abrät, liegt noch kein Berufungsauftrag vor. Abzurechnen ist dann nicht nach Teil 3 VV RVG, sondern nach Teil 2 VV RVG (LG Köln AGS 2012, 385 = NJW-RR 2012, 1471). Der Anwalt erhält dann eine Prüfungsgebühr nach Nr. 2100
810
Schneider
M 43.91
Anwaltsgebühren
Rz. 400 Kap. 43
M 43.90 Prüfung der Erfolgsaussicht einer Berufung mit nachfolgender
ZPO
VV RVG iHv. 0,5 bis 1,0 und, wenn die Prüfung der Erfolgsaussicht mit der Ausarbeitung eines Gutachtens verbunden ist, eine 1,3-Gebühr nach Nr. 2101 VV RVG.
398
beschränkter Berufung Gegen seine erstinstanzliche Verurteilung von 20.000 Euro will der Beklagte Berufung einlegen und lässt sich beraten, ob die beabsichtigte Berufung Aussicht auf Erfolg hat. Der beauftragte Anwalt rät jedoch lediglich zu einer Berufung iHv. 10.000 Euro, für die er dann auch den Auftrag erhält und die auch dann durchgeführt wird. I. Prüfung der Erfolgsaussichten 1. 2. 3.
0,75-Prüfungsgebühr, Nr. 2100 VV RVG (Wert 20.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
556,50 Euro 20,00 Euro 576,50 Euro 109,54 Euro 686,04 Euro
II. Berufungsverfahren 1. 2. 3. 4. 5.
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert 10.000 Euro) gem. Anm. zu Nr. 2100 VV RVG anzurechnen 0,75 aus 10.000 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV RVG (Wert 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
892,80 Euro – 418,50 Euro 669,60 Euro 20,00 Euro 1.163,90 Euro 221,14 Euro 1.385,04 Euro
Ein weiterer häufiger Anwendungsfall der Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG liegt darin, dass der Gegner Frist 399 wahrend Berufung einlegt, diese aber noch nicht begründet hat. Der Berufungsgegner darf in diesem Falle zwar bereits einen Anwalt beauftragen, der sich bei Gericht bestellt; jedoch ist ein Sachantrag noch nicht erforderlich. Wird die Berufung dann nicht durchgeführt, sondern ohne Begründung zurückgenommen, entsteht nur eine 1,1-Gebühr nach Nr. 3201 Nr. 1 VV RVG. Diese Gebühr ist auch zu erstatten (s. hierzu grundlegend BGH AGS 2003, 219). Selbst, wenn der Berufungsführer bittet, von einer Bestellung Abstand zu nehmen, muss der Gegner dem nicht Folge leisten, sondern darf einen Anwalt bestellen, dessen 1,1-Gebühr nach Nr. 3201 Nr. 1 VV RVG dann auch erstattungsfähig ist (BGH MDR 2007, 1397 = NJW 2007, 3723; AGS 2009, 143 = MDR 2009, 233).
M 43.91 Abrechnung fristwahrende Berufung
400
Gegen seine erstinstanzliche Verurteilung von 10.000 Euro legt der Beklagte Frist wahrend Berufung ein und nimmt diese ohne Begründung später wieder zurück. Der Berufungsbeklagte hatte bereits einen Anwalt für das Berufungsverfahren bestellt. I. Abrechnung Berufungskläger 1. 2. 3.
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
892,80 Euro 20,00 Euro 912,80 Euro 173,43 Euro 1.086,23 Euro
Schneider 811
Kap. 43 Rz. 401
M 43.92
Anwaltsgebühren
ZPO
II. Abrechnung Berufungsbeklagter 1. 2. 3.
1,1-Verfahrensgebühr, Nr. 3201 Nr. 1 VV RVG (Wert 10.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
613,80 Euro 20,00 Euro 633,80 Euro 120,42 Euro 754,22 Euro
d) Verfahrensdifferenzgebühr
401 Wird im Berufungsverfahren beantragt, eine Einigung der Parteien über in diesem Verfahren nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen, oder erfolgt eine schriftliche Protokollierung im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO oder verhandeln die Parteien lediglich über nicht anhängige Ansprüche, so entsteht zusätzlich aus diesem Mehrwert eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 Nr. 2 VV RVG.
402 Zu beachten ist allerdings § 15 Abs. 3 RVG. Die Summe aus der Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG und der aus Nr. 3201 VV RVG darf den Betrag einer 1,6-Gebühr aus dem Gesamtwert nicht übersteigen.
403 M 43.92 Abrechnung der Verfahrensgebühr bei Einigung mit Mehrwert im
Berufungsverfahren mit Mehrwert Der Beklagte legt gegen die Verurteilung (Wert 10.000 Euro) Berufung ein. Im Berufungsverfahren einigen sich die Parteien außergerichtlich auch über nicht anhängige Ansprüche iHv. weiteren 8.000 Euro und schließen einen Vergleich, dessen Zustandekommen nach § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich festgestellt wird. 1. 2.
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 1,1-Verfahrensgebühr, Nr. 3201 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,6 aus 18.000 Euro
892,80 Euro 501,60 Euro 1.113,60 Euro
404 Hinsichtlich dieser Verfahrensdifferenzgebühr ist in Anm. zu Nr. 3201 VV RVG wiederum vorgesehen, dass diese nach dem Wert der nicht rechtshängigen Ansprüche auf eine Verfahrensgebühr, die wegen desselben Gegenstands in einem anderen Verfahren entsteht, angerechnet wird, s. hierzu Rz. 174 ff. e) Terminsgebühr
405 Nach Nr. 3202 VV RVG erhält der Anwalt unter den Voraussetzungen der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG eine Terminsgebühr iHv. 1,2. Die Terminsgebühr im Berufungsverfahren ist damit ebenso hoch wie die im erstinstanzlichen Verfahren (Nr. 3104 VV RVG). Im Übrigen gilt die Anm. zu Nr. 3104 VV RVG entsprechend (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3202 VV RVG).
406 Der Anwalt erhält daher auch im Berufungsverfahren eine Terminsgebühr, wenn er – an einem gerichtlichen Termin teilnimmt (Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG), – an einem von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumten Termin teilnimmt (Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 VV RVG) oder – Besprechungen zur Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens führt (Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG). In diesem Fall ist es unerheblich, in welcher Phase die Besprechungen geführt werden. Auch dann, wenn das Gericht angekündigt hat, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu entscheiden, kann im Falle einer Besprechung der Anwälte eine Terminsgebühr entstehen. Die frühere gegen-
812
Schneider
Rz. 413 Kap. 43
Anwaltsgebühren
teilige Auffassung des BGH ist durch die Neufassung der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG durch das 2. KostRMoG überholt. Wie bisher entsteht die volle Terminsgebühr auch dann, wenn der Berufungsbeklagte nicht erscheint und gegen ihn ein Versäumnisurteil beantragt wird (arg. e Nr. 3203 VV RVG).
407
f) Ermäßigte Terminsgebühr Erscheint der Berufungskläger nicht oder ist er nicht ordnungsgemäß vertreten und stellt der Anwalt des Berufungsbeklagten daraufhin
408
– einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Berufungskläger oder – Anträge zur Prozess- oder Sachleitung, entsteht für ihn die Terminsgebühr lediglich iHv. 0,5 (Nr. 3203 VV RVG). Erscheint der Berufungsbeklagte nicht und wird gegen ihn ein Versäumnisurteil beantragt oder werden lediglich Anträge zur Prozess- oder Sachleitung gestellt oder entscheidet das Gericht lediglich zur Prozess- und Sachleitung, so entsteht immer eine 1,2-Gebühr nach Nr. 3202 VV RVG. Die Vorschrift der Nr. 3203 VV RVG ist nicht anwendbar.
409
g) Einigung Kommt es im Berufungsverfahren zu einer Einigung der Parteien über die anhängigen Gegenstände, so erhalten die beteiligten Anwälte zusätzlich die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG, und zwar iHv. 1,3 (Nr. 1004 VV RVG). Das gilt auch dann, wenn Ansprüche aus einem anderen Rechtsmittelverfahren in die Einigung miteinbezogen werden (Nr. 1004 VV RVG). Die Gebühr entsteht dann aus dem Gesamtwert (§ 22 Abs. 1 RVG).
410
Soweit Ansprüche in eine Einigung mit einbezogen werden, die nicht in einem Rechtsmittelverfahren anhängig sind, erhält der Anwalt eine
411
– 1,0-Gebühr nach Nr. 1003 VV RVG, soweit die Ansprüche erstinstanzlich anhängig sind, – 1,5-Gebühr, soweit die Ansprüche nicht anhängig sind (Nr. 1000 VV RVG). Insgesamt darf die Summe der Einigungsgebühren eine Gebühr aus dem Höchstsatz nach dem Gesamtstreitwert nicht übersteigen (§ 15 Abs. 3 RVG).
412
M 43.93 Abrechnung Einigungsgebühr im Berufungsverfahren bei Einbeziehung
413
erstinstanzlich anhängiger Gegenstände Im Berufungsverfahren einigen sich die Parteien über die dort anhängigen 10.000 Euro sowie über weitere 8.000 Euro, die erstinstanzlich anhängig sind. Die Einigungsgebühren sind wie folgt begrenzt: 1. 2.
1,3-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1004 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 18.000 Euro
725,40 Euro 456,00 Euro 904,80 Euro
Schneider 813
ZPO
M 43.93
ZPO
Kap. 43 Rz. 414
M 43.94
Anwaltsgebühren
414 M 43.94 Abrechnung Berufungsverfahren bei Einbeziehung nicht anhängiger
Gegenstände Im Berufungsverfahren einigen sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung über die dort anhängigen 10.000 Euro sowie über weitere 8.000 Euro, die nicht anhängig sind. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert 18.000 Euro) 1,2-Terminsgebühr Nr. 3202 VV RVG (Wert: 18.000 Euro) 1,3-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1004 VV RVG (Wert 10.000 Euro) 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert 8.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 18.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
1.113,60 Euro 835,20 Euro 725,40 Euro 456,00 Euro 904,80 Euro 20,00 Euro 2.873,60 Euro 545,98 Euro 3.419,58 Euro
h) Zurückverweisung
415 Wird ein Berufungsurteil vom Revisionsgericht aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, so stellt das Verfahren nach Zurückverweisung eine neue Angelegenheit dar (§ 21 Abs. 1 RVG). Der Anwalt kann sämtliche Gebühren erneut verdienen. Die Verfahrensgebühr des vorangegangenen Berufungsverfahrens wird allerdings auf die Verfahrensgebühr des Berufungsverfahrens nach Zurückverweisung angerechnet, es sei denn, es wird an ein Gericht zurückverwiesen, das mit der Sache nicht befasst war (Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG). Eine Anrechnung findet auch nicht statt, wenn der Prozessbevollmächtigte der untergeordneten Instanz gewechselt wird. Ebenfalls ist die Anrechnung ausgeschlossen (§ 15 Abs. 5 Satz 2 RVG), wenn zwischen Ausgangsverfahren und Verfahren nach Zurückverweisung mehr als zwei Kalenderjahre vergangen sind (so schon zum bisherigen Recht OLG Zweibrücken JurBüro 1999, 414). i) Verkehrsanwalt
416 Auch im Berufungsverfahren kann ein Verkehrsanwalt beauftragt werden. Er erhält seine Vergütung ebenfalls nach Nr. 3400 VV RVG, und zwar in Höhe der Gebühr, die der Verfahrensbevollmächtigte erhält. Allerdings gilt wiederum der Höchstsatz von 1,0. Zur Gebühr des erstinstanzlichen Anwalts, der die Übersendung der Handakten an den Berufungsanwalt mit gutachterlichen Äußerungen verbindet, s. Rz. 200. 3. Revision
417 Die Gebühren im Revisionsverfahren sind in Teil 3, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 VV RVG geregelt. Der Anwalt erhält auch hier wiederum die Verfahrens- und Terminsgebühr. Daneben kommt eine Einigungsgebühr in Betracht. a) Umfang der Angelegenheit
418 Das Revisionsverfahren ist ein neuer Rechtszug (§ 17 Nr. 1 RVG). Wechselseitig geführte Revisionen, die miteinander verbunden werden, sind eine Angelegenheit. Die Gebühren entstehen dann aus den zusammengerechneten Werten insgesamt nur einmal. Wird ein Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen und wird gegen das erneute Berufungsurteil wiederum Revision eingelegt, so liegen zwei verschiedene Angelegenheiten vor, so dass der Anwalt die Gebühren gesondert erhält. Eine Anrechnung ist nicht vorgesehen.
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Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 427 Kap. 43
Nach Nr. 3206 VV RVG erhält der Anwalt im Revisionsverfahren grundsätzlich eine Verfahrensgebühr iHv. 1,6. Gleichzeitig sieht Nr. 3208 VV RVG vor, dass sich die Verfahrensgebühr auf 2,3 erhöht, wenn sich die Parteien nur durch einen beim BGH zugelassenen Anwalt vertreten lassen können. Da im Revisionsverfahren vor dem BGH nach § 78 ZPO grundsätzlich Postulationszwang besteht, ist in Zivilsachen die Nr. 3208 VV RVG mit einem Gebührensatz von 2,3 der Regelfall.
419
c) Vorzeitige Beendigung des Auftrags Endet der Auftrag vorzeitig, so erhält der Anwalt nach Nr. 3207 VV RVG die Verfahrensgebühr der Nr. 3206 VV RVG lediglich iHv. 1,1. Soweit der Anwalt am BGH zugelassen ist und die Parteien sich in diesem Verfahren auch nur durch einen am BGH zugelassenen Anwalt vertreten lassen können, beläuft sich die Gebühr nach Nrn. 3207, 3209 VV RVG auf 1,8.
420
Ein solcher Fall der vorzeitigen Erledigung wird insbesondere dann gegeben sein, wenn der Auftrag zur Revision zurückgenommen wird, bevor die Revision eingelegt worden ist. Gleiches gilt, wenn die Gegenseite Revision eingelegt hat und die Partei bereits einen Anwalt bestellt hat, die Revision dann aber ohne Begründung wieder zurückgenommen wird. Die hierbei anfallende 1,8-Gebühr des Anwalts des Revisionsbeklagten ist in diesem Falle erstattungsfähig, selbst dann, wenn der Revisionsführer darum gebeten hatte, dass noch kein Anwalt bestellt werde, s. grundlegend BGH AGS 2003, 221.
421
d) Ermäßigte Verfahrensgebühr Die ermäßigte Verfahrensgebühr nach Nrn. 3206, 3207, 3209 VV RVG entsteht auch dann, wenn die Parteien lediglich beantragen, eine Einigung zu Protokoll zu nehmen, oder sie über nicht anhängige Ansprüche zum Zwecke der Erledigung des Rechtsstreits verhandeln. Die Anm. zu Nr. 3201 VV RVG gilt insoweit entsprechend (Anm. zu Nr. 3207 VV RVG).
422
e) Terminsgebühr Für die Wahrnehmung eines Termins erhält der Anwalt nach Nr. 3210 VV RVG eine Gebühr iHv. 1,5. Eine Erhöhung dieser Gebühr für Verfahren, in denen sich die Parteien nur durch einen am BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen können, ist nicht vorgesehen.
423
Die Terminsgebühr entsteht unter den gleichen Voraussetzungen wie auch die erstinstanzliche Terminsgebühr (s. Rz. 134 ff.). Die Anm. zu Nr. 3104 VV RVG gilt entsprechend (Anm. zu Nr. 3210 VV RVG).
424
Erscheint der Revisionskläger nicht oder ist er nicht ordnungsgemäß vertreten und stellt der Anwalt des Revisionsbeklagten daraufhin lediglich
425
– einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Revisionskläger oder – Anträge zur Prozess- oder Sachleitung, entsteht für ihn die Terminsgebühr lediglich iHv. 0,8 (Nr. 3211 VV RVG; Anm. zu Nr. 3211 VV RVG). Erscheint der Revisionsbeklagte nicht und ergeht gegen ihn ein Versäumnisurteil oder werden ledig- 426 lich Anträge zur Prozess- oder Sachleitung gestellt, so entsteht immer eine 1,2-Gebühr nach Nr. 3210 VV RVG. Die Vorschrift der Nr. 3211 VV RVG ist nicht anwendbar. Im Übrigen gilt Anm. zu Nr. 3105 VV RVG und Anm. Abs. 2 zu Nr. 3202 VV RVG entsprechend (s. Rz. 408 ff.). Schneider 815
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ZPO
b) Verfahrensgebühr
Kap. 43 Rz. 428
Anwaltsgebühren
ZPO
f) Einigung
428 Wird im Revisionsverfahren eine Einigung über die dort anhängigen Ansprüche getroffen, so entsteht insoweit nach Nrn. 1000, 1004 VV RVG eine Einigungsgebühr iHv. 1,3. Werden Ansprüche mit in die Einigung einbezogen, die in einem anderen Rechtsmittelverfahren anhängig sind, entsteht die 1,3-Gebühr aus dem Gesamtwert (§ 22 Abs. 1 RVG).
429 Soweit Ansprüche mit in die Einigung einbezogen werden, die nicht in einem Rechtsmittelverfahren anhängig sind, erhält der Anwalt eine – 1,0-Gebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV RVG, soweit die Ansprüche erstinstanzlich anhängig sind, – 1,5-Gebühr, soweit die Ansprüche nicht anhängig sind (Nr. 1000 VV RVG).
430 Insgesamt darf die Summe der Einigungsgebühren nicht eine Gebühr aus dem Höchstsatz nach dem Gesamtstreitwert übersteigen (§ 15 Abs. 3 RVG). 4. Nichtzulassungsbeschwerde a) Überblick
431 Die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO ist abweichend von den sonstigen Beschwerden (Nr. 3500 VV RVG) in Nrn. 3506 VV RVG geregelt. Das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde stellt gegenüber dem Berufungsverfahren eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit dar, in der der Anwalt gesonderte Gebühren erhält. Dies ergibt sich aus § 17 Nr. 1 bzw. § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG. Das sich an eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde anschließende Rechtsmittelverfahren stellt wiederum eine weitere Angelegenheit dar. Dies folgt aus § 17 Nr. 9 RVG. Insgesamt sind nach Abschluss der ersten Instanz also drei Angelegenheiten gegeben: – Berufungsverfahren, – Nichtzulassungsbeschwerde, – Revisionsverfahren.
432 Allerdings wird die Verfahrensgebühr des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Revisionsverfahrens angerechnet (Anm. zu Nr. 3506 VV RVG). b) Verfahrensgebühr
433 Für seine Tätigkeit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde erhält der Anwalt nach Nr. 3506 VV RVG eine 1,6-Verfahrensgebühr. Diese Gebühr erhöht sich gem. Nr. 3508 VV RVG auf eine 2,3-Verfahrensgebühr, soweit sich die Parteien nur durch einen am BGH zugelassenen Anwalt vertreten lassen können. Dies ist der Regelfall (§ 78 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Soweit ausnahmsweise keine Zulassung am BGH erforderlich ist (§ 78 Abs. 4 ZPO), verbleibt es bei der 1,6-Gebühr.
434 Vertritt der Anwalt mehrere Auftraggeber wegen desselben Gegenstands, so erhöht sich die Gebühr um 0,3 je weiteren Auftraggeber, sofern diese gemeinschaftlich beteiligt sind, höchstens um 2,0.
435 Endet der Auftrag des Anwalts vorzeitig iS der Anm. zu Nr. 3201 VV RVG, so ermäßigt sich die Verfahrensgebühr auf 1,1 (Nr. 3507 VV RVG). Soweit sich die Parteien nur durch einen am BGH zugelassenen Anwalt vertreten lassen können, beträgt die ermäßigte Gebühr 1,8 (Nr. 3509 VV RVG). c) Terminsgebühr
436 Auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann eine Terminsgebühr entstehen. Zwar findet dort keine gerichtliche Verhandlung statt, die Gebühr kann jedoch unter den sonstigen Voraussetzungen 816
Schneider
M 43.95
Rz. 441 Kap. 43
Anwaltsgebühren
ZPO
des Abs. 3 Vorbem. 3 VV RVG entstehen, etwa bei Vergleichsgesprächen in diesem Stadium. Die unzutreffende und mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbarende gegenteilige frühere Rechtsprechung des BGH (NJW 2007, 1461 = MDR 2007, 742) ist seit der Neufassung der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG durch das 2. KostRMoG nicht mehr vertretbar. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt, dass die Terminsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG auch dann anfällt, wenn im zugrunde liegenden Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Soweit die Gebühr entsteht, bemisst sie sich nach Nr. 3516 VV RVG und beläuft sich auf 1,2. d) Einigung Kommt es im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu einer Einigung, so entsteht zusätzlich eine Einigungsgebühr nach Nr. 1004 VV RVG. Das hat der Gesetzgeber jetzt durch die Neufassung der Nr. 1004 VV RVG klar gestellt. Werden weiter gehende Ansprüche mit in die Einigung einbezogen, gilt das Gleiche wie im Revisionsverfahren (Rz. 428).
437
e) Gegenstandswert Der Gegenstandswert richtet sich nach dem Wert hinsichtlich dessen die Zulassung der Revision begehrt wird. Ging der Auftrag zunächst dahin, uneingeschränkt Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, und wird sodann auf Empfehlung des Anwalts das Rechtsmittel nur teilweise durchgeführt, erhält der Anwalt die volle Verfahrensgebühr aus dem Wert der Beschwer, während sich der Streitwert des nachfolgenden Verfahrens gem. § 47 GKG nur nach dem Wert der Anträge richtet (BGH AGS 2018, 60 = NJW-Spezial 2018, 124).
438
f) Auslagen Da das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde eine eigene Angelegenheit darstellt, erhält der Anwalt hier auch seine Auslagen gesondert, insbesondere eine eigene Postentgeltpauschale (Nr. 7002 VV RVG).
439
g) Anrechnung Kommt es auf die Beschwerde hin zur Durchführung des Revisionsverfahrens, so ist die Verfahrens- 440 gebühr nach Nr. 3506 VV RVG auf die entsprechende Verfahrensgebühr des Revisionsverfahrens (Nrn. 3206 VV RVG) anzurechnen (Anm. zu Nr. 3506 VV RVG).
M 43.95 Abrechnung Nichtzulassungsbeschwerde mit Teilzulassung
441
Das OLG hat Klage und Widerklage über jeweils 50.000 Euro abgewiesen. Die Revision ist nicht zugelassen worden. Beide Parteien legen Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragen, die Nichtzulassungsbeschwerde der anderen Partei zurückzuweisen. Die Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Klage wird zurückgewiesen; die Revision gegen die Abweisung der Widerklage wird zugelassen und hierüber verhandelt. I. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (Wert 100.000 Euro) 1. 2. 3.
2,3-Verfahrensgebühr, Nrn. 3506, 3508 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
3.456,90 Euro 20,00 Euro 3.476,90 Euro 660,61 Euro 4.137,51 Euro
Schneider 817
Kap. 43 Rz. 442
M 43.96
Anwaltsgebühren
ZPO
II. Revisionsverfahren (Wert 50.000 Euro) 1. 2. 3. 4. 5.
2,3-Verfahrensgebühr, Nrn. 3206, 3208 VV RVG gem. Anm. zu VV 3506 anzurechnen, 2,3 aus 50.000 Euro 1,5-Terminsgebühr, Nr. 3210 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
2.674,90 Euro – 2.674,90 Euro 1.744,50 Euro 20,00 Euro 1.764,50 Euro 335,26 Euro 2.099,76 Euro
442 Für den Fall der Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde fehlt es infolge eines offensichtlichen Redaktionsversehens des Gesetzgebers an einer gesetzlichen Kostenregelung in der ZPO. Diese Lücke ist durch die analoge Anwendung des § 565 iVm. § 516 Abs. 3 ZPO zu schließen (BGH AGS 2003, 218). Daher ist von Amts wegen auszusprechen, dass die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer auferlegt werden. 5. Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO
443 Eine gesonderte Gebührenvorschrift für die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO enthält Nr. 3502 VV RVG. Danach erhält der Anwalt im Verfahren über die Rechtsbeschwerde eine Verfahrensgebühr iHv. 1,0. Eine höhere Gebühr für den am BGH zugelassenen Anwalt ist im Gegensatz zur Revision und zur Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorgesehen.
444 Bei vorzeitiger Beendigung des Auftrags ermäßigt sich die Gebühr der Nr. 3502 VV RVG auf eine 0,5-Gebühr (Nr. 3503 VV RVG). Die Anm. zu Nr. 3201 VV RVG gilt entsprechend (Anm. zu Nr. 3503 VV RVG).
445 Sofern der Anwalt für mehrere Auftraggeber wegen desselben Gegenstands tätig wird, erhöht sich die Gebühr um 0,3 je weiteren Auftraggeber (Nr. 1008 VV RVG), höchstens um 2,0.
446 Eine Terminsgebühr war im Verfahren der Rechtsbeschwerde zunächst nicht vorgesehen. Infolge des Anhörungsrügengesetzes (BGBl. I 2004, 3220) ist seit dem 1.1.2005 in Nr. 3516 VV RVG die Verweisung erweitert und auch auf das Verfahren nach Nr. 3502 VV RVG erstreckt worden. Zwar findet ein gerichtlicher Termin hier nicht statt; die beteiligten Anwälte können aber nach Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG die Terminsgebühr verdienen, wenn sie eine Besprechung mit dem Gegner oder einem Dritten zur Erledigung oder Vermeidung der Rechtsbeschwerde führen.
447 Neben der Verfahrensgebühr erhält der Anwalt für die Rechtsbeschwerde seine Auslagen nach Nrn. 7000 ff. VV RVG ersetzt, insbesondere eine eigene Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG.
448 M 43.96 Abrechnung Rechtsbeschwerde Es wird eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in einem Kostenfestsetzungsverfahren eingelegt. Der Beschwerdeführer verfolgt mit der Rechtsbeschwerde die Festsetzung weiterer Gebühren in Höhe 3.000 Euro, die der Rechtspfleger abgesetzt hatte. 1. 2. 3.
818
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3502 VV RVG (Wert 3.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Schneider
201,00 Euro 20,00 Euro 221,00 Euro 41,99 Euro 262,99 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 453 Kap. 43
ZPO
VI. Zwangsvollstreckung 1. Übersicht In der Zwangsvollstreckung erhält der Anwalt seine Vergütung nach Nrn. 3309, 3310 VV RVG. Diese 449 Vorschriften gelten auch für die Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung (Vorbem. 3.3.3 Nr. 4 VV RVG). Anwendbar sind die Nrn. 3309, 3310 VV RVG sowohl für den Anwalt des Gläubigers als auch für den Anwalt des Schuldners, soweit dieser zur Abwendung der Zwangsvollstreckung tätig wird. Für die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung gelten die besonderen Vorschriften der Nrn. 3311 ff. VV RVG. Ebenfalls nicht nach Nr. 3309 VV RVG zu vergüten sind die besonderen Verfahren der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO), der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) und der Klage auf vorzugsweise Befriedigung (§ 805 ZPO). In diesen Verfahren gelten die Nrn. 3100 ff. VV RVG. 2. Der Umfang der Angelegenheiten in Zwangsvollstreckungssachen Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG gilt jede Vollstreckungsmaßnahme mit den durch diese vorbereiteten 450 weiteren Vollstreckungsmaßnahmen bis zur Befriedigung des Gläubigers als eine Angelegenheit. Anzuknüpfen ist an die konkrete Vollstreckungsmaßnahme. Alle hierzu gehörenden Maßnahmen, die in einem inneren Zusammenhang stehen, bilden damit eine einzige Angelegenheit. Die Angelegenheit beginnt mit der Entgegennahme der Information und endet mit der Befriedigung des Gläubigers oder mit dem Scheitern der konkreten Vollstreckungsmaßnahme. Insoweit kann es durchaus vorkommen, dass mehrere Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen werden. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Mobiliarvollstreckung: Verläuft ein erster Vollstreckungsversuch erfolglos, weil der Schuldner zwischenzeitlich verzogen ist, und erteilt der Anwalt dann auftragsgemäß unter der neuen Anschrift einen weiteren Vollstreckungsauftrag an einen anderen Gerichtsvollzieher, so handelt es sich dennoch nur um eine Angelegenheit iS des § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG. Beide Vollstreckungshandlungen stehen in einem solchen inneren Zusammenhang, dass von einer einheitlichen Vollstreckungshandlung auszugehen ist (LG Bamberg DGVZ 1999, 93). Anders verhält es sich dagegen, wenn nach einer teilweise erfolgreichen Vollstreckung wegen der Restforderung alsbald ein weiterer Vollstreckungsauftrag erteilt wird. In diesem Fall liegen zwei Angelegenheiten vor (AG Waldbröl DGVZ 1998, 142). Ebenso liegen mehrere Angelegenheiten vor, wenn der Gläubiger den Auftrag zur Zwangsvollstreckung sowohl im Geschäftslokal als auch in der an einem anderen Ort gelegenen Wohnung erteilt (LG Frankenthal JurBüro 1979, 1325). Welche Maßnahmen als besondere Angelegenheit gelten und welche nicht, ist in den §§ 18 und 19 RVG im Einzelnen aufgeführt. Zum Umfang der Angelegenheit gehören danach insbesondere Vorbereitungshandlungen, wie zB
451
– die erstmalige Erteilung des Notfristzeugnisses, des Rechtskraftzeugnisses und der Vollstreckungsklausel, sofern keine Klage nach § 731 ZPO erhoben wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 RVG), – die Zustellung des Urteils, der Vollstreckungsklausel und der weiteren in § 750 ZPO genannten Urkunden (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 16 RVG), – die Vollstreckungsandrohung.
452
Bei der Mobiliarvollstreckung zählt zB zum Rechtszug – das Verfahren auf Zulassung der Vollstreckung zur Nachtzeit, an einem Sonntag oder einem allgemeinen Feiertag (§ 758a Abs. 4 ZPO) und – das Erwirken eines Durchsuchungsbeschlusses (§ 758a Abs. 1 ZPO). Bei der Forderungspfändung zählt zB das vorläufige Zahlungsverbot (§ 845 ZPO) stets mit zur Angelegenheit. Bei einer Verurteilung zu einem Ordnungsgeld wiederum gehört auch die Androhung
Schneider 819
453
ZPO
Kap. 43 Rz. 454
M 43.97
Anwaltsgebühren
mit dazu (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 RVG). Auch nachfolgende Tätigkeiten gehören mit zur Angelegenheit, wie etwa die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme (§ 19 Abs. 2 Nr. 5 RVG), Erinnerungen über die Art und Weise der Zwangsvollstreckung nach § 766 ZPO (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG). Werden mehrere gleichartige Vollstreckungshandlungen nacheinander ausgeführt, so ist zu prüfen, ob die folgende Vollstreckungshandlung sich als Fortsetzung der Ersten darstellt oder ob es sich um eine selbständige Maßnahme aufgrund eines neuen Entschlusses des Gläubigers handelt. Die Abgrenzung ist hier teilweise schwierig. Mehrere Angelegenheiten liegen immer dann vor, wenn gegen mehrere Gesamtschuldner vollstreckt wird. Die Vollstreckung gegen jeden gilt als selbständige Angelegenheit (OLG Frankfurt/M. AGS 2004, 207 m. Anm. N. Schneider; KG AGS 2003, 543).
454 Werden gleichzeitig mehrere Vollstreckungshandlungen durchgeführt, so liegen stets verschiedene Angelegenheiten vor, etwa wenn der Anwalt sowohl mit einer Mobiliarvollstreckung beauftragt wird als auch mit einer Lohnpfändung. Das Gleiche gilt, wenn aus mehreren Titeln vollstreckt und hinsichtlich jeden Titels ein eigener Vollstreckungsauftrag erteilt wird. Steht zB dem Gläubiger gegen den Schuldner sowohl aus dem Urteil als auch aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss eine Geldforderung zu, so kann er einen einheitlichen Vollstreckungsauftrag über die Gesamtsumme von Hauptsache und festgesetzten Kosten erteilen. Es liegt dann nur eine einzige Angelegenheit vor. Der Gläubiger kann aber auch für jeden Titel einen einzelnen Vollstreckungsauftrag erteilen, mit der Folge, dass es sich um mehrere Angelegenheiten handelt. Ob die Kosten der einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen in diesem Fall in voller Höhe erstattungsfähig sind, ist eine andere Frage. Grundsätzlich ist der Gläubiger nach § 788 ZPO gehalten, die Kosten der Vollstreckung niedrig zu halten und unnötige Kosten zu vermeiden. Dazu gehört es, soweit möglich, die Vollstreckung aus mehreren Titeln gegen denselben Schuldner bzw. mehrere Vollstreckungen aus demselben Titel zusammenzufassen, etwa indem ein einheitlicher Antrag auf Pfändung und Überweisung mehrerer Forderungen gestellt wird und nicht für jede einzelne Forderung ein eigener Antrag.
455 Meldeamtsanfragen und ähnliche Auskunftsersuchen sind nicht als gesonderte Angelegenheit anzusehen. Dies ist zwischenzeitlich durch zwei Entscheidungen des BGH geklärt (AGS 2004, 99 m. Anm. Mock; AGS 2004, 151). Beschwerdeverfahren im Rahmen der Zwangsvollstreckung gehören nicht mehr zum Gebührenrechtszug, sondern werden nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG iVm. Nr. 3500 VV RVG gesondert vergütet. 3. Vergütung
456 Für seine Tätigkeit in der Zwangsvollstreckung erhält der Anwalt zunächst einmal nach Nr. 3309 VV RVG eine Verfahrensgebühr. Die Höhe dieser Gebühr beläuft sich auf 0,3. Bei mehreren gemeinschaftlich beteiligten Auftraggebern erhöht sich die Gebühr um jeweils 0,3, höchstens um 2,0, so dass bei zwei Auftraggebern die Gebühr 0,6 beträgt (OLG Stuttgart AGS 2007, 33; LG Frankfurt/M. AGS 2005, 18 m. Anm. Mock = NJW 2004, 3642; LG Hamburg AGS 2005, 497; LG Köln MDR 2005, 1318).
457 M 43.97 Zwangsvollstreckungsauftrag für Gesamtgläubiger Vollstreckungsauftrag von zwei Gesamtgläubigern über 1.860 Euro. 1. 2. 3.
0,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3309 VV RVG (Wert: 1.860 Euro) Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
90,00 Euro 18,00 Euro 108,00 Euro 20,52 Euro 128,52 Euro
458 Die Verfahrensgebühr entsteht, sobald der Anwalt in Ausführung des Vollstreckungsauftrages tätig wird, in aller Regel also nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG mit der Entgegennahme der Information
820
Schneider
Rz. 466 Kap. 43
(OLG Hamburg JurBüro 1975, 1346). Eine Reduzierung wie für die Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG ist nicht vorgesehen. Auch eine Terminsgebühr kann in der Zwangsvollstreckung entstehen, sofern der Anwalt im Rahmen der Zwangsvollstreckungsmaßnahme an einem gerichtlichen Termin oder einem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft teilnimmt. Möglich ist eine Terminsgebühr insbesondere in den Verfahren nach §§ 887 ff. ZPO, die vor Gericht stattfinden. Eine Terminsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG (Besprechung zur Vermeidung oder Erledigung) ist dagegen nicht möglich, da Nr. 3510 VV RVG einen gerichtlichen Termin oder einen Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft voraussetzt. Die Höhe der Terminsgebühr beläuft sich ebenfalls auf 0,3.
459
Im Rahmen der Zwangsvollstreckung kann der Anwalt auch eine Einigungsgebühr verdienen. Hier 460 kommen zwei Tatbestandsalternativen in Betracht. Zum einen wird die Einigungsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG ausgelöst, wenn im Rahmen der Zwangsvollstreckung mit dem Schuldner eine Einigung getroffen wird, die über eine bloße Zahlungsvereinbarung hinausgeht, etwa wenn im Wege des Nachgebens eine Einigung über die zu vollstreckende Forderung erzielt wird (Beispiel: Der Gläubiger erklärt sich bereit, anstelle der Geldforderung eine Sache „in Zahlung“ zu nehmen; anstelle der herauszugebenden Sache wird ein Geldbetrag vereinbart; man einigt sich über die Art und Weise der zu erteilenden Auskunft). In diesem Fall entsteht die Einigungsgebühr aus dem vollen Wert des § 25 RVG.
461
Mit dem 2. KostRMoG ist zum 1.8.2013 eine Einigungsgebühr für eine sog. Zahlungsvereinbarung eingeführt worden. Mit dieser Variante nach Anm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zu Nr. 1000 VV werden die Fälle erfasst werden, in denen
462
– kein Streit über den Bestand der Forderung (mehr) besteht, – dem Schuldner die Forderung gestundet oder ihm nachgelassen wird, die Forderung in Raten zu zahlen, und – der Gläubiger auf eine Vollstreckung der Forderung vorläufig verzichtet. Gleichzeitig ist in § 31b RVG klargestellt worden, dass eine solche Einigung nicht mit dem Wert der Hauptsache zu bewerten ist, sondern lediglich mit 20 % der Hauptsache.
463
K
464
Wichtig: Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH AGS 2007, 302 = NJW 2007, 1213) sind die Kosten eines im Zwangsvollstreckungsverfahren geschlossenen Vergleichs in entsprechender Anwendung von § 98 Satz 1 ZPO als gegeneinander aufgehoben anzusehen, wenn nicht die Parteien ein anderes vereinbart haben. Bei Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung sollte daher auf jeden Fall auch vereinbart werden, dass der Schuldner die Kosten der Einigung übernimmt.
Soweit ein Vollstreckungsverfahren bereits anhängig ist, entsteht eine 1,0-Gebühr nach Nrn. 1000, 465 1003 VV RVG (v. Eicken AGS 1995, 8). Zu beachten ist, dass nach Anm. Satz 2 zu Nr. 1003 VV RVG auch ein Verfahren vor dem Gerichtsvollzieher zur Anhängigkeit und damit zur reduzierten Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG führt. Soweit weder die Hauptsache noch ein Vollstreckungsverfahren anhängig ist, etwa wenn bislang nur die Vollstreckung angedroht oder die Zwangsvollstreckungsmaßnahme zum Zeitpunkt der Einigung bereits abgeschlossen ist, entsteht die Einigungsgebühr zu 1,5 (Nr. 1000 VV RVG). Dass die titulierte Forderung zuvor im Rechtsstreit anhängig gewesen war, ist unerheblich, da es nur auf den Zeitpunkt der Einigung ankommt. 4. Gegenstandswert Der Gegenstandswert in der Zwangsvollstreckung bemisst sich nach § 25 RVG. Zur Besonderheit der Zahlungsvereinbarung s. Rz. 463.
Schneider 821
466
ZPO
Anwaltsgebühren
Kap. 43 Rz. 467
M 43.98
Anwaltsgebühren
ZPO
467 Bei Geldforderungen ist der Wert der zu vollstreckenden Forderung einschließlich der Nebenforderungen maßgebend (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG). Hierzu zählen insbesondere Zinsen sowie die Kosten vorausgegangener Vollstreckungsversuche. Beschränkt sich der Vollstreckungsauftrag darauf, einen bestimmten Gegenstand oder eine bestimmte Forderung zu verwerten, so ist lediglich dieser Wert maßgebend, sofern er geringer ist. Für die Pfändung zukünftiger Arbeitseinkommen gelten § 51 Abs. 1 FamGKG und § 3 ZPO (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 3 RVG). Strittig ist die Bewertung bei Pfändung einer wertlosen Forderung. Nach einer Auffassung ist der Gegenstandswert einer Forderungspfändung unabhängig von der Frage des Erfolgs nach dem Wert der zu vollstreckenden Geldforderung zu bestimmen (OLG Hamburg AnwBl. 2006, 499; LG Düsseldorf AGS 2006, 86 = RVGreport 2006, 86; LG Kiel JurBüro 1991, 1198; LG Stuttgart AGS 2013, 475 = JurBüro 2013, 607). Nach zutreffender Ansicht (OLG Köln Rpfleger 2001, 149; AG Hamburg-Altona AGS 2007, 100) ist auch in diesem Fall auf den geringeren Wert der Forderung abzustellen und gegebenenfalls bei völliger Wertlosigkeit die unterste Wertstufe anzunehmen.
468 Bei Herausgabevollstreckungen ist der Wert der herauszugebenden Sache maßgebend (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 RVG).
469 Sind Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen zu vollstrecken, richtet sich der Gegenstandswert nach dem Interesse des Gläubigers, also dem Erfüllungsinteresse und damit nach dem Wert der Hauptsache (OLG Köln AGS 2005, 262; OLG Nürnberg Rpfleger 1963, 218; OLG Celle FamRZ 2006, 1689; AnwK-RVG/Wolf, § 25 Rz. 17; Schneider/Herget, Rz. 6489). Die Höhe eines im Rahmen der §§ 888, 890 ZPO festgesetzten Zwangs- oder Ordnungsmittels ist für das Interesse ohne Bedeutung (LG Bonn AGS 2018, 23; LG Konstanz AGS 2018, 22; OLG Karlsruhe MDR 2000, 229; OLG Celle FamRZ 2006, 1689; AnwK-RVG/Wolf/Volpert, § 25 Rz. 34; Schneider/Herget, Rz. 6489). Der Wert des Ordnungsmittels ist lediglich für die anschließende Vollstreckung des Ordnungsmittels maßgebend (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
470 Im Verfahren auf Abgabe der Vermögensauskunft ist der Gegenstandswert auf höchstens 2.000 Euro beschränkt (§ 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG).
471 Für Beschwerdeverfahren wiederum ist das Interesse des Antragstellers oder des Beschwerdeführers nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 23 Abs. 2 Satz 1 RVG).
472 M 43.98 Berechnung des Gebührenstreitwerts für Vollstreckungsauftrag Der Gläubiger hatte gegen den Schuldner ein rechtskräftiges Urteil iHv. 5.000 Euro erwirkt. Er hatte hieraus zunächst erfolglos eine Kontenpfändung ausgebracht (Gesamtkosten 100 Euro). Die Zinsen aus der Hauptforderung belaufen sich zwischenzeitlich auf 250 Euro. Nunmehr erteilt der Gläubiger gleichzeitig den Auftrag zu einer Mobiliarvollstreckung sowie zur Pfändung einer Forderung von 2.500 Euro. Der Gegenstandswert für den Mobiliarvollstreckungsauftrag berechnet sich wie folgt: Hauptforderung Zinsen Kosten früherer Vollstreckungsversuche Gesamt
5.000,00 Euro 250,00 Euro 100,00 Euro 5.350,00 Euro
Für den Auftrag zur Forderungspfändung ist dagegen lediglich ein Streitwert iHv. 2.500 Euro zugrunde zu legen, da der Wert der zu pfändenden Forderung geringer ist.
822
Schneider
M 43.99
Rz. 476 Kap. 43
Anwaltsgebühren
Nach Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG sind die allgemeinen Geschäftskosten durch die jeweiligen Gebühren abgegolten. Darüber hinaus erhält der Anwalt Ersatz für Auslagen und Nebenkosten nur in den ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen.
473
1. Auslagen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nach Nrn. 7001, 7002 VV RVG steht dem Anwalt ein Anspruch auf Ersatz der bei Ausführung seines Auftrags aufgewandten Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen zu. Hierzu zählen vor allem die Gebühren für Telefon und Telefax sowie für Porto. Nicht dazu zählen die Grundgebühren der Telefon- oder Telefaxanlage, da jene Kosten gem. Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG bereits durch die jeweiligen Verfahrensgebühren abgegolten werden.
474
Der Anwalt hat die Wahl, ob er die Gebühren konkret (Nr. 7001 VV RVG) oder pauschal (Nr. 7002 475 VV RVG) berechnet. Wählt er die konkrete Abrechnung nach Nr. 7001 VV RVG, so genügt die Angabe des Gesamtbetrages (§ 10 Abs. 2 Satz 2 RVG). Nur auf Verlangen muss er eine Einzelaufstellung geben. Die Höhe der Auslagen ist bei konkreter Berechnung nicht begrenzt. Wählt der Anwalt die pauschale Abrechnung nach Nr. 7002 VV RVG, so steht ihm ein Auslagenersatz iHv. 20 % des gesetzlichen Gebührenaufkommens zu, maximal jedoch 20 Euro. Ist der Anwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet, richtet sich die Pauschale nicht nach den gesetzlichen Gebühren, sondern nach den gegebenenfalls geringeren PKH-Beträgen des § 49 RVG. Bedeutung hat dies allerdings nur bei 0,3-Gebühren zwischen 5.000,01 Euro bis 13.000 Euro. Eine eventuelle Gebührenanrechnung lässt die Höhe der Postentgeltpauschale unberührt, da diese aus dem Gebührenaufkommen vor Anrechnung zu ermitteln ist (OLG Köln Rpfleger 1994, 432; N. Schneider MDR 1991, 926; N. Schneider AGS 2003, 94). Die Postentgeltpauschale kann der Anwalt in jeder Angelegenheit gesondert verlangen. So erhält er also bei Mahnverfahren und anschließendem Rechtsstreit zwei Postentgeltpauschalen bis zur Höhe von jeweils 20 Euro (BGH AGS 2004, 343; LG Essen JurBüro 2002, 246; AG Miesbach NJWRR 1997, 1431).
M 43.99 Berechnung der Postentgeltpauschale in Anrechnungsfällen
476
Mahnverfahren über 2.000 Euro; es wird fristgerecht Widerspruch eingelegt und an das zuständige LG abgegeben; vor mündlicher Verhandlung wird der Mahnantrag zurückgenommen. I. Mahnverfahren: 1. 2. 3.
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert 2.000 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
150,00 Euro 20,00 Euro 170,00 Euro 32,30 Euro 202,30 Euro
II. Streitiges Verfahren: 1. 2. 3. 4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 2.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV RVG, 1,0 aus 2.000 Euro Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
195,00 Euro – 150,00 Euro 20,00 Euro1 65,00 Euro 12,35 Euro 77,35 Euro
1 Obwohl das Gebührenaufkommen nach Anrechnung nur 45 Euro beträgt, entsteht die Postentgeltpauschale aus der vollen Gebühr von 195 Euro.
Schneider 823
ZPO
VII. Auslagen, Reisekosten, Umsatzsteuer
Kap. 43 Rz. 477
Anwaltsgebühren
ZPO
2. Dokumentenpauschale
477 Weiterhin kann der Anwalt nach Nr. 7000 VV RVG Ersatz seiner Auslagen für Kopien und Ausdrucke verlangen. Die gesetzliche Regelung ist in einzelnen Bereichen schwer verständlich. Im Einzelnen gilt Folgendes: a) Höhe der Vergütung
478 Soweit der Anwalt eine Dokumentenpauschale erhält, steht ihm für einfarbige Kopien und Ausdrucke eine Vergütung iHv. 0,50 Euro je Seite zu, bei mehrfarbigen iHv. 1 Euro. Bei mehr als fünfzig Seiten in derselben Angelegenheit reduziert sich die Vergütung ab der 51. Seite für einfarbige Kopien und Ausdrucke auf 0,15 Euro je Seite und bei mehrfarbigen auf 0,30 Euro. b) Auszüge aus Behörden- oder Gerichtsakten
479 Soweit der Anwalt zur sachgerechten Bearbeitung der Sache Ablichtungen aus Behörden- oder Gerichtsakten fertigt, steht ihm hierfür eine gesonderte Vergütung nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG zu. Sachgerecht ist ein Aktenauszug insbesondere bei Schadensersatzprozessen (OLG Hamburg JurBüro 1975, 768; OLG Frankfurt JurBüro 1978, 705). c) Ablichtungen zur Zustellung oder Mitteilung an Gegner oder Beteiligte und Verfahrensbevollmächtigte
480 Nach Nr. 7000 Nr. 1b) VV RVG erhält der Anwalt ferner Dokumentenpauschalen für Ablichtungen zur Zustellung und Mitteilung an Gegner oder Beteiligte auf Grund einer Rechtsvorschrift oder nach Aufforderung des Gerichts oder der das Verfahren führenden Behörde. Der Begriff der Beteiligten ist hier prozessual zu verstehen. Daher zählen zB der Verkehrsanwalt (OLG Hamm VersR 1991, 69), die eigene Partei, deren Haftpflicht- oder Rechtsschutzversicherer nicht als Beteiligte iS der Nr. 7000 Nr. 1b) VV RVG. Zu beachten ist, dass hier die ersten 100 Kopien nicht vergütet werden, sondern durch die Gebühren abgegolten sind. Erst ab der 101. Kopie erhält der Anwalt eine Dokumentenpauschale. d) Unterrichtung des Auftraggebers
481 Auch bei der Unterrichtung des Auftraggebers sind die ersten 100 Ablichtungen durch die jeweiligen Gebühren abgegolten. Auch hier kommt daher eine Vergütung erst ab der 101. Kopie in Betracht, Nr. 7000 Nr. 1c) VV RVG. e) Einverständnis mit dem Auftraggeber
482 Im Übrigen dürfen die Kosten für Ablichtungen nur berechnet werden, wenn sie im Einverständnis mit dem Auftraggeber angefertigt worden sind, Nr. 7000 Nr. 1d) VV RVG. Dieses Einverständnis wird man stets unterstellen dürfen, wenn die Ablichtung zur sachgerechten Bearbeitung erforderlich ist. Hierzu zählt insbesondere das Kopieren von Gutachten, wenn dies zur Unterrichtung des Auftraggebers erforderlich ist (SG Münster AnwBl. 1993, 44). Ebenso zählen hierzu Kopien von Schadensbelegen für den Versicherer oder die Handakten, wenn sie im Original verschickt werden müssen. f) Überlassung elektronisch gespeicherter Dateien
483 Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Daten erhält der Anwalt je Datei eine Vergütung iHv. 1,50 Euro (Nr. 7000 Nr. 2 VV RVG). Für mehrere in einem Arbeitsgang oder auf einem Datenträger überlassene Dateien kann der Anwalt höchstens 5 Euro verlangen. Sofern die Datei mittels Diskette, CD-ROM oder anderem Datenträger verschickt wird, können die Kosten für den Datenträger zusätzlich nach § 670 BGB iVm. Vorbem. 7 Abs. 1 VV RVG verlangt werden (KG AGS 2014, 50). 824
Schneider
M 43.100
Rz. 490 Kap. 43
Anwaltsgebühren
Für Schriftsatzanlagen kann nach Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. b) VV RVG die Dokumentenpauschale verlangt werden, sofern die Anlagen aufgrund einer Vorschrift in Abschrift für Gericht oder Gegner beizufügen sind. Zu vergüten sind diese Ablichtungen allerdings erst ab der 101. Seite. Soweit beigefügte Ablichtungen nicht aufgrund einer Rechtsvorschrift beizufügen sind, bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung.
484
3. Reisekosten Für Geschäftsreisen steht dem Anwalt nach Nr. 7003 VV RVG ein weiterer Auslagenersatz zu. Er erhält Fahrtkosten, Abwesenheitsgelder und Übernachtungskosten sowie bare Auslagen. Soweit er den eigenen Pkw benutzt, erhält er eine Vergütung iHv. 0,30 Euro für jeden gefahrenen Kilometer (Nr. 7003 VV RVG). Hinzu kommen bare Auslagen, etwa für Parkgebühren o.Ä. (Nr. 7006 VV RVG). Benutzt der Anwalt ein anderes Verkehrsmittel, so erhält er die tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind (Nr. 7004 VV RVG).
485
Eine Geschäftsreise liegt stets dann vor, wenn der Anwalt sich zur Wahrnehmung des Mandats an 486 einen anderen Ort – zu verstehen als politische Kommune – begeben muss als den seines Kanzleioder Wohnsitzes (Vorbem. 7 Abs. 2 VV RVG). In gerichtlichen Verfahren fallen Reisekosten insbesondere dann an, wenn der Anwalt zu einem auswärtigen Gericht fährt, an dem er nicht zugelassen ist. Aber auch bei Fahrten zum Gericht, in dessen Bezirk der Anwalt seine Kanzlei hat, liegt eine Geschäftsreise vor. Ebenso entstehen Reisekosten bei der Wahrnehmung von Ortsterminen außerhalb seines Wohn- oder Kanzleiortes. Auch für eventuelle Informationsreisen zum Mandanten, zu Behörden, Besprechungen mit der Gegenpartei etc. können Fahrtkosten erhoben werden. Zusätzlich zu der Fahrtkostenerstattung erhält der Anwalt nach Nr. 7005 VV RVG eine Abwesenheitspauschale von 25 Euro bei einer Abwesenheit von nicht mehr als 4 Stunden (Nr. 1), bei einer Abwesenheit von 4 bis 8 Stunden iHv. 40 Euro (Nr. 2). Euro und darüber hinaus 70 Euro (Nr. 3). Bei Auslandsreisen erhöhen sich diese Beträge um bis zu 50 %: Abwesenheitspauschalen
Inland
Ausland
bis zu 4 Stunden
25,00 Euro
bis 32,50 Euro
4 bis 8 Stunden
40,00 Euro
bis 60,00 Euro
über 8 Stunden
70,00 Euro
bis 105,00 Euro
487
Neben den Fahrtkosten, Abwesenheitsgeldern und Übernachtungskosten sind dem Anwalt sämtliche im Zusammenhang damit anfallenden Nebenkosten zu vergüten, etwa Kosten der Gepäckaufbewahrung, notwendige Telegrafen- oder Fernsprechgebühren in Ausführung der Geschäftsreise, Kurtaxe, Reise- und Gepäckversicherung sowie Trinkgelder (Nr. 7006 VV RVG).
488
Soweit in den Reisekosten Umsatzsteuer enthalten ist, dürfen zunächst nur die Netto-Beträge abgerechnet werden, auf die dann später allerdings gem. Nr. 7008 VV RVG die Umsatzsteuer erhoben werden muss. Anderenfalls könnte der Auftraggeber den Vorsteuerabzug nicht geltend machen (BGH MDR 2012, 810 = AGS 2012, 268).
489
M 43.100 Abrechnung Reisekosten Pkw und Bahn
490
Verfahren vor dem LG X: Zum Ortstermin nach Y reist der Anwalt mit dem Pkw; er hat Parkgebühren (ohne Umsatzsteuernachweis) iHv. 3 Euro; zur Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe vor dem LG Z reist der Anwalt mit der Bahn – Fahrtkosten 40 Euro inkl. Umsatzsteuer.
Schneider 825
ZPO
g) Schriftsatzanlagen
Kap. 43 Rz. 491
M 43.101
Anwaltsgebühren
ZPO
Gegenstandswert: 5.000 Euro 1. 2. 3. 4.
5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Reisekosten: – Ortstermin in Y v. 3.3.2014: – Fahrtkosten PKW, Nr. 7003 VV RVG (2×40 km × 0,30 Euro/km) – Parkgebühren, Nr. 7006 VV RVG – Abwesenheitspauschale bis 4 Stunden, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG – Beweistermin LG Z v. 9.5.2004: – Fahrtkosten Deutsche Bahn, 1. Klasse (netto) – Abwesenheitspauschale 4 bis 8 Stunden, Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 24,00 Euro 3,00 Euro 25,00 Euro 33,61 Euro 40,00 Euro 903,11 Euro 171,59 Euro 1.074,70 Euro
491 Wird die Geschäftsreise für mehrere Angelegenheiten durchgeführt, so sind die gesamten Reisekosten gem. Vorbem. 7 Abs. 3 VV RVG aufzuteilen. Dabei ist in folgenden Schritten vorzugehen: Zunächst sind die tatsächlichen Gesamtkosten zu berechnen. Sodann sind die fiktiven Kosten zu ermitteln, die angefallen wären, wenn der Anwalt die Reisen für jeden Mandanten einzeln durchgeführt hätte. Schließlich muss noch die Summe der fiktiven einzelnen Reisen errechnet werden. Alsdann werden die fiktiven Einzelreisekosten des Mandanten mit der Summe aller fiktiver Reisekosten multipliziert und durch die tatsächlichen Reisekosten dividiert.
492 Berechnungsformel bei mehreren Geschäftsreisen: – Berechnung der tatsächlichen Gesamtreisekosten. – Berechnung der fiktiven Kosten, die angefallen wären, wenn die Reisen für jeden Mandanten einzeln durchgeführt worden wären. – Berechnung der Summe der fiktiven einzelnen Reisekosten. – Berechnung des jeweiligen Anteils des einzelnen Mandanten nach der Formel: fiktive Einzelreisekosten des Mandanten × tatsächliche Gesamtkosten Summe aller fiktiver Einzelreisekosten.
493 M 43.101 Abrechnung bei mehreren Geschäftsreisen Der Anwalt hat seine Kanzlei in Köln. Für Mandant A fährt er zum LG Bonn und anschließend für Mandant B zum LG Koblenz. Das LG Bonn liegt 30 km von der Kanzlei entfernt, das LG Koblenz 120 km, die Entfernung zwischen LG Bonn und LG Koblenz beträgt 100 km. (1) Tatsächliche erstattungsfähige Gesamtreisekosten Fahrtkosten, Nr. 7003 ([30 + 100 + 120 km] × 0,30 Euro/km) Abwesenheitspauschale 4 bis 8 Stunden, Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG Gesamt
75,00 Euro 40,00 Euro 115,00 Euro
(2) Fiktive Einzelreisekosten Mandant A: Fahrtkosten, Nr. 7003 (2 × 30 km × 0,30 Euro/km) Abwesenheitspauschale bis 4 Stunden, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG Gesamt
826
Schneider
18,00 Euro 25,00 Euro 43,00 Euro
M 43.101
Anwaltsgebühren
Rz. 497 Kap. 43
Fahrtkosten, Nr. 7003 (2 × 120 km × 0,30 Euro/km) Abwesenheitspauschale 4 bis 8 Stunden, Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG Gesamt
72,00 Euro 40,00 Euro 112,00 Euro
(3) Summe der fiktiven Einzelreisekosten (43,00 Euro + 112,00 Euro =)
155,00 Euro
ZPO
Mandant B:
(4) Anteilige Kosten Mandant A hat zu zahlen: 43,00 Euro × 115,00 Euro/155,00 Euro = Mandant B hat zu zahlen: 112,00 Euro × 115,00 Euro/155,00 Euro = Gesamt (Kontrolle)
31,90 Euro 83,10 Euro 115,00 Euro
4. Haftpflichtversicherungsprämie Einen weiteren Auslagentatbestand enthält Nr. 7007 VV RVG. Diese Vorschrift muss im Zusammen- 494 hang mit § 22 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 und § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm. § 39 Abs. 2 GKG (ggf. iVm. §§ 23 Abs. 1 Satz 3, 22 Abs. 2 RVG) gesehen werden. Nach diesen Vorschriften ist der Gegenstandswert für einen Auftraggeber auf 30 Mio. Euro begrenzt. Der Höchstbetrag erhöht sich bei mehreren Auftraggebern um jeweils weitere 30 Mio. Euro auf maximal 100 Mio. Euro (§ 23 Abs. 2 Satz 2). Da die Gebühren nach Vorbem. 7 Abs. 1 VV RVG die allgemeinen Geschäftskosten abdecken und hierzu auch die Prämien für die Haftpflichtversicherung zählen, kann der Anwalt die Prämie nicht umlegen, soweit er Gebühren erhält. Soweit er infolge der Streitwertbegrenzung jedoch keine weiteren Gebühren mehr erhält, kann er nach Nr. 7007 VV RVG die weiter gehende Versicherungsprämie zusätzlich abrechnen. 5. Umsatzsteuer Auf seine Vergütung muss der Anwalt gem. Nr. 7008 VV RVG die anfallende Umsatzsteuer erheben. Maßgebend ist der Steuersatz, der zum Zeitpunkt des Fälligkeitseintritts (§ 8 Abs. 1 RVG) gilt (OLG Koblenz KostRsp. BRAGO § 25 Nr. 50; zu Übergangsfällen s. ausf. N. Schneider AGS 2007, 110; N. Schneider NJW 2007, 325 u. 1035). Voraussetzung ist allerdings, dass die Tätigkeit des Anwalts umsatzsteuerpflichtig ist. Hieran kann es in Fällen mit Auslandsberührung fehlen (s. hierzu ausf. AnwKom-RVG/N. Schneider Nr. 7008 VV RVG Rz. 6 ff.; N. Schneider MDR 2006, 374; N. Schneider ProzRB 2003, 362; 2004, 23). Führt der Anwalt eigene berufsbezogene Prozesse, so fällt hierfür ebenfalls keine Umsatzsteuer an (OLG Zweibrücken MDR 1998, 800). Bei eigenen privaten Rechtsstreiten ist nur ein fiktives geringeres Entgelt zu versteuern (LG Berlin Rpfleger 1998, 173 = NJW-RR 1998, 931).
495
Auch die Weiterberechnung der Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 GKG-KostVerz. oder nach vergleichbaren Vorschriften gegenüber dem Mandanten unterliegt der Umsatzsteuer (BGH MDR 2011, 758 NJW 2011, 3041).
496
6. Verauslagte Beträge Werden für den Mandanten Geldbeträge verauslagt, etwa Gebühren für Auskünfte, Gerichtskosten und Zeugenvorschüsse, Aktenversendungspauschalen für Einsichtnahme in Strafakten, etc., so sind diese Beträge selbstverständlich ebenfalls zu erstatten (Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG). Die Erstattungspflicht ergibt sich allerdings nicht aus dem RVG, sondern aus den §§ 675, 670 BGB. Diese Kosten sind jetzt auch gegen den Auftraggeber nach § 11 RVG festsetzbar.
Schneider 827
497
Kap. 43 Rz. 498
Anwaltsgebühren
ZPO
498 Checkliste: Auslagen und Nebenkosten l Postauslagen (pauschal oder konkret) l Kopien l Pkw-Kosten l gefahrene Kilometer l Fahrt zu auswärtigem Gericht? l auswärtiger Beweistermin (Ortsbesichtigung, Sachverständigentermin oÄ)? Ggf. Termine im selbständigen Beweisverfahren? l Fahrten zum Mandanten? l Fahrten zu Behörden? l Akteneinsicht bei Gericht? l Besprechungstermin bei Gegner? l Fahrtkosten mit anderen Verkehrsmitteln l Abwesenheitszeiten l Parkgebühren l Sonstige Auslagen (§§ 675, 670 BGB) l Gerichtskosten? l Zeugenvorschüsse? l Aktenversendungspauschalen? l Anfragen beim Einwohnermeldeamt, Gewerbeamt? Handelsregisterauszüge? l Verauslagte Zustellungskosten? l Gerichtsvollzieherkosten?
VIII. Hebegebühren 499 Das Einziehen und Weiterleiten von Fremdgeldern wird nicht durch die jeweiligen Verfahrensgebühren abgegolten. Die im Einziehen und Weiterleiten von Fremdgeld liegende Verwahrungs- und Verwaltungstätigkeit des Anwalts ist nicht mehr Inhalt des Prozessauftrags, sondern ein eigenes Verwahrungsgeschäft, das gebührenrechtlich eine selbständige Angelegenheit darstellt (AnwKom-RVG/ N. Schneider Nr. 1009 Rz. 1). Für diese Tätigkeit erhält der Anwalt daher gesonderte Gebühren nach Nr. 1009 VV RVG.
500 Verdient wird die Hebegebühr nicht schon mit der Entgegennahme des Geldes, sondern erst mit dessen Auszahlung an den Auftraggeber oder an Dritte. Die Gebühr fällt nach Anm. Abs. 4 Nr. 1009 VV RVG auch an, wenn Schecks entgegengenommen und weitergeleitet werden. Es ist nicht erforderlich, dass der Anwalt die Scheckbeträge zunächst auf sein Konto einzieht.
501 Voraussetzung für den Anfall der Hebegebühr ist zunächst, dass der Anwalt von seinem Mandanten (auch) den Auftrag erhalten hat, Gelder für ihn einzuziehen und weiterzuleiten. Meist wird bei der Mandatserteilung nicht darüber gesprochen, so dass in den seltensten Fällen ein ausdrücklicher Auftrag vorliegt. Eine gesetzliche Regelung dazu, inwieweit das Einziehen von Fremdgeldern vom Auftrag erfasst ist, fehlt. Aus § 81 ZPO folgt lediglich die Befugnis, zu erstattende Kosten des Rechts-
828
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 508 Kap. 43
ZPO
streits zu vereinnahmen. Zur Einziehung von Fremdgeldern berechtigt § 81 ZPO dagegen nicht (aA AG Westerstede AGS 1994, 84). In Betracht kommt in den meisten Fällen daher lediglich ein konkludent erteilter Auftrag. Im Regelfall wird man von einem solchen stillschweigenden Auftrag ausgehen können, da es ein wesentlicher Tätigkeitsbereich des Anwalts ist, mit fremdem Geld umzugehen. Da die Hebegebühr mit der Weiterleitung der Zahlung (Auszahlung oder Rückzahlung), sei es an den 502 Mandanten selbst oder Dritte, etwa an Zessionare, entsteht, entsteht bei Weiterleitung eines einheitlich eingegangenen Betrages in Teilbeträgen an den Mandanten oder Dritte jeweils eine eigene Gebühr aus den einzelnen Auszahlungsbeträgen (Anm. Abs. 1 Nr. 1009 VV RVG iVm. § 15 RVG). Das Gleiche gilt, wenn ein Betrag auf mehrere Auftraggeber zu verteilen ist. Werden umgekehrt mehrere Einzelbeträge an den Anwalt gezahlt, aber in einer Summe weitergeleitet, so entsteht nur eine Hebegebühr. Keine Hebegebühr fällt an, wenn Kosten weitergeleitet werden oder der Anwalt eingezogene Beträge auf seine Vergütung verrechnet (Anm. Abs. 2 Satz 2 Nr. 1009 VV RVG). Die Hebegebühr gilt alle mit dem Zahlungsverkehr zusammenhängenden Tätigkeiten ab, insbesondere die Überwachung der Einzahlung, Kontrolle der Gutschrift, Berechnung anfallender Bankzinsen, Einlösung von Schecks sowie die Auszahlung selbst. Nicht abgegolten sind Umtauschkosten, Postgebühren und Bankspesen. Diese Kosten können zusätzlich gefordert werden.
503
Die Höhe der Gebühr berechnet sich wie folgt:
504
Nr. 1009 Nr. 1 VV RVG Bei Auszahlungen bis zu 2.500 Euro einschließlich erhält der Anwalt aus dem Auszahlungsbetrag Nr. 1009 Nr. 2 VV RVG Bei einem Betrag bis zu 10.000 Euro einschließlich erhält er 1 % aus 2.500 Euro = aus dem darüber hinausgehenden Wert weitere Nr. 1009 Nr. 3 VV RVG Bei Zahlungen über 10.000 Euro steht ihm zu: 1 % aus 2.500 Euro = zuzüglich 0,5 % aus 7.500 Euro = aus dem Mehrwert über 10.000 Euroweitere
1 %. 25,00 Euro 0,5 %. 25,00 Euro 37,50 Euro 0,25 %.
Die Mindestgebühr beträgt 1 Euro; Beträge ab 0,5 Cent sind auf volle Cent aufzurunden, im Übrigen abzurunden.
505
Neben der Hebegebühr hat der Anwalt jeweils Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen. So kann er insbesondere die Erstattung ausgelegter Kosten (§§ 670, 675 BGB) sowie Telekommunikationskosten verlangen, die er – wie üblich – konkret (Nr. 7001 VV RVG) oder pauschal nach Nr. 7002 VV RVG fordern kann. Zu beachten ist, dass jede Auszahlung eine eigene Pauschale auslöst.
506
Der Anwalt ist berechtigt, die ihm zustehende Hebegebühr unmittelbar bei Weiterleitung der Fremd- 507 gelder an den Auftraggeber zu entnehmen (Anm. Abs. 2 Satz 2 Nr. 1009 VV RVG). Bei der Weiterleitung an Dritte ist er hierzu allerdings nicht berechtigt. Inwieweit die Hebegebühren vom Gegner zu tragen sind, hängt vom Einzelfall ab. Erstattungsfähig ist 508 die Hebegebühr nach der Rechtsprechung nur, wenn ausnahmsweise die Hinzuziehung eines Anwalts erforderlich war. Hierzu zählt zB der Fall, dass der Mandant im Ausland wohnt (OLG München AnwBl. 1963, 339), dass er über kein eigenes Konto verfügt oder dass er krankheits- oder verletzungsbedingt nicht in der Lage ist, über sein Konto zu verfügen. Hebegebühren können auch nach §§ 103 ff. ZPO festgesetzt werden, wobei umstritten ist, ob es sich noch um Kosten des Rechtsstreits (§ 91 ZPO) oder um Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 ZPO) handelt. Einig ist man sich jedoch, dass bei Zahlungen durch den Gegner, sei es während des Rechtsstreits oder nach Abschluss des Rechtsstreits, eine Kostenfestsetzung nur unter den oben dargestellten engen Voraussetzungen in Betracht kommt. Schneider 829
ZPO
Kap. 43 Rz. 509
M 43.102
Anwaltsgebühren
509 M 43.102 Abrechnung Hebegebühren Der Anwalt vereinnahmt vom Beklagten die Vergleichssumme iHv. 4.000 Euro. Hiervon hält er vereinbarungsgemäß sein Honorar iHv. 400 Euro ab und zahlt 3.600 Euro an den Mandanten aus. Aus den ersten 2.500 Euro fällt die Hebegebühr mit 1 % = 25 Euro an; aus den weiteren 1.100 Euro fällt sie mit 0,5 % an = 5,50 Euro. Insgesamt ergeben sich damit 30,50 Euro. 1. 2. 3.
Hebegebühr, Nr. 1009 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
30,50 Euro 4,57 Euro 35,07 Euro 6,66 Euro 41,73 Euro
Auch diesen Betrag darf der Anwalt von den 3.600 Euro einbehalten (Anm. Abs. 2 Satz 2 Nr. 1009 VV RVG).
IX. Übergangsrecht 510 Bedingt durch die Änderungen des 2. KostRMoG, insbesondere die Anhebung der Gebührenbeträge stellt sich vermehrt die Frage des Übergangsrechts, also die Frage, welche Fassung des RVG anzuwenden ist. Dies richtet sich nach § 60 RVG.
511 Grundsätzlich ist die Fassung des RVG anzuwenden, die bei Erteilung des Auftrags zur jeweiligen Angelegenheit galt (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG). Daraus ergibt sich folgender Grundsatz: – Ist dem Anwalt der Auftrag zur jeweiligen Angelegenheit vor dem 1.8.2013 erteilt worden, ist er vor diesem Tag bestellt oder beigeordnet worden, dann gilt nach wie vor noch altes Recht. – Ist der Anwalt in der betreffenden Angelegenheit nach dem 31.7.2013 beauftragt, beigeordnet oder bestellt worden, gilt bereits neues Recht.
512 Eine Ausnahme gilt für den Anwalt eines Rechtsmittelführers, der schon in der Vorinstanz tätig war. Für ihn kommt es nicht auf das Datum der Auftragserteilung zum Rechtsmittel an, sondern darauf, wann das Rechtsmittel bei Gericht eingegangen ist (§ 60 Abs. 1 Satz 2 RVG).
X. Die Durchsetzung der Vergütung 1. Überblick
513 Zahlt der Mandant die fällige Vergütung nicht, ist auch der Anwalt zur Durchsetzung seiner Forderung auf gerichtliche Hilfe angewiesen. Resultiert der Vergütungsanspruch aus einem gerichtlichen Verfahren, so steht ihm der einfachere Weg der gerichtlichen Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG offen. Soweit dieses Verfahren nicht möglich ist, kommen nur die gewöhnlichen Verfahren, Mahnverfahren oder Klage, in Betracht.
514 Verfügt der Anwalt über Fremdgelder, die er für den Mandanten eingezogen hat, kann er sich grundsätzlich auch durch Aufrechnung befriedigen. Nach dem Inhalt des Mandatsvertrags kann eine Aufrechnung jedoch ausgeschlossen sein; dies gilt insbesondere bei Treuhandaufträgen oder dann, wenn der Anwalt mit einer Vergütung aus einem anderen Auftrag aufrechnen will (OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 643). Auf jeden Fall muss zuvor eine ordnungsgemäße Berechnung nach § 10 RVG mitgeteilt worden sein. Ohne eine ordnungsgemäße Berechnung ist eine Aufrechnung unzulässig.
830
Schneider
K
Rz. 522 Kap. 43
Praxistipp: Für die Aufrechnung bedarf es eines fälligen Anspruchs auf die Gebühr, mit der die Aufrechnung erklärt werden soll. Da Fremdgeld sofort auszukehren ist, läuft derjenige Gefahr, einen Untreuetatbestand zu verwirklichen (vgl. dazu etwa BGH Strafverteidiger 1998, 127), der Fremdgeld zurückhält, um es mit dem Anspruch auf die eigenen Gebühren zu verrechnen. Vor jeder Aufrechnung empfiehlt sich, das vorherige schriftliche Einverständnis des Mandanten mit der Aufrechnung einzuholen.
515
ZPO
Anwaltsgebühren
2. Vergütungsfestsetzung gegen den Auftraggeber Soweit der Anwalt seine Vergütung aus einem gerichtlichen Verfahren herleitet, muss zunächst der einfache Weg der gerichtlichen Festsetzung nach § 11 RVG geprüft werden. Die Vergütung wird danach ebenso wie ein Kostenerstattungsanspruch nach §§ 103 ff. ZPO vom Rechtspfleger durch Beschluss festgesetzt. Aus diesem Beschluss kann der Anwalt dann gem. §§ 795, 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nach Ablauf der Wartefrist des § 798 ZPO die Zwangsvollstreckung betreiben.
516
K
517
Wichtig: Soweit eine Vergütungsfestsetzung möglich ist, sind Mahnverfahren und Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (§ 11 Abs. 5 Satz 2 RVG).
a) Parteien des Verfahrens Antragsberechtigt ist jeder Rechtsanwalt, der im Laufe des Verfahrens für den Auftraggeber tätig geworden ist, also auch der Mahnanwalt, der Verkehrsanwalt (Nr. 3400 VV RVG), der Terminsvertreter (Nrn. 3401, 3402 VV RVG). War der Anwalt im Prozesskostenhilfeverfahren tätig, kann er seine Vergütung nach Nr. 3335 VV RVG ebenfalls festsetzen lassen (OLG München AnwBl. 1979, 441); soweit er allerdings im Wege der Prozesskostenhilfe später selbst beigeordnet worden ist, kommt eine Festsetzung nicht (mehr) in Betracht (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
518
Auch der Auftraggeber ist antragsberechtigt, wenn er der Auffassung ist, der Anwalt habe zu hoch abgerechnet und die Abrechnung überprüfen lassen will. Eine Festsetzung ist sogar noch möglich, wenn bereits gezahlt worden ist.
519
Antragsgegner des Verfahrens kann darüber hinaus jeder Vergütungsschuldner sein; dieser muss nicht zwingend Partei des Verfahrens gewesen sein (OLG München AnwBl. 1999, 56). Wird der Festsetzungsantrag vom Auftraggeber gestellt, so ist Antragsgegner derjenige Anwalt, gegen dessen Vergütungsforderung sich der Auftraggeber richtet.
520
b) Zuständigkeit Zuständig für die Festsetzung der Vergütung ist das Gericht des ersten Rechtszugs, unabhängig davon, in welcher Instanz der Anwalt den Auftraggeber vertreten hat. War der Anwalt nur im Mahnverfahren tätig, ist die Festsetzung vor dem im Mahnantrag angegebenen Streitgericht (§ 692 Nr. 6 ZPO) durchzuführen dem allerdings die Prüfung seiner Zuständigkeit vorbehalten bleibt (LG Hagen v. 10.9.2008 – 7 ZustG 1/08; BGH NJW 1991, 2084: noch zu § 19 BRAGO; aA OLG Naumburg NJW 2008, 1238, das die Frage erneut dem BGH vorgelegt hat). Wird der Rechtsstreit verwiesen, so wird damit das Empfangsgericht auch für die Festsetzung aller Vergütungsansprüche zuständig (LAG Düsseldorf JurBüro 1995, 649). In Arbeitsgerichtsverfahren ist das betreffende Arbeitsgericht zuständig, in Familiensachen das Familiengericht.
521
Umstritten war früher die Zuständigkeit in Zwangsvollstreckungssachen. Hier wurde zum Teil die Auffassung vertreten, zuständig sei das Prozessgericht (OLG Stuttgart NJW 2005, 759, 217; OLG Hamm MDR 1983, 1034; AnwBl. 1985, 221; OLG Köln JurBüro 1981, 54 (Zwangsversteigerung); LG Düsseldorf JurBüro 1987, 65) Demgegenüber hat die wohl hM das Vollstreckungsgericht auch in Verfahren nach § 11 RVG als zuständig angesehen (OLG München MDR 1985, 682). Seitdem § 788
522
Schneider 831
ZPO
Kap. 43 Rz. 523
Anwaltsgebühren
Abs. 2 Satz 1 ZPO geändert worden ist und für die Festsetzung von zu erstattenden Vollstreckungskosten jetzt kraft gesetzlicher Regelung ausschließlich das Vollstreckungsgericht zuständig ist, wird diese Zuständigkeit auch auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren übertragen (OLG Köln MDR 2000, 1276; OLG Koblenz JurBüro 2002, 199; LG Dortmund Rpfleger 2000, 40; BayObLG AGS 2003, 270; OLG Stuttgart NJW 2005, 759). Örtlich zuständig ist danach das Gericht, in dessen Bezirk die letzte Vollstreckungshandlung vorgenommen worden ist, und zwar für sämtliche bislang in dieser Sache angefallenen Vollstreckungsvergütungen (OLG Köln MDR 2000, 1276 = Rpfleger 2001, 296). Dies hat der BGH in einer Grundsatzentscheidung zwischenzeitlich klargestellt (BGH NJW 2005, 1273 = MDR 2005, 832). c) Gegenstand der Festsetzung
523 Gegenstand der Festsetzung kann nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 RVG nur die gesetzliche Vergütung (nach dem RVG) sein, also neben den Gebühren auch Auslagen, Kopie- und Reisekosten (Nrn. 7000 ff. VV RVG). Die Festsetzung einer vereinbarten Vergütung (§ 3a ff. RVG) scheidet dagegen aus, selbst dann, wenn die Vergütungsvereinbarung unterhalb der gesetzlichen Gebühren liegt oder der Festsetzungsantrag auf deren Höhe beschränkt wird. Dagegen ist die Festsetzung der nach § 670 BGB zu ersetzenden Auslagen jetzt möglich. Dies hatte der BGH zuletzt im Geltungsbereich der BRAGO noch abgelehnt (BGH AGS 2004, 391 m. Anm. N. Schneider).
524 Weiterhin ist erforderlich, dass die Vergütung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens entstanden ist, wobei der Anwalt allerdings nicht unbedingt gegenüber dem Gericht tätig geworden sein muss (Hansens JurBüro Sonderheft 1999, 19). Nicht festsetzbar ist daher die Vergütung nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG, wenn es nicht zur Einreichung der Klage gekommen ist. Gleiches gilt für die Kosten einer Schutzschrift, wenn das Verfahren auf Erlass der Verfügung oder des Arrestes nicht eingeleitet worden ist (KG JurBüro 1998, 30; OLG Bamberg AGS 2003, 537 m. Anm. N. Schneider). Auch die Vergütung aus einem schiedsrichterlichen Verfahren ist nicht festsetzbar (KG AnwBl. 1999, 55).
525 Rahmengebühren können nach § 11 Abs. 8 RVG jetzt auch festgesetzt werden, sofern nur der Mindestsatz oder -betrag verlangt wird oder eine schriftliche Zustimmungserklärung des Auftraggebers vorliegt.
526 Zinsen auf die Vergütung sind nach §§ 11 Abs. 2 Satz 2 RVG, 104 ZPO Abs. 1 Satz 2 ZPO ab Antragseingang ebenfalls festsetzbar, vorausgesetzt, es liegt bereits eine ordnungsgemäße Rechnung vor. Der Antrag kann auch nachträglich noch mit rückwirkendem Zinsbeginn gestellt werden. Der Zinssatz des § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO beläuft sich derzeit auf fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB.
527 Soweit im Festsetzungsverfahren Auslagen anfallen, etwa Zustellungskosten, können diese auf Antrag gleichzeitig mit der Vergütung festgesetzt werden (§ 11 Abs. 2 Satz 5 RVG). Die Verzinsung dieser Kosten läuft hier allerdings frühestens erst ab Erlass des Festsetzungsbeschlusses.
528 Nicht festsetzbar ist dagegen die Rückforderung des Auftraggebers wegen einer zu viel gezahlten Vergütung. Anders als im Verfahren nach §§ 103 ff. ZPO ist die Rückfestsetzung im Verfahren nach § 11 RVG unzulässig (KG MDR 1959, 403). d) Verfahren, Antrag
529 Das Festsetzungsverfahren wird durch einen bei Gericht einzureichenden Antrag eingeleitet (§ 11 Abs. 1 RVG). Dieser Antrag hemmt gem. § 11 Abs. 7 RVG ebenso wie eine Klage den Ablauf der Verjährungsfrist. Maßgebend ist der Eingang bei Gericht. Eine alsbaldige Zustellung ist anders als bei Klageerhebung nicht erforderlich (OLG Köln OLGR 1997, 343). Der Antrag ist in zweifacher Ausfertigung einzureichen (§ 11 RVG, § 103 Abs. 2 ZPO).
832
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 533 Kap. 43
Der Festsetzungsantrag muss Angaben dazu enthalten, für welche Tätigkeit die Vergütungsfestsetzung begehrt wird. Nähere Ausführungen hierzu sind allerdings nur dann erforderlich, wenn sich der Umfang der Tätigkeit nicht bereits aus den Gerichtsakten ergibt, etwa beim Verkehrsanwalt oder bei Vollstreckungstätigkeiten. Ferner muss im Antrag dargelegt werden, dass der Auftraggeber bereits eine ordnungsgemäße Abrechnung erhalten hat, zumindest muss eine solche dem Antrag beigefügt werden. Weiterhin sind bereits gezahlte Beträge anzugeben (§ 11 Abs. 1 Satz 2 RVG). Bei mehreren Auftraggebern ist darauf zu achten, dass der Festsetzungsantrag jeweils auf die Höhe der Haftung des Einzelnen (§ 7 Abs. 2 RVG) beschränkt wird.
530
ZPO
M 43.103
Der Festsetzungsantrag bedarf keiner besonderen Form. Zweckmäßig ist es, zur Vermeidung von 531 Nachfragen, anzugeben, für welchen Verfahrensabschnitt die Festsetzung beantragt wird. Ergibt sich die Fälligkeit der Vergütung bereits aus den Gerichtsakten (Kostenentscheidung, Ruhen des Verfahrens, Mandatsniederlegung im Verfahren oÄ), können entsprechende Ausführungen entfallen; anderenfalls sind auch insoweit Angaben erforderlich. Eventuelle Zahlungen (auch Zahlungen Dritter) sind anzugeben (§ 11 Abs. 1 Satz 2 RVG). Soweit das Gericht im Ausgangsverfahren den Gebührenstreitwert bereits festgesetzt hat, ist dieser auch für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindend. Fehlt es an einer Streitwertfestsetzung, sollte der Anwalt seine Streitwertberechnung erläutern, sofern diese nicht offensichtlich ist. Zur Vermeidung von Zeitverzögerung sollte gleichzeitig vorsorglich die gerichtliche Streitwertfestsetzung gem. §§ 32, 33 RVG beantragt werden. Falls der Rechtspfleger den Ausführungen zum Streitwert nicht folgt, muss er dann das Festsetzungsverfahren nach § 11 Abs. 4 RVG aussetzen und dem Gericht zur Streitwertfestlegung vorlegen (OLG Brandenburg AGS 2014, 65: LAG Rheinland-Pfalz NJW-Spezial 2012, 637).
532
M 43.103 Vergütungsfestsetzungsantrag nach Abschluss des Verfahrens
533
An das Landgericht … Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 11 RVG In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, die sich aus der beiliegenden Kostennote ergebende Vergütung meiner Tätigkeit für das Berufungsverfahren gegen den Kläger festzusetzen und auszusprechen, dass die festgesetzten Beträge ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Die in diesem Verfahren entstehenden Zustellungskosten sowie weitere eventuell anfallenden Auslagen bitte ich, – einschließlich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz – gleichzeitig festzusetzen. __________ Anlage Herrn … USt-Nr. des Anwalts Rechnung In Sachen …/… (Berufungsverfahren) Gegenstandswert: 700 Euro 1. 2.
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV RVG
128,00 Euro 96,00 Euro
Schneider 833
Kap. 43 Rz. 534
ZPO
3. 4.
M 43.104
Anwaltsgebühren
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
20,00 Euro 244,00 Euro 46,36 Euro 290,36 Euro
Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 11 Abs. 2 Satz 3 RVG), jedoch nicht auslagenfrei. Ob Zustellungsauslagen nach Nr. 9000 KV GKG bei vorangegangenem Rechtsstreit erhoben werden dürfen, ist umstritten (dafür: AG Berlin-Charlottenburg JurBüro 1998, 32; zu Recht dagegen: AG Rendsburg JurBüro 1996, 318; Mümmler JurBüro 1997, 74). Anwalt in eigener Sache: keine Gebühren, auch keine Erstattung nach § 91 Abs. 1 Satz 3 ZPO; Anwalt als Vertreter der Partei: 0,8 Verfahrensgebühr (Nr. 3403 VV RVG).
534 M 43.104 Vergütungsfestsetzungsantrag nach Mandatsniederlegung An das Landgericht … Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 11 RVG In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, die sich aus der beiliegenden Kostennote ergebende Vergütung meiner Tätigkeit gegen den Kläger festzusetzen und auszusprechen, dass die festgesetzten Beträge ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Der zugrunde gelegte Gegenstandswert berechnet sich nach …. Sollte das Gericht anderer Auffassung sein, wird gem. §§ 32, 33 RVG gerichtliche Wertfestsetzung beantragt. Die in diesem Verfahren entstehenden Zustellungskosten sowie weitere eventuell anfallende Auslagen bitte ich, – einschließlich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB – gleichzeitig festzusetzen. Begründung: Mit Schreiben vom – als Kopie in Anlage 1 – habe ich das Mandatsverhältnis gekündigt. Gleichzeitig hat der Kläger die – als Kopie in Anlage 2 – beiliegende Berechnung meiner Vergütung erhalten. Hierauf habe ich bislang nur die gutgeschriebene Vorschlusszahlung erhalten. Eine eigenhändig unterzeichnete Kostenrechnung füge ich vorsorglich auch der für den Beklagten bestimmten Ausfertigung bei. __________ Anlage Herrn … USt-Nr. des Anwalts Rechnung In Sachen …/… (1. Instanz) Leistungszeitraum: … (Wert: 20.000 Euro)
834
Schneider
1. 2. 3. 4. 5.
Anwaltsgebühren
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV ./. gezahlter Vorschuss (netto) Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV Gesamt
Rz. 539 Kap. 43 964,60 Euro 890,40 Euro 20,00 Euro – 1.000,00 Euro
ZPO
M 43.104
875,00 Euro 166,25 Euro 1.041,25 Euro
Kosten: s. Anm. zu M 43.102.
e) Entscheidung über den Festsetzungsantrag Der Festsetzungsantrag ist begründet, soweit die angemeldeten Gebühren nach Grund und Höhe entstanden sind. Zum Nachweis der angesetzten Vergütung reicht gem. § 11 RVG, § 104 Abs. 2 ZPO die Glaubhaftmachung aus. Dies bedeutet, dass bei Auslagen von Post- und Telekommunikationsdienstleistungen die Versicherung des Anwalts, dass die Auslagen entstanden sind, genügt. Wird die Entstehung einzelner Positionen bestritten, so sind diese substantiiert vorzutragen und durch Versicherung des Anwalts glaubhaft zu machen.
535
Werden gebührenrechtliche Einwendungen erhoben, so hat der Rechtspfleger hierüber zu entschei- 536 den. Erhebt der Auftraggeber dagegen Einwendungen oder Einreden, die ihren Grund nicht im Gebührenrecht haben, so wird die Kostenfestsetzung damit unzulässig (§ 11 Abs. 5 Satz 1 RVG). Betreffen die Einwendungen oder Einreden die gesamte Vergütung, so wird der Festsetzungsantrag insgesamt unzulässig. Richtet sich die Einwendung oder Einrede dagegen nur gegen einen Teil der Vergütung, also etwa gegen eine bestimmte Gebühr oder gegen die Höhe, so muss der nicht bestrittene Teil der Vergütung festgesetzt werden (OLG Koblenz KostRsp. BRAGO § 11 Nr. 178). Die Beurteilung der Frage, wann eine Einwendung gebührenrechtlich und wann sie nicht gebührenrechtlich ist, kann schwierig sein. Die Rechtsprechung ist zu einzelnen Punkten nicht einheitlich, zumal das Bestreben vorhanden ist, trotz außergebührenrechtlicher Einwände die Kostenfestsetzung vorzunehmen, wenn die Einwände offensichtlich aus der Luft gegriffen oder gänzlich haltlos, unverständlich oder offensichtlich unbegründet sind (OLG München MDR 1997, 597; OLG Köln OLGR 1997, 343). In Anbetracht dieser Tendenz der Rechtsprechung sollte der Anwalt daher auch bei außergebührenrechtlichen Einwendungen nicht sogleich seinen Vergütungsfestsetzungsantrag zurücknehmen, sondern prüfen, ob hier nicht dennoch eine Festsetzung in Betracht kommt (s. hierzu die Übersicht bei AnwKom-RVG/N. Schneider § 11 Rz. 176 ff.).
537
Ist die Vergütungsabrechnung zutreffend und hat der Gegner keine beachtlichen Einreden oder Einwendungen außerhalb des Gebührenrechts erhoben, wird die Vergütung durch Beschluss festgesetzt. Möglich ist insoweit auch, dass nur ein Teil der Vergütung festgesetzt werden kann und der Anwalt im Übrigen wegen Einwendungen des Auftraggebers auf den Prozessweg zu verweisen ist.
538
Soweit die Festsetzung abgelehnt wird oder lediglich ein geringerer Betrag festgesetzt worden ist als 539 beantragt, steht dem Anwalt die sofortige Beschwerde (§ 11 Abs. 2 Satz 2 RVG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG) offen. Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des Festsetzungsbeschlusses bzw. des Ablehnungsbeschlusses bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angegriffen wird. Für das Verfahren gilt das Gleiche wie beim Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO, so dass auf die dortigen Ausführungen (s. Rz. 582 ff.) verwiesen wird. Eine weitere Beschwerde ist nicht möglich (BayObLG JurBüro 1989, 67), wohl aber die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO, wenn sie zugelassen wird (AnwKom-RVG/N. Schneider § 11 Rz. 284). Sie kann nur durch einen am BGH zugelassenen Anwalt eingelegt werden. Eine Anschlussrechtsbeschwerde ist ebenfalls möglich; sie bedarf keiner Zulassung (§ 574 Abs. 4 ZPO). Soweit die Beschwerdesumme von 200,01 Euro nicht erreicht wird, ist die Erinnerung gegeben. Schneider 835
Kap. 43 Rz. 540
Anwaltsgebühren
M 43.105
ZPO
f) Wirkung des Festsetzungsbeschlusses
540 Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss steht in seinen Wirkungen einem Urteil gleich. Aus ihm kann gem. §§ 795, 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nach Ablauf der Wartefrist des § 798 ZPO die Zwangsvollstreckung betrieben werden. Nach Rechtskraft des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses können Einwendungen und Einreden nur noch im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) geltend gemacht werden, wobei gem. § 767 Abs. 2 ZPO Einwendungen, die vor Erlass des Beschlusses entstanden sind, nicht mehr zulässig sind (OLG Nürnberg MDR 1975, 1029).
541 Eine Kostenerstattung ist im Festsetzungsverfahren ausgeschlossen (§ 11 Abs. 6 Halbs. 1 RVG). Dies gilt auch für Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren (§ 11 Abs. 6 Halbs. 2 RVG).
542 Checkliste: Vergütungsfestsetzungsverfahren Antrag l Antrag l Ist die Vergütung entstanden? l Ist die Vergütung fällig? l Ist eine Abrechnung nach § 10 RVG erteilt? l Ist die Vergütung festsetzbar? l Besteht Antragsberechtigung? l Wer ist der richtige Antragsgegner? l Welches Gericht ist zuständig? l Sind getilgte Beträge abgesetzt? l Ist der Antrag auf Festsetzung der Zustellungsauslagen gestellt? l Werden gebührenrechtliche Einwendungen erhoben? l Werden nicht gebührenrechtliche Einwendungen erhoben? l Sind die Einwendungen erheblich? l Sind die Einwendungen „vollkommen unsubstanziiert“? l Sind die Einwendungen „offensichtlich unbegründet“? l Sind die Einwendungen „aus der Luft gegriffen“ etc.? l Kommt zumindest eine Teilfestsetzung in Betracht?
543 M 43.105 Sofortige Beschwerde gegen Ablehnungsbeschluss An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) lege ich gegen den Beschluss vom sofortige Beschwerde ein. Der Rechtspfleger hat den Festsetzungsantrag mit der Begründung abgelehnt, der Antragsgegner habe sich auf Verjährung berufen und damit eine außerhalb des Gebührenrechts liegende Einrede erhoben. Diese Begründung ist unzutreffend.
836
Schneider
M 43.105
Anwaltsgebühren
Rz. 549 Kap. 43
ZPO
Die Einrede der Verjährung ist hier ein gebührenrechtlicher Einwand, da es allein um die Frage geht, ob der vorliegende Festsetzungsantrag nach § 11 RVG die Verjährung rechtzeitig gehemmt hat. Dieser Einwand hat seine Grundlage im Gebührenrecht, wie sich aus § 11 Abs. 7 RVG ergibt. Abgesehen davon ist der Einwand offensichtlich unbegründet und daher im Festsetzungsverfahren nicht zu beachten (LG Saarbrücken AGS 2009, 280). Der Festsetzungsantrag ist ausweislich der Gerichtsakten vor Ablauf der Verjährungsfrist bei Gericht eingegangen. Der Einwand des Klägers, der Festsetzungsantrag sei erst Monate nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt worden, ist unerheblich. Die Zustellung des Antrags ist zur Unterbrechung der Verjährung nicht erforderlich (OLG Köln OLGR 1997, 343). Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1812 KV GKG, soweit Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; bei teilweiser Verwerfung oder Zurückweisung Ermäßigung nach Ermessen des Gerichts (Anm. zu Nr. 1812 KV GKG. Anwalt: In eigener Sache keine Vergütung, mangels Auftraggeber auch keine Erstattung nach § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO; als Vertreter des Auftraggebers oder des Anwalts: 0,5 Verfahrensgebühr (Nr. 3500 VV RVG).
3. Mahnverfahren Ist die Vergütung nicht festsetzbar, so kann der Anwalt seine Gebühren zunächst im Mahnverfahren 544 geltend machen. Soweit der Auftraggeber jedoch bereits Einwendungen nicht gebührenrechtlicher Art erhoben hat, dürfte dies wenig sinnvoll sein, da dann ohnehin mit einem Widerspruch zu rechnen ist. Sinn macht ein Mahnverfahren allerdings dann, wenn nach § 15a EGZPO vor Erhebung einer Klage ein obligatorisches außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren vorgeschrieben ist. Das Mahnverfahren macht dann das Schlichtungsverfahren entbehrlich (§ 15a Abs. 2 Nr. 5 EGZPO), sofern man dieses wegen des vorangegangenen Vergütungsfestsetzungsverfahrens nicht ohnehin für entbehrlich hält (so N. Schneider AnwBl. 2001, 327 ff.). Entschließt sich der Anwalt für das Mahnverfahren, gelten keine Besonderheiten.
K
Wichtig: Es ist unbedingt darauf zu achten, dass schon im Antrag auf Erlass des Mahnbescheids das Wahlrecht für den Gerichtsstand des möglichen streitigen Verfahrens ausgeübt werden muss (§ 696 Abs. 1 ZPO). Zu den verschiedenen Gerichtsständen s. Rz. 547 ff. Zudem sollte der Anwalt im Mahnbescheid angeben, dass eine Festsetzung nach § 11 RVG nicht in Betracht kommt. Auch das Mahnverfahren ist nämlich nur zulässig, wenn der einfachere Weg der Vergütungsfestsetzung nicht in Betracht kommt (LG Karlsruhe AnwBl. 1983, 178).
545
4. Vergütungsprozess Soweit der Anwalt seine Gebühren gerichtlich geltend machen muss, handelt es sich um einen gewöhnlichen Zivilprozess. Hier sind allerdings mehrere Besonderheiten zu beachten:
546
a) Gerichtsstand Dem Anwalt stehen für seinen Vergütungsprozess mehrere Gerichtsstände offen. Abgesehen von dem allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten (§ 12 ZPO) ist auch stets das Gericht des Hauptprozesses erster Instanz (§ 34 ZPO) zuständig, wenn die Vergütung aus einem gerichtlichen Verfahren eingeklagt wird. Bei der Bestimmung des § 34 ZPO handelt es sich sowohl um eine Regelung der örtlichen als auch um eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit.
547
K
Wichtig: Nach § 34 ZPO können auch Klagen mit einem Wert von unter 5.000,01 Euro beim Landgericht erhoben werden, wenn die Vergütung einem landgerichtlichen Verfahren entspringt.
548
Für die Arbeitsgerichtsbarkeit gilt § 34 ZPO allerdings nicht. Vergütungsklagen bei dem Arbeitsgericht des Hauptprozesses sind daher unzulässig (BAG NJW 1998, 1092). Auch wird keine Zuständigkeit des
549
Schneider 837
ZPO
Kap. 43 Rz. 550
Anwaltsgebühren
Familiengerichts begründet; zuständig ist insoweit die allgemeine Zivilabteilung des betreffenden Amtsgerichts.
550 K
Wichtig: Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO ist nach der Grundsatzentscheidung des BGH (AGS 2004, 9 m. Anm. N. Schneider = MDR 2004, 164) für die Honorarklage nicht mehr am Sitz seiner Kanzlei gegeben.
b) Aktivlegitimation
551 Zu erheben ist die Klage im Namen des Anwalts. Handelt es sich um eine Sozietät, sind grundsätzlich alle Mitglieder der Sozietät anspruchsberechtigt, es sei denn, im konkreten Fall ist ausdrücklich nur ein bestimmtes Mitglied oder sind nur bestimmte Mitglieder der Sozietät beauftragt worden. Das Ausscheiden eines Mitgliedes hat keinen Einfluss auf die Klageberechtigung. Mitglieder, die erst nach Beendigung der Angelegenheit in die Sozietät eintreten, sind allerdings nicht forderungsberechtigt. Möglich ist auch, dass lediglich ein Anwalt der Sozietät Klage erhebt und Zahlung an sämtliche Mitglieder verlangt. Erforderlich ist dies allerdings nicht. Zwar gewährt die Rechtsprechung zu Recht bei der nachfolgenden Kostenerstattung keine nach Nr. 1008 VV RVG erhöhten Gebühren (BGH AGS 2004, 143 m. Anm. N. Schneider; RVGreport 2004, 29), weil ein Mitglied der Sozietät auch hätte allein klagen können; auf die Zulässigkeit der Klage hat dies jedoch keinen Einfluss. Nach der Entscheidung des BGH zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft (BGH MDR 2001, 459 = NJW 2001, 1056) können Anwaltssozietäten nunmehr auch als Sozietät klagen, so dass ohnehin keine Notwendigkeit mehr besteht im Namen der Gesellschafter oder im Namen eines Gesellschafters auf Zahlung an alle zu klagen.
552 Eine Klage aus abgetretenem Recht ist unter den Voraussetzungen des § 49b Abs. 4 BRAO möglich (s. OLG Düsseldorf AGS 2008, 605 = JurBüro 2008, 650). c) Passivlegitimation
553 Die Klage muss sich gegen den Auftraggeber richten, der nicht mit dem Mandanten identisch sein muss. So kann der Haftpflichtversicherer Auftraggeber für seinen Versicherungsnehmer sein (§ 10 AKB) oder Eltern für ihre Kinder. Klagen gegen den Rechtsschutzversicherer des Mandanten scheiden allerdings aus, es sei denn, es besteht ausnahmsweise ein Direktanspruch aus dem Versicherungsvertrag. Hier kann nur im Namen des Mandanten auf Zahlung oder Freistellung geklagt werden. Eine Abtretung der Ansprüche des Mandanten an den Anwalt ist nach den jeweiligen ARB ausgeschlossen (§ 399 BGB).
554 Werden mehrere Personen verklagt, so ist bei der Formulierung des Antrags darauf zu achten, in welcher Höhe die jeweiligen Beklagten haften. Die genaue Angabe der Haftung des Einzelnen muss bereits im Klageantrag enthalten sein, da die Klage anderenfalls als teilweise unbegründet abgewiesen werden müsste. Häufig wird auch übersehen, dass mehrere Auftraggeber nicht an dem Gesamtwert beteiligt sind. Hier muss ebenfalls differenziert werden (s. hierzu das Beispiel in der Musterklage M 43.106). d) Notwendiger Klagevortrag
555 Zum schlüssigen Klagevortrag gehört, dass der Anwalt das Zustandekommen des Auftrags vorträgt und jeweils ausführt, durch welche Tätigkeit der jeweilige Gebührentatbestand ausgelöst worden ist.
556 K
838
Wichtig: Beim Klagevortrag ist darauf zu achten, dass nur das aus dem Mandat vorgetragen wird, was für die Schlüssigkeit erforderlich ist. Der Anwalt unterliegt nach wie vor der Schweigepflicht und darf diese nur durchbrechen, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Interessen, also der Durchsetzung seiner Vergütung, erforderlich ist. Weiterer Ausführungen, die (zunächst) unerheblich sind, hat der Anwalt sich zu enthalten. Je nach Erwiderung des Beklagten kann sich dann die Notwendigkeit ergeben, weitere Details des Mandats vorzutragen (s. ausf. Schons AnwBl. 2007, 441).
Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 565 Kap. 43
Soweit der Gegenstandswert der eingeklagten Vergütung bislang gerichtlich nicht festgesetzt worden 557 ist, sind auch hierzu Ausführungen erforderlich. Des Weiteren zählt zum schlüssigen Vortrag, dass vorgetragen wird, der Auftraggeber habe eine ord- 558 nungsgemäße Berechnung nach § 10 RVG erhalten. Zumindest muss die Abrechnung spätestens mit der Klageschrift übersandt werden. Anderenfalls würde die Klage bereits als unbegründet abgewiesen, da der Vergütungsanspruch noch nicht klagbar wäre. An dieser Hürde scheitern bereits viele Vergütungsprozesse im ersten Termin. Soweit die Vergütung für die Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren oder aus einer Zwangsvollstreckung geltend gemacht wird, ist es angebracht, zur Zulässigkeit der Klage vorzutragen und auszuführen, wieso eine Kostenfestsetzung nach § 11 Abs. 5 RVG nicht möglich ist.
559
Werden Rahmengebühren geltend gemacht, so muss der Anwalt in der Klageschrift auch die von 560 ihm vorgenommene Bemessung gem. § 14 Abs. 1 RVG erläutern, es sei denn, er rechnet lediglich die Mindestgebühr ab oder die Höhe wird vom Beklagten anerkannt. Das Gericht muss bei Bestreiten der Höhe der Gebühr nach § 14 Abs. 2 RVG zwingend das Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer zur Höhe der Gebühren einholen.
K
Wichtig: Zuständig ist die Rechtsanwaltskammer, der der Anwalt angehört. Diese muss nicht unbedingt mit der Kammer am Sitz des Gerichts identisch sein (häufige Fehlerquelle). S. hierzu ausf. N. Schneider MDR 2003, 1295; N. Schneider NJW 2004, 193.
561
Die Einholung eines Gutachtens ist von Amts wegen zu berücksichtigen, so dass insoweit kein Beweisantrag erforderlich ist. Gleichwohl sollte der Anwalt diesen Antrag stellen, damit das Gericht die Einholung des Gutachtens nicht übersieht, was leider allzu oft geschieht. Ob das Nichteinholen eines gebotenen Kammer-Gutachtens zwingend zu einer Zurückverweisung nach § 539 ZPO führt, ist streitig (so OLG Frankfurt MDR 1998, 800 = OLGR 1998, 268).
562
Der Einholung eines Gutachtens bedarf es nur dann nicht, wenn der Auftraggeber die Höhe nicht bestreitet oder ohnehin lediglich die Mindestgebühr geltend gemacht wird. Bei Erlass eines Versäumnisurteils kann das Gericht daher in der Regel von der Einholung des Gutachtens absehen, da der Beklagte die Höhe nicht bestreiten wird.
563
Soweit sich dies nicht bereits schon aus dem Klagevortrag oder dem Zusammenhang ergibt, muss auch zur Fälligkeit (§ 8 Abs. 1 RVG) vorgetragen werden.
564
M 43.106 Einfache Klage auf Vergütung für außergerichtliche Tätigkeit
565
An das Amtsgericht … Klage …/… (Langrubrum) In der mündlichen Verhandlung werde ich beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 229,08 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Für den Fall, dass der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft nicht rechtzeitig anzeigt, wird beantragt, Versäumnisurteil zu erlassen Begründung: Der Kläger begehrt vom Beklagten den Ausgleich seiner Kostenrechnung für die außergerichtliche Vertretung des Beklagten.
Schneider 839
ZPO
M 43.106
Kap. 43 Rz. 565
M 43.106
Anwaltsgebühren
ZPO
Der Beklagte hatte dem Kläger am … den Auftrag erteilt, eine noch offen stehende Kaufpreisforderung iHv. 1.300 Euro gegen einen Kunden geltend zu machen. Beweis: Vorlage der vom Beklagten eigenhändig unterzeichneten Vollmachtsurkunde im Termin – als Kopie in Anlage – Der Kläger hat daraufhin den Käufer angeschrieben und ihn zur Zahlung des Restkaufpreises an den Beklagten aufgefordert. Beweis: anliegende Kopie des Schreibens vom … Nachdem der Käufer dann mit Schreiben vom … Minderungsansprüche geltend gemacht hatte, erklärte der Beklagte, die Angelegenheit in Anbetracht des Kostenrisikos nicht weiter verfolgen zu wollen. Beweis: anliegende Kopie des Schreibens des Beklagten vom … Daraufhin schloss der Kläger die Sache bei sich ab und übersandte dem Beklagten seine Gebührenrechnung vom …. Beweis: anliegendes Schreiben vom … nebst Kostenrechnung Vorsorglich wird der Klageschrift und der für den Beklagten bestimmten Ausfertigung als Anlage nochmals eine eigenhändig unterzeichnete Kostenrechnung beigefügt. Trotz Mahnung vom … hat der Beklagte bis heute nicht gezahlt. Für seine Tätigkeit steht dem Kläger eine Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) nebst Auslagen und Umsatzsteuer zu. Die abgerechnete Mittelgebühr von 1,5 ist angemessen. Die Angelegenheit war mindestens von durchschnittlicher Bedeutung. Der Beklagte verfügt als selbständiger Kraftfahrzeughändler über zumindest durchschnittliche Einkommensverhältnisse. Die Angelegenheit war auch arbeitsaufwendig. Sowohl bei der Vorbereitung als auch nach Eingang des gegnerischen Antwortschreibens hat sich der Kläger ausf. damit befassen müssen, inwieweit Gewährleistungsansprüche bestanden und ob diese gegebenenfalls verjährt waren. Über diese Fragen hatte der Kläger den Beklagten ausf. in seinem Schreiben vom … unterrichtet. Beweis: anliegend Schreiben des Klägers vom … Für den Fall, dass der Beklagte die Angemessenheit der Höhe des Gebührensatzes bestreiten sollte, sei darauf hingewiesen, dass nach § 14 Abs. 2 RVG zwingend das Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer … einzuholen ist. __________ Anlage Herrn … USt-Nr. des Anwalts Rechnung In Sachen …/… Leistungszeitraum: … Gegenstandswert: 1.300 Euro 1. 2. 3.
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
Kosten: Keine Besonderheiten.
840
Schneider
172,50 Euro 20,00 Euro 192,50 Euro 36,58 Euro 229,08 Euro
Anwaltsgebühren
Rz. 566 Kap. 43
M 43.107 Klage auf Vergütung aus einem Rechtsstreit gegen mehrere Auftraggeber mit unterschiedlichem Auftrag Anmerkung: Zur Berechnung der gesamtschuldnerischen Haftung bei mehreren Auftraggebern s. ausf. N. Schneider AGS 2002, 145; AnwBl. 2013, 113; AnwKom-RVG/N. Schneider § 11 Rz. 246 ff.; Engels MDR 2001, 372, 377. An das Landgericht … Klage …/… (Langrubrum) In der mündlichen Verhandlung werde ich beantragen, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 495,40 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen, die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger weitere 278,10 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen, den Beklagten zu 2) zu verurteilen, an den Kläger weitere 429,83 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen. Streitwert:
Antrag zu 1) Antrag zu 2) Antrag zu 3) Gesamt
495,40 Euro 278,10 Euro 429,83 Euro 1.203,33 Euro Begründung:
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung seiner anwaltlichen Vergütung aus dem Rechtsstreit vor dem LG … Az. … I. Zur Zulässigkeit Die Klage ist zulässig, da eine Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG nicht in Betracht kommt. Die Beklagten haben vorgerichtlich bereits erklärt, gegen die Vergütungsfestsetzung mit angeblichen Schadensersatzansprüchen aufrechnen zu wollen. Beweis: Kopie des Schreibens der Beklagten vom … Das angerufene Gericht ist ungeachtet des Streitwertes nach § 34 ZPO sachlich und örtlich zuständig. II. Zur Sache Die Beklagten hatten dem Kläger den Auftrag erteilt, Schadensersatzansprüche iHv. 2.500 Euro aus einem Verkehrsunfall wegen Beschädigung ihres gemeinsamen Fahrzeugs einzuklagen sowie wegen des ihnen zustehenden Schmerzensgeldes iHv. insgesamt 3.000 Euro, und zwar 1.000 Euro für die Beklagte zu 1) und 2.000 Euro für den Beklagten zu 2). Beweis: Beiziehung der Akten LG … Nach Abschluss des Rechtsstreits durch Urteil der Kammer vom … hat der Kläger gegenüber den Beklagten unter dem … seine Rechnung erteilt. Beweis: Vorlage der Rechnung vom … durch die Beklagten, wo bei die Anordnung der Vorlage gemäß § 142 ZPO beantragt wird Die Beklagten haben den Ausgleich der Rechnung mit Schreiben vom … abgelehnt, da sie der Auffassung sind, der Kläger habe den Rechtsstreit fehlerhaft geführt, so dass ihm keine Vergütung zustehe. Beweis: anliegendes Schreiben vom …
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ZPO
M 43.107
Kap. 43 Rz. 566
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Anwaltsgebühren
ZPO
Für die abgerechneten Gebühren iHv. insgesamt 1. 2. 3. 4. 5.
1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert 2.500 Euro) 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 3.000 Euro) gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,6 aus 5.500 Euro 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 5.500 Euro) Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
321,60 Euro 261,30 Euro 566,40 Euro 424,80 Euro 20,00 Euro 1.011,20 Euro 192,10 Euro 1.203,33 Euro
haften die Beklagten teilweise allein und teilweise als Gesamtschuldner. a) Die Beklagte zu 1) haftet gem. § 7 Abs. 2 Abs. 1 RVG für die Gebühren nach einem Wert von (2.500 Euro Sachschaden + 1.000 Euro Schmerzensgeld =) 3.500 Euro allein, also wie folgt: 1. 2. 3. 4.
(Wert 3.500 Euro) 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
327,60 Euro 302,40 Euro 20,00 Euro 650,00 Euro 123,50 Euro 773,50 Euro
b) Der Beklagte zu 2) haftet allein für die Gebühren nach einem Wert von (2.500 Euro Sachschaden + 2.000 Euro Schmerzensgeld =) 4.500 Euro, also wie folgt: 1. 2. 3. 4.
(Wert 4.500 Euro) 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Zwischensumme 19 % USt, Nr. 7008 VV RVG Gesamt
393,90 Euro 363,60 Euro 20,00 Euro 777,50 Euro 147,73 Euro 925,23 Euro
c) Die Summe der beiden einzelnen Haftungen beläuft sich somit auf 1.698,73 Euro. Folglich besteht in Höhe des Mehrbetrages gegenüber der tatsächlichen Gesamtforderung, also iHv. 1.698,73 Euro – 1.203,33 Euro 495,40 Euro eine gesamtschuldnerische Haftung der Parteien (OLG Düsseldorf AGS 2011, 534 = JurBüro 2011, 592; N. Schneider AGS 2002, 145). d) Damit haftet die Beklagte zu 1) allein iHv. 773,50 Euro – 495,40 Euro 278,10 Euro und der Beklagte zu 2) allein iHv. 925,23 Euro – 495,40 Euro 429,83 Euro
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Schneider
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Anwaltsgebühren
Rz. 572 Kap. 43
ZPO
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 3, 288 BGB. Die entsprechende Rechnung ist den Beklagten am … zugegangen. Beweis: anliegende Empfangsbestätigung Unter Berücksichtigung der Regel des § 286 Abs. 3 BGB befinden sich die Beklagten demnach seit dem … in Verzug. Kosten: keine Besonderheiten.
e) Verteidigung im Vergütungsprozess Vertritt der Anwalt im Vergütungsprozess den beklagten Auftraggeber, so muss er die Zulässigkeits- 567 und Schlüssigkeitsvoraussetzungen der Honorarklage unter umgekehrten Vorzeichen prüfen. Dies bedeutet, dass zunächst festgestellt werden muss, ob der Beklagte tatsächlich auch Auftraggeber ist. Bei mehreren Beklagten muss geprüft werden, ob alle Beklagten einen Auftrag erteilt haben. War dem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt, so kann seine Inanspruchnahme nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen sein. Weiterhin ist zu prüfen, ob die Vergütung fällig (§ 8 Abs. 1 RVG) und eine Abrechnung (§ 10 RVG) erteilt worden ist, und wenn ja, ob diese formell in Ordnung ist. Ist dies nicht der Fall, ist die Vergütung zurzeit nicht einforderbar; die Klage wäre als unbegründet abzuweisen. Stets ist zu prüfen, ob die Vergütungsforderung oder zumindest ein Teil hiervon zwischenzeitlich nicht verjährt ist. Erst hiernach ist zu prüfen, ob die Gebührennote inhaltlich berechtigt ist, also ob die geltend gemachten Gebühren tatsächlich entstanden sind und ob die Gebührensätze zutreffend berechnet sind. Zu prüfen ist ferner, ob die Gebühren nach dem zutreffenden Wert abgerechnet worden sind. Soweit die Vergütung aus einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wird, ist gegebenenfalls dort eine Wertfestsetzung zu beantragen oder Gegenvorstellung oder Beschwerde einzulegen. Der Vergütungsrechtsstreit muss so lange in analoger Anwendung des § 11 Abs. 4 RVG ausgesetzt werden (s. N. Schneider, NJW-Spezial 2014, 155).
568
Richtet sich die Klage gegen mehrere Auftraggeber, so ist zu prüfen, ob sich die Klageanträge auch auf die jeweilige Haftung des Einzelnen beschränken (§ 7 Abs. 2 RVG).
569
Weiterhin ist zu prüfen, ob der Anwalt darauf hingewiesen hat, dass nach dem Gegenstandswert abzurechnen ist. Zu diesem Hinweis ist der Anwalt nach § 49b Abs. 5 BRAO vor Annahme verpflichtet. Die Verpflichtung besteht nur zum Hinweis darauf, dass nach dem Gegenstandswert abzurechnen ist. Der Anwalt muss nicht ungefragt auch über die Höhe des Gegenstandswerts Auskunft erteilen. Der Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO kann zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichten (BGH NJW 2007, 2332 = MDR 2007, 1046). Dabei trifft den Auftraggeber Darlegungsund Beweislast sowohl dafür, dass der Hinweis unterblieben ist, als auch für den ihm daraus entstandenen Vertrauensschaden (AGS 2008, 9 m. Anm. Schons).
570
Liegt nach alledem eine ordnungsgemäße Abrechnung vor und hat der Anwalt die eingeklagten Ge- 571 bühren auch verdient, sind Einwände gegen die Mandatsführung zu prüfen. Die Fehler können den äußeren Ablauf des Mandats betreffen, etwa wenn weisungswidrig versäumt wurde, Prozesskostenhilfe zu beantragen oder die Erweiterung der Prozesskostenhilfe auf eine nachträgliche Klageerhöhung oder einen Vergleich. Gleiches gilt, wenn versäumt worden ist, eine Deckungsschutzzusage beim Rechtsschutzversicherer einzuholen, wenn etwa der Rechtsschutzversicherer vor einer Klageerhöhung nicht informiert worden ist (§ 15 ARB). Denkbar sind auch prozessuale Fehler, die für die Partei zu vermeidbaren Mehrkosten geführt haben (etwa Flucht in die Säumnis, Rücknahme eines Einspruchs). Weiterhin ist zu prüfen, ob der Anwalt hinsichtlich der Kosten einen Beratungsfehler begangen hat. Grundsätzlich braucht der Anwalt zwar nicht ungefragt über das Kostenrisiko eines Rechtsstreits aufzuklären. Werden jedoch Kosten und Gebühren ausgelöst, mit denen der Mandant grundsätzlich Schneider 843
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Kap. 43 Rz. 573
Anwaltsgebühren
nicht zu rechnen braucht, muss der Anwalt hierüber zuvor belehren. Unterlässt er dies, kann er die Gebühren nicht einfordern (s. zB zur Gebühr nach Anm. zu Nr. 3400 VV RVG bei Übersendung der Handakten an den Rechtsanwalt eines höheren Rechtszugs; BGH NJW 1991, 2084; OLG Koblenz MDR 1993, 181).
573 Ein Fehler in der Mandatsführung kann auch darin liegen, dass der Anwalt getrennte Prozesse geführt hat, obwohl das Begehren des Mandanten auch in einem Prozess hätte geführt werden können (BGH AGS 2004, 145 m. Anm. N. Schneider; OLG Koblenz AGS 2004, 38).
574 Letztlich zu prüfen ist dann, ob der Anwalt in der Sache selbst fehlerhaft beraten oder gehandelt hat. Dies berührt zwar nicht unmittelbar den Gebührenanspruch des Anwalts. Allerdings können Schadensersatzansprüche entstehen, die dem Gebührenanspruch im Wege der Einrede oder der Aufrechnung entgegengehalten werden können.
575 Checkliste: Verteidigung im Vergütungsprozess l Liegt ein ordnungsgemäßer Auftrag vor? (Bei mehreren Beklagten: Haben alle Beklagten den Auftrag erteilt?) l Ist Prozesskostenhilfe bewilligt, so dass nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Ansprüche gegen die Partei ausgeschlossen sind? l Ist die Forderung fällig? l Liegt eine Abrechnung nach § 10 RVG vor? l Ist die Rechnung formell in Ordnung? l Kann sich der Beklagte auf Verjährung berufen? l Sind die eingeklagten Gebühren tatsächlich entstanden? l Sind die Gebührensätze zutreffend berechnet? l Sind die Gegenstandswerte zutreffend? l Bei mehreren Auftraggebern: Ist die Haftung im Einzelnen zutreffend berechnet? l Hat der Anwalt darauf hingewiesen, dass sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnen? l Bestehen Einwände wegen Schlechterfüllung? l Ist schuldhaft versäumt worden, rechtzeitig einen Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe-Antrag zu stellen? l Ist versäumt worden, eine Rechtsschutzanfrage zu stellen, oder hat der Anwalt eine Obliegenheitsverletzung nach den ARB begangen? l Sind durch fehlerhaftes prozessuales Verhalten vermeidbare Kosten verursacht worden? l Ist der Auftraggeber über besondere Kosten nicht hinreichend aufgeklärt worden? l Hat der Anwalt in der Sache materielle oder prozessuale Fehler begangen? f) Herabsetzung einer vereinbarten Vergütung
576 Hat der Auftraggeber mit einem Rechtsanwalt eine Vergütungsvereinbarung nach §§ 3a ff. RVG geschlossen, so kann der Auftraggeber unter den Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 RVG die Herabsetzung der vereinbarten Vergütung verlangen und gerichtlich geltend machen. Voraussetzung dafür ist, dass eine wirksame Vergütungsvereinbarung vorliegt und die vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände unangemessen hoch ist. Das Gericht muss dann im Verfahren wiederum 844
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M 43.108
Anwaltsgebühren
Rz. 581 Kap. 43
ZPO
ein Gutachten des Vorstandes derjenigen Rechtsanwaltskammer einholen, der der Anwalt angehört. Hiernach entscheidet das Gericht, ob es die vereinbarte Vergütung herabsetzt. An das Gutachten der Kammer ist das Gericht nicht gebunden. Bei einer solchen Klage auf Herabsetzung handelt es sich um eine Gestaltungsklage. Der Kläger muss dabei – ähnlich wie bei Schmerzensgeldklagen – nicht denjenigen Betrag angeben, auf den seiner Ansicht nach die Vergütung herabzusetzen ist. Es genügt vielmehr der Antrag, die Vergütung auf den nach Ansicht des Gerichts angemessenen Betrag herabzusetzen.
577
Soweit gegen die Vergütungsvereinbarung weitere Wirksamkeitsbedenken bestehen, etwa weil sie möglicherweise formunwirksam (§§ 3a, 4b RVG) oder sittenwidrig (§ 138 BGB) ist, kann die Klage auf Herabsetzung auch als Hilfsantrag zu einer Bereicherungsklage gestellt werden, soweit der Auftraggeber bereits gezahlt hat.
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Hat der Auftraggeber noch nicht gezahlt und ist er der Auffassung, die Vergütungsvereinbarung sei sit- 579 tenwidrig, sollte er die Herabsetzungsklage zweckmäßigerweise als Hilfsantrag zu einer Feststellungsklage erheben. Soweit die Vergütungsvereinbarung nämlich sittenwidrig ist, wäre ein Herabsetzungsverlangen unbegründet, da es an einer wirksamen Vergütungsvereinbarung fehlen würde. Klagt der Anwalt aus der Vergütungsvereinbarung, kann der Antrag auf Herabsetzung der Vergütung auch als Widerklage erhoben werden. Steht fest, dass es zum Streit über die Vergütung kommen wird, kann es für den Auftraggeber ratsam sein, selbst zu klagen und nicht abzuwarten, bis er verklagt wird. Er kann sich dann den günstigsten Gerichtsstand (in der Regel das Wohnsitzgericht – § 29 ZPO) aussuchen.
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M 43.108 Negative Feststellungsklage und Hilfsantrag auf Herabsetzung der
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Vergütung An das Landgericht … Klage …/… (Langrubrum) In der mündlichen Verhandlung werde ich beantragen, festzustellen, dass dem Beklagten gegen den Kläger aus der Vergütungsvereinbarung vom … in der Sache A ./. B (Az. …) keine höhere Vergütung als … Euro zusteht, hilfsweise die zwischen den Parteien getroffene Vergütungsvereinbarung vom …] in der Sache A ./. B (Az. …) auf den angemessenen Betrag, welcher in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung iHv. … herabzusetzen. Begründung: Die Parteien haben die – als Kopie in Anlage K 1 – beiliegende Vergütungsvereinbarung getroffen. Die sich danach ergebende Gesamtforderung iHv. … hat der Beklagte bereits mehrfach angemahnt und angedroht, diese einzuklagen. Die Vergütungsvereinbarung ist unwirksam. Der Beklagte verwendet in ihrer Vergütungsvereinbarung eine Haftungsbeschränkung für Schadensersatzansprüche aus dem Mandat, ohne dass diese deutlich abgesetzt ist. Damit ist die getroffene Vergütungsvereinbarung gem. § 3a Abs. 1 Satz 2 RVG iVm. § 125 BGB nichtig, so dass lediglich die gesetzlichen Gebühren geschuldet sind, die sich auf … Euro belaufen.
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ZPO
Kap. 43 Rz. 582
Anwaltsgebühren
M 43.109
Für den Fall, dass das Gericht von der Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung ausgehen sollte, wird hilfsweise beantragt, die Vergütung auf ein angemessenes Maß herabzusetzen, wobei der Umfang der Herabsetzung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Die vereinbarte Vergütung ist unter Berücksichtigung aller Umstände unangemessen hoch … Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 29 Abs. 1 ZPO. Erfüllungsort für die streitige Honorarforderung ist nach § 269 BGB der Wohnsitz des Klägers (BGH AGS 2004, 9 m. Anm. N. Schneider = MDR 2004, 164). Kosten: keine Besonderheiten.
XI. Die Kostenfestsetzung gegen den Gegner 1. Festsetzung der im Rechtsstreit entstandenen Kosten
582 Mit der Entscheidung zur Hauptsache hat das Gericht auszusprechen, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Eine solche Kosten(grund)entscheidung besagt jedoch nichts über die konkrete Höhe der zu erstattenden Kosten. Hierüber wird im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO entschieden. Dort kann jede erstattungsberechtigte Partei die ihr entstandenen Kosten anmelden und deren Festsetzung gegen den jeweiligen Kostenschuldner beantragen.
583 Die Art der Festsetzung richtet sich nach der Kostenverteilung. – Trägt der Gegner sämtliche Kosten, so werden alle Kosten des Antragstellers festgesetzt, soweit sie erstattungsfähig sind. – Sind die Kosten des Verfahrens dagegen verhältnismäßig verteilt, kommen wiederum zwei Möglichkeiten in Betracht: – Nur eine Partei meldet ihre Kosten an; dann müssen die Kosten dieser Partei entsprechend der Entscheidungsquote einseitig festgesetzt werden, unbeschadet des Rechts der anderen Partei, zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung der eigenen Kosten noch zu beantragen (§ 106 Abs. 2 ZPO). – Beide Parteien melden ihre Kosten an; dann müssen die Kosten der Parteien entsprechend der Entscheidungsquote ausgeglichen werden (§ 106 ZPO). Dies geschieht grundsätzlich so, dass beide Parteien zunächst ihre Kosten bei Gericht anmelden. Von den gesamten Kosten wird dann die Quote berechnet, die die jeweilige Partei schuldet. Hierauf werden dann die eigenen Kosten angerechnet. Der verbleibende Differenzbetrag wird festgesetzt.
584 M 43.109 Berechnung Kostenausgleichung Die Kosten des Verfahrens haben nach dem Urteil zu 25 % der Kläger zu tragen und zu 75 % der Beklagte. Der Beklagte meldet erstattungsfähige Kosten iHv. 660 Euro an, der Kläger iHv. 765 Euro zuzüglich der von ihm vorgelegten Gerichtskosten iHv. 435 Euro. Die Gesamtkosten belaufen sich auf (765 Euro + 435 Euro + 660 Euro =) Hiervon trägt der Beklagte 75 %, also Abzüglich der eigenen Kosten hat er also an den Kläger zu erstatten: Der Kläger trägt von den Gesamtkosten 25 %, also Unter Berücksichtigung der eigenen Kosten (765 Euro + 435 Euro =) verbleibt eine Erstattungsforderung zugunsten des Klägers iHv. Dieser Betrag ist nach der Kostenausgleichung festzusetzen.
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1.860 Euro 1.395 Euro – 660 Euro 735 Euro. 465 Euro. 1.200 Euro 735 Euro.
Rz. 592 Kap. 43
Auch bei der Kostenausgleichung handelt es sich um eine Festsetzung. Entgegen häufig anzutreffen- 585 der Formulierungen gibt es keinen Kostenausgleichungsantrag. Die Kostenausgleichung kann weder beantragt noch anderweitig erzwungen werden. Diese wird von Amts wegen durchgeführt, sofern beide Parteien ihre Kosten anmelden. Meldet eine Partei trotz Fristsetzung die eigenen Kosten nicht an, so werden die angemeldeten Kosten der Gegenseite in Höhe der jeweiligen Erstattungsquote einseitig festgesetzt. Dem Gegner bleibt es dann unbenommen, später die Festsetzung seiner Erstattungsforderung noch nachzumelden. Eine Pflicht zu Beteiligung an der Kostenausgleichung besteht nicht (LG Frankfurt AGS 2011, 515 = NJW-Spezial 2011, 604; LG Frankenthal NJW-Spezial 2013, 220). Eine getrennte Festsetzung ist vorgeschrieben, wenn bestimmte Kosten nicht nach Quoten verteilt, 586 sondern ausgetrennt sind, etwa die Kosten der Säumnis (§§ 95, 344 ZPO) oder die Mehrkosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstanden sind (§ 281 Abs. 3 ZPO), etc. In diesem Fall müssen die ausgetrennten Kosten gesondert festgesetzt werden; nur die übrigen Kosten dürfen ausgeglichen werden. Soweit die Parteien allerdings damit einverstanden sind, können auch auszutrennende Kosten in die Ausgleichung einbezogen werden. Erforderlich ist ein Festsetzungsantrag. Das Gericht setzt die Kosten nicht von Amts wegen fest. Aufgrund der ergangenen Kostenentscheidung muss jede erstattungsberechtigte Partei die ihr entstandenen Kosten zur Festsetzung anmelden. Sind mehrere Personen erstattungsberechtigt, so ist anzugeben, zu wessen Gunsten welche Kosten angemeldet werden. Sind mehrere Personen erstattungsverpflichtet, so ist anzugeben, gegen wen die Festsetzung in welcher Höhe beantragt wird.
587
Eine Frist für den Antrag ist nicht vorgesehen.
588
Festgesetzt werden können sämtliche Kosten der Partei, die mit der Durchführung des Rechtsstreits in Zusammenhang stehen. Hierzu zählen:
589
– Vorbereitungskosten (Kosten für private Sachverständigengutachten, Detektivkosten, Übersetzungskosten, Informationsreisekosten, Meldeamtsgebühren etc.), – Vertretungskosten (Prozessbevollmächtigter, Korrespondenzanwalt, Patentanwalt, Terminsvertreter etc.), – Parteikosten (Reisekosten zum Verhandlungstermin, Reisekosten zur Information des Prozessbevollmächtigten, Verdienstausfall infolge Zeitversäumnis, Porto, Telefongebühren etc.), – Vorausgezahlte Gerichtskosten oder sonstige Aufwendungen, soweit sie nicht verbraucht sind (die Höhe dieser Kosten braucht nicht beziffert angegeben zu werden, da sich dies bereits aus den Gerichtsakten ergibt). Eine abschließende Aufzählung ist in diesem Rahmen nicht möglich. Eine nahezu vollständige systematische Übersicht über alle erstattungsfähigen Kosten nebst Nachweisen aus der Rechtsprechung findet sich bei Schneider/Thiel, ABC der Kostenerstattung, 2. Aufl. 2013.
590
Die Höhe der angemeldeten Kosten ist glaubhaft zu machen (§§ 104 Abs. 2, 294 ZPO), wobei für die Auslagen des Anwalts eine anwaltliche Versicherung ausreicht (§ 104 Abs. 2 ZPO). Zur Anmeldung der Anwaltsgebühren genügt es, die Abrechnung beizufügen und hierauf Bezug zu nehmen. Hinsichtlich der weiteren Kosten sind – soweit möglich – Belege beizubringen. Die Vorlage von Originalbelegen ist allerdings nicht erforderlich (OLG Köln AGS 2009, 349). Soweit keine Belege oder Kopien davon vorgelegt werden können, reicht eine Versicherung aus, dass die Kosten entstanden sind, etwa bei Informationsreisekosten zum Prozessbevollmächtigten.
591
Festgesetzt werden können nur tatsächliche Kosten, keine fiktiven Kosten. Daher müssen die tatsächlichen Kosten stets angegeben werden. Falls diese als nicht erstattungsfähig angesehen werden, kommt ihre Festsetzung jedoch in Betracht, soweit hierdurch andere – fiktive Kosten – vermieden worden sind.
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ZPO
Anwaltsgebühren
ZPO
Kap. 43 Rz. 593
Anwaltsgebühren
M 43.110
So werden in aller Regel Kosten eines Terminsvertreters als nicht erstattungsfähig angesehen, wenn es kostengünstiger gewesen wäre, dass der am Prozessgericht nicht ansässige Anwalt selbst angereist wäre. Da in diesem Fall jedoch die Kosten der Anreise angefallen wären, sind die Kosten des Terminsvertreters in Höhe der ersparten fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten erstattungsfähig. Die einzelnen Fallgestaltungen hierzu sind zu vielschichtig, als dass sie hier dargestellt werden könnten. Der Anwalt sollte sich daher bei seinem Festsetzungsantrag stets daran orientieren, welche Kosten tatsächlich angefallen sind und bei Zweifeln an ihrer Erstattungsfähigkeit ausführen, welche erstattungsfähigen Kosten hierdurch vermieden wurden.
593 Zur Umsatzsteuer muss sich die Partei erklären (§ 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Soweit die Partei nicht erklärt, sie sei zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt, sind die in den angemeldeten Kosten enthaltenen Umsatzsteuerbeträge abzusetzen. Abzusetzen ist die Umsatzsteuer auch dann, wenn die Erklärung, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein, offensichtlich unzutreffend ist und in ungeklärtem Widerspruch zum Vortrag in der Hauptsache steht.
594 Die festgesetzten Kosten sind ab Antragseingang zu verzinsen, allerdings nur auf Antrag. Der Antrag kann auch nachträglich noch gestellt werden. Die Höhe des Zinssatzes beläuft sich auf fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB.
595 Zuständig für die Kostenfestsetzung ist das Gericht des ersten Rechtszugs. Wird ein Rechtsstreit zB wegen örtlicher Unzuständigkeit verwiesen, so setzt das zuletzt befasste Gericht des ersten Rechtszugs auch die vor dem unzuständigen Gericht entstandenen Kosten fest. Die Entscheidung trifft der Rechtspfleger (§ 21 Nr. 1 RPflG).
596 M 43.110 Kostenfestsetzungsantrag An das Landgericht … Kostenfestsetzungsantrag In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich namens des Klägers, die sich aus der beiliegenden Gebührennote ergebenden Kosten gegen den Beklagten festzusetzen. Verauslagte Gerichtskosten bitte ich, hinzuzusetzen. Es wird weiterhin beantragt auszusprechen, dass die festgesetzten Beträge ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Die von mir vertretene Partei ist zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt. Kosten: Gericht: Gebührenfrei (§ 1 Abs. 1 GKG). Anwalt: Soweit bereits in der Sache tätig: Keine weitere Vergütung (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 RVG); soweit nur für das Kostenfestsetzungsverfahren beauftragt: 0,8-Gebühr (Nr. 3403 VV RVG, sofern in der Hauptsache nicht geringere Gebühren vorgesehen sind, § 15 Abs. 6 RVG).
597 Soweit besondere Kosten angefallen sind, kann ein entsprechender Zusatz mit Begründung der Notwendigkeit hinzugefügt werden.
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Schneider
Anwaltsgebühren
Rz. 604 Kap. 43
M 43.111 Zusatzantrag Reisekosten und Zeitversäumnis der Partei Hinzuzusetzen bitte ich die Fahrtkosten der Partei für die Reise zum Verhandlungstermin vom … Köln–Stuttgart und zurück, 2 × 370 km × 0,25 Euro/km, zuzüglich Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), 4 Stunden × 3,50 Euro/Stunde Gesamt
K
598 185 Euro 14 Euro 199 Euro.
Wichtig: Die durch Teilnahme an einem Gerichtstermin veranlassten Reisekosten einer Partei sind grundsätzlich erstattungsfähig, ohne dass es darauf ankommt, ob sie anwaltlich vertreten oder ihr persönliches Erscheinen angeordnet war (OLG Koblenz AGS 2010, 102 = JurBüro 2010, 210; OLG Saarbrücken AGS 2010, 496).
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Die Partei erhält eine – Entschädigung für Zeitversäumnis iHv. 3,50 Euro/Stunde, – Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung iHv. 14 Euro/Stunde oder – Verdienstausfall bis zur Höhe von 21 Euro/Stunde.
M 43.112 Zusatzantrag Verdienstausfall der Partei
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Weiterhin beantrage ich, den Verdienstausfall des Beklagten für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins am … hinzuzusetzen. Der Beklagte musste für diesen Termin einen Tag unbezahlten Urlaub nehmen. Eine Aufnahme der Arbeit nach dem Verhandlungstermin war aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich, da der Beklagte auf einer auswärtigen Baustelle in … eingesetzt war. Eine Verdienstausfallbescheinigung des Arbeitgebers füge ich im Original bei.
K
Wichtig: Verdienstausfall kann auch für den Geschäftsführer einer juristischen Person geltend gemacht werden (BGH MDR 2009, 230 = NJW 2009, 1001).
M 43.113 Zusatzantrag vorgerichtliche Sachverständigenkosten
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603
Weiterhin wird beantragt, die Kosten des vorgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens festzusetzen. Die Kosten beliefen sich gem. der beiliegenden Rechnung des Sachverständigen auf 600 Euro. Die Einholung des Gutachtens war notwendig, da der Kläger mangels eigener Sachkunde anderenfalls nicht in der Lage gewesen wäre, die vom Beklagten zu vertretenden Mängel und ihre Ursachen substanziiert darzulegen (OLG Bamberg AnwBl. 1985, 387). Das Gutachten war auch notwendig, da der Kläger anderenfalls nicht in der Lage gewesen wäre, seine auf die Mängel gestützte Schadensersatzforderung zu beziffern (KG JurBüro 1985, 1247).
Auch Vollstreckungskosten können festgesetzt werden. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von 604 Vollstreckungskosten richtet sich nach § 788 Abs. 2 Satz 1 ZPO (KG BRAGOreport 2000, 28 m. Anm. Hansens). Zuständig ist danach das Vollstreckungsgericht und nicht das Prozessgericht. Örtlich zuständig ist das Gericht, bei dem eine Vollstreckungsmaßnahme anhängig ist, anderenfalls das Gericht, in dessen Bezirk die letzte Vollstreckungshandlung erfolgt ist. Erforderlich kann eine gesonderte Festsetzung der Vollstreckungskosten insbesondere dann sein, wenn der Schuldner die Höhe oder die Notwendigkeit der Kosten bestreitet oder wenn eine Vollstreckung zusammen mit der Hauptsache nicht möglich ist (etwa bei einer Zahlung nach Vollstreckungsandrohung) oder wenn Eintritt der Verjährung droht. Anders als bei der Festsetzung von Verfahrenskosten ist für die Vollstreckungskosten eine Kostengrundentscheidung nicht erforderlich. Die Kosten der Zwangsvollstreckung fallen dem VollSchneider 849
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M 43.113
ZPO
Kap. 43 Rz. 605
Anwaltsgebühren
M 43.114
streckungsschuldner kraft Gesetzes zur Last (§ 788 ZPO), so dass die Festsetzung aufgrund des Vollstreckungstitels in Verbindung mit § 788 ZPO möglich ist. Auch die Festsetzung dieser Kosten richtet sich nach den §§ 103 ff. ZPO. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.
605 Die Vollstreckungskosten sind festzusetzen, soweit die Vollstreckungsmaßnahme notwendig war. Es kommt darauf an, ob der Gläubiger bei verständiger Sicht der Dinge bei Einleitung der Vollstreckungsmaßnahme diese objektiv für erforderlich halten durfte, auch wenn sie letztlich erfolglos war (Zöller/Geimer § 788 ZPO Rz. 9a). Die Kosten sind auch dann als notwendig festzusetzen, wenn der Gläubiger den Vollstreckungsauftrag zurückgenommen hat, nachdem er die Aussichtslosigkeit erkannt hat; die Vorschrift des § 269 Abs. 3 ZPO gilt hier nicht (LG Hannover Rpfleger 1995, 371). Vollstreckt der Gläubiger aus einem Titel, der später aufgehoben wird, so kommt eine Festsetzung nicht mehr in Betracht. Wird der Titel jedoch nur teilweise aufgehoben, so können die entstandenen Vollstreckungskosten festgesetzt werden, soweit sie auch entstanden wären, wenn der Gläubiger sich auf den letztlich berechtigten Betrag beschränkt hätte (OLG München MDR 1999, 443; OLG Düsseldorf OLGR 1995, 256; 259; OLG Koblenz AGS 2004, 259 m. Anm. N. Schneider).
606 M 43.114 Antrag auf Festsetzung der Kosten einer Vollstreckungsandrohung An das Amtsgericht … Kostenfestsetzungsantrag nach § 788 ZPO In Sachen …/… (Langrubrum) beantrage ich namens des Gläubigers, die sich aus der beiliegenden Gebührennote ergebenden Kosten gegen den Beklagten aufgrund des Vergleichs vom 20.7.2013 (LG …, Az. …) gem. § 788 ZPO festzusetzen und auszusprechen, dass die festgesetzten Beträge ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Der Gläubiger ist zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt. Begründung: Aufgrund des Vergleichs stand dem Gläubiger gegen den Schuldner eine Forderung iHv. 10.000 Euro zu. Obwohl der Beklagte bei Abschluss des Vergleichs zugegen war und um seine Zahlungspflicht wusste, hatte er auch nach Zustellung des Vergleichs (29.7.2013) zunächst nicht gezahlt. Erst als der Gläubiger den Schuldner durch Schreiben des Unterzeichners vom 12.8.2013 zur Zahlung aufforderte und die Zwangsvollstreckung androhte, überwies dieser den Vergleichsbetrag. Zur Zahlung der in Rechnung gestellten Gebühren der Vollstreckungsandrohung ist der Schuldner jedoch nicht bereit, so dass insoweit eine Festsetzung erforderlich ist. Kosten: s. Anm. zu M 43.109.
607 M 43.115 Antrag auf Festsetzung der Vollstreckungskosten nach teilweiser
Aufhebung des ursprünglichen Titels An das Amtsgericht … Kostenfestsetzungsantrag nach § 788 ZPO In Sachen …/… (Langrubrum) beantrage ich namens des Gläubigers, folgende Vollstreckungskosten gegen den Schuldner festzusetzen:
850
Schneider
1. 2. 3.
Anwaltsgebühren
Wert: 5.000 Euro 0,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3309 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG Gerichtsvollzieherkosten Gesamt
Rz. 609 Kap. 43
90,90 Euro 18,18 Euro 24,15 Euro 133,23 Euro
ZPO
M 43.116
Gleichzeitig beantrage ich auszusprechen, dass die festgesetzten Beträge ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Der Gläubiger ist zum Vorsteuerabzug berechtigt. Begründung: Durch das Urteil des Landgerichts … Az. … war der Schuldner zur Zahlung eines Betrages iHv. 10.000 Euro verurteilt worden. Nach Sicherheitsleistung hat der Gläubiger aus diesem Titel vollstreckt. Das Urteil des Landgerichts ist zwischenzeitlich auf die Berufung des Schuldners dahin gehend abgeändert worden, dass dieser nur 5.000 Euro schulde. Die aus der Vollstreckung iHv. 10.000 Euro angefallenen Kosten sind daher vom Schuldner zu tragen, soweit diese auch bei einer auf 5.000 Euro beschränkten Vollstreckung angefallen wären (OLG München MDR 1999, 443; OLG Düsseldorf OLGR 1995, 256; OLG Koblenz AGS 2004, 259 m. Anm. N. Schneider). Hätte der Gläubiger die Vollstreckung von vornherein auf den Betrag von 5.000 Euro beschränkt, wären die eingangs berechneten Kosten entstanden. Kosten: s. Anm. zu M 43.109.
2. Rechtsmittel gegen Kostenfestsetzungsbeschluss a) Sofortige Beschwerde Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss bzw. seine Ablehnung ist die sofortige Beschwerde oder die 608 Erinnerung möglich. Die sofortige Beschwerde ist gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt (§§ 103 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 ZPO). Die Höhe der Beschwer richtet sich danach, um welchen Betrag die Abänderung des Festsetzungsbeschlusses beantragt wird. Die Möglichkeit einer wertunabhängigen Zulassung der Beschwerde besteht im Festsetzungsverfahren nicht. Die sofortige Beschwerde ist dem Beschwerdegericht vorzulegen. Allerdings besteht zunächst eine Abhilfemöglichkeit des Rechtspflegers.
M 43.116 Sofortige Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschluss
609
An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) lege ich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom … sofortige Beschwerde ein und beantrage, weitere 363,60 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab Eingang des Kostenfestsetzungsantrags gegen den Beklagten festzusetzen. Begründung: Nach Klagerücknahme sind dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Festgesetzt hat das AG lediglich eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert des Rechtsstreits (5.000 Euro). Die vom Beklagten
Schneider 851
Kap. 43 Rz. 610
Anwaltsgebühren
M 43.117
ZPO
angemeldete Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) aus 5.000 Euro hat das Gericht abgesetzt. Dagegen wendet sich die sofortige Beschwerde. Zutreffend ist, dass kein gerichtlicher Termin stattgefunden hat. Die Prozessbevollmächtigten haben jedoch Besprechungen zur Erledigung des Verfahrens nach Vorbem. 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG geführt, die ebenfalls die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG auslösen. Nach Erhalt des richterlichen Hinweises hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am …beim Unterzeichner angerufen und einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Der Beklagte sollte zum Ausgleich der Klageforderung einen Betrag iHv. 1.000 Euro zahlen. Der Unterzeichner hat nach Rücksprache mit dem Beklagten den Vergleichsvorschlag in einem weiteren Telefonat vom … abgelehnt und in diesem Gespräch nochmals darauf hingewiesen, dass der Beklagte für seine Behauptungen mehrere Zeugen habe, und er vor diesem Hintergrund nicht vergleichsbereit sei. Dem Kläger wurde nahe gelegt, zur Vermeidung einer aufwändigen Beweisaufnahme die Klage zurückzunehmen, was dann auch geschah. Zur Glaubhaftmachung der beiden Telefonate beziehe ich mich auf die bereits im Festsetzungsverfahren abgegebene anwaltliche Versicherung. Abgesehen davon hat die Klägerseite den dahingehenden Vortrag nicht bestritten. Insoweit gilt § 138 ZPO (BGH AGS 2008, 330 = RVGreport 2008, 393). Kosten: Gericht: Festgebühr iHv. 60 Euro bei Zurückweisung oder Verwerfung der Beschwerde (Nr. 1812 KV GKG), Ermäßigung bei teilweiser Zurückweisung oder Verwerfung (Anm. zu Nr. 1812 KV) anderenfalls gebührenfrei. Anwalt: 0,5-Gebühr (Nr. 3500 VV RVG iVm. § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
610 Eine weitere Beschwerde ist nicht möglich. Möglich ist allerdings eine Rechtsbeschwerde (s. Rz. 635). Voraussetzung für die Rechtsbeschwerde ist, dass das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. Das Erreichen einer bestimmten Beschwerdesumme ist im Gegensatz zur sofortigen Beschwerde nicht erforderlich. Eine Erweiterung des Beschwerdegegenstands im Rechtsbeschwerdeverfahren ist nicht zulässig (BGH AGS 2004, 143 m. Anm. N. Schneider; RVGreport 2004, 189), wohl aber eine Anschlussrechtsbeschwerde (§ 547 Abs. 4 ZPO), die zulassungsfrei ist. Die Beschwerde kann nur durch einen am Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt eingelegt werden.
611 Für die Rechtsbeschwerde wird bei Zurückweisung oder Verwerfung eine Festgebühr iHv. 120 Euro erhoben (Nr. 1826 KV GKG). Im Falle einer teilweisen Zurückweisung oder Verwerfung kann das Gericht die Gebühr ermäßigen (Anm. zu Nr. 1826 KV GKG). Bei Rücknahme der Rechtsbeschwerde reduziert sich die Gebühr auf 60 Euro (Nr. 1827 KV GKG). Ist die Rechtsbeschwerde erfolgreich, ist das Verfahren gebührenfrei. Für den Anwalt entsteht eine 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3502 VV RVG, die sich im Falle einer vorzeitigen Erledigung auf 0,5 ermäßigt (Nr. 3503 VV RVG). b) Erinnerung
612 Ist der Wert des Beschwerdegegenstands von 200,01 Euro nicht erreicht, ist die Erinnerung gegeben. Hierüber befindet zunächst der Rechtspfleger, der ihr abhelfen kann. Soweit er der Erinnerung nicht abhilft, so legt er die Sache dem Richter vor. Dieser entscheidet endgültig über die Sache.
613 M 43.117 Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) lege ich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom … Erinnerung ein und beantrage, weitere 20 Euro nebst Umsatzsteuer und Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab Eingang des Kostenfestsetzungsantrags gegen den Beklagten festzusetzen.
852
Schneider
M 43.118
Anwaltsgebühren
Rz. 616 Kap. 43
Begründung:
ZPO
Die Rechtspflegerin hat die im Mahnverfahren angefallene Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG abgesetzt, weil es sich bei Mahnverfahren und Rechtsstreit um dasselbe prozessuale Verfahren handele. Diese Auffassung ist unzutreffend. Es kommt nicht auf das prozessuale Verfahren an, sondern auf den Umfang der Angelegenheit. Mahnverfahren und nachfolgender Rechtsstreit sind zwei verschiedene Angelegenheiten iS des § 15 RVG (§ 17 Nr. 2 RVG). Daher fällt die Postentgeltpauschale gesondert an (BGH AGS 2004, 343 m. Anm. N. Schneider). Kosten: Gericht: Gebührenfrei. Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr (Nr. 3500 VV RVG iVm. § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
3. Nachfestsetzung Hat eine erstattungsberechtigte Partei übersehen, eine Kostenposition anzumelden, so kann sie dies auch noch nach abgeschlossener Kostenfestsetzung nachholen. Eine solche Nachfestsetzung ist möglich, wenn etwa der Anwalt eine Gebühr zunächst übersehen hat oder wenn Parteikosten nicht angemeldet worden sind. Eine Nachfestsetzung ist dagegen ausgeschlossen, wenn das Gericht über diese Position bereits entschieden hat. Werden zB die Reisekosten des Anwalts abgesetzt, so kann im Wege der Nachfestsetzung nicht geltend gemacht werden, dass diese Reisekosten zumindest in Höhe der ersparten Parteireisekosten zu erstatten seien (OLG Karlsruhe MDR 1994, 413). Setzt das Gericht die Umsatzsteuer ab, weil die Partei keine Erklärung hierzu abgegeben hat, kann diese nicht mehr nachträglich festgesetzt werden (OLG Koblenz KostRsp. ZPO § 104 [B] Nr. 339; OLG München AGS 2003, 36 m. Anm. N. Schneider). In beiden Fällen bleibt nur der fristgebundene Weg der Erinnerung oder sofortigen Beschwerde.
614
M 43.118 Antrag auf Nachfestsetzung
615
An das Landgericht … Kostenfestsetzungsantrag In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, aufgrund des Vergleichs vom … nachträglich weitere 288,46 Euro festzusetzen und auszusprechen, dass diese ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Bei der Abfassung des Kostenfestsetzungsantrags vom … ist übersehen worden, auch die 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG aus dem Mehrwert des Vergleichs anzumelden. Bei einem Gegenstandswert von 5.000 Euro ergibt dies einen Betrag iHv. 242,40 Euro zuzüglich 46,06 Euro Umsatzsteuer. Kosten: s. Anm. zu M 43.109.
4. Antrag auf Abänderung der Kostenfestsetzung Wird nach Erlass eines Kostenfestsetzungsbeschlusses der Streitwert neu festgesetzt, so dass sich eine 616 geringere oder eine höhere Erstattungsforderung ergibt, so können die Parteien nach § 107 ZPO innerhalb eines Monats seit der Zustellung des Streitwertbeschlusses beim Gericht des ersten Rechtszugs die Abänderung der Kostenfestsetzung beantragen. Wird die Frist nicht gewahrt, bleibt allerdings noch die Bereicherungsklage.
Schneider 853
ZPO
Kap. 43 Rz. 617
Anwaltsgebühren
M 43.119
617 M 43.119 Antrag auf Abänderung der Kostenfestsetzung An das Landgericht … Antrag auf Abänderung der Kostenfestsetzung In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich namens des Klägers, aufgrund des mir am … zugestellten Streitwertbeschlusses des OLG, den Kostenfestsetzungsbeschluss vom … dahin gehend abzuändern, dass weitere 268,46 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Eingang dieses Antrags gegen den Beklagten festgesetzt werden. Begründung: Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom … hat das Gericht für die Terminsgebühr einen Gegenstandswert iHv. lediglich 1.500 Euro angenommen. Nach dem Beschluss des OLG ist der Streitwert für die Terminsgebühr jedoch auf 5.000 Euro festgesetzt worden, so dass sich für die Beweisgebühr noch ein Differenzbetrag iHv. 225,60 Euro zuzüglich Umsatzsteuer (44,69 Euro), insgesamt also 268,46 Euro ergibt. Kosten: s. Anm. zu M 43.109.
5. Rückfestsetzung
618 Nach hM ist auch eine sog. Rückfestsetzung möglich, wenn der Kostenschuldner aufgrund eines Kostenfestsetzungsbeschlusses gezahlt hat, der später abgeändert worden ist (OLG Düsseldorf JurBüro 1998, 307; aA OLG Köln JurBüro 1988, 494). Die Abänderung kann zB darauf beruhen, dass die der Kostenfestsetzung zugrunde liegende Entscheidung noch nicht rechtskräftig war. Dann ergibt sich der Rückgewähranspruch aus § 717 ZPO. Siehe hierzu jetzt auch § 91 Abs. 4 ZPO, der dem Wortlaut nach aber nur für die obsiegende Partei gilt, die im Verlaufe des Rechtsstreits Kosten an die unterlegene Partei gezahlt hat. Gleiches gilt, wenn aufgrund einer Streitwertänderung der Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 107 ZPO abgeändert und ein geringerer Betrag festgesetzt worden ist. Die Rückforderung ist analog § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf Antrag mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen.
619 M 43.120 Antrag auf Rückfestsetzung An das Landgericht … Rückfestsetzungsantrag In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, im Wege der Rückfestsetzung gegen den Kläger eine Rückforderung iHv. 546,30 Euro festzusetzen und auszusprechen, dass dieser Betrag ab Antragseingang mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen ist. Aufgrund des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom … hat der Beklagte an den Kläger die festgesetzten Kosten iHv. 2.783,50 Euro gezahlt. Beweis: Vorlage der eigenhändigen Quittung des Klägers – als Kopie in Anlage 1 –
854
Schneider
M 43.122
Anwaltsgebühren
Rz. 623 Kap. 43
ZPO
Nachdem das Urteil in der Berufungsinstanz abgeändert worden ist, ergab sich nach dem neuen Kostenfestsetzungsbeschluss vom … nur noch ein zu erstattender Betrag iHv. 2.237,20 Euro. Den zu viel gezahlten Differenzbetrag iHv. 546,30 Euro hat der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung bislang nicht erstattet. Kosten: s. Anm. zu M 43.109.
XII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen Kostenentscheidung 1. Rechtsbehelfe bei fehlender oder unvollständiger Kostengrundentscheidung Voraussetzung für eine Kostenfestsetzung ist das Vorliegen einer Kostengrundentscheidung; nur Vollstreckungskosten können ohne Kostengrundentscheidung unmittelbar nach § 788 ZPO festgesetzt werden. Fehlt eine erforderliche Kostenentscheidung, ist die Kostenfestsetzung ausgeschlossen. Die Kostenentscheidung muss dann erst noch herbeigeführt werden. Ist dies nicht mehr möglich, scheidet eine prozessuale Kostenerstattung aus. Der Partei bleibt dann nur noch die Möglichkeit, einen materiell-rechtlichen Ersatzanspruch geltend zu machen.
620
Das Fehlen einer Kostenentscheidung kann auf mehreren Gründen beruhen: a) Fehlender Antrag auf eine Kostenentscheidung Ein fehlender Antrag auf Erlass einer Kostenentscheidung kann nach der derzeitigen Rechtslage noch 621 im Falle der Klagerücknahme (§ 269 Abs. 4 ZPO) erforderlich sein sowie nach fruchtlosem Ablauf der Frist zur Hauptsacheklage nach einem selbständigen Beweisverfahren (§ 494 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Im Rechtsmittelverfahren hat das Gericht nach Rücknahme eines Rechtsmittels eine Kostenentscheidung von Amts wegen zu erlassen. Eines Antrags bedarf es nicht (mehr). Wird eine Kostenentscheidung übersehen, ist kein Antrag auf Erlass einer Kostenentscheidung zu stellen, sondern ein Antrag auf Beschlussergänzung nach § 321 ZPO, der fristgebunden ist (s. Rz. 628 ff.). Zur Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren s. Kap. 7 Rz. 66 ff. Die Kostenentscheidung nach Klagerücknahme kann sowohl der Beklagte als auch der Kläger beantragen. Der Antrag kann zugleich schon mit einem Kostenfestsetzungsantrag verbunden werden.
M 43.121 Antrag auf Kostenentscheidung nach Klagerücknahme (Beklagter)
622
An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, gem. §§ 269 Abs. 3, 4 ZPO die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen, nachdem dieser die Klage zurückgenommen hat.
M 43.122 Antrag auf Kostenentscheidung nach Klagerücknahme mit
623
Kostenfestsetzungsantrag (Beklagter) An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, gem. § 269 Abs. 3, 4 ZPO die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen, nachdem dieser die Klage zurückgenommen hat.
Schneider 855
Kap. 43 Rz. 624
Anwaltsgebühren
M 43.123
ZPO
Gleichzeitig beantrage ich namens des Beklagten, nach Erlass des Kostenbeschlusses die sich aus der beiliegenden Gebührennote ergebenden Kosten gegen den Beklagten festzusetzen. Verauslagte Gerichtskosten bitte ich, hinzuzusetzen. Es wird weiterhin beantragt auszusprechen, dass die festgesetzten Beträge ab Erlass des Kostenbeschlusses mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Die von mir vertretene Partei ist zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt.
624 M 43.123 Klagerücknahme mit Antrag auf Kostenentscheidung gegen den
Beklagten An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) nimmt der Kläger die Klage zurück. und beantragt, dem Beklagten gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Begründung: Mit der Klage hat der Kläger die Zahlung des offenen Kaufpreises für einen an den Beklagten verkauften Pkw … iHv. 3.275,36 Euro geltend gemacht. Der Kaufvertrag datiert vom …. Der Kaufpreis war gemäß § 271 BGB sofort fällig. Nachdem der Beklagte nicht gezahlt hat, ist er mit Schreiben vom … als Kopie in Anlage und nochmals mit Schreiben vom … als Kopie in Anlage gemahnt worden. Da die Zahlung ausblieb, hat der Kläger am 11.9.2013 schließlich Klage erhoben. Die Klage vom 11.9.2013 ist nach Auskunft der Geschäftsstelle des Gerichts am 11.9.2013 eingegangen und an den Beklagten am 22.9.2013 zugestellt worden. Der Beklagte hat die Klageforderung einen Tag vor der Zustellung der Klage, nämlich am 21.9.2013 an den Kläger gezahlt. Beweis: Vorlage des Kontoauszugs vom … als Kopie in Anlage Dem entsprechend ist über die Kosten des begründeten Prozessverhältnisses gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO – wie im Falle der Erledigung der Hauptsache – nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Danach sind dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da er die Klageforderung erfüllt hat und sich in Zahlungsverzug befand.
b) Vergleich ohne Einbeziehung des Streithelfers
625 Die Parteien schließen ohne Mitwirkung des Streithelfers einen Vergleich und treffen keine Regelung über dessen Kosten. Da es an einer Kostenregelung für den Streithelfer fehlt, muss das Gericht nach 856
Schneider
M 43.124
Anwaltsgebühren
Rz. 629 Kap. 43
M 43.124 Antrag auf Kostenentscheidung zugunsten des Streithelfers
ZPO
§ 91a ZPO (BGH NJW 1961, 40) oder nach §§ 98, 101 ZPO (OLG Hamburg OLGR 1998, 215) über die Kosten des Streithelfers durch Beschluss entscheiden (vgl. Kap. 19). Auch hier empfiehlt es sich, gleichzeitig mit dem Antrag auf Erlass einer Kostenentscheidung den Streitwert der Nebenintervention festsetzen zu lassen, sofern dies nicht bereits geschehen ist. Der Streitwert der Hauptsache muss nicht unbedingt dem Wert der Nebenintervention entsprechen.
626
An das Landgericht … In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, gem. §§ 92, 101 ZPO die Kosten des Streithelfers zu 30 % dem Beklagten aufzuerlegen. Gleichzeitig wird beantragt, den Streitwert der Nebenintervention festzusetzen. Begründung: Unter dem … haben die Parteien vor der Kammer ohne Mitwirkung des Streithelfers einen Vergleich protokolliert. Der Rechtsstreit ist damit erledigt. Hinsichtlich der Kosten haben die Parteien vereinbart, dass die Beklagte 30 % der Kosten trage und der Kläger 70 %. Über die Kosten des Streithelfers ist jedoch keine Regelung getroffen worden, obwohl dieser mit Schriftsatz vom … dem Rechtsstreit aufseiten des Klägers beigetreten war. Die Kosten des Streithelfers müssen daher entsprechend §§ 92, 101 ZPO zu 30 % auferlegt werden. Kosten: Gericht: Durch Verfahrensgebühr abgegolten. Beschluss hindert nicht die Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 KV GKG (OLG München MDR 1998, 739 = AnwBl. 1998, 286); Anwalt: soweit bereits volle 1,3-Verfahrensgebühr verdient: keine weitere Vergütung (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG). Soweit bislang nur eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG verdient: Zusätzlich Nr. 3100 VV RVG 1,3-Verfahrensgebühr aus Kostenstreitwert, wobei die Begrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG zu beachten ist.
Haben die Parteien die Kosten gegeneinander aufgehoben, kommt eine Kostenentscheidung zugunsten des beigetretenen Streithelfers nicht in Betracht (BGH AGS 2004, 293 m. Anm. Madert).
627
c) Fehlende oder unvollständige Kostenentscheidung Dies kann dann der Fall sein, wenn eine Kostenentscheidung insgesamt fehlt oder wenn über einen Teil der Kosten nicht entschieden worden ist (aufgrund eines Rechenfehlers sind nur 90 % der Kosten verteilt worden; das Gericht hat übersehen, die Säumniskosten [§ 344 ZPO] oder die Mehrkosten vor dem unzuständigen Gericht [§ 281 ZPO] vorab auszutrennen; über die Kosten des Streithelfers ist nicht entschieden worden, da der Streithelfer nicht Partei ist, bedarf es für ihn einer eigenen Kostenentscheidung nach § 101 ZPO; die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten ist nicht angeordnet etc.). In allen diesen Fällen kann es sich um eine offenbare Unrichtigkeit handeln oder um ein (teilweises) Übergehen der Kostenentscheidung (vgl. dazu auch Kap. 41).
628
Soweit nur eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, ist die nicht fristgebundene Berichtigung nach § 320 ZPO zu beantragen, die auch von Amts wegen erfolgen kann. Ist die Kostenentscheidung dagegen (teilweise) übergangen worden, ohne dass es sich um eine offenbare Unrichtigkeit handelt, kommt nur die Urteils- oder Beschlussergänzung nach § 321 ZPO in Betracht. Diese ist fristgebunden (zwei Wochen ab Zustellung). Wird die Frist versäumt, ist die Kostenentscheidung nicht mehr nachholbar. Eine Kostenfestsetzung kommt dann endgültig nicht mehr in Betracht.
629
Schneider 857
Kap. 43 Rz. 630
Anwaltsgebühren
M 43.125
Wichtig: Eine Kostenentscheidung kann nach Eintritt der Rechtskraft nicht in entsprechender Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO geändert werden, wenn der Streitwert des Verfahrens nach § 63 Abs. 3 GKG abgeändert wird und dies zu einer (rechnerischen) Unrichtigkeit der Kostenquoten führt. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO auf diesen Fall rechtfertigen könnte, liegt nicht vor (BGH AGS 2008, 471 = MDR 2008, 1292).
631 K
Praxistipp: Da die Abgrenzung vom Übergehen der Kostenentscheidung zur offenbaren Unrichtigkeit fließend ist, sollte der Anwalt stets den sichersten Weg gehen und innerhalb der Frist des § 321 ZPO sowohl die Berichtigung als auch hilfsweise die Ergänzung beantragen; s. dazu auch Kap. 41 Rz. 9 sowie M 41.4.
ZPO
630 K
2. Rechtsmittel gegen Kostenentscheidung a) Sofortige Beschwerde
632 Ist die Kostenentscheidung nach Auffassung des Mandanten sachlich falsch, so kommt in den Fällen der §§ 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 3, 619, 626 ZPO die fristgebundene sofortige Beschwerde in Betracht, sofern der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 200 Euro übersteigt (§ 567 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und in der Hauptsache ein Rechtsmittel möglich gewesen wäre (§§ 91a Abs. 2 Satz 2, 99 Abs. 2 Satz 2). Zur Berechnung der Beschwer s. ausf. BGH AGS 2004, 437 m. Anm. N. Schneider.
633 In allen übrigen Fällen ist die Kostenentscheidung nicht isoliert anfechtbar. Sie kann nur gleichzeitig angegriffen werden, wenn auch in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird (§ 99 Abs. 1 ZPO). Die Gründe, Beschwerde einzulegen, können vielfältig sein: Die Kostenverteilung ist insgesamt unzutreffend; die Kostenverteilung ist unzutreffend, weil die Kosten einer überflüssigen Beweisaufnahme nicht nach § 96 ZPO dem Gegner auferlegt worden sind; die gesamtschuldnerische Haftung ist zu Unrecht angenommen worden; der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung (wegen der Kosten vgl. hierzu Kap. 89) ist verweigert worden etc.
634 M 43.125 Sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidung An das Landgericht … In Sachen … ./. … (Kurzrubrum) lege ich gegen den Beschluss vom sofortige Beschwerde ein und beantrage, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen. Begründung: Der Beklagte hatte nach Zustellung der Klage mit einer Gegenforderung die Aufrechnung erklärt, so dass die Klageforderung erloschen ist. Im Hinblick darauf haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt. Die Kammer hat die Kosten dem Kläger auferlegt. Sie ist der Auffassung, die Klage sei von Anfang an unbegründet gewesen, da die Aufrechnung des Beklagten nach § 389 BGB auf den Zeitpunkt – vor Klageerhebung – zurückwirke, in dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüber standen. Kraft dieser Fiktion müsse die Klageforderung so behandelt werden, als habe sie bei Klageerhebung nicht mehr bestanden.
858
Schneider
M 43.125
Anwaltsgebühren
Rz. 636 Kap. 43
ZPO
Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Rückwirkung nach § 389 BGB ist lediglich eine Fiktion, die für das materielle Recht Bedeutung hat, nicht aber auch für das Prozessrecht (BGH BGHZ 155, 392 = NJW 2003, 3134; N. Schneider MDR 2000, 507; LG Kiel SchlHA 1977, 117; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 76). Das erledigende Ereignis lag hier daher erst in der Aufrechnungserklärung des Beklagten. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Klage zulässig und auch begründet, da die Klageforderung als solche nicht bestritten worden ist. Der Beklagte hat auch Veranlassung zur Klageerhebung gegeben, da er trotz mehrfacher vorgerichtlicher Mahnungen nicht gezahlt und auch nicht die Aufrechnung erklärt hat, obwohl ihm dies vorgerichtlich möglich gewesen wäre. Die Kosten sind daher zwingend dem Beklagten aufzuerlegen. Kosten: Gericht: Festgebühr 90 Euro (Nr. 1810 KV GKG) mit der Möglichkeit der Ermäßigung auf 60 Euro nach Nr. 1811 KV GKG). Anwalt: 0,5-Gebühr (Nr. 3500 VV RVG).
b) Rechtsbeschwerde Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts kommt die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO in Betracht, sofern dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht sie zugelassen hat. Eine Rechtsbeschwerde in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren ist nicht statthaft, selbst wenn das Beschwerdegericht sie (irrtümlich) zugelassen hat (BGH AGS 2004, 37). Für die Rechtsbeschwerde besteht Postulationszwang. Sie kann nur durch einen am Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt eingelegt werden.
635
Checkliste: Kostenentscheidung
636
l Muss ausnahmsweise noch eine Kostengrundentscheidung beantragt werden? l Ist die vorliegende Kostenentscheidung vollständig? l Sind 100 % der Kosten verteilt? l Sind die Mehrkosten der Säumnis oder eines Vollstreckungsbescheids ausgetrennt? l Sind die Mehrkosten durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts ausgetrennt? l Sind Mehrkosten eines sonstigen Verfahrens (Wiedereinsetzung oÄ) ausgetrennt? l Sind die nach § 539 ZPO vorbehaltenen Kosten eines Rechtsmittelverfahrens berücksichtigt? l Ist über die Kosten des Streithelfers entschieden? l Ist die Kostenentscheidung inhaltlich richtig? l Ist die Kostenbelastung des Mandanten sachlich gerechtfertigt? l Hätten Mehrkosten einer überflüssigen Beweisaufnahme (§ 96 ZPO) oder einer Säumnis (§ 95 ZPO) ausgetrennt werden müssen? l Fehlt der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung? l Fehlt die gesamtschuldnerische Haftung, oder ist diese zu Unrecht angeordnet worden?
Schneider 859
Kap. 44
Gerichtskosten
ZPO
Kapitel 44 Gerichtskosten I. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gerichtskosten in zivilprozessualen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinsame Vorschriften . . . . . . . . . . . . . a) Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitwertbestimmung . . . . . . . . . . . . . aa) Wertfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorläufige Festsetzung . . . . . . . . . . cc) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschwerde gegen die Anordnung einer Vorauszahlung . . . . (3) Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts . . . . . . . . . M 44.1 Streitwertbeschwerde nach § 68 GKG . . . . . . M 44.2 Vereinfachtes Beispiel zur Berechnung des Werts des Beschwerdegegenstands . . . . . . . . . (4) Weitere Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts . . . . dd) Wertvorschriften . . . . . . . . . . . . . . c) Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kostenschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Antragsschuldner . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidungsschuldner . . . . . . . . . cc) Übernahmeschuldner . . . . . . . . . . . M 44.3 Anzeige eines außergerichtlich zur Erledigung des Rechtsstreits geschlossenen Vergleichs, der eine Kostenregelung und die Verpflichtung zur Rücknahme des Rechtsmittels enthält . . . . . dd) Haftungsschuldner . . . . . . . . . . . . . ee) Vollstreckungsschuldner . . . . . . . . . ff) Mehrere Kostenschuldner . . . . . . . . gg) Kostenfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Erlöschen der Zahlungspflicht . . . . e) Fälligkeit und Vorauszahlung . . . . . . . . 2. Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbständiges Beweisverfahren . . . . . . . . . . 4. Prozessverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstinstanzliches Verfahren . . . . . . . . . . aa) Höhe der Gebühr . . . . . . . . . . . . . . M 44.4 Gerichtskostenabrechnung nach vorausgegangenem Mahnverfahren mit höherem Wert . . . . . . . . . . . . . . M 44.5 Gerichtskostenabrechnung bei Vergleich mit Mehrwert bb) Gebührenermäßigung . . . . . . . . . . (1) Klagerücknahme . . . . . . . . . . .
860
Schneider
1 2 3 3 4 5 7 8 8 9 10 14 5. 6. 17 19 22 24 25 26 27 29
32 33 34 35 36 38 41 44 45 46 46 46
7. 8. 9. 10.
11.
III. 1.
48 2. 50 51 52
(2) Anerkenntnis, Verzicht, Urteil oder Beschluss ohne Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . (3) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Erledigung der Hauptsache . . . (5) Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . (6) Erledigung des gesamten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Ausschluss der Gebührenermäßigung . . . . . . . . . . . . . . b) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsmittelrücknahme . . . . . . . . . cc) Weitere Ermäßigungstatbestände . . dd) Kombination mehrerer Gebührenermäßigungstatbestände . . . . . . . . c) Gehörsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren über die Zulassung der Sprungrevision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . Allgemeine Beschwerdeverfahren . . . . . . . Rechtsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstinstanzliches Verfahren . . . . . . . . . aa) Umfang der Angelegenheit . . . . . . bb) Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . cc) Ermäßigungstatbestände . . . . . . . . dd) Erhöhung der Verfahrensgebühr . . M 44.6 Abrechnung bei Teilwiderspruch . . . . . . . . . . . b) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstinstanzliches Verfahren vor dem OLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erstinstanzliches Verfahren vor dem BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Revisionsverfahren/Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wegfall der Gebühr bei Antragsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erstinstanzliches Verfahren . . . . . . . . . . . . a) Gebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wegfall der Gebühr bei gerichtlichem Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 72 73 74 75 76 76 76 77 78 82 84 84 85
86 86 88 89 90 91 91 92 93 93 95
3. 4. 5. 6.
7. 8. 9. 10.
11. 12.
c) Wegfall der Gebühr bei Beendigung vor streitiger Verhandlung . . . . . . . . . . . . . d) Ermäßigung der Gerichtsgebühr nach streitiger Verhandlung . . . . . . . . . . . . . Gehörsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revisionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arrest und einstweilige Verfügung . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erster Rechtszug . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 44.7 Einstweiliges Verfügungsverfahren – beschränkter Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . Selbständiges Beweisverfahren . . . . . . . . . . Sonstige Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . Rechtsbeschwerden nach §§ 71 Abs. 1, 91a Abs. 1, 99 Abs. 2, 269 Abs. 4, 494a Abs. 2 Satz 2 oder § 516 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . . Sonstige Rechtsbeschwerden . . . . . . . . . . . Sonstige Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . .
96 99 105 106 113 118 118 121 127 128 135 138 141 142
145 146 147
Rz. 3 Kap. 44
13. Verfahren nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstinstanzliches Verfahren vor dem LAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erstinstanzliches Verfahren vor dem BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Revisionsverfahren/Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gerichtsgebühren in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verzögerungsgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Prüfungspflichten des Anwalts – Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 44.8 Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG . . . . . . . . . M 44.9 Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung . . . . . . M 44.10 Beschwerde gegen Vorauszahlungsanordnung nach § 67 GKG . M 44.11 Schreiben an den Mandanten bei Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung . . . . . . . . . . . .
ZPO
Gerichtskosten
148 148 150 151 152 153 154 155 156 161 162 163 165
I. Rechtsquellen Die Gerichtskosten, also die Gerichtsgebühren und Auslagen des Gerichts (§ 1 Abs. 1 GKG), die im Zi- 1 vilprozess sowie den übrigen zivilprozessualen Verfahren (InsO, ZVG u.a.) und im Rahmen der Zwangsvollstreckung entstehen, richten sich nach dem GKG. Das gilt seit dem 1.7.2004 auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren. Die dort anfallenden Gerichtsgebühren sind in Teil 8 des KV des GKG aufgeführt. Nicht mehr im GKG enthalten sind die Gerichtskosten in Familiensachen. Diese sind seit dem 1.9.2009 in dem neuen FamGKG enthalten (s. Kap. 109). Für Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit – mit Ausnahme der Familiensachen – richten sich die Gerichtkosten nach dem GNotKG.
II. Gerichtskosten in zivilprozessualen Verfahren Im Zivilprozess ist für die Berechnung der Gebühren und Auslagen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GKG) auf die 2 Regeln des GKG sowie das in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG niedergelegte Kostenverzeichnis (KV GKG) zurückzugreifen. Das Kostenverzeichnis regelt alle Kostentatbestände abschließend. Soweit dort keine Regelung enthalten ist, dürfen keine Gebühren erhoben werden. Eine Analogie zu Lasten der Prozessparteien ist unzulässig (§ 1 GKG; BGH MDR 2007, 917 = NJW-RR 2007, 1148; Hartmann, KostG, § 1 GKG Rz. 16). 1. Gemeinsame Vorschriften a) Gebühren Im Zivilprozess werden grundsätzlich Wertgebühren erhoben (§ 3 Abs. 1 GKG). Festgebühren gelten nur in bestimmten Beschwerdeverfahren und Angelegenheiten der Zwangsvollstreckung. Ebenso wie die Anwaltsgebühren richten sich die wertabhängigen Gerichtsgebühren nach dem Wert des Streitgegenstands (§ 3 Abs. 1 GKG). Dem Gesetz ist deshalb eine Gebührentabelle (Anlage 2 zu § 34 GKG) beigefügt, aus der sich nach Wertstufen gestaffelt die jeweiligen 1,0-Gebührenbeträge ergeben. Schneider 861
3
ZPO
Kap. 44 Rz. 4
Gerichtskosten
Hiernach ist dann der entsprechende Gebührensatz zu berechnen. Der Mindestbetrag einer Gebühr beläuft sich, soweit nichts Abweichendes geregelt ist, auf 15 Euro (§ 34 Abs. 2 GKG). b) Streitwertbestimmung
4 Der für die Berechnung der Gerichtsgebühren maßgebende Streitwert ist vom Gericht zu bestimmen und durch Beschluss festzusetzen (§§ 62, 63 GKG). aa) Wertfestsetzung
5 Das GKG geht von dem Grundsatz aus, dass der Streitwert für die Entscheidung über die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels auch für die Berechnung der Gerichtsgebühren maßgebend ist (§ 62 Satz 1 GKG). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 GKG vorliegt, ist von dieser auszugehen. Eine gesonderte Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren unterbleibt, es sei denn, die für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels erfolgte Wertfestsetzung ist ausnahmsweise für die Gerichtskosten nicht bindend (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). Das ist etwa bei den von den §§ 41 und 42 GKG erfassten Rechtsverhältnissen der Fall. Ist eine Wertfestsetzung für die Ermittlung der Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht erfolgt oder bindet diese Entscheidung nicht, etwa weil um ein privilegiertes Rechtsverhältnis gestritten wird, hat das Prozessgericht den Streitwert durch Beschluss festzusetzen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder das Verfahren sich anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 GKG).
6 Das Gericht, das die Festsetzung getroffen hat und auch das mit der Sache befasste Rechtsmittelgericht können den Streitwertbeschluss von Amts wegen abändern, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Wertfestsetzung unzutreffend war (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG). Eine solche Änderung ist allerdings nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat (§ 63 Abs. 3 Satz 2 GKG). bb) Vorläufige Festsetzung
7 Soweit Gebühren im Voraus zu zahlen sind (§ 6 GKG), muss das Gericht nach § 63 Abs. 1 GKG den Streitwert vorläufig durch Beschluss festsetzen, sofern nicht eine Geldsumme in inländischer Währung eingeklagt ist. In diesem Fall ergibt sich der Gegenstandswert in aller Regel aus dem Zahlungsantrag. Sofern Zweifel bestehen, etwa weil im Zahlungsantrag kapitalisierte Zinsen oder andere Nebenforderungen enthalten sind oder eine besondere Bewertungsvorschrift (zB §§ 41 ff. GKG) eingreift, ist auch hier eine Streitwertfestsetzung geboten. cc) Rechtsbehelfe (1) Überblick
8 Eine vorläufige Wertfestsetzung ist unmittelbar nicht anfechtbar. Nur die endgültige Wertfestsetzung kann angefochten werden. Allerdings besteht nach einer vorläufigen Wertfestsetzung die Möglichkeit der Beschwerde nach § 67 GKG (§ 63 Abs. 1 Satz 2 GKG). Daneben kann auch gegen die vorläufige Wertfestsetzung eine Gegenvorstellung erhoben werden. Soweit diese begründet ist, muss das Gericht den Festsetzungsbeschluss ebenfalls abändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG). (2) Beschwerde gegen die Anordnung einer Vorauszahlung
9 Sind aufgrund des vorläufig festgesetzten Streitwerts Gerichtsgebühren vorauszuzahlen, so können Einwendungen gegen die Höhe der vorauszuzahlenden Gebühren und damit inzidenter auch gegen die Höhe des vorläufig festgesetzten Streitwerts im Verfahren nach § 67 GKG geltend gemacht werden (§ 63 Abs. 1 Satz 2 GKG). Gegen den Beschluss, der die weitere Tätigkeit des Gerichts von der Einzahlung von Gebühren abhängig macht, ist nach § 67 Abs. 1 Satz 1 GKG die Beschwerde gegeben.
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M 44.1
Gerichtskosten
Rz. 14 Kap. 44
ZPO
Diese Beschwerde kann auch auf eine unzutreffende vorläufige Wertfestsetzung gestützt werden. Ist die Beschwerde insoweit erfolgreich, muss das Ausgangsgericht den vorläufigen Festsetzungsbeschluss abändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG). (3) Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts Gegen die Entscheidung über eine endgültige Wertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 GKG ist grundsätzlich die Beschwerde gegeben (§ 68 Abs. 1 GKG).
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Eine besondere Form für die Beschwerde ist nicht vorgesehen. Sie braucht auch nicht begründet zu werden. Zweckmäßigerweise sollte jedoch angegeben werden, welcher Wert nach Ansicht des Beschwerdeführers tatsächlich zutreffend ist und worauf diese Ansicht gestützt wird.
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Die Beschwerde muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten eingelegt werden, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat (§§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 GKG). Sie kann allerdings auch nach Ablauf der Frist von sechs Monaten eingelegt werden, wenn der Streitwert einen Monat vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist geändert worden ist. In diesem Fall beträgt die Beschwerdefrist einen Monat ab Bekanntgabe des Feststellungsbeschlusses (§ 68 Abs. 1 Satz 3 GKG). Ist der Streitwertbeschluss einem Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis gegeben worden, so kann dieser noch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Beschwerde einlegen.
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M 44.1 Streitwertbeschwerde nach § 68 GKG
13
An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich namens des Beklagten gegen den Streitwertbeschluss des … vom … Az. … Beschwerde ein und beantrage, den Streitwert für das Verfahren auf 6.000 Euro herabzusetzen. Begründung: Die Kammer hat für die Räumungsklage den vollen Jahresmietwert nach § 41 Abs. 2 GKG angesetzt. Dabei hat die Kammer übersehen, dass die Klägerin nicht Eigentümerin des vermieteten Objekts ist und die Beendigung des Mietverhältnisses und die damit verbundene Räumungspflicht zum 31.12.2017 unstreitig waren und die Parteien nur darüber gestritten haben, ob aufgrund der Kündigung des Klägers das Mietverhältnis vorzeitig zum 30.6.2017 beendet worden ist. Damit beläuft sich der Streitwert nur auf die Miete der streitigen Zeit (OLG Stuttgart AGS 2009, 46 = NJW-Spezial 2008, 764 = MietRB 2009, 132). Die streitige Zeit waren hier lediglich sechs Monate, so dass nach § 41 Abs. 2 iVm. Abs. 1 GKG nur ein Wert von 6 × 1.000 Euro, also insgesamt 6.000 Euro maßgebend ist. Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG). Anwalt des Beschwerdeführers: 0,5 Verfahrensgebühr (Nr. 3500 VV RVG), aber keine Kostenerstattung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG); Gegenanwalt keine Gebühr, da Tätigkeit in eigener Sache.
Unzulässig ist die Beschwerde, wenn das Oberlandesgericht die Festsetzung getroffen hat, da eine Be- 14 schwerde zu einem obersten Gericht des Bundes nicht statthaft ist (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 iVm. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG) und das GKG eine Rechtsbeschwerde nicht vorsieht. Anfechtbar ist dagegen eine Streitwertfestsetzung des Landgerichts als Berufungs- oder Beschwerdegericht.
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Kap. 44 Rz. 15
Gerichtskosten
M 44.2
ZPO
15 Weiterhin setzt die Zulässigkeit der Beschwerde – vorbehaltlich einer wertunabhängigen Zulassung (§ 68 Abs. 1 Satz 2 GKG) – voraus, dass der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 200 Euro übersteigt (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG). Die begehrte Abänderung des Streitwertbeschlusses durch eine Partei muss ihre Kostenschuld also um mehr als 200 Euro mindern. Bei einer Kostenquotierung ist grundsätzlich nur die entsprechende Quote maßgebend. Bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstands ist dabei nicht nur die Differenz der Gerichtskosten zu berücksichtigten, sondern auch die Differenz eventueller eigener Anwaltskosten und eventueller Kostenerstattungsansprüche, denen sich der Beschwerdeführer ausgesetzt sieht, da sich nicht nur die Gerichtsgebühren bei einer Herabsetzung des Streitwertes reduzieren, sondern auch die an den eigenen Anwalt zu zahlende Vergütung und die dem Gegner zu erstattenden Kosten. Bei einer Beschwerde des Anwalts muss sich für ihn aufgrund des begehrten höheren Wertes eine um mehr als 200 Euro höhere Vergütung ergeben. Siehe zu Einzelheiten der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstands Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, Rz. 274 ff.
16 M 44.2 Vereinfachtes Beispiel zur Berechnung des Werts des
Beschwerdegegenstands Das Gericht hat den Streitwert im Urteil auf 20.000 Euro festgesetzt und die Kosten gegeneinander aufgehoben. Der Beklagte ist der Auffassung der Streitwert belaufe sich nur auf 10.000 Euro. Die Beschwer beläuft sich auf I. Kosten nach 20.000 Euro 1. Gerichtsgebühr 3,0-Gebühr, Nr. 1210 KV GKG hiervon 1/2 = 2. Anwaltsgebühren 2,5-Gebühren, Nr. 3100, 3104 GKG Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 3. Gesamt II. Kosten nach 10.000 Euro 1. Gerichtsgebühr 3,0-Gebühr, Nr. 1210 KV GKG hiervon 1/2 = 2. Anwaltsgebühren 2,5-Gebühren, Nr. 3100, 3104 GKG Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 3. Gesamt III. Differenz I.-II. =
1.035,00 Euro 517,50 Euro 1.855,00 Euro 352,45 Euro 2.724,95 Euro
723,00 Euro 361,50 Euro 1.510,00 Euro 286,90 Euro 2.158,40 Euro 566,55 Euro
Eine Beschwerde ist zulässig.
17 Eine Beschwerde der Partei mit dem Ziel, den Gegenstandswert heraufzusetzen, ist mangels Rechtschutzinteresse grundsätzlich unzulässig (Meyer, GKG, § 68 Rz. 7; Hartmann, KostG, § 68 GKG Rz. 5). Lediglich der Anwalt kann aus eigenem Recht nach § 32 Abs. 2 RVG eine Beschwerde einlegen, um eine Erhöhung des Streitwertes zu erreichen (s. Kap. 43 Rz. 53 ff.).
18 Ausnahmsweise kann eine Partei im Falle einer wertunabhängigen Vergütungsvereinbarung durch eine zu niedrige Wertfestsetzung beschwert sein. Ergibt sich nämlich ein Kostenerstattungsanspruch der Partei und wird der Streitwert zu niedrig festgesetzt, ergibt sich auch ein entsprechend niedriger Erstattungsanspruch. Während bei gesetzlicher Abrechnung die Heraufsetzung des Streitwerts gleichzeitig dazu führt, dass der Auftraggeber seinem Anwalt auch eine höhere Vergütung nach dem höheren Streitwert schuldet und es damit an einer Beschwer fehlt, bleibt im Falle einer streitwertunabhängigen Vergütungsvereinbarung die Vergütungsschuld gegenüber dem Anwalt von einer Heraufsetzung des 864
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Gerichtskosten
Rz. 22 Kap. 44
ZPO
Streitwertes unberührt. Daher hat der Auftraggeber hier ein berechtigtes Interesse, dass der Streitwert heraufgesetzt wird, damit er zu einer höheren Kostenerstattung gelangt, die letztlich ausschließlich ihm zugutekommt (OLG Düsseldorf AGS 2006, 188 m. Anm. N. Schneider; OLG Celle JurBüro 1992, 761; VGH München NVwZ-RR 1997, 195; VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 900; OVG Hessen DÖV 1976, 607; Sächsisches OVG NJ 2004, 280 = SächsVGl 2004, 89; VGH Hessen ZMR 1977, 112; OLG Stuttgart AGS 2014, 77 = NJW-Spezial 2014, 123; aA KG MDR 2016, 422 = AGS 2016, 226). (4) Weitere Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts Nach § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG iVm. § 66 Abs. 4 GKG kann gegen eine Entscheidung des Landgerichts über die Streitwertbeschwerde eine weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt werden, sofern das Landgericht die Beschwerde zugelassen hat.
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Wichtig: Eine Streitwertbeschwerde ist zwar nach dem GKG gebührenfrei und eine Kostenerstattung ausgeschlossen (§ 68 Abs. 3 GKG). Nicht gebührenfrei ist jedoch die Tätigkeit des Anwalts im Beschwerdeverfahren. Er kann nach Nr. 3500 VV RVG gegenüber dem Mandanten eine 0,5-Gebühr aus dem Beschwerdewert abrechnen (s. ausf. N. Schneider AGS 2003, 13).
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In Anlehnung an die Neufassung des § 321a ZPO durch das 1. JuMoG ist mit dem Anhörungsrügengesetz (BGBl. I 2004, 3220) in § 69a GVG die Abhilfemöglichkeit bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im kostenrechtlichen Verfahren eingefügt worden. Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 69a Abs. 6 GVG). In Anbetracht der Abänderungsmöglichkeit nach § 63 Abs. 3 GKG hat diese Vorschrift hier allerdings kaum Bedeutung.
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dd) Wertvorschriften Bei der Bemessung des Streitwertes ist gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG von den Wertvorschriften über die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels auszugehen. Maßgebend sind insoweit die Vorschriften der ZPO. Diese Vorschriften werden allerdings verdrängt, soweit das GKG besondere Wertvorschriften enthält (§§ 41 ff., 50 ff. GKG). In der Praxis sind insbesondere folgende Wertbestimmungen zu beachten: – § 41 GKG: Bei Streitigkeiten über das Bestehen oder die Dauer von Miet-, Pacht- oder ähnlichen Nutzungsverhältnissen ist der Betrag des auf die streitige Zeit entfallenden Zinses maßgebend, höchstens jedoch der Jahresbetrag. Streitige Zeit ist der Zeitraum, hinsichtlich dessen der Kläger oder der Beklagte das Bestehen des Nutzungsverhältnisses oder seiner Dauer behauptet oder bestreitet. Für Klagen auf Mieterhöhung ist der Jahresbetrag der Erhöhung maßgebend. – § 42 Abs. 2 GKG: Bei Streitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet. – § 43 GKG: Forderungen auf Zinsen, Kosten, Früchte oder Nutzungen werden nicht berücksichtigt, soweit sie neben der Hauptsache geltend gemacht werden. – § 44 GKG: Im Falle der Stufenklage werden die Werte der einzelnen gestuften Anträge nicht addiert. Maßgebend ist vielmehr der höchste Wert. – § 45 GKG: Die Werte von Klage und Widerklage sowie wechselseitigen Rechtsmitteln werden zusammengerechnet, sofern sie nicht denselben Gegenstand betreffen (§ 45 Abs. 1 GKG). Ein hilfsweise gestellter Antrag sowie eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung werden nur dann berücksichtigt, wenn eine Entscheidung hierüber ergeht oder die Parteien hierüber einen Vergleich schließen (§ 45 Abs. 3 und 4 GKG). – § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG: Endet ein Rechtsmittelverfahren, ohne dass Anträge eingereicht wurden, richtet sich der Streitwert nach der Beschwer. Die Beschwer ist auch dann maßgebend, wenn ein Schneider 865
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Kap. 44 Rz. 23
Gerichtskosten
ZPO
geringwertiger Antrag offensichtlich nur zu dem Zweck eingereicht wird, die Gerichtsgebühren zu reduzieren (BGH MDR 1997, 1164; OLG Koblenz AGS 2005, 162 = FamRZ 2005, 1767; OLG Köln AGS 2012, 531; OLG Köln v. 16.11.2017 – 4 U 44/17).
23 Für die Bewertung ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt von Bedeutung, in dem der das Verfahren einleitende Antrag anhängig gemacht wird. c) Auslagen
24 Neben den Gerichtsgebühren werden auch Auslagen erhoben. Die Auslagentatbestände sind abschließend in den Nrn. 9000 ff. KV GKG aufgeführt. Sofern diese Vorschriften keinen Auslagenersatz vorsehen, entsteht auch keine Ersatzpflicht. Die häufigsten Auslagen im Zivilprozess sind Dokumentenpauschale (Nr. 9000 KV GKG), Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 KV GKG), Auslagen für Zeugen und Sachverständige nach dem JVEG (Nr. 9005 KV GKG) und Zustellungskosten (Nr. 9002 KV GKG). Neben Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, werden Zustellungskosten allerdings erst erhoben, wenn mehr als 10 Zustellungen bewirkt worden sind (Anm. zu Nr. 9000 KV GKG). d) Kostenschuldner
25 In den §§ 22 ff. GKG ist geregelt, wer die angefallenen Gerichtskosten zu tragen hat. aa) Antragsschuldner
26 Nach § 22 GKG ist zunächst einmal derjenige Schuldner der Gerichtskosten, der das Verfahren der Instanz beantragt hat. Dies ist im Falle der Klageerhebung stets der Kläger; in der Berufungsinstanz der Berufungsführer. Wird eine Widerklage erhoben, so haftet für die hierdurch verursachten Gerichtskosten der Beklagte als Antragsteller. Im Mahnverfahren ist der Antragsteller Kostenschuldner. Beantragt der Antragsgegner die Durchführung des streitigen Verfahrens, so wird er damit Schuldner der weiteren Kosten. Ergeht gegen den Antragsgegner ein Vollstreckungsbescheid und legt dieser Einspruch ein, wird dagegen der Antragsteller zum Schuldner der weiteren Kosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 GKG). Die Gebühr für den Abschluss eines Vergleichs (Nr. 1900 KV GKG) schuldet jeder, der an dem Vergleich beteiligt war (§ 22 Abs. 1 Satz 2 GKG). bb) Entscheidungsschuldner
27 Nach § 29 Nr. 1 GKG haftet neben dem Antragsschuldner (§ 22 Abs. 1 GKG) auch diejenige Partei, der durch eine gerichtliche Entscheidung die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind. Hat das Gericht die Kosten nach Quoten verteilt, so haftet der Entscheidungsschuldner in Höhe der entsprechenden Quote. Die Kostenschuld entsteht, sobald die Entscheidung prozessual wirksam geworden ist. Auf die Rechtskraft kommt es nicht an. Die Kostenschuld erlischt, wenn eine abändernde Entscheidung ergeht.
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Wichtig: Eine abändernde vergleichsweise Regelung einer gerichtlichen Entscheidung über die Kosten hebt die Entscheidungsschuldnerschaft nach § 29 Nr. 1 GKG nicht auf, sondern führt nur zur Mithaftung des Übernehmenden (BGH NJW-RR 2001, 285).
cc) Übernahmeschuldner
29 Nach § 29 Nr. 2 GKG haftet auch derjenige für die angefallenen Gerichtskosten, der durch eine vor Gericht abgegebene, oder eine gegenüber dem Gericht mitgeteilte Erklärung, in einem vor dem Gericht abgeschlossenen, oder in einem dem Gericht mitgeteilten Vergleich Kosten übernommen hat. Hauptanwendungsfall des § 29 Nr. 2 GKG ist die Kostenübernahme durch einen Vergleich. Enthält dieser keine Kostenregelung, so haften die Parteien nach § 29 Nr. 2 Halbs. 2 GKG jeweils zur Hälfte. Diese Regelung entspricht § 98 ZPO.
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Gerichtskosten
Rz. 36 Kap. 44
Praxistipp: Wird außergerichtlich ein Vergleich geschlossen und enthält der Vergleich u.a. die 30 Regelung, dass die Klage oder das Rechtsmittel zur Verfahrenserledigung zurückgenommen wird, sollte mit der Rücknahme eine Kopie des Vergleichs vorgelegt und darauf hingewiesen werden, dass die Rücknahme in Vollzug des Vergleichs erfolgt; wegen der Kostenregelung werde auf den Inhalt des Vergleichs verwiesen (vgl. M 44.3).
M 44.3 Anzeige eines außergerichtlich zur Erledigung des Rechtsstreits
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geschlossenen Vergleichs, der eine Kostenregelung und die Verpflichtung zur Rücknahme des Rechtsmittels enthält In Sachen … / … (Kurzrubrum) zeige ich an, dass sich die Parteien außergerichtlich geeinigt haben. In Vollzug des Vergleiches nehme ich die Berufung des Beklagten zurück. Unter Hinweis auf § 29 Nr. 2 GKG teile ich mit, dass die Kosten des Rechtsstreits im geschlossenen Vergleich gegeneinander aufgehoben worden sind. Eine Kopie des Vergleichs liegt diesem Schriftsatz bei.
Wird die Kostenregelung des Vergleichs dem Gericht angezeigt, wird das Gericht gem. § 29 Nr. 2 GKG noch ausstehende Kosten entsprechend der im Vergleich getroffenen Regelung einziehen. Ein Kostenausgleichsverfahren findet allerdings wegen der Rechtsmittelrücknahme nicht mehr statt.
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dd) Haftungsschuldner Schließlich ist nach § 29 Nr. 3 GKG auch derjenige Kostenschuldner, der kraft Gesetzes für die Kostenschuld eines anderen haftet. Dies ist zB der persönlich haftende Gesellschafter einer OHG oder KG (OLG Stuttgart MDR 1985, 946) oder der Erbe.
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ee) Vollstreckungsschuldner Für die notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung haftet nach § 29 Nr. 4 GKG auch der Vollstre- 34 ckungsschuldner. ff) Mehrere Kostenschuldner Mehrere Kostenschuldner haften nach § 31 Abs. 1 GKG als Gesamtschuldner. Bei der Inanspruchnahme mehrerer Kostenschuldner ist allerdings die in § 31 Abs. 2 GKG vorgegebene Rangfolge zu beachten. Danach hat die Staatskasse zunächst die Entscheidungs- und Übernahmeschuldner in Anspruch zu nehmen. Sie sind sog. Erstschuldner. Die anderen Schuldner sind sog. Zweitschuldner. Nur dann, wenn die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Erstschuldner erfolglos geblieben ist oder aussichtslos erscheint, dürfen die Zweitschuldner in Anspruch genommen werden (§ 31 Abs. 2 GKG). Bei gleichrangig haftenden Schuldnern kann die Staatskasse jeden in Anspruch nehmen. Sie darf insoweit jedoch nicht willkürlich verfahren, sondern muss ihr Ermessen sachgerecht ausüben. Dies wiederum bedeutet, dass die Gesamtschuldner zunächst anteilig in Anspruch zu nehmen sind und nur bei Ausfall eines Gesamtschuldners der fehlende Betrag von den anderen erhoben werden soll.
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gg) Kostenfreiheit Nach § 2 Abs. 1 GKG sind bestimmte Parteien von den Kosten befreit. Hierzu gehören insbesondere 36 Bund (einschließlich des Sondervermögens, vgl. dazu auch BGH NJW-RR 1998, 1533) und Länder vor Bundesgerichten, nicht die Gemeinden (vgl. BGH NJW-RR 1998, 1222); vor Landesgerichten tritt nur eine Kostenbefreiung ein, soweit dies durch Landesgesetz bestimmt ist. Auf den Gegenstand des Prozesses kommt es dabei nicht an. Sind mehrere Kostenschuldner vorhanden, von denen einer Schneider 867
ZPO
M 44.3
ZPO
Kap. 44 Rz. 37
Gerichtskosten
oder mehrere befreit sind, andere aber nicht, so schlägt ausnahmsweise das Innenverhältnis auf die Haftung durch. Werden zB einer kostenbefreiten und einer nicht befreiten Partei Kosten als Gesamtschuldner auferlegt, so darf von der nicht befreiten Partei nur der auf sie im Innenverhältnis entgehende (in der Regel der nach § 426 BGB zu bestimmende) Teil der Kosten verlangt werden. Anderenfalls würde die Kostenbefreiung unterlaufen.
37 K
Praxistipp: Die Kostenfreiheit muss bei Ermittlung des Erfolgs- und Kostenrisikos (vgl. Kap. 4) berücksichtigt werden. Für die kostenbefreite Partei sinkt das Kostenrisiko im Falle des Unterliegens!
hh) Erlöschen der Zahlungspflicht
38 Nach § 30 Satz 1 GKG erlischt die Pflicht, Gerichtskosten zu zahlen, soweit die durch eine gerichtliche Entscheidung begründete Verpflichtung durch eine andere Entscheidung abgeändert oder aufgehoben wird. Bereits gezahlte Kosten sind dann zurückzuzahlen (§ 30 Satz 2 GKG). Eine abändernde Vereinbarung der Parteien, zB in einem Vergleich reicht also nicht aus, um die Kostenpflicht gegenüber der Staatskasse aufzuheben; sie begründet lediglich eine Schuld des Übernahmeschuldners (s. Rz. 29). Soweit der Entscheidungsschuldner bereits gezahlt hat, muss er die aufgrund des Vergleichs vom Gegner zu übernehmenden Kosten gegen diesen festsetzen lassen und beitreiben. Er trägt insoweit also das Insolvenzrisiko. Die Staatskasse ist nicht verpflichtet, bereits vereinnahmte Gerichtskosten zurückzuzahlen. Über dieses Risiko muss der Anwalt vor Abschluss des Vergleichs ggf. beraten.
39 K
Praxistipp: Das Insolvenzrisiko kann – sofern die Partei ohnehin nicht als Antragsschuldner haftet – vermieden werden, indem der Vergleich ohne Kostenregelung geschlossen und eine Entscheidung nach § 91a ZPO beantragt wird. Dabei muss dem Gericht mitgeteilt werden, dass die Parteien eine bestimmte Kostenregelung – die anzugeben ist – als billig iS des § 91a ZPO ansehen und auf eine Begründung der Entscheidung gem. § 91a ZPO verzichten werden. In der Regel trifft das Gericht alsdann eine entsprechende Kostenentscheidung, die zudem einen Ermäßigungstatbestand auslöst (s. Rz. 57).
40 Ohne abändernde Entscheidung trifft die Gerichtskasse die Rückzahlungspflicht für eingezahlte Gerichtskosten, wenn eine kostenbefreite Partei in einem Vergleich Kosten übernimmt. Ist zB erstinstanzlich die nicht befreite Partei Entscheidungsschuldner und schließen die Parteien im Berufungsverfahren einen Vergleich, aufgrund dessen die Kosten hälftig geteilt werden, so muss die Staatskasse die bereits vereinnahmten erstinstanzlichen Gerichtskosten zur Hälfte zurückzahlen. e) Fälligkeit und Vorauszahlung
41 Gerichtskosten werden in den Fällen des § 6 GKG mit Einreichung der Klage, der Antrags-, Einspruchs- oder Rechtmittelschrift fällig, im Übrigen nach § 9 GKG, sobald eine unbedingte – nicht notwendig rechtskräftige – Entscheidung hierüber ergeht oder das Verfahren durch Vergleich, Antragsrücknahme oder eine anderweitige Erledigung beendet wird. Ausgenommen sind Schreibauslagen und Auslagen für die Versendung von Akten. Diese Auslagen werden sofort fällig (§ 9 Abs. 2 GKG).
42 Vor Fälligkeit sollen (gebundenes Ermessen!) im Rahmen des § 12 GKG Vorschüsse auf die anfallenden Gebühren erhoben werden. Vorauszahlungspflichtig ist der jeweilige Antragsteller. Ausnahmen von der Vorauszahlungspflicht bestehen, soweit dem Antragsteller Prozesskostenhilfe bewilligt wird (§ 14 Nr. 1 GKG) oder er von den Gebühren befreit ist (§ 14 Nr. 2 GKG). Weiterhin kann von einer Vorauszahlung abgesehen werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass dem Antragsteller die alsbaldige Zahlung der Kosten mit Rücksicht auf seine Vermögenslage oder aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten würde (§ 14 Nr. 3a GKG) oder wenn er glaubhaft macht, dass ihm eine Verzögerung einen nicht oder nur schwer zu ersetzenden Schaden bringen würde (§ 14 Nr. 3b GKG); zur Glaubhaftmachung genügt in diesem Falle die Erklärung des zum Prozessbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalts (vgl. dazu Kap. 10 Rz. 51 f.). 868
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Rz. 47 Kap. 44
Gerichtskosten
Auch für Auslagen besteht eine Vorschusspflicht (§ 17 GKG). Das Gericht soll (gebundenes Ermes- 43 sen!) die Vornahme von Handlungen, mit denen Auslagen verbunden sind, von der vorherigen Zahlung eines Vorschusses abhängig machen. Werden Handlungen von Amts wegen vorgenommen, kann ein Vorschuss verlangt werden (§ 17 Abs. 3 GKG). Vorschusspflichtig ist derjenige, der die konkrete Handlung beantragt hat (§ 17 Abs. 1 GKG). Dies muss nicht zwingend der Antragsteller der Instanz sein. Tritt zB der Beklagte Zeugenbeweis dazu an, dass die Klageforderung gestundet sei, so ist er nach § 17 Abs. 1 GKG für die zu erwartenden Auslagen des Zeugen vorschusspflichtig. Der Vorschuss soll so bemessen sein, dass er die voraussichtlich anfallenden Auslagen abdeckt. Sofern sich abzeichnet, dass der Vorschuss nicht ausreicht, kann auch ein weiterer Vorschuss angefordert werden. Keiner Vorschusspflicht unterliegen kostenbefreite Parteien und damit ab Antragstellung auch Parteien, denen Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. 2. Mahnverfahren Für das Mahnverfahren fällt eine 0,5-Gebühr an, die nach Nr. 1110 KV GKG mindestens jedoch 32 Eu- 44 ro beträgt (Ausnahme von § 34 Abs. 2 GKG). Nach § 12 Abs. 1 GKG besteht insoweit grundsätzlich eine Vorauszahlungspflicht. Wird der Mahnbescheid maschinell erstellt, wird dieser auch ohne Eingang der Vorauszahlung erlassen. Erst der Erlass des Vollstreckungsbescheids ist im Rahmen der maschinellen Bearbeitung vorauszahlungsabhängig (§ 12 Abs. 3 Satz 2 GKG). Der Vollstreckungsbescheid selbst löst keine weitere Gerichtsgebühr aus. 3. Selbständiges Beweisverfahren Im selbständigen Beweisverfahren wird eine Gebühr iHv. 1,0 erhoben (Nr. 1610 KV GKG). Eine Ermäßigung bei vorzeitiger Erledigung ist nicht vorgesehen, ebenso wenig eine Anrechnung auf die Gebühren eines nachfolgenden Hauptsacheverfahrens. Es besteht keine Vorauszahlungspflicht.
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4. Prozessverfahren a) Erstinstanzliches Verfahren aa) Höhe der Gebühr Im erstinstanzlichen Prozessverfahren fällt eine 3,0-Gebühr an (Nr. 1210 KV GKG). Ist ein Mahnverfahren vorangegangen, so wird die 0,5-Gebühr nach Nr. 1110 KV GKG aus dem Wert desjenigen Streitgegenstandes angerechnet, der dann in das Prozessverfahren übergegangen ist (Anm. zu Nr. 1210 Satz 1 Halbs. 2 KV GKG).
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M 44.4 Gerichtskostenabrechnung nach vorausgegangenem Mahnverfahren mit
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höherem Wert Es ergeht ein Mahnbescheid über 10.000 Euro. Nur iHv. 5.000 Euro wird die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt. I. Mahnverfahren 0,5-Gebühr, Nr. 1110 KV GKG (Wert: 10.000 Euro)
120,50 Euro
II. Streitiges Verfahren 3,0-Gebühr, Nr. 1210 KV GKG (Wert: 5.000 Euro) anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 1210 Satz 1 Halbs. 2 KV GKG 0,5-Gebühr (Wert: 5.000 Euro) Gesamt
438,00 Euro – 73,00 Euro 485,50 Euro
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ZPO
M 44.4
Kap. 44 Rz. 48
Gerichtskosten
M 44.5
ZPO
48 Die 3,0-Gerichtsgebühr nach Nr. 1210 KV GKG deckt das gesamte Verfahren ab. Neben der 3,0-Verfahrensgebühr kann lediglich noch die 0,25-Differenzgebühr nach Nr. 1900 KV GKG aus dem Mehrwert eines Vergleichs über nicht anhängige Gegenstände anfallen. Wird ein Vergleich auch über anderweitig anhängige Gegenstände geschlossen, fällt keine Einigungsgebühr an, da dann die Gerichtsgebühr für das mitverglichenen Verfahren auch den Mehrwertvergleich abdeckt (LG Mannheim AGS 2014, 25).
49 M 44.5 Gerichtskostenabrechnung bei Vergleich mit Mehrwert Eingeklagt sind 4.000 Euro; die Parteien schließen vor Gericht einen Vergleich hierüber sowie über weitere nicht anhängige 3.000 Euro. Ohne Ermäßigung nach Nr. 1211 KV GKG (s. Rz. 51 ff.) 3,0-Gebühr, Nr. 1210 KV GKG (Wert: 4.000 Euro) 0,25-Gebühr, Nr. 1900 KV GKG (Wert: 3.000 Euro) Gesamt
381,00 Euro 27,00 Euro 408,00 Euro
Mit Ermäßigung nach Nr. 1211 KV GKG (s. Rz. 51 ff.) 1,0-Gebühr, Nr. 1210 KV GKG (Wert: 4.000 Euro) 0,25-Gebühr, Nr. 1900 KV GKG (Wert: 3.000 Euro) Gesamt
127,00 Euro 27,00 Euro 153,00 Euro
50 Die 3,0-Verfahrensgebühr ist nach § 12 Abs. 1 GKG in voller Höhe als Vorauszahlung vor Zustellung der Klage oder Klageerweiterung zu zahlen. Nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid ist die Abgabe in das streitige Verfahren nur für den Antragsteller von der Einzahlung der weiteren 2,5-Gebühr nach Nr. 1210 KV GKG abhängig (§ 12 Abs. 3 Satz 2 GKG). Für den Antragsgegner, der auch den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellen kann (§ 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO), besteht – unabhängig von der Frage, ob er überhaupt Kostenschuldner wird (bejahend OLG Oldenburg AGS 2016, 576; verneinend OLG Koblenz MDR 2015, 1096 = AGS 2015, 397; KG AGS 2018, 18) – jedenfalls keine Vorauszahlungspflicht (OLG Karlsruhe JurBüro 1995, 43). Für die Abgabe nach Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid besteht ebenfalls keine Vorauszahlungspflicht. Auch für eine Widerklage besteht keine Vorauszahlungspflicht (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG). Nach einem vorangegangenen Mahnverfahren ist umstritten, ob die volle 3,0-Gerichtsgebühr bereits dann anfällt, wenn der Antragsteller im Mahnverfahren den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens für den Fall des Widerspruchs gestellt hat (§ 696 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und der Antragsgegner Widerspruch einlegt. Ein Teil der Rechtsprechung ist der Auffassung, dass die volle 3,0-Gebühr der Nr. 1210 KV GKG aus dem Gesamtstreitwert des Mahnantrages bereits mit Eingang des Widerspruchs entsteht (OLG Düsseldorf MDR 1997, 694; LG Hagen MDR 1997, 790). Nach anderer Ansicht löst dagegen erst die Abgabe an das Prozessgericht die Kostenfolge der Nr. 1210 KV GKG aus (OLG München MDR 1998, 62; LG Memmingen JurBüro 1997, 434); von Bedeutung ist diese Differenzierung etwa, wenn sich die Hauptsache nach Eingang des Widerspruchs erledigt. bb) Gebührenermäßigung
51 Die 3,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG ermäßigt sich auf eine 1,0-Gebühr, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG erfüllt sind. Dies sind folgende Fälle: (1) Klagerücknahme
52 Eine Ermäßigung tritt nach Nr. 1211 Nr. 1 KV GKG ein, wenn die Klage vor Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. vor den nach §§ 128 Abs. 2, 495a, 331 Abs. 3 ZPO gleichgestellten Zeitpunkten zurückgenommen wird und keine Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO ergeht oder zwar eine Entscheidung ergeht, die Kostenentscheidung aber auf einer von den Parteien zuvor mitgeteilten Ei870
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Gerichtskosten
Rz. 58 Kap. 44
Der Klagerücknahme stehen gleich die Rücknahme des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid und die Rücknahme des Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid sowie die Rücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens (Anm. Satz 1 zu Nr. 1211 KV GKG).
ZPO
nigung oder der Übernahmeerklärung einer Partei beruht. Eine Klagerücknahme nach Schluss der mündlichen Verhandlung führt dann noch zur Ermäßigung, wenn der Verkündungstermin nachträglich aufgehoben wird, weil dann eine erneute mündliche Verhandlung stattfinden muss (OLG Düsseldorf MDR 1999, 1465 = AGS 2000, 57). Gleiches gilt, wenn eine weitere mündliche Verhandlung hätte folgen müssen, etwa weil das Gericht zunächst hätte noch Beweis erheben müssen (OLG München MDR 1997, 402).
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(2) Anerkenntnis, Verzicht, Urteil oder Beschluss ohne Entscheidungsgründe Eine Gebührenermäßigung tritt ferner ein, wenn ein Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil ergeht 54 (Nr. 1211 Nr. 2 KV GKG). Das Anerkenntnis muss sich dabei nicht auch auf die Kosten beziehen. Es genügt auch ein Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast, da im Rahmen des § 93 ZPO nicht in der Sache entschieden wird, sondern nur darüber, ob das Anerkenntnis sofort erklärt worden ist und ob der Beklagte keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat (OLG Nürnberg AGS 2003, 120 m. Anm. N. Schneider; OLG Karlsruhe MDR 1997, 399; OLG Stuttgart AGS 2009, 248; OLG Köln FamRZ 2003, 1766; LG Münster MDR 1998, 1503; aA OLG Hamburg MDR 2000, 111; KG AGS 2018, 83). Ebenso ermäßigt sich nach Nr. 1211 Nr. 2 KV GKG die Gerichtsgebühr, wenn ein Urteil ergeht, das nach § 313a ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe zu enthalten braucht, also wenn die beschwerten Parteien auf Rechtsmittel verzichten.
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Diese Vorschrift gilt auch analog auch für Beschlüsse, etwa wenn die Parteien den Rechtsstreit über- 56 einstimmend für erledigt erklären und gegen einen daraufhin ergehenden Beschluss auf Rechtsmittel verzichten (OLG München AGS 2004, 33 m. ausf. Anm. N. Schneider; LG Bonn AGS 2004, 80 m. Anm. N. Schneider, AGS 2004, 303; aA OLG Braunschweig AGS 2015, 400; LG Aachen AGS 2017, 511). (3) Vergleich Als dritte Möglichkeit der Gebührenermäßigung sieht das Gesetz den Vergleich vor. Dieser muss auch die Kostenregelung erfassen, da hier das Gericht anderenfalls im Rahmen der Kostenentscheidung doch wiederum mit der Sache befasst wäre (OLG Düsseldorf AGS 2018, 121; OLG München MDR 1996, 424; OLG Hamburg MDR 1997, 103). Nach dem Wortlaut der Nr. 1211 Nr. 3 KV GKG muss der Vergleich vor Gericht geschlossen worden sein. Das OLG Frankfurt (AGS 1999, 173) ist daher der Auffassung, ein außergerichtlicher Vergleich genüge nicht. Dem gegenüber lässt das OLG Brandenburg (MDR 1999, 188) auch einen außergerichtlichen Vergleich genügen, sofern dieser eine Kostenregelung enthält. Letztlich wird es darauf nicht ankommen, da in der Regel dann die Voraussetzungen der Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG erfüllt sein werden.
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(4) Erledigung der Hauptsache Wird die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, so bewirkt dies nach Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG ebenfalls eine Ermäßigung, wenn keine Entscheidung über die Kosten ergeht oder zwar eine Entscheidung ergeht, die Kostenentscheidung aber auf einer von den Parteien zuvor mitgeteilten Einigung oder der Übernahmeerklärung einer Partei beruht. Fehlt eine Übernahmeerklärung oder eine Kosteneinigung, wird aber auf Rechtsmittel verzichtet und muss der Beschluss daher analog § 313a ZPO keine Gründe enthalten, greift die Ermäßigung nach Nr. 1211 Nr. 2 KV GKG (s. Rz. 55).
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Kap. 44 Rz. 59
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(5) Versäumnisurteil
59 Ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten führt nicht zu einer Gebührenreduzierung, da das Gericht zuvor eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen hat. Ein Versäumnisurteil gegen den Kläger führt dagegen zur Gebührenermäßigung, da hier keine Sachentscheidung ergeht (AG Siegburg JurBüro 2000, 424; LG Köln AGS 2000, 256 = JurBüro 2001, 260; LG Koblenz AGS 2003, 553; aA KG RVGreport 2007, 159; LG Bonn JurBüro 2001, 595). (6) Erledigung des gesamten Verfahrens
60 Voraussetzung für eine Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 KV GKG ist stets, dass das gesamte Verfahren durch einen oder mehrere der vorgenannten Ermäßigungstatbestände beendet wird. Es reicht also nicht aus, dass zB nur die Klage oder die Widerklage zurückgenommen wird (OLG Frankfurt v. 17.1.1996 – 14 W 107/95). Das gesamte Verfahren muss sich vielmehr dergestalt erledigen, dass eine Entscheidung in der Sache selbst nicht mehr ergehen muss. Kombinationen sind dagegen möglich (Anm. zu Nr. 1211 Satz 3 KV GKG). Wird also ein Teil der Klage zurückgenommen, ein anderer Teil anerkannt und vergleichen sich die Parteien über die Restforderung sowie die Kosten, tritt eine Ermäßigung ein. (7) Ausschluss der Gebührenermäßigung
61 Ausgeschlossen ist eine Gebührenreduzierung immer dann, wenn zuvor ein Urteil ergangen ist, ausgenommen ein nach Nr. 1211 KV GKG privilegiertes Urteil. Daher schließen sowohl ein Teilurteil (OLG Koblenz VersR 1997, 1418), ein Grundurteil oder ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten (OLG München MDR 1996, 968) eine spätere Gebührenermäßigung generell aus. Ein Zwischenurteil schließt dagegen nicht die Ermäßigung aus (OLG München MDR 2003, 115; aA OLG Braunschweig AGS 2018, 122, 180; OLG Düsseldorf MDR 1999, 764; OLG Düsseldorf v. 28.6.2012 – I-10 W 51/12; LG Osnabrück AGS 2014, 516). b) Berufung
62 Das Gebührensystem im Berufungsverfahren ist dem Gebührensystem für das erstinstanzliche Verfahren angepasst. aa) Verfahrensgebühr
63 Für das Verfahren entsteht zunächst eine 4,0-Gebühr (Nr. 1220 KV GKG). bb) Rechtsmittelrücknahme
64 Die Verfahrensgebühr Nr. 1220 KV GKG ermäßigt sich auf eine 1,0-Gebühr, wenn sich das gesamte Verfahren durch Rücknahme des Rechtmittels, der Klage oder des Antrages erledigt, bevor eine Schrift zur Begründung des Rechtsmittels bei Gericht eingegangen ist. Dem steht es gleich, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären und keine Entscheidung über die Kosten ergehen muss oder zwar eine Entscheidung getroffen werden muss, diese jedoch einer Einigung der Parteien oder der Kostenübernahmeerklärung einer Partei folgt (Anm. zu Nr. 1221 KV GKG). cc) Weitere Ermäßigungstatbestände
65 Nach Rechtsmittelbegründung kommt eine Ermäßigung nur noch unter den Voraussetzungen der Nr. 1222 KV GKG in Betracht. Hier sind wiederum vier Ermäßigungstatbestände vorgesehen: – Zum einen ermäßigt sich die 4,0-Gebühr der Nr. 1220 KV GKG nach Nr. 1222 Nr. 1 KV GKG auf 2,0, wenn das Rechtsmittel, die Klage oder der Antrag zurückgenommen wird. Dies muss vor
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Gerichtskosten
Rz. 70 Kap. 44
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Schluss der mündlichen Verhandlung geschehen und in den Fällen des § 128 Abs. 2 ZPO vor dem Zeitpunkt, der der mündlichen Verhandlung entspricht. – Darüber hinaus ermäßigt sich die 4,0-Gebühr Nr. 1222 Nr. 2 KV GKG auf 2,0, wenn das Verfahren durch ein Anerkenntnisurteil, Verzichtsurteil oder durch ein Urteil, das nach § 313a Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe zu enthalten braucht, endet. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht nach § 91a ZPO über die Kosten entscheidet und die Parteien hiergegen auf Rechtsmittel verzichten, so dass der Beschluss analog § 313a Abs. 2 ZPO keine Gründe zu enthalten braucht (str.; s. Rz. 59 ff.). – Auch im Falle eines gerichtlichen Vergleichs ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf 2,0 (Nr. 1222 Nr. 3 KV GKG). Voraussetzung ist allerdings, dass der Vergleich auch die Kostenregelung umfasst. Ein Vergleich in der Hauptsache reicht nicht aus, wenn das Gericht dann noch über die Kosten entscheiden muss. – Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO führen ebenfalls zu einer Gebührenermäßigung (Nr. 1222 Nr. 4 KV GKG), wenn das Gericht entweder keine Kostenentscheidung treffen muss oder zwar eine Kostenentscheidung treffen muss, diese aber eine Einigung der Parteien oder einer Kostenübernahmeerklärung folgt. Verzichten die Parteien nach einem Beschluss nach § 91a ZPO auf Rechtsmittel, gilt wiederum Nr. 1222 Nr. 3 KV GKG. – Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich nach Nr. 1223 KV GKG auf 3,0, wenn das Urteil wegen Verzichts der Parteien nach § 313a Abs. 1 Satz 2 ZPO keine schriftliche Begründung zu enthalten braucht. Voraussetzung ist allerdings, dass hier nicht schon ein Teil- oder ein Grundurteil vorangegangen ist (Ausnahme Teilanerkenntnis oder Teilverzichtsurteil). Ebenso wenig darf ein nicht privilegierter Beschluss vorangegangen sein. Anderenfalls ist die Gebührenermäßigung ausgeschlossen. dd) Kombination mehrerer Gebührenermäßigungstatbestände Treffen Ermäßigungstatbestände nach Nr. 1222 KV GKG (Ermäßigung auf 2,0) und nach Nr. 1223 KV GKG (Ermäßigung auf 3,0) zusammen, so gilt insgesamt eine Ermäßigung auf 3,0 (Anm. zu 1223 KV GKG).
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c) Gehörsrüge Für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO entsteht eine Festgebühr iHv. 60 Euro 67 nur, wenn die Rüge in vollem Umfang verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 1700 KV GKG). Wird der Rüge ganz oder teilweise stattgegeben, ist das Verfahren gerichtsgebührenfrei. 5. Revision Im Revisionsverfahren fällt eine 5,0-Gebühr nach Nr. 1230 KV GKG an. Diese Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Revision oder die Klage zurückgenommen wird, bevor die Revisionsbegründung bei Gericht eingegangen ist (Nr. 1231 KV GKG).
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K
Praxistipp: Wird für die Revision um Prozesskostenhilfe nachgesucht, nachdem die Revision schon eingelegt ist, wird die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe wegen der Regel des § 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO idR erst ergehen, wenn die Frist zur Begründung der Revision abgelaufen ist. In diesem Fall empfiehlt es sich, im Falle der Verweigerung der Prozesskostenhilfe, die Revision zurückzunehmen, um in den Genuss der Ermäßigung der Nr. 1231 KV GKG zu kommen.
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Ist das Rechtsmittel begründet, kommt nur noch eine Ermäßigung nach Nr. 1232 KV GKG in Betracht. Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich dann auf 3,0. Es gilt hier das Gleiche wie bei den vergleichbaren Ermäßigungstatbeständen im Berufungsverfahren nach Nr. 1222 KV GKG (s. Rz. 65 ff.).
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Kap. 44 Rz. 71
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71 Auch für das Revisionsverfahren gilt, dass mehrere Ermäßigungstatbestände zusammentreffen können (Anm. zu Nr. 1232 KV GKG). Im Gegensatz zum Berufungsverfahren ist eine Gebührenermäßigung nach Erlass des Revisionsurteils nicht mehr möglich. 6. Verfahren über die Zulassung der Sprungrevision
72 Im Verfahren über die Zulassung der Sprungrevision entsteht nach Nr. 1240 KV GKG eine 1,5-Verfahrensgebühr, soweit der Antrag abgelehnt wird. Wird der Antrag zurückgenommen oder das Verfahren anderweitig erledigt, reduziert sich die Gebühr auf 1,0 nach Nr. 1241 KV GKG. Wird dem Antrag auf Zulassung der Sprungrevision stattgegeben, fallen keine Gerichtsgebühren an (Anm. zu Nr. 1241 KV GKG); die Gerichtsgebühren richten sich dann nach den Vorschriften des Revisionsverfahrens. 7. Nichtzulassungsbeschwerde
73 Wird die Revision nicht zugelassen und hiergegen Nichtzulassungsbeschwerde geführt, entsteht eine 2,0-Gebühr, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 1242 KV GKG). Wird die Beschwerde zurückgenommen oder erledigt sich das Verfahren anderweitig, reduziert sich die Gebühr nach 1243 KV GKG auf 1,0. Wird der Beschwerde stattgegeben, entsteht keine Gebühr (Anm. zu Nr. 1243 KV GKG). Der Zulassungsbeschluss löst die Gebühren des Revisionsverfahrens aus (s. dazu Rz. 68 ff.). 8. Allgemeine Beschwerdeverfahren
74 Soweit nicht für bestimmte Beschwerden besondere Vorschriften im KV GKG enthalten sind, gelten für das Beschwerdeverfahren die Nrn. 1810 ff. KV GKG. – Für Beschwerden nach §§ 71 Abs. 2, 93a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 5 oder § 494a Abs. 2 Satz 2 ZPO wird gem. Nr. 1810 KV GKG eine Festgebühr iHv. 90 Euro erhoben, und zwar unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Die Gebühr ermäßigt sich nach Nr. 1811 KV GKG auf 60 Euro, wenn das Verfahren endet, ohne dass eine Entscheidung ergeht. – In sonstigen Beschwerdeverfahren, die nicht nach anderen Vorschriften gebührenfrei sind, wird eine Festgebühr iHv. 60 Euro erhoben, jedoch nur, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 1812 KV GKG). Bei erfolgreicher Beschwerde ist das Verfahren gebührenfrei. Wird die Beschwerde teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht nach seinem Ermessen die Gebühr auf die Hälfte ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist (Anm. zu Nr. 1812 KV GKG). 9. Rechtsbeschwerden
75 Im Verfahren über nicht in besonderen Vorschriften geregelte Rechtsbeschwerden richten sich die Gerichtsgebühren nach den Nr. 1820 ff. KV GKG. – Im Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wurde (§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO) entsteht eine 2,0-Gebühr (Nr. 1820 KV GKG). Diese ermäßigt sich auf 1,0, wenn sich das Verfahren durch Rücknahme der Rechtsbeschwerde erledigt, bevor eine Begründung eingereicht worden ist (Nr. 1822 KV GKG). Dem steht es gleich, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären und das Gericht keine Kostenentscheidung treffen muss oder die Kostenentscheidung einer Vereinbarung oder Kostenübernahmeerklärung folgt (Anm. zu Nr. 1822 KV GKG). – Für Rechtsbeschwerden in den Fällen des §§ 71 Abs. 1, 91a Abs. 1, 99 Abs. 2, 269 Abs. 4, 494a Abs. 2 Satz 2 oder 516 Abs. 3 ZPO wird eine Festgebühr iHv. 180 Euro erhoben (Nr. 1823 KV GKG). Auch diese Gebühr ermäßigt sich – hier auf 60 Euro, wenn sich das Verfahren durch Rück874
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Rz. 81 Kap. 44
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nahme der Rechtsbeschwerde erledigt, bevor eine Begründung eingereicht worden ist (Nr. 1824 KV GKG); bei einer späteren Rücknahme nach Nr. 1825 KV GKG auf 90 Euro. – Im Verfahren über nicht besonders aufgeführte Rechtsbeschwerden, die nicht nach anderen Vorschriften gebührenfrei sind, wird wiederum eine Festgebühr erhoben, und zwar nach Nr. 1826 KV GKG iHv. 120 Euro, jedoch nur, wenn die Rechtsbeschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Wird die Rechtsbeschwerde nur teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht die Gebühr nach billigem Ermessen auf die Hälfte, also auf 60 Euro, ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist (Anm. zu Nr. 1826 KV GKG). Eine Reduktion auf 60 Euro erfolgt gem. Nr. 1827 KV GKG ebenfalls, wenn das gesamte Verfahren durch Zurücknahme der Rechtsbeschwerde, des Antrags oder der Klage vor Ablauf des Tages, an dem die Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird, beendet wird. 10. Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren a) Erstinstanzliches Verfahren aa) Umfang der Angelegenheit In Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren richten sich die Gerichtsgebühren nach den Nrn. 1410 ff. KV GKG. Jedes Arrest- oder Verfügungsverfahren ist eine eigene Angelegenheit und löst die Gerichtsgebühren gesondert aus. Dies gilt auch für Verfahren über den Antrag auf Anordnung eines Arrests- und einer einstweiligen Verfügung sowie für Verfahren über den Antrag auf Aufhebung oder Abänderung (§§ 926 Abs. 2, 927, 936 ZPO). Auch hier werden die Gebühren gesondert erhoben (Vorbem. 1.4. Satz 1 KV GKG). Im Fall des § 942 ZPO gilt allerdings das Verfahren vor dem Amtsgericht und dem Gericht der Hauptsache als ein Rechtsstreit, so dass hier die Gebühren nur einmal entstehen.
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bb) Verfahrensgebühr Für das Verfahren entsteht zunächst nach Nr. 1410 KV GKG eine 1,5-Gebühr. Diese Gebühr fällt bereits mit der Einreichung des Antrags an, nicht erst mit Erlass der Entscheidung oder mit der Zustellung der Antragsschrift (OLG München MDR 1998, 63).
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cc) Ermäßigungstatbestände Die Verfahrensgebühr reduziert sich nach Nr. 1411 Nr. 1 KV GKG auf 1,0, wenn der Antrag vor 78 Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird. Ebenso ermäßigt sich die Gebühr im Fall des Erlasses eines Anerkenntnis- oder Verzichtsurteils oder eines Urteils, das nach § 313a Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe zu enthalten braucht (Nr. 1411 Nr. 2 KV GKG). Gleiches gilt für einen Beschluss nach § 91a ZPO, der nach § 313a Abs. 2 ZPO infolge Rechtsmittelverzicht ohne Gründe ergehen kann.
79
Darüber hinaus ermäßigt sich die Verfahrensgebühr auf 1,0, wenn die Parteien einen Vergleich schließen, wobei dieser Vergleich auch die Kostenregelung mit erfassen muss (Nr. 1411 Nr. 3 KV GKG). Ebenso führt die übereinstimmend erklärte Erledigung der Hauptsache zu einer Ermäßigung auf 1,0, wenn der Beschluss nach § 91a ZPO keine Kostenentscheidung zu enthalten braucht oder die Kostenentscheidung einer Einigung der Parteien oder Übernahmeerklärung einer der Parteien folgt (Nr. 1411 Nr. 4 KV GKG).
80
Voraussetzung für die Gebührenermäßigung in allen Fällen der Nr. 1411 KV GKG ist, dass kein Beschluss nach § 922 Abs. 1 ZPO ggf. iVm. § 936 ZPO oder ein anderes als eines der in Nr. 1411 Ziff. 2 KV GKG genannten Urteile vorausgegangen ist.
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Schneider 875
Kap. 44 Rz. 82
Gerichtskosten
M 44.6
ZPO
dd) Erhöhung der Verfahrensgebühr
82 Wird durch Urteil entschieden oder ergeht ein Beschluss nach § 91a ZPO oder nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, der nicht unter den Gebührentatbestand der Nr. 1411 KV GKG fällt, so erhöht sich die Verfahrensgebühr der Nr. 1410 KV GKG auf 3,0 (Nr. 1412 KV GKG). Die Erhöhung der Gebühr ist nur nach dem Wert zu berechnen, auf den sich die Entscheidung bezieht (Wortlaut der Nr. 1412 KV GKG). Wird also der Antrag auf Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung teilweise zurückgenommen oder wird gegen einen Arrest- oder Verfügungsbeschluss nur teilweise Widerspruch eingelegt, so kommt es zu Stufenstreitwerten.
83 M 44.6 Abrechnung bei Teilwiderspruch A beantragt, dem B aufzugeben, mehrere rufschädigende Äußerungen zu unterlassen (Gesamtwert 10.000 Euro). Das Gericht ordnet mündliche Verhandlung an. A nimmt daraufhin den Antrag teilweise zurück und verlangt nur noch die Unterlassung einer Äußerung (Wert 3.000 Euro). 1,0-Gebühr, 1410, 1411 KV GKG (Wert 7.000 Euro) 3,0-Gebühr, 1412 KV GKG (Wert 3.000 Euro) Gesamt
184 Euro 324 Euro 508 Euro
b) Berufung
84 Im Verfahren über die Berufung in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren entsteht für das Verfahren im Allgemeinen zunächst eine 4,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 1420 KV GKG. Sofern das Verfahren durch Rücknahme der Berufung, Antragsrücknahme oder Rücknahme des Widerspruchs endet, bevor die Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen ist, ermäßigt sich die Gebühr nach Nr. 1421 KV GKG auf 1,0. Gleiches gilt, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären und das Gericht keine Kostenentscheidung zu erlassen braucht oder die Kostenentscheidung einer Kostenvereinbarung oder der Kostenübernahmeerklärung einer Partei folgt (Anm. zu Nr. 1421 KV GKG). Nach erfolgter Berufungsbegründung kommt nur noch eine Ermäßigung auf 2,0 in Betracht (Nr. 1422 KV GKG). Es gilt hier das Gleiche wie bei der Berufung im Erkenntnisverfahren (s. Rz. 62 ff.). Ebenso wie im Erkenntnisverfahren ist auch eine Reduzierung nach Erlass des Berufungsurteils noch möglich, wenn die Parteien nach § 313a Abs. 1 Satz 2 ZPO auf Gründe verzichten und nicht bereits ein anderes als eines der in Nr. 1422 Nr. 2 KV GKG genannten Urteile mit schriftlicher Begründung oder ein Versäumnisurteil vorausgegangen ist (Nr. 1423 KV GKG). Siehe hierzu Rz. 65. c) Beschwerde
85 Wird der Erlass des beantragten Arrestbeschlusses oder der einstweiligen Verfügung durch Beschluss zurückgewiesen, so ist hiergegen die sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO gegeben. Im Beschwerdeverfahren entsteht nach Nr. 1430 KV GKG eine 1,5-Verfahrensgebühr. Diese Gebühr ermäßigt sich, wenn die Beschwerde zurückgenommen wird und sich damit das Verfahren erledigt. Es wird dann nach Nr. 1431 KV GKG nur eine 1,0-Gebühr erhoben. 11. Verfahren nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren a) Erstinstanzliches Verfahren vor dem OLG
86 In den Verfahren vor dem OLG entsteht eine Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen, die sich auf 4,0 beläuft (Nr. 1212 KV GKG). Die Gebühr ermäßigt sich nach Nr. 1213 KV GKG auf einen Gebührensatz von 2,0, wenn sich das gesamte Verfahren erledigt durch
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Schneider
Gerichtskosten
Rz. 94 Kap. 44
1. rechtzeitige Zurücknahme der Klage,
ZPO
2. Anerkenntnisurteil, Verzichtsurteil oder Urteil, das nach § 313a Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthält, 3. gerichtlichen Vergleich oder 4. Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO, wenn keine Entscheidung über die Kosten ergeht oder die Entscheidung einer zuvor mitgeteilten Einigung der Parteien über die Kostentragung oder der Kostenübernahmeerklärung einer Partei folgt. Ausgeschlossen ist die Ermäßigung, wenn ein nicht privilegiertes Urteil (etwa Versäumnisurteil oder Grundurteil) vorausgegangen ist.
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b) Erstinstanzliches Verfahren vor dem BGH Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem BGH ist für das Verfahren im Allgemeinen durchweg eine 5,0-Gebühr vorgesehen (Nr. 1214 KV GKG). Diese Gebühr ermäßigt sich nach Nr. 1215 KV GKG unter den gleichen Voraussetzungen wie in erster Instanz, und zwar auf 3,0.
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c) Revisionsverfahren/Nichtzulassungsbeschwerde Im Verfahren über eine Revision oder eine Nichtzulassungsbeschwerde entstehen die Gebühren wie in den allgemeinen Verfahren.
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III. Gerichtskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren Durch das KostRModG sind die bisherigen Regelungen des ArbGG und des dortigen Gebührenverzeichnisses in das GKG als Teil 8 KV GKG eingearbeitet worden.
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1. Mahnverfahren a) Gebühr Für das Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides ist keine Gerichtsgebühr vorgesehen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Im Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides oder eines Europäischen Zahlungsbefehls fällt dagegen nach Nr. 8100 KV GKG eine 0,4-Gebühr an, mindestens 26 Euro. Unerheblich ist, ob das Mahnverfahren einen höheren Wert hatte. Es kommt alleine auf den Wert des Antrags auf Erlass des Vollstreckungsbescheides an.
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b) Wegfall der Gebühr bei Antragsrücknahme Wird der Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides zurückgenommen, bevor dieser erlassen ist, entfällt die Gebühr wieder (Anm. Satz 1 zu Nr. 8100 KV GKG).
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2. Erstinstanzliches Verfahren a) Gebühr Im erstinstanzlichen Verfahren wird eine 2,0-Gebühr nach Nr. 8210 KV GKG erhoben.
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Die 2,0-Gebühr entsteht mit Einreichung der Klage. Ist ein Vollstreckungsbescheid vorausgegan- 94 gen, so entsteht die Gebühr mit Eingang der Akten bei Gericht (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Anm. zu Nr. 8210 KV GKG). Die für den Vollstreckungsbescheid angefallene 0,4-Gebühr wird dann angerechSchneider 877
ZPO
Kap. 44 Rz. 95
Gerichtskosten
net (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Anm. zu Nr. 8210 KV GKG), so dass im Regelfall nur noch eine weitere 1,6-Gebühr erhoben wird. Liegt der Streitwert des Klageverfahrens über dem Wert des Vollstreckungsbescheides, wird auch insoweit die 2,0-Gebühr erhoben und eine 0,4-Gebühr nach dem geringeren Wert des Vollstreckungsbescheids angerechnet. b) Wegfall der Gebühr bei gerichtlichem Vergleich
95 Endet das Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich, entfällt die 2,0-Gebühr (Vorbem. 8 Satz 1 Halbs. 1 KV GKG). Das gilt auch dann, wenn zuvor ein Vollstreckungsbescheid ergangen war (Vorbem. 8 Satz 1 Halbs. 2 KV GKG); in diesem Fall entfällt nachträglich auch die 0,4-Gebühr. Voraussetzung ist lediglich, dass sich das gesamte Verfahren durch den gerichtlichen Vergleich erledigt. Ein Teilvergleich reicht nicht aus (Vorbem. 8 Satz 2 KV GKG). Ebenso wenig reicht es aus, dass sich die Parteien nur in der Hauptsache vergleichen und die Kostenentscheidung dem Gericht überlassen. c) Wegfall der Gebühr bei Beendigung vor streitiger Verhandlung
96 Darüber hinaus entfällt die Gebühr gem. Abs. 2 zu Nr. 8210 KV GKG, wenn sich das gesamte Verfahren ohne streitige Verhandlung erledigt. Da die Gebührenermäßigung nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 8210 KV GKG möglich ist, solange noch keine streitige Verhandlung stattgefunden hat, kann die Ermäßigung also auch noch nach dem Sühnetermin eintreten. Die Erörterung der Parteien im Sühnetermin hindert nicht die Gerichtskostenermäßigung nach Abs. 2 zu Nr. 8210 KV GKG. Die Ermäßigung ist solange möglich, als noch keine streitigen Anträge gestellt worden sind.
97 K
Wichtig: Ist bereits ein Versäumnisurteil ergangen, so ist eine Gebührenermäßigung nicht mehr möglich gem. Anm. zu Nr. 8210 Abs. 2 Satz 1 aE KV GKG, wobei in Nr. 8210 KV GKG allerdings nur das Versäumnisurteil gegen die Beklagten gemeint sein dürfte; nicht auch das gegen den Kläger (str. s. Rz. 59).
98 Nach Abs. 2 Anm. zu Nr. 8210 KV GKG ermäßigt sich die 2,0-Gerichtsgebühr, wenn sich das Verfahren insgesamt erledigt. Hierzu zählen – die Rücknahme der Klage vor Stellung der streitigen Anträge, – die Rücknahme des Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid, – die Rücknahme des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid, – ein Anerkenntnisurteil (gegebenenfalls im schriftlichen Verfahren), – ein Verzichtsurteil (gegebenenfalls im schriftlichen Verfahren), – übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien, sofern sie dabei auch eine Kostenregelung treffen, so dass das Gericht entweder keine Kostenentscheidung treffen muss oder lediglich die von den Parteien einvernehmlich vorgeschlagene Kostenregelung zu übernehmen braucht. d) Ermäßigung der Gerichtsgebühr nach streitiger Verhandlung
99 Nach streitiger Verhandlung kommt nur noch eine Ermäßigung der Gerichtsgebühr auf 0,4 nach Nr. 8211 KV GKG in Betracht.
100 K
Wichtig: Auch hier gilt, dass nach Erlass eines Versäumnisurteils eine Gebührenermäßigung nicht mehr möglich ist. Allerdings dürfte wiederum nur das Versäumnisurteil gegen den Beklagten gemeint sein, nicht auch gegen den Kläger (s. Rz. 97).
101 Die Ermäßigung tritt zum einen bei Rücknahme der Klage vor Schluss der mündlichen Verhandlung ein, sofern das Gericht keine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO treffen muss
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Schneider
Gerichtskosten
Rz. 108 Kap. 44
ZPO
oder wenn es bei der Kostenentscheidung auf eine zuvor mitgeteilte Einigung der Parteien oder die Kostenübernahmeerklärung einer Partei zurückgreifen kann (Nr. 8211 Nr. 1 KV GKG). Nach der Anm. zu Nr. 8211 KV GKG steht es der Klagerücknahme gleich, wenn der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zurückgenommen wird. Das Gleiche soll gelten, wenn der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens oder der Widerspruch gegen den Mahnbescheid zurückgenommen wird, wobei der Gesetzgeber hier offenbar übersehen hat, dass nach streitiger Verhandlung die Rücknahme des Widerspruchs nicht mehr möglich ist (§§ 697 Abs. 4, 696 Abs. 4 ZPO). Darüber hinaus ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf 0,4, wenn das Verfahren durch Erlass eines An- 102 erkenntnis- oder Verzichtsurteils endet (Nr. 8211 Nr. 2 KV GKG). Gleiches gilt, wenn gegen ein Urteil oder einen Kostenbeschluss (OLG München AGS 2004, 33 = OLGR 2003, 352 m. Anm. N. Schneider; LG Bonn AGS 2004, 80 m. Anm. N. Schneider; AG Siegburg AGS 2004, 204) nach § 91a ZPO, § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO gem. § 313a Abs. 2 Satz 2 ZPO auf Rechtsmittel verzichtet wird (Nr. 8211 Nr. 2 KV GKG). Darüber hinaus tritt eine Ermäßigung auf eine 0,4-Gebühr ein, wenn die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklären und sie sich auch über die Kostenlast einigen oder eine der Parteien erklärt, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen (Nr. 8211 Nr. 3 KV GKG).
K
Wichtig: Ausgeschlossen ist die Gerichtskostenermäßigung, wenn zuvor ein nicht privilegiertes 103 Urteil ergangen ist, also ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten, ein streitiges Teil- oder Grundurteil. In diesem Fall kommt eine Gerichtskostenermäßigung nicht mehr in Betracht. Handelt es sich dagegen um ein privilegiertes Urteil, so hindert dies die Gebührenermäßigung nicht. Ist also ein Teilverzichtsurteil, ein Teilanerkenntnisurteil oder ein Versäumnisurteil gegen den Kläger vorangegangen, so bleibt den Parteien die Option der Gerichtskostenermäßigung nach Nr. 8211 KV GKG weiterhin erhalten.
Klargestellt ist, dass die Ermäßigung auch dann eintritt, wenn mehrere Ermäßigungstatbestände nach Nr. 8211 KV GKG zusammentreffen.
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3. Gehörsrüge Im Verfahren über die Rüge wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 321a ZPO) wird nach Nr. 8500 KV GKG eine Festgebühr iHv. 50 Euro erhoben, sofern die Rüge in vollem Umfang verworfen oder zurückgewiesen wird. Wird der Rüge ganz oder teilweise stattgegeben, ist das Verfahren gerichtsgebührenfrei. Hinsichtlich der Höhe der Gebühr wird nicht danach differenziert, ob die Rüge in erster oder zweiter Instanz erhoben wird. Die Festgebühr ist in allen Instanzen dieselbe.
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4. Berufung Im Berufungsverfahren entsteht eine 3,2-Gebühr nach Nr. 8220 KV GKG.
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Endet das Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich, so entfällt auch hier die Gerichtsgebühr (Vorbem. 8 Satz 1 Halbs. 1 KV GKG). Voraussetzung ist wiederum, dass sich das gesamte Verfahren durch den gerichtlichen Vergleich erledigt. Ein Teilvergleich reicht nicht aus. Ebenso wenig reicht es aus, dass sich die Parteien nur in der Hauptsache vergleichen und die Kostenentscheidung dem Gericht überlassen.
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Wird die Berufung oder die Klage zurückgenommen, bevor die Berufung begründet worden ist, so 108 ermäßigt sich die 3,2-Gerichtsgebühr gem. Nr. 8221 KV GKG auf eine 0,8-Gebühr. Auch hier steht die übereinstimmende Erledigung des Rechtsstreits der Rücknahme gleich, sofern das Gericht keine streitige Kostenentscheidung treffen muss, also soweit das Gericht auf eine Einigung der Parteien über die Kosten zurückgreifen kann oder auf eine Kostenübernahmeerklärung einer Partei.
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Kap. 44 Rz. 109
Gerichtskosten
ZPO
109 Ebenso wie in erster Instanz ist eine weitere Gebührenermäßigung vorgesehen. Nach Nr. 8222 KV GKG ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf eine 1,6-Gebühr, wenn das Verfahren (nach Begründung der Berufung – arg. e Nr. 8221 KV GKG) endet durch – Rücknahme der Berufung oder der Klage vor Schluss der mündlichen Verhandlung (Nr. 8222 Nr. 1 KV GKG), – Anerkenntnis oder Verzichtsurteil oder wenn das Urteil nach § 313a Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthalten muss (Nr. 8222 Nr. 2 KV GKG), oder – übereinstimmende Erledigungserklärung mit Einigung über die Kosten oder Kostenübernahmeerklärung einer Partei (Nr. 8222 Nr. 3 KV GKG).
110 Ebenso gilt auch hier, dass bei Zusammentreffen mehrerer Ermäßigungstatbestände die Gebührenermäßigung eintritt.
111 K
Wichtig: Eine Gerichtskostenermäßigung ist ausgeschlossen, wenn ein nicht privilegiertes Urteil vorausgegangen ist, etwa ein Versäumnisurteil gegen den Berufungsbeklagten oder ein streitiges Teilurteil.
112 Auch nach einem Berufungsurteil können sich die Gerichtsgebühren noch ermäßigen, nämlich dann, wenn die Parteien auf Rechtsmittel verzichten und das Urteil nach § 313a Abs. 1 Satz 2 ZPO keine schriftliche Begründung zu enthalten braucht. Die Gerichtsgebühren ermäßigen sich hier auf eine 2,4-Gebühr (Nr. 8223 KV GKG). Ausgeschlossen ist die Ermäßigung wiederum, wenn ein nicht privilegiertes Urteil oder ein Beschluss vorausgegangen ist. Die Ermäßigung tritt auch dann ein, wenn in Kombination verschiedene Ermäßigungstatbestände zusammentreffen. Es gilt dann die geringere Ermäßigung. 5. Revisionsverfahren
113 Der Aufbau der Gebühren im Revisionsverfahren entspricht dem des Berufungsverfahrens. Hier entsteht zunächst einmal nach Nr. 8230 KV GKG eine 4,0-Gebühr.
114 Endet das Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich, so entfällt auch hier die Gerichtsgebühr (Vorbem. 8 KV GKG). Es gilt das Gleiche wie im Berufungsverfahren.
115 Wird die Revision oder die Klage zurückgenommen, bevor die Revision begründet worden ist, ermäßigt sich die 4,0-Gerichtsgebühr auf eine 0,8-Gebühr nach Nr. 8231 KV GKG. Gleiches gilt, wenn die Parteien vor Begründung der Revision den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären und das Gericht auf eine Kosteneinigung der Parteien oder eine Kostenübernahmeerklärung einer Partei zurückgreifen kann.
116 Darüber hinaus ermäßigt sich die 4,0-Gerichtsgebühr nach Nr. 8232 KV GKG auf eine 2,4-Gebühr, wenn die Revision oder Klage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird (Nr. 8232 Nr. 1 KV GKG). Gleiches gilt, wenn das Verfahren durch ein Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil endet (Nr. 8232 Nr. 2 KV GKG). Die Gerichtskostenermäßigung auf eine 2,4-Gebühr tritt auch dann ein, wenn der Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt wird und das Gericht keine Kostenentscheidung treffen muss oder auf eine Kosteneinigung der Parteien oder eine Kostenübernahmeerklärung einer Partei zurückgreifen kann (Nr. 8232 Nr. 3 KV GKG). Ausgeschlossen ist die Gerichtskostenermäßigung, wenn ein nicht privilegiertes Urteil bereits vorausgegangen ist. Es gilt wiederum, dass bei Zusammentreffen mehrerer Ermäßigungstatbestände die Gebührenermäßigung ebenso eintritt.
117 Eine Gebührenermäßigung nach Erlass des Revisionsurteils kommt im Gegensatz zur Berufungsinstanz (Nr. 8223 KV GKG) nicht in Betracht, da gegen ein Revisionsurteil kein Rechtsmittel zulässig ist und folglich ein Rechtsmittelverzicht nicht in Betracht kommt. 880
Schneider
M 44.7
Gerichtskosten
Rz. 126 Kap. 44
a) Überblick In Verfahren über den Antrag auf Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung werden die Gerichtskosten gesondert erhoben (Vorbem. 8.3 Satz 1 KV GKG). Es entstehen die Gebühren nach den Nrn. 8310 ff. KV GKG.
118
Schließt sich an ein Arrest- oder Verfügungsverfahren später ein Verfahren auf Aufhebung oder Ab- 119 änderung nach § 926 Abs. 2 ZPO bzw. §§ 927, 936 ZPO an, entstehen in diesem Verfahren die Gerichtsgebühren erneut (Vorbem. 8.3 Satz 1 KV GKG). Im Fall des § 942 ZPO gilt das Verfahren vor dem angerufenen Gericht und dem Gericht der Hauptsache als ein Rechtsstreit, so dass die Gebühren nur einmal entstehen (Vorbem. 8.3 Satz 2 KV GKG).
120
b) Erster Rechtszug Vorgesehen ist nach Nr. 8310 KV GKG eine Verfahrensgebühr iHv. 0,4.
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Ergeht ein Urteil oder ein Beschluss nach § 91a ZPO oder nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, erhöht sich die Gebühr auf 2,0 (Nr. 8311 KV GKG).
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Davon gelten folgende Ausnahmen:
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– Wenn die Parteien in den vorgenannten Fällen (s. Rz. 122) dem Gericht eine Kostenregelung mitteilen oder eine Partei erklärt, die Kosten zu übernehmen, bleibt es bei der 0,4-Gebühr. – Gleiches gilt, wenn durch Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil entschieden wird oder durch ein Urteil, das nach § 313a Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthalten muss. – Ebenso unterbleibt eine Erhöhung der Verfahrensgebühr, wenn ein Teilvergleich vorangegangen ist (Vorbem. 8 KV GKG) und sich das Verfahren im Übrigen durch einen der vorgenannten Ausnahmetatbestände erledigt (Anm. zu Nr. 8311 KV GKG). Voraussetzung ist auch in diesem Zusammenhang, dass nicht bereits eine nicht privilegierte Entscheidung, also ein Teilurteil oder ein Beschluss in der Hauptsache vorausgegangen ist.
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Bei einem Teilwiderspruch können Stufenstreitwerte anfallen.
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M 44.7 Einstweiliges Verfügungsverfahren – beschränkter Widerspruch
126
Der Antragsteller beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen dreier Wettbewerbsverstöße. Der Streitwert wird für jeden Verstoß auf 20.000 Euro festgesetzt. Der Gesamtwert beläuft sich auf 60.000 Euro. Der Antragsgegner erhebt gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch, aber beschränkt auf eine Unterlassungsverfügung. Der Wert des weiteren Verfahrens bemisst sich folglich lediglich auf 20.000 Euro. 1. 2. 3.
0,4-Gebühr, Nr. 8310 KV GKG (Wert 60.000 Euro) 2,0-Gebühr, Nr. 8311 KV GKG (Wert 20.000 Euro) abzüglich bereits hieraus berechneter 0,4 nach Nr. 8310 KV GKG aus 20.000 Euro Gesamt
266,40 Euro 690,00 Euro – 138,00 Euro 818,40 Euro
Schneider 881
ZPO
6. Arrest und einstweilige Verfügung
Kap. 44 Rz. 127
Gerichtskosten
ZPO
127 Wird das Verfahren durch einen Vergleich beendet, so entfällt die Verfahrensgebühr nachträglich (Vorbem. 8 KV GKG), und zwar sowohl die 0,4-Gebühr nach Nr. 8310 KV GKG als auch die 2,0-Gebühr nach Nr. 8311 KV GKG. c) Berufung
128 Für das Berufungsverfahren im Allgemeinen entsteht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 8320 KV GKG iHv. 3,2.
129 Wird das Verfahren durch einen Vergleich beendet, so entfällt die Verfahrensgebühr nachträglich (Vorbem. 8 KV GKG).
130 Endet das Verfahren durch Rücknahme – der Berufung, – des Verfügungs- oder Arrestantrages oder – des Widerspruchs, bevor die Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen ist, ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf 0,8 (Nr. 8321 KV GKG).
131 Das Gleiche gilt, wenn die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklären und sich auch über die Kosten einigen oder eine Partei die Kosten übernimmt oder wenn der Beschluss gem. § 313a Abs. 2 ZPO analog keine Begründung zu enthalten braucht (Anm. zu Nr. 8321 KV GKG).
132 Nach Berufungsbegründung kommt eine Ermäßigung nur noch gem. Nr. 8322 KV GKG in Betracht. Danach ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf 1,6, wenn das Verfahren endet durch Zurücknahme – der Berufung oder – des Verfügungs- oder Arrestantrags vor Schluss der mündlichen Verhandlung, – Anerkenntnis- oder – Verzichtsurteil oder – ein Urteil, das nach § 313a Abs. 2 ZPO keine Entscheidungsgründe zu enthalten braucht.
133 Darüber hinaus ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf 1,6, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären und sich über die Kosten einigen oder eine Partei die Kosten übernimmt oder wenn der Beschluss nach § 313a Abs. 2 ZPO analog keine Begründung zu enthalten braucht. Ebenso ermäßigt sich die Gerichtsgebühr auf 1,6, wenn das Verfahren durch ein Versäumnisurteil gegen den Berufungskläger endet.
134 Im Berufungsverfahren kommt eine Ermäßigung nach Erlass des Urteils – im Gegensatz zum Erkenntnisverfahren – nicht mehr in Betracht. d) Beschwerdeverfahren
135 Wird gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Anordnung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung Beschwerde erhoben, so wird hierfür eine 1,2-Verfahrensgebühr abgerechnet (Nr. 8330 KV GKG).
882
Schneider
Rz. 146 Kap. 44
Vergleichen sich die Parteien im Beschwerdeverfahren, entfällt die Verfahrensgebühr nachträglich wieder (Vorbem. 8 KV GKG).
136
Wird die Beschwerde zurückgenommen, ermäßigt sich die verfahrensgebühr nach Nr. 8331 KV GKG auf eine 0,8-Gebühr.
137
7. Selbständiges Beweisverfahren Im selbständigen Beweisverfahren wird eine Verfahrensgebühr iHv. 0,6 erhoben (Nr. 8400 KV GKG).
138
Vergleichen sich die Parteien im Beschwerdeverfahren, entfällt die Gebühr nachträglich wieder (Vorbem. 8 KV GKG).
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Ein Ermäßigungstatbestand ist im selbständigen Beweisverfahren nicht vorgesehen. Ebenso wenig existiert eine Anrechnungsvorschrift. Diese Gebühr entsteht also neben den Gerichtsgebühren des Hauptsacheverfahrens.
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8. Sonstige Beschwerden In Verfahren über Beschwerden nach §§ 71 Abs. 2, 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 5 ZPO oder § 494a 141 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird eine Festgebühr iHv. 70 Euro erhoben (Nr. 8610 KV GKG), und zwar unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. 9. Nichtzulassungsbeschwerde Im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wird eine 1,6-Verfahrensgebühr erhoben, soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 8612 KV GKG).
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Wird die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgenommen oder endet das Verfahren durch anderweitige Erledigung, reduziert sich die Gebühr der Nr. 8612 KV GKG nach Nr. 8613 KV GKG auf eine 0,8-Gebühr.
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Wird der Beschwerde dagegen stattgegeben, werden für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren 144 keine gesonderten Gerichtsgebühren erhoben (Anm. zu Nr. 8613 KV GKG). Die Tätigkeit wird dann durch die Gerichtsgebühren für das Revisionsverfahren abgegolten. 10. Rechtsbeschwerden nach §§ 71 Abs. 1, 91a Abs. 1, 99 Abs. 2, 269 Abs. 4, 494a Abs. 2 Satz 2 oder § 516 Abs. 3 ZPO In Verfahren über die Rechtsbeschwerde in den Fällen der §§ 71 Abs. 1, 91a Abs. 1, 99 Abs. 2, 269 145 Abs. 4, 494a Abs. 2 Satz 2 oder 516 Abs. 3 ZPO wird eine Festgebühr iHv. 145 Euro erhoben (Nr. 8620 KV GKG). Diese Gebühr ermäßigt sich unter den Voraussetzungen der Nrn. 8621–8622 auf 50 Euro bzw. 70 Euro. 11. Sonstige Rechtsbeschwerden In Verfahren über nicht besonders aufgeführte Rechtsbeschwerden, die nicht nach anderen Vor- 146 schriften gebührenfrei sind, wird eine Festgebühr iHv. 95 Euro erhoben, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 8623 KV GKG). Wird der Beschwerde stattgegeben, fallen keine Gerichtsgebühren an. Wird die Rechtsbeschwerde nur teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht nach billigem Ermessen die Festgebühr auf die Hälfte, also auf 47,50 Euro ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist (Anm. zu Nr. 8623 KV GKG).
Schneider 883
ZPO
Gerichtskosten
Kap. 44 Rz. 147
Gerichtskosten
ZPO
12. Sonstige Beschwerden
147 Für sonstige Beschwerden, die nicht gesondert aufgeführt und die auch nicht nach anderen Gebührenvorschriften gebührenfrei sind, entsteht nach Nr. 8614 KV GKG eine Festgebühr iHv. 50 Euro, sofern die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Wird die Beschwerde nur teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht die Gebühr auf die Hälfte ermäßigen, also auf 25 Euro oder von einer Erhebung der Gebühr ganz absehen (Anm. zu Nr. 8614 KV GKG). 13. Verfahren nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren a) Erstinstanzliches Verfahren vor dem LAG
148 In den Verfahren vor dem LAG entsteht eine Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen, die sich auf 4,0 beläuft (Nr. 8212 KV GKG). Die Gebühr ermäßigt sich nach Nr. 8213 KV GKG auf einen Gebührensatz von 2,0, wenn sich das gesamte Verfahren erledigt durch 1. rechtzeitige Zurücknahme der Klage, 2. Anerkenntnisurteil, Verzichtsurteil oder Urteil, das nach § 313a Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthält, 3. gerichtlichen Vergleich oder 4. Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO, wenn keine Entscheidung über die Kosten ergeht oder die Entscheidung einer zuvor mitgeteilten Einigung der Parteien über die Kostentragung oder der Kostenübernahmeerklärung einer Partei folgt.
149 Ausgeschlossen ist die Ermäßigung, wenn ein nicht privilegiertes Urteil (etwa Versäumnisurteil oder Grundurteil) vorausgegangen ist. b) Erstinstanzliches Verfahren vor dem BAG
150 Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem BAG ist für das Verfahren im Allgemeinen eine 5,0-Gebühr vorgesehen (Nr. 8214 KV GKG). Diese Gebühr ermäßigt sich unter den gleichen Voraussetzungen wie in erster Instanz, und zwar auf 3,0 (Nr. 8215 KV GKG). c) Revisionsverfahren/Nichtzulassungsbeschwerde
151 Im Verfahren über eine Revision oder eine Nichtzulassungsbeschwerde entstehen die Gebühren wie in den allgemeinen Verfahren. d) Vergleich
152 Im Falle des Abschlusses eines Vergleichs entfällt die Gebühr auch hier (Vorbem. 8 KV GKG).
IV. Gerichtsgebühren in der Zwangsvollstreckung 153 In der Zwangsvollstreckung sind Festgebühren vorgesehen (Nrn. 2110 ff. KV GKG). Diese Gebühren sind wertunabhängig. Auslagen, also auch Zustellungskosten, werden zusätzlich erhoben.
V. Verzögerungsgebühr 154 Wird nach § 38 GKG eine Gebühr wegen Verzögerung des Rechtsstreits erhoben, so ist eine 1,0 Gebühr zu verhängen, die allerdings auf 0,3 ermäßigt werden kann. Die Höhe des zu erhebenden Ge-
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Schneider
Gerichtskosten
Rz. 159 Kap. 44
ZPO
bührensatzes steht im Ermessen des Gerichts; er ist in den Beschluss aufzunehmen (s. Nrn. 1901, 8700 KV GKG).
VI. Auslagen Neben den Gerichtsgebühren werden Auslagen erhoben. Diese richten sich, und zwar auch in Arbeitsgerichtsverfahren, nach den Nrn. 9000 ff. KV GKG. Hier kommen insbesondere in Betracht:
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– Pauschalen für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten (Nr. 9000 KV GKG); – Zustellungskosten (Nr. 9002 KV GKG), wobei neben Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, Auslagen nur für mehr als zehn Zustellungen erhoben werden; – Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 KV GKG); – nach dem JVEG zu zahlende Beträge (Nr. 9005 KV GKG), also vor allem für Zeugen und Sachverständige.
VII. Prüfungspflichten des Anwalts – Rechtsbehelfe Zu den Beratungs- und Fürsorgepflichten des Anwalts gehört es, die Gerichtskostenrechnungen auf ihre Rechtmäßigkeit und Richtigkeit hin zu prüfen und den Mandanten über mögliche Rechtsbehelfe zu beraten sowie über die Konsequenzen, die ihm drohen können, wenn die angeforderten Zahlungen nicht erbracht werden (BGH NJW-RR 1989, 1109).
156
Checkliste: Überprüfung von Gerichtskostenrechnungen
157
l Ist der vom Gericht angesetzte Streitwert zutreffend? l Ist der angesetzte Gebührensatz richtig, insbesondere ist kein Ermäßigungstatbestand übersehen worden? l Ist der Mandant Schuldner der (gesamten) Kosten? l Bei einer Vorauszahlungsanforderung ist darüber hinaus zu prüfen: l Besteht für die angeforderten Kosten eine gesetzliche Vorauszahlungspflicht? l Ist der Mandant vorauszahlungspflichtig? Kommt der Anwalt danach zu dem Ergebnis, dass die Abrechnung des Gerichts unzutreffend ist, muss er den Mandanten darüber beraten, welche Möglichkeiten bestehen, hiergegen vorzugehen (s. dazu Rz. 156).
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Gegen den Kostenansatz kann nach § 66 Abs. 1 GKG Erinnerung eingelegt werden. Gegen die Ent- 159 scheidung über die Erinnerung ist die Beschwerde nach § 66 Abs. 2 GKG gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist. Gegen eine Entscheidung des Landgerichts als Beschwerdegericht ist die weitere Beschwerde zum OLG gegeben, wenn das Landgericht sie zulässt. Beschwerden – auch Rechtsbeschwerden – zu einem obersten Gericht des Bundes sind nicht statthaft.
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ZPO
Kap. 44 Rz. 160
Gerichtskosten
M 44.8
160 M 44.8 Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen die Gerichtskostenrechnung vom … Erinnerung ein. Begründung: Das Gericht hat zu Unrecht eine 3,0-Gebühr nach Nr. 1210 KV GKG abgerechnet. Abzurechnen ist lediglich eine 1,0-Gebühr, da hier die Ermäßigung nach Nr. 1211 Nr. 1a) KV GKG greift. Zutreffend ist wohl, dass die Klage erst nach der mündlichen Verhandlung vom … zurückgenommen worden ist. Dies steht hier der Anwendung der Nr. 1211 Nr. 1a) KV GKG nicht entgegen. Es kommt nicht auf den einzelnen Verhandlungstermin an. Maßgebend ist vielmehr der letzte Verhandlungstermin, auf den die abschließende Entscheidung hätte ergehen sollen. Im zugrunde liegenden Verfahren hätte das Gericht zur Frage der … noch Beweis erheben müssen. Damit wäre ein weiterer Verhandlungstermin erforderlich gewesen, so dass die Klagerücknahme damit noch rechtzeitig iS der Nr. 1211 Nr. 1a) KV GKG erfolgt ist (OLG München MDR 1997, 402). Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG); Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr (Nr. 3500 VV RVG).
161 M 44.9 Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich gegen die Entscheidung des LG vom … Beschwerde ein. Begründung: Das LG hat die Erinnerung gegen den Kostenansatz zu Unrecht zurückgewiesen. (Begründung wie M 44.8; gegebenenfalls weitere Begründung und Auseinandersetzung mit den Gründen der Erinnerung.) Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG). Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr (Nr. 3500 VV RVG).
162 M 44.10 Beschwerde gegen Vorauszahlungsanordnung nach § 67 GKG An das Amtsgericht – Mahnabteilung – In Sachen … / … (Kurzrubrum) lege ich namens des Antragsgegners gegen die Vorauszahlungsanforderung vom … Beschwerde ein.
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Schneider
M 44.11
Gerichtskosten
Rz. 165 Kap. 44
Begründung:
ZPO
Gegen den Antragsgegner ist unter dem … ein Mahnbescheid erlassen worden. Hiergegen habe ich in seinem Namen Widerspruch eingelegt und gleichzeitig gem. § 696 Abs. 1 ZPO die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss macht das Gericht die Abgabe der Sache an das Prozessgericht davon abhängig, dass der Antragsgegner weitere 2,5-Gerichtsgebühren vorauszahle. Hierfür besteht keine Grundlage. Vorschüsse dürfen nur in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen erhoben werden. Daran fehlt es. Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Satz 3 GKG sieht nur eine Vorauszahlungspflicht für den Antragsteller vor, nicht jedoch auch für den Antragsgegner (OLG Karlsruhe JurBüro 1995, 43). Dass der Antragsgegner durch seinen Streitantrag gem. § 22 Abs. 1 GKG zum Kostenschuldner wird, ist insoweit unerheblich. Hierdurch wird eine Vorauszahlungspflicht nicht begründet. Kosten: Gericht: gebührenfrei (§ 67 Abs. 1 Satz 2 GKG iVm. § 66 Abs. 8 Satz 2 GKG); Anwalt: 0,5-Gebühr (Nr. 3500 VV RVG).
Kommt der Anwalt zu dem Ergebnis, dass die Abrechnung des Gerichts zutreffend ist, muss er den 163 Mandanten über seine Zahlungspflicht belehren und ihn auf die Folgen hinweisen, die eintreten können, wenn Zahlungen nicht oder nicht rechtzeitig geleistet werden. Dies gilt insbesondere, wenn durch die Einzahlung der Gebührenvorauszahlung die alsbaldige Zustellung der Klage nach § 167 ZPO zur Fristwahrung (zB § 926 ZPO) oder Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB sichergestellt werden muss. Gleiches gilt, wenn die Nichteinzahlung eines Auslagenvorschusses andere rechtliche Folgen hat, so zB wenn etwa gem. § 379 ZPO die Ladung eines Zeugen unterbleibt. Unterlässt der Anwalt diese Belehrung, macht er sich ggf. schadensersatzpflichtig. Die Fürsorgepflicht des Anwalts geht nicht so weit, dass er Gerichtskosten selbst verauslagen muss. 164 Davor sollte sich der Anwalt – abgesehen vom unnötigen Buchungsaufwand – schon wegen des Risikos der Zahlungsunfähigkeit des Mandanten hüten. Der Anwalt hat lediglich dafür zu sorgen, dass dem Mandanten die umgehende Zahlung möglich ist, dass der Mandant also unverzüglich darüber informiert wird, welche Zahlungen und Vorschüsse er zu leisten hat. Ist der Mandant rechtsschutzversichert, genügt es, die Zahlung beim Versicherer anzufordern; auf eine Information des Mandanten kann dann verzichtet werden. Zu der ordnungsgemäßen Unterrichtung gehört es, dem Mandanten bzw. dem Rechtsschutzversicherer, die Kostenrechnung in Kopie zu übermitteln und ihn darüber zu belehren, wie er die Zahlung erbringen soll. Nach Möglichkeit sollte der Anwalt dem Mandanten das Konto der Gerichtskasse nochmals angeben oder zumindest mit einem Textmarker auf der Rechnung hervorheben, da hier anderenfalls erfahrungsgemäß häufig Fehler auftreten, etwa dass der Mandant auf das Anwaltskonto zahlt. Der Anwalt sollte auch auf jeden Fall darauf hinweisen, dass bei einer Zahlung unbedingt das gerichtliche Aktenzeichen anzugeben ist. Es ist keine Seltenheit, dass Mandanten anderenfalls kommentarlos den angeforderten Betrag an das Gericht überweisen, so dass dieser zunächst auf das Verwahrkonto gebucht wird und in der Sache nichts geschieht.
M 44.11 Schreiben an den Mandanten bei Anforderung einer
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Gerichtskostenvorauszahlung Sehr geehrte/r …, in Ihrer Sache gegen … übersende ich Ihnen als Anlage eine Kopie der Anforderung des Landgerichts über die von Ihnen vorauszuzahlenden Gerichtsgebühren. Ich bitte Sie, den ausgewiesenen Betrag iHv. … Euro unmittelbar auf das Konto der Gerichtskasse zu überweisen. Bitte, geben Sie unbedingt das Aktenzeichen als Verwendungszweck an.
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Kap. 44 Rz. 165
Gerichtskosten
M 44.11
ZPO
Das Gericht wird die Klage erst nach Eingang der Vorauszahlung zustellen. Im Hinblick auf den drohenden Ablauf der Verjährungsfrist muss die Vorauszahlung daher umgehend, spätestens bis zum … bei Gericht eingegangen sein. Anlage: Kopie Gerichtskostenrechnung
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ZPO
Zweiter Teil Zwangsvollstreckungsverfahren A. Vorbereitung, Hinweise Kapitel 45 Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfrage an das Schuldnerverzeichnis . . . . . 2. Anfrage an das Insolvenzgericht . . . . . . . . . M 45.1 Anfrage an das Insolvenzgericht . . . 3. Weitere Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teilvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nach dem Verkündungstermin . . . . . . . . . 1. Antrag auf Erteilung einer abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung . . . . . . . . . . . M 45.2 Antrag auf Erteilung einer abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung . . . . . . . . . . . . . . M 45.3 Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung . . . . . M 45.4 Antrag auf Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen bei mehreren Schuldnern . . . . . . . . . . . M 45.5 Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung unter Rückgabe einer unbrauchbar gewordenen Ausfertigung . . . . . . . . . 3. Aufforderung an den Schuldner . . . . . . . . . M 45.6 Schreiben an den Gegenanwalt . . . . M 45.7 Aufforderung an den Schuldner . . . III. Hinweispflichten des Anwalts . . . . . . . . . .
1 1 5 8 9 12 13 14 15 18 19 21
23 24 25 27 28
1. Hinweis auf drohende Insolvenz . . . . . . . . 2. Vorläufig vollstreckbarer Titel . . . . . . . . . . M 45.8 Schreiben an den Mandanten bei vorläufig vollstreckbarem Titel . . . . 3. Rechtskräftiger Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . M 45.9 Schreiben an den Mandanten mit der Bitte um Zustimmung zu Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . 4. Teilvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 45.10 Schreiben an den Mandanten bei Teilvollstreckung . . . . . . . . . . . . . 5. Vergleich im Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sofortmaßnahmen bei vorläufiger Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung . . 1. Einigung über besondere Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 45.11 Schreiben an den Gegenanwalt zwecks Einigung über die Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Änderung der gesetzlichen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Tod des Schuldners im Verlauf des Vollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . M 45.12 Antrag auf Bestellung eines besonderen Vertreters . . . . . . . . . . .
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I. Vorüberlegungen 1. Anfrage an das Schuldnerverzeichnis Die Zwangsvollstreckung ist nur sinnvoll, wenn vorher abgeklärt wird, auf welche vollstreckungsfähige Habe zugegriffen werden kann. Andernfalls entstehen vermeidbare Kosten. Zur Ermittlung möglicher Objekte der Zwangsvollstreckung dienen die Vermögensauskunft und die vom Gerichtsvollzieher einzuholenden Auskünfte (vgl. Kap. 47, 48). Für die vorrangige Entscheidung, ob überhaupt vollstreckt werden soll, bietet sich zunächst das klassische Mittel der Anfrage an das Schuldnerverzeichnis an.
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1
Kap. 45 Rz. 2
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
ZPO
2 Die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nach § 882c ZPO nimmt das zentrale Vollstreckungsgericht auf Anordnung des Gerichtsvollziehers (oder einer anderen zur Vollstreckung befugten Stelle) vor. Zentrale Vollstreckungsgerichte befinden sich bei den Amtsgerichten – Karlsruhe (Baden-Württemberg) – Hof (Bayern) – Berlin-Mitte (Berlin) – Nauen (Brandenburg) – Bremerhaven (Bremen) – Hamburg (Hamburg) – Hünfeld (Hessen) – Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) – Goslar (Niedersachsen) – Hagen (Nordrhein-Westfalen) – Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) – Saarbrücken (Saarland) – Zwickau (Sachsen) – Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt) – Schleswig (Schleswig-Holstein) – Meiningen (Thüringen)
3 Die Einsicht erfolgt über das Internet, wo sich der Nutzer zunächst registrieren lassen muss. Einzelheiten ergeben sich aus der Internetseite des zentralen Vollstreckungsportals www.vollstreckungs portal.de/zponf/allg/registrierungAuskunft.jsf.
4 Eine Abschrift der Vermögensauskunft erhält der Gläubiger nicht beim zentralen Vollstreckungsgericht, sondern nur über den Gerichtsvollzieher (vgl. M 47.4). 2. Anfrage an das Insolvenzgericht
5 Wegen des sich aus § 89 InsO ergebenden Vollstreckungsverbots (s. auch Kap. 95 Rz. 69 f.) ist zu überprüfen, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet ist. Weitere Informationen über nicht eröffnete, aufgehobene oder eingestellte Insolvenzverfahren sind ebenfalls einzuholen, weil sie Auskunft über die Zahlungsfähigkeit des Schuldners geben können. Vollständige Informationen über laufende Insolvenzverfahren sind im Internet unter www.insolvenzbekanntmachungen.de einzuholen. Dort veröffentlichen (seit dem 1.9.2005) alle Bundesländer – die Anordnung und Aufhebung von Sicherungsmaßnahmen durch das Gericht, – den Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, – die Entscheidung über die Aufhebung oder die Einstellung des Insolvenzverfahrens, – Beschlüsse über die Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters, des Treuhänders und der Mitglieder des Gläubigerausschusses, – Terminbestimmungen, – die Ankündigung der Restschuldbefreiung, 890
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M 45.1
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
Rz. 12 Kap. 45
– die Abweisung mangels Masse (ab 1.7.2007). Die Veröffentlichungen zu einem Verfahren werden spätestens 6 Monate nach der Aufhebung oder der Rechtskraft der Einstellung des Insolvenzverfahrens gelöscht. Wenn das Verfahren nicht eröffnet wurde, beginnt die Frist mit der Aufhebung der veröffentlichten Sicherungsmaßnahmen. Die Entscheidungen im Restschuldbefreiungsverfahren werden spätestens 6 Monate nach der Erteilung oder der Versagung der Restschuldbefreiung gelöscht, sonstige Veröffentlichungen einen Monat nach dem ersten Tag der Veröffentlichung.
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K
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Praxistipp: Reine Insolvenzanträge, die nicht zu Sicherungsmaßnahmen geführt haben, werden nicht veröffentlicht. Auskünfte darüber geben die Insolvenzgerichte. Für die Anfrage dort ist zu beachten, dass nicht jedes Amtsgericht Insolvenzgericht ist. Die Zuständigkeiten der einzelnen Gerichte ergeben sich aus den Internetportalen der Justizministerien der Bundesländer.
M 45.1 Anfrage an das Insolvenzgericht
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An das Amtsgericht Insolvenzgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) ist der … durch Urteil des Amtsgerichts … vom … – Az. … – verurteilt worden, dem von mir vertretenen … 4.500 Euro nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Da er … dieser Verpflichtung bisher nicht nachgekommen ist, müssen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Deshalb bitte ich um Auskunft, ob Insolvenzanträge gestellt wurden, die nicht zu Sicherungsmaßnahmen geführt haben. Kosten: Gericht: 15 Euro (nach Landesjustizkostenrecht iVm. Nr. 1401 JVKostG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; wird der Anwalt in der Zwangsvollstreckung weiter tätig, entsteht die Gebühr aber nicht neu, weil es sich um eine Vorbereitungshandlung handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 1 RVG).
3. Weitere Ermittlungen Der Gläubiger erhält Auskunft über die für die Vollstreckung zur Verfügung stehenden Vermögensmassen grundsätzlich über die Vermögensauskunft und die vom Gerichtsvollzieher eingeholten Drittauskünfte (vgl. Kap. 47, 48).
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Ist der Schuldner im Handelsregister eingetragen, so kann, wenn Ungewissheit über die genaue Bezeichnung der Firma oder die Vertretungsverhältnisse besteht, neben der Registerauskunft eine Internetrecherche unter www.handelsregister.de weiterhelfen.
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Um herauszufinden, ob der Schuldner über Grundbesitz verfügt, kann Einsicht in das Grundbuch genommen werden. Ein Gläubiger, der die Vollstreckung in den Grundbesitz des Schuldners beabsichtigt, hat an der Einsicht ein berechtigtes Interesse iSv. § 12 Abs. 1 GBO (OLG Zweibrücken NJW 1989, 531; Dierck/Griedl NJW 2013, 3201 f.).
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4. Teilvollstreckung Ist der Gläubiger unsicher, ob er vollstrecken kann, und beläuft sich die Forderung über einen erheb- 12 lichen Betrag, so empfiehlt sich die in der Praxis vor allem von den Banken vorgenommene VollstreGiers
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ZPO
– die Erteilung oder Versagung der Restschuldbefreiung,
ZPO
Kap. 45 Rz. 13
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
M 45.2
ckung eines Teilbetrags, um die Kosten gering zu halten. Das gilt auch für vorläufig vollstreckbare Titel, zumal § 752 ZPO ausdrücklich eine Teilsicherheitsleistung vorsieht (vgl. dazu M 46.6). Um eine Haftung zu vermeiden, sollte vor der Vollstreckung der Gläubiger informiert werden (vgl. dazu M 45.10).
II. Nach dem Verkündungstermin 13 Der Gläubiger erhält auf Antrag grundsätzlich gem. § 317 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur eine abgekürzte vollstreckbare Ausfertigung, dh. eine Ausfertigung ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe, sofern nicht eine vollständige Ausfertigung beantragt wird. Besteht ein Interesse an einer besonderen Beschleunigung, kann nach Verkündung, aber schon vor Zustellung des Urteils, ein Antrag auf Erteilung einer abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung gestellt werden. 1. Antrag auf Erteilung einer abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung
14 Eine solche Ausfertigung, die weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthält (§ 317 Abs. 2 Satz 2 ZPO), kann im Parteibetrieb zugestellt werden und eröffnet sogleich die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung (§ 750 Abs. 1 ZPO), evtl. auch der Sicherungsvollstreckung (§ 720a ZPO).
15 M 45.2 Antrag auf Erteilung einer abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung An das Amtsgericht … Az. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, mir umgehend von dem am … verkündeten Urteil eine abgekürzte vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen, damit ich unverzüglich mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beginnen kann. Kosten: Gericht: Dokumentenpauschale für die erste abgekürzte Ausfertigung wird nicht erhoben (Abs. 3 Nr. 2 der Anm. zu Nr. 9000 KV GKG); ab der zweiten Ausfertigung fällt die Dokumentenpauschale nach Nr. 9000 KV GKG an. Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG). Anwalt: Der erstmalige Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel wird durch die Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten mit abgegolten (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 RVG).
16 Wenn das Urteil nicht in einem besonderen Termin, sondern am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet worden ist (§§ 310 Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO), ist der Antrag am besten gleich zu Protokoll zu stellen; vorsorglich sollte er nach dem o.a. Muster schriftlich wiederholt werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass der Antrag evtl. nicht hinreichend beachtet wird.
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892
Praxistipp: Den Antrag nach M 45.2 sollte man stets stellen, wenn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Betracht kommen, weil dem Gläubiger ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel ohnehin nur auf Antrag erteilt wird (Zöller/Seibel § 724 ZPO Rz. 8).
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M 45.4
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
Rz. 21 Kap. 45
Die Zwangsvollstreckung wird aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils durchgeführt (§ 724 Abs. 1 ZPO). Will der Gläubiger in einem Zuge in mehrere getrennte Vermögensmassen des Schuldners (zB Arbeitslohn, Provisionsansprüche gegenüber mehreren Geschäftsherren, Pfändung beweglicher Sachen durch den Gerichtsvollzieher) vollstrecken, reicht ihm eine vollstreckbare Ausfertigung nicht aus. Dem trägt das Gesetz im § 733 ZPO Rechnung. Es soll jedoch der Schuldner zuvor gehört werden, was uU den Erfolg einer überraschenden Zwangsvollstreckung beeinträchtigen kann. Von der Anhörung kann bei besonderer Dringlichkeit abgesehen werden.
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M 45.3 Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung
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An das Amtsgericht … Az.: … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich die Erteilung von zwei (weiteren) vollstreckbaren Ausfertigungen des am … verkündeten Urteils, weil ich den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Einholung einer Vermögensauskunft beauftragen und zugleich eine Lohnpfändung bei dem Arbeitgeber des Beklagten ausbringen möchte. Die titulierte Forderung ist so hoch, dass eine Vollstreckungsmaßnahme allein keinen alsbaldigen Erfolg verspricht. Von einer vorherigen Anhörung des Beklagten bitte ich abzusehen, weil aus folgenden Gründen zu befürchten ist, dass er Vermögenswerte beiseiteschafft: … (ausführen). Kosten: Gericht: 20 Euro Verfahrensgebühr nach Nr. 2110 KV GKG für jede weitere vollstreckbare Ausfertigung, hier = 40 Euro (Anm. zu Nr. 2110), Dokumentenpauschale nach Nr. 9000 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; das Verfahren über die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung bildet eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 RVG).
Soll aus demselben Urteil gegen mehrere (Gesamt-)Schuldner vollstreckt werden, so kann der Gläubiger vollstreckbare (Teil-)Urteilsausfertigungen beantragen:
20
M 45.4 Antrag auf Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen bei mehreren 21 Schuldnern An das Amtsgericht … Az.: … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich die Erteilung von weiteren vollstreckbaren Ausfertigungen, und zwar gesondert gegen jeden der drei Beklagten a) Fritz B, b) Hans B, c) Klaus B,
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893
ZPO
2. Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung
Kap. 45 Rz. 22
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
M 45.5
ZPO
weil nur durch die gleichzeitige Inanspruchnahme aller Schuldner die Zwangsvollstreckung Erfolg verspricht. Kosten: Gericht: 20 Euro Verfahrensgebühr nach Nr. 2110 KV GKG für jede weitere vollstreckbare Ausfertigung, hier = 60 Euro (Anm. zu Nr. 2110), Dokumentenpauschale nach Nr. 9000 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; das Verfahren über die Erteilung einer jeden weiteren vollstreckbaren Ausfertigung bildet eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 RVG).
22 Ist eine ältere vollstreckbare Ausfertigung (durch zahlreiche Vollstreckungsaufträge, evtl. Quittungen) unansehnlich, beschädigt oder sonst unbrauchbar geworden, kann eine (neue) weitere vollstreckbare Ausfertigung beantragt werden. Dann ist die zuerst erteilte Ausfertigung zurückzugeben.
23 M 45.5 Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung unter
Rückgabe einer unbrauchbar gewordenen Ausfertigung An das Amtsgericht … Az.: … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung des anliegenden Urteils, das wegen Beschädigung zurückgegeben wird. Kosten: Gericht: 20 Euro Verfahrensgebühr nach Nr. 2110 KV GKG, Dokumentenpauschale nach Nr. 9000 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; das Verfahren über die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung bildet eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 RVG).
3. Aufforderung an den Schuldner
24 Soweit der Schuldner im Rechtsstreit anwaltlich vertreten war, wirkt die Prozessvollmacht fort (§ 81 ZPO; s. auch § 172 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Der Gegenanwalt ist also zu beteiligen:
25 M 45.6 Schreiben an den Gegenanwalt Sehr geehrter Herr Kollege …, in Sachen … / … (Kurzrubrum mit Anwalts-Az. des Gegners) ist heute vom Landgericht in … ein Urteil zugunsten des von mir vertretenen Klägers verkündet worden. Zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen habe ich mich, wie aus anliegender Abschrift unseres heutigen Schreibens ersichtlich, an Ihren Mandanten gewandt. Ich gebe ihm anheim, Abwicklungsvorschläge zu unterbreiten. Kosten: Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, wenn Auftrag zur Zwangsvollstreckung bereits erteilt ist; wird der Anwalt in der Zwangsvollstreckung weiter tätig, entsteht die Gebühr aber nicht neu, weil es sich um eine Vorbereitungshandlung handelt; die zu diesem Zeitpunkt anfallenden Gebühren gehören jedoch nicht zu den notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung (Zöller/Geimer § 788 ZPO Rz. 6).
894
Giers
M 45.7
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
Rz. 28 Kap. 45
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M 45.7 Aufforderung an den Schuldner
27
ZPO
Nur wenn der Schuldner nicht oder nicht mehr anwaltlich vertreten ist, kann sich der anwaltlich vertretene Gläubiger auch an den Schuldner direkt wenden. Im Übrigen darf der Rechtsanwalt nach § 12 BORA nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln. Dieses Verbot gilt nur nicht bei Gefahr im Verzuge. Der Rechtsanwalt des anderen Beteiligten ist in diesem Fall unverzüglich zu unterrichten; von schriftlichen Mitteilungen ist ihm eine Abschrift unverzüglich zu übersenden.
Sehr geehrter …, in Sachen … / … (Kurzrubrum) ist heute vom Amtsgericht … zugunsten des von mir vertretenen Klägers ein Urteil verkündet worden. Danach schulden Sie dem Kläger (im Wesentlichen): … Bevor ich gegen Sie im Wege der Zwangsvollstreckung vorgehe, gebe ich Ihnen Gelegenheit, Ihre Verbindlichkeiten bis zum … gegenüber dem Kläger zu begleichen, (bei Geldforderungen:) und zwar zu meinem o.a. Konto – Geldempfangsvollmacht wird in Kopie beigefügt –. Meine Kostenerstattungsansprüche werden gesondert in Rechnung gestellt. Kosten: s. Anm. zu M 45.6.
III. Hinweispflichten des Anwalts 1. Hinweis auf drohende Insolvenz Wird über das Vermögen des Schuldners nach erfolgter Vollstreckung das Insolvenzverfahren eröff- 28 net, kann die ergangene Vollstreckungsmaßnahme der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterliegen. Hierfür reicht es aus, dass der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, er werde mit der Vollstreckung beginnen, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle. Allein die Zustellung des vollstreckbaren Titels führt dagegen nicht zur Anfechtbarkeit (BGH MDR 2002, 1027 = NJW 2002, 2568; BGH MDR 2007, 612 = NJW 2007, 848). Die Anfechtung wegen inkongruenter Deckung gem. § 131 InsO ist möglich, wenn die Vollstreckung bis zu einem Monat vor dem Eröffnungsantrag oder danach vorgenommen wurde oder im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung bei objektiver Zahlungsunfähigkeit bzw. bei Kenntnis des Gläubigers von Gläubigerbenachteiligung erfolgt ist. Die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gem. § 133 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, eine Rechtshandlung vorgenommen hat und dass der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Sie ist zB möglich, wenn Zahlungen des Schuldners nach fruchtloser Zwangsvollstreckung im Rahmen einer vom Gerichtsvollzieher herbeigeführten Ratenzahlungsvereinbarung erbracht wurden (BGH MDR 2010, 522) oder im Fall einer von dem Schuldner vereinbarungsgemäß bedienten Ratenzahlungsvereinbarung, wenn bei dem gewerblich tätigen Schuldner mit weiteren Gläubigern zu rechnen ist, die keinen vergleichbaren Druck zur Eintreibung ihrer Forderungen ausüben (BGH NJW 2013, 940 = MDR 2013, 302). Die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gem. § 133 Abs. 1 InsO ist jedoch nicht begründet, wenn sich der Schuldner angesichts einer bevorstehenden oder bereits eingeleiteten berechtigten Vollstreckungsmaßnahme nicht anders verhält als ohne die Vollstreckung und sich darauf beschränkt, diese hinzunehmen (BGH MDR 2017, 1026). Giers
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Kap. 45 Rz. 29
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
M 45.8
ZPO
29 Infolge der Insolvenzanfechtung muss der Gläubiger gem. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO das, was aus dem Vermögen des Schuldners entzogen worden ist, zurückgewähren oder Wertersatz leisten. Dem Anwalt, der einen Gläubiger wegen der Vollstreckung berät, obliegt deshalb die Pflicht, den Gläubiger über die mangelnde Insolvenzfestigkeit der Vollstreckungsmaßnahme zu belehren, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Insolvenz des Schuldner bevorsteht (BGH MDR 2017, 1271). Zur Zwangsvollstreckung nach eröffnetem Insolvenzverfahren s. Kap. 53 Rz. 24. 2. Vorläufig vollstreckbarer Titel
30 Urteile sind gem. §§ 704, 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und zwar teils mit und teils ohne Sicherheitsleistung (zur Vollstreckung von Beschlüssen gem. § 38 FamFG nach der ZPO s. Kap. 113). Wird aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil vollstreckt und hält die Entscheidung der Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz nicht stand, droht dem Gläubiger Schadensersatz aus Gefährdungshaftung (§ 717 Abs. 2 ZPO); es sei denn, die Ausnahmeregel des § 717 Abs. 3 ZPO greift ein. Auf das Schadensersatzrisiko bei einer Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteil sollte der Mandant hingewiesen werden.
31 K
Praxistipp: Greift die Ausnahmeregelung des § 717 Abs. 3 ZPO, kommt zugunsten des Vollstreckungsschuldners nur ein Bereicherungsanspruch in Betracht, vgl. Kap. 63 Rz. 17.
32 M 45.8 Schreiben an den Mandanten bei vorläufig vollstreckbarem Titel Sehr geehrte …, in Ihrer Sache gegen … hat das Landgericht in … heute ein für Sie günstiges Urteil verkündet. Ich habe mit gleicher Post die Übersendung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils beantragt, damit umgehend Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Gegenseite eingeleitet werden können. Bevor ich das insoweit Erforderliche veranlasse, muss ich Sie pflichtgemäß davon unterrichten, dass im Fall einer Änderung des Urteils durch das Berufungsgericht bei der Gegenseite Schadensersatzansprüche entstehen können, deren Ausmaß nicht sicher abzuschätzen ist. Es liegt bei Ihnen, ob Sie dieses Risiko in Kauf nehmen wollen; ggf. berate ich Sie gern. Eine Empfehlung kann ich erst aussprechen, wenn die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, was bisher nicht der Fall ist. Wenn Sie jedes Risiko scheuen, muss die Rechtskraft des Urteils abgewartet werden. Damit ist aber nicht vor dem … zu rechnen. Ich werde auf jeden Fall Ihre Antwort abwarten, bevor ich mit der Vollstreckung beginne. Anmerkung: Die Frage, ob und ggfs. wie Sicherheit zu leisten ist, muss ebenfalls erörtert werden; s. dazu auch Rz. 39 ff.
3. Rechtskräftiger Titel
33 Hierzu gehören alle auf eine Leistung gerichteten Entscheidungen, die unanfechtbar geworden sind. Bei Urteilen wird dieser Nachweis durch den Rechtskraftvermerk (§ 706 ZPO) geführt, s. Kap. 42. Urteile der Amtsgerichte in Bagatellsachen (§§ 495a, 713 ZPO) können wie mit Rechtskraftvermerk versehen betrachtet werden.
34 Diese Urteile werden ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Eine Vollstreckung aus diesen Titeln ist gefahrlos möglich. Bei Anhaltspunkten (zB langjährige Geschäftsbeziehungen) dafür, dass der Mandant zunächst nicht vollstrecken will, sollte dennoch vorher die Zustimmung des Mandanten eingeholt werden.
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Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
Rz. 39 Kap. 45
M 45.9 Schreiben an den Mandanten mit der Bitte um Zustimmung zu
35
Zwangsmaßnahmen Abwandlung von M 45.8: Bevor ich das insoweit Erforderliche veranlasse, erbitte ich Ihre ausdrückliche Zustimmung zu Zwangsmaßnahmen, weil ich gegenwärtig nicht ausschließen kann, dass Sie einstweilen noch eine gütliche Verständigung anstreben. Bitte lassen Sie mich Ihre Entscheidung wissen. Bis dahin werde ich weitere Schritte nicht unternehmen.
4. Teilvollstreckung Soll im Kosteninteresse zunächst nur eine Teilvollstreckung durchgeführt werden, so ist der Gläubiger vorab zu informieren (vgl. oben Rz. 12).
36
M 45.10 Schreiben an den Mandanten bei Teilvollstreckung
37
Sehr geehrte/r … in Ihrer Sache gegen … ist nicht abzusehen, ob eine Zwangsvollstreckung überhaupt Erfolg haben wird. Zur Vermeidung unnötiger Kosten beabsichtige ich deshalb, zunächst einen Teilvollstreckungsauftrag über … Euro zu erteilen. Sollten Sie damit nicht einverstanden sein und stattdessen wünschen, dass ich einen Vollstreckungsauftrag über den gesamten Betrag erteile, so bitte ich um Ihre Nachricht bis zum … . Andernfalls gehe ich von Ihrem Einverständnis aus.
5. Vergleich im Zwangsvollstreckungsverfahren Die Kosten eines im Zwangsvollstreckungsverfahren geschlossenen Vergleichs können nur dann als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 ZPO) beigetrieben werden, wenn der Schuldner die Kosten übernimmt. Andernfalls gelten die Kosten gem. § 98 Satz 1 ZPO als gegeneinander aufgehoben (BGH MDR 2007, 609 = NJW 2007, 1213).
38
IV. Sofortmaßnahmen bei vorläufiger Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung Wenn das Urteil eine Bestimmung über die Art der Sicherheitsleistung nicht enthält und es darüber hinaus an einer besonderen Vereinbarung über die Sicherheitsleistung zwischen den Parteien fehlt, ist die Sicherheitsleistung durch – schriftliche, unbedingte, unwiderrufliche und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts, – durch Hinterlegung von Geld oder – durch zur Sicherheitsleistung geeigneten (sog. mündelsicheren) Wertpapieren (§ 234 BGB; Achtung: Hinterlegung nur zu 75 % des Kurswertes, § 234 Abs. 3 BGB!). zu erbringen. Wegen weiterer Einzelheiten s. Kap. 46 Rz. 18 ff. Zusätzlich ist zu beachten, dass § 709 Satz 2 ZPO es dem Gericht ermöglicht, bei Verurteilung zu einer Geldleistung die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages an-
Giers
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39
ZPO
M 45.10
ZPO
Kap. 45 Rz. 40
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
M 45.11
zugeben. Eine Teilvollstreckung gem. M 46.6 ist jedoch unabhängig davon möglich, ob die Höhe der Sicherheitsleistung beziffert oder gem. § 709 Satz 2 ZPO bestimmt worden ist.
40 K
Wichtig: Fehlt der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit im Urteil, muss die Ergänzung des Urteils innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 321 ZPO beantragt werden (§§ 716, 321 ZPO; vgl. auch Zöller/Herget § 716 ZPO Rz. 2).
1. Einigung über besondere Sicherheitsleistung
41 Erscheint eine Verständigung über die Art der Sicherheitsleistung nicht von vornherein als ausgeschlossen, sollte vorrangig eine solche Parteivereinbarung angestrebt werden.
42 M 45.11 Schreiben an den Gegenanwalt zwecks Einigung über die
Sicherheitsleistung Sehr geehrter Herr Kollege, in Sachen … / … (Kurzrubrum mit Anwalts-Az. des Gegners) hängt die Zwangsvollstreckung von einer meinem Mandanten obliegenden Sicherheitsleistung ab. Um – auch im Interesse Ihrer Partei – unnötig hohe Kosten zur Beschaffung einer Sicherheit iS des § 108 ZPO zu vermeiden, schlage ich eine Einigung dahin vor, dass ihr Mandant sich mit der Hinterlegung des von meinem Mandanten bei der Sparkasse in … geführten Sparbuchs Nr. … mit einem Guthaben iHv. … Euro einverstanden erklärt. Eine Kopie des Sparbuchs ist beigefügt. Sollte ich bis zum … keine Antwort erhalten, so wird eine Sicherheit durch Bankbürgschaft erbracht. Kosten: Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, wenn Auftrag zur Zwangsvollstreckung bereits erteilt ist; wird der Anwalt in der Zwangsvollstreckung weiter tätig, entsteht die Gebühr aber nicht neu, weil es sich um eine Vorbereitungshandlung handelt; die zu diesem Zeitpunkt anfallenden Gebühren gehören jedoch nicht zu den notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung (Zöller/Geimer § 788 ZPO Rz. 6).
2. Antrag auf Änderung der gesetzlichen Sicherheit
43 Ist eine Verständigung mit der anderen Seite nicht möglich, kann beim Prozessgericht ein Antrag auf Änderung der gesetzlichen Sicherheitsleistung gestellt werden.
44 K
Praxistipp: Lässt sich schon im Erkenntnisverfahren absehen, dass später Sicherheit auf andere Weise als durch Hinterlegung oder Bürgschaft geleistet werden soll, so sollte die Zulassung einer anderweitigen Sicherheit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beantragt werden.
V. Tod des Schuldners im Verlauf des Vollstreckungsverfahrens 45 Wenn der Schuldner stirbt, bevor gegen ihn aus einem Titel bis zur Erfüllung der Forderung vollstreckt werden konnte, wird die Zwangsvollstreckung gegen den oder die Erben fortgesetzt. Erforderlich ist dafür eine Rechtsnachfolgeklausel (s. Kap. 59 Rz. 4 und M 59.2). Auch ohne Rechtsnachfolgeklausel kann bereits in den Nachlass vollstreckt werden. Dazu besteht insbesondere Anlass, wenn der oder die Erben noch nicht bekannt sind. Das Verfahren richtet sich danach, ob bereits eine Vollstreckungsmaßnahme gegen den Erblasser erfolgt war oder ob erstmals in den Nachlass vollstreckt wird.
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M 45.12
Vor der Vollstreckung, Tod des Schuldners
Rz. 48 Kap. 45
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M 45.12 Antrag auf Bestellung eines besonderen Vertreters
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ZPO
Hatte ein Gläubiger schon zu Lebzeiten des Schuldners mit der Vollstreckung aus einem gegen den Erblasser gerichteten Titel begonnen, hemmt der Tod des Schuldners die Zwangsvollstreckung nicht; sie wird in seinen Nachlass fortgesetzt, § 779 Abs. 1 ZPO. Das gilt ohne Rücksicht darauf, welche Maßnahme getroffen worden war. Auch eine Sachpfändung in Nachlassgegenstände kann im Anschluss an eine Forderungspfändung vorgenommen werden (Zöller/Geimer § 779 ZPO Rz. 4 mwN). Da der Gerichtsvollzieher verpflichtet ist, den Schuldner von jeder erfolgten Pfändung zu unterrichten (§ 808 Abs. 3 ZPO), hat das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers gem. § 779 Abs. 2 ZPO einen einstweiligen besonderen Vertreter zu bestellen, um auf diese Weise die Beteiligung des Schuldners im Rahmen der Zwangsvollstreckung sicherzustellen, solange der Erbe die Erbschaft noch nicht angenommen hat oder der Erbe selbst unbekannt ist. Die Bestellung unterbleibt nur dann, wenn ein Nachlasspfleger bestellt oder die Verwaltung des Nachlasses einem Testamentsvollstrecker unterliegt (§ 779 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich namens und in Vollmacht des Gläubigers …, für die von dem Obergerichtsvollzieher … zu … DR II … / … vorzunehmenden Benachrichtigungen des am … verstorbenen Schuldners … sowie für weitere Mitwirkungshandlungen des Schuldners gem. § 779 Abs. 2 ZPO einen besonderen Vertreter zu bestellen. Begründung: Der am … verstorbene Schuldner … war durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts … vom … zur Zahlung von 4.000 Euro an den Gläubiger verurteilt worden. Aus diesem Titel hat der Gläubiger die Vollstreckung betrieben. Der Obergerichtsvollzieher … hat zu der o.a. DR-Nummer bei dem Schuldner Sachpfändungen vorgenommen. Das ergibt sich aus dem anliegenden Pfändungsprotokoll vom … . Danach verstarb der Schuldner an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Der Obergerichtsvollzieher hat den Schuldner gem. § 808 Abs. 3 ZPO von der erfolgten Pfändung in Kenntnis zu setzen. Für den verstorbenen Schuldner muss ein besonderer Vertreter bestellt werden, damit die Zwangsvollstreckung im Übrigen fortgesetzt werden kann. Der Gläubiger hat keine Kenntnis davon, wer den Schuldner beerbt hat. Eine Nachlasspflegschaft ist bisher nicht angeordnet worden; ob Testamentsvollstreckung angeordnet worden ist, ist nicht bekannt. Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: gehört zur Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
Hat der Gläubiger noch nicht mit der Vollstreckung begonnen, erlaubt § 778 ZPO die erstmalige Vollstreckung in den Nachlass. Hierfür muss zunächst auf Antrag des Gläubigers vom Nachlassgericht ein Nachlasspfleger bestellt werden. Anschließend ist die Klausel auf diesen umzuschreiben und ihm mit dem Titel zuzustellen, § 750 Abs. 2 ZPO.
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ZPO
Kap. 46 Rz. 1
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Kapitel 46 Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen: Sicherungsvollstreckung, Sicherheitsleistung, Zug um Zug I. Sicherungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.1 Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung an den Gegenanwalt . . . . M 46.2 Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung an den Schuldner . . . . . . 2. In das bewegliche Vermögen . . . . . . . . . . . M 46.3 Hinweis auf Sicherungsvollstreckung an den Gerichtsvollzieher . . M 46.3a Hinweis auf Sicherungsvollstreckung bei Forderungsvollstreckung 3. In das unbewegliche Vermögen . . . . . . . . . 4. Abwendungsbefugnis des Schuldners . . . . . II. Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hinterlegungsantrag Geld . . . . . . . . . . . b) Hinterlegungsantrag Wertpapiere . . . . . c) Ausländisches Geld . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.4 Antrag auf Zulassung der Hinterlegung ausländischen Geldes . d) Bankbürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vollstreckungsauftrag nach Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.5 Zusatz zum Vollstreckungsauftrag bei Sicherheitsleistung . . . . f) Teilsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.6 Antrag auf Teilvollstreckung mit Teilsicherheitsleistung . . . . . . . . g) Antrag auf Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durch den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Höhe der Sicherheit zu Vollstreckungsabwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollstreckungsauftrag bei Abwendungsbefugnis des Beklagten . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei der Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung (§ 895 ZPO) . .
1 1 4. 4 7 9 12 14 15 16 18 18 18 22 23
III. 1. 2.
3.
24 26 29 30 31 4. 33 34 35 35
5.
40 41 42
IV. V.
M 46.7 Antrag auf Grundbucheintragung nach § 895 ZPO . . . . . . . . . . . . . . Wegfall der Veranlassung für die Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eintritt der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . M 46.8 Antrag des Gläubigers auf Rückgabe der Sicherheit . . . . . . . . . . b) Antrag nach § 109 ZPO . . . . . . . . . . . . M 46.9 Antrag nach § 109 ZPO . . . . . . Zug-um-Zug-Leistung . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.10 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Holschuld . . . . . . . . M 46.11 Mündliches Angebot durch den Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . Bringschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.12 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Bringschuld: Vollstreckungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . M 46.13 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Bringschuld: Schreiben an Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . M 46.14 Vollstreckungsauftrag mit wörtlichem Angebot der Gegenleistung bei Bringschuld . . . . . . . . . . . . . . Sonderfall: Pflicht des Gläubigers zur Mängelbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 46.15 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Pflicht zur Mängelbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verurteilung zur Abgabe einer von einer Gegenleistung abhängigen Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckung aus einer vollstreckbaren Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 46 47 48 50 51 54 54 59 62 64 65 66 68 70 71 72
74 75 76
I. Sicherungsvollstreckung 1. Voraussetzungen
1 Bei einem Zahlungsurteil, das gem. § 709 ZPO gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist, kann ohne Sicherheitsleistung gem. § 720a ZPO die Sicherungsvollstreckung betrieben werden. Die Vollstreckung in bewegliche Sachen durch den Gerichtsvollzieher ist grundsätzlich auf die Pfändung beweglichen Vermögens beschränkt, gepfändetes Geld ist zu hinterlegen, §§ 720a Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 ZPO. Auch die Überweisung einer Forderung ist nicht möglich.
900
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K
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Rz. 7 Kap. 46
Wichtig: Gemäß § 750 Abs. 3 ZPO darf die Sicherungsvollstreckung nur beginnen, wenn das Urteil und die Vollstreckungsklausel mindestens zwei Wochen vorher zugestellt sind. Der BGH (BGH MDR 2005, 1433) legt diese Vorschrift dahin aus, dass die Zustellung der Klausel vor der Sicherungsvollstreckung nur in den Fällen des § 750 Abs. 2 ZPO, also bei Erteilung einer qualifizierten Klausel, zB einer Rechtsnachfolgeklausel (zu den qualifizierten Klauseln s. Kap. 59 und 61) notwendig ist. In diesem Fall ist die Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) wegen §§ 78, 172 ZPO geboten.
2
ZPO
M 46.2
Sobald die qualifizierte Klausel erteilt ist, wird vom Rechtsanwalt eine beglaubigte Abschrift (§ 169 3 Abs. 2 Satz 2 ZPO) dem Gegenanwalt zugestellt:
M 46.1 Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung an den Gegenanwalt
4
Sehr geehrter Herr Kollege, in Sachen … / … (Kurzrubrum mit Anwalts-Az. des Gegners) stelle ich Ihnen als Prozessbevollmächtigten des Beklagten in von mir beglaubigter Abschrift die mit der qualifizierten Vollstreckungsklausel versehene vollstreckbare Ausfertigung des am … verkündeten Urteils des … Gerichts und die der Klauselerteilung zugrunde liegenden Urkunde(n), nämlich … zu. Das vorbereitete Empfangsbekenntnis wollen Sie mir bitte umgehend zurücksenden (§ 195 Abs. 2 ZPO). Kosten: Anwaltsgebühren fallen nicht besonders an: Die Zustellung gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 16 RVG).
Eine einfache und eine beglaubigte Urteilsabschrift sowie Abschriften der Urkunde(n), aufgrund derer 5 die Klausel erteilt wurde, und das vorbereitete Empfangsbekenntnis nach M 26.3 sind beizufügen. Ist auf der Gegenseite keine Anwaltsvertretung gegeben oder richtet sich die Vollstreckung aufgrund der qualifizierten Klausel gegen eine andere Partei, muss sich der Gläubiger der Hilfe des Gerichtsvollziehers bedienen. Da von der Rechtsprechung zT gefordert wird, dass die der Klauselerteilung zugrunde liegenden Urkunden dem Gerichtsvollzieher im Original vorliegen müssen (LG Saarbrücken DGVZ 2004, 93), sollte entsprechend verfahren werden. Für den Zustellungsauftrag kann Modul D des Formulars für den Gerichtsvollzieherauftrag (s. M 47.1) verwandt werden. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 GVFV gilt der Formularzwang jedoch nicht für einen Auftrag, der ausschließlich die Zustellung eines Schriftstücks zum Inhalt hat. Der Auftrag kann daher auch in folgender Form gestellt werden:
6
M 46.2 Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung an den Schuldner
7
An das Amtsgericht Gerichtsvollzieherverteilungsstelle … Mit der Bitte um Zustellung an den Beklagten … übersende ich zwei von mir beglaubigte und zwei einfache Abschriften der mit der qualifizierten Vollstreckungsklausel versehenen vollstreckbaren Ausfertigung des am … verkündeten Urteils des … Gerichts … und die der Klauselerteilung zugrunde liegenden Urkunde(n), nämlich … Die entstehenden Kosten wollen Sie bei mir bitte mit der Übersendung des Zustellungsnachweises per Nachnahme erheben. Kosten: s. Anm. zu M 46.1.
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Kap. 46 Rz. 8
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
M 46.3
ZPO
8 Dem Schreiben sind insgesamt vorsorglich vier Abschriften des Urteils beizufügen, davon zwei mit ordnungsgemäßem Beglaubigungsvermerk (s. Kap. 26 Rz. 9). Die Vollstreckungsmaßnahme selbst führt nicht zur Befriedigung der Gläubiger, sondern es bleibt bei Sicherungsmaßnahmen (§ 720a Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Einhaltung der Wartefrist – zwei Wochen nach Zustellung des Urteils – kann im Übrigen, dh., wenn die Zustellung der Klausel nicht erforderlich ist, allein durch den Zustellungsvermerk auf dem Urteil nachgewiesen werden. 2. In das bewegliche Vermögen
9 Sobald der Zustellungsnachweis (des Urteils und ggf. der qualifizierten Klausel, s. Rz. 2 ff.) vorliegt, kann der Gläubiger schon die nötigen Maßnahmen treffen. Der Vollstreckungsantrag kann also schon vor Ablauf der 2-Wochen-Frist gestellt werden. Sollte der Schuldner sofort – freiwillig oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung – leisten, wären die Kosten des Vollstreckungsauftrags allerdings unnütz aufgewendet worden. Es kommen zwei Arten der Zwangsvollstreckung in Betracht (§ 720a Abs. 1 Satz 1 Buchst. a ZPO); durch Pfändung von Sachen (vgl. Kap. 49) oder von Forderungen (vgl. Kap. 50 ff.). In beiden Fällen ist das Vollstreckungsorgan auf die Sicherungsvollstreckung hinzuweisen. Da der Auftrag an den Gerichtsvollzieher mit dem Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag (s. M 47.1) gestellt werden muss, ist dieser Hinweis auf dem Formular anzubringen. Dafür bietet sich bei einem Auftrag zur Pfändung das Modul K 5 an und bei einem Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft (s. dazu den folgenden Praxistipp) das Modul G 4.
10 K
Praxistipp: Im Rahmen der Sicherungsvollstreckung konnte der Gläubiger auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO aF verlangen (BGH MDR 2007, 486). Das gilt entsprechend für die Einholung einer Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO (Zöller/Seibel § 720a ZPO Rz. 4).
11 Die jeweiligen Vollstreckungsaufträge sind im Fall der Sicherungsvollstreckung wie folgt zu ergänzen: 12 M 46.3 Hinweis auf Sicherungsvollstreckung an den Gerichtsvollzieher Einzutragen in M 47.1 Modul G 4 (bei Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft) oder Modul K 5 (bei Pfändungsauftrag): Es wird darauf hingewiesen, dass die Vollstreckung im Wege der Sicherungsvollstreckung erfolgt. Kosten: Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr für die Zwangsvollstreckung nach Nr. 3309 VV RVG.
13 Wenn die Forderungspfändung im Wege der Sicherungsvollstreckung betrieben werden soll, ist auf Seite 1 des Formulars M 50.2 nur „auf Pfändung“ und nicht dazu „auf Überweisung“ sowie auf Seite 2 nur „Pfändungs-“ und nicht „Pfändungs- und Überweisungsbeschluss“ anzukreuzen. Auf Seite 8 unten ist der mit „Zugleich wird dem Gläubiger“ beginnende Text nicht anzukreuzen. Ferner ist auf Seite 8 im Feld „Sonstige Anordnungen“ ebenfalls der Hinweis einzutragen:
14 M 46.3a Hinweis auf Sicherungsvollstreckung bei Forderungsvollstreckung Einzutragen in M 50.2 Feld „Sonstige Anordnungen“: Es wird darauf hingewiesen, dass die Vollstreckung im Wege der Sicherungsvollstreckung erfolgt.
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Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Rz. 22 Kap. 46
Hier ist der Zugriff des Gläubigers ebenfalls beschränkt, nämlich auf Eintragung einer Sicherungsoder einer Schiffshypothek (§ 720a Abs. 1 Satz 1 Buchst. b ZPO). Auf Kap. 54 wird verwiesen. Auch hier empfiehlt sich der Antrag nach M 46.3.
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4. Abwendungsbefugnis des Schuldners Der Schuldner hat die Möglichkeit, durch Leistung einer Sicherheit in Höhe lediglich der Hauptforderung die Zwangsvollstreckung abzuwenden (§ 720a Abs. 3 ZPO). Die Zwangsvollstreckung ist dann einzustellen; bereits getroffene Maßnahmen sind aufzuheben (§§ 775 Nr. 3, 776 Satz 1 ZPO). Einzelheiten ergeben sich aus Rz. 35 ff.
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Wichtig: Die Abwendungsbefugnis des Schuldners im Falle der Sicherungsvollstreckung ergibt sich nicht aus dem Urteil (Zöller/Seibel § 720a ZPO Rz. 11). Sie folgt unmittelbar aus dem Gesetz.
II. Sicherheitsleistung 1. Durch den Gläubiger a) Hinterlegungsantrag Geld Will der Gläubiger schnell und nachhaltig aus einem gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Urteil vollstrecken, muss er selbst Sicherheit leisten. Die Sicherungsvollstreckung, die ohnehin nur aus auf Zahlung lautenden Urteilen möglich ist, lässt eine Befriedigung des Gläubigers nicht zu und kann vom Schuldner durch eigene Sicherheitsleistung abgewendet werden. Wegen der Arten der Sicherheitsleistungen wird auf Kap. 45 Rz. 39 verwiesen.
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Für das Verfahren gelten die Hinterlegungsgesetze und -ordnungen der Länder, zB das Niedersäch- 19 sische Hinterlegungsgesetz (NHintG v. 9.11.2012, Nds.GVBl. 2012, S. 431) oder das Hinterlegungsgesetz Rheinland-Pfalz (HintGRP v. 3.4.2014, GVBl.RP 2014, 34). Unter Geld versteht man ausschließlich die Zahlung in Euro. Die Einzahlung kann bei der Hinterlegungsstelle jedes Amtsgerichts erfolgen. Zu verwenden sind dafür Vordrucke, die von den einzelnen Bundesländern nach ihren Ausführungsvorschriften zur HinterlO (AVHO) vorgeschrieben worden sind. Sie sind bei der Hinterlegungsstelle erhältlich oder können über die Internetseiten der Justizverwaltungen aufgerufen und ausgedruckt werden (zB www.justiz.nrw.de/BS/formulare/hinterlegung/index.php). Der Antrag für Einzahlungen ist auf dem für jedes Land unterschiedlichen Formular HS 1 zu stellen. Den Antrag auszufüllen, bereitet keine Schwierigkeiten.
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Ist das Geld für den angegebenen Zweck zur Hinterlegung angenommen worden, erhält der Gläubiger(-Vertreter) einen Hinterlegungsschein. Dieser Hinterlegungsschein ist das Zweitstück des Annahmeantrags mit Annahmeverfügung der Hinterlegungsstelle (zB § 8 NHintG oder § 9 HintGRP). Er wird zum Nachweis der ordnungsgemäßen Hinterlegung bei Stellung eines Zwangsvollstreckungsauftrags benötigt. Der Nachweis ist gem. § 751 Abs. 2 ZPO zuzustellen.
21
b) Hinterlegungsantrag Wertpapiere Geeignet sind nur mündelsichere Wertpapiere mit 75 % ihres Kurswerts (§ 108 ZPO, § 234 BGB). Der hier benötigte Vordruck trägt die Bezeichnung HS 2.
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3. In das unbewegliche Vermögen
Kap. 46 Rz. 23
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
M 46.4
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c) Ausländisches Geld
23 Soll an Stelle von Euro ausländisches Geld als Sicherheit hinterlegt werden, ist eine entsprechende Bestimmung des Prozessgerichts (s. Kap. 45 Rz. 44) zu beantragen (Zöller/Herget § 108 ZPO Rz. 6).
24 M 46.4 Antrag auf Zulassung der Hinterlegung ausländischen Geldes An das Landgericht … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum) Az. … beantrage ich, dem Kläger, der US-amerikanischer Staatsbürger ist, nachzulassen, die Sicherheit in US-Dollar zum bei der Hinterlegung gültigen Kurswert zu leisten. Kosten: Anwalt: Das Verfahren über den Antrag gehört zum Rechtszug der Hauptsache (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 RVG. Für das Verfahren vor der Hinterlegungsstelle entsteht eine besondere Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, weil es sich um eine neue Angelegenheit handelt (vgl. Gerold/Schmidt/ Mayer, RVG, 23. Aufl. 2017, § 15 Rz. 63).
25 Sobald der entsprechende Beschluss vorliegt, ist nach Rz. 19 zu verfahren. Ausländisches Geld wird auch mit dem Vordruck HS 2 hinterlegt. d) Bankbürgschaft
26 Will der Gläubiger Sicherheit durch Bankbürgschaft leisten (Kap. 45 Rz. 39), muss dem Schuldner – Vertreter: § 81 ZPO – die Bürgschaftserklärung vor oder spätestens mit dem Beginn der Zwangsvollstreckung in Urschrift zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB) oder durch den Gerichtsvollzieher (§ 132 Abs. 1 BGB) zugestellt werden. Da § 45 Abs. 3 GVGA vorsieht, dass dem Gegner das Original der Bürgschaftsurkunde zu übergeben ist, muss die Bürgschaftsurkunde stets durch den Gerichtsvollzieher im Original zugestellt werden.
27 Der Zustellungsnachweis des Gerichtsvollziehers belegt in Form einer öffentlichen Urkunde, § 751 Abs. 2 ZPO, dass die Sicherheit erbracht ist, und muss selbst nicht noch einmal zugestellt werden (BGH MDR 2008, 1364 = NJW 2008, 3220).
28 Bei einer Bürgschaft ist der Nachweis der Sicherheitsleistung gegenüber dem Schuldner erbracht, wenn die Bürgschaftsurkunde diesem vom Gerichtsvollzieher zugestellt wurde. Ein Nachweis der Bürgschaftsbestellung gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Schuldners ist nicht erforderlich (BGH MDR 2008, 1364 = NJW 2008, 3220). e) Vollstreckungsauftrag nach Sicherheitsleistung
29 Wenn der Gläubiger aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel vollstreckt und die Sicherheit erbracht hat, sind die jeweiligen Vollstreckungsaufträge zu ergänzen. Dafür bietet sich bei einem Auftrag an den Gerichtsvollzieher zur Pfändung das Auftragsformular M 47.1 Modul K 5 an und bei einem Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft das Modul G 4. Wird im Wege der Forderungspfändung vollstreckt kann die Eintragung auf Seite 8 des M 50.2 im Feld „Sonstige Anordnungen“ erfolgen.
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Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Rz. 34 Kap. 46
M 46.5 Zusatz zum Vollstreckungsauftrag bei Sicherheitsleistung
30
Der Gläubiger hat die angeordnete Sicherheit geleistet, – wie sich aus dem beigefügten Hinterlegungsschein des Amtsgerichts … vom … /der beigefügten Bürgschaft der … – Bank vom …, ergibt – und entweder (bei Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher): um dessen/deren Zustellung an den Schuldner zugleich ersucht wird. oder (bei Vollstreckung durch ein anderes Vollstreckungsorgan): Ein Zustellungsnachweis ist beigefügt.
f) Teilsicherheit Bei Verurteilung zur Zahlung machen die Gerichte überwiegend von § 709 Satz 2 ZPO Gebrauch 31 und setzen die Höhe der Sicherheitsleistung im Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages fest. Sofern der Gläubiger nur einen Teilbetrag vollstrecken will, braucht er als Sicherheit auch nur den vom Gericht festgelegten Prozentsatz dieses Teilbetrages zu leisten. Wenn zB das Urteil gegen 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar ist, macht die Sicherheit 120 % des Teilbetrags aus. Darüber hinaus lässt § 752 ZPO, falls eine bestimmte Summe als Sicherheitsleistung festgesetzt ist, ausdrücklich auch bei der Vollstreckung aus einem gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Urteil eine Teilvollstreckung zu. Die Höhe der in diesem Fall erforderlichen Sicherheitsleistung errechnet sich wie folgt: Zu vollstreckender Teilbetrag × Gesamtsicherheitsleistung Gesamtbetrag der zu vollstreckenden Forderung Die jeweiligen Vollstreckungsaufträge sind wie folgt zu ergänzen. Auch hier sollte bei einem Auftrag 32 an den Gerichtsvollzieher zur Pfändung das Auftragsformular M 47.1 Modul K 5 und bei einem Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft das Modul G 4 ausgefüllt werden. Wird im Wege der Forderungspfändung vollstreckt kann die Eintragung auf Seite 8 des M 50.2 im Feld „Sonstige Anordnungen“ erfolgen.
M 46.6 Antrag auf Teilvollstreckung mit Teilsicherheitsleistung
33
Aus der Hauptforderung von 10.000 Euro bitte ich einen Teilbetrag von 4.000 Euro zu vollstrecken. Da das Urteil eine Gesamtsicherheitsleistung von 12.000 Euro vorsieht, hat der Gläubiger eine durch den anliegenden Hinterlegungsschein nachgewiesene Teilsicherheit von 4.000 Euro × 12.000 Euro: 10.000 Euro = 4.800 Euro erbracht.
g) Antrag auf Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung
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Praxistipp: Wenn schon im Erkenntnisverfahren abzusehen ist, dass die nur gegen Sicherheits- 34 leistung mögliche vorläufige Vollstreckung aus einem Urteil dem Gläubiger einen schweren Nachteil bringen würde oder für ihn aus sonstigen Gründen unbillig wäre, kann nach §§ 710, 714 ZPO bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beantragt werden, das Urteil für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung zu erklären. Dieser Antrag ist zB bei der Klage eines Kleinunternehmers angebracht, der das Entgelt für einen großen Auftrag einklagt, von dem die weitere Existenz seines Unternehmens abhängt, wenn er die Sicherheit nicht aufbringen kann.
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ZPO
M 46.6
Kap. 46 Rz. 35
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
ZPO
2. Durch den Schuldner a) Fallgruppen
35 Nicht nur im Falle der Sicherungsvollstreckung (vgl. Rz. 16), sondern auch kraft Gesetzes nach § 711 ZPO oder auf Antrag nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1, 712 Abs. 1 ZPO kann der Schuldner in die Lage versetzt sein, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.
36 K
Wichtig: Nach § 708 Nr. 10 ZPO sind alle Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung zu erklären, wobei dem Beklagten eine Abwendungsbefugnis gem. § 711 ZPO eingeräumt wird.
37 K
Wichtig: Kann der Beklagte voraussichtlich die für die Vollstreckung oder deren Abwendung erforderliche Sicherheit nicht erbringen, so muss schon im Erkenntnisverfahren der Antrag nach § 712 ZPO gestellt werden. Der unterbliebene Antrag gem. § 712 ZPO im Berufungsrechtszug steht einem Einstellungsantrag gem. § 719 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz entgegen (BGH FamRZ 2003, 1009, BGH MDR 2006, 1369). Für das Berufungsverfahren gilt diese Einschränkung nach hM nicht (KG MDR 2005, 117 mwN).
38 Soweit es sich um Schuldnerrechte aus den §§ 711, 720a ZPO handelt, gehen Sicherheitsleistungen des Gläubigers denen des Schuldners vor, so dass der Gläubiger jederzeit eine Sicherheitsleistung des Schuldners überspielen kann. Nur im Falle der §§ 719, 707, 712 Abs. 1 ZPO ist die Sicherheitsleistung des Schuldners gegen Maßnahmen des Gläubigers rechtsbeständig. In der technischen Abwicklung werden die Sicherheiten vom Schuldner auf die gleiche Weise wie vom Gläubiger (vgl. Rz. 18 ff.) erbracht.
39 K
Praxistipp: Hat der Schuldner in den Fällen der §§ 711, 720a ZPO Sicherheit geleistet, kann der Gläubiger unmittelbar nach Leistung der eigenen Sicherheit den Rückzahlungsanspruch des Schuldners gegenüber der Hinterlegungsstelle pfänden.
b) Die Höhe der Sicherheit zu Vollstreckungsabwendung
40 Die Tenorierung eines ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis vorläufig vollstreckbaren Urteils entscheidet darüber, in welchem Umfang der Schuldner Sicherheit leisten muss. Der gesetzlichen Regelung entspricht es, x % des vollstreckbaren Betrages festzusetzen (OLG Celle NJW 2003, 73). Dann muss der Schuldner auch bei einer Teilvollstreckung die volle Sicherheit erbringen. Hat das Gericht dem Schuldner jedoch nachgelassen, x % des jeweils zu vollstreckenden Betrages als Sicherheit zu leisten, braucht der Schuldner bei einer Teilvollstreckung nur x % des jeweils vom Gläubiger vollstreckten Betrages aufzubringen. Soll die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abgewendet werden, so ist also genau der Tenor des Urteils zu beachten. c) Vollstreckungsauftrag bei Abwendungsbefugnis des Beklagten
41 Wenn dem Beklagten gem. § 711 ZPO nachgelassen wurde, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, sofern nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet, kann der Gläubiger auch von vornherein Sicherheit leisten. Der Vollstreckungsauftrag ist dann entsprechend dem Muster M 46.5 zu ergänzen. Die Sicherheitsleistung hat – unabhängig von einer evtl. Sicherheitsleistung des Schuldners – für den Gläubiger den Vorteil, dass er ohne Einschränkung vollstrecken kann. Wenn weder der Gläubiger noch der Schuldner Sicherheit leisten, so ist gepfändetes Geld oder der Erlös gepfändeter Gegenstände zu hinterlegen (§ 720 ZPO), und die Überweisung gepfändeter Geldforderungen findet nur zur Einziehung und nur mit der Wirkung statt, dass der Drittschuldner den Schuldbetrag zu hinterlegen hat (§ 839 ZPO).
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M 46.7
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Rz. 47 Kap. 46
Ist der Schuldner – gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar – zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt worden, nützt dem Gläubiger die Leistung der Sicherheit nur insofern, als er wegen der Kosten die Vollstreckung betreiben will. In der Hauptsache bedarf es des Eintritts der Rechtskraft, damit die Willenserklärung als abgegeben gilt (§ 894 Abs. 1 ZPO).
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Wichtig: Bezieht sich die Willenserklärung auf eine Grundbucheintragung (oder die Eintragung in einem ähnlichen Register), so gilt die Eintragung einer Vormerkung als bewilligt (§ 895 ZPO). Es ist demnach beim Grundbuchamt – oder dem entsprechenden Register – der Antrag auf Eintragung der Vormerkung im Grundbuch – oder entsprechendem Register – zu stellen. In dem Falle ist es aber unerlässlich, dass zuvor die angeordnete Sicherheit geleistet worden ist (Zöller/Seibel § 895 ZPO Rz. 1).
M 46.7 Antrag auf Grundbucheintragung nach § 895 ZPO
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An das Amtsgericht Grundbuchamt … Grundbuch von … Bl. … In Sachen … / … (Kurzrubrum) ist der Beklagte …, wie sich aus der anliegenden Ausfertigung des Urteils des Landgerichts … ergibt, zur Auflassung des o.a. Grundstücks an den von mir vertretenen Kläger … verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zugleich übersende ich den Hinterlegungsschein des Amtsgerichts … vom/die Bürgschaft der …-Bank vom …, nebst Zustellungsnachweis über die nach dem Urteil zu leistende Sicherheit. Ich beantrage unter Bezugnahme auf § 895 ZPO, für den Kläger … in das Grundbuch von … Bl. … eine Auflassungsvormerkung einzutragen. Nur vorsorglich weise ich darauf hin, dass es für diese Sicherungsmaßnahme der Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht bedarf (Zöller/Seibel § 895 ZPO Rz. 1). Kosten: Gerichtskosten: 0,5 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 14150 KV GNotKG) nach dem Wert des Grundstücks (§§ 45 Abs. 3, 46, 47 GNotKG); Anwalt: 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG.
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Wichtig: Beachte hierzu im Übrigen Rz. 74 und Kap. 15 Rz. 154 f.
4. Wegfall der Veranlassung für die Sicherheitsleistung Die prozessuale Sicherheitsleistung dient begrifflich nur einem vorübergehenden (Sicherungs-)Zweck. Deshalb liegt es in der Natur der Sache, dass mit dem Fortfall eines Sicherungsbedürfnisses Ansprüche auf Rückgabe der Sicherheitsleistung entstehen.
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a) Eintritt der Rechtskraft
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Hat der Gläubiger Sicherheit geleistet, gilt § 715 ZPO.
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3. Besonderheiten bei der Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung (§ 895 ZPO)
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Kap. 46 Rz. 48
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
M 46.8
48 M 46.8 Antrag des Gläubigers auf Rückgabe der Sicherheit An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Az. … ist das Urteil vom … rechtskräftig geworden. Eine mit Rechtskraftvermerk versehene Urteilsausfertigung ist beigefügt. Zum Zwecke der Zwangsvollstreckung hat der von mir vertretene Gläubiger … die im Urteil angeordnete Sicherheitsleistung erbracht, und zwar – durch Hinterlegung des Geldbetrages von … Euro oder: – durch Hinterlegung von Wertpapieren im Nennwert von …. Auf den anliegenden Hinterlegungsschein des Amtsgerichts … wird Bezug genommen. oder: – durch Stellung einer Bürgschaft von der … Bank vom …. Ich beantrage gem. § 715 ZPO, die Rückgabe der Sicherheit anzuordnen oder: das Erlöschen der vorgenannten Bürgschaft anzuordnen. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG). Anwaltsgebühren fallen nicht besonders an: Das Verfahren wegen der Rückgabe der Sicherheit gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 RVG).
49 Die rechtskräftige Entscheidung nach § 715 ZPO bindet die Hinterlegungsstelle und führt zur Herausgabe der hinterlegten Sache (Geld, Wertpapiere, usw.; s. zB § 16 Abs. 2 Nr. 2 NHintG, § 18 Abs. 2 Nr. 2 HintGRP). b) Antrag nach § 109 ZPO
50 Wenn der Schuldner die Sicherheit geleistet hat, ist § 715 ZPO nicht einschlägig. Für ihn gilt § 109 ZPO.
51 M 46.9 Antrag nach § 109 ZPO An das Landgericht … In Sachen … / … (Kurzrubrum) Az. … ist das Urteil vom … rechtskräftig geworden. Eine mit Rechtskraftvermerk versehene Urteilsausfertigung ist beigefügt. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung hat der von mir vertretene Schuldner … die im Urteil angeordnete Sicherheitsleistung erbracht, und zwar (wie in M 46.8)
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M 46.9
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Rz. 57 Kap. 46
Ich beantrage gem. § 109 Abs. 1 ZPO,
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dem Gläubiger … aufzugeben, binnen 10 Tagen in die Rückgabe der Sicherheit einzuwilligen oder Klage wegen seiner angeblichen Ansprüche zu erheben. Kosten: s. Anm. zu M 46.8.
Auch hier genügt die unanfechtbar gewordene Entscheidung zum Nachweis der Herausgabelegitimation gegenüber der Hinterlegungsstelle.
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Praxistipp: Hat der Gläubiger nach einer Sicherheitsleistung des Schuldners rechtskräftig obsiegt, so kann er unter Vorlage des rechtskräftigen Titels nach den Bestimmungen der Hinterlegungsgesetze bzw. -ordnungen, zB § 16 Abs. 2 Nr. 2 NHintG, § 18 Abs. 2 Nr. 2 HintGRP, hinterlegtes Geld herausverlangen oder bei Sicherheit durch Prozessbürgschaft den Bürgen in Anspruch nehmen (BGHZ 69, 270 = NJW 1978, 43; Zöller/Herget § 715 ZPO Rz. 2).
III. Zug-um-Zug-Leistung 1. Besonderheiten Ist der Schuldner zur Leistung Zug um Zug gegen eine vom Gläubiger vorzunehmende Handlung verurteilt worden, wird die vollstreckbare Ausfertigung ohne Rücksicht auf die Gegenleistung erteilt (Ausnahme s. Rz. 74). Entscheidend ist, ob der Titel auf eine Zug-um-Zug-Leistung lautet, unabhängig davon, ob materiell-rechtlich eine Zug um Zug zu erbringende Leistung vorliegt (BGH MDR 2008, 1182 = NJW 2008, 3144).
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Hat der Titel verschiedene Forderungen zum Gegenstand, die jeweils Zug um Zug gegen Erbringung 55 unterschiedlicher Gegenleistungen zu erfüllen sind, muss in der Zwangsvollstreckung ausdrücklich klargestellt werden, wegen welcher dieser Forderungen vollstreckt wird (BGH MDR 2008, 1183 = NJW 2008, 3147). Erst bei der Zwangsvollstreckung gewinnt die Zug-um-Zug-Verurteilung ihre Bedeutung. Nach § 756 Abs. 1 ZPO hat der die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger dafür zu sorgen, dass der Schuldner spätestens mit Beginn der Zwangsvollstreckung in Annahmeverzug geraten ist; dieser Annahmeverzug muss durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn im Tenor des zu vollstreckenden Urteils festgestellt wird, dass sich der Beklagte im Verzug der Annahme befindet.
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Wichtig: Wird eine Zug-um-Zug-Verurteilung beantragt (evtl. auch nur hilfsweise), sollte da- 56 mit unbedingt zugleich der Antrag auf Feststellung verbunden werden, dass sich der Beklagte – der künftige Schuldner – im Annahmeverzug befindet (s. M 15.16). Ist dies versäumt worden, so können ggf. noch die Gründe des Urteils herangezogen werden, um den Nachweis des Annahmeverzuges zu führen. Es muss sich jedoch eindeutig aus den Urteilsgründen ergeben, dass sich der Schuldner im Annahmeverzug befindet (LG Berlin DGVZ 1993, 28). Zum Nachweis benötigt das Vollstreckungsorgan in diesem Fall eine vollständige Ausfertigung des Urteils. Nicht zum Nachweis taugt der bloße im Tatbestand fest gehaltene Klageabweisungsantrag des Beklagten gegenüber dem auf eine Zug-um-Zug-Leistung gerichteten Klageantrag.
In allen anderen Fällen ist es Sache des Gläubigers, ggf. mit Hilfe des Gerichtsvollziehers, den An- 57 nahmeverzug des Schuldners herbeizuführen und nachzuweisen (§ 756 Abs. 1 ZPO). Geht die Zugum-Zug-Leistung des Gläubigers auf Geld – die Verurteilung lautet dann auf eine Handlung, zB Herausgabe einer Sache –, ist das unproblematisch: Der Gerichtsvollzieher erhält zugleich mit dem Auftrag das Geld, das er unmittelbar vor Beginn der Vollstreckungshandlung dem Schuldner anbietet (§§ 294, 270 BGB). Ist der Schuldner nicht bereit oder in der Lage, die Leistung zu erbringen, zu
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Kap. 46 Rz. 58
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
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der er verurteilt worden ist, befindet er sich im Annahmeverzug; das Geld erhält er nicht, der Gerichtsvollzieher kann sogleich vollstrecken.
58 Besteht die Gegenleistung in einer Handlung des Gläubigers, müssen die Regeln der §§ 293 ff. BGB beachtet und ihre Einhaltung nachgewiesen werden. 2. Holschuld
59 In der Praxis wird häufig davon ausgegangen, dass der Gerichtsvollzieher nicht verpflichtet ist, das Vorliegen einer Hol- oder Bringschuld nach §§ 269 ff. BGB zu prüfen. Daher ist regelmäßig tatsächlich anzubieten (Thomas/Putzo/Seiler § 756 ZPO Rz. 5), sofern sich das Vorliegen einer Holschuld nicht aus dem Titel ergibt.
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Praxistipp: Bei Abschluss eines Vergleichs mit einer Zug-um-Zug-Regelung sollte auf Gläubigerseite immer darauf geachtet werden, dass die Gegenleistung durch eine entsprechende Formulierung, zB „Zug um Zug gegen Abholung …“ oder Angabe des Erfüllungsorts, als Holschuld bezeichnet wird.
61 Liegt nachweislich eine Holschuld vor, so genügt ein wörtliches Angebot. 62 M 46.10 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Holschuld Sehr geehrter Herr Kollege, In Sachen … / … (Kurzrubrum mit Anwalts-Az. des Gegners) ist der von Ihnen vertretene Beklagte durch Urteil des Amtsgerichts … – Az. … – vom … zur Zahlung von 800 Euro nebst Zinsen und Kosten Zug um Zug gegen Abholung und Eigentumsverschaffung an einem Waschvollautomaten Marke … verurteilt worden. Der Waschvollautomat steht ab sofort in den Geschäftsräumen meines Mandanten in …, bis zum … (10 Tage Frist) von Montag bis Samstag jeweils 9.30–18.00 Uhr zur Abholung gegen Zahlung der Urteilssumme einschließlich Zinsen und Kosten bereit. Auf §§ 295, 269 BGB weisen wir hin. Sollte Ihr Mandant die Frist ungenutzt verstreichen lassen, wird wegen der Geldforderung die Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen betrieben. Kosten: Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; wenn Auftrag zur Zwangsvollstreckung bereits erteilt ist. Wird der Anwalt in der Zwangsvollstreckung weiter tätig, entsteht die Gebühr aber nicht neu, weil es sich um eine Vorbereitungshandlung handelt; die zu diesem Zeitpunkt anfallenden Gebühren gehören jedoch nicht zu den notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung (Zöller/Geimer § 788 ZPO Rz. 6).
63 Wenn der Schuldner hierauf nicht reagiert, muss der Annahmeverzug des Schuldners jedoch noch durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen werden. Beim Angebot sollte man sich stets der Hilfe des Gerichtsvollziehers bedienen; er ist dazu nach § 756 ZPO verpflichtet. Der Gerichtsvollzieher kann, sobald er das für den Annahmeverzug notwendige Angebot gemacht hat, sofort mit der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen beginnen. Für zukünftige Vollstreckungsmaßnahmen gilt das Gerichtsvollzieherprotokoll als Nachweis iSv. § 756 Abs. 1 ZPO. Wenn der Gerichtsvollzieher mit der Vollstreckung und dem mündlichen Angebot beauftragt wird, ist der jeweilige Vollstreckungsauftrag entsprechend zu ergänzen. Die Ergänzung erfolgt bei einem Auftrag an den Gerichtsvollzieher zur Pfändung im Auftragsformular M 47.1 bei dem Modul K 5 und bei einem Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft bei dem Modul G 4.
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Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
Rz. 68 Kap. 46
M 46.11 Mündliches Angebot durch den Gerichtsvollzieher
64
Da der Schuldner zur Zahlung Zug um Zug gegen Abholung und Eigentumsverschaffung an einem Waschvollautomaten Marke … verurteilt worden ist und sich aus dem Urteil ergibt, dass er den Waschvollautomaten abzuholen hat, bitte ich, diese Leistung des Gläubigers dem Schuldner mündlich bzw. schriftlich anzubieten. Der Waschvollautomat steht ab sofort in den Geschäftsräumen des Gläubigers …, bis zum … (10 Tage Frist) von Montag bis Samstag jeweils 9.30–18.00 Uhr zur Abholung gegen Zahlung der Urteilssumme einschließlich Zinsen und Kosten bereit. Kosten: Gerichtsvollzieher: 16 Euro (Nr. 410 KV GvKostG, da das Angebot außerhalb der Zwangsvollstreckung erfolgt; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; wird der Anwalt in der Zwangsvollstreckung weiter tätig, entsteht die Gebühr aber nicht neu, weil es sich um eine Vorbereitungshandlung handelt.
3. Bringschuld Wie ausgeführt, wird in der Praxis regelmäßig ein tatsächliches Angebot verlangt (s. Rz. 59). Wenn vom Schuldner außer der Entgegennahme der Leistung keine besondere Mitwirkungshandlung gefordert werden kann (zB Zahlung von 800 Euro Zug um Zug gegen Anlieferung einer Waschmaschine), bleibt dem Gläubiger deshalb nichts weiter übrig, als die Gegenleistung dem Schuldner tatsächlich anzubieten. Die jeweiligen Vollstreckungsaufträge sind in diesem Fall wie folgt zu ergänzen (zur Eintragung in das Auftragsformular s. Rz. 63):
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M 46.12 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Bringschuld:
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Vollstreckungsauftrag Da der Schuldner zur Zahlung Zug um Zug gegen Lieferung und Eigentumsverschaffung an einem Waschvollautomaten Marke … verurteilt worden ist, bitte ich, den Schuldner … wegen der von dem Gläubiger zu erbringenden Gegenleistung in Annahmeverzug zu setzen. Dazu ist der Waschvollautomat tatsächlich anzubieten. Der Gläubiger wird sich mit Ihnen unverzüglich in Verbindung setzen, um einen Termin für das tatsächliche Angebot zu vereinbaren. Kosten: Gerichtsvollzieher: Für das tatsächliche Angebot einer Leistung im Rahmen der Zwangsvollstreckung fallen keine besonderen Gebühren an (Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 bundeseinheitlich zwischen den Landesjustizverwaltungen vereinbarten Durchführungsbestimmungen zum GvKostG.
Der Gläubiger erhält eine Abschrift des Schreibens M 46.12 mit folgendem Anschreiben:
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M 46.13 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Bringschuld: Schreiben an
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Mandanten Sehr geehrter …, in Ihrer Zwangsvollstreckungssache gegen … übersende ich anliegend eine Abschrift des an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle des Amtsgerichts … übersandten Vollstreckungsauftrags. Nach Auskunft des Amtsgerichts ist zuständig Herr Obergerichtsvollzieher … (Adresse, Telefon, Sprechzeiten). Bitte setzen Sie sich mit Herrn … in Verbindung, um einen Termin für das tatsächliche Angebot des Waschvollautomaten zu vereinbaren. Ohne dieses tatsächliche Angebot kann aus dem Urteil nicht vollstreckt werden. Den Waschvollautomaten müssen Sie dem Schuldner nur übergeben, wenn die gesamte Forderung nebst Kosten und Zinsen vom Schuldner sofort gezahlt wird.
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M 46.13
Kap. 46 Rz. 69
Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
M 46.14
ZPO
69 Allerdings kann nach § 756 Abs. 2 ZPO von einem tatsächlichen Angebot durch den Gerichtsvollzieher abgesehen werden, wenn der Schuldner auf ein wörtliches Angebot des Gerichtsvollziehers erklärt, er wolle die Leistung nicht annehmen. Die jeweiligen Vollstreckungsaufträge sind in diesem Fall wie folgt zu ergänzen (zur Eintragung in das Auftragsformular s. Rz. 63):
70 M 46.14 Vollstreckungsauftrag mit wörtlichem Angebot der Gegenleistung bei
Bringschuld Da der Schuldner zur Zahlung Zug um Zug gegen Lieferung und Eigentumsverschaffung an einem Waschvollautomaten Marke … verurteilt worden ist, diesen aber voraussichtlich nicht annehmen oder zwar annehmen, die Klageforderung aber nicht begleichen will, bitte ich, gem. § 756 Abs. 2 ZPO dem Schuldner den Waschvollautomaten wörtlich Zug um Zug gegen die von ihm zu erbringende Klageforderung nebst Zinsen und Kosten anzubieten. Falls aber der Schuldner zur Annahme des Waschvollautomaten gegen Zahlung der Klageforderung bereit ist, bitte ich um Mitteilung, wann von meinem Mandanten der Waschvollautomat zur Wohnung des Schuldners gebracht werden soll, damit er von Ihnen dem Schuldner in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten werden kann. Kosten: Gerichtsvollzieher: Für das tatsächliche Angebot einer Leistung im Rahmen der Zwangsvollstreckung fallen keine besonderen Gebühren an (Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 bundeseinheitlich zwischen den Landesjustizverwaltungen vereinbarten Durchführungsbestimmungen zum GvKostG); für die Vollstreckung fallen Gebühren je nach Auftrag und vorgenommenen Amtshandlungen nach dem GvKostG an; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für das Mobiliarvollstreckungsverfahren und falls die Bedingungen für das Verfahren zur Abnahme Vermögensauskunft eintreten, eine weitere 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für dieses Verfahren – Höchstwert 2.000 Euro (§ 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG); das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 16 RVG).
4. Sonderfall: Pflicht des Gläubigers zur Mängelbeseitigung
71 Ein Sonderfall ist die Verurteilung zur Zahlung Zug um Zug gegen Mängelbeseitigung. In solchen Fällen hat der Gläubiger den Nachweis zu führen, dass er die Gegenleistung angeboten oder ordnungsgemäß erbracht hat. Zu diesem Zweck ist dem Schuldner zunächst mitzuteilen, dass der Gläubiger seiner Pflicht zur Mängelbeseitigung nachkommen will.
72 M 46.15 Herbeiführung des Annahmeverzuges bei Pflicht zur Mängelbeseitigung Sehr geehrter Herr Kollege, In Sachen … / … (Kurzrubrum mit Anwalts-Az. des Gegners) hat das Amtsgericht … – Az. … – durch Urteil vom … Ihren Mandanten … verurteilt, meinem Mandanten … 500 Euro Zug um Zug gegen Erneuerung der 20 mal 120 cm großen Scheibe in der Haustür zur Wohnung Ihres Mandanten … (genaue Anschrift) … mit Sicherheitsglas, Marke NN, 5 mm Dicke, nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Mein Mandant ist zur Vornahme der etwa 1 Stunde dauernden Reparatur in der Zeit vom … bis … (14 Tage) bereit. Es bedarf aber eines Abrufs der Leistung von zwei Tagen vor dem von Ihrem Mandanten gewünschten Termin. Selbstverständlich wird mein Mandant die Arbeiten nur durchführen, wenn die Urteilssumme vollständig zur Aushändigung bereit liegt. Auf die §§ 295, 298 BGB weise ich ausdrücklich hin. Kosten: s. Anm. zu M 46.10.
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Rz. 76 Kap. 46
Das Schreiben gem. M 46.15 reicht jedoch nicht aus, um den Annahmeverzug in der Form des § 756 73 ZPO (öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde) nachzuweisen. Wenn der Schuldner auf das Schreiben nicht reagiert, muss der Gläubiger den Gerichtsvollzieher entsprechend M 46.12 beauftragen, die Mängelbeseitigung in Gegenwart des Gläubigers anzubieten und den Gläubiger entsprechend M 46.13 informieren. Sofern der Schuldner nicht angetroffen wird oder die Mängelbeseitigung ablehnt, ist der Annahmeverzug durch das Gerichtsvollzieherprotokoll nachgewiesen. Lässt der Schuldner die Mängelbeseitigung – sofort oder nach Beauftragung des Gerichtsvollziehers – zu, bestreitet jedoch deren ordnungsgemäße Durchführung, wird der Gerichtsvollzieher, sofern er die Ordnungsmäßigkeit der Gegenleistung nicht selbst beurteilen kann, auf Kosten des Gläubigers einen Sachverständigen beauftragen. Erst wenn dieser festgestellt hat, dass die Mängel beseitigt sind, kann vollstreckt werden. Dieses sehr umständliche Verfahren lässt sich leider nur umgehen, wenn der Annahmeverzug bereits durch das Urteil oder später durch ein Gerichtsvollzieherprotokoll festgestellt ist. 5. Verurteilung zur Abgabe einer von einer Gegenleistung abhängigen Willenserklärung Nach § 726 Abs. 2 ZPO wird eine vollstreckbare Ausfertigung in diesen Fällen erst erteilt, wenn ge- 74 genüber dem (Prozess-)Gericht der Nachweis erbracht wird, dass der Schuldner im Verzug der Annahme der Gegenleistung ist. Der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung nach § 895 ZPO kann jedoch unter Vorlage einer einfachen, also ohne Vollstreckungsklausel erteilten Urteilsausfertigung (Zöller/Seibel § 895 ZPO Rz. 1) gestellt werden (vgl. M 46.7). Ist das Urteil rechtskräftig geworden, hat der Gläubiger lediglich den Annahmeverzug des Schuldners herbeizuführen (s.o.) und dem (Prozess-)Gericht nachzuweisen; er erhält dann mit der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils die Willenserklärung (§ 894 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
IV. Vollstreckung aus einer vollstreckbaren Urkunde Wenn aus einer vollstreckbaren Urkunde vollstreckt wird, in welcher ein Vertreter die Unterwerfung 75 des Schuldners unter die sofortige Zwangsvollstreckung erklärt hat, müssen die Vollmacht des Vertreters oder (bei vollmachtlosem Handeln) die Genehmigung durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden dem Schuldner bis zum Beginn der Zwangsvollstreckung zugestellt werden (BGH MDR 2007, 297).
V. Checkliste 76
Checkliste: Vorbereitung der Zwangsvollstreckung l Titel mit Klausel und Zustellung (vollstreckbarer Titel) l Gegebenenfalls Zustellung der Klausel und weiterer Unterlagen l Name und Anschrift des Schuldners, ggf. des gesetzlichen Vertreters l Prozessbevollmächtigte des Schuldners wegen §§ 81, 172 ZPO notieren l Sicherheitsleistung vor Eintritt der Rechtskraft l Sicherungsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung (Wartefrist nach Zustellung des Urteils beachten nur im Fall des § 750 Abs. 2 ZPO Klausel zustellen und erneut Wartefrist beachten) l Rangsicherung bei Erklärungen zum Grundbuch l Vorbereitung einer Zwangsvollstreckung bei Verurteilung zur Leistung Zug um Zug l Herbeiführung von Annahmeverzug, sofern nicht urkundlich nachgewiesen
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Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
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B. Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen Kapitel 47 Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft I. Die Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Auftragsformular . . . . . . . . . . . . . M 47.1 Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . M 47.2 Forderungsaufstellung . . . . . . . III. Die gütliche Erledigung . . . . . . . . . . . . IV. Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf wiederholte Abgabe der Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Antrag auf Nachbesserung der Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . M 47.3 Auftrag zur Nachbesserung der Vermögensauskunft . . . . . . . . . 4. Übersendung eines Ausdrucks der Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . M 47.4 Zusatz bei Antrag auf Übersendung eines Ausdrucks der Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . V. Erzwingungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . M 47.5 Isolierter Antrag auf Erlass eines Haftbefehls . . . . . . . . . . .
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I. Die Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher 1 Für die Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen einschließlich der Abgabe der Vermögensauskunft ist der Gerichtsvollzieher das zuständige Vollstreckungsorgan, § 154 GVG, § 753 ZPO. Mit seiner Beauftragung ist eine gesetzlich geregelte Ermächtigung verbunden, und zwar sowohl gegenüber dem Gläubiger, § 754 ZPO, wie auch gegenüber dem Schuldner oder einem Dritten, § 755 ZPO. Der Gerichtsvollzieher richtet sich bei der Vollstreckung nach der in sämtlichen Ländern bundeseinheitlich geltenden Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA). Es handelt sich hierbei um eine Verwaltungsvorschrift, deren Beachtung für die Gerichtsvollzieher Dienstpflicht ist; bei Nichtbeachtung können Amtshaftungsansprüche begründet sein. Derzeit gilt die Fassung v. 5.9.2016 (für alle Länder bundeseinheitlich; abgedruckt unter Nr. 109 im Schönfelder Ergänzungsband). Darin werden – mit bindender Wirkung für die Gerichtsvollzieher – die für die Gerichtsvollziehervollstreckung maßgeblichen Bestimmungen der ZPO ausgelegt. Bei Zweifelsfragen empfiehlt sich also immer ein Blick in die GVGA.
2 § 802a Abs. 2 ZPO ermöglicht eine differenziertere Auftragserteilung. Danach ist der Gerichtsvollzieher aufgrund eines entsprechenden Vollstreckungsauftrags und der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung befugt, 1. eine gütliche Erledigung der Sache (§ 802b ZPO) zu versuchen, 2. eine Vermögensauskunft des Schuldners (§ 802c ZPO) einzuholen, 3. Auskünfte Dritter über das Vermögen des Schuldners (§ 802l ZPO) einzuholen, 4. die Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen zu betreiben, 5. eine Vorpfändung (§ 845 ZPO) durchzuführen; hierfür bedarf es nicht der vorherigen Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung und der Zustellung des Schuldtitels. Die Maßnahmen sind in dem Vollstreckungsauftrag genau zu bezeichnen. Ferner muss der Gläubiger, der mehrere Anträge in einem Verfahren stellt, die Reihenfolge der beantragten Maßnahmen angeben.
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Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
Rz. 5 Kap. 47
Die große Bandbreite an Vollstreckungsmöglichkeiten macht es erforderlich, vor der Vollstreckung deren Ziel genau zu bestimmen. Die Pfändung sollte nur beantragt werden, wenn voraussichtlich entweder pfändbare Habe vorhanden ist oder der Schuldner unter dem Druck der bevorstehenden Pfändung eher zu Ratenzahlungen bereit ist. Sofern nur die möglichen Vollstreckungszugriffe ermittelt werden sollen, empfiehlt es sich, den Auftrag auf die Vermögensauskunft zu beschränken und ggf. ergänzend zu beantragen, Auskünfte über den Schuldner einzuholen. Auf keinen Fall sollten immer undifferenziert alle zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen beantragt werden. Denn damit kommen auf den Gläubiger erhebliche Kosten zu, die sämtlich von ihm zu verauslagen sind.
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ZPO
M 47.1
II. Das Auftragsformular Das Bundesjustizministerium hat von der Ermächtigung aus § 753 Abs. 3 ZPO, verbindliche Formulare für den Auftrag an den Gerichtsvollzieher einzuführen, mit der Gerichtsvollzieherformular-Verordnung (GVFV v. 28.9.2015, BGBl. I, 1586, geändert durch Art. 8 EuKoPfVODG v. 21.11.2016, BGBl. I, 2591) Gebrauch gemacht.
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M 47.1 Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher
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Hinweis: Hier wurde die erste Seite des Auftrags abgedruckt. Sie finden das vollständige Formular unter www.justiz.de, Formulare, Vollstreckungsauftrag an die Gerichtsvollzieherin/den Gerichtsvollzieher.
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Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
M 47.1
ZPO
Kap. 47 Rz. 5
Kosten: Gerichtsvollzieher: 26 Euro für die Bewirkung einer Pfändung nach Nr. 205 KV GvKostG, 8 Euro für den Versuch einer gütlichen Einigung nach Nr. 208 KV GvKostG und 33 Euro nach Nr. 260 KV GvKostG, falls die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt ist; wird eine Pfändung nicht erwirkt: wird eine Pfändung nicht erwirkt oder die Vermögensauskunft nicht abgenommen: jeweils 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG (§ 10 Abs. 1 Satz 2 GvKostG); die Gebühr bei Nichtabnahme der Vermögensauskunft wird nicht erhoben, wenn die Abnahme nicht erfolgt, weil der Schuldner die Vermögensauskunft innerhalb der letzten 2 Jahre bereits abgegeben hat (Anm. zu Nr. 604 KV GvKostG); zzgl. Zustellungskosten; beschränkt sich der Auftrag auf die gütliche Erledigung: 16 Euro nach Nr. 207 GvKostG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; Wert höchstens 2.000 Euro (§ 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG); das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 16 RVG).
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Rz. 8 Kap. 47
Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 GVFV gilt der Formularzwang nicht für einen Auftrag, der ausschließlich 6 die Zustellung eines Schriftstücks zum Inhalt hat. Herausgabeanträge (s. Kap 56) sind nicht mithilfe des Formulars zu stellen. § 2 GVFV sieht vor, dass inhaltliche Abweichungen von dem Formular einschließlich der Anlagen nicht zulässig sind mit Ausnahme von Anpassungen, die auf der Änderung von Rechtsvorschriften beruhen. Soweit für den beabsichtigten Vollstreckungsauftrag in dem Formular keine zweckmäßige Möglichkeit zur Eintragung vorgesehen ist, kann ein geeignetes Freitextfeld oder eine zusätzliche Anlage verwendet werden, wobei auch die Verwendung mehrerer Freitextfelder und zusätzlicher Anlagen zulässig ist. Hier ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ZVFV zu beachten, wonach ein geeignetes Freifeld oder eine Anlage nur genutzt werden kann, soweit für den beabsichtigten Antrag keine zweckmäßige Eintragungsmöglichkeit in dem Formular besteht (BGH NJW 2016, 81). Das Formular gliedert sich in sog. Module. Modul in diesem Sinne ist jeder Teil des Formulars, der An- 7 gaben des Antragstellers enthält, die in einem inhaltlichen und formalen Zusammenhang stehen. Es genügt, nur die Seiten des Formulars, auf denen sich Angaben des Antragstellers befinden, oder nur die Module des Formulars, die Angaben des Antragstellers enthalten, einzureichen. Hierzu zählen insbesondere die Teile des Formulars, die Angaben zu dem Gläubiger und dem Schuldner enthalten, sowie die von dem Gerichtsvollzieher jeweils durchzuführenden Aufträge. Die durch das Formular festgelegte Reihenfolge der Module ist einzuhalten. Die nicht eingereichten Formularseiten oder Module gelten als Teil des Vollstreckungsauftrags. Die mehrfache Verwendung von Modulen für den Vollstreckungsauftrag ist zulässig. Innerhalb eines Moduls darf eine Erweiterung der für Eintragungen vorgesehenen Felder vorgenommen werden, soweit hierfür Bedarf besteht. Im Fall der Einreichung eines Vollstreckungsauftrags, der Module mehrfach verwendet oder nicht aus allen Modulen des Formulars besteht, muss der Antragsteller dafür Sorge tragen, dass das eingereichte Formular aus sich heraus für die Durchführung des Vollstreckungsauftrags durch einen Gerichtsvollzieher verständlich ist. Diese Ausführungen gelten für die Forderungsaufstellung (s. Rz. 9) entsprechend. Der Auftrag ist mit einer Original-Unterschrift zu versehen, sofern er nicht elektronisch eingereicht 8 wird. Nach Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs kann der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auch elektronisch eingereicht werden. Dazu sieht § 754a ZPO vor, dass im Fall eines elektronischen Antrags zur Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid, der einer Vollstreckungsklausel nicht bedarf, bei Pfändung und Überweisung einer Geldforderung die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides entbehrlich ist, wenn die sich aus dem Vollstreckungsbescheid ergebende fällige Geldforderung einschließlich titulierter Nebenforderungen und Kosten nicht mehr als 5.000 Euro beträgt (Kosten der Zwangsvollstreckung sind bei der Berechnung der Forderungshöhe nur zu berücksichtigen, wenn sie allein Gegenstand des Vollstreckungsantrags sind), die Vorlage anderer Urkunden als der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides nicht vorgeschrieben ist, der Gläubiger eine Abschrift des Vollstreckungsbescheides nebst Zustellungsbescheinigung als elektronisches Dokument dem Antrag beifügt und der Gläubiger versichert, dass ihm eine Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides und eine Zustellungsbescheinigung vorliegen und die Forderung in Höhe des Vollstreckungsantrags noch besteht. Wenn Kosten der Zwangsvollstreckung vollstreckt werden sollen, sind eine nachprüfbare Aufstellung der Kosten und entsprechende Belege als elektronisches Dokument dem Antrag beizufügen. Hat der Gerichtsvollzieher an dem Vorliegen einer Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids oder der übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen Zweifel, teilt er dies dem Gläubiger mit und führt die Zwangsvollstreckung erst durch, nachdem der Gläubiger die Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids übermittelt oder die übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen nachgewiesen hat. Sofern die Voraussetzungen des § 754a ZPO nicht vorliegen, müssen die Vollstreckungsunterlagen dem elektronisch gestellten Antrag nachgesandt werden. Zumal für den Antrag nach § 754a ZPO keine Ausnahme von der Vorschusspflicht gem. § 4 GvKostG besteht und der Gerichtsvollzieher mit der Durchführung des Auftrages ohnehin abwarten wird, bis die Vollstreckungsunterlagen vorliegen, empfiehlt sich außerhalb des Regelungsbereichs des § 754a ZPO die elektronische Antragstellung nicht.
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ZPO
Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
Kap. 47 Rz. 9
Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
M 47.2
ZPO
9 Auch wenn die Forderungsaufstellung in dem Formular enthalten ist, wird nachfolgend ein Muster dafür angeboten. Soweit der Formularzwang gilt, ist jedoch vorrangig die im Formular enthaltene Forderungsaufstellung zu nutzen. Nur soweit die Forderung darin nicht vollständig wiedergegeben werden kann, darf eine eigene Forderungsaufstellung beigefügt werden.
10 M 47.2 Forderungsaufstellung Forderungsaufstellung – Anlage zum Vollstreckungsauftrag vom … Wichtig: Vorrangig ist das Formular M 47.1 zu nutzen (s. Rz. 9). Hauptforderung:
4.500 Euro
Zinsen gem. § 288 BGB iHv. fünf Prozentpunkten (neun Prozentpunkten s. Kap. 15 Rz. 39!) über dem Basiszinssatz iHv. … (zur Ermittlung s. Kap. 15 Rz. 41). zB
2,70 vom … bis … = … Tage = … Euro 3,19 vom … bis … = … Tage = … Euro
zzgl. weiterer Zinsen ab Antragstellung Alternative bei höherem Verzugszins gem. § 288 Abs. 4 BGB: Zinsen iHv. … % (einsetzen wie in obige Tabelle) Kosten, festgesetzt laut anliegendem Beschluss v. … iHv. … Euro nebst festgesetzten Zinsen gem. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz iHv. (einsetzen wie in obige Tabelle) Rechtsanwaltskosten für diesen Antrag VV RVG Nr. 3309 Auslagen für diesen Antrag VV RVG Nr. 6002 Gerichtsvollzieherkosten Weitere Kosten dieses Verfahrens, zB für die Zustellung des Nachweises der Sicherheit Insgesamt:
… Euro … Euro … Euro … Euro … Euro
III. Die gütliche Erledigung 11 Die gütliche Erledigung ist in § 802b ZPO geregelt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift soll der Gerichtsvollzieher in jeder Lage des Verfahrens auf die gütliche Erledigung bedacht sein. Gemäß § 802b Abs. 2 ZPO kann der Gerichtsvollzieher eine Zahlungsfrist einräumen oder eine Ratenzahlung gestatten, wenn der Gläubiger eine Zahlungsvereinbarung nicht ausgeschlossen und der Schuldner glaubhaft dargelegt hat, die nach Höhe und Zeitpunkt festzusetzenden Zahlungen erbringen zu können. Die Tilgung soll innerhalb von zwölf Monaten abgeschlossen sein; der Gläubiger kann auch eine kürzere Frist vorgeben. Die Vereinbarung mit dem Schuldner wird als Zahlungsplan bezeichnet. Soweit dieser festgesetzt ist, ist die Vollstreckung aufgeschoben. Nach § 802b Abs. 3 ZPO unterrichtet der Gerichtsvollzieher den Gläubiger unverzüglich über den Zahlungsplan und den Aufschub. Der Zahlungsplan wird hinfällig und der Vollstreckungsaufschub endet, wenn der Gläubiger unverzüglich widerspricht oder der Schuldner mit einer festgesetzten Zahlung unabhängig vom Verschulden ganz oder teilweise länger als zwei Wochen in Rückstand gerät.
12 Der Gläubiger sollte bereits mit dem Vollstreckungsauftrag mitteilen, ob er einem Zahlungsplan zustimmt bzw. nicht oder unter Einschränkungen zustimmt. Falls der Gläubiger eine Zahlungsvereinbarung nicht wünscht, ist das Modul F des Formulars M 47.1 anzukreuzen.
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Wichtig: Der Gerichtsvollzieher wird, sofern eine Zahlungsvereinbarung nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, im Regelfall den Versuch einer gütlichen Erledigung unternehmen und entsprechende Gebühren erheben.
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Rz. 19 Kap. 47
Sofern die gütliche Erledigung beantragt wird, sieht Modul E des Formulars M 47.1 verschiedene Möglichkeiten vor, Vorgaben zu machen. Der Gläubiger kann den Gerichtsvollzieher auch mit der isolierten gütlichen Erledigung (Modul E 5) beauftragen. Dies empfiehlt sich jedoch schon aus gebührenrechtlichen Gründen nicht, weil Nr. 207 KVGVKostG für den Versuch einer gütlichen Erledigung eine höhere Gebühr nur vorsieht, wenn der Gerichtsvollzieher nicht zugleich beauftragt wird, eine Vermögensauskunft einzuholen oder körperliche Sachen zu pfänden.
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ZPO
Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
Nicht geregelt ist, ob und wie die gütliche Einigung erfolgen kann, wenn mehrere Gläubiger vollstre- 15 cken. Bei gleichzeitiger Vollstreckung mehrerer Gläubiger muss der Schuldner in der Lage sein, die Forderungen aller Gläubiger mithilfe eines Zahlungsplanes zu erfüllen (Hk-ZV/Sternal § 802b ZPO Rz. 18). Wenn weitere Aufträge eingehen, steht dies gem. § 68 Abs. 4 GVGA dem Abschluss weiterer Ratenzahlungsvereinbarungen oder der Einräumung von Zahlungsfristen nicht entgegen, sofern der Vorschlag des Schuldners die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gütliche Erledigung in jeder einzelnen weiteren Vollstreckungsangelegenheit erfüllt. Der Schuldner hat in diesem Fall für jede Angelegenheit seine Leistungsfähigkeit und -bereitschaft glaubhaft darzulegen. Zur Insolvenzfestigkeit der Zahlungen s. Kap. 45 Rz. 28.
IV. Vermögensauskunft 1. Antrag Zuständig für die Abnahme der Vermögensauskunft ist nach § 802e ZPO der Gerichtsvollzieher bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner im Zeitpunkt der Auftragserteilung seinen Wohnsitz oder ersatzweise, wenn ein Wohnsitz nicht vorhanden ist, seinen Aufenthaltsort hat. Sollte der Gerichtsvollzieher nicht zuständig sein, muss er den Vollstreckungsauftrag auf Antrag des Gläubigers an den zuständigen Gerichtsvollzieher weiterleiten. Der Antrag auf Weiterleitung sollte zur Vermeidung von Zeitverlusten immer gestellt werden. Er findet sich in Modul P 5 des Formulars M 47.1.
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Der Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft ist mit Modul G des Formulars M 47.1 zu stellen. Unterschieden wird zwischen der Vermögensauskunft ohne vorherigen Pfändungsversuch und nach vorherigem Pfändungsversuch (s. dazu Kap. 49 Rz. 9 ff.).
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Da der Gläubiger auch im Wege der Sicherungsvollstreckung die Abgabe der Vermögensauskunft verlangen kann (s. Kap. 46 Rz. 10) braucht eine evtl. erforderliche Sicherheitsleistung grundsätzlich nicht nachgewiesen zu werden. Der Gläubiger sollte aber klarstellen, ob er nach Leistung der Sicherheit vollstreckt (M 46.5) oder die Sicherungsvollstreckung betreibt (M 46.3). Sofern die Sicherheit erbracht wird, um einer Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung des Schuldners zuvorzukommen, ist Kap. 46 Rz. 41 zu beachten. Zum Haftantrag s. Rz. 30 ff., zum Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft vor oder nach Pfändung s. Kap. 49 Rz. 9 ff. Da der Schuldner vom Gerichtsvollzieher zur Zahlung aufgefordert wird, ist die im Formular enthaltene Forderungsaufstellung beizufügen.
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Der Gerichtsvollzieher setzt dem Schuldner zunächst für die Begleichung der Forderung nach § 802f Abs. 1 ZPO eine Frist von zwei Wochen. Die Fristsetzung ist jedoch entbehrlich, wenn der Gerichtsvollzieher den Schuldner bereits zuvor zur Zahlung aufgefordert hat und seit dieser Aufforderung zwei Wochen verstrichen sind, ohne dass die Aufforderung Erfolg hatte. Zugleich bestimmt er für den Fall, dass die Forderung nach Ablauf dieser Frist nicht vollständig beglichen ist, einen Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft, der alsbald nach Fristablauf liegen soll, und lädt den Schuldner zur Abgabe in seine Geschäftsräume. Abweichend davon kann der Gerichtsvollzieher gem. § 802f Abs. 2 ZPO auch bestimmen, dass die Abgabe der Vermögensauskunft in der Wohnung des Schuldners stattfindet. Dem kann der Schuldner wiederum binnen einer Woche gegenüber dem Gerichtsvollzieher widersprechen. Unterbleibt der Widerspruch oder wird er nicht fristgerecht abgegeben, gilt der Termin als pflichtwidrig versäumt. Dem Gläubiger bzw. seinem Bevollmächtigten ist die Terminsbestimmung mitzuteilen.
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Kap. 47 Rz. 20
Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
M 47.3
ZPO
20 Inhalt und Umfang der Auskunftspflicht sind in § 802c Abs. 2 ZPO geregelt. Der Schuldner muss alle ihm gehörenden Vermögensgegenstände, dh. körperliche Gegenstände, Forderungen – einschließlich Grund des Anspruchs sowie Beweismittel mit Namen und Anschrift des Drittschuldners – und andere Vermögensrechte angeben. Ferner gehören zur Vermögensauskunft auch Angaben, die dem Gläubiger die Ausübung eines Anfechtungsrechtes ermöglichen. Außerdem muss der Schuldner Geburtsnamen, Geburtsdatum und Geburtsort angeben. Das Vermögensverzeichnis wird als elektronisches Dokument (pdf-Datei) errichtet, das dem Schuldner vorgelesen oder zur Durchsicht am Bildschirm gezeigt wird. Ob der Schuldner Fragen des Gläubigers zu weiteren Themen beantworten muss, die über diejenigen hinausgehen, die im herkömmlich verwendeten Formblatt zur Erstellung der Vermögensauskunft enthalten sind, hängt davon ab, ob die zusätzlichen Fragen auf die konkrete Schuldnersituation abstellen oder aber ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem konkreten Lebenssachverhalt lediglich der allgemeinen Ausforschung im Wege der Befragung auf Verdacht dienen (BGH MDR 2012, 606). Es empfiehlt sich daher nicht, dem Antrag wahllos einen umfangreichen Fragenkatalog beizufügen. Das elektronische Dokument übermittelt der Gerichtsvollzieher dem zentralen Vollstreckungsgericht. Der Gläubiger erhält vom Gerichtsvollzieher einen Ausdruck mit dem Vermerk, dass der Ausdruck mit dem Inhalt des Vermögensverzeichnisses übereinstimmt, § 802f Abs. 6 Satz 2 ZPO. Der Gläubiger darf die erlangten Daten nur zu Vollstreckungszwecken nutzen und muss sie nach Erreichen dieses Zwecks wieder löschen. 2. Antrag auf wiederholte Abgabe der Vermögensauskunft
21 Der Schuldner, der die Vermögensauskunft innerhalb der letzten zwei Jahre abgegeben hat, ist gem. § 802d Abs. 1 Satz 1 ZPO zur erneuten Abgabe nur verpflichtet, wenn der Gläubiger Tatsachen glaubhaft macht, die auf eine wesentliche Veränderung der Vermögensverhältnisse des Schuldners schließen lassen. Der Auftrag ist mithilfe des Moduls G 3 des Formulars M 47.1 zu stellen.
22 Zum Einverständnis mit Ratenzahlungen s. Rz. 11. 3. Antrag auf Nachbesserung der Vermögensauskunft
23 Die erneute Vermögensauskunft ist nicht zu verwechseln mit der Nachbesserung einer bereits abgegebenen Vermögensauskunft. Zur Nachbesserung ist der Schuldner verpflichtet, wenn er ein unklares oder lückenhaftes Vermögensverzeichnis vorlegt, zB dem Gläubiger bekannte Einkünfte verschweigt, wobei das Verschweigen Indiz dafür ist, dass die Vermögensauskunft insgesamt unvollständig ist. Das Nachbesserungsverfahren ist also Fortsetzung des wegen eines vom Schuldner verursachten Mangels noch nicht abgeschlossenen ursprünglichen Verfahrens. Das Formular M 47.1 enthält kein Modul für diesen Auftrag.
24 M 47.3 Auftrag zur Nachbesserung der Vermögensauskunft Herrn Obergerichtsvollzieher … In Sachen … / … (Langrubrum) hat der Schuldner zu DR II … (Aktenzeichen des Gerichtsvollziehers, der die ursprüngliche Vermögensauskunft abgenommen hat) am … die Vermögensauskunft abgegeben. Dabei hat er nicht erwähnt, dass er eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht. Im beigefügten Fragebogen zum Versorgungsausgleich, den der Schuldner in dem zwischen den Parteien geführten Scheidungsverfahren eingereicht hat, ist dagegen auf diese Rente Bezug genommen.
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M 47.4
Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
Rz. 29 Kap. 47
Es wird daher beantragt,
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den Schuldner zur Nachbesserung der Vermögensauskunft zu laden. Eine Ausfertigung des Urteils des Amtsgerichts … vom … Az. … mit Zustellungsvermerk liegt an. Eine Forderungsaufstellung ist beigefügt. Im Fall der örtlichen Unzuständigkeit beantrage ich die Abgabe an den zuständigen Gerichtsvollzieher. Kosten: keine besonderen Kosten, gehört zum ursprünglichen Verfahren.
Zum Einverständnis mit Ratenzahlungen s. Rz. 11. Eine Forderungsaufstellung nach M 47.2 ist beizufügen.
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4. Übersendung eines Ausdrucks der Vermögensauskunft Einen Ausdruck des Vermögensverzeichnisses kann der Gläubiger nur über den Gerichtsvollzieher erhalten, nicht jedoch bei dem zentralen Vollstreckungsgericht. Dort erhält der Gläubiger eine Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis (s. Kap. 45 Rz. 2). Der Gerichtsvollzieher ruft die gespeicherte Vermögensauskunft bei einem zentralen, für die ganze Bundesrepublik gem. § 802k Abs. 1 Satz 2 ZPO in Hagen (Westfalen) geführten Portal ab. Auf dieses haben nur Vollstreckungsorgane Zugriff. Anschließend übersendet der Gerichtsvollzieher einen Ausdruck der Vermögensauskunft an den Gläubiger und informiert den Schuldner, § 802d Abs. 1 Satz 2, 4 ZPO.
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Da das Formular M 47.1 keinen Auftrag zur Übermittlung der Abschrift eines bereits abgegebenen Vermögensverzeichnisses enthält und ein solcher Auftrag teilweise für unzulässig gehalten wird, sollte der Gläubiger, der eine Abschrift des letzten abgegebenen Vermögensverzeichnisses erhalten möchte, einen Antrag auf dessen erneute Abgabe stellen. In Modul G 4 des Formulars M 47.1 kann klarstellend eingegeben werden:
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M 47.4 Zusatz bei Antrag auf Übersendung eines Ausdrucks der
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Vermögensauskunft Der Schuldner hat am … die Vermögensauskunft abgegeben. Ich bitte, eine Abschrift dieser Vermögensauskunft zu übersenden. Kosten: Gerichtsvollzieher: 33 Euro nach Nr. 261 KV GvKostG, wenn der Gerichtsvollzieher die Abschrift der Vermögensauskunft übermittelt: ansonsten 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; der Antrag auf Übermittlung des Vermögensverzeichnisses gehört zur Vollstreckungsmaßnahme (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
Streitig war, ob der Gläubiger beantragen konnte, die Vermögensauskunft nur zu übersenden, wenn 29 sie nicht älter als zB 6 Monate ist, oder ob er sogar ganz darauf verzichten konnte. Nunmehr ist nach § 802d Abs. 1 Satz 2 ZPO ein Verzicht des Gläubigers auf die Zuleitung unbeachtlich (die gegenteilige Entscheidung BGH NJW 2017, 571 = MDR 2016, 1471 bezieht sich auf die frühere Rechtslage und ist jetzt nicht mehr einschlägig).
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Kap. 47 Rz. 30
Gütliche Erledigung, Vermögensauskunft, Haft
M 47.5
ZPO
V. Erzwingungshaft 30 Auf Antrag des Gläubigers kann der Schuldner, der unentschuldigt im Termin zur Vermögensauskunft nicht erscheint oder deren Abgabe ohne Grund verweigert, zur Erzwingung der Abgabe verhaftet werden. Das Vollstreckungsgericht erlässt gem. § 802g ZPO auf Antrag des Gläubigers einen Haftbefehl. Es handelt sich dabei jedoch nicht um die einzige Möglichkeit des Gläubigers, Informationen über das Vermögen des Schuldners zu erhalten. Der Gläubiger sollte stattdessen erwägen, den Gerichtsvollzieher in diesem Fall zu beauftragen, weitere Ermittlungen anzustellen (s. Kap. 48).
31 Der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls kann sogleich mit dem Antrag auf Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft gestellt werden. Der Gläubiger muss sich dabei entscheiden, ob er zugleich einen Verhaftungsauftrag erteilt oder sich den Haftbefehl übersenden lässt. Die Antragstellung erfolgt im Modul H des Formulars M 47.1.
32 Wenn der Gläubiger zunächst nur die Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft beantragt und der Schuldner zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erscheint oder deren Abgabe verweigert, ist der spätere Antrag auf Erlass des Haftbefehls bei dem örtlichen Vollstreckungsgericht zu stellen.
33 M 47.5 Isolierter Antrag auf Erlass eines Haftbefehls An das Amtsgericht Vollstreckungsgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich eine Ausfertigung des Urteils des Amtsgerichts … vom … Az.: … mit Zustellungsvermerk sowie eine Abschrift des Gerichtsvollzieherprotokolls vom … Danach ist der Schuldner am … zur Abgabe der Vermögensauskunft bestimmten Termin nicht erschienen. Ich beantrage, einen Haftbefehl gegen den Schuldner zu erlassen und mir zu übersenden. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2113 KV GKG; Anwalt: gehört zum Verfahren auf Abnahme der Vermögensauskunft.
34 Wenn der Gläubiger mit dem Formular M 47.1 Modul H um Übersendung des Haftbefehls gebeten oder nachträglich mit dem Antrag M 47.5. dessen Erlass beantragt hat, muss er den Gerichtsvollzieher mit der Verhaftung beauftragen. Dafür steht Modul I des Formulars M 47.1 zur Verfügung.
35 Zum Einverständnis mit Ratenzahlungen s. Rz. 11. Eine Durchsuchungsgenehmigung ist für die Verhaftung nicht erforderlich, § 758a Abs. 2 Satz 1 ZPO. Wenn die Verhaftung zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen erfolgen soll, ist vorab ein Antrag nach M 49.2 zu stellen, der daraufhin erlassene Beschluss dem Auftrag beizufügen und in Modul P 8 des Formulars M 47.1 ein entsprechender Hinweis einzutragen.
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Auskunftsrechte des Gerichtsvollziehers
Rz. 5 Kap. 48
I. Antrag auf Aufenthaltsermittlung . . . . . . . .
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Kapitel 48 Auskunftsrechte des Gerichtsvollziehers II. Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Antrag auf Aufenthaltsermittlung Gemäß § 755 Abs. 1 ZPO darf der Gerichtsvollzieher aufgrund des Vollstreckungsauftrags und der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners Nachforschungen anstellen, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort des Schuldners nicht bekannt ist. Voraussetzung der Aufenthaltsermittlung ist ein Vollstreckungsauftrag. Ein isolierter Aufenthaltsermittlungsauftrag ist unzulässig (BGH MDR 2017, 1080). Die örtliche Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers richtet sich grundsätzlich nach der letzten bekannten Anschrift des Schuldners. Falls der Gläubiger keinerlei Informationen über frühere Aufenthalte des Schuldners hat, ist von einer Zuständigkeit aller Gerichtsvollzieher im Bundesgebiet auszugehen. Ergibt sich nach der Aufenthaltsermittlung, dass ein anderer Gerichtsvollzieher zuständig ist, so ist der Vollstreckungsantrag an diesen von Amts wegen abzugeben (LG Frankenthal DGVZ 2013, 186).
1
Der Gerichtsvollzieher darf zur Ermittlung des Aufenthaltsortes folgende Maßnahmen ergreifen:
2
1. Anfrage bei der Meldebehörde nach der gegenwärtigen Anschrift des Schuldners und eventuellen Nebenwohnungen. Nur wenn diese Auskunft nicht erfolgreich ist, hat der GV weitere Ermittlungen anzustellen, nämlich 2. Anfrage beim Ausländerzentralregister und ggf. anschließend bei der zuständigen Ausländerbehörde, wenn zudem die Vollstreckungsforderung mindestens 500 Euro beträgt. 3. Anfrage bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung und 4. Anfrage beim Kraftfahrt-Bundesamt. Ferner darf der Gerichtsvollzieher beauftragt werden, die gegenwärtigen Anschriften, den Ort der Hauptniederlassung oder den Sitz des Schuldners zu erheben
3
1. durch Einsicht in das Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts-, Unternehmens- oder Vereinsregister oder 2. durch Einholung einer Auskunft bei den nach Landesrecht für die Durchführung der Aufgaben nach § 14 Abs. 1 der GewO zuständigen Behörden. Der Gläubiger sollte keinesfalls immer und pauschal sämtliche Formen der Aufenthaltsermittlung beantragen. Denn dafür entsteht nicht nur eine Gerichtsvollziehergebühr, sondern der Gerichtsvollzieher stellt dem Gläubiger darüber hinaus die ihm durch die Anfragen entstandenen Kosten als Auslagen in Rechnung. Zumal die Behörden ihre Daten ohnehin regelmäßig abgleichen und teilweise (je nach Bundesland) die Meldebehörden für Auskünfte an Gerichtsvollzieher keine Gebühren erheben, sollte im Regelfall nur die Anfrage beim Einwohnermeldeamt beantragt werden. Wenn die Ermittlung des Aufenthalts bzw. des Sitzes des Schuldners gewünscht ist, sind die entsprechenden Angaben in Modul L des Formulars M 47.1 einzutragen.
4
Der Gläubiger kann die Auskunft beim Einwohnermeldeamt zunächst auch selbst einholen und den 5 Gerichtsvollzieher dann anschließend mit der Einholung weiterer Auskünfte beauftragen, wenn die
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ZPO
Kap. 48 Rz. 6
Auskunftsrechte des Gerichtsvollziehers
eigene Anfrage ergebnislos geblieben ist (Zöller/Seibel § 755 ZPO Rz. 5). In diesem Fall darf die Einwohnermeldeamtsauskunft aber nicht älter als einen Monat sein (AG Offenbach DGVZ 2013, 188).
II. Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Schuldners 6 Wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachkommt oder bei einer Vollstreckung in die dort aufgeführten Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers voraussichtlich nicht zu erwarten ist, darf der Gerichtsvollzieher, soweit zur Vollstreckung erforderlich auf ausdrücklichen Antrag des Gläubigers, § 802a Abs. 2 Nr. 3 ZPO, gem. § 802l ZPO 1. bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung den Namen, die Vornamen oder die Firma sowie die Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Schuldners erheben, 2. das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Abs. 1 AO Daten abzurufen, 3. beim Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 Abs. 1 StVG zu einem Fahrzeug, als dessen Halter der Schuldner eingetragen ist, erheben.
7 Von vorrangigem Interesse ist regelmäßig die Ermittlung des Arbeitgebers über die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Interessant kann ferner die Ermittlung von Konten sein. Der Gläubiger erfährt über den Gerichtsvollzieher jedoch nur die Nummer des Kontos oder Depots und den Namen des Inhabers. Ferner wird bei Konten mitgeteilt, ob es sich um ein Pfändungsschutzkonto handelt. Auch Konten von Dritten, an denen eine Verfügungsberechtigung des Schuldners besteht, sind dem Gläubiger mitzuteilen (AG Wedding DGVZ 2017, 58; LG Ravensburg DGVZ 2013, 214). Die Höhe des Guthabens erfährt der Gläubiger nicht. Die Ermittlung von Kraftfahrzeugen ist meist weniger sinnvoll, weil diese häufig sicherungsübereignet sind und nach einer Pfändung der Sicherungseigentümer die Freigabe verlangt. Wegen der damit verbundenen Kosten ist es wenig ratsam, immer sämtliche Auskünfte einholen zu lassen.
8 Der Antrag sollte kombiniert mit einem Antrag auf Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft gestellt werden. Dafür ist im Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag M 47.1 das Modul M vorgesehen. Dieser Antrag kann jedoch auch nachträglich gestellt werden.
Kapitel 49 Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Kombiauftrag, Durchsuchung, Verwertung I. Zwangsvollstreckung bei Gewahrsam des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollstreckungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . M 49.1 Zusatz zum Vollstreckungsauftrag bei besonderer Eile . . . . . . . . . . . . . 3. Kombiauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anträge an das Vollstreckungsgericht . . . . . a) Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 6 8 9 13 13
b) Durchsuchung an Sonn- und Feiertagen, zur Nachtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 49.2 Antrag auf Vollstreckung in Wohnungen zur Nachtzeit/an Sonn- und Feiertagen . . . . . . . . II. Zwangsvollstreckung bei Gewahrsam Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herausgabebereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung der Herausgabebereitschaft . b) Auftrag an den Gerichtsvollzieher . . . . .
20 22 24 24 24 26
ZPO
Kap. 48 Rz. 6
Auskunftsrechte des Gerichtsvollziehers
eigene Anfrage ergebnislos geblieben ist (Zöller/Seibel § 755 ZPO Rz. 5). In diesem Fall darf die Einwohnermeldeamtsauskunft aber nicht älter als einen Monat sein (AG Offenbach DGVZ 2013, 188).
II. Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Schuldners 6 Wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachkommt oder bei einer Vollstreckung in die dort aufgeführten Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers voraussichtlich nicht zu erwarten ist, darf der Gerichtsvollzieher, soweit zur Vollstreckung erforderlich auf ausdrücklichen Antrag des Gläubigers, § 802a Abs. 2 Nr. 3 ZPO, gem. § 802l ZPO 1. bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung den Namen, die Vornamen oder die Firma sowie die Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Schuldners erheben, 2. das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Abs. 1 AO Daten abzurufen, 3. beim Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 Abs. 1 StVG zu einem Fahrzeug, als dessen Halter der Schuldner eingetragen ist, erheben.
7 Von vorrangigem Interesse ist regelmäßig die Ermittlung des Arbeitgebers über die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Interessant kann ferner die Ermittlung von Konten sein. Der Gläubiger erfährt über den Gerichtsvollzieher jedoch nur die Nummer des Kontos oder Depots und den Namen des Inhabers. Ferner wird bei Konten mitgeteilt, ob es sich um ein Pfändungsschutzkonto handelt. Auch Konten von Dritten, an denen eine Verfügungsberechtigung des Schuldners besteht, sind dem Gläubiger mitzuteilen (AG Wedding DGVZ 2017, 58; LG Ravensburg DGVZ 2013, 214). Die Höhe des Guthabens erfährt der Gläubiger nicht. Die Ermittlung von Kraftfahrzeugen ist meist weniger sinnvoll, weil diese häufig sicherungsübereignet sind und nach einer Pfändung der Sicherungseigentümer die Freigabe verlangt. Wegen der damit verbundenen Kosten ist es wenig ratsam, immer sämtliche Auskünfte einholen zu lassen.
8 Der Antrag sollte kombiniert mit einem Antrag auf Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft gestellt werden. Dafür ist im Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag M 47.1 das Modul M vorgesehen. Dieser Antrag kann jedoch auch nachträglich gestellt werden.
Kapitel 49 Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Kombiauftrag, Durchsuchung, Verwertung I. Zwangsvollstreckung bei Gewahrsam des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollstreckungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . M 49.1 Zusatz zum Vollstreckungsauftrag bei besonderer Eile . . . . . . . . . . . . . 3. Kombiauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anträge an das Vollstreckungsgericht . . . . . a) Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 6 8 9 13 13
b) Durchsuchung an Sonn- und Feiertagen, zur Nachtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 49.2 Antrag auf Vollstreckung in Wohnungen zur Nachtzeit/an Sonn- und Feiertagen . . . . . . . . II. Zwangsvollstreckung bei Gewahrsam Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herausgabebereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung der Herausgabebereitschaft . b) Auftrag an den Gerichtsvollzieher . . . . .
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2. III. 1.
2.
M 49.3 Zusatz zum Auftrag zur Pfändung von Sachen, die sich im Gewahrsam Dritter befinden . . . Sicherungsmaßnahmen des Gläubigers bei fehlender Herausgabebereitschaft . . . . . . . . Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschäftlich entstandene Pfandrechte a) Pfandstück im Besitz des Gläubigers . . . M 49.4 Auftrag zum Pfandverkauf (rechtsgeschäftlich bestelltes Pfandrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besitzloses Pfandrecht . . . . . . . . . . . . . . Pfändungspfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Versteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 28 29 29 29 32 34 36 36
Rz. 6 Kap. 49
b) Anträge zum Versteigerungstermin . . . . M 49.5 Antrag auf Übersendung des Pfändungsprotokolls . . . . . . . . . M 49.6 Antrag auf Verlegung des Versteigerungstermins . . . . . . . . . . c) Verfahren und Anträge zur Austauschpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 49.7 Antrag auf Austauschpfändung . M 49.8 Auftrag zur vorläufigen Austauschpfändung . . . . . . . . . . . . d) Antrag auf anderweitige Verwertung . . . e) Antrag auf Internetversteigerung . . . . . . M 49.9 Antrag auf Internetversteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ZPO
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
38 40 41 42 44 46 48 49
I. Zwangsvollstreckung bei Gewahrsam des Schuldners 1. Vollstreckungsauftrag Funktionell zuständig ist der Gerichtsvollzieher. Für dessen örtliche Zuständigkeit kommt es darauf an, in welchem Bezirk die Vollstreckungshandlung vorzunehmen ist.
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Wichtig: Bei freiwilliger Zahlung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher gilt § 815 Abs. 3 ZPO entsprechend (BGH MDR 2009, 466 = NJW 2009, 1085). Mit der Zahlung geht daher die Gefahr auf den Gläubiger über. Im Umfang der Zahlung kann die Vollstreckung nicht fortgesetzt werden.
Bei dem Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher ist danach zu unterscheiden, ob es sich um 3 einen rechtskräftigen oder um einen – mit oder ohne Sicherheitsleistung – vorläufig vollstreckbaren Titel handelt. Sofern aus einem Urteil zu vollstrecken ist, das nicht rechtskräftig und gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist, ist der Vollstreckungsauftrag gem. M 46.5 zu ergänzen. Dasselbe gilt, wenn ein Urteil vorliegt, das zwar ohne Sicherheitsleistung jedoch mit Abwendungsbefugnis des Schuldners vorläufig vollstreckbar ist und der Gläubiger vorsorglich Sicherheit leisten will (s. Kap. 46 Rz. 41). Wenn der Titel Zug um Zug gegen eine Gegenleistung des Gläubigers zu vollstrecken ist, sind je nach der Art des notwendigen Angebots die Muster M 46.10 ff. zu verwenden. Der Sachpfändungsauftrag sollte immer mit der Bitte verbunden werden, die nach § 806a ZPO möglichen Auskünfte einzuholen. Der Sachpfändungsauftrag ist auf dem Formular für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher Muster M 47.1 im Modul K zu stellen.
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Zum Einverständnis mit Ratenzahlungen s. Kap 47 Rz. 11 ff.
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2. Besondere Weisungen „Weisungen des Gläubigers hat der Gerichtsvollzieher insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch stehen“, § 31 Abs. 2 GVGA. Als solche Weisungen kommen in Betracht: – Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf einen Teilbetrag (s. dazu Kap. 45 Rz. 12). – Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf die Pfändung bestimmter Sachen; hier muss aber ein Interesse des Gläubigers dargelegt werden, zB dass die Urteilsforderung aus dem Verkauf gerade dieser Sache herrührt.
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6
ZPO
Kap. 49 Rz. 7
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
M 49.1
– Erstreckung der Pfändung auf nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbare, genau zu bezeichnende Sachen, soweit der Gläubiger wegen einer durch Eigentumsvorbehalt gesicherten Forderung vollstreckt, § 811 Abs. 2 ZPO. – Durchführung der Zwangsvollstreckung an einem bestimmten Werktag (Zahltag). – Verlangen, den Erlös an den Gläubigervertreter zu überweisen; dazu bedarf es einer gesonderten Geldempfangsvollmacht, auf deren Vorlage im Original der Gerichtsvollzieher bestehen muss, § 31 Abs. 3 Satz 5 ff.GVGA. – Mitteilung vom Termin, um gem. § 31 Abs. 7 GVGA an der Vollstreckung teilnehmen zu können. – Besondere Eile (s. dazu M 49.1).
7 Bei besonderer Eilbedürftigkeit ist im Formular Muster M 47.1 in Modul K 5 Folgendes einzutragen:
8 M 49.1 Zusatz zum Vollstreckungsauftrag bei besonderer Eile Eilt sehr! Der Schuldner hat den für seine Wohnung geschlossenen Mietvertrag zum Monatsende gekündigt und wird dann mit unbekanntem Ziel ausziehen.
3. Kombiauftrag
9 Der Gläubiger kann einen Kombiauftrag in der Form stellen, dass zunächst die Pfändung versucht, anschließend die Vermögensauskunft abgenommen und im Fall des Nichterscheinens oder der Weigerung ein Haftbefehl erlassen wird. Gemäß § 807 Abs. 1 ZPO kann der Gerichtsvollzieher dem Schuldner die Vermögensauskunft auf Antrag des Gläubigers abweichend von § 802f ZPO sofort abnehmen, wenn der Gläubiger die Vornahme der Pfändung beim Schuldner beantragt und der Schuldner die Durchsuchung verweigert oder der Pfändungsversuch ergibt, dass eine Pfändung voraussichtlich nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers führen wird. Dem kann der Schuldner – jedoch nicht der Gläubiger! – widersprechen. Dann muss der Gerichtsvollzieher den Schuldner zur Abnahme in sein Geschäftszimmer laden, ohne dass es einer Zahlungsfrist bedarf.
10 Wenn der Gerichtsvollzieher den Schuldner wiederholt nicht antrifft, kann der Gläubiger entweder den Erlass einer Durchsuchungsanordnung beim Vollstreckungsgericht oder die Abnahme der Vermögensauskunft nach § 802c ZPO beantragen. Wird die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt, muss der Gerichtsvollzieher den Schuldner nach § 802f ZPO laden und dabei eine Zahlungsfrist setzen, sofern nicht der Gerichtsvollzieher den Schuldner bereits zuvor zur Zahlung aufgefordert hatte und seit dieser Aufforderung zwei Wochen verstrichen sind, ohne dass die Aufforderung Erfolg hatte. Letztlich empfiehlt sich der Kombiauftrag nur noch, wenn der Gläubiger Aussichten auf eine wenigstens teilweise erfolgreiche Pfändung hat. Andernfalls wird lediglich die Abgabe der Vermögensauskunft verzögert.
11 Wenn der Kombiauftrag gewünscht ist, muss im Formular Muster M 47.1 das Modul G 2 genutzt werden. Ergänzend kann ein Haftbefehlsantrag gestellt werden (s. Kap. 47 Rz. 30). Zum Einverständnis mit Ratenzahlungen s. Kap. 47 Rz. 11 ff.
12 Der Gläubiger kann auch unter Verwendung des Formular M 47.1, Modul K 3 beantragen, die Pfändung nach der Vermögensauskunft vorzunehmen, wenn sich daraus Anhaltspunkte für pfändbare Forderungen ergeben.
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Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
Rz. 20 Kap. 49
a) Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume Die Schuldnerwohnung ist gegen Zwangsmaßnahmen durch Art. 13 Abs. 2 GG besonders geschützt. 13 Deshalb bedarf es für Vollstreckungsmaßnahmen, die in diesen geschützten Bereich ohne Zustimmung des Schuldners eingreifen, einer richterlichen Anordnung, § 758a ZPO. Zuvor müssen aber mindestens zwei Vollstreckungsversuche des Gerichtsvollziehers – evtl. auch für verschiedene Gläubiger – erfolglos geblieben sein (LG Mönchengladbach MDR 2008, 292). § 758 ZPO gestattet die Durchsuchung vorbehaltlos; Einschränkungen sind dem Wortlaut nach nur 14 für Wohnraum des Schuldners gegeben: § 758a ZPO. Unter den Begriff der Wohnung fallen jedoch wegen des Gleichlaufs mit dem weiten verfassungsrechtlichen Wohnungsbegriffs auch Geschäftsräume (Zöller/Seibel § 758a ZPO Rz. 4). Für Wohnräume (und Geschäftsräume) bedarf der Gerichtsvollzieher in der Regel eines Durchsuchungsbeschlusses. Der entsprechende Antrag des Gläubigers ist an das für den Ort der Handlung zuständige Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – zu richten; über ihn entscheidet der Richter.
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Nur bei Gefahr im Verzug darf der Gerichtsvollzieher die Durchsuchung ohne Gerichtsbeschluss vornehmen, § 758a Abs. 1 Satz 2 ZPO. Dieser Begriff ist eng auszulegen. Ausnahmsweise kann zB Gefahr im Verzug vorliegen bei einem unmittelbar bevorstehenden Umzug des Schuldners ins Ausland (OLG Karlsruhe DGVZ 1992, 41) oder der Vollstreckung aus einem ohne mündliche Verhandlung erlassenen Arrest. Im Regelfall muss ein Durchsuchungsbeschluss beantragt werden.
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Das Verfahren wird nicht dadurch beschleunigt, dass in jedem Fall vorsorglich mit dem Auftrag an den Gerichtsvollzieher ein Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses verbunden wird, der an das Vollstreckungsgericht weiterzuleiten ist. Ein vorsorglicher Antrag empfiehlt sich schon deshalb nicht, weil sich der Gläubiger damit die Möglichkeit nimmt, aufgrund der Umstände des Einzelfalls den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ohne vorherige Anhörung des Schuldners zu beantragen. Im Regelfall muss das Vollstreckungsgericht dem Schuldner rechtliches Gehör gewähren (OLG Hamm v. 19.6.2001 – 28 W1/01). Die Anhörung darf nur unterbleiben, wenn sonst der Vollstreckungserfolg gefährdet wäre.
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Praxistipp: Durchsuchungsanträge haben nur dann Sinn, – wenn der Gläubiger Anhaltspunkte dafür hat, dass der Schuldner über Wertsachen verfügt, die er evtl. verheimlichen oder veräußern könnte, – wenn er die Pfändung auf nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbare, genau zu bezeichnenden Sachen erstrecken will, weil er wegen einer durch Eigentumsvorbehalt gesicherten Forderung vollstreckt (§ 811 Abs. 2 ZPO), – wenn er wegen eines Herausgabeanspruchs vollstreckt.
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Wichtig: Für den Durchsuchungsantrag ist gem. § 3 Zwangsvollstreckungs-Formularverord- 19 nung (ZVFV) zwingend das Formular Anlage 1 zur ZVFV zu benutzen, das als Anlage 1 zur ZVFV heruntergeladen werden kann zB unter www.bmjv.de/DE/Service/Formulare/Formulare_ node.html.
b) Durchsuchung an Sonn- und Feiertagen, zur Nachtzeit Nach § 758a Abs. 4 ZPO liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtsvollziehers, außerhalb der 20 üblichen Zeiten Vollstreckungsmaßnahmen vorzunehmen. Das gilt aber nicht für Wohnraum, § 758a Abs. 4 aE ZPO. Wenn dem Gläubiger bekannt ist, dass der Schuldner nur an Feiertagen, am Wochenende oder zur Nachtzeit (§ 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO: 21 Uhr abends bis 6 Uhr morgens) in seiner
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ZPO
4. Anträge an das Vollstreckungsgericht
ZPO
Kap. 49 Rz. 21
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
M 49.2
Wohnung anzutreffen ist, kann er schon vor Beauftragung des Gerichtsvollziehers beim Vollstreckungsgericht die Erlaubnis zur Durchsuchung zu den genannten Zeiten beantragen. Die Gründe müssen für eine entsprechende Erlaubnis dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
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Wichtig: Für den Antrag gem. § 758a Abs. 4 ZPO gibt es kein amtliches Formular.
22 M 49.2 Antrag auf Vollstreckung in Wohnungen zur Nachtzeit/an Sonn- und
Feiertagen An das Amtsgericht in … In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich eine Ausfertigung des Urteils des Amtsgerichts … – Az. … – mit dem Antrag, gem. § 758a Abs. 4 ZPO anzuordnen, dass die Zwangsvollstreckung in der Wohnung des Schuldners (1. Alternative:) auch zur Nachtzeit (2. Alternative:) auch an Sonn- und allgemeinen Feiertagen vorgenommen werden darf. 1. Alternative: Wie sich aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt, fährt der Schuldner nachts auf eigene Rechnung Taxi. Die pfändbaren Einnahmen nimmt er regelmäßig gegen 3.00 Uhr morgens mit nach Hause. Ich mache dies durch … hiermit zugleich glaubhaft. Zur Nachtzeit ist daher der beste Zugriff auf größere Summen Bargeld gegeben. 2. Alternative: Wie sich aus dem Urteil/der anliegenden Auskunft von Nachbarn/der Mitteilung der Schufa vom/usw. ergibt, befindet sich der Schuldner als Handelsreisender während der Woche durchweg außerhalb seines Wohnortes und ist in seiner Wohnung nur am Wochenende oder zu Feiertagen anzutreffen. Weiter für beide Alternativen: Falls eine Befristung für erforderlich gehalten wird, dürfte auch unter Berücksichtigung der Belastung des Gerichtsvollziehers eine Frist von 6 Monaten ausreichen. Kosten: Gericht: keine Gebühren (§ 1 GKG); Anwalt: keine besonderen Gebühren (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 RVG).
23 Liegen bereits Vollstreckungsversuche des Gerichtsvollziehers vor und ergibt sich aus seiner Mitteilung oder aus anderen Umständen, dass der Schuldner nur zu den besonderen Zeiten anzutreffen ist, sollten der Sachpfändungsauftrag und der Antrag nach M 49.2 zugleich gestellt werden.
II. Zwangsvollstreckung bei Gewahrsam Dritter 1. Herausgabebereitschaft a) Ermittlung der Herausgabebereitschaft
24 Alle im Eigentum des Schuldners stehenden beweglichen Sachen unterliegen der Pfändung durch den Gerichtsvollzieher. Daher ist die Pfändung auch von solchen Sachen zulässig, die dem Schuldner gehören, sich aber nicht in seinem Gewahrsam befinden. Bei einem Dritten kann nach § 809 ZPO nur gepfändet werden, wenn er zur Herausgabe der Sache bereit ist. Gleiches gilt, wenn sich die zu pfändende Sache im Mitbesitz des Schuldners und eines Dritten, der nicht lediglich Gewahrsamsdiener ist, befindet (Zöller/Herget § 809 ZPO Rz. 4). Dritter ist auch der Partner einer nichtehelichen
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Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
Rz. 29 Kap. 49
Lebensgemeinschaft. Die für Ehegatten geltende Gewahrsamsvermutung aus § 1362 Abs. 1 BGB, § 739 ZPO gilt hier nicht (BGH MDR 2007, 660 = NJW 2007, 992). Der Gläubiger, der weiß, dass sich pfändbare Sachen im Besitz von Dritten befinden, sollte die Frage 25 der Herausgabebereitschaft klären, bevor er dem Gerichtsvollzieher den Auftrag erteilt. Denn es reicht nicht aus, dass der Dritte die Pfändung duldet. Er muss darüber hinaus ausdrücklich mit der Wegnahme der Sache zum Zweck der Verwertung einverstanden sein (BGH MDR 2004, 414). b) Auftrag an den Gerichtsvollzieher Der Gläubiger wird daher entweder selbst telefonisch (kostengünstiger) nachfragen oder durch den Gerichtsvollzieher nachfragen lassen. Der Sachpfändungsauftrag im Formular M 47.1 ist sodann in Modul K 5 wie folgt zu ergänzen:
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M 49.3 Zusatz zum Auftrag zur Pfändung von Sachen, die sich im Gewahrsam
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Dritter befinden Es wird beantragt, den in der Kfz-Werkstatt … (volle Anschrift) befindlichen Pkw des Schuldners, Marke …, amtliches Kennzeichen …, Fahrgestellnummer … zu pfänden. 1. Alternative: Der Inhaber der Werkstatt ist zur Herausgabe des Pkw gegen Zahlung der Reparaturkosten von 450 Euro bereit. Ich füge über den Betrag einen Verrechnungsscheck bei mit der Bitte, den Scheck einzulösen und den Betrag in bar zu begleichen. 2. Alternative: Ob der Inhaber der Werkstatt zur Herausgabe bereit ist, bitte ich, im Auftrag des Gläubigers zu ermitteln. Sollte die Herausgabe von der Bezahlung von Reparaturkosten abhängig gemacht werden, wird gebeten, mir die Kosten aufzugeben. Kosten: Gerichtsvollzieher im Falle der Pfändung: 26 Euro nach Nr. 205 KV GvKostG, sonst 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG. Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG höchstens nach dem Wert des zu pfändenden Fahrzeugs (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
2. Sicherungsmaßnahmen des Gläubigers bei fehlender Herausgabebereitschaft Ist der Dritte nicht zur Herausgabe bereit, so bleibt dem Gläubiger nur der Weg über die Pfändung 28 des Herausgabeanspruchs des Schuldners gem. § 847 ZPO (Zöller/Herget § 809 ZPO Rz. 6 aE). Eine Vorpfändung dürfte dann immer angebracht sein, zumal der Dritte sich evtl. unter dem Eindruck der Vorpfändung zur Herausgabe bereiterklärt. Gemäß § 845 Abs. 1 ZPO kann der Gläubiger die entsprechenden „Benachrichtigungen“ für den Dritten und den Schuldner fertigen und durch den Gerichtsvollzieher zustellen lassen; die Anfertigung kann er aber auch dem Gerichtsvollzieher übertragen (Einzelheiten s. Kap. 50 Rz. 7 ff.). Gepfändet wird in diesem Fall der Herausgabeanspruch des Schuldners.
III. Verwertung 1. Rechtsgeschäftlich entstandene Pfandrechte a) Pfandstück im Besitz des Gläubigers Die Verwertung der gepfändeten Sachen obliegt dem Gerichtsvollzieher und rechtfertigt sich aufgrund des mit der Pfändung zugunsten des Gläubigers entstandenen Pfändungspfandrechts. Ein Giers
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ZPO
M 49.3
ZPO
Kap. 49 Rz. 30
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
M 49.4
Schuldner kann aber seinem Gläubiger auch freiwillig eine vergleichbare Rechtsposition einräumen. Es handelt sich dann um rechtsgeschäftlich entstandene Pfandrechte.
30 Aus einem rechtsgeschäftlich bestellten Pfandrecht (§ 1205 BGB) kann sich der Gläubiger ohne gerichtliches Verfahren durch Pfandverkauf befriedigen. Im Interesse des Schuldners bestehen dabei – neben dem Eintritt der Pfandreife (§ 1228 Abs. 2 BGB) – Benachrichtigungs-, Warte- und Veröffentlichungspflichten. Sie zu erfüllen, ist Sache des Gläubigers. Da der Pfandverkauf ohnehin durch den Gerichtsvollzieher im Wege der öffentlichen Versteigerung vorzunehmen ist (§§ 1235 Abs. 1, 383 Abs. 3 BGB), ist es zweckmäßig, ihm das gesamte Verfahren zur Durchführung des Pfandverkaufs zu übertragen.
31 In der Regel ist der Gläubiger bei einem rechtsgeschäftlich begründeten Pfandrecht im Besitz der Pfandsache.
32 M 49.4 Auftrag zum Pfandverkauf (rechtsgeschäftlich bestelltes Pfandrecht) An das Amtsgericht Gerichtsvollzieherverteilerstelle … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, die in dem Besitz des … (volle Anschrift) befindliche Briefmarkensammlung des … (volle Anschrift in Fettdruck), an der (durch die anliegende Vereinbarung vom … /am … durch mündliche Vereinbarung) für eine Forderung des … gegenüber … von 20.000 Euro ein Pfandrecht bestellt worden ist, im Wege des Pfandverkaufs zu verwerten. Die Forderung ist seit 4 Wochen fällig; der Schuldner hat trotz Mahnung nichts darauf gezahlt. Der Gerichtsvollzieher wird ferner beauftragt, die nach den § 182 GVGA erforderlichen Benachrichtigungen, Veröffentlichungen usw. vorzunehmen. Die Versteigerung soll am üblichen Ort (§ 92 GVGA) durchgeführt werden. Evtl. erforderlich werdende Kostenvorschüsse geben Sie mir bitte auf. Sobald Ort und Zeitpunkt der Versteigerung mitgeteilt wurden, werde ich die Briefmarkensammlung dem Gerichtsvollzieher gem. § 183 Abs. 1 GVGA zur Verfügung stellen. Kosten: Gerichtsvollzieher: 52 Euro nach Nr. 300 KV GvKostG; Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3).
33 Im Ergebnis liegt das Verwertungsverfahren beim Gerichtsvollzieher ähnlich wie bei der Verwertung von Pfandstücken nach einer Pfändung. Der Gerichtsvollzieher prüft die Zulässigkeit des Pfandverkaufs. Den Auftrag zu einem unzulässigen Pfandverkauf muss er ablehnen. Das richtige Rechtsmittel dagegen ist nicht die Erinnerung (§ 766 ZPO), sondern der Antrag nach § 23 Abs. 1 EGGVG (OLG Düsseldorf DGVZ 2017, 106).
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M 49.5
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
Rz. 38 Kap. 49
Grundsätzlich macht es keinen Unterschied, ob das Pfandrecht durch Rechtsgeschäft bestellt worden oder kraft Gesetzes entstanden ist (§ 1257 BGB). Derartige gesetzliche Pfandrechte haben:
34
– der aus einer Hinterlegung Berechtigte (§ 233 BGB), – der Vermieter (§§ 562–562d BGB) und der Verpächter (§§ 581 Abs. 2, 592 BGB), – der Pächter (§ 583 BGB), der Werkunternehmer (§ 647 BGB), der Gastwirt (§ 704 BGB), – der Kommissionär, Frachtführer, Spediteur und Lagerhalter (§§ 397, 398, 441, 464, 475b HGB). Solange der Gläubiger nicht in den Besitz der Sache gekommen ist, kann ein Pfandverkauf durch Versteigerung nicht durchgeführt werden. Als Sicherungsmittel kommt hier, wenn sich die Sache im Besitz eines Dritten befindet, wiederum die Pfändung des Herausgabeanspruchs des Schuldners nach §§ 846, 847 ZPO mit der Anordnung, dass die Sache an einen vom Gläubiger zu beauftragenden Gerichtsvollzieher herauszugeben ist (s. Rz. 28), in Betracht. Außerdem ist die Klage auf vorzugsweise Befriedigung (§ 805 ZPO) möglich.
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2. Pfändungspfandrecht a) Versteigerung „Durch die Pfändung erwirbt der Gläubiger ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstande“: § 804 36 Abs. 1 ZPO. Es hat grundsätzlich die gleiche Bedeutung wie ein rechtsgeschäftlich begründetes Pfandrecht (§ 804 Abs. 2 ZPO). Da aber hier das Pfandrecht durch staatlichen Hoheitsakt begründet worden ist, trägt das Vollstreckungsorgan – der Gerichtsvollzieher – kraft Gesetzes die Verantwortung für die ordnungsgemäße Verwertung des Pfandstücks. Der Gerichtsvollzieher bestimmt den Ort und die Zeit der Versteigerung und sorgt für die nötigen Veröffentlichungen (§ 93 GVGA). b) Anträge zum Versteigerungstermin Häufig erfährt der Gläubiger den Versteigerungstermin nicht rechtzeitig. Er weiß auch nicht immer, welche Gegenstände gepfändet sind und ob es für ihn geboten ist, interessierte Bieter anzusprechen. Um ihm diese Möglichkeit zu eröffnen, kann der Gläubiger schon gleich zu Beginn des Vollstreckungsauftrags einen entsprechenden Antrag stellen. Dafür steht im Formular Muster M 47.1 das Modul K 5 zur Verfügung. Sonst muss er beim – ihm inzwischen bekannten – Gerichtsvollzieher den Antrag auf umgehende Übersendung des Protokolls stellen.
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M 49.5 Antrag auf Übersendung des Pfändungsprotokolls
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Gerichtsvollzieher (volle Anschrift) Zu: DR Nr. … Sehr geehrte …, unter Bezugnahme auf meinen Vollstreckungsauftrag vom … bitte ich um Übersendung eines Pfändungsprotokolls nach Fertigstellung, sofern es verwertbare Pfandstücke enthält.
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931
ZPO
b) Besitzloses Pfandrecht
Kap. 49 Rz. 39
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
M 49.6
ZPO
39 Wenn der Gläubiger für ein Pfandstück einen besonderen Interessenten gewonnen hat, der am angesetzten Versteigerungstermin verhindert ist, kann der Gläubiger um Terminsverlegung bitten:
40 M 49.6 Antrag auf Verlegung des Versteigerungstermins Gerichtsvollzieher (volle Anschrift) Zu: DR Nr. … Sehr geehrte …, unter Bezugnahme auf mein Vollstreckungsersuchen vom … bitte ich um Verlegung des Versteigerungstermins um eine Woche. Für die Ersteigerung des gepfändeten Pkw … interessiert sich der Gebrauchtwagenhändler …, der sich aber bis zum … im Ausland aufhält. Er kann sich beim Bieten nicht vertreten lassen, weil er den Pkw auf jeden Fall vorher sehen möchte.
c) Verfahren und Anträge zur Austauschpfändung
41 Im § 811 Abs. 1 ZPO ist ein umfangreicher Katalog von der Pfändung nicht unterworfenen Sachen enthalten. Eine in § 811 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5–7 ZPO bezeichnete Sache kann aber gepfändet werden, wenn der Verkäufer wegen einer durch Eigentumsvorbehalt gesicherten Geldforderung aus ihrem Verkauf vollstreckt. Ferner gibt es für drei weitere Fälle – Hausrat, Werkzeug uÄ gem. § 811 Abs. 1 Nr. 1, 5 und 6 ZPO – die Möglichkeit der Austauschpfändung nach § 811a ZPO. Dann werden dem Schuldner anstelle der in seinem Besitz befindlichen wertvollen Sachen solche Sachen überlassen, die dem gleichen Zweck dienen, aber deutlich billiger sind. Hierüber entscheidet das Vollstreckungsgericht (§ 811a Abs. 2 ZPO) auf Antrag des Gläubigers.
42 M 49.7 Antrag auf Austauschpfändung An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Kurzrubrum) übersende ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Amtsgerichts … vom … – Az. … – nebst dem Pfändungsprotokoll des Gerichtsvollziehers … vom … mit dem Antrag, wegen des im Protokoll aufgeführten, der Erwerbstätigkeit des Schuldners dienenden Pkw, Marke Audi A 6, amtliches Kennzeichen … die Austauschpfändung zuzulassen. Der von mir vertretene Gläubiger stellt dem Schuldner einen neu TÜV-abgenommenen Pkw, Marke VWGolf, amtliches Kennzeichen … im Austausch zur Verfügung. Der Schuldner betreibt eine Bildergalerie, in der er fremde Bilder verkauft und rahmt. Für gelegentliche Transporte zu seinen Kunden reicht ein VW-Golf aus; ein Audi A 6 ist dafür nicht erforderlich. Der Schätzwert des Pkws Marke Audi A 6 beträgt nach Auskunft des Gerichtsvollziehers (s. anliegendes Protokoll) 25.000 Euro; der Wert des VW-Golf beträgt nach dem beigefügten Schätzungsgutachten des TÜV 5.000 Euro. Kosten: Gericht: Gebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; das Verfahren ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 7 RVG).
932
Giers
M 49.8
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
Rz. 48 Kap. 49
43
M 49.8 Auftrag zur vorläufigen Austauschpfändung
44
ZPO
Parallel dazu ergeht an den Gerichtsvollzieher der Auftrag zur vorläufigen Austauschpfändung gem. § 811b ZPO. Diese ist zulässig, wenn zu erwarten ist, dass das Gericht die Austauschpfändung zulassen und der Versteigerungserlös den Wert des Ersatzstücks erheblich übersteigen wird.
Eilt sehr – vorläufige Austauschpfändung! Gerichtsvollzieher (volle Anschrift) Zu: DR Nr. … Sehr geehrte …, unter Bezugnahme auf das mir zugesandte Pfändungsprotokoll vom … übersende ich Ihnen eine Abschrift meines heutigen Antrags an das Vollstreckungsgericht auf Zulassung der Austauschpfändung. Da Sie bisher Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen haben, ersuche ich Sie, gem. § 75 GVGA umgehend, eine vorläufige Austauschpfändung des Pkw des Schuldners durchzuführen. Der VW Golf steht abholbereit beim Autohaus … und kann nach entsprechender Weisung des Vollstreckungsgerichts dort jederzeit abgeholt werden.
Die Austauschpfändung durch Wegnahme der Sache oder Überlassung eines Geldbetrages zur Ersatzbeschaffung ist erst mit Rechtskraft des Beschlusses des Vollstreckungsgerichts zulässig (§ 811a Abs. 4 ZPO).
45
d) Antrag auf anderweitige Verwertung Der Gläubiger eines rechtsgeschäftlich bestellten Pfandes hat nach §§ 1245 ff. BGB, der Gläubiger im 46 Zwangsvollstreckungsverfahren hat nach § 825 ZPO das Recht auf anderweitige Verwertung der zu versteigernden Sache. Beim rechtsgeschäftlichen Pfandrecht bedarf es dazu in der Regel der Zustimmung des Schuldners, im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist dafür der Gerichtsvollzieher zuständig. ZB kann bei dem Gerichtsvollzieher beantragt werden, dem Gläubiger den Erwerb der gepfändeten Sache gegen Herausgabe des Titels zu gestatten, sofern der Schätzwert des Pfandgegenstandes nicht höher ist als die titulierte Forderung nebst Zinsen und Kosten. Für die Anordnung der Versteigerung durch eine andere Person als den Gerichtsvollzieher ist das Vollstreckungsgericht zuständig (§ 825 Abs. 2 ZPO).
47
e) Antrag auf Internetversteigerung Nach § 814 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfolgt die öffentliche Versteigerung nach Wahl des Gerichtsvollziehers statt als Versteigerung vor Ort als allgemein zugängliche Versteigerung im Internet. Dafür ist nach den Internetversteigerungsverordnungen der Länder (zB § 2 NIntVerstVO) die Versteigerungsplattform www.justiz-auktion.de vorgesehen. Auch wenn der Gerichtsvollzieher über die Durchführung der Versteigerung von Amts wegen entscheidet, kann ein Antrag auf Internetversteigerung angebracht sein.
Giers
933
48
ZPO
Kap. 49 Rz. 49
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
M 49.9
49 M 49.9 Antrag auf Internetversteigerung Gerichtsvollzieher (volle Anschrift) Zu: DR Nr. … Sehr geehrte …, hiermit beantrage ich, die am … gepfändete Schallplattensammlung des Schuldners gem. § 814 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Internet zu versteigern. Bei den Schallplatten handelt es sich um Sammlerstücke, für welche die Nachfrage im Internet wesentlich größer ist als bei einer Versteigerung vor Ort. Kosten: keine besonderen Kosten.
Kapitel 50 Zwangsvollstreckung in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage I. II. III. 1. 2.
3.
4.
5. 6.
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Ermittlung der pfändbaren Forderungen . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung und Überweisung . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorpfändung einer Forderung . . . . . . . . . . M 50.1 Vorpfändung (Einkommensteuerrückerstattung) . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . M 50.2 Antrag auf Erlass eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses . . . . Pfändung von Forderungen gegen Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bankkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontopfändungsschutz . . . . . . . . . . . . . c) Sparguthaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bankschließfach . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 50.3 Vollstreckungsauftrag bei Bankschließfach . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung von Forderungen gegen Bausparkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung von Ansprüchen auf Einkommensteuererstattung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 2 4 4 7 10 17 19 23 23 25 28 30 32 34 35
7. Pfändung von Mieten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Laufende Mieten . . . . . . . . . . . . . . . . . M 50.4 Pfändung und Überweisung laufender Mieten . . . . . . . . . . . IV. Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überweisung der Forderung . . . . . . . . . . . 2. Auskunftsverlangen des Gläubigers gegenüber dem Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . . 3. Drittschuldnerklage und Schadensersatzklage gegen den Drittschuldner . . . . . . . . . M 50.5 Schadensersatzklage wegen Drittschuldnererklärung . . . . . . . . . . . . 4. Verzicht auf die gepfändete Forderung . . . . M 50.6 Verzicht auf die gepfändete Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflicht des Gläubigers zur unverzüglichen Eintreibung der Forderung . . . . . . . . . . . . M 50.7 Aufforderung an den Schuldner wegen seiner Mitwirkungspflichten nach § 836 ZPO . . . . . . . . . . . 6. Verpfändete Forderungen . . . . . . . . . . . . .
37 37 38 39 39 42 44 45 47 48 50 51 52
ZPO
Kap. 49 Rz. 49
Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen, Durchsuchung
M 49.9
49 M 49.9 Antrag auf Internetversteigerung Gerichtsvollzieher (volle Anschrift) Zu: DR Nr. … Sehr geehrte …, hiermit beantrage ich, die am … gepfändete Schallplattensammlung des Schuldners gem. § 814 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Internet zu versteigern. Bei den Schallplatten handelt es sich um Sammlerstücke, für welche die Nachfrage im Internet wesentlich größer ist als bei einer Versteigerung vor Ort. Kosten: keine besonderen Kosten.
Kapitel 50 Zwangsvollstreckung in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage I. II. III. 1. 2.
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Ermittlung der pfändbaren Forderungen . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung und Überweisung . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorpfändung einer Forderung . . . . . . . . . . M 50.1 Vorpfändung (Einkommensteuerrückerstattung) . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . M 50.2 Antrag auf Erlass eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses . . . . Pfändung von Forderungen gegen Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bankkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontopfändungsschutz . . . . . . . . . . . . . c) Sparguthaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bankschließfach . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 50.3 Vollstreckungsauftrag bei Bankschließfach . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung von Forderungen gegen Bausparkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung von Ansprüchen auf Einkommensteuererstattung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Pfändung von Mieten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Laufende Mieten . . . . . . . . . . . . . . . . . M 50.4 Pfändung und Überweisung laufender Mieten . . . . . . . . . . . IV. Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überweisung der Forderung . . . . . . . . . . . 2. Auskunftsverlangen des Gläubigers gegenüber dem Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . . 3. Drittschuldnerklage und Schadensersatzklage gegen den Drittschuldner . . . . . . . . . M 50.5 Schadensersatzklage wegen Drittschuldnererklärung . . . . . . . . . . . . 4. Verzicht auf die gepfändete Forderung . . . . M 50.6 Verzicht auf die gepfändete Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflicht des Gläubigers zur unverzüglichen Eintreibung der Forderung . . . . . . . . . . . . M 50.7 Aufforderung an den Schuldner wegen seiner Mitwirkungspflichten nach § 836 ZPO . . . . . . . . . . . 6. Verpfändete Forderungen . . . . . . . . . . . . .
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ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
Rz. 7 Kap. 50
Die Forderungspfändung ist im Regelfall die aussichtsreichste Art der Vollstreckung wegen Geldforderungen. Die Mobiliarvollstreckung führt wegen der zahlreichen Pfändungsverbote häufig nicht zum Erfolg. Bei der Immobiliarvollstreckung gehen dem Gläubiger idR im Grundbuch bereits gesicherte Gläubiger vor. Durch die Vermögensauskunft (Kap. 47) und die Auskunftsrechte des Gerichtsvollziehers (Kap. 48) wird der Gläubiger in die Lage versetzt, die pfändbaren Forderungen zu ermitteln.
1
II. Zuständiges Gericht Für die Zwangsvollstreckung in Forderungen ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht (§ 828 Abs. 1 ZPO) am Wohnsitz des Schuldners (§ 828 Abs. 2 ZPO) ausschließlich (§ 802 ZPO) zuständig. Ist der Antrag bei einem nicht zuständigen Gericht eingereicht worden, gibt jenes Gericht die Sache auf Antrag des Gläubigers an das zuständige Gericht (§ 828 Abs. 3 ZPO), allerdings ohne Bindungswirkung (§ 828 Abs. 3 Satz 2 ZPO) ab.
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Praxistipp: Immer wenn Zweifel bestehen, ob das angegangene Gericht zuständig ist, sollte hilfsweise im Anschreiben, mit dem der Antrag übersandt wird, die „Abgabe an das zuständige Gericht“ beantragt werden.
III. Pfändung und Überweisung 1. Verfahren Das Vollstreckungsgericht soll auf Antrag des Gläubigers bewirken, dass eine Forderung, die bisher 4 dem Schuldner gegen einen Dritten (Drittschuldner) zusteht, vom Gläubiger eingezogen werden kann; dazu ist erforderlich, dass die Forderung dem Gläubiger überwiesen wird (s. auch Rz. 39). Voraussetzung ist hierfür zunächst die Pfändung der Forderung mit dem Verbot an den Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, und dem gerichtlichen Gebot an den Schuldner, sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten (§ 829 Abs. 1 ZPO). Die Forderung selbst ist dem Gläubiger zur Einziehung oder, was wenig zweckmäßig ist, an Zahlungs statt zum Nennwert zu überweisen (§ 835 Abs. 1 ZPO). Das kann zugleich mit der Pfändung ausgesprochen werden. Wenn der Schuldner die Vollstreckung aus einem nach §§ 711 Satz 1, 712 Abs. 1 Satz 1 vorläufig 5 vollstreckbaren Urteil abwenden darf, findet die Überweisung der gepfändeten Forderung nur zur Einziehung und mit der Wirkung statt, dass der Drittschuldner den Schuldbetrag zu hinterlegen hat, § 839 ZPO. Der Drittschuldner ist auf Verlangen des Gläubigers verpflichtet, gem. § 840 ZPO Auskunft über Bestand und Wert der gepfändeten Forderung zu erteilen. Vor erfolgter Pfändung ist dem Schuldner rechtliches Gehör nicht zu gewähren (§ 834 ZPO). Wirksam wird die Pfändung einer Forderung mit der Zustellung des (Pfändungs- und Überweisungs-)Beschlusses an den Drittschuldner (§ 829 Abs. 3 ZPO), so dass bis dahin der Drittschuldner immer noch mit befreiender Wirkung an den Schuldner zahlen und der Schuldner die Vollstreckungsmöglichkeit vernichten kann, etwa durch Abtretung der zu pfändenden Forderung.
6
2. Vorpfändung einer Forderung Droht ein Rechtsverlust, kann es geboten sein, im Wege der Vorpfändung den Anspruch beim Dritt- 7 schuldner zu sichern. Die Vorpfändung kommt ferner in Betracht, wenn noch nicht alle Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen (s. dazu im Einzelnen die Ausführungen zur Vorpfändung eines brieflosen Grundpfandrechts Kap. 54 Rz. 23). Die Vorpfändung setzt nicht die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung und die Zustellung voraus. Die Vorpfändung kann der Gläubiger selbst formulieren (nachfolgendes M 50.1) und durch den Gerichtsvollzieher zustellen lassen. Er kann auch den Giers
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ZPO
I. Ermittlung der pfändbaren Forderungen
ZPO
Kap. 50 Rz. 8
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
M 50.1
Gerichtsvollzieher beauftragen, die Vorpfändung anzufertigen. Das Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag M 47.1 sieht dafür das Modul J vor.
8 Von der Vorpfändung wird aber nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden müssen, weil die Pfändung durch das Vollstreckungsgericht im Ergebnis gleich schnell wirksam sein wird. Eine solche Ausnahme besteht bei der Pfändung von Grundpfandrechten (s. M 54.5); sie liegt ferner vor, wenn der Anspruch auf Einkommensteuerrückerstattung des Schuldners gepfändet werden soll. Aus § 46 Abs. 1 AO folgt, dass Ansprüche auf Erstattung von Steuern gepfändet werden können. § 46 Abs. 6 AO bestimmt, dass ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erlassen werden darf, bevor der Anspruch entstanden ist. Ein vorher erlassener Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist nichtig. Die Vorpfändung eines Steuererstattungsanspruchs ist mit der vom Gerichtsvollzieher bewirkten Zustellung des die Vorpfändung enthaltenden Schreibens iSv. § 46 Abs. 6 AO erlassen (BGH MDR 2012, 54). Da die Einkommenssteuer mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahrs als Veranlagungszeitraum, §§ 25, 36 Abs. 1 EStG, entsteht, darf die Vorpfändung demnach erst mit Beginn des nächsten Kalenderjahres zugestellt werden. Es ist daher auf dem Auftrag an den Gerichtsvollzieher zu vermerken, dass die Vorpfändung zum frühestmöglichen Zeitpunkt des nächsten Kalenderjahres erfolgen soll.
9 Weder die Vorpfändung noch die Pfändung und Überweisung des Steuererstattungsanspruchs berechtigen den Gläubiger jedoch dazu, für den Schuldner eine Steuererklärung abzugeben (s. dazu im Einzelnen Rz. 35).
10 M 50.1 Vorpfändung (Einkommensteuerrückerstattung) Entweder: An das Finanzamt … (genaue Adresse) Sehr geehrte Damen und Herren, der Schuldner … (voller Name und genaue Adresse) wurde durch das vollstreckbare Urteil des Landgerichts … vom … verurteilt, an den von mir vertretenen Gläubiger … (voller Name und genaue Adresse) … Euro zu zahlen. Danach kann der Gläubiger von dem Schuldner die in der anliegenden Forderungsaufstellung aufgelisteten Beträge, insgesamt … Euro, beanspruchen. Gemäß § 845 ZPO werden Sie hiermit benachrichtigt, dass wegen dieses Betrages die Pfändung des Anspruchs des Schuldners … auf Einkommenssteuerrückerstattung für das Kalenderjahr … und die davorliegenden Veranlagungszeiträume bevorsteht. Deshalb werden Sie aufgefordert, nicht an den Schuldner zu zahlen. Der Schuldner wurde aufgefordert, sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten. Oder: Es ist Modul J des Formulars für den Gerichtsvollzieherauftrag anzukreuzen sowie dort das Ankreuzfeld „für die folgenden Forderungen“ und dabei einzutragen: Anspruchs des Schuldners … auf Einkommenssteuerrückerstattung für das Kalenderjahr … und die davor liegenden Veranlagungszeiträume. Kosten: Gerichtsvollzieher: Zustellungsgebühr für jede persönliche Zustellung 10 Euro nach Nr. 100 KV GvKostG, für jede sonstige Zustellung 3 Euro nach Nr. 101 KV GvKostG. Für die Fertigung der Benachrichtigung nach § 845 Abs. 1 Satz 2 ZPO 16 Euro nach Nr. 200 KV GvKostG. Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; die Gebühren entstehen für die Pfändung selbst jedoch nicht mehr besonders (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
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ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
Rz. 19 Kap. 50
Wichtig: Dem Schuldner ist eine entsprechende Benachrichtigung von der bevorstehenden Pfän- 11 dung zuzustellen mit der Aufforderung, sich jeder Verfügung über den Anspruch, insbesondere seiner Einziehung, zu enthalten.
Für eine evtl. Drittschuldnerklage (Rz. 44) im Anschluss an die Pfändung ist der Finanzrechtsweg gegeben (Zöller/Herget § 829 ZPO Rz. 33 „Steuererstattung“). Eine Forderungsaufstellung nach M 47.2 ist beizufügen. Sofern der Auftrag mithilfe des Formulars erteilt wird (s. Rz. 7), ist die darin enthaltene Forderungsaufstellung zu verwenden. Die Monatsfrist (§ 845 Abs. 2 ZPO) ist zu überwachen.
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Das Muster M 50.1 gilt entsprechend, wenn der Anspruch auf Lohnsteuerjahresausgleich gegen den Arbeitgeber gem. § 42b EStG gepfändet werden soll.
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Wichtig: Für die Pfändung des Lohnsteuerjahresausgleichs durch den Arbeitgeber geht das dafür zu verwendende Formular (M 50.2) in Abschnitt A Nr. 2 davon aus, dass der Arbeitgeber und nicht das Finanzamt Drittschuldner ist.
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Wichtig: Die Vorpfändung wird wirkungslos, wenn innerhalb der Monatsfrist gem. § 845 Abs. 2 ZPO nicht die Pfändung bewirkt wird. Eine erneute Vorpfändung ist zwar zulässig, wirkt aber nicht auf den Zeitpunkt der ersten Vorpfändung zurück.
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Wichtig: Die Vorpfändung führt nur zu einem Pfandrecht, wenn die gepfändete Forderung hinreichend bezeichnet ist. Sie muss wenigstens in allgemeinen Umrissen angegeben werden. Umschreibungen wie „Forderungen aus allen Rechtsgründen“ sind nicht ausreichend (BGH MDR 2005, 1135).
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3. Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
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Wichtig: Für den Pfändungsantrag ist gem. § 3 Zwangsvollstreckungs-Formularverordnung 17 (ZVFV) zwingend das Formular Anlage 2 zur ZVFV (M 50.2) zu benutzen. Nur der isolierte Antrag auf Überweisung einer bereits gepfändeten Forderung ist gem. § 2 ZVFV vom Formularzwang ausgenommen.
Wie bei der Vorpfändung (s. Rz. 7) muss die gepfändete Forderung hinreichend bezeichnet werden. 18 Andernfalls ist die Pfändung unwirksam (BGH MDR 2007, 908 = NJW 2007, 3132).
M 50.2 Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
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Hinweis: Das vollständige Formular finden Sie unter www.justiz.de, Formulare, Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (Geldforderungen).
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ZPO
M 50.2
Kap. 50 Rz. 19
M 50.2
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
ZPO
$QWUDJDXI(UODVVHLQHV3IlQGXQJVXQG hEHUZHLVXQJVEHVFKOXVVHVLQVEHVRQGHUH ZHJHQJHZ|KQOLFKHU*HOGIRUGHUXQJHQ 5DXPIU.RVWHQYHUPHUNHXQG(LQJDQJVVWHPSHO
$PWVJHULFKW 9ROOVWUHFNXQJVJHULFKW
Es wird beantragt, den nachfolgenden Entwurf als Beschluss auf Pfändung und Überweisung zu erlassen.
=XJOHLFKZLUGEHDQWUDJWGLH=XVWHOOXQJ]X YHUPLWWHOQ PLWGHU$XIIRUGHUXQJQDFK GHU=LYLOSUR]HVVRUGQXQJ±=32 'LH=XVWHOOXQJZLUGVHOEVWYHUDQODVVW
(VZLUGJHPlGHPQDFKIROJHQGHQ(QWZXUIGHV %HVFKOXVVHV$QWUDJJHVWHOOWDXI =XVDPPHQUHFKQXQJPHKUHUHU$UEHLWVHLQNRP PHQH1XPPHU=32 =XVDPPHQUHFKQXQJYRQ$UEHLWVHLQNRPPHQ XQG6R]LDOOHLVWXQJHQ H1XPPHUD=32 1LFKWEHUFNVLFKWLJXQJYRQ8QWHUKDOWVEHUHFK WLJWHQF$EVDW]=32
Es wird beantragt, Prozesskostenhilfe zu bewilligen Frau Rechtsanwältin / Herrn Rechtsanwalt
beizuordnen.
3UR]HVVNRVWHQKLOIHZXUGHJHPlDQOLHJHQ GHP%HVFKOXVVEHZLOOLJW
$QODJHQ
6FKXOGWLWHOXQG 9ROOVWUHFNXQJVXQWHUODJHQ (UNOlUXQJEHUGLHSHUV|QOLFKHQXQGZLUW BBBBBB
VFKDIWOLFKHQ9HUKlOWQLVVHQHEVWBBBBBBB%HOHJHQ
9HUUHFKQXQJVVFKHFNIU*HULFKWVNRVWHQ *HULFKWVNRVWHQVWHPSOHU Ich drucke nur die ausgefüllten Seiten
(Bezeichnung der Seiten)
Hinweis:
Soweit für den Antrag eine zweckmäßige Eintragungsmöglichkeit in diesem Formular nicht besteht, können ein geeignetes Freifeld sowie Anlagen genutzt werden.
reiche aus und diese dem Gericht ein.
'DWXP 8QWHUVFKULIW$QWUDJVWHOOHULQ
Kosten: Gerichtsgebühr: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
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Rz. 22 Kap. 50
Dieses Formular gilt für die Pfändung sämtlicher Forderungen mit Ausnahme der Pfändung aufgrund von Unterhaltsforderungen (s. dazu M 51.8). Das Formular ist wie folgt auszufüllen:
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ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
– S. 1: Die gestellten Anträge sind anzukreuzen. Dort findet sich auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts. Notwendig ist die Originalunterschrift. Eine eingescannte Unterschrift in standardisierten Massenverfahren genügt nicht (LG Trier v. 5.5.2013 – 5 T 26/13). – S. 2: Anzukreuzen ist, ob nur die Pfändung oder auch die Überweisung beantragt wird. Gläubiger, Gläubigervertreter, Schuldner und Vollstreckungstitel sind genau zu bezeichnen. Es genügt nicht, nur auf den beigefügten Titel zu verweisen. – S. 3: Forderungsaufstellung und genaue Bezeichnung des Drittschuldners: Die Forderungsaufstellung ist vollständig und ordnungsgemäß auszufüllen. Sofern erforderlich, kann auf eine Anlage verwiesen werden. – S 4 oben: Hier ist anzukreuzen, welche Art Forderung gepfändet werden soll. – S. 4 Mitte bis S. 6: Ergänzende Ausführungen zu den jeweils zu pfändenden Forderungen. – S. 7: Anordnungen nach § 850e und § 850c Abs. 4 ZPO (s. Kap. 51 Rz. 6 ff., 13 ff.). – S. 8: Anordnungen nach § 836 Abs. 3 ZPO (s. zB Rz. 24) und Ankreuzfeld, ob die Forderung zur Einziehung oder an Zahlungs statt überwiesen werden soll (s. Rz. 39). – S. 9: Gerichts- und Rechtsanwaltskosten.
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Wichtig: Nach § 3 ZVFV sind inhaltliche Abweichungen von den Formularen grundsätzlich nicht erlaubt. Zulässig sind jedoch Anpassungen, die auf der Änderung von Rechtsvorschriften beruhen, und – sofern das DIN A4 Format erhalten bleibt und die Reihenfolge und Anordnung der Formularfelder der einzelnen Seiten und die Seitenumbrüche nicht verändert werden – eine unwesentliche Änderung der Größe der Schrift und sonstiger Formularelemente sowie die Verwendung nur der Farben Schwarz und Weiß und von Grautönen, soweit die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt wird. Wenn für den beabsichtigten Antrag keine zweckmäßige Eintragungsmöglichkeit im Formular besteht, kann ein geeignetes Freifeld oder eine Anlage genutzt werden. Bietet das Antragsformular hinsichtlich der Forderungsaufstellung eine vollständige Eintragungsmöglichkeit, ist ausschließlich das vorgegebene Formular zu nutzen (BGH NJW 2016, 81 = MDR 2016, 52). Der Antragsteller braucht nur die Seiten des Formulars, auf denen sich seine Angaben befinden, einzureichen.
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Nach Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs kann der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und 22 Überweisungsbeschlusses auch elektronisch eingereicht werden. Dazu sieht § 829a ZPO vor, dass im Fall eines elektronischen Antrags zur Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid, der einer Vollstreckungsklausel nicht bedarf, bei Pfändung und Überweisung einer Geldforderung die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides entbehrlich ist, wenn die sich aus dem Vollstreckungsbescheid ergebende fällige Geldforderung einschließlich titulierter Nebenforderungen und Kosten nicht mehr als 5.000 Euro beträgt (Kosten der Zwangsvollstreckung sind bei der Berechnung der Forderungshöhe nur zu berücksichtigen, wenn sie allein Gegenstand des Vollstreckungsantrags sind), die Vorlage anderer Urkunden als der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides nicht vorgeschrieben ist, der Gläubiger eine Abschrift des Vollstreckungsbescheides nebst Zustellungsbescheinigung als elektronisches Dokument dem Antrag beifügt und der Gläubiger versichert, dass ihm eine Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides und eine Zustellungsbescheinigung vorliegen und die Forderung in Höhe des Vollstreckungsantrags noch besteht. Wenn Kosten der Zwangsvollstreckung vollstreckt werden sollen, sind eine nachprüfbare Aufstellung der Kosten und entsprechende Belege als elektronisches Dokument dem Antrag beizufügen. Hat das Gericht an dem Vorliegen einer Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides oder der übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen Zweifel, teilt es dies dem Gläubiger mit und führt die Zwangsvollstreckung erst durch, nachdem der Gläubiger die Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides übermittelt oder die übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen nachgewiesen hat. Giers
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Kap. 50 Rz. 23
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
Sofern die Voraussetzungen des § 829a ZPO nicht vorliegen, müssen die Vollstreckungsunterlagen dem elektronisch gestellten Antrag nachgesandt werden. 4. Pfändung von Forderungen gegen Kreditinstitute a) Bankkonten
23 Auszufüllen ist S. 4 und 5 des Formulars M 50.2 „Anspruch D“ (an Kreditinstitute). Wenn zu vermuten ist, dass der Schuldner mehrere Konten bei demselben Kreditinstitut hat, genügt die allgemeine Benennung der Girokonten des Schuldners, die Angabe der Kontonummer ist nicht zwingend. Dennoch sollte sie im Antrag nicht fehlen, soweit sie bekannt ist. Mitgepfändet werden danach auch Ansprüche aus einem vereinbarten Dispositionskredit („offene Kreditlinie“). Insoweit entsteht ein Pfandrecht aber erst mit dem Abruf der Kreditmittel als Rechtshandlung des Schuldners (BGH MDR 2011, 1072). Der Anspruch des Schuldners gegen das Kreditinstitut (Drittschuldner) auf Erteilung von Rechnungsabschlüssen und Überlassung von Kontoauszügen geht nicht mit der Kontenpfändung auf den Pfändungsgläubiger über (BGH MDR 2006, 220 = NJW 2006, 217) und kann auch nicht gepfändet werden (BGH NJW 2012, 1223 = MDR 2012, 545).
24 Nach § 836 Abs. 3 ZPO sind auch Urkunden mit Bezug auf die gepfändeten Forderungen herauszugeben (sog. Hilfspfändung). Für entsprechende Anordnungen ist S. 8 Mitte des Formulars M 50.2 auszufüllen. Herauszugeben sind sämtliche (ungeschwärzte) Kontoauszüge (BGH MDR 2012, 546; BGH NJW 2012, 1223 = MDR 2012, 545) sowie beim Schuldner vorhandenen Nachweise (ggf. in Kopie), welche gem. § 850k Abs. 2, Abs. 5 Satz 2 ZPO zur Erhöhung der Pfändungsfreibeträge führen können (BGH MDR 2013, 548). Nicht herauszugeben sind dagegen Scheckkarten (BGH NJW 2003, 1256 = MDR 2003, 595). b) Kontopfändungsschutz
25 Jeder Kunde kann von seiner Bank oder Sparkasse verlangen, dass sein Girokonto als Pfändungsschutzkonto (P-Konto) geführt wird, § 850k Abs. 1 Satz 3 ZPO. Der automatische Pfändungsschutz kann nur für ein Girokonto gewährt werden. Pfändungsschutz wird sogar nachträglich gewährt, wenn das Konto innerhalb von 4 Wochen seit Zustellung des Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner umgewandelt wird. Jedoch muss gem. § 850k Abs. 7 Satz 3 ZPO das Kreditinstitut die Umstellung erst zum Beginn des 4. auf das Verlangen des Schuldners folgenden Geschäftstages vornehmen. Eine Entgeltklausel, wonach für das Führen eines Pfändungsschutzkontos ein höheres monatliches Entgelt verlangt wird als für das Führen des allgemeinen Girokontos, stellt eine unangemessene Benachteiligung der privaten Kunden iSv. § 307 Abs. 1 BGB dar (BGH MDR 2013, 117 = NJW 2013, 995).
26 Bei der Pfändung des Guthabens auf einem P-Konto wird ein Kontoguthaben in Höhe des Pfändungsfreibetrages nach § 850c ZPO nicht von der Pfändung erfasst („Basispfändungsschutz“), § 850k Abs. 1 ZPO. Der Basisbetrag wird für jeweils einen Kalendermonat gewährt, ohne dass es auf den Zeitpunkt des Eingangs der Einkünfte ankommt. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Einkünften sich dieses Guthaben zusammensetzt, so dass auch Selbstständige Pfändungsschutz für ihr Kontoguthaben erhalten. Sozialleistungen und Kindergeld, die auf dem Konto gutgeschrieben werden, erhöhen den Freibetrag, § 850k Abs. 2 ZPO. Sofern der Freibetrag in einem Monat nicht ausgeschöpft wird, wird der Rest auf den folgenden Monat übertragen. Eine Erhöhung zB wegen gesetzlicher Unterhaltspflichten, oder eine Herabsetzung des Basispfändungsschutzes ist auf Grund einer gerichtlichen Anordnung möglich, § 850k Abs. 4 ZPO. Die Auszahlungsfrist nach § 835 Abs. 3 Satz 2 ZPO beträgt 4 Wochen.
27 Die sog. Monatsanfangsproblematik, die auftrat, wenn der Schuldner am Monatsende eine Gutschrift erhielt, insbesondere Lohnzahlungen oder Sozialleistungen, die für den Folgemonat bestimmt war, wurde durch eine Änderung des § 835 Abs. 4 ZPO gelöst. Danach darf der Drittschuldner erst nach Ablauf des nächsten auf die jeweilige Gutschrift von eingehenden Zahlungen folgenden Kalendermonats an den Gläubiger leisten oder den Betrag hinterlegen, wenn künftiges Guthaben auf ei940
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ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
Rz. 31 Kap. 50
ZPO
nem Pfändungsschutzkonto iSv. § 850k Abs. 7 gepfändet und dem Gläubiger überwiesen wird. Eine abweichende Anordnung des Vollstreckungsgerichts ist jedoch möglich. Ergänzend sieht § 850k Abs. 1 Satz 2 ZPO vor, dass zum geschützten Guthaben iS des Satzes 1 der Vorschrift auch das Guthaben gehört, das bis zum Ablauf der Frist des § 835 Abs. 4 ZPO nicht an den Gläubiger geleistet oder hinterlegt werden darf. Weitergehend hat der BGH entschieden, dass gepfändetes Guthaben auf einem Pfändungsschutzkonto, das erst nach Ablauf des auf den Zahlungseingang folgenden Kalendermonats an den Gläubiger geleistet werden darf, in den übernächsten Monat nach dem Zahlungseingang übertragen werden kann und dort den Pfändungsfreibetrag erhöht, wenn der Schuldner hierüber in diesem Kalendermonat nicht verfügt und dabei seinen Pfändungsfreibetrag nicht ausschöpft (BGH MDR 2015, 237). Denn wenn ein Guthaben, das aus Gutschriften im Vormonat herrührt, einem Guthaben aus Gutschriften im laufenden Monat gleichstehen soll, weil der Schuldner aus der Auszahlung im Vormonat keinen Nachteil erleiden soll, dann darf auch bezüglich der Möglichkeit, Guthaben pfändungsfrei in den nachfolgenden Monat zu übertragen, kein Unterschied bestehen. Wenn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für zurückliegende Zeiträume nachgezahlt werden, sind bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrages gem. § 850k Abs. 4 ZPO die nachgezahlten Beträge den Leistungszeiträumen zuzurechnen, für die sie gezahlt werden (BGH MDR 2018, 698). c) Sparguthaben Sparguthaben wird wie Guthaben auf einem Bankkonto gepfändet. Drittschuldner ist die Bank. In Be- 28 tracht kommen hier Festgelder und Termingelder, für die der Auszahlungsanspruch zu pfänden ist. Die Frage der Fälligkeit richtet sich nach den zwischen dem Schuldner und der Bank getroffenen Vereinbarungen. Die Pfändung eines Sparguthabens, über das ein Sparbuch angelegt ist, ist ohne Vorlage des Buches zulässig. Dann ist dem Schuldner auf Antrag des Gläubigers gem. § 836 Abs. 3 ZPO die Herausgabe des Sparbuches an den Gläubiger aufzugeben. Ein entsprechendes Ankreuzfeld ist auf S. 8 des Formulars M 50.2 vorgesehen. Ist das Sparbuch nicht auffindbar, kann der Gläubiger den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung laden lassen, § 883 Abs. 2 ZPO (Zöller/Herget § 836 ZPO Rz. 17). Wenn beim Schuldner im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ein Sparbuch aufgefunden wird, hat der Gerichtsvollzieher das Buch im Wege der sog. Hilfspfändung an sich zu nehmen, den Gläubiger davon zu benachrichtigen und ihm aufzugeben, binnen eines Monats den Pfändungsbeschluss über die Forderung vorzulegen (§ 106 GVGA). Anderenfalls gibt er das Buch dem Schuldner zurück.
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d) Bankschließfach Ein Bankschließfach ist dem Zugriff des Gläubigers aufgrund eines gegen den Schuldner gerichteten Durchsuchungsbeschlusses nicht zugänglich, weil er nicht gegenüber der Bank vollziehbar ist. Deshalb muss hier ein etwas umständlicher Weg beschritten werden: Die Rechte des Schuldners aus dem „Bankschließfachvertrag“ müssen gepfändet und überwiesen werden. Dann kann der Gerichtsvollzieher mit der Öffnung und Pfändung des Inhalts des Schließfachs beauftragt werden. Das Formular M 50.2 enthält in der Rubrik „Anspruch D“ unter Ziffer 5 (S. 5) einen vorformulierten Ausspruch über die Pfändung des Anspruchs auf Zutritt zum Bankschließfach. Auf S. 8 ist ergänzend die Anordnung anzukreuzen, dass ein vom Gläubiger zu beauftragender Gerichtsvollzieher für die Pfändung des Inhalts Zutritt zum Schließfach zu nehmen hat.
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Wenn der Beschluss vorliegt, ist der Gerichtsvollzieher zu beauftragen. Das Auftragsformular M 47.1 enthält dafür kein Modul.
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ZPO
Kap. 50 Rz. 32
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
M 50.3
32 M 50.3 Vollstreckungsauftrag bei Bankschließfach An das Amtsgericht Gerichtsvollzieherverteilungsstelle In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich aus dem anliegenden vollstreckbaren Urteil des Amtsgerichts in … vom … – Az. … – die Zwangsvollstreckung zu betreiben, und zwar durch Öffnung des Bankschließfaches des Schuldners bei der … Bank und Pfändung von den darin befindlichen Sachen, so weit das für die Befriedigung des Gläubigers nötig ist. Auf den ebenfalls anliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts in … vom … – … M … / … nehme ich Bezug. Eine Forderungsaufstellung ist beigefügt. Kosten: Kosten: Gerichtsvollzieher im Falle der Pfändung: 26 Euro nach Nr. 205 KV GvKostG, sonst 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
33 Beizufügen sind die vorstehend genannten gerichtlichen Unterlagen und eine Forderungsaufstellung nach M 47.2. 5. Pfändung von Forderungen gegen Bausparkassen
34 Beim Bausparvertrag ist zu unterscheiden zwischen dem Bausparguthaben und dem Bauspardarlehen. Das Bausparguthaben ist pfändbar und wird nach Zuteilung des Bausparvertrages, Einzahlung der vollen Bausparsumme oder Kündigung des Vertrages an den pfändenden Gläubiger gezahlt. Das Recht zur Kündigung wird zugleich mit dem Anspruch des Bausparers auf Auszahlung des Guthabens gepfändet. Das Formular M 50.2 enthält in der Rubrik „F“ die für die Pfändung des Guthabens notwendigen Angaben. Der Anspruch auf Auszahlung des Bauspardarlehens ist dagegen zweckgebunden und kann nur von Baugläubigern gepfändet werden, wenn der Bausparer den Darlehensvertrag abgeschlossen hat. 6. Pfändung von Ansprüchen auf Einkommensteuererstattung
35 Ansprüche auf Erstattung von Steuern können gepfändet werden (§ 46 Abs. 1 AO, zur Vorpfändung s. Rz. 7 und M 50.1). Auszufüllen ist Abschnitt C auf S. 4 des Formulars M 50.2. Dabei ist besonders auf die genaue Bezeichnung des Finanzamts zu achten. Zur Pfändung des vom Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuerjahresausgleichs s. Rz. 14 und Kap. 51 Rz. 4.
36 Die Pfändung nützt dem Gläubiger jedoch erst, wenn der Schuldner eine Steuererklärung abgegeben hat. Vorher kann der Gläubiger zur Vollstreckung eines Zahlungsanspruchs nicht die Abgabe der Steuererklärung durch den Schuldner erzwingen oder selbst vornehmen (BGH MDR 2008, 765 = NJW 2008, 1675). 7. Pfändung von Mieten a) Laufende Mieten
37 Miet- (und Pacht-)Zinsen unterliegen, wie aus § 851b ZPO folgt, der Pfändung. Dabei ist zu beachten, ob der Gläubiger rückständige, fällige und künftige Mieten pfänden will. Das muss im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ausdrücklich aufgeführt werden, weil § 832 ZPO hier keine An942
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M 50.4
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
Rz. 43 Kap. 50
M 50.4 Pfändung und Überweisung laufender Mieten
ZPO
wendung findet. Drittschuldner ist der Mieter (Pächter), und zwar bezogen auf das jeweilige Objekt. Sollen die Mieten, die der Eigentümer von den Mietern verschiedener Wohnungen in einem Gebäude erzielt, gepfändet werden, bedarf es der gesonderten Pfändung gegenüber jedem einzelnen Mieter. Um die Schuldnerschutzbestimmung des § 851b ZPO braucht sich der Gläubiger zunächst nicht zu kümmern – es bedarf insoweit eines Antrags des Schuldners (Kap. 62 Rz. 41 und M 62.8).
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Das Formular M 50.2 ist unter „G“ wie folgt auszufüllen An Mieter … auf Zahlung von rückständigen, fälligen und künftig fällig werdenden Miet- (Pacht-)Zinsen aus dem Miet- (Pacht-)Vertrag über … (genaue Bezeichnung des Objekts nach Lage und Geschoss), bis der Gläubigeranspruch gedeckt ist. Kosten: s. Anm. zu M 50.2.
IV. Verwertung 1. Überweisung der Forderung Die gepfändete Forderung wird dem Gläubiger gem. S. 8 unten des Formulars M 50.2 zur Einziehung 39 oder an Zahlungs statt zum Nennwert überwiesen (§ 835 Abs. 1 ZPO). Die Regel ist die Überweisung zur Einziehung. Da der Anspruch des Gläubigers mit der Überweisung an Zahlungs statt erfüllt wird, sollte dieses Feld nur angekreuzt werden, wenn ein besonderer Grund dafür besteht. Der Gläubiger wird mit der Überweisung der Forderung zur Einziehung nicht Inhaber der Forderung (§ 836 Abs. 1 ZPO). Demgemäß bleibt die Forderung im Vermögen des Schuldners. An ihr bleibt eine Anschlusspfändung eines anderen Gläubigers möglich. Der Drittschuldner kann nur noch an den Gläubiger bis zur Höhe der Forderung mit befreiender Wirkung leisten (Zöller/Herget § 836 ZPO Rz. 6).
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Solange der Gläubiger nicht tatsächlich befriedigt ist, ist die Zwangsvollstreckung noch nicht abgeschlossen; weitere Maßnahmen im Wege der Zwangsvollstreckung sind zulässig. Für den Gläubiger ergeben sich aus dieser Lage besondere Pflichten, damit der Schuldner nicht einseitig belastet wird.
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2. Auskunftsverlangen des Gläubigers gegenüber dem Drittschuldner Erst das Auskunftsverlangen nach § 840 ZPO, das stets mit der Pfändung und Überweisung einer Forderung verbunden werden sollte, versetzt den Gläubiger in die Lage, die Einziehung zu betreiben. Der Drittschuldner ist dem Gläubiger gem. § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO bei Nichterfüllung seiner Auskunftspflicht zum Schadensersatz verpflichtet. Diese Ersatzpflicht setzt Verschulden voraus, das nicht der Gläubiger zu beweisen hat; der Drittschuldner muss sich entlasten (Zöller/Herget § 840 ZPO Rz. 12).
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Der Auskunftsanspruch ist nicht einklagbar. Wenn der Drittschuldner nicht antwortet, muss der Gläubiger sogleich auf Leistung klagen. Die für ein vorgerichtliches anwaltliches Aufforderungsschreiben entstandenen Rechtsanwaltskosten sind nicht nach § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu ersetzen oder nach § 788 ZPO als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung festsetzungsfähig (BGH MDR 2010, 346). Ersatzfähig sind dagegen die Kosten des Drittschuldnerprozesses (BGH MDR 2006, 831).
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Kap. 50 Rz. 44
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
M 50.5
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3. Drittschuldnerklage und Schadensersatzklage gegen den Drittschuldner
44 Die Drittschuldnerklage wegen der gepfändeten Forderung unterscheidet sich nicht von anderen Leistungsklagen. Zu beachten ist, dass dem Schuldner der Streit zu verkünden ist, § 841 ZPO (s. Kap. 19). Wenn der Drittschuldner die Auskunft nicht, unvollständig, falsch oder verspätet erteilt, haftet er dem Gläubiger gem. § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO (s. Rz. 42).
45 M 50.5 Schadensersatzklage wegen Drittschuldnererklärung An das Amtsgericht … Klageschrift … / … (Langrubrum) wegen Schadensersatzes. Ich beantrage, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 75,83 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Begründung: Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts in … vom … – … Az. … – ist. der Kaufmann X verurteilt worden, dem Kläger 5000 Euro nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Die angebliche Forderung des X gegen den Beklagten iHv. … Euro hat der Kläger gem. dem beigefügten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts … vom … – … Az. … – pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Der Beschluss wurde dem Drittschuldner gem. anliegender Zustellungsurkunde nebst Gerichtsvollzieherbescheinigung am … zugestellt mit der Aufforderung, die Erklärungen nach § 840 Abs. 1 ZPO abzugeben. Der Beklagte hat sich jedoch geweigert. Da der X Rechnungen vorlegte und behauptete, der Beklagte habe sie nicht beglichen, musste der Kläger gem. § 842 ZPO unverzüglich die Beitreibung der Forderung in die Wege leiten. Er hat dazu das Inkassobüro Credo in … beauftragt. Als es sich beim Beklagten meldete, hat er Quittungen vorgelegt, deren Echtheit nicht in Zweifel gezogen werden kann. Durch die Inanspruchnahme des Inkassobüros sind die eingeklagten Kosten laut Rechnung der Firma Credo entstanden. Die Höhe entspricht den getroffenen Vereinbarungen und ist angemessen. Beweis: Sachverständigengutachten Sie liegt deutlich unterhalb der Gebühren, die ein Rechtsanwalt hätte beanspruchen können. Diese Kosten wären vom Kläger nicht aufzuwenden gewesen, wenn der Beklagte pflichtgemäß sogleich ordentlich Auskunft gegeben hätte. Klage ist daher geboten. Im Übrigen werden die Anträge nach § 331 Abs. 3 ZPO gestellt. Einen Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
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Praxistipp: Wird die Drittschuldnererklärung erst während des Drittschuldnerprozesses verspätet abgegeben und ergibt sich daraus, dass kein Anspruch gegen den Drittschuldner besteht, kann die Klage auf Ersatz der Kosten des Drittschuldnerprozesses umgestellt werden.
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M 50.6
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
Rz. 50 Kap. 50
Hat dagegen der Drittschuldner angegeben, die gepfändete Forderung bestehe nicht (gleich aus welchem Grunde), hat der Gläubiger die Wahl, ob er Drittschuldnerklage erhebt oder gem. § 843 ZPO auf seine Rechte verzichtet. Dieser Verzicht geschieht unbeschadet des Anspruchs des Gläubigers. Im Falle einer unrichtigen Auskunft verliert der Gläubiger mithin nicht seinen Schadensersatzanspruch aus § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Verzichtserklärung ist nach § 843 Satz 2 ZPO dem Schuldner gegenüber abzugeben; sie muss ihm und dem Drittschuldner zugestellt werden (§ 843 Satz 3 ZPO).
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M 50.6 Verzicht auf die gepfändete Forderung
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An die Verteilungsstelle für Gerichtsvollzieheraufträge bei dem Amtsgericht in … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich, den nachfolgenden Schriftsatz durch den zuständigen Gerichtsvollzieher an den Schuldner und an den Drittschuldner … (volle Anschrift in Fettdruck) … zuzustellen (alternativ kann das Auftragsformular M 47.1 Modul D für den Zustellungsauftrag verwandt werden). An … (volle Anschrift) In Sachen … / … (Kurzrubrum) ist aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts – Vollstreckungsgericht – in … vom … – Az. … – Ihre angebliche Forderung gegen den Drittschuldner … (volle Anschrift) gepfändet und an den von mir vertretenen Gläubiger … zur Einziehung überwiesen worden. Der Drittschuldner ist zugleich über den zuständigen Gerichtsvollzieher zur Erklärung gem. § 840 ZPO über Bestand und Wert der Forderung aufgefordert worden. Da der Drittschuldner mitgeteilt hat, die Forderung habe nie bestanden (oder sonstiger Inhalt), erkläre ich hiermit namens des von mir vertretenen Gläubigers gem. § 843 ZPO unbeschadet seiner Ansprüche den Verzicht auf die Forderung. Sollte sich nachträglich herausstellen, dass die Auskunft des Drittschuldners unrichtig war, ist er dem von mir vertretenen Gläubiger zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Kosten: Gerichtsvollzieher: Zustellungsgebühr für die persönliche Zustellung 10 Euro nach Nr. 100 KV GvKostG, für eine sonstige Zustellung 3 Euro nach Nr. 101 KV GvKostG. Anwalt: Keine besondere Gebühr, wenn die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG bereits für die Pfändung entstanden ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
Der grundsätzlich denkbaren dritten Möglichkeit, trotz der Forderungspfändung abzuwarten, ob sich 49 noch andere Vollstreckungsobjekte ergeben, steht entgegen, dass wegen des Verfügungsverbotes des § 829 ZPO der Schuldner selbst nicht gegen den Drittschuldner vorgehen kann. Dem entspricht die Pflicht des Gläubigers, die Forderung unverzüglich beizutreiben. 5. Pflicht des Gläubigers zur unverzüglichen Eintreibung der Forderung Nach § 842 ZPO macht sich der Gläubiger, der die Beitreibung einer gepfändeten Forderung verzögert, gegenüber dem Schuldner ersatzpflichtig. Der Gläubiger muss sich also entscheiden, ob er den Drittschuldner mit Streitverkündung an den Schuldner gem. § 841 ZPO verklagen oder auf seiGiers
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4. Verzicht auf die gepfändete Forderung
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Kap. 50 Rz. 51
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
M 50.7
ne Rechte aus der Pfändung verzichten will. Der Gläubiger hat allenfalls nochmals die Möglichkeit, den Schuldner an seine Mitwirkungspflichten nach § 836 Abs. 3 ZPO zu erinnern, sonst bleibt neben dem Verzicht (M 50.6) nur die Drittschuldnerklage (s. Rz. 44).
51 M 50.7 Aufforderung an den Schuldner wegen seiner Mitwirkungspflichten nach
§ 836 ZPO An (Schuldner) In Sachen … / … (Kurzrubrum) hatten Sie mit Schreiben vom … (in dem Vermögensverzeichnis vor dem Amtsgericht in … vom … – Az. … –) mitgeteilt, Ihnen stünde gegen … (Name und Anschrift des Drittschuldners) aus … eine Forderung iHv. … Euro zu. Diese Forderung habe ich für den Gläubiger pfänden und ihm zur Einziehung überweisen lassen. Der Drittschuldner hat die ihm gesetzlich (§ 840 ZPO) auferlegte Auskunft nach Bestand und Wert der Forderung dahin erteilt, die Forderung werde von ihm nicht anerkannt, weil sie … (zB nie bestanden habe). Sie sind nach § 836 ZPO verpflichtet, dem Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötigen Auskünfte zu erteilen und ihm sämtliche Urkunden auszuhändigen, die er dazu benötigt. Ich fordere Sie daher auf, mir bis zum … (10 Tage Frist) mitzuteilen, welche Beweise Ihnen zur Durchsetzung der Forderung zur Verfügung stehen. Nur vorsorglich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass die Kosten eines von dem Gläubiger gegen den Drittschuldner geführten Rechtsstreits von Ihnen als Kosten der Zwangsvollstreckung zu erstatten sind, wenn der Prozess nur verloren geht, weil Sie unvollständige Auskünfte über die Forderung erteilt oder sich einer Forderung berühmt haben, die in Wahrheit nicht besteht. Kosten: Die Tätigkeit des Rechtsanwalts ist durch die Gebühr für die Pfändung mit abgegolten (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
6. Verpfändete Forderungen
52 Nach § 804 Abs. 1 ZPO erwirbt der Gläubiger mit der Pfändung an dem gepfändeten Gegenstand (Forderung) ein (Pfändungs-)Pfandrecht. Es steht den vertraglich begründeten Pfandrechten gleich (§ 804 Abs. 2 ZPO). Bei Mehrfachpfändung (Mehrfachverpfändung) richtet sich der Rang der einzelnen Pfandrechte nach dem Zeitpunkt ihrer Begründung (§ 804 Abs. 3 ZPO). Über derartige vorrangige Pfändungen muss der Drittschuldner dem Gläubiger Auskunft geben (§ 840 ZPO). Pfändung und Überweisung bleiben jedoch in vollem Umfange bestehen.
53 Der Drittschuldner muss den Rang beachten und kann nur mit befreiender Wirkung an den „richtigen“ Gläubiger leisten. Ist dem Drittschuldner das alles zu lästig, hat er nach § 853 ZPO das Recht, den Geldbetrag zu hinterlegen; auf Verlangen eines Gläubigers muss er es. Dabei ist das amtliche Formular HS 1 zu verwenden. Das weitere Verfahren richtet sich nach Kap. 54.
Kapitel 51 Einkommens-, Lohn- und Gehaltspfändung, Privilegierte Forderungen, Drittschuldnerklage I. II. 1. 2.
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Pfändung des Einkommens . . . . . . . . . . . Wegen nicht bevorrechtigter Forderungen Antrag auf Pfändung und Überweisung . . . Zusätzliche Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 2 2 6
a) Zusammenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht- oder teilweise Berücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten . . . . . . . . .
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Kap. 50 Rz. 51
ZV in Forderungen, Kontopfändung, Drittschuldnerklage
M 50.7
ne Rechte aus der Pfändung verzichten will. Der Gläubiger hat allenfalls nochmals die Möglichkeit, den Schuldner an seine Mitwirkungspflichten nach § 836 Abs. 3 ZPO zu erinnern, sonst bleibt neben dem Verzicht (M 50.6) nur die Drittschuldnerklage (s. Rz. 44).
51 M 50.7 Aufforderung an den Schuldner wegen seiner Mitwirkungspflichten nach
§ 836 ZPO An (Schuldner) In Sachen … / … (Kurzrubrum) hatten Sie mit Schreiben vom … (in dem Vermögensverzeichnis vor dem Amtsgericht in … vom … – Az. … –) mitgeteilt, Ihnen stünde gegen … (Name und Anschrift des Drittschuldners) aus … eine Forderung iHv. … Euro zu. Diese Forderung habe ich für den Gläubiger pfänden und ihm zur Einziehung überweisen lassen. Der Drittschuldner hat die ihm gesetzlich (§ 840 ZPO) auferlegte Auskunft nach Bestand und Wert der Forderung dahin erteilt, die Forderung werde von ihm nicht anerkannt, weil sie … (zB nie bestanden habe). Sie sind nach § 836 ZPO verpflichtet, dem Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötigen Auskünfte zu erteilen und ihm sämtliche Urkunden auszuhändigen, die er dazu benötigt. Ich fordere Sie daher auf, mir bis zum … (10 Tage Frist) mitzuteilen, welche Beweise Ihnen zur Durchsetzung der Forderung zur Verfügung stehen. Nur vorsorglich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass die Kosten eines von dem Gläubiger gegen den Drittschuldner geführten Rechtsstreits von Ihnen als Kosten der Zwangsvollstreckung zu erstatten sind, wenn der Prozess nur verloren geht, weil Sie unvollständige Auskünfte über die Forderung erteilt oder sich einer Forderung berühmt haben, die in Wahrheit nicht besteht. Kosten: Die Tätigkeit des Rechtsanwalts ist durch die Gebühr für die Pfändung mit abgegolten (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
6. Verpfändete Forderungen
52 Nach § 804 Abs. 1 ZPO erwirbt der Gläubiger mit der Pfändung an dem gepfändeten Gegenstand (Forderung) ein (Pfändungs-)Pfandrecht. Es steht den vertraglich begründeten Pfandrechten gleich (§ 804 Abs. 2 ZPO). Bei Mehrfachpfändung (Mehrfachverpfändung) richtet sich der Rang der einzelnen Pfandrechte nach dem Zeitpunkt ihrer Begründung (§ 804 Abs. 3 ZPO). Über derartige vorrangige Pfändungen muss der Drittschuldner dem Gläubiger Auskunft geben (§ 840 ZPO). Pfändung und Überweisung bleiben jedoch in vollem Umfange bestehen.
53 Der Drittschuldner muss den Rang beachten und kann nur mit befreiender Wirkung an den „richtigen“ Gläubiger leisten. Ist dem Drittschuldner das alles zu lästig, hat er nach § 853 ZPO das Recht, den Geldbetrag zu hinterlegen; auf Verlangen eines Gläubigers muss er es. Dabei ist das amtliche Formular HS 1 zu verwenden. Das weitere Verfahren richtet sich nach Kap. 54.
Kapitel 51 Einkommens-, Lohn- und Gehaltspfändung, Privilegierte Forderungen, Drittschuldnerklage I. II. 1. 2.
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Pfändung des Einkommens . . . . . . . . . . . Wegen nicht bevorrechtigter Forderungen Antrag auf Pfändung und Überweisung . . . Zusätzliche Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Zusammenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht- oder teilweise Berücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten . . . . . . . . .
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7.
M 51.1 Begründung des Antrags auf Nichtberücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten . . . . . . . c) Herausgabeanordnung . . . . . . . . . . . . . Pfändung bedingt pfändbaren Einkommens M 51.2 Antrag auf Pfändung und Überweisung (Taschengeld) . . . . . . . . . . Verschleiertes Arbeitseinkommen . . . . . . . . M 51.3 Pfändung eines Anspruchs auf verschleiertes Arbeitseinkommen . . . . M 51.4 Pfändung bei Wechsel der Lohnsteuerklasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrheit von Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . a) Vorpfändung zur Rangsicherung . . . . . . b) Antrag auf Rangänderung . . . . . . . . . . . Drittschuldnerklage vor dem Arbeitsgericht M 51.5 Klage gegen den Drittschuldner . . . M 51.6 Klage gegen den Drittschuldner auf Zahlung verschleierten Arbeitseinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps zur Ermittlung und Pfändung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit . . . a) Ermittlung von Drittschuldnern . . . . . .
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III. 1.
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b) Honorare von Pflichtverteidigern und Dolmetschern gegenüber Gerichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Honorare von Ärzten gegenüber Patienten sowie Rechtsanwälten und Steuerberatern gegenüber Mandanten . . . . . . . M 51.7 Antrag auf Pfändung und Überweisung (Kassenärztliche Vereinigung/Verrechnungsstelle) . . Pfändung wegen Unterhaltsforderungen . Pfändung von Arbeitseinkommen . . . . . . . a) Pfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 51.8 Pfändung von Arbeitseinkommen wegen Unterhaltsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Drittschuldnerklage . . . . . . . . . . . . . . . M 51.9 Zahlungsklage gegen den Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . Pfändung weiterer Forderungen, Vorauspfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 51.10 Dauerpfändung eines Kontos . . . . Wegen Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung . . . . . . . . . . . . . . . M 51.11 Pfändung wegen Anspruch aus unerlaubter Handlung . . . . . . . . .
ZPO
Einkommens-, Lohnpfändung, Drittschuldnerklage
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I. Pfändung des Einkommens Steht der Schuldner in einem festen Arbeitsverhältnis, ist die Lohn- oder Gehaltspfändung der erfolgversprechendste Weg für den Gläubiger, zu seinem Geld zu kommen. Hier handelt es sich, ähnlich wie bei Mieten (Kap. 50 Rz. 37), um die Pfändung wiederkehrender Leistungen. In der Praxis hat diese Pfändung eine herausragende Bedeutung. Durch die von Amts wegen zu beachtenden Schuldnerschutzvorschriften (§§ 850–850i ZPO) wird die Gefährdung des Existenzminimums des Schuldners verhindert. Wenn dem Gläubiger der Arbeitgeber des Schuldners nicht bekannt ist, sollte er zunächst beantragen, den Schuldner zur Abgabe der Vermögensauskunft zu laden (Kap. 47). Sofern der Schuldner der Ladung nicht nachkommt, kann der Gerichtsvollzieher bei der Rentenversicherung den Arbeitgeber erfragen (Kap. 48). Für die Antragstellung kommt es zunächst darauf an, ob die Pfändung wegen einer nicht bevorrechtigten Forderung erfolgt (s. Rz. 2 ff.) oder wegen einer Unterhaltsforderung (s. Rz. 47) bzw. einer Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (s. Rz. 64 f.) erfolgt.
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II. Wegen nicht bevorrechtigter Forderungen 1. Antrag auf Pfändung und Überweisung Nicht bevorrechtigt sind alle Forderungen, die nicht als Unterhaltsforderungen im engen bürgerlichrechtlichen Sinne (Definition in § 850d ZPO) anzusprechen sind oder aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung hergeleitet werden. Beruht der Titel auf solchen Forderungen, so sind bestimmte Bezüge nach dem Katalog des § 850a ZPO unpfändbar und nach dem Katalog des § 850b Abs. 1 ZPO nur eingeschränkt (§ 850b Abs. 2 ZPO) der Pfändung unterworfen. Ferner enthält § 850c ZPO eine Auflistung der Beträge, die dem Schuldner zur Bestreitung seines Lebensunterhalts unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflichten belassen bleiben. Der Freibetrag ergibt sich aus der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung. Derzeit gilt die Bekanntmachung vom 28.3.2017, BGBl. I, 750, zB in Zöller Anlage zu § 850c ZPO abgedruckt, auf die im Antrag und im Beschluss Bezug genommen wird.
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Kap. 51 Rz. 3
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Wichtig: Für den Pfändungsantrag ist gem. § 3 Zwangsvollstreckungs-Formularverordnung (ZVFV) zwingend das Formular Anlage 2 zur ZVFV (= M 50.2) zu benutzen (auch abrufbar unter http://www.bmjv.de/DE/Service/Formulare/Formulare_node.html. Einzelheiten s. Kap. 50 Rz. 17.
4 Der Gläubiger muss auf S. 4 des Formulars die Rubrik „Anspruch A (an Arbeitgeber)“ ankreuzen und ausfüllen. Darin ist unter Ziffer 2. auch die Pfändung des vom Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuerjahresausgleichs erwähnt. (s. auch Kap. 50 Rz. 14). Zur Berechnung des pfändbaren Einkommens braucht der Gläubiger keine Ausführungen zu machen, da das Formular auf S. 6 bereits die entsprechenden Hinweise enthält.
5 Auch aus diesem Beschluss folgt der Anspruch auf Auskunft gem. § 840 ZPO. Der Arbeitgeber muss also die für den Gläubiger nötigen Angaben machen. Unterbleibt das, so stehen dem Gläubiger Schadensersatzansprüche wie in Kap. 50 Rz. 42 dargelegt, zu. Für Drittschuldnerklagen wird auf Kap. 50 Rz. 44 ff. verwiesen. Nach Pfändung und Überweisung des Arbeitseinkommens umfasst der entsprechende Beschluss auch einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber, der an die Stelle des Vergütungsanspruchs getreten ist (BAG MDR 2009, 989 = NJW 2009, 2324). 2. Zusätzliche Anträge a) Zusammenrechnung
6 Das Formular enthält als weitere mögliche Anträge zunächst zwei Anträge auf Zusammenrechnung von Einkommen bzw. Einkommen und Sozialleistungen. Falls der Schuldner mehrere Einkommen bezieht, die jeweils den pfändungsfreien Betrag nicht übersteigen, würde die Pfändung erfolglos bleiben, weil jeder Drittschuldner die Pfändungsfreibeträge beachten muss. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass – mehrere Arbeitseinkommen (bei mehreren Drittschuldnern) – Arbeitseinkommen und Ansprüche auf laufende Sozialleistungen – Geld- und Naturalleistungen – mehrere Ansprüche auf laufende Sozialleistungen zusammengerechnet werden.
7 Die erste Alternative auf S. 7 des Formulars betrifft die Zusammenrechnung mehrerer laufender Arbeitseinkünfte bei verschiedenen Drittschuldnern gem. § 850e Nr. 2 ZPO. Keine Zusammenrechnung kann erfolgen mit Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, mit ausnahmslos unpfändbarem Einkommen (vgl. BGH InVo 2005, 366), mit regelmäßigen sonstigen Einkünften wie zB Mieten und Zinseinkünften, mit einmaligem Einkommen gem. § 850i ZPO und mit Einkommen des Ehegatten. Bezieht der Schuldner, der aufgrund eines dreiseitigen Vertrages zu einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft gewechselt ist, neben dem Transferkurzarbeitergeld gem. § 111 SGB III einen Aufstockungsbetrag zur Sicherung seines bisherigen Nettogehalts, handelt es sich um ein einheitliches Arbeitseinkommen. Eines Zusammenrechnungsbeschlusses gem. § 850e Nr. 2 bzw. § 850e Nr. 2a ZPO bedarf es nicht (LAG Hamm ZVI 2007, 81).
8 Der Gläubiger muss die Einkommen, die zusammengerechnet werden sollen, und deren Höhe angeben sowie angeben, welches Einkommen die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners bildet.
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Wichtig: Die Zusammenrechnung als solche bewirkt keine Pfändung. Es ist daher zu empfehlen, sämtliche Einkünfte zu pfänden.
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Die zweite Alternative auf S. 7 des Formulars betrifft die Zusammenrechnung von Arbeitseinkom- 10 men mit laufenden Sozialleistungen nach dem SGB, die gem. § 850e Nr. 2a ZPO erfolgen kann, soweit diese gem. § 54 Abs. 4 SGB I „wie Arbeitseinkommen“ pfändbar sind, also zB mit einer Altersrente. Die Zusammenrechnung ist nicht möglich mit unpfändbaren Sozialleistungen, vgl. § 54 Abs. 3 SGB I (BGH MDR 2005, 1136 = NJW-RR 2005, 1010) und mit Sozialleistungen, die sich nicht aus dem SGB ergeben, zB Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Wenn eine Sozialleistung zweckgebunden ist, steht § 851 ZPO der Pfändung und damit auch der Zusammenrechnung entgegen. Wohngeld ist gem. § 54 Abs. 3 Nr. 2a SGB I nur für Vermieter wegen der Miete iSv. § 9 WoGG bzw. der Gläubiger von Belastungen aus dem Kapitaldienst und der Bewirtschaftung von Wohnraum iSv. § 10 WoGG pfändbar, sodass eine Zusammenrechnung nur noch für solche Gläubiger erfolgen kann. Bereits im Formular vermerkt ist, dass der unpfändbare Grundbetrag in erster Linie den laufenden Geldleistungen nach dem SGB zu entnehmen ist, § 850e Nr. 2a Satz 2 ZPO, und dass Geldleistungen für Kinder mit Arbeitseinkommen nur zusammengerechnet werden dürfen, soweit sie nach § 76 EStG oder nach § 54 Abs. 5 SGB I gepfändet werden können. Im Formular nicht ausdrücklich vorgesehen ist die Zusammenrechnung von laufenden Sozialleistun- 11 gen nach dem SGB mit laufenden Sozialleistungen nach dem SGB. Die Zulässigkeit dieser Zusammenrechnung folgt daraus, dass gem. § 54 Abs. 4 SGB I laufende Sozialleistungen „wie Arbeitseinkommen“ pfändbar sind. Da zwei Arbeitseinkommen nach § 850e Nr. 2 ZPO zusammengerechnet werden können, ist dies auch mit zwei laufenden und pfändbaren Sozialleistungen möglich, zB Altersrente und Hinterbliebenenrente (so im Ergebnis auch BGH NJW-RR 2010, 211). Ein entsprechender Antrag kann auf S. 8 des Formulars unter „Sonstige Anordnungen“ eingetragen werden. Dasselbe gilt für die Zusammenrechnung von Naturalleistungen und Arbeitseinkommen. Da Na- 12 turalleistungen geldwerte Leistungen sind, können sie mit Arbeitseinkommen zusammengerechnet werden, § 850e Nr. 3 ZPO. Naturalleistungen in diesem Sinne sind vor allem eine mietfreie oder mietbegünstigte Dienst-/Werkwohnung, Verpflegung, Dienst-/Firmenfahrzeuge oder Deputate. Ihr Wert wird mit dem Betrag angesetzt, der aus der Sicht des Schuldners dem ortsüblichen Wert derartiger Leistungen entspricht. Maßgebend ist der Nettowert, also der Wert nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Dieser Wert wird grundsätzlich vom Drittschuldner selbständig ermittelt, wobei Richtsätze des Sozial- und Steuerrechts herangezogen werden können (zB § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IV; § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG; Sachbezugsverordnung). Der monatliche geldwerte Vorteil der Möglichkeit der privaten Nutzung eines Dienst-/Firmenfahrzeugs kann mit 1 % des auf volle 100 Euro aufgerundeten Listenverkaufspreises geschätzt werden; auf den tatsächlichen Umfang der Privatnutzung kommt es dabei nicht an (LAG Nds. v. 19.12.2006 – 12 Sa 1208/05; LAG Hessen JurBüro 2009, 210). b) Nicht- oder teilweise Berücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Er- 13 messen bestimmen, dass ein Unterhaltsberechtigter mit eigenem Einkommen bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Als Maßstab für den Bedarf des Unterhaltspflichtigen bieten sich der Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO und die Sozialhilfesätze an. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH MDR 2005, 1013) ist es nicht gerechtfertigt, wenn sich das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung einseitig am Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO ausrichtet, falls Schuldner und Unterhaltsberechtigter in einem Haushalt leben. In derartigen Fällen sind bei der Berechnung des Freibetrages des Unterhaltsberechtigten eher die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze heranzuziehen und in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ein Zuschlag in einer Größenordnung von 30–50 % hinzuzurechnen. Führt der Unterhaltsberechtigte hingegen einen eigenen Haushalt, entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, als Orientierungshilfe den Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO zugrun-
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Kap. 51 Rz. 14
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M 51.1
de zu legen. Wenn das Einkommen des Unterhaltsberechtigten diesen Grundfreibetrag übersteigt, bleibt er unberücksichtigt. Bei einem geringeren Einkommen wird dieses zum Grundfreibetrag ins Verhältnis gesetzt und der entsprechende Anteil des Differenzbetrages zwischen der für alle Unterhaltsberechtigten geltenden und der vorgehenden Tabellenstufe dem pfändbaren Betrag nach der für alle Unterhaltsberechtigten geltenden Tabellenstufe hinzugerechnet. Bei teilweiser Berücksichtigung von Unterhaltsberechtigten ist immer zu überprüfen, ob das Vollstreckungsgericht den zutreffenden Maßstab angelegt hat.
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Wichtig: Der Bundesgerichtshof vertrat in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass auch dann, wenn der Schuldner nicht den vollen geschuldeten Unterhalt erbringt, der Freibetrag in voller Höhe anzusetzen ist (BGH FamRZ 2007, 1008). Eine Reduzierung des pauschalen Freibetrages nach § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO wurde selbst dann nicht vorgenommen, wenn der Schuldner weniger als 10 % des Betrages erbrachte, den er nach der Düsseldorfer Tabelle als Unterhalt für sein Kind leisten müsste (BGH MDR 2010, 1489 = FamRZ 2010, 2071). Daran hält der BGH offenbar nicht mehr fest. Denn der BGH hat die Annahme, dass bei der Bemessung des pfandfreien Betrags die gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Schuldners in Höhe des dem Unterhaltsberechtigten zustehenden Betrags zu berücksichtigen sind, auch wenn der Schuldner seiner Unterhaltsverpflichtung nicht in vollem Umfang genügt, als zweifelhaft bezeichnet (BGH MDR 2014, 1349 = NJW 2015, 157). Nach einer neueren Entscheidung kommt die Gewährung eines erhöhten Pfändungsfreibetrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO jedenfalls nicht in Betracht, wenn feststeht, dass der Schuldner tatsächlich keine Unterhaltsleistungen an den Unterhaltsgläubiger erbringt (BGH MDR 2017, 1446 = NJW 2017, 3591). Entsprechendes dürfte für § 850c Abs. 4 ZPO gelten. Ferner ist zu berücksichtigten, dass zu den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten iSv. § 850c Abs. 4 ZPO auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gewährte Naturalunterhalt gehört (BGH MDR 2015, 797).
15 Der Antrag auf Nicht- oder teilweise Berücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten findet sich wie der Antrag auf Zusammenrechnung auf S. 7 des Formulars. Dabei muss der Gläubiger auch angeben, warum dieser Unterhaltsberechtigte nicht oder nur teilweise zu berücksichtigen ist:
16 M 51.1 Begründung des Antrags auf Nichtberücksichtigung eines
Unterhaltsberechtigten Der Schuldner gewährt seinem in seinem Haushalt lebenden Sohn Unterhalt. Der Sohn ist Auszubildender und erhält im 3. Lehrjahr eine Ausbildungsvergütung von … Euro. Er ist daher bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Lohnes des Schuldners als Unterhaltsberechtigter unberücksichtigt zu lassen (§ 850c Abs. 4 ZPO). Oder: Der Schuldner ist zwar seiner 15jährigen Tochter …, die bei ihrer vom Schuldner getrennt lebenden Mutter wohnt, zum Unterhalt verpflichtet. Tatsächlich zahlt er jedoch keinen Unterhalt, so dass die Tochter bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Lohnes des Schuldners als Unterhaltsberechtigte iSv. § 850c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt zu lassen ist (BGH MDR 2017, 1446 = NJW 2017, 3591).
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M 51.2
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Der Gläubiger kann verlangen, dass eine die Lohn- und Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers betreffende Herausgabeanordnung gem. § 836 Abs. 3 ZPO in den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgenommen wird (BGH MDR 2007, 50), und zwar auf Herausgabe der laufenden und der letzten drei Abrechnungen vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (BGH MDR 2007, 607). Die Vollstreckung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher nach § 883 ZPO. Das Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag (M 47.1) sieht dafür kein Modul vor. Der entsprechende Antrag findet sich auf S. 8 des Formulars M 50.2.
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Praxistipp: Bei der Lohnpfändung wird der Anspruch des Schuldners auf Erteilung einer Lohnabrechnung als unselbständiger Nebenanspruch mitgepfändet. Diese Mitpfändung kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss klarstellend aussprechen (BGH MDR 2013, 367 = NJW 2013, 539).
3. Pfändung bedingt pfändbaren Einkommens Ausgangspunkt ist § 850b ZPO. Es handelt sich vor allem um Leistungen bei Invalidität und Unter- 19 haltsleistungen, die wie Arbeitseinkommen dem Lebensunterhalt des Schuldners dienen; dazu gehört nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch der Taschengeldanspruch des Haushalt führenden Ehegatten (BGH MDR 2004, 1144 = NJW 2004, 2450). Diese Bezüge können nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden, wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer Befriedigung des Gläubigers nicht geführt hat oder nicht führen wird und wenn die Vollstreckung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht (§ 850b Abs. 2 ZPO). Hier soll das Vollstreckungsgericht vorher die Beteiligten hören (§ 850b Abs. 3 ZPO). Wegen der von dieser Anhörung ausgehenden Warnfunktion für den Schuldner ist eine Vorpfändung unbedingt angebracht. Für die Vorpfändung wird M 50.1 entsprechend verwendet. Die Monatsfrist nach § 845 Abs. 2 ZPO muss notiert werden.
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Das Formular M 50.2 enthält für die Pfändung gem. § 850b ZPO kein besonderes Ankreuzfeld. Des- 21 halb ist bei dieser Pfändung Seite 6 des Formulars unter Anspruch G auszufüllen. Dabei ist auch darzulegen, dass die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer Befriedigung des Gläubigers nicht geführt hat oder nicht führen wird und die Vollstreckung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht.
M 51.2 Antrag auf Pfändung und Überweisung (Taschengeld)
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Anspruch G Gepfändet wird der Anspruch der Schuldnerin gegen den Drittschuldner auf Zahlung von Taschengeld iHv. … Euro (= 7/10 des monatlich geschuldeten Betrages). Die Pfändung entspricht der Billigkeit. Die Vollstreckung im Übrigen wird nicht zum Erfolg führen, da die Schuldnerin ausweislich der Vermögensauskunft vom … nicht über pfändbare Habe, Forderungen oder Rechte verfügt. Der Gläubiger befindet sich in einer Notlage, weil er seinen Arbeitsplatz unverschuldet verloren hat. Die Schuldnerin lebt mit ihrem Ehemann, dem Drittschuldner, in sehr guten finanziellen Verhältnissen. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Es ist zweckmäßig, eine Abschrift der Vorpfändung (s. Rz. 20) und den Nachweis über deren Zustellung beizufügen.
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c) Herausgabeanordnung
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M 51.3
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4. Verschleiertes Arbeitseinkommen
24 Wenn der Schuldner dem Drittschuldner Arbeiten oder Dienste leistet, für die er kein oder nur ein geringes Entgelt erhält, die aber üblicherweise nach Art und Umfang vergütet werden, wird der tatsächliche Lohn verschleiert. Auch dieses verschleierte Arbeitseinkommen kann nach § 850h ZPO gepfändet werden. Das Vollstreckungsgericht prüft grundsätzlich nicht, ob die materiellen Voraussetzungen des § 850h Abs. 2 ZPO vorliegen. Es hat – unbeschadet zu beachtender Pfändungsschutzvorschriften – nicht über Bestand und Höhe des fingierten Vergütungsanspruchs zu befinden. Ob und in welcher Höhe dem Gläubiger eine angemessene Vergütung gem. § 850h Abs. 2 ZPO zusteht, ist im Drittschuldnerprozess zu entscheiden (BGH MDR 2013, 1370). Um zu verdeutlichen, dass es sich um verschleiertes Arbeitseinkommen handelt, sollte auf S. 4 des Formulars (M 50.2) im zweiten Feld Ziffer 3 wie folgt ausgefüllt werden:
25 M 51.3 Pfändung eines Anspruchs auf verschleiertes Arbeitseinkommen Nr. 3 auf Zahlung des Arbeitseinkommens einschließlich des nach den ortsüblichen Sätzen zu berechnenden Geldwertes von Sachbezügen, in Höhe einer angemessenen Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO bis der Gläubigeranspruch vollständig gezahlt ist. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
26 Auch der Wechsel des Schuldners zur Lohnsteuerklasse V kann gem. § 850h ZPO korrigiert werden, wenn der Wechsel der Steuerklasse sich als unlautere Manipulation darstellt, die das Schuldnereinkommen dem Gläubigeranspruch entziehen soll. Wählt der Schuldner nachträglich eine ungünstigere Steuerklasse oder behält er diese für das folgende Kalenderjahr bei, so bedarf es keines Nachweises einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht. Es genügt das Fehlen eines sachlichen Grundes für diese Wahl (BGH FamRZ 2006, 37). In diesem Fall sollte auf S. 4 des Formulars (M 50.2) im zweiten Feld Ziffer 3 wie folgt ausgefüllt werden:
27 M 51.4 Pfändung bei Wechsel der Lohnsteuerklasse Nr. 3 auf Zahlung des Arbeitseinkommens einschließlich des nach den ortsüblichen Sätzen zu berechnenden Geldwertes von Sachbezügen versteuert nicht nach der Lohnsteuerklasse V, sondern nach der Lohnsteuerklasse IV, weil der Schuldner ohne sachlichen Grund die Lohnsteuerklasse gewechselt hat. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
5. Mehrheit von Gläubigern a) Vorpfändung zur Rangsicherung
28 Gerade bei Lohnpfändungen ist eine Mehrheit von Gläubigern keine Seltenheit. 29 K
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Wichtig: Der Rang der einzelnen Ansprüche bestimmt sich nicht nach dem Eingang des Antrags auf Pfändung und Überweisung beim Vollstreckungsgericht, sondern ausschließlich nach dem Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner (§§ 804 Abs. 3, 829 Abs. 3 ZPO). Der Gerichtsvollzieher darf die Zustellungsaufträge nicht nach ihrem Eingang bei ihm abarbeiten, sondern muss Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse demselben Drittschuldner zum identischen Zeitpunkt zustellen, wenn er zu jenem Zeitpunkt Be-
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schlüsse von mehreren Gläubigern vorliegen hat (§ 121 Abs. 1 Satz 5 GVGA). In dem Falle haben alle Pfändungen denselben Rang; die Gläubiger sind anteilig zu befriedigen (§ 827 Abs. 3 ZPO). Immer dann, wenn die Besorgnis begründet ist, auch andere Gläubiger könnten gegen den Schuldner vorgehen, ist der Erlass einer Vorpfändung zu erwägen. Sie wird vom Gerichtsvollzieher als Eilsache behandelt (so ausdrücklich: § 5 Satz 4, zweiter Hs. GVGA). Hier hat also der Gläubiger einen Anspruch auf bevorzugte Erledigung – Verstöße können zu Regressen führen –.
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Die Vorpfändung erfolgt entsprechend M 50.1. Die Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO muss notiert werden.
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Der Pfändungsantrag an das Vollstreckungsgericht nach M 50.2 enthält lediglich den Hinweis „Fristensache, Vorpfändungsfrist läuft!“, sonst keine Besonderheiten.
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b) Antrag auf Rangänderung Da der Rang von Pfandrechten an rein tatsächliche Umstände anknüpft (Reihenfolge der Zustellung an den Drittschuldner; § 804 Abs. 3 ZPO), sind Ansprüche auf Änderung des Ranges äußerst selten. Sie kommen wohl nur dann in Betracht, wenn ein (Mit-)Gläubiger den besseren Rang rechtsmissbräuchlich erworben hat – eine zu vernachlässigende Ausnahme – oder wenn der Gerichtsvollzieher entgegen seiner Anweisung im § 121 Abs. 1 Satz 5 GVGA Anträge auf Zustellungen von Pfändungsund Überweisungsbeschlüssen in der Reihenfolge ihres Eingangs und nicht zugleich beim Gang zum Drittschuldner erledigt hat, was bei unerfahrenen Gerichtsvollziehern durchaus vorkommt. In jenem Fall ist der andere Gläubiger um den besseren Rang ungerechtfertigt bereichert, so dass nach § 812 BGB eine Kondiktionslage gegeben ist. Die Rangänderung kann daher entweder im Verteilungsverfahren (Kap. 55) verlangt oder sie muss klagweise durchgesetzt werden.
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6. Drittschuldnerklage vor dem Arbeitsgericht Nach einer Lohnpfändung ist die Drittschuldnerklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben. Dem Schuldner ist der Streit zu verkünden, § 841 ZPO (s. Kap. 19).
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M 51.5 Klage gegen den Drittschuldner
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An das Arbeitsgericht … Klageschrift und Streitverkündung … / … (Langrubrum) Ich beantrage, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro zu zahlen Zugleich verkünde ich hiermit dem (Name und ladungsfähige Anschrift des Schuldners) … den Streit gem. § 841 ZPO mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten und beantrage, ihm diesen Schriftsatz zustellen zu lassen. Begründung: Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts … vom … – … Az. … – ist der Schuldner verurteilt worden, dem Kläger … Euro nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Er ist Arbeiter im Betrieb des Beklagten. Den pfändbaren Teil der Einkünfte hat der Kläger gem. dem beigefügten Pfändungs- und Überweisungs-
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beschluss des Amtsgerichts … vom … – … Az. … – pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Der Beschluss wurde dem Beklagten am … zugestellt mit der Aufforderung, die Erklärungen nach § 840 Abs. 1 ZPO abzugeben. Die Forderung des Klägers beläuft sich nach der als Anlage 1 beigefügten Forderungsaufstellung auf … Euro. Gemäß der als Anlage 2 beigefügten Drittschuldnerauskunft des Beklagten hätte diese Forderung aus dem pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens für die Monate Januar bis März … beglichen werden können. Der Beklagte hat jedoch nicht an den Kläger gezahlt. Kosten: Gericht: 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 8210 KV GKG, wenn nicht die Voraussetzungen der Nr. 8211 KV GKG vorliegen; in diesem Fall ermäßigt sich die Gebühr auf 0,4; im Fall eines gerichtlichen Vergleichs entfällt die Gebühr (Vorbem. 8 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
36 Im Fall der Drittschuldnerklage auf Zahlung verschleierten Arbeitseinkommens muss dargelegt werden, warum dem Schuldner gegen den Drittschuldner trotz Vereinbarung eines niedrigeren Arbeitseinkommens der gepfändete Anspruch zusteht. Denn im Drittschuldnerprozess muss das Gericht feststellen, welche Vergütungshöhe im Einzelfall angemessen ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Art und den zeitlichen Umfang der Tätigkeit des Schuldners für den Drittschuldner trägt grundsätzlich. der Gläubiger (BAG NJW 2006, 255). Dabei ist zunächst anhand des einschlägigen Tarifvertrages unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten für Dienste, wie sie der Schuldner leistet, die „übliche Vergütung“ zu ermitteln. Sodann ist das zwischen Arbeitgeber und Schuldner vereinbarte Arbeitsentgelt damit zu vergleichen und festzustellen, ob der Schuldner gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung arbeitet. Nach Feststellung dieser Anknüpfungstatschen wird eine für den konkreten Fall angemessene Vergütung festgesetzt. Dabei ist auf alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Art der Arbeits- und Dienstleistung, die verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Dienstberechtigten und dem Dienstverpflichteten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Dienstberechtigten Rücksicht zu nehmen (LAG Schleswig-Holstein v. 10.11.2010 – 3 Sa 451/10). Grundsätzlich fällt aber auch die familiäre Mitarbeit eines Unterhaltspflichtigen unter § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO. Familiäre Beziehungen sind in der Regel für die Frage der Vergütungspflicht unerheblich und können nur, wie sich gerade aus § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO ergibt, auf die Höhe der Vergütung Einfluss gewinnen (LAG Rh.-Pf. JurBüro 2010, 380).
37 M 51.6 Klage gegen den Drittschuldner auf Zahlung verschleierten
Arbeitseinkommens Wie M 51.5 Begründung: Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts … vom … – Az. … – ist der Schuldner verurteilt worden, dem Kläger 220 Euro nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Er ist Arbeiter im Betrieb des Beklagten, einer Tischlerei. Den pfändbaren Teil der Einkünfte hat der Kläger gem. dem beigefügten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts … vom … – … Az. … – in Höhe einer angemessenen Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Der Beschluss wurde dem Beklagten am … zugestellt mit der Aufforderung, die Erklärungen nach § 840 Abs. 1 ZPO abzugeben. Er hat daraufhin mitgeteilt, den Schuldner, der ausgelernter Tischler und seit mehr als drei Jahren nach Abschluss der Berufsausbildung in diesem Beruf tätig ist, zu einem Stundenlohn von 10,25 Euro monatlich zu beschäftigen. Der Stundenlohn beläuft sich jedoch nach dem einschlägigen Tarifvertrag für das Tischlerhandwerk im Land Nordrhein-Westfalen bei entsprechender Qualifikation derzeit auf 16,37 Euro. Das ergibt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden, wie vom Schuldner und Beklagten vereinbart, von September bis November … einen Monatslohn von je 2.731,06 Euro brutto oder 1.743,01 Euro netto bei Lohnsteuerklasse I, Kirchensteuerpflicht und ohne Kinderfreibetrag.
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Die Forderung des Klägers beläuft sich nach der als Anlage 1 beigefügten Forderungsaufstellung auf … Euro. Diese Forderung hätte aus dem pfändbaren Teil des – verschleierten – Arbeitseinkommens für die Monate von September bis November … beglichen werden können. Der Beklagte hat jedoch nicht an den Kläger gezahlt. Kosten: s. Anm. zu M 51.5.
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Wichtig: Auch für die Pfändung verschleierten Arbeitseinkommens gilt § 850c ZPO (BGH MDR 38 2013, 1370). Der Gläubiger sollte daher sich vor der Vollstreckung unbedingt ausrechnen, ob die Pfändung ausgehend von seinem Vortrag zur Höhe des fingierten Einkommens und unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen zum Erfolg führen kann. Sofern im obigen Beispiel (M 51.6) der Schuldner verheiratet und seiner Ehefrau sowie zwei Kindern unterhaltspflichtig wäre, beliefe sich sein Nettoeinkommen bei Lohnsteuerklasse III und zwei Kinderfreibeträgen auf 2.026,49 Euro netto. Dieser Betrag liegt unterhalb des Pfändungsfreibetrages von 2.039,99 Euro bei einer Unterhaltspflicht für drei Personen nach der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2017.
Wegen des Schadensersatzanspruchs gegen den Drittschuldner gem. § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird 39 auf Kap. 50 Rz. 42 verwiesen. Zum ersatzfähigen Schaden gehören trotz § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG auch die Anwaltskosten der vergeblichen Drittschuldnerklage (BAG MDR 1990, 1043 = NJW 1990, 2643). 7. Tipps zur Ermittlung und Pfändung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit a) Ermittlung von Drittschuldnern Gewerbetreibende und Freiberufler erzielen Einkünfte, deren Grund und Höhe, vor allem aber deren 40 Zahlungspflichtige ständig wechseln und daher vom Gläubiger schwer zu ermitteln sind. Hilfreich sind hierbei der Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft (Kap. 47), aber auch der Pfändungsauftrag mit dem Hinweis auf die Pflicht des Gerichtsvollziehers, gem. § 806a Abs. 1 ZPO Drittschuldner zu ermitteln (M 49.1). Wenn die Hauptauftraggeber von Freiberuflern bekannt sind, kommt die Pfändung von Ansprüchen gegen diese Drittschuldner in Betracht: b) Honorare von Pflichtverteidigern und Dolmetschern gegenüber Gerichtsbehörden Dolmetscher und Pflichtverteidiger beziehen teilweise recht ansehnliche Honorare durch Gerichtsaufträge. Sie entspringen der Erwerbstätigkeit des Schuldners (vgl. § 850 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO) und dienen seinem Unterhalt. Sie sind frei pfändbar. Es ist Sache des Schuldners, gem. § 850i ZPO um Vollstreckungsschutz nachzusuchen.
41
Gepfändet wird nach M 50.2; Drittschuldner ist das Gericht, nicht die Justizkasse.
42
Dolmetscher beziehen auch von Kommunalbehörden – Ausländerstellen – teilweise nicht unerhebli- 43 che Einkünfte. Auch dort sind Pfändungen nach M 50.2 unbeschränkt möglich.
Giers
955
ZPO
Kap. 51 Rz. 44
Einkommens-, Lohnpfändung, Drittschuldnerklage
M 51.7
c) Honorare von Ärzten gegenüber Patienten sowie Rechtsanwälten und Steuerberatern gegenüber Mandanten
44 Honorarforderungen von Ärzten, Rechtsanwälten und Steuerberatern sind pfändbar (BGH NJW 2005, 1505 = MDR 2005, 954). Die Zugriffsmöglichkeiten bei Ärzten sind vergleichsweise besser, weil diese Forderungen aus der Behandlung von Kassenpatienten gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung abrechnen müssen. Forderungen aus der Behandlung von Privatpatienten lassen sich nur dann leicht ermitteln, wenn der Arzt mit einer Privatverrechnungsstelle zusammenarbeitet.
45 M 51.7 Antrag auf Pfändung und Überweisung (Kassenärztliche
Vereinigung/Verrechnungsstelle) Gepfändet wird nach M 50.2. Hierfür ist auf S. 6 des Formulars einzutragen: An die Kassenärztliche Vereinigung … / Verrechnungsstelle für Ärzte … auf Weiterleitung von Zahlungen rückständiger, fälliger und künftig fällig werdender Honorare aller Kassen-/Privatpatienten an den Schuldner, bis der Gläubigeranspruch gedeckt ist. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
46 Bei Rechtsanwälten ist diese Möglichkeit in der Praxis nicht gegeben, weil sie ihre Honorare selbst geltend machen. Sie reihen sich damit in die Gruppe der Ärzte ein, die ohne die Hilfe Dritter abrechnen. Hier fehlt schon die tatsächliche Möglichkeit, den Drittschuldner und die Forderung ordnungsgemäß zu benennen. Neben dem Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft (Kap. 47) kommt bei Schuldnern dieser Berufsgruppen ggf. noch der Weg zu den Standesorganisationen – Rechtsanwalts-, Ärzte-, Zahnärzte- und Steuerberaterkammern – in Betracht, die im Wege ihrer Standesaufsicht gegen säumige Mitglieder einschreiten, notfalls auf den Entzug der Zulassung hinwirken können.
III. Pfändung wegen Unterhaltsforderungen 1. Pfändung von Arbeitseinkommen a) Pfändung
47 Der Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen des Schuldners nach § 850c ZPO iVm. der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung (s. Rz. 2) wird eingeschränkt für Ansprüche eines Gläubigers auf Unterhaltsleistungen; denn der Schuldner kann keinen größeren Schutz zur Sicherung seines Lebensunterhalts genießen als ein unterhaltsberechtigter Gläubiger. Hier ist daher eine erweiterte Pfändung zulässig. Die Einzelheiten sind in § 850d ZPO geregelt.
48 Bei der Vollstreckung von Unterhaltsforderungen gelten nicht die in der Tabelle zu § 850c Abs. 3 Satz 2 ZPO festgelegten Pfändungsfreibeträge. Vielmehr ist dem Schuldner nur so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf; von den in § 850a Nr. 1, 2 und 4 ZPO genannten Bezügen hat ihm mindestens die Hälfte des nach § 850a ZPO unpfändbaren Betrages zu verbleiben (§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO).
956
Giers
K
Einkommens-, Lohnpfändung, Drittschuldnerklage
Rz. 54 Kap. 51
Wichtig: Um den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruchs nach 49 § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen, muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich ggf. im Wege der Auslegung ergibt, dass der Vollstreckung ein entsprechender Unterhaltsanspruch zugrunde liegt. Durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheides kann dieser Nachweis nicht geführt werden (BGH NJW 2016, 1663 = MDR 2016, 851).
Die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten, die neben dem vollstreckenden Gläubiger unterhalts- 50 berechtigt ist, entspricht derjenigen des Unterhaltsrechts. Mehrere unterhaltsberechtigte Gläubiger sind bei der Vollstreckung gem. § 850d Abs. 2 ZPO in der Reihenfolge nach § 1609 BGB, § 16 LPartG zu berücksichtigen, wobei mehrere gleich nahe Berechtigte den gleichen Rang haben. Um den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruchs gem. § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen, muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich – gegebenenfalls im Wege der Auslegung – ergibt, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch iSv. § 850d Abs. 1 ZPO zugrunde liegt. Die Bevorrechtigung des Gläubigers braucht sich nicht aus dem Titel zu ergeben. Die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter hat vielmehr das Vollstreckungsorgan bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO selbständig zu prüfen und festzulegen (BGH MDR 2012, 1370 = NJW 2013, 239). Die Höhe des Pfändungsfreibetrages wird vom Vollstreckungsgericht nach den individuellen Verhältnissen des Schuldners festgelegt. Damit das Vollstreckungsgericht den Bedarf des Schuldners bestimmen kann, sind dessen Lebensverhältnisse (Familienstand, Unterhaltspflichten, wenn möglich auch Wohnkosten) möglichst genau darzustellen.
51
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Praxistipp: Was dem Vollstreckungsschuldner bei der erweiterten Pfändung als notwendiger Unterhalt verbleiben muss, entspricht in der Regel den Regelsätzen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich der Wohnkosten und eines Mehrbedarfszuschlags für Erwerbstätige (BGH NJW 2003, 2918 = MDR 2004, 53). Sofern die Berechnung des Freibetrags zu hoch erscheint, sollte das Vollstreckungsgericht um Erläuterung ersucht werden. Bei zu hoher Festsetzung kann Erinnerung nach § 766 ZPO eingelegt werden. Zur (Nicht-) Berücksichtigung von Unterhaltsberechtigten für den Fall, dass Unterhalt nicht oder nicht in voller Höhe gezahlt wird, wird auf Rz. 13 verwiesen.
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Wichtig: Für den Pfändungsantrag ist gem. § 3 Zwangsvollstreckungs-Formularverordnung 53 (ZVFV) zwingend das Formular Anlage 3 zur ZVFV (M 51.8) zu benutzen. Nur der isolierte Antrag auf Überweisung einer bereits gepfändeten Forderung ist gem. § 2 ZVFV vom Formularzwang ausgenommen.
M 51.8 Pfändung von Arbeitseinkommen wegen Unterhaltsforderungen
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Hinweis: Das vollständige Formular finden Sie unter www.justiz.de, Formulare, Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (Unterhaltsforderung).
Giers
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ZPO
M 51.8
Kap. 51 Rz. 54
M 51.8
Einkommens-, Lohnpfändung, Drittschuldnerklage
ZPO
$QWUDJDXI(UODVVHLQHV3IlQGXQJVXQG hEHUZHLVXQJVEHVFKOXVVHVZHJHQ8QWHU KDOWVIRUGHUXQJHQ 5DXPIU.RVWHQYHUPHUNHXQG(LQJDQJVVWHPSHO
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Es wird beantragt, den nachfolgenden Entwurf als Beschluss auf Pfändung und Überweisung zu erlassen.
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)UDX5HFKWVDQZlOWLQ+HUUQ5HFKWVDQZDOW EHL]XRUGQHQ
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VFKDIWOLFKHQ9HUKlOWQLVVHQHEVWBBBBBB%HOHJHQ
9HUUHFKQXQJVVFKHFNIU*HULFKWVNRVWHQ *HULFKWVNRVWHQVWHPSOHU Ich drucke nur die ausgefüllten Seiten (Bezeichnung der Seiten)
Hinweis:
Soweit für den Antrag eine zweckmäßige Eintragungsmöglichkeit in diesem Formular nicht besteht, können ein geeignetes Freifeld sowie Anlagen genutzt werden.
aus und diese dem Gericht ein. reiche
'DWXP 8QWHUVFKULIW$QWUDJVWHOOHULQ
Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
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Rz. 59 Kap. 51
Das Formular entspricht weitgehend demjenigen für die Pfändung nicht bevorrechtigter Forderun- 55 gen, so dass im Folgenden zunächst auf die entsprechenden Ausführungen in Kap. 50 verwiesen wird und nur die Besonderheiten dieses Formulars vorgestellt werden. Es ist wie folgt auszufüllen: – S. 1: Die gestellten Anträge sind anzukreuzen. Dort findet sich auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts. Notwendig ist die Originalunterschrift. Eine eingescannte Unterschrift in standardisierten Massenverfahren genügt nicht (LG Trier v. 5.5.2013 – 5 T 26/13).
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– S. 2: Anzukreuzen ist, ob nur die Pfändung oder auch die Überweisung beantragt wird. Genaue Bezeichnung von Gläubiger, Gläubigervertreter und Schuldner. – S. 3: Der Vollstreckungstitel ist anzugeben. Es genügt nicht, nur auf den beigefügten Titel zu verweisen. – S. 3/4 Forderungsaufstellung: Die Forderungsaufstellung ist vollständig und ordnungsgemäß auszufüllen. Sofern erforderlich, kann auf eine Anlage verwiesen werden. Es ist zu differenzieren zwischen Unterhaltsrückstand, statischer und dynamischer Unterhaltsrente. – S. 5 oben: Genaue Bezeichnung des Drittschuldners. – S 5 Mitte: Hier ist anzukreuzen, welche Art Forderung gepfändet werden soll. – S. 5 unten bis 7: Ergänzende Ausführungen zu den jeweils zu pfändenden Forderungen. – S. 8 obere Hälfte: Anordnung zur Zusammenrechnung von Einkommen (s. Rz. 6 ff.). – S. 8 untere Hälfte: ergänzende Angaben zum Schuldner (s. Rz. 58). – S. 9 untere Hälfte: Anordnungen nach § 836 Abs. 3 ZPO (s. zB Kap. 50 Rz. 24) und – S. 10: Ankreuzfeld, ob die Forderung zur Einziehung oder an Zahlungs statt überwiesen werden soll (s. Kap. 50 Rz. 39) und Feld für die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten.
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Wichtig: Nach § 3 ZVFV sind inhaltliche Abweichungen von den Formularen grundsätzlich nicht 57 erlaubt. Zulässig sind jedoch Anpassungen, die auf der Änderung von Rechtsvorschriften beruhen, und – sofern das DIN A4 Format erhalten bleibt und die Reihenfolge und Anordnung der Formularfelder der einzelnen Seiten und die Seitenumbrüche nicht verändert werden – eine unwesentliche Änderung der Größe der Schrift und sonstiger Formularelemente sowie die Verwendung nur der Farben Schwarz und Weiß und von Grautönen, soweit die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt wird. Wenn für den beabsichtigten Antrag keine zweckmäßige Eintragungsmöglichkeit im Formular besteht, kann ein geeignetes Freifeld oder eine Anlage genutzt werden. Der Antragsteller braucht nur die Seiten des Formulars, auf denen sich seine Angaben befinden, einzureichen.
Da die Höhe des pfandfreien Betrages vom Vollstreckungsgericht festgesetzt wird (S. 9 des Formulars M 51.8), muss der Gläubiger auf S. 8 des Musters M 51.8 untere Hälfte möglichst genaue Angaben zu den Lebensverhältnissen des Schuldners machen. Wenn ein Unterhaltsberechtigter nicht berücksichtigt werden soll, ist das passende Ankreuzfeld auf S. 8 unten zu verwenden. Sofern die Nichtberücksichtigung darauf beruht, dass tatsächlich kein Unterhalt gezahlt wird (s. Rz. 14), kann dies in dem dort vorgesehenen Freifeld eingetragen werden.
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Hinsichtlich Rückständen, die mehr als ein Jahr vor Antragstellung entstanden sind, gilt der eingeschränkte Pfändungsschutz insoweit nicht, als nach Lage der Verhältnisse nicht anzunehmen ist, dass der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat. Da nach der Rechtsprechung des BGH (BGH MDR 2005, 649 = FamRZ 2005, 440) der Schuldner die Beweislast dafür trägt, dass er sich seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen hat, wird selten Anlass bestehen, auf S. 8 Mitte des Formulars anzukreuzen, dass der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht wohl nicht absichtlich entzogen hat.
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ZPO
Einkommens-, Lohnpfändung, Drittschuldnerklage
Kap. 51 Rz. 60
Einkommens-, Lohnpfändung, Drittschuldnerklage
M 51.9
ZPO
b) Drittschuldnerklage
60 Wegen der Auskunftspflicht des Drittschuldners, Schadensersatzansprüchen des Gläubigers gegen den Drittschuldner und der Drittschuldnerklage wird auf Kap. 50 Rz. 42 ff. verwiesen. Bei der Drittschuldnerklage besteht die Besonderheit, dass auf eine laufende Leistung geklagt wird.
61 M 51.9 Zahlungsklage gegen den Drittschuldner An das Arbeitsgericht … Klageschrift und Streitverkündung … / … (Langrubrum) Ich beantrage, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger gem. den sich aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts … Az. … – ergebenden Beträgen 750 Euro an Rückständen und ab Beginn des kommenden Monats bis zum 3. eines jeden Monats monatlich 250 Euro Unterhalt zu zahlen. Zugleich verkünde ich hiermit dem (Name und ladungsfähige Anschrift des Schuldners) … den Streit gem. § 841 ZPO mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten, und beantrage, ihm diesen Schriftsatz zustellen zu lassen. Begründung: Durch Vergleich des Amtsgerichts – Familiengericht – … vom … – … Az. … – hat sich der Schuldner X verpflichtet, dem Kläger monatlich 250 Euro an Unterhalt zu zahlen. Er ist Arbeiter im Betrieb des Beklagten und bezieht Tariflohn, ggf. nebst Überstunden- und Erschwerniszulagen. Den pfändbaren Teil der Einkünfte in Höhe des Vergleichs hat der Kläger gem. dem beigefügten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts … vom … – … Az. … – pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Der Beschluss wurde dem Beklagten am …, also vor 2 Monaten, zugestellt mit der Aufforderung, die Erklärungen nach § 840 Abs. 1 ZPO abzugeben. Der Beklagte ist dem jedoch nicht nachgekommen und hat bis heute nichts gezahlt, so dass für die zurückliegenden 2 Monate 500 Euro und für den laufenden Monat 250 Euro an Rückständen entstanden sind. Ab dem kommenden Monat hat der Kläger jeweils bis zum 3. des Monats 250 Euro zu zahlen. Dem Schuldner X (Name und Anschrift) ist gem. § 841 ZPO der Streit verkündet worden. Kosten: Gericht: 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 8210 KV GKG, wenn nicht die Voraussetzungen der Nr. 8211 KV GKG vorliegen; in diesem Fall ermäßigt sich die Gebühr auf 0,4; im Fall eines gerichtlichen Vergleichs entfällt die Gebühr (Vorbem. 8 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 W RVG; Streitwert: Maßgebend ist der 3-jährige Bezug, Rückstände werden nicht hinzugerechnet (§ 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 GKG).
2. Pfändung weiterer Forderungen, Vorauspfändung
62 Für die Pfändung weiterer Forderungen aufgrund von Unterhaltsansprüchen gelten an und für sich keine Besonderheiten. Zu beachten ist jedoch die Zulässigkeit der Vorauspfändung von Kontoguthaben für künftig fällig werdende Unterhaltsansprüche (BGH MDR 2004, 413 = FamRZ 2004, 183). Diese Dauerpfändung stellt keinen Verstoß gegen § 751 Abs. 1 ZPO dar, weil die Zwangsvollstreckung nicht vor Fälligkeit der Vollstreckungsforderung, sondern frühestens an dem auf den Fälligkeitstag folgenden Werktag, 0.00 Uhr, beginnt. Erst dann tritt die aufschiebende Bedingung ein und die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über den Pfändungsantrag wird wirksam. Das Formular 960
Giers
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
Kap. 52
M 51.10 Dauerpfändung eines Kontos
ZPO
M 51.8. enthält keinen vorformulierten Text für die Dauerpfändung. Es ist daher auf Seite 5 in der Rubrik „Anspruch D (an Kreditinstitute)“ unter Ziffer 6 folgender Text einzusetzen:
63
6. auf … (Text einsetzen wie Ziffer 1 dieser Rubrik) und zwar auch wegen der künftigen Beträge. Die Pfändung wird erst mit dem auf den jeweiligen Fälligkeitstag folgenden Werktag wirksam. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
IV. Wegen Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung Für die Vollstreckung einer Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung kann der Pfändungsfreibetrag auf Antrag des Gläubigers vom Vollstreckungsgericht herabgesetzt werden, § 850f Abs. 2 ZPO. Dabei ist dem Schuldner wenigstens der Betrag zu belassen, den er auch seitens der Sozialleistungsträger bekäme (BGH MDR 2013, 426 = NJW 2013, 1370). Im Unterschied zur Vollstreckung von Unterhaltsforderungen reduziert sich der pfandfreie Betrag nicht automatisch, sondern nur auf Antrag. Die Festsetzung erfolgt durch das Vollstreckungsgericht. Für diesen Antrag enthält die ZVFV kein amtliches Formular. Es ist daher das Formular für die Pfändung nicht bevorrechtigter Forderungen M 50.2 zu nutzen und auf S. 8 unten unter „Sonstige Anordnungen“ einzusetzen:
64
M 51.11 Pfändung wegen Anspruch aus unerlaubter Handlung
65
Sonstige Anordnungen: Dem Schuldner dürfen, da der Gläubiger aus unerlaubter Handlung vollstreckt, bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs für seinen notwendigen Unterhalt … Euro monatlich verbleiben. Der sich hieraus ergebende dem Schuldner verbleibende Betrag darf den Betrag nicht übersteigen, der ihm nach den Vorschriften des § 850c ZPO gegenüber nicht bevorrechtigten Gläubigern zu verbleiben hätte. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Kapitel 52 Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte I. II. III. 1. 2. 3.
4. IV.
Pfändung weiterer Forderungen . . . . . . . . Sozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . Anteile an Personengesellschaften . . . . . . . . M 52.1 Pfändung des Anteils an einer GbR . GmbH- und UG-Anteile . . . . . . . . . . . . . . M 52.2 Pfändung eines GmbH-Anteils . . . . Genossenschaftsanteile . . . . . . . . . . . . . . . . M 52.3 Kündigung des Genossenschaftsanteils durch den Gläubiger . . . . . . Aktienbezugsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 5 5 7 9 11 12 13 14 16
1. Lebensversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 52.4 Aufforderung zur Auskunft über den Rückkaufswert . . . . . . . . . . . . M 52.5 Änderung des Vertragsverhältnisses durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . 2. Abzahlungskauf und Leasing . . . . . . . . . . . M 52.6 Pfändung eines Anwartschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . M 52.7 Pfändung von Sicherungsgut beim Sicherungsgeber . . . . . . . . . . . . . .
16
Giers
961
21 23 26 29 32 33
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
Kap. 52
M 51.10 Dauerpfändung eines Kontos
ZPO
M 51.8. enthält keinen vorformulierten Text für die Dauerpfändung. Es ist daher auf Seite 5 in der Rubrik „Anspruch D (an Kreditinstitute)“ unter Ziffer 6 folgender Text einzusetzen:
63
6. auf … (Text einsetzen wie Ziffer 1 dieser Rubrik) und zwar auch wegen der künftigen Beträge. Die Pfändung wird erst mit dem auf den jeweiligen Fälligkeitstag folgenden Werktag wirksam. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
IV. Wegen Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung Für die Vollstreckung einer Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung kann der Pfändungsfreibetrag auf Antrag des Gläubigers vom Vollstreckungsgericht herabgesetzt werden, § 850f Abs. 2 ZPO. Dabei ist dem Schuldner wenigstens der Betrag zu belassen, den er auch seitens der Sozialleistungsträger bekäme (BGH MDR 2013, 426 = NJW 2013, 1370). Im Unterschied zur Vollstreckung von Unterhaltsforderungen reduziert sich der pfandfreie Betrag nicht automatisch, sondern nur auf Antrag. Die Festsetzung erfolgt durch das Vollstreckungsgericht. Für diesen Antrag enthält die ZVFV kein amtliches Formular. Es ist daher das Formular für die Pfändung nicht bevorrechtigter Forderungen M 50.2 zu nutzen und auf S. 8 unten unter „Sonstige Anordnungen“ einzusetzen:
64
M 51.11 Pfändung wegen Anspruch aus unerlaubter Handlung
65
Sonstige Anordnungen: Dem Schuldner dürfen, da der Gläubiger aus unerlaubter Handlung vollstreckt, bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs für seinen notwendigen Unterhalt … Euro monatlich verbleiben. Der sich hieraus ergebende dem Schuldner verbleibende Betrag darf den Betrag nicht übersteigen, der ihm nach den Vorschriften des § 850c ZPO gegenüber nicht bevorrechtigten Gläubigern zu verbleiben hätte. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Kapitel 52 Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte I. II. III. 1. 2. 3.
4. IV.
Pfändung weiterer Forderungen . . . . . . . . Sozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . Anteile an Personengesellschaften . . . . . . . . M 52.1 Pfändung des Anteils an einer GbR . GmbH- und UG-Anteile . . . . . . . . . . . . . . M 52.2 Pfändung eines GmbH-Anteils . . . . Genossenschaftsanteile . . . . . . . . . . . . . . . . M 52.3 Kündigung des Genossenschaftsanteils durch den Gläubiger . . . . . . Aktienbezugsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 5 5 7 9 11 12 13 14 16
1. Lebensversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 52.4 Aufforderung zur Auskunft über den Rückkaufswert . . . . . . . . . . . . M 52.5 Änderung des Vertragsverhältnisses durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . 2. Abzahlungskauf und Leasing . . . . . . . . . . . M 52.6 Pfändung eines Anwartschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . M 52.7 Pfändung von Sicherungsgut beim Sicherungsgeber . . . . . . . . . . . . . .
16
Giers
961
21 23 26 29 32 33
Kap. 52 Rz. 1
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
ZPO
I. Pfändung weiterer Forderungen 1 In diesem Formularbuch kann aus Raumgründen nicht auf sämtliche pfändbaren Forderungen eingegangen werden. Die Darstellung beschränkt sich daher in den Kap. 50–52 auf die in den amtlichen Formularen explizit aufgeführten sowie auf weitere Forderungen, deren Pfändung in der Praxis häufiger vorkommt.
II. Sozialleistungen 2 Nach § 54 Abs. 1 und Abs. 3 SGB I unterliegen Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen sowie einige zweckgebundene Renten nicht der Pfändung. Die übrigen Ansprüche auf laufende Geldleistungen können wie Arbeitseinkommen gepfändet werden, § 54 Abs. 4 SGB I. Das gilt auch für Ansprüche auf laufende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II – Arbeitslosengeld II (BGH MDR 2013, 57). Drittschuldner ist die Behörde, gegen welche sich der Anspruch richtet. Im Muster M 50.2 ist die Rubrik „B (an Agentur für Arbeit bzw. Versicherungsträger)“ anzukreuzen und auszufüllen, insbesondere die Art der Sozialleistung anzugeben.
3 Rentenbezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind danach wie Arbeitseinkommen pfändbar. Pfändbar sind auch zukünftig entstehende oder fällig werdende Geldansprüche gegen einen Rentenversicherungsträger (BGH NJW 2003, 1457 = MDR 2003, 525). Da der Rentenversicherungsträger zur Auszahlung an den neuen Gläubiger nicht vor Ablauf des Monats verpflichtet ist, der dem Monat folgt, in dem er von der Pfändung Kenntnis erlangt hat (§ 53 Abs. 4 SGB I), empfiehlt sich eine Vorpfändung entsprechend M 50.1 mit Pfändung nach M 50.2. Die Vorpfändung von Renten ist zulässig (Zöller/ Herget § 850i ZPO Rz. 44). Ansprüche aus § 109 SGB VI auf Erteilung von Renteninformationen und Rentenauskünften sind nicht zusammen mit der zukünftigen Forderung der Schuldnerin auf Zahlung von Renten mitgepfändet. Sie können auch nicht gesondert gepfändet werden (BGH MDR 2012, 605).
4 Ansprüche auf einmalige Geldleistungen unterliegen der Pfändung, soweit es der Billigkeit entspricht (§ 54 Abs. 2 SGB I). Die Pfändung unterscheidet sich nicht von derjenigen einer laufenden Geldleistung. Das Vollstreckungsgericht muss von Amts wegen zur Vorbereitung seiner Ermessensentscheidung, ob und in welcher Höhe eine Pfändung der Leistungen der Billigkeit entspricht, die weitere Aufklärung betreiben. Dabei muss auch der andere Teil gehört werden, vgl. § 850b Abs. 3 ZPO.
III. Mitgliedschaftsrechte 1. Anteile an Personengesellschaften
5 Der Inhaber von Mitgliedschaftsrechten ist mit den übrigen Gesellschaftern durchweg so verbunden, dass oft von einem eigenständigen Vermögensanteil nicht die Rede sein kann. Das trifft insbesondere auf die GbR zu, deren Regeln für zahlreiche andere Gesellschaftsformen gelten.
6 Nach §§ 717, 719 BGB können zwar Gesellschafterrechte und -anteile nicht übertragen werden. Dennoch gestattet § 859 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Pfändung von Gesellschafteranteilen. Allerdings bestimmt § 859 Abs. 1 Satz 2 ZPO zugleich, dass der Anteil an den einzelnen zu dem Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen der Pfändung nicht unterliegt. Mit der Pfändung und Überweisung erwirbt der Gläubiger daher nur das Recht auf evtl. Gewinnausschüttung (§ 725 Abs. 2 BGB) und das Recht zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, wenn der Titel rechtskräftig ist (§ 725 Abs. 1 BGB). Je nach Gestaltung der GbR kann also die Pfändung eines Gesellschafteranteils durchaus interessant sein. Allerdings wird die Befriedigung des Gläubigers dadurch erschwert, dass Auskunftsrechte von der Pfändung nicht erfasst werden (BGH MDR 1992, 294 = NJW 1992, 830). Gepfändet wird wie bei einer Forderung (§ 857 Abs. 1 ZPO). Drittschuldner sind alle Mitglieder der Gesellschaft. Die Zustellung erfolgt gem. § 170 Abs. 3 ZPO an den Geschäftsführer oder, wenn ein Geschäftsführer nicht
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M 52.2
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
Rz. 12 Kap. 52
M 52.1 Pfändung des Anteils an einer GbR
ZPO
bestellt ist, an einen der Gesellschafter (BGH MDR 2006, 1254 = NJW 2006, 2191). Der zu pfändende Anspruch ist auf S. 6 des Musters M 50.2 in der Rubrik „Anspruch G (an Sonstige)“ einzutragen.
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Anspruch G (an Sonstige) der angebliche Anteil des Schuldners an der aus … (Namen und Anschriften aller Gesellschafter, soweit bekannt), … bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Entsprechend ist bei einer OHG (Zöller/Herget § 859 ZPO Rz. 6 ff.), einer KG (Zöller/Herget § 859 ZPO Rz. 10) oder bei einer Partnerschaft (Zöller/Herget § 859 ZPO Rz. 9a) zu verfahren.
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2. GmbH- und UG-Anteile Nach § 15 Abs. 1 GmbHG sind die Geschäftsanteile an einer GmbH und einer UG (Unternehmergesellschaft [haftungsbeschränkt]) veräußerlich und vererblich. Sie unterliegen daher schon nach § 857 ZPO der Pfändung wie Forderungen. Drittschuldner ist die GmbH bzw. UG (vgl. Zöller/Herget § 859 ZPO Rz. 13 mit Nachweisen).
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Eine weitere Besonderheit folgt aus § 857 Abs. 5 ZPO. Da ein GmbH-Anteil veräußerbar ist, kann die Veräußerung auch vom Vollstreckungsgericht nach § 844 ZPO angeordnet werden. Diesen Weg zu wählen dürfte in der Regel empfehlenswert sein, weil die Alternative, die Kündigung der GmbH, auf allzu große rechtliche Schwierigkeiten stoßen wird (Einzelheiten bei Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1625). Der zu pfändende Anspruch ist auf S. 6 des Musters M 50.2 in der Rubrik „Anspruch G (an sonstige)“ einzutragen, die Verwertung gem. § 844 ZPO auf S. 8 unter „Sonstige Anordnungen“:
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M 52.2 Pfändung eines GmbH-Anteils
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Anspruch G (an Sonstige) der angebliche Anteil des Schuldners an der … GmbH (genauer Name, Anschrift, HRB-Nr., soweit bekannt) und die Ansprüche auf den Gewinnanteil sowie ein evtl. Auseinandersetzungsguthaben des Schuldners nach Beendigung der Gesellschaft. Sonstige Anordnungen: Es wird angeordnet, dass gem. § 844 ZPO der Verkauf des Gesellschafteranteils des Schuldners durch die Versteigerung, die von einem vom Gläubiger beauftragten Gerichtsvollzieher durchgeführt wird, oder durch den freihändigen Verkauf erfolgen soll. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
3. Genossenschaftsanteile Sie unterliegen nicht der Pfändung, weil sie nicht Mitgliedsrechte, sondern lediglich Rechengrößen 12 für die Beteiligung des Genossen an der Genossenschaft darstellen (Zöller/Herget § 859 ZPO Rz. 14). Pfändbar sind aber der fortlaufende Anspruch auf Auszahlung des Gewinns (§ 19 GenG), der Anspruch auf Auszahlung eines Anteils am Reservefonds bei entsprechender Satzung (§ 73 Abs. 3 GenG) und schließlich ein evtl. zugunsten des Schuldners bestehendes Auseinandersetzungsguthaben Giers
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ZPO
Kap. 52 Rz. 13
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
M 52.3
(§§ 66, 73 GenG). All diese Rechte werden nach § 829 ZPO gepfändet mit dem Muster M 50.2; die Drittschuldnerin ist die Genossenschaft. Darüber hinaus kennt das Genossenschaftsrecht die Möglichkeit der Kündigung des Geschäftsanteils durch einen Gläubiger, und zwar unter Beachtung der Regeln des § 66 GenG:
13 M 52.3 Kündigung des Genossenschaftsanteils durch den Gläubiger An die … Genossenschaft in … Betrifft: Kündigung des Geschäftsanteils Ihres Mitglieds … (Bezeichnung des Schuldners) Anlagen: 1. Bescheinigung des Gerichtsvollziehers über fruchtlose Pfändung 2. Beglaubigte Abschrift eines rechtskräftigen Vollstreckungstitels In der Zwangsvollstreckungssache … / … (Langrubrum) … nehme ich Bezug auf die vom Vollstreckungsgericht … – … M … / … – durch Zustellung am … bei Ihnen bewirkte Pfändung und Überweisung des künftigen Auseinandersetzungsguthabens Ihres o.a. Mitglieds zugunsten des von mir vertretenen Gläubigers. Vollstreckungsversuche waren, wie der beigefügten Gerichtsvollzieherbescheinigung vom … zu entnehmen ist, innerhalb der letzten sechs Monate erfolglos. Da Ihre Satzung keine längere Kündigungsfrist vorschreibt, erkläre ich hiermit namens des von mir vertretenen Gläubigers unter Einhaltung der gesetzlichen Frist von 3 Monaten mittels Aufkündigung den Austritt des Schuldners aus der Genossenschaft zum Ende des laufenden Kalenderjahres (§§ 65, 66 GenG). Das sich danach ergebende Guthaben des Schuldners wollen Sie bitte nach Ablauf der 6-monatigen Frist auf mein o.a. Konto überweisen. Eine beglaubigte Abschrift des rechtskräftigen mit Vollstreckungsklauseln versehenen Urteils des Landgerichts … vom … – Az. … – ist beigefügt. Kosten: Hinsichtlich der Anwaltskosten handelt es sich um eine besondere Angelegenheit (Gerold/ Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 3309 VV RVG Rz. 223); Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3), der Wert richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Gläubigers.
4. Aktienbezugsrechte
14 Aktien sind als Wertpapiere wie bewegliche Sachen pfändbar (§ 808 Abs. 2 ZPO) und werden gem. § 821 ZPO vom Gerichtsvollzieher verwertet.
15 Das Anteilsrecht eines Aktionärs ist vor Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister nicht übertragbar (§ 41 Abs. 4 AktG) und daher auch nicht pfändbar (§ 851 ZPO). Nach der Eintragung der Aktiengesellschaft und vor der Ausgabe der Aktien ist das Anteilsrecht – Bezugsrecht – nach § 857 ZPO pfändbar. Geht der Titel auf Herausgabe von Aktien, ist § 857 ZPO nicht anwendbar. Die Vollstreckung erfolgt, auch wenn es sich um Aktien in Sammelverwahrung handelt, nach §§ 883 ff. ZPO (BGH MDR 2005, 110 = NJW 2004, 3340). Pfändbar sind ferner die Bezugsansprüche des Aktionärs nach Kapitalerhöhung sowie auf Zuteilung einer Wandelschuldverschreibung, einer Gewinnschuldverschreibung oder eines Genussrechts gem. § 221 Abs. 4 AktG. Diese Ansprüche sind jeweils auf S. 6 des Musters M 50.2 in der Rubrik „Anspruch G“ einzutragen. Drittschuldner ist die AG.
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Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
Rz. 20 Kap. 52
ZPO
IV. Weitere Rechte 1. Lebensversicherung Mit Ablauf der vereinbarten Laufzeit oder – auch bei reinen Risikolebensversicherungen – mit Ein- 16 tritt des Versicherungsfalles (Tod des Versicherungsnehmers) fällige bzw. – bei bevorstehendem Ablauf der Laufzeit – in Kürze fällig werdende Lebensversicherungsleistungen sind grundsätzlich mit dem Muster M 50.2 pfändbar. Sofern die Versicherung noch nicht zur Auszahlung fällig ist, bleibt dem Gläubiger die Möglichkeit, die Versicherung zu pfänden, sich überweisen zu lassen und dann die mit dem Versicherungsverhältnis verbundenen Rechte auszuüben:
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– Den Vertrag zu kündigen, um in den Genuss des Rückkaufwertes zu gelangen; – den Vertrag mit eigenen Prämienzahlungen aufrecht zu erhalten und sich zugleich als Begünstigten zu benennen, um so in den vollen Genuss der Versicherungssumme zu gelangen; – den Vertrag prämienfrei zu stellen; – die Herausgabe des Versicherungsscheins zu verlangen. Für die Pfändung ist das Muster M 50.2 zu nutzen. Drittschuldner ist die Versicherung, wobei die Zu- 18 stellung an die Haupt- oder Zweigniederlassung erfolgen kann. Auf S. 4 oben ist die Ziffer E anzukreuzen. Aus S. 5 folgt, dass bereits formularmäßig die ausübbaren Rechte mitgepfändet werden. Auf S. 8 ist anzukreuzen, dass die Herausgabe der Versicherungspolice angeordnet wird.
K
Wichtig: Wird kein Bezugsberechtigter eingesetzt, gehört der Anspruch zum Vermögen des 19 Versicherungsnehmers. Bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung eines Dritten gehören sämtliche fällig werdenden Ansprüche aus der Lebensversicherung zu dessen Vermögen. Dieser erwirbt die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag grundsätzlich sofort, einschließlich des Anspruchs auf den Rückkaufswert nach Kündigung des Vertrages. Zumal das Kündigungsrecht nicht selbständig, sondern nur zusammen mit dem Anspruch auf den Rückkaufswert gepfändet werden kann, geht die Pfändung des Rückkaufswerts und des Kündigungsrechts gegenüber dem Versicherungsnehmer ins Leere (BGH Rpfleger 2003, 515), möglich ist jedoch die Pfändung durch Gläubiger des Bezugsberechtigten. Im Fall der widerruflichen Bezugsberechtigung erwirbt der Dritte erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalles das Bezugsrecht. Bis dahin können diese Ansprüche nur Gläubiger des Versicherungsnehmers pfänden, nach Eintritt des Versicherungsfalles nur solche des Dritten. Zugunsten eines namentlich bezeichneten Bezugsberechtigten, ersatzweise zugunsten des Ehegatten und der Kinder des Versicherungsnehmers im Falle der Zwangsvollstreckung in den Versicherungsanspruch, begründet § 170 VVG ein gesetzliches Eintrittsrecht in den Versicherungsvertrag, das innerhalb eines Monats, gerechnet ab Kenntnis von der Pfändung, auszuüben ist. Dieses Recht kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Bezugsberechtigung bereits vor Ablauf der Monatsfrist vom Gläubiger widerrufen wird. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betreffend den Anspruch auf Auszahlung einer Lebensversicherung und des Rechts zur Erklärung des Widerrufs einer Bezugsberechtigung enthält nicht schon die konkludente Erklärung des Widerrufs der Bezugsberechtigung. Auch mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner wird nicht zugleich schlüssig der Widerruf des bestehenden Bezugsrechts erklärt (BGH FamRZ 2012, 444). Der Pfändungsgläubiger sollte daher immer eine etwaige Bezugsberechtigung widerrufen, auch wenn ihm ein Bezugsrecht eines Dritten nicht bekannt ist.
Abgesehen von dem Widerruf der Bezugsberechtigung muss sich der Gläubiger, abhängig von den Auskünften des Versicherers (§ 840 ZPO) entscheiden, ob er von der Möglichkeit der Gestaltung des Vertrages zu seinen Gunsten Gebrauch machen will. Das wird vor allem davon abhängen, wie
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Kap. 52 Rz. 21
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
M 52.4
hoch der Rückkaufswert ist. Sollte der Versicherer darüber keine Angaben gemacht haben, wird er zur Nachbesserung seiner Auskunft aufgefordert.
21 M 52.4 Aufforderung zur Auskunft über den Rückkaufswert An die … Lebensversicherung in … In der Zwangsvollstreckungssache … / … (Langrubrum) haben Sie aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts in … vom … – Az. … – zum Lebensversicherungsvertrag des Schuldners gem. § 840 ZPO Auskünfte gegeben, dabei aber nicht mitgeteilt, wie hoch der evtl. Rückkaufswert der Versicherung ist. Da sich die Pfändung auch auf die mit dem Versicherungsvertrag verbundenen Gestaltungsrechte erstreckt, sind Sie gehalten, auch insoweit Auskunft zu erteilen. Ich sehe Ihrer ergänzenden Stellungnahme binnen zwei Wochen entgegen. Kosten: Die Mahnung gegenüber dem Drittschuldner ist eine besondere Angelegenheit (Zöller/Herget § 840 ZPO Rz. 17, Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 3309 VV RVG Rz. 223); Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3).
22 Ist die Auskunft vollständig erteilt worden, muss sich der Gläubiger entscheiden, ob und in welchem Umfange er das bestehende Versicherungsvertragsverhältnis ändern will. Auf jeden Fall sollte die Bezugsberechtigung geändert werden (s. Rz. 19 und nachfolgend 2. Absatz des M 52.5).
23 M 52.5 Änderung des Vertragsverhältnisses durch den Gläubiger An die … Lebensversicherung in … In der Zwangsvollstreckungssache … / … (Langrubrum) nehme ich Bezug auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts in … vom … – Az. … – und Ihre gem. § 840 ZPO erteilten Auskünfte vom … – (falls vorhanden, Az. der Versicherung angeben) –. Unter Bezugnahme auf § 159 VVG bestimme ich als Bezugsberechtigten nunmehr den Gläubiger. Sie wollen bitte den Versicherungsvertrag entsprechend umstellen und zu meinen Händen einen neuen Versicherungsschein übersenden. 1. Alternative: Da laufende Prämien zu entrichten sind, kündige ich hiermit gem. § 168 VVG den Versicherungsvertrag zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode. Sie wollen mir dies bitte bestätigen und den Rückkaufswert angeben (§ 169 VVG). 2. Alternative: Gemäß § 165 VVG wandele ich hiermit die Versicherung in eine prämienfreie um. Sie wollen bitte mitteilen, zu welchem Zeitpunkt die Versicherungsleistungen fällig werden und wie hoch nunmehr die Versicherungssumme und ein evtl. Rückkaufswert sind. Kosten: Hinsichtlich der Anwaltskosten handelt es sich um eine besondere Angelegenheit (Gerold/ Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017 Nr. 3309 VV RVG Rz. 223); Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3), der Wert richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Gläubigers.
24 Bedingt pfändbar sind reine Risikolebensversicherungen bis zu 3.579 Euro (§ 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO), weil sie zur Deckung von Beerdigungskosten zur Verfügung stehen sollen. Auch wenn die Versicherungssumme diesen Betrag übersteigt, sind Auszahlungsansprüche nur in dem Umfang pfändbar, in dem sie über Ansprüche hinausgehen, die sich auf der Grundlage einer 3.579 Euro nicht überstei966
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M 52.6
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
Rz. 29 Kap. 52
ZPO
genden Versicherungssumme ergeben (BGH MDR 2008, 337). Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Firmendirektversicherung ist bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als zukünftige Forderung pfändbar (BGH MDR 2011, 67). Unpfändbar ist jedoch die Versorgungsanwartschaft gem. § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG iVm. § 851 Abs. 1 ZPO. Die Pfändung von Lebensversicherungen, die nach Eintritt des Versicherungsfalles als Altersrenten 25 bezogen werden, ist unter den in § 851c ZPO genannten Voraussetzungen nur wie eine Pfändung von Arbeitseinkommen möglich. Dies hat auf den Pfändungsantrag keine Auswirkung, sondern ist erst im Rahmen der Auszahlung zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift müssen kumulativ gegeben sein (BGH JurBüro 2011, 214). Entsprechender Pfändungsschutz gilt gem. § 851d ZPO für monatliche Leistungen in Form einer lebenslangen Rente oder monatlicher Ratenzahlungen im Rahmen eines Auszahlungsplans nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a) AltZertG. Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge erstreckt sich aber nur auf das vom Versicherungsnehmer aufgebaute Deckungskapital und die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erbringenden Leistungen, nicht jedoch auf die für die Einzahlung erforderlichen Mittel des Schuldners (BGH MDR 2011, 813). 2. Abzahlungskauf und Leasing Bei einem Ratenzahlungskauf ist in aller Regel von einem Eigentumsvorbehalt iS des § 449 BGB auszugehen. Der Käufer erwirbt dann erst mit Zahlung der letzten Rate Eigentum an der gekauften Sache. Bis dahin unterliegt diese Sache noch dem Zugriff der Gläubiger des Verkäufers, obwohl der Käufer sie schon im Besitz genommen hat und sie daher dort nur der Pfändung zugänglich ist, wenn der Käufer zustimmt (§ 809 ZPO). Der Gläubiger des Verkäufers muss daher den Restkaufpreis pfänden und verwendet hierzu M 50.2.
26
Anders ist die Lage zu beurteilen, wenn der Gerichtsvollzieher beim Käufer eine Sache gepfändet 27 hat, die auf Ratenzahlung gekauft worden ist und noch nicht im Eigentum des Schuldners (Käufers) steht. Hier ist die Pfändung nach § 808 ZPO wirksam geworden, und der Verkäufer hat als Eigentümer die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage. Dem kann der Gläubiger entgehen, wenn er den noch offenen Restkaufpreis an den Verkäufer bezahlt, weil dann der Schuldner Eigentum erwirbt, so dass der Gerichtsvollzieher durch Versteigerung zur Verwertung der gepfändeten Sache kommt. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Denn der Schuldner kann als Anwartschaftsberechtigter trotz der 28 Pfändung seine Anwartschaftsrechte noch wirksam veräußern, so dass die Sachpfändung ins Leere geht (Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 14 „Eigentumsvorbehalt“). Deshalb ist es in solchen Fällen unerlässlich, auch das Anwartschaftsrecht zu pfänden (Doppelpfändung, s. Zöller/Herget § 857 ZPO Rz. 6), und zwar zunächst im Wege der Vorpfändung entsprechend M 50.1. Die Pfändung erfolgt mit dem Formular M 50.2. Dort ist auf S. 4 „G (an Sonstige)“ anzukreuzen und auf S. 6 unter „Anspruch G (an Sonstige)“ einzutragen:
M 52.6 Pfändung eines Anwartschaftsrechts
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G (an Sonstige) auf Eigentumserwerb nach voller Bezahlung des Kaufpreises. Gepfändet wird ferner das Recht des Schuldners zum Widerspruch gem. § 267 Abs. 2 BGB. Kosten: Vorpfändung: Gerichtsvollzieher: Für die Fertigung der Benachrichtigung 16 Euro nach Nr. 200 KV GvKostG; Zustellungsgebühr: für jede persönliche Zustellung 10 Euro nach Nr. 100 KV GvKostG, für jede sonstige Zustellung 3 Euro nach Nr. 101 KV GvKostG; Anwaltsgebühren: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; die Gebühren entstehen für die Pfändung selbst jedoch nicht mehr besonders (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG – Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, RVG, Nr. 3309 VV RVG Rz. 423); im Übrigen: Gerichtsgebühr: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
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Kap. 52 Rz. 30
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
M 52.7
ZPO
30 Sollte der Gläubiger vor Beauftragung des Gerichtsvollziehers wissen, dass der Schuldner im Besitz von Eigentumsvorbehaltsgut ist und wer der Vorbehaltseigentümer ist, dann sollte er den Vorpfändungsantrag dem Auftrag entsprechend M 49.7 beifügen.
31 Bei Leasing-Verträgen ist das Nutzungsrecht grundsätzlich pfändbar, und zwar nach § 857 Abs. 3 ZPO. Die Verträge sehen jedoch durchweg vor, dass das Recht des Leasingnehmers nicht übertragbar ist mit der Folge der Unpfändbarkeit (§ 851 ZPO; weitere Begründung: OLG Düsseldorf NJW 1988, 1676; ferner Zöller/Herget § 857 ZPO Rz. 12 aE). Weitere Rechte aus Leasing-Verträgen zu pfänden, dürfte aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Betracht kommen, weil die Abwicklung nach Ablauf der Nutzungszeit durchweg mit Kosten verbunden ist, die einen Gewinn nicht enthalten. 3. Sicherungsübereignung
32 Die Sachpfändung ist für Gläubiger des Sicherungsgebers wegen des Widerspruchsrechts des Sicherungsnehmers gem. § 771 ZPO bzw. für Gläubiger des Sicherungsnehmers wegen des nach § 809 ZPO notwendigen Einverständnisses des Sicherungsgebers zwecklos. Gepfändet werden kann der Rückübereignungsanspruch des Sicherungsgebers. Die Pfändung entspricht derjenigen des Anwartschaftsrechts (s. Rz. 28).
33 M 52.7 Pfändung von Sicherungsgut beim Sicherungsgeber G (an Sonstige). auf Rückfall und Rückübereignung des Eigentums bei voller Zahlung der gesicherten Schulden des Sicherungsgebers. Gepfändet werden ferner die Rechte zum Widerspruch nach § 267 Abs. 2 BGB und auf Auskunft nach dem Stand der Forderungen des Sicherungsnehmers. Kosten: s. Anm. zu M 52.6.
34 Daneben ist wie beim Anwartschaftsrecht das Sicherungsgut im Wege der Sachpfändung nach M 49.1 zu pfänden (Doppelpfändung).
Kapitel 53 Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen I. Gesamthandseigentum . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.1 Pfändung eines Miterbenanteils . . . 2. Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGB-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) OHG und KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermögen von Eheleuten . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlicher Güterstand, Gütertrennung, Eingetragene Lebenspartnerschaft . . . . . . . . 2. Gütergemeinschaft, Eigentums- und Vermögensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts 2. Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 4 7 7 8 9 9 13 18 18 19
3. Handelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.2 Ergänzung Sachpfändungsauftrag (Messestand) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vollstreckung bei besonderer Verfügungsbefugnis, Insolvenz und Nießbrauch . . . . 1. Besondere Verfügungsbefugnisse . . . . . . . . 2. Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.3 Aufforderung an den Insolvenzverwalter bei Absonderungsrecht (durch Pfändung erlangtes Pfandrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.4 Schreiben an Gerichtsvollzieher bei Absonderungsrecht . . . . . . . . . 3. Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Forderungen gegen den Besteller . . . . . .
20 22 23 23 24
27 29 31 31
Kap. 52 Rz. 30
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte
M 52.7
ZPO
30 Sollte der Gläubiger vor Beauftragung des Gerichtsvollziehers wissen, dass der Schuldner im Besitz von Eigentumsvorbehaltsgut ist und wer der Vorbehaltseigentümer ist, dann sollte er den Vorpfändungsantrag dem Auftrag entsprechend M 49.7 beifügen.
31 Bei Leasing-Verträgen ist das Nutzungsrecht grundsätzlich pfändbar, und zwar nach § 857 Abs. 3 ZPO. Die Verträge sehen jedoch durchweg vor, dass das Recht des Leasingnehmers nicht übertragbar ist mit der Folge der Unpfändbarkeit (§ 851 ZPO; weitere Begründung: OLG Düsseldorf NJW 1988, 1676; ferner Zöller/Herget § 857 ZPO Rz. 12 aE). Weitere Rechte aus Leasing-Verträgen zu pfänden, dürfte aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Betracht kommen, weil die Abwicklung nach Ablauf der Nutzungszeit durchweg mit Kosten verbunden ist, die einen Gewinn nicht enthalten. 3. Sicherungsübereignung
32 Die Sachpfändung ist für Gläubiger des Sicherungsgebers wegen des Widerspruchsrechts des Sicherungsnehmers gem. § 771 ZPO bzw. für Gläubiger des Sicherungsnehmers wegen des nach § 809 ZPO notwendigen Einverständnisses des Sicherungsgebers zwecklos. Gepfändet werden kann der Rückübereignungsanspruch des Sicherungsgebers. Die Pfändung entspricht derjenigen des Anwartschaftsrechts (s. Rz. 28).
33 M 52.7 Pfändung von Sicherungsgut beim Sicherungsgeber G (an Sonstige). auf Rückfall und Rückübereignung des Eigentums bei voller Zahlung der gesicherten Schulden des Sicherungsgebers. Gepfändet werden ferner die Rechte zum Widerspruch nach § 267 Abs. 2 BGB und auf Auskunft nach dem Stand der Forderungen des Sicherungsnehmers. Kosten: s. Anm. zu M 52.6.
34 Daneben ist wie beim Anwartschaftsrecht das Sicherungsgut im Wege der Sachpfändung nach M 49.1 zu pfänden (Doppelpfändung).
Kapitel 53 Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen I. Gesamthandseigentum . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.1 Pfändung eines Miterbenanteils . . . 2. Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGB-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) OHG und KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermögen von Eheleuten . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlicher Güterstand, Gütertrennung, Eingetragene Lebenspartnerschaft . . . . . . . . 2. Gütergemeinschaft, Eigentums- und Vermögensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts 2. Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 4 7 7 8 9 9 13 18 18 19
3. Handelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.2 Ergänzung Sachpfändungsauftrag (Messestand) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vollstreckung bei besonderer Verfügungsbefugnis, Insolvenz und Nießbrauch . . . . 1. Besondere Verfügungsbefugnisse . . . . . . . . 2. Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.3 Aufforderung an den Insolvenzverwalter bei Absonderungsrecht (durch Pfändung erlangtes Pfandrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 53.4 Schreiben an Gerichtsvollzieher bei Absonderungsrecht . . . . . . . . . 3. Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Forderungen gegen den Besteller . . . . . .
20 22 23 23 24
27 29 31 31
Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
M 53.5 Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel bei Nießbrauch an einem Vermögen . . . . b) Forderungen gegen den Nießbraucher . . aa) Pfändung des Nießbrauchs . . . . . . . M 53.6 Pfändung eines Nießbrauchs M 53.7 Antrag auf Eintragung der Pfändung eines Nießbrauchs ins Grundbuch . . . . . . . . . .
32 35 35 36
Rz. 5 Kap. 53
bb) Nießbrauch an einem Vermögen . . . M 53.8 Pfändung des Nießbrauchs an einem Vermögen . . . . . . cc) Nießbrauch an Wertpapieren . . . . . M 53.9 Pfändung des Nießbrauchs an Wertpapieren . . . . . . . . .
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42 43 44
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I. Gesamthandseigentum 1. Erbengemeinschaft
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Die Rechte der Gläubiger zur gesamten Hand sind in § 432 BGB beschrieben.
Die Gesamthandsbindung der Miterben folgt aus §§ 2039, 2040 BGB. Gehört ein Schuldner einer Er- 2 bengemeinschaft an, so kann in Einzelgegenstände des Nachlasses nicht vollstreckt werden, der Gläubiger kann nur den Anteil des Schuldners am Nachlass pfänden (§ 2033 BGB, §§ 851 Abs. 1, 859 Abs. 2 ZPO), ihn sich zur Einziehung überweisen lassen und dann alle Rechte ausüben, die einem Miterben zustehen, insbesondere also die Erbauseinandersetzung betreiben. Je nach Gegenstand der Erbschaft kann der Gläubiger auch eine Grundbuchberichtigung herbeiführen und die Pfändung eines Miterbenanteils im Grundbuch eintragen lassen. Immer aber ist zu beachten, dass der Gläubiger nur Pfandrechtsinhaber und nicht Vollrechtsinhaber ist. Der Schuldner als Miterbe ist daher nach wie vor Gesamthandseigentümer an den Nachlassgegenständen. Die Pfändung eines Miterbenanteils geschieht auf der Grundlage des Formulars M 50.2 mit folgenden Besonderheiten: Drittschuldner sind alle Miterben (evtl. zusätzlich der Testamentsvollstrecker oder der Nachlassverwalter). Der zu pfändende Anspruch ist auf S. 6 des Formulars M 50.2 in der Rubrik „Anspruch G (an Sonstige)“ einzutragen, ferner ist auf S. 8 noch eine Herausgabeanordnung einzutragen.
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M 53.1 Pfändung eines Miterbenanteils
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Anspruch G (an Sonstige) der angebliche Anteil des Schuldners am Nachlass des am … in … verstorbenen … (genaue Bezeichnung des Erblassers mit Geburtsdatum und letztem Wohnsitz) und seine erbrechtlichen Ansprüche gegen die Miterben … (hier am günstigsten die namentliche Aufzeichnung aller Miterben mit Anschriften), insbesondere auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses, auf Auseinandersetzung und auf Teilung der Nachlassmasse (wenn Testamentsvollstreckung oder Nachlassverwaltung angeordnet worden ist, sind die Ansprüche des Schuldners gegen die beiden Inhaber dieser Ämter mitzupfänden). Sonstige Anordnungen: Es wird angeordnet, dass die aufgrund einer Auseinandersetzung dem Schuldner gebührenden Sachen an einen von dem Gläubiger zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwertung herauszugeben sind. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Steht dem Gläubiger ein Anspruch gegen eine Erbengemeinschaft zu, benötigt er zur Zwangsvoll- 5 streckung in den Nachlass einen Titel gegen alle Miterben (§ 747 ZPO); sie können durchaus getrennt ergangen, müssen aber alle auf dieselbe Leistung gerichtet sein. Mit solchen Titeln kann der Gläubiger nur in den Nachlass vollstrecken, nicht aber in das sonstige Vermögen der Miterben. Dadurch ist die Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen erschwert, hingegen nicht in unbewegliches Vermögen. Wenn der Gerichtsvollzieher mit der Pfändung beauftragt wird, sollte sich der Vollstreckungsauftrag gegen denjenigen Erben richten, in dessen Gewahrsam sich der Nachlass befindet. Giers
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Kap. 53 Rz. 6
Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
ZPO
6 Das Verfahren der Vermögensauskunft und ggf. Haft richtet sich nach Kap. 47. 2. Personengesellschaften a) BGB-Gesellschaft
7 Für die Vollstreckung in das Vermögen einer BGB-Gesellschaft ist aufgrund der Rechtsprechung des BGH (NJW 2001, 1056 = MDR 2001, 459) nicht ein Titel gegen alle Gesellschafter iSv. § 736 ZPO erforderlich. Nach Anerkennung der Parteifähigkeit der GbR reicht ein gegen die Gesellschaft als Partei ergangener Titel aus. Allerdings ist für eine Zwangsvollstreckung in das Vermögen der GbR erforderlich, dass der Gerichtsvollzieher auch in der Lage ist, das der Gesellschaft gehörende Vermögen ausfindig zu machen. b) OHG und KG
8 Zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen einer OHG oder einer KG ist ein Schuldtitel gegen die Gesellschaft erforderlich. Die Verurteilung sämtlicher Gesellschafter genügt nicht. Andererseits findet aus einem Schuldtitel gegen die Gesellschaft die Zwangsvollstreckung in das Privatvermögen der Gesellschafter nicht statt (§ 56 Abs. 1 GVGA).
II. Vermögen von Eheleuten 1. Gesetzlicher Güterstand, Gütertrennung, Eingetragene Lebenspartnerschaft
9 Bei der Vollstreckung gegen Ehegatten geht der Gerichtsvollzieher davon aus, dass diese im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben. Dann gilt, von Gegenständen des persönlichen Gebrauchs abgesehen, der Schuldner als Gewahrsamsinhaber, § 739 ZPO, § 1362 BGB.
10 Die Gewahrsamsvermutung ist nicht einschlägig, wenn die Ehegatten getrennt leben. Ob es sich um Gegenstände des persönlichen Gebrauchs handelt oder Getrenntleben vorliegt, muss der Gerichtsvollzieher vor Ort entscheiden.
11 Die Gewahrsamsvermutung gilt auch für die eingetragene Lebenspartnerschaft, § 8 LPartG, nicht aber für die nichteheliche Lebensgemeinschaft (BGH MDR 2007, 660 = NJW 2007, 992).
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Wichtig: Eine Vollstreckungsunterwerfungserklärung unterliegt nicht dem Zustimmungserfordernis des § 1365 BGB (BGH NJW 2008, 3363).
2. Gütergemeinschaft, Eigentums- und Vermögensgemeinschaft
13 Der – sehr seltene – Güterstand der Gütergemeinschaft muss in der Vollstreckung vom Schuldner durch öffentliche Urkunden (Ehevertrag oder Auszug aus dem Güterrechtsregister) nachgewiesen werden. Bei Gütergemeinschaft ist zu unterscheiden zwischen dem beiden Eheleuten gehörenden Gesamtgut sowie dem jeweils einem Ehegatten gehörenden Vorbehalts- und Sondergut (zu den güterrechtlichen Hintergründen der Vollstreckung bei Gütergemeinschaft ausf. Hk-ZV/Giers § 740 ZPO Rz. 2 ff.). In die beiden letztgenannten Vermögensmassen wird, wie in Rz. 9 dargestellt, vollstreckt. Bei der Vollstreckung wird vermutet, dass Gegenstände zum Gesamtgut gehören.
14 K
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Wichtig: Zur Vollstreckung in das Gesamtgut ist ein Titel gegen den Ehegatten erforderlich, der das Gesamtgut verwaltet (§ 740 Abs. 1 ZPO). Wenn die Ehegatten das Gesamtgut gemeinschaftlich verwalten, müssen beide zur Leistung verurteilt sein (§ 740 Abs. 2 ZPO). Enthält der Ehevertrag keine Bestimmung über die Verwaltung, so verwalten die Ehegatten gemeinschaftlich, § 1421 BGB.
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Rz. 21 Kap. 53
Betreibt ein Ehegatte selbständig ein Erwerbsgeschäft, genügt zur Zwangsvollstreckung in das Ge- 15 samtgut ein Titel gegen diesen Ehegatten und zwar auch für Forderungen außerhalb des Geschäfts (Zöller/Seibel § 741 ZPO Rz. 7). Diese Voraussetzung muss der Gläubiger glaubhaft machen, und zwar am besten durch eine Bescheinigung des Gewerbeaufsichtsamtes oder der Industrie- und Handelskammer, notfalls auch durch eidesstattliche Versicherung; der Gläubiger hat zudem die Möglichkeit des Beweises nach § 291 ZPO, etwa durch Vorlage eines Auszugs aus dem Telefonbuch.
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Praxistipp: Ist die Gütergemeinschaft beendet, so gelten bis zur Auseinandersetzung besondere 16 Vorschriften (§§ 743 ff. ZPO). Ist die Gütergemeinschaft während des Rechtsstreits begründet worden, ist § 742 ZPO zu beachten (zu den Einzelheiten s. Kap. 59 Rz. 15 f.).
Die Vorschriften über die Vollstreckung bei Gütergemeinschaft gelten nach § 744a ZPO entspre- 17 chend, wenn die Eheleute gem. Art. 234 § 4 Abs. 1 EGBGB im Güterstand der ehemaligen DDR, der Eigentums- und Vermögensgemeinschaft leben (Einzelheiten bei Hk-ZV/Giers § 744a ZPO).
III. Juristische Personen 1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts Ist ein Titel gegen eine juristische Person des öffentlichen Rechts ergangen, gibt es besondere Vollstre- 18 ckungsvoraussetzungen, die in § 882a ZPO, § 50 GVGA näher dargelegt sind. Bemerkenswert ist allein die dort geregelte Anzeigepflicht und Wartefrist. In der Praxis kommen solche Fälle so gut wie nie vor. 2. Vereine Für rechtsfähige Vereine gelten keine Besonderheiten. Auch zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen eines nicht rechtsfähigen Vereins genügt ein gegen den Verein ergangenes Urteil (§ 735 ZPO). Schon aus Gründen des § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist in dem Titel der Vereinsvorstand als vertretungsberechtigtes Organ aufgeführt. Der Titel kann nur vollstreckt werden, soweit er oder ein anderes Vereinsorgan im Besitz von Vereinsvermögen ist (§ 54 Abs. 1 GVGA). Ist ein Titel gegen alle Vereinsmitglieder ergangen, wird nach den Grundsätzen der Vollstreckung in das Vermögen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts verfahren (§ 54 Abs. 2 GVGA).
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3. Handelsgesellschaften Für die Vollstreckung gegen Handelsgesellschaften, die juristische Personen sind (AG, KGaA, GmbH, 20 eG), gelten grundsätzlich keine Besonderheiten. Im Vollstreckungsauftrag müssen jedoch die gesetzlichen Vertreter des Schuldners genau benannt werden. Das gilt insbesondere für den Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft. Hierfür muss dem Gerichtsvollzieher mitgeteilt werden, wer die juristische Person vertritt (Zöller/Seibel § 802c ZPO Rz. 6 ff.). Dazu ist die Einsicht in einen aktuellen Handelsregisterauszug empfehlenswert.
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Praxistipp: Richtet sich ein Titel gegen eine ausländische oder gegen eine weit vom Gläubiger entfernt ansässige Firma, ist die Vollstreckung oft erheblich erschwert, weil aus der Entfernung nicht beurteilt werden kann, ob verwertbare Güter vorhanden sind. Hier eröffnet sich die Möglichkeit zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Wege der Pfändung, vor allem bei Messen und Ausstellungen in der Nähe des Wohnsitzes des Gläubigers. Der Messestand ist als Geschäftslokal iS des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anzusehen, so dass dort nicht nur Zustellungen (vgl. Zöller/Schultzky § 178 ZPO Rz. 15a), sondern auch Vollstreckungsmaßnahmen statthaft sind. Hier ist es nötig, den für den Messeplatz zuständigen Gerichtsvollzieher zuvor zu ermitteln, weil oft abweichend von den Bezirkszuschnitten für diese Messeplätze Gerichtsvollzieher von Fall zu Fall bestimmt werden und weil Eile geboten ist. Der Aufwand lohnt sich immer dann, wenn
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Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
Kap. 53 Rz. 22
Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
M 53.2
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der Gläubiger zuvor die Frage nach verwertbaren Sachen ermittelt und bejaht hat. Im Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag (M 47.1) ist daher in Modul K5 zu vermerken:
22 M 53.2 Ergänzung Sachpfändungsauftrag (Messestand) Der Schuldner betreibt auf der vom … bis zum … dauernden … Messe in …, Messegelände, Halle …, einen Stand, auf dem sich wertvolle Maschinen befinden, deren Pfändung und Verwertung einen ausreichenden Erlös verspricht. Ich ersuche Sie daher, unmittelbar nach Erhalt dieses Auftrags (nach Beginn der Messe) in dem erforderlichen Umfange Ausstellungssachen und Inventar des Hallenstandes zu pfänden und für den Abtransport unmittelbar nach Schließung des Messebetriebes am … Sorge zu tragen. Nur vorsorglich weise ich darauf hin, dass der Schuldner sich auf das Fehlen eines Durchsuchungsbeschlusses nicht mit Erfolg berufen kann, weil Gefahr im Verzuge ist. Mit dem in Kürze zu erwartenden Ende der Messe werden die Sachen abtransportiert und damit dem Zugriff des von mir vertretenen Gläubigers entzogen. Kosten: Gerichtsvollzieher im Falle der Pfändung: 26 Euro nach Nr. 205 KV GvKostG, sonst 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für den Pfändungsauftrag.
IV. Vollstreckung bei besonderer Verfügungsbefugnis, Insolvenz und Nießbrauch 1. Besondere Verfügungsbefugnisse
23 Für die Zwangsvollstreckung in Vermögen, die dem Verfügungsberechtigten nicht gehören, wie zB in einen von einem Testamentsvollstrecker verwalteten Nachlass, in Treuhandfonds, in Mündelvermögen usw. bedarf es stets eines Titels gegen den Verwalter (Treuhänder), der nur die Vollstreckung in die jeweilige Vermögensmasse gestattet. Pfändungsbeschränkungen gibt es durchweg nicht, jedoch besteht die Problematik darin, die zu Sondervermögen gehörenden Sachen von den übrigen des Verwalters zu unterscheiden. Aus diesem Grund ist zunächst die Abnahme der Vermögensauskunft zu empfehlen (s. Kap. 47). Für einige Sondervermögen gelten darüber hinaus Besonderheiten: 2. Insolvenzmasse
24 Während eines Insolvenzverfahrens sind Einzelvollstreckungsmaßnahmen zugunsten von Gläubigern des Schuldners nicht zulässig (§ 89 InsO); der Gerichtsvollzieher gibt entsprechende Anträge unerledigt zurück (§ 51 Abs. 3 GVGA). Das galt auch für das Verfahren der eidesstattlichen Versicherung alten Rechts (BGH MDR 2012, 869) und dürfte entsprechend für die Vermögensauskunft gelten. Wenn ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt, so wird diese Sicherung mit der Eröffnung des Verfahrens unwirksam, § 88 InsO (Rückschlagsperre).
25 Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden laufende Vollstreckungsmaßnahmen, die nicht schon nach §§ 88 ff. InsO unzulässig werden, nicht unterbrochen (BGH MDR 2007, 908 = NJW 2007, 3132). Wenn ein sog. Neugläubiger gegen einen Schuldner vollstrecken will, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, muss er gegenüber dem Gerichtsvollzieher darlegen, dass der Schuldner Vermögen besitzt, das nicht zur Insolvenzmasse gehört oder durch den Insolvenzverwalter freigegeben wurde (AG Stralsund DGVZ 2005, 185). Die Zwangsräumung von angemietetem Wohnraum ist auch während eines laufenden Insolvenzverfahrens zulässig (AG Offenbach DGVZ 2005, 14).
26 Ausnahmen sind zulässig für die zur abgesonderten Befriedigung dienenden Gegenstände wegen der entsprechenden Forderungen eines Gläubigers (§§ 50, 166 ff. InsO); hier aber kann auch der Insolvenzverwalter Verwertungshandlungen vornehmen. 972
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Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
Rz. 31 Kap. 53
M 53.3 Aufforderung an den Insolvenzverwalter bei Absonderungsrecht (durch
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Pfändung erlangtes Pfandrecht) An den Insolvenzverwalter … In der Zwangsvollstreckungssache … /gegen den Schuldner … (Langrubrum) hat der Gerichtsvollzieher … auf Antrag des von mir vertretenen Gläubigers ausweislich des mir übersandten Pfändungsprotokolls vom … – DR-Nr. … / … die darin benannten Sachen gepfändet. Zum Nachweis dieser Pfändungen füge ich eine Abschrift des Protokolls bei. Die Sachen sind einstweilen im Besitz des Schuldners belassen worden (§ 808 Abs. 2 ZPO). Da der von mir vertretene Gläubiger an einer alsbaldigen Verwertung interessiert ist, wird um Mitteilung gebeten, ob Sie als Insolvenzverwalter in diesem Falle nach § 166 InsO verfahren und die Sachen selbst verwerten wollen oder ob Sie zur Herausgabe der Sachen an den Gerichtsvollzieher bereit sind. Ihrer Antwort sehe ich binnen 10 Tagen entgegen. Kosten: Keine besondere Angelegenheit; es geht um die Verwertung der gepfändeten Sachen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
Eine Abschrift ist an den Gerichtsvollzieher zu übersenden:
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M 53.4 Schreiben an Gerichtsvollzieher bei Absonderungsrecht
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Herrn Obergerichtsvollzieher In der Zwangsvollstreckungssache … / … (Kurzrubrum) – Ihre DR-Nr. … / … übersende ich mit der Bitte um Kenntnisnahme eine Abschrift meines heutigen Schreibens an den Insolvenzverwalter … Ich bitte, einstweilen abzuwarten, wie sich der Insolvenzverwalter entscheidet. Sollte er sich nicht äußern, werde ich Sie fernmündlich beauftragen, die gepfändeten Sachen zur Zwangsversteigerung zu bringen. Wenn der Insolvenzverwalter die Herausgabe unter Hinweis auf § 166 InsO verweigern sollte, wollen Sie ihn bitte darauf hinweisen, dass dann die Kosten dieses Vollstreckungsversuchs als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung dem Gemeinschuldner zur Last fallen.
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Frist von 2 Wochen notieren und dann evtl. wie angekündigt vorgehen. 3. Nießbrauch a) Forderungen gegen den Besteller Der Nießbraucher ist berechtigt, die Nutzungen aus den ihm überlassenen Sachen zu ziehen (§ 1030 Abs. 1 BGB), und verpflichtet, diese Sachen wirtschaftlich zu erhalten und zu verwalten (§ 1036 Abs. 2 BGB). Durch Bestellung eines Nießbrauchs kann sich der Schuldner nicht mit Erfolg dem Zugriff seiner Gläubiger entziehen. Besonderheiten gelten jedoch für den Nießbrauch an einem Vermögen oder einer Erbschaft. Ist eine Schuld vor der Bestellung eines derartigen Nießbrauchs bereits rechtskräftig festgestellt worden, bedarf es nur gem. § 738 ZPO der Erteilung einer Vollstreckungsklausel gegen den Nießbraucher.
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ZPO
M 53.4
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Kap. 53 Rz. 32
Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
M 53.5
32 M 53.5 Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel bei Nießbrauch an einem
Vermögen An das Amtsgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die mit Rechtskraftvermerk versehene Ausfertigung des Urteils vom … und die (3.) Ausfertigung der Urkunde des Notars (volle Anschrift) vom … (Urk.-Roll.-Nr. … ) über die Bestellung des Nießbrauchs über sein gesamtes Vermögen durch den Beklagten und beantrage gem. § 738 ZPO, dem Kläger gegen den Nießbraucher (voller Name und Anschrift wie in der notariellen Urkunde) eine Vollstreckungsklausel in Bezug auf die dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände des Beklagten (voller Name und Anschrift) zu erteilen (vgl. Zöller/Seibel § 738 ZPO Rz. 2). Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 RVG).
33 Ist die Schuld bereits bei der Bestellung des Nießbrauchs an einem Vermögen oder einer Erbschaft entstanden, aber noch nicht rechtskräftig festgestellt worden, bedarf es zur Zwangsvollstreckung neben dem Titel gegen den Besteller eines Duldungstitels gegen den Nießbraucher (§ 737 Abs. 1 ZPO). Da ohne einen solchen Titel eine Zwangsvollstreckung nicht zulässig ist, nützt das Einverständnis des Nießbrauchers mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nichts. Es besteht dann aber die Möglichkeit der Bewilligung der Duldung durch notarielle Unterwerfungsurkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO.
34 Ist die Schuld aber erst nach Bestellung des Nießbrauchs entstanden, gibt es keine Möglichkeit zur Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zum Nachteil des Nießbrauchers (Zöller/Seibel § 737 ZPO Rz. 8). Dann kommt allenfalls noch eine Zwangsvollstreckung in Betracht, wenn der Nießbrauch an einem Grundstück bestellt worden ist, nämlich durch Eintragung einer dem Nießbrauch nachrangigen Sicherungshypothek, deren Verwertung allerdings nur wirtschaftlich sein dürfte, wenn der Nießbrauch entweder entgeltlich bestellt worden ist – dann wäre allerdings die Pfändung der entsprechenden Forderung erfolgversprechender – oder wenn der Nießbrauch alsbald endet. b) Forderungen gegen den Nießbraucher aa) Pfändung des Nießbrauchs
35 Der Nießbrauch ist nach § 1059 Satz 1 BGB zwar nicht übertragbar und daher gem. § 851 Abs. 1 ZPO auch nicht pfändbar, jedoch kann die Ausübung des Rechts nach § 1059 Satz 2 BGB übertragen und daher gepfändet werden (§ 857 Abs. 3 ZPO). Hierfür ist das Formular M 50.2 zu verwenden und auf S. 4 „G (an Sonstige)“ anzukreuzen. Auf S. 6 ist dann unter „Anspruch G (an Sonstige)“ der zu pfändende Nießbrauch anzugeben. Wie weiter vollstreckt wird, hat das Vollstreckungsgericht nach § 857 Abs. 4 ZPO anzuordnen. Insbesondere kann eine Verwaltung in Anlehnung an die Vorschriften der Zwangsverwaltung, §§ 146 ff. ZVG, angeordnet werden (BGH MDR 2007, 486 = NJW 2007, 149). Dann ist auf S. 8 unter „sonstige Anordnungen“ die folgende Eintragung vorzunehmen:
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Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
Rz. 41 Kap. 53
M 53.6 Pfändung eines Nießbrauchs
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Anspruch G (an Sonstige) an dem ihm vom … (Drittschuldner) bestellten Nießbrauch an … (genaue Beschreibung des Gegenstandes) Sonstige Anordnungen: Zum Zwecke der Ausübung des Nießbrauchs durch den Gläubiger wird die Verwaltung des Nießbrauchs angeordnet und … (zB der Insolvenzverwalter NN) zum Verwalter bestellt. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; für die weitere Tätigkeit des Rechtsanwalts bei der Durchführung der Verwaltung entsteht die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG erneut (§ 18 Abs. 1 Nr. 9 RVG).
Besteht der Nießbrauch an einem Grundstück, sollte beantragt werden, diese Pfändung als Belastung des Nießbrauchs ins Grundbuch einzutragen (Zöller/Herget § 857 ZPO Rz. 12).
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M 53.7 Antrag auf Eintragung der Pfändung eines Nießbrauchs ins Grundbuch
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An das Amtsgericht Grundbuchamt … Grundbuch von … Bl. … In der Zwangsvollstreckungssache … / … (Kurzrubrum) ist die Ausübung des dem … zustehenden Nießbrauchrechts, wie sich aus dem anliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts in … vom … – … M … / … – ergibt, gepfändet und an den von mir vertretenen … zur Verwaltung durch … überwiesen worden. Der Beschluss ist dem Schuldner, wie sich aus dem ebenfalls beigefügten Nachweis ergibt, am … zugestellt worden. Es wird beantragt, diese Pfändung des Nießbrauchs in das Grundbuch einzutragen. Kosten: Gericht: 0,5 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 14130 KV GNotKG) nach dem Betrag der Forderung, höchstens nach dem Wert des Nießbrauchs (§ 53 Abs. 2 GNotKG). Anwalt: 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG; der Antrag ist nicht mehr zur Zwangsvollstreckung zu rechnen, weil die Eintragung nicht Voraussetzung der Wirksamkeit der Pfändung ist.
bb) Nießbrauch an einem Vermögen Bei der Vollstreckung gegen einen Nießbraucher sind noch einige Besonderheiten zu beachten, die sich aus dem Gegenstand des Nießbrauchs ergeben.
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Nach § 1085 BGB wird der Nießbrauch an einem Vermögen in der Weise bestellt, dass er für jeden einzelnen Gegenstand begründet werden muss. (Die Bestellung von Nießbrauch an Vermögen kommt in der Grundform selten vor. In der Praxis gewinnen aber diese Regelungen dann Bedeutung, wenn ein Nießbrauch an einer Erbschaft durch letztwillige Verfügung bestellt worden ist, § 1089 BGB). Entsprechend sind auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nur in jeden einzelnen Gegenstand möglich; der Gläubiger ist daher auf Einzelmaßnahmen angewiesen.
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Da aber der Besteller und der Nießbraucher nach § 1035 BGB zur Erstellung eines Verzeichnisses verpflichtet sind, hat der Gläubiger mit der Pfändung auch nur eines Teils des zum Nießbrauch gehörenden Vermögens das Auskunfts- und Herausgaberecht nach § 836 Abs. 3 ZPO.
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M 53.7
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Kap. 53 Rz. 42
Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
M 53.8
42 M 53.8 Pfändung des Nießbrauchs an einem Vermögen Zunächst wie M 53.7 mit folgender Eintragung unter Sonstige Anordnungen: Dem Schuldner wird aufgegeben, das über den Nießbrauch erstellte Verzeichnis der Sachen herauszugeben. Falls ein solches Verzeichnis nicht besteht, wird das Recht des Schuldners auf Erstellung eines solchen Verzeichnisses (§ 1035 BGB) gegenüber dem Drittschuldner gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen.
cc) Nießbrauch an Wertpapieren
43 Nießbrauch an Wertpapieren wird nicht allzu selten durch Rechtsgeschäft zwischen Besteller und Nießbraucher begründet. Hier sind die besonderen Regeln des § 1081 BGB zu beachten, die aber bei der Vollstreckung keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Für die Pfändung wird zunächst wie in M 53.7 dargestellt vorgegangen. Gepfändet wird der Nießbrauch an den Wertpapieren. Auf S. 8 unter „sonstige Anordnungen“ ist jedoch die folgende Eintragung vorzunehmen:
44 M 53.9 Pfändung des Nießbrauchs an Wertpapieren Sonstige Anordnungen: Dem Schuldner wird aufgegeben, die zu den Wertpapieren gehörenden Zins-, Renten- oder Gewinnanteilscheine dem Gläubiger herauszugeben. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Kapitel 54 Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen I. Zwangshypothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.1 Antrag auf Eintragung von Zwangshypotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.2 Pfändung der Rechte des Schuldners aus § 868 Abs. 1 ZPO, § 1177 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Zwangsversteigerung/-verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.3 Antrag auf Zwangsversteigerung (Zwangsverwaltung) . . . . . . . . . . . 2. Weiterer Gang des Verfahrens . . . . . . . . . . . 3. Teilungsversteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.4 Beitritt im Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antrag auf Pfändung von Grundpfandrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Brieflose Grundpfandrechte . . . . . . . . . . . .
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2 6 10 12 12 13 14 16 17 18 21 21 23
a) Vorpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.5 Auftrag zur Vorpfändung einer Hypothek/Grundschuld . . . . . . M 54.6 Antrag auf Eintragung der Vorpfändung im Grundbuch . . . . . b) Pfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.7 Antrag auf Pfändung einer Buchhypothek . . . . . . . . . . . . . M 54.8 Pfändung einer Buchgrundschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.9 Antrag auf Eintragung der Pfändung eines brieflosen Grundpfandrechts im Grundbuch . . . . 3. Verbriefte Grundpfandrechte . . . . . . . . . . . M 54.10 Antrag auf Pfändung einer Briefhypothek (Briefgrundschuld) . . . . M 54.11 Antrag auf Herausgabevollstreckung bzgl. des Hypothekenbriefs (Grundschuldbriefs) . . . . . . . . . . M 54.12 Antrag auf Pfändung einer durch Abtretung erworbenen Briefhypothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 25 28 30 31 32 35 36 39 42 44
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Kap. 53 Rz. 42
Zwangsvollstreckung in besondere Vermögensmassen
M 53.8
42 M 53.8 Pfändung des Nießbrauchs an einem Vermögen Zunächst wie M 53.7 mit folgender Eintragung unter Sonstige Anordnungen: Dem Schuldner wird aufgegeben, das über den Nießbrauch erstellte Verzeichnis der Sachen herauszugeben. Falls ein solches Verzeichnis nicht besteht, wird das Recht des Schuldners auf Erstellung eines solchen Verzeichnisses (§ 1035 BGB) gegenüber dem Drittschuldner gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen.
cc) Nießbrauch an Wertpapieren
43 Nießbrauch an Wertpapieren wird nicht allzu selten durch Rechtsgeschäft zwischen Besteller und Nießbraucher begründet. Hier sind die besonderen Regeln des § 1081 BGB zu beachten, die aber bei der Vollstreckung keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Für die Pfändung wird zunächst wie in M 53.7 dargestellt vorgegangen. Gepfändet wird der Nießbrauch an den Wertpapieren. Auf S. 8 unter „sonstige Anordnungen“ ist jedoch die folgende Eintragung vorzunehmen:
44 M 53.9 Pfändung des Nießbrauchs an Wertpapieren Sonstige Anordnungen: Dem Schuldner wird aufgegeben, die zu den Wertpapieren gehörenden Zins-, Renten- oder Gewinnanteilscheine dem Gläubiger herauszugeben. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Kapitel 54 Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen I. Zwangshypothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.1 Antrag auf Eintragung von Zwangshypotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.2 Pfändung der Rechte des Schuldners aus § 868 Abs. 1 ZPO, § 1177 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Zwangsversteigerung/-verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.3 Antrag auf Zwangsversteigerung (Zwangsverwaltung) . . . . . . . . . . . 2. Weiterer Gang des Verfahrens . . . . . . . . . . . 3. Teilungsversteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.4 Beitritt im Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antrag auf Pfändung von Grundpfandrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Brieflose Grundpfandrechte . . . . . . . . . . . .
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2 6 10 12 12 13 14 16 17 18 21 21 23
a) Vorpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.5 Auftrag zur Vorpfändung einer Hypothek/Grundschuld . . . . . . M 54.6 Antrag auf Eintragung der Vorpfändung im Grundbuch . . . . . b) Pfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.7 Antrag auf Pfändung einer Buchhypothek . . . . . . . . . . . . . M 54.8 Pfändung einer Buchgrundschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 54.9 Antrag auf Eintragung der Pfändung eines brieflosen Grundpfandrechts im Grundbuch . . . . 3. Verbriefte Grundpfandrechte . . . . . . . . . . . M 54.10 Antrag auf Pfändung einer Briefhypothek (Briefgrundschuld) . . . . M 54.11 Antrag auf Herausgabevollstreckung bzgl. des Hypothekenbriefs (Grundschuldbriefs) . . . . . . . . . . M 54.12 Antrag auf Pfändung einer durch Abtretung erworbenen Briefhypothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 25 28 30 31 32 35 36 39 42 44
M 54.13 Antrag auf Pfändung einer durch Abtretung erworbenen Briefgrundschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verwertung eines Grundpfandrechts . . . . 1. Unterwerfungserklärung liegt vor . . . . . . . . M 54.14 Antrag auf vollstreckbare Ausfertigung einer notariellen Urkunde . .
46 48 48
Rz. 4 Kap. 54
M 54.15 Versteigerungsantrag eines Grundpfandrechtsinhabers . . . . . . . . . . 2. Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung M 54.16 Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . .
51 53
ZPO
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
54
49
Die ZPO regelt diese Form der Zwangsvollstreckung nur sehr kursorisch; wesentliche Einzelheiten 1 sind in der GBO und – vor allem, soweit es die Verwertung angeht – im ZVG enthalten. Es würde den Rahmen dieses Formularbuches sprengen, wenn für alle denkbaren Fälle Vorschläge gemacht werden sollten. Deshalb wird hier anstelle vieler beispielhaft auf Stöber, Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 9. Aufl. 2010, verwiesen. Die Beschränkung auf einige Grundfälle ist daher geboten. Allgemein unterliegen Grundstücke und Schiffe wegen Geldforderungen der Zwangsvollstreckung, und zwar auch hinsichtlich von Anteilsrechten des Schuldners (§ 864 ZPO). Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach Wahl des Gläubigers durch Eintragung einer Sicherungshypothek, durch Zwangsversteigerung oder durch Zwangsverwaltung (§ 866 Abs. 1 ZPO). Diese Ansprüche können nebeneinander geltend gemacht werden (§ 866 Abs. 2 ZPO).
I. Zwangshypothek Für die Zwangshypothek und die Schiffshypothek gelten im Wesentlichen dieselben Vorschriften (§§ 830, 830a, 870a ZPO), so dass es hier bei einheitlichen Mustern bleiben kann; anstelle von „Amtsgericht – Grundbuchamt –“ tritt „Amtsgericht – Schiffsregister –“ mit der Maßgabe, dass diese Register bei nur wenigen Gerichten konzentriert sind.
2
Man sollte sich zunächst auf das für den Gläubiger günstigste, weil unmittelbar beim Grundbuchamt zu beantragende Recht, die Zwangshypothek, beschränken. Sie entsteht zwar erst mit ihrer Eintragung (§ 867 Abs. 1 Satz 2 ZPO), jedoch bedarf es dabei keines nennenswerten Vorlaufs, so dass das Recht zum günstigsten Rang eingetragen werden kann. Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsanträge sind dagegen an das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zu richten, wo das betreffende Grundstück im Grundbuch verzeichnet ist (§ 1 Abs. 1 ZVG). Das Vollstreckungsgericht ersucht nach Erlass des beantragten Beschlusses das Grundbuchamt um Eintragung der Vermerke (§§ 15, 19, 146 ZVG). Zuvor aber nimmt der dort zur Entscheidung berufene Rechtspfleger Einsicht in die Grundakten und prüft das Vorhandensein einer Eintragung des Schuldners. Darin liegt eine Verzögerung gegenüber der Eintragung einer Zwangshypothek. Im Übrigen kann der Antrag auf Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung auch unbeschadet der Eintragung einer Zwangshypothek gestellt werden.
3
K
Wichtig: Besonders darauf zu achten ist, dass bei Antragstellung alle Vollstreckungsvoraussetzun- 4 gen vorliegen und nachgewiesen werden. Denn wenn mit dem Antrag auf Eintragung einer Zwangshypothek die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nicht nachgewiesen sind, kommt der Erlass einer rangwahrenden Zwischenverfügung nicht in Betracht (OLG München NJW 2009, 1358). Hat der Anwalt die Unvollständigkeit der eingereichten Unterlagen zu vertreten, droht demnach seine eigene Haftung für den Vollstreckungsausfall, wenn ein anderer Gläubiger dadurch einen besseren Rang erlangt.
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977
Kap. 54 Rz. 5
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
M 54.1
ZPO
5 Die Zwangshypothek ist nicht als Gesamthypothek eintragungsfähig. Sind also auf einem Grundbuchblatt mehrere Grundstücke verzeichnet – was sehr häufig der Fall ist –, muss im Eintragungsantrag der Betrag der Forderung auf die einzelnen Grundstücke verteilt werden, zumindest muss angegeben werden, dass nur ein bestimmtes Grundstück mit der Hypothek belastet werden soll. Auch darf eine Zwangshypothek nur eingetragen werden, wenn die Hauptforderung nebst Kosten mehr als 750 Euro beträgt (§ 866 Abs. 3 Satz 1 ZPO); das gilt auch bei einer Aufteilung nach § 867 Abs. 2 ZPO für jedes Einzelgrundstück. Richtet sich der Zinssatz nach dem Basiszinssatz, muss ein Höchstzinssatz nicht angegeben werden. Das ist nur erforderlich, wenn sich der variable Zinssatz nicht aus der Bezugnahme auf eine gesetzlich bestimmte Bezugsgröße ergibt (BGH MDR 2006, 1037 = NJW 2006, 313).
6 M 54.1 Antrag auf Eintragung von Zwangshypotheken An das Amtsgericht – Grundbuchamt – … (Wohnungseigentums-)Grundbuch von … Blatt … In der Sache … / … (Langrubrum) ist der Schuldner … durch rechtskräftiges (vorläufig vollstreckbares – M 46.5) Urteil des … Gerichts … vom … – … Az. … verurteilt worden, an den von mir vertretenen … 15.000 Euro nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Eine mit Vollstreckungsklausel und Zustellungsnachweis versehene Ausfertigung des Urteils sowie eine Forderungsaufstellung füge ich bei. Der Schuldner … ist als (Mit-)Eigentümer der in Abt. I Nrn. 1 bis 5 verzeichneten Grundstücke im o.a. Grundbuch eingetragen. Ich beantrage, im Wege der Zwangsvollstreckung auf dem o.a. Grundbesitz des Schuldners Sicherungshypotheken wegen der Hauptforderung von 15.000 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, seit dem … und bisher entstandenen Kosten von 1.638,47 Euro nebst darauf lastenden Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, seit dem … einzutragen, und zwar lastend laut Bestandsverzeichnis auf dem Grundstück Nr. 1 iHv. 8.000 Euro Hauptforderung nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem …, auf Nr. 2 iHv. 1.638,47 Euro Kosten nebst darauf lastenden Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem …, auf Nr. 3 … usw. Kosten: Gericht: 1,0 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 14121 KV GNotKG) für jede einzutragende Zwangshypothek; Anwalt: besondere 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG (§ 18 Abs. 1 Nr. 11 RVG).
7 Bei der Anwendung des § 867 Abs. 2 ZPO gem. M 54.1 ist abschließend gründlich zu prüfen, ob die gesamte Forderung nebst Kosten und Zinsen auf die verschiedenen Grundstücke verteilt wurde. Die in M 54.1 genannten Urkunden (Ausfertigung des Urteils, Klausel und Zustellungsnachweis) und die Forderungsaufstellung nach M 47.2 sind beizufügen.
8 Gemäß § 868 Abs. 1 ZPO erwirbt der Eigentümer des Grundstücks die Hypothek, wenn durch eine vollstreckbare Entscheidung die der Eintragung zugrunde liegende Entscheidung oder deren vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben wurde. Dasselbe gilt, wenn die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder deren Einstellung angeordnet wurde. Durch den Übergang wird die Zwangshypothek zu einer Eigentümergrundschuld (Hk-ZV/Noethen § 868 ZPO Rz. 4). Wird der Vollstreckungstitel wiederhergestellt oder die Einstellung der Zwangsvollstreckung aufgehoben, so wird aus der Eigentümer978
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Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
Rz. 13 Kap. 54
grundschuld nicht wieder eine Zwangshypothek. Der Gläubiger kann jedoch die Eigentümergrundschuld pfänden. Bei vollständiger Erfüllung der Forderung, die der Zwangshypothek zugrunde liegt, entsteht ebenfalls 9 nach §§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 BGB eine Eigentümergrundschuld. Sind im Grundbuch bereits eine oder mehrere Zwangshypotheken eingetragen, so empfiehlt sich ergänzend zu dem Antrag gem. M 54.1 ein Antrag gem. M 54.2, da auch die zukünftige Eigentümergrundschuld gepfändet werden kann (Zöller/Herget § 857 ZPO Rz. 35). Hierzu ist das Formular M 50.2 zu verwenden. Einen Drittschuldner gibt es nicht (Zöller/Herget § 857 ZPO Rz. 21). Auf Seite 4 des Formulars ist anzukreuzen „Anspruch G“. Der zu pfändende Anspruch ist entsprechend auf Seite 6 in der Rubrik „Anspruch G“ einzutragen:
M 54.2 Pfändung der Rechte des Schuldners aus § 868 Abs. 1 ZPO, § 1177 BGB
10
Zunächst wie Formular M 50.2 mit den Besonderheiten: Anspruch G gem. § 868 Abs. 1 ZPO auf Erwerb und gem. § 1177 BGB auf Umwandlung in eine Eigentümergrundschuld der beim Amtsgericht …, im Grundbuch von … Blatt … Abt. III, unter lfd. Nr. … zugunsten des … (Name und Anschrift des Hypothekengläubigers) eingetragenen Sicherungshypothek. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Die Eintragung der Pfändung in Abt. III kann erst erfolgen, wenn das Entstehen der Eigentümergrundschuld nachgewiesen ist, was in der Form des § 29 GBO nachzuweisen ist. Die Eintragung der Pfändung einer künftigen Eigentümergrundschuld ist unzulässig (OLG Celle NotBZ 2007, 61).
11
II. Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung 1. Antrag auf Zwangsversteigerung/-verwaltung Der Antrag auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung ist gem. nachfolgendem M 54.3 zu stellen. Der Antrag ist auch zulässig, wenn der für die Eintragung einer Zwangshypothek erforderliche Mindestbetrag der Forderung (750 Euro) nicht erreicht wird.
12
M 54.3 Antrag auf Zwangsversteigerung (Zwangsverwaltung)
13
An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Landgerichts … vom … – Az. … – nebst Zustellungsnehmer und Forderungsaufstellung. Danach steht dem von mir vertretenen Gläubiger gegen den Schuldner eine Forderung von insgesamt … Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf … Euro seit dem … sowie auf weitere Kosten der Zwangsvollstreckung zu. Der Schuldner ist eingetragener (Mit-)Eigentümer des im Grundbuch von … Blatt … Abt. I Nr. 1–3 verzeichneten Grundbesitzes. Ich beantrage,
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ZPO
M 54.3
Kap. 54 Rz. 14
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
M 54.3
ZPO
namens des von mir vertretenen Gläubigers, wegen der o.a., in der Anlage näher aufgelisteten Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung die Zwangsversteigerung (Zwangsverwaltung) des vorbezeichneten Grundbesitzes anzuordnen. Kosten: Gericht: Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung: 100 Euro nach Nr. 2210 KV GKG, Verfahren im Allgemeinen: 0,5 Gebühr nach Nr. 2211 KV GKG, Abhaltung des Versteigerungstermins: 0,5 Gebühr nach Nr. 2213 KV GKG; Wert ist der nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzte (§ 54 Abs. 1 GKG); neben der Gebühr für die Anordnung der Zwangsversteigerung fallen die Auslagen für die Zustellung und die öffentliche Bekanntmachung an. Anwalt: 0,4 Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 VV RVG nach dem Wert der vollstreckbaren Forderung einschließlich Nebenforderungen (§ 26 Nr. 1 RVG).
2. Weiterer Gang des Verfahrens
14 Dem Antrag auf Zwangsversteigerung folgen der Anordnungsbeschluss, die Eintragung im Grundbuch und die Festsetzung des Grundstückswerts (idR auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens). Bei der Versteigerung wird nur ein Gebot zugelassen, durch welches die dem Anspruch des betreibenden Gläubigers vorgehenden Rechte und die Kosten des Verfahrens gedeckt werden („geringstes Gebot“, § 44 ZVG). Im ersten Termin ist einem diesen Anforderungen entsprechenden Gebot trotzdem der Zuschlag zu versagen, wenn die Hälfte des Grundstückswerts nicht erreicht wird (§ 85a ZVG). Dasselbe gilt für ein Gebot unter 7/10 des Grundstückswerts auf Antrag eines Berechtigten, dessen Anspruch ganz oder teilweise durch das Meistgebot nicht gedeckt ist, aber durch ein Gebot in der genannten Höhe voraussichtlich gedeckt wäre (§ 74a ZVG). Im darauf folgenden Versteigerungstermin kommt eine Versagung des Zuschlags nach §§ 74a, 85a ZVG nicht mehr in Betracht. Besteht die Gefahr der Verschleuderung, ist idR für die Zuschlagserteilung ein besonderer Verkündungstermin anzusetzen (BGH MDR 2005, 354).
15 Bei dem Antrag auf Zwangsverwaltung folgt auf Anordnungsbeschluss und Eintragung im Grundbuch die Bestellung des Zwangsverwalters gem. § 150 Abs. 1 ZVG. Der Zwangsverwalter muss das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand erhalten und ordnungsgemäß nutzen, § 152 Abs. 1 ZVG. Die dadurch erzielten Einnahmen sind zuerst für die Kosten der Verwaltung und des Gerichts zu verwenden, § 155 ZVG. Der verbleibende Überschuss wird auf die Gläubiger nach einem sich aus § 10 ZVG ergebenden Rangverhältnis verteilt. 3. Teilungsversteigerung
16 Eine besondere Art der Zwangsversteigerung ist die Teilungsversteigerung (§§ 180–185 ZVG). Sie setzt keinen vollstreckbaren Titel voraus, sondern eine an dem Grundstück bestehende Gemeinschaft nach Bruchteilen oder zur gesamten Hand. Wegen der besonderen Bedeutung bei dem Bruchteilseigentum von Ehegatten, wird die Teilungsversteigerung im Einzelnen im Rahmen der Vollstreckung in Familiensachen in Kap. 113 Rz. 17 ff. dargestellt. Die dortigen Ausführungen gelten auch für die Teilungsversteigerung in anderen Fällen von Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaften, zB bei der Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften. 4. Beitritt
17 Hat bereits ein anderer Gläubiger den Antrag auf Zwangsversteigerung gestellt, so besteht für die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Schuldners nur die Möglichkeit, diesem Verfahren gemäß folgendem Muster beizutreten.
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Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
Rz. 22 Kap. 54
M 54.4 Beitritt im Zwangsversteigerungsverfahren
18
An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) ist der Schuldner … durch rechtskräftiges (vorläufig vollstreckbares – M 46.5) Urteil des … Gerichts in … vom … – … Az. … / … verurteilt worden, an den von mir vertretenen … 12.000 Euro nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Eine mit Vollstreckungsklausel und Zustellungsnachweis versehene Ausfertigung des Urteils sowie eine Forderungsaufstellung füge ich bei. Der Schuldner ist (Mit-)Eigentümer des o.a. Grundbesitzes. Ich beantrage, den Beitritt des … an dem Zwangsversteigerungsverfahren … / … (Az. … ) wegen der in der anliegenden Forderungsaufstellung aufgeführten Hauptforderung nebst Zinsen und Kosten zuzulassen. Kosten: Gericht: Entscheidung über den Beitritt zum Verfahren: 100 Euro nach Nr. 2210 KV GKG zuzüglich Zustellungsauslagen; für die weiteren Kosten haftet der Beigetretene mit dem Betreiber gesamtschuldnerisch (§ 32 GKG): Verfahren im Allgemeinen: 0,5 Gebühr nach Nr. 2211 KV GKG; Abhaltung des Versteigerungstermins: 0,5 Gebühr nach Nr. 2213 KV GKG; Wert ist der nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzte (§ 54 Abs. 1 GKG); neben der Gebühr für die Anordnung der Zwangsversteigerung fallen die Auslagen für die Zustellung an; Anwalt: 0,4 Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 VV RVG nach dem Wert der vollstreckbaren Forderung einschließlich Nebenforderungen (§ 26 Nr. 1 RVG).
Mit dem Beitritt zur Zwangsversteigerung erhält der Gläubiger die Stellung, die er hätte, wenn auf seinen Antrag hin die Zwangsversteigerung angeordnet worden wäre (§ 27 Abs. 2 ZVG).
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Für den Beitritt im Zwangsverwaltungsverfahren gilt M 54.4 entsprechend.
20
III. Antrag auf Pfändung von Grundpfandrechten 1. Allgemeines Ist der Schuldner selbst Inhaber einer durch ein Grundpfandrecht gesicherten Forderung, so kann der Gläubiger hierauf im Wege der Pfändung zugreifen. Unter Grundpfandrechten versteht man Hypotheken und Grundschulden; die Rentenschuld ist ein Unterfall der Grundschuld (§ 1199 Abs. 1 BGB). Für die Pfändung gelten die Regeln der Forderungspfändung mit den nachfolgenden sich aus §§ 830, 857 Abs. 6 ZPO ergeben Besonderheiten.
21
Zuständig ist für die Pfändung von Grundpfandrechten stets das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht und nicht das Grundbuchamt (vgl. Rz. 3). Zu unterscheiden ist zwischen der Pfändung briefloser und verbriefter Grundpfandrechte.
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ZPO
M 54.4
Kap. 54 Rz. 23
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
M 54.5
ZPO
2. Brieflose Grundpfandrechte a) Vorpfändung
23 Um zu verhindern, dass vor Eintritt aller Vollstreckungsvoraussetzungen (zB die Umschreibung der Klausel auf den Rechtsnachfolger, s. dazu Kap. 59 Rz. 4) im Rang vorgehende Eintragungen vorgenommen werden, kann eine Vorpfändung beantragt werden. Sie sichert den Rang, wenn der Gläubiger innerhalb der Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO das Pfandrecht erwirbt. Die Vorpfändung kann der Gläubiger selbst formulieren (s. M 54.5) und durch den Gerichtsvollzieher zustellen lassen. Dann ist eine Forderungsaufstellung beizufügen Er kann auch den Gerichtsvollzieher beauftragen, die Vorpfändung anzufertigen. Das Formular für den Gerichtsvollzieherauftrag M 47.1 sieht dafür das Modul J vor.
24 Eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils muss nicht beigefügt werden. 25 M 54.5 Auftrag zur Vorpfändung einer Hypothek/Grundschuld Entweder: – Drittschuldner – … Sehr geehrte Damen und Herren In Sachen … / … (Langrubrum) wurde der Schuldner … (voller Name und volle Anschrift, in Fettdruck) durch das vollstreckbare Urteil des Landgerichts … vom … verurteilt, an den von mir vertretenen Gläubiger … (voller Name und volle Anschrift) … Euro zu bezahlen. Gemäß § 845 ZPO werden Sie hiermit als Eigentümer benachrichtigt, dass wegen der in der anliegenden Forderungsaufstellung aufgelisteten Beträge die Pfändung der angeblichen Hypothek (Grundschuld) des Schuldners …, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts … Band … Blatt … Abt. III Nr. …, bevorsteht. Deshalb werden Sie aufgefordert, nicht an den Schuldner zu zahlen. Oder: Es ist Modul J des Formulars für den Gerichtsvollzieherauftrag anzukreuzen sowie dort das Ankreuzfeld „für die folgenden Forderungen“ und dabei einzutragen: Anspruch des Schuldners … aus der angeblichen für den Schuldner im Grundbuch des Amtsgerichts … Band … Blatt … Abt. III Nr. … – Eigentümer des belasteten Grundstücks: Drittschuldner – eingetragenen Hypothek (Grundschuld). Kosten: Gerichtsvollzieher: Zustellungsgebühr für jede persönliche Zustellung 10 Euro nach Nr. 100 KV GvKostG, für jede sonstige Zustellung 3 Euro nach Nr. 101 KV GvKostG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; die Gebühren entstehen für die Pfändung selbst jedoch nicht mehr besonders (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
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Wichtig: Dem Schuldner ist eine entsprechende Benachrichtigung von der bevorstehenden Pfändung zuzustellen verbunden mit der Aufforderung, sich jeder Verfügung über die Hypothek (Grundschuld) zu enthalten.
27 K
Praxistipp: Sobald die Vorpfändung durch Zustellung an den Drittschuldner erfolgt ist, muss deren Eintragung beantragt werden. Denn nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung hängt die Rang wahrende Wirkung der Vorpfändung einer brieflosen Grundschuld von deren Eintragung im Grundbuch ab (OLG Köln Rpfleger 1991, 241).
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Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
Rz. 32 Kap. 54
M 54.6 Antrag auf Eintragung der Vorpfändung im Grundbuch
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An das Amtsgericht – Grundbuchamt – … (Wohnungseigentums-)Grundbuch von … Blatt … In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich namens des von mir vertretenen Gläubigers … die Benachrichtigung des Gerichtsvollziehers … vom … über die vollzogene Vorpfändung der zugunsten des Schuldners … in Abt. III Nr. … eingetragenen Hypothek (Grundschuld). Forderungshöhe usw. ergeben sich aus dem beigefügten Auftrag an den Gerichtsvollzieher vom … (s. M 54.5). Es wird beantragt, im Wege der Grundbuchberichtigung diese Vorpfändung gem. § 845 ZPO zugunsten des … einzutragen (vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1958, 93). Kosten: Gericht: 0,5 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 14130 KV GNotKG) nach dem Betrag der Forderung, höchstens nach dem Wert des Grundpfandrechts (§ 53 Abs. 2 GNotKG); Anwalt: für den Grundbuchantrag entsteht keine besondere Gebühr, sie gehört zur Vollstreckungsinstanz (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
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Wichtig: Die Vorpfändung wird wirkungslos, wenn innerhalb der Monatsfrist gem. § 845 Abs. 2 ZPO nicht die Pfändung bewirkt wird. Eine erneute Vorpfändung ist zwar zulässig, wirkt aber nicht auf den Zeitpunkt der ersten Vorpfändung zurück.
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b) Pfändung Zur Pfändung einer Buchhypothek oder -grundschuld bedarf es des Pfändungsbeschlusses und der Eintragung ins Grundbuch. Die Pfändung ist mit den Anträgen gem. M 54.7 und M 54.8 zu beantragen. Hierzu ist das Formular M 50.2 zu verwenden. Drittschuldner ist der Grundeigentümer, auf S. 4 des Formulars ist anzukreuzen „Anspruch G (an Sonstige)“. Der zu pfändende Anspruch ist entsprechend auf S. 6 in der Rubrik „Anspruch G (an Sonstige)“ einzutragen“:
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M 54.7 Antrag auf Pfändung einer Buchhypothek
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Anspruch G (an Sonstige) auf … (hier den Schuldgrund eintragen, zB: Rückzahlung des Darlehens vom … über), für die der Schuldner … als Gläubiger der in Abt. III Nr. … der im Grundbuch von … Blatt … verzeichneten Buchhypothek eingetragen ist, nebst der Hypothek selbst. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
M 54.8 Pfändung einer Buchgrundschuld
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Anspruch G die beim Amtsgericht in … in Abt. III Nr. … im Grundbuch von … Blatt … verzeichnete Buchgrundschuld. Kosten: s. Anm. zu M 54.7.
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ZPO
M 54.8
Kap. 54 Rz. 33
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
M 54.9
ZPO
33 Nach Vorpfändung ist die Monatsfrist (§ 845 Abs. 2 ZPO) zu beachten (s. Rz. 23). 34 Liegt der entsprechende Beschluss vor, wird der Eintragungsantrag an das zuständige Grundbuchamt gestellt:
35 M 54.9 Antrag auf Eintragung der Pfändung eines brieflosen Grundpfandrechts im
Grundbuch An das Amtsgericht – Grundbuchamt – … (Wohnungseigentums-)Grundbuch von … Blatt … In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich namens des von mir vertretenen Gläubigers … Ausfertigung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts in … vom … – Az. … – mit dem Antrag auf Eintragung der Pfändung in das o.a. Grundbuch. ggf. Zusatz: Zugleich wird darauf hingewiesen, dass mit der Eintragung die rangwahrende Vorpfändung gegenstandslos geworden ist; ihre Löschung wird bewilligt. Kosten: Gericht: 0,5 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 14130 KV GNotKG) nach dem Betrag der Forderung, höchstens nach dem Wert des Grundpfandrechts (§ 53 Abs. 2 GNotKG); Anwalt: für den Grundbuchantrag entsteht keine besondere Gebühr, sie gehört zur Vollstreckungsinstanz (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
3. Verbriefte Grundpfandrechte
36 Die Pfändung von Briefhypotheken und -grundschulden erfolgt grundsätzlich auf demselben Weg wie die Pfändung von Buchhypotheken und -grundschulden. Zu beachten ist aber, dass gem. §§ 830 Abs. 1, 857 Abs. 6 ZPO außerdem die Übergabe des Briefes an den Gläubiger erforderlich ist.
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Wichtig: Für die Vorpfändung ist die Briefübergabe dagegen nicht notwendig (Zöller/Herget § 830 ZPO Rz. 13). Es gelten daher insoweit die Ausführungen zu Rz. 23 ff. Muss der Brief jedoch noch im Wege der Zwangsvollstreckung weggenommen werden (dazu nachfolgend Rz. 40), so dürfte sich die Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO häufig nicht einhalten lassen.
38 Ist der Gläubiger bereits im Besitz des Briefes, so sind die Anträge gem. M 54.7 und M 54.8 mit der Maßgabe zu stellen, dass es im Antrag jeweils Briefhypothek oder Briefgrundschuld (statt Buchhypothek oder Buchgrundschuld) heißt und der Antrag wie folgt ergänzt wird: Der Hypothekenbrief (Grundschuldbrief) liegt an. Ferner muss es auf S. 8 des Formulars unter „Sonstige Anordnungen“ heißen:
39 M 54.10 Antrag auf Pfändung einer Briefhypothek (Briefgrundschuld) Wie M 54.7 oder M 54.8 mit dem Zusatz: Sonstige Anordnungen: Der Schuldner hat den Hypotheken-/Grundschuldbrief für die im Grundbuch von … Blatt … verzeichnete Briefhypothek/-grundschuld herauszugeben. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
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Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
Rz. 44 Kap. 54
Der Gerichtsvollzieher wird zur Wegnahme durch den Besitz des Titels und des Pfändungsbeschlusses ermächtigt (§ 122 Abs. 2 GVGA).
40
Der Antrag an den Gerichtsvollzieher ist dann gem. nachfolgendem Muster zu stellen. Das Formular für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher (s. M 47.1) enthält hierfür kein Modul.
41
M 54.11 Antrag auf Herausgabevollstreckung bzgl. des Hypothekenbriefs
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(Grundschuldbriefs) An das Amtsgericht Gerichtsvollzieherverteilerstelle … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich, dem Schuldner aufgrund des anliegenden Urteils des … vom … Az. … in Verbindung mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts … vom … Az. … (hier den auf den Antrag M 54.10 hin ergangenen Beschluss beifügen) den für die eingetragene Hypothek (Grundschuld) vom Amtsgericht – Grundbuchamt – ausgestellten Hypothekenbrief (Grundschuldbrief) gem. § 122 GVGA wegzunehmen und mir auszuhändigen. Vollmacht ist beigefügt. Kosten: Gerichtsvollzieher: für die Wegnahme: 26 Euro nach Nr. 221 KV GvKostG; im Falle des erfolglosen Wegnahmeversuchs: 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG; Anwalt: für den Wegnahmeauftrag entsteht die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 nicht besonders, weil die Wegnahme zur Vollstreckungsinstanz gehört (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
Ist der Schuldner nicht als Hypotheken- oder Grundschuldgläubiger im Grundbuch eingetragen und 43 hat er die Briefgrundschuld oder Briefhypothek ohne Eintragung durch Abtretung und Übergabe des Briefes erworben, so sind die Anträge auf Pfändung zu modifizieren. Für die Pfändung einer Briefhypothek ist der Antrag auf dem Formular M 50.2 Blatt 6 „Anspruch G (an Sonstige)“ wie folgt zu fassen:
M 54.12 Antrag auf Pfändung einer durch Abtretung erworbenen Briefhypothek Anspruch G (an Sonstige) auf … (hier den Schuldgrund eintragen, zB: Rückzahlung des Darlehens vom … über), für die der Schuldner … Gläubiger der in Abt. III Nr. … der im Grundbuch von … Blatt … verzeichneten Briefhypothek, eingetragen auf … (Name des Buchberechtigten), durch die sich aus dem beigefügten Hypothekenbrief ersichtlichen fortlaufenden Abtretungen geworden ist, nebst der Hypothek selbst. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Giers
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ZPO
M 54.12
Kap. 54 Rz. 45
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
M 54.13
ZPO
45 Für Briefgrundschulden gilt: 46 M 54.13 Antrag auf Pfändung einer durch Abtretung erworbenen
Briefgrundschuld Anspruch G (an Sonstige) die Briefgrundschuld eingetragen beim Amtsgericht … in Abt. III Nr. … im Grundbuch von … Blatt …, deren Gläubiger der Schuldner ausweislich der sich aus dem beigefügten Brief ergebenden Eintragungen ist. Kosten: s. Anm. M 54.12.
47 Nach Pfändung eines verbrieften Grundpfandrechts soll ebenfalls die Eintragung im Grundbuch gem. M 54.9 veranlasst werden.
IV. Verwertung eines Grundpfandrechts 1. Unterwerfungserklärung liegt vor
48 Besteht ein Grundpfandrecht, bedarf es zur Verwertung eines Duldungstitels gegen den Eigentümer (vgl. § 1147 BGB). In aller Regel liegt dieser Titel bereits zum Zeitpunkt der Eintragung vor: Denn heute werden als Regelfall Grundschulden mit notarieller Unterwerfungserklärung nach §§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 800 ZPO bestellt. Für Hypotheken gelten keine Besonderheiten. Da die Unterwerfung der Eintragung ins Grundbuch bedarf (§ 800 Abs. 1 Satz 2 ZPO), lässt sich ihr Vorhandensein sehr leicht durch Grundbucheinsicht feststellen. Auch nachträglich kann eine solche notarielle Unterwerfungserklärung beigebracht werden, wenn der Berechtigte die Eintragung formgerecht bewilligt. Liegt diese Unterwerfungserklärung vor, bedarf es der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung der Urkunde durch den Notar (§ 797 Abs. 2 ZPO).
49 M 54.14 Antrag auf vollstreckbare Ausfertigung einer notariellen Urkunde An Notar … Zur Urk. Roll. Nr. … / … In Sachen … / … (Kurzrubrum) ist der von mir vertretene … (Name und volle Anschrift) … Gläubiger der im Grundbuch von … Bd. … Bl. … Abt. III unter Nr. … am … eingetragenen (Buch- oder Brief-)Grundschuld (Hypothek) über nominal …, … Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, höchstens 15 %. Als Eigentümer des (der) belasteten Grundstücks (Grundstücke) ist … (Name und volle Anschrift) in Abt. I eingetragen. 1. Alternative: Der von mir vertretene … war von Anfang an als Berechtigter der vorbezeichneten Grundschuld (Hypothek) im Grundbuch eingetragen; (der Grundschuld-Hypotheken-Brief liegt an). 2. Alternative: Der ursprünglich als Berechtigter eingetragene … hat am … die Grundschuld (Hypothek) an den von mir vertretenen … abgetreten; die Abtretung ist im Grundbuch eingetragen worden; eine beglaubigte Grundbuchabschrift liegt an. 3. Alternative: Die Grundschuld (Hypothek) ist von dem von mir vertretenen … am … erworben worden; der Grundschuld-(Hypotheken-)Brief mit den erforderlichen Abtretungserklärungen liegt an. 4. Alternative: Die Grundschuld (Hypothek) ist von dem von mir vertretenen … am … gepfändet und ihm überwiesen worden; die Pfändung ist im Grundbuch vermerkt worden; eine beglaubigte Grundbuchabschrift liegt an. (Ferner wird der im Wege der Hilfspfändung in den Besitz meines Mandanten gelangte Grundschuld-[Hypotheken-]Brief beigefügt.)
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Giers
M 54.15
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
Rz. 51 Kap. 54
ZPO
5. Alternative: Der Eigentümer hat sich nachträglich durch Erklärung zu Ihrem Protokoll der sofortigen Zwangsvollstreckung – s. o.a. Urk. Roll. Nr. – unterworfen. Der von mir vertretene … hat die aus der anliegenden Forderungsaufstellung sich ergebenden Zahlungsansprüche, für die die o.a. Grundschuld (Hypothek) von dem Grundeigentümer als Sicherheit bestellt ist. Da der Grundeigentümer trotz Kündigung des Rechts nichts zahlt, bin ich genötigt, namens des von mir vertretenen … Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Ich beantrage daher gem. § 797 ZPO die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung der o.a. notariellen Urkunde. Für die damit verbundenen Kosten komme ich einstweilen persönlich auf. Kosten: Notar: 0,5 Gebühr nach Tabelle B (Nr. 23803 KV GNotKG), wenn die Rechtsnachfolge zu prüfen ist, sonst gebührenfrei; Dokumentenpauschale und Porto oder Portopauschale fallen an (Nrn. 32000 und 32004 oder 32005 KV GNotKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; die Tätigkeit gehört aber zu dem folgenden Zwangsvollstreckungsverfahren, durch das dann keine besondere Gebühr ausgelöst wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
Dem Schreiben M 54.14 ist neben den darin genannten Urkunden eine Forderungsaufstellung (M 47.2) beizufügen. Die Vollstreckung darf gem. § 798 ZPO erst zwei Wochen nach Zustellung der notariellen Urkunde beginnen. Besteht kein Duldungstitel, so muss vor der Vollstreckung noch Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung erhoben werden (dazu nachfolgend M 54.16). Können die Voraussetzungen für die Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 727 ZPO nicht urkundlich nachgewiesen werden (dazu Kap. 59 Rz. 5 f.), dann ist die Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel geboten (wegen weiterer Einzelheiten Kap. 60 Rz. 11). Wenn alle Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, wird der Antrag auf Zwangsversteigerung wie folgt gestellt:
50
M 54.15 Versteigerungsantrag eines Grundpfandrechtsinhabers
51
An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich die vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde des Notars … (Name und volle Anschrift) vom … – UrkRollNr. … / … nebst Forderungsaufstellung. Der … (Name und volle Anschrift) ist der im Grundbuch von … Blatt … Abt. I Nr. … eingetragene (Mit-)Eigentümer des im Bestandsverzeichnis zu Nrn. … verzeichneten Grundbesitzes. In Abt. III unter Nr. … ist eingetragen eine Grundschuld (Hypothek), deren Rechtsinhaber der von mir vertretene … ist. Der Eigentümer muss aufgrund der anliegenden mit Vollstreckungsklausel und Zustellungsnachweis versehenen Urkunde des Notars … (Name und volle Anschrift) vom … – UrkRollNr. … / … die Zwangsvollstreckung in seinen Grundbesitz dulden. Nach der beiliegenden Forderungsaufstellung stehen dem von mir vertretenen Gläubiger … gegen den … Forderungen von insgesamt … Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf … Euro seit dem … sowie auf weitere Kosten der Zwangsvollstreckung zu.
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Kap. 54 Rz. 52
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen
M 54.16
Ich beantrage gem. §§ 15 ff. ZVG
ZPO
namens des von mir vertretenen Gläubigers, wegen der o.a. Forderungen die Zwangsversteigerung des vorbezeichneten Grundbesitzes anzuordnen. Kosten: Gericht: Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung: 100 Euro nach Nr. 2210 KV GKG, Verfahren im Allgemeinen: 0,5 Gebühr nach Nr. 2211 KV GKG, Abhaltung des Versteigerungstermins: 0,5 Gebühr nach Nr. 2213 KV GKG; Wert ist der nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzte (§ 54 Abs. 1 GKG); neben der Gebühr für die Anordnung der Zwangsversteigerung fallen die Auslagen für die Zustellung und die öffentliche Bekanntmachung an. Anwalt: 0,4 Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 VV RVG nach dem Wert der vollstreckbaren Forderung einschließlich Nebenforderungen (§ 26 Nr. 1 RVG).
52 Das weitere Verfahren richtet sich nach dem ZVG (s. Rz. 14). 2. Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung
53 Wenn eine mit Klausel versehene Unterwerfungserklärung nicht beizubringen ist, ist die Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung unerlässlich. Für die Klage richtet sich die sachliche Zuständigkeit nach dem Streitwert, für den die Hauptforderung maßgeblich ist (Zöller/Herget § 3 ZPO Rz. 16 „Duldung“). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich gem. § 24 Abs. 1 ZPO nach dem Ort des belasteten Grundstücks. S. auch Kap. 15 Rz. 201 und M 15.43.
54 M 54.16 Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung Klage In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich, den Beklagten zu verurteilen, wegen der Forderungen von … (genaue Bezeichnung und Aufschlüsselung ist erforderlich) die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück, verzeichnet beim Amtsgericht in … im Grundbuch von … Blatt … bezüglich der in Abt. III Nr. … eingetragenen Grundschuld (Hypothek) zu dulden. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Streitwert richtet sich nach dem Zuständigkeitsstreitwert (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG).
55 Wenn ein obsiegendes Urteil mit Klausel und Zustellung vorliegt, ist dieses dem Antrag nach M 54.15 beizufügen.
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Verteilungsverfahren
Rz. 4 Kap. 55
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fahrnisverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 55.1 Anmeldung eines Vorrangs bei der Erlösverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . M 55.2 Antrag auf Einleitung des gerichtlichen Verteilungsverfahrens . . . . . . 2. Teilungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rangstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitteilung des Rangs . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 2 6 8 9 10 10
ZPO
Kapitel 55 Verteilungsverfahren M 55.3 Forderungsaufstellung und Mitteilung des beanspruchten Ranges für das Verteilungsverfahren b) Verteilungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . M 55.4 Widerspruch gegen den Teilungsplan . . . . . . . . . . . . . . . c) Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 55.5 Widerspruchsklage im Verteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . III. Verteilungsverfahren nach ZVG . . . . . . . .
11 13 15 17 20 25
I. Allgemeines Die ZPO widmet dem Verteilungsverfahren einen besonderen Titel, der sich jedoch nur auf die Verteilung hinterlegter Gelder aufgrund einer Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen wegen Geldforderungen bezieht (§§ 872 ff. ZPO). Bei Immobilien richtet sich das Verfahren nach dem ZVG (§ 864 ZPO, § 105 ff. ZVG). Voraussetzung für die Durchführung des Verteilungsverfahrens sind:
1
– eine Mehrzahl von Gläubigern; – ein Vollstreckungserlös, der zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreicht.
II. Fahrnisverteilung 1. Hinterlegung Vier Möglichkeiten (§ 873 ZPO) bestehen, um Zwangsvollstreckungserlöse zu hinterlegen, und zwar stets bei Streit zwischen den Gläubigern über die Verteilung des nicht für die Befriedigung aller ausreichenden Erlöses:
2
– Anschlusspfändung nach §§ 826, 827 Abs. 2 ZPO; – gleichzeitige Pfändung einer Sache für mehrere Gläubiger nach § 827 Abs. 3 ZPO; – mehrfache Pfändung eines Herausgabeanspruchs und Versteigerung der Sache durch den Gerichtsvollzieher nach § 854 ZPO; – mehrfache Pfändung einer Geldforderung nach § 853 ZPO und Hinterlegung durch den Drittschuldner. In den ersten drei Fällen ist der Gerichtsvollzieher zunächst gehalten, den Erlös nach dem Rang der 3 Forderungen an die beteiligten Gläubiger auszuzahlen (§§ 116 Abs. 6, 118 Abs. 3 GVGA), wobei sich der Rang nach dem Zeitpunkt der Pfändung richtet. Bei gleichem Rang wird der Erlös verhältnismäßig auf die Gläubiger verteilt (§ 117 Abs. 5 GVGA). Zu einer Hinterlegung kommt es in all diesen Fällen nicht, so dass es der Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts nach §§ 872 ff. ZPO nicht bedarf. Gleichwohl sollte der Gerichtsvollzieher auch in diesen Fällen einen Plan zur Verteilung des Erlöses 4 aufstellen, schon um die Ordnungsgemäßheit seiner Abrechnung zu belegen und die Gläubiger von der Abwicklung des jeweiligen Vollstreckungsauftrags zu unterrichten. Ist ein Gläubiger mit der beabsichtigten Verteilung nicht einverstanden, kann er dem widersprechen. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Gläubiger einen Mangel des Planes des Gerichtsvollziehers rügen will oder ob er eine für ihn
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ZPO
Kap. 55 Rz. 5
Verteilungsverfahren
M 55.1
günstigere Rangposition aus materiell-rechtlichen Gründen erstrebt. In der Praxis wird der Gerichtsvollzieher allerdings von sich aus idR keinen Verteilungsplan aufstellen. Der bevorrechtigte Gläubiger sollte daher, wenn er eine Erlösverteilung zu seinen Ungunsten erwartet, sich schon vor der Versteigerung an den Gerichtsvollzieher wenden.
5 K
Wichtig: Der bessere Rang eines besitzlosen Pfandrechts muss ggf. mit der Klage nach § 805 ZPO durchgesetzt werden.
6 M 55.1 Anmeldung eines Vorrangs bei der Erlösverteilung Herrn Obergerichtsvollzieher Zu: DR Nr. … Sehr geehrter … In Sachen … / … danke ich für die Mitteilung des Versteigerungstermins. Vorsorglich mache ich darauf aufmerksam, dass mein Mandant bei der Erlösverteilung bevorrechtigt sein dürfte, weil es sich bei der aufgrund meines Vollstreckungsauftrages vom … bewirkten Pfändung am … um die Erstpfändung handelt. Sollten die weiteren Gläubiger den Vorrang nicht anerkennen, so bitte ich nach § 827 Abs. 2 ZPO, § 116 Abs. 6 GVGA den Erlös zu hinterlegen. Rechtsanwalt
7 Übersendet der Gerichtsvollzieher vorab einen Teilungsplan, so ist ein Antrag auf Einleitung des Verteilungsverfahrens zu stellen.
8 M 55.2 Antrag auf Einleitung des gerichtlichen Verteilungsverfahrens Herrn Obergerichtsvollzieher Zu: DR Nr. … Sehr geehrter … In Sachen … / … (Langrubrum) nehme ich Bezug auf Ihre Mitteilung vom … über die beabsichtigte Aufteilung des Versteigerungserlöses. Ich beantrage hiermit namens des von mir vertretenen Gläubigers eine andere Art der Verteilung und demgemäß zur Einleitung des gerichtlichen Verteilungsverfahrens die Hinterlegung des Erlöses nach Abzug Ihrer Kosten. Kosten: Gericht: Für das Verteilungsverfahren entsteht eine 0,5 Gebühr nach Nr. 2117 KV GKG; Streitwert ist die Teilungsmasse; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG und ggf. eine 0,3 Terminsgebühr nach Nr. 3310 VV RVG, besondere Angelegenheit nach § 18 Abs. 1 Nr. 10 RVG, Gegenstandswert: Betrag der Forderung, falls der zu verteilende Geldbetrag geringer ist, ist dieser maßgebend (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
2. Teilungsplan
9 Nach §§ 872, 873 ZPO wird das Vollstreckungsgericht von Amts wegen tätig, wenn bei der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen ein zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreichender Geldbetrag hinterlegt wurde. Das Verfahren ist in den §§ 873–882 ZPO sehr anschaulich geregelt und be-
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M 55.4
Verteilungsverfahren
Rz. 15 Kap. 55
ZPO
ginnt mit der Aufforderung an alle Gläubiger, eine vollständige Berechnung ihrer Haupt- und Nebenforderungen einzureichen. Die Antwort ist fristgebunden (2 Wochen). 3. Rangstreit a) Mitteilung des Rangs Spätestens nach Erhalt der Aufforderung (Rz. 9) ist mitzuteilen, welcher Rang beansprucht wird, soweit das schon vom Gläubiger übersehen werden kann, also insbesondere, wenn aufgrund seiner Intervention das gerichtliche Verteilungsverfahren eingeleitet worden ist.
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M 55.3 Forderungsaufstellung und Mitteilung des beanspruchten Ranges für das
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Verteilungsverfahren An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) wird auf die Aufforderung vom … Az. … die anliegende Forderungsaufstellung übersandt. Zugleich wird beantragt, dem von mir vertretenen Mandanten gegenüber allen anderen Mitgläubigern den Vorrang einzuräumen, weil es sich bei der aufgrund meines Vollstreckungsauftrages vom … bewirkten Pfändung am … um die Erstpfändung handelt. Kosten: s. Anm. zu M 54.2.
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Dem Schreiben ist eine Forderungsaufstellung beizufügen. b) Verteilungstermin Liegen von allen Gläubigern die Antworten vor, wird ein Teilungsplan angefertigt (§ 874 Abs. 1 ZPO). Der Rechtspfleger hat gem. § 875 Abs. 1 ZPO zur Erklärung und zur Ausführung des Planes einen Verteilungstermin zu bestimmen mit der Maßgabe, dass der Teilungsplan drei Tage vor dem Termin auf der Geschäftsstelle zur Einsicht ausliegen muss; das wird zugleich mit der Ladung den beteiligten Gläubigern(-Vertreter) mitgeteilt.
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Ist ein Gläubiger mit dem Plan nicht einverstanden, kann er ihm widersprechen, und zwar entweder vor dem Termin ab Niederlegung des Plans schriftlich bzw. zu Protokoll der Geschäftsstelle (Zöller/ Seibel § 876 ZPO Rz. 7) oder zu Protokoll im Verteilungstermin.
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M 55.4 Widerspruch gegen den Teilungsplan
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An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) wird auf die Mitteilung des Verteilungstermins am … vom … Az. ….
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Kap. 55 Rz. 16
Verteilungsverfahren
M 55.5
dem Teilungsplan widersprochen. Es wird beantragt,
ZPO
dem von mir vertretenen Gläubiger … gegenüber allen anderen Mitgläubigern den Vorrang einzuräumen, weil es sich bei der aufgrund meines Vollstreckungsauftrages vom … bewirkten Pfändung am … um die Erstpfändung handelt.
16 Ein entsprechender Antrag kann auch im Verteilungstermin gestellt werden. Im Verteilungstermin wird über evtl. Widersprüche verhandelt. Kommt eine Einigung zustande oder wird Widerspruch nicht erhoben, kommt der Plan zur Ausführung (§ 876 ZPO). Anderenfalls hat der Rechtspfleger nur zu prüfen, in welchem Umfang sich der Widerspruch auf die Verteilung auswirkt. Ob der Widerspruch begründet ist, entzieht sich seiner Entscheidung. Soweit sich der Widerspruch nicht auswirkt, kommt der Plan zur Ausführung, anderenfalls bleibt es bei der Hinterlegung. c) Klage
17 Der widersprechende Gläubiger muss gem. § 878 Abs. 1 ZPO binnen einer Frist von 1 Monat, beginnend mit dem Verteilungstermin – und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er an dem Termin teilgenommen hat –, und ohne vorherige Aufforderung dem Vollstreckungsgericht nachweisen, dass er gegen die beteiligten Gläubiger Klage erhoben hat. Angegriffen wird der Teilungsplan, es wird also eine Gestaltung erstrebt.
18 Erforderlich ist der Nachweis gegenüber dem Vollstreckungsgericht, dass der Gläubiger alle nötigen Schritte unternommen hat, damit das Prozessgericht die Klage alsbald zustellen kann, er also insbesondere auch den erforderlichen Kostenvorschuss gezahlt oder ein PKH-Gesuch vollständig eingereicht hat.
19 Die Klage ist beim amtsgerichtlichen Verteilungsgericht oder dem übergeordneten Landgericht – je nach Streitwert – zu erheben (§ 879 Abs. 1 ZPO). Dabei sollte stets darauf hingewirkt werden, dass über alle Widersprüche nur ein Gericht entscheidet, was nach § 879 Abs. 2 ZPO möglich ist.
20 M 55.5 Widerspruchsklage im Verteilungsverfahren An das Amtsgericht/Landgericht … Fristensache! – Nachweis der Klagerhebung gefordert! – In Sachen … / … (Langrubrum unter Benennung aller mitbetroffenen Gläubiger, die einfache Streitgenossen werden) – Schuldner: … (Benennung nicht vorgeschrieben, aber zweckmäßig) – erhebe ich namens des von mir vertretenen … Klage und beantrage, den Teilungsplan des Amtsgerichts … vom … – … wie folgt zu ändern: Der Kläger ist in dem vorbezeichneten Verteilungsverfahren mit seiner Gesamtforderung von … Euro vor derjenigen des Beklagten B (vor denjenigen der Beklagten B 1 bis B 3) zu befriedigen. Zur Begründung wird vorgetragen: … Abschließend wird beantragt, unverzüglich das Aktenzeichen des Rechtsstreits mitzuteilen, weil der Kläger gem. § 878 Abs. 1 ZPO dem Vollstreckungsgericht zum Az. … die Klagerhebung nachweisen muss. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Streitwert: nach dem wirtschaftlichen Interesse (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG).
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Verteilungsverfahren
Rz. 27 Kap. 55
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Unerheblich ist es im Hinblick auf § 167 ZPO, wenn die Klage vor Fristablauf eingereicht und „demnächst“ (s. dazu BGH MDR 2007, 167 = NJW 2006, 3206) zugestellt wird.
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ZPO
Zur Beschleunigung des Verfahrens empfiehlt es sich, die Klage elektronisch einzureichen. Sofern ein Gericht am Kanzleisitz zuständig ist, kann die Klage auch dort direkt gegen Empfangsbekenntnis eingereicht werden. Die Eingangsbestätigung des EGVP bzw. das Empfangsbekenntnis sind sogleich mit einer Abschrift der Klage dem Vollstreckungsgericht gem. § 878 Abs. 1 ZPO vorzulegen. Ferner muss der erforderliche Vorschuss sofort gezahlt werden, sofern nicht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt wird.
Es sollte vorsorglich nochmals eine Frist auf das Datum „ein Monat nach dem Verteilungstermin, ab- 23 züglich 3 Tage“, notiert werden, damit auf jeden Fall die formellen Voraussetzungen zur Korrektur eines Teilungsplanes herbeigeführt werden können. Wenn aber alle Fristen versäumt sind, besteht immer noch die Möglichkeit, gegen den Mitgläubiger vorzugehen, der auf Kosten des Mandanten ungerechtfertigt bereichert ist. Darauf wird im § 878 Abs. 2 ZPO ausdrücklich hingewiesen. Derartige Bereicherungsklagen weisen aus vollstreckungsrechtlicher Sicht keine Besonderheiten auf (vgl. dazu auch Zöller/Seibel § 878 ZPO Rz. 16).
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III. Verteilungsverfahren nach ZVG Das Verteilungsverfahren nach dem ZVG ist dem des Fahrnisrechts verwandt, es trägt jedoch den 25 Besonderheiten der Grundstücksversteigerung Rechnung, insbesondere der Tatsache, dass es durchweg um größere und häufig auch durch Grundpfandrechte gesicherte Forderungen mit entsprechender Teilungsmasse geht. Voraussetzung ist immer, dass ein wirksamer Zuschlagbeschluss vorliegt, der Grundbesitz also verwertet ist. Wenn das eingetreten ist, hat das Vollstreckungsgericht (§ 105 ZVG) einen Verteilungstermin zu bestimmen und zu ihm alle Verfahrensbeteiligten zu laden, insbesondere auch den Ersteher und evtl. seinen Bürgen, welche evtl. noch nicht entrichtete Zahlungen zu leisten haben. Selbst Personen, die angemeldete Rechte noch nicht glaubhaft gemacht haben, sind zu laden. Schon wegen der Ungewissheit, ob alle Beteiligten erfasst worden sind, soll die Terminsbestimmung an die Gerichtstafel angeheftet werden. Der Ersteher kann sich dem Verteilungsverfahren gänzlich entziehen, wenn er die ihm obliegenden Zahlungen gem. § 49 Abs. 4 ZVG durch Hinterlegung leistet; es kann ihm dann gleichgültig sein, wer welchen Erlösanteil erhält.
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Das Verteilungsverfahren selbst ähnelt dem der Fahrnis, ist aber mit sehr vielen Besonderheiten ausgestattet, die es geboten erscheinen lassen, auf Spezialwerke zu verweisen, zB Stöber, ZVG, 21. Aufl. 2016, Kommentierung zu §§ 105 ff. ZVG.
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ZPO
C. Räumung, Herausgabe, Handeln, Unterlassen Kapitel 56 Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen I. Vorüberlegungen bei Wohnraumherausgabe und -räumung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Räumung von Wohnraum . . . . . . . . . . . . . 1. Titel gegen Mieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Alleinbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 56.1 Antrag zur Räumungsvollstreckung (Alleinbesitz) . . . . . . . . . M 56.2 Anforderung von Kostenvorschuss (Räumungsvollstreckung) b) Familienmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . M 56.3 Antrag zur Räumungsvollstreckung bei getrennt lebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Untermieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Titel gegen unbefugten Besitzer . . . . . . . . . 3. Verbleib von Räumungsgut . . . . . . . . . . . . M 56.4 Ermächtigung zur Herausgabe des Räumungsgutes . . . . . . . . . . . . . . . III. Herausgabe von Wohnraum . . . . . . . . . . . 1. Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 56.5 Beschränkter Vollstreckungsauftrag (Alleinbesitz) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pfandverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 56.6 Versteigerungsauftrag an den Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . . IV. Räumungs- und Herausgabevollstreckung Geschäftsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 9 9 9 11 14 18 19 22 23 24 26 32 33 33 34 36 37
1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme bei der Räumung . . . . . . . . . . . . a) Demontagekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kosten der Entsorgung . . . . . . . . . . . . . V. Räumungsvollstreckung aus Zuschlagsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuschlagsbeschluss als Titel . . . . . . . . . . . . 2. Wohngrundstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewerbegrundstück . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Herausgabe beweglicher Sachen . . . . . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unvertretbare Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 56.7 Antrag auf Herausgabevollstreckung (Unikat) . . . . . . . . . . b) Versorgungszähler . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretbare Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachgesamtheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Technische Anlagen, Computer . . . . . . . 5. Antrag auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach Verbleib von Sachen und auf Erlass des Haftbefehls . . . . . . . . . . M 56.8 Auftrag zur eidesstattlichen Versicherung (Herausgabetitel) . . . . . .
38 41 41 42 44 44 47 48 49 49 51 51 52 55 57 58 58 60
61 62
38
I. Vorüberlegungen bei Wohnraumherausgabe und -räumung 1 Die Herausgabe und Räumung von Wohnraum gehört zu den aufwändigsten und teuersten Vollstreckungsmaßnahmen, wenn der Schuldner nicht nur aus dem Besitz gesetzt wird, sondern auch sämtliche Einrichtungsgegenstände durch ein vom Gerichtsvollzieher beauftragtes Unternehmen aus der Wohnung geschafft werden müssen. Da viele Räumungsschuldner vermögenslos sind, bestehen für den Gläubiger kaum Aussichten, diese Kosten erstattet zu bekommen. Wesentlich kostengünstiger ist der beschränkte Vollstreckungsauftrag gem. § 885a ZPO.
2 Allerdings ist auch der beschränkte Vollstreckungsauftrag für den Gläubiger nicht nur vorteilhaft. Denn der Vermieter muss die eingebrachten Sachen abtransportieren und nach § 885a Abs. 3 ZPO verwahren, was ihm jedoch oft kostengünstiger als dem Gerichtsvollzieher möglich sein wird. Unpfändbare Sachen sind dem Schuldner herauszugeben. Die Verwertung der mit dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen richtet sich nach § 383 BGB (Einzelheiten s. Rz. 36 und Lützenkirchen/Dickersbach Anh. § 546 BGB Rz. 93 ff.).
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Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
Rz. 10 Kap. 56
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Wichtig: Die Räumungsvollstreckung darf nicht betrieben werden, wenn ein Dritter, der weder im Vollstreckungstitel noch in der beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet ist, im Besitz der Mietsache ist. Dies gilt auch, wenn anzunehmen ist, dem Dritten sei der Besitz nur gewährt worden, um die Zwangsräumung zu vereiteln (BGH MDR 2008, 1356 = NJW 2008, 3287). § 940a ZPO gibt im Fall der Räumung von Wohnraum jedoch uU die Möglichkeit, den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Dritten zu beantragen (Einzelheiten s. Rz. 22 und Lützenkirchen/Dickersbach Anh. § 546 BGB Rz. 108 ff.).
ZPO
Der Gläubiger muss sich daher gut überlegen, welchen Weg er einschlägt. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, den Schuldner vor Einleitung der Vollstreckung aufzufordern, seiner Verpflichtung freiwillig nachzukommen (M 45.6 und M 45.7).
Sollen die Wohnräume des Schuldners herausgegeben und/oder geräumt werden, so hat der Ge- 5 richtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz zu setzen und den Gläubiger in den Besitz einzuweisen (§ 128 Abs. 1 GVGA). Er darf in dem Falle nach § 758a Abs. 2 ZPO auch ohne Durchsuchungsbeschluss gegen den Willen des Schuldners vollstrecken (§ 61 Abs. 8 GVGA). Der Gerichtsvollzieher teilt den Beteiligten Tag und Stunde der beabsichtigten Vollstreckung mit. Nach § 128 Abs. 2 Satz 5 GVGA müssen zwischen der Zustellung der Mitteilung und dem Termin mindestens drei Wochen liegen. Die Anwesenheit von Schuldner und Gläubiger ist zulässig, aber nicht unerlässlich (§ 128 Abs. 2 Satz 8 GVGA). Der Gerichtsvollzieher hat die dem Schuldner evtl. gewährte Räumungsfrist (§ 721 ZPO) zu beachten, darf aber schon vor ihrem Ablauf einen Termin zum zulässigen Zeitpunkt anberaumen (§ 130 Abs. 1 GVGA).
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Für die durch die Herausgabe und Räumung entstehenden Kosten ist der Gläubiger dem Gerichts- 7 vollzieher gem. § 4 GVKostG vorschusspflichtig, und zwar auch für die evtl. notwendig werdende Einlagerung der Sachen des Schuldners (§ 128 Abs. 5 Satz 6 GVGA). Im Folgenden wird zunächst die Herausgabe und Räumung von Wohnraum behandelt (II.). Sodann werden die Abweichungen beim beschränkten Vollstreckungsauftrag dargestellt (III.). Die Besonderheiten der Räumung der Ehewohnung werden in Kap. 113 Rz. 12 dargestellt.
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II. Räumung von Wohnraum 1. Titel gegen Mieter a) Alleinbesitz
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Wichtig: Vor der Räumung sind genau die Besitzverhältnisse an der Wohnung zu prüfen.
Ist der Schuldner allein im Besitz der Wohnung, bietet die Vollstreckung keine besonderen Probleme. Das Formular für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher (M 47.1) sieht für Herausgabeanträge kein Modul vor. Die Anträge sind daher weiter ohne Nutzung eines Formulars einzureichen.
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ZPO
Kap. 56 Rz. 11
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
M 56.1
11 M 56.1 Antrag zur Räumungsvollstreckung (Alleinbesitz) An das Amtsgericht – Gerichtsvollzieherverteilerstelle – … In Sachen … / … (Kurzrubrum) beantrage ich, aus dem anliegenden vollstreckbaren Urteil des Amtsgerichts … vom … – Az. … – die Zwangsvollstreckung zu betreiben, und zwar durch Räumung der im Urteil näher bezeichneten Wohnung des Schuldners sowie wegen der im beigefügten Beschluss festgesetzten Kosten und der Kosten der Zwangsvollstreckung die Mobiliarpfändung vorzunehmen. Der Gerichtsvollzieher wird gebeten, umgehend das Aktenzeichen mitzuteilen, unter dem diese Sache bearbeitet wird. Die dem Schuldner nach § 721 ZPO gewährte Räumungsfrist läuft am … (Datum im Schriftbild hervorheben; Fettdruck oder allein stehend in der Mitte der Schreibzeile) ab. Es wird daher beantragt, einen Räumungstermin sogleich für einen Zeitpunkt sofort nach Ablauf der Frist anzuberaumen, weil der Gläubiger schon erhebliche Zeit auf die Erlangung des Besitzes der Wohnung wartet und den Belangen des Schuldners durch Gewährung der großzügigen Räumungsfrist hinreichend Rechnung getragen worden ist. Den Kostenvorschuss wollen Sie bitte bei mir zugleich mit der Terminsnachricht anfordern; ich werde den Betrag alsbald nach Anforderung überweisen. Oder (nur wenn kein Zweifel an der Solvenz des Mandanten besteht oder ein ausreichender Kostenvorschuss vom Mandanten zur Verfügung gestellt worden ist): Für die Kosten der Räumung komme ich persönlich auf, so dass die Bestimmung des Räumungstermins nicht vom Eingang des erforderlichen Kostenvorschusses abhängig gemacht werden sollte. Kosten: Gerichtsvollzieher: Räumung: 98 Euro nach Nr. 240 KV GvKostG zzgl. 20 Euro je Stunde für die 4. und jede weitere Stunde nach Nr. 500 KV GvKostG; Pfändung: 26 Euro nach Nr. 205 KV GvKostG oder im Falle der erfolglosen Pfändung: 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG; hinzu kommen insbesondere die Auslagen für das Öffnen der Wohnung (falls erforderlich), den Transport und die Lagerung des Räumungsgutes (Nrn. 704, 707 KV GvKostG), die ganz erheblich sein können. Anwalt: je eine 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 für den Räumungsauftrag und den Pfändungsauftrag, weil es sich um verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen handelt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG); Wert für die Räumung: Wert der Wohnung, höchstens Jahresmietzins (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 RVG, § 41 Abs. 2 GKG); Wert für die Pfändung ist die Höhe der Forderung (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG).
12 Das Räumungsurteil ist in vollstreckbarer Ausfertigung mit Zustellungsnachweis beizufügen; ferner der Kostenfestsetzungsbeschluss. Wenn die Räumungsfrist durch besonderen Beschluss gewährt wurde, ist auch der entsprechende Beschluss beizufügen. Eine Frist von 5 Tagen vor Ablauf der Räumungsfrist sollte notiert werden; dann Gerichtsvollzieher anrufen oder erinnern.
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Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
Rz. 20 Kap. 56
Wegen des Kostenvorschusses sollte der Mandant sogleich eine Abschrift des Antrags erhalten:
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M 56.2 Anforderung von Kostenvorschuss (Räumungsvollstreckung)
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An (Mandant) In Ihrer Räumungssache gegen … (Schuldner) übersende ich Ihnen eine Abschrift meines Auftrags an den zuständigen Gerichtsvollzieher zur Räumung der Wohnung. Den notwendigen Kostenvorschuss wird der Gerichtsvollzieher direkt bei mir anfordern. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich dementsprechend für diese Mittel von Ihnen einen Vorschuss erbitte, dessen Höhe ich einstweilen mit 5.000 Euro beziffere. Diese Höhe erklärt sich aus den Umzugskosten und den Kosten für die evtl. notwendig werdende Einlagerung von Möbeln des Schuldners. Ich bitte Sie daher, den vorgenannten Betrag innerhalb der nächsten Woche (Hinweis: Frist ist abhängig vom Ablauf der Räumungsfrist) auf eines meiner oben genannten Konten zu überweisen.
Hier sollte dieselbe Frist notiert werden wie in Rz. 12 erläutert.
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Praxistipp: Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass zusammen mit der Räumung wegen bereits titulierter Geldforderungen mit Erfolg vollstreckt werden kann, so empfiehlt sich die Erweiterung des Vollstreckungsauftrags. Hierfür ist das Formular für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher (Muster M 47.1) zu benutzen.
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Wichtig: Umfasst der Titel neben der Räumung die Verpflichtung, Bauwerke und Anpflanzungen beseitigen zu lassen, so ist hiermit nicht der Gerichtsvollzieher zu beauftragen. Der Beseitigungsanspruch wird nach § 887 ZPO vollstreckt (BGH MDR 2004, 1021 = WM 2004, 1197; zur Vollstreckung s. M 57.1).
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b) Familienmitglieder Bei der Vollstreckung eines Räumungstitels gegen Eheleute benötigt der Gläubiger einen Titel gegen je- 18 den Ehegatten, der Mitgewahrsam an der Ehewohnung hat. Unerheblich ist, welcher Ehegatte den Mietvertrag abgeschlossen hat und ob einer Räumung widersprochen wird (BGH MDR 2004, 1257 = NJW 2004, 3041). Leben die Eheleute getrennt, so muss sich der Räumungstitel gegen den in der Wohnung verbliebenen Ehegatten richten. Denn entscheidend ist der Gewahrsam an der Wohnung (BGH MDR 2004, 1258 = NJW 2004, 3041). Darauf ist der Gerichtsvollzieher bei der Auftragserteilung vorsorglich hinzuweisen.
M 56.3 Antrag zur Räumungsvollstreckung bei getrennt lebenden Ehegatten
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Wie M 56.1 mit Zusatz: Der Räumungsschuldner ist zwar verheiratet, jedoch lebt der andere Teil seit geraumer Zeit außerhalb der Wohnung, also getrennt. Ein Räumungstitel gegen den Schuldner reicht daher aus, weil der Schuldner nun Alleingewahrsamsinhaber ist.
Bei Trennung der Ehegatten nach Räumung kann der Titel nach §§ 727, 325 ZPO umgeschrieben werden (Zöller/Seibel § 885 ZPO Rz. 7 aE).
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ZPO
M 56.3
Kap. 56 Rz. 21
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
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21 Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern zusammenleben, haben idR keinen Mitbesitz an der gemeinsam genutzten Wohnung. Das gilt auch, wenn die Kinder nach Erreichen der Volljährigkeit mit ihren Eltern weiter zusammenleben. Sofern Kinder keinen Mitbesitz an der Wohnung erlangt haben, reicht für eine Räumungsvollstreckung ein Vollstreckungstitel gegen die Eltern aus (BGH MDR 2008, 824 = NJW 2008, 1959). c) Untermieter
22 Für die Teile einer Wohnung, die untervermietet sind, benötigt der Gerichtsvollzieher stets einen Räumungstitel auch gegen den Untermieter (BGH MDR 2004, 53). Jedoch wird der Gläubiger, weil der Untermieter ihm gegenüber kein eigenes Recht zum Besitz hat, verhältnismäßig schnell das nötige Räumungsurteil erlangen können. § 940a ZPO ermöglicht darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Untermieter, wenn ein Räumungstitel gegen den Mieter vorliegt und der Gläubiger im Erkenntnisverfahren von dem Untermietverhältnis keine Kenntnis hatte (Einzelheiten s. Lützenkirchen/Dickersbach Anh. § 546 BGB Rz. 108 ff.). d) Lebenspartner
23 Eingetragene Lebenspartner werden genauso behandelt wie Ehegatten. Aus den in Rz. 18 ausgeführten Gründen ist daher ein Titel gegen jeden Lebenspartner erforderlich, der Mitgewahrsam an der Wohnung hat. Für den ausgezogenen Lebenspartner, der nicht zur Räumung verurteilt wurde, gilt M 56.3 sinngemäß. Gegen einen nichtehelichen Lebensgefährten, der Mitgewahrsamsinhaber ist, kann ebenfalls nur aufgrund eines gegen diesen gerichteten Räumungstitels vollstreckt werden (BGH MDR 2008, 824 = NJW 2008, 1959). 2. Titel gegen unbefugten Besitzer
24 Auch hier wird nach § 885 Abs. 1 ZPO durch den Gerichtsvollzieher vollstreckt. Handelt es ich bei dem Räumungstitel um eine einstweilige Verfügung, nach § 940a ZPO (s. Rz. 22), wird eine Räumungsfrist nicht gewährt. Vorgegangen wird nach den vorstehenden M 56.1 und M 56.2.
25 Ein besonderes Problem bilden unbefugte Hausbesetzungen. Auch für Räumungsaufträge gegen Hausbesetzer gilt das Erfordernis der eindeutigen Bezeichnung der Schuldner im Vollstreckungstitel oder in der Klausel. Deshalb kann eine Räumung gegenüber Hausbesetzern oft nur nach dem Polizeiund Ordnungsrecht erfolgen (BGH MDR 2018, 174 = NJW 2018, 399). 3. Verbleib von Räumungsgut
26 Die Frage, wo das Räumungsgut verbleibt, stellt sich, wenn es zur Zwangsräumung gekommen ist. Hat der Schuldner zum angesetzten Termin seine Wohnung geräumt oder ist die Zwangsvollstreckung in letzter Minute eingestellt worden, sind dem Spediteur sog. Bereitstellungskosten zu erstatten. Ob die Bereitstellungskosten umsatzsteuerpflichtig sind, wird unterschiedlich beurteilt (für Umsatzsteuer: LG Düsseldorf DGVZ 2006, 57; dagegen: Nds. FG DGVZ 2008, 142).
27 Geregelt ist der Verbleib von Räumungsgut im § 885 Abs. 2 ZPO. Ob der Schuldner oder eine dritte Person bereit und in der Lage sind, das Räumungsgut sogleich in Empfang zu nehmen (und wegzuschaffen), klärt der Gerichtsvollzieher bei der Bestimmung des Räumungstermins. Gelingt eine Verständigung, geht den Gläubiger dies nichts an. Kommt es nicht zur Verständigung, muss der Gerichtsvollzieher gem. § 885 Abs. 3 ZPO die Sachen des Räumungsschuldners in seine Pfandkammer nehmen (dafür ist normalerweise nicht genügend Platz vorhanden) oder anderweit in Verwahrung bringen. Auch für die Unterbringung von Tieren gilt § 885 Abs. 2 ZPO (BGH MDR 2012, 999 = NJW 2012, 2889). Einem Wunsch des Schuldners, das Räumungsgut in die neue Wohnung oder an einen anderen von ihm bestimmten Ort zu verbringen, braucht der Gerichtsvollzieher nur zu ent998
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M 56.4
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
Rz. 32 Kap. 56
ZPO
sprechen, wenn der Schuldner oder der Gläubiger bereit sind, die dadurch entstehenden Kosten im Vorschusswege zu bezahlen (LG Aschaffenburg DGVZ 1997, 155). Den Lagervertrag schließt der Gerichtsvollzieher als bevollmächtigter Vertreter des Justizfiskus (BGH MDR 1999, 1220 = NJW 1999, 2597). Hat der Gerichtsvollzieher nach Durchführung der Räumung den Gläubiger von der Einlagerung des Gutes benachrichtigt oder war der Gläubiger (sein Vertreter) bei der Räumung zugegen, sollte möglichst energisch auf das Abfordern des Räumungsguts durch den Schuldner hingewirkt werden; denn jeder Tag kostet Lagergebühr, für die zunächst der Gläubiger als vorschusspflichtiger Veranlasser aufzukommen hat.
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Der Schuldner muss das eingelagerte Gut gegen Zahlung der entstandenen Kosten binnen eines Monats nach der Räumung (der Tag der Räumung wird nicht eingerechnet) abfordern, anderenfalls kann der Gerichtsvollzieher das Gut verkaufen (§ 885 Abs. 4 ZPO). Dasselbe gilt, wenn der Schuldner die Sachen innerhalb dieser Frist abfordert, aber nicht innerhalb von 2 Monaten die Kosten zahlt. Eine Ausnahme sieht § 885 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 ZPO für unpfändbare und wertlose Sachen vor, die auf Verlangen des Schuldners sofort herauszugeben sind.
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Wichtig: Bei den Kosten, die nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO 30 für die weitere Einlagerung der dem Vollstreckungsschuldner gehörenden aufbewahrungspflichtigen Geschäftsunterlagen entstehen, handelt es sich nicht um notwendige Zwangsvollstreckungskosten, für die der Vollstreckungsgläubiger nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 GVKostG als Kostenschuldner einzustehen hat (BGH MDR 2008, 832).
Vorsorglich sollte sich der Gläubiger (am besten durch fernmündliche Rückfrage beim Gerichtsvollzieher) vergewissern, ob der Verkauf des Räumungsguts einen Erlös verspricht, der die vollen Kosten deckt. Beim Verkauf sind die Schutzvorschriften, die bei der Pfändung von Sachen gelten, nicht zu beachten (§ 128 Abs. 7 GVGA), es sei denn, der Schuldner fordert die unpfändbaren Sachen heraus. Sollten Zweifel an der die gesamten Kosten deckenden Verwertung des Räumungsgutes entstehen, kann es billiger sein, wenn der Gerichtsvollzieher notfalls ermächtigt wird, dem Schuldner die Sachen schon vor Ablauf der Zweimonatsfrist einstweilen ohne Bezahlung der bisher entstandenen Kosten herauszugeben:
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M 56.4 Ermächtigung zur Herausgabe des Räumungsgutes
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Herrn Gerichtsvollzieher … Dr II-Nr.: … Sehr geehrter …, in Sachen … / … (Kurzrubrum) werden Sie auf Ihre Nachricht über den Räumungstermin vom … ermächtigt, auch ohne ausreichende Bezahlung der Kosten dem Schuldner die Abholung der eingelagerten Sachen zu gestatten, falls der Wert des Räumungsgutes die bisher entstandenen und die evtl. weiteren während der 2-Monats-Frist entstehenden Kosten nicht abdecken kann, Einzelheiten hierzu überlasse ich Ihrem pflichtgemäßen Ermessen. In diesem Fall wollen Sie mich bitte unterrichten.
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Kap. 56 Rz. 33
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
M 56.5
ZPO
III. Herausgabe von Wohnraum 1. Herausgabe
33 Wenn sich der Gläubiger dafür entscheidet, den Gerichtsvollzieher nur mit der Vollstreckung der Herausgabe von Wohnraum zu beauftragen (s. Rz. 1), ist der Auftrag gem. M 56.1 wie folgt abzuwandeln:
34 M 56.5 Beschränkter Vollstreckungsauftrag (Alleinbesitz) Wie M 56.1: … und zwar durch Herausgabe der im Urteil näher bezeichneten Wohnung des Schuldners, indem der Schuldner aus dem Besitz der Wohnung gesetzt wird (beschränkter Vollstreckungsauftrag, § 885a ZPO). Die Gegenstände können an den Schuldner herausgegeben werden, wenn dieser die Kosten der Vollstreckung (sofern der Schuldner auch zur Zahlung verurteilt wurde und/oder ein Kostenfestsetzungsbeschluss vorliegt:) und die sich aus dem Urteil sowie dem anliegenden Kostenfestsetzungsbeschluss ergebende Forderung sofort begleicht.
35 Ein Vollstreckungsauftrag wegen evtl. Geldforderungen sollte zusätzlich nur unter den in Rz. 16 genannten Voraussetzungen mithilfe des Formulars für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher (Muster M 47.1) erteilt werden. Hinsichtlich der Besitzverhältnisse ergeben sich im Vergleich zur Räumung keine Abweichungen. 2. Pfandverwertung
36 Der Gerichtsvollzieher hat in seinem Protokoll die frei ersichtlichen beweglichen Sachen zu dokumentieren, die er bei der Vornahme der Vollstreckungshandlung vorfindet, § 885a Abs. 2 ZPO. Verbleib und Verwertung des Räumungsgutes sind in § 885a Abs. 3–5 ZPO geregelt. Auf diese Vorschriften werden Gläubiger und Schuldner vom Gerichtsvollzieher hingewiesen. Danach kann der Gläubiger bewegliche Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, jederzeit wegschaffen. Er hat sie zu verwahren. Bewegliche Sachen, an deren Aufbewahrung offensichtlich kein Interesse besteht, kann er jederzeit vernichten. Der Gläubiger hat insoweit nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Unpfändbare Sachen und solche Sachen, bei denen ein Verwertungserlös nicht zu erwarten ist, sind auf Verlangen des Schuldners jederzeit ohne Weiteres herauszugeben. Fordert der Schuldner die verwahrten Sachen beim Gläubiger nicht innerhalb eines Monats nach der Einweisung des Gläubigers in den Besitz ab, kann der Gläubiger die Sachen entsprechend §§ 372–380, 382, 383 und 385 BGB verwerten, ohne dass eine Androhung der Versteigerung stattfindet. Die durch Verwahrung und Verwertung entstehenden Kosten sind Kosten der Zwangsvollstreckung.
37 M 56.6 Versteigerungsauftrag an den Gerichtsvollzieher Herrn Ober-Gerichtsvollzieher … Sehr geehrter …, in Sachen … / … (Langrubrum) hatten Sie am … zu DR II-Nr. … die Herausgabevollstreckung bezüglich der Wohnung … vorgenommen. Der Gläubiger hat die in der Wohnung befindlichen Gegenstände einstweilen verwahrt. Der Schuldner hat diese Sachen nicht binnen Monatsfrist abgefordert. Sie werden nun beauftragt, die aus der anliegenden Liste ersichtlichen Gegenstände gem. §§ 189 ff. GVGA zu versteigern. Bitte setzen Sie sich wegen der Über-
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M 56.6
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
Rz. 43 Kap. 56
ZPO
prüfung der Liste gem. § 189 Abs. 3 GVGA mit dem Gläubiger direkt in Verbindung und vereinbaren Sie mit ihm, wann die Gegenstände wohin zur Versteigerung angeliefert werden sollen. Zeit und Ort der Versteigerung teilen Sie bitte auch mir mit. Kosten: Gerichtsvollzieher: 52 Euro nach Nr. 300 KV GvKostG; Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3).
IV. Räumungs- und Herausgabevollstreckung Geschäftsräume 1. Vorüberlegungen Bei der Räumung von Geschäftsräumen kann keine Räumungsfrist nach § 721 ZPO gewährt werden. 38 Der Gläubiger darf also in jedem Fall sofort vollstrecken, muss aber die Besonderheiten der vorläufigen Vollstreckbarkeit beachten (s. Kap. 46 Rz. 1 ff.). Wie bei der Räumung von Wohnraum muss sich der Titel gegen alle Gewahrsamsinhaber richten. Bei Untervermietung benötigt der Gläubiger daher auch einen Titel gegen den Untermieter, der sich dann auf § 721 ZPO berufen kann, wenn er die Räume zu Wohnzwecken nutzt. Eine einstweilige Verfügung nach § 940a ZPO gegen den unberechtigten Besitzer (s. Rz. 22) kann im Fall der Geschäftsraummiete nicht ergehen. Ob die Gebrauchsüberlassung auf einem Miet- oder Pachtvertrag beruhte, ist für die Räumung unerheblich. Entscheidend sind die Eigentumsverhältnisse am Mobiliar. Gehört dieses (überwiegend) dem Gläubiger, so sollte er sich auf die Herausgabe (s. Rz. 33 ff.) beschränken. Er vermag dann in Ruhe zu prüfen, ob der Schuldner zusätzliche Gegenstände eingebracht hat und wie er damit verfahren will (Herausgabe oder Versteigerung).
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Wenn der Schuldner selbst Gegenstände eingebracht hat, werden diese regelmäßig das Inventar einer Mietwohnung an Umfang und Wert übersteigen. Es empfiehlt sich dann eine Räumung durch den Gerichtsvollzieher (s. Rz. 9 ff.). Wenn bekannt ist, dass die Gegenstände einem Dritten gehören, zB Gaststätteninventar einer Brauerei, sollte vor der Räumung mit dem Eigentümer Kontakt aufgenommen werden. Der beschränkte Vollstreckungsauftrag (s. Rz. 1 f., 33 f.) ist auch hier zulässig.
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2. Probleme bei der Räumung a) Demontagekosten Wenn der Schuldner den ihm überlassenen Geschäftsraum mit wertvollen Einrichtungen versehen hat, zB Computeranlagen, muss der Gläubiger dem Gerichtsvollzieher die für die Demontage entstehenden Kosten vorschießen. Dazu gehören auch evtl. entstehende Kosten für einen Sachverständigen, die als Kosten der Zwangsvollstreckung letztlich vom Schuldner zu tragen sind (LG Münster DGVZ 1995, 184).
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b) Kosten der Entsorgung Der Gerichtsvollzieher hat auch gepachtete Räume dem Gläubiger geräumt zur Verfügung zu stellen. 42 Soweit sich dort Unrat befindet, ist er mit dem „Hausrat“ zu entfernen, also auch auf Sondermülldeponien abzuladen (LG Berlin DGVZ 1996, 171). Die Kosten fallen als Kosten der Zwangsvollstreckung dem Schuldner zur Last; sie sind jedoch von dem Gläubiger vorzuschießen (wie die Demontagekosten s. Rz. 41). Soweit aber unbeschadet der Räumung Entsorgungskosten entstehen, müssen sie vom Gläubiger ge- 43 genüber dem Schuldner gesondert geltend gemacht werden. Es sind keine Kosten der Zwangsvollstreckung, wenn sich nach der Inbesitznahme des verpachteten Objekts herausstellt, dass durch gewerbliche Nutzung der Grund und Boden des Objekts „verseucht“ worden ist. Hier sind Fragen des Giers
1001
ZPO
Kap. 56 Rz. 44
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
materiellen Rechts unter Berücksichtigung der Gefahrenverteilung zwischen Verpächter und Pächter zu entscheiden; es liegen also keine Zwangsvollstreckungshandlungen vor (LG Berlin DGVZ 1996, 171).
V. Räumungsvollstreckung aus Zuschlagsbeschluss 1. Zuschlagsbeschluss als Titel
44 Besonderheiten gelten für die Räumung nach Zuschlag: Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 ZVG findet aufgrund des Zuschlagsbeschlusses gegen den nunmehr unbefugten Besitzer des versteigerten Grundstücks die Zwangsvollstreckung auf Räumung statt. Ein Durchsuchungsbeschluss ist, wie § 758a Abs. 2 ZPO ausdrücklich klarstellt, nicht erforderlich. Räumungsfristen sieht das Zwangsversteigerungsgesetz nicht vor. Es kann also sogleich vollstreckt werden, und zwar ohne Sicherheitsleistung. Der Titel wirkt gegen jeden, der sein Besitzrecht unmittelbar vom Voreigentümer ableitet, also insbesondere alle Familienangehörigen.
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Wichtig: Der beschränkte Vollstreckungsauftrag (s. Rz. 1 f., 33 f.) ist auch im Fall der Räumung aus einem Zuschlagsbeschluss zulässig (BGH MDR 2017, 788).
46 Wenn der Besitzer des Grundstücks trotz des Zuschlags ein Recht zum Besitz behalten hat, soll die Räumungsvollstreckung gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG nicht durchgeführt werden. Dem Besitzer stehen notfalls die Rechte nach § 771 ZPO zu, § 93 Abs. 1 Satz 3 ZVG. Hier handelt es sich um den durch die §§ 57 ff. ZVG geschützten Personenkreis, also in erster Linie um Mieter und Pächter des ursprünglichen Eigentümers. Will sich der Gläubiger aus den bestehenden Nutzungsverträgen lösen, kann er nach § 57a ZVG unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen nur zum ersten zulässigen Termin kündigen; anderenfalls bleibt es bei allen vertraglichen Vereinbarungen. Immer benötigt der Ersteher gegen diesen Personenkreis einen gesonderten Titel. 2. Wohngrundstück
47 Dem Voreigentümer und seinem Ehegatten stehen Rechte nach § 721 Abs. 1 ZPO auf Gewährung einer Räumungsfrist nicht zu (Zöller/Seibel § 721 ZPO Rz. 3). Das ist schon deshalb nicht unsozial, weil sich der Schuldner oft monatelang auf die Folgen des Zuschlags einstellen konnte und im ZVGVerfahren zahlreiche Schuldnerschutzmöglichkeiten gehabt hat. Dennoch bleibt ihm notfalls noch der Weg eines Antrags nach § 765a Abs. 3 ZPO auf befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung, wenn damit eine sittenwidrige Härte verbunden wäre (Näheres s. Kap. 62 Rz. 39). Im Übrigen wird auf M 56.1 verwiesen. Auch aus dem Zuschlagsbeschluss kann der beschränkte Vollstreckungsauftrag gem. M 56.5 gestellt werden. 3. Gewerbegrundstück
48 Hier hat der Voreigentümer mit dem Zuschlag jedes Besitzrecht verloren. Einen Schuldnerschutz gibt es nicht. Das M 56.1 ist mit dem Antrag auf sofortige Räumung zu verwenden.
VI. Herausgabe beweglicher Sachen 1. Grundsätze
49 Für die Herausgabe beweglicher Sachen ist der Gerichtsvollzieher zuständig (§ 883 Abs. 1 ZPO). Das Formular für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher (s. M 47.1) sieht auch für den Antrag auf Herausgabe beweglicher Sachen kein Modul vor. Der Antrag ist daher weiterhin ohne Nutzung eines Formulars einzureichen. Für dessen Durchführung sind in § 127 GVGA ins Einzelne gehende Anweisungen vorhanden. Ergänzt werden sie durch § 61 Abs. 8 GVGA, wonach eine Durch1002
Giers
M 56.7
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
Rz. 52 Kap. 56
ZPO
suchungsanordnung wie bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen nötig ist. Stets ist es – wie in § 127 Abs. 2 GVGA vorgesehen – zweckmäßig, dass der Gläubiger bei der Wegnahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher zugegen ist, damit die Übereinstimmung zwischen Herausgabetitel und der weggenommenen Sache sogleich festgestellt werden kann. Dabei hat zwar der Gläubiger keinen Anspruch, bei einer (gerichtlich angeordneten) Durchsuchung gegen den Willen des Schuldners in der Wohnung zugegen zu sein, er kann aber noch an Ort und Stelle außerhalb des Besitztums des Schuldners die Identität der weggenommenen Sache mit der im Titel genannten überprüfen.
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Geringe Unterschiede gibt es bei der Art der herauszugebenden Sache: 2. Unvertretbare Sachen a) Unikate Für unvertretbare Sachen ist als Grundfall in § 883 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass der Gerichtsvollzieher die Sache(n) dem Schuldner wegnimmt und dem Gläubiger übergibt.
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M 56.7 Antrag auf Herausgabevollstreckung (Unikat)
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An das Amtsgericht – Gerichtsvollzieherverteilerstelle – … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich, gegen den Schuldner … die Zwangsvollstreckung wegen des sich aus der anliegenden mit Rechtskraftvermerk versehenen Urteilsausfertigung ergebenden Herausgabeanspruchs nebst Kosten durchzuführen. Eine Aufstellung über die bisher entstandenen Kosten ist beigefügt. Zugleich wird gebeten, mir die Zeit des beabsichtigten Vollstreckungsversuches mitzuteilen, damit der Gläubiger … zur Identifizierung der wegzunehmenden Sache(n) zur Verfügung steht (§§ 31 Abs. 1, 127 Abs. 2 GVGA). Falls die herauszugebende Sache nicht gefunden wird, beantrage ich, den Schuldner sogleich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 883 ZPO mit einer Frist von 2 Wochen zu laden und mir davon Mitteilung zu machen. Wenn der Schuldner den Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht wahrnimmt, wollen Sie bitte Ihre Vorgänge – unter Nachricht an mich – dem Vollstreckungsgericht zum Erlass eines Haftbefehls zuleiten. Sie werden schon jetzt beauftragt, den Schuldner zu verhaften und ihm die eidesstattliche Versicherung abzunehmen. Kosten: Gerichtsvollzieher: Für die Wegnahme: 26 Euro nach Nr. 221 KV GvKostG; für die Pfändung: 26 Euro nach Nr. 205 KV GvKostG oder im Falle der erfolglosen Pfändung: 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG; für die Abnahme der Vermögensauskunft: 33 Euro nach Nr. 260 KV GvKostG) oder, falls es nicht zur Abnahme der Vermögensauskunft kommt und diese nicht nur deshalb nicht abgenommen wird, weil der Schuldner sie innerhalb der letzten 2 Jahre bereits abgegeben hat: 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG – ggf. auch neben der Gebühr für die erfolglose Pfändung (§ 10 Abs. 1 Satz 2 GvKostG);
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1003
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Kap. 56 Rz. 53
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
M 56.7
daneben fallen insbesondere Zustellungskosten an; Anwalt: Für den Wegnahmeauftrag, den Pfändungsauftrag und für das Verfahren auf Abnahme der Vermögensauskunft entsteht die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 jeweils besonders, weil es sich um verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen handelt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG); Wert für die Herausgabevollstreckung ist der Wert der herauszugebenden Gegenstände (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 RVG).
53 Dem Antrag ist neben der vollstreckbaren Urteilsausfertigung eine Aufstellung der bisher entstandenen Kosten beizufügen. Ist das Urteil nicht rechtskräftig oder nur Zug um Zug vollstreckbar, ist, wie in Kap. 46 Rz. 29 ff., 54 ff. dargelegt, zu verfahren.
54 Befindet sich die Sache im Besitz eines Dritten, so ist gem. § 886 ZPO dem Gläubiger auf seinen Antrag der Herausgabeanspruch des Schuldners nach den Grundsätzen der Pfändung und Überweisung von Forderungen zu überweisen. Insoweit wird auf M 50.2 verwiesen. b) Versorgungszähler
55 Hier handelt es sich durchweg um Herausgabetitel von Versorgungsunternehmen gegenüber Abnehmern, die sich im Zahlungsverzug befinden. Oft befinden sich diese Zähler nicht in den Wohn- oder Geschäftsräumen des Schuldners, sondern in Kellern, Hausfluren oder ähnlichen allgemein zugänglichen Orten. Dann bedarf es auch bei der Weigerung des Schuldners nicht eines Durchsuchungsbeschlusses. Im Übrigen ist wie in M 56.7 und Rz. 49 ff. zu verfahren, allerdings mit der Maßgabe, dass der Gläubiger einen fachkundigen Monteur als seinen Vertreter hinzuziehen muss.
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Wichtig: Ein Durchsuchungsbeschluss ist ebenfalls entbehrlich, wenn der Schuldner nur verurteilt wurde, die Sperrung der Gas- und/oder Stromversorgung zu dulden (BGH MDR 2007, 238 = NJW 2006, 3352).
3. Vertretbare Sachen
57 Für sie (§ 91 BGB) gilt gem. § 884 ZPO das vorstehend Ausgeführte entsprechend. Der Gerichtsvollzieher nimmt dem Schuldner Sachen mittlerer Art und Güte weg (§ 243 BGB). Soweit er nicht über die nötige Sachkunde verfügt (zB Urteil auf von Getreide einer bestimmten Sorte), kann er nach Erhalt des benötigten Kostenvorschusses (von dem Gläubiger) einen Sachverständigen hinzuziehen. Findet er die (vertretbaren) Sachen nicht vor, stehen dem Gläubiger die Rechte nach § 883 Abs. 2 ZPO auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nicht zu (Zöller/Seibel § 884 ZPO Rz. 13). Er hat auch nicht die Möglichkeit, sich die Sachen auf Kosten des Schuldners zu beschaffen, § 887 Abs. 3 ZPO. Der Gläubiger kann dann seine Rechte nur im Wege der Schadensersatzklage nach § 893 ZPO verfolgen. 4. Sachgesamtheiten a) Hausrat
58 Für Sachgesamtheiten gelten die vorstehend aufgezeigten Grundsätze (Rz. 51 ff.) entsprechend. 59 Die Titel auf Herausgabe von Hausrat leiten sich aus Erbauseinandersetzungen oder Familienstreitigkeiten her. Häufig fehlt es bei diesen Titeln an der hinreichend bestimmten Bezeichnung der herauszugebenden Gegenstände. Deshalb ist es in besonderem Maße geboten, die Anwesenheit des Gläubigers bei der Wegnahmehandlung zu verlangen – auch der Schuldner sollte darauf Wert legen –. Hier entstehen bei einem fruchtlosen Vollstreckungsversuch nicht unerhebliche Transportkostenausfälle, die tunlichst zu vermeiden sind. Es wird empfohlen, sich mit dem zuständigen Gerichtsvollzieher persönlich in Verbindung zu setzen, um den kostengünstigsten Weg zur Vollstreckung abzusprechen.
1004
Giers
M 56.8
Zwangsvollstreckung, Herausgabe von Sachen
Rz. 64 Kap. 56
Bei der Herausgabe von technischen Anlagen verstärken sich die vorstehend aufgezeigten Schwierigkeiten noch, weil unter Umständen sehr teures Montagepersonal benötigt wird. Eine Verständigung mit dem Gerichtsvollzieher ist unerlässlich. Als besonders schwierig erweisen sich ebenfalls Titel, die die Herausgabe von Computern und Computerprogrammen betreffen. Um die Vollstreckungsfähigkeit zu gewährleisten, ist es erforderlich, schon im Erkenntnisverfahren auf eine möglichst detaillierende Fassung des Titels hinzuwirken. Noch nicht auf einem Datenträger verkörperte Daten können nicht Gegenstand einer Herausgabevollstreckung, sondern lediglich Gegenstand eines Auskunftsanspruchs sein (MDR 2018, 227).
60
5. Antrag auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach Verbleib von Sachen und auf Erlass des Haftbefehls Der Antrag auf eidesstattliche Versicherung nach dem Verbleib von Sachen richtet sich nach § 883 Abs. 2 ZPO. Zuständiges Vollstreckungsorgan ist der Gerichtsvollzieher (§ 899 Abs. 1 ZPO).
61
M 56.8 Auftrag zur eidesstattlichen Versicherung (Herausgabetitel)
62
An das Amtsgericht – Gerichtsvollzieherverteilerstelle – … In Sachen … / … (Langrubrum) wird beantragt, den Schuldner … gem. § 883 Abs. 2 ZPO zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu laden. Zur Begründung beziehe ich mich auf die anliegende vollstreckbare Ausfertigung des … Urteils des Amtsgerichts … vom … Az. … und die Mitteilung des Obergerichtsvollziehers … in … vom … (Az. DR … ), nach der dieser den herauszugebenden PC auch bei der Durchsuchung der Wohnung des Schuldners nicht gefunden hat. Im Fall der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bitte ich, mir eine Abschrift des Protokolls zu erteilen. Sollte sich der herauszugebende Gegenstand in der Wohnung des Schuldners befinden, wird um sofortige Wegnahme ersucht. Sollte der Schuldner zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht erscheinen oder deren Abgabe verweigern, beantrage ich, den Vorgang unter Abgabenachricht dem Vollstreckungsgericht zum Erlass eines Haftbefehls zuzuleiten und den Schuldner anschließend zu verhaften. Kosten: Gerichtsvollzieher: 38 Euro nach Nr. 262 KV GvKostG; wird die eidesstattliche Versicherung nicht abgenommen: 15 Euro nach Nr. 604 KV GvKostG; ggf. zzgl. Zustellungskosten; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Der Antrag auf Erlass des Haftbefehls dürfte nur in sehr seltenen Fällen isoliert benötigt werden. Er lautet, gegen den Schuldner Haftbefehl zu erlassen (s. M 56.8 letzter Absatz). Einer Forderungsaufstellung bedarf es nur, wenn auch wegen der Kosten pp. vollstreckt werden soll.
63
Hat der Schuldner die eidesstattliche Versicherung dahin abgegeben, dass er nicht weiß, wo sich die Sachen befinden, bleibt dem Gläubiger nur die Klage auf Schadensersatz (§ 893 ZPO).
64
Giers
1005
ZPO
b) Technische Anlagen, Computer
Kap. 57 Rz. 1
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
ZPO
Kapitel 57 Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen, eidesstattliche Versicherung I. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertretbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermächtigung zur Vornahme . . . . . . . . . . . M 57.1 Antrag auf Ermächtigung des Gläubigers zur Vornahme der vertretbaren Handlung und Verurteilung des Schuldners zur Zahlung eines Vorschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Titel auf Befreiung von einer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 57.2 Antrag auf Vollstreckung eines Befreiungsanspruchs (§ 887 ZPO) . . . 3. Titel auf Leistung einer Sicherheit . . . . . . . M 57.3 Antrag auf Vollstreckung eines Anspruchs auf Sicherheitsleistung (§ 887 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Titel auf Mängelbeseitigung . . . . . . . . . . . . M 57.4 Antrag auf Vollstreckung wegen Mängelbeseitigung (§ 887 ZPO) . . . III. Unvertretbare Handlungen . . . . . . . . . . . . 1. Antrag Zwangsgeld, Zwangshaft . . . . . . . . .
1 2 2
2.
3. 7 10 15 16 17 19 21 22 22
IV. 1. 2.
3.
4.
M 57.5 Antrag auf Festsetzung von Zwangsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchsetzung Zwangsgeld, Zwangshaft . . . a) Zwangsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwangshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eidesstattliche Versicherung . . . . . . . . . . . M 57.6 Antrag auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung (Auskunftstitel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterlassen, Dulden . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Androhung Ordnungsgeld, Ordnungshaft . M 57.7 Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . Festsetzung Ordnungsgeld, Ordnungshaft . M 57.8 Antrag auf Festsetzung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheitsleistung für künftigen Schaden .
30 33 33 34 35 36 38 38 39 40 42 44 47
I. Zuständigkeit 1 Für die Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen ist stets das Prozessgericht des ersten Rechtszuges, in Familiensachen das Familiengericht, als Vollstreckungsorgan zuständig (§§ 887 ff. ZPO). Die Entscheidung selbst wird durch Beschluss bei freigestellter mündlicher Verhandlung getroffen (§ 891 ZPO).
II. Vertretbare Handlungen 1. Ermächtigung zur Vornahme
2 Über § 887 ZPO sind Handlungen zu vollstrecken, die auch von Dritten vorgenommen werden können. § 887 Abs. 3 ZPO ordnet in diesem Zusammenhang an, dass § 887 Abs. 1 und 2 ZPO auf die Erwirkung der Herausgabe oder Leistung von Sachen keine Anwendung findet.
3 K
Praxistipp: Faustformel für die Ausnahmen, die nicht unter § 887 ZPO fallen: Keine Vollstreckung von Geldzahlungen oder Herausgabe oder Leistung von Sachen.
4 Ob eine vertretbare Handlung vorliegt, ist unter zwei Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. Zöller/Seibel § 887 ZPO Rz. 2): – Ist vom Standpunkt des Gläubigers wirtschaftlich gleichgültig, wer die Handlung vornimmt? – Ist vom Standpunkt des Schuldners rechtlich zulässig, dass ein anderer als er selbst die Handlung vornimmt? Werden beide Fragen bejaht, liegt eine vertretbare Handlung vor.
1006
Giers
K
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
Rz. 9 Kap. 57
Praxistipp: Eine Auflistung der in der Rechtsprechung als vertretbare Handlung anerkannten Verpflichtungen ist bei Zöller/Seibel § 887 ZPO Rz. 3 abgedruckt.
5
Der Antrag auf Ermächtigung des Gläubigers zur Vornahme der vertretbaren Handlung und Verurteilung des Schuldners zur Vorschusszahlung ist gemäß dem nachfolgenden M 57.1 zu stellen. Der Beschluss ist nach überwiegend vertretener Ansicht mit der Vollstreckungsklausel zu versehen (Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 13 mwN).
6
M 57.1 Antrag auf Ermächtigung des Gläubigers zur Vornahme der vertretbaren
7
Handlung und Verurteilung des Schuldners zur Zahlung eines Vorschusses An das Landgericht … In Sachen … / … (Langrubrum) Az. … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene Ausfertigung des Urteils vom … und beantrage namens der von mir vertretenen Gläubigerin (Klägerin), sie zu ermächtigen, an Stelle und auf Kosten der Beklagten den auf dem Grundstück … (genaue Bezeichnung) lagernden Bauschutt entfernen und entsorgen zu lassen, und die Beklagte zur Zahlung eines Vorschusses von 10.000 Euro zu verurteilen. Nach dem anliegenden Urteil ist die Beklagte verpflichtet, das Grundstück … zu räumen sowie den darauf lagernden Schutt zu entfernen und zu entsorgen. Die Räumung ist mittlerweile durch den Gerichtsvollzieher erfolgt. Für die Beseitigung des Schutts ist nicht der Gerichtsvollzieher zuständig. Die Vollstreckung richtet sich nach § 887 ZPO (BGH MDR 2004, 1021). Die Beklagte ist mit dem in Kopie beigefügten Schreiben vom … aufgefordert worden, den Schutt bis zum … zu entfernen und zu entsorgen. Da die Beklagte darauf nicht reagiert hat, ist die Klägerin gem. § 887 Abs. 1 ZPO zu ermächtigen, auf Kosten der Beklagten die Beseitigung vornehmen zu lassen. Der Vorschussanspruch folgt aus § 887 Abs. 2 ZPO (wegen der Höhe der voraussichtlichen Kosten wird auf den Kostenvoranschlag des Abbruchunternehmers …, der beigefügt ist, verwiesen. Bei der Bemessung des Vorschusses sind die Kosten des Kostenvoranschlags mit berücksichtigt, weil sie als Kosten der Zwangsvollstreckung anzusehen sind). Zugleich wird gem. § 891 ZPO iVm. § 128 Abs. 4 ZPO beantragt, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen und der Beklagten eine Anhörungsfrist von nicht mehr als 10 Tagen einzuräumen. Nach Abschluss des Verfahrens bitte ich um Rückgabe des Urteils und um eine vollstreckbare Ausfertigung des beantragten Beschlusses nebst einer Bescheinigung der Zustellung. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; im Falle einer mündlichen Verhandlung entsteht die Terminsgebühr in gleicher Höhe (Nr. 3310 VV RVG); die Vollstreckung der Entscheidung zur Vorauszahlung der Kosten gilt als besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 12 RVG).
K
Wichtig: Auch vor dem Prozessgericht müssen mit einem Antrag auf Zwangsvollstreckung die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nachgewiesen werden. Dem Antrag ist daher eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels nebst Zustellungsnachweis beizufügen.
9
Schwierigkeiten bei der Formulierung des Antrages bieten in der Praxis häufig folgende Fälle:
Giers
8
1007
ZPO
M 57.1
Kap. 57 Rz. 10
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
M 57.2
ZPO
2. Titel auf Befreiung von einer Verbindlichkeit
10 Titel, die auf Befreiung von einer Verbindlichkeit lauten, sind nicht nach § 803 ZPO, sondern nach § 887 ZPO zu vollstrecken (BGH MDR 2007, 361).
11 K
Wichtig: Die Vorschrift des § 887 ZPO bewirkt im Ergebnis, dass sich der Befreiungsanspruch in einen Zahlungsanspruch „umwandelt“. Folgt das Prozessgericht als zuständiges Vollstreckungsgericht (vgl. oben Rz. 1) dem Antrag in M 57.2, ergeht ein dem Antrag entsprechender Beschluss. Der Kläger als Inhaber des titulierten Befreiungsanspruchs kann über § 887 ZPO demnach durchsetzen, dass der Beklagte den Befreiungsanspruch durch Zahlung des fälligen Geldbetrages, der zur Tilgung der Forderung erforderlich ist, von der der Beklagte den Kläger zu befreien hat, an den Kläger erfüllt, damit der Kläger den Betrag alsdann an seinen Gläubiger weiterleiten kann. Das gilt jedoch nicht, wenn der Kläger die Forderung, von welcher ihn der Beklagte feststellen soll, schon erfüllt hat. In diesem Fall muss er auf Leistung klagen (BGH MDR 2007, 361).
12 Eine Vollstreckung nach § 887 ZPO ist nur möglich, wenn sich die Höhe der Verbindlichkeit eindeutig aus dem Titel ergibt (OLG Düsseldorf MDR 2014, 236). Wird allein die Art der Verbindlichkeit, von welcher der Schuldner den Gläubiger freistellen soll (zB Forderungen der …-Bank aus der Auflösung des gemeinsamen Girokontos Nr. …), genannt, nicht aber deren Höhe, so hat der Titel nur die Wirkung eines Grundurteils. Der Gläubiger kann seinen Befreiungsanspruch dann nicht nach § 887 ZPO verfolgen, sondern muss auf Leistung klagen, sobald die Höhe der Forderung feststeht.
13 K
Praxistipp: Werden Freistellungsvereinbarungen durch Vergleich oder notarielle Urkunde getroffen, so ist darauf zu achten, dass die genaue Höhe der Verbindlichkeit in den Titel aufgenommen wird, wenn diese bereits feststeht. Dasselbe gilt für den Antrag einer Klage auf Befreiung von einer Verbindlichkeit.
14 Steht die Verbindlichkeit der Höhe nach fest, kann sogleich an das Prozessgericht der Antrag nach § 887 ZPO gestellt werden:
15 M 57.2 Antrag auf Vollstreckung eines Befreiungsanspruchs (§ 887 ZPO) An das Amtsgericht – Familiengericht – … In Sachen … / … Az.: … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs des Amtsgerichts – Familiengerichts – vom … und beantrage namens der von mir vertretenen Antragstellerin, den Antragsgegner zur Zahlung eines Vorschusses von 500 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu verpflichten. Zur Begründung verweise ich auf den anliegenden Vergleich, wonach der Antragsgegner des vorbezeichneten Ehescheidungsverfahrens die Antragstellerin von den monatlich iHv. 500 Euro fälligen Zahlungen auf den Kredit bei der B-Bank freistellen soll. Die am … fällige Rate hat der Antragsgegner nicht beglichen, so dass die Antragstellerin insoweit in Anspruch genommen wird. Die Antragstellerin hat die Forderung nicht selbst erfüllt. Sie muss ab dem Tag der Fälligkeit vereinbarungsgemäß auf die nicht bezahlte Rate Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zahlen. Der Vorschussanspruch folgt aus § 887 Abs. 2 ZPO.
1008
Giers
M 57.3
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
Rz. 17 Kap. 57
Zugleich wird wegen der Eilbedürftigkeit gem. § 891 ZPO iVm. § 128 Abs. 4 ZPO beantragt,
ZPO
die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen und dem Antragsgegner eine Anhörungsfrist von nicht mehr als 3 Tagen einzuräumen. Nach Abschluss des Verfahrens bitte ich um Rückgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs und um eine vollstreckbare Ausfertigung des beantragten Beschlusses nebst einer Bescheinigung der Zustellung. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 1601 KV FamGKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, im Falle einer mündlichen Verhandlung entsteht die Terminsgebühr in gleicher Höhe (Nr. 3310 VV RVG); die Vollstreckung einer entsprechenden Entscheidung gilt als besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 12 RVG).
3. Titel auf Leistung einer Sicherheit Wenn in dem Urteil oder Vergleich sich der Schuldner nur verpflichtet hat, für eine bestimmte künftige (wiederkehrende) Leistung Sicherheit in bestimmter Höhe zu leisten, steht damit noch nicht fest, in welcher Form diese Sicherheit zu erbringen ist. § 232 BGB listet die Möglichkeiten auf, ohne eine Rangfolge zu begründen. Daher kann im Wege der Zwangsvollstreckung eine bestimmte Art der Sicherheitsleistung vom Schuldner nicht erzwungen werden, der Gläubiger kann aber nach § 887 Abs. 1 ZPO ermächtigt werden, auf Kosten des Schuldners – nun nach seiner Wahl – die Sicherheitsleistung vorzunehmen.
16
M 57.3 Antrag auf Vollstreckung eines Anspruchs auf Sicherheitsleistung (§ 887 ZPO)
17
An das Landgericht … In Sachen … / … Az. … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Landgerichts vom … und beantrage namens der von mir vertretenen Klägerin, sie zu ermächtigen, die angeordnete Sicherheitsleistung anstelle des Beklagten durch Hinterlegung von Geld zu bewirken und den Beklagten zur Leistung eines Vorschusses von 16.000 Euro zu verurteilen. Zur Begründung verweise ich auf das anliegende Urteil, wonach der Beklagte zur Absicherung einer Rente von monatlich 96 Euro zur Sicherheitsleistung von 16.000 Euro verurteilt worden ist. Dieser Verpflichtung ist der Beklagte trotz Mahnung vom … bisher nicht nachgekommen. Der Vorschussanspruch folgt aus § 887 Abs. 2 ZPO. Zugleich wird wegen der Eilbedürftigkeit gem. § 891 ZPO iVm. § 128 Abs. 4 ZPO beantragt, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen und dem Beklagten eine Anhörungsfrist von nicht mehr als 3 Tagen einzuräumen. Nach Abschluss des Verfahrens bitte ich um Rückgabe des Urteils und um eine vollstreckbare Ausfertigung des beantragten Beschlusses nebst einer Bescheinigung der Zustellung. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; im Falle einer mündlichen Verhandlung entsteht die Terminsgebühr in gleicher Höhe (Nr. 3310 VV RVG); die Vollstreckung der Entscheidung zur Vorauszahlung der Kosten gilt als besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 12 RVG).
Giers
1009
Kap. 57 Rz. 18
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
M 57.4
ZPO
18 Der Schuldner kann dann immer noch die Sicherheit auf der gesetzlichen Grundlage leisten, wie er es möchte. 4. Titel auf Mängelbeseitigung
19 Auf der Grundlage des § 635 BGB, aber auch aus Nachbarschaftsstreitigkeiten usw. kommt es zu Urteilen, durch die der unterliegende Teil zur Beseitigung bestimmter Mängel verurteilt wird. Dasselbe gilt, wenn der Käufer einer mangelhafte Sache als Nacherfüllung die Beseitigung des Mangels wählt (§ 439 Abs. 1 BGB). Nicht selten begegnet man solchen Urteilen auch in der Gestalt, dass der Schuldner genau bezeichnete Handlungen vorzunehmen, etwa einen Keller trocken zu legen hat. Auch hier handelt es sich um vertretbare Handlungen, weil diese Maßnahmen von einem sachkundigen Dritten vorgenommen werden können. Die Vollstreckung richtet sich wiederum nach § 887 ZPO. Wegen der Kosten der Ersatzvornahme sollte ein Kostenvoranschlag oder ein Sachverständigengutachten eingeholt und mit dem Antrag nach § 887 ZPO eingereicht werden.
20 K
Wichtig: Bei der Vollstreckung von Titeln auf Mängelbeseitigung entsteht häufig Streit darüber, ob der Schuldner die geschuldete Leistung bereits – fachgerecht – erbracht hat. Der Erfüllungseinwand des Schuldners ist im Verfahren nach § 887 ZPO zulässig und vom Gericht zu prüfen (BGH MDR 2005, 351 = NJW 2005, 367).
21 M 57.4 Antrag auf Vollstreckung wegen Mängelbeseitigung (§ 887 ZPO) An das Amtsgericht … In Sachen … / … Az. … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Amtsgerichts vom … und beantrage namens des von mir vertretenen Gläubigers (Klägers), ihn zu ermächtigen, an Stelle und auf Kosten des Beklagten die Zylinderkopfdichtung des Kraftfahrzeugs … (genaue Bezeichnung) fachgerecht erneuern zu lassen, und den Beklagten zur Zahlung eines Vorschusses von 1.200 Euro zu verurteilen. Nach dem anliegenden Urteil ist der Beklagte verpflichtet, die defekte Zylinderkopfdichtung des dem Kläger verkauften Kraftfahrzeugs fachgerecht erneuern zu lassen. Er ist mit dem in Kopie beigefügten Schreiben vom … aufgefordert worden, dieser Verpflichtung bis zum … nachzukommen. Da der Beklagte darauf nicht reagiert hat, ist der Kläger gem. § 887 Abs. 1 ZPO zu ermächtigen, auf Kosten des Beklagten die Reparatur vornehmen zu lassen. Der Vorschussanspruch folgt aus § 887 Abs. 2 ZPO (wegen der Höhe der voraussichtlichen Kosten wird auf den Kostenvoranschlag des Kraftfahrzeugmeisters …, der beigefügt ist, verwiesen. Bei der Bemessung des Vorschusses sind die Kosten dieses Kostenvoranschlags mit berücksichtigt, weil sie als Kosten der Zwangsvollstreckung anzusehen sind. Zugleich wird gem. § 891 ZPO iVm. § 128 Abs. 4 ZPO beantragt, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen und dem Beklagten eine Anhörungsfrist von nicht mehr als 10 Tagen einzuräumen. Nach Abschluss des Verfahrens bitte ich um Rückgabe des Urteils und um eine vollstreckbare Ausfertigung des beantragten Beschlusses nebst einer Bescheinigung der Zustellung. Kosten: s. Anm. zu M 57.3.
1010
Giers
M 57.5
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
Rz. 30 Kap. 57
ZPO
III. Unvertretbare Handlungen 1. Antrag Zwangsgeld, Zwangshaft Kann die Handlung nur vom Schuldner und nicht von einem Dritten vorgenommen werden, so 22 muss gegen den Schuldner der sog. Beugezwang (§ 888 ZPO) verhängt werden. Das gilt auch dann, wenn die Handlung als solche eine vertretbare ist, sie jedoch wegen besonderer Umstände nur durch den Schuldner vorgenommen werden kann, zB weil zum Betreten eines befriedeten Besitztums die Zustimmung eines Dritten erforderlich ist und er sie – mit anerkennenswerten Gründen – nur dem Schuldner erteilt (vgl. hierzu Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 2). Die Vollstreckung richtet sich nach § 888 Abs. 1 ZPO. In Betracht kommende Fälle sind bei Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 3 aufgeführt.
K
Praxistipp: Auch den Anträgen nach § 888 ZPO ist eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels 23 nebst Zustellungsnachweis beizufügen (s. Rz. 7). Ferner sollte wie bei den Anträgen nach § 887 ZPO (s. Rz. 6) beantragt werden, eine vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses mit Zustellungsvermerk zu erteilen.
Zwischen Zwangsgeld und -haft hat das Gericht die Wahl, nicht der Gläubiger oder gar der Schuldner (Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 8). Auch hier ist das Prozessgericht des ersten Rechtszuges, in Familiensachen das Familiengericht, das zuständige Vollstreckungsorgan.
24
Einer vorherigen Androhung bedarf es nicht, § 888 Abs. 2 ZPO.
25
Für Zwangsgeld beträgt die Höhe mindestens 5 Euro (Art. 6 Abs. 1 EGStGB) und höchstens 25.000 Euro. Die Ersatzhaft wird entsprechend festgesetzt. Sie darf im Einzelfall 6 Monate nicht übersteigen (§§ 888 Abs. 1 Satz 3, 913 ZPO).
26
K
Wichtig: In dem Antrag sollte die Höhe des Zwangsgeldes nicht beziffert werden. Denn nach der 27 Rechtsprechung des BGH zu § 890 ZPO trägt der Gläubiger einen entsprechenden Teil der Kosten, wenn das Gericht das Ordnungsgeld niedriger als beantragt festsetzt (BGH NJW 2015, 1829 = MDR 2015, 674). Entsprechendes dürfte für das Zwangsgeld gelten.
Die Zwangshaft wird in unbestimmter Höhe festgesetzt. Sie ist nach § 802j Abs. 1 Satz 2 ZPO von 28 Amts wegen abzubrechen, wenn der Zeitraum von 6 Monaten erreicht worden ist. Da dann eine Sperre von 2 Jahren einer erneuten Zwangshaft entgegensteht (§ 802j Abs. 3 ZPO), sollte – sofern der Schuldner voraussichtlich zahlungsfähig ist – das Zwangsgeld beantragt werden, weil es wiederholt festgesetzt werden kann. Der Antrag auf Festsetzung von Zwangsgeld richtet sich nach dem folgenden Muster.
29
M 57.5 Antrag auf Festsetzung von Zwangsgeld
30
An das Landgericht … In Sachen … / … … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Amtsgerichts vom … und beantrage namens der Klägerin (Gläubigerin), gegen den Schuldner (Beklagten) ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, festzusetzen, um ihn zur Erteilung der im Titel näher bezeichneten Auskunft anzuhalten.
Giers
1011
ZPO
Kap. 57 Rz. 31
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
M 57.5
Der Schuldner ist durch das anliegende Urteil zur Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses der Erblassers … verurteilt worden. Mehrfache Aufforderungen, dem Urteil nach zu kommen, blieben erfolglos. Die Verhängung eines Zwangsgeldes, ersatzweise Zwangshaft ist daher geboten. Einer vorherigen Androhung bedarf es nicht, § 888 Abs. 2 ZPO. Ferner wird beantragt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und dem Schuldner eine Frist zur Stellungnahme von nicht mehr als 10 Tagen zu setzen. Nach Abschluss des Verfahrens bitte ich um Rückgabe des Urteils und um eine vollstreckbare Ausfertigung des beantragten Beschlusses nebst einer Bescheinigung der Zustellung. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 1602 KV FamGKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
31 Dem Antrag sind die darin genannten Urkunden beizufügen. Der Beschluss ist nach überwiegend vertretener Ansicht mit der Vollstreckungsklausel zu versehen (Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 13 mwN).
32 K
Wichtig: Ein Urteil, das dem Beklagten aufgibt, seine Auskunft auf eine bestimmte, genau bezeichnete Art und Weise zu belegen, kann nicht nach § 888 ZPO vollstreckt werden, wenn der Beleg nicht vorliegt und auch nicht erstellt werden muss. Dies gilt zB wenn einem Beklagten, der nicht bilanzierungspflichtig ist, aufgegeben wird, eine Bilanz vorzulegen (BGH MDR 2007, 1259).
2. Durchsetzung Zwangsgeld, Zwangshaft a) Zwangsgeld
33 Entgegen dem klaren Wortlaut von § 1 Abs. 1 Nr. 3 JBeitrO geht die hM davon aus, dass gem. § 888 ZPO verhängte Zwangsgelder nicht nach der JBeitrO, sondern auf Antrag des Gläubigers zugunsten der Staatskasse gem. §§ 803 ff. ZPO zu vollstrecken sind (BGH NJW 1983, 1859 = MDR 1983, 739; OLG Stuttgart FamRZ 1997, 1495; Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 13; aA Nk-Kostenrecht/Giers § 1 JBeitrO Rz. 6 mwN). Der Gläubiger muss also den Gerichtsvollzieher mit der Vollstreckung des Zwangsgeldes beauftragen, welcher es aber bei der Landeskasse abliefert (Zöller/Seibel § 888 ZPO Rz. 13). Die damit verbundenen Kosten fallen dem Schuldner als Kosten der Zwangsvollstreckung zur Last. Der Gerichtsvollzieher wird wie bei der Vollstreckung einer Geldforderung des Gläubigers mit dem Formular für den Vollstreckungsauftrag (s. M 47.1) beauftragt. b) Zwangshaft
34 Hier muss der Gerichtsvollzieher unter Übersendung des anordnenden Beschlusses den Schuldner verhaften und ihn in die nächste JVA einliefern. Der Verhaftungsauftrag wird mithilfe des Formulars für den Vollstreckungsauftrag (Muster M 47.1) erteilt. 3. Eidesstattliche Versicherung
35 Ist der Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgrund bürgerlich-rechtlicher Vorschrift verpflichtet, richtet sich die Zwangsvollstreckung nach § 889 ZPO. Entsprechenden Titeln liegen durchweg bürgerlich-rechtliche Ansprüche auf Auskunft, insbesondere in familien- und erbrechtlichen Streitigkeiten, zugrunde. Der Antrag lautet auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit von (erteilten) Auskünften (Verzeichnissen). Wenn der Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht erscheint oder die Abgabe verweigert, verfährt das Vollstreckungsgericht nach § 888 ZPO. Ist der Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über die Richtigkeit (und Vollständigkeit) verurteilt worden, und gibt er sie nicht freiwillig ab, so stellt der Gläubiger folgenden Antrag: 1012
Giers
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
Rz. 39 Kap. 57
M 57.6 Antrag auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung (Auskunftstitel)
36
An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … Antrag auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung In Sachen … / … (Langrubrum) übersende ich die vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengerichts – … vom … Az.: …, wonach der Schuldner die Richtigkeit und Vollständigkeit der von ihm im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom … erteilten Auskünfte über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse an Eides statt zu versichern hat. Er hat diese Versicherung nicht freiwillig abgegeben. Namens des von mir vertretenen Gläubigers beantrage ich daher, den Schuldner gem. § 889 ZPO zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu laden. Im Falle der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bitte ich, mir eine Abschrift des Protokolls zu erteilen. Sollte der Schuldner nicht zum Termin kommen oder die Versicherung grundlos verweigern, werden die Anträge nach §§ 889 Abs. 2, 888 ZPO gestellt. Kosten: Gericht: 35 Euro nach Nr. 2114 KV GKG; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
Wenn das Vollstreckungsgericht dem zuletzt gestellten Antrag nicht entsprechen sollte, müsste er entsprechend M 57.5 formuliert werden.
37
IV. Unterlassen, Dulden 1. Zuständigkeit Die Vollstreckung richtet sich in beiden Fällen nach § 890 ZPO. Enthält die Verurteilung zu einer Dul- 38 dung zugleich die vollstreckbare Verpflichtung zu einem positiven Tun, zB die Verurteilung, Reparaturarbeiten zu dulden oder die Verpflichtung, die Handwerker einzulassen, erfolgt die Vollstreckung einheitlich nach § 890 ZPO (BGH MDR 2007, 859). Vollstreckungsorgan ist (zunächst) das Prozessgericht. Immer muss hier – anders als in den vorstehenden Fallgruppen – die Androhung der Festsetzung eines Ordnungsgeldes vorausgehen. Sie kann aber schon im Hauptsacheurteil ausgesprochen werden (§ 890 Abs. 2 ZPO). Ohne Androhung eines Ordnungsgeldes kommen in der Praxis vor allem Vergleiche in Betracht, weil sie derartige Androhungen nicht enthalten dürfen (BGH MDR 2012, 1060). 2. Androhung Ordnungsgeld, Ordnungshaft Ordnungsgeld kann von 5 Euro (Art. 6 Abs. 1 EGStGB) bis zur Höhe von 250.000 Euro, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten verhängt werden, und zwar auch wiederholt. Mehrere Einzelakte, mit denen ein Schuldner gegen ein tituliertes Unterlassungsgebot verstößt, können nicht als fortgesetzte Handlung zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden (BGH MDR 2009, 468 = NJW 2009, 921). Ordnungshaft kann entweder für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit des Ordnungsgeldes ersatzweise oder auch unmittelbar angedroht werden. Wenn die Androhung noch nicht mit dem Titel erfolgt ist, insbesondere bei Vergleichen (s. Rz. 38), muss diese gesondert beantragt werden.
Giers
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39
ZPO
M 57.6
ZPO
Kap. 57 Rz. 40
Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
M 57.7
40 M 57.7 Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln An das Amtsgericht … In Sachen … / … Az. … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene vollstreckbare Ausfertigung des am … dort geschlossenen Vergleichs mit dem Antrag, dem Schuldner für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen. Der Schuldner ist nach dem beigefügten Vergleich verpflichtet, die Benutzung des über sein Grundstück führenden, im Vergleich genau bezeichneten Weges durch den Kläger auch mit dessen Kraftfahrzeug zu dulden. Die Androhung setzt eine Zuwiderhandlung nicht voraus (Thomas/Putzo/Seiler § 890 ZPO Rz. 19). Nach Abschluss des Verfahrens bitte ich um Rückgabe der Anlagen und um eine vollstreckbare Ausfertigung des beantragten Beschlusses nebst einer Bescheinigung der Zustellung. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2111 KV GKG; für die anschließende Verurteilung entsteht keine besondere Gebühr (Anm. zu Nr. 2111 Satz 2 KV GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; Gegenstandswert: Wert, den die Handlung für den Gläubiger hat (§ 25 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
41 Dem Antrag sind die darin genannten Urkunden beizufügen. 3. Festsetzung Ordnungsgeld, Ordnungshaft
42 Ist Ordnungsgeld oder Ordnungshaft angedroht worden, dann bedarf es der gerichtlichen Festsetzung der Höhe.
43 K
Wichtig: Der Antrag sollte wie derjenige auf Verhängung von Zwangsgeld nicht beziffert werden (s. Rz. 27).
44 M 57.8 Antrag auf Festsetzung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft An das Amtsgericht … In Sachen … / … Az. … übersende ich den am … dort geschlossenen Vergleich und den Beschluss vom …, mit dem die Verhängung von Ordnungsmitteln angedroht wurde, mit dem Antrag, gegen den Schuldner (Beklagten) ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, und für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft festzusetzen. Der Schuldner ist nach dem beigefügten Vergleich verpflichtet, die Benutzung des über sein Grundstück führenden, im Vergleich genau bezeichneten Weges durch den Kläger auch mit dessen Kraftfahrzeug zu dulden. Dies hat er am … sowie am … und am … verhindert, indem er sein Kraftfahrzug Marke Audi Q 6, amtliches Kennzeichen …, direkt vor der Einfahrt des Weges parkte und auch auf die Aufforderung des Klägers hin nicht entfernte.
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Giers
Willenserklärung
Rz. 3 Kap. 58
Beweis: Zeugnis des ….
ZPO
Es müssen also das angedrohte Ordnungsgeld und die ebenfalls angedrohte Ersatzordnungsstrafe der Höhe nach festgesetzt werden. Ferner wird beantragt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und dem Schuldner eine Frist zur Stellungnahme von nicht mehr als 10 Tagen zu setzen. Kosten: Nach vorausgegangenem Antrag auf Androhung der Ordnungsmitteln keine weiteren Kosten.
Dem Antrag sind die darin genannten Urkunden beizufügen.
45
Die Ordnungsmittel werden von Amts wegen vollstreckt (Zöller/Seibel § 890 ZPO Rz. 22).
46
4. Sicherheitsleistung für künftigen Schaden Da die Ordnungsmaßnahmen bei wiederholten Verstößen auch wiederholt angeordnet werden können, hat der Gläubiger in Höhe seiner Kosten ein schützenswertes Interesse am Erfolg der erneuten Vollstreckung. Dem trägt § 890 Abs. 3 ZPO Rechnung. Obwohl es in dieser Vorschrift heißt: „verurteilt werden“, ergeht die Entscheidung durch Beschluss (§ 891 ZPO) des Prozessgerichts, und zwar immer erst im Vollstreckungsverfahren, weil sie mindestens einen beweisbaren Verstoß des Schuldners gegen die Unterlassungspflicht (oder die Vornahmeverpflichtung) voraussetzt (Zöller/Seibel § 890 ZPO Rz. 26).
47
Kapitel 58 Willenserklärung I. Eintritt der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . M 58.1 Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung auf Abgabe einer Willenserklärung bei Zug-um-Zug-Titel . . . . . . . . . .
1
II. Vorläufig vollstreckbarer Titel . . . . . . . . .
6
5
I. Eintritt der Rechtskraft Obwohl die Abgabe einer Willenserklärung eine unvertretbare Handlung ist, wird sie in der Zwangs- 1 vollstreckung nicht wie eine solche behandelt. Vielmehr wird ihre Abgabe mit Eintritt der Rechtskraft fingiert (§ 894 Abs. 1 ZPO). Nach § 705 ZPO tritt die Rechtskraft mit ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist ein. Das Rechtskraftzeugnis erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 706 Abs. 1 ZPO), und zwar auf der ihm vom Gläubiger eingereichten Urteilsausfertigung (s. hierzu auch Kap. 42 Rz. 5 ff.).
2
Diese Urteilsausfertigung ersetzt die vom Schuldner abzugebende Erklärung im Rechtsverkehr. Wegen der Vollstreckung vor Rechtskraft bezüglich der Kosten sowie durch Eintragung einer Vormerkung s. Rz. 6, 8.
3
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Willenserklärung
Rz. 3 Kap. 58
Beweis: Zeugnis des ….
ZPO
Es müssen also das angedrohte Ordnungsgeld und die ebenfalls angedrohte Ersatzordnungsstrafe der Höhe nach festgesetzt werden. Ferner wird beantragt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und dem Schuldner eine Frist zur Stellungnahme von nicht mehr als 10 Tagen zu setzen. Kosten: Nach vorausgegangenem Antrag auf Androhung der Ordnungsmitteln keine weiteren Kosten.
Dem Antrag sind die darin genannten Urkunden beizufügen.
45
Die Ordnungsmittel werden von Amts wegen vollstreckt (Zöller/Seibel § 890 ZPO Rz. 22).
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4. Sicherheitsleistung für künftigen Schaden Da die Ordnungsmaßnahmen bei wiederholten Verstößen auch wiederholt angeordnet werden können, hat der Gläubiger in Höhe seiner Kosten ein schützenswertes Interesse am Erfolg der erneuten Vollstreckung. Dem trägt § 890 Abs. 3 ZPO Rechnung. Obwohl es in dieser Vorschrift heißt: „verurteilt werden“, ergeht die Entscheidung durch Beschluss (§ 891 ZPO) des Prozessgerichts, und zwar immer erst im Vollstreckungsverfahren, weil sie mindestens einen beweisbaren Verstoß des Schuldners gegen die Unterlassungspflicht (oder die Vornahmeverpflichtung) voraussetzt (Zöller/Seibel § 890 ZPO Rz. 26).
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Kapitel 58 Willenserklärung I. Eintritt der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . M 58.1 Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung auf Abgabe einer Willenserklärung bei Zug-um-Zug-Titel . . . . . . . . . .
1
II. Vorläufig vollstreckbarer Titel . . . . . . . . .
6
5
I. Eintritt der Rechtskraft Obwohl die Abgabe einer Willenserklärung eine unvertretbare Handlung ist, wird sie in der Zwangs- 1 vollstreckung nicht wie eine solche behandelt. Vielmehr wird ihre Abgabe mit Eintritt der Rechtskraft fingiert (§ 894 Abs. 1 ZPO). Nach § 705 ZPO tritt die Rechtskraft mit ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist ein. Das Rechtskraftzeugnis erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 706 Abs. 1 ZPO), und zwar auf der ihm vom Gläubiger eingereichten Urteilsausfertigung (s. hierzu auch Kap. 42 Rz. 5 ff.).
2
Diese Urteilsausfertigung ersetzt die vom Schuldner abzugebende Erklärung im Rechtsverkehr. Wegen der Vollstreckung vor Rechtskraft bezüglich der Kosten sowie durch Eintragung einer Vormerkung s. Rz. 6, 8.
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Kap. 58 Rz. 4
Willenserklärung
M 58.1
ZPO
4 Ist die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung von einer vom Gläubiger zu erbringenden Gegenleistung abhängig gemacht worden, so kann die Abgabe der Erklärung des Schuldners nicht allein von dem Eintritt der Rechtskraft abhängig gemacht werden, weil sonst die Zug-um-Zug-Verurteilung ins Leere ginge. Dem tragen die §§ 894 Abs. 1 Satz 2, 726 Abs. 2 ZPO Rechnung. Die Willenserklärung gilt dann mit dem Eintritt der Rechtskraft und dem Nachweis als abgegeben, dass der Schuldner wegen der Gegenleistung befriedigt ist oder sich im Annahmeverzug befindet. Dieser Nachweis muss durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt werden (§ 726 Abs. 1 ZPO). Der Schuldner kann zudem vor Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung gehört werden (§ 730 ZPO).
5 M 58.1 Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung auf Abgabe einer
Willenserklärung bei Zug-um-Zug-Titel An das Landgericht … In Sachen … / … Az.: … überreiche ich die mit Zustellungsvermerk versehene Ausfertigung des am … verkündeten Urteils nebst dem als Anlage beigefügten notariell beurkundeten Nachweis über die Zahlung der Gegenleistung iHv. 50.000 Euro und beantrage die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung. Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bitte ich im Interesse der Beschleunigung, von der Anhörung des Schuldners gem. § 730 ZPO abzusehen. Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 RVG).
II. Vorläufig vollstreckbarer Titel 6 Bei Titeln, die auf Abgabe einer Willenserklärung lauten, darf der Anspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit nur den Kostenanspruch erfassen, es sei denn, dass aufgrund der Willenserklärung eine Eintragung in das Grundbuch, Schiffsregister oder Schiffsbauregister erfolgen soll (§ 895 sowie Zöller/Herget § 708 ZPO Rz. 13, dazu Rz. 8).
7 K
Praxistipp: Hat das Gericht den Urteilstenor so gefasst, dass der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit auch die Willenserklärung erfasst, die Sicherheitsleistung der Höhe nach also nicht an den Kosten, sondern am Streitwert bemessen, und liegt kein Fall des § 895 ZPO vor, sollte der Kläger im Rahmen eines Antrages gem. § 718 ZPO die Herabsetzung der Sicherheit begehren, wenn der Beklagte Berufung eingelegt hat, damit die Vollstreckung wegen der Kosten nicht von der Leistung einer zu hohen Sicherheit abhängig gemacht wird.
8 K
Wichtig: Soweit die Willenserklärung zu einer Eintragung im Grundbuch führen soll, ist § 895 ZPO zu beachten. Der vorläufig vollstreckbare Titel steht der Bewilligung einer Vormerkung oder eines Widerspruchs gleich (vgl. dazu Kap. 46 Rz. 42 f. und M 46.7).
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Giers
M 59.1
Klauselumschreibung
Rz. 3 Kap. 59
I. Notwendigkeit der Klausel . . . . . . . . . . . . II. Klarstellende Klausel, Antrag Gläubiger oder Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 59.1 Antrag auf Klauselberichtigung (klarstellende Klausel) . . . . . . . . . . III. Klausel gegen den Schuldner . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Umschreibung der Klausel gegen den Rechtsnachfolger des Schuldners . . a) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 59.2 Antrag auf Klauselumschreibung gegen den Erben . . . . . . . . c) Geschäftsübernahme, Verschmelzung . .
1 2 3 4 4 4 7 8 10
ZPO
Kapitel 59 Klauselumschreibung M 59.3 Antrag auf Klauselumschreibung bei Firmenfortführung . . . M 59.4 Antrag auf Klauselumschreibung bei Verschmelzung . . . . . . d) Weitere Fälle der Klauselumschreibung gegen den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwerb der streitbefangenen Sache . . . . . . . M 59.5 Antrag auf Klauselumschreibung gegen Erwerber der streitbefangenen Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Klausel für den Gläubiger . . . . . . . . . . . . M 59.6 Antrag auf Klauselumschreibung für Rechtsnachfolger des Gläubigers . . .
11 13 14 17 18 19 20
I. Notwendigkeit der Klausel Vollstreckungsbescheide, Arrestbefehle und einstweilige Verfügungen bedürfen nur dann einer Klausel, wenn die Zwangsvollstreckung für einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger oder gegen einen anderen als den ursprünglichen Schuldner erfolgen soll. Urteile bedürfen stets (§ 724 Abs. 1 ZPO) einer Klausel. Im Falle des Parteiwechsels sind – wie in Satz 1 ausgeführt – alle Titel umzuschreiben. Einen Sonderfall der Klauselerteilung bildet schließlich die Klausel bei bedingter Leistung (§ 726 Abs. 1 ZPO, dazu Kap. 61 Rz. 1).
1
II. Klarstellende Klausel, Antrag Gläubiger oder Schuldner Vom Parteiwechsel zu unterscheiden ist die Änderung des Namens einer Partei infolge Eheschließung usw. und die Änderung eines gesetzlichen Vertreters einer Partei, zB des Geschäftsführers einer GmbH. In all diesen Fällen steht dem Gläubiger in der Zwangsvollstreckung für den Beweis des Eintritts der Änderung der Freibeweis offen. Immer aber ist zu empfehlen, auf die Aufnahme einer klarstellenden Klausel hinzuwirken.
2
M 59.1 Antrag auf Klauselberichtigung (klarstellende Klausel)
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An das Amtsgericht/Landgericht … Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom … sowie 1. Alternative: eine Heiratsurkunde des Gläubigers/Schuldners 2. Alternative: den Auszug aus dem Handelsregister des Amtsgerichts … vom … betreffend die Firma des Gläubigers/ Schuldners
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Kap. 59 Rz. 4
Klauselumschreibung
M 59.1
ZPO
und beantrage namens des von mir vertretenen Gläubigers, im Wege der klarstellenden Klausel die Namensänderung (oder) den neuen gesetzlichen Vertreter in der Urteilsausfertigung zu vermerken. Angesichts der klaren Rechts- und Sachlage bedarf es der vorherigen Anhörung der gegnerischen Partei nicht. Kosten: Für die Klauselberichtigung fallen keine Kosten an.
III. Klausel gegen den Schuldner 1. Antrag auf Umschreibung der Klausel gegen den Rechtsnachfolger des Schuldners a) Verfahren
4 Wenn aufseiten des Schuldners ein Wechsel (zB durch Rechtsnachfolge) stattgefunden hat, so darf die Zwangsvollstreckung nur betrieben werden, wenn der neue Schuldner in einer neuen Klausel ausgewiesen ist. Ohne diesen formellen Nachweis ist die Vollstreckung gegen den neuen Schuldner nicht zulässig.
5 § 727 Abs. 1 ZPO lässt die Umschreibung der Klausel gegen den Rechtsnachfolger des Schuldners zu. Häufigster Fall der Rechtsnachfolge ist der Erbfall (s. dazu Rz. 7). Zuständig für die Umschreibung ist das Prozessgericht (§ 724 Abs. 2 ZPO), und zwar der Rechtspfleger (§ 20 Nr. 12 RPflG). Der Nachweis der Rechtsnachfolge ist durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde zu führen, sofern die Rechtsnachfolge nicht bei dem Gericht offenkundig ist, zB durch die dort geführten Nachlassakten. Die Rechtsnachfolgeklausel ist gem. § 750 Abs. 2 ZPO spätestens mit Beginn der Zwangsvollstreckung zuzustellen. Die Sicherungsvollstreckung darf erst 2 Wochen nach Zustellung dieser Klausel begonnen werden, § 750 Abs. 3 ZPO (Kap. 46 Rz. 2 ff.). Wird der Nachweis der Rechtsnachfolge durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde geführt, so ist diese Urkunde ebenfalls zuzustellen.
6 K
Wichtig: Bei der Zustellung der Urkunde, die der Rechtsnachfolgeklausel zugrunde liegt, ist genau darauf zu achten, ob dem Rechtspfleger bei der Erteilung das Original oder eine beglaubigte Abschrift vorlag. Lag nur eine beglaubigte Abschrift vor, so wird dies in der Klausel vermerkt. Andernfalls ist davon auszugehen, dass der Klausel das Original der Urkunde zugrunde liegt. Es ist dann zwecks Zustellung auch das Original bei dem Gerichtsvollzieher einzureichen (LG Saarbrücken DGVZ 2004, 93).
b) Erbfall
7 Unbeschadet des Rechts des Gläubigers, eine gegen den Erblasser begonnene Zwangsvollstreckung fortzusetzen (dazu Kap. 45 Rz. 32 f.), bedarf es schon zur Erleichterung evtl. weiterer Vollstreckungsmaßnahmen der Klauselumschreibung gegen den Erben, sobald er bekannt und nachweisbar ist. Der Nachweis der Rechtsnachfolge selbst ist durch Erbschein zu führen (§ 727 Abs. 1 ZPO). Wird dann die Klausel aufgrund des Erbscheins erteilt, muss nicht nur sie, sondern auch der Erbschein nach § 750 Abs. 2 ZPO dem Schuldner vor Beginn der Zwangsvollstreckung zugestellt werden. Hat das Gericht, von dem der Erbschein ausgestellt worden ist, die Klausel umzuschreiben, so ist die Erbfolge gerichtsbekannt (§ 291 ZPO) und bedarf daher keines Nachweises durch Urkunden (s. Rz. 5).
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Klauselumschreibung
Rz. 10 Kap. 59
M 59.2 Antrag auf Klauselumschreibung gegen den Erben
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An das Amtsgericht/Landgericht … Az.: … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom … und den Erbschein des Amtsgerichts … – Az. … – vom … und beantrage namens des von mir vertretenen Gläubigers die Klausel gegen den Erben des im Urteil aufgeführten Schuldners … umzuschreiben und mir alsbald eine Ausfertigung mit der neuen Klausel zuzusenden. Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bedarf es einer vorherigen Anhörung des Erben, des neuen Schuldners, nicht (§ 730 ZPO). Alternative, wenn das Prozessgericht auch den Erbschein ausgestellt hat: … überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom …. Ich weise darauf hin, dass von Ihrem Gericht am … zu dem Az. … ein Erbschein erteilt worden ist, wonach der Schuldner … von … beerbt worden ist. Dieser Umstand dürfte damit gerichtsbekannt sein. Ich beantrage namens des von mir vertretenen Gläubigers … Kosten: Gericht: Gebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, die Erteilung der Rechtsnachfolgeklausel gehört jedoch zum Vollstreckungsrechtszug (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG), weil es sich nicht um die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung handelt.
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Wichtig: Die Klauselumschreibung kommt zunächst in Betracht, wenn der Erbfall nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter eingetreten ist. Stirbt die Partei während des Prozesses, unterbricht dies das Verfahren (§ 239 ZPO, vgl. Kap. 31); der Prozess ist vom Rechtsnachfolger aufzunehmen (§ 250 ZPO).
9
c) Geschäftsübernahme, Verschmelzung § 729 Abs. 2 ZPO eröffnet dem Gläubiger eines Firmeninhabers die Möglichkeit der Titelumschrei- 10 bung durch Nachweis der Übernahme des Geschäfts nebst Firma auf einen Nachfolger. Diese aus § 25 HGB abgeleitete Rechtsfolge gilt allerdings nur für Kaufleute iS des HGB (was zur Folge hat, dass nur selten derartige Umschreibungsanträge gestellt werden). Die Haftung des bisherigen Firmeninhabers bleibt in aller Regel bestehen. Ein mit dem früheren Firmeninhaber vereinbarter Haftungsausschluss wirkt nur allgemein, wenn er im Handelsregister eingetragen ist (§ 25 Abs. 2 HGB). Beim Antrag an den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Prozessgerichts (Rechtspfleger) ist der Nachweis der Geschäftsübernahme durch einen Handelsregisterauszug zu führen (Zöller/Seibel § 729 ZPO Rz. 9), wobei es dem Gläubiger wieder zugutekommt, wenn er sich auf das Handelsregister des Prozessgerichts berufen kann (s. Rz. 5, offenkundige Tatsache).
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ZPO
M 59.2
ZPO
Kap. 59 Rz. 11
Klauselumschreibung
M 59.3
11 M 59.3 Antrag auf Klauselumschreibung bei Firmenfortführung An das Amtsgericht/Landgericht … Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom … und einen Auszug des Handelsregisters beim Amtsgericht … – Az. … – vom … Danach hat der Kaufmann … X das Handelsgeschäft des Beklagten B nebst seiner Firma … F übernommen. Ich beantrage gem. § 729 Abs. 2 ZPO namens des von mir vertretenen …, die Klausel a) gegen … X persönlich als neuen Inhaber der Firma … F und b) gegen die alte Firma … F mit dem neuen Inhaber … X, jeweils anstelle des im Urteil aufgeführten Schuldners B umzuschreiben und mir alsbald eine 2. Ausfertigung mit der neuen Klausel zuzusenden. Ferner wird gebeten, die alte, beigefügte Urteilsausfertigung unverändert zurückzugeben, damit dem Gläubiger die Vollstreckungsmöglichkeit gegen den alten Schuldner B erhalten bleibt. Alternative: Auf die dort geführten Registerakten – gerichtskundige Tatsache – wird Bezug genommen. Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bedarf es einer vorherigen Anhörung des … X nicht (§ 730 ZPO). Kosten: Gericht: Gebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); für den Anwalt entsteht die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG gesondert, weil eine 2. vollstreckbare Ausfertigung beantragt wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 RVG).
12 Ebenso liegt es bei Verschmelzungen von Unternehmen des Handelsrechts, bei denen eines (oder alle) ihre Rechtsfähigkeit verloren haben.
13 M 59.4 Antrag auf Klauselumschreibung bei Verschmelzung An das Amtsgericht/Landgericht … Az.: … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom … und einen Auszug des Handelsregisters beim Amtsgericht … – Az. … – vom … Danach hat eine Verschmelzung der beklagten Firma B mit der Firma X in der Weise stattgefunden, dass die Firma X den Betrieb der B mit allen Aktiva und Passiva übernommen hat. Ich beantrage namens des von mir vertretenen …, die Klausel gegen die Firma X als Rechtsnachfolger der im Urteil aufgeführten Schuldnerin B umzuschreiben und mir alsbald eine Ausfertigung mit der neuen Klausel zuzusenden.
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Giers
M 59.5
Klauselumschreibung
Rz. 18 Kap. 59
ZPO
Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bedarf es einer vorherigen Anhörung der neuen Schuldnerin nicht (§ 730 ZPO). Kosten: Gericht: Gebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, die Erteilung der Rechtsnachfolgeklausel gehört jedoch zum Vollstreckungsrechtszug (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG), weil es sich nicht um die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung handelt.
d) Weitere Fälle der Klauselumschreibung gegen den Schuldner § 727 Abs. 1 ZPO gilt entsprechend, wenn Testamentsvollstreckung angeordnet ist (§ 749 ZPO) oder Fälle der Rechtsnachfolge iSv. §§ 326 f. ZPO (Vor- und Nacherbschaft) vorliegen (§ 728 ZPO).
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§ 727 Abs. 1 ZPO ist ferner anzuwenden, wenn der Schuldner nach Rechtshängigkeit den Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbart hat und das Gesamtgut nicht oder nicht allein verwaltet (§ 742 ZPO).
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Dasselbe gilt bei Beendigung der Gütergemeinschaft nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsstreits, den der allein verwaltende Ehegatte geführt hat (§ 744 ZPO).
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2. Erwerb der streitbefangenen Sache Hat ein Dritter die streitbefangene Sache während eines laufenden Rechtsstreits erworben, so kann der Kläger nach Eintritt der Rechtskraft die Umschreibung des Urteils gegen den Dritten gem. § 727 Abs. 1 ZPO herbeiführen. Voraussetzung ist stets, dass die Tatbestandsmerkmale des § 325 Abs. 1 ZPO verwirklicht worden sind, insbesondere kein Gutglaubenserwerb vorliegt.
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M 59.5 Antrag auf Klauselumschreibung gegen Erwerber der streitbefangenen
18
Sache An das Amtsgericht/Landgericht … Az.: … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des mit Rechtskraftzeugnis versehenen Urteils vom …. Im Tatbestand des Urteils ist festgestellt, dass der Beklagte B während des Rechtsstreits das streitbefangene Grundstück an S veräußert hat; S ist inzwischen, wie aus dem beigefügten Grundbuchauszug ersichtlich, als neuer Eigentümer eingetragen. Damit ist er Rechtsnachfolger des B iSv. § 325 ZPO geworden, so dass das Urteil gem. § 727 Abs. 1 ZPO gegen ihn umgeschrieben werden kann. Der von mir vertretene Kläger, nunmehr Gläubiger, verlangt die ihm nach dem vorbezeichneten Urteil zustehende Überbaurente nunmehr von dem S. Es wird daher beantragt, die Klausel gegen S als Rechtsnachfolger des im Urteil aufgeführten Schuldners B umzuschreiben und mir alsbald eine Ausfertigung mit der neuen Klausel zuzusenden. Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bedarf es einer vorherigen Anhörung des S, des neuen Schuldners, nicht (§ 730 ZPO), zumal dieser ausweislich des Urteils im Prozess dem B als Nebenintervenient beigetreten war. Kosten: s. Anm. zu M 59.4.
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Kap. 59 Rz. 19
Klauselumschreibung
M 59.6
ZPO
IV. Klausel für den Gläubiger 19 Ist aufseiten des Gläubigers eine Rechtsnachfolge eingetreten, so bedarf es stets der Umschreibung des Titels auf den neuen Gläubiger. Das gilt auch bei Gesamtrechtsnachfolge (BGH MDR 2007, 797). Hier sind die im vorigen Abschnitt aufgetretenen Probleme schon deshalb wesentlich reduziert, weil der Gläubiger ohne Zustimmung des Schuldners auch eine titulierte Forderung abtreten darf und der Gläubiger es durchweg leicht ermöglichen kann, seine Rechtsnachfolge in gehöriger Form (§ 727 Abs. 1 ZPO) nachzuweisen.
20 M 59.6 Antrag auf Klauselumschreibung für Rechtsnachfolger des Gläubigers An das Amtsgericht/Landgericht … Az.: … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom …. Im Rubrum des Urteils ist K als Kläger aufgeführt. Ausweislich (verschiedene Alternativen, zB) a) der beigefügten von dem Notar … in … beglaubigten Abtretungserklärung vom … b) des beigefügten Erbscheins des Amtsgerichts … vom … c) des beigefügten Handelsregisterauszugs des Amtsgerichts … vom … ist der von mir vertretene G als Rechtsnachfolger des K neuer Gläubiger des im Urteil enthaltenen Anspruchs geworden. Es wird daher beantragt, die Klausel auf den von mir vertretenen G als Rechtsnachfolger des im Urteil aufgeführten Klägers K umzuschreiben und mir alsbald eine Ausfertigung mit der neuen Klausel zuzusenden. Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bedarf es einer vorherigen Anhörung des B, des von der Rechtsnachfolge unverändert gebliebenen Schuldners, nicht (§ 730 ZPO). Kosten: s. Anm. zu M 59.4.
Kapitel 60 Klauselerinnerung und Klauselklagen I. Rechtsbehelfe im Klauselverfahren . . . . . . II. Klauselerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 60.1 Klauselerinnerung . . . . . . . . . . . . . III. Klage gegen Erteilung der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erteilung gegen den neuen Schuldner . . . . . M 60.2 Klage gegen Erteilung der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Erteilung für den neuen Gläubiger . . . . . . . 3. Abgrenzung zur Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Befristete Erinnerung/sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 60.3 Sofortige Beschwerde gegen Ablehnung der Klauselerteilung . . . . . . . V. Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kap. 59 Rz. 19
Klauselumschreibung
M 59.6
ZPO
IV. Klausel für den Gläubiger 19 Ist aufseiten des Gläubigers eine Rechtsnachfolge eingetreten, so bedarf es stets der Umschreibung des Titels auf den neuen Gläubiger. Das gilt auch bei Gesamtrechtsnachfolge (BGH MDR 2007, 797). Hier sind die im vorigen Abschnitt aufgetretenen Probleme schon deshalb wesentlich reduziert, weil der Gläubiger ohne Zustimmung des Schuldners auch eine titulierte Forderung abtreten darf und der Gläubiger es durchweg leicht ermöglichen kann, seine Rechtsnachfolge in gehöriger Form (§ 727 Abs. 1 ZPO) nachzuweisen.
20 M 59.6 Antrag auf Klauselumschreibung für Rechtsnachfolger des Gläubigers An das Amtsgericht/Landgericht … Az.: … In Sachen … / … (Langrubrum) überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom …. Im Rubrum des Urteils ist K als Kläger aufgeführt. Ausweislich (verschiedene Alternativen, zB) a) der beigefügten von dem Notar … in … beglaubigten Abtretungserklärung vom … b) des beigefügten Erbscheins des Amtsgerichts … vom … c) des beigefügten Handelsregisterauszugs des Amtsgerichts … vom … ist der von mir vertretene G als Rechtsnachfolger des K neuer Gläubiger des im Urteil enthaltenen Anspruchs geworden. Es wird daher beantragt, die Klausel auf den von mir vertretenen G als Rechtsnachfolger des im Urteil aufgeführten Klägers K umzuschreiben und mir alsbald eine Ausfertigung mit der neuen Klausel zuzusenden. Angesichts der klaren Sach- und Rechtslage bedarf es einer vorherigen Anhörung des B, des von der Rechtsnachfolge unverändert gebliebenen Schuldners, nicht (§ 730 ZPO). Kosten: s. Anm. zu M 59.4.
Kapitel 60 Klauselerinnerung und Klauselklagen I. Rechtsbehelfe im Klauselverfahren . . . . . . II. Klauselerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 60.1 Klauselerinnerung . . . . . . . . . . . . . III. Klage gegen Erteilung der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erteilung gegen den neuen Schuldner . . . . . M 60.2 Klage gegen Erteilung der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Erteilung für den neuen Gläubiger . . . . . . . 3. Abgrenzung zur Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Befristete Erinnerung/sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 60.3 Sofortige Beschwerde gegen Ablehnung der Klauselerteilung . . . . . . . V. Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 8 9 10 11
M 60.1
Klauselerinnerung und Klauselklagen
M 60.4 Klage auf Erteilung der Klausel gegen anderen Schuldner . . . . . . . . . .
M 60.5 Klage auf Erteilung der Klausel für Rechtsnachfolger des Gläubigers . .
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ZPO
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Rz. 3 Kap. 60
I. Rechtsbehelfe im Klauselverfahren Da das Klauselverfahren einen eigenständigen Abschnitt zwischen Erkenntnisverfahren und Vollstre- 1 ckung darstellt, sind besondere Rechtsbehelfe gegeben. Der Schuldner kann gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel bei förmlichen Einwendungen mit der Klauselerinnerung, § 732 ZPO, und bei sachlichen Einwendungen mit der Klage gegen die Erteilung der Klausel, § 768 ZPO, vorgehen. Der Gläubiger muss gegen die einen Antrag auf Klauselerteilung ablehnende Entscheidung befristete Erinnerung nach § 573 ZPO einlegen, gegen eine entsprechende Entscheidung des Rechtspflegers sofortige Beschwerde, § 567 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG. Kann der für die Erteilung der Klausel erforderliche urkundliche Nachweis gem. §§ 726 ff. ZPO nicht geführt werden, ist die Klauselklage nach § 731 ZPO eröffnet.
II. Klauselerinnerung Mit der Klauselerinnerung, § 732 ZPO, können formelle Fehler bei der Klauselerteilung beanstandet werden (Zöller/Seibel § 732 ZPO Rz. 5), nicht dagegen zB der Verstoß einer Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gegen § 307 BGB (BGH MDR 2009, 890 = NJW 2009, 1887). Im Erinnerungsverfahren kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung durch einstweilige Anordnung in Betracht.
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M 60.1 Klauselerinnerung
3
An das Amtsgericht … Az. … In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum) lege ich gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel für den Gläubiger G Klauselerinnerung ein und beantrage, 1. die Zwangsvollstreckung aus der am … dem Gläubiger G erteilten Vollstreckungsklausel für unzulässig zu erklären, 2. die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom … durch den Gläubiger G bis zur Entscheidung über die Erinnerung im Wege der einstweiligen Anordnung einzustellen. Begründung: Der Kläger ist nach Rechtskraft des Urteils verstorben. G ließ die Klausel unter Vorlage des Erbscheins, dessen Einziehung der Schuldner mittlerweile beantragt hat, auf sich umschreiben. Die Klauselumschreibung ist durch einen Beamten des mittleren Dienstes erfolgt. Zuständig ist jedoch der Rechtspfleger, § 20 Nr. 12 RPflG. Erteilt das unzuständige Organ die Klausel, so ist die Klauselerinnerung zulässig und begründet (BGH v. 12.1.2012 – VII ZB 71/09, MDR 2012, 367). Die Zwangsvollstreckung aus der Vollstreckungsklausel ist daher für unzulässig zu erklären. Da G bereits einen Vollstreckungsauftrag erteilt hat, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung des G geboten. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, das Verfahren ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 4 RVG), für das Verfahren über die einstweilige Anordnung auf Einstellung der Zwangsvollstreckung erhält der Rechtsanwalt keine besondere Gebühr (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG, vgl. Zöller/Seibel § 732 ZPO Rz. 18).
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Kap. 60 Rz. 4
Klauselerinnerung und Klauselklagen
M 60.2
ZPO
III. Klage gegen Erteilung der Vollstreckungsklausel 1. Erteilung gegen den neuen Schuldner
4 Das Recht des Schuldners, gegen eine Titelerteilung oder eine Titelumschreibung Klage zu erheben, ist in § 768 ZPO geregelt. Mit einer solchen Klage kann nur geltend gemacht werden, dass die materiellen Voraussetzungen für die vorgenommene Erteilung einer Vollstreckungsklausel nicht vorlagen, also zB eine Bedingung, deren Eintritt der Rechtspfleger als urkundlich nachgewiesen erachtet hat, in Wirklichkeit nicht eingetreten war (ausf. OLG Koblenz NJW 1992, 378 f.). Als Anwendungsfall kommt auch eine Titelumschreibung aufgrund eines Erbscheins in Betracht, dessen Unrichtigkeit der Schuldner geltend macht.
5 Ist die Klausel nicht im Beschlusswege, sondern aufgrund eines Urteils nach § 731 ZPO (dazu Rz. 11) erteilt worden, kann nicht im Rahmen einer „Gegenwehr“ erneut Klage gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel erhoben werden. Die Rechtskraft der im Verfahren gem. § 731 ZPO ergangenen Entscheidung steht dem entgegen (Zöller/Herget § 768 ZPO Rz. 1).
6 M 60.2 Klage gegen Erteilung der Vollstreckungsklausel An das Landgericht Klageschrift des … (Langrubrum für den Kläger, gegen den die Vollstreckungsklausel erteilt wurde) gegen den … (Langrubrum für den Kläger des Vorprozesses) wegen Unzulässigkeit einer Vollstreckungsklausel. Ich beantrage, die Zwangsvollstreckung aufgrund der zu dem Urteil des angerufenen Gerichts vom … – … Az. … – erteilten Vollstreckungsklausel für unzulässig zu erklären und die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger aus dem Urteil des angerufenen Gerichts vom … – … Az. … – bis zur Entscheidung über diese Klage – notfalls gegen Sicherheitsleistung – vorläufig einzustellen. Begründung: Mit der in Abschrift beigefügten notariell beglaubigten Urkunde des Notars … in … vom … – Urk. Roll. Nr. … – übernahm der Kläger mit Zustimmung aller Beteiligten die Schuld (100.000 Euro) des Beklagten des Vorprozesses aus dem vorbezeichneten Urteil in der Weise, dass dieser mit sofortiger Wirkung von seiner Verpflichtung gegenüber dem Beklagten dieses Verfahrens und Kläger des Vorprozesses frei sein sollte. Unter Vorlage der notariellen Urkunde beantragte dieser die Umschreibung des Titels gegen den Kläger. Dem Antrag wurde gem. § 727 ZPO durch den zuständigen Rechtspfleger am … entsprochen, wie sich aus der beigefügten Urteilsausfertigung ergibt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Beklagte des Vorprozesses zurzeit der notariellen Vereinbarung – für die Beteiligten nicht erkennbar – unheilbar geisteskrank und daher nicht geschäftsfähig war. Beweis: Anliegendes Sachverständigengutachten. Die Schuldübernahme war daher nichtig. Auch der Kläger kann die versprochene Gegenleistung deshalb nicht erlangen. Der Beklagte lässt sich auf Verhandlungen nicht ein, so dass Klage geboten ist.
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M 60.3
Klauselerinnerung und Klauselklagen
Rz. 10 Kap. 60
ZPO
Der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung beruht auf § 769 ZPO. Einen Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Streitwert: Wert des beizutreibenden Anspruchs (Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 5909), für das Verfahren über den Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung erhält der Rechtsanwalt keine besondere Gebühr (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
2. Erteilung für den neuen Gläubiger Hier ist entsprechend M 60.2 zu verfahren, wenn der neue Gläubiger seine Rechtsnachfolge durch 7 notarielle Urkunde nachgewiesen hat und darauf der Titel umgeschrieben worden ist. Auch hier kann nur im Wege der Klage nach § 768 ZPO die Unzulässigkeit der Klausel(-umschreibung) geltend gemacht werden. 3. Abgrenzung zur Vollstreckungsabwehrklage
8
Zur Abgrenzung zur Vollstreckungsabwehrklage s. Kap. 63 Rz. 10.
IV. Befristete Erinnerung/sofortige Beschwerde Wenn der Antrag des Gläubigers auf Erteilung der Vollstreckungsklausel abgelehnt wird, kommt es für 9 den einzulegenden Rechtsbehelf darauf an, durch welches Organ die Ablehnung erfolgt. Sofern die Entscheidung vom Urkundsbeamten stammt, ist befristete Erinnerung nach § 573 ZPO einzulegen. Lehnt der Rechtspfleger die Klauselerteilung ab, dann muss der Gläubiger statt der befristeten Erinnerung sofortige Beschwerde gem. § 567 Abs. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG erheben (Zöller/Seibel § 724 ZPO Rz. 13 mwN).
M 60.3 Sofortige Beschwerde gegen Ablehnung der Klauselerteilung
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An das Amtsgericht … Az. … In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum) lege ich gegen den Beschluss vom … sofortige Beschwerde ein. Begründung: Der Beklagte hat gegen die Vollstreckung eingewandt, er lebe mit seiner Ehefrau im Güterstand der Gütergemeinschaft mit gemeinschaftlicher Verwaltungsbefugnis. Der Gerichtsvollzieher hat daraufhin ausweislich des anliegenden Protokolls die Vollstreckung eingestellt. Wie sich aus dem beigefügten Auszug aus dem Güterrechtsregister ergibt, wurde die Gütergemeinschaft jedoch erst nach Rechtshängigkeit vereinbart. Daher ist die Klausel gem. § 742 ZPO gegen die Ehefrau des Beklagten zu erteilen. Der entsprechende Antrag wurde durch den angefochtenen Beschluss abgelehnt. Kosten: Gericht: 30 Euro nach Nr. 2121 KV GKG, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG, das Verfahren ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
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Kap. 60 Rz. 11
Klauselerinnerung und Klauselklagen
M 60.4
ZPO
V. Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel 11 Die Klauselklage, § 731 ZPO, gibt dem Gläubiger die Möglichkeit, im Wege der Feststellungsklage die Erteilung der Vollstreckungsklausel zu erreichen, wenn ein für die Klauselerteilung durch den Rechtspfleger notwendiger urkundlicher Nachweis nicht erbracht werden kann (Zöller/Seibel § 731 ZPO Rz. 1).
12 Das Feststellungsinteresse ist nur gegeben, wenn es dem Kläger (Gläubiger) nicht gelungen ist, eine Klauselumschreibung nach §§ 726 Abs. 1, 727–729 ZPO zu erlangen (Zöller/Seibel § 731 ZPO Rz. 2). Dabei sollten die Anforderungen an die Darlegungspflicht nicht zu hoch angesetzt werden. Es muss also genügen, wenn der Rechtspfleger die Erteilung einer Klausel abgelehnt hat, die Ausschöpfung des Rechtsweges wird nicht verlangt (Zöller/Seibel § 731 ZPO Rz. 2 mwN).
13 Zuständig ist das Prozessgericht erster Instanz. 14 M 60.4 Klage auf Erteilung der Klausel gegen anderen Schuldner An das Landgericht … Klageschrift des … (Langrubrum für den Kläger des Vorprozesses = Kläger des anhängig gemachten Prozesses – einschließlich der Prozessbevollmächtigten –) gegen den … („Rechtsnachfolger“ des Beklagten des Vorprozesses, vollständige Angaben) wegen Erteilung einer Vollstreckungsklausel. Ich beantrage, festzustellen, dass die Erteilung der Vollstreckungsklausel zu dem Urteil des Landgerichts … vom … Az. … gegen den Beklagten zulässig ist. Begründung: Der Beklagte des Vorverfahrens wurde durch Urteil vom … verurteilt, an den Kläger 10.000 Euro zu zahlen. Am … ist der Beklagte des Vorverfahrens verstorben. Eine letztwillige Verfügung hat er nicht hinterlassen. Der Beklagte dieses Verfahrens ist einziger gesetzlicher Erbe geworden, weil er das einzige Kind seines verwitweten Vaters war. Er weigert sich, die Verpflichtung seines Vaters zu erfüllen, hat aber die Erbschaft nicht ausgeschlagen. Da er einen Erbschein nicht beantragt hat, kann der für die Klauselererteilung erforderliche urkundliche Nachweis iSv. § 727 Abs. 1 ZPO nicht geführt werden. Die Rechtsnachfolge ist auch nicht offenkundig iSv. § 727 Abs. 2 ZPO. Es ist daher die Klage nach § 731 ZPO zu erheben. Dieser Klage fehlt nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil ggf. ein Erbschein nach § 792 ZPO beantragt werden könnte (VGH BaWü NJW 2003, 1202). Den Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; Streitwert: Wert des beizutreibenden Anspruchs (Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 5912).
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Kap. 61
Klausel bei bedingter Leistung, Schiedssprüche
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M 60.5 Klage auf Erteilung der Klausel für Rechtsnachfolger des Gläubigers
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An das Landgericht … Klageschrift des … (Langrubrum für den Kläger des anhängig gemachten Prozesses = Rechtsnachfolger des Klägers K des Vorprozesses – einschließlich der Prozessbevollmächtigten –) gegen den B (vollständige Angaben des alten = unverändert gebliebenen Beklagten) wegen Erteilung einer Vollstreckungsklausel. Ich beantrage, festzustellen, dass die Erteilung der Vollstreckungsklausel zu dem Urteil des Landgerichts … vom … Az. … für den Kläger zulässig ist. Begründung: Der Beklagte wurde durch Urteil vom … verurteilt, an den Kläger des Vorverfahrens 10.000 Euro zu zahlen. Dieser hat dem Kläger am … seine Forderung privatschriftlich abgetreten. Beweis: Abtretungserklärung vom … Zeugnis des Herrn Z, der bei Aufnahme der Abtretungserklärung zugegen war. Eine notarielle Urkunde wurde nicht mehr wie beabsichtigt aufgenommen, weil der Kläger des Vorverfahrens aus nicht bekannten Gründen seine Wohnung aufgegeben hat und jetzt unbekannten Aufenthalts ist. Daher kann der für eine Klauselerteilung erforderliche urkundliche Nachweis der Rechtsnachfolge iSv. § 727 Abs. 1 ZPO nicht geführt werden. Den Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: s. Anm. zu M 60.4.
Kapitel 61 Klausel bei bedingter Leistung, Vollstreckbarerklärung in Schiedssachen I. Klauselerteilung bei bedingter Leistung . . M 61.1 Antrag auf Klauselerteilung bei bedingter Leistung . . . . . . . . . . . . . . . II. Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 4 5
1. Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Spruchs eines deutschen Schiedsgerichts . . M 61.2 Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs . . . . . . . . . . .
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5 7
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ZPO
Wenn ein Fall der Rechtsnachfolge aufseiten des Klägers vorliegt, weil es ihm beispielsweise nicht möglich ist, eine beglaubigte Abtretungsurkunde vorzulegen (der ursprüngliche Gläubiger ist nach Erteilung einer privatschriftlichen Abtretungserklärung verstorben), ist entsprechend zu verfahren:
Kap. 61
Klausel bei bedingter Leistung, Schiedssprüche
15
M 60.5 Klage auf Erteilung der Klausel für Rechtsnachfolger des Gläubigers
16
An das Landgericht … Klageschrift des … (Langrubrum für den Kläger des anhängig gemachten Prozesses = Rechtsnachfolger des Klägers K des Vorprozesses – einschließlich der Prozessbevollmächtigten –) gegen den B (vollständige Angaben des alten = unverändert gebliebenen Beklagten) wegen Erteilung einer Vollstreckungsklausel. Ich beantrage, festzustellen, dass die Erteilung der Vollstreckungsklausel zu dem Urteil des Landgerichts … vom … Az. … für den Kläger zulässig ist. Begründung: Der Beklagte wurde durch Urteil vom … verurteilt, an den Kläger des Vorverfahrens 10.000 Euro zu zahlen. Dieser hat dem Kläger am … seine Forderung privatschriftlich abgetreten. Beweis: Abtretungserklärung vom … Zeugnis des Herrn Z, der bei Aufnahme der Abtretungserklärung zugegen war. Eine notarielle Urkunde wurde nicht mehr wie beabsichtigt aufgenommen, weil der Kläger des Vorverfahrens aus nicht bekannten Gründen seine Wohnung aufgegeben hat und jetzt unbekannten Aufenthalts ist. Daher kann der für eine Klauselerteilung erforderliche urkundliche Nachweis der Rechtsnachfolge iSv. § 727 Abs. 1 ZPO nicht geführt werden. Den Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: s. Anm. zu M 60.4.
Kapitel 61 Klausel bei bedingter Leistung, Vollstreckbarerklärung in Schiedssachen I. Klauselerteilung bei bedingter Leistung . . M 61.1 Antrag auf Klauselerteilung bei bedingter Leistung . . . . . . . . . . . . . . . II. Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 4 5
1. Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Spruchs eines deutschen Schiedsgerichts . . M 61.2 Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs . . . . . . . . . . .
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Wenn ein Fall der Rechtsnachfolge aufseiten des Klägers vorliegt, weil es ihm beispielsweise nicht möglich ist, eine beglaubigte Abtretungsurkunde vorzulegen (der ursprüngliche Gläubiger ist nach Erteilung einer privatschriftlichen Abtretungserklärung verstorben), ist entsprechend zu verfahren:
ZPO
Kap. 61 Rz. 1
Klausel bei bedingter Leistung, Schiedssprüche
2. Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Spruchs eines ausländischen Schiedsgerichts 3. Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 61.1
M 61.3 Antrag auf notarielle Vollstreckbarerklärung eines Schiedsvergleichs (Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Klauselerteilung bei bedingter Leistung 1 Hängt die Vollstreckbarkeit des Titels von einer anderen Tatsache als einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheit ab (s. dazu Kap. 46 Rz. 18 ff.), so darf die Klausel nur erteilt werden, wenn der Beweis für den Eintritt der Tatsache durch öffentlich oder öffentlich beglaubigte Urkunde geführt wird, § 726 ZPO. Die Urkunde ist ebenso wie im Fall des § 727 ZPO spätestens bei Beginn der Zwangsvollstreckung zuzustellen (§ 750 Abs. 2 ZPO). Offenkundige Tatsachen bedürfen keines Urkundenbeweises (Zöller/Seibel § 726 ZPO Rz. 8). Bei Offenkundigkeit entfällt ebenfalls das Erfordernis der Urkundenzustellung.
2 Häufig handelt es sich bei der Bedingung um eine Vorleistungspflicht des Gläubigers, zB durch Räumung eines Grundstücks (Zöller/Seibel § 726 ZPO Rz. 4), die nicht zu verwechseln ist mit Zug um Zug erfüllenden Verpflichtungen (s. Kap. 46 Rz. 54 ff.). Die Klausel gem. § 726 ZPO wird vom Rechtspfleger erteilt, § 20 Nr. 12 RPflG.
3 K
Wichtig: Auch die Klausel für einen Widerrufsvergleich unterfällt an und für sich § 726 ZPO. § 795b ZPO bestimmt jedoch, dass bei Vergleichen, deren Wirksamkeit ausschließlich vom Eintritt einer sich aus der Verfahrensakte ergebenden Tatsache, also vor allem einem nicht erfolgten Widerruf, abhängig ist, die Vollstreckungsklausel vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erteilt wird.
4 M 61.1 Antrag auf Klauselerteilung bei bedingter Leistung An das Amtsgericht/Landgericht Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich, eine vollstreckbare Ausfertigung des am … geschlossenen Vergleichs zu erteilen. Der Beklagte ist nach dem Vergleich vom … verpflichtet, an den Kläger 10.000 Euro zu zahlen, sobald der Kläger das Grundstück … geräumt hat. Ausweislich des anliegenden Protokolls in dem zwischen den Parteien geführten Parallelverfahren … wurde bei einem Ortstermin festgestellt und vom Beklagten bestätigt, dass das Grundstück geräumt ist. Kosten: Gericht: Gebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: Der Antrag gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 RVG).
II. Schiedssprüche 1. Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Spruchs eines deutschen Schiedsgerichts
5 Für sie ist Schriftform vorgeschrieben (§ 1054 Abs. 1 ZPO). Sie setzen stets ein ordentliches schiedsrichterliches Verfahren (§§ 1042 ff. ZPO) voraus.
6 Zuständig für die Vollstreckbarerklärung (vgl. hierzu auch Kap. 97 Rz. 103) ist stets das Oberlandesgericht (aufgrund einer Vereinbarung der Parteien oder nach den örtlichen Kriterien des § 1062 1028
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M 61.2
Klausel bei bedingter Leistung, Schiedssprüche
Rz. 9 Kap. 61
M 61.2 Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs
ZPO
Abs. 1–3 ZPO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, § 1063 Abs. 1 Satz 1 ZPO, und zwar auch ohne mündliche Verhandlung, § 1063 Abs. 2 ZPO. In dem Falle können zu Protokoll der Geschäftsstelle Anträge gestellt oder Erklärungen abgegeben werden, § 1063 Abs. 4 ZPO. Anderenfalls herrscht Anwaltszwang (mit OLG-Zulassung). Ein Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle kann gem. § 129a ZPO auch bei der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts abgegeben werden. Davon kann unbedenklich Gebrauch gemacht werden, weil Fristen nicht laufen. Er könnte etwa folgenden Wortlaut haben (vgl. auch M 97.14):
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An das Oberlandesgericht … Antrag in Sachen … / … (Langrubrum) auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs wird die beglaubigte Abschrift des Schiedsspruchs vom … überreicht und beantragt den Schiedsspruch, durch den der Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger 50.000 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … und Kosten des Schiedsverfahrens iHv. 16.350 Euro zu zahlen, a) für vollstreckbar zu erklären; b) zugleich den beantragten Beschluss selbst für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Zuständigkeit des Senats 1. Alternative: entspricht, wie sich aus dem Schiedsspruch ergibt, der Vereinbarung der Parteien; 2. Alternative: folgt aus dem Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens; 3. Alternative: ergibt sich aus § 1062 Abs. 2 ZPO. Die zum Zwecke der Zustellung erforderlichen Überstücke des Schiedsspruchs sind beigefügt. Ich bitte im Kosteninteresse von der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung abzusehen, weil der Sachverhalt klar ist und Bedenken gegen die Vollstreckbarerklärung aus § 1060 Abs. 2 ZPO nicht ersichtlich sind. Kosten: Gericht: 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1620 KV GKG; Anwalt: Es entstehen die Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG).
Sollten sich in einer Vorkorrespondenz jedoch bereits gewichtige Einwände iSv. §§ 1060 Abs. 2, 1059 Abs. 2 ZPO ergeben haben, empfiehlt es sich im Beschleunigungsinteresse, sogleich einen bei dem zuständigen OLG zugelassenen Rechtsanwalt mit der Herbeiführung der Vollstreckbarerklärung zu beauftragen. Für einen solchen Antrag s. M 97.14.
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2. Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Spruchs eines ausländischen Schiedsgerichts Hier gilt nach §§ 1061, 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO das im vorhergehenden Abschnitt Ausgeführte entsprechend. Stets sind dabei die internationalen Abkommen zu beachten (vgl. Kap. 97 Rz. 106 u. 108 ff.).
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Kap. 61 Rz. 10
Klausel bei bedingter Leistung, Schiedssprüche
M 61.3
ZPO
3. Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsvergleichs
10 Sowohl bei einem inländischen, wie auch bei einem ausländischen Schiedsspruch gilt hier die Besonderheit, dass anstelle des OLG ein im zuständigen OLG-Bezirk ansässiger Notar mit Zustimmung der Parteien die Vollstreckbarerklärung vornehmen kann (§ 1053 Abs. 4 ZPO).
11 M 61.3 Antrag auf notarielle Vollstreckbarerklärung eines Schiedsvergleichs
(Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut) Herrn Notar … in … Namens und in Vollmacht des von mir vertretenen K übersende ich in beglaubigter Abschrift den von den Schiedsrichtern und vorsorglich von K, von mir, von B und von dem Rechtsanwalt Dr. X (für die Interessen des B) unterzeichneten Schiedsvergleich (Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut) vom …, durch den B sich verpflichtet hat, dem K 6.000 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen – Kosten trägt nach dem Vergleich jede Partei für sich selbst. Ursprünglich ging der Streit über 12.000 Euro. Alle Parteien haben sich, wie aus dem Schiedsvergleich folgt, mit einer notariellen Vollstreckbarerklärung einverstanden erklärt. Gemäß § 1053 Abs. 4 ZPO beantrage ich, den Schiedsvergleich für vollstreckbar zu erklären und mir eine für vorläufig vollstreckbar erklärte Ausfertigung zu übersenden. Kosten: Notar: 2,0 Verfahrensgebühr nach Tabelle B (Nr. 23801 KV GNotKG); Wert: Maßgebend sind die Ansprüche, die Gegenstand der Vollstreckbarerklärung sein sollen (§ 118 GNotKG); Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3).
Kapitel 62 Vollstreckungsschutz I. Rechtbehelfe in der Zwangsvollstreckung . II. Rechtsbehelfe des Schuldners gegen Vollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 62.1 Erinnerung (gegen Maßnahme des Gerichtsvollziehers) . . . . . . . b) Rechtsbehelf gegen Abgabe der Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . M 62.2 Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . 2. Vollstreckungsgericht/Prozessgericht . . . . . a) Erinnerung und sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 62.3 Erinnerung (gegen Vollstreckungsmaßnahme des Rechtspflegers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts . . . . . M 62.4 Sofortige Beschwerde . . . . . . . . .
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III. 1.
6 8 11 14 16 2. 16 22 23 24
3. IV. 1.
c) Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Prozessgerichts . . . . . . . . . . d) Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe Dritter gegen Vollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreiben des Eigentümers an Gläubiger auf Freigabe einer gepfändeten Sache . . . . . M 62.5 Aufforderung des Eigentümers an den Gläubiger zur Freigabe einer gepfändeten Sache . . . . . . . . . . . . . M 62.6 Unterrichtung des Gerichtsvollziehers von Bemühungen um Freigabe der gepfändeten Sache . . . . . . Erinnerung des Eigentümers wegen Pfändung einer schuldnerfremden Sache . . . . . Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsschutz in besonderen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsschutz durch Ratenzahlungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 27 29 29 31 33 35 36 37 37
Kap. 61 Rz. 10
Klausel bei bedingter Leistung, Schiedssprüche
M 61.3
ZPO
3. Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsvergleichs
10 Sowohl bei einem inländischen, wie auch bei einem ausländischen Schiedsspruch gilt hier die Besonderheit, dass anstelle des OLG ein im zuständigen OLG-Bezirk ansässiger Notar mit Zustimmung der Parteien die Vollstreckbarerklärung vornehmen kann (§ 1053 Abs. 4 ZPO).
11 M 61.3 Antrag auf notarielle Vollstreckbarerklärung eines Schiedsvergleichs
(Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut) Herrn Notar … in … Namens und in Vollmacht des von mir vertretenen K übersende ich in beglaubigter Abschrift den von den Schiedsrichtern und vorsorglich von K, von mir, von B und von dem Rechtsanwalt Dr. X (für die Interessen des B) unterzeichneten Schiedsvergleich (Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut) vom …, durch den B sich verpflichtet hat, dem K 6.000 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen – Kosten trägt nach dem Vergleich jede Partei für sich selbst. Ursprünglich ging der Streit über 12.000 Euro. Alle Parteien haben sich, wie aus dem Schiedsvergleich folgt, mit einer notariellen Vollstreckbarerklärung einverstanden erklärt. Gemäß § 1053 Abs. 4 ZPO beantrage ich, den Schiedsvergleich für vollstreckbar zu erklären und mir eine für vorläufig vollstreckbar erklärte Ausfertigung zu übersenden. Kosten: Notar: 2,0 Verfahrensgebühr nach Tabelle B (Nr. 23801 KV GNotKG); Wert: Maßgebend sind die Ansprüche, die Gegenstand der Vollstreckbarerklärung sein sollen (§ 118 GNotKG); Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3).
Kapitel 62 Vollstreckungsschutz I. Rechtbehelfe in der Zwangsvollstreckung . II. Rechtsbehelfe des Schuldners gegen Vollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 62.1 Erinnerung (gegen Maßnahme des Gerichtsvollziehers) . . . . . . . b) Rechtsbehelf gegen Abgabe der Vermögensauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . M 62.2 Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . 2. Vollstreckungsgericht/Prozessgericht . . . . . a) Erinnerung und sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 62.3 Erinnerung (gegen Vollstreckungsmaßnahme des Rechtspflegers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts . . . . . M 62.4 Sofortige Beschwerde . . . . . . . . .
1030
Giers
1 2 2 2
III. 1.
6 8 11 14 16 2. 16 22 23 24
3. IV. 1.
c) Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Prozessgerichts . . . . . . . . . . d) Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe Dritter gegen Vollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreiben des Eigentümers an Gläubiger auf Freigabe einer gepfändeten Sache . . . . . M 62.5 Aufforderung des Eigentümers an den Gläubiger zur Freigabe einer gepfändeten Sache . . . . . . . . . . . . . M 62.6 Unterrichtung des Gerichtsvollziehers von Bemühungen um Freigabe der gepfändeten Sache . . . . . . Erinnerung des Eigentümers wegen Pfändung einer schuldnerfremden Sache . . . . . Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsschutz in besonderen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsschutz durch Ratenzahlungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 27 29 29 31 33 35 36 37 37
2. Antrag auf (einstweilige) Einstellung wegen besonderer Härte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrag gem. § 765a ZPO . . . . . . . . . . . . M 62.7 Antrag auf einstweilige Einstellung nach § 765a ZPO . . . . . . . . b) Antrag gemäß § 851b ZPO . . . . . . . . . . M 62.8 Antrag auf Aufhebung der Pfändung von Mietzinsen . . . . . . . . . 3. Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 62.9 Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Räumungsschutzantrag . . . . . . . . . . . . . . . M 62.10 Räumungsschutzantrag gem. § 765a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vollstreckungsschutz bei nicht rechtskräftigem Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 40 41 42 43 44 45 47 49
Rz. 3 Kap. 62
1. Vollstreckung aus nicht rechtskräftigen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, Aufhebung getroffener Maßnahmen M 62.11 Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . M 62.12 Antrag auf Einstellung und Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen (Gerichtsvollzieher) . . . . 3. Sicherheitsleistung des Schuldners bei Sicherungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . M 62.13 Antrag auf Einstellung und Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen nach Sicherheitsleistung . VI. Widerspruch gegen Eintragung ins Schuldnerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . M 62.14 Widerspruch gegen Eintragung ins Schuldnerverzeichnis . . . . . . .
49
ZPO
Vollstreckungsschutz
51 53 55 57 60 61 62
I. Rechtbehelfe in der Zwangsvollstreckung In der Zwangsvollstreckung fehlt ein einheitlicher, der sofortigen Beschwerde gem. § 567 ZPO entsprechender Rechtsbehelf. Stattdessen ist eine Vielzahl von sich teilweise überschneidenden Rechtsbehelfen vorgesehen. Die folgende Darstellung betrifft allein die Mobiliarvollstreckung. Die im Klauselverfahren einschlägigen Rechtsbehelfe werden in Kap. 61 dargestellt, die Vollstreckungsabwehrund die Drittwiderspruchsklage in Kap. 63, 64.
1
II. Rechtsbehelfe des Schuldners gegen Vollstreckungsmaßnahmen 1. Gerichtsvollzieher a) Erinnerung Der klassische Rechtsbehelf ist die Erinnerung. Nach § 766 Abs. 1 ZPO entscheidet das Vollstre- 2 ckungsgericht über Einwendungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung und das vom Gerichtsvollzieher zu beachtende Verfahren betreffen, und zwar durch den zuständigen Richter, nicht den Rechtspfleger (§ 20 Nr. 17 RPflG). In Betracht kommen u.a. die Fälle, in denen der Gerichtsvollzieher – Drittgewahrsam nicht beachtet hat, § 809 ZPO; – unpfändbare Sachen (§ 811 ZPO) gepfändet hat; – zu hohe Kosten (zB Wegegelder) berechnet hat; – offensichtlich schuldnerfremde Sachen gepfändet hat (vgl. § 71 Abs. 2 GVGA); – aufgrund eines nicht rechtskräftigen Titels ohne die erforderliche Sicherheitsleistung eine Pfändung ausgebracht hat (vgl. aber § 720a ZPO).
K
Wichtig: Der Einwand des Schuldners, die der Vollstreckung zugrunde liegende Klausel nach §§ 724, 725 ZPO sei zu Unrecht ohne die gem. § 726 Abs. 1 ZPO erforderlichen Nachweise erteilt worden, ist dagegen im Erinnerungsverfahren gem. § 766 ZPO grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, Der allein hierfür vorgesehene Rechtsbehelf ist die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO (BGH MDR 2012, 367 und MDR 2017, 727), s. dazu M 60.1. Auch auf eine vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung kann sich der Schuldner nicht gem. § 766 ZPO berufen (BGH NJW 2017, 2202 = MDR 2017, 903). Giers
1031
3
Kap. 62 Rz. 4
Vollstreckungsschutz
M 62.1
ZPO
4 Das Rechtsschutzbedürfnis für die Erinnerung entfällt, wenn die beanstandete Zwangsvollstreckungsmaßnahme beendet ist (BGH MDR 2017, 788).
5 In den die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betreffenden Fällen kann der Schuldner das Vollstreckungsgericht anrufen:
6 M 62.1 Erinnerung (gegen Maßnahme des Gerichtsvollziehers) An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) lege ich namens des von mir vertretenen Schuldners … gegen die vom Gerichtsvollzieher … am … – DR … / … – vorgenommene Pfändung Erinnerung ein mit dem Antrag, 1. die Pfändung des Fernsehgeräts (genaue Typbezeichnung) aufzuheben und den Gerichtsvollzieher anzuweisen, das Fernsehgerät sofort dem Schuldner zurückzugeben; 2. gemäß §§ 766 Abs. 1 Satz 2, 732 Abs. 2 ZPO durch einstweilige Anordnung die Zwangsvollstreckung vorläufig einzustellen und dem Gerichtsvollzieher die Auskehrung des gepfändeten Geldes zu untersagen. Die Pfändung erfolgte aufgrund des Urteils des Amtsgerichts … vom … Dieses Urteil, gegen welches rechtzeitig Berufung eingelegt wurde, ist nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Da der Gläubiger die Sicherheit nicht erbracht hat, hätte der Gerichtsvollzieher gem. § 720a ZPO allenfalls die Sicherungsvollstreckung betreiben dürfen. Stattdessen hat er bereits einen Versteigerungstermin anberaumt. Darüber hinaus ist auch die Sicherungsvollstreckung nicht mehr zulässig, denn der Schuldner hat, wie der in Kopie beigefügte Hinterlegungsschein zeigt, bereits die zur Abwendung der Sicherungsvollstreckung gem. § 720a Abs. 3 ZPO erforderliche Sicherheit erbracht. Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG; die Erinnerung gehört zum Verfahren (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 VV RVG).
7 Dieser Antrag ist besonders eilig, weil die alsbaldige Auskehrung des Erlöses an den Gläubiger droht. Bei Übermittlung sollte alsbald das Original nachgesandt werden, um das Pfändungsprotokoll dem Gericht im Original vorzulegen. b) Rechtsbehelf gegen Abgabe der Vermögensauskunft
8 Die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung alten Rechts konnte der Schuldner gem. § 900 Abs. 4 ZPO aF nur im Termin bestreiten.
9 Nach nunmehr allgemeiner Ansicht kann gegen die Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft die Erinnerung nach § 766 ZPO eingelegt werdeneingelegt werden (LG Stuttgart v. 12.4.2018 – 19 T 486/17; AG Ellwangen DGVZ 2018, 104; Zöller/Seibel § 802f ZPO Rz. 25). Mit der Erinnerung ist unbedingt auch die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach dem Muster M 62.1 zu beantragen.
10 Besondere Bedeutung hat dieser Rechtsbehelf für Geschäftsführer einer GmbH. Die Verpflichtung zur Abgabe der Vermögensauskunft trifft den zum Zeitpunkt des Termins bestellten Geschäftsführer, nicht dagegen den vorher abberufenen. Der nach Erlass eines Haftbefehls abberufene Geschäftsführer 1032
Giers
M 62.2
Vollstreckungsschutz
Rz. 15 Kap. 62
ZPO
bleibt allerdings zur Abgabe verpflichtet (Zöller/Seibel § 802c ZPO Rz. 8). Der Schuldner kann ferner zB dann Erinnerung einlegen, wenn er auf Antrag eines Insolvenzgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Vermögensauskunft abgeben soll (BGH MDR 2013, 1001 noch zu § 900 Abs. 4 ZPO aF). c) Dienstaufsichtsbeschwerde Der Gerichtsvollzieher ist nicht nur (selbständiges) Organ der Rechtspflege, sondern auch Beamter 11 und unterliegt wie jeder andere Beamte der Aufsicht seines Dienstvorgesetzten mit der Folge, dass gegen ihn Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben werden können. Sie sind formlos, fristlos und allzu oft auch erfolglos. Sie können unabhängig von dem zulässigen Rechtsbehelf, der Erinnerung, (und auch zusätzlich) eingelegt werden. Zur Entscheidung zuständig ist der unmittelbare Dienstvorgesetzte des Gerichtsvollziehers, also der Direktor des Amtsgerichts (Regelfall) oder (nur bei sehr großen Amtsgerichten) dessen Präsident (§ 1 Satz 3 Gerichtsvollzieherordnung – GVO). Ist die Erinnerung gegen die betreffende Maßnahme des Gerichtsvollziehers statthaft (das ist bei den den Schuldner belastenden Maßnahmen meistens der Fall), wird der Dienstvorgesetzte den Beschwerdeführer stets auf den gesetzlich vorgesehenen besonderen Rechtsbehelf, also die Erinnerung, verweisen, schon um divergierende Entscheidungen zum Vollstreckungsgericht zu vermeiden. Da Dienstaufsichtsbeschwerden nach allgemeinem Behördenbrauch stets als besonders eilbedürftig behandelt werden und zur Entscheidung darüber die Sonderakte des Gerichtsvollziehers beigezogen wird, führen sie in solchen Fällen durchweg zu Verzögerungen in der Sachbehandlung.
K
Praxistipp: Dienstaufsichtsbeschwerden niemals zugleich mit förmlichen Rechtsbehelfen einlegen, sondern immer nur anstelle des Rechtsbehelfs oder nach Ausschöpfung des Rechtsweges.
12
Die Dienstaufsichtsbeschwerde des Schuldners sollte mithin den Fällen vorbehalten bleiben, in denen 13 ein förmlicher Rechtsbehelf kaum Erfolgsaussichten hat oder gar nicht zulässig ist, insbesondere wenn der Gerichtsvollzieher den Auftrag trotz Sachstandsanfrage nicht ausführt.
M 62.2 Dienstaufsichtsbeschwerde
14
An den Direktor/Präsidenten persönlich oder Vertreter im Amt des Amtsgerichts … Sehr geehrter Herr/Frau/Direktor/in (Präsident/in) In Sachen … / … (Langrubrum) erhebe ich namens des Gläubigers … gegen den Gerichtsvollzieher … Dienstaufsichtsbeschwerde. Der Gerichtsvollzieher wurde mit Schriftsatz vom … beauftragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts … vom …, Az. … gegen den Schuldner … durchzuführen, wie aus anliegender Ablichtung ersichtlich ist. Zwei Monate nach Auftragserteilung erfolgte die erste Sachstandsanfrage vom …, die ebenso unbeantwortet blieb wie die zweite Sachstandsanfrage vom … Ich beantrage daher, den Gerichtsvollzieher … anzuweisen, den Vollstreckungsauftrag nun auszuführen. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 (0,5–2,5 Schwellengebühr 1,3).
Wegen Befangenheit kann ein Gerichtsvollzieher nicht abgelehnt werden (BGH MDR 2005, 169). Giers
1033
15
Kap. 62 Rz. 16
Vollstreckungsschutz
M 62.3
ZPO
2. Vollstreckungsgericht/Prozessgericht a) Erinnerung und sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts
16 Der Richter (als Vollstreckungsgericht) entscheidet über Einwendungen gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Rechtspflegers (als Vollstreckungsgericht). Hierher gehören insbesondere die Anordnungen der Kapitel 50–52 (§ 20 Nr. 17 RPflG).
17 Die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Rechtspflegers, die ohne Anhörung des Schuldners ergangen sind, stellen keine Entscheidungen im (engen) Sinne von § 793 ZPO dar. Sie unterliegen daher der Erinnerung nach § 766 ZPO (Zöller/Herget § 766 ZPO Rz. 2). Eine Abhilfemöglichkeit steht dem Rechtspfleger zu (Zöller/Herget § 766 ZPO Rz. 24). Hilft er nicht ab, so hat der Richter des Vollstreckungsgerichts die Entscheidung zu treffen und zu begründen.
18 Hat dagegen der Rechtspfleger nach Anhörung des Gegners entschieden oder eine beantragte Vollstreckungsmaßnahme abgelehnt, dann liegt eine Entscheidung iSv. § 793 ZPO vor. In diesem Falle ist die sofortige Beschwerde statthaft. Ist die Beschwerde nach den allgemeinen Vorschriften nicht zulässig, insbesondere weil der Beschwerdewert nicht erreicht ist, § 567 Abs. 2 ZPO, so kann nach § 11 Abs. 2 RPflG sofortige Erinnerung eingelegt werden, über die der für Vollstreckungssachen zuständige Richter des Amtsgerichts entscheidet.
19 K
Wichtig: Das Rechtsschutzbedürfnis für die sofortige Beschwerde entfällt, wenn die beanstandete Zwangsvollstreckungsmaßnahme beendet ist (BGH MDR 2017, 788).
20 Hat der Richter einen Haftbefehl erlassen, so ist nach allgemeiner Auffassung die sofortige Beschwerde zulässig (Zöller/Seibel § 802g ZPO Rz. 15). Ob und ggf. wie eine Durchsuchungsanordnung angefochten werden kann, ist streitig (zum Meinungsstand Zöller/Seibel § 758a ZPO Rz. 34).
21 Für den Parteivertreter ist dies vor allem insoweit von Bedeutung, als Fristen laufen können. Sie kommen nur dann in Betracht, wenn es sich um eine echte Entscheidung des Vollstreckungsgerichts handelt, die der sofortigen Beschwerde oder sofortigen Erinnerung unterliegt. Die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts ist zwar nach § 329 Abs. 3 ZPO stets von Amts wegen zuzustellen; jedoch unterscheiden vor allem unerfahrene Parteien nicht zwischen Zustellung und Übersendung. Deshalb sollte eine Erinnerung im Vollstreckungsverfahren gegen gerichtliche Maßnahmen stets als Fristensache behandelt werden. Um ganz sicher zu gehen, den zulässigen Rechtsbehelf einzulegen, empfiehlt es sich, im Zweifelsfall den entsprechenden Schriftsatz als „Erinnerung bzw. (sofortige) Beschwerde“ (oder umgekehrt) zu bezeichnen.
22 M 62.3 Erinnerung (gegen Vollstreckungsmaßnahme des Rechtspflegers) Eilt sehr! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) lege ich namens des von mir vertretenen Schuldners … gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom … über … Euro Erinnerung ein mit dem Antrag,
1034
Giers
M 62.4
Vollstreckungsschutz
Rz. 24 Kap. 62
1. den Beschluss aufzuheben
ZPO
2. gem. §§ 766 Abs. 1 Satz 2, 732 Abs. 2 ZPO durch einstweilige Anordnung die Zwangsvollstreckung vorläufig einzustellen. Der Schuldner lebt im Güterstand der Gütergemeinschaft, wie sich aus dem beigefügten beglaubigten Auszug aus dem Güterrechtsregister des Amtsgerichts … ergibt. Da nur ein Titel gegen den Ehemann vorliegt, die Verwaltung des Gesamtgutes, zu dem auch die gepfändete Forderung gehört, beiden Eheleuten zusteht, reicht ein Titel gegen nur einen Ehegatten nicht aus. Die Pfändung ist daher unzulässig (§ 740 Abs. 2 ZPO). Kosten: Gericht: Keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG; das Erinnerungsverfahren ist eine besondere Angelegenheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG).
b) Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts Gegen Entscheidungen über die Erinnerung und Vollstreckungsschutzanträge ist nach § 793 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft. Diese kann zwar nach § 569 Abs. 1 ZPO bei dem entscheidenden wie bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden. Es empfiehlt sich aber immer eine Einlegung beim entscheidenden Gericht, weil dieses ohnehin erst über die Abhilfe, § 572 Abs. 1 ZPO, entscheiden muss.
23
M 62.4 Sofortige Beschwerde
24 Eilt sehr!
An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) lege ich namens des von mir vertretenen Schuldners … gegen den am … zugestellten Beschluss vom …, durch den die Erinnerung des Schuldners gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts von … zurückgewiesen wurde, sofortige Beschwerde ein mit dem Antrag, den Beschluss insoweit aufzuheben, als der Sohn S des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des gepfändeten Arbeitseinkommens gem. § 850c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt bleiben soll. Zur Begründung beziehe ich mich auf den Schriftsatz vom …, dessen Erwägungen durch den angefochtenen Beschluss nicht ausgeräumt worden sind. Der Sohn des Schuldners hatte zwar freiwillig Wehrdienst geleistet und wäre deshalb bei der Berechnung des Pfändungsfreibetrages nicht zu berücksichtigen gewesen. Wie sich aus den anliegenden Bescheinigungen ergibt, hatte er jedoch den Wehrdienst schon bei Erlass des Beschlusses beendet und ein unbezahltes Praktikum aufgenommen, welches Voraussetzung für den von ihm gewählten Ausbildungsgang ist. Das Einkommen des Schuldners liegt bei Berücksichtigung des unterhaltsberechtigten Sohns unter dem Pfändungsfreibetrag. Kosten: Gericht: 30 Euro nach Nr. 2121 KV GKG, wenn die Beschwerde zurückgewiesen wird; Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG.
Giers
1035
Kap. 62 Rz. 25
Vollstreckungsschutz
M 62.5
ZPO
25 Die behaupteten Tatsachen sind glaubhaft zu machen. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landgericht (§ 72 GVG, § 568 ZPO). c) Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Prozessgerichts
26 Auch Entscheidungen des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan gem. §§ 887 ff. ZPO sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde gegen die Festsetzung eines Zwangsoder Ordnungsmittels gem. §§ 888, 890 ZPO hat gem. § 570 Abs. 1 ZPO aufschiebende Wirkung (BGH MDR 2011, 1503 = NJW 2011, 3791). Die sofortige Beschwerde ist entsprechend M 62.4 bei dem Prozessgericht einzulegen. d) Rechtsbeschwerde
27 Die Rechtsbeschwerde ist (in der Zwangsvollstreckung) nur aufgrund einer Zulassung des Beschwerdegerichts (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) statthaft. Die Rechtsbeschwerde ist ausschließlich beim BGH (§ 133 GVG, § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und daher von einem bei ihm zugelassenen Rechtsanwalt (§ 78 Abs. 1 ZPO) einzulegen und zu begründen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde gibt es nicht (Zöller/ Heßler § 574 ZPO Rz. 16).
28 Wenn das Beschwerdegericht trotz der äußerst engen Zulassungsbedingungen (§ 574 Abs. 2 ZPO) die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, sollte die beschwerte Partei die Einlegung der Rechtsbeschwerde ernsthaft in Erwägung ziehen. Nach Rücksprache mit dem Mandanten ist daher ein beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt mit der Durchführung der Rechtsbeschwerde zu beauftragen. Insofern wird auf Kap. 70 verwiesen.
III. Rechtsbehelfe Dritter gegen Vollstreckungsmaßnahmen 1. Schreiben des Eigentümers an Gläubiger auf Freigabe einer gepfändeten Sache
29 Der Gerichtsvollzieher knüpft bei seinen Maßnahmen stets allein an den Gewahrsam des Schuldners an (§ 808 Abs. 1 ZPO). Er prüft also nicht die Eigentumsverhältnisse und kann mithin Sachen beschlagnahmen und zur Versteigerung bringen, die dem Schuldner nicht gehören. Der wirkliche Eigentümer muss sich daher gegen die Pfändung wenden. Ihm stehen unterschiedliche Rechtsbehelfe zu:
30 Da der Gerichtsvollzieher bei der Pfändung einer schuldnerfremden Sache keinen Gesetzesverstoß begangen hat, gibt es grds. keine Erinnerung gegen die Pfändungsmaßnahme, sofern nicht zugleich Verfahrensvorschriften verletzt wurden (Ausnahme s. Rz. 36). Andererseits kann der Eigentümer im Wege der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO vom Gläubiger die Freigabe der gepfändeten Sache verlangen. Um den Aufwand eines solchen Prozesses – und evtl. eine nachteilige Kostenentscheidung (§ 93 ZPO) – zu vermeiden, sollte zunächst eine gütliche Verständigung versucht werden, und zwar sobald der Eigentümer von einer derartigen Pfändung Kenntnis erlangt hat:
31 M 62.5 Aufforderung des Eigentümers an den Gläubiger zur Freigabe einer
gepfändeten Sache Herrn … Sehr geehrter Herr …, ich vertrete die Interessen des Herrn …, der der Eigentümer des am … von dem Gerichtsvollzieher … bei dem Schuldner B gepfändeten … Tablet PC’s Marke … ist. Herr E hatte das Tablet lediglich an den Schuldner verliehen. Sein Eigentum ergibt sich aus der beigefügten Rechnung in Verbindung mit dem Ab-
1036
Giers
M 62.6
Vollstreckungsschutz
Rz. 37 Kap. 62
ZPO
buchungsbeleg für den Kaufpreis. Sie werden deshalb aufgefordert, binnen 3 Tagen dem Gerichtsvollzieher gegenüber die Freigabe des Tablets zu erklären, um die Erhebung einer Drittwiderspruchsklage zu vermeiden. Die kurze Frist ist deshalb geboten, weil die Versteigerung in Kürze ansteht. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3); ist bereits unbedingter Prozessauftrag erteilt, richten sich die Gebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
Um allen Eventualitäten vorzubeugen, sollte der Gerichtsvollzieher – er dürfte bekannt sein – von 32 dem vorstehenden Schreiben unterrichtet und aufgefordert werden, einstweilen die Versteigerung zurückzustellen:
M 62.6 Unterrichtung des Gerichtsvollziehers von Bemühungen um Freigabe der
33
gepfändeten Sache Eilt sehr! Herrn Obergerichtsvollzieher … mit der Bitte um Kenntnisnahme übersende ich die Abschrift meines heutigen Schreibens an den Gläubiger K. Ich bitte, von der Verwertung des gepfändeten Tablet-PCs abzusehen, weil in Kürze die Freigabe durch K erklärt werden wird. Sollte diesem Gesuch nicht entsprochen werden, erbitte ich Ihre umgehende, auch fernmündliche Nachricht, damit ich eine einstweilige Regelung im Interesse meines Mandanten herbeiführen kann. Kosten: Anwalt: Durch die in M 62.5 genannten Gebühren abgegolten.
Eine Abschrift des Schreibens nach M 62.5 ist beizufügen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Kap. 64 verwiesen.
34
2. Erinnerung des Eigentümers wegen Pfändung einer schuldnerfremden Sache Der Gerichtsvollzieher hat bei der Durchführung von Pfändungen nach § 71 GVGA in gewissem Umfange auch Eigentumsrechte von Dritten zu beachten. Offensichtliches Dritteigentum soll nach § 71 Abs. 2 GVGA nur auf ausdrückliches Verlangen des Gläubigers gepfändet werden. Verstößt er dagegen, ist eine Erinnerung nicht gänzlich ohne Erfolgsaussicht, so dass dann evtl. eine Drittwiderspruchsklage erspart werden kann. Insoweit wird auf M 62.1 verwiesen.
35
3. Drittwiderspruchsklage Ihr ist das Kap. 64 gewidmet, so dass hier auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. 36 Hat der Gerichtsvollzieher schuldnerfremde Sachen gepfändet, die im Gewahrsam des Eigentümers standen, und hat der Eigentümer nicht zugestimmt (§ 809 ZPO; s. dazu Kap. 49 Rz. 24), dann kann der Eigentümer statt der Drittwiderspruchsklage Erinnerung einlegen. Die Erinnerung ist der schnellere und kostengünstigere Rechtsbehelf.
IV. Vollstreckungsschutz in besonderen Fällen 1. Vollstreckungsschutz durch Ratenzahlungsvereinbarung Das Ziel der Zwangsvollstreckung ist nicht die wirtschaftliche Vernichtung des Schuldners oder die 37 Herbeiführung seiner generellen Kreditunwürdigkeit (Schuldnerverzeichnis), sondern die Befriedigung des Gläubigers. Dem kann oft damit gedient sein, dass der zahlungswillige, aber nicht in vollem Giers
1037
ZPO
Kap. 62 Rz. 38
Vollstreckungsschutz
M 62.7
Umfang zahlungsfähige Schuldner mit dem Gerichtsvollzieher gem. § 802b ZPO eine Ratenzahlungsvereinbarung schließt. Voraussetzung ist aber das Einverständnis des Gläubigers. Der Zahlungsplan des Gerichtsvollziehers führt in jeder Lage des Verfahrens zu einem Vollstreckungsaufschub, § 802b Abs. 2 Satz 2 ZPO.
38 K
Wichtig: Das Ausbleiben einer Rate für mehr als 2 Wochen macht den Zahlungsplan hinfällig, § 802b Abs. 3 Satz 3 ZPO. Dann ist die Vollstreckung fortzusetzen.
2. Antrag auf (einstweilige) Einstellung wegen besonderer Härte a) Antrag gem. § 765a ZPO
39 Absatz 1 dieser Bestimmung ist die Schutzvorschrift für alle Arten der Zwangsvollstreckung (Zöller/ Seibel § 765a ZPO Rz. 2). Immer muss – schon nach dem Gesetzeswortlaut – eine Interessenabwägung stattfinden, wobei das Schutzbedürfnis des Gläubigers einen besonders hohen Stellenwert einnimmt (Zöller/Seibel § 765a ZPO Rz. 5). Das gilt insbesondere dann, wenn für Ratenzahlungsangebote pp. die Mittel fehlen.
40 M 62.7 Antrag auf einstweilige Einstellung nach § 765a ZPO Eilt sehr! Durch Boten! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich namens der von mir vertretenen Schuldnerin das Zwangsversteigerungsverfahren einstweilen bis zum … einzustellen. Begründung: Der Gläubiger, der geschiedene Ehemann der Schuldnerin, betreibt die Teilungsversteigerung des Hauses, in welchem sich die frühere Ehewohnung befindet. Die Schuldnerin lebt dort weiterhin mit dem Kind K, welches die Parteien vor der Scheidung gemeinsam in Pflege genommen hatten. K besucht, wie sich aus der anliegenden Schulbescheinigung ergibt, bis zum die … Schule in … Angesichts des hohen Mietniveaus in … wird die Schuldnerin keine Mietwohnung in der Nähe dieser Schule finden. Das Teilungsversteigerungsverfahren ist daher bis zum Abschluss der Schulausbildung von K einzustellen, damit das Kind diesen Abschluss unbeeinträchtigt von der Versteigerung absolvieren kann. § 765a ZPO ist zur Wahrung der Belange von Pflegekindern im Teilungsversteigerungsverfahren anwendbar (BGH MDR 2007, 974). Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2112 KV GKG; für den Anwalt fällt die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für jedes Verfahren gesondert an (§ 18 Abs. 1 Nr. 6 RVG).
b) Antrag gemäß § 851b ZPO
41 Laufende Mieten (und Pachtzinsen) unterliegen, wie in Kap. 50 Rz. 37 dargelegt, der Forderungspfändung. Der Vermieter genießt aber einen besonderen Vollstreckungsschutz, um die Substanz der Immobilie zu erhalten.
1038
Giers
Vollstreckungsschutz
Rz. 43 Kap. 62
M 62.8 Antrag auf Aufhebung der Pfändung von Mietzinsen
42
Eilt sehr! Durch Boten! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … Az. … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich namens des von mir vertretenen Schuldners …, die mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom … erfolgte Pfändung der Mieten bei den Drittschuldnern a) … b) … c) … d) … gem. § 851b ZPO aufzuheben, weil der Schuldner diese Beträge in voller Höhe zur Unterhaltung des Grundstücks benötigt. Wie sich aus der anliegenden Bauauflage des Ordnungsamtes der Stadt … vom … ergibt, ist die Mauer zum an dem Grundstück vorbeifließenden … Bach stark einsturzgefährdet. Sie muss nach dieser Auflage binnen Jahresfrist erneuert werden, was mit einem Kostenaufwand von 110.000 Euro nur möglich ist, wie der Maurermeister … entsprechend dem anliegenden Kostenvoranschlag dargelegt hat. Die gepfändeten Jahresmieten belaufen sich auf insgesamt 26.000 Euro, so dass unter Berücksichtigung der laufenden Grundstücksabgaben überhaupt noch nicht abzusehen ist, ob und wann der Schuldner aus dem Grundbesitz pfändbare Erträge wird erzielen können. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: Die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG fällt für jedes Verfahren gesondert an (§ 18 Abs. 1 Nr. 6 RVG).
3. Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist Bevor wegen einer bevorstehenden Räumung ein Antrag nach § 765a ZPO gestellt wird, ist stets zu prüfen, ob auch ein Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist gem. § 721 ZPO möglich ist. Voraussetzung ist, dass bei einem Urteil auf Räumung einer Wohnung eine Räumungsfrist gewährt wurde. Die Frist darf insgesamt, also mit Verlängerung, nicht mehr als ein Jahr dauern. Der Antrag auf Fristverlängerung ist spätestens zwei Wochen vor Ablauf der Frist zu stellen. Es entscheidet das Gericht erster Instanz, bei Anhängigkeit in der Berufungsinstanz das Berufungsgericht.
Giers
1039
43
ZPO
M 62.8
ZPO
Kap. 62 Rz. 44
Vollstreckungsschutz
M 62.9
44 M 62.9 Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist An das Amtsgericht … Az. … In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum) beantrage ich die am … ablaufende Räumungsfrist bis zum … zu verlängern. Begründung: Dem Beklagten wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom … eine Räumungsfrist von drei Monaten bis zum … gewährt. Er hat nun zum …, also drei Wochen nach Fristablauf, eine neue Wohnung gefunden. Eine Kopie des Mietvertrages liegt an. Zumal der Beklagte die Miete immer pünktlich gezahlt hat, ist es ihm nicht zuzumuten, seine sämtlichen Möbel für drei Wochen einzulagern. Durch Verlängerung der Frist ist ihm vielmehr der direkte Umzug zu ermöglichen. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 3334 VV RVG; der Antrag auf Verlängerung ist regelmäßig ein selbständiges Verfahren, da er erst nach Beendigung der Hauptsache gestellt wird (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 3334 VV RVG Rz. 2, 10).
4. Räumungsschutzantrag
45 Kommt eine Verlängerung der Frist nicht in Betracht, so bleibt nur der Weg über § 765a ZPO. Dieser Antrag ist spätestens 2 Wochen vor dem angesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, die Gründe hierfür sind erst später entstanden oder der Schuldner war ohne sein Verschulden an der Antragstellung gehindert. Ist die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich, so kann der Gerichtsvollzieher bis zu dessen Entscheidung einen Aufschub von einer Woche bewilligen.
46 Dann aber muss die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts unverzüglich herbeigeführt werden. Dieser Räumungsschutzantrag unterscheidet sich nur unbedeutend von dem ohne vorherige Entscheidung des Gerichtsvollziehers:
47 M 62.10 Räumungsschutzantrag gem. § 765a ZPO Eilt sehr! Durch Boten! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) beantrage ich namens des von mir vertretenen Schuldners … gem. § 765a Abs. 1 ZPO unter Wahrung der Zweiwochenfrist des § 765a Abs. 3 ZPO, den vom Gerichtsvollzieher … am … für den … angeordneten Räumungstermin – DR … / … – für die Wohnung des Schuldners aufzuheben.
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Giers
M 62.10
Vollstreckungsschutz
Rz. 50 Kap. 62
Begründung:
ZPO
Der Schuldner ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts … Az. … verurteilt worden, seine oben bezeichnete Wohnung zu räumen. Die ihm gewährte Räumungsfrist ist – nach einmaliger Verlängerung – abgelaufen, ohne dass es dem Schuldner bis dahin gelungen war, sich eine Ersatzwohnung zu beschaffen. Der Gerichtsvollzieher hat am … Termin zur Räumung der Wohnung auf den … angesetzt, wie sich aus der anliegenden Bescheinigung ergibt. Durch einen glücklichen Zufall ist es dem Schuldner nun gelungen, bei der Städtischen Wohnungsgesellschaft eine Wohnung anzumieten, die in drei Wochen frei wird. Der Mietvertrag liegt bei. Da der Schuldner arbeitslos ist, kann ihm nicht zugemutet werden, sich für die Zeit bis zum Freiwerden der neuen Wohnung Ersatzraum zu beschaffen. Der Schuldner hat auch dafür keine Chance, so dass er bei einer Räumung obdachlos werden würde. Dem Gläubiger kann das weitere Verbleiben des Schuldners in der Wohnung zugemutet werden, weil der Schuldner alle Mietrückstände bezahlt hat und auch für die weitere Nutzung der Wohnung Miete zahlen wird. Kosten: Gericht: 20 Euro nach Nr. 2112 KV GKG); für den Anwalt fällt die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für jedes Verfahren gesondert an (§ 18 Abs. 1 Nr. 6 RVG).
K
Wichtig: Gegenüber der Räumungsvollstreckung berufen sich Schuldner häufig mit der Be- 48 gründung auf § 765a ZPO, es bestehe für sie selbst oder einen nahen Angehörigen Suizidgefahr. In diesen Fällen muss das Vollstreckungsgericht mit sachverständiger Hilfe (BGH DGVZ 2011, 49) prüfen, ob die Gefahr auf andere Weise als durch eine Einstellung abgewendet werden kann. In Betracht kommen zB die Auflage, fachliche, auch stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder die Unterbringung des Gefährdeten nach den Landesgesetzen zum Schutz psychisch Kranker. Gegebenenfalls ist eine befristete Einstellung der Vollstreckung mit dem Ziel anzuordnen, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen. Der Schuldner ist verpflichtet, sich um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos zu bemühen (BGH NJW-RR 2013, 62 mwN). Ein absoluter Ausnahmefall, in dem eine Räumungsvollstreckung wegen einer beim Schuldner bestehenden Gesundheits- oder Suizidgefahr auf unbestimmte Zeit eingestellt wird, kann nur vorliegen, wenn eine Verringerung des Gesundheitsrisikos oder der Suizidgefahr auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Mitwirkung des Schuldners und staatlicher Stellen in Zukunft ausgeschlossen erscheint (BGH MDR 2016, 417). Die Antragsbefugnis des Schuldners erlischt in diesen Fällen nicht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH WuM 2009, 314).
V. Vollstreckungsschutz bei nicht rechtskräftigem Urteil 1. Vollstreckung aus nicht rechtskräftigen Entscheidungen Urteile sind mit (§ 709 ZPO) oder ohne (§ 708 ZPO) Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar 49 zu erklären. Zur Vollstreckung aus Beschlüssen nach § 38 FamFG in entsprechender Anwendung der ZPO s. Kap. 113. Wenn die Entscheidung versehentlich unterblieben ist, so ist sie – auf innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung des Urteils zu stellenden Antrag – nachzuholen (§§ 716, 321 ZPO). Der aus einem solchen Urteil Berechtigte, der Gläubiger, kann also immer vollstrecken (§ 704 Abs. 1 ZPO), wenn die besonderen gesetzlichen („Titel, Klausel, Zustellung“) oder die im Urteil angeordneten (Sicherheitsleistung, Angebot der Gegenleistung usw.) Voraussetzungen gegeben sind. Der Gesetzgeber hat zudem die Rechte des Gläubigers so ausgestaltet, dass ihm der Vorrang gegenüber den Interessen des Schuldners bei der Zwangsvollstreckung gebührt; der Schuldner ist daher auf Vollstreckungsschutzmaßnahmen in besonderer Weise angewiesen. Wenn das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil einer Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz nicht standhält, muss der Gläubiger, der aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil vollstreckt hat, zwar aus Gefährdungshaftung Schadensersatz leisten (§ 717 Abs. 2 ZPO), jedoch ist ein ideeller Schaden nicht erstattungsfähig; ferner entfällt die strenge Haftung gem. § 717 Abs. 3 ZPO, Giers
1041
50
ZPO
Kap. 62 Rz. 51
Vollstreckungsschutz
M 62.11
wenn aus einem Berufungsurteil (sofern es sich nicht um ein Versäumnisurteil handelt) vollstreckt wird, vgl. Kap. 45 Rz. 30. Dem Wunsch des Schuldners, all dem zu entgehen, trägt das Gesetz Rechnung, allerdings muss der Schuldner dann in aller Regel Sicherheit leisten, selbst wenn der Gläubiger von der Sicherheitsleistung befreit ist. 2. Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, Aufhebung getroffener Maßnahmen
51 Wenn ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, dann ist gem. § 719 ZPO die Einstellungsmöglichkeit nach § 707 ZPO anwendbar mit der Folge der Einstellung der Zwangsvollstreckung aufgrund eines Antrags des Schuldners = Rechtsmittelführers. Der Antrag ist am besten zugleich mit der Rechtsmittelschrift – beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil oder einen Vollstreckungsbescheid zugleich mit der Einspruchsschrift – zu stellen. Dabei sollte sogleich Sicherheitsleistung angeboten werden, weil die Voraussetzungen der Einstellung ohne Sicherheitsleistung – ordnungsgemäßes Verfahren vorausgesetzt – nur in äußerst seltenen Fällen vorliegen.
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Wichtig: Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht gem. § 719 Abs. 2 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn der Schuldner im Berufungsverfahren keinen Antrag nach § 712 ZPO gestellt hat (Kap. 46 Rz. 37).
53 M 62.11 Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (Im Anschluss an die Rechtsmittelanträge:) Zugleich wird beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil gegen Sicherheitsleistung iHv. … Euro einzustellen und die Aufhebung bisher erfolgter Vollstreckungsmaßnahmen anzuordnen. Kosten: Gericht: Gebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: Die Tätigkeit gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
54 Ist der entsprechende Beschluss ergangen, steht er nach § 775 Nr. 2 und 3 ZPO einer neuen Zwangsvollstreckungsmaßnahme entgegen, sofern der Schuldner die Sicherheit geleistet hat. Getroffene Maßnahmen sind unter Vorlage des Beschlusses und Nachweis der Sicherheitsleistung vom Gerichtsvollzieher nach § 776 ZPO aufzuheben, sofern dies im Beschluss angeordnet wurde. Name und Anschrift des Gerichtsvollziehers sind aus der Pfändungsmaßnahme bekannt. Auch eine Sicherungshypothek kann dann ohne Zustimmung des Gläubigers gelöscht werden (OLG Celle Nds. Rpfl. 1998, 89).
55 M 62.12 Antrag auf Einstellung und Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen
(Gerichtsvollzieher) Herrn Obergerichtsvollzieher … In Sachen … / … (Kurzrubrum) wird auf Ihre Nachricht über die Sachpfändung vom … – (DR-Aktenzeichen in Fettdruck) – unter Übersendung des Einstellungsbeschlusses des Oberlandesgerichts in … vom … – Az. … – und der Bürgschaftserklärung der … Bank vom … beantragt, die Zwangsvollstreckung einzustellen und die Pfändungen aufzuheben. Kosten: Gerichtsvollzieher: keine Gebühr; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
1042
Giers
Vollstreckungsschutz
Rz. 61 Kap. 62
Liegen Forderungs-(Gehalts-)Pfändungen vor, ist der entsprechende Antrag an das Vollstreckungsgericht unter Angabe des M-Aktenzeichens zu richten und der Drittschuldner umgehend von der Aufhebung zu unterrichten.
56
ZPO
M 62.13
3. Sicherheitsleistung des Schuldners bei Sicherungsvollstreckung Nach § 720a Abs. 1 ZPO darf der Gläubiger einer Geldforderung bei einem nur gegen Sicherheits- 57 leistung vorläufig vollstreckbaren Titel Sachpfändungen oder Sicherungshypotheken ausbringen lassen, ohne zuvor Sicherheit leisten zu müssen. Näheres hierzu ist in Kap. 46 Rz. 1 ff. ausgeführt. Hier geht es allein um die technische Abwicklung der Sicherheitsleistung durch den Schuldner. Da die Zustellung der Klausel gem. § 750 Abs. 3 ZPO 2 Wochen vor Beginn der Sicherungsvollstreckung nur bei Erteilung einer qualifizierten Klausel iSv. § 750 Abs. 2 ZPO erforderlich ist (s. Kap. 46 Rz. 2), muss der Schuldner mit der Sicherungsvollstreckung rechnen, sobald seit der Zustellung des Urteils 2 Wochen vergangen sind. Will er diese abwenden, so muss er Sicherheit in Höhe der Hauptforderung leisten (§ 720a Abs. 3 ZPO). Auf die Möglichkeit der Hinterlegung Kap. 46 Rz. 18 ff.) wird verwiesen. Die Forderung aus einer zur Abwendung der Sicherungsvollstreckung geleisteten Prozessbürgschaft wird mit der Rechtskraft des Urteils, dessen Vollstreckung abgewendet werden soll, fällig, ohne dass es einer Leistungsaufforderung durch den Titelgläubiger bedarf, und unterliegt der dreijährigen Verjährung (BGH MDR 2015, 353 = NJW 2015, 351). Sind schon Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden, zB eine Sachpfändung, so hat der Gerichtsvollzieher nach Vorlage des Hinterlegungsscheins die Maßnahme aufzuheben (§§ 775 Nr. 3, 776 ZPO).
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K
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Praxistipp: Eine vom Gläubiger ausgebrachte Vorpfändung kann nicht aufgehoben werden. Gegen die Vorpfändung muss daher Erinnerung eingelegt werden. Zuständig dafür ist das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, § 828 Abs. 2 ZPO (OLG Hamm DGVZ 2012, 13). Läuft die Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO ab, ohne dass eine Pfändung folgt, wird die Vorpfändung wirkungslos. Das Erinnerungsverfahren muss dann für erledigt erklärt werden.
M 62.13 Antrag auf Einstellung und Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen
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nach Sicherheitsleistung Herrn Obergerichtsvollzieher … In Sachen … / … (Kurzrubrum) wird auf Ihre Nachricht über die Sachpfändung vom … – (DR-Aktenzeichen in Fettdruck) – unter Übersendung des Hinterlegungsscheins des Amtsgerichts … vom … – Az. … – über die Hauptforderung iHv. … Euro gem. §§ 775 Nr. 3, 776 ZPO beantragt, die Zwangsvollstreckung einzustellen und die Pfändung aufzuheben. Kosten: Gerichtsvollzieher: keine Gebühr; Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG.
VI. Widerspruch gegen Eintragung ins Schuldnerverzeichnis Zulässiger Rechtsbehelf gegen die Eintragungsanordnung des Gerichtsvollziehers (oder eines anderen 61 Vollstreckungsorgans) ist gem. § 882d Abs. 1 ZPO der innerhalb von zwei Wochen seit Bekanntgabe beim örtlichen Vollstreckungsgericht einzulegende Widerspruch. Da dieser Widerspruch nicht die Vollziehung der Eintragungsanordnung hemmt, ist zusätzlich zu beantragen, dass gem. § 882d Abs. 2
Giers
1043
ZPO
Kap. 62 Rz. 62
Vollstreckungsschutz
M 62.14
ZPO die Eintragung ausgesetzt wird. Das örtliche Vollstreckungsgericht übermittelt seine Entscheidung elektronisch dem zentralen Vollstreckungsgericht, § 882d Abs. 3 Satz 2 ZPO.
62 M 62.14 Widerspruch gegen Eintragung ins Schuldnerverzeichnis Eilt sehr! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) lege ich namens des von mir vertretenen Schuldners … gegen die vom Obergerichtsvollzieher … mit Schreiben vom … – DR … / … –, angekündigte Eintragung ins Schuldnerverzeichnis, dem Schuldner zugestellt am …, Widerspruch ein und beantrage ferner, die Eintragung einstweilen auszusetzen. Der Gerichtsvollzieher hat den Schuldner am Dienstag, dem 11.3.20 … durch persönliche Zustellung zur Abgabe der Vermögensauskunft am Dienstag, dem 25.3.20 …, 9.00 Uhr geladen und eine Frist von zwei Wochen zur Begleichung der Forderung gesetzt. Diese Frist lief jedoch gem. § 222 ZPO, § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB erst am 25.3.20 …, 24.00 Uhr ab, weil der Tag der Zustellung bei der Fristberechnung nicht mitzählt (vgl. AG Augsburg DGVZ 2013, 140). Der Schuldner ist damit dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht unentschuldigt ferngeblieben mit der Folge, dass die Voraussetzungen für die Eintragung ins Schuldnerverzeichnis nach § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorliegen. Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, wenn der Anwalt im Vollstreckungsverfahren noch nicht tätig ist.
63 Die Eintragungsanordnung, der Zustellungsnachweis und die Quittung sind in Kopie beizufügen. 64 K
Wichtig: Wenn dem Gerichtsvollzieher vor der Übermittlung der Eintragungsanordnung bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Eintragung nicht oder nicht mehr vorliegen, hebt er die Anordnung auf und unterrichtet den Schuldner hierüber, § 882d Abs. 1 Satz 5 ZPO. In diesem Fall muss sich der Schuldner also zunächst an den Gerichtsvollzieher wenden.
Kapitel 63 Vollstreckungsabwehrklage I. Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In Betracht kommende Einwendungen . . . . a) Rechtsvernichtende Einwendungen . . . . b) Rechtshemmende Einwendungen . . . . . c) Einwendungen aus Vollstreckungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 63.1 Vollstreckungsabwehrklage (wegen Aufrechnung) mit Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . .
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Giers/Wiemer
1 2 2 3 4
5
M 63.2 Versicherung an Eides statt . . . . M 63.3 Klageantrag, mit dem die Stundung der titulierten Forderung geltend gemacht wird . . . . . . . . M 63.4 Klageantrag, mit dem eine Vollstreckungsvereinbarung geltend gemacht wird . . . . . . . . . . . . . . M 63.5 Klageantrag, mit dem ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird . . . . . . . . . . . . . .
6 7 8 9
ZPO
Kap. 62 Rz. 62
Vollstreckungsschutz
M 62.14
ZPO die Eintragung ausgesetzt wird. Das örtliche Vollstreckungsgericht übermittelt seine Entscheidung elektronisch dem zentralen Vollstreckungsgericht, § 882d Abs. 3 Satz 2 ZPO.
62 M 62.14 Widerspruch gegen Eintragung ins Schuldnerverzeichnis Eilt sehr! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – … In Sachen … / … (Langrubrum) lege ich namens des von mir vertretenen Schuldners … gegen die vom Obergerichtsvollzieher … mit Schreiben vom … – DR … / … –, angekündigte Eintragung ins Schuldnerverzeichnis, dem Schuldner zugestellt am …, Widerspruch ein und beantrage ferner, die Eintragung einstweilen auszusetzen. Der Gerichtsvollzieher hat den Schuldner am Dienstag, dem 11.3.20 … durch persönliche Zustellung zur Abgabe der Vermögensauskunft am Dienstag, dem 25.3.20 …, 9.00 Uhr geladen und eine Frist von zwei Wochen zur Begleichung der Forderung gesetzt. Diese Frist lief jedoch gem. § 222 ZPO, § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB erst am 25.3.20 …, 24.00 Uhr ab, weil der Tag der Zustellung bei der Fristberechnung nicht mitzählt (vgl. AG Augsburg DGVZ 2013, 140). Der Schuldner ist damit dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht unentschuldigt ferngeblieben mit der Folge, dass die Voraussetzungen für die Eintragung ins Schuldnerverzeichnis nach § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorliegen. Kosten: Gericht: keine Gebühr (§ 1 GKG); Anwalt: 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG, wenn der Anwalt im Vollstreckungsverfahren noch nicht tätig ist.
63 Die Eintragungsanordnung, der Zustellungsnachweis und die Quittung sind in Kopie beizufügen. 64 K
Wichtig: Wenn dem Gerichtsvollzieher vor der Übermittlung der Eintragungsanordnung bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Eintragung nicht oder nicht mehr vorliegen, hebt er die Anordnung auf und unterrichtet den Schuldner hierüber, § 882d Abs. 1 Satz 5 ZPO. In diesem Fall muss sich der Schuldner also zunächst an den Gerichtsvollzieher wenden.
Kapitel 63 Vollstreckungsabwehrklage I. Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In Betracht kommende Einwendungen . . . . a) Rechtsvernichtende Einwendungen . . . . b) Rechtshemmende Einwendungen . . . . . c) Einwendungen aus Vollstreckungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 63.1 Vollstreckungsabwehrklage (wegen Aufrechnung) mit Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . .
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Giers/Wiemer
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M 63.2 Versicherung an Eides statt . . . . M 63.3 Klageantrag, mit dem die Stundung der titulierten Forderung geltend gemacht wird . . . . . . . . M 63.4 Klageantrag, mit dem eine Vollstreckungsvereinbarung geltend gemacht wird . . . . . . . . . . . . . . M 63.5 Klageantrag, mit dem ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird . . . . . . . . . . . . . .
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2. Abgrenzung zu anderen Rechtsbehelfen . . . II. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . 1. Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . 3. Richtiger Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwendung des Klägers gegen den titulierten Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nach § 767 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . b) Nach § 767 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . 3. Zusätzliche Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Kostenerstattung über § 788 ZPO . . . IV. Vorläufige Anordnungen bis zur Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage
10 18 18 19 20 21 24 24 25 26 30 32 33 34
Rz. 2 Kap. 63
1. Anordnungen gemäß § 769 Abs. 1 ZPO . . . 2. Anordnungen gemäß § 769 Abs. 2 ZPO . . . M 63.6 Eilantrag nach § 769 Abs. 2 ZPO . . M 63.7 Antrag auf Bestätigung einer Anordnung nach § 769 Abs. 2 ZPO . . 3. Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Rahmen des § 769 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . M 63.8 Rüge gem. § 321a ZPO gegen einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . V. Sonderformen der Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. §§ 785–786a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessuale Gestaltungsklage, § 767 ZPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 79 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. § 10 UKlaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. § 927 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 36 37
ZPO
Vollstreckungsabwehrklage
38 39 40 41 41 42 43 44 45
I. Ziel Der Titel fixiert nur die Rechtsbeziehungen der Parteien zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die erst danach entstanden sind oder die bei Titelerlass nach der einschlägigen Verfahrensordnung nicht berücksichtigt werden durften (etwa materiell-rechtliche Gegenansprüche im Kostenfestsetzungsverfahren; vgl. Zöller/Herget §§ 103, 104 ZPO Rz. 21 „Materiell-rechtliche Einwendungen“), können deshalb im Titel keinen Niederschlag gefunden haben. Sie werden mit der Vollstreckungsabwehrklage (Vollstreckungsgegenklage) gem. § 767 ZPO geltend gemacht. Ziel dieser (prozessualen Gestaltungs-)Klage ist es, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig zu erklären, soweit die Einwendung reicht (also in vollem Umfang oder über einen bestimmten Betrag hinaus oder zum derzeitigen Zeitpunkt).
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1. In Betracht kommende Einwendungen a) Rechtsvernichtende Einwendungen In erster Linie ist hier an materiell-rechtliche Einwendungen zu denken, die den titulierten Anspruch vernichten, also an – Erfüllung einschließlich aller Erfüllungssurrogate (etwa befreiende Hinterlegung; Zahlung durch einen Dritten; Aufrechnung, s. M 63.1), – Erlass, Verzicht, ein den Anspruch berührender Vergleich oder sonstiger späterer Vertrag, – Rücktritt vom Vertrag nach Urteilserlass, – „Gläubigerwechsel“: Verlust der Aktivlegitimation durch Pfändung und Überweisung des Anspruchs oder durch (Sicherungs-)Abtretung oder durch gesetzlichen Forderungsübergang, – Wegfall des Anspruchs auf Trennungsunterhalt mit Rechtskraft der Scheidung (Palandt/Brudermüller § 1361 BGB Rz. 5 mwN), – Wegfall des Unterhaltsanspruchs gegen den Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung (OLG Düsseldorf FamRZ 1987, 166),
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Kap. 63 Rz. 3
Vollstreckungsabwehrklage
– Wegfall der gesetzlichen Prozessstandschaft im Falle des § 1629 Abs. 3 Satz 2 BGB (OLG Jena FamRZ 2014, 867; Zöller/Herget § 767 ZPO Rz. 12 „Prozessführungsbefugnis“ mwN), – Erlöschen der materiell-rechtlichen Ermächtigung zum Forderungseinzug (BGH MDR 2012, 337), – Wegfall des Auskunftsanspruchs nach § 51b GmbHG nach Verlust der Gesellschafterstellung (OLG München MDR 2008, 291), – Nichtigerklärung der dem Titel zugrunde liegenden gesetzlichen Norm durch das BVerfG (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG). Jedenfalls bei in die Zukunft gerichteten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungstiteln kommt dabei auch eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH WRP 2009, 1388) in Betracht. Zur Behandlung nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehender Vorteile, die den Schaden mindern: BGH NJW-RR 2001, 1450. Zu weiteren Beispielen rechtsvernichtender Einwendungen: Zöller/Herget § 767 ZPO Rz. 12. b) Rechtshemmende Einwendungen
3 In Betracht kommen aber auch Einwendungen, die die Durchsetzung des Anspruchs derzeit oder auch auf Dauer hemmen, also – Stundung (M 63.3), – Zurückbehaltungsrechte (BGH NJW-RR 1997, 1272), – Annahmeverzug des Vollstreckungsgläubigers (LG Berlin WuM 2012, 213), – Verjährung (OLG Bamberg MDR 1998, 796: Verjährung der Hauptschuld nach rechtskräftiger Verurteilung des Bürgen, dies aber nur, soweit die Einrede auch dem Hauptschuldner noch zusteht, vgl. § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB und BGH WM 2017, 1356; zu beachten ist das auch trotz Verjährung des gesicherten Anspruchs aufgrund § 216 Abs. 1, 2 BGB weiterhin mögliche Vorgehen aus einem dinglichen/abstrakten Sicherungsrecht, vgl. beispielhaft BGH MDR 2010, 159), – Einrede des Notbedarfs des Schenkers (§ 519 BGB), – im Einzelfall auch der Einwand der Verwirkung (ausführlich hierzu Zöller/Herget § 767 ZPO Rz. 12 „Verwirkung“; zur Abgrenzung, wann dieser Einwand mit § 767 ZPO und wann mit § 323 ZPO geltend zu machen ist: OLG Köln FamRZ 2001, 1717), – Erteilung der Restschuldbefreiung (BGH MDR 2009, 108). c) Einwendungen aus Vollstreckungsverträgen
4 Auch Einwendungen aus Vollstreckungsvereinbarungen (zB des Inhalts, die Zwangsvollstreckung in einen bestimmten Gegenstand – auch ohne eine Stundung der Forderung – nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt zu beginnen, s. M 63.4) können mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden (BGH MDR 2017, 903; Zöller/Herget § 767 ZPO Rz. 12 „Vereinbarungen“).
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Wiemer
Vollstreckungsabwehrklage
Rz. 5 Kap. 63
M 63.1 Vollstreckungsabwehrklage (wegen Aufrechnung) mit Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung An das Landgericht … – Zivilkammer – in … Klage … / … (Langrubrum)1 wegen Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung Namens des von uns vertretenen Klägers werden wir beantragen, 1. die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des angerufenen Gerichts vom … Az: … für unzulässig zu erklären, 2. den Beklagten zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des erkennenden Gerichts vom … Az … an den Kläger herauszugeben. Vorab beantragen wir, die Zwangsvollstreckung aus dem genannten Urteil bis zum Erlass des Urteils im vorliegenden Rechtsstreit ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Begründung: In tatsächlicher Hinsicht wird Folgendes vorgetragen: Die Parteien sind Geschwister. In einem Rechtsstreit – Az. … –, den der Beklagte gegen den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits vor der angerufenen Kammer führte, war der Kläger verurteilt worden, dem Beklagten ein angebliches Darlehen iHv. 20.000 Euro zurückzuzahlen. Kurz nach Eintritt der Rechtskraft der genannten Entscheidung verstarb die Mutter der Parteien. Sie hinterließ die Parteien als ihre einzigen Verwandten sowie ein Testament, wonach der Beklagte ihr Alleinerbe sei und der Kläger nur den Pflichtteil erhalte. Beweis: Beglaubigte Ablichtung des Testaments (Anlage 1) Hauptbestandteil des Nachlasses ist ein Hausgrundstück in …, das mindestens 200.000 Euro wert ist. Beweis: Grundbuchauszug (Anlage 2) Sachverständigengutachten Es sind so gut wie keine Nachlassverbindlichkeiten vorhanden. Beweis: Erbschaftsteuerbescheid, dessen Vorlage dem Beklagten aufgegeben werden möge Daher beträgt der Pflichtteilsanspruch des Klägers gegen den Beklagten ca. 50.000 Euro. Mit Schreiben vom … hat der Kläger dem Beklagten gegenüber mit einem Teilbetrag seines Pflichtteilsanspruchs iHv. 20.000 Euro gegen den titulierten Darlehensrückzahlungsanspruch aufgerechnet. Beweis: Schreiben vom … (Anlage 3) Der Beklagte betreibt dennoch weiter die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil. Gestern war der Gerichtsvollzieher … beim Kläger. Obwohl der Kläger ihm den Sachverhalt schilderte, pfändete er ein Ölgemälde im Wohnzimmer des Klägers. Beweis: Abschrift des Pfändungsprotokolls (Anlage 4)
Wiemer 1047
5
ZPO
M 63.1
Kap. 63 Rz. 6
Vollstreckungsabwehrklage
M 63.2
ZPO
In rechtlicher Hinsicht gilt Folgendes: Der Antrag auf Herausgabe des Vollstreckungstitels rechtfertigt sich aus § 371 Satz 1 BGB analog. Der vorstehende Vortrag rechtfertigt darüber hinaus die sofortige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung der Kammer in der Sache gem. § 769 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und der Kläger besitzt nicht die notwendigen Mittel, um eine Sicherheit zu leisten. Dem Beklagten entstünde durch eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung auch kein Schaden, da er sich in jedem Falle aus dem Pflichtteilsanspruch des Klägers befriedigen könnte. Zur Glaubhaftmachung des Vorbringens zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung verweisen wir zunächst auf die beigefügten Anlagen 1 bis 4 sowie auf die zusätzlich als Anlage 5 beigefügte eidesstattliche Erklärung des Klägers.2 Wir bitten um umgehende Entscheidung, da die Versteigerung des Ölgemäldes droht. Einen Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG) und löst daher keine besondere Gebühr aus. Streitwert: Wert des vollstreckbaren Anspruchs. 1 Auf Seiten des beklagten Gläubigers sollte, falls aktuell kein anderer anwaltlicher Vertreter bekannt ist, dessen früherer Prozessbevollmächtigter benannt werden, an den die Klage gem. § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO zugestellt werden kann. 2 S. das folgende M 63.2.
6 M 63.2 Versicherung an Eides statt Eidesstattliche Erklärung: Belehrt über meine Wahrheitspflicht und über die Folgen einer falschen eidesstattlichen Erklärung1 versichere ich an Eides statt: Mein Bruder, der Beklagte, hat mein Schreiben vom …, in dem ich die Aufrechnung gegen die Darlehensforderung aus dem Urteil vom … erklärt habe, erhalten. Er hat mit mir in einem Telefonat am … darüber gesprochen und mir erklärt, ich könne meinen Pflichtteilsanspruch vergessen. Unsere Mutter habe mich zu ihren Lebzeiten immer derart bevorzugt, dass ich mehr als genug erhalten hätte. Wenn ich den Urteilsbetrag nicht schleunigst bezahle, werde er mich fertigmachen. Ich habe keinerlei Rücklagen und könnte eine Sicherheitsleistung nicht aufbringen, zumal ich von meiner Bank auch keinen Kredit mehr erhalte. 1 Inhaltliche und formelle Ausgestaltung einer eidesstattlichen Versicherung sind nicht normiert. Die in der anwaltlichen Praxis weit verbreitete Mitteilung einer erfolgten Aufklärung des Mandanten über seine Wahrheitspflicht und die möglichen Folgen falscher Angaben ist nicht verpflichtend, kann aber die Glaubhaftigkeit der Erklärung erhöhen.
1048
Wiemer
Vollstreckungsabwehrklage
Rz. 10 Kap. 63
M 63.3 Klageantrag, mit dem die Stundung der titulierten Forderung geltend
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gemacht wird Namens des von uns vertretenen Klägers werden wir beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom … Az. … vor dem …1für unzulässig zu erklären. Oder: die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom … Az. … zurzeit2 für unzulässig zu erklären. Kosten: s. Anm. zu M 63.1. 1 Wenn der Fristablauf bekannt ist. 2 Wenn der Fristablauf ungewiss ist.
M 63.4 Klageantrag, mit dem eine Vollstreckungsvereinbarung geltend gemacht
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wird Namens des von uns vertretenen Klägers werden wir beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom … Az. … in das Ölgemälde „Sonnenaufgang auf Rügen“ des Künstlers X vor dem … für unzulässig zu erklären. Kosten: s. Anm. zu M 63.1.
M 63.5 Klageantrag, mit dem ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird
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Namens des von uns vertretenen Klägers werden wir beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom … Az. … für zulässig nur Zug-um-Zug gegen …1zu erklären. Kosten: s. Anm. zu M 63.1. 1 Die zu erbringende Gegenleistung ist so genau zu beschreiben, dass eine Zwangsvollstreckung nach §§ 756, 765 ZPO stattfinden kann.
2. Abgrenzung zu anderen Rechtsbehelfen – Soll das Verfahren des Vollstreckungsorgans gerügt werden, muss der Schuldner die Vollstre- 10 ckungserinnerung wählen. Ein mit der Erinnerung zu verfolgender formeller Einwand liegt auch vor, wenn die generelle Eignung des Titels zur Zwangsvollstreckung gerügt werden soll, etwa weil die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung in einer notariellen Urkunde nicht eindeutig bestimmt und daher unwirksam ist (BGH MDR 2004, 471). Ist aufgrund des nämlichen Vorgangs sowohl die Erinnerung als auch die Vollstreckungsabwehrklage möglich (etwa wenn der Schuldner durch Banküberweisung erfüllt hat und der Gerichtsvollzieher den ihm vorgelegten Überweisungsnachweis nicht beachtet), kann der Schuldner beide Wege gehen, muss sich also nicht mit der billigeren und einfacheren Erinnerung begnügen (im Beispielsfall kann er also die Verletzung des § 775 Nr. 5 ZPO, der ein von Amts wegen zu beachtendes Vollstreckungshindernis Wiemer 1049
ZPO
M 63.5
Kap. 63 Rz. 11
Vollstreckungsabwehrklage
ZPO
begründet, mit der Erinnerung nach § 766 ZPO rügen und die – materiell-rechtliche – Erfüllung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen). Bezieht sich der formell-rechtliche Einwand darauf, dass es an der Wirksamkeit des Vollstreckungstitels fehle, ist er mit der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO geltend zu machen (hierzu s. Rz. 42). Er kann in einem solchen Falle aber auch, um ein weiteres Verfahren zu vermeiden, im Klageverfahren gem. § 767 ZPO miterledigt werden (BGH NJW-RR 2004, 472).
11 – Sollen materiell-rechtliche Einwendungen nicht gegen die titulierte Forderung, sondern nur gegen die vom Gericht zunächst bejahten Voraussetzungen einer qualifizierten Vollstreckungsklausel (§§ 726–729 ZPO) erhoben werden, ist Klage gem. § 768 ZPO zu erheben. Soll sowohl gegen die Klausel als auch gegen den titulierten Anspruch vorgegangen werden, können die Klagen gem. § 768 ZPO und § 767 ZPO miteinander verbunden werden (Zöller/Herget § 768 ZPO Rz. 1). Der Übergang von der Vollstreckungsabwehrklage zur Klauselgegenklage und umgekehrt ist eine Klageänderung, die sachdienlich sein kann (BGH v. 27.1.2012 – V ZR 92/11). In der Berufungsinstanz ist insoweit allerdings § 802 ZPO zu beachten, wenn aus einem gerichtlichen Titel und nicht aus einer notariellen Urkunde vollstreckt wird, für die § 797 Abs. 5 ZPO einschlägig ist (BGH aaO). Einwände allein gegen die verfahrensmäßige Ordnungsgemäßheit der Klauselerteilung sind mit der Klauselerinnerung gem. § 732 ZPO zu verfolgen.
12 – Soll geltend gemacht werden, dass einzelne Vollstreckungsmaßnahmen zwar nicht verfahrensmäßig fehlerhaft, wohl aber grob unbillig und mit den guten Sitten nicht im Einklang stehend seien, muss beim Rechtspfleger (vgl. § 20 Nr. 17 Satz 1 RPflG) des Vollstreckungsgerichts Vollstreckungsschutzantrag gem. § 765a ZPO gestellt werden (s. Kap. 62 Rz. 39 und M 62.10).
13 – Soll ein rechtskräftiges Urteil als von Anfang an falsch wieder beseitigt werden, kommen allein die Nichtigkeits- bzw. die Restitutionsklage (§§ 579, 580 ZPO) in Betracht (s. Kap. 72 und 73).
14 – Ist die Reichweite des Titels bzw. dessen Auslegung im Streit und will sich der Schuldner dagegen wehren, dass aus dem Titel mehr vollstreckt wird, als tatsächlich tituliert ist, muss er (negative) Feststellungsklage erheben (vgl. zum insoweit bestehenden Feststellungsinteresse BGH NJW 2018, 235).
15 – Versagen alle in der ZPO vorgesehenen Rechtsbehelfe, obwohl der Titel unzweifelhaft falsch ist und die Vollstreckung aus ihm das Rechtsgefühl in hohem Maße verletzt, kann der Schuldner ausnahmsweise Klage auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung – gestützt auf §§ 826, 1004 BGB – erheben (Kap. 74).
16 – Soll die anfängliche Nichtigkeit eines in einem Prozessvergleich niedergelegten materiell-rechtlichen Vergleichsvertrags (§ 779 BGB) geltend gemacht werden, muss das ursprüngliche Verfahren, in dem der Vergleich protokolliert wurde, fortgesetzt werden (Kap. 75).
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Wichtig: Ist die Vollstreckung – für den Gläubiger erfolgreich – vollständig abgeschlossen und kann nunmehr eine Einwendung iS des § 767 ZPO gegen den durch das Urteil festgestellten Anspruch geltend gemacht werden, hat dies im Wege der Bereicherungsklage zu erfolgen (sog. verlängerte Vollstreckungsabwehrklage auf Rückgewähr des Geleisteten; vgl. dazu BGH v. 6.12.2016 – XI ZR 46/14 und die dortigen Nachweise).
II. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage 1. Statthaftigkeit
18 Die (nur) gegen den – aus dem Titel oder der Vollstreckungsklausel erkennbaren – Vollstreckungsgläubiger zu richtende Klage ist statthaft, wenn sich der – aus dem Titel oder der Vollstreckungsklausel erkennbare – Vollstreckungsschuldner (nur dieser selbst kann die Vollstreckungsabwehrklage erheben, vgl. BGH v. 5.6.2012 – XI ZR 173/11) mit der Behauptung einer materiell-rechtlichen
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Wiemer
Vollstreckungsabwehrklage
Rz. 22 Kap. 63
ZPO
Einwendung gegen einen „formell vollstreckungsfähigen“ Titel iS der §§ 767 Abs. 1, 794 Abs. 1, 795 Satz 1 ZPO unter Verfolgung der oben unter Rz. 1 ff. genannten Ziele wendet. 2. Zuständigkeit des Gerichts Streitwertunabhängig (örtlich und sachlich) zuständig ist das ursprüngliche Prozessgericht des ersten Rechtszugs (also das Landgericht, das den Anspruch tituliert hat, auch dann, wenn nur noch um einen Teilanspruch von 150 Euro gestritten wird), unabhängig von der Rechtsmaterie, um die sich der Streit nunmehr hauptsächlich dreht. Deshalb kann sich das Prozessgericht des ersten Rechtszugs im Falle der auf eine Aufrechnung mit einer in keinem thematischen Zusammenhang zum titulierten Anspruch stehenden Gegenforderung gestützten Vollstreckungsabwehrklage mit einem in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht neuen Prozessstoff konfrontiert sehen. Zu beachten sind jedoch die für jede (Prozess-)Aufrechnung geltenden Einschränkungen, wonach diese nicht auf solche Gegenansprüche gestützt werden kann, die einem anderen Rechtsweg angehören (betroffen ist insoweit auch das Verhältnis zwischen der allgemeinen Zivilabteilung und dem Familiengericht, § 17a Abs. 6 GVG) oder für die das Gericht international nicht zuständig ist (vgl. Zöller/Greger § 145 ZPO Rz. 19a; BGH MDR 2014, 795; OLG Nürnberg MDR 2015, 1202; ArbG Hannover NZARR 2017, 502).
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3. Richtiger Klageantrag Da Streitgegenstand der prozessualen Gestaltungsklage die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung 20 (insgesamt) wegen bestimmter materiell-rechtlicher Einwendungen gegen den titulierten Anspruch ist, richtet sich der Klageantrag darauf, die Zwangsvollstreckung aus dem genau bezeichneten Titel für unzulässig zu erklären, und nicht etwa darauf, bestimmte bereits ergangene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben oder nicht mehr nach einem bereits erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu verfahren. Ein diesbezüglich nicht korrekter Antrag kann aber umgedeutet und ausgelegt werden. 4. Rechtsschutzbedürfnis Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage besteht, sobald und solange dem Schuldner die Vollstre- 21 ckung droht, mithin ab Titelerlass. Deshalb kann der Schuldner bis zum Eintritt der Rechtskraft des Titels wählen, ob er Berufung oder Revision einlegt oder stattdessen Vollstreckungsabwehrklage erhebt. Mit Einlegung des Rechtsmittels entfällt aber das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsabwehrklage (OLG Frankfurt OLGR 2006, 313). Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, sobald die Zwangsvollstreckung aus dem Titel vollständig been- 22 det ist. Bei der Zwangsvollstreckung aus Titeln, die auf eine Geldforderung gerichtet sind, ist dies immer erst der Fall, wenn der Vollstreckungserlös an den Gläubiger ausgekehrt wurde; bei den übrigen Titeln ist die Zwangsvollstreckung mit Eintritt des Vollstreckungserfolgs (Räumung der Wohnung, Ersatzvornahme der Handlung usw.) beendet, also bei Urteilstiteln auf Abgabe einer Willenserklärung bereits mit Rechtskraft des Urteils (vgl. § 894 Satz 1 ZPO sowie OLG Hamburg MDR 1998, 1051). Hat der Gläubiger die vollstreckbare Ausfertigung des Titels dem Schuldner mit der schriftlichen Erklärung zurückgegeben, dass eine Zwangsvollstreckung daraus nicht beabsichtigt sei, oder ist für alle Beteiligten unzweifelhaft, dass aus dem Titel keine Vollstreckung mehr droht (BGH MDR 1994, 479), fehlt ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsabwehrklage. Im Falle einer auf die Verjährung eines Teils der Grundschuldzinsen gestützten Vollstreckungsabwehrklage kann das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen sein, wenn der Gläubiger nicht wegen der verjährten Zinsen vollstreckt und Indizien vorliegen, die in einer Gesamtwürdigung den sicheren Schluss erlauben, dass die Vollstreckungsabwehrklage ausschließlich prozesszweckfremden Zielen dient (BGH MDR 2017, 109).
Wiemer 1051
Kap. 63 Rz. 23
Vollstreckungsabwehrklage
ZPO
23 Die Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage hemmt als solche den Fortgang der Zwangsvollstreckung nicht. Deshalb empfiehlt es sich immer, mit Klageerhebung zugleich einen Antrag nach § 769 ZPO zu stellen (Einzelheiten s. Rz. 34 ff.).
III. Begründetheit der Vollstreckungsabwehrklage 1. Einwendung des Klägers gegen den titulierten Anspruch
24 Der Schuldner muss alle tatsächlichen Voraussetzungen der von ihm geltend gemachten Einwendung schlüssig vortragen und ggf. beweisen. Dabei ist darauf zu achten, dass alle Tatsachen, die eine Einwendung begründen können (Klagegrund), einen eigenen Streitgegenstand bilden, so dass sich beim Nachschieben von Tatsachen, die eine im Prozess bislang nicht geltend gemachte Einwendung betreffen, die Frage nach der Zulässigkeit einer Klageänderung (§ 263 ZPO; vgl. OLG Frankfurt v. 8.10.2010 – 8 U 79/10) im Sinne einer nachträglichen objektiven Klagehäufung stellt. 2. Keine Präklusion
25 Der Schuldner darf mit seiner Einwendung nicht präkludiert sein (§ 767 Abs. 2 und 3 ZPO). a) Nach § 767 Abs. 2 ZPO
26 Alle Einwendungen, die der Schuldner bis zum Schluss der Tatsacheninstanz im Verfahren, das zum Titel führte, objektiv geltend machen konnte (BGH NJW-RR 2012, 304), sind bei einer späteren Vollstreckungsabwehrklage im Grundsatz ausgeschlossen (präkludiert). Ein Ausschluss greift dann nicht ein, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Einwendung zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Sind Einwendungen erst während der Revisionsinstanz entstanden, führt dies ebenfalls zu keiner Präklusion (BGH MDR 1998, 1240; BGH MDR 1999, 187). Ob der Schuldner sich der Möglichkeit der Einwendung nicht bewusst war (zB, weil erst eine spätere Änderung der Rechtsprechung das Bewusstsein geschaffen hat), ob ihm die zur Begründung der Einrede erforderlichen Tatsachen subjektiv nicht bekannt waren (BGH MDR 2001, 109), oder ob er sich der Bedeutung des Nichtberufens auf die Tatsachen nicht bewusst war (BGH NJW-RR 2012, 304), spielt für die Präklusion keine Rolle. Der Einwendungsausschluss führt, soweit er zum Tragen kommt, zur Unbegründetheit der Klage. Ist eine Einwendung im Rahmen einer tatsächlich geführten Vollstreckungsabwehrklage präkludiert oder wäre sie dies im Falle einer – etwa nach zwischenzeitlicher Vollbeendigung der Zwangsvollstreckung mangels Rechtsschutzbedürfnisses – nicht (mehr) zulässigen Vollstreckungsabwehrklage, ist sie grundsätzlich auch im Rahmen einer den titulierten Anspruch betreffenden negativen Feststellungsklage (OLG Rostock InVo 2004, 160) sowie im Falle der Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs (sog. „verlängerte Vollstreckungsabwehrklage“) wegen angeblich zu Unrecht vollstreckter Beträge ausgeschlossen (BGH MDR 2013, 1372). Das rechtskräftige Urteil belegt nicht nur das Bestehen des Anspruchs, sondern auch seine einredefreie Durchsetzbarkeit zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz.
27 Wird aus einer Zwangshypothek in ein Grundstück vollstreckt, das der Schuldner nach der Belastung weiterveräußert hatte, so ist auch der neue Eigentümer mit allen Einwendungen gegen die durch die Zwangshypothek gesicherte Forderung präkludiert, mit denen der Schuldner nach § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert wäre (BGH MDR 2013, 1372).
28 § 767 Abs. 2 ZPO gilt für andere Titel als Urteile und Versäumnisurteile (vgl. für Vollstreckungsbescheide § 796 Abs. 2 ZPO) nur dann entsprechend, wenn die ZPO nicht ausdrücklich etwas anderes regelt (so in § 797 Abs. 4 ZPO im Hinblick auf vollstreckbare Urkunden als Titel) oder sich aus der Natur des Titels bzw. aus dem zum Titel führenden Verfahren nichts anderes ergibt. Danach ist Absatz 2 gegenüber – der materiellen Rechtskraft nicht fähigen – Prozessvergleichen nicht anwendbar (BGHZ 85, 64). Da im Kostenfestsetzungsverfahren keine Gelegenheit gegeben ist, mit materiell-rechtlichen 1052
Wiemer
Vollstreckungsabwehrklage
Rz. 34 Kap. 63
ZPO
Ansprüchen gegen den Kostenerstattungsanspruch aufzurechnen, kann auch insoweit keine Präklusion eintreten (vgl. Zöller/Herget § 103, 104 ZPO Rz. 21 „Materiell-rechtliche Einwendungen“ sowie BGHZ 3, 382, aber auch BGH v. 14.5.2014 – XII ZB 548/11 zu möglichen Ausnahmen). Andere im Kostenfestsetzungsverfahren mögliche Einwendungen müssen aber auch dort erhoben werden, um nicht präkludiert zu sein (OLG Köln MDR 2010, 998). Bilden (gesetzliche) Gestaltungsrechte die Grundlage einer Einwendung (etwa die Aufrechnung, die 29 den Erfüllungseinwand tragen soll, Anfechtung, Widerruf nach § 355 BGB oder Rücktritt, die den Wegfall eines Anspruchs begründen sollen usw.), gilt, dass die Einwendung schon dann ausgeschlossen ist, wenn das Gestaltungsrecht bereits vor Titelerlangung (erstmals) hätte ausgeübt werden können (BGHZ 94, 29: betreffend eine vertraglich eingeräumte Optionsbefugnis, bei der im Hinblick auf § 767 Abs. 2 ZPO auf deren Ausübung abzustellen ist; BGH MDR 1994, 942; BGH MDR 2006, 743). Warum der Schuldner seine Ausübung unterlassen hatte, insbesondere, dass ihn insoweit kein Verschulden trifft, spielt keine Rolle. b) Nach § 767 Abs. 3 ZPO Konnte oder musste der Schuldner zwar die Einwendung nicht vor Titelerlass geltend machen, bestand aber die Möglichkeit, sie in einer ersten Vollstreckungsabwehrklage (oder auch einer Abänderungsklage, vgl. Zöller/Herget § 767 ZPO Rz. 22) vorzubringen, ist sie im Rahmen einer später erhobenen weiteren Vollstreckungsabwehrklage ausgeschlossen (§ 767 Abs. 3 ZPO). Die Präklusion des Abs. 3 ist nicht analog heranzuziehen, wenn materiell-rechtliche Ausgleichsansprüche aufgrund unberechtigter Zwangsvollstreckung selbständig im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden (Lakkis ZZP 119 [2006], 435).
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K
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Wichtig: Für den Schuldner begründet § 767 Abs. 3 ZPO die Pflicht, alle Einwendungen, zu deren Geltendmachung er imstande ist, auch geltend zu machen. Das in der Vorschrift zum Ausdruck kommende „Bündelungsgebot“ gilt für alle Titel, also auch für solche, auf die § 767 Abs. 2 ZPO keine Anwendung findet. Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen dürfen also keine dem Schuldner zur Verfügung stehenden Einwendungen – etwa aus prozesstaktischen oder -ökonomischen Gründen – zurückgehalten werden. Ihr Zurückhalten – und sei es auch unverschuldet – bewirkt einen unwiederbringlichen Verlust der Einwendung.
3. Zusätzliche Anträge Hat die Vollstreckungsabwehrklage Erfolg, kann der Kläger, um sich vor weiteren Vollstreckungsversuchen des Gläubigers zu schützen, in analoger Anwendung des § 371 Satz 1 BGB die Herausgabe des Vollstreckungstitels verlangen (BGH NJW-RR 2008, 1512; MüKo.ZPO/Schmidt/Brinkmann § 767 ZP0 Rz. 20).
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4. Keine Kostenerstattung über § 788 ZPO War der Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage erfolgreich, kann der Gläubiger die ihm aus diesem Prozess erwachsenen Kosten nicht gem. § 788 ZPO wieder beim Schuldner beitreiben (Zöller/Geimer § 788 ZPO Rz. 12).
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IV. Vorläufige Anordnungen bis zur Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage 1. Anordnungen gemäß § 769 Abs. 1 ZPO Da die Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage den Fortgang der Vollstreckung nicht hemmt und da das Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage mit vollständiger Beendigung der Zwangsvollstreckung Wiemer 1053
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Kap. 63 Rz. 35
Vollstreckungsabwehrklage
M 63.6
erlischt, empfiehlt es sich immer, mit der Klageerhebung beim Prozessgericht gem. § 769 Abs. 1 ZPO zu beantragen, dass die Zwangsvollstreckung gegen (Muster eines Antrags und einer Antragsbegründung iVm. der Klageschrift s. M 63.1) oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt wird oder nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf oder dass einzelne Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen Sicherheitsleistung aufgehoben werden. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung wird dabei nur in Betracht kommen, wenn der Titel unter gar keinen Umständen gehalten werden kann, seine Aufhebung also sicher ist. Umgekehrt kommt keine Form der Einstellung in Betracht, wenn die Klage noch nicht einmal schlüssig ist (OLG Frankfurt MDR 1997, 194). Im Übrigen setzt die Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung nicht voraus, dass für die Klage überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (OLG Zweibrücken InVo 2002, 426). Bei der Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen besteht tatrichterliches Ermessen. Ist noch nicht Klage nach § 767 ZPO eingereicht (Anhängigkeit genügt, vgl. Zöller/Herget § 769 ZPO Rz. 4), sondern nur ein Prozesskostenhilfegesuch für eine solche Klage, kommt eine Einstellung gem. § 769 Abs. 1 ZPO noch nicht in Frage. Der Vollstreckungsschuldner ist in diesen Fällen auf eine mögliche Anordnung des Vollstreckungsgerichts gem. § 769 Abs. 2 Satz 1 ZPO beschränkt, falls die erforderliche Dringlichkeit gegeben ist (OLG Frankfurt v. 29.1.2008 – 9 W 1/08).
35 Da im Verfahren über den Einstellungsantrag keine Beweisaufnahme stattfindet, das Gericht aber eine verlässlichere Entscheidungsgrundlage benötigt als die bloßen Behauptungen des (klagenden) Schuldners, sind die den Antrag begründenden tatsächlichen Angaben glaubhaft zu machen (§ 769 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Es kommen alle geeigneten Glaubhaftmachungsmittel des § 294 ZPO in Betracht. Die eigene eidesstattliche Versicherung des Schuldners sollte inhaltliche Substanz haben und sich nicht mit der Behauptung begnügen, der Schuldner habe den Schriftsatz seines Anwalts gelesen und die darin gemachten tatsächlichen Angaben träfen zu (Muster einer Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung s. M 63.2). 2. Anordnungen gemäß § 769 Abs. 2 ZPO
36 Droht eine Vollstreckungsmaßnahme so unmittelbar, dass eine Entscheidung des Prozessgerichts nicht rechtzeitig zu erlangen ist (vgl. Zöller/Herget § 769 ZPO Rz. 12), gibt § 769 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit, ausnahmsweise eine vorläufige Eilmaßnahme durch das Vollstreckungsgericht (das ist idR das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Vollstreckungsverfahren stattfinden soll, § 764 Abs. 1 und 2 ZPO) zu beantragen (s. M 63.5), die anschließend durch das Prozessgericht innerhalb einer vom Vollstreckungsgericht gesetzten Frist bestätigt werden muss (s. M 63.6). Nach fruchtlosem Ablauf der Frist wird die Zwangsvollstreckung fortgesetzt (§ 769 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
37 M 63.6 Eilantrag nach § 769 Abs. 2 ZPO Eilt! Sofort vorlegen! An das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – In dem Rechtsstreit … / … (Langrubrum) bestellen wir uns zu Prozessbevollmächtigten des Klägers und beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil der … Zivilkammer des Landgerichts … vom … Az. … ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Zur Begründung führen wir aus: Der Kläger hat am heutigen Tage die anliegende Vollstreckungsabwehrklage beim Landgericht … eingereicht. Der Gerichtsvollzieher hat bereits für übermorgen 11.00 Uhr die Abholung des gepfändeten Ölgemäldes angekündigt und Versteigerungstermin auf den … anberaumt. Da eine Entscheidung des Landgerichts gem. § 769 Abs. 1 ZPO in dieser kurzen Zeit nicht zu erwarten ist, beantrage ich die vorläufige
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Wiemer
M 63.7
Vollstreckungsabwehrklage
Rz. 39 Kap. 63
ZPO
Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 769 Abs. 2 ZPO, damit der Kläger nicht durch das überhastete Vorgehen des Beklagten einen unersetzlichen Schaden erleidet. Zur Glaubhaftmachung füge ich anwaltlich beglaubigte Ablichtungen der in der anliegenden Klageschrift aufgeführten Anlagen 1 bis 4 bei. Kosten: Gericht: Keine (§ 1 GKG); Anwalt: Keine besondere Gebühr, das Verfahren gehört zum Rechtszug, wenn nicht eine abgesonderte mündliche Verhandlung stattfindet (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG). In einem solchen Fall erhält der Rechtsanwalt eine 0,5 Verfahrensgebühr (Nr. 3328 VV RVG) und eine 0,5 Terminsgebühr (Nr. 3332 VV RVG), die auch dann nur einmal anfallen, wenn der Antrag sowohl beim Vollstreckungsgericht als auch beim Prozessgericht gestellt wird (Anm. zu Nr. 3328 VV RVG).
M 63.7 Antrag auf Bestätigung einer Anordnung nach § 769 Abs. 2 ZPO
38
An das Landgericht … Zivilkammer in … In dem Rechtsstreit … / … – Az. … – (Kurzrubrum) beantrage ich für den Kläger, die Entscheidung des Amtsgerichts – Vollstreckungsgericht – in … vom … Az. … zu bestätigen und die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom … Az. … einstweilen bis zum Urteil im vorliegenden Rechtsstreit ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung, einzustellen. Zur Begründung beziehe ich mich zum einen auf die dem Gericht bereits vorliegende Klageschrift nebst Anlagen, zum anderen auf die beigefügte eidesstattliche Erklärung des Klägers.1 Der Kläger besitzt außer dem genannten Ölgemälde und dem Pflichtteilsanspruch gegen den Beklagten keinerlei Vermögen. Das Ölgemälde ist alter Familienbesitz, an dem der Kläger sehr hängt. Kosten: Gericht: Keine (§ 1 GKG); Anwalt: Keine besondere Gebühr, das Verfahren gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG). 1 Muster gem. M 63.2.
3. Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Rahmen des § 769 Abs. 1 ZPO Entscheidungen des Prozessgerichts im Rahmen des § 769 Abs. 1 ZPO sind im Regelfall nicht an- 39 fechtbar. Die hM in der Rechtsprechung wendet insoweit § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechend an (BGH MDR 2004, 1137; Zöller/Herget § 769 ZPO Rz. 13). In Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist gem. § 321a ZPO eine Rüge zulässig, über die das Prozessgericht zu entscheiden hat. Der BGH (MDR 2008, 1175) beschränkt den Anwendungsbereich des § 321a ZPO eng auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und verweist die Betroffenen im Übrigen allein auf die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde. Die Rüge muss in der Form und innerhalb der Frist des § 321a Abs. 2 ZPO erhoben werden, s. M 63.7.
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ZPO
Kap. 63 Rz. 40
Vollstreckungsabwehrklage
M 63.8
40 M 63.8 Rüge gem. § 321a ZPO gegen einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung An das Landgericht – Zivilkammer – … / … (Langrubrum zu empfehlen, wenn auch nicht zwingend) legen wir für den Beklagten gegen den Beschluss der … Zivilkammer des Landgerichts … vom …, durch den die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom … Az. … ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt wurde, Rüge ein mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und in der Sache neu zu entscheiden. Zur Begründung führen wir aus: Die Entscheidung des Landgerichts verletzt den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör. Das Landgericht hat dem Beklagten vor seiner Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beklagte hätte ansonsten die Aussichtslosigkeit der Klage darlegen können. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Zahlungsanspruch als Pflichtteilsberechtigter zu. Denn der Kläger hatte von der Mutter der Parteien, als er sich mit seiner Firma in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, ein Darlehen über 50.000 Euro erhalten, das bis heute nicht zurückgezahlt ist. Der Rückzahlungsanspruch ist auf den Beklagten als Erben der Mutter übergegangen. Er hat sofort nach dem Tode der Mutter mit diesem Anspruch gegen den Pflichtteilsanspruch des Klägers aufgerechnet. Beweis: Zeugnis Frau Y. Hätte das Landgericht diesen Sachverhalt gekannt, hätte es die Zwangsvollstreckung nicht ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung einstellen dürfen. Kosten: Gericht: 60 Euro nach Nr. 1700 KV GKG, wenn die Rüge in vollem Umfang verworfen oder zurückgewiesen wird; Anwalt: Das Verfahren über die Gehörsrüge gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Buchst. b RVG) und löst daher keine besondere Gebühr aus.
V. Sonderformen der Vollstreckungsabwehrklage 1. §§ 785–786a ZPO
41 Haftet der Schuldner nur mit einer besonderen Vermögensmasse (so im Falle der beschränkten Erbenhaftung, der Haftung mit aus dem Gesamtgut zugeteilten Gegenständen oder mit einer als Vermächtnis erworbenen Sache, aber auch im Falle der beschränkten Haftung gem. § 1629a BGB), kann er seine Haftungsbeschränkung gem. §§ 785–786a ZPO mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen. 2. Prozessuale Gestaltungsklage, § 767 ZPO analog
42 Für Einwendungen gegen die Wirksamkeit eines Titels, zB wegen Verstoßes gegen §§ 3, 12 MaBV (BGH MDR 1999, 32; BGH ZIP 2001, 2288; BGH NJW-RR 2004, 472) oder wegen arglistiger Täuschung bei Errichtung einer Grundschuldbestellungsurkunde (BGH v. 5.6.2012 – XI ZR 173/11 und BGH v. 5.6.2012 – XI ZR 179/11) oder wegen der den Titel überholenden Regelung des Streitgegenstandes in einem nachfolgenden Vergleich (BGH MDR 2007, 1340), aber auch für Einwendungen gegen die doppelte Titulierung eines Anspruchs (OLG Oldenburg InVo 1999, 317) oder gegen die inhaltliche Bestimmtheit des titulierten Anspruchs (BGH MDR 1994, 1040; OLG Koblenz MDR 2002, 968) lässt die Rechtsprechung eine prozessuale Gestaltungsklage analog § 767 ZPO zu mit dem Ziel, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig erklärt wird (zur Abgrenzung der Voll-
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Wiemer
Kap. 64
streckungsabwehrklage zu dieser prozessualen Gestaltungsklage sui generis im Einzelnen: Kaiser NJW 2010, 2933; zur Abgrenzung, wann insoweit nur ein formeller Einwand vorliegt, der mit § 766 ZPO geltend zu machen ist: BGH MDR 2004, 471; zur Abgrenzung gegenüber der Klauselerinnerung und der Klauselgegenklage: BGH BKR 2011, 291). 3. § 79 BVerfGG Beruht der zu vollstreckende Anspruch auf einer Norm, die später vom Bundesverfassungsgericht 43 für nichtig erklärt wurde, so ist die weitere Vollstreckung aus dem Titel unzulässig (§§ 79 Abs. 2 Satz 2, 95 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG). Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ist in analoger Anwendung des § 767 ZPO geltend zu machen (§ 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG). Die Regelung der §§ 79 Abs. 2, 95 Abs. 3 BVerfGG ist ebenfalls entsprechend anwendbar, wenn eine bestimmte Rechtsprechung zu einem an sich verfassungskonformen Gesetz für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt hier allen zugute, die durch inhaltlich gleich begründete Entscheidungen betroffen sind (BVerfGE 115, 51 unter Aufhebung von BGHZ 151, 316; ferner BGH NJW 2013, 1676). Soweit allerdings bereits Leistungen auf einen solchen Titel erbracht wurden, können sie nicht mehr zurückgefordert werden (§ 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG). Zur Reichweite dieses Konterkarierungsverbots: BGH NJW 2013, 1676. 4. § 10 UKlaG Ist einem AGB-Verwender die Benutzung bestimmter Klauseln in einem gerichtlichen Verfahren 44 nach § 1 UKlaG durch Urteil oder Vergleich untersagt worden (§§ 8, 9 UKlaG), die der BGH später anderen AGB-Verwendern gestattet, so kann er die Unzulässigkeit der weiteren Vollstreckung aus dem gegen ihn gerichteten Unterlassungstitel mit der Klage gem. § 10 UKlaG, § 767 ZPO geltend machen. 5. § 927 ZPO Bei Arrest und einstweiliger Verfügung als Titel tritt an die Stelle der Klage gem. § 767 ZPO – diese ver- 45 drängend – der Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände gem. § 927 Abs. 1 ZPO. Veränderte Umstände liegen insbesondere auch dann vor, wenn der Arrest oder die einstweilige Verfügung nicht mehr vollstreckt werden können, weil die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO versäumt wurde (OLG Düsseldorf MDR 2015, 967). Nach umstrittener Auffassung kommt die Vollstreckungsabwehrklage aber in Betracht bei einer (ausnahmsweise entgegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache) auf Befriedigung gerichteten einstweiligen Verfügung (sog. „Leistungsverfügung“, vgl. Zöller/ Vollkommer § 928 ZPO Rz. 8).
Kapitel 64 Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung I. 1. 2. 3.
Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „die Veräußerung hindernden Rechte“ . Ansprüche auf vorzugsweise Befriedigung . Abgrenzung zu weiteren konkurrierenden Rechtsbehelfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis § 771 zu § 805 ZPO . . . . . . . . b) Vollstreckungserinnerung . . . . . . . . . . . c) Herausgabeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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d) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorprozessuale Freigabeaufforderung . . . 1. Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 64.1 Freigabeaufforderung . . . . . . . . . . M 64.2 Pfandfreigabe durch den Vollstreckungsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . III. Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . .
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ZPO
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Kap. 64
streckungsabwehrklage zu dieser prozessualen Gestaltungsklage sui generis im Einzelnen: Kaiser NJW 2010, 2933; zur Abgrenzung, wann insoweit nur ein formeller Einwand vorliegt, der mit § 766 ZPO geltend zu machen ist: BGH MDR 2004, 471; zur Abgrenzung gegenüber der Klauselerinnerung und der Klauselgegenklage: BGH BKR 2011, 291). 3. § 79 BVerfGG Beruht der zu vollstreckende Anspruch auf einer Norm, die später vom Bundesverfassungsgericht 43 für nichtig erklärt wurde, so ist die weitere Vollstreckung aus dem Titel unzulässig (§§ 79 Abs. 2 Satz 2, 95 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG). Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ist in analoger Anwendung des § 767 ZPO geltend zu machen (§ 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG). Die Regelung der §§ 79 Abs. 2, 95 Abs. 3 BVerfGG ist ebenfalls entsprechend anwendbar, wenn eine bestimmte Rechtsprechung zu einem an sich verfassungskonformen Gesetz für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt hier allen zugute, die durch inhaltlich gleich begründete Entscheidungen betroffen sind (BVerfGE 115, 51 unter Aufhebung von BGHZ 151, 316; ferner BGH NJW 2013, 1676). Soweit allerdings bereits Leistungen auf einen solchen Titel erbracht wurden, können sie nicht mehr zurückgefordert werden (§ 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG). Zur Reichweite dieses Konterkarierungsverbots: BGH NJW 2013, 1676. 4. § 10 UKlaG Ist einem AGB-Verwender die Benutzung bestimmter Klauseln in einem gerichtlichen Verfahren 44 nach § 1 UKlaG durch Urteil oder Vergleich untersagt worden (§§ 8, 9 UKlaG), die der BGH später anderen AGB-Verwendern gestattet, so kann er die Unzulässigkeit der weiteren Vollstreckung aus dem gegen ihn gerichteten Unterlassungstitel mit der Klage gem. § 10 UKlaG, § 767 ZPO geltend machen. 5. § 927 ZPO Bei Arrest und einstweiliger Verfügung als Titel tritt an die Stelle der Klage gem. § 767 ZPO – diese ver- 45 drängend – der Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände gem. § 927 Abs. 1 ZPO. Veränderte Umstände liegen insbesondere auch dann vor, wenn der Arrest oder die einstweilige Verfügung nicht mehr vollstreckt werden können, weil die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO versäumt wurde (OLG Düsseldorf MDR 2015, 967). Nach umstrittener Auffassung kommt die Vollstreckungsabwehrklage aber in Betracht bei einer (ausnahmsweise entgegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache) auf Befriedigung gerichteten einstweiligen Verfügung (sog. „Leistungsverfügung“, vgl. Zöller/ Vollkommer § 928 ZPO Rz. 8).
Kapitel 64 Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung I. 1. 2. 3.
Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „die Veräußerung hindernden Rechte“ . Ansprüche auf vorzugsweise Befriedigung . Abgrenzung zu weiteren konkurrierenden Rechtsbehelfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis § 771 zu § 805 ZPO . . . . . . . . b) Vollstreckungserinnerung . . . . . . . . . . . c) Herausgabeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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d) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorprozessuale Freigabeaufforderung . . . 1. Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 64.1 Freigabeaufforderung . . . . . . . . . . M 64.2 Pfandfreigabe durch den Vollstreckungsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . III. Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . .
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ZPO
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
ZPO
Kap. 64 Rz. 1
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . c) Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründetheit der Drittwiderspruchsklage . a) Beweislast für den Bestand des Rechts . . b) Einwendungen des Beklagten . . . . . . . . . M 64.3 Drittwiderspruchsklage . . . . . . . M 64.4 Weitere Beispiele möglicher Klageanträge . . . . . . . . . . . . . . . M 64.5 Klageerwiderung des Vollstreckungsgläubigers . . . . . . . . . . . . 3. Wirkung des obsiegenden Urteils . . . . . . . . IV. Sonderformen der Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwendungen im Rahmen des § 180 ZVG . 2. § 772 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 16 17 18 19 22 22 25 30 31
3. V. 1.
2.
32 33 35 35 38
VI.
M 64.6 Antrag zur Geltendmachung eines relativen Veräußerungsverbotes (§ 772 Satz 2 ZPO) . . . . . . . . . . . . §§ 773, 774 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klage auf vorzugsweise Befriedigung . . . . Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage auf vorzugsweise Befriedigung . . . . . . . . . . a) Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . c) Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . Begründetheit der Klage auf vorzugsweise Befriedigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweislast bezüglich des Anspruchs . . . . b) Einwendungen des Beklagten . . . . . . . . M 64.7 Antrag bei einer Klage auf vorzugsweise Befriedigung einschließlich Antrag auf Hinterlegung des Versteigerungserlöses . Einstweilige Anordnungen . . . . . . . . . . . .
40 41 42 42 42 43 44 45 45 46
47 48
I. Ziel 1 Der Gerichtsvollzieher prüft bei der Pfändung beweglicher Sachen nur den Gewahrsam des Schuldners, nicht aber, ob das Pfändungsobjekt auch in dessen Eigentum steht. Das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger) pfändet jeweils nur die „angebliche“ Forderung, ohne nachzuprüfen, ob sie auch tatsächlich dem Schuldner gegen den Drittschuldner zusteht. Das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger) prüft bei der Immobiliarzwangsvollstreckung lediglich, ob der Schuldner als Grundstückseigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Deshalb ist es durchaus möglich, dass die Vollstreckungsorgane auf Gegenstände zugreifen, die nicht im Eigentum des Schuldners stehen und aus denen sich der Gläubiger – materiell-rechtlich betrachtet – nicht befriedigen darf, ohne dass Dritte jedenfalls Rechte an diesen Gegenständen haben, die den Anspruch des Gläubigers auf Befriedigung ausschließen oder ihm vorgehen. Ziel der Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO ist es, diese Gegenstände der Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger zu entziehen und deren Verwertung damit zu verhindern. Dagegen ist es Ziel der Klage auf vorzugsweise Befriedigung gem. § 805 ZPO, die vorrangige Befriedigung des Berechtigten aus dem Erlös einer in der Zwangsvollstreckung (bereits) verwerteten beweglichen Sache vor dem Gläubiger sicherzustellen. 1. Die „die Veräußerung hindernden Rechte“
2 Ein „die Veräußerung hinderndes Recht am Gegenstand der Zwangsvollstreckung“, das zur Erhebung der Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO befugt, ist „ein Recht, das, würde der Schuldner selbst den Gegenstand veräußern wollen, den Dritten berechtigen würde, den Schuldner, weil er durch die Veräußerung widerrechtlich in den Rechtskreis des Dritten eingreifen würde, an der Veräußerung (zB durch Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs und dessen Sicherung durch einstweilige Verfügung) zu hindern“ (BGHZ 55, 20). Solche Rechte sind insbesondere (weitere Beispiele: Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 14):
3 – das Eigentum (auch Miteigentum) an beweglichen Sachen einschließlich des Vorbehaltseigentums (BGHZ 54, 214) und des Sicherungseigentums (BGHZ 80, 296), – das Eigentum an Grundstücken, – die Inhaberschaft (OLG Naumburg v. 5.4.2012 – 1 U 90/11) oder auch nur Mitinhaberschaft einer Forderung (Schuschke/Walker/Raebel § 771 ZPO Rz. 22),
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Wiemer
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Rz. 7 Kap. 64
ZPO
– das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers bzw. des Sicherungsgebers, solange der Verkäufer die Sache nicht zurückfordern bzw. der Sicherungsnehmer – nach Eintritt der „Verwertungsreife“ – die Sache nicht verwerten darf (BGHZ 72, 141), – der Nießbrauch, – die Rechte des Hypothekengläubigers aus § 1120 BGB (Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 14 „Hypothek“), – der berechtigte Besitz an beweglichen Sachen (str., Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 14 „Besitz“), – schuldrechtliche Herausgabeansprüche (im Unterschied zu „bloßen“ Verschaffungsansprüchen, etwa aus § 433 Abs. 2 BGB) aus Vermietung, Verpachtung, Leihe, Treuhand u.ä. Rechtsverhältnissen (BGH MDR 1996, 630), – das Anfechtungsrecht nach § 11 AnfG oder das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 143 InsO (vgl. zu beidem: Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 14 „Anfechtungsrecht“). 2. Ansprüche auf vorzugsweise Befriedigung Pfand- und Vorzugsrechte, die einen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös einer im Wege der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung verwerteten beweglichen Sache (bei der Immobiliarvollstreckung sowie bei der Vollstreckung in Forderungen gilt § 805 ZPO nicht, vgl. MüKo.ZPO/Gruber § 805 ZPO Rz. 6 f.) geben, sind insbesondere die Pfandrechte der Vermieter und Verpächter (§§ 562, 592 BGB), des Gastwirts (§ 704 BGB) und der Frachtführer und Spediteure (§§ 441 Abs. 3, 464 HGB) sowie die Vorzugsrechte gem. § 51 InsO.
4
3. Abgrenzung zu weiteren konkurrierenden Rechtsbehelfen a) Verhältnis § 771 zu § 805 ZPO Während § 771 und § 805 ZPO sich insoweit ausschließen, als ein Dritter, dem nur eines der unter Rz. 4 genannten (besitzlosen) Pfand- und Vorzugsrechte zusteht, nicht erfolgreich nach § 771 ZPO vorgehen kann, kann der Inhaber eines letztlich nur eine Forderung sichernden, aber zu den „die Veräußerung hindernden Rechten“ zählenden Rechts (zB eines Vertragspfandrechts, eines Sicherungsoder des Vorbehaltseigentums) sich auch mit einer Klage nach § 805 ZPO als minus begnügen (Brox/ Walker Rz. 1453; Stein/Jonas/Würdinger § 805 ZPO Rz. 3, 7).
5
b) Vollstreckungserinnerung Will der Dritte nicht den Eingriff in seine materielle Berechtigung, sondern nur ein Vorgehen ohne seine formelle Zustimmung nach § 809 ZPO rügen, muss er mit der Erinnerung nach § 766 ZPO vorgehen.
6
c) Herausgabeklage Auf die materielle Berechtigung (§§ 985, 1006 BGB, Forderungsinhaberschaft) gestützte Herausgabe- 7 klagen gegen den Gläubiger sind nach Beginn der Zwangsvollstreckung unzulässig (BGHZ 58, 213; BGHZ 100, 95), ebenso Bereicherungsklagen gegen den Gläubiger auf Zustimmung zur Auszahlung des vom Drittschuldner nach der Pfändung bei der Hinterlegungsstelle hinterlegten Geldes (Zöller/ Herget § 771 ZPO Rz. 4 f.; MüKo.ZPO/Schmidt/Brinkmann § 771 ZPO Rz. 12). Herausgabeklagen gegen den Schuldner sind nur zulässig, wenn sie gem. § 771 Abs. 2 ZPO mit einer Drittwiderspruchsklage gegen den Gläubiger verbunden sind.
Wiemer 1059
Kap. 64 Rz. 8
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
M 64.1
ZPO
d) Feststellungsklage
8 Für selbständige Feststellungsklagen gegen den Gläubiger auf positive Feststellung der Berechtigung hinsichtlich des Gegenstandes oder auf negative Feststellung der Befugnis, in diesen Gegenstand vollstrecken zu dürfen, fehlt das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse (BGH NJW 1981, 1835; Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 4).
II. Vorprozessuale Freigabeaufforderung 1. Aufgabe
9 Wird dem Vollstreckungsgläubiger die Berechtigung des Dritten nachgewiesen und gibt er daraufhin nicht umgehend den Gegenstand frei, so macht er sich wegen Pflichtverletzung (§ 280 BGB) schadensersatzpflichtig (vgl. zu der mit dem Vollstreckungszugriff begründeten privatrechtlichen Sonderverbindung eigener Art: BGH NJW 1972, 1048; BGH MDR 1985, 485). Für das Verhalten der von ihm im Rahmen der Vollstreckung eingeschalteten Dritten, zB seines Rechtsanwaltes, ist er gem. § 278 BGB einstandspflichtig.
10 Umgekehrt kann der Vollstreckungsgläubiger die Zwangsvollstreckung in den Gegenstand solange gefahrlos weiterbetreiben, wie ihm die Berechtigung des Dritten nicht nachgewiesen ist. Klagt der Dritte, ohne den ihm obliegenden Nachweis vorprozessual erbracht zu haben, und gibt der Gläubiger den Gegenstand frei, sobald der Nachweis ihm gegenüber erbracht ist, so sind dem Kläger im Falle eines vom Gläubiger erklärten Anerkenntnisses die Kosten des Rechtsstreits gem. § 93 ZPO aufzuerlegen. Dies gilt auch dann, wenn der Nachweis erst in einer aufwendigen Beweisaufnahme erbracht wird und die Freigabe sowie die Anerkenntniserklärung unmittelbar im Anschluss an die Beweisaufnahme erfolgen (OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 790).
11 Um ein Kostenrisiko zu vermeiden, ist es für den Dritten daher in jedem Falle angezeigt, den Gläubiger zunächst unter möglichst vollständigem Nachweis der Berechtigung zur Freigabe aufzufordern, bevor Klage erhoben wird. 2. Inhalt
12 Die vorprozessuale Freigabeaufforderung (M 64.1) muss das Recht, dessen sich der Dritte berühmt, genau angeben; beizufügen sind (Kopien reichen zunächst) die vorhandenen Nachweise (Kaufvertrag, Sicherungsübereignungsvertrag usw.) oder, soweit keine Urkunden vorhanden sind, entsprechende Glaubhaftmachungsmittel (eidesstattliche Erklärung usw.).
13 Schließlich ist dem Gläubiger eine angemessene Frist zur Überprüfung der Berechtigung des Dritten und der Rechtslage einzuräumen. Je eindeutiger die Beweislage ist, desto kürzer kann die Frist bemessen werden. Der Gläubiger ist zu einer zügigen Prüfung verpflichtet; gegebenenfalls muss er auch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bewilligen, um Schadensersatzansprüche zu vermeiden. Ist das Recht des Dritten nachgewiesen, muss er die Pfandsache unverzüglich freigeben (M 64.2).
14 M 64.1 Freigabeaufforderung Herrn …-straße … Sehr geehrter Herr …, in Ihrem Auftrag pfändete der Gerichtsvollzieher … bei Herrn S am … einen alten Orientteppich, Herkunftsland Tunesien, entstanden etwa um 1850, Maße 2×3 m, Grundfarbe blau, traditionell gemustert, ca. 80.000 Knoten/m2. Dieser Teppich wurde mir am … von Herrn S zur Sicherung eines Darlehens iHv.
1060
Wiemer
M 64.2
Rz. 20 Kap. 64
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
ZPO
10.000 Euro sicherungsübereignet. Auf das Darlehen ist bis jetzt nichts zurückbezahlt. Eine Fotokopie des Sicherungsübereignungsvertrages füge ich zu ihrer Information bei. Ich ersuche Sie, mir bis spätestens zum … mitzuteilen, dass die Pfändung des Teppichs aufgehoben worden ist. Andernfalls müsste ich Drittwiderspruchsklage gegen Sie erheben. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3).
M 64.2 Pfandfreigabe durch den Vollstreckungsgläubiger
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Herrn Gerichtsvollzieher … bei dem Amtsgericht …-straße … In Sachen … / … (Kurzrubrum) gebe ich hiermit den von Ihnen am …, Ihre DR-Nr. …, gepfändeten Orientteppich frei, da Herr … an ihm Sicherungseigentum geltend macht. Ich bitte darum, eine erneute Pfändung anderer Gegenstände bei Herrn S zu versuchen.
III. Drittwiderspruchsklage 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Drittwiderspruchsklage a) Statthaftigkeit Die (prozessuale Gestaltungs-)Klage ist statthaft, wenn sich der Kläger gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger eines „die Veräußerung hindernden Rechts“ iSv. Rz. 2 f. an einem Gegenstand der Zwangsvollstreckung berühmt und die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung in diesen Gegenstand erstrebt.
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b) Zuständigkeit des Gerichts Die ausschließliche (§ 802 ZPO) örtliche Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts ist in § 771 Abs. 1 ZPO geregelt (Gericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung stattfindet), während sich die sachliche Zuständigkeit (Amtsgericht oder Landgericht) nach dem Streitwert (§§ 23 Nr. 1, 71 GVG) richtet. Insoweit ist eine abweichende Absprache der Parteien bzw. Prorogation nach § 38 ZPO möglich (Zöller/Seibel § 802 ZPO Rz. 1).
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c) Klageantrag Der Klageantrag – Beispiele in M 64.4 – muss einerseits den Vollstreckungstitel, andererseits den Gegenstand genau bezeichnen (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
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d) Rechtsschutzbedürfnis Das Rechtsschutzbedürfnis besteht ab Beginn der Zwangsvollstreckung in den konkreten Gegenstand bis zur vollständigen Beendigung der Zwangsvollstreckung durch Auszahlung des Vollstreckungserlöses (Zahlung der gepfändeten Forderung) an den Gläubiger. Bei Vollstreckung auf Herausgabe von Sachen oder auf Räumung genügt es, dass die Vollstreckung droht (Zöller/Herget § 771 ZPO Rz. 5).
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Die Möglichkeit, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckungsmaßnahme auch mit einer Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) durchsetzen zu können (zB mit der Rüge, dass der gepfändete Gegenstand als Grundstückszubehör nicht der Vollstreckungskompetenz des Gerichtsvollziehers unterliegt, vgl. § 865 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO, oder mit der Rüge, der Gerichtsvollzieher habe den der
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Kap. 64 Rz. 21
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Vollstreckung entgegenstehenden [Mit-]Gewahrsam des Dritten nicht beachtet), beseitigt das Rechtsschutzbedürfnis nicht, da Erinnerung und Klage, auch wenn ihr Erfolg sich zeitweilig decken mag, unterschiedliche Rechtsschutzziele haben und beiden Rechtsbehelfen unterschiedliche Rechtspositionen des Dritten zugrunde liegen.
21 Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt im Falle der Forderungspfändung auch dann nicht, wenn die Vollstreckungsmaßnahme letztlich leerläuft, weil die „gepfändete“ Forderung nicht dem Vollstreckungsschuldner, sondern dem klagenden Dritten zusteht (OLG Naumburg v. 5.4.2012 – 1 U 90/11). In diesem Fall ist die Forderung des Dritten zwar weder beschlagnahmt noch mit einem Pfandrecht belastet (Schuschke/Walker § 829 ZPO Rz. 52), jedoch ist durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Rechtsschein einer Beschlagnahme gesetzt und der Drittschuldner insoweit verunsichert. Diese Verunsicherung zu beseitigen, begründet ein berechtigtes Interesse des klagenden Dritten (BGHZ 156, 310). 2. Begründetheit der Drittwiderspruchsklage a) Beweislast für den Bestand des Rechts
22 Dem Kläger muss das die Veräußerung hindernde Recht zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch tatsächlich zustehen. Insoweit trägt der Kläger die Beweislast dafür, dass er ursprünglich Inhaber des Rechts geworden ist. Er muss also gegebenenfalls beweisen, dass etwa die Sicherungszession der Forderung nicht von Anfang an (zB wegen sittenwidriger Übersicherung [§ 138 BGB], wegen zu ungenauer Bezeichnung der von der Abtretung umfassten Forderungen oder wegen einer nur zum Schein an den Dritten erfolgten Veräußerung [§ 117 BGB]) unwirksam war oder dass die Sicherungsübereignung des Gegenstandes auch tatsächlich erfolgte und nicht infolge wirtschaftlicher Knebelung des Schuldners nichtig ist oder dass ein Eigentumsvorbehalt hinsichtlich des Vollstreckungsgegenstandes vereinbart worden war. Spricht zu Gunsten des Eigentums des Schuldners eine gesetzliche Vermutung (zB § 1362 BGB), muss der Kläger jene Vermutung widerlegen.
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Wichtig: Die Vermutung des § 1362 BGB gilt nicht im Verhältnis zwischen den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (BGH MDR 2007, 660).
24 Der beklagte Vollstreckungsgläubiger muss seinerseits die Behauptung beweisen, das ursprünglich in der Person des Dritten entstandene oder von diesem erlangte Recht sei später untergegangen, das die Veräußerung hindernde Recht bestehe also zum Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung nicht mehr (zB sei der Eigentumsvorbehalt durch vollständige Zahlung erloschen, das Anwartschaftsrecht sei wegen Eintritts der Verwertungsreife untergegangen usw.). b) Einwendungen des Beklagten
25 Darüber hinaus darf der Kläger nicht trotz seines die Veräußerung hindernden Rechts die Zwangsvollstreckung dulden müssen, weil
26 – der Beklagte ein besseres, das Recht des Klägers zurückdrängendes Recht an dem Gegenstand hat (Beispiel: OLG Düsseldorf InVo 1999, 354),
27 – er sein Recht in anfechtbarer Weise (§§ 3 ff. AnfG) erworben hat und der Beklagte die Anfechtung einredeweise geltend macht (§ 9 AnfG; anschaulich BGH NJW 1986, 2252). Beispiel einer entsprechenden Klageerwiderung: M 64.5,
28 – sich die Berufung auf das Recht als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstellt, weil der Kläger dem Beklagten mit dem betroffenen Gegenstand oder aber mit seinem ganzen Vermögen gerade für die titulierte Forderung haftet (zB als persönlich haftender Gesellschafter der OHG, gegen die die Zwangsvollstreckung betrieben wird [§§ 765 BGB, 128, 161 Abs. 2 HGB], oder als
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M 64.3
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Rz. 30 Kap. 64
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Bürge; weitere Beispiele: Haftung des Halters eines PKWs neben der des Fahrers; Haftung des anderen Ehegatten aus § 1357 BGB; im Gegensatz zum persönlich haftenden Gesellschafter einer OHG oder KG muss der Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter einer GmbH den Vollstreckungszugriff aus einem Titel gegen die GmbH in sein Privatvermögen regelmäßig aber nicht dulden: BGH MDR 1994, 997; BGHZ 149, 16; BGH MDR 2006, 880; BGHZ 179, 344. Zur ausnahmsweisen Durchgriffshaftung in der GmbH bei missbräuchlicher Nutzung der Rechtsform der GmbH: KG NZG 2008, 344). Die Mithaftung kann dem Kläger auch dann entgegengehalten werden, wenn insoweit eine Anspruchstitulierung noch nicht erfolgt ist, es bedarf insbesondere nicht der unökonomischen Erhebung einer Widerklage (BGH MDR 1981, 840). Auch aus § 826 BGB kann sich im Einzelfall die Einwendung der unzulässigen Rechtsausübung gegen die Berufung auf ein die Veräußerung hinderndes Recht ergeben (OLG Düsseldorf InVo 2002, 199).
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M 64.3 Drittwiderspruchsklage
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An das Amtsgericht … – Prozessabteilung – Klage (Langrubrum) … / … Namens des von uns vertretenen … erheben wir Klage mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung (Gerichtsvollzieher … DR-Nr. … / …) aus dem Urteil des Landgerichts … vom … – Az. … in den Orientteppich, Herkunftsland Tunesien, Grundfarbe blau, traditionelles Muster, Maße 2×3 m, Entstehungszeit ca. 1850, ca. 80.000 Knoten/m2, für unzulässig zu erklären. Vorab beantragen wir, die Zwangsvollstreckung einstweilen bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Zur Begründung tragen wir vor: Der Gerichtsvollzieher … pfändete im Auftrag des Beklagten am … den im Antrag genannten Orientteppich bei S. Der Kläger ist aufgrund Sicherungsvereinbarung vom … mit S Sicherungseigentümer dieses Teppichs. Beweis: Sicherungsvereinbarung vom … (Anlage 1) Der Sicherungsvereinbarung liegt ein Darlehensvertrag vom … zugrunde, aufgrund dessen der Kläger dem S ein Darlehen über 10.000 Euro gewährte. Auf dieses Darlehen ist noch nichts zurückbezahlt. Beweis: Zeugnis des S Der Kläger forderte den Beklagten am … mit Einschreiben gegen Rückschein auf, die Freigabe des Teppichs gegenüber dem Gerichtsvollzieher … zu erklären. Beweis: Kopie des Schreibens vom … (Anlage 2) und Kopie des Rückscheins (Anlage 3) Der Beklagte reagierte auf diese Aufforderung nicht, so dass Klage geboten ist. Da S außer dem hier im Streit befindlichen Orientteppich keine weiteren pfändbaren Vermögenswerte besitzt, hätte der Kläger keine Sicherheit mehr, sein Darlehen je zurückzuerlangen. Auch der Beklagte soll sich in schwierigen finanziellen Verhältnissen befinden. Hat er den Teppich erst einmal versteigern lassen und den Erlös ausgekehrt erhalten, so wird der Kläger nichts mehr zurückerlangen können.
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Kap. 64 Rz. 31
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
M 64.4
Zur Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit einer einstweiligen Anordnung, um den Kläger nicht letztlich rechtlos zu stellen, verweise ich zunächst auf die Anlagen 1–3 sowie auf die als Anlage 4 beigefügte eidesstattliche Erklärung des Klägers1. Einen Kostenvorschuss iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; für das Verfahren über den Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung erhält der Rechtsanwalt keine besondere Gebühr (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG); Streitwert: maßgeblich ist der Wert der Vollstreckungsforderung, begrenzt auf den Wert der Sache (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 6 ZPO (Schneider/Herget/Noethen, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Rz. 1780 ff.). 1 Sie sollte ähnlich konkret abgefasst sein wie in M 63.2.
31 M 64.4 Weitere Beispiele möglicher Klageanträge … werde ich beantragen, die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom … Az. … in den Arbeitslohnanspruch des Herrn S gegen die Firma F … für unzulässig zu erklären. Oder: … werde ich beantragen: Die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten aus der Urkunde des Notars … vom … Urk.-Roll.Nr. … in nachfolgende Gegenstände wird für unzulässig erklärt: a) … b) … c) …
32 M 64.5 Klageerwiderung des Vollstreckungsgläubigers An das Amtsgericht …– Prozessabteilung – Az. … In dem Rechtsstreit … / … (Kurzrubrum ist ausreichend) werde ich beantragen, die Klage abzuweisen. Außerdem beantrage ich, den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuweisen. Zur Begründung führe ich aus: Der vom Kläger vorgelegte Sicherungsübereignungsvertrag wird nicht bestritten. Jedoch kann der Kläger dem Beklagten gegenüber aus diesem Vertrag keine Rechte herleiten. Denn der Kläger hat das Sicherungseigentum in anfechtbarer Weise (§ 3 AnfG) erlangt. Die Einrede der Anfechtung wird hiermit ausdrücklich erhoben. Wie der Kläger schon selbst ausgeführt hat, ist der Orientteppich der einzige der Vollstreckung unterliegende Gegenstand, den S besitzt. Beweis: Pfändungsprotokoll des Gerichtsvollziehers … vom … (Anlage B 1)
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M 64.5
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Rz. 36 Kap. 64
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Der Beklagte wird also keine Befriedigung seiner titulierten und fälligen Forderung erlangen, wenn die Vollstreckung in den Orientteppich für unzulässig erklärt werden würde (§ 2 AnfG). Der Kläger ist der Bruder der Ehefrau des S, also eine dem S nahestehende Person iS des § 138 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Beweis: Parteivernehmung des Klägers Der angebliche Darlehensvertrag ist bereits vier Jahre alt. Der Sicherungsübereignungsvertrag wurde dagegen erst, wie die vom Kläger vorgelegte Urkunde ausweist, vor drei Monaten geschlossen. Der Kläger erhielt damit nachträglich eine Sicherheit, die ihm nach dem ursprünglichen Darlehensvertrag nicht zustand. Allein schon dieser Umstand beweist, dass der Kläger und sein Schwager S es darauf abgesehen hatten, die übrigen Gläubiger des S, der sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befindet, unmittelbar zu benachteiligen (§ 3 Abs. 4 Satz 1 AnfG). Die (nachträgliche) Bestellung einer Sicherheit für eine eigene, durch eine entgeltliche Gegenleistung begründete Verbindlichkeit ist auch als entgeltlich im Sinne des geltend gemachten Anfechtungstatbestands anzusehen (vgl. BGH MDR 2005, 172). Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Antrag auf Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
3. Wirkung des obsiegenden Urteils Das obsiegende Urteil ist gem. §§ 704 Abs. 1, 708 Nr. 11 bzw. 709 Abs. 1 Satz 1 ZPO insgesamt, nicht etwa nur wegen der Kosten, für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Denn die Vorlage des obsiegenden vorläufig vollstreckbaren Urteils (gegebenenfalls zusammen mit dem Nachweis der Sicherheitsleistung) führt gem. §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO dazu, dass das Vollstreckungsorgan die bereits getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen (zB die Pfändung der Sache oder den Pfändungsbeschluss hinsichtlich der Forderung) aufhebt und die weitere Zwangsvollstreckung einstellt oder beschränkt.
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Wird das obsiegende Urteil in der nächsten Instanz abgeändert, lebt die aufgehobene Vollstreckungsmaßnahme nicht wieder auf; sie muss ganz neu vorgenommen werden, weshalb für den Gläubiger uU ein Rangverlust eintritt. Dem Gläubiger dadurch entstehende Schäden können ggf. einen Anspruch gem. § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründen.
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IV. Sonderformen der Drittwiderspruchsklage 1. Einwendungen im Rahmen des § 180 ZVG Betreibt ein Miteigentümer die Zwangsversteigerung eines Grundstücks zum Zwecke der Auf- 35 hebung der Gemeinschaft gem. § 180 ZVG, so können die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft die Gründe, die einer Versteigerung entgegenstehen, mit der Klage gem. § 771 ZPO geltend machen (OLG Köln InVo 1998, 80). Beispiele: ein Mitglied einer Erbengemeinschaft betreibt zum Zwecke der Erbauseinandersetzung die Versteigerung eines Nachlassgrundstücks; ein die Scheidung betreibender oder bereits geschiedener Ehegatte betreibt zum Zwecke der Auflösung der Gemeinschaft die Versteigerung des gemeinschaftlichen Hausgrundstücks usw. (Einzelheiten: Schuschke/Walker/Raebel § 771 ZPO Rz. 31, 32). So können etwa die mit der Versteigerung nicht einverstandenen Miterben ein Veräußerungsverbot oder eine Teilungsanordnung des Erblassers (OLG Oldenburg NJW-RR 2014, 782) oder eine testamentarische Verwirkungsklausel (BGH FamRZ 1985, 278) geltend machen. Beruft sich ein Ehegatte, der die Versteigerung des gemeinsamen Grundstücks ablehnt, zur Begrün- 36 dung seines Widerspruchs im Rahmen der noch bestehenden Ehe (soweit die Voraussetzungen des § 1365 Abs. 1 BGB auch im Übrigen vorliegen) auf das Fehlen seiner Einwilligung (BGH NJW 2007, 3124, dort auch zur Möglichkeit der Erinnerung nach § 766 ZPO; OLG Köln MDR 2012, 1169) oder will der geschiedene Ehegatte dem Versteigerungsverlangen den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten, weil er aus besonderen Gründen, denen nicht bereits durch eine Einstellung des VerfahWiemer 1065
ZPO
Kap. 64 Rz. 37
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
M 64.6
rens nach § 180 Abs. 3 ZVG Rechnung getragen werden kann, auf den Erhalt des ehemaligen Familienwohnhauses angewiesen ist (BGH NJW 1977, 1235), so handelt es sich bei dem Widerspruch um eine sonstige Familiensache iS des § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG (s. deshalb Kap. 113 Rz. 15 f.).
37 Auch nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR durch den BGH können einzelne Gesellschafter weiterhin den Antrag auf Teilungsversteigerung eines Gesellschaftsgrundstücks stellen. Die GbR selbst und die übrigen Gesellschafter können Einwände aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus dem Gesellschaftsverhältnis gegen die Teilungsversteigerung im Wege der Widerspruchsklage analog § 771 ZPO geltend machen (BGH MDR 2013, 1428). 2. § 772 ZPO
38 Relative Veräußerungsverbote (typische Beispiele: §§ 935, 940, 938 Abs. 2 ZPO; § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) können nach § 772 Satz 2 ZPO von den durch sie geschützten Dritten, nicht etwa vom Vollstreckungsschuldner selbst, mit der Drittwiderspruchsklage in der Weise geltend gemacht werden, dass die Verwertung des Gegenstandes (nicht aber seine bloße Pfändung) für unzulässig erklärt wird (Beispiel eines Klageantrages: M 64.6).
39 Entfällt das Veräußerungsverbot später wieder, stimmt der Dritte aber nicht der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung zu, so kann der Vollstreckungsgläubiger der Fortwirkung des Urteils nach §§ 772 Satz 2, 771 ZPO mit der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO entgegentreten (Zöller/Herget § 772 ZPO Rz. 3).
40 M 64.6 Antrag zur Geltendmachung eines relativen Veräußerungsverbotes
(§ 772 Satz 2 ZPO) … werde ich beantragen: Die Veräußerung des Orientteppichs … (weitere Beschreibung wie oben M 64.3) im Wege der Zwangsvollstreckung (Gerichtsvollzieher … – DR-Nr. …) wird für unzulässig erklärt. Oder bei einer Forderungspfändung: … werde ich beantragen: Die Überweisung der am … – Az. … gepfändeten Arbeitslohnforderung des Herrn … gegen die Firma F … an den Beklagten zur Einziehung wird für unzulässig erklärt.
3. §§ 773, 774 ZPO
41 § 773 ZPO gibt dem Nacherben, § 774 ZPO dem in Gütergemeinschaft lebenden Ehegatten die Möglichkeit, im Wege der Drittwiderspruchsklage ihre Rechte im Falle der Zwangsvollstreckung in den Nachlass bzw. in das Gesamtgut geltend zu machen. Der Widerspruch ist Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG. Das in Rz. 36 Gesagte gilt entsprechend (s. auch Kap. 113 Rz. 16).
V. Klage auf vorzugsweise Befriedigung 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage auf vorzugsweise Befriedigung a) Statthaftigkeit
42 Die Klage ist statthaft, wenn sich der Kläger gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger eines Pfandoder Vorzugsrechts iSv. Rz. 4 f. an einem Gegenstand der Zwangsvollstreckung berühmt und seine vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös der Zwangsvollstreckung begehrt.
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M 64.7
Drittwiderspruchsklage und Klage auf vorzugsweise Befriedigung
Rz. 48 Kap. 64
Die Klage ist gem. § 805 Abs. 2 ZPO beim Vollstreckungsgericht (§ 764 ZPO) und, wenn der Streitgegenstand zur Zuständigkeit der Amtsgerichte nicht gehört (vgl. §§ 23 Nr. 1, 71 GVG), bei dem Landgericht zu erheben, in dessen Bezirk das Vollstreckungsgericht seinen Sitz hat. Die Zuständigkeit ist sowohl in örtlicher als auch in sachlicher Hinsicht eine ausschließliche iSv. § 802 ZPO (Zöller/Herget § 805 ZPO Rz. 8).
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c) Rechtsschutzbedürfnis Das Rechtsschutzbedürfnis besteht von der Pfändung des Gegenstandes an bis zur Auskehr des Vollstreckungserlöses an den Gläubiger.
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2. Begründetheit der Klage auf vorzugsweise Befriedigung a) Beweislast bezüglich des Anspruchs Dem Kläger muss das geltend gemachte Pfand- oder Vorzugsrecht tatsächlich zustehen. Er ist hinsichtlich aller Entstehungsvoraussetzungen dieses Rechts beweispflichtig, während den Beklagten die Beweislast für einen möglichen Untergang des Rechts trifft.
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b) Einwendungen des Beklagten Wie bei der Klage gem. § 771 ZPO kann der Beklagte sich nicht nur damit verteidigen, dass er das geltend gemachte Recht bestreitet, er kann auch den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sowie den Anfechtungseinwand erheben (s. Rz. 27 f.). Hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen seiner Einwendungen ist der Beklagte beweispflichtig.
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M 64.7 Antrag bei einer Klage auf vorzugsweise Befriedigung einschließlich Antrag 47 auf Hinterlegung des Versteigerungserlöses … werde ich beantragen: Der Kläger ist aus dem Reinerlös der Verwertung des Orientteppichs … (genaue Beschreibung wie M 64.3) im Wege der Zwangsvollstreckung wegen seiner Forderung iHv. 10.000 Euro nebst … % Zinsen seit … vor dem Beklagten zu befriedigen. Gleichzeitig beantrage ich, vorab gem. §§ 805 Abs. 4, 769 Abs. 1 ZPO anzuordnen: Der Vollstreckungserlös des vorgenannten Orientteppichs ist bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts … zugunsten der Parteien zu hinterlegen.
VI. Einstweilige Anordnungen Ebenso wie die Vollstreckungsabwehrklage hemmen auch die Drittwiderspruchsklage und die Klage 48 auf vorzugsweise Befriedigung nicht den Fortgang der Zwangsvollstreckung. § 771 Abs. 3 Satz 1 und § 805 Abs. 4 Satz 2 ZPO räumen dem betroffenen Dritten aber die Möglichkeit ein, einstweilige Anordnungen gem. § 769 ZPO zu erwirken (zur Antragsformulierung M 64.3 und M 64.7). Das im Rahmen des § 767 ZPO zu derartigen einstweiligen Anordnungen und zu den insoweit in Betracht kommenden Rechtsmitteln Gesagte (Kap. 63 Rz. 34 ff.) gilt hier entsprechend. Einstweilige Anordnungen im Rahmen einer Klage nach § 805 ZPO können den Fortgang der Zwangsvollstreckung nie gänzlich hemmen, sondern nur zur Anordnung der Hinterlegung des Vollstreckungserlöses gemäß § 805 Abs. 4 Satz 1 ZPO führen (Schuschke/Walker § 805 ZPO Rz. 22).
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b) Zuständigkeit des Gerichts
A. Berufung, Beschwerde, Wiedereinsetzung Kapitel 65 Berufung I. Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berufungsmandat, Zuständigkeit, Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufungsmandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 65.1 Übersendung des Urteils mit Rechtsmittelbelehrung . . . . . . . . . . M 65.2 Erinnerung des Mandanten wegen Ablaufs der Berufungsfrist . . . . . . . 2. Mandatsübernahme für die Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 65.3 Schreiben an den Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeit der Berufung . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berufungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Streitwert, Berufung und Zulassungsberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abhilfeverfahren nach § 321a ZPO . . . . III. Berufungsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufung des Klägers oder des Beklagten . . M 65.4 Berufungsschrift des Klägers . . . . . . M 65.5 Berufung des Beklagten . . . . . . . . . 3. Berufung einzelner Streitgenossen . . . . . . . M 65.6 Berufung einzelner Streitgenossen . 4. Berufung des Streithelfers . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendige Streitgenossenschaft . . . . . . M 65.7 Berufung bei notwendiger Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . M 65.8 Berufung des erstinstanzlich unberücksichtigten notwendigen Streitgenossen . . . . . . . . . b) Nicht notwendige Streitgenossenschaft . M 65.9 Berufung bei einfacher Streitgenossenschaft (Klägerseite) . . M 65.10 Berufung bei einfacher Streitgenossenschaft (Beklagtenseite) . . c) Streitgenössischer Streithelfer . . . . . . . . d) Nichtstreitgenössischer Streithelfer/ Nebenintervenient . . . . . . . . . . . . . . . . . M 65.11 Berufung des nichtstreitgenössischen Streithelfers . . . . . .
1 2 2
5.
5 7 9 15 16 16 26 27 38 55 57 57 71 72 73 74 76 77 77 79 82 84 85 87 89 90 92
IV. 1. 2.
3. 4.
V. 1.
2.
M 65.12 Berufung des Streitverkündeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 65.13 Berufung verbunden mit dem Beitritt des Streithelfers . . . . . . Berufung anderer Personen . . . . . . . . . . . . M 65.14 Berufung des Erwerbers der Streitsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . Berufungsbegründungsfrist . . . . . . . . . . . . Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 65.15 Äußerung zur Frage der Übertragung der Sache auf den Einzelrichter, Berufungsinstanz . . . . . . . Berufungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auseinandersetzung mit den Gründen der Entscheidung erster Instanz . . . . . . b) Haupt- und Hilfsbegründung der Entscheidung erster Instanz . . . . . . . . . . . . c) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel Berufungsangriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dem Berufungsgericht angefallener Prüfungsstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prozessstoff erster Instanz . . . . . . . . . . . b) Überprüfung der Entscheidung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabe des Berufungsführers bei Abfassung der Berufungsbegründung . . . . . . . . . a) Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung . aa) „Materielle Prüfung“ . . . . . . . . . . . bb) „Formelle Prüfung“ . . . . . . . . . . . . (1) Verfahrensfehler bei der Tatsachenfeststellung . . . . . . . . . . . . (2) Andere Verfahrensfehler . . . . . . cc) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Materielle Prüfung . . . . . . . . . . (2) Formelle Prüfung . . . . . . . . . . . b) Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen . . . . c) Neue Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO . . . . . bb) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO . . . . .
Vorwerk
98 100 101 102 106 106 109 115 116 119 119 122 124 125 125 125 131 134 134 137 146 149 154 156 157 158 160 165 167 169
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Dritter Teil Rechtsmittel, Rechtsbehelfe, Verfahren zur Beseitigung eines Titels
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Kap. 65 Rz. 1
Berufung
cc) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO . . . . . d) Klageerweiterung, Antragsänderung . . . 3. Aufbau der Berufungsbegründung . . . . . . . VI. Reaktion bei Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 176 179
M 65.1
1. Voraussetzungen des Hinweises, Überprüfung des eigenen Rechtsstands . . . . . . . . . . 2. Entscheidung des Berufungsgerichts . . . . .
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I. Berufung 1 Der Berufungsrichter ist Tatrichter (BGH FamRZ 2010, 459; NJW 2004, 2152); er hat die Aufgabe, in einer, wenngleich durch die §§ 529, 531 ZPO beschränkten, Tatsacheninstanz die Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten (BGH NJW 2004, 2751). Die rechtliche Tatsachenwürdigung der Vorinstanz ist von ihm in demselben Umfang zu überprüfen, in dem er die dem zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen überprüfen darf (BGH NJW 2016, 3015; NJW 2004, 2751).
II. Berufungsmandat, Zuständigkeit, Zulässigkeit 1. Berufungsmandat
2 Zu den Pflichten des Anwalts, der den Mandanten in der ersten Instanz als Prozessbevollmächtigter vertreten hat, gehört die Belehrung des Mandanten über die Möglichkeit, die Entscheidung mit einem Rechtsmittel, im ZPO-Verfahren also der Berufung anzufechten (BGH VersR 1989, 913).
3 Dazu hat er ungeachtet einer Rechtsmittelbelehrung in der anzufechtenden Entscheidung (§ 232 ZPO; vgl. BGH MDR 2014, 559; 2012, 928) zu prüfen – ob eine Berufung zulässig ist – bis wann die Berufung und – bei welchem Gericht die Berufung einzulegen ist.
4 Der Auftrag zu prüfen, ob die Berufung Aussicht auf Erfolg hat, ist nicht automatisch im Prozessauftrag enthalten (Umkehrschluss aus § 16 RVG). Erhält der Anwalt den Auftrag, die Erfolgsaussichten der Berufung zu überprüfen, löst die Prüfung und Mitteilung des Ergebnisses der Prüfung an den Mandanten die Gebühr Nr. 2200 VV RVG aus. Ist die Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung mit der Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens verbunden, entsteht die (höhere) Gebühr nach Nr. 2101 VV RVG.
5 M 65.1 Übersendung des Urteils mit Rechtsmittelbelehrung1 Sehr geehrter … In Sachen …/… (Kurzrubrum) übersende ich die Abschrift des mir am … zugestellten schriftlichen Urteils des Amtsgerichts … Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig, die bis zum … beim Landgericht … eingelegt werden müsste. Falls Sie die Einlegung der Berufung wünschen und ich Sie auch in der zweiten Instanz vertreten soll, bitte ich um entsprechende schriftliche Mitteilung bis zum … Wollen Sie mit der Durchführung der Berufung einen anderen Anwalt beauftragen, muss jener Anwalt so rechtzeitig durch Sie beauftragt werden, dass er die Berufungsfrist wahren kann. Ich rate aus folgenden Gründen zur Berufungseinlegung: … Falls Sie die Erfolgsaussichten der Berufung mit mir erörtern möchten, bitte ich um Terminabsprache. Die erbetene Besprechung müsste vor dem … stattfinden; wenden Sie sich deshalb umgehend an mein Büro.
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M 65.2
Berufung
Rz. 11 Kap. 65
ZPO
Falls ich bis zum … von Ihnen keine andere Nachricht erhalte, gehe ich davon aus, dass die Berufung nicht eingelegt werden soll. Mit freundlichen Grüßen Kosten: Anwalt, sofern er den Auftrag hatte, die Erfolgsaussichten der Berufung zu prüfen: Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG (0,5–1,0) nach der Beschwer (§ 23 Abs. 1 Satz 3 RVG, § 47 GKG). 1 Es empfiehlt sich, vorerst nur die Abschrift und nicht die Ausfertigung des Urteils zu übersenden. Die Ausfertigung wird in der Regel für die Vollstreckung benötigt. Ist der Büroablauf so organisiert, dass stets die Ausfertigung an den Mandanten nach Abschluss der Instanz gesandt wird, muss im Falle eines teilweisen Obsiegens der eigenen Partei die Ausfertigung für die Vollstreckung zurückgefordert werden.
Es empfiehlt sich, nach Ablauf der dem Mandanten gesetzten Frist für den Fall, dass der Mandant nicht reagiert hat, noch einmal zu erinnern mit folgendem Muster:
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M 65.2 Erinnerung des Mandanten wegen Ablaufs der Berufungsfrist
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Sehr geehrter … In Sachen …/… (Kurzrubrum) nehme ich Bezug auf mein Schreiben vom … Da ich von Ihnen keine andere Nachricht erhalten habe, gehe ich davon aus, dass Berufung nicht eingelegt werden soll. Vorsorglich weise ich nochmals auf den Ablauf der Berufungsfrist am … hin. Mit freundlichen Grüßen
Wünscht der Mandant nach verloren gegangener erster Instanz einen Anwaltswechsel und erklärt 8 der bisherige Anwalt den Auftrag, die Übertragung des Mandats an jenen Anwalt zu vermitteln, darf die Berufungsfrist beim bisher tätigen Anwalt erst gelöscht werden, wenn die Übernahme des Mandates und die Einlegung der Berufung oder zumindest die Überwachung der Berufungsfrist durch den neuen Anwalt bestätigt worden ist (BGH NJW 2001, 2975 und 3195 mwN). Liegt bis Fristablauf die Bestätigung nicht vor, muss gegebenenfalls telefonisch geklärt werden, ob der neue Anwalt die Berufungsfrist einhält. 2. Mandatsübernahme für die Berufungsinstanz Steht bei Berufungseinlegung noch nicht fest, ob die Berufung durchgeführt werden soll, ist zu versuchen, die im Falle der Berufungsrücknahme entstehenden Kosten gering zu halten. Das geschieht durch zwei Maßnahmen, die gegebenenfalls kumulativ angewandt werden müssen: Die an den Gegner zu erstattenden Kosten entfallen durchweg (s. Rz. 11–14), wenn sich für den Gegner kein Anwalt für die Berufungsinstanz bestellt. Das kann durch eine entsprechende Vereinbarung sichergestellt werden. Die Gerichtskosten und evtl. bei der Gegenseite dennoch anfallenden Kosten werden minimiert, wenn der Berufungsstreitwert, der durch die gestellten Anträge bestimmt wird, möglichst gering gehalten wird.
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In welchem Umfang die Kosten des gegnerischen Anwalts erstattungsfähig sind, gibt die Rechtspre- 10 chung wie folgt vor: – Kommt es auf die Bitte des Berufungsklägers zu einer – ausdrücklichen – Vereinbarung darüber, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt – in der Regel: Zustellung der Berufungsbegründung – kein Anwalt für die Berufungsinstanz für den Berufungsbeklagten bestellt wird, ist diese Vereinbarung bindend, so dass keine Kostenerstattung erlangt werden kann (vgl. BGH NJW-RR 1989, 802: Niemand darf sich prozessual in Widerspruch zu seinem vorausgegangenen rechtsgeschäftliVorwerk
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ZPO
Kap. 65 Rz. 12
Berufung
M 65.3
chen Verhalten setzen); für den Kostenantrag gem. § 516 Abs. 3 ZPO besteht in diesem Fall kein Rechtsschutzbedürfnis.
12 – Lehnt der Anwalt des Berufungsbeklagten eine solche Vereinbarung ab, wozu er ohne Weiteres ohne Missbrauchsvorwurf berechtigt ist, und bestellt er sich für das Berufungsverfahren, sind die dadurch entstehenden Kosten des Berufungsbeklagten bei Zurücknahme der Berufung vor Berufungsantrag erstattungsfähig (BGH BGHR 2003, 412, BGHR 2003, 355 und 2003, 1115).
13 – Vor dem Berufungsantrag allerdings nur in Höhe der 1,1fachen Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG, selbst wenn der Anwalt des Berufungsbeklagten bereits einen Sachantrag (Antrag auf Zurückweisung der Berufung) gestellt hat. Denn vor Berufungsbegründung ist ein solcher Sachantrag nicht erforderlich (BGHR 2003, 355 und 2003, 1115).
14 – Entfaltet der Anwalt erster Instanz nach Einlegung der Berufung durch den Gegner eine Einzeltätigkeit, kann diese Tätigkeit nach Nr. 3403 VV RVG als „Einzelauftrag“ vergütungspflichtig sein und eine Kostenerstattungspflicht im Falle der Rücknahme der Berufung auslösen (vgl. zur ähnlichen Konstellation BGH NJW 2006, 2266).
15 M 65.3 Schreiben an den Berufungsbeklagten Sehr geehrte Herren Kollegen, in Sachen …/… (Kurzrubrum) sind wir gebeten worden, zur Fristwahrung Berufung einzulegen. Ob die Berufung durchgeführt wird, steht noch nicht fest. Wir dürfen Sie zur Vermeidung unnötiger Kosten höflich bitten, uns zu bestätigen, dass Sie sich für das Berufungsverfahren noch nicht bestellen und auch keinen anderen Prozessvertreter für das Berufungsverfahren bestellen werden, bis entschieden ist, ob das Verfahren endgültig durchgeführt wird. Wir werden Sie selbstverständlich mit der Entscheidung über das weitere Schicksal der Berufung mit gesondertem Brief unterrichten. Mit freundlichem kollegialen Gruß
3. Zulässigkeit der Berufung a) Zuständigkeit
16 Für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts in Angelegenheiten, bei denen es sich weder um Familiensachen (vgl. § 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG) noch um Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 GVG) handelt (dort lautet die Entscheidung „Beschluss“, § 38 FamFG), ist das Landgericht (§ 72 GVG) zuständig.
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Wichtig: Zu den Rechtsmitteln in Ehe- und Familienstreitsachen, in denen die entsprechende Anwendung der ZPO erfolgt (§ 113 FamFG), s. Kap. 110.
18 Ist das Landgericht für die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts zuständig, ist zu unterscheiden zwischen der Zuständigkeit der allgemeinen Zivilkammer und der Kammer für Handelssachen. Die Kammer für Handelssachen ist im Berufungsrechtszug zuständig, wenn eine Handelssache iS des § 95 GVG vorliegt und der Berufungskläger in der Berufungsschrift (nicht erst in der Berufungsbegründung) die Verweisung der Sache an die Kammer für Handelssachen beantragt (OLG Brandenburg MDR 2005, 231; Zöller/Lückemann § 100 GVG Rz. 1; Schneider NJW 1997, 992; aA LG Köln NJW 1996, 2737).
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Rz. 25 Kap. 65
Wichtig: Bei Zuständigkeitskonzentration wie etwa in WEG-Sachen, muss die Berufung bei dem zuständigen Berufungsgericht eingelegt werden! Die beim nach üblicher Zuständigkeit übergeordneten Landgericht eingelegte Berufung ist unzulässig (BGH MDR 2010, 887; NJW 2010, 1818).
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Die Oberlandesgerichte sind zuständig in folgenden Fällen: – Berufungen gegen Urteile der Landgerichte (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG); – Berufungen gegen Entscheidungen der Landwirtschaftsgerichte (§ 2 LwVG); – Berufungen in Binnenschifffahrtssachen (§ 11 BinnSchVerfG) (beachte die Sonderregelungen für Rheinschifffahrtssachen (§§ 14 ff. BinnSchVerfG) sowie Moselschifffahrtssachen (§§ 18a–18e BinnSchVerfG); – Berufungen in Baulandsachen (§ 229 BauGB). Zuständig ist grundsätzlich das übergeordnete Oberlandesgericht. Von Bedeutung sind jedoch folgende Ausnahmen:
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– Kartellsachen: Nach § 93 GWB haben die Länder die Möglichkeit, ein Oberlandesgericht ausschließlich für Kartellsachen für zuständig zu erklären. Davon haben die Länder Bayern (zuständig OLG München) und Nordrhein-Westfalen (zuständig OLG Düsseldorf) Gebrauch gemacht. Die Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben durch die Bestimmung der Zuständigkeit eines Landgerichts für alle erstinstanzlichen Kartellsachen des Landes (Landgericht Hannover bzw. Landgericht Mainz) mittelbar ebenfalls ein einziges für Kartellsachen zuständiges Oberlandesgericht geschaffen, nämlich das OLG Celle bzw. OLG Koblenz.
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Für die Entscheidung in Kartellsachen ist nach § 93 GWB der jeweilige Kartellsenat des Oberlandesgerichts zuständig. Die Berufung kann eingelegt werden bei dem für Kartellsachen zuständigen Oberlandesgericht.
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Mit Rücksicht auf die besonderen Schwierigkeiten der Bestimmung der Zuständigkeit des Kartell- 24 gerichts nach § 93 Abs. 1 Satz 1 GWB dürfen Berufungen in Kartellsachen auch bei dem dem entscheidenden Landgericht übergeordneten Oberlandesgericht eingelegt werden (BGHZ 71, 367, 374). Das allgemein zuständige Oberlandesgericht hat dann die Sache an den Kartellsenat zu verweisen. (Keine entsprechende Anwendung auf andere Regelungen, in denen die Zuständigkeit konzentriert worden ist!) – Baulandsachen, Binnenschifffahrtssachen, Entschädigungssachen: Durch Bundesgesetz ist den 25 Ländern in weiteren besonderen Verfahren die Möglichkeit gegeben, diese besonderen Verfahren bei einem Oberlandesgericht des Landes zu konzentrieren oder durch Vereinbarung mit anderen Ländern länderübergreifend ein gemeinsames Oberlandesgericht für zuständig zu erklären, das gilt für Baulandsachen nach § 229 BauGB, für Entschädigungssachen nach § 208 BEG und für Binnenschifffahrtsangelegenheiten nach § 11 BinnSchVerfG. Bei den Schifffahrtsangelegenheiten ist darauf zu achten, dass zwar die Berufung eingelegt werden kann bei dem allgemein dem Schifffahrtsgericht übergeordneten Landgericht (§ 13 BinnSchVerfG), nicht aber bei dem diesem Landgericht übergeordneten Oberlandesgericht, sondern nur bei dem kraft Ländervereinbarung zuständigen Schifffahrtsobergericht, das ist zB für die Binnenschifffahrtsgerichte Bremen, Hamburg und Emden das Schifffahrtsobergericht Hamburg (BGH VersR 1979, 367, 368). Das gilt in Nordrhein-Westfalen entsprechend für Baulandsachen (BGH BauR 2000, 539); die Berufung ist demnach beim OLG Hamm einzulegen (vgl. GV NW 1994, S. 961).
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Kap. 65 Rz. 26
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b) Statthaftigkeit
26 Statthaft ist die Berufung gegen erstinstanzliche Endurteile (§ 511 ZPO). Die Art des Urteils ist unerheblich, also auch gegen Teilurteile, Ergänzungsurteile, Vorbehaltsurteile, Zwischenurteile über den Grund des Anspruchs. Statthaft ist auch die Berufung gegen Entscheidungen, die als Urteil in Erscheinung treten, richtigerweise aber als Beschluss hätten ergehen müssen, wie umgekehrt gegen Beschlüsse, die richtigerweise als Urteil hätten ergehen müssen. Es gilt der Meistbegünstigungsgrundsatz, dh., die durch die Entscheidung belastete Partei darf nicht dadurch benachteiligt werden, dass das Gericht seine Entscheidung in das falsche Gewand gekleidet hat (BGH NJW-RR 2012, 755; MDR 2009, 1000; BGHZ 40, 267 = MDR 1964, 227; BGH LM § 231 BEG Nr. 3; BGH NJW 1999, 291; BGH NJW 1999, 583, 584). Statthaft sind auch Berufungen gegen Scheinurteile (zB nicht verkündete Urteilsentwürfe), wenn sie als Ausfertigung existent sind (BGHZ 10, 346, 349; BGH NJW 1999, 1192). c) Berufungsfrist
27 Gemäß § 517 ZPO beträgt die Berufungsfrist einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber nach Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung („absolute Frist“). Die Frist von fünf Monaten nach Verkündung der Entscheidung hat vor allem dann Bedeutung, wenn das Urteil nicht oder nicht rechtzeitig abgesetzt wird oder die Zustellung unwirksam und keine Heilung eingetreten (s. Rz. 28) ist. Die Berufungsfrist beträgt in diesen Fällen nicht sechs Monate; die Frist beginnt vielmehr fünf Monate nach der Verkündung, was bei der Fristberechnung zu beachten ist.
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Wichtig: § 189 ZPO bestimmt, dass die Berufungsfrist auch bei Verletzung zwingender Zustellvorschriften in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem das Schriftstück der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gem. gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist (von Zöller/Heßler § 517 ZPO Rz. 8 und 10 sowie Musielak/Voit/Ball § 517 ZPO Rz. 5 nicht beachtet!). Allerdings wird auch nach § 189 Zustellungswille verlangt, um die Voraussetzung des § 189 ZPO bejahen zu können (BGH NJW-RR 2017, 1086; NJW 2003, 1192; Zöller/Schultzky § 189 ZPO Rz. 2, Musielak/Voit/Wittschier § 189 ZPO Rz. 2). Im Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs des Berufungsurteils kann der Anwalt nicht treffsicher feststellen, ob die Zustellung des Urteils erster Instanz verfügt war, was Voraussetzung für den Zustellungswillen ist. Da der Anwalt den Grundsatz des sichersten Wegs beachten muss, ist daher mit Zugang des Urteils erster Instanz beim Prozessbevollmächtigten erster Instanz (§ 172 ZPO) die Frist für die Berufung (§ 517 ZPO) von einem Monat sowie die Frist für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 ZPO) von zwei Monaten, gerechnet vom Datum des Zugangs des Urteils zu notieren, wenn das Urteil vor Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung zugegangen ist. Andernfalls (Zugang nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung) bleibt es beim Beginn des Laufs der Frist fünf Monate nach Verkündung des Urteils (§ 517 ZPO).
29 Maßgeblich ist die Zustellung an die beschwerte Partei; bei Berufungseinlegung durch den Streithelfer folglich der Zeitpunkt der Zustellung an die Hauptpartei (BGH NJW 1990, 190).
30 Wollen die Parteien etwa wegen laufender Vergleichsverhandlungen die Frist für die Einlegung der Berufung hinauszögern, können sie einen übereinstimmenden Antrag stellen, die Zustellung des Urteils – bis zum Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung – hinauszuschieben (§ 317 Abs. 1 Satz 2 ZPO). S. dazu auch Kap. 41 Rz. 47.
31 Wird innerhalb der Berufungsfrist das ursprüngliche Urteil durch ein Ergänzungsurteil ergänzt, § 321 ZPO, beginnt für das gesamte Urteil, also auch für das ursprüngliche Urteil, mit der Zustellung des Ergänzungsurteils eine neue Berufungsfrist. Voraussetzung ist, dass das ergänzte Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
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Rz. 39 Kap. 65
Ein Berichtigungsbeschluss nach § 319 ZPO lässt die bereits laufende Berufungsfrist unberührt, es sei denn, dass sich erst aus dem Berichtigungsbeschluss der Anlass für die Berufungseinlegung ergibt (BGH NJW-RR 2017, 55 Rz. 6; BGHZ 17, 149; BGH NJW 1999, 646).
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Der die Berufung einlegende Anwalt trägt die volle Verantwortung für die rechtzeitige Berufungsein- 33 legung und den Nachweis der Rechtzeitigkeit. Daher ist auf Nachweis – Quittung durch das Gericht, Zeugen für das Einwerfen in den Nachtbriefkasten, Fax-Protokoll – zu achten. Die gesetzliche Frist darf voll ausgenutzt werden (BVerfG NJW 2005, 3346). Auf die Annahmebereitschaft des Gerichtes kommt es nicht an, auch die rechtzeitig in den gewöhnlichen Gerichtsbriefkasten oder das Postfach gelangte Berufung ist rechtzeitig (BGH NJW 1986, 2646). Wenn die Berufung an ein anderes Gericht als das Rechtsmittelgericht adressiert ist, ist die Frist erst 34 mit Eingang beim richtigen Gericht gewahrt, allerdings muss das unzuständige Gericht unverzüglich die Berufung an das richtige Gericht weiterleiten. Geschieht das nicht und wäre die Berufungsschrift bei sachgerechter Behandlung durch das Gericht, an das die Berufungsschrift fehlerhaft gelangt ist, vor Fristablauf an das zuständige Gericht gelangt, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann zu gewähren, wenn die unrichtige Adressierung vom Anwalt zu vertreten ist (BVerfG NJW 1995, 3173). Die Frist wird auch durch Berufungseinlegung durch Telefax (BVerfG NJW 1996, 2857), auch im Falle 35 eingescannter Unterschrift (GmS – OGB NJW 2000, 2340) gewahrt. Zur Wahrung der Frist durch Übermittlung elektronischer Dokumente, per Telefax oder CCT-Fax s. Kap. 27. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn die Sendung ordnungsgemäß adressiert, frankiert und zu einem Zeitpunkt zur Post gegeben worden ist, zu der sie das Gericht nach der üblichen Beförderungszeit rechtzeitig hätte erreichen müssen, selbst wenn nach Auskunft der Post 7 % der Sendungen tatsächlich den Empfänger nicht rechtzeitig erreichen (BGH NJW-RR 2004, 1217; NJW 1999, 2118). Zur Wiedereinsetzung s. im Übrigen Kap. 71.
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Droht die absolute Berufungsfrist von fünf Monaten nach Verkündung des Urteils gemäß § 517 37 ZPO abzulaufen, ist Berufung einzulegen. Die Berufungsbegründung kann sich in einem derartigen Fall darauf beschränken, zu rügen, dass bis zum Ablauf der 5-Monats-Frist noch kein Urteil zugestellt ist. Schon die Angabe in der Berufungsschrift, das anzufechtende Urteil sei noch nicht zugestellt, die Einlegung der Berufung sei erforderlich, um die Fünf-Monats-Frist zu wahren, reicht als Berufungsbegründung aus (BGH NJW-RR 2004, 361). Zwar läuft die absolute Berufungsfrist unabhängig von der Kenntnis der betroffenen Partei von dem konkreten Verkündungstermin. Gelingt es aber dem Anwalt einer Partei trotz mehrfacher, auch schriftlicher Anfrage nicht, von dem Gericht zu erfahren, ob, gegebenenfalls wann und gegebenenfalls mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden ist, ist die Versäumung der Berufungsfrist unverschuldet; es ist Wiedereinsetzung zu gewähren (BGH BGHR 2004, 324). d) Streitwert, Berufung und Zulassungsberufung Ohne Zulassung im anzufechtenden Urteil ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerde- 38 gegenstands mehr als 600 Euro beträgt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Ist die Berufung zugelassen, kommt es auf den Wert des Beschwerdegegenstands nicht an. Zu unterscheiden sind der Wert der Beschwer und der Wert des Beschwerdegegenstands. Die Be- 39 schwer ist die Differenz zwischen dem, was die Partei verlangt hat und was sie durch das Urteil erhalten hat. Der Wert des Beschwerdegegenstands ist das, was in der Berufungsinstanz vom Berufungskläger über den gestellten Antrag unter Abänderung des Urteils erster Instanz begehrt wird. § 511 Abs. 2 ZPO meint den Wert des Beschwerdegegenstands (Zöller/Heßler § 511 ZPO Rz. 13 sowie Musielak/Voit/Ball § 511 ZPO Rz. 18).
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Kap. 65 Rz. 40
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Wichtig: Der Wert des Beschwerdegegenstands kann den Streitwert übersteigen! S. im Einzelnen dazu Musielak/Voit/Ball § 511 ZPO Rz. 18 ff. und Zöller/Heßler § 511 ZPO Rz. 19 ff. sowie unten Rz. 41.
41 Für die Berechnung des Beschwerdegegenstands gilt Folgendes: Wendet sich der Berufungskläger gegen die Entscheidung des Gerichts erster Instanz in vollem Umfang, und ist er durch dieses Urteil mit mehr als 600 Euro beschwert (zum Begriff s. Zöller/Heßler § 511 ZPO Rz. 13), ist die Berufung zulässig; Beschwerdegegenstand und Beschwer sind – weil die Änderung der Entscheidung erster Instanz in vollem Umfang begehrt wird – identisch. Wendet sich der Berufungskläger gegen die erstinstanzliche Entscheidung demgegenüber nur teilweise, muss der Wert des Gegenstands bestimmt werden, dessen Abänderung er mit der Berufung begehrt.
42 Beispiel: (a) Der Beklagte ist zur Zahlung von insgesamt 1.800 Euro verurteilt worden. Die Verurteilung setzt sich aus drei Positionen (X-Wert 200 Euro, Y-Wert 500 Euro, Z-Wert 1.100 Euro) zusammen. Der Wert der Beschwer beträgt 1800 Euro. Zulässig ist die Berufung nur, wenn sich der Beklagte gegen die Verurteilung insgesamt (Beschwerdegegenstand 1.800 Euro), die Verurteilung wegen X und Y oder X und Z oder Y und Z wendet. Will er sich nur gegen die Verurteilung wegen X oder Y wenden, erreicht der Beschwerdegegenstand nur 200 Euro bzw. 500 Euro. Die Berufung muss in diesem Fall zugelassen sein (und zwar wegen der Position, deren Abänderung der Beklagte begehrt). (b) Dem Kläger sind insgesamt 800 Euro durch die erstinstanzliche Entscheidung aberkannt. Der Betrag setzt sich aus zwei Positionen à 400 Euro zusammen. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Kläger die Abänderung des Urteils erster Instanz wegen beider Positionen begehrt. Andernfalls muss die Berufung wegen der Position zugelassen sein, deretwegen der Kläger die weitere Verurteilung des Beklagten erstrebt.
43 Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Berufung zulässig ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (BGH NJW 2000, 1343; NJW-RR 2005, 714).
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Wichtig: Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, kann die Berufung, wenn der Berufungsantrag die Berufungssumme unterschreitet, erst auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung über die Berufung als unzulässig verworfen werden (BGH NJW-RR 2005, 714). Der zunächst beschränkte Berufungsantrag kann, soweit die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über die Berufung erweitert werden (BGH aaO).
45 Durch nachträgliche teilweise Berufungsrücknahme unter die Mindestbeschwerdesumme wird die Berufung unzulässig (BGH LM § 546 ZPO Nr. 8, 44; OLG Frankfurt FamRZ 1988, 520; Stein/Jonas/ Althammer Einl. vor § 511 ZPO Rz. 30 f.).
46 Dagegen ist unerheblich, ob durch äußere Einflüsse oder Handeln des Berufungsbeklagten nach Berufungseinlegung der Wert des Beschwerdegegenstands verringert wird.
47 Bei unbeziffertem Klageantrag (zB Schmerzensgeld) fehlt es an der Beschwer, wenn der Klage in Höhe der vom Kläger geäußerten Begehrensvorstellung stattgegeben wird (BGH NJW-RR 2004, 863).
48 Der für die Klage geltende Streitwert muss nicht der Beschwer des Beklagten bei Berufung gegen das der Klage zusprechende Urteil entsprechen. Bei Auskunftsklagen richtet sich die Beschwer des verurteilten Beklagten nach dem Aufwand für die Auskunft und einem etwaigen Geheimhaltungsinteresse (BGH GrSZ NJW 1995, 664; BGH NJW-RR 2013, 257). Trotz der – für den Gebührenstreitwert – geltenden Vorschrift des § 41 GKG kann die Beschwer für den Beklagten höher sein als der erstinstanzliche Streitwert (BGH GrSZ NJW 1995, 664).
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Rz. 56 Kap. 65
Wichtig: Bei der Prüfung, ob der Wert des Beschwerdegegenstands den für die Wertberufung erforderlichen Betrag von 600 Euro übersteigt, ist das Berufungsgericht nicht an die Streitwertfestsetzung des Gerichts erster Instanz gebunden! Will das Berufungsgericht von der Streitwertfestsetzung des Richters erster Instanz abweichen, muss es dem Kläger zuvor nach §§ 525, 139 Abs. 2, 3 ZPO Gelegenheit zur Äußerung geben.
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Berufung
Maßgeblich auch bei Teilurteilen ist grundsätzlich die Beschwer jedes einzelnen Urteils, also keine Zu- 50 sammenrechnung – Ausnahme: Sachwidrige, den Gleichheitssatz verletzende Trennung von Verfahren; dann ist die Berufung zulässig (BVerfG NJW 1997, 649; Nichtannahmebeschl. v. 19.3.2014 – 1 BvR 2169/13; BGH LM § 147 ZPO Nr. 1). Wenn gesonderte Beschwer vorliegt, werden Klage und Widerklage zusammengerechnet (BGH NJW 1994, 3292), ebenso rechtskraftfähige Entscheidungen über Hilfsaufrechnungen (Zöller/Heßler § 511 ZPO Rz. 23).
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Beschwert ist auch der mit seinem Klageantrag formell voll obsiegende Kläger, wenn sein Klageantrag auf verschiedene Teilpositionen gestützt ist und im angefochtenen Urteil Einzelne der geltend gemachten Positionen entsprechend der vom Kläger vorgegebenen Reihenfolge geprüft, Einzelne davon jedoch für nicht begründet erklärt worden sind (BGH NJW 1999, 3564).
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Bei Teilerledigung bleiben die Kosten des erledigten Teils unberücksichtigt, solange noch die Hauptsache teilweise im Urteil beschieden ist (BGH WM 1991, 2009; Vorwerk/Wolf/Jaspersen, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 91a ZPO Rz. 37.1).
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Ist die Berufungssumme nicht erreicht, ist die Berufung in folgenden Fällen dennoch zulässig:
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– Wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung im Urteil zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Berufung muss vom erstinstanzlichen Gericht zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert (§ 511 Abs. 4 ZPO). Die Zulassung hat im Urteil zu erfolgen, kann also nicht nachträglich etwa durch Ergänzungsantrag beantragt oder Ergänzungsurteil erfolgen. Allerdings kann der Ausspruch über die Zulassung der Berufung in einem Berichtigungsbeschluss nachgeholt werden, wenn sich aus dem Urteil ergibt (= für einen Dritten deutlich ist), dass die Zulassung hat ausgesprochen werden sollen und nur versehentlich unterblieben ist (BGH NJW 2004, 2389). Gegen die Nichtzulassung gibt es kein Rechtsmittel. Es bleibt nur die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung selbst, wobei im Falle einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur der Antrag gem. § 321a ZPO zulässig ist (s. dazu Kap. 41 Rz. 32 ff. und M 41.5). An die erfolgte Zulassung ist das Berufungsgericht gebunden (§ 511 Abs. 4 Satz 2 ZPO). – Berufung gegen Versäumnisurteile gem. § 514 Abs. 2 ZPO, also Berufung gegen zweite Versäumnisurteile, mit der Begründung, dass ein Fall der Versäumung nicht vorlag. – Berufung gegen Scheinurteile (BGH NJW 1995, 404). – Verfahren vor den Schifffahrtsgerichten (§ 9 Abs. 1 BinnSchVerfG). e) Abhilfeverfahren nach § 321a ZPO Ist die Berufungssumme nicht erreicht, steht der im ersten Rechtszug unterlegenen Partei das Ab- 55 hilfeverfahren nach § 321a zur Verfügung, wenn das Urteil auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht (s. dazu im Einzelnen Kap. 41 Rz. 32).
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Praxistipp: Erreicht der Wert des Beschwerdegegenstands, dessentwegen der Kläger die Ab- 56 änderung erstrebt, nicht den Betrag von mehr als 600 Euro und kann der Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend machen, muss er den Antrag gem. § 321a ZPO inVorwerk
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Kap. 65 Rz. 57
Berufung
ZPO
nerhalb der Zwei-Wochen-Frist auch dann stellen, wenn er die Abänderung des insoweit zu seinen Lasten ergangenen Urteils im Wege der Anschlussberufung erreichen könnte (§ 524 ZPO). In diesem Fall wird für die Dauer des Berufungsverfahrens das Verfahren gem. § 321a ZPO auszusetzen sein (strittig).
III. Berufungsschrift 1. Allgemeines
57 Gemäß § 519 Abs. 2 ZPO muss die in deutscher Sprache abzufassende (§ 183 GVG, BGHSt 30, 182 = NJW 1982, 532) Berufungsschrift die Bezeichnung des Urteils enthalten, gegen das die Berufung gerichtet wird, und die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
58 Die Rechtsprechung verlangt die Angabe, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird (§ 519 Abs. 2 ZPO, BGH v. 12.1.2010 – VIII ZB 64/09 Rz. 5; MDR 2017, 1318 Rz. 14; noch zu § 518 ZPO aF BGH NJW 1993, 2943 f.).
59 Der Rechtsmittelkläger muss sich demnach aus der Berufungsschrift ebenso ergeben wie der Rechtsmittelbeklagte. Dies folgt aus der Pflicht zur Bezeichnung des Urteils, gegen das sich die Berufung richtet (§ 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Bei mehreren Streitgenossen müssen daher alle Streitgenossen, die Rechtsmittelführer sein sollen, angegeben werden (BGH NJW 1992, 2413). Die falsche Bezeichnung der Rechtsmittelführer schadet (BGH MDR 2007, 481; NJW 1985, 2651; MDR 1986, 27).
60 Allerdings kann auch durch Auslegung ermittelt werden, wer Berufungskläger ist, wobei zwar hohe Anforderungen zu stellen sind, andererseits auch nicht bloße Förmelei herrschen darf (BGH MDR 2007, 481; BGHR 2003, 1372 ähnlich BGH MDR 2004, 643). Werden nur – in der Form eines Kurzrubrums – die Parteien genannt ohne Angabe, wer Kläger und wer Beklagter oder wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter ist, und wird dann für eine mit der Parteirolle (Kläger bzw. Beklagter) benannten Partei Berufung eingelegt, gilt Folgendes: – Wird für den Kläger Berufung eingelegt, ist die Berufung zulässig, weil die Erste im Kurzrubrum benannte Partei in diesen Fällen immer der Kläger und Berufungskläger ist (BGHR 2003, 1372). – Wird für den Beklagten Berufung eingelegt, kommt es darauf an, ob in dem betreffenden Oberlandesgerichtsbezirk eine bestimmte Übung hinsichtlich der Reihenfolge der Parteirollen in der Berufungsinstanz besteht, bei einer derartigen Gepflogenheit ergibt sich daraus die nötige Klarheit. Fehlt es dagegen an einer bestimmten Übung, ist die Berufung für den Beklagten unzulässig (BGHR 2003, 1372).
61 K
Wichtig: Wird in der Berufungsschrift eine Partei fälschlich als Kläger und Berufungsführer bezeichnet, ist bei der „gebotenen strengen Anforderung an eine eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers“ (so BGH NJW-RR 2011, 281; NJW-RR 2004, 572) regelmäßig davon auszugehen, dass die so bezeichnete Partei auch Rechtsmittelführer ist, wenn nicht andere Umstände mit der erforderlichen Klarheit etwas anderes ergeben (BGHNJW-RR 2004, 572). Auf die Bezeichnung des Rechtsmittelführers ist demnach trotz der vorgenannten Rechtsprechung (s. Rz. 80) große Sorgfalt zu verwenden, weil die Rechtsprechung des BGH unterschiedliche Maßstäbe im Falle der Verwerfung der Berufung als unzulässig anwendet.
62 Die Rechtsprechung lässt es ausreichen, dass bei mehreren Berufungsbeklagten eine abgekürzte Bezeichnung gewählt wird (zB Bauherrengemeinschaft, BGH VersR 1989, 276) oder nur der erste Beklagte in der Berufungsschrift aufgeführt wird, weil im Zweifel sich die Berufung gegen alle Streitgenossen richtet und die an erster Stelle stehende Partei die Streitgenossen insgesamt hinreichend bezeichnet (BGH NJW 1969, 928; VersR 1985, 970, 971; NJW 1994, 514; NJW-RR 2011, 359; s. aber auch BGH NJW-RR 2004, 572). Wenn allerdings nicht ausschließlich der erste Streitgenosse, son-
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Rz. 67 Kap. 65
dern ein Teil der Streitgenossen genannt wird, richtet sich diese Berufung nur gegen die ausdrücklich genannten Streitgenossen (BGH NJW-RR 2009, 208). Wird bei mehreren Streitgenossen nur ein Streitgenosse als Berufungsbeklagter bezeichnet, ist das Rechtsmittel gegenüber dem nicht bezeichneten unzulässig, sofern bis zum Ablauf der Berufungsfrist ernstliche Zweifel an der Inanspruchnahme des nicht bezeichneten verbleiben (BGH NJW 2003, 3203).
63
Das angefochtene Urteil muss grundsätzlich mit den Parteien, dem Gericht, dem Verkündungstermin 64 und dem Aktenzeichen bezeichnet werden (BGH NJW 1993, 1719 f.; BGH NJW 2001, 1070 zu § 518 ZPO aF). Entscheidend ist, dass kein Zweifel an der Nämlichkeit des angefochtenen Urteils besteht. Das Aktenzeichen oder den Verkündungstermin wegzulassen, ist gefährlich, weil unter demselben Aktenzeichen mehrere Urteile ergangen sein können, etwa Teilurteil und Schlussurteil, und daher unklar ist, welches Urteil angefochten ist, so dass die Identität nur durch das Verkündungsdatum festzustellen ist. Es können zudem zwischen denselben Parteien vor demselben Gericht mehrere Rechtsstreitigkeiten anhängig sein, in denen am selben Tag unter mehreren Aktenzeichen Urteile erlassen sein können. Die Identität des Urteils lässt sich dann nur durch das Aktenzeichen feststellen. Wenn – etwa durch Schreibfehler – unrichtige Einzelangaben in der Berufungsschrift enthalten sind, ist die Berufung zulässig, wenn für Gericht und Parteien innerhalb der Berufungsfrist klar ist, welches Urteil angefochten ist. Bei bloßen Schreibfehlern wird auf diesem Weg in der Regel geholfen werden. Selbst wenn der Firmenname der Berufungsbeklagten falsch geschrieben war, die Anschrift und Bezeichnung des Geschäftsführers und des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten fehlen, ebenso das Verkündungs- und das Zustellungsdatum des angefochtenen Urteils, reicht letztlich die zutreffende Angabe des Aktenzeichens und des erstinstanzlichen Gerichts, die Möglichkeit, dass mehrere Urteile in demselben Verfahren unter demselben Aktenzeichen zwischen denselben Parteien ergangen waren, ist als rein theoretisch angenommen worden (BGH BGHR 2003, 825). Da häufig innerhalb der Berufungsfrist die Akten dem Berufungsgericht nicht vorliegen, ist es wich- 65 tig, gem. § 519 Abs. 3 ZPO der Berufungsschrift das angefochtene Urteil beizulegen (BGH NJW-RR 1989, 958; BVerfG NJW 1991, 3140), weil in der Regel durch die mit der Berufungsschrift gleichzeitig erfolgte Vorlage des angefochtenen Urteils etwaige Schreibfehler oder Unklarheiten zu klären sind. Eine Beglaubigung des Urteils ist nicht erforderlich (Stein/Jonas/Althammer § 519 ZPO Rz. 30). Das beigefügte angefochtene Urteil ist bei der Auslegung der Rechtsmittelschrift im vollen Umfange zu berücksichtigen; dabei verbleibende nur noch theoretische Zweifel haben bei der Auslegung zurückzutreten (BGH NJW 1999, 1554). Das Zustellungsdatum muss nicht angegeben werden, es empfiehlt sich aber die Angabe zur Dar- 66 legung des Zustellungsdatums, von dem der Berufungskläger ausgeht. Die Angabe des Zustellungsdatums gibt dem Gericht bei fehlender Übereinstimmung zwischen dem angegebenen Zustellungsdatum und dem tatsächlichen Zustellungszeitpunkt Gelegenheit zu Hinweisen, die für die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist vorteilhaft sein können. Darüber hinaus ist es vorteilhaft, eine Kopie des Empfangsbekenntnisses vorzulegen, aus dem sich der Zustellungszeitpunkt ergibt. Die Regel des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO veranlasst verschiedene Vorsitzende, die Verlängerung der Frist nicht zu einem bestimmten Datum, sondern nur in der Form auszusprechen, „die Frist wird um einen Monat verlängert“, solange sie den Zustellungszeitpunkt nicht den Akten selbst entnehmen können, um den durch § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgegebenen Zeitrahmen nicht zu überschreiten. Dies hat zur Folge, dass Fehler bei der Fristberechnung auftreten können. Die Erklärung, dass Berufung eingelegt wird, muss unbedingt erfolgen (BGH LM § 233 ZPO Nr. 21; 67 BGH LM § 518 Abs. 2 Nr. 2 ZPO Nr. 10); bedingt oder hilfsweise eingelegte Berufungen sind unzulässig; auch eine Berufung für den Fall der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist unzulässig (BGHZ 4, 54; BGH MDR 2006, 43; MüKo.ZPO/Rimmelspacher § 519 ZPO Rz. 37; aA Stein/Jonas/Althammer § 519
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ZPO
Berufung
ZPO
Kap. 65 Rz. 68
M 65.4
Berufung
ZPO Rz. 19); eine solche unzulässige Berufung hindert aber nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe, BGH NJW 1999, 2823).
68 Zu bezeichnen ist das Berufungsgericht. Bei unrichtigen Angaben kann im Wege der Auslegung geholfen werden (BGH NJW 1989, 590, 591). Bei falscher Adressierung ist maßgeblich, wann die Berufungsschrift in die Verfügungsgewalt des richtigen Gerichts gelangt (BGH NJW 1975, 184; BGH NJW 1983, 123; BGH NJW-RR 1993, 254).
69 Die ladungsfähigen Anschriften der Parteien und des Anwaltes des Berufungsbeklagten sind nicht zwingend anzugeben (BGH NJW 1988, 2114; BAG GrS NJW 1987, 1356). Zweckmäßig ist die Angabe, um dem Gericht eine möglichst baldige Zustellung an den Rechtsmittelbeklagten zu ermöglichen.
70 Die Berufungsschrift muss bei der noch allseits üblichen Abfassung in der Form eines papiernen Schriftsatzes eigenhändig unterschrieben sein; an den Nachweis der Eigenhändigkeit der Unterschrift (Freibeweis) dürfen insbesondere dann, wenn der Anwalt die Echtheit seiner Unterschrift an Eides statt versichert, nicht übertriebene Anforderungen gestellt werden (BGH NJW 2001, 2888). Wird die Berufung per Telefax, CCT-Fax oder als elektronisches Dokument dem Berufungsgericht zugeleitet, müssen die für diese Übermittlungsarten erforderlichen Förmlichkeiten eingehalten werden (s. dazu Kap. 28 Rz. 18 ff., 59 ff.). Bei fehlender Unterschrift ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Einzelfällen möglich (BGH JurBüro 2017, 334). 2. Berufung des Klägers oder des Beklagten
71 In der Regel wird von dem oder den Klägern bzw. von dem oder den Beklagten Berufung eingelegt. 72 M 65.4 Berufungsschrift des Klägers An das Oberlandesgericht Hamm … Straße 56 59065 Hamm Berufungsschrift In Sachen des A.A., B-Str. in 45772 Marl – Kläger und Berufungskläger – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … in Hamm gegen Frau D.D., F-Str. in 45772 Haltern – Beklagte und Berufungsbeklagte – Prozessbevollmächtigte erster Instanz: Rechtsanwalt …, Z-Str. 1 in 45127 Essen Aktenzeichen erster Instanz: LG Essen – 10 O 12/02 wird namens des Berufungsklägers gegen das am … verkündete und am … zugestellte Urteil des Landgerichts Essen Berufung eingelegt.
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M 65.5
Rz. 74 Kap. 65
Berufung
Eine Fotokopie des angefochtenen Urteils liegt an.
ZPO
(Unterschrift) Rechtsanwalt Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
M 65.5 Berufung des Beklagten
73
An das Oberlandesgericht Hamm … Straße 65 59065 Hamm Berufungsschrift In Sachen der Frau D.D., F-Str. in 45772 Haltern – Beklagten und Berufungsklägerin – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … in Hamm gegen Herrn A.A., B-Str. in 45772 Marl – Kläger und Berufungsbeklagten – Prozessbevollmächtigte erster Instanz: Rechtsanwalt …, Z-Str. 1 in 45127 Essen Aktenzeichen erster Instanz: LG Essen – 10 O 12/02 wird namens der Berufungsklägerin gegen das am … verkündete und am … zugestellte Urteil des Landgerichts Essen Berufung eingelegt. Eine Fotokopie des angefochtenen Urteils liegt an. (Unterschrift) Rechtsanwalt Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
3. Berufung einzelner Streitgenossen Die Streitgenossen, die Berufungskläger sind, müssen im Einzelnen bezeichnet werden (s. auch Rz. 59). Das wird zweckmäßigerweise dadurch klargestellt, dass die Bezifferung der Parteien aus dem angefochtenen Urteil in die Berufungsschrift übernommen wird, die Parteien, für die das Rechtsmittel nicht eingelegt werden soll, aber durch Weglassen der Namen, die durch Pünktchen ersetzt werden, gekennzeichnet werden.
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1081
74
Kap. 65 Rz. 75
M 65.6
Berufung
ZPO
75 Waren zB die Eheleute Müller, die Eheleute Meier und Herr Schulze Kläger, soll Berufung aber nur für die Herren Meier, Müller und Schulze eingelegt werden, so lautet das Rubrum des angefochtenen Urteils: In Sachen 1. des Herrn Egon Meier 2. der Frau Klara Meier 3. des Herrn August Müller 4. der Frau Susanne Müller 5. des Herrn Norbert Schulze … Die Berufungsschrift wird in diesem Fall wie folgt abgefasst:
76 M 65.6 Berufung einzelner Streitgenossen In Sachen 1. des Herrn Egon Meier 2. … 3. des Herrn August Müller 4. … 5. des Herrn Norbert Schulze – Kläger zu 1), 3) und 5) und Berufungskläger – …
4. Berufung des Streithelfers a) Notwendige Streitgenossenschaft
77 Bei notwendiger Streitgenossenschaft iS des § 62 ZPO kann jeder Streitgenosse gesondert Berufung einlegen, wobei hinsichtlich der Frist auf die Zustellung an den jeweiligen Rechtsmittelführer abzustellen ist (BGH NJW 2001, 1355). Der notwendige Streitgenosse vertritt nicht die übrigen Streitgenossen, legt also nicht Berufung auch für die übrigen Streitgenossen ein, sondern nur für sich selbst. Durch die Berufung nur eines Streitgenossen wird aber der Eintritt der Rechtskraft insgesamt bis zur Entscheidung über diese Berufung gehemmt, der Erfolg des Rechtsmittels wirkt zugunsten aller notwendigen Streitgenossen. Da nach § 62 Abs. 2 ZPO die das Rechtsmittel nicht einlegenden Streitgenossen auch in dem späteren Verfahren zuzuziehen sind, sind sie Partei im Rechtsmittelverfahren (OLG Karlsruhe ZIP 1991, 102; BGH MDR 2012, 481; NJW 1991, 101). Hinsichtlich der prozessualen Voraussetzungen und Folgen der Berufung ist allein auf den Streitgenossen abzustellen, der die Berufung führt, er trägt also die Kosten einer erfolglosen Berufung, hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels ist auf seine Person abzustellen (Zöller/Herget § 97 ZPO Rz. 4).
78 Da alle notwendigen Streitgenossen bei Berufung auch nur eines Streitgenossen in der Berufungsinstanz weiterhin Partei sind und auch geladen werden müssen, erscheint es zweckmäßig, sie auch in der Berufungsschrift als Berufungskläger zu bezeichnen. Es ist daher wie folgt zu formulieren:
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Rz. 82 Kap. 65
Berufung
M 65.7 Berufung bei notwendiger Streitgenossenschaft
79
Berufungsschrift In Sachen 1. des Anton Adam – Kläger zu 1) und Berufungskläger zu 1) – 2. des Bruno Bertram – Kläger zu 2) und Berufungskläger zu 2) – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … 3. des Herrn Carl Carlson Prozessbevollmächtigte erster Instanz: Rechtsanwalt … gegen … wird namens des Berufungsklägers zu 2), nämlich des Herrn Bruno Bertram, gegen das … Berufung eingelegt. Das angefochtene Urteil liegt in Kopie bei. (Unterschrift) Rechtsanwalt Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
K
Praxistipp: Um durch Schreibfehler verursachte Fehler bei der Einlegung der Berufung zu vermeiden, ist in den Fällen, in denen die Partei, für die Berufung eingelegt wird, nur nach einer Ordnungsziffer im Rubrum bezeichnet wird, vorsorglich hinter dieser Bezeichnung der volle Name der Partei zu wiederholen!
80
Ausnahmsweise kann versehentlich ein notwendiger Streitgenosse erstinstanzlich nicht am Streit beteiligt gewesen sein, weil etwa seine Beteiligung von allen Prozessparteien übersehen worden ist. Mit Rücksicht auf seine notwendige Beteiligung gem. § 62 ZPO kann diese Partei gegen das Urteil, in dem sie selbst nicht als Partei aufgeführt ist, Berufung einlegen (BGH NJW 1991, 101). Hier wäre es zulässig, den im erstinstanzlichen Rubrum nicht aufgeführten Streitgenossen in dem Rubrum der Berufungsschrift als weiteren notwendigen Streitgenossen aufzuführen. Zur Vermeidung von Missverständnissen erscheint es sinnvoller, das erstinstanzliche Rubrum zu übernehmen und dann im Text zu erklären, wer aus welchen Gründen Berufung einlegt, nämlich:
81
M 65.8 Berufung des erstinstanzlich unberücksichtigten notwendigen
82
Streitgenossen … wird namens des Herrn Egon Eisen, Dortmund, Hellweg 15 – Kläger zu 4) und Berufungskläger – als erstinstanzlich unberücksichtigten notwendigen Streitgenossen der Kläger gegen das am … verkündete Urteil, zugestellt den übrigen Streitgenossen am …, Berufung eingelegt. Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
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1083
ZPO
M 65.8
Kap. 65 Rz. 83
M 65.9
Berufung
ZPO
83 Bei notwendiger Streitgenossenschaft auf der Berufungsbeklagtenseite müssen alle notwendigen Streitgenossen in die Berufung einbezogen werden, also als Berufungsbeklagte in der Berufungsschrift aufgeführt werden, da Rechtskraft zugunsten nur eines notwendigen Streitgenossen die Berufung des Gegners unbegründet (oder unzulässig, BGHZ 23, 75) macht. Bei der Auslegung der Berufungsschrift gelten die oben genannten Grundsätze (s. Rz. 62 ff.), dh. es reicht aus, wenn von mehreren Berufungsbeklagten der im Rubrum Erstgenannte in der Berufungsschrift aufgeführt wird. b) Nicht notwendige Streitgenossenschaft
84 Bei der nicht notwendigen Streitgenossenschaft muss die Entscheidung nicht einheitlich erfolgen. Demgemäß kann das Berufungsurteil hinsichtlich des einen einfachen Streitgenossen anders lauten als das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der übrigen Streitgenossen. Somit sind die Streitgenossen, die selbst keine Berufung eingelegt haben, nicht Partei des Berufungsverfahrens, sie sind auch in der Berufungsschrift entsprechend zu kennzeichnen. Demgemäß lautet die Berufungsschrift bei einfacher Streitgenossenschaft:
85 M 65.9 Berufung bei einfacher Streitgenossenschaft (Klägerseite) In Sachen 1. … 2. des Bruno Bertram – Kläger zu 2) und Berufungskläger – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … 3. … gegen … Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … wird namens des Berufungsklägers gegen das am … verkündete Urteil des Landgerichts …, zugestellt am … Berufung eingelegt. (Unterschrift) Rechtsanwalt Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
86 Bei einfachen Streitgenossen auf der Berufungsbeklagtenseite sind die Berufungsbeklagten im Einzelnen aufzuführen. Soweit das Rechtsmittel sich gegen einzelne Gegner erster Instanz nicht richten soll, ist das wiederum im Rubrum dadurch zu kennzeichnen, dass die entsprechenden Berufungsbeklagten nur beziffert, aber nicht genannt werden, ihr Name stattdessen durch Pünktchen ersetzt wird, wobei zur weiteren Verdeutlichung die Bezifferung der Berufungsbeklagten abweichend von der erstinstanzlichen Bezifferung gewählt wird. Die Berufungsschrift lautet also:
1084
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Rz. 90 Kap. 65
Berufung
M 65.10 Berufung bei einfacher Streitgenossenschaft (Beklagtenseite)
87
In Sachen des … – Klägers und Berufungsklägers – gegen 1. Herrn Günter Georg – Beklagten zu 1) und Berufungsbeklagten zu 1) – 2. … 3. Frau Heidi Hansen – Beklagte zu 3) und Berufungsbeklagte zu 2) – … Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
Aus praktischen Gründen ist allerdings Vorsicht geboten bei einer Herausnahme bestimmter Rechtsmittelgegner. Nach Ablauf der Berufungsfrist lässt sich ein unterlaufener Fehler nicht mehr heilen, die Berufung wird unzulässig (oder unbegründet), falls sich nachträglich bei genauerer Überprüfung herausstellt, dass auf Beklagtenseite notwendige Streitgenossen waren oder sich die Berufung aus materiellen Gründen auch gegen den Beklagten hätte richten müssen, gegen den die Berufung nicht eingelegt worden ist. Deshalb ist es vor abschließender Überprüfung der Sach- und Rechtslage problematisch, eine der erstinstanzlich verklagten Parteien (oder einen der erstinstanzlich obsiegenden Kläger) aus dem Berufungsverfahren herauszunehmen.
88
c) Streitgenössischer Streithelfer (vgl. dazu auch Kap. 30) Gemäß § 69 ZPO gilt der Streithelfer dann, wenn nach sachlichem Recht die Rechtskraft oder die 89 Vollstreckungs- oder Gestaltungswirkung ein Rechtsverhältnis zwischen dem Streithelfer und dem Gegner ergreift, als Streitgenosse der Hauptpartei. Liegen, wie regelmäßig, die Voraussetzungen für eine notwendige Streitgenossenschaft iS des § 62 ZPO vor, kann der streitgenössische Streithelfer anstelle der Hauptpartei Berufung einlegen, ggf. auch gegen den Widerspruch der unterstützenden Partei (OLG Schleswig OLGR 1993, 930). Da nach § 69 ZPO dieser Streithelfer als Streitgenosse der Hauptpartei gilt, aber nicht Partei selbst ist, ist er im Rubrum als Streithelfer aufzuführen, wenn er im Zeitpunkt des Erlasses des erstinstanzlichen Urteils bereits beigetreten war, anderenfalls muss er gleichzeitig beitreten, wobei der Beitritt auch mit der Berufungseinlegung verbunden werden kann. d) Nichtstreitgenössischer Streithelfer/Nebenintervenient (vgl. dazu auch Kap. 19 und 30) Ist der Streithelfer bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils wirksam der Hauptpartei beigetreten, kann er gem. § 67 ZPO Berufung einlegen, es sei denn, dass die Berufung mit Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei in Widerspruch steht. Wenn sowohl Hauptpartei wie Streithelfer Berufung eingelegt haben, die Hauptpartei alsdann die Berufung zurücknimmt, steht die weitere Durchführung der Berufung durch den Streithelfer grundsätzlich nicht im Widerspruch zu Handlungen der Hauptpartei, es sei denn, dass – etwa im Falle des Vergleiches – der Berufungsrücknahme der Hauptpartei ein Verzicht auf den materiell-rechtlichen Anspruch zugrunde liegt oder die Hauptpartei in anderer Weise mit dem Gegner den Streitgegenstand geregelt hat.
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1085
90
ZPO
M 65.10
Kap. 65 Rz. 91
M 65.11
Berufung
ZPO
91 Der (unselbständige) Streithelfer ist nicht selbst Partei, sondern unterstützt lediglich die Hauptpartei, sein Rechtsmittel ist daher ein Rechtsmittel für die Hauptpartei (BGH NJW 1997, 2386); wegen des Beginns der Rechtsmittelfrist für den Streithelfer/Nebenintervenienten s. Rz. 29, vgl. dazu auch BGH NJW 2001, 1355. Versteht man mit dem Bundesgerichtshof den das Rechtsmittel führenden Streithelfer nicht als Partei des Berufungsverfahrens, so sollte er auch nicht als Berufungskläger bezeichnet werden, sondern als Streithelfer des Berufungsklägers. Die Berufungsschrift lautet:
92 M 65.11 Berufung des nichtstreitgenössischen Streithelfers In Sachen 1. Hubert Meier, wohnhaft …, – Kläger und Berufungskläger – 2. August Adam … – Streithelfer des Klägers – gegen Paul Kante … – Beklagter und Berufungsbeklagter – wird namens des Streithelfers des Klägers August Adam gegen das … Urteil …, dem Kläger zugestellt am …, Berufung eingelegt. Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
93 K
Wichtig: Es ist in diesem Fall nicht nur anzugeben, dass „namens des Streithelfers“ Berufung eingelegt wird. Der Streithelfer ist konkret zu bezeichnen, um keine Unklarheiten auftreten zu lassen, für wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Möglich ist nämlich, dass ein Streitverkündungsgegner im Verfahren erster Instanz neben anderen Streitverkündungsgegnern beigetreten ist. Es gibt dann mehrere Streithelfer, so dass bei fehlender Konkretisierung des Streithelfers unklar ist, für wen die Berufung eingelegt ist.
94 Auch ein erstinstanzlich noch nicht dem Rechtsstreit beigetretener Dritter kann gem. § 70 ZPO Berufung einlegen. Voraussetzung ist, dass die Nebenintervention zulässig ist, also gem. § 66 Abs. 1 ZPO der Dritte ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiegt.
95 Zu unterscheiden sind die Beitrittserklärung und die Berufungseinlegung. Gemäß § 70 Abs. 1 ZPO muss die Beitrittsschrift enthalten: – Die Bezeichnung der Parteien und des Rechtsstreites, also das volle Rubrum, – die bestimmte Angabe des Interesses, das der Nebenintervenient hat, – die Erklärung des Beitritts.
96 Ist dem Beitritt, wie regelmäßig, die Streitverkündung durch eine der beiden Prozessparteien gegenüber dem Nebenintervenienten vorausgegangen, dann ergibt sich bereits aus der Streitverkündung und der mit ihr verbundenen Wirkung nach §§ 74, 68 ZPO, dass die Nebenintervention zulässig ist, wahlweise durch Beitritt zugunsten der streitverkündeten Partei, aber auch zugunsten der Gegenpartei.
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Rz. 100 Kap. 65
Berufung
§ 70 Abs. 1 Satz 1 ZPO lässt den Beitritt in einem Schriftsatz verbunden mit dem Rechtsmittel zu. 97 Zwar sind Beitritt und Einlegung des Rechtsmittels selbständige Prozesshandlungen, deren Wirksamkeit je für sich gesondert zu beurteilen ist (BGH NJW 1997, 2385). Da die Streitverkündung das rechtliche Interesse begründet, reicht die Bezugnahme auf die vorangegangene Streitverkündung aus, und zwar schon in der Form der Bezeichnung der Streithelferin als „Streitverkündete“. Berufungseinlegung durch den noch nicht beigetretenen Streitverkündeten lautet also wie folgt:
M 65.12 Berufung des Streitverkündeten
98
In Sachen … – Kläger – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den … – Beklagten und Berufungsbeklagten – tritt dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers hiermit Anton Bau, …, als Streithelfer bei unter Hinweis darauf, dass ihm mit Schriftsatz vom …, dem Streithelfer zugestellt am …, der Streit verkündet worden ist. Namens des Streithelfers wird hiermit zugleich gegen das … Urteil …, verkündet am …, zugestellt dem Kläger am …, Berufung eingelegt. Eine Fotokopie des dem Kläger zugestellten Urteils liegt bei. (Unterschrift) Rechtsanwalt Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
Bedarf es zur Darlegung des Interesses des Nebenintervenienten näherer Ausführungen, muss das Interesse des Nebenintervenienten in der Rechtsmittelschrift angeführt werden. Siehe dazu das nachfolgende M 65.13.
99
M 65.13 Berufung verbunden mit dem Beitritt des Streithelfers
100
An das Oberlandesgericht Celle 22. Zivilsenat Celle …, den … Berufung In dem Rechtsstreit Friedhelm & Hansen GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer Henning Friedhelm und Jörg Hansen, Berliner Straße 9, … – Klägerin –
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ZPO
M 65.13
Kap. 65 Rz. 101
M 65.13
Berufung
ZPO
Prozessbevollmächtigte erster Instanz: Rechtsanwälte … Streithelferin der Klägerin: Rechtsanwältin Susi Lauwein, … Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Schulte, … gegen Franz Peter Hinze, … – Beklagter, Berufungsbeklagter – Prozessbevollmächtigte erster Instanz: Rechtsanwälte … zeige ich an, dass ich Rechtsanwältin Susi Lauwein vertrete. In ihrem Namen und aufgrund ihrer erteilten Vollmacht erkläre ich hiermit, dass Rechtsanwältin Lauwein dem Rechtsstreit aufseiten der Klägerin als Nebenintervenient (Streithelferin) gem. § 66 ZPO beitritt. Das Interesse Rechtsanwältin Lauweins am Ausgang des Rechtsstreits folgt aus den Feststellungen des Gerichts erster Instanz (LGU S. 7, 8) und der im Hinblick auf diese Feststellungen getroffenen Entscheidung, dass die Mängelansprüche der Klägerin verjährt sind. Die Streithelferin der Klägerin war vorprozessual mit der Verfolgung der Mängelansprüche der Klägerin beauftragt. Die Streithelferin muss demnach gegenwärtigen, dass die Klägerin bei ihr Rückgriff nimmt, sofern die Entscheidung des Gerichts erster Instanz rechtskräftig wird. Namens und in Vollmacht Rechtsanwältin Lauweins lege ich für die Klägerin gegen das am 26.7.2014 verkündete und der Klägerin am 12.8.2014 zugestellte Urteil des Landgerichts Lüneburg – 17 O 192/13 – Berufung ein. Eine Kopie des angefochtenen Urteils füge ich bei. Die Begründung der Berufung erfolgt in einem gesonderten Schriftsatz, den die Streithelferin fristgerecht einreichen wird. Rechtsanwalt Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
5. Berufung anderer Personen
101 Anstelle des erstinstanzlich unterlegenen Klägers kann als neuer Kläger derjenige Berufung einlegen, an den die Streitsache veräußert worden ist (§ 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO); der neue Kläger ist allerdings nur mit Zustimmung des Gegners berechtigt, den Prozess anstelle des ersten Klägers fortzusetzen, die Zustimmung kann nicht bei Sachdienlichkeit durch das Prozessgericht ersetzt werden (BGH NJW 1996, 2799). Das birgt Gefahren, so dass die Berufung durch den ursprünglichen Kläger eingelegt werden sollte. Die Berufung, die der Erwerber der Streitsache einlegt, lautet:
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Berufung
Rz. 106 Kap. 65
M 65.14 Berufung des Erwerbers der Streitsache
102
Berufung In Sachen des Adam August, … – Kläger erster Instanz – gegen … – Beklagter und Berufungsbeklagter – zeige ich an, dass ich Georg Gans … vertrete. Georg Gans ist Rechtsnachfolger des Klägers erster Instanz iS des § 265 Abs. 2 ZPO. Er hat durch Vertrag vom … die geltend gemachte Forderung erworben, der Beklagte hat der Fortsetzung des Rechtsstreites durch den Berufungskläger zugestimmt. Namens und in Vollmacht des Herrn Georg Gans lege ich hiermit gegen das Urteil …, dem Kläger zugestellt am …, Berufung ein. Eine Fotokopie des angefochtenen Urteils liegt bei. Rechtsanwalt Kosten: s. Anm. zu M 65.4.
Anstelle der erstinstanzlich unterlegenen Partei kann bei nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingetretener Gesamtrechtsnachfolge der Rechtsnachfolger Berufung einlegen, etwa der Erbe anstelle des Erblassers und im Falle der Insolvenz der Insolvenzverwalter anstelle des Schuldners. Die Gründe, die zum scheinbaren Parteiwechsel in der Berufungsinstanz führen, sollten in der Berufungsschrift genannt werden.
103
Berufung kann auch die Partei einlegen, deren Eintritt in den Prozess durch Urteil abgelehnt worden ist (vgl. etwa Zöller/Greger § 265 ZPO Rz. 7).
104
Wird eine Person im Urteil aufgeführt, die den Prozess in Wahrheit nicht geführt hat – eine Partei führt bewusst oder unbewusst einen falschen Namen – so kann die Scheinpartei Berufung einlegen, um sich vor ungerechtfertigter Vollstreckung zu schützen (neben der Möglichkeit der Berichtigung nach § 319 ZPO). In einem solchen Fall reicht es aus, wenn ein besonderer Grund für die Berufung in der Berufungsbegründung dargelegt wird.
105
IV. Berufungsbegründung 1. Berufungsbegründungsfrist Die Berufungsbegründung kann zwar mit der Berufungsschrift verbunden werden (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Sie sollte jedoch erst erfolgen, wenn die Gerichtsakten eingesehen und alle Möglichkeiten für Angriffe gegen die erstinstanzliche Entscheidung geprüft sind. Die Frist für die Begründung der Berufung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des vollständig begründeten Ur-
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1089
106
ZPO
M 65.14
ZPO
Kap. 65 Rz. 107
Berufung
teils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung (§ 520 Abs. 2 ZPO; s. dazu im Übrigen auch Rz. 27 f.).
107 Die Frist kann auf Antrag des Berufungsklägers – Einzelheiten dazu Kap. 67 Rz. 1 ff. – durch den Vorsitzenden der Berufungskammer/des Berufungssenates nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO verlängert werden, und zwar ohne Einwilligung des Gegners längstens um einen Monat, mit Einwilligung auch darüber hinaus. Maßgeblich ist die bekannt gegebene Verlängerung der Frist, selbst wenn sie – irrtümlich – über den Antrag hinausgeht, es sei denn, die Unrichtigkeit ist offensichtlich (BGH NJW 1999, 1036).
108 Ein Streithelfer kann die von der Hauptpartei eingelegte Berufung anstelle der Hauptpartei begründen (BGH NJW 1999, 2046, 2047); die Begründung muss jedoch in der für die Hauptpartei laufenden Frist erfolgen (BGH NJW 1997, 865). Fristverlängerungen, die der Streithelfer erwirkt hat, wirken auch für die Hauptpartei, da die Berufung des Streithelfers und die der Hauptpartei als einheitliches Rechtsmittel zu werten sind (BGH NJW 1985, 2480). 2. Formalien
109 Die Berufungsbegründung muss von einem Anwalt wirksam unterschrieben sein, wenn sie in der noch üblichen Weise durch Schriftsatz in Papierform begründet wird; eine „Paraphe“ genügt nicht. Im Übrigen s. Kap. 15 Rz. 16.
110 Gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO muss die Berufungsbegründung die Berufungsanträge und die Berufungsgründe enthalten.
111 Nach § 520 Abs. 4 ZPO soll der Wert des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes angegeben werden, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt. Das ist nicht Zulässigkeitsvoraussetzung, kann also bis zur Entscheidung – gegebenenfalls bis zur Verwerfung nach § 522 ZPO – nachgeholt werden. Wichtig ist die Angabe des Wertes des Beschwerdegegenstandes immer dann, wenn Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung im Hinblick auf den Wert des Beschwerdegegenstands bestehen (vgl. dazu Rz. 38 ff.). In diesem Fall muss der Aufwand des Berufungsführers für die Erteilung der Auskunft dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
112 K
Wichtig: Unabhängig davon sind Angaben zum Wert des Beschwerdegegenstandes, aber auch im Hinblick auf den mindestens bis zum 31.12.2019 weiterhin geltenden (BGBl. I 2018, 863; BT-Drucks. 19/1686; BR-Drucks. 254/18, 254/18 [B]); s. Kap. 15 Rz. 32) § 26 Nr. 8 EGZPO zu machen. Gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO ist die Nichtzulassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machen Beschwer (zum Begriff s. Rz. 39) 20.000 Euro übersteigt. Bei unbezifferten Anträgen ist daher schon in der Berufungsinstanz an eine mögliche Anfechtung des Berufungsurteils zu denken. Die Angaben in der Tatsacheninstanz zum Wert des unbezifferten Antrags binden im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. BGH BauR 2013, 1483; ZMR 2014, 300). Da jedenfalls die neuere Rechtsprechung des BGH (BGH v. 15.5.2014 – I ZR 176/13; BauR 2013, 1483; VersR 2009, 279) keinen neuen Tatsachenvortrag zum Wert des Beschlusses in dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zulässt, muss auch der Beklagte schon im Berufungsverfahren bei unbezifferten Anträgen geltend machen, dass die Verurteilung ihn iHv. mehr als 20.000 Euro beschwert, wenn dies dargelegt werden kann und der Beklagte für den Fall des Unterliegens die Nichtzulassungsbeschwerde erwägt.
113 Nach § 520 Abs. 4 Nr. 2 ZPO soll die Berufungsbegründung ferner eine Äußerung dazu enthalten, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen:
114 Ist die angefochtene Entscheidung nicht von einem Einzelrichter erlassen worden, was in den Fällen des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 ZPO stets vorliegen wird, erübrigt sich die Stellungnahme zur Frage der Übertragung auf den Einzelrichter, § 526 Abs. 1 ZPO. 1090
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Rz. 119 Kap. 65
M 65.15 Äußerung zur Frage der Übertragung der Sache auf den Einzelrichter,
115
Berufungsinstanz Es wird darum gebeten, den Rechtsstreit nicht dem Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Der Rechtsstreit hat aus den in der Begründung der Berufung aufgezeigten Erwägungen grundsätzliche Bedeutung. Alternativ: Die Sache weist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art auf: Der erstinstanzlich entscheidende Einzelrichter hat, wie oben dargelegt, die angeführten Rechtsfragen unzutreffend entschieden. Ihre Beantwortung bedarf der Beratung im Kollegium. Alternativ: Die Feststellung der im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen bereitet besondere Schwierigkeiten, weil …
3. Berufungsanträge Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwie- 116 weit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden. Zweckmäßigerweise werden die Berufungsanträge zu Beginn der Berufungsbegründung formuliert. Die Rechtsprechung ist bei der Auslegung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO recht großzügig; sie verlangt keinen ausdrücklichen Antrag, wenn die Berufungsbegründung klar und deutlich das Ziel der Berufung erkennen lässt (BGH NJW-RR 2004, 967; BGH NJW-RR 1995, 1154; BGH NJW-RR 1997, 866). Wird kein bestimmter Antrag gestellt und ergibt sich aus der Berufungsbegründung nur, dass die Herabsetzung der Urteilssumme erstrebt wird, nicht aber der Umfang der Klageabweisung, ist die Berufung unzulässig (BGH NJW 1987, 1335; NJW 2006, 2705). Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze für die Bestimmtheit des Klageantrages: Der Antrag muss den erhobenen Anspruch konkret bezeichnen und dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) abstecken, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lassen, das Risiko der Prozessführung des Berufungsklägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeiten auf den Berufungsbeklagten abwälzen und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streites ins Vollstreckungsverfahren erwarten lassen (BGH NJW 1991, 1114; VuR 1998, 285; NJW 1999, 954; NJW 2003, 668).
117
Eine Bezugnahme zur Auslegung des Antrags auf einen nicht bei den Akten befindlichen oder nicht vom Prozessbevollmächtigten unterschriebenen Schriftsatz reicht nicht aus, ausreichend ist allerdings die Bezugnahme auf Anträge eines Prozesskostenhilfegesuches des Berufungsanwalts.
118
4. Inhalt a) Auseinandersetzung mit den Gründen der Entscheidung erster Instanz Auch in ihrem Inhalt hat die Berufungsbegründung vom Gesetzgeber aufgestellten formalen Voraussetzungen zu genügen. Werden die formalen Anforderungen nicht beachtet, führt dies zur Verwerfung der Berufung als unzulässig (§ 522 Abs. 1 ZPO). Gegenstand der Berufungsbegründung ist die Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; wobei diese Auseinandersetzung auf den konkret entschiedenen Einzelfall zugeschnitten sein muss. Der erhobene Berufungsangriff muss zumindest einer der drei in § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO genannten Kategorien zugeordnet werden können.
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M 65.15
Kap. 65 Rz. 120
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120 Notwendig ist daher: – Die Umstände anzuführen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; – die konkreten Anhaltspunkte zu nennen, die Zweifel an der Richtigkeit oder der Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; – die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie die Tatsachen anzugeben, aufgrund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind.
121 Mit der Berufungsbegründung ist darzulegen, dass und aus welchen Gründen die Berufungsangriffe zu einer anderen als der vom Richter erster Instanz getroffenen Entscheidung führen. Die Notwendigkeit der entsprechenden Darstellung ist zwar nur in § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO im Zusammenhang mit der Rüge rechtlicher Fehler im Gesetzestext ausdrücklich angeführt, ergibt sich für die beiden anderen, die Tatsachenfeststellung betreffenden Rügen (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 und 4 ZPO) zum einen aus § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wonach nur Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen von Bedeutung sind, zum anderen daraus, dass mit der Berufung eine den Berufungsführer treffende Beschwer beseitigt werden soll. Die Anforderungen an die Darstellung der Erheblichkeit des dem Gericht erster Instanz bei der Rechtsanwendung oder Tatsachenfeststellung unterlaufenden Fehlers hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Ist auch ohne besondere Erläuterung ersichtlich, dass der unterlaufene Fehler, wird er beseitigt, einen anderen Urteilsausspruch rechtfertigt, bedarf es keiner umfangreichen oder auch gar keiner Ausführungen zur Erheblichkeit jenes Fehlers. Ist die Erheblichkeit des Fehlers nicht ohne Weiteres ersichtlich, müssen sich entsprechende Ausführungen an die erhobene Rüge anschließen. b) Haupt- und Hilfsbegründung der Entscheidung erster Instanz
122 Ist die erstinstanzliche Entscheidung, soweit sich die Entscheidungsgründe auf denselben Streitgegenstand beziehen, auf mehrere, gleichwertige Gründe gestützt, muss eine zulässige Berufung jede der aus Sicht des Richters erster Instanz tragende Begründung angreifen. Ist etwa die Klage abgewiesen worden, weil der Abschluss des vom Kläger behaupteten Vertrages nicht bewiesen worden, darüber hinaus der sich an dem behaupteten Vertrag ergebende Anspruch, den Vertragsschluss unterstellt, aber auch verjährt ist, reicht es nicht aus, aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Auffassung des erstinstanzlichen Urteils zum Abschluss des Vertrages zu bekämpfen. Es muss vielmehr auch dargelegt werden, aus welchen Gründen der Anspruch nicht verjährt ist. Es liegt auch kein zulässiger Berufungsangriff vor, wenn die Richtigkeit des Urteils nicht in Zweifel gezogen, stattdessen aber ein neuer Anspruch geltend gemacht wird (Beispiel: Anstelle des abgewiesenen Kaufpreisanspruches wird nunmehr ein Darlehensanspruch geltend gemacht).
123 K
Wichtig: Damit nicht zu verwechseln ist der Fall, dass derselbe Anspruch erstmals in der Berufungsinstanz auf einen neuen (in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähigen, §§ 529, 531 ZPO) Tatsachenkomplex gestützt wird (Werklohnklage wird zunächst auf eine Schlussrechnung vom 28.10.2008, nach Klageabweisung in der Berufungsinstanz auf eine neue Schlussrechnung vom 29.6.2009 gestützt, vgl. BGH NJW-RR 2004, 526).
c) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel
124 Die Regelung in § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO verlangt, dass in der Berufungsbegründung die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie die Tatsachen genannt werden, aufgrund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind. Wie im Zusammenhang mit der Regelung des § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO prozesstaktisch vorzugehen ist, ist im folgenden Abschnitt (s. Rz. 177 ff.) dargestellt. Als formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung neuer Angriffs- und
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Rz. 128 Kap. 65
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Verteidigungsmittel ist jedoch zu beachten, dass Gründe dafür anzugeben sind, die die Zulassung des neuen Vorbringens gem. § 531 Abs. 2 ZPO ermöglichen.
V. Berufungsangriffe 1. Dem Berufungsgericht angefallener Prüfungsstoff a) Prozessstoff erster Instanz Durch die Rechtsprechung des BGH ist geklärt, dass mit einer den formellen Anforderungen genü- 125 genden Berufung (s. Rz. 57 ff.) und ihrer Begründung (s. Rz. 106 ff.) der gesamte Prozessstoff erster Instanz ohne Weiteres in die Berufungsinstanz gelangt (BGH NJW 2004, 1876; NJW 2004, 2152; NJW 2016, 3656 Rz. 44). Das jeweilige, in der Berufungsinstanz zu berücksichtigende Parteivorbringen ergibt sich dabei aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem schriftsätzlichen Vorbringen erster Instanz (BGH NJW 2004, 2152; NJW 2016, 3656 Rz. 44; Gaier NJW 2004, 110, 111), sofern das Vorbringen nicht ausdrücklich fallen gelassen worden ist (s. Gaier, aaO, Fn. 27). Der Tatbestand des Urteils erster Instanz verengt den Prozessstoff erster Instanz, der kraft Devolutiveffekts in die zweite Instanz gelangt, nicht auf das durch ihn wiedergegebene Parteivorbringen (BGH NJW 2004, 2152). Die Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft des Tatbestandes durch die neuere Rechtsprechung des BGH (s. BGH NJW 2004, 1876; NJW 2004, 2152; NJW-RR 2016, 210) bewirkt vielmehr, dass sich der Prozessstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten ergibt. Negative Beweiskraft kommt dem Tatbestand des Urteils erster Instanz daher nur noch für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu, die ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden (BGH NJW 2004, 2152; NJW-RR 2016, 210). Sind jene Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht im Sitzungsprotokoll oder dem Tatbestand der Entscheidung erster Instanz dokumentiert (§ 314 ZPO), gelten sie als nicht vorgebracht. Besteht ein Widerspruch zwischen ausdrücklichen Feststellungen im Tatbestand und schriftsätzlichem Vorbringen, geht der Tatbestand vor (BGH NJW 1999, 1339; NJW 2002, 3478; Gaier NJW 2004, 110, 112; sog. „positive Beweiskraft“ des Tatbestandes).
K
Praxistipp: Der V. Senat des BGH hat im Rahmen der Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen 126 Beweiskraft des Tatbestandes (s. Rz. 125) seinerzeit zwar betont, dass seine Entscheidung – noch – von der anderer Senate des BGH und der des BVerwG abweicht (BGH NJW 2004, 2152). Es ist bisher jedoch nicht zu einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen und/oder den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gekommen, so dass die neue Rechtsprechung zum Umfang der Beweiskraft des Tatbestands inzwischen als gesichert angesehen werden kann. Nur über die Abkehr von der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft des Tatbestandes lassen sich im Übrigen die Probleme sicher beherrschen, die die Neugestaltung des Berufungsverfahrens durch das ZPO-RG heraufbeschworen hat.
K
Wichtig: Tatbestandliche Feststellungen des Gerichts erster Instanz (§ 314 ZPO) sind für das Berufungsgericht bindend, wenn die Tatbestandsfeststellungen nicht gem. § 320 ZPO innerhalb der Frist des § 320 Abs. 1, 2 ZPO angegriffen worden sind. Tatbestandsfeststellungen iSv. § 314 ZPO können auch in den Entscheidungsgründen eingebettet sein. Das Urteil erster Instanz ist deshalb sofort nach Zustellung der Entscheidung auf entsprechende tatbestandliche Feststellungen zu untersuchen und ggf. ein Antrag nach § 320 ZPO zu stellen (s. auch Kap. 41 Rz. 24).
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K
Praxistipp: In der Praxis bewährt sich folgende Faustformel: Tatbestandliche Feststellungen iS des § 314 ZPO betreffen den Vortrag der Parteien; sie befinden sich vornehmlich in der Wiedergabe jenes Vortrags im Tatbestand der Entscheidung, aber auch in den Entscheidungsgründen, dort eingeleitet durch Formeln wie „… Die Beklagte hat ausgeführt …“, „… es ist unstreitig …“. Festgestellte Tatsachen iS des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind die Tatsachen, die aufgrund einer Beweiserhebung der Entscheidung zugrunde gelegt worden sind; aber auch die Tatsachen, von denen aufgrund unstreitigen Vortrags nach den Feststellungen des Gerichts erster Instanz aus-
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zugehen ist. Es ist deshalb sehr wichtig, schon innerhalb der Frist des § 320 ZPO abzuwägen, „was“ der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen sein wird. Vorsorglich von § 320 ZPO Gebrauch machen! Der Hinweis im Beschluss auf den Antrag gem. § 320 ZPO, es handele sich bei der getroffenen Feststellung um eine Wertung im Rahmen der getroffenen Entscheidung, schafft Klartext.
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Wichtig: Liegt der Beschluss gem. § 320 ZPO im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Begründung der Berufung noch nicht vor und lässt sich die Frist nicht mehr verlängern, muss man nach Vorliegen des Beschlusses gem. § 320 ZPO an eine Ergänzung der Begründung der Berufung aufgrund des Inhalts des Beschlusses gem. § 320 ZPO denken, und diese Ergänzung innerhalb einer beantragten Wiedereinsetzung in die Frist der Begründung der Berufung vorlegen!
130 Gelangt mit der zulässigen Berufung das gesamte Parteivorbringen (s. Rz. 125–129) erster Instanz in das Berufungsverfahren, erstreckt sich der mit der Berufung verbundene Devolutiveffekt auch auf einen in erster Instanz gestellten Hilfsantrag, der in erster Instanz nicht beschieden worden ist, weil dem Hauptantrag stattgegeben wurde. Weist das Berufungsgericht entgegen der Entscheidung des Gerichts erster Instanz die Klage im Hauptantrag ab, hat es folglich nunmehr über den noch nicht beschiedenen Hilfsantrag zu befinden (BGH NJW 2005, 220). b) Überprüfung der Entscheidung von Amts wegen
131 Ist die Berufung zulässig (s. Rz. 16 ff.), überprüft das Berufungsgericht auch ohne eine vom Berufungsführer erhobene, sich hierauf speziell erstreckende Rüge, ob bei der erstinstanzlichen Entscheidung der dem Gericht unterbreitete Prozessstoff Berücksichtigung gefunden hat (BGH NJW 2004, 2152). Übergangener Prozessstoff erster Instanz begründet demnach Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen erster Instanz, auch ohne dass es einer ausdrücklichen Rüge des Berufungsführers bedarf, der entsprechende Vortrag sei bei der Entscheidung erster Instanz unberücksichtigt geblieben (BGH NJW 2004, 2152).
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Praxistipp: Dass sich dennoch eine auf den konkreten übersehenden Vortrag abzielende Rüge empfiehlt, liegt auf der Hand. Es ist im Rahmen der Rüge zudem empfehlenswert, die Stellen in den Gerichtsakten anzuführen, unter der der entsprechende Vortrag zu finden ist (s. Rz. 155). Die Praxis hat gezeigt, dass nicht alle Berufungsgerichte „den gesamten Prozessstoff in die rechtliche Bewertung einbeziehen“. Häufig wird darüber geklagt, es würden lediglich die in der Berufungsbegründung erhobenen Rügen „abgearbeitet“.
133 Die Auslegung von Willenserklärungen oder eines Individualvertrages durch das Gericht erster Instanz hat das Berufungsgericht ebenfalls auf der Grundlage des erstinstanzlichen Prozessvorbringens zu überprüfen (BGH NJW 2004, 2751; Vorwerk, NJW-Sonderheft zum 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 4, 8 f.; die dem entgegenstehende, zuvor in der Literatur vertretene hA hat sich nicht durchsetzen können!). Auch diese Prüfung ist von Amts wegen vorzunehmen (Gaier NJW 2004, 2041, 2043). Der Berufungsrichter ist Tatrichter; er verantwortet auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen sämtliche Tatsachenfeststellungen (BGH NJW 2004, 2751); schließt er sich der Tatsachenfeststellung des Richters erster Instanz an, hat dies auf der Grundlage einer eigenständigen Würdigung zu geschehen, die der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung darstellt (BGH NJW 2004, 2152; NJW 2004, 2751). Maßstab für das Berufungsgericht ist allein die Richtige, dh. sachgerechte Entscheidung des Einzelfalls (BGH NJW 2004, 2751). Auch im Falle individueller Willenserklärungen und Verträge hat der Gesetzgeber dem Berufungsgericht die Überprüfung der erstinstanzlichen Auslegung überantwortet (BGH NJW 2004, 2751; Gaier NJW 2004, 2041, 2042).
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Rz. 139 Kap. 65
a) Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung Nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO hat der Berufungsführer in der Berufungsbegründung die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die dem Gericht erster Instanz unterlaufene Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO erfasst die für die Entscheidung selbst kausale Verletzung
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– des materiellen Rechts oder – des Verfahrensrechts. Für eine zulässige Begründung der Berufung reicht es nach wie vor nicht aus, die rechtliche Wertung 135 des Gerichts erster Instanz als falsch zu bezeichnen. Der Berufungsführer muss vielmehr die eigene Rechtsansicht darlegen. Zwar wird Vertretbarkeit oder Schlüssigkeit der rechtlichen Deduktion des Berufungsführers nicht zu fordern sein (so auch BGH NJW 2015; 1684; NJW-RR 2012, 440; Gaier NJW 2004, 2041). Eine erfolgversprechende Begründung der Berufung setzt jedoch voraus, dass der Berufungsführer dem Gericht zweiter Instanz im Einzelnen auseinander setzt, warum die rechtliche Würdigung des Gerichts erster Instanz Fehler aufweist; wobei regelmäßig auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder der Obergerichte aufgezeigt werden sollte, die die Rechtsauffassung des Berufungsführers stützt. Für die Überprüfung der Entscheidung des Gerichts erster Instanz auf Rechtsfehler gibt es zwar kein 136 vorgeschriebenes Prüfungsschema. In der Praxis bewährt hat sich jedoch, das Urteil des Gerichts erster Instanz auf der Grundlage der vom Gericht getroffenen Feststellungen sowie des in erster Instanz gehaltenen Vortrags (s. Rz. 125) darauf zu überprüfen, ob sich die getroffene Entscheidung rechtfertigt. Dieser Teil wird nachfolgend als sog. „materielle Prüfung“ bezeichnet. Im Anschluss daran wird überprüft, ob das Gericht erster Instanz bei den Tatsachenfeststellungen sowie im Rahmen der getroffenen Entscheidung (Grundurteil, Teilurteil etc.) das Verfahrensrecht beachtet hat (sog. „formelle Prüfung“). aa) „Materielle Prüfung“ Die „materielle Prüfung“ erstreckt sich u.a. auf folgende Fragen:
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– Der Klage ist stattgegeben – Prüfung des Beklagten/Berufungsklägers:
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1. Rechtfertigen die festgestellten Tatsachen den vom Gericht erster Instanz zuerkannten Anspruch, und zwar nach Anspruchsgrund und Anspruchsumfang? 2. Haben die erhobenen Einwendungen und Einreden den zuerkannten Anspruch entgegen der Ansicht des Gerichts erster Instanz nicht doch zu Fall bringen können, und zwar dem Grunde oder dem Umfang nach? Zur Prüfung gehört in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die Klage zutreffend als unbegründet abgewiesen worden ist oder nur als zurzeit unbegründet hat abgewiesen werden dürfen. 3. Hat das Gericht erster Instanz die Beweislastverteilung zutreffend erkannt?
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– Die Klage ist abgewiesen – Prüfung des Klägers/Berufungsklägers: 1. Rechtfertigen die festgestellten Tatsachen nicht doch den begehrten Anspruch? Die Beantwortung dieser Frage erstreckt sich auch darauf, ob sich die begehrte Rechtsfolge aus einem anderen Anspruchsgrund ergibt, dessen Tatbestandsvoraussetzungen durch die festgestellten Tatsachen ausgefüllt werden können. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob dieser Anspruchsgrund im Verfahren erster Instanz ausdrücklich erörtert worden ist. Maßgebend ist allein, ob die für diesen Anspruchsgrund erforderlichen Tatsachen festgestellt sind.
Vorwerk
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ZPO
2. Aufgabe des Berufungsführers bei Abfassung der Berufungsbegründung
ZPO
Kap. 65 Rz. 140
Berufung
2. Bringen die Einwendungen oder Einreden, auf die das Gericht erster Instanz die Klagabweisung gestützt hat, den Klaganspruch dem Grunde und dem Umfang nach zutreffend zu Fall? 3. Hat das Gericht erster Instanz die Beweislastverteilung zutreffend erkannt?
140 Die in § 513 ZPO enthaltene Bezugnahme auf § 546 ZPO stellt klar, dass jede fehlerhafte und jede unterlassene Anwendung einer Rechtsnorm eine Rechtsverletzung darstellt. Eine Rechtsverletzung liegt ohne Zweifel aber auch vor, wenn dem Gericht erster Instanz Verstöße gegen Denkgesetze oder Grundsätze der Lebenserfahrung (im Sinne des Revisionsrechts, nicht im umgangssprachlichen Sinn!) unterlaufen sind.
141 Vereinzelt finden sich in den Entscheidungsgründen auch tatsächliche Feststellungen, von denen der Berufungskläger meint, dass für die entsprechende Feststellung jegliche Grundlage fehlt, weil kein Vortrag der Parteien zu finden ist, der das Gericht erster Instanz zu der entsprechenden Feststellung hatte veranlassen können. Auch diese Feststellungen sind unter Hinweis auf fehlenden Vortrag in der ersten Instanz aufzugreifen. Nehmen die Feststellungen an der Beweiskraft des Tatbestands teil (s. Rz. 125), sind sie allerdings der materiellen Prüfung zugrunde zu legen.
142 Der materiellen Prüfung zugrunde zu legen ist ferner das streitige Vorbringen der Parteien, sofern das Gericht erster Instanz keine dem entgegenstehenden tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Grund hierfür ist, dass von der Richtigkeit jenes Vorbringens im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung solange auszugehen ist, bis sich die behauptete Tatsache als nicht bewiesen herausgestellt hat. Die gesamte materielle Prüfung (s. Rz. 134) läuft mithin nach dem jedes Rechtsgutachten beherrschenden Grundsatz „Schlüssig? Erheblich? – Beweis“ ab.
143 Ist zweifelhaft, ob eine Feststellung mit tatsächlichem Inhalt Tatsachenfeststellung oder rechtliche Würdigung ist (s. Rz. 127–129!), ist anhand des gesamten Urteils abzuwägen (und in der Berufungsbegründung darzustellen), welcher der genannten Arten die Feststellung zuzurechnen ist. Ist sie rechtliche Subsumtion, ist die Feststellung nicht bindend (§§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO beziehen sich auf Tatsachen!); ist sie tatsächliche Feststellung, ist sie Grundlage der materiellen Prüfung (s. Rz. 125, 137 ff.). Sind die tatsächlichen Feststellungen in sich widersprüchlich, sind sie im Rahmen der materiellen Prüfung nicht bindend (vgl. für das Revisionsverfahren: BGH TranspR 2016, 485; NJW 2011, 3294; NJW-RR 2001, 1188, 1190; NJW 1999, 1339 f.; NJW 1993, 2530, 2531).
144 Beispiel für widersprüchliche Feststellungen: Im unstreitigen Teil des Tatbestandes ist festgehalten, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug in die Kreuzung bei „rot“ eingefahren ist; als Beweisergebnis wird festgestellt, er sei bei „grün“ in die Kreuzung eingefahren.
145 In diesem Fall ist anhand des schriftsätzlichen und des in den Protokollen niedergelegten Vorbringens zu untersuchen, welchen Vortrag die durch das Urteil erster Instanz beschwerte Partei (Berufungskläger/Anschlussberufungskläger) gehalten hat. Jener Vortrag ist für die Beurteilung im Rahmen der materiellen Prüfung maßgebend, wobei der Widerspruch im Tatbestand in der Berufungsbegründung herauszuarbeiten und anhand des Vortrags der beschwerten Partei und Angabe der Fundstelle dieses Vorbringens (s. Rz. 155) auszuführen ist, von welchem Vortrag auszugehen ist. bb) „Formelle Prüfung“
146 Im Rahmen der formellen Prüfung ist u.a. zu untersuchen, – ob das Gericht erster Instanz die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen frei von Verfahrensfehlern festgestellt hat (Überprüfung des der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahrens auf Verfahrensfehler);
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Berufung
Rz. 152 Kap. 65
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– ob die Entscheidung des Gerichts erster Instanz nach den Regeln des Verfahrensrechts überhaupt (Zulässigkeitsprüfung) oder in der ergangenen Form (Zulässigkeit der gewählten Entscheidung; Grundurteil, Teilurteil usw.) hat ergehen dürfen; im Rahmen dieser Prüfung ist trotz § 513 Abs. 2 ZPO auch zu untersuchen, ob das Gericht erster Instanz seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Auch hierauf kann die Berufung gestützt werden (BGH NJW 2004, 1456). Für diese Prüfung lässt sich kein handhabbares Aufbauschema darstellen. Die Zahl und Art der dem 147 Gericht erster Instanz möglicherweise unterlaufenen Verfahrensfehler ist zu vielfältig; die Verfahrensordnung ist „voller Fallstricke“. Zudem kann ein Rügeverzicht (§ 295 Abs. 1 ZPO; § 295 Abs. 2 ZPO bei der Prüfung, ob ein Rügeverzicht anzunehmen ist, beachten!) vorliegen, der dazu führt, dass der unterlaufene Verfahrensfehler nicht mehr mit der Berufung gerügt werden kann. Die Förmlichkeiten des Urteils selbst betreffende Fehler lassen sich häufig nachträglich noch beseitigen (vgl. Zöller/Feskorn § 315 ZPO Rz. 8), so dass der entsprechende Fehler zwar gerügt werden sollte, andererseits aber nicht darauf vertraut werden kann, dass der unterlaufene Fehler zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird. Die zahlenmäßige Häufigkeit der einem Tatrichter in der Praxis unterlaufenen Fehler lässt es jedoch zweckmäßig erscheinen, folgende Prüfungsreihenfolge einzuhalten:
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(1) Verfahrensfehler bei der Tatsachenfeststellung Ist der Berufungsrichter Tatrichter (s. Rz. 1) und verantwortet er die Tatsachenfeststellungen des Ge- 149 richts erster Instanz, die er seiner Entscheidung zugrunde legt, wie eigene Tatsachenfeststellungen (s. Rz. 133), ist nur konsequent, dass der Bundesgerichtshof dem Berufungsgericht auferlegt, die erstinstanzliche Entscheidung auch ohne entsprechende Berufungsrüge auf Verfahrensfehler zu überprüfen (BGH NJW 2011, 2736; NJW 2004, 1876). Der Berufungsführer sollte ungeachtet dessen das gesamte Verfahren, das den Tatsachenfeststellungen des Gerichts erster Instanz zugrunde liegt, auf etwa unterlaufene Fehler untersuchen. Dazu gehört in erster Linie die Prüfung, ob die Beweiswürdigung den Anforderungen genügt, die die Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt hat (vgl. BGH NJW 2016, 3656; NJW 2004, 1876). Die Beweiswürdigung darf mithin nicht – unvollständig oder in sich widersprüchlich sein, – gegen Denkgesetze (im Rechtssinne) oder Erfahrungssätze (im Rechtssinne) verstoßen. Verstöße gegen Denkgesetze liegen vor, wenn die Beweiswürdigung Gesetze der Logik missachtet, Umständen eine Indizwirkung beigegeben wird, die sie nicht haben, oder die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH NJW 2004, 1876); also nicht beachtet wird, dass der Umstand, der im Rahmen der Würdigung herangezogen worden ist, auch einen anderen Schluss zulässt.
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Fehler bei der Tatsachenfeststellung unterlaufen zudem häufig im Falle eines Richterbankwechsels (vgl. dazu BGH NJW-RR 1992, 510; BGH NJW 1997, 466), bei der Ladung von Zeugen, wenn versäumt worden ist, sie darauf hinzuweisen, aussageerleichternde Unterlagen mitzubringen (§ 378 ZPO) und dies anlässlich der Vernehmung des Zeugen gerügt worden ist; ferner beim Ausschluss von Beweismitteln, weil die ladungsfähige Anschrift etwa eines Zeugen nicht beigebracht worden ist (vgl. dazu § 356 ZPO sowie etwa Zöller/Greger § 356 ZPO Rz. 4 f.). Ist ein Sachverständigengutachten erstellt worden und hat das Gericht erster Instanz den Sachverständigen trotz Vorbehalte gegenüber dem Gutachten nicht erneut geladen, liegt darin ebenfalls ein Verfahrensfehler (BGH NJW-RR 2017, 1144; NJW-RR 2007, 212).
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Werden Beweisangebote übersehen, stellt auch dies einen Fehler bei der Tatsachenfeststellung dar; im Rahmen der „formellen Prüfung“ der Entscheidung des Gerichts erster Instanz auf Fehler, kommt es auf diesen Gesichtspunkt jedoch nicht – mehr – an, da dieser Fehler schon bei der „materiellen Prüfung“ hat aufgedeckt werden müssen (s. Rz. 125, 137 ff.); im Rahmen jener Prüfung war zu ent-
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scheiden, ob sich die getroffene Entscheidung auf der Grundlage des in erster Instanz gehaltenen Vortrages rechtfertigt. Ist ein Beweisangebot und damit zugleich ein beweisbewehrter, entscheidungserheblicher Vortrag übergangen worden, kann das Urteil erster Instanz schon auf der Grundlage der „materiellen Prüfung“ keinen Bestand haben.
153 Verfahrensfehlerhaft ist die Entscheidung erster Instanz aber auch ergangen, wenn das Gericht erster Instanz das Beweismaß verkannt hat. Zum Begriff „Beweismaß“ s. Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rz. 70 ff.; BGH NJW 1993, 935, 937; NJW 1998, 2969, 2971. Ein entsprechender Fehler wäre ebenfalls aufgrund der „formellen Prüfung“ der angeforderten Entscheidung zu rügen. Beachtet das Gericht nicht das zutreffende Beweismaß, ist § 286 ZPO verletzt (s. BGH NJW 2012, 392; NJW-RR 1995, 1174; BGHZ 123, 217, 220; NJW 1993, 935, 937). (2) Andere Verfahrensfehler
154 Im Anschluss daran hat der Berufungsführer zu untersuchen, ob die für die Zulässigkeit der Klage maßgebenden Normen beachtet sind. Er hat ferner zu prüfen, ob das Urteil in der ergangenen Form (Grund- oder Teilurteil) ergehen durfte. Ob auf die Einhaltung der verletzten Verfahrensnorm verzichtet worden (§ 295 Abs. 1 ZPO) oder die Einhaltung der Verfahrensnorm unverzichtbar (§ 295 Abs. 2 ZPO) ist, sind weitere bei der Untersuchung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Urteils selbst auf Verfahrensfehler zu beantwortende Fragen.
155 Im Rahmen der Darlegung des entsprechenden Verfahrensfehlers sollte der Berufungsführer die entsprechende Fundstelle in den Gerichtsakten genau bezeichnen (etwa: „GA II Blatt 226“; oder „Schriftsatz v. 20.7.2014 S. 7, 8“), um auszuschließen, dass das Berufungsgericht den Verfahrensmangel „als nicht auffindbar“ und die Rüge als „unerklärlich“ abstempelt. Notwendig dürfte die entsprechende Bezeichnung der Aktenfundstelle allerdings noch nicht sein (vgl. BGH NJW 2004, 1876). cc) Kausalität
156 Schließlich ist zu prüfen, ob sich die Rechtsverletzung, die sich im Rahmen der materiellen und der formellen Prüfung ergeben hat, auf die Entscheidung des Gerichts erster Instanz ursächlich ausgewirkt hat (§ 513 Abs. 1 ZPO). (1) Materielle Prüfung
157 Im Rahmen der materiellen Prüfung bedeutet dies, dass sich der Berufungskläger/Anschlussberufungskläger – sobald er festgestellt hat, dass der Fehler des Gerichts erster Instanz die Deduktion der Begründung der Entscheidung „zu Fall bringt“ – auch fragen muss, ob sich die getroffene Entscheidung auf der Grundlage des für die Prüfung auf Rechtsfehler maßgebenden Sach- und Streitstandes (Rz. 137) – entweder dem Grunde oder dem Umfang nach – nicht aus anderen Gründen rechtfertigt. Ist das der Fall, ist die sich aus der materiellen Prüfung ergebende Rechtsverletzung ohne Bedeutung. Der gefundene Fehler wirkt sich dann nur auf die Art der Begründung der Entscheidung, nicht aber auf die Entscheidung selbst aus (… „die Berufung ist im Ergebnis ohne Aussicht auf Erfolg“ …). (2) Formelle Prüfung
158 Nach erfolgter formeller Prüfung ist ebenfalls zu untersuchen, ob sich der festgestellte Rechtsfehler auf die Entscheidung des Gerichts erster Instanz ursächlich ausgewirkt hat (oder haben kann; wobei dies im Rahmen hypothetischer Betrachtung zu beurteilen und von einem ursächlichen Auswirken auf die Entscheidung auszugehen ist, wenn die Ursächlichkeit nicht auszuschließen ist). Dabei ist selbstverständlich wiederum – ausgehend von dem Sachverhalt, der sich bei rechtsfehlerfreiem Verfahren und zulässiger Wahr-Unterstellung des Vortrags der beschwerten Partei ergibt (Rz. 142) zu prüfen, ob der gesamte Sach- und Streitstand, von dem das Berufungsgericht nach Vorliegen der Berufungsbegründung und aller in ihr zulässig ausgeführten Rügen zunächst ausgehen muss, den
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geltend gemachten Anspruch rechtfertigt oder – wenn der Beklagte die Berufung als beschwerte Partei begründet – den Klageanspruch zu Fall bringt. Lässt sich dies feststellen, ist zu fragen, ob die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers, der dem Gericht erster Instanz unterlaufen ist, in der Berufungsbegründung im Einzelnen dargestellt werden muss. Einer ausdrücklichen Darstellung der Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers bedarf es dann nicht, wenn die Ursächlichkeit „sozusagen auf der Hand liegt“, ohne dass es dazu einer Begründung bedarf. Ist das nicht der Fall, ist die Verfahrensrüge – also das Ergebnis der formellen Prüfung – nur zulässig ausgeführt, wenn die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung selbst dargetan ist. Für die auf § 139 ZPO gestützten Rügen bedeutet dies insbesondere, dass vorgetragen werden muss, welcher Vortrag gehalten worden wäre, wenn das Gericht erster Instanz seiner Hinweispflicht nachgekommen wäre. Fehlt es an entsprechendem Vortrag oder der Nennung der Beweismittel, wenn die beschwerte Partei Beweisführer ist, lässt sich die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers auf die angegriffene Entscheidung nicht feststellen; die erhobene Rüge ist unbeachtlich. Das gilt ebenfalls, wenn der durch die Verletzung § 139 ZPO unterlassene Vortrag nicht geeignet ist, eine andere als die ergangene Entscheidung herbeizuführen.
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b) Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen
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Durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist geklärt, dass – übergangener, entscheidungserheblicher Tatsachenvortrag (vgl. BGH NJW 2004, 1876) sowie – Verfahrensfehler, die dem Gericht erster Instanz bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH NJW 2004, 2152), Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO) begründen. Sind die betroffenen Feststellungen entscheidungserheblich für die Entscheidung, die das Berufungsgericht zu treffen hat (§ 528 ZPO), sind neue Feststellungen durch das Berufungsgericht geboten. Findet das Berufungsgericht für die Begründung der zu treffenden Entscheidung einen Weg, über den die Tatsachenfeststellung, die von Zweifeln betroffen ist, nicht benötigt wird (= die Tatsache ist unerheblich), bedarf es selbstverständlich keiner neuen Feststellung insoweit.
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Dass neue zulässige (§ 531 Abs. 2 ZPO) Angriffs- und Verteidigungsmittel Zweifel an getroffenen Tatsachenfeststellungen des Gerichts erster Instanz begründen können, war bisher nicht Gegenstand einer ausdrücklichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wird in der Literatur allerdings nicht in Zweifel gezogen (vgl. etwa Rimmelspacher NJW-Sonderheft, 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 11, 16; Gaier NJW 2004, 2041, 2044; Musielak/Ball, Rz. 19 zu § 529 ZPO). Offen ist allerdings, ob auch solche Tatsachen, die der Sperre des § 531 Abs. 2 ZPO unterliegen, neue Feststellungen „gebieten“ (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19.3.2004 (BGH NJW 2004, 2152) legt nahe, dass derartige Umstände in die Beurteilung nicht mit einzubeziehen sind.
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Ungeachtet dessen sollte der Berufungsführer den der Sperre des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO unterliegenden Vortrag in der Berufungsbegründung dennoch nicht zurückhalten. Klar ist nämlich, dass ein dem Berufungsgericht zugunsten des Berufungsführers unterlaufener Fehler bei der Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO in der Revision keine Berücksichtigung findet (BGH NJW 2004, 1458). Der Berufungsführer verschenkt mithin die Chance neuer Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht, wenn er wegen der Sperre des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO Vortrag zurückhält, den er schon in der ersten Instanz hätte vorbringen können.
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Im Berufungsrechtzug unstreitig gewordene Tatsachen begründen Zweifel an den Tatsachenfeststellungen erster Instanz und gebieten deshalb neue Feststellungen (BGH RuS 2015, 212; NJW 2005,
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291). Dies gilt auch dann, wenn auf Grund des neuen unstreitigen Vorbringens eine neue Einrede erhoben wird (BGH NJW 2009, 685; s. auch BGH NJW 2008, 3434; hier: Einrede der Verjährung in der Berufungsinstanz) oder eine Beweisaufnahme erforderlich wird. Aller Vortrag und alle Urkunden, die geeignet sind, den Gegner zu veranlassen, ein im ersten Rechtszuge erfolgtes Bestreiten im zweiten Rechtszug aufzugeben, sollten deshalb ungeachtet der §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO in die Berufungsbegründung mit aufgenommen werden, um die Chancen einer erneuten Tatsachenfeststellung zu erhöhen. c) Neue Tatsachen
165 Berufungsangriffe gegen die Entscheidung erster Instanz können auch auf neue Tatsachen gestützt werden (BGH GRUR 2012, 1236; NJW 2004, 1876). Das ZPO-RG verfolgt mit der Änderung des Berufungsverfahrens allerdings das Ziel, die Tatsachenfeststellungen auf die erste Instanz zu konzentrieren. Daraus ergeben sich für die Einführung neuer Tatsachen in das Berufungsverfahren Schranken, die durch die §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2, 530 Abs. 2, 532 ZPO geregelt sind.
166 Die materielle – oder auch die formelle – Prüfung kann ergeben, dass der Tatsachenstoff, der Gegenstand der Erörterungen in erster Instanz war, stets nur unter einem bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt diskutiert worden ist. Belege dafür ergeben sich aus der von den Parteien diskutierten Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren oder der Norm, auf die sich der Beklagte im Rahmen der Rechtsverteidigung stützt. Auch die Hinweisbeschlüsse des Gerichts (§ 139 Abs. 1 bis 3 ZPO) geben Aufschluss darüber, unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten Angriff und Verteidigung im Verfahren erster Instanz zur Sprache gekommen sind. aa) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO
167 Die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wendet sich an das Berufungsgericht (vgl. BGH NJW 2004, 1876). Folgt der Anspruch, der Gegenstand des Klagebegehrens ist, aus Sicht des Berufungsgerichts aus einer anderen Norm, erhält diese Norm aber Tatbestandsvoraussetzungen, die durch die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts erster Instanz nicht ausgefüllt werden und die sich auch nicht unter Einbeziehung des streitigen – beachtlichen (s. Rz. 142) Vortrages der beschwerten Partei ausfüllen lassen, gibt § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit, diesen Vortrag nachzuholen. § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ermöglicht demnach, die „Lücken“ im Tatsachenvortrag aufzufüllen, die sich daraus ergeben, dass das Gericht erster Instanz das Klagebegehren, aber auch die Verteidigung gegen die Klage nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt behandelt hat, so dass die Parteien – fixiert auf die rechtlichen Erwägungen des Gerichts – andere rechtliche Gesichtspunkte im Rahmen des Tatsachenvortrages vernachlässigt haben. Jenen Tatsachenvortrag soll die beschwerte Partei nachholen können (BGH NJW 2004, 1876; BGHR 2004, 906 = MDR 2004, 678); wobei der Anwendungsbereich des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zwar nicht nur auf den Fall beschränkt ist, dass das Berufungsgericht seinerseits auf seinen Rechtsstandpunkt hinweist und den Parteien Gelegenheit gibt, dazu Tatsachenvortrag nachzuholen. In der Praxis wird die Bedeutung jener Vorschrift idR jedoch auf jene Fälle beschränkt sein, da der Berufungsführer den neuen rechtlichen Gesichtspunkt wohl nur selten aufgrund eigener Kreativität in den Rechtsstreit einführen wird.
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Wichtig: Beurteilt das Berufungsgericht die Rechtslage abweichend von der Vorinstanz, hat es der in erster Instanz obsiegenden Partei rechtzeitig einen entsprechenden Hinweis zu geben, damit jene Partei prüfen kann, ob aufgrund der abweichenden Rechtsansicht neuer Vortrag zu bringen und unter Beweis zu stellen ist. Jener Vortrag ist in der Berufungsinstanz, auch wenn es sich um neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel handelt, gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der zweiten Instanz zuzulassen (BGH v. 26.6.2008 – V ZR 225/07).
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Der § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO betrifft insbesondere den Fall, dass nach § 139 ZPO gebotene 169 Hinweise des Gerichts erster Instanz unterblieben sind, die ihrerseits zu dem entsprechenden Vortrag Anlass gegeben hätten, der jetzt erst in zweiter Instanz gebracht wird (BGH NJW 2004, 1876; BGH IBR 2004, 675; BGHR 2004, 906 = MDR 2004, 678). Auf der Grundlage der rechtlichen Wertung des Gerichts erster Instanz ist demnach zu prüfen, ob dargestellt werden kann, dass das Gericht erster Instanz zur Klage oder Verteidigung gem. § 139 ZPO gebotene Hinweise hätten geben müssen, die dem jeweiligen Begehren haben zum Erfolg verhelfen können. Dabei wird man allerdings beachten müssen, dass § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur den neuen Tatsachenvortrag zulässt, der erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Im Prozessvortrag oder in den Hinweisbeschlüssen sind daher Anhaltspunkte dafür ausfindig zu machen, dass das Gericht erster Instanz Veranlassung hatte, auch den übersehenen Gesichtspunkt rechtlicher oder tatsächlicher Art zu beachten.
K
Praxistipp: Auf die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO wird der Berufungsführer in der Regel demnach stets dann verweisen können, wenn das Gericht erster Instanz die Klage abweist, weil es das Klagevorbringen für unschlüssig hält, ohne im Verfahren erster Instanz einen entsprechenden Hinweis gegeben zu haben (vgl. BGH NJW-RR 2012, 341; NJW-RR 2005, 213). Ebenso kommt es auf jene Vorschrift an, wenn dem Beklagten im Urteil bedeutet wird, sein Verteidigungsvorbringen habe die Klage nicht zu Fall bringen können, ohne dass im Verfahren erster Instanz ein entsprechender Hinweis erfolgt ist. Erforderlich ist für die Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO jedoch, dass die entsprechenden Hinweise auch nach § 139 ZPO geboten waren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Prozessgegner auf den von der unterlegenen Partei übersehenden Punkt hingewiesen hat (BGH NJW 2007, 759, 761).
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cc) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO Die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO schließt die Berücksichtigung solcher tatsächlichen Umstände aus, die in erster Instanz nicht vorgebracht worden sind, obwohl sie und ihre Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Um die Chancen zu erhöhen, dass der neue Vortrag nicht unter Hinweis auf § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zurückgewiesen wird, muss der Berufungsführer demnach darlegen, warum die Bedeutung des Vortrags, der schon in erster Instanz hätte gebracht werden können, für den Ausgang des Rechtsstreits nicht erkennbar war. Die Ausführungen werden demnach denen ähneln, die erläutern, warum ein Hinweis gem. § 139 ZPO geboten war, um die Zulassung des neuen Vortrags gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zu erreichen.
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K
Wichtig: Wird in erster Instanz gebrachter, schlüssiger und unter Beweis gestellter Vortrag durch Vorlage eines Privatsachverständigengutachtens in zweiter Instanz ergänzt oder auf andere Weise konkretisiert, unterliegt dieser Vortrag nicht § 531 Abs. 2 ZPO (BGH GRUR 2012, 1236).
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Unter welchen Voraussetzungen Nachlässigkeit iS der § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vorliegt, hängt von den Voraussetzungen des Einzelfalls ab. Für den Bereich der Arzthaftung hat der Bundesgerichtshof allerdings entschieden, dass „an den Vortrag zu Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten ebenso wie an den Klage begründenden Sachvortrag nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen“ (BGH NJW 2004, 2825). Entschieden ist außerdem, dass die gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO unzulässige Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht dazu führt, dass der unterlaufene Fehler fortzusetzen sei; bleibt die Klage auch nach Berücksichtigung einer an sich ausgeschlossenen neuen Tatsache unschlüssig, muss das Berufungsgericht die Klage abweisen, ohne etwaiges weiteres zur Schlüssigkeit führendes Vorbringen berücksichtigen zu können (BGH NJW 2004, 2382).
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bb) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO
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Praxistipp: Nachlässigkeit iSv. § 531 Abs. 2 ZPO scheidet aus, wenn die Verspätung substantiierten Vortrags durch eine Verletzung der Hinweispflicht mitverursacht ist (BGH NJW-RR 2006, 524).
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Praxistipp: Eine Partei ist auch außerhalb eines Arzthaftungsprozesses nicht verpflichtet, Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf ein Privatsachverständigengutachten zu stützen, wenn der Vortrag zu den Einwendungen fachspezifische Fragen betrifft und eine besondere Sachkunde erfordert (BGH NJW 2006, 152). Das Gutachten kann demnach nicht Veranlassung geben, den auf das Gutachten gestützten neuen Vortrag im Berufungsverfahren gem. § 531 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
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d) Klageerweiterung, Antragsänderung
176 Offen ist, ob über eine Klageerweiterung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in das Berufungsverfahren eingeführt werden können. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat geklärt, dass in den Fällen des § 264 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO die Vorschrift des § 533 ZPO nicht einschlägig ist (BGH NJW-RR 2010, 1286; NJW 2004, 2152). Im Falle der Antragsänderung, die der Vorschrift des § 264 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO unterfällt, kommt § 533 ZPO daher nicht zur Anwendung (BGH NJW 2004, 1876). Da die Klageerweiterung von § 264 Nr. 2 ZPO erfasst wird, wäre es konsequent, § 533 ZPO auf den Fall der Klageerweiterung ebenfalls nicht anzuwenden. Allerdings macht die Rechtsprechung des BGH deutlich, dass zur Ergänzung des bisherigen Vortrags zum Klagegrund neue Tatsachen nur innerhalb der Grenzen, die durch § 531 Abs. 2 ZPO gezogen sind, zulässig seien (BGH NJW-RR 2010, 1286; NJW 2004, 1876). Neue Tatsachen könnten der Sperre des § 531 Abs. 2 ZPO möglicherweise dann nicht unterliegen, wenn sie sich auf die Höhe des Klaganspruchs erstrecken. Über sie muss das Berufungsgericht auch ohne die Bindung des § 533 ZPO befinden (vgl. auch Vorwerk NJW-Sonderheft, 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 4, 10; in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt).
177 K
Praxistipp: Bevor über den Weg der Klageerweiterung neue Tatsachen in das Berufungsverfahren eingeführt werden, die der Sperre des § 531 Abs. 2 ZPO unterliegen, ist der Mandant auf die mit dieser Verfahrensweise verbundenen Risiken ausdrücklich hinzuweisen. Offen ist nämlich derzeit auch, ob die erweiterte Klage wegen der Sperre des § 531 Abs. 2 ZPO als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen ist.
178 K
Wichtig: Zu den Tatsachen, auf die gem. § 533 Nr. 2 ZPO eine Klageänderung gestützt werden kann, weil sie der Entscheidung des Berufungsgerichts ohnehin gem. § 529 ZPO zugrunde zu legen sind, gehören auch vom Gericht erster Instanz für unerheblich erachtete Tatsachen, auf die die Klageänderung jetzt gestützt wird. Jene Tatsachen sind im Rahmen der Entscheidung nach Klageänderung zu berücksichtigen, auch wenn im Berufungsrechtszug eine Beweisaufnahme erforderlich und die Sachdienlichkeit der Klageänderung vom Berufungsgericht bejaht wird (BGH Grundeigentum 2013, 117; NJW 2007, 2414).
3. Aufbau der Berufungsbegründung
179 Sind alle Rechtsfehler herausgearbeitet, auf denen die Entscheidung erster Instanz beruht, und ist der Tatsachenstoff zusammengestellt, dessen Berücksichtigung zulässig ist, und ist die Plausibilität der Beweiswürdigung überprüft, ist die Berufungsbegründung unter Berücksichtigung des § 520 Abs. 3 ZPO niederzulegen (BGH NJW-RR 2015, 465). Dabei sollte zweckmäßigerweise die Reihenfolge der Angriffe gegen die Entscheidung des Gerichts erster Instanz eingehalten werden, die sich aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 4 ZPO ergibt. An diese Ausführungen schließen sich die Angaben an, die nach § 520 Abs. 4 ZPO in der Berufungsbegründung enthalten sein sollen (s. zu § 520 Abs. 4 auch Rz. 109–114, 125–133).
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Für die Abfassung der Berufungsbegründung sind zudem noch folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
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– Die Berufungsbegründung muss alle die Entscheidung tragenden Gesichtspunkte erfassen, dh., das erstinstanzliche Urteil darf – die Richtigkeit der mit der Berufung vertretenen Rechtsauffassung und der dort behaupteten Tatsachen unterstellt – nicht ganz oder teilweise Bestand haben (BGH NJW 1993, 3074; NJW 1998, 1082; NJW-RR 2017, 365). Deswegen müssen bei teilbaren Klageansprüchen die Berufungsgründe alle Teile umfassen (BGH NJW 1990, 1184; NJW 1998, 1082; NJW 2015, 3040). Dazu reicht zwar ein für alle Teilansprüche gemeinsamer Berufungsgrund aus, zB die Einrede der Verjährung (BGH NJW 2007, 1534; NJW 1984, 178). Wird aber die Einrede der Verjährung beispielsweise gegenüber einzelnen Teilansprüchen gar nicht erhoben, ist insoweit die Berufung, falls keine gesonderten Angriffe gegenüber diesem Teilanspruch erhoben werden, unzulässig.
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– Wird eine auf verschiedene Klagegründe gestützte Klage abgewiesen, bedarf es der Auseinandersetzung mit jedem Klagegrund, wenn alle erstinstanzlich geltend gemachten Klagegründe auch in der Berufungsinstanz zur Entscheidung gestellt werden sollen. Anderenfalls beschränkt sich die Berufung auf die in der Berufungsbegründung gerügten Klagegründe.
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– Wird einer Klage aus mehreren Gründen stattgegeben oder eine Klage aus mehreren Gründen abge- 183 wiesen, die nach dem erstinstanzlichen Urteil jeder für sich die Entscheidung tragen, bedarf es eines Berufungsangriffes gegen jeden einzelnen Grund, anderenfalls ist die Berufung insgesamt unzulässig, da das erstinstanzliche Urteil durch den nicht angegriffenen Grund allein gestützt wird. Das gilt aber nur, wenn die verschiedenen Gründe tatsächlich gleichwertig sind. Wird eine Klage abgewiesen, weil der Anspruch nicht fällig und auch verjährt ist (möglich zB bei Honorarforderungen), kann der Berufungsführer die Feststellung der angegriffenen Entscheidung, dass die Forderung noch nicht fällig ist, hinnehmen, sich aber gegen die Feststellung der Verjährung wenden mit dem Ergebnis, dass seine Klage dann nicht mehr endgültig, sondern nur als zurzeit unbegründet abgewiesen wird, er also nach Herbeiführung der Fälligkeit neu klagen könnte (BGH NJW 2000, 590). Obwohl grundsätzlich nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eine Bindung an nicht angegriffene Entscheidungsgründe besteht, kann der Kläger die Fälligkeit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch herbeiführen und darauf dann auch eine Erweiterung der Berufung dahingehend, dass nunmehr der Klage stattgegeben wird, stützen (BGH aaO; s. auch BGH NJW-RR 2004, 526).
VI. Reaktion bei Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO 1. Voraussetzungen des Hinweises, Überprüfung des eigenen Rechtsstands In der überwiegenden Zahl der Fälle sollte der Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO verfahren zu wollen, 184 den Berufungsführer nicht überraschen. Der Anwalt des Berufungsführers hat nach und bei Erstellung der Berufungsbegründung realistisch die Erfolgsaussichten der Berufung abzuschätzen und vor Einreichung der Berufungsbegründung mit dem Mandanten abzusprechen, ob die Berufung durchgeführt werden soll. Kennt der Berufungsanwalt folglich die Risiken des Berufungsverfahrens, kann die Ankündigung, gem. § 522 Abs. 2 ZPO verfahren zu wollen, – auf einer Fehleinschätzung der rechtlichen Zusammenhänge durch den Berufungsanwalt (Fall a), – auf einer nicht überzeugenden oder nicht folgerichtigen Darstellung der rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhänge in der Berufungsbegründung (Fall b), oder darauf beruhen, – dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO verkannt hat (Fall c).
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185 Die Fälle a und b geben Veranlassung, den Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO gründlich darauf zu untersuchen, welcher Gedankengang den Erwägungen des Berufungsgerichts zugrunde liegt. Unterlag die eigene rechtliche Beurteilung einem Fehlschluss, ist es müßig, den eigenen Standpunkt aus der Begründung der Berufung zu wiederholen („… und ich hab’ doch recht“). Es erscheint vielmehr sinnvoll, nach Rücksprache mit dem Mandanten die Berufung mit dessen Einverständnis zurückzunehmen und – aufgrund des in der Folge (Fall a) erkannten – Fehlers („… die Berufung hat Aussicht auf Erfolg!“) auf das in der Berufungsinstanz „verdiente Honorar“ zu verzichten.
186 Kommt der Berufungsanwalt auch nach erneuter Prüfung dazu, dass er die Rechtslage zutreffend eingeschätzt hat, muss er zunächst untersuchen, ob die Darstellung in der Berufungsbegründung, seinen zutreffenden Rechtsstandpunkt und die dem zugrunde liegenden Tatsachen nur unvollkommen herausgearbeitet hat (Fall b).
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Praxistipp: Diese Prüfung sollte ggf. durch und mit Hilfe eines Kollegen in derselben Sozietät vorgenommen werden („Vier-Augen-Prinzip“!).
188 Ist erkannt, wo sich die „Schwachstelle“ im Vortrag der Berufungsbegründung befindet, lässt sich innerhalb der Frist zur Stellungnahme nachbessern.
189 Ist der Berufungsanwalt der Ansicht, dass die rechtliche Wertung, die das Berufungsgericht vollzieht, nicht die Wertung sein kann, die „der Sache im Rahmen der Endentscheidung das Gepräge gibt“ (Fall c), muss er prüfen, ob sich darstellen lässt, dass eine der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 ZPO vorliegt. Ggf. ist dazu Kontakt mit einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt aufzunehmen, um eine Klärung der anstehenden Frage herbeizuführen; die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 ZPO sind die Zulassungsvoraussetzungen für die Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der beim Bundesgerichtshof zugelassene Anwalt kann möglicherweise bei Klärung der anstehenden Frage schnell Hilfe leisten. Lassen sich die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO darstellen, ist dem Berufungsgericht innerhalb der gesetzten, möglicherweise verlängerten Frist das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzung zu erläutern. 2. Entscheidung des Berufungsgerichts
190 Bei den in die dritte Instanz gelangten Verfahren ist der Anteil derer, in denen zuvor seitens des Berufungsrechts die Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO erwogen worden ist, verschwindend gering. Der Berufungsführer, der davon ausgeht, das Verfahren werde fortgesetzt, weil einer der Fälle b oder c (s. Rz. 184) vorliegt, muss sich daher darauf einstellen – und dem Mandanten entsprechende Hinweise erteilen –, dass nach erfolgtem Zurückweisungsbeschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) ggf. eine Anhörungsrüge und im Anschluss daran ggf. eine Verfassungsbeschwerde zu erheben ist, wenn die – noch weiterhin geltende Wertgrenze (s. Rz. 191; Kap. 15 Rz. 32) des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht überschritten ist und der Mandant und der Berufungsanwalt von der Richtigkeit des vertretenen Standpunkts überzeugt sind und die Voraussetzungen für die evtl. Rechtsbehelfe vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht „hilft“ allerdings nur, wenn die vom Berufungsgericht getroffene Entscheidung dem Willkürverbot unterliegt (BVerfG NJW-RR 2009, 1026, „… sachlich nicht zu rechtfertigen ist und sich damit als objektiv willkürlich erweist und damit den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränkt“, vgl. auch BVerfG NJW 2007, 3118; NJW 2005, 1931).
191 Ist die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO überschritten, unterliegt der Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO dem Rechtsmittel, das im Falle einer Entscheidung durch Urteil gegeben wäre (§ 522 Abs. 3 ZPO), also in der Regel der Nichtzulassungsbeschwerde.
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Einzelne Berufungsanträge
Kap. 66
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.1 Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung bzw. Klageabweisung . . II. Anträge des Klägers und seines Streithelfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nach voller Klageabweisung . . . . . . . . . . . . a) Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.2 Berufung des Klägers nach voller Klageabweisung . . . . . . . . . . . . . b) Mit Klageerweiterung . . . . . . . . . . . . . . M 66.3 Berufung des Klägers mit Klageerweiterung . . . . . . . . . . . c) Mit Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nach Abweisung wegen Unzulässigkeit . M 66.3a Berufungsantrag nach Abweisung der Klage als unzulässig . . 2. Nach teilweiser Klageabweisung . . . . . . . . . M 66.4 Berufung des Klägers nach teilweiser Klageabweisung . . . . . . . . . . 3. Nach teilweiser Abweisung des Zinsantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.5 Berufung des Klägers nach teilweiser Abweisung des Zinsantrags . . . . 4. Nach Abweisung gegenüber einem der Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.6 Berufung nach Abweisung gegenüber einem der Beklagten . . . . . . . . 5. Nach Abweisung des Auskunftsantrages . . . M 66.7 Berufung nach Abweisung der Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nach Verurteilung des Beklagten nur Zug um Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.8 Berufung nach Verurteilung des Beklagten Zug um Zug . . . . . . . . . . 7. Nach Verurteilung des Beklagten auf die Hilfsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.9 Berufung nach Verurteilung des Beklagten auf die Hilfsbegründung . . . 8. Nach Verurteilung des Beklagten auf den Hilfsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.10 Berufung nach Verurteilung des Beklagten auf den Hilfsantrag . . . . 9. Nach Abweisung aufgrund erklärter Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Eingeschränkter Berufungsantrag . . . . . . . . a) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozesskostenhilfeantrag für die Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.11 Eingeschränkte Berufung mit Prozesskostenhilfeantrag für die Berufungserweiterung . . . .
1 6 7 7 7 8 9 10 11 14 16 17 18 20 21 23 24 25 26 27 28 29 31 32 33 35 36 36 39 45
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Kapitel 66 Einzelne Berufungsanträge 11. Nebenanträge zur Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.12 Androhung von Ordnungsmitteln im Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.13 Sicherheitsleistung bei bestätigender Entscheidung in Arrest- und Verfügungssachen . . . . . . . . . . . . M 66.14 Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung . . . . . . . M 66.15 Abwendung der Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung . . . . . . . M 66.16 Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung und ohne Abwendungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.17 Art der Sicherheitsleistung; Beklagte ist ein Kreditinstitut . . . . . . III. Anträge des Beklagten und seines Streithelfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nach voller Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . M 66.18 Berufung des Beklagten nach voller Verurteilung . . . . . . . . . . . . 2. Nach teilweiser Verurteilung . . . . . . . . . . . a) Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.19 Berufung des Beklagten nach teilweiser Verurteilung . . . . . . b) Eingeschränkter Antrag . . . . . . . . . . . . M 66.20 Berufung des Beklagten mit eingeschränktem Antrag . . . . . c) Mit negativer Feststellungswiderklage . . M 66.21 Negative Feststellungswiderklage nach Teilklage . . . . . . . . d) Mit Zwischenfeststellungswiderklage . . . M 66.22 Zwischenfeststellungswiderklage nach Teilklage . . . . . . . . 3. Nach Verurteilung zur Auskunft . . . . . . . . M 66.23 Berufung des Beklagten gegen Auskunfts-Teilurteil . . . . . . . . . . . 4. Bei Abweisung des Zurückbehaltungsrechts M 66.24 Berufung des Beklagten wegen Abweisung des Zurückbehaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bei Abweisung aufgrund Hilfsaufrechnung M 66.25 Berufung des Beklagten bei Abweisung aufgrund Hilfsaufrechnung . 6. Bei Abweisung mangels Fälligkeit . . . . . . . M 66.26 Berufung des Beklagten bei Abweisung mangels Fälligkeit . . . . . . 7. Eingeschränkter Berufungsantrag . . . . . . . M 66.27 Eingeschränkte Berufung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.28 Eingeschränkte Berufung des Beklagten mit Prozesskostenhilfeantrag für die Berufungserweiterung
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47 49 51 55 58 61 64 65 65 66 67 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 78 79 80 81 83 84 85 86 88
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ZPO
Kap. 66 Rz. 1
Einzelne Berufungsanträge
8. Nebenanträge zur Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 66.29 Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung . . . . . . .
89 90
IV. Berufungsgegenantrag Kläger/Beklagter . M 66.30 Berufungsgegenantrag . . . . . . . . . M 66.31 Vertretungsanzeige Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 92 94
I. Allgemeines 1 Der Antrag „entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag des Berufungsklägers in erster Instanz zu entscheiden“, ist zwar in der Regel zulässig, aber nicht zu empfehlen. Welcher Antrag zuletzt in erster Instanz gestellt worden ist, ergibt sich bindend aus dem Protokoll (nicht aus dem insoweit nachrangigen Urteilstatbestand; § 312 Satz 2 ZPO). Wegen der im Protokoll in der Regel enthaltenen Verweisungen ist es gelegentlich schwierig, den zuletzt gestellten Antrag zuverlässig herauszufinden; das insbesondere, wenn das Protokoll nur auf ein Blatt der Gerichtsakte verweist. Die bloße Bezugnahme verführt deshalb dazu, die notwendige Überprüfung des zuletzt in erster Instanz gestellten Antrages in der Berufungsinstanz zu unterlassen. Häufig ist der Antrag zu ergänzen, etwa hinsichtlich der Angabe der Berechtigung der Parteien an dem Streitgegenstand (Gesamtschuldnerschaft, Gesamtgläubigerschaft und dergleichen). Zinsanträge sind häufig zu überprüfen und zu korrigieren oder zu aktualisieren. Die Vollstreckungsschutzanträge erster und zweiter Instanz entsprechen sich nicht.
2 Das sachlich Ziel der Berufung bezeichnet das Gesetz (§ 528 Satz 2 ZPO) als Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Soweit wegen eines Verfahrensfehlers auf die Berufung der Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen werden soll, spricht das Gesetz in § 538 Abs. 2 ZPO von einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils (und, insoweit im Berufungsantrag unerheblich, des Verfahrens).
3 Daher wird der Sachantrag formuliert: „in Abänderung des angefochtenen Urteils …“ oder „das angefochtene Urteil abzuändern und …“
4 Wird mit der Berufung – in den allein zulässigen Fällen (s. Rz. 14 ff.) – primär die Aufhebung und Zurückverweisung angestrebt, so kann der Antrag lauten: „unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen“.
5 Vor einem solchen Antrag, der sich allerdings nur rechtfertigt, wenn Verfahrensfehler in erster Instanz unterlaufen sind, wird häufig gewarnt. Da mit dem Antrag auf Zurückverweisung kein materielles Begehren des Berufungsführers verfolgt werde, sei dieser Antrag kein Berufungsantrag iS des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO, sondern eine Anregung an das Gericht, wie nach Auffassung des Berufungsführers verfahren werden soll. Diese Ansicht ist zwar nicht vollends zutreffend, weil § 538 Abs. 2 ZPO für die Zurückverweisung einen Antrag voraussetzt. Im Ergebnis führt der reine Verfahrensantrag jedoch idR zu Zweifeln über das materielle Petitum des Berufungsführers, so dass ein materieller Antrag stets gestellt werden sollte.
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Einzelne Berufungsanträge
Rz. 9 Kap. 66
M 66.1 Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung bzw. Klageabweisung
6
In Sachen …/… (Kurzrubrum, wenn die Begründung der Berufung mit der Berufungsschrift selbst nicht verbunden ist.) wird beantragt, 1. unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen; 2. im Falle einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichtes das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
II. Anträge des Klägers und seines Streithelfers 1. Nach voller Klageabweisung a) Regelfall Verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter, etwa auf Zahlung des Kaufpreises für das an den Beklagten veräußerte Auto iHv. 6.000 Euro, lautet der Berufungsantrag:
7
M 66.2 Berufung des Klägers nach voller Klageabweisung
8
In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 6.000 Euro nebst … % Zinsen seit dem … (ggf.: Zug um Zug gegen Übereignung des Kraftfahrzeuges …) zu zahlen. S. dazu auch Kap. 15 Rz. 38 ff. Kosten: s. Anm. zu M 66.1.
b) Mit Klageerweiterung Über § 525 ZPO gilt § 264 ZPO auch in der Berufungsinstanz, so dass Klageerweiterungen – ohne 9 die Einschränkungen des § 533 ZPO (BGH MDR 2010, 1011, s. auch Kap. 65), aber nur unter Berücksichtigung der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO – in der Berufungsinstanz zulässig sind. Hat der Kläger erstinstanzlich für sechs Monate Miete verlangt (je 250 Euro für Januar bis Juni) und verlangt er mit Rücksicht auf die jetzt vergangene Zeit weitere sechs Monate Miete (Juli bis Dezember) so lautet der Berufungsantrag:
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ZPO
M 66.2
ZPO
Kap. 66 Rz. 10
Einzelne Berufungsanträge
M 66.3
10 M 66.3 Berufung des Klägers mit Klageerweiterung In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3.000 Euro nebst … % Zinsen auf je 250 Euro seit dem 2.1., 1.2., 1.3., 1.4., 2.5., 1.6., 1.7., 1.8., 1.9, 1.10., 2.11., 1.12.2017 zu zahlen. Zur Verdeutlichung der Klageerweiterung kann auch formuliert werden das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger a) 1500 Euro nebst … % Zinsen seit dem 2.1., 1.2., 1.3., 1.4., 2.5. und 1.6.2017 auf je 250 Euro, und unter Erweiterung der Klage darüber hinaus weitere b) 1500 Euro nebst … % Zinsen seit dem 1.7., 1.8., 1.9., 1.10., 2.11., 1.12.2017 auf je 250 Euro zu zahlen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2). Streitwert: der gesamte geforderte Mietzins (ohne Nebenkosten); die Streitwertbegrenzung auf den Streitwert der 1. Instanz gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
c) Mit Klageänderung
11 Die Klageänderung in der Berufungsinstanz ist nach § 533 ZPO unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig (s. auch Kap. 17 Rz. 34 ff.). Nach § 533 Nr. 1 ZPO muss der Gegner einwilligen oder das Gericht die Klageänderung für sachdienlich halten, außerdem darf die Klageänderung nach § 533 Nr. 2 ZPO nur auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Das bedeutet, dass idR die Klageänderung nur auf der Grundlage des erstinstanzlichen Tatsachenvortrages zulässig ist.
12 Eine Erweiterung des der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachenstoffes nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist zum Zwecke der Klageänderung nicht denkbar. Das erstinstanzliche Gericht hatte sich nur mit dem dort geltend gemachten Sachverhalt zu befassen. Für die neuen Tatsachen dürften die Fälle des § 531 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO ebenfalls nicht einschlägig sein. In Betracht kommen jedoch neue Tatsachen, die erst nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden oder ohne Nachlässigkeit der Partei bekannt geworden sind, also nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu berücksichtigende neue Tatsachen. Auf diese Tatsachen kann die Klageänderung gestützt werden. Gestützt werden darf die Klageänderung auf erstinstanzlich vorgetragenen Tatsachenstoff, den das Gericht erster Instanz seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat.
13 Im Fall der Klageänderung muss die Begründung der Berufung das erstinstanzliche Urteil „im vollen Umfang“ angreifen, also alle Voraussetzungen einer zulässigen Berufungsbegründung erfüllen (BGH MDR 2005, 1085). Die Berufung ist unzulässig, wenn sie nur die Klageänderung verfolgt (BGH MDR 2002, 1085: Vorwerk/Wolf/Wulf, BeckOK.ZPO, 29. Ed., § 511 ZPO Rz. 16). d) Nach Abweisung wegen Unzulässigkeit
14 Ist die Klage als unzulässig abgewiesen worden, kann das Berufungsgericht nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO das erstinstanzliche Urteil aufheben und den Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Partei die Zurückverweisung beantragt. Ob das Berufungsgericht selbst entschei-
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Einzelne Berufungsanträge
Rz. 18 Kap. 66
det, unterliegt seinem Ermessen. Der Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. Rz. 4 und M 66.1) ist nicht der Sachantrag, dieser ist vielmehr selbst weiter zu verfolgen (s. Rz. 4 f.).
K
Praxistipp: Der Antrag auf Zurückverweisung muss dann gestellt werden, wenn weiterer Vor- 15 trag oder Beweismittel „nachgeschoben“ werden können, um die Durchsetzung des Anspruchs – oder die Verteidigung gegen den Anspruch – auf „sichere Beine“ zu stellen. Ist damit zu rechnen, dass bei einer Rückverweisung der Gegner Vortrag „nachschiebt“, sollte der Antrag auf Zurückverweisung nicht gestellt werden, um für den ergänzenden Vortrag des Gegners die Sperre der §§ 529, 531 ZPO aufrechtzuerhalten. Der Gegner kann jedoch seinerseits den Antrag auf Rückverweisung stellen (§ 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
M 66.3a Berufungsantrag nach Abweisung der Klage als unzulässig
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, 1. unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen; 2. im Falle einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts das Urteil abzuändern und den Beklagten zur verurteilen, … … Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
2. Nach teilweiser Klageabweisung Falls der Beklagte nicht Anschlussberufung einlegt, ist der erstinstanzlich zuerkannte Klagebetrag nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Daher sollte mit dem Antrag klargestellt werden, dass nur der überschießende Betrag Gegenstand der Berufung ist, so dass formuliert wird:
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M 66.4 Berufung des Klägers nach teilweiser Klageabweisung
18
In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 4.000 Euro nebst … % Zinsen seit dem 1.1.2018 zu zahlen. Demgegenüber weniger empfehlenswert ist der Antrag das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten unter Einbeziehung des erstinstanzlich ausgeurteilten Betrages zu verurteilen, an den Kläger insgesamt 10.000 Euro nebst … % Zinsen seit dem 1.1.2018 zu zahlen. Dieser Antrag nötigt, die Differenzen zwischen der erstinstanzlichen Verurteilung und der nunmehr erstrebten Verurteilung zu ermitteln. Kosten: s. Anm. zu M 66.3a.
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ZPO
M 66.4
Kap. 66 Rz. 19
Einzelne Berufungsanträge
M 66.5
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19 Hat der Beklagte nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils den dort ausgeurteilten Betrag gezahlt, darf das Berufungsgericht den Beklagten nicht zur Zahlung von 10.000 Euro verurteilen. Wird vom Prozessgegner beantragt, so zu erkennen, wie dies im M 66.4 als „weniger empfehlenswerter Antrag“ ausgeführt ist, muss der Anwalt des unterlegenen Beklagten klären, ob auf die zunächst ausgeurteilte Zahlungsverpflichtung etwas geleistet ist, und dies vortragen. Die auf den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag erfolgte Zahlung erledigt die Hauptsache zwar nicht, schafft jedoch den Einwand, der im Falle der dennoch durchgeführten Vollstreckung gem. § 767 ZPO geltend zu machen wäre. Verhindert wird durch den Vortrag des Beklagten zur Erfüllung der erstinstanzlich erfolgten Verurteilung, dass das Berufungsgericht die erstinstanzliche Verurteilung in den zweitinstanzlichen Tenor einbezieht und somit Unklarheiten über die noch zu erfolgende Zahlung schafft. Die Frage einer Zahlung auf die erstinstanzlich erfolgte Verurteilung muss spätestens in der mündlichen Verhandlung geklärt werden. § 531 ZPO gilt insoweit nicht, da die Frage der Zahlung kein neues Verteidigungsmittel gegen den ausgeurteilten Anspruch ist; das Bestehen des zuerkannten Anspruchs wird nicht geleugnet. 3. Nach teilweiser Abweisung des Zinsantrages
20 Zinsen können selbständig Gegenstand der Berufung sein, wenn die Zinsen mindestens im Werte der Berufungssumme von mehr als 600 Euro abgewiesen worden sind. Der Antrag lautet:
21 M 66.5 Berufung des Klägers nach teilweiser Abweisung des Zinsantrags In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger über die zuerkannten … % Zinsen hinaus weitere … % Zinsen auf 5.000 Euro seit dem … zu zahlen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2) Streitwert: die geltend gemachte Zinsdifferenz, da sie im Berufungsverfahren zur Hauptforderung wird.
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Praxistipp: Für die Ermittlung der Berufungssumme ist der Zeitpunkt der Einlegung der Berufung maßgebend. Es kann daher empfehlenswert sein, bis zum letzten Tag der Berufungsfrist mit der Einlegung der Berufung zu warten, wenn erst dann die Berufungssumme – wegen der bis dahin aufgelaufenen Zinsdifferenz – erreicht ist.
4. Nach Abweisung gegenüber einem der Beklagten
23 Hier muss zum Ausdruck gebracht werden, dass auch der von der Berufung betroffene weitere Beklagte zusammen mit dem bereits verurteilten Beklagten zahlen soll. Es wird formuliert:
24 M 66.6 Berufung nach Abweisung gegenüber einem der Beklagten In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu 2) zu verurteilen, als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 1 an den Kläger 5.000 Euro nebst … % Zinsen seit dem 1.1.2018 zu zahlen.
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M 66.8
Einzelne Berufungsanträge
Rz. 28 Kap. 66
Sind die Beklagten zu 1 und 2 Nebenschuldner, wäre zu formulieren:
ZPO
Unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils auch den Beklagten zu 2) – neben dem Beklagten zu 1) – zu verurteilen, …. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
5. Nach Abweisung des Auskunftsantrages Wird bei der Stufenklage nur der Auskunftsantrag abgewiesen, nicht etwa die gesamte Klage, wird 25 der Antrag gestellt „das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger folgende Auskunft zu erteilen …“ Ist die Klage insgesamt abgewiesen worden, muss der Antrag der Stufenklage insgesamt wiederholt werden, also wie folgt:
M 66.7 Berufung nach Abweisung der Stufenklage
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und 1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger folgende Auskunft zu erteilen: …; 2. nach Erteilung der Auskunft den Beklagten zu verurteilen, den sich aus der Auskunft als ersatzpflichtigen Schaden ergebenden Betrag nebst … % Zinsen seit … an den Kläger zu zahlen. Kosten: s. Anm. zu M 66.6.
6. Nach Verurteilung des Beklagten nur Zug um Zug Verlangt der Kläger unbedingte Leistung des Beklagten, wird der Beklagte aber nur verurteilt Zug um Zug gegen Leistung des Klägers, ist der Kläger durch die von ihm zu erbringende Leistung beschwert. Die Beschwer entspricht der vom Kläger zu erbringenden Gegenleistung, begrenzt durch den Wert der vom Kläger verlangten Leistung des Beklagten (BGH MDR 2009, 759; NJW 1999, 723). Der Berufungsantrag lautet:
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M 66.8 Berufung nach Verurteilung des Beklagten Zug um Zug
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 5.000 Euro nebst Zinsen, und zwar – entgegen der Verurteilung in der angefochtenen Entscheidung – unbedingt, zu zahlen.
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Kap. 66 Rz. 29
Einzelne Berufungsanträge
M 66.9
ZPO
stattdessen kann auch formuliert werden: wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Fortfall des Zurückbehaltungsrechtes 5.000 Euro nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Kosten: s. Anm. zu M 66.6.
7. Nach Verurteilung des Beklagten auf die Hilfsbegründung
29 Der Kläger hat erstinstanzlich 5.000 Euro aufgrund Kaufvertrages, hilfsweise aufgrund davon unabhängigen Darlehensvertrages verlangt. Erstinstanzlich wird eine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag nicht festgestellt, aber eine aus dem Darlehensvertrag bejaht, so dass der Beklagte zur Zahlung von 5.000 Euro auf die Hilfsbegründung verurteilt wird. Der Kläger ist iHv. 5.000 Euro beschwert, weil sein Kaufpreisanspruch rechtskraftfähig aberkannt worden ist. Bei richtiger, allerdings häufig nicht eingehaltener Tenorierung musste die Klage aufgrund der Hauptbegründung formell abgewiesen, aufgrund der Hilfsbegründung der Klage stattgegeben werden.
30 Formell würde zwar auch ein Berufungsantrag richtig sein, mit dem beantragt wird, den Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro zu verurteilen. Angesichts der Identität mit der erstinstanzlichen Verurteilung könnte das auf den ersten Blick widersinnig erscheinen, auch wenn in der Begründung darzulegen ist, dass mit der Berufung eine Verurteilung aufgrund des Primärvortrages verlangt wird. Der Klarheit willen sollte daher formuliert werden:
31 M 66.9 Berufung nach Verurteilung des Beklagten auf die Hilfsbegründung In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 5.000 Euro nebst Zinsen auf den im ersten Rechtszug in erster Linie zur Entscheidung gestellten Kaufpreisanspruch zu zahlen. Kosten: s. Anm. zu M 66.6.
8. Nach Verurteilung des Beklagten auf den Hilfsantrag
32 In diesen Fällen gibt es einen erstinstanzlichen Hauptantrag, der durch das Urteil formell abgewiesen worden ist: Der Kläger verlangt Schadensersatz, hilfsweise Nacherfüllung durch Beseitigung von Baumängeln. Der Hauptantrag wird abgewiesen, weil die Voraussetzungen der §§ 634 Nr. 4, 281 BGB oder des § 636 BGB nicht vorliegen; dem Hilfsantrag wird aufgrund von § 635 BGB stattgegeben. Mit der Berufung wird, wie schon im ersten Rechtszug vorgetragen, geltend gemacht, dass der Beklagte die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert und auch die Mängel zu vertreten habe. Der Antrag lautet:
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Einzelne Berufungsanträge
Rz. 38 Kap. 66
M 66.10 Berufung nach Verurteilung des Beklagten auf den Hilfsantrag
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 5.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Kosten: s. Anm. zu M 66.6.
Zur Vermeidung des Missverständnisses, dass durch diesen Antrag der erstinstanzlich hilfsweise geltend gemachte Nacherfüllungsanspruch fallen gelassen wird, muss in den Gründen klargestellt werden, dass der schon in erster Instanz hilfsweise geltend gemachte Nacherfüllungsanspruch weiterverfolgt wird.
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9. Nach Abweisung aufgrund erklärter Aufrechnung Wird die Klage aufgrund Primäraufrechnung des Beklagten abgewiesen, ergibt sich gegenüber dem 35 Regelfall der Berufung nach voller Klageabweisung kein Unterschied. Bei Klageabweisung aufgrund Hilfsaufrechnung des Beklagten sind beide Parteien beschwert; der Beklagte, weil das Bestehen der Klageforderung bejaht worden ist, der Kläger, weil auch das Bestehen der Hilfsaufrechnungsforderung bejaht worden ist. Beim Berufungsantrag des Klägers ergibt sich im Grundsatz kein Unterschied gegenüber dem Antrag bei voller Klageabweisung. Allerdings muss in der Begründung der Berufung festgehalten werden, dass die Klageforderung wegen der Hilfsaufrechnung aus Sicht des Gerichts erster Instanz nicht als begründet angesehen worden ist; die Berufungsangriffe richten sich also gegen die Bejahung der Aufrechnungsforderung. Wegen des Antrags des Beklagten vgl. Rz. 80 f. und M 66.25. 10. Eingeschränkter Berufungsantrag a) Zweck Gemäß § 47 GKG bestimmt sich der Streitwert des Berufungsverfahrens nach den Anträgen des 36 Rechtsmittelklägers. Nach diesem Wert berechnen sich die Gebühren des Gerichtes, des Anwaltes des Berufungsbeklagten und, falls keine anderweitigen Vereinbarungen getroffen worden sind, die Gebühren des Anwaltes des Berufungsklägers. Da der Berufungskläger im Falle der Zurücknahme der Berufung und grundsätzlich im Falle der Zurückweisung der Berufung die Kosten zu tragen hat, entspricht es seinem Interesse, durch einen gegenüber dem Antrag erster Instanz reduzierten Berufungsantrag das Kostenrisiko so gering wie möglich zu halten.
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In drei Fällen kann ein eingeschränkter Berufungsantrag gestellt werden: – Beschränkung des Berufungsstreitwerts vor Berufungsrücknahme (Rz. 38); – zur allgemeinen Verminderung des Kostenrisikos (Rz. 42); – bei vorrangiger Entscheidung des Gerichtes über Prozesskostenhilfe (Rz. 39). Häufig wird der Anwalt mit der Prüfung der Berufungsaussichten beauftragt, kann jedoch das Ergebnis seiner Prüfung mit dem Mandanten nicht vor Ablauf der Begründungsfrist abstimmen. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, durch einen eingeschränkten Berufungsantrag den Berufungsstreitwert zu beschränken, wenn die Prüfung der Berufungsaussichten zu einem Ergebnis geführt hat, das die Durchführung der Berufung „eigentlich“ nicht rechtfertigt. In einem solchen Fall kann durch einen eingeschränkten Berufungsantrag vor Berufungsrücknahme die Kostenlast des BeruVorwerk
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M 66.10
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Kap. 66 Rz. 39
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fungsklägers verringert werden. Nach BGH GrS NJW 1978, 1263 ist allerdings die tatsächliche Beschwer maßgeblich, wenn der ermäßigte Rechtsmittelantrag offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist. Ob dies offensichtlich ist, hängt wesentlich von der Argumentation des Berufungsführers ab. Wenn nur der eingeschränkte Antrag gestellt und im selben Schriftsatz die Berufung zurückgenommen wird, liegt die Anwendung der Grundsätze des Großen Senates nahe. Wird allerdings der eingeschränkte Antrag begründet, insbesondere dargelegt, warum der Kläger „gerade 700 Euro noch in der Berufungsinstanz verlangt“ und wird dann in einem späteren – etwa einen oder zwei Monate nach erfolgter Begründung eingereichten – Schriftsatz die Berufung zurückgenommen, fehlt es in der Regel an der Offensichtlichkeit. b) Prozesskostenhilfeantrag für die Berufungserweiterung
39 Bei einem eingeschränkten Berufungsantrag verbunden mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungserweiterung wird der Berufungskläger vor erheblicher Kostenlast bei Ablehnung der Prozesskostenhilfe geschützt.
40 Dieses Vorgehen vermeidet die Probleme, die auftreten können, wenn zunächst zwar ein PKH-Antrag gestellt und nach Entscheidung über den PKH-Antrag Wiedereinsetzung begehrt wird. Die Wiedereinsetzung ist zwar regelmäßig zu gewähren, wenn dem PKH-Antrag stattgegeben wird. Die Wiedereinsetzung wird aber versagt, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen der PKH-Bewilligung nicht vorlagen und deswegen PKH versagt wird und der Berufungskläger damit rechnen musste (BGH FamRZ 2013, 371; NJW 2012, 2041).
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Wichtig: Wird ein mit einer umfangreichen Begründung versehener Prozesskostenhilfeantrag gestellt (s. Rz. 40), muss im Rahmen des Antrags auf Wiedereinsetzung wegen der Unklarheiten, die die Entscheidung BGH NJW 2008, 2855 geschaffen hat, vorsorglich darauf hingewiesen werden, dass dem gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung nicht entnommen werden könne, der den Antrag stellende Anwalt wäre bereit gewesen, das Mandat auch ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe als Wahlanwalt zu übernehmen. Der – den Prozesskostenhilfebedürftigen vertretende – Anwalt habe die Übernahme des Mandats als Wahlanwalt von einer Vorschusszahlung abhängig gemacht; der Vorschuss habe nicht geleistet werden können; deshalb habe Prozesskostenhilfe beantragt werden müssen (vgl. dazu auch BGH NJW-RR 2018, 6; NJW 2012, 2041).
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Praxistipp: Der Berufungskläger muss ein neues PKH-Formular mit dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe vorlegen, es sei denn, er erklärt unmissverständlich, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seit Vorlage des erstinstanzlichen Formulars unverändert geblieben sind (BGH v. 14.5.2013 – II ZB 22/11 Rz. 12; NJW 2001, 2721, Musielak/Voit/Fischer § 117 ZPO Rz. 11). Der Prozessbevollmächtigte muss ebenfalls prüfen, ob die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfebedürftigkeit vorliegen. Sein Verschulden ist der Partei zuzurechnen (BGH NJW 2001, 2721).
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Wichtig: Zur Frage der Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung bei laufendem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe s. Kap. 10 Rz. 79 ff. sowie Kap. 67 Rz. 32 und 18.
44 Der eingeschränkte Berufungsantrag setzt voraus, dass die spätere Berufungserweiterung zulässig ist. Sie ist immer dann zulässig, wenn die Berufungsgründe für den vollen, erweiterten Antrag bereits in der Berufungsbegründung enthalten sind (BGHZ 7, 144; BGHZ 88, 364). Der Antrag lautet:
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Rz. 46 Kap. 66
M 66.11 Eingeschränkte Berufung mit Prozesskostenhilfeantrag für die
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Berufungserweiterung In Sachen …/… (s. M 66.1) wird beantragt 1. das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 700 Euro nebst … % Zinsen seit dem 1.1.2018 zu zahlen; 2. dem Kläger unter Beiordnung des Unterzeichnenden Prozesskostenhilfe zu bewilligen, und zwar zugleich für eine Erweiterung der Berufung mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger insgesamt 10.000 Euro nebst … % Zinsen seit dem 1.1.2018 zu zahlen. Begründung: Der Kläger verlangt Rückzahlung eines Darlehens iHv. 10.000 Euro. Das Landgericht hat aus folgenden Gründen zu Unrecht die Darlehensvereinbarung nicht als bewiesen angesehen … (Hier folgt die Zusammenstellung der Anhaltspunkte, die die Zweifel an den Feststellungen des Gerichts erster Instanz begründen; §§ 520 Abs. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Mit der Berufung wird zunächst ein erstrangiger Teilbetrag aus dem Darlehensrückzahlungsanspruch iHv. 700 Euro geltend gemacht. Es bleibt vorbehalten, nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe die Berufung auf den vollen angekündigten Klageantrag zu erweitern. Das Prozesskostenhilfegesuch bezieht sich auf den uneingeschränkten Klageantrag. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2); die Gebühren entstehen bis zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe aus dem unbedingt angefochtenen Teil des Streitgegenstands; soweit ausschließlich der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gestellt wird, erhält der Rechtsanwalt eine 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 3335 VV RVG; Gegenstandswert ist der Wert der Hauptsache, eine Wertaddition findet nicht statt (§ 23a RVG); wird die Prozesskostenhilfe bewilligt, bildet das Verfahren mit dem Berufungsverfahren dieselbe Angelegenheit (§ 16 Nr. 2 RVG); die Gebühr geht also in der Gebühr für das Berufungsverfahren auf.
Prozessual zulässig ist es zur Vermeidung des Prozesskostenrisikos, einen eingeschränkten Berufungsantrag zu stellen, die Berufung in vollem Umfange, also auch hinsichtlich einer anzukündigenden Berufungserweiterung zu begründen. Dieses Verfahren ist allerdings mit folgenden Konsequenzen verbunden: Auch die Gebühren des Anwaltes des Berufungsklägers richten sich nach dem eingeschränkten Berufungsantrag. Endet das Mandat, aus welchen Gründen auch immer, vorzeitig, jedenfalls vor Erweiterung der Berufung, erhält der Anwalt des Berufungsklägers ein Honorar, das in keinem Verhältnis zu seinem Aufwand und dem eigentlichen Interesse des Berufungsklägers steht. Ausgleich schafft aber die 1,3fache Gebühr gem. Nr. 2101 VV RVG, wenn der Auftrag erteilt war, die Erfolgsaussicht zu überprüfen, und der Anwalt – neben der Begründung der Berufung mit eingeschränktem Antrag – im Brief an den Mandanten im Einzelnen – als Gutachten zu den Erfolgsaussichten – erläutert, warum noch kein voller Antrag gestellt worden ist. Die Gebühr gem. Nr. 2101 VV RVG ist allerdings nicht festsetzungsfähig gem. § 11 RVG. Es besteht bei einem solchen Vorgehen auch die Gefahr, dass versehentlich die Erweiterung der Berufung vor der Entscheidung des Gerichtes unterbleibt. In diesem Fall kann das Gericht nur über den eingeschränkten Antrag entscheiden. Abzuwägen ist zudem, dass durch den eingeschränkten Berufungsantrag für das Gericht ggf. zum Ausdruck gebracht wird, dass das Kostenrisiko außerordentlich hoch eingeschätzt wird, der Berufungskläger also kein Vertrauen in seine eigenen Berufungsgründe hat.
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M 66.11
Kap. 66 Rz. 47
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M 66.12
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11. Nebenanträge zur Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils
47 Berufungsurteile des Landgerichtes und des Oberlandgerichtes sind – mit Ausnahme des Arrestverfahrens und des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 542 Abs. 2 ZPO) nicht mit Verkündung rechtskräftig, sondern generell mit Rücksicht auf § 544 Abs. 5 Satz 1 ZPO erst mit Ablauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO (ein Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens sechs Monate nach Verkündung des Urteils; § 189 ZPO beachten! S. Kap. 65 Rz. 44; die dort niedergelegten Erwägungen gelten entsprechend). Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten sind nach § 708 Nr. 10 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Berufungsurteile in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten sind nach § 709 Satz 1 ZPO nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
48 Die Vollstreckung vorbereitend ist die Androhung von Ordnungsmitteln bei der Erzwingung der Duldung oder Unterlassung von Handlungen gem. § 890 Abs. 2 ZPO. Hier kann ausnahmsweise die Androhung des Ordnungsmittels bereits in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil enthalten sein (s. Kap. 15 Rz. 195 ff.). Demgemäß wird in derartigen Fällen beantragt:
49 M 66.12 Androhung von Ordnungsmitteln im Urteil … zur Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten es zu unterlassen …
50 In Arrest- oder Verfügungssachen kann das Gericht die Bestätigung, Abänderung oder Aufhebung des Arrestes oder der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (§§ 925 Abs. 2, 936, 939 ZPO). Zwar kann das Gericht die Sicherheitsleistung auch ohne formellen Antrag anordnen, es empfiehlt sich aber zu beantragen:
51 M 66.13 Sicherheitsleistung bei bestätigender Entscheidung in Arrest- und
Verfügungssachen … hilfsweise den Arrest (oder: die einstweilige Verfügung) nur mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Antragsteller eine Sicherheitsleistung erbringt.
52 Bei Berufungsurteilen, die mit der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angefochten werden können (§ 26 Nr. 8 EGZPO), sind zur Vollstreckbarkeit keine weiteren Anträge zu stellen. Nach § 711 ZPO hat das Gericht – von Amts wegen – bei vorläufig vollstreckbaren Berufungsurteilen auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Nach § 713 ZPO soll eine solche Anordnung nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen, also dann, wenn nach pflichtgemäßer Prüfung des Berufungsgerichtes eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft ist (s. dazu § 26 Nr. 8 EGZPO).
53 Die Anträge gem. §§ 712, 711 Satz 2 und 710 ZPO sind vor Schluss der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichtes zu stellen (§ 714 ZPO).
54 Nach § 712 ZPO kann der Schuldner beantragen, dass ihm die Befugnis gegeben wird, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung auch dann abzuwenden, wenn der Gläubiger seinerseits Sicherheit leistet. Voraussetzung ist, dass der Schuldner glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringt. Der Antrag lautet:
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Rz. 63 Kap. 66
M 66.14 Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
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… hilfsweise dem Kläger zu gestatten, die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Beklagten abzuwenden.
Der Antrag selbst ist zu begründen. Ist der Kläger zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage, ist gem. § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu beantragen.
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K
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Wichtig: Der Antrag nach § 712 ZPO in der Berufungsinstanz ist grundsätzlich Voraussetzung eines Antrags nach § 719 ZPO in der dritten Instanz (vgl. BGH v. 16.7.2013 – VIII ZR 34/13; WuM 2008, 613). Ist über den Antrag nicht entschieden, muss gem. § 321 ZPO analog Urteilsergänzung beantragt werden; anderen falls ist dem in dritter Instanz gestellten Antrag gem. § 719 ZPO nicht zu entsprechen (BHG v. 23.1.2018 – VI ZR 453/17; v. 16.7.2013 – VIII ZR 34/13; NJW-RR 2000, 746).
M 66.15 Abwendung der Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung
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… hilfsweise das Urteil nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären oder die Vollstreckung auf die in § 720a Abs. 1, 2 ZPO bezeichneten Maßregeln zu beschränken.
Da dem Kläger in der Regel nur Vollstreckung wegen der Kosten droht, ist ein nicht zu ersetzender Nachteil für den Kläger allerdings kaum denkbar, jedenfalls kaum glaubhaft zu machen. Anders stellt sich die Situation für den Beklagten dar, der etwa ein nicht ersetzbares Bild herausgeben soll.
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Wenn der Gläubiger glaubhaft machen kann, dass er die Sicherheit nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten kann, kann er nach §§ 711 Satz 3, 710 ZPO beantragen, das Urteil auch ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Voraussetzung ist, dass der Gläubiger glaubhaft macht, dass die Aussetzung der Vollstreckung ihm einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil bringen würde oder aus einem sonstigen Grund für ihn unbillig wäre, insbesondere weil er die Leistung für seine Lebenshaltung oder seine Erwerbstätigkeit dringend benötigt. Auch dieser Antrag muss bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichtes gestellt werden und lautet:
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M 66.16 Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung und ohne Abwendungsbefugnis
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… das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären, ohne dem Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist auch ohne Antrag und ohne gerichtliche Anordnung die Si- 62 cherheit auch durch eine schriftlich, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstitutes zulässig, wenn das Gericht keine andere Art der Sicherheitsleistung angeordnet hat (s. auch Kap. 15 Rz. 289 ff.). Soll eine andere Art der Sicherheitsleistung als eine Bankbürgschaft angeordnet werden, muss der Berufungskläger dies beantragen (s. Kap. 15 Rz. 297). Ist die Beklagte eine Bank, ist darauf zu achten, dass vorsorglich die „eigene Bankbürgschaft“ nicht zugelassen wird.
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ZPO
M 66.16
ZPO
Kap. 66 Rz. 64
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M 66.17
64 M 66.17 Art der Sicherheitsleistung; Beklagte ist ein Kreditinstitut … außerdem beantrage ich, vorsorglich anzuordnen, dass die Beklagte Sicherheit gem. § 108 ZPO nicht durch eigene Bürgschaftserklärung erbringen kann.
III. Anträge des Beklagten und seines Streithelfers 1. Nach voller Verurteilung
65 Der Beklagte, der sich gegen die volle Verurteilung im vollen Umfange wehrt, beantragt: 66 M 66.18 Berufung des Beklagten nach voller Verurteilung In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
2. Nach teilweiser Verurteilung a) Regelfall
67 Strebt der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage an, lautet der Berufungsantrag: 68 M 66.19 Berufung des Beklagten nach teilweiser Verurteilung In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage im vollen Umfange abzuweisen. Kosten: s. Anm. zu M 66.18.
b) Eingeschränkter Antrag
69 Verlangt der Beklagte nicht mehr volle Klageabweisung, sondern nur noch teilweise Klageabweisung, beantragt er:
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Rz. 73 Kap. 66
M 66.20 Berufung des Beklagten mit eingeschränktem Antrag
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, mehr als 2.500 Euro nebst Zinsen auf diesen Betrag zu zahlen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2); Streitwert: der Differenzbetrag zwischen der Verurteilung – zB 6.000 Euro – und dem nicht angegriffenen Teilbetrag, in dem Beispiel also 3.500 Euro.
c) Mit negativer Feststellungswiderklage Hat der Kläger Teilklage erhoben und damit Erfolg gehabt, will der Beklagte nunmehr in der Berufungsinstanz den gesamten Anspruch des Klägers klären (s. dazu Kap. 15 Rz. 254 f.), etwa um auf diese Weise die Revisibilität des Urteils (s. dazu § 26 Nr. 8 EGZPO) herbeizuführen, beantragt er, sofern der in zweiter Instanz erhobenen negativen Feststellungsklage die Sperre der §§ 529, 531 ZPO nicht entgegensteht:
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M 66.21 Negative Feststellungswiderklage nach Teilklage
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in Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, 1. das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen; 2. auf die hiermit erhobene Feststellungswiderklage festzustellen, dass dem Kläger auch über den geltend gemachten Betrag von … Euro hinaus kein Anspruch gegen den Beklagten zusteht. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2); Streitwert: die gesamte Forderung: der durch die Klage geltend gemachte Teil (Antrag zu 1) zzgl. der von der Feststellungswiderklage erfasste Teil (§ 45 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 47 Abs. 2 Satz 2 GKG).
d) Mit Zwischenfeststellungswiderklage Mit der Zwischenfeststellungswiderklage kann der Beklagte das Rechtsverhältnis, auf dem der Klageanspruch beruht, umfassend klären lassen und so auch künftigen Klagen vorbeugen (s. Kap. 15 Rz. 228 f. und 272 f.) und ggf. auch die Revisionsmöglichkeit (s. dazu § 26 Nr. 8 EGZPO) schaffen. Hat zB der Kläger erstinstanzlich mit Erfolg Mietzins eingeklagt, ist der Beklagte der Auffassung, dass ein Mietverhältnis nicht besteht, weil er wirksam gekündigt hat, beantragt er, sofern der in zweiter Instanz erhobenen Zwischenfeststellungswiderklage die Sperre der §§ 529, 531 ZPO nicht entgegensteht:
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M 66.21
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Kap. 66 Rz. 74
Einzelne Berufungsanträge
M 66.22
74 M 66.22 Zwischenfeststellungswiderklage nach Teilklage In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt 1. das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen; 2. auf die hiermit erhobene Zwischenfeststellungswiderklage festzustellen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom … zum … beendet worden ist. Kosten: s. Anm. zu M 66.21.
3. Nach Verurteilung zur Auskunft
75 Bei einer Stufenklage gibt das erstinstanzliche Gericht in der ersten Stufe der Auskunftsklage durch Teilurteil statt (s. dazu Kap. 15 Rz. 84). Die Berufung richtet sich zunächst nur gegen dieses Teilurteil, so dass der Berufungsantrag lautet:
76 M 66.23 Berufung des Beklagten gegen Auskunfts-Teilurteil In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage, soweit das Landgericht darüber entschieden hat, abzuweisen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
77 Allerdings kann das Berufungsgericht, wenn es den Anspruch, den die Auskunft vorbereitet, für nicht begründet erachtet, insgesamt abweisen (s. Kap. 15 Rz. 84). Dazu bedarf es aber keines Antrages des Beklagten. 4. Bei Abweisung des Zurückbehaltungsrechts
78 Der Beklagte, der sich darauf beschränken will, ein Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen, formuliert den Berufungsantrag wie folgt:
79 M 66.24 Berufung des Beklagten wegen Abweisung des Zurückbehaltungsrechts In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, in Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage nur stattzugeben Zug um Zug gegen … (nunmehr folgt das im Einzelnen zu bezeichnende Zurückbehaltungsrecht, etwa Beseitigung folgender Mängel …) Kosten: s. Anm. zu M 66.23.
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M 66.26
Einzelne Berufungsanträge
Rz. 85 Kap. 66
Der Beklagte, der erstinstanzlich sich gegen den Anspruch des Klägers unmittelbar gewandt hat und hilfsweise mit einer Gegenforderung aufgerechnet hat und nur aufgrund der Hilfsaufrechnung obsiegt hat, ist dadurch, dass der Klageanspruch festgestellt und durch die Aufrechnung ihm der Gegenanspruch genommen worden ist, in Höhe der Hilfsaufrechnung beschwert. Daher kann er Berufung einlegen, um die Abweisung der Klage „ad limine“, also ohne Hilfsaufrechnung, zu erreichen. Er beantragt:
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M 66.25 Berufung des Beklagten bei Abweisung aufgrund Hilfsaufrechnung
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, die Klage ungeachtet der Hilfsaufrechnung abzuweisen. Kosten: s. Anm. zu M 66.23.
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Zulässig wäre auch der schlichte Berufungsantrag „das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen“, wobei dann – wie auch beim vorausgehenden Antrag – in der Begründung geltend gemacht wird, dass die Abweisung ohne Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung verlangt wird. Dieser Antrag empfiehlt sich jedoch nicht, weil auch das angefochtene Urteil – nicht die Aufrechnung bis zur Höhe der vom Kläger begehrten Verurteilung – schon auf Abweisung der Klage lautet. Es entsteht somit zunächst die Frage, gegen welche Beschwer sich der Beklagte eigentlich wenden wird. 6. Bei Abweisung mangels Fälligkeit Auch durch die Abweisung der Klage mangels Fälligkeit (als derzeit unbegründet) ist der Beklagte beschwert und kann selbständig Berufung einlegen (BGH NJW 2000, 2988). Er kann, wie in den vorausgehenden Mustern auch den Antrag stellen „das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen“, wobei jedenfalls in der Begründung geltend gemacht wird, dass die Abweisung nicht nur als derzeit unbegründet, sondern auch als künftig unbegründet verlangt wird.
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M 66.26 Berufung des Beklagten bei Abweisung mangels Fälligkeit
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In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, die Klage nicht nur als derzeit, sondern insgesamt unbegründet abzuweisen. Kosten: s. Anm. zu M 66.23.
7. Eingeschränkter Berufungsantrag Hier gilt das, was für die Berufung des Klägers oben (vgl. Rz. 36 ff.) ausgeführt ist. Der Beklagte muss nur berücksichtigen, dass der eingeschränkte Antrag den Spitzenbetrag des zuerkannten Betrages umfasst, so dass er bei einer Verurteilung auf Zahlung von 5.000 Euro beantragt:
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5. Bei Abweisung aufgrund Hilfsaufrechnung
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Kap. 66 Rz. 86
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M 66.27
86 M 66.27 Eingeschränkte Berufung des Beklagten In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 4.300 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist. Kosten: s. Anm. zu M 66.23.
87 Stellt er den eingeschränkten Antrag in Verbindung mit einem Prozesskostenhilfeantrag, so formuliert er:
88 M 66.28 Eingeschränkte Berufung des Beklagten mit Prozesskostenhilfeantrag für
die Berufungserweiterung In Sachen …/… (Kurzrubrum, s. M 66.1) wird beantragt, 1. das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 4.300 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist; 2. dem Beklagten Prozesskostenhilfe zu bewilligen, und zwar auch für die Erweiterung der Berufung mit dem Antrag, die Klage im vollen Umfange abzuweisen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2); die Gebühren entstehen bis zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe aus dem unbedingt angefochtenen Teil des Streitgegenstands; soweit ausschließlich der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gestellt wird, erhält der Rechtsanwalt eine 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 3335 VV RVG; Gegenstandswert ist der Wert der Hauptsache, eine Wertaddition findet nicht statt (§ 23a RVG); wird die Prozesskostenhilfe bewilligt, bildet das Verfahren mit dem Berufungsverfahren dieselbe Angelegenheit (§ 16 Nr. 2 RVG); die Gebühr geht also in der Gebühr für das Berufungsverfahren auf.
8. Nebenanträge zur Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils
89 Hier gilt sinngemäß das, was für die Vollstreckbarkeitsanträge des Klägers ausgeführt ist (vgl. Rz. 47 ff.). Droht durch die Vollstreckung für den Beklagten ein nicht zu ersetzender Nachteil, so kann er beantragen, dass ihm gestattet wird, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers abzuwenden. Der Antrag lautet:
90 M 66.29 Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung … hilfsweise dem Beklagten zu gestatten, jede Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, auch für den Fall, dass der Kläger Sicherheit leistet.
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Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
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Der Berufungsbeklagte stellt gegenüber dem Antrag des Berufungsklägers folgenden Gegenantrag:
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M 66.30 Berufungsgegenantrag
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In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird beantragt, die Berufung des … (Klägers/Beklagten) zurückzuweisen. Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (1,6 Verfahrensgebühr; 1,2 Terminsgebühr).
Will sich der Anwalt des Berufungsbeklagten gegenüber der Berufung des Berufungskläger lediglich legitimieren, bevor die Berufung vom Berufungskläger begründet worden ist, stellt er folgenden Antrag:
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M 66.31 Vertretungsanzeige Berufungsinstanz
94
In Sachen …/… (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den … (Beklagten/Kläger) gegenüber der Berufung des … (Klägers/Beklagten) vertrete. Kosten: s. Anm. zu M 66.30.
Die Vertretungsanzeige löst die Gebühr der Nr. 3201 VV RVG aus und ist erstattungsfähig (vgl. BGH NJW 2003, 756; 2003, 2992; MDR 2007, 1397). Hat der Berufungskläger die Berufung begründet, stellt der Berufungsbeklagte den Antrag M 66.30, der die Gebühr der Nr. 3200 VV RVG (auch ohne sachliche Begründung) auslöst (BGH MDR 2009, 233).
Kapitel 67 Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung I. Antrag auf Fristverlängerung . . . . . . . . . . 1. Erster Verlängerungsantrag . . . . . . . . . . . . M 67.1 Erster Fristverlängerungsantrag . . . M 67.2 Erster Verlängerungsantrag (vor Einsicht in die Gerichtsakten) . . . . 2. Weitere Verlängerungsanträge . . . . . . . . . . M 67.3 Zweiter Verlängerungsantrag . . . . . M 67.4 Zweiter Verlängerungsantrag (Vergleichsverhandlungen) . . . . . . . 3. Nach erfolgtem Prozesskostenhilfegesuch . . 4. Verlängerung der Frist zur Beantwortung der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 21 24 28 29 31 32
M 67.5 Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbeantwortung . . . II. Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.6 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung ohne Sicherheitsleistung . M 67.7 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Sicherheitsleistung . . M 67.8 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Abwendungsbefugnis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . .
35 37 38 40 42
33
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1123
95
ZPO
IV. Berufungsgegenantrag Kläger/Beklagter
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Kap. 67
Der Berufungsbeklagte stellt gegenüber dem Antrag des Berufungsklägers folgenden Gegenantrag:
91
M 66.30 Berufungsgegenantrag
92
In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird beantragt, die Berufung des … (Klägers/Beklagten) zurückzuweisen. Kosten: Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (1,6 Verfahrensgebühr; 1,2 Terminsgebühr).
Will sich der Anwalt des Berufungsbeklagten gegenüber der Berufung des Berufungskläger lediglich legitimieren, bevor die Berufung vom Berufungskläger begründet worden ist, stellt er folgenden Antrag:
93
M 66.31 Vertretungsanzeige Berufungsinstanz
94
In Sachen …/… (Kurzrubrum) zeige ich an, dass ich den … (Beklagten/Kläger) gegenüber der Berufung des … (Klägers/Beklagten) vertrete. Kosten: s. Anm. zu M 66.30.
Die Vertretungsanzeige löst die Gebühr der Nr. 3201 VV RVG aus und ist erstattungsfähig (vgl. BGH NJW 2003, 756; 2003, 2992; MDR 2007, 1397). Hat der Berufungskläger die Berufung begründet, stellt der Berufungsbeklagte den Antrag M 66.30, der die Gebühr der Nr. 3200 VV RVG (auch ohne sachliche Begründung) auslöst (BGH MDR 2009, 233).
Kapitel 67 Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung I. Antrag auf Fristverlängerung . . . . . . . . . . 1. Erster Verlängerungsantrag . . . . . . . . . . . . M 67.1 Erster Fristverlängerungsantrag . . . M 67.2 Erster Verlängerungsantrag (vor Einsicht in die Gerichtsakten) . . . . 2. Weitere Verlängerungsanträge . . . . . . . . . . M 67.3 Zweiter Verlängerungsantrag . . . . . M 67.4 Zweiter Verlängerungsantrag (Vergleichsverhandlungen) . . . . . . . 3. Nach erfolgtem Prozesskostenhilfegesuch . . 4. Verlängerung der Frist zur Beantwortung der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 21 24 28 29 31 32
M 67.5 Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbeantwortung . . . II. Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.6 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung ohne Sicherheitsleistung . M 67.7 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Sicherheitsleistung . . M 67.8 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Abwendungsbefugnis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . .
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ZPO
IV. Berufungsgegenantrag Kläger/Beklagter
ZPO
Kap. 67 Rz. 1
III.
IV.
1.
2.
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.9 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Abwendungsbefugnis des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . M 67.10 Antrag auf Entscheidung zur Vollstreckbarkeit nach § 712 ZPO . . . . M 67.11 Antrag auf Abänderung der Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . M 67.12 Antrag auf Herabsetzung der Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.13 Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . M 67.14 Antrag auf einstweilige Einstellung und Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln (Kontenpfändung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anträge zur Vollstreckbarkeit bei eingeschränktem Berufungsantrag des Beklagten und bei Berufung des teilweise obsiegenden Klägers (§ 537 ZPO) . . . . . . . . . . . Antrag des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.15 Antrag auf unbedingte Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenreaktion des Beklagten . . . . . . . . . . . a) Erfüllungseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.16 Erfüllungseinwand bei Antrag nach § 537 ZPO . . . . . . . . . . . b) Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . M 67.17 Antrag auf Zurückweisung des Antrags nach § 537 ZPO . . . . . c) Zurückstellung der Entscheidung wegen Prozesskostenhilfeantrags für Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.18 Berufungsbegründung mit Antrag auf Prozesskostenhilfe für Berufung und Berufungserweiterung und Zurückstellung der Entscheidung nach § 537 ZPO .
44 46 49 52 53 55
58
60 60 62 66 67 68 70 71 72
V. Berufungsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In vollem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.19 Rücknahme der Berufung . . . . . . 2. Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Durch oder gegenüber einem Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.20 Rücknahme der Berufung gegenüber einem von mehreren Berufungsbeklagten . . . . . . . . b) In Höhe eines Teils der Klageforderung . M 67.21 Teilweise Berufungsrücknahme des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . M 67.22 Teilweise Berufungsrücknahme des Beklagten . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenreaktion des Berufungsbeklagten . . . a) Kostenantrag (§ 516 Abs. 3 ZPO) . . . . . M 67.23 „Kostenantrag“ des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilrechtskraftzeugnis . . . . . . . . . . . . . . M 67.24 Rechtskraftzeugnis bei Berufungsrücknahme durch einfachen Streitgenossen . . . . . . . VI. Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Echte und unechte Berufungserweiterung . a) Nach Vorbehalt der Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.25 „Unechte“ Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klageerweiterung und Klageänderung . . 2. Echte verbunden mit unechter Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 67.26 „Echte“ und „unechte“ Berufungserweiterung . . . . . . . . . . . . .
75 75 77 79 79 80 84 85 86 87 87 87 90 93 94 94 94 96 97 102 103
73
I. Antrag auf Fristverlängerung 1. Erster Verlängerungsantrag
1 Die Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten erstinstanzlichen Urteils kann (im Sinne von „ist“; vgl. BGH NJW 2004, 1460 Rz. 10) nach § 520 Abs. 2 Satz 2 auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Für die Form der Einwilligung enthält das Gesetz keine Vorschrift, üblicherweise reicht die anwaltliche Versicherung, dass der Gegner eingewilligt habe, aus. Da die erfolgte Verlängerung auch dann wirksam ist, wenn der Antragsteller aufgrund Missverständnisses von einer Einwilligung ausgegangen ist (BGH NJW 2004, 1460), sollte die schriftliche Bestätigung der Einwilligung vom Gegner stets erbeten werden, da nicht auszuschließen ist, dass der Vorsitzende jene Bestätigung nachfordert. Bei einer Verlängerungsverfügung unter der Bedingung der erfolgten Einwilligung ist lediglich die Bedingung unwirksam (BGH NJW-RR 2017, 1145 Rz. 8).
2 Ohne Einwilligung kann die Frist durch den Vorsitzenden um bis zu einen Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht 1124
Vorwerk
Rz. 13 Kap. 67
verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt (§ 520 Abs. 2 ZPO); jede weitere Verlängerung bedarf der Einwilligung des Gegners. Voraussetzung für jede Verlängerung der Frist ist ein Antrag des Berufungsklägers, der bestimmender Schriftsatz ist, also von dem Prozessbevollmächtigten unterschrieben sein muss, telefonische Anträge reichen nicht aus. Der Antrag muss vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen sein, Eingang unmittelbar vor Fristablauf, also auch am letzten Tag, reicht aus. Der Vorsitzende muss gegebenenfalls auch nach Fristablauf über den Antrag entscheiden. Der Fristverlängerungsantrag ist substantiiert zu begründen, weil nicht voraussehbar ist, ob nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird, und daher die anzuführenden erheblichen Gründe die Fristverlängerung rechtfertigen (vgl. BGH NJW 1992, 2426); Standardformeln sind zu vermeiden! Es erstaunt immer wieder, welche Hingabe Vorsitzende vereinzelt darauf verwenden, die Plausibilität der Verlängerungsgründe zu beanstanden.
3
K
4
Wichtig: Auch eine ohne Antrag erfolgte Verlängerung oder eine Verlängerung auf nur mündliche Bitte ist wirksam (BGH NJW 2004, 1460 Rz. 7).
Erhebliche Gründe für die Verlängerung können sein:
5
– Notwendigkeit einer Rücksprache zwischen Anwalt und Mandant nach Eingang der Gerichtsakte beim Anwalt (BGH VersR 1993, 500; NJW 2010, 1610).
6
K
Praxistipp: Nach abgelehnter Fristverlängerung hatten Anträge auf Wiedereinsetzung in die 7 Frist zur Berufungsbegründung Erfolg, wenn in den Fristverlängerungsanträgen dargelegt war, dass der Prozessbevollmächtigte den erforderlichen Besprechungstermin innerhalb der ersten Frist wegen eines Fortbildungslehrganges nicht mehr hat wahrnehmen können (BGH NJW 1994, 2957); ferner: Dass sich erst aus den Gerichtsakten die Notwendigkeit der Rücksprache ergeben habe (BGH NJW 1991, 1359). Es empfiehlt sich demnach auszuführen, warum sich die Notwendigkeit der Besprechung erst bei der Bearbeitung der Sache ergeben hat und der Besprechungstermin nicht mehr rechtzeitig vor Fristablauf hat durchgeführt werden können. Ist mit der Bearbeitung der Sache erst kurz vor Fristablauf begonnen worden, sollten die Gründe dafür (vgl. Rz. 8 f.) ebenfalls dargelegt werden. Erfolgt die Informationsbeschaffung über den Korrespondenzanwalt, kann dessen Verhinderung ebenfalls ein Verlängerungsgrund sein (BGH BGHR Fristverlängerung 16 zu § 233 ZPO).
– Arbeitsüberlastung
8
K
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Praxistipp: Die berufliche Überlastung ist zwar nicht unbedingt im Einzelnen darzulegen (BGH NJW 2017, 2041; BVerfG NJW 2007, 3342) und auch nicht zu substantiieren, warum sich die Überlastung auf die Bearbeitung der konkreten Sache ausgewirkt hat. Es empfiehlt sich jedoch jedenfalls eine stichpunktartige Begründung, weil nur die unvorhersehbare Arbeitsüberlastung einen erheblichen Grund iS des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darstellt (vgl. BGH NJW 1996, 997). Begründet der Prozessbevollmächtigte seine Verlängerungsanträge regelmäßig mit bestehender Arbeitsüberlastung, ist mit einer Fristverlängerung nicht mehr zu rechnen (vgl. auch BGH VersR 1971, 512).
– besondere Schwierigkeiten des Rechtsstreits
10
K
11
Praxistipp: Es empfiehlt sich, auch insoweit darzulegen, warum die Schwierigkeit der Sache erst während der Bearbeitung entdeckt worden ist, und welche konkreten Probleme die Sache gegenüber anderen in ihrem Schwierigkeitsgrad auszeichnet.
12
– Erkrankung des Prozessbevollmächtigten
K
Praxistipp: Bei Erkrankung muss der Prozessbevollmächtigte für eine ordnungsgemäße Vertre- 13 tung durch Organisationsanweisung Sorge tragen (BGH NJW-RR 2014, 701). Es muss also Vorwerk
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ZPO
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Kap. 67 Rz. 14
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
ZPO
auch dargelegt werden, warum der Vertreter die Sache nicht hat bearbeiten können. Plötzliche Erkrankungen, die nur ein oder zwei Wochen andauern, führen in der Regel jedoch zur Arbeitsüberlastung. Es sollte daher in der Begründung abgewogen werden, welcher Schwerpunkt in der Darlegung der Begründung gelegt wird; wenn dargelegt wird, dass der Vertrauensverlust in den vorherigen Prozessbevollmächtigten nicht vom Mandanten verschuldet ist, sollte dieser Grund für die Verlängerung ausreichen.
14 – Jahresurlaub des Prozessbevollmächtigten oder des Mandanten 15 K
Praxistipp: Der Verlängerungsgrund hat sich in der Praxis zwar als gängige Begründung ergeben. Ob er bei strenger Auslegung einen Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darstellt, erscheint jedoch zweifelhaft. Es sollte daher stets so rechtzeitig vor dem Urlaub der Antrag gestellt werden, dass die Sache notfalls noch bearbeitet werden kann; oder: Vorher beim Vorsitzenden telefonisch nachfragen, ob der Verlängerung mit dieser Begründung stattgegeben wird.
16 – Mandatswechsel kurz vor Fristablauf 17 – mögliche Erledigung des Rechtsstreites vor Berufungsbegründung, nämlich – bei schwebenden Vergleichsverhandlungen (BGH NJW-RR 1998, 573), – bei vorrangiger Klärung der Rechtzeitigkeit der Berufung (schwebendes Beschwerdeverfahren, schwebendes Wiedereinsetzungsverfahren).
18 K
Wichtig: Bei schwebendem Prozesskostenhilfeverfahren muss der Antrag auf Verlängerung gestellt werden, wenn die Durchführung der Berufung von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werden soll (BGH NJW-RR 1999, 212; VersR 1993, 1125). Es ist deshalb bei laufendem Prozesskostenhilfeantrag stets um Zustimmung des Gegners nachzusuchen. Lehnt der Gegner die Einwilligung in die Fristverlängerung nach erstmaliger Verlängerung ab, ist dies dem Gericht bei laufendem Prozesskostenhilfegesuch für die Berufungsbegründung mitzuteilen. Nach erfolgter Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ist – wenn die Berufung eingelegt ist und nunmehr nur noch zu begründen ist – innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu stellen und die Berufung zu begründen (§ 236 Abs. 2 ZPO). Ob die Regelung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO verfassungsrechtlicher Nachprüfung standhalten wird, ist zweifelhaft (Schultz NJW 2004, 2334). Einen Ausgleich hat der Bundesgerichtshof (BGH NJW 2014, 2442 im Anschluss an BGHZ 173, 14, 23) allerdings dadurch geschaffen, dass er die grundsätzlich nicht verlängerbare Frist für das die Begründungsfrist betreffende Wiedereinsetzungsgesuch erst mit der Mitteilung der Entscheidung über das Gesuch auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist (also nicht schon mit der Zustellung der Entscheidung über das PKH-Gesuch) beginnen lässt.
19 Eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung gebietet, dass einem ersten Verlängerungsantrag, wenn erhebliche Gründe dargelegt werden, stattgegeben werden muss, wobei dies auch bei ansonsten restriktiverer Bewilligungspraxis des betreffenden Vorsitzenden gilt (vgl. BGH NJW 2017, 2041 Rz. 13; NJW 2010, 1610; NJW 2001, 3552).
20 Die erheblichen Gründe dürfen dennoch nicht formularmäßig vorgetragen werden, auch wenn es der Praxis am jeweiligen Berufungsgericht entsprechen sollte, dass die erste Verlängerung in Anspruch genommen wird.
1126
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Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 27 Kap. 67
M 67.1 Erster Fristverlängerungsantrag
21
Es wird beantragt, die am … ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Es ist noch eine Rücksprache erforderlich, die wegen mehrfacher beruflich bedingter Ortsabwesenheit bedingt durch die Wahrnehmung von Terminen an anderen Landgerichten des Unterzeichnenden noch nicht durchgeführt werden konnte. Jene Besprechung ist erst in etwa zwei Wochen möglich, weil …. Die Notwendigkeit der Besprechung hat sich erst bei Bearbeitung der Sache in den vergangenen Wochen ergeben.
K
Praxistipp: Man sollte sich nicht scheuen, auch das eigene persönliche Leben betreffenden Gründe anzugeben, die die Bearbeitung der Sache verzögert haben (Erkrankung des Kindes, dadurch vermehrte Betreuung erforderlich; Wasserschaden im eigenen Haus pp.).
22
Sind die Gerichtsakten beim Berufungsgericht noch nicht eingegangen und steht der Fristablauf in Kürze bevor, kann auch beantragt werden:
23
M 67.2 Erster Verlängerungsantrag (vor Einsicht in die Gerichtsakten)
24
… die am … ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Zur Bearbeitung ist die Einsichtnahme in die Gerichtsakte, die uns bisher noch nicht zur Verfügung gestellt werden konnte, notwendig. Alsdann wird voraussichtlich noch eine Rücksprache mit … (Kläger, Beklagtem) unserer Partei erforderlich sein. Ich bin deshalb auf die begehrte Frist von einem Monat selbst dann angewiesen, wenn die Gerichtsakten mir sogleich ausgehändigt werden.
K
Wichtig: Verlängert der Vorsitzende die Frist um einen kürzeren Zeitraum als beantragt, ist darin eine Teilablehnung des Antrages zu sehen (BGH NJW 2015, 1966); geht die Verlängerungsverfügung nicht rechtzeitig vor Ablauf der begehrten weiteren Frist ein, muss die selbst begehrte Frist zwingend eingehalten werden (BGH NJW-RR 2009, 1583; NJW 1996, 1350; NJW 1994, 55). Ist die Berufungsbegründungsfrist versäumt und wird Wiedereinsetzung beantragt, ersetzt der Fristverlängerungsantrag die versäumte Begründung der Berufung nicht; die Berufung muss in der Wiedereinsetzungsfrist begründet werden (BGH AnwBl. 2007, 388; VersR 2006, 1706).
25
Nach Eingang der Verlängerungsverfügung ist sorgfältig zu prüfen, auf welchen Tag die Frist verlän- 26 gert worden ist; eine telefonische Vorabmitteilung der Geschäftsstelle über den Zeitpunkt des Fristablaufs genießt Vertrauen (vgl. dazu BGH NJW 1996, 1682) nur bis zum Eingang der schriftlichen Verfügung über den Zeitpunkt des verlängerten Fristablaufs (vgl. BGH NJW 1997, 1860); die Eintragung der vorab notierten neuen Frist ist deshalb nach Eingang der schriftlichen Verfügung neu zu überprüfen. Die – erfolgte – Verlängerung einer schon abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist ist nicht wirksam (BGH NJW-RR 2017, 577; BGHZ 116, 377); leidet die Verfügung an anderen Fehlern, hat dies auf die Wirksamkeit keinen Einfluss (BGH NJW 2004, 1460 Rz. 7; NJW 2017, 2273 Rz. 15).
K
Praxistipp: Wegen der Sorgfaltspflichten des Anwalts bei per Telefax gestelltem Verlängerungsantrag vgl. BGH NJW-RR 1998, 932; NJW 1998, 1361.
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1127
27
ZPO
M 67.2
Kap. 67 Rz. 28
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.3
ZPO
2. Weitere Verlängerungsanträge
28 Nach der ersten Verlängerung ist nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Einwilligung des Gegners zwingend erforderlich (s. auch BGH NJW 2004, 1742). Alsdann wird beantragt:
29 M 67.3 Zweiter Verlängerungsantrag … die am … ablaufende verlängerte Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Monat zu verlängern. Die in dieser Sache erforderliche Rücksprache konnte wegen einer plötzlich aufgetretenen längeren, schweren Nierenkolik des Klägers bisher nicht durchgeführt werden. Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten, Herr Rechtsanwalt … hat sich mit der beantragten Fristverlängerung einverstanden erklärt, was ich hiermit anwaltlich versichere.
30 Begründung für den zweiten Verlängerungsantrag können zB auch schwebende Vergleichsverhandlungen sein; der Antrag lautet dann:
31 M 67.4 Zweiter Verlängerungsantrag (Vergleichsverhandlungen) … die am … ablaufende verlängerte Berufungsbegründungsfrist wegen schwebender Vergleichsverhandlungen nochmals um einen Monat zu verlängern. Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten, Rechtsanwalt …, hat sich mit der beantragten Fristverlängerung einverstanden erklärt, was ich hiermit anwaltlich versichere.
3. Nach erfolgtem Prozesskostenhilfegesuch
32 Bei schwebendem Prozesskostenhilfegesuch wird der Gegner beim zweiten Antrag auf Verlängerung möglicherweise nicht zustimmen. Es ist alsdann so zu verfahren, wie unter Rz. 20 dargestellt. 4. Verlängerung der Frist zur Beantwortung der Berufung
33 Für die Frist zur Berufungsbeantwortung und etwaige anschließende Fristen für den Berufungskläger gilt § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Frist beträgt jetzt mindestens zwei Wochen (§ 521 Abs. 2 Satz 2 iVm. § 277 Abs. 3 ZPO). Ist vom Vorsitzenden eine Frist gesetzt worden, kann sie nach § 224 Abs. 2 ZPO verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht werden. Die Gründe für die Verlängerung der Fristen entsprechen in etwa den Gründen für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 224 Abs. 2 ZPO), wobei die in § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO genannte Verzögerung des Rechtsstreits in der Praxis der Verzögerung bei der Vorbereitung des Verhandlungstermins entspricht.
34 Im Antrag auf Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist kann auch auf den Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ hingewiesen werden. Wenn der Berufungskläger für die Bearbeitung der Sache drei Monate zur Verfügung gehabt hat, werden dem Berufungsbeklagten idR zwei Monate zur Verfügung gestellt werden müssen, wenn insoweit Gründe für die Inanspruchnahme dieser Frist dargelegt werden können. Das gilt insbesondere, wenn die Berufungsbegründung zulässigen (§§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 531 Abs. 2, 530 ZPO) neuen Vortrag enthält. Der Antrag selbst lautet:
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Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 39 Kap. 67
M 67.5 Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbeantwortung
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… die am … ablaufende Frist für die Berufungsbeantwortung um einen Monat zu verlängern. Die in dieser Sache erforderliche Rücksprache konnte bisher nicht durchgeführt werden, da zwei vorrangige Fristsachen bearbeitet werden mussten. Zur Bearbeitung der umfangreichen Bausache stand dem Berufungskläger seit Erlass des erstinstanzlichen Urteils bis zur Berufungsbegründung ein Zeitraum von drei Monaten zur Verfügung, der Beklagte benötigt ebenfalls einen längeren Zeitraum als einen Monat für die Bearbeitung der Sache. Er muss zum neuen Vortrag des Klägers, der auf S. … bis S. … der Berufungsbegründung dargelegt ist, umfangreich recherchieren werden, wobei Unterlagen aufgearbeitet werden müssen, die lange ausgeschiedene Mitarbeiter des Berufungsbeklagten erstellt haben.
K
Wichtig: Da die Anschlussberufung des § 524 Abs. 2 ZPO bis zum Ablauf der für die Beru- 36 fungsantwort gesetzten Frist zulässig ist, muss eine Verlängerung der Berufungsantwortfrist stets beantragt werden, wenn die gesetzte Frist nicht eingehalten werden kann. Häufig stellt sich erst bei erneuter Bearbeitung der Sache unter Berücksichtigung der gegnerischen Berufungsbegründung heraus, ob eine Anschlussberufung erfolgreich sein kann.
II. Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit Das erstinstanzliche Gericht entscheidet nach §§ 708 ff. ZPO über die Art der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Nach § 718 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht auf Antrag über diesen Teil der erstinstanzlichen Entscheidung vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Das betrifft sowohl die Fälle der fehlerhaften Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wie die Fälle, in denen durch die spätere Entwicklung die ursprüngliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit überholt ist und der neuen Situation angepasst werden soll. Hat das erstinstanzliche Gericht sein Urteil gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt, meint der Kläger aber, dass einer der Fälle des § 708 ZPO, also Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, vorliegt, beantragt er:
37
M 67.6 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung ohne Sicherheitsleistung
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1. die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit abzuändern und das erstinstanzliche Urteil ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und 2. über diesen Antrag vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
Hat das erstinstanzliche Gericht das Urteil ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt, meint der Beklagte aber, dass andere Voraussetzungen des § 708 ZPO nicht vorliegen, so dass nach § 709 ZPO Sicherheitsleistung hätte angeordnet werden müssen, beantragt er:
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ZPO
M 67.6
ZPO
Kap. 67 Rz. 40
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.7
40 M 67.7 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Sicherheitsleistung … die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit zu ändern und das angefochtene Urteil nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären sowie über diesen Antrag vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
41 Hat das Gericht in den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 ZPO es unterlassen, nach § 711 ZPO anzuordnen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegen abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet, kann der Schuldner (Beklagter) nach § 718 ZPO beantragen:
42 M 67.8 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Abwendungsbefugnis des
Schuldners … die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit abzuändern und anzuordnen, dass der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
43 Hat das erstinstanzliche Gericht es unterlassen, dem Gläubiger (Kläger) die Möglichkeit zu geben, gem. § 711 die Sicherheitsleistung des Schuldners seinerseits durch Sicherheitsleistung abzuwenden, beantragt der Kläger:
44 M 67.9 Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung mit Abwendungsbefugnis des
Gläubigers … unter teilweiser Abänderung der Entscheidung zur Vollstreckbarkeit anzuordnen, dass der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
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Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 51 Kap. 67
Hat das erstinstanzliche Gericht dem Antrag des Beklagten nach § 712 ZPO, die Zwangsvollstre- 45 ckung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers abzuwenden, nicht entsprochen, beantragt der Beklagte:
M 67.10 Antrag auf Entscheidung zur Vollstreckbarkeit nach § 712 ZPO
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… unter teilweiser Abänderung die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit im angefochtenen Urteil aufzuheben, hilfsweise dem Beklagten nachzulassen, ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Klägers die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
K
Wichtig: Ist in der Berufungsinstanz kein Antrag nach § 712 ZPO gestellt worden, ist der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 719 ZPO in der dritten Instanz (Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision) in der Regel unzulässig (BGH GuT-W 2013, 108; MDR 2013, 924).
47
Ist die Sicherheitsleistung erstinstanzlich zu hoch oder zu niedrig festgesetzt worden, beantragt der Kläger bei zu hoher Sicherheitsleistung (oder zu niedriger Sicherheitsleistung für die Abwendungsbefugnis) und der Beklagte bei zu niedriger Sicherheitsleistung (oder zu hoher Festsetzung für die Abwendung der Vollstreckbarkeit):
48
M 67.11 Antrag auf Abänderung der Sicherheitsleistung
49
… die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit teilweise abzuändern und die im angefochtenen Urteil auf … Euro festgesetzte Sicherheitsleistung auf … Euro festzusetzen und über diesen Antrag vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
Ein gleich lautender Antrag ist auch dann zu stellen, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung während der Berufungsinstanz zu ändern ist, was etwa der Fall sein kann, wenn sich der Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise erledigt hat, oder, wenn der Teil der ausgeurteilten Leistung, hinsichtlich der die Berufung nicht durchgeführt worden ist, erfüllt worden ist.
50
Beispiel: Wird im Mietprozess der Mieter in erster Instanz zur Räumung und zur Zahlung rückständiger Miete verurteilt, legt er Berufung ein und begründet diese in vollem Umfang, räumt er dann aber freiwillig, hat sich die Räumung in der Hauptsache erledigt, so dass in der Berufungsinstanz alsdann nur noch über die Miete gestritten wird.
51
Vorwerk
1131
ZPO
M 67.11
Kap. 67 Rz. 52
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.12
ZPO
Der Kläger beantragt dann:
52 M 67.12 Antrag auf Herabsetzung der Sicherheitsleistung … die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit im angefochtenen Urteil zu ändern und die auf … Euro festgesetzte Sicherheit auf den Betrag von … Euro herabzusetzen sowie darüber vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG).
III. Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung 53 Gemäß §§ 719, 707 ZPO kann das Berufungsgericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen gegen oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt wird, nur gegen Sicherheitsleistung stattfindet oder dass erfolgte Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben sind. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Diese Entscheidung ergeht durch Beschluss.
54 Die Einstellung ist Ermessensentscheidung des Gerichtes. Nach Anhörung des Gegners wird dabei Folgendes berücksichtigt: – Die sachliche Erfolgsaussicht der Berufung darf nicht fehlen. – Die Einstellung der Zwangsvollstreckung darf nicht lediglich der Verzögerung der Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil dienen. Um zu vermeiden, dass der Berufungskläger durch einen eingeschränkten Berufungsantrag kostengünstig ein längeres Berufungsverfahren auslöst, in dieser Zeit aber im vollen Umfange die Zwangsvollstreckung eingestellt wird, wird regelmäßig vor dem Einstellungsbeschluss die Festlegung des Berufungsantrages im Rahmen der Begründung der Berufung verlangt; zumal auch die Erfolgsaussicht der Berufung beurteilt werden kann (BGH Grundeigentum 2017, 1019 Rz. 14; WuM 2017, 293 Rz. 2; OLG Karlsruhe GRUR 2012, 736, 738). Wird nur eingeschränkt Berufung eingelegt, besteht demnach nur in diesem Umfang ein Rechtsschutzbedürfnis für die Einstellung der Zwangsvollstreckung. – Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Einstellungsantrag besteht erst bei zumindest drohender Zwangsvollstreckung (BGH NJW 1961, 1468). Die Aufforderung des obsiegenden Klägers, den Urteilsbetrag binnen einer bestimmten Frist zu zahlen, reicht in der Regel aus. Es soll vermieden werden, dass der Einstellungsantrag erst gestellt wird, wenn der Gerichtsvollzieher bereits mit der Vollstreckung beginnt.
55 M 67.13 Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung … die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil (ggf. bei eingeschränkter Berufung: … im Umfang des gekündigten Berufungsantrags gegen – der Höhe nach im Einstellungsbeschluss anzuordnende – Sicherheitsleistung vorläufig einzustellen. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
1132
Vorwerk
M 67.14
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 61 Kap. 67
56
Hat der Gläubiger bereits gepfändet, ist es erforderlich, zu beantragen, dass ergangene Vollstreckungsmaßregeln aufgehoben werden. Von Bedeutung ist dies für den Fall der Kontenpfändung, weil die Kontenpfändung dem Schuldner jegliche wirtschaftliche Bewegungsfähigkeit raubt. In diesen Fällen wird beantragt:
57
M 67.14 Antrag auf einstweilige Einstellung und Aufhebung von
58
ZPO
Eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung setzt voraus, dass der Schuldner glaubhaft macht, dass er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ 707 ZPO). Diese Voraussetzungen sind, insbesondere unter Berücksichtigung der Interessen des Gläubigers, kaum glaubhaft zu machen. Zwar ist der Schuldner häufig zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage und kann das auch durch Bescheinigung seiner Bank glaubhaft machen, dann besteht aber in aller Regel Anlass für den Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen und fortzusetzen, weil die Gefahr besteht, dass noch etwa vorhandene letzte Vermögensgegenstände vom Schuldner auf die Seite gebracht werden. Ein nicht zu ersetzender Nachteil iS des § 707 ZPO ist denkbar, wenn dem Schuldner die Insolvenz droht oder die Fortsetzung der Vollstreckung die berufliche Grundlage raubt; für diese Fälle ist aber die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels streng zu prüfen.
Vollstreckungsmaßregeln (Kontenpfändung) … die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil gegen Sicherheitsleistung vorläufig einzustellen und die durch Beschluss des Amtsgerichts … erfolgte Pfändung der Konten der Beklagten bei der Deutschen Bank in Dortmund Konto-Nr. … aufzuheben. Kosten: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); die Tätigkeit des Anwalts gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
In anderen Fällen reicht in der Regel die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Aufhebung ergangener Vollstreckungsmaßregeln. Es muss beim Antrag auf Aufhebung der Maßregel mithin besonders sorgfältig auf die Darlegung des dem Beklagten drohenden Nachteils Wert gelegt werden.
59
IV. Anträge zur Vollstreckbarkeit bei eingeschränktem Berufungsantrag des Beklagten und bei Berufung des teilweise obsiegenden Klägers (§ 537 ZPO) 1. Antrag des Klägers Gemäß § 537 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird ein nicht oder nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig voll- 60 streckbares Urteil auf Antrag von dem Berufungsgericht durch Beschluss für vorläufig vollstreckbar erklärt, soweit es durch die Berufungsanträge nicht angefochten wird. Beispiel: Der zur Zahlung von 50.000 Euro verurteilte Beklagte greift mit seinem Berufungsantrag das Urteil nur iHv. 30.000 Euro an. Zunächst bleibt das Urteil für den Kläger insgesamt nur gegen die im Urteil erster Instanz angeordnete Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. § 537 ZPO gibt dem Kläger nunmehr die Möglichkeit, hinsichtlich der nicht angegriffenen 20.000 Euro eine Vollstreckungsmöglichkeit ohne Sicherheitsleistung zu erhalten.
Vorwerk
1133
61
Kap. 67 Rz. 62
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.15
ZPO
Deshalb beantragt der Kläger:
62 M 67.15 Antrag auf unbedingte Vollstreckbarerklärung … das erstinstanzliche Urteil in Höhe des nicht angefochtenen Teilbetrages von 20.000 Euro nebst darauf ausgeurteilter Zinsen für unbedingt vorläufig vollstreckbar zu erklären und die Kosten des Verfahrens nach § 537 ZPO dem Beklagten aufzuerlegen. Kosten: Gericht: Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 1 GKG); Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3329 VV RVG; das Verfahren gehört jedoch zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG); wegen des verschiedenen Gegenstands ist § 15 Abs. 3 RVG anzuwenden.
63 Über den Antrag gem. § 537 ZPO entscheidet das Gericht durch Beschluss, also ohne mündliche Verhandlung. Über die Kosten muss das Gericht zwar von Amts wegen entscheiden, der Hinweis auf die notwendige Kostenentscheidung ist aber sinnvoll, weil häufig nicht beachtet wird, dass durch den Antrag für den Anwalt gesonderte Gebühren entstehen können (0,5-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3329 VV RVG; vgl. zu den Voraussetzungen der Entstehung Kap. 43 Rz. 378 ff. sowie Gerold/ Schmidt/Müller-Rabe § 19 RVG Rz. 104), die unabhängig vom Erfolg des übrigen Rechtsmittels der Antragsgegner zu tragen hat.
64 Den Antrag nach § 537 ZPO kann nicht nur der Berufungsbeklagte stellen, sondern auch der Berufungskläger, der bei teilweisem Unterliegen in erster Instanz eine Erweiterung der Verurteilung im Berufungsverfahren anstrebt. Hat der Kläger 50.000 Euro eingeklagt, aber nur iHv. 20.000 Euro obsiegt und verfolgt er mit der Berufung seinen Anspruch in Höhe der weiteren 30.000 Euro weiter, so ist das landgerichtliche Urteil in Höhe der zugesprochenen 20.000 Euro – solange der Beklagte nicht Anschlussberufung eingelegt hat – durch die Berufungsanträge nicht angefochten. Der Kläger kann daher ebenfalls den oben genannten Antrag (M 67.15) stellen (OLG Hamm NJW-RR 1990, 1470).
65 Der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ggf. auch der Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 ZPO) ist abzuwarten (§ 537 Abs. 1 ZPO). 2. Gegenreaktion des Beklagten
66 Gegenüber dem Antrag aus § 537 ZPO kann der Beklagte wie folgt reagieren: a) Erfüllungseinwand
67 Er zahlt sofort oder hat gezahlt und beantragt unter Nachweis der Zahlung: 68 M 67.16 Erfüllungseinwand bei Antrag nach § 537 ZPO … den Antrag nach § 537 ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen. Kosten: Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3329 VV RVG; das Verfahren gehört jedoch zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG); wegen des verschiedenen Gegenstands ist § 15 Abs. 3 RVG anzuwenden.
69 Der Kläger muss dann den Antrag für erledigt erklären, das Gericht über die Kosten entscheiden. Wem die Kosten auferlegt werden hängt davon ab, ob vor oder nach dem Antrag aus § 537 ZPO vom Beklagten gezahlt worden ist.
1134
Vorwerk
M 67.18
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 73 Kap. 67
Der Beklagte erweitert seine Berufung auf den vollen Betrag oder schließt sich, falls bisher nur der Kläger Berufung eingelegt hat, der Berufung des Klägers an. Unter Hinweis auf diesen Sachantrag beantragt er wiederum:
70
M 67.17 Antrag auf Zurückweisung des Antrags nach § 537 ZPO
71
… den Antrag nach § 537 ZPO zurückzuweisen. Kosten: Anwalt: 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3329 VV RVG; das Verfahren gehört jedoch zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG); wegen des verschiedenen Gegenstands ist § 15 Abs. 3 RVG anzuwenden.
c) Zurückstellung der Entscheidung wegen Prozesskostenhilfeantrags für Berufungserweiterung Falls der Beklagte mit Rücksicht auf den laufenden Prozesskostenhilfeantrag bisher nur einen beschränkten Berufungsantrag gestellt hat, muss er versuchen, das Gericht zu einer Entscheidung über den Prozesshilfeantrag vor der Entscheidung über den Antrag nach § 537 ZPO zu veranlassen. Er sollte die Berufungsbegründung daher mit folgenden Anträgen und der nachfolgenden Begründung vorlegen.
72
M 67.18 Berufungsbegründung mit Antrag auf Prozesskostenhilfe für Berufung
73
und Berufungserweiterung und Zurückstellung der Entscheidung nach § 537 ZPO Oberlandesgericht … Berufungsbegründung und Prozesskostenhilfeantrag In Sachen … – Beklagte und Berufungskläger – Prozessbevollmächtigte: RAe … gegen … – Klägerin und Berufungsbeklagte – Prozessbevollmächtigte RAe … beantrage ich das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin mehr als … Euro nebst darauf entfallender Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus beantrage ich, dem Beklagten unter meiner Beiordnung als Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren sowie für eine Berufungserweiterung zu bewilligen. Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Berufungserweiterung soll diese mit dem Antrag durchgeführt werden, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Vorwerk
1135
ZPO
b) Berufungserweiterung
Kap. 67 Rz. 73
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.18
Darüber hinaus bitte ich darum,
ZPO
über einen Antrag nach § 537 ZPO nicht vor Entscheidung über die begehrte Prozesskostenhilfe für die Berufungserweiterung zu befinden und mir nach Zustellung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe noch eine zehntägige Frist zu gewähren, bevor über den Antrag nach § 537 ZPO befunden wird. Zur Begründung der angekündigten Anträge führe ich an: Das Urteil des Landgerichts ist falsch. Auf die Berufung ist es zu ändern. Ich trage den Inhalt des angefochtenen Urteils vor, beziehe mich auf den Vortrag des Beklagten im ersten Rechtszuge, behalte mir die Erweiterung der Berufung in jedem Falle vor und bemerke weiter: I. Der Beklagte ist prozesskostenhilfebedürftig. Ein von ihm ausgefülltes Prozesskostenhilfeformular neuesten Datums füge ich bei. Darüber hinaus verweise ich auf das im ersten Rechtszuge eingereichte Prozesskostenhilfeformular, das sich im Prozesskostenhilfeheft findet und das vom … datiert. Da der Beklagte prozesskostenhilfebedürftig ist, habe ich aus anwaltlicher Vorsicht zunächst nur einen eingeschränkten Antrag angekündigt, um das Prozesskostenrisiko für den Beklagten zu minimieren. Darauf beruht denn auch der zudem gestellte Antrag, über einen Antrag nach § 537 ZPO nicht zu befinden, bevor nicht über die Prozesskostenhilfe für die Berufungserweiterung befunden ist. Hätte der Beklagte anstelle seiner Berufung zunächst einen Prozesskostenhilfeantrag für die Berufung eingereicht, hätte die Geschäftsstelle kein Rechtskraftattest erteilt. Der Beklagte wäre mithin in jenem Fall von der Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung der Klägerin „verschont“ worden, bis die Entscheidung des Senats über die Prozesskostenhilfebewilligung vorliegt. Eine arme Partei, die einen Anwalt findet, der bereit ist, Berufung einzulegen, ohne zuvor einen Vorschuss gezahlt zu bekommen, kann gegenüber der Partei, die „nur“ einen Prozesskostenhilfeantrag einreicht, nicht benachteiligt werden; zumal nur anhand der Gerichtsakten und der – im vorliegenden Fall auch noch erst kurz vor Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung vorliegenden – Beiakten eine verantwortliche Prüfung der Berufungsaussichten erfolgen kann. Deshalb rechtfertigt es sich auch, eine Entscheidung über einen Antrag nach § 537 ZPO zurückzustellen, bis über die Prozesskostenhilfe für die Berufungserweiterung entschieden ist. Um eine Frist von 10 Tagen nach Zustellung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe habe ich deshalb gebeten, weil dem Beklagten nach erfolgter Entscheidung des Senats über die Prozesskostenhilfe Zeit bleiben muss, seinen Berufungsantrag auf die Entscheidung des Senats einzustellen. In der Sache selbst gilt: II. … (Es folgen die Angriffe gegen das Urteil des Landgerichts, wobei, da die Berufung unbeschränkt begründet wird – die Berufungsbegründung ist insoweit zugleich Begründung des Prozesskostenhilfegesuches – alle Berufungsangriffe in diesem Schriftsatz erfolgen müssen [§ 520 Abs. 3 ZPO]). Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2); die Gebühren entstehen bis zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe aus dem unbedingt angefochtenen Teil des Streitgegenstands; soweit ausschließlich der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gestellt wird, erhält der Rechtsanwalt eine 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 3335 VV RVG; Gegenstandswert ist der Wert der Hauptsache, eine Wertaddition findet nicht statt (§ 23a RVG); wird die Prozesskostenhilfe bewilligt, bildet das Verfahren mit dem Berufungsverfahren dieselbe Angelegenheit (§ 16 Nr. 2 RVG); die Gebühr geht also in der Gebühr für das Berufungsverfahren auf.
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Vorwerk
K
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 79 Kap. 67
Wichtig: Eine Erweiterung der Berufung ist auch dann zulässig, wenn vorab dem Antrag nach § 537 ZPO stattgegeben worden ist, der Beklagte ist dann jedoch der Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil ausgesetzt.
74
ZPO
M 67.19
V. Berufungsrücknahme 1. In vollem Umfang Die Berufungsrücknahme ist gem. § 516 Abs. 1 ZPO bis zur Verkündung des Berufungsurteils zulässig, also auch nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und in jedem Falle ohne Einwilligung des Gegners. Die Verkündung des Berufungsurteils erfolgt gem. § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO (jedenfalls dann, wenn zumindest eine Partei erschienen ist) durch Verlesen der Urteilsformel. Ob die Berufungsrücknahme noch während des Verlesens der Urteilsformel möglich ist, lässt der Gesetzeswortlaut offen („bis zum Beginn der Verkündung“, Zöller/Heßler § 516 ZPO Rz. 2, oder „bis zur Beendigung der Verkündung“, BLAH § 516 ZPO Rz. 10).
75
Die nicht in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte Berufungsrücknahme muss gem. § 516 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegenüber dem Gericht in einem Schriftsatz wie folgt erklärt werden:
76
M 67.19 Rücknahme der Berufung
77
In Sachen …/… (Kurzrubrum) nehme ich die Berufung hiermit zurück. Kosten: Gericht: Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich je nach dem Zeitpunkt der Zurücknahme auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG) oder 2,0 (Nr. 1222 KV GKG).
Eine Begründung ist weder erforderlich, noch sinnvoll; es sei denn, dass die Rücknahme der Berufung Teil eines Vergleiches ist. In diesem Fall ist im Interesse des Mandanten auf die Regel des § 31 Abs. 4 GKG zu achten und die im Vergleich geregelte Kostenverteilung mitzuteilen. Die Berufungsrücknahme ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (BGHZ 20, 205; BGH NJW-RR 2008, 85). Ausnahmsweise ist dann ein Widerruf möglich, wenn sie auf einem für Gericht und Gegner offenkundigen Irrtum des Prozessbevollmächtigten über den Rücknahmewillen seiner Partei beruht (BGH VersR 1977, 574; VersR 1988, 527; NJW-RR 2008, 85; GRUR 2014, 911 Rz. 9).
78
2. Rücknahme a) Durch oder gegenüber einem Streitgenossen Bei einfacher Streitgenossenschaft hat die Rücknahme der Berufung durch einen Streitgenossen nur die Bedeutung, dass dieser Streitgenosse aus dem Rechtsstreit ausscheidet. Dieser Streitgenosse nimmt seine Berufung folglich so zurück, wie es das M 67.19 ausführt. Mit Rücknahme der Berufung ist das Urteil im Verhältnis zu diesem Streitgenossen rechtskräftig. Bei notwendiger Streitgenossenschaft beendet die Rücknahme der Berufung durch einen notwendigen Streitgenossen nicht das Berufungsverfahren, wenn andere am Verfahren weiter beteiligt sind. Der die Berufung zurücknehmende notwendige Streitgenosse ist am Rechtsstreit weiterhin beteiligt. Die Berufungsrücknahme gegenüber einem von mehreren Berufungsbeklagten muss eindeutig zu erkennen geben, dass es sich nur um eine teilweise Berufungsrücknahme, und zwar bezogen auf den genau zu bezeichnenden Beklagten, handelt. Der Schriftsatz lautet:
Vorwerk
1137
79
ZPO
Kap. 67 Rz. 80
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.20
80 M 67.20 Rücknahme der Berufung gegenüber einem von mehreren
Berufungsbeklagten In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird die Berufung gegen die Beklagte zu 2) unter Aufrechterhaltung der Berufung im Übrigen zurückgenommen. Kosten: Keine Auswirkung auf die Gerichtsgebühren, da nicht das gesamte Verfahren beendet wird (Nr. 1221, 1222 KV GKG).
81 K
Praxistipp: Da Schreibfehler auftreten können, empfiehlt sich, den Namen des Beklagten, gegen den die Berufung zurückgenommen wird, in den Schriftsatz aufzunehmen; mithin „… Beklagten zu 2) (Hermann Schulze) zurück“.
82 Mit der Berufungsrücknahme scheidet die Beklagte zu 2) aus dem Rechtsstreit bei einfacher Streitgenossenschaft aus, bei notwendiger Streitgenossenschaft muss gegenüber allen am Berufungsverfahren beteiligten Streitgenossen die Berufungsrücknahme erklärt werden.
83 Hat ein Streithelfer Berufung eingelegt, ist wie folgt zu unterscheiden: – Hat nur der Streithelfer die Berufung eingelegt, kann er die Berufung selbständig, ohne Mitwirkung der Hauptpartei, zurücknehmen. Unabhängig davon kann die Hauptpartei der Durchführung der Berufung durch den Streithelfer ausdrücklich widersprechen. Dieser Widerspruch macht die Berufung des Streithelfers unzulässig (vgl. BGH NJW 1993, 2944; MDR 2017, 844 Rz. 17). Die Hauptpartei muss sich in diesem Fall allerdings der Folgen, die ihr Widerspruch auslöst, vor Augen führen (§§ 74, 68 ZPO; vgl. auch Kap. 19). – Haben der Streithelfer und die Hauptpartei jeweils Berufung eingelegt, liegt ein einheitliches Rechtsmittel vor, über das nur einheitlich entschieden werden kann (vgl. BGH NJW 1993, 2944; NJW-RR 2006, 644). Die Rücknahme der Berufung durch die Hauptpartei ist für das einheitliche Rechtsmittel ohne Bedeutung. Die Hauptpartei steht dann nicht anders da, als hätte sie selbst keine Berufung eingelegt. In diesem Fall sollte die Hauptpartei allerdings vorsorglich erklären, sie wende sich nicht gegen die Durchführung der Berufung durch den Streithelfer. Das Berufungsverfahren wird in diesen Fall auf die Berufung des Streithelfers fortgeführt. b) In Höhe eines Teils der Klageforderung
84 Eine teilweise Berufungsrücknahme ist zulässig. Zu beachten ist jedoch, dass durch die Berufungsrücknahme nicht die Mindestbeschwer von mehr als 600 Euro (§ 511 ZPO) also 600,01 Euro, unterschritten wird, da die Berufung andernfalls unzulässig wird. Mit dem Rücknahmeschriftsatz muss der Umfang der Berufungsrücknahme eindeutig bezeichnet werden. Der Kläger formuliert wie folgt:
85 M 67.21 Teilweise Berufungsrücknahme des Klägers In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird die Berufung zurückgenommen, soweit Zahlung von mehr als … Euro nebst anteiligen Zinsen verlangt wird. Begründung: … (Es folgt die Darstellung, auf welchen Teil des Streitgegenstandes sich die Rücknahme erstreckt).
1138
Vorwerk
M 67.23
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 90 Kap. 67
Der Beklagte formuliert:
ZPO
… Kosten: Keine Auswirkung auf die Gerichtsgebühren, da nicht das gesamte Verfahren beendet wird (Nr. 1221, 1222 KV GKG).
M 67.22 Teilweise Berufungsrücknahme des Beklagten
86
In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird die Berufung teilweise zurückgenommen. Es wird nunmehr beantragt, das Urteil des Landgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als … Euro nebst anteiligen Zinsen verurteilt worden ist. Begründung: … (Es folgt die Darstellung, auf welchen Teil des Streitgegenstandes sich die Berufungsrücknahme bezieht). Kosten: Keine Auswirkung auf die Gerichtsgebühren, da nicht das gesamte Verfahren beendet wird (Nr. 1221, 1222 KV GKG).
3. Gegenreaktion des Berufungsbeklagten a) Kostenantrag (§ 516 Abs. 3 ZPO)
M 67.23 „Kostenantrag“ des Berufungsbeklagten
87
… den Berufungskläger seines Rechtsmittels für verlustig zu erklären und ihm die Kosten der Berufung aufzuerlegen.
Die Gegenreaktion des Berufungsbeklagten – Antrag auf Kosten- und Verlustigkeitsbeschluss – ist nicht erforderlich, das Gericht entscheidet gem. § 516 Abs. 3 Satz 2 ZPO von Amts wegen ohne Antrag.
88
§ 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass die Zurücknahme den Verlust des eingelegten Rechtsmittels zur Folge hat; auch diese Wirkung ist von Amts wegen durch Beschluss auszusprechen. Während der Rechtsmittelverzicht gem. § 515 ZPO zum Ausschluss des Rechtsmittels für die Zukunft führt, verliert der Rechtsmittelkläger bei der Berufungsrücknahme nur das eingelegte Rechtsmittel, dh., innerhalb der Berufungsfrist oder bei Gewährung von Wiedereinsetzung kann er erneut Berufung einlegen (BGHZ 45, 382; BGH NJW 1993, 269).
89
b) Teilrechtskraftzeugnis Ob durch teilweise Berufungsrücknahme Teilrechtskraft eintritt, ist zweifelhaft. Nach OLG Hamm NJW 1967, 2216 (ebenso Stein/Jonas/Althammer § 516 Rz. 18) hat die Teilrücknahme der Berufung zur Folge, dass im Rahmen der Teilrücknahme das angefochtene Urteil rechtskräftig wird. Demgegenüber wird auf die grundsätzliche Zulässigkeit einer Klageerweiterung bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Rahmen der ursprünglichen Berufungsgründe hingewiesen (MüKo.ZPO/Rimmelspacher § 516 ZPO Rz. 26; Musielak/Voit/Ball § 516 ZPO Rz. 27; so grundsätzlich wohl auch Vorwerk
1139
90
ZPO
Kap. 67 Rz. 91
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
M 67.24
BGH NJW 1994, 2897). Durch die Bindung an die Berufungsbegründung sowie durch §§ 530, 531 ZPO werden die Befürchtungen, die das OLG Hamm hinsichtlich eines Hin und Her der Prozessführung gehabt hat, weitgehend ausgeschlossen, so dass es bei dem Grundsatz der Möglichkeit der Erweiterung auch nach Berufungsrücknahme zu bleiben hat und in diesen Fällen ein Teilrechtskraftzeugnis nicht zu erteilen ist.
91 K
Praxistipp: Ist die Berufung durch den Berufungsbeklagten teilweise zurückgenommen worden, ist an den Antrag gem. § 537 ZPO zu denken (vgl. Rz. 60 ff.), damit die Vollstreckung aus dem Urteil insoweit ohne Sicherheitsleistung durchgeführt werden kann.
92 Scheidet ein einfacher Streitgenosse durch Berufungsrücknahme aus dem Rechtsstreit aus, kann er am Berufungsverfahren nicht mehr teilnehmen. In diesem Fall kann ein Rechtskraftzeugnis beantragt werden (Zöller/Seibel § 706 Rz. 3, 13). Es ist demnach zu formulieren:
93 M 67.24 Rechtskraftzeugnis bei Berufungsrücknahme durch einfachen
Streitgenossen In Sachen …/… (Kurzrubrum) beantrage ich, das Urteil des Landgerichts mit einem Rechtskraftzeugnis zu versehen, soweit der Beklagte zu 3 durch die Entscheidung des Landgerichts verurteilt worden ist. Begründung: Der Beklagte zu 3) hat die von ihm eingelegte Berufung zurückgenommen. Da die Beklagten einfache Streitgenossen sind, ist das Urteil ihm gegenüber nunmehr rechtskräftig.
VI. Berufungserweiterung 1. Echte und unechte Berufungserweiterung a) Nach Vorbehalt der Berufungserweiterung
94 Gemäß § 525 ZPO gelten im Berufungsverfahren für die Klageerweiterung die erstinstanzlichen Verfahrensvorschriften entsprechend. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist die Erweiterung des Klageantrages keine Klageänderung, ist also nicht nur in den engen Grenzen des § 533 ZPO zulässig (s. Kap. 66 Rz. 9 und BGH MDR 2010, 1011; BGH MDR 2006, 565).
95 Hat der Berufungskläger nur einen eingeschränkten Berufungsantrag gestellt, über die Berufungsgründe aber die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts voll angefochten und sich die Erweiterung der Berufung vorbehalten, handelt es sich um eine – hier so genannte – unechte Berufungserweiterung. Da die Berufungsangriffe in der Berufungsbegründung ausgeführt sind, können die die sog. unechte Berufungserweiterung begründenden Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht gem. § 530 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden. Der Berufungskläger formuliert wie folgt:
96 M 67.25 „Unechte“ Berufungserweiterung In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird entsprechend dem Vorbehalt der Berufungsbegründung die Berufung nunmehr dahingehend erweitert, dass beantragt wird, die Entscheidung des Landgerichts zu ändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen
1140
Vorwerk
M 67.26
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
Rz. 104 Kap. 67
Oder:
ZPO
die Entscheidung des Landgerichts zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger … Euro nebst Zinsen gem. Zinsstaffel des Schriftsatzes vom … zu zahlen.
b) Klageerweiterung und Klageänderung Über die Berufungsgründe hinaus und ohne Vorbehalt der Berufungserweiterung ist eine Klageerweiterung nach den Regeln des erstinstanzlichen Verfahrens, also § 264 ZPO möglich, eine Klageänderung nur nach § 533 ZPO.
97
Eine in der Berufungsinstanz erfolgte Klageerweiterung bedarf daher gem. § 264 Nr. 2 ZPO nicht der Zustimmung des Beklagten oder der Zulassung durch das Gericht. Allerdings ist die Einführung neuen tatsächlichen Vorbringens, das häufig mit einer Klageerweiterung verbunden sein wird, nur in den engen Grenzen der §§ 531 Abs. 2 und 530 ZPO zulässig (BGH MDR 2010, 1011; NJW 2004, 2152; s. auch Kap. 66 Rz. 11).
98
Die in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageänderung iS des § 263 ZPO setzt entweder die 99 Zustimmung des Gegners oder die Zulassung durch das Gericht voraus. Mit der Zustimmung des Gegners ist allerdings meist nicht zu rechnen.
K
Wichtig: Die Klageänderung darf nicht dazu führen, dass der in erster Instanz verfolgte Anspruch in der Berufungsinstanz nicht mehr weiterverfolgt wird (vgl. Zöller/Heßler vor § 511 ZPO Rz. 10a). Siehe dazu im Einzelnen Kap. 17 Rz. 34.
100
Nach § 533 Nr. 2 ZPO darf die Klageänderung nur auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat, in der Regel also nur neue Tatsachen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sind.
101
2. Echte verbunden mit unechter Berufungserweiterung Im Laufe des Berufungsverfahrens können sich neue Gesichtspunkte ergeben, die neben der bereits in Aussicht genommenen Erweiterung der Berufung auf das volle erstinstanzliche Begehren eine weitere Klageerweiterung rechtfertigen. Das kann der Fall sein, wenn die vorbehaltene „echte“ Berufungserweiterung etwa Schadensersatz wegen Verdienstausfall iHv. monatlich 250 Euro betrifft und unter dem Vorbehalt der Erweiterung (auf 250 Euro monatlich) in der Berufung zunächst monatlich 125 Euro verlangt werden. Stellt sich in der Beweisaufnahme dann heraus, dass ein Schaden wegen Verdienstausfall iHv. 375 Euro monatlich gerechtfertigt ist, wird beantragt:
102
M 67.26 „Echte“ und „unechte“ Berufungserweiterung
103
In Sachen …/… (Kurzrubrum) wird beantragt, die Entscheidung des Landgerichts abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ab 1.1.2013 einen monatlichen Verdienstausfall von 375 Euro zu zahlen.
K
Wichtig: Der Antrag ist schriftlich (ggf. handschriftlich) zu stellen (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO); es sei denn der Gegner verzichtet in Übereinstimmung mit dem Gericht auf die Einhaltung der Form in der Verhandlung (Fall des § 295 ZPO).
Vorwerk
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104
Kap. 67 Rz. 105
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
ZPO
105 In der Begründung wird erläutert, dass der ursprüngliche Antrag iHv. 250 Euro entsprechend dem Vorbehalt der Berufungserweiterung geltend gemacht wird, darüber hinaus aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nunmehr insgesamt 375 Euro klageerweiternd geltend gemacht werden.
106 Einer Zulassung bedarf dieser neue Antrag nicht (§§ 525, 264 Nr. 2 ZPO). Die neuen Tatsachen sind, sofern die Voraussetzungen vorliegen, nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen, darauf können dann auch nach § 533 Nr. 2 ZPO Klageänderungen, Aufrechnungserklärungen und Widerklagen gestützt werden.
107 Die Berufungserweiterung kann aber auch zusätzlich in Form einer Klagenhäufung (vgl. dazu Kap. 16) mit echter Klageänderung erfolgen; etwa dann, wenn in einem Mietrechtsstreit über rückständige Miete nunmehr gekündigt wird und zusätzlich Räumung verlangt wird, soweit die Klageänderung auch nach den Einschränkungen des § 533 ZPO zulässig ist. Letzteres wird zu bejahen sein, wenn die Kündigung nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz erfolgt ist.
Kapitel 68 Anschlussberufung, Gegenrügen I. Unselbständige Anschlussberufung . . . . . II. Form der unselbständigen Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 68.1 Anschlussberufung des Beklagten (teilweise erfolgreiche Klage) . . . . . 2. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 11 15 15 16 17
M 68.2 Anschlussberufung des Klägers (Klageerweiterung) . . . . . . . . . . . . M 68.3 Hilfsanschlussberufung . . . . . . . . . M 68.4 Hilfsanschlussberufung mit Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 68.5 Anschlussberufung gegen Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gegenrügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 68.6 Gegenrügen . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 20 22 24 25 27
I. Unselbständige Anschlussberufung 1 Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung des Berufungsklägers anschließen (§ 524 ZPO). Die Anschlussberufung verliert gem. § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, wenn die Berufung des Berufungsklägers zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird. Sie ist also abhängig von der Zulässigkeit und Durchführung der Hauptberufung. Die Anschlussberufung ermöglicht dem Berufungsbeklagten im Rahmen der fremden Berufung einen als Angriff wirkenden Antrag zu stellen und den Umfang der neuen Verhandlung mitzubestimmen (BGH NJW 1994, 803; NJW 2008, 373 Rz. 11). Sie dient dem Ziel, mehr als die Zurückweisung der Berufung des Berufungsklägers zu erreichen (BGH NJW-RR 1991, 510).
2 Eingelegt werden kann die Anschlussberufung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung.
3 K
Wichtig: Das Fristende wird wirksam nur durch Zustellung einer beglaubigten Abschrift der richterlichen Verfügung gem. § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesetzt (BGH NJW 2009, 515). Die Zustellung einer bloßen Mitteilung der Geschäftsstelle löst die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht aus (BGH aaO). Im Zweifel sollte man Einsicht in die Gerichtsakten nehmen, um zu prüfen, ob eine wirksame Fristsetzung durch Unterzeichnung der entsprechenden Verfügung durch den Richter erfolgt ist (Paraphe genügt nicht!). Nach Ablauf der Frist kann die Anschließung erfolgen, wenn „die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehren-
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Kap. 67 Rz. 105
Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung
ZPO
105 In der Begründung wird erläutert, dass der ursprüngliche Antrag iHv. 250 Euro entsprechend dem Vorbehalt der Berufungserweiterung geltend gemacht wird, darüber hinaus aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nunmehr insgesamt 375 Euro klageerweiternd geltend gemacht werden.
106 Einer Zulassung bedarf dieser neue Antrag nicht (§§ 525, 264 Nr. 2 ZPO). Die neuen Tatsachen sind, sofern die Voraussetzungen vorliegen, nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen, darauf können dann auch nach § 533 Nr. 2 ZPO Klageänderungen, Aufrechnungserklärungen und Widerklagen gestützt werden.
107 Die Berufungserweiterung kann aber auch zusätzlich in Form einer Klagenhäufung (vgl. dazu Kap. 16) mit echter Klageänderung erfolgen; etwa dann, wenn in einem Mietrechtsstreit über rückständige Miete nunmehr gekündigt wird und zusätzlich Räumung verlangt wird, soweit die Klageänderung auch nach den Einschränkungen des § 533 ZPO zulässig ist. Letzteres wird zu bejahen sein, wenn die Kündigung nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz erfolgt ist.
Kapitel 68 Anschlussberufung, Gegenrügen I. Unselbständige Anschlussberufung . . . . . II. Form der unselbständigen Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 68.1 Anschlussberufung des Beklagten (teilweise erfolgreiche Klage) . . . . . 2. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 11 15 15 16 17
M 68.2 Anschlussberufung des Klägers (Klageerweiterung) . . . . . . . . . . . . M 68.3 Hilfsanschlussberufung . . . . . . . . . M 68.4 Hilfsanschlussberufung mit Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 68.5 Anschlussberufung gegen Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gegenrügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 68.6 Gegenrügen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Unselbständige Anschlussberufung 1 Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung des Berufungsklägers anschließen (§ 524 ZPO). Die Anschlussberufung verliert gem. § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, wenn die Berufung des Berufungsklägers zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird. Sie ist also abhängig von der Zulässigkeit und Durchführung der Hauptberufung. Die Anschlussberufung ermöglicht dem Berufungsbeklagten im Rahmen der fremden Berufung einen als Angriff wirkenden Antrag zu stellen und den Umfang der neuen Verhandlung mitzubestimmen (BGH NJW 1994, 803; NJW 2008, 373 Rz. 11). Sie dient dem Ziel, mehr als die Zurückweisung der Berufung des Berufungsklägers zu erreichen (BGH NJW-RR 1991, 510).
2 Eingelegt werden kann die Anschlussberufung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung.
3 K
Wichtig: Das Fristende wird wirksam nur durch Zustellung einer beglaubigten Abschrift der richterlichen Verfügung gem. § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesetzt (BGH NJW 2009, 515). Die Zustellung einer bloßen Mitteilung der Geschäftsstelle löst die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht aus (BGH aaO). Im Zweifel sollte man Einsicht in die Gerichtsakten nehmen, um zu prüfen, ob eine wirksame Fristsetzung durch Unterzeichnung der entsprechenden Verfügung durch den Richter erfolgt ist (Paraphe genügt nicht!). Nach Ablauf der Frist kann die Anschließung erfolgen, wenn „die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehren-
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Rz. 7 Kap. 68
Anschlussberufung, Gegenrügen
ZPO
den Leistungen (§ 323 ZPO) zum Gegenstand hat“ (§ 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Erweitert werden kann die Anschlussberufung auch noch nach Ablauf der Frist, wenn die Erweiterung durch die fristgerecht eingereichte Anschlussberufungsbegründung gedeckt ist (BGH NJW 2005, 3067).
K
Wichtig: Die Formulierung des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO erweckt den Eindruck, dass mit der 4 Anschlussberufung, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren möglich ist, die Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen begehrt werden muss, so dass die fristungebundene Anschlussberufung nur vom Kläger eingelegt werden könnte. Diese Lesart der Norm erschöpft die Norm nicht. Die fristungebundene Anschlussberufung ist auch zulässig, um die Abänderung einer ergangenen Verurteilung zugunsten des Beklagten zu erreichen. Auch jene Anschließung hat eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen im Sinne des Prozessrechts zum Gegenstand (vgl. dazu BGH NJW 2009, 1271, Rz. 29 unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/9733, S. 292). Als künftige Leistungen werden stets Leistungen verstanden, die nach Rechtshängigkeit fällig werden (Schellhammer, Zivilprozess, 15. Aufl., Rz. 165). Die Anschließung setzt nicht voraus, dass die zur Begründung vorgetragenen Umstände erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Gericht erster Instanz entstanden sind (BGH NJW 2009, 1271; NJW 2016, 1963 Rz. 7).
K
Praxistipp: Wird die Frist für die Anschlussberufung unverschuldet versäumt, sind die Wiedereinsetzungsvorschriften entsprechend anwendbar (OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 215; OLG Karlsruhe OLGR 2005, 443; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1299). Die als obiter dictum in BGH NJW 2005, 3067 Rz. 14 zur Anschlussrevision geäußerte gegenteilige Ansicht ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht haltbar. Jene Ansicht übersieht, dass der prozesskostenhilfebedürftigen Partei der Weg in die Anschlussberufung ebenfalls offenstehen muss.
5
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Die Anschlussberufung – setzt keine eigene Beschwer des Anschlussberufungsklägers voraus (BGH NJW 1980, 702; MDR 2011, 1311); sie kann auch der Klageerweiterung oder der Durchsetzung neuer Ansprüche dienen, wobei die Beschränkung des Vortrages durch die §§ 529, 531 ZPO auch für die Anschlussberufung gilt; – kann die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Gerichtes selbständig angreifen; – kann unter Berücksichtigung der §§ 529, 531, 533 ZPO als Hilfsanschlussberufung eingelegt werden, und zwar nicht nur eventualiter für den Fall einer bestimmten Entscheidung über die Berufung, sondern auch für den Fall, dass das Berufungsgericht eine Rechtsfrage, auf der die Sachentscheidung unmittelbar beruht, in einem bestimmten Sinne beurteilt; – muss eingelegt werden, wenn Gründe für eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung vorliegen (s. dazu Kap. 76 Rz. 5 f.); – kann nach Ablauf der Einlegungsfrist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO erweitert werden, soweit die Erweiterung durch die fristgerecht eingereichte Anschlussberufung gedeckt ist (s. Rz. 3); – kann nach Ablauf der Frist nicht auf einen neuen Klagegrund gestützt werden (BGH NJW 2008, 1953).
7
Mit der Anschlussberufung kann allerdings nicht – ein nach Erlass eines Teilurteils in erster Instanz noch anhängiger Anspruch (ohne Zustimmung des Gegners) in die Berufungsinstanz gezogen werden; – eine an der Berufungsinstanz nicht beteiligte Partei in den Rechtsstreit einbezogen werden (BGH NJW-RR 2000, 1114; NJW 1991, 2569).
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Kap. 68 Rz. 8
ZPO
8 K
Anschlussberufung, Gegenrügen
Wichtig: Der Kläger, der gegenüber mindestens einem mitverklagten Gesamtschuldner unterlegen ist, muss mit selbständiger Berufung die Abänderung des Urteils gegen jenen Gesamtschuldner erstreben; die Anschlussberufung versagt; sie ist unzulässig!
9 Der Berufungskläger kann sich einer Anschlussberufung des Berufungsbeklagten seinerseits nicht anschließen. Er kann nicht einen von seiner Berufung bisher nicht umfassten Berufungsangriff über die Anschlussberufung in den Prozess einführen. Für den Berufungskläger gilt § 520 ZPO, er muss alle Berufungsangriffe in seiner Berufungsbegründung vorbringen (BGH NJW 1986, 1494).
10 K
Wichtig: Die Frist für die Anschlussberufung ist „verlängerbar“; sie ist nämlich innerhalb der Frist für die Berufungsantwort einzulegen, die ihrerseits innerhalb der vom Berufungsrichter gesetzten Frist (§ 224 Abs. 2, 3 ZPO) vorzulegen ist. Dennoch sollte der Berufungsbeklagte – schon nach Vorliegen des vollständig begründeten Urteils prüfen, ob für den Fall, dass der Gegner Berufung einlegt, Anschlussberufung eingelegt werden soll, wobei die Anschlussberufung so vorbereitet werden muss, dass innerhalb der Frist für die Berufungsantwort auch die Anschlussberufungsbegründung erstellt werden kann, – sobald die Berufungsbegründung vorliegt, muss man prüfen, ob sie Anlass für eine Anschlussberufung, vor allem eine Hilfsanschlussberufung, gibt. Der Berufungsbeklagte muss also prüfen, welche prozessualen Gegenmaßnahmen erforderlich sind, um dem eigenen Begehren für den Fall zum Erfolg zu verhelfen, dass die Berufungsangriffe durchgreifen (vgl. dazu auch unten „Gegenrüge“ Rz. 12).
II. Form der unselbständigen Anschlussberufung 11 Gemäß § 524 Abs. 3 ZPO ist die Anschlussberufung durch Schriftsatz des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten einzulegen und zu begründen (BGH NJW-RR 1989, 441); die Zustellung ist von Amts wegen an den Gegner erforderlich; die beglaubigte Abschrift des Schriftsatzes ist demnach ebenfalls beim Gericht einzureichen. Die Zustellung im Parteiweg ist nur eine Ankündigung der Anschlussberufung. § 189 ZPO gilt insoweit nicht, da für die Anwendung des § 189 ZPO ein Zustellungswille des für die Amtszustellung zuständigen Gerichts erforderlich ist (BGH VersR 2010, 1520 Rz. 13 f. mwN; Musielak/Wolst, 7. Aufl., § 189 ZPO Rz. 2 insoweit inkonsequent, der die Parteizustellung statt Amtszustellung auch unter § 189 ZPO erfasst; konsequent demgegenüber Zöller/ Schultzky § 189 ZPO Rz. 3 sowie Musielak/Voit/Wittschier § 189 ZPO Rz. 2).
12 K
Wichtig: Für die Anschlussschrift gilt § 519 Abs. 2, 4 ZPO (§ 524 Abs. 3 ZPO). Daraus folgt, dass die Förmlichkeiten einzuhalten sind, die für die Berufungsschrift gelten (s. Kap. 65 Rz. 57 ff. und M 68.1!). Es gilt ferner § 520 Abs. 3 ZPO! Siehe Kap. 65 Rz. 134 ff.
13 Aus dem fristgerecht eingereichten Schriftsatz muss sich ergeben, dass es sich um eine Anschließung handelt, wobei das Wort Anschlussberufung nicht gebraucht werden muss, die Überschrift Anschlussberufung aber selbstverständlich ausreicht. Das anzufechtende Urteil ist zu bezeichnen. Wie bei der Berufung ist ein bestimmter Antrag zu stellen, der sich allerdings auch aus der Begründung der Anschlussberufung ergeben kann. Die Begründungspflicht nach § 524 Abs. 3 ZPO entspricht den Grundsätzen für die Berufungsbegründung (s. Kap. 65 Rz. 145 ff.).
14 K
Praxistipp: Die Anschlussberufung kann zwar auch in der Weise begründet werden, dass sich der Anschlussberufungskläger – in dem Schriftsatz, der die Anschlussberufung enthält – auf eigenes schriftsätzliches Verbringen in einem früheren Schriftsatz, der in der Berufungsinstanz vorgelegt worden ist (BGH NJW 2009, 1271 Rz. 31), bezieht. Die Form der Anschlussberufung (s. Rz. 11 sowie M 68.1) muss allerdings auch in diesem Fall ebenso wie die Frist für die Anschlussberufung (s. Rz. 2, 3) gewahrt werden.
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Vorwerk
M 68.2
Anschlussberufung, Gegenrügen
Rz. 18 Kap. 68
ZPO
III. Anträge 1. Regelfall Die Fassung des Anschlussberufungsantrags entspricht grundsätzlich dem der Berufung. Zum Ausdruck gebracht wird mit Rücksicht auf § 524 Abs. 3 ZPO, dass es sich um eine Anschließung handelt, so dass im Falle der Berufung des Klägers nach teilweisem Erfolg der Klage die Anschlussberufung des Beklagten wie folgt formuliert wird:
15
M 68.1 Anschlussberufung des Beklagten (teilweise erfolgreiche Klage)
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An das Oberlandesgericht 59065 Hamm Anschlussberufung In Sachen …/… (Langrubrum) Aktenzeichen. I. Instanz: LG Essen 10 O 12/2017 lege ich namens des Beklagten gegen das am … verkündete und am … zugestellte Urteil des Landgerichts Essen Anschlussberufung ein. Ich beantrage, 1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen; und 2. die Klage auf die Anschlussberufung in vollem Umfange abzuweisen. … (Es folgt die Begründung der Anschlussberufung nach den Maßstäben, die für die Berufung gelten; §§ 524 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO; s. dazu Kap. 65 Rz. 122 ff. …
2. Sonderfälle Die Anschlussberufung des Klägers, mit der die Klage erweitert wird, lautet:
17
M 68.2 Anschlussberufung des Klägers (Klageerweiterung)
18
An das Oberlandesgericht 59065 Hamm Anschlussberufung In Sachen …/… (Langrubrum) Aktenzeichen I. Instanz: LG Essen 10 O 12/2017 lege ich namens des Berufungsklägers gegen das am … verkündete und am … zugestellte Urteil des Landgerichts Essen Anschlussberufung ein. Ich beantrage, 1. die Berufung des Beklagten zurückzuweisen; 2. den Beklagten auf die Anschlussberufung zu verurteilen, dem Kläger über den vom Amts-/Landgericht zuerkannten Betrag hinaus weitere … Euro nebst … % Zinsen seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
Vorwerk
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Kap. 68 Rz. 19
Anschlussberufung, Gegenrügen
M 68.3
ZPO
… (Es folgt die Begründung der Anschlussberufung nach den Maßstäben, die für die Berufung gelten; §§ 524 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO; s. dazu Kap. 65 Rz. 122 ff., beachte ferner Kap. 66 Rz. 11) … Kosten: Streitwert: Beschwer des Beklagten zzgl. der darüber hinaus geltend gemachte Betrag (§ 47 Abs. 2 Satz 2, § 45 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 GKG).
19 Bei der Hilfsanschlussberufung ist im Schriftsatz klarzustellen, für welchen Eventualfall die Anschlussberufung gelten soll. Das kann entweder – falls der Eventualfall kurz bezeichnet werden kann – im Antrag geschehen. Beispiel: Der Autokäufer, der das Fahrzeug bereits übergeben bekommen hat, zahlt den Kaufpreis nicht. Die Kaufpreisklage hat Erfolg, mit der Berufung macht der Käufer geltend, der Kaufvertrag sei aufgrund Anfechtung unwirksam. Der Kläger schließt sich der Berufung des Beklagten hilfsweise an und beantragt mit der Anschlussberufung in diesem Fall; wobei unterstellt wird, dass die Voraussetzungen der §§ 529, 531 ZPO erfüllt sind:
20 M 68.3 Hilfsanschlussberufung … (Langrubrum und Bezeichnung des anzufechtenden Urteils wie M 68.1) … … beantrage ich 1. die Berufung des Beklagten zurückzuweisen hilfsweise 2. auf die Anschlussberufung des Klägers für den Fall des Erfolges der Berufung des Beklagten den Beklagten zu verurteilen, den Pkw der Marke …, Fahrgestell-Nr. … an den Kläger herauszugeben. … (für die Begründung beachte die Hinweise zu M 68.1) Kosten: Streitwert: Der Hilfsantrag ist wirtschaftlich mit dem Kaufpreisanspruch identisch (beide Ansprüche schließen sich gegenseitig aus); daher keine Streitwerterhöhung, auch wenn über den Hilfsantrag entschieden wird (§ 45 Abs. 1 Satz 2 und 3 GKG).
21 Ist der Eventualfall etwas umfangreicher zu erläutern, kann auch im Schriftsatz im Rahmen der Anschlusserklärung dargelegt werden, für welchen Fall die Anschlussberufung eingelegt wird. Beispiel: Der klagende Werkunternehmer hat ein Urteil Zug um Zug gegen Mängelbeseitigung erwirkt. Mit der Berufung will der Kläger erreichen, dass das Zurückbehaltungsrecht entfällt. Er beruft sich darauf, dass kein Mangel vorliegt, jedenfalls die Mangelbeseitigung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre und im Übrigen der Beklagte nach Fristsetzung und Abänderungsandrohung keine Nachbesserung mehr verlangen könne. Der Beklagte möchte für den Fall, dass das zweite oder dritte Argument des Unternehmers zutrifft, jedenfalls eine Herabsetzung des Werklohnes im Zuge der Aufrechnung mit den Nachbesserungskosten bzw. in Höhe der Minderung. Er beantragt demnach – sinnvollerweise – am Beginn des Schriftsatzes:
22 M 68.4 Hilfsanschlussberufung mit Begründung … (Langrubrum und Bezeichnung des anzufechtenden Urteils wie M 68.1) … … beantrage ich 1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen hilfsweise
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Vorwerk
M 68.5
Anschlussberufung, Gegenrügen
Rz. 26 Kap. 68
ZPO
2. auf die hiermit erhobene Anschlussberufung die Klage in Höhe eines Teilbetrages von … Euro abzuweisen. Bei der Begründung sind die für die Hinweise zu M 68.1 zu beachten. Alsdann führt der Beklagte nunmehr aus, warum die Berufung des Klägers nicht begründet ist, und ergänzt: Für den Fall, dass ein Zurückbehaltungsrecht nicht besteht, weil die Nachbesserung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist oder der Beklagte Nachbesserung nicht mehr verlangen kann, wird Minderung geltend gemacht, hilfsweise mit den Nachbesserungskosten aufgerechnet (verrechnet). Sowohl die Minderung, wie auch die Nachbesserungskosten sind mit … Euro zu bewerten. Für den Fall, dass das Berufungsgericht zu dieser Auffassung kommt, gilt der oben angekündigte Hilfsantrag.
Falls mit der unselbständigen Anschlussberufung die Kostenentscheidung angegriffen wird, kann ausnahmsweise die genaue Kostenquote dem Gericht überlassen werden und beantragt werden:
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M 68.5 Anschlussberufung gegen Kostenentscheidung
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… die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Urteils so zu ändern, wie es dem Umfang von Obsiegen und Unterliegen entspricht. … (es folgt die Begründung, warum die ergangene Kostenentscheidung dem Umfang von Obsiegen und Unterliegen nicht gerecht wird)
IV. Gegenrügen Nicht nur der Berufungsführer (Berufungskläger/Anschlussberufungskläger), sondern auch der Be- 25 rufungsgegner (Berufungsbeklagter/Anschlussberufungsbeklagter) kann durch Feststellungen des Gerichts erster Instanz „beschwert“ sein, ohne dass diese Feststellungen zu einem für ihn ungünstigen Ausgang des Verfahrens geführt haben. Diese Feststellungen können sich jedoch im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens für den Berufungsgegner nachteilig auswirken, wenn im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht bemerkt wird, dass jene Feststellungen aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen der Entscheidung im Berufungsverfahren nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Derartige Feststellungen lassen sich mit der Gegenrüge bekämpfen. Beispiel: Das Gericht erster Instanz legt in den Entscheidungsgründen dar, zwischen den Parteien sei ein Vertrag zustande gekommen. Dabei stützt es sich auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, die in einem früheren Stadium des Verfahrens durchgeführt worden ist. Nach der Beweisaufnahme ist ein Richterbankwechsel eingetreten. Dennoch tritt das Gericht erster Instanz – verfahrensfehlerhaft (s. etwa BGH NJW 2017, 1313, Rz. 28; NJW 1995, 1292, 1293) – in die Glaubwürdigkeitsprüfung ein und stellt auf der Grundlage der Würdigung das Zustandekommen des Vertrages fest. Das Gericht erster Instanz führt alsdann aus, dass der Klaganspruch aus dem Vertrag jedoch verjährt sei (§ 199 Abs. 1 Nr. 1, 2 BGB). Der Anspruch des Klägers aus § 985 BGB hat das Gericht erster Instanz ebenfalls für unbegründet erachtet, da dieser Anspruch ebenfalls verjährt sei. Der Kläger greift die Entscheidung an, soweit der vertragliche Anspruch für verjährt angesehen worden ist. Der Beklagte will sich gegen die Feststellung wenden, es sei ein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen.
Der Beklagte kann keine Anschlussberufung einlegen. Er ist im Verfahren erster Instanz nicht unterlegen, und zwar auch nicht teilweise. Der Beklagte sollte deshalb in der Frist für die Berufungsantwort (§§ 521 Abs. 2, 530 ZPO) rügen, dass das Gericht erster Instanz die Glaubwürdigkeitsprüfung aufgrund des Richterbankwechsels nicht hat vornehmen dürfen. Mit dieser Rüge greift er die tatsächliche Feststellung an, zwischen den Parteien sei ein Vertrag zustande gekommen. Die Rüge selbst ist zwar nicht zwingend nötig, da auch bei entscheidungserheblichen Feststellungen unterlaufene Verfahrensfehler Zweifel iS des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an den getroffenen Feststellungen selbst begründen, eine Verfahrensrüge iS des § 529 Abs. 2 ZPO insoweit folglich entbehrlich ist (BGH Vorwerk
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26
ZPO
Kap. 68 Rz. 27
Anschlussberufung, Gegenrügen
M 68.6
NJW 2004, 1876). Sinnvoll erscheint die angeführte Gegenrüge ungeachtet dessen weiterhin, da offen ist, ob das Berufungsgericht den unterlaufenen Verfahrensfehler erkennt und anstelle der Feststellungen des Richters erster Instanz eigene Feststellungen trifft. Der Berufungsbeklagte führt demnach aus:
27 M 68.6 Gegenrügen … Sollte das Berufungsgericht der Rüge des Klägers, der vertragliche Anspruch sei nicht verjährt, folgen, wird das Berufungsgericht dennoch nicht davon ausgehen können, dass der Beklagte zu verurteilen sei. Die Feststellung, es sei zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen, hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft getroffen. Zwischen der Vernehmung des Zeugen Schulze und der des Zeugen Meier hat ein sog. Richterbankwechsel stattgefunden. Der den Zeugen Schulze vernehmende Richter war nicht derjenige, der die Endentscheidung getroffen und den Zeugen Meier vernommen hat. Das ist den Protokollen vom … und vom … (GA Blatt 203, 405) zu entnehmen. Der entscheidende Richter hat daher auch nicht den Zeugen Schulze als unglaubwürdig ansehen dürfen; im Protokoll der Vernehmung des Zeugen Schulze befinden sich keine Hinweise des diesen Zeugen seinerzeit vernehmenden Richters, aus denen auf die fehlende Glaubwürdigkeit des Zeugen Schlüsse gezogen werden können (vgl. BGH v. 5.11.2001 – II ZR 97/00; BGH NJW 1997, 1586, 1887). Die im Urteil vorgenommene Feststellung, der Zeuge Schulze sei unglaubwürdig, man müsse daher nur die Aussage des Zeugen Meier, der den Vertragsschluss bestätigt hat, zugrunde legen, ist demnach verfahrensfehlerhaft getroffen worden. Sie bindet nicht, weckt vielmehr Zweifel iS des § 529 ZPO (vgl. BGH NJW 2004, 1876).
28 Gegenrügen können sich auch auf materiell-rechtliche Beurteilungen oder tatsächliche Feststellungen des Gerichts erster Instanz beziehen. Der Berufungsbeklagte sollte sie stets erheben und im Einzelnen die für den Berufungsbeklagten ungünstigen Feststellungen des Gerichts erster Instanz angreifen. Da das Berufungsgericht geneigt sein kann, auf § 531 Abs. 2 ZPO zu verweisen, sollte zugleich mit der Gegenrüge ausgeführt werden, warum nicht damit gerechnet hat werden können, dass in der Entscheidung nicht selbständig tragende Feststellungen vom Gericht erster Instanz getroffen werden.
29 K
Wichtig: Für Gegenrüge § 530 ZPO beachten!
Kapitel 69 Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde I. II. 1. 2. 3. 4. III. 1. 2.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . Sonstige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdeschrift, Begründung . . . . . . . . Form, Frist, Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung, Begründungszwang . . . . . . . .
1148
Vorwerk/Piekenbrock
1 2 2 25 27 28 34 34 45
3. 4. 5. 6.
Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel . . . Wirkung der sofortigen Beschwerde . . . . . . Verfahrensverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anschlussbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . b) Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . d) Außerordentliche sofortige Beschwerde . e) Untätigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . f) Verzögerungsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 49 51 53 54 55 56 57 58 60
ZPO
Kap. 68 Rz. 27
Anschlussberufung, Gegenrügen
M 68.6
NJW 2004, 1876). Sinnvoll erscheint die angeführte Gegenrüge ungeachtet dessen weiterhin, da offen ist, ob das Berufungsgericht den unterlaufenen Verfahrensfehler erkennt und anstelle der Feststellungen des Richters erster Instanz eigene Feststellungen trifft. Der Berufungsbeklagte führt demnach aus:
27 M 68.6 Gegenrügen … Sollte das Berufungsgericht der Rüge des Klägers, der vertragliche Anspruch sei nicht verjährt, folgen, wird das Berufungsgericht dennoch nicht davon ausgehen können, dass der Beklagte zu verurteilen sei. Die Feststellung, es sei zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen, hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft getroffen. Zwischen der Vernehmung des Zeugen Schulze und der des Zeugen Meier hat ein sog. Richterbankwechsel stattgefunden. Der den Zeugen Schulze vernehmende Richter war nicht derjenige, der die Endentscheidung getroffen und den Zeugen Meier vernommen hat. Das ist den Protokollen vom … und vom … (GA Blatt 203, 405) zu entnehmen. Der entscheidende Richter hat daher auch nicht den Zeugen Schulze als unglaubwürdig ansehen dürfen; im Protokoll der Vernehmung des Zeugen Schulze befinden sich keine Hinweise des diesen Zeugen seinerzeit vernehmenden Richters, aus denen auf die fehlende Glaubwürdigkeit des Zeugen Schlüsse gezogen werden können (vgl. BGH v. 5.11.2001 – II ZR 97/00; BGH NJW 1997, 1586, 1887). Die im Urteil vorgenommene Feststellung, der Zeuge Schulze sei unglaubwürdig, man müsse daher nur die Aussage des Zeugen Meier, der den Vertragsschluss bestätigt hat, zugrunde legen, ist demnach verfahrensfehlerhaft getroffen worden. Sie bindet nicht, weckt vielmehr Zweifel iS des § 529 ZPO (vgl. BGH NJW 2004, 1876).
28 Gegenrügen können sich auch auf materiell-rechtliche Beurteilungen oder tatsächliche Feststellungen des Gerichts erster Instanz beziehen. Der Berufungsbeklagte sollte sie stets erheben und im Einzelnen die für den Berufungsbeklagten ungünstigen Feststellungen des Gerichts erster Instanz angreifen. Da das Berufungsgericht geneigt sein kann, auf § 531 Abs. 2 ZPO zu verweisen, sollte zugleich mit der Gegenrüge ausgeführt werden, warum nicht damit gerechnet hat werden können, dass in der Entscheidung nicht selbständig tragende Feststellungen vom Gericht erster Instanz getroffen werden.
29 K
Wichtig: Für Gegenrüge § 530 ZPO beachten!
Kapitel 69 Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde I. II. 1. 2. 3. 4. III. 1. 2.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . Sonstige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdeschrift, Begründung . . . . . . . . Form, Frist, Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung, Begründungszwang . . . . . . . .
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Vorwerk/Piekenbrock
1 2 2 25 27 28 34 34 45
3. 4. 5. 6.
Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel . . . Wirkung der sofortigen Beschwerde . . . . . . Verfahrensverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anschlussbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . b) Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . d) Außerordentliche sofortige Beschwerde . e) Untätigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . f) Verzögerungsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
Rz. 5 Kap. 69
1
Das ZPO-RG und das FGG-RG haben das Rechtsmittel der Beschwerde grundlegend geändert: – Die einfache, nicht fristgebundene Beschwerde ist in der ZPO nicht mehr vorgesehen, sondern durch die sofortige Beschwerde ersetzt worden (§§ 567–572 ZPO); die einfache Beschwerde besteht nur noch fort gegen Entscheidungen über Erinnerungen gegen den Kostenansatz (§ 66 Abs. 2 GKG, § 57 Abs. 2 Satz 1 FamGKG, § 81 Abs. 2 Satz 1 GNotKG). Daneben gibt es fristgebundene Beschwerden gegen Beschlüsse, die Wertfestsetzungen enthalten (§ 68 Abs. 1 Satz 3 GKG, § 59 Abs. 1 Satz 3 FamGKG, § 83 Abs. 1 Satz 3 GNotKG, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG), und bei der Versagung der Wiedereinsetzung durch das Landgericht in diesen Fällen (§ 68 Abs. 2 Satz 4 GKG, § 83 Abs. 2 Satz 5 GNotKG, § 33 Abs. 5 Satz 4 RVG). In Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist in der Regel die einfache, aber auf einen Monat befristete Beschwerde statthaft (§§ 58 Abs. 1, 63 FamFG), die an die Stelle der befristeten Beschwerde nach § 621e ZPO aF getreten ist und in diesem Umfang am Abhilfeverbot festhält (§ 68 Abs. 1 FamFG, s. dazu Kap. 110 Rz. 21, 73); – Die einfache weitere Beschwerde ist nur noch statthaft gegen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts in Kostenfestsetzungs- und Wertansatzsachen (§§ 66 Abs. 4, 68 Abs. 1 Satz 6 GKG, § 81 Abs. 4 Satz 1 GNotKG, § 33 Abs. 6 RVG). Sie ist jedoch nur zulässig, wenn sie das Landgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen hat. Auf das Verfahren der weiteren Beschwerde sind die §§ 546, 547 ZPO entsprechend anzuwenden, so dass man sie als eine Art Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht begreifen kann.
II. Anwendungsfälle 1. Erkenntnisverfahren Die sofortige Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der 2 Amts- und Landgerichte statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder es sich um eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO). Die Zuständigkeit für die Beschwerdeentscheidung im Bereich der ZPO ist wie folgt geregelt: Stammt die angefochtene Entscheidung vom Amtsgericht, entscheidet das Landgericht über die sofortige Beschwerde (§ 72 GVG), stammt sie vom Landgericht, entscheidet das Oberlandesgericht (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts gibt es nur noch in Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 a, b GVG). Die Sonderregelungen zu Fällen mit Auslandsbezug (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 b, c GVG aF) sind mit dem FGG-RG ebenso aufgehoben worden wie die Experimentierklausel nach § 119 Abs. 3–6 GVG aF, von der kein Bundesland Gebrauch gemacht hatte. a) Ausdrückliche Bestimmungen zur Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde iSv. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO finden sich in folgenden Fällen: – wenn das Gericht ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter (§ 46 Abs. 2 ZPO) oder einen Sachverständigen (§ 406 Abs. 5 ZPO) für unbegründet erklärt (s. dazu auch Kap. 22 Rz. 1 ff., 21 ff.);
3
– wenn das Gericht durch Zwischenurteil über den Antrag entscheidet, eine Streithilfe, insbesondere die des Streitverkündeten, nicht zuzulassen (§§ 71 Abs. 2, 74 Abs. 1 ZPO);
4
– wenn das Gericht die Beiordnung eines Notanwalts ablehnt (§ 78b Abs. 2 ZPO) oder wenn es einen bestimmten Rechtsanwalt beiordnet (§ 78c Abs. 3 ZPO);
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ZPO
I. Grundlagen
Kap. 69 Rz. 6
Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
ZPO
6 – wenn das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits entscheidet, nachdem beide Parteien ihn insgesamt in der Hauptsache für erledigt erklärt haben (§ 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO); allerdings ist die Statthaftigkeit dadurch eingeschränkt, dass der Hauptsachestreitwert über 600 Euro gelegen haben muss (§§ 91a Abs. 2 Satz 2, 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO);
7 – wenn das Gericht über die Kosten entscheidet, die Hauptsache indessen durch eine aufgrund Anerkenntnisses ausgesprochene Verurteilung erledigt ist; auch hier gilt die eingeschränkte Statthaftigkeit wie zu Rz. 6 (§ 99 Abs. 2 Satz 2 ZPO);
8 – wenn der Rechtspfleger (§ 21 Nr. 1 RPflG) die zu erstattenden Prozesskosten festsetzt (§ 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO);
9 – wenn der Rechtspfleger (§ 20 Nr. 3 RPflG) über Anträge bezüglich der Rückgabe einer Sicherheitsleistung entscheidet (§ 109 Abs. 4 ZPO);
10 – wenn das Gericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnt oder – dann sofortige Beschwerde der Staatskasse – ihm stattgibt, ohne Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festzusetzen (§ 127 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, Abs. 3 Satz 1 ZPO); die Regelnotfrist für das Rechtsmittel, die wie bisher zwei Wochen ab Zustellung der anzufechtenden Entscheidung beträgt (§ 569 Abs. 1 Satz 1, 2 Fall 1 ZPO), verlängert sich hier auf einen Monat (§ 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO); für die Staatskasse beginnt sie erst zu laufen mit Bekanntgabe des Beschlusses an sie. Jedoch bleibt es dabei, dass die Staatskasse nach Ablauf von drei Monaten seit Übergabe der unterschriebenen Entscheidung an die Geschäftsstelle keine sofortige Beschwerde mehr einlegen kann und ihr die Entscheidung nicht von Amts wegen mitzuteilen ist (§ 127 Abs. 3 Satz 3 bis 6 ZPO); die Statthaftigkeit ist eingeschränkt wie in den Fällen der Rz. 6 und 7, außer wenn die Ablehnung des Antrags allein darauf beruht, dass das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint hat (§ 127 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 aE ZPO);
11 – wenn das Gericht einen Rechtsanwalt durch Zwischenurteil zur Rückgabe einer Urkunde verurteilt (§ 135 Abs. 3 ZPO);
12 – wenn das Gericht über die Aussetzung des Verfahrens in den Fällen des Todes einer anwaltlich vertretenen Partei und den übrigen Fällen der §§ 246, 247 ZPO entscheidet (§ 252 ZPO); § 252 ZPO gilt entsprechend für Entscheidungen, durch die das Gericht in anderen Fällen den Stillstand des Verfahrens herbeiführt (zB Anordnung des Ruhens des Verfahrens, obwohl nicht alle Parteien es beantragt haben,§ 251 Satz 1 ZPO, oder Aufhebung eines Verhandlungstermins wegen zu Unrecht angenommener Unterbrechung) oder den eingetretenen Stillstand des Verfahrens ignoriert (zB Ablehnung der Aufhebung eines Verhandlungstermins trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei; vgl. § 240 Satz 1 ZPO; s. Zöller/Greger § 252 ZPO Rz. 1; zur Abgrenzung von der Untätigkeitsbeschwerde s. Rz. 58);
13 – wenn das Gericht nach Rücknahme der Klage über die Kosten des Rechtsstreits entscheidet; die Statthaftigkeit ist eingeschränkt wie in den Fällen der Rz. 6 und 7. Außerdem wird das Rechtsmittel unzulässig, sobald aufgrund des angefochtenen Beschlusses die Kosten rechtskräftig festgesetzt sind (§ 269 Abs. 5 ZPO);
14 – wenn das Gericht eine Berichtigung des Urteils ausspricht (§ 319 Abs. 3 Halbs. 2 ZPO); 15 – wenn das Gericht den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückweist (§ 336 Abs. 1 Satz 1 ZPO);
16 – wenn das Gericht durch Zwischenurteil über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung oder die Pflicht zur Duldung von Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung entscheidet (§§ 387 Abs. 3 ZPO, 372a Abs. 2 Satz 1 ZPO);
17 – wenn das Gericht gegen eine trotz persönlicher Ladung nicht erschienene Partei oder einen nicht erschienenen Zeugen oder gegen einen solchen wegen Verweigerung des Zeugnisses oder der Ei-
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Rz. 25 Kap. 69
desleistung oder gegen einen ungehorsamen Sachverständigen Ordnungsgeld oder Ordnungshaft festsetzt (§§ 141 Abs. 3 Satz 1, 380 Abs. 3, 390 Abs. 3, 409 Abs. 2 ZPO); – wenn das Gericht im selbständigen Beweisverfahren dem Antragsteller die dem Gegner entstandenen Kosten auferlegt, nachdem jener der gerichtlichen Anordnung, Klage zu erheben, nicht nachgekommen ist (§ 494a Abs. 2 Satz 2 ZPO).
18
b) Die Norm des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, der die zweite Fallgruppe der sofortigen Beschwerde um- 19 schreibt, hat in der Praxis keine allzu große Bedeutung. Entscheidend ist für jene Fallgruppe nur, dass eine mündliche Verhandlung vor Erlass der Entscheidung nicht obligatorisch vorgeschrieben war. Als Anwendungsfälle seien genannt die Ablehnung des Antrags einer Partei auf Bewilligung der öffentlichen Zustellung (§ 186 Abs. 1 ZPO) oder die Zurückweisung eines Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens (§ 490 ZPO). Für Fälle, in denen die sofortige Beschwerde als Rechtsbehelf ausscheidet, hat die Rspr. das Institut 20 der Gegenvorstellung entwickelt (Zöller/Heßler § 567 ZPO Rz. 22 ff.). Dieser Rechtsbehelf wird heute funktional zum Teil jedoch durch § 321a ZPO ersetzt (s. dazu Kap. 41 Rz. 32 ff.). Insbesondere in den Verwaltungsgerichtsbarkeiten wird die Gegenvorstellung wegen Verstoßes gegen die Rechtsmittelklarheit für unstatthaft gehalten. Die Vorlage BFHE 219, 27, 30 f. = NJW 2008, 543, 544 an den GemS OGB, mit der der Rechtsbehelf abgeschafft werden sollte, hat sich jedoch mit Blick auf BVerfG NJW 2009, 829, 830 in Rz. 34 ohne Entscheidung in der Sache erledigt. Danach ist die Gegenvorstellung nicht von Verfassungs wegen unzulässig, gehört aber nicht zum Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG (BVerfG MDR 2009, 295 = NJW 2009, 829, 831 Rz. 38). Die Verfassungsbeschwerde gegen die Ausgangsentscheidung muss daher parallel zur Gegenvorstellung innerhalb der Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegt und begründet werden.
K
Wichtig: Die Gegenvorstellung kommt grundsätzlich nur in Betracht gegen Beschlüsse, die ein 21 Verfahren weder endgültig beenden noch gar rechtskräftig abschließen, daher nicht gegen Entscheidungen über die sofortige Beschwerde gegen PKH-Ablehnung oder Kosten gem. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Statthaft ist die Gegenvorstellung aber gegen einen Beschluss, durch den Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren nach Einlegung der Berufung wegen fehlender Erfolgsaussichten des Rechtsmittels abgelehnt wird, weil die Entscheidung nicht in Rechtskraft erwächst (BGH NJW 2004, 1805, 1806; BGHZ 159, 370, 375 = MDR 2004, 1373). Einem erneuten PKH-Antrag fehlt jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, wenn er allein auf die frühere Begründung gestützt wird (BGH NJW 2004, 1805, 1807).
K
Wichtig: Keine Gegenvorstellung möglich mit der Begründung, das Berufungsgericht habe die Bedürftigkeit falsch beurteilt, ohne dass dazu neue Tatsachen vorgetragen werden, die bei der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe bereits vorlagen.
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Die Frage der Bedürftigkeit des Antragstellers ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nachprüfbar (BGH MDR 2003, 477 = NJW 2003, 1126, 1127; BGH MDR 2004, 1016 = NJW 2004, 2022), nicht aber die Frage, ob Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Verfahrenshandlung besteht. Das Vorliegen einer der Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO indiziert bereits die hinreichende Erfolgsaussicht, so dass in solchen Fällen der bedürftigen Partei stets Prozesskostenhilfe zu gewähren ist (BGH MDR 2003, 477 = NJW 2003, 1126, 1127; BGH MDR 2004, 1016 = NJW 2004, 2022).
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Praxistipp: Sparsamer Umgang mit Gegenvorstellungen ist für den Anwalt in der Regel angezeigt. Gegenvorstellungen verzögern oft das Hauptverfahren.
2. Zwangsvollstreckungsverfahren Im Zwangsvollstreckungsverfahren findet die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen statt, die ohne mündliche Verhandlung ergehen können (§ 793 ZPO). Davon zu unterscheiden sind Maßnah-
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ZPO
Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
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Kap. 69 Rz. 26
Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
men der Vollstreckung (zB Pfändung einer beweglichen Sache durch den Gerichtsvollzieher), welche der Schuldner nur mit der Vollstreckungserinnerung (§ 766 Abs. 1 ZPO) bekämpfen kann.
26 Der wesentliche Gesichtspunkt, um die beiden Fälle bei gerichtlichen Maßnahmen voneinander abzugrenzen, ist nach herrschender Meinung, ob der Schuldner tatsächlich angehört worden ist (dann Entscheidung) oder nicht (dann Vollstreckungsmaßnahme), BGH NZI 2004, 447 f. Vgl. dazu im Übrigen Kap. 62 Rz. 17 ff. 3. Zwangsversteigerungsverfahren
27 Im Verfahren der Zwangsversteigerung von Grundstücken unterliegen der Anfechtung mit der sofortigen Beschwerde vor Erteilung des Zuschlags solche Entscheidungen, die die Anordnung, Aufhebung, einstweilige Einstellung oder Fortsetzung des Verfahrens betreffen (§ 95 ZVG). Dies gilt namentlich für die Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Einstellung des Verfahrens (§ 30b Abs. 3 Halbs. 1 ZVG), auch wenn die Versteigerung der Aufhebung einer Gemeinschaft von Grundstückseigentümern dient (§ 180 Abs. 2 Satz 3 ZVG). Zur Anfechtung des Zuschlagsbeschlusses vgl. §§ 96 ff. ZVG. 4. Sonstige Fälle
28 Darüber hinaus sind folgende Fälle hervorzuheben, in denen die sofortige Beschwerde in Betracht kommt:
29 – wenn im Aufgebotsverfahren, das nunmehr zur freiwilligen Gerichtsbarkeit zählt (§§ 433 ff. FamFG), das Gericht beim Aufgebot von (auch „hinkenden“) Inhaberpapieren das Verbot an den Aussteller und die bezeichneten Zahlstellen, an den Inhaber des Papiers eine Leistung zu bewirken (Zahlungssperre), aufhebt (§§ 482 Abs. 3, 483 Satz 1 FamFG);
30 – wenn das Gericht durch Beschluss über die Zulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtswegs entscheidet (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG), etwa weil streitig ist, ob eine bürgerlich- oder öffentlichrechtliche Streitigkeit vorliegt;
31 – wenn der Rechtspfleger (§ 21 Nr. 2 RPflG) über den Antrag des Rechtsanwalts entscheidet, die ihm gegen den Mandanten zustehende gesetzliche Vergütung festzusetzen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 RVG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
32 K
Praxistipp: Die sofortige Beschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg, wenn der Beschluss – zutreffend – entweder damit begründet ist, der Anwalt erstrebe die Festsetzung von Rahmengebühren, die nicht die Mindestgebühren seien oder denen der Auftraggeber nicht ausdrücklich zugestimmt habe (§ 11 Abs. 8 RVG), oder damit, dass der Gegner Einwendungen außerhalb des Gebührenrechts erhebe (§ 11 Abs. 5 RVG), weil er etwa die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 BGB wegen Verletzung des Anwaltsvertrags erklärt hat.
33 – Im Insolvenzverfahren findet die sofortige Beschwerde nur in den ausdrücklich angeordneten Fällen statt (§ 6 Abs. 1 InsO). Diese sind: die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§§ 21 Abs. 1 Satz 2, 344 Abs. 2 InsO), die Entscheidung über den Eröffnungsantrag (§ 34 Abs. 1, 2 InsO), die Versagung der Bestellung eines anderen Insolvenzverwalters (§ 57 Satz 4 InsO), die Anordnung von Zwangsgeld oder die Entlassung des Insolvenzverwalters, des Verfahrenskoordinators des Sachwalters bzw. des Treuhänders (§§ 58 Abs. 2 Satz 3, 59 Abs. 2 Satz 1, 269f Abs. 3, 274 Abs. 1, 292 Abs. 3 Satz 2 InsO), die Festsetzung der jeweiligen Vergütung (§§ 64 Abs. 3, 269f Abs. 3, 274 Abs. 1, 293 Abs. 2 InsO), die Entlassung von Mitgliedern des (vorläufigen) Gläubigerausschusses (§§ 70 Satz 3 Halbs. 2, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a Halbs. 1 InsO) bzw. des Gruppen-Gläubigerausschusses (§§ 70 Satz 3 Halbs. 2, 269c Abs. 2 Satz 2 InsO), die Ablehnung der Einberufung der Gläubigerversammlung (§ 75 Abs. 3 InsO), die Entscheidung über die Aufhebung von Beschlüssen der Gläubigerversammlung (§ 78 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO), Entschei1152
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Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
Rz. 39 Kap. 69
ZPO
dungen über die Inhaftierung des Schuldners (§ 98 Abs. 3 Satz 3 InsO), die Anordnung der Postsperre (§ 99 Abs. 3 Satz 1 InsO), Entscheidungen über Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis und über dessen Berichtigung (§ 194 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 InsO), Entscheidungen über die Nachtragsverteilung (§ 204 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 InsO), die Einstellung des Verfahrens (§ 216 Abs. 1 InsO), die Zurückweisung und die Entscheidung über die Bestätigung eines Insolvenzplans (§§ 231 Abs. 3, 253 Abs. 1 InsO), die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 2 Satz 3 InsO), Entscheidungen im Rahmen der Restschuldbefreiung (§§ 287a Abs. 1 Satz 3, 296 Abs. 3 Satz 1, 300 Abs. 4 Satz 2, 303 Abs. 3 Satz 2 InsO), die Ersetzung der Zustimmung zu einem Schuldenbereinigungsplan (§ 309 Abs. 2 Satz 3 InsO) sowie die öffentliche Bekanntmachung und der Grundbucheintrag der Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens (§§ 345 Abs. 3 Satz 3, 346 Abs. 2 Satz 2 InsO) – vgl. auch Kap. 95 Rz. 1 ff.
III. Beschwerdeschrift, Begründung 1. Form, Frist, Adressat Für die Form der sofortigen Beschwerde gilt, dass diese durch Einreichung einer Beschwerdeschrift einzulegen ist (§ 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Im Fall der Übermittlung auf elektronischem Weg beachte Kap. 28.
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Der Beschwerdeführer kann das Rechtsmittel statt dessen durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle einlegen, wenn er im ersten Rechtszug ohne Anwalt verhandeln durfte oder darf, wenn die Beschwerde die Prozesskostenhilfe betrifft oder wenn Beschwerdeführer ein Zeuge, Sachverständiger oder ein von einer Maßnahme nach §§ 142 Abs. 1 Satz 1, 144 Abs. 1 Satz 2 ZPO betroffener Dritter ist (§ 569 Abs. 3 Nr. 1–3 ZPO). Klar erkennbar sein müssen: Die angefochtene Entscheidung; der Wille, sofortige Beschwerde einzulegen (§ 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und der Vertretene, falls ein anderer als der verfahrens- oder prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt als Vertreter das Rechtsmittel einlegt. Das Rechtsmittel darf an keine Bedingung geknüpft sein. Anderenfalls ist es wirkungslos.
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Die Beschwerdefrist beträgt grundsätzlich zwei Wochen seit Zustellung der Entscheidung (§ 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 Halbs. 1 ZPO). Ausnahmsweise beträgt sie einen Monat, wenn das Gericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnt (s. Rz. 10).
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Praxistipp: Erhält der Anwalt einen Beschluss nicht nur formlos mitgeteilt, sondern zugestellt, muss er vor Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses prüfen, ob der Beschluss mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist (§ 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Wird der Beschluss nicht zugestellt, beginnt die Notfrist von zwei Wochen für die Einlegung der so- 38 fortigen Beschwerde mit dem Ablauf von fünf Monaten seit Verkündung des Beschlusses zu laufen (§ 569 Abs. 1 Satz 2 aE ZPO). Diese aus dem Berufungsrecht (§ 517 ZPO) übernommene Regelung ist jedoch unvollständig, weil nur die aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehenden Beschlüsse zu verkünden sind (§ 329 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dagegen fehlt eine ausdrückliche Regelung, wann die Frist anläuft, wenn der Beschluss nicht verkündet worden ist. Da § 189 ZPO bei fehlendem Zustellungswillen des Gerichts nicht greift (BGH NJW 2003, 1192, 1193), wird die Fünf-Monats-Frist hier mit der Bekanntgabe in Gang gesetzt (Zöller/Heßler § 569 ZPO Rz. 4).
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Wichtig: Für den Fall, dass der Beschluss nur formlos mitgeteilt worden ist, obwohl er der 39 sofortigen Beschwerde unterliegt, kann die Regelung des § 189 ZPO greifen, wenn die Zustellung richterlich angeordnet war (BGH NJW 1956, 1878, 1879; s. auch Kap. 26 Rz. 54 f.). Aus Anwaltssicht bedeutet dies, dass auch formlose Mitteilungen bei der Fristenkontrolle wie Zustellungen zu behandeln sind. Die Zwei-Wochen-Frist sollte daher stets als Notfrist notiert werden, wenn ein der sofortigen Beschwerde unterliegender Beschluss zugeht (Ausnahme: Monatsfrist, wenn ein Beschluss gem. Rz. 10 vorliegt). Piekenbrock
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Kap. 69 Rz. 40
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Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
Praxistipp: Auf formularmäßige Rechtsbehelfsbelehrungen, die das Gericht im Parteiprozess seit 1.1.2014 erteilen muss (§ 232 ZPO), darf sich der Anwalt nicht verlassen, weil vor allem bei anwaltlicher Vertretung trotzdem eine schuldhafte Säumnis in Betracht kommt (§ 233 Satz 2 ZPO)! Die Rechtslage im Zivilprozess unterscheidet sich damit nach wie vor wesentlich von der im Verwaltungsprozess (§ 58 Abs. 2 VwGO).
41 Hat das Gericht seine Entscheidung in eine falsche Form gegossen (etwa Entscheidung nur über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO in einem Urteil), ist nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz sowohl sofortige Beschwerde als auch die Berufung statthaft (Zöller/Heßler vor §§ 511–541 ZPO Rz. 30).
42 Möglicher Adressat der sofortigen Beschwerde ist sowohl das Gericht, das – gleich durch wen (Vorsitzender, Kollegium, Einzelrichter oder Rechtspfleger) – die Entscheidung erlassen hat, als auch das Gericht, das zur Entscheidung über das Rechtsmittel instanziell zuständig ist (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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Praxistipp: Da das Abhilfeverfahren jedoch zwingend ist (§ 572 Abs. 1 ZPO) und das Beschwerdegericht auch in dringenden Fällen nicht sofort entscheiden darf, ist mit der Einlegung beim Beschwerdegericht nur etwas gewonnen, wenn mit dem sofortigen Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 570 Abs. 3 ZPO gerechnet werden kann (vgl. dazu MüKo.ZPO/Lipp § 570 ZPO Rz. 5).
44 Weiter ist zu beachten, dass sofortige Beschwerden gegen Kostenentscheidungen nur zulässig sind, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt (§ 567 Abs. 2 ZPO). 2. Begründung, Begründungszwang
45 Die sofortige Beschwerde muss nicht mit einem bestimmten Antrag verbunden sein, soll aber eine Begründung enthalten (§ 571 Abs. 1 ZPO). Sowohl ein konkreter Antrag als auch die Begründung, und diese bereits in der Rechtsmittelschrift, sind aber dringend zu empfehlen. Der Antrag hilft, Missverständnisse bezüglich des Verfahrensgegenstands zu vermeiden und, sofern der Mandant den Beschluss nur teilweise anfechten möchte, den Beschwerdewert und damit das Kostenrisiko von vornherein einzugrenzen.
46 Die Vorschrift des § 571 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat nur den Zweck, die Anordnung weiteren Vorbringens erstmals auch im Beschwerdeverfahren mit einer Frist zu verbinden, deren Versäumung (§ 571 Abs. 3 Satz 2 ZPO) den Ausschluss mit weiterem Vorbringen auslösen kann. Daher liegt die Entscheidung, dem Beschwerdeführer weiteren Vortrag aufzugeben oder – ggf. nach rechtlichem Gehör des Beschwerdegegners – sogleich abschließend zu entscheiden, im pflichtgemäßen Ermessen des Beschwerdegerichts. Eine Pflicht, für eine nachträgliche Beschwerdebegründung eine Frist zu setzen, besteht daher nicht.
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Praxistipp: Ist eine Begründung nicht sofort möglich, aber beabsichtigt, sollte der Anwalt die Vorlage der Begründung innerhalb einer von ihm selbst gewählten Frist (drei Wochen nicht überschreiten!) wenigstens in der Beschwerdeschrift ankündigen.
3. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel
48 Das Rechtsmittel kann grundsätzlich nach wie vor auch auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden (§ 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Auch neue Anträge sind zulässig. Zu beachten ist jedoch, dass sich in beiden Fällen der Verfahrensgegenstand gegenüber demjenigen der angefochtenen Entscheidung nicht verändern darf.
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Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
Rz. 55 Kap. 69
Für den Spruchkörper, von dem die angefochtene Entscheidung stammt, besteht die Möglichkeit, der Beschwerde abzuhelfen, soweit er sie für begründet hält und die Bindung an die eigene Entscheidung in Urteilsform (§ 318 ZPO) der Abänderung nicht entgegensteht (§ 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Satz 2 ZPO).
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Ist die angefochtene Entscheidung vollstreckbar, beeinflusst das Rechtsmittel diesen Umstand grundsätzlich nicht. Aufschiebende Wirkung hat die sofortige Beschwerde kraft Gesetzes nur, wenn sie sich gegen die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels wendet (§ 570 Abs. 1 ZPO). In allen anderen Fällen, in denen dem Beschwerdeführer Vollstreckung aus der angefochtenen Entscheidung droht, kann dieser bei dem Spruchkörper, von dem sie stammt, die Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung oder beim Beschwerdegericht eine einstweilige Anordnung dieses Inhalts anregen (§ 570 Abs. 2, 3 ZPO). Um „echte“ Sachanträge handelt es sich dabei nicht, weil die Begehren auf Anordnungen des Gerichts abzielen, die einerseits von dessen pflichtgemäßem Ermessen abhängen und die das Gericht andererseits stets von Amts wegen zu erwägen hat.
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5. Verfahrensverlauf Zum Verlauf des Beschwerdeverfahrens bleibt anzumerken, dass die Entscheidung nunmehr grund- 51 sätzlich dem originären Einzelrichter übertragen ist, wenn die angefochtene Entscheidung ebenfalls von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger stammt (§ 568 Satz 1 ZPO). Dabei gilt der Vorsitzende einer Kammer für Handelssachen bei Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 ZPO jedoch nicht als Einzelrichter (BGHZ 156, 320, 325). Der Einzelrichter hat die Entscheidung zwingend auf die Kammer oder den Senat zu übertragen, wenn die Sache rechtlich oder tatsächlich schwierig oder gar von grundsätzlicher Bedeutung ist (§ 568 Satz 2 ZPO). Da dies immer der Fall ist, wenn Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht (§ 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO), ist hier die Übertragung auf das Kollegium obligatorisch (BGHZ 154, 200, 202; NJW 2003, 3712). Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ergeht stets in Form eines Beschlusses (§ 572 Abs. 4 ZPO). Daraus folgt, dass sie keine mündliche Verhandlung voraussetzt (§ 128 Abs. 4 ZPO).
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6. Sonderfälle Im Rahmen des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde sind nachstehende Sonderfälle zu beachten:
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a) Anschlussbeschwerde Die Anschlussbeschwerde ist möglich, auch wenn die eigene Rechtsmittelfrist verstrichen ist (§ 567 54 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Sie ist ähnlich ausgestaltet wie die Anschlussberufung. Hat sich der Beschwerdegegner vor Ablauf der Beschwerdefrist angeschlossen und außerdem auf die Beschwerde nicht verzichtet, behält die Anschließung entgegen § 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO ihre Wirkung, auch wenn der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurücknimmt oder das Gericht sie als unzulässig verwirft. In diesem Falle gilt nämlich die Anschließung als selbständige Beschwerde. b) Erinnerung Will der Mandant sich gegen eine Entscheidung des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wenden, muss er binnen der für die sofortige Beschwerde geltenden Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung die Entscheidung des Prozessgerichts beantragen (§ 573 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Wird der Erinnerung nicht abgeholfen, und bleibt sie auch beim Prozessgericht selbst erfolglos, wird sie nicht mehr dem Beschwerdegericht vorgelegt. Eine sofortige Hilfsbeschwerde (§ 577 Abs. 4 Satz 2 ZPO aF) gibt es seit 1.1.2002 ebenso wenig wie die bereits zuvor abgeschaffte Durchgriffserinnerung gegen Entscheidungen des Rechtspflegers (§ 11 Abs. 2 RPflG aF). Piekenbrock
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55
ZPO
4. Wirkung der sofortigen Beschwerde
ZPO
Kap. 69 Rz. 56
Sofortige Beschwerde, Beschwerde, Untätigkeitsbeschwerde
Vielmehr findet gegen die Entscheidung des Prozessgerichts des ersten Rechtszugs die sofortige Beschwerde statt (§ 573 Abs. 2 ZPO). c) Nichtigkeitsbeschwerde
56 Auf Beschlüsse, die mit sofortiger Beschwerde anfechtbar sind, überträgt der Gesetzgeber das zur Beseitigung rechtskräftiger Urteile geschaffene Wiederaufnahmeverfahren (§ 578 Abs. 1 ZPO) in der Weise, dass sich die Beschwerdefrist bei Vorliegen von Nichtigkeits- oder Restitutionsgründen gegen den anzufechtenden Beschluss auf die für die Wiederaufnahmeklagen geltenden Fristen verlängert (§ 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Da die Wiederaufnahmegründe kein gesondertes Rechtsmittel eröffnen, sondern nur die Rechtsmittelfrist für die sofortige Beschwerde verlängern, muss diese überhaupt statthaft sein. Dies ist bei Beschlüssen des Landgerichts als Beschwerdegericht und bei Beschlüssen des Oberlandesgerichts nicht der Fall (§ 567 Abs. 1 ZPO). d) Außerordentliche sofortige Beschwerde
57 Die außerordentliche Beschwerde zum Bundesgerichtshof ist nach der Neuordnung des Beschwerderechts durch das ZPO-RG nicht mehr zulässig (BGHZ 150, 133, 135 = MDR 2002, 901; BGH MDR 2005, 339 = NJW 2005, 143, 144; BauR 2006, 1019). Der Bundesgerichtshof kann daher nur noch in den Fällen des § 574 Abs. 1 ZPO angerufen werden. Ist ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder der anzugreifende Beschluss „greifbar gesetzeswidrig“, muss der Beschluss mit der Gehörsrüge (§ 321a ZPO) oder der entsprechend fristgebundenen Gegenvorstellung angefochten werden (BGHZ 150, 133, 136 = MDR 2002, 901). Wird dadurch ein angeblicher Verfassungsverstoß nicht beseitigt, bleibt nur noch die Verfassungsbeschwerde. e) Untätigkeitsbeschwerde
58 Vor dem Hintergrund, dass Art. 13 EMRK grundsätzlich auch bei überlanger Verfahrensdauer eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz fordert (EGMR NJW 2001, 2694, 2699 – Kudła/ Polen; NJW 2006, 2389, 2390 – Sürmeli/Deutschland), war vor einigen Jahren im Gespräch, nach österreichischem Vorbild (§ 91 GOG) eine gesetzliche Grundlage für eine Untätigkeitsbeschwerde zu schaffen mit dem Ziel, dass das übergeordnete Gericht dem untergeordneten eine Frist zur Durchführung einer konkreten Verfahrensmaßnahme setzt (vgl. Vorwerk JZ 2004, 553; Kroppenberg ZZP 119, 177, 183 ff.; Jakob ZZP 119, 303, 310 ff.). Dieses Vorhaben ist aber nach zum Teil massiven Protesten aus der Richterschaft gescheitert (BT-Drucks. 16/7655, S. 4). Stattdessen besteht in §§ 198 ff. GVG (Rz. 60) nunmehr eine kompensatorische Lösung. Daher ist eine Untätigkeitsbeschwerde dem geltenden Recht nach wie vor fremd (vgl. insb. BVerwG v. 5.12.2006 – 10 B 68/06; BSG, SozR 4 – 1500 § 160a Nr. 17 und 18). Soweit sie bisher in Familiensachen (OLG Frankfurt FamRZ 2007, 1030; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 288; OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1360; KG MDR 2008, 228 = NJW-RR 2008, 598) und vereinzelt auch in streitigen Zivilprozessen (OLG Düsseldorf NJW 2009, 2388) zugelassen worden ist, besteht davor de lege lata kein Raum mehr.
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Praxistipp: Wirkungsvoller dürfte bleiben, bei dem Dienstvorgesetzten des untätigen Richters ein Eingreifen anzuregen, möglichst emotionslos und sachlich, und dem Mandanten zu erläutern, dass dieses erfahrungsgemäß noch der schnellste Weg ist, den Fortgang der Sache zu erreichen. Psychologisch gesehen sind dem untätigen Richter Interventionen seines unmittelbaren Vorgesetzten, auch wenn ihnen wegen der richterlichen Unabhängigkeit erhebliche Grenzen gesetzt sind, zumeist unangenehmer und motivierender als Entscheidungen der nächsten Instanz, zu welcher in der Regel keine persönliche Nähe besteht.
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Piekenbrock
Rz. 2 Kap. 70
Rechtsbeschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde
Durch das Gesetz v. 24.11.2011 (BGBl. I, 2302) sind der Rechtsbehelf der Verzögerungsrüge und ein sich darauf stützender Entschädigungsanspruch in §§ 198 ff. GVG eingeführt worden (s. zur Verzögerungsrüge Kap. 25). Die Verzögerungsrüge ist der Rechtsbehelf zur Schließung von Rechtschutzlücken in Fällen überlanger Verfahrensdauer. Die Anwendung des GVG wurde durch Verweisungen in den einzelnen Fachprozessordnungen (§ 9 ArbGG, § 173 VwGO) erweitert, sodass die Verzögerungsrüge einen weitreichenden Anwendungsbereich hat. Mit der Einführung der Verzögerungsrüge hat der deutsche Gesetzgeber schließlich den Vorgaben des EGMR (NJW 2006, 2389 – Sürmeli/ Deutschland) aus Art. 6, 13 EMRK Rechnung getragen.
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Kapitel 70 Rechtsbeschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde I. Anwendungsfälle der Rechtsbeschwerde . . II. Beschwerdeschrift, Begründung, Frist und Form der Rechtsbeschwerde . . . . . . .
2
III. Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . .
9
8
Die Rechtsbeschwerde und die Nichtzulassungsbeschwerde sind nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen und zu begründen. Die nachfolgende Darstellung zielt deshalb nur darauf ab, den Instanzanwalt mit diesen Rechtsmitteln so weit vertraut zu machen, dass er seinen Pflichten zur Beratung seines Mandanten nachkommen kann.
1
I. Anwendungsfälle der Rechtsbeschwerde 2
Dieses Rechtsmittel ist statthaft, wenn – das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), namentlich bei der Verwerfung der Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) oder der Zurückweisung einer als unzulässig angesehenen Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO (BGH NJW 2016, 3380, Rz. 6), in Schiedssachen (§ 1065 ZPO), in Kapitalanlegermusterverfahren (§ 20 KapMuG), in schifffahrtsrechtlichen Verteilungssachen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 SVertO), in Anerkennungs- und Vollstreckungssachen (§ 15 AVAG) sowie in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen (§ 70 Abs. 3 FamFG); in Insolvenzsachen ist die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 7 InsO aF durch das Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO (BGBl. I 2011, 2082) zum 27.10.2011 aufgehoben worden (vgl. Art. 103f EGInsO); – das Beschwerde-, Berufungs- oder Oberlandesgericht im ersten Rechtszug es in seinem Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 70 Abs. 1 FamFG). Diese Zulassung kann nur dann im Wege eines Berichtigungsbeschlusses (§ 319 ZPO) nachgeholt werden, wenn das Gericht die Rechtsbeschwerde im Beschluss zulassen wollte und dies – für Dritte ohne Weiteres ersichtlich – nur versehentlich unterblieben ist (BGH NJW 2013, 2124 Rz. 10; NJW-RR 2015, 46 Rz. 9 ff.). Maßgeblich für die Zulassung ist die Urschrift in den Gerichtsakten und nicht eine zugestellte fehlerhafte Ausfertigung (BGH NJW-RR 2016, 1643 Rz. 5). Durch das 1. JuMoG (BGBl. I 2004, 2198) ist klargestellt (§§ 542 Abs. 2, 574 Abs. 1 Satz 2 ZPO), dass die Rechtsbeschwerde wie die Revision in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren nicht stattfindet. Vgl. entsprechend § 70 Abs. 4 FamFG.
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ZPO
f) Verzögerungsrüge
Rz. 2 Kap. 70
Rechtsbeschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde
Durch das Gesetz v. 24.11.2011 (BGBl. I, 2302) sind der Rechtsbehelf der Verzögerungsrüge und ein sich darauf stützender Entschädigungsanspruch in §§ 198 ff. GVG eingeführt worden (s. zur Verzögerungsrüge Kap. 25). Die Verzögerungsrüge ist der Rechtsbehelf zur Schließung von Rechtschutzlücken in Fällen überlanger Verfahrensdauer. Die Anwendung des GVG wurde durch Verweisungen in den einzelnen Fachprozessordnungen (§ 9 ArbGG, § 173 VwGO) erweitert, sodass die Verzögerungsrüge einen weitreichenden Anwendungsbereich hat. Mit der Einführung der Verzögerungsrüge hat der deutsche Gesetzgeber schließlich den Vorgaben des EGMR (NJW 2006, 2389 – Sürmeli/ Deutschland) aus Art. 6, 13 EMRK Rechnung getragen.
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Kapitel 70 Rechtsbeschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde I. Anwendungsfälle der Rechtsbeschwerde . . II. Beschwerdeschrift, Begründung, Frist und Form der Rechtsbeschwerde . . . . . . .
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III. Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . .
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Die Rechtsbeschwerde und die Nichtzulassungsbeschwerde sind nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen und zu begründen. Die nachfolgende Darstellung zielt deshalb nur darauf ab, den Instanzanwalt mit diesen Rechtsmitteln so weit vertraut zu machen, dass er seinen Pflichten zur Beratung seines Mandanten nachkommen kann.
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I. Anwendungsfälle der Rechtsbeschwerde 2
Dieses Rechtsmittel ist statthaft, wenn – das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), namentlich bei der Verwerfung der Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) oder der Zurückweisung einer als unzulässig angesehenen Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO (BGH NJW 2016, 3380, Rz. 6), in Schiedssachen (§ 1065 ZPO), in Kapitalanlegermusterverfahren (§ 20 KapMuG), in schifffahrtsrechtlichen Verteilungssachen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 SVertO), in Anerkennungs- und Vollstreckungssachen (§ 15 AVAG) sowie in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen (§ 70 Abs. 3 FamFG); in Insolvenzsachen ist die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 7 InsO aF durch das Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO (BGBl. I 2011, 2082) zum 27.10.2011 aufgehoben worden (vgl. Art. 103f EGInsO); – das Beschwerde-, Berufungs- oder Oberlandesgericht im ersten Rechtszug es in seinem Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 70 Abs. 1 FamFG). Diese Zulassung kann nur dann im Wege eines Berichtigungsbeschlusses (§ 319 ZPO) nachgeholt werden, wenn das Gericht die Rechtsbeschwerde im Beschluss zulassen wollte und dies – für Dritte ohne Weiteres ersichtlich – nur versehentlich unterblieben ist (BGH NJW 2013, 2124 Rz. 10; NJW-RR 2015, 46 Rz. 9 ff.). Maßgeblich für die Zulassung ist die Urschrift in den Gerichtsakten und nicht eine zugestellte fehlerhafte Ausfertigung (BGH NJW-RR 2016, 1643 Rz. 5). Durch das 1. JuMoG (BGBl. I 2004, 2198) ist klargestellt (§§ 542 Abs. 2, 574 Abs. 1 Satz 2 ZPO), dass die Rechtsbeschwerde wie die Revision in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren nicht stattfindet. Vgl. entsprechend § 70 Abs. 4 FamFG.
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ZPO
f) Verzögerungsrüge
Kap. 70 Rz. 3
Rechtsbeschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde
ZPO
3 In beiden Fällen ist im Regelfall Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 ZPO, § 70 Abs. 2 FamFG). Der Unterschied zwischen den beiden Fallgruppen liegt dann darin, dass diese Voraussetzungen bei gesetzlicher Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde in ZPO-Sachen in der Beschwerdebegründung darzulegen sind (§§ 574 Abs. 2, 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), während sie im zweiten Fall abschließend vom iudex a quo geprüft werden (§ 574 Abs. 3 ZPO). Innerhalb der ersten Fallgruppe gibt es zwei Sonderregelungen: Zum einen sieht § 20 Abs. 1 Satz 2 KapMuG vor, dass der Sache kraft Gesetzes grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zum anderen ist für die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen in § 70 Abs. 3 FamFG keine Beschränkung der Zulässigkeit vorgesehen. Damit dient die Rechtsbeschwerde in diesen Fällen wegen der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen stets der Sicherung der Einzelfallgerechtigkeit.
4 Wann das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zuzulassen hat oder die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist keine Ermessensfrage, sondern knüpft an zwingende gesetzliche Voraussetzungen an: die grundsätzliche Bedeutung der Sache oder die Erforderlichkeit einer höchstrichterlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 ZPO, § 70 Abs. 2 FamFG). Dabei handelt es sich wie in § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO jedoch um offene Rechtsbegriffe, die trotz aller Ausformung durch die Praxis (vgl. etwa BGHZ 152, 182, 187 ff.; 153, 254, 256; 154, 288, 291 ff.; 159, 135, 137 ff.; 172, 250 Rz. 8 ff.) im Einzelfall einen recht weiten Beurteilungsspielraum eröffnen.
5 Liegt einer der besagten Zulassungsgründe vor, muss das erkennende Gericht die Rechtsbeschwerde zulassen (§ 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Diese Entscheidung ist für das Rechtsbeschwerdegericht bindend (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Dies gilt auch, wenn das erkennende Gericht seine Befugnis, das Rechtsmittel zuzulassen, schon aus formalen Gründen überschritten hat, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO über eine aus seiner Sicht grundsätzliche Sache entschieden hat (BGHZ 154, 200, 202; 156, 320, 322). Nur wenn die fragliche Entscheidung kraft Gesetzes unanfechtbar oder, wie in einigen Kostensachen, nur mit der weiteren Beschwerde anfechtbar ist (s. Kap. 69 Rz. 1), bleibt die Zulassung der Rechtsbeschwerde ohne Wirkung (BGH NJW 2002, 3554; NJW 2003, 70; BGHZ 154, 200, 201).
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Praxistipp: Bei für die eigene Partei ungünstiger Entscheidung und Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter spricht zunächst einiges für deren Einlegung, weil die Aufhebung und Zurückverweisung mit anschließender Entscheidung durch das Kollegialgericht sicher ist.
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Wichtig: Anders liegt der vergleichbare Fall, dass der Einzelrichter im Berufungsverfahren die Revision zulässt. Denn dieser kann den Rechtsstreit, anders als der Einzelrichter im Beschwerdeverfahren, nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Kollegium nur übertragen, sofern die Prozesslage sich seit Übertragung des Rechtsstreits auf ihn wesentlich geändert hat (BGH NJW 2003, 2900).
II. Beschwerdeschrift, Begründung, Frist und Form der Rechtsbeschwerde 8 Die Beschwerdeschrift, durch die allein die Parteien das Rechtsmittel einlegen können, muss binnen Monatsfrist seit Zustellung des anzufechtenden Beschlusses beim Rechtsbeschwerdegericht eingegangen sein (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG); eine Einlegungsmöglichkeit beim iudex a quo gibt es grundsätzlich nicht (Ausnahme: § 26 Abs. 3 VSchDG); eine Abhilfebefugnis ist nicht vorgesehen. Da Rechtsbeschwerdegericht immer der BGH ist (§ 133 GVG), sind für dieses Rechtsmittel nur die beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte postulationsfähig (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO, § 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG). 1158
Piekenbrock
Kap. 71
Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde der Revision nachgebildet (§ 576 ZPO, § 72 FamFG) und dient der Überprüfung der Entscheidung in rechtlicher Hinsicht. Ist sie kraft gesetzlicher Bestimmung statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), kann in die Einzelfallprüfung aber erst eingestiegen werden, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO gegeben sind. Freilich ist in der Praxis zu beobachten, dass die Rechtsbeschwerdeentscheidungen insbesondere in Fällen des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO zum Teil kein Wort zu diesen besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen verlieren.
8a
ZPO
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
III. Nichtzulassungsbeschwerde Die Nichtzulassungsbeschwerde findet nur gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht statt (§ 544 ZPO), nicht aber gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht (Ausnahme: § 25 VSchDG). Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils des Berufungsgerichts, das jetzt auch das Landgericht sein kann, beim Bundesgerichtshof als dem Revisionsgericht einzulegen, spätestens binnen sechs Monaten seit Verkündung des Urteils (§ 133 GVG, § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Frist für die Begründung läuft parallel zur Rechtsmittelfrist, ist im zweiten Falle allerdings einen Monat länger (sieben Monate; § 544 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Wie bei der Rechtsbeschwerde hat der Beschwerdeführer die Zulassungsvoraussetzungen darzulegen.
9
K
10
Praxistipp: Für den Instanzanwalt ist es wichtig zu wissen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde Rechtsschutz gegen Gehörsverletzungen gewährt (vgl. § 544 Abs. 7 ZPO) und die Voraussetzungen für eine Gehörsrüge nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO daher nicht vorliegen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist (BGHZ 161, 343, 346). Die Gehörsrüge greift daher nur Platz, wenn die Beschwerdesumme nicht erreicht ist (s. dazu Rz. 11) oder das Berufungsgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2, 3 ZPO entschieden hat.
Mindestens bis zum 31.12.2019 hängt die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde davon ab, 11 dass der Wert „der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt“ (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO). Es genügt nicht, dass die anzufechtende Entscheidung den Beschwerdeführer iHv. insgesamt mehr als 20.000 Euro beschwert. Vielmehr muss der abgrenzbare Teil des Rechtsstreits, dessen Entscheidung die Klärung der Zulassungsfrage (§ 543 Abs. 2 ZPO) erfordert, den Beschwerdeführer mit mehr als 20.000 Euro beschweren (BGH NJW 2002, 2720). Eine weitere Verlängerung der Übergangsregelung ist denkbar, aber keinesfalls sicher (s. auch Kap. 15 Rz. 32). Um die Parallele zur Rechtsbeschwerde nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO zu sichern, die keine Streitwertgrenze kennt, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde uneingeschränkt zulässig ist, wenn die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist (§ 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO).
Kapitel 71 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Notfrist“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Fristwahrung . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 13 13 22
3. Fehlendes Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des Verschuldens . . . . . . . . . . . . b) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Piekenbrock/Jaspersen
25 26 52 58 58 59
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Kap. 71
Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde der Revision nachgebildet (§ 576 ZPO, § 72 FamFG) und dient der Überprüfung der Entscheidung in rechtlicher Hinsicht. Ist sie kraft gesetzlicher Bestimmung statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), kann in die Einzelfallprüfung aber erst eingestiegen werden, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO gegeben sind. Freilich ist in der Praxis zu beobachten, dass die Rechtsbeschwerdeentscheidungen insbesondere in Fällen des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO zum Teil kein Wort zu diesen besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen verlieren.
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
III. Nichtzulassungsbeschwerde Die Nichtzulassungsbeschwerde findet nur gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht statt (§ 544 ZPO), nicht aber gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht (Ausnahme: § 25 VSchDG). Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils des Berufungsgerichts, das jetzt auch das Landgericht sein kann, beim Bundesgerichtshof als dem Revisionsgericht einzulegen, spätestens binnen sechs Monaten seit Verkündung des Urteils (§ 133 GVG, § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Frist für die Begründung läuft parallel zur Rechtsmittelfrist, ist im zweiten Falle allerdings einen Monat länger (sieben Monate; § 544 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Wie bei der Rechtsbeschwerde hat der Beschwerdeführer die Zulassungsvoraussetzungen darzulegen.
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Praxistipp: Für den Instanzanwalt ist es wichtig zu wissen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde Rechtsschutz gegen Gehörsverletzungen gewährt (vgl. § 544 Abs. 7 ZPO) und die Voraussetzungen für eine Gehörsrüge nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO daher nicht vorliegen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist (BGHZ 161, 343, 346). Die Gehörsrüge greift daher nur Platz, wenn die Beschwerdesumme nicht erreicht ist (s. dazu Rz. 11) oder das Berufungsgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2, 3 ZPO entschieden hat.
Mindestens bis zum 31.12.2019 hängt die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde davon ab, 11 dass der Wert „der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt“ (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO). Es genügt nicht, dass die anzufechtende Entscheidung den Beschwerdeführer iHv. insgesamt mehr als 20.000 Euro beschwert. Vielmehr muss der abgrenzbare Teil des Rechtsstreits, dessen Entscheidung die Klärung der Zulassungsfrage (§ 543 Abs. 2 ZPO) erfordert, den Beschwerdeführer mit mehr als 20.000 Euro beschweren (BGH NJW 2002, 2720). Eine weitere Verlängerung der Übergangsregelung ist denkbar, aber keinesfalls sicher (s. auch Kap. 15 Rz. 32). Um die Parallele zur Rechtsbeschwerde nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO zu sichern, die keine Streitwertgrenze kennt, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde uneingeschränkt zulässig ist, wenn die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist (§ 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO).
Kapitel 71 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Notfrist“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Fristwahrung . . . . . . . . . . . . . . . .
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Piekenbrock/Jaspersen
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ZPO
Kap. 71 Rz. 1 3. 4. 5. 6. IV. 1.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glaubhaftmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einspruchsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 71.1 Einspruch und Wiedereinsetzungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 71.2 Berufung und Wiedereinsetzungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe M 71.3 Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe . .
62 64 71 80 83 83
3.
84 85 86 87 90 100
V. 1. 2.
c) Nach Verweigerung von Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufungsbegründungsfrist . . . . . . . . . . . . a) Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 71.4 Berufungsbegründung und Wiedereinsetzungsantrag . . . . . b) Sonderfall: Wegfall des Hindernisses während noch laufender Berufungsbegründungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderfall: Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist, wenn Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sind . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegen Gewährung der Wiedereinsetzung . . Gegen Versagung der Wiedereinsetzung . . .
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I. Allgemeines 1 Prozesshandlungen können fristgebunden sein. Versäumt es eine Partei, eine Prozesshandlung innerhalb der vorgesehenen Frist vorzunehmen, ist sie grundsätzlich mit der vorzunehmenden Prozesshandlung ausgeschlossen (§ 230 ZPO); die Folge ist ein Rechtsverlust. Besonders misslich ist dies, wenn die Ursache für die Versäumung nicht im Verantwortungsbereich der Partei liegt, sondern in dem ihres Rechtsanwalts. Ihr bleibt dann nur der Versuch, dem Rechtsverlust durch eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu entgehen. Um die Wiedereinsetzung muss in einem gesonderten Verfahren nachgesucht werden (§§ 233–238 ZPO). Die Vorbereitung eines Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf besonderer Sorgfalt. Die Praxis zeigt, dass hier häufig vermeidbare Fehler unterlaufen. Zur Anwendbarkeit der §§ 233 ff. ZPO im Bereich des FamFG vgl. Kap. 113 Rz. 8.
II. Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung 2 Eine Wiedereinsetzung kommt nur in Betracht, wenn eine Frist iS des § 233 ZPO versäumt worden ist und der Partei diesbezüglich kein Verschulden vorwerfbar ist. 1. „Notfrist“
3 Fristen iS des § 233 ZPO sind in erster Linie sog. Notfristen gem. § 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO (zur Wiedereinsetzung bei Versäumung der 5-Monatsfrist gem. § 517 Halbs. 2 ZPO vgl. OLG Jena MDR 2008, 43).
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Praxistipp: Auch die Frist zur Erklärung der Verteidigungsanzeige gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO fällt nach richtiger Ansicht hierunter (vgl. MüKo.ZPO/Gehrlein § 233 ZPO Rz. 11 mwN; zur Gegenansicht: vgl. Kap. 20 Rz. 4). Eine Wiedereinsetzung macht Sinn, weil sie einen weitergehenden Rechtsschutz gewährt, als der Einspruch gem. § 340 ZPO. Sie führt ohne Weiteres zur Wirkungslosigkeit des aufgrund der Versäumnis der Notfrist erlassenen Versäumnisurteils (vgl. MüKo.ZPO/Gehrlein aaO, mwN auch zur Gegenansicht). Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil ist einzustellen und bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen sind aufzuheben (§§ 775 Nr. 1, 776 ZPO).
5 Unter § 233 ZPO fallen des Weiteren die Fristen zur Begründung der Berufung (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der Revision (§ 551 Abs. 2 Satz 2 ZPO), der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 ZPO) und der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 2 ZPO). Zur Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) vgl. Rz. 68. 1160
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
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Wird eine Berufung verspätet eingelegt oder begründet, ist sie vorbehaltlich der Fristeinhaltung gem. § 524 Abs. 2 ZPO als unselbständige Anschlussberufung zu behandeln (allgemeine Ansicht).
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Wichtig: Eine Wiedereinsetzung ist ausgeschlossen, soweit es um die Versäumung eines rechtzeitigen Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (vgl. BGH VersR 1987, 308; s. hierzu Rz. 67 f.) und um die Ergänzung einer rechtzeitig vorgelegten, aber unvollständigen Rechtsmittelbegründungsschrift geht (BGH FamRZ 2007, 903 Rz. 12). Auch sog. gesetzlich vorgesehene Einlassungsfristen (zB § 340 Abs. 3 ZPO) fallen nicht unter §§ 233 ff. ZPO. Insoweit erfolgt ein Interessenausgleich dadurch, dass es ggf. an einem Verschulden für verspätetes Vorbringen fehlt.
Praxistipp: Die Unselbständigkeit der Anschlussberufung zwingt dazu, vorsorglich Wiederein- 8 setzung in die versäumte Berufungs- bzw. Berufungsbegründungsfrist zu beantragen.
Problematisch ist, ob Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für die Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 ZPO) gewährt werden kann (zur Frist allgemein BGH MDR 2008, 453, 454), da es sich bei der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO weder um eine Notfrist noch um eine in § 233 ZPO genannte Frist handelt. Teilweise wird – da keine Notfrist in Rede stehe – eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen und der Berufungsbeklagte darauf verwiesen, er könne die Verlängerung der Frist zur Berufungserwiderung erreichen (zB Zöller/Heßler § 524 ZPO Rz. 10). Der BGH hat diese Frage bislang offengelassen (BGH NJW 2015, 2812 mwN). Die Gegenansicht (u.a. OLG Stuttgart OLGR 2008, 25 für eine erst durch einen gerichtlichen Hinweis veranlasste Anschlussberufung; OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 215) verdient mE Zustimmung, weil sie bei einer Prozesskostenhilfebedürftigkeit des Berufungsbeklagten zu angemesseneren Ergebnissen führt.
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Praxistipp: Solange keine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, sollte der bereits vom Berufungsbeklagten bestellte Anwalt um eine Verlängerung der Erwiderungsfrist nachsuchen; hilfsweise sollte er nach Versäumung der Frist eine Wiedereinsetzung in die versäumte Anschlussberufungsfrist beantragen.
Uneinheitlich ist das Bild bezüglich der sog. vorprozessualen Klagefristen. Während für die An- 11 fechtungsklage im Wohnungseigentumsrecht §§ 233 ff. ZPO entsprechend gelten (§ 46 Abs. 1 Satz 3 WEG), wird eine Heranziehung der Vorschriften zur Wiedereinsetzung überwiegend unter Hinweis darauf verneint, dass es sich um materiell-rechtliche und keine prozessualen Fristen handele (für § 246 Abs. 1 AktG: LG Köln NZG 2009, 1150 Rz. 96 mwN; vgl. für § 51 Abs. 1 Satz 2 GenG Stein/Jonas/Roth § 233 ZPO Rz. 11). Diese herrschende Ansicht hat – wie ein Umkehrschluss aus § 5 KSchG ergibt – gute Gründe für sich. Ein Prozesskostenhilfegesuch wahrt die Frist, wenn nach der Entscheidung demnächst (vgl. § 167 ZPO) oder jedenfalls binnen zwei Wochen (vgl. § 234 Abs. 1 ZPO) Klage erhoben wird (strittig). Der Gesetzgeber hat eine Wiedereinsetzung in die 6-monatige Klagefrist gem. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG nicht vorgesehen, so dass auch ein Prozesskostenhilfegesuch innerhalb der Frist die Klagefrist nicht offen halten kann (OLG Hamburg MDR 2013, 1033). Auch für die Frist zum Widerruf eines Prozessvergleichs wird eine Wiedereinsetzung verneint (vgl. u.a. BGH NJW 1995, 521 f. mwN). Zur Jahresfrist gem. § 234 Abs. 3 ZPO vgl. Rz. 68.
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2. Säumnis a) Fristbeginn Jede Säumnis verlangt einen Fristbeginn. Dieser verlangt bei einem Urteil dessen ordnungsgemäße Verkündung gem. § 311 ZPO. Der Nachweis ist – auch in Ehe- und Familienstreitsachen – nur durch ein vom Richter unterzeichnetes Verkündungsprotokoll möglich (BGH NJW-RR 2017, 386). Bedarf die zuzustellende Entscheidung einer Berichtigung (§ 320 ZPO), tangiert dies den Fristbeginn nicht, es sei denn erst aus der Berichtigung ergibt sich die Anfechtbarkeit (zB eine Beschwer s. BGH
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NJW-RR 2016, 1340 Rz. 7). Darüber hinaus ist ein Fristbeginn in aller Regel abhängig von einer wirksamen Zustellung (zum Zustellungsadressaten vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO). An Rechtsanwälte kann gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden (§ 174 ZPO). Bei mehreren beauftragten Rechtsanwälten ist die erste Zustellung entscheidend (BGH NJW 2003, 2100). Fehlt es an einer wirksamen Zustellung, scheidet eine Säumnis aus und ist für eine Wiedereinsetzung kein Raum (BGH MDR 2007, 732). In Anwaltsprozessen kann auch nach Mandatsniederlegung an den bisherigen Prozessbevollmächtigten gem. § 87 Abs. 1 ZPO wirksam zugestellt werden, bis die Bestellung eines neuen Anwalts angezeigt worden ist (BGH MDR 2007, 1330); soweit kein Anwaltsprozess gegeben ist, kann gem. § 87 Abs. 2 ZPO eine Zustellung anzunehmen sein, wenn der bisherige Anwalt die Zustellung akzeptiert (BGH MDR 2007, 1444). Zu beachten ist, dass eine Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens einer wirksamen Zustellung entgegensteht (arg. ex § 249 Abs. 2 und 3 ZPO); die Zustellung muss nach Ende der Aussetzung bzw. Unterbrechung nachgeholt werden, die Heilung einer fehlerhaften Zustellung gem. § 295 ZPO ist allerdings möglich (Zöller/Greger § 295 ZPO Rz. 3). Keine Säumnis liegt vor, wenn eine Berufung irrtümlich zurückgenommen worden ist und es um eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für eine neue Berufung geht (BGH NJW 2007, 3640 f.). § 321a Abs. 2 Satz 3 ZPO beinhaltet eine besondere Zugangsbestimmung: Eine Entscheidung gilt mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Wenn der Anwalt aus der Entscheidung den Gehörsverstoß erkennen kann, läuft mit der Bekanntgabe die 2-Wochenfrist an (BGH v. 11.2.2013 – IX ZB 101/12).
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Wichtig: Für den nicht streitgenössischen Nebenintervenienten beginnt die Frist mit der Frist für die unterstützte Partei. Für ihn läuft keine eigene Frist, und er kann nicht aus eigenem Recht Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist beantragen. Nach hA kann der Streithelfer selbst um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung von Rechtsmittelfristen nur aus in der Partei liegenden Gründen, nicht aus solchen in seiner Person nachsuchen (ausf. OLG Köln v. 15.8.2011 – 11 U 116/11; offengelassen BGH MDR 1989, 1095). Geht es allerdings um die Frist gem. § 321 Abs. 2 ZPO wegen einer vergessenen Kostenentscheidung gem. § 101 Abs. 1 ZPO, kommt es auf die Zustellung beim Nebenintervenienten an (vgl. BGH NJW-RR 2005, 295). Anders ist es beim streitgenössischen Nebenintervenienten. Für ihn laufen gesonderte Fristen; nur solange er noch nicht beigetreten ist, hängt seine Frist von der Zustellung an die Hauptpartei ab. Versäumt er eine Rechtsmittelfrist, kann er aus eigenem Recht und eigenen Gründen um Wiedereinsetzung nachsuchen (BGH ZIP 2008, 942).
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Praxistipp: Bevor eine Wiedereinsetzung erwogen wird, ist notwendigerweise die Zustellung zu prüfen. Das vorrangige Ziel muss sein, einen Fristbeginn durch eine wirksame Zustellung in Abrede zu stellen. Übersendet die Geschäftsstelle einem Rechtsanwalt ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung nach § 174 Abs. 1 ZPO, so ist zur Wirksamkeit der Zustellung die Ausstellung eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses erforderlich. Die Befugnis, eine Zustellung auf diese Weise zu beurkunden, steht dem Rechtsanwalt kraft seiner privilegierten Stellung zu, die er als Organ der Rechtspflege innehat. Aus diesem Grunde kann er sie nicht in beliebiger Weise auf Nichtanwälte – weder auf Büropersonal noch außenstehende Dritte – übertragen (BGH NJW 1994, 2295). Nach der Rechtsprechung hindert das Fehlen des gem. § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Datums auf dem Empfangsbekenntnis nicht die Wirksamkeit der Zustellung (BGH MDR 2005, 1427).
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Wichtig: Zu beachten ist nunmehr, dass auch bei einer Notfrist die Heilung eines formellen Zustellungsmangels durch einen tatsächlichen Zugang möglich ist (§ 189 ZPO; vgl. Kap. 26 Rz. 54), was auch bei der Zustellung an Rechtsanwälte gilt. Das Gericht muss eine förmliche Zustellung gewollt und veranlasst haben (BGH MDR 2017, 1078). Die Frage des tatsächlichen Zugangs beantwortet sich gem. § 286 ZPO nach den Gesamtumständen (BFH NV 2007, 1158). Geheilt werden Zustellungsmängel und auch ein Mangel des zuzustellenden Schriftstücks selbst (BGH NJW 2017, 411 Rz. 22). Eine Heilung gem. § 189 ZPO scheidet aus, wenn der Adressat sich nicht eindeutig ergibt (ausf. zu den Grenzen einer Heilung BGH NJW 2017, 2472 Rz. 38 ff.).
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rz. 21 Kap. 71
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Wichtig: Der Rechtsanwalt muss dafür Sorge tragen, dass sein Büropersonal bereits beim tatsächlichen Zugang (hierzu vgl. Kap. 26 Rz. 54) eines eine Notfrist in Lauf setzenden Schriftstücks eine Fristnotierung vornimmt. Ein Verstoß gegen diese Sorgfaltspflicht ist schuldhaft gem. § 233 ZPO. In der Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags (hierzu Rz. 71 ff.) ist bei der Darstellung einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle hierauf zu achten.
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Außerdem hat die Heilung einer fehlerhaften Zustellung auch Einfluss auf die Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO (vgl. Rz. 69).
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§ 189 ZPO knüpft an die Rechtsprechung an, nach der es für die Wirksamkeit einer Zustellung an den Rechtsanwalt ausgereicht hat, wenn er den Zugang des zuzustellenden Schriftstücks schriftsätzlich bestätigt hat (BGH NJW 1994, 2295 f.). Dies hat auch für die Wiedereinsetzung gewichtige Konsequenzen.
Der durch eine Postzustellungsurkunde dokumentierte Zeitpunkt einer Zustellung ist – ebenso wie 20 die sonstigen für eine wirksame Zustellung erforderlichen Umstände, die durch die Zustellungsurkunde ausgewiesen werden – widerlegbar (§ 418 Abs. 2 ZPO; vgl. BGH NJW-RR 2001, 571 zur Beweiswürdigung). Immer ist zu hinterfragen, welche Tatsachen eine Zustellungsurkunde belegt (vgl. OLG Bamberg DAR 2012, 268). Zum Beispiel beweist die Zustellungsurkunde nicht, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsadresse wohnt, wenn auch der Zustellungsurkunde insofern eine wichtige Indizwirkung zukommen kann (BGH NJOZ 2001, 864). Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens; zu beweisen ist damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung. Notwendig ist der volle Beweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (BGH MDR 2006, 589). Da der Freibeweis gilt, kommt auch eine eidesstattliche Versicherung in Betracht. Hierbei ist aber zu beachten, dass die eidesstattliche Versicherung der beweispflichtigen Partei nur unter den Voraussetzungen von § 447 ZPO zulässig ist und die des Gegners gem. § 445 Abs. 2 ZPO hinsichtlich des unmittelbaren Gegenbeweises ausgeschlossen sein kann. Die oben genannten Beweisgrundsätze für die Widerlegung der durch Postzustellungsurkunde aus- 21 gewiesenen Zustellung gelten im Grundsatz auch für ein anwaltliches Empfangsbekenntnis. Es beweist den Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (OLG Jena NJOZ 2016, 457). Es handelt sich zwar nur um eine Privaturkunde (§ 416 ZPO), bzgl. der gem. § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO ausgewiesenen Datierung (zum nicht zwingenden Erfordernis einer Datumsangabe vgl. BGH MDR 2005, 1427) findet nach ständiger Rechtsprechung aber § 418 Abs. 2 ZPO Anwendung. Der danach mögliche Gegenbeweis, dass die Datumsangabe im Empfangsbekenntnis unzutreffend ist, unterliegt strengen Anforderungen. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede vernünftige Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein können (BGH MDR 2012, 798). Obwohl auch hier der Grundsatz des Freibeweises gilt, genügt eine Glaubhaftmachung durch eidesstattliche bzw. anwaltliche Versicherung im Allgemeinen nicht (BGH MDR 2007, 732). Das Gericht muss deshalb den Beweisangeboten nachgehen (BGH NJW 2003, 2460). Mit der anwaltlichen Versicherung eines relevanten Umstands wird konkludent der Antrag auf Vernehmung des Anwalts als Zeuge gestellt; ggf. muss das Gericht der Partei Gelegenheit geben, die Unrichtigkeit durch andere Beweismittel zu beweisen (BGH NJW-RR 2006, 1435). Für die Praxis wichtig ist, dass auch im Falle einer erheblichen zeitlichen Diskrepanz zwischen dem vermeintlichen Zeitpunkt der Übersendung eines Schriftstücks und dem in dem Empfangsbekenntnis enthaltenen Datum nicht schon wegen einer möglichen Missbrauchsgefahr der Gegenbeweis der Unrichtigkeit geführt ist (BGH NJW 2012, 2117).
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Kap. 71 Rz. 22
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
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b) Keine Fristwahrung
22 An einer Säumnis fehlt es, wenn die Frist gewahrt worden ist. Dies erfordert gem. § 130 Nr. 6 ZPO einen unterschriebenen Schriftsatz; der unterschreibende Anwalt muss die Verantwortung für den Schriftsatz übernehmen, was bei einer Unterzeichnung „i.V.“ der Fall ist, nicht aber bei einer Unterzeichnung „i.A.“ (BGH NJW 2012, 1689, 1690). Die Fristberechnung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen; zu beachten ist, dass eine vor einer Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens angelaufene gesetzliche Frist nach deren Ende neu beginnt (vgl. § 249 Abs. 1 ZPO). Die Frist ist bei Einlegung eines bedingten Rechtsmittels nicht gewahrt (zur Abgrenzung bedingte – unbedingte Berufung vgl. BGH FamRZ 2013, 1720 Rz. 13 f.; MDR 2007, 1387); die Bedingung kann innerhalb der Berufungsfrist zurückgenommen werden. Demjenigen, der eine Frist einzuhalten hat, obliegt der volle Beweis für die Fristwahrung. Ein gerichtlicher Eingangsstempel auf einem Schriftsatz erbringt als öffentliche Urkunde gem. § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür, dass der Schriftsatz erst an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Der Gegenbeweis ist zulässig und im Wege des Freibeweises zu führen (§ 418 Abs. 2 ZPO); notwendig ist die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang des Schriftsatzes. Die bloße Glaubhaftmachung, etwa durch eidesstattliche Versicherung, genügt deshalb nicht. Auch die allgemeine Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten fehlerhaft funktioniert hat bzw. bedient worden ist, reicht nicht aus. Allerdings dürfen wegen der Beweisnot des Rechtsanwalts hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden; wegen der Beweisnot des außenstehenden Rechtsanwalts, ist es zunächst Sache des Gerichts, den Sachverhalt aufzuklären (BGH NJW 2017, 2285 Rz. 20). Der Beweis kann erbracht sein, wenn die Darstellung des Anwalts, er habe den Schriftsatz rechtzeitig in den Nachtbriefkasten eingelegt, in den Details plausibel und widerspruchsfrei ist und konkrete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Bevollmächtigten nicht bestehen. Zweifel können sich daraus ergeben, dass ein Fehler im Verantwortungsbereich des Gerichts als unwahrscheinlich erscheint (BGH MDR 2012, 667).
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Praxistipp: Auch wenn in erster Linie die Rechtzeitigkeit eines Eingangs geltend gemacht wird, ist es zulässig, für den Fall, dass das Gericht den Gegenbeweis gem. § 418 Abs. 2 ZPO als nicht geführt ansieht, hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die vom Gericht anzunehmende Versäumung der Frist zu beantragen (BGH MDR 2003, 1193 f.).
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Wichtig: Wegen der Probleme, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, den fristgebundenen Zugang eines elektronischen Dokuments zu beweisen (wegen des über den Zugang auszustellenden Empfangsbekenntnisses vgl. § 174 Abs. 3 Satz 3 ZPO), s. Kap. 28 Rz. 69 ff.
3. Fehlendes Verschulden
25 Herzstück des Wiedereinsetzungsverfahrens ist die Frage, ob die Frist schuldlos versäumt worden ist. Die Frage ist zu bejahen, wenn es an einem schuldhaften Verhalten mangelt oder – bei dessen Vorliegen – doch an seiner Ursächlichkeit für die Fristüberschreitung. a) Begriff des Verschuldens
26 Ob ein Verschulden angenommen werden kann, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Seit 1977 (Gesetz v. 3.12.1976, BGBl. I, 3281) ist der subjektive Maßstab der Zumutbarkeit anzulegen. Abzustellen ist hierbei darauf, welche Sorgfalt üblicherweise einer ordentlichen Prozesspartei abverlangt werden kann. Bei dem der Partei zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) Anwaltsverschulden ist die standesübliche, also berufsbedingt hohe Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts maßgeblich; zu weit geht es, dem Anwalt eine äußerste oder größtmögliche Sorgfalt abzuverlangen (BGH NJW 2014, 700). Vom Anwalt oder der Partei wird nur das „Möglichste“ verlangt, nämlich die unter den gegebenen Umständen zu erwartende, zumutbare Sorgfalt anzuwenden (BGH NJW 1990, 1239 f.); die Anforderungen dürfen einerseits wegen Art. 103 GG nicht überspannt, andererseits im Interesse eines geordneten und zügigen Verfahrens nicht vernachlässigt werden. Besondere individuelle Um1164
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rz. 30 Kap. 71
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stände (zB Krankheit, Ausnahmesituation) können und müssen zusätzliche Berücksichtigung finden. Dagegen entlastet schlichte Rechtsunkenntnis grundsätzlich nicht; allerdings kann im Falle einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf den Rechtsweg ein Verschulden des Anwalts entfallen (ausf. BGH MDR 2014, 365 mwN). Zur häufigen Frage, ob eine schuldhafte Verkennung der Berufungszuständigkeit in Wohnungseigentumssachen anzunehmen ist (vgl. § 72 Abs. 2 GVG), vgl. BGH NJW 2014, 2503; BGH MDR 2011, 1129 Rz. 8 ff. Wer eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpft, trifft wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos für die Fristwahrung eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er muss alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternehmen, die im Allgemeinen die Fristwahrung sichern (BGH NJW 2006, 2637). Die Rechtsprechung im Einzelnen ist kaum übersehbar. In Zweifelsfällen kann letztlich nur ein Blick in die umfangreiche Kasuistik Aufschluss geben. Zur Rechtsprechung des BGH vgl. die jährliche Rechtsprechungsübersicht in der NJW. Praxistipp: Ein detailliertes Studium der Kasuistik ist dringend angeraten, bevor der Antrag ge- 27 stellt wird. Das gilt insbesondere, wenn die Säumnis die Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist betrifft. Gibt es Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem einschlägigen Fall, sollte sie in der Rechtsbeschwerde angeführt werden. Andernfalls kann sie selbst dann nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht zu Unrecht eine unverschuldete Säumnis verneint hat.
Eine Systematisierung der ergangenen Rechtsprechung kann durch eine Aufteilung in Verantwortungsbereiche erfolgen:
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– persönlicher Verantwortungsbereich; – Verantwortungsbereich eines Bevollmächtigten; – Verantwortungsbereich Dritter. Auch die nicht juristische geschulte Partei hat für den ordnungsgemäßen Fortgang des Verfahrens Sorge zu tragen. In diesem Zusammenhang wird von ihr verlangt, dass sie selbständig und rechtzeitig Erkundigungen über Form und Frist eines Rechtsmittels gegen eine für sie nachteilige Entscheidung einholt (zur Pflicht einer Partei, bei Kenntnis der Verkündung einer Entscheidung für den Bevollmächtigten erreichbar zu bleiben, BGH MDR 2009, 644 f.); die Partei kann sich grundsätzlich auf eine Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 232 ZPO) verlassen, muss diese aber sorgfältig lesen und interpretieren. Hier, wie auch in den folgenden Fällen, wirkt sich der Grundsatz aus, dass nicht geschützt wird, wer der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht; dieser nimmt nicht teil am Schutz durch Art. 19 Abs. 4 iVm. Art. 103 Abs. 1 GG, der gerade durch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung sichergestellt werden soll (BGH NJW 1997, 1989). Eine Partei muss keine Vorkehrungen dafür treffen, dass ihr bei vorübergehender Abwesenheit von bis zu 6 Wochen vom Wohnort Zustellungen nachgesendet werden (BVerfG NJW 2013, 592 f.; ob das auch dann gilt, wenn er darum weiß, dass in einem laufenden oder bevorstehenden Verfahren eine Zustellung erfolgen kann, ist problematisch; aA BVerfG NJW 2013, 592 f. für den strafrechtlichen Bereich). Bedient sich die Partei eines technischen Hilfsmittels oder einer unselbständigen Hilfsperson zur Übermittlung, ist entscheidend, ob sie von der Zuverlässigkeit der Übermittlung hat ausgehen können (zur Erreichbarkeit eines Mandanten vgl. BGH MDR 2003, 408). Eine Partei darf auf die normalen Postlaufzeiten vertrauen, dh. darauf, dass werktags aufgegebene Postsendungen am nächsten, spätestens am übernächsten Werktag ausgeliefert werden, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte für diesbezügliche Zweifel vor (BGH MDR 2008, 583). Insbesondere wenn es um den Erstzugang zum Gericht geht, dürfen an die Sorgfaltspflicht einer Partei keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. u.a. BVerfG NJW 1984, 2567).
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Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO wird der Partei das Verschulden ihres Bevollmächtigten einschließlich ihres Verkehrsanwalts (BGH NJW 2001, 1578 f.) zugerechnet. Diese Zurechnung rechtfertigt sich aus der ihm erteilten Vollmacht, Erklärungen mit Wirkung für und gegen die Partei abzugeben. Folgerichtig findet nach Erlöschen der Vollmacht – etwa infolge Kündigung des Mandats – keine Zurechnung
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Kap. 71 Rz. 31
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mehr statt (BGH MDR 2007, 1444). Bevollmächtigter ist nicht immer, aber doch in der Regel ein Rechtsanwalt. Gemäß § 81 ZPO ist der Rechtsanwalt befugt, einen weiteren Rechtsanwalt zu beauftragen. Erst mit Annahme des Auftrags (vgl. § 151 Satz 1 BGB) muss sich die Partei auch dessen Verschulden gem. § 85 ZPO zurechnen lassen.
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Wichtig: Der als Beistand in einer Scheidungssache gem. § 138 FamFG beigeordnete Rechtsanwalt hat nicht die Stellung eines Prozessbevollmächtigten, wenn ihm die entsprechende Partei keine Prozessvollmacht erteilt hat. Zustellungen sind an die Partei in diesem Fall selbst vorzunehmen (BGH NJW 1995, 1225). Werden Zustellungen dennoch gegenüber dem als Beistand fungierenden Rechtsanwalt vorgenommen, wird keine Notfrist in Lauf gesetzt. Zu einer Fristversäumung kann es daher in diesem Fall nur kommen, wenn die Zustellung gegenüber der Partei selbst erfolgt.
32 Sobald ein Prozessbevollmächtigter erkennt, dass er eine Frist schuldlos nicht einhalten kann, darf er sich nicht auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung verlassen, wenn er die Verlängerung der Frist erreichen kann (vgl. § 224 Abs. 2 ZPO; insbesondere Rechtsmittelbegründungsfristen). Denn die Wiedereinsetzung ist einer Fristverlängerung nachrangig; sogar die eingeschränkte Möglichkeit, nur mit Zustimmung des Gegners eine Fristverlängerung zu erreichen (zB § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO), ist in Betracht zu ziehen (BGH MDR 2013, 1306 Rz. 9 f.).
33 Als mitbevollmächtigt und damit mitverantwortlich gilt auch der Sozius. Das Verschulden eines angestellten Rechtsanwalts oder juristischen Mitarbeiters wird unter dem Gesichtspunkt der Pflichtenübertragung zugerechnet, wenn der Anwalt eine eigentlich ihm obliegende juristische Tätigkeit zur selbständigen Bearbeitung übertragen hat (BGH VersR 1995, 194 f.).
34 Dem Prozessbevollmächtigten obliegt die Prüfung, an welchen Fristen er sich orientieren muss und welches Gericht für das Rechtsmittel zuständig ist. Bei allen fristrelevanten Fragen gilt für ihn der Pflichtenmaßstab des sichersten Wegs. Besteht zB Unsicherheit, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und welche Fristen zu beachten sind, hat er ggf. jeden ernsthaft in Betracht zu ziehenden Rechtsbehelf zu ergreifen (BGH MDR 2012, 1116 Rz. 10 für den Fall, dass unklar ist, ob die Erwachsenheitssumme gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht ist). In Übergangsfällen bei Änderung der Gesetzeslage hat er die einzuhaltenden Fristen gegebenenfalls mit erhöhter Aufmerksamkeit zu überprüfen. Ein Rechtsirrtum muss aber nicht zwingend ein Verschulden gem. § 233 ZPO indizieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn er auf einem falschen gerichtlichen Hinweis beruht. Bei einer unterbliebenen oder fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 232 ZPO) wird die Schuldlosigkeit vermutet. Entgegen früherer Rechtsprechung darf auch eine anwaltlich vertretene Partei grundsätzlich auf die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung durch das Gericht vertrauen; ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht, spielt keine Rolle (BGH NJW 2018, 164). Selbst ein vermeidbarer Rechtsirrtum kann entschuldigen. Anders ist es jedoch, wenn die Rechtsmittelbelehrung offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nicht mehr nachvollziehbar ist. Offenkundig fehlerhaft ist eine Rechtsmittelbelehrung, wenn sie – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag; dann ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens widerlegt (BGH NJW 2018, 164; BGH NJW 2018, 385; BGH NJW 2017, 3002). Dies lässt sich nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung nicht ohne Weiteres auf den Fall einer fehlenden bzw. unvollständigen Rechtsbehelfsbelehrung übertragen. Von einem Rechtsanwalt kann und muss erwartet werden, dass er selbst die Voraussetzungen für die Einlegung eines Rechtsmittels, insbesondere die zu wahrenden Fristen kennt (vgl. BGH MDR 2012, 230 Rz. 11) und das zuständige Gericht.
35 Zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, dafür zu sorgen, dass ein Schriftsatz fristgerecht erstellt wird und rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt für eine zuverlässige Fristenkontrolle durch ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal (MDR 2007, 1458, 1459) sorgen. Er muss sicherstellen, dass die Akten von
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Rz. 41 Kap. 71
Verfahren, in denen Fristen laufen, entsprechend den notierten Fristen vorgelegt und abgearbeitet werden. Hierzu bedarf es einer sachgerechten Organisation. Der Rechtsanwalt muss durch geeignete Maßnahmen, etwa Allgemein- oder Einzelanweisungen, Vorsorge dafür treffen, dass bei normalem Verlauf der Dinge Fristversäumnisse auch bei solchen Störungen vermieden werden, die zwar im konkreten Fall unerwartet aufgetreten sind, die aber im Allgemeinen nicht auszuschließen sind wie zB Krankheit, Überlastung, verzögerte Bearbeitung durch den Rechtsanwalt (BGH NJW 2003, 1815, 1816). Hinzuweisen ist vor allem darauf, dass ein Rechtsanwalt sein Büropersonal anweisen muss, was im Fall seines Ausfalls zu veranlassen ist, und dass ein Einzelanwalt unbedingt Vorkehrungen für seinen krankheitsbedingten Ausfall treffen muss (BGH NJW 2014, 228). Liegt ein Verschulden in einem Organisationsdefizit, ist ein Verschulden zu bejahen.
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Es gilt der Grundsatz, dass der Rechtsanwalt auf die Einhaltung konkreter, unmissverständlicher 37 (vgl. u.a. BGH NJW-RR 2001, 2009) Einzelanweisungen an zuverlässige Angestellte vertrauen darf. Eine bestimmte Form für die Einzelanweisung wird grundsätzlich ebenso wenig verlangt wie eine gesonderte Kontrolle (BAG NJW 2003, 1269, 1270). Eine Einschränkung macht die Rechtsprechung allerdings bzgl. wichtiger Vorgänge wie zB einer Fristnotierung oder der Absendung eines fristgebundenen Schriftsatzes (BGH MDR 2006, 1360). In einem solchen Fall muss die Einzelanweisung entweder mit der unmissverständlichen Weisung erfolgen, sie sofort zu erledigen (BGH NJW 2008, 2589 f.), schriftlich (etwa auf einem Handzettel) dokumentiert sein (OLG Brandenburg MDR 2008, 709) oder aber die Erfüllung der Einzelanweisung muss durch organisatorische Maßnahmen gesichert sein (BGH NJW-RR 2007, 1430 f.). Bei einer mündlichen Einzelanweisung müssen ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass die Erledigung der Anweisung nicht vergessen wird (BGH MDR 2013, 1393); eine ausreichende Vorkehrung kann bereits eine genügende Organisation des Fristenwesens sein (BGH NJW-RR 2014, 315 Rz. 12). Zur Frage des Zusammenhangs „Einzelanweisung“ und „Organisationsverschulden“ vgl. Rz. 54. Zu einer fehlerfreien Organisation im Allgemeinen gehört insbesondere auch eine sorgfältige Aus- 38 wahl und Einweisung der Büroangestellten, eine klare Festlegung der Zuständigkeiten (beachte das Verbot der parallelen Doppelzuständigkeit: BGH MDR 2006, 599) mit entsprechenden Vertretungsregeln für Krankheitsausfälle, Überlastung uÄ und die laufende Überwachung ihrer Zuverlässigkeit durch Stichproben. Wird wegen eines vorübergehenden Mangels eine Auszubildende mit wichtigen Dingen (zB Fristennotierung und -kontrolle) betraut, reichen bloße Stichproben nicht aus (BGH MDR 2007, 1458 f.). Weitergehende generelle Maßstäbe lassen sich schwerlich aufstellen. Die jeweiligen Anforderungen an die Einweisungs- und Überwachungspflichten sowie die Organisationstiefe richten sich nach der Art der übertragenen Verantwortungsbereiche und nach der Qualifikation der Bürokraft (BGH VersR 1997, 83 f.).
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Praxistipp: Da die Einhaltung dieser Organisationspflichten glaubhaft zu machen ist (Rz. 80 ff.), ist die Erfüllung der Pflicht so zu dokumentieren, dass eine konkret gefasste eidesstattliche Versicherung vorgelegt werden kann.
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Die Rechtsprechung stellt darüber hinaus im Wesentlichen folgende Anforderungen an eine Fristenkontrolle:
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Für eine korrekte Fristennotierung ist es unerlässlich, dass die jeweilige Frist in einem elektronischen oder papiernen Fristenkalender erfasst wird und dass die Frist zusätzlich in bzw. auf den Handakten festgehalten wird. Bei Rechtsbehelfsfristen ist folgende Reihenfolge geboten (BGH NJW 2003, 435, 436):
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– Auf dem eingegangenen Schriftstück ist das Eingangsdatum zu vermerken. – Der mutmaßliche Fristbeginn und das hiernach berechnete Fristende sind – in einer von normalen Wiedervorlagefristen deutlich unterscheidbaren Form (BGH NJW-RR 2001, 279, 280) – in den Fristenkalender einzutragen. Jaspersen 1167
ZPO
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
ZPO
Kap. 71 Rz. 41a
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
– Erst danach sind im unmittelbaren Zusammenhang die (vorläufigen) Fristen mit Handzeichen und Datumsangabe auf bzw. in den Handakten (auf dem Handaktenbogen, hilfsweise auf einem Schriftstück der Handakten) deutlich zu notieren nebst einem Vermerk, dass die Eintragung der Fristen im Kalender erfolgt ist (BGH NJW-RR 2018, 58). Die Fristnotierung und deren Erledigung in den Handakten muss derart sein, dass der Rechtsanwalt ihre richtige Berechnung kontrollieren kann; allein ein Erledigungsvermerk reicht nicht aus (BGH NJW-RR 2014, 440 Rz. 17).
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Praxistipp: Diese Fristennotierungen müssen unverzüglich und in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden. Soweit irgend möglich, sollten sie im Sinne einer ganzheitlichen Verfahrensweise in eine Hand gelegt werden (vgl. BGH BGHR 2003, 597, 598).
– Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis erst dann unterzeichnen und in den Geschäftsgang geben, wenn er die vorbeschriebene Verfahrensweise überprüft oder sichergestellt hat (BGH NJOZ 2018, 36 Rz. 14). Eine Korrektur der vorläufigen Fristnotierungen sollte er schriftlich anweisen (Rz. 37). Gibt er das Empfangsbekenntnis ohnedem zurück, trifft ihn eine besondere Sorgfaltspflicht (BGH MDR 2003, 708 f.). Er muss nicht überprüfen, ob die von ihm für richtig befundene Fristberechnung zutreffend in den Fristenkalender übertragen worden ist.
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Wichtig: Er darf ohnedies nur die Berechnung von sog. Routinefristen – dh. solchen, die keine Rechtsfragen aufwerfen – Büroangestellten überlassen (vgl. BGH NJW-RR 2000, 1366). Zwar darf er die Fristberechnung und -notierung im Übrigen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen; er muss aber die Organisation für eine eigenverantwortliche Gegenkontrolle sicherstellen.
43 Neben dem eigentlichen Fristende ist jedenfalls bei solchen Prozesshandlungen, deren Vornahme nach ihrer Art mehr als nur einen geringfügigen Aufwand erfordert (Berufungsbegründung, Einspruch), zusätzlich eine Vorfrist von ca. 1 Woche (BGH VersR 1994, 1325) zu vermerken. Sie soll bewirken, dass dem Rechtsanwalt durch rechtzeitige Vorlage der Akten auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit verbleibt (BGH NJW-RR 1997, 824).
44 Eine häufige Fehlerquelle ist die Überwachung der Fristnotierungen vor allem im Rahmen eines Berufungsverfahrens. Der Rechtsanwalt muss u.a. durch büroorganisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die Fristen für die Berufung und die Berufungsbegründung bei Zustellung des erstinstanzlichen Urteils im Fristenkalender – wie vorbeschrieben – notiert werden. Das gilt ebenfalls für alle Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsbehelfs, deren Lauf von der Zustellung der rechtsbehelfsfähigen Entscheidung abhängt. Beantragt der Anwalt die Verlängerung der Begründungsfrist, muss bereits bei Stellung des Antrags im Fristenkalender der Ablauf des nach dem Antrag errechneten neuen Fristendes eingetragen werden; der Eintrag ist alsdann bei Eingang der gerichtlichen Mitteilung über das Fristende zu kontrollieren und nötigenfalls zu berichtigen (vgl. BGH NJW 1997, 1860; s. auch Fn. 4 zu M 27.1).
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Wichtig: Der Rechtsanwalt muss selbst die Fristnotierung prüfen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung (zur Abgrenzung vgl. BGH MDR 2008, 331) vorgelegt werden; ausreichend ist – vorbehaltlich ersichtlicher Ungereimtheiten – die Prüfung anhand der Handaktenvermerke (BGH NJOZ 2018, 609). Die Berufungsbegründungsfrist muss er schon ab Urteilszustellung im Auge behalten (BGH MDR 2007, 559, 560). Die Prüfung darf sich auf die Fristnotierung und den Erledigungsvermerk in den Handakten beschränken, wenn er keine Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung im Fristenkalender haben muss (BGH NJW-RR 2014, 440 Rz. 15). Wird dem Rechtsanwalt eine Fristsache als nicht fristgebunden vorgelegt, muss sich der Rechtsanwalt innerhalb angemessener Zeit die Akten anschauen, um zu prüfen, ob und ggf. was zu veranlassen ist (BGH MDR 2011, 684).
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Rz. 49 Kap. 71
Darüber hinaus muss er zusätzlich eine sog. Ausgangskontrolle durch voll ausgebildetes und sorg- 46 fältig überwachtes Personal (BGH MDR 2007, 1458, 1459) organisieren. Diese muss zuverlässig gewährleisten, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich und ordnungsgemäß hinausgehen. Für die Ausgangskontrolle in einem Rechtsanwaltsbüro ist ebenfalls ein Fristenkalender unabdingbar. Der Rechtsanwalt muss sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen bzw. ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht werden, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt bzw. veranlasst, der Schriftsatz also erstellt und abgesandt oder zumindest postfertig (Ablage in einem Postausgangsfach) gemacht worden ist (BGH v. 11.3.2014 – VIII ZB 52/13, Rz. 5 aE; BGH MDR 2007, 1458 f.); im Rahmen dessen ist auch die Überprüfung notwendig, ob der Schriftsatz unterschrieben ist (BGH v. 13.3.2014 – IX ZB 47/13 Rz. 5). Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch, dass am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders kontrolliert wird, ob noch Fristen offen sind (BGH v. 18.3.2014 – VIII ZB 55/13 Rz. 10); hierbei empfiehlt sich das sog. „Häkchen-Verfahren“ (BGH NJW 2006, 2639). Darüber hinaus sollte sicherheitshalber (vgl. BGH NJW 2001, 76, 77) angewiesen werden, anhand der Akten zu prüfen, ob tatsächlich alle fristwahrenden Schriftsätze des Tages abgesandt oder jedenfalls in solcher Weise versandfertig gemacht worden sind, dass sie – unter Berücksichtigung der normalen Postlaufzeiten (BGH MDR 2004, 227) – rechtzeitig vor Fristablauf bei dem zuständigen Gericht eingehen können (BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 1). Ist in der Kanzleiorganisation sichergestellt, dass ein fristgebundener Schriftsatz vom Postausgangsfach von einer zuverlässigen Angestellten unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird, bedarf es keiner zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen (BGH MDR 2006, 1259, 1260). Ein Postausgangsbuch kann ein geeignetes Mittel sein, um die erforderliche Ausgangskontrolle zu gewährleisten; die Eintragung in diesem darf aber erst erfolgen, wenn das Schriftstück versandfertig ist (BGH NJW-RR 2018, 445). Zur Ausgangskontrolle bei Telefaxschreiben vgl. Kap. 28 Rz. 29 ff.
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Praxistipp: Die Rechtsprechung erlaubt es, die herkömmliche Fristenkontrolle mittels eines Ka- 47 lenders in Buchform durch eine EDV-gestützte Fristenkontrolle zu ersetzen, soweit das Programm erprobt und von einer Fachfirma entwickelt worden ist und eine der manuellen Kalenderführung entsprechende Überprüfungsmöglichkeit bietet (BSG NJW 2018, 2511). Für Störungsfälle muss eine unverzügliche Behebung des Fehlers und seiner Folgen sichergestellt sein. Ebenso ist die Nachprüfung der einzelnen Eingaben anhand von Ausdrucken geboten (BGH MDR 2006, 539; BGH MDR 2012, 1057 Rz. 8); eine gelöschte Frist muss als solche erkennbar bleiben (BGH NJW 2000, 1957). Vgl. eingehend zum elektronischen Fristenkalender BSG NJW 2018, 2511; LAG Düsseldorf NZA-RR 2005, 601.
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Praxistipp: Diese Rechtsprechung hat auch noch Bestand, nachdem der Gesetzgeber die elektronische Datenübermittlung im Rechtsverkehr selbst eingeführt hat (vgl. §§ 130a, 174 Abs. 3, 299 Abs. 3 ZPO). Bislang ist nicht ersichtlich, dass sie von ihr abrückt, obwohl weit verbreitet das „papierlose Büro“ eingeführt ist. Die Entwicklung der Rechtsprechung bleibt zu beobachten.
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Besonderes Augenmerk ist den Fristen bei einer Mandatsaufgabe, -abgabe bzw. -übernahme und 49 bei einem Rechtsmittelauftrag zu schenken. Der das Mandat aufgebende Rechtsanwalt muss den Mandanten über die Möglichkeiten und Erfordernisse eines Rechtsmittels aufklären (BGH MDR 2007, 1148 f.). Der das Mandat abgebende Rechtsanwalt muss die für die Fristberechnung maßgeblichen Daten schriftlich mitteilen (BGH NJW 2003, 2100) und sich die Übernahme der Fristüberwachung grundsätzlich bestätigen lassen (BGH NJW 2001, 3195 f.); erfolgt der Auftrag per E-Mail oder Fax, sollte man sicherstellen, dass der Auftrag angekommen ist und auch angenommen wird (BGH MDR 2014, 178 für Rechtsmittelauftrag per E-Mail); insoweit gilt anderes als beim Verkehr mit dem Gericht, bei dem eine zuverlässige Ausgangskontrolle genügt. Der das Mandat übernehmende Rechtsanwalt darf sich auf die mitgeteilten Fristen nur so lange verlassen, bis er sie selbst überprüfen kann.
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ZPO
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Kap. 71 Rz. 50
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Praxistipp: Der übernehmende Rechtsanwalt sollte sich um Akteneinsicht bemühen, um unverzüglich die Fristen eigenständig prüfen zu können.
51 Schuldhaftes Verhalten eines Dritten muss sich eine Partei nicht zurechnen lassen. Die Partei kann dann lediglich ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden treffen. Es empfiehlt sich, hierzu schon im Wiedereinsetzungsgesuch Stellung zu nehmen. Dritter ist jede Person, die weder gesetzlicher Vertreter noch Bevollmächtigter ist. Die Grenze zu ziehen, ist im Einzelfall schwierig. Dritter ist wohl die Ehefrau, an die als Gewerbegehilfin gem. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Zustellung erfolgt ist (OVG Münster NJW 1995, 2508), nicht aber der Familienangehörige, dem von der Partei der Auftrag erteilt worden ist, einen Rechtsanwalt mit der Führung des Prozesses oder der Einlegung eines Rechtsmittels zu betrauen (BGH NJW-RR 1995, 825). Verallgemeinernd lässt sich sagen, es komme darauf an, ob ganz oder teilweise die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Vertretung erteilt oder ob lediglich eine unselbständige Hilfsperson zu Rate gezogen worden ist (VGH München NJW 1997, 1324, 1325). b) Kausalität
52 Ist ein schuldhaftes Verhalten ausgemacht worden, steht dies einer Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn das Fehlverhalten letztlich nicht ursächlich für die Fristversäumnis geworden ist. Der Rechtsanwalt muss hierfür die Ursächlichkeit seines schuldhaften Verhaltens ausräumen; er muss selbst die Möglichkeit ausschließen, dass ein fehlerfreies Verhalten die Fristversäumnis vermieden hätte (zu den Anforderungen vgl. BGH NJW 2001, 76, 77; Beispiel: Rechtsanwalt vergisst die Unterschrift, es versagt aber die fehlerfrei organisierte Ausgangskontrolle, BGH NJW 2006, 2414). Zum einen kann die Fristversäumnis allein auf anderen, dem Rechtsanwalt oder der Partei nicht zurechenbaren Umständen beruhen. Zum anderen kann der Fall auch so liegen, dass es selbst bei einer fehlerfreien Fristenkontrolle zu einer Fristversäumnis gekommen wäre.
53 Hat es zB an der Weisung, eine Vorfrist zu notieren, gemangelt, so ist die Versäumung nicht zurechenbar, wenn aufgrund des Verhaltens der – ansonsten zuverlässigen – Büroangestellten davon ausgegangen werden kann, sie hätte im konkreten Einzelfall auch die Vorfrist nicht zum Anlass einer Vorlage genommen (BGH NJW-RR 1997, 1289).
54 K
Wichtig: An der Kausalität eines Organisationsverschuldens fehlt es immer dann, wenn die bestehende Organisation durch eine Einzelanweisung außer Kraft gesetzt worden ist und die Säumnis auf einem Verstoß gegen diese Einzelanweisung beruht (vgl. unten Rz. 76).
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Wichtig: In diesem Zusammenhang ist aber unbedingt zu beachten, dass eine Einzelanweisung dann nicht entlastet, wenn durch eine ordnungsgemäße Organisation (zB Ausgangskontrolle) ihre unterlassene Erledigung rechtzeitig festgestellt worden wäre (BGH MDR 2012, 486 Rz. 8; insoweit unklar und missverständlich BGH JurBüro 2009, 54 Rz. 7). Besteht zB die Einzelanweisung allein darin, die (sofortige) Übermittlung eines Schriftsatzes zu veranlassen, fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen (BGH NJOZ 2015, 62 Rz. 15).
56 Schließlich kann ein nachfolgender mitursächlicher, aber nicht zurechenbarer Verstoß gegen eine Vorgabe, die dazu bestimmt und geeignet gewesen wäre, das Fehlverhalten des Rechtsanwalts zu korrigieren, zur rechtlichen Unerheblichkeit dieses Fehlverhaltens führen (sog. überholende Kausalität; vgl. BGH NJW 2000, 2823; offengelassen von BGH NJW 2000, 2511 f.).
57 Entsprechendes gilt, wenn nach einem kausalen der Partei vorwerfbaren Fehler ein zusätzlicher Fehler des Gerichts hinzutritt, auf dem das Fristversäumnis letztlich beruht. Wichtiges Beispiel ist der Fall, dass die Rechtsmittelschrift zwar aufgrund einer vorwerfbar falschen Adressierung beim unzuständigen Instanzgericht eingegangen ist, die Fehladressierung aber „leicht und einwandfrei“ zu erkennen gewesen wäre und ausreichend Zeit (fünf Arbeitstage, nicht aber 5 Tage einschließlich Wo1170
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rz. 64 Kap. 71
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chenende, BGH MDR 2013, 240) bestanden hätte, sie rechtzeitig im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiter zu leiten (zur sog. nachwirkenden Fürsorgepflicht vgl. u.a. BGH v. 21.2.2018 – IV ZB 18/17; BGH NJW 2018, 165; BGH NJW-RR 2018, 314 zu den Grenzen; zu § 44 Satz 2 StPO OLG Frankfurt NJW 2007, 2712; BVerfG NJW 2003, 3692 f.); es besteht für das Gericht aber keine sofortige Prüfungspflicht und auch keine besondere Beförderungspflicht (BGH MDR 2013, 994) oder Informationspflicht, vielmehr richtet sich ihr Umfang nach dem Kriterium der Zumutbarkeit. Entsprechendes gilt, wenn die Rechtsmittelschrift eine Unterschrift vermissen lässt. Auch irreführendes oder fehlerhaftes Verhalten des Gerichts kann in Ausnahmefällen die Zurechenbarkeit einer verschuldeten Versäumnis entfallen lassen (BGH NJW 1999, 3051 f.).
III. Antrag 1. Antragsteller Antragsberechtigt sind die Partei oder der Nebenintervenient, die durch den Fristablauf benachtei- 58 ligt sind (Stein/Jonas/Roth § 233 ZPO Rz. 5, 6). Zur Frage, aus welchen Gründen der Nebenintervenient Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist verlangen kann, vgl. Rz. 14. 2. Form Da der Antrag auf Wiedereinsetzung in der Sache lediglich die Entschuldigung für die versäumte Prozesshandlung bedeutet, bedarf er der Form der versäumten Prozesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Nur in Ausnahmefällen ist ein ausdrücklicher Antrag auf Wiedereinsetzung entbehrlich (allgemeiner Grundsatz; BayObLG NJW-RR 2003, 211).
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Wichtig: Soweit die versäumte Prozesshandlung dem Anwaltszwang unterliegt, gilt gleiches für den Antrag auf Wiedereinsetzung.
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Ist – wie in aller Regel – Schriftform vorgeschrieben, kann weder eine Fotokopie noch eine beglaubigte Abschrift das unterschriebene Original ersetzen (OLG Düsseldorf NJW 1998, 919 zu § 345 Abs. 2 StPO).
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3. Adressat Adressat des Antrags auf Wiedereinsetzung ist das Gericht, vor dem die versäumte Prozesshandlung vorgenommen werden muss. Das gilt unabhängig davon, welchem Gericht die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung obliegt.
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Kann – wie bei der sofortigen Beschwerde gem. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO – das Rechtsmittel sowohl 63 beim Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, als auch beim Rechtsmittelgericht eingelegt werden, gilt Entsprechendes für einen Wiedereinsetzungsantrag (vgl. § 236 Abs. 1 ZPO). Diese Zuständigkeit bleibt selbst dann bestehen, wenn das Beschwerdegericht den Rechtsbehelf wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist bereits als unzulässig verworfen hat (Stein/Jonas/Roth § 237 ZPO Rz. 2). Von der Frage, wer Adressat des Wiedereinsetzungsantrags ist, muss die Frage unterschieden werden, ob bei einer Beschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden Beschluss das Rechtsmittelgericht ausnahmsweise die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung an sich ziehen darf (bejahend BGH WM 2014, 1550; BGH v. 23.6.2014 – VIII ZB 23/14). 4. Frist Von besonderer Bedeutung sind die bei einem Wiedereinsetzungsantrag zu beachtenden Fristen. Gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, für die Wiedereinsetzung in eine Begründungsfrist gilt – nicht nur für die WiederJaspersen 1171
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Kap. 71 Rz. 65
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
einsetzung nach Bewilligung von PKH (BFH NJW 2008, 1167) – eine Monatsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Auch die letztgenannte Monatsfrist ist mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht verlängerbar (arg. ex § 224 Abs. 2 ZPO) und nicht gem. § 295 ZPO durch Rügeverzicht heilbar. Die Frist beginnt erst mit dem Ablauf des Tages, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO iVm. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 2 BGB). § 193 BGB und § 222 Abs. 2 ZPO finden auf den Fristbeginn keine Anwendung (BGH v. 30.5.2017 – VIII ZB 54/16). Das ist schon dann der Fall, wenn das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Die Frist beginnt deshalb spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Rechtsanwalt oder der von der Partei beauftragte Verkehrsanwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können (BGH NJW 2001, 1430, 1431). Hat der Rechtsanwalt eine Fristverlängerung beantragt und darauf vertrauen dürfen, sie werde gewährt, und bleibt eine Entscheidung aus, muss er sich (erst) vor Ablauf der begehrten Frist erkundigen (BGH NJW-RR 2017, 1532).
65 Die Wiedereinsetzungsfristen des § 234 Abs. 1 ZPO laufen unabhängig voneinander: Hat ein Rechtsmittelführer sowohl die Rechtsmittel- als auch die Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, beginnt die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO grundsätzlich nicht erst dann, wenn Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist gewährt worden ist. Auf die zT in Rechtsprechung und Literatur anklingenden Gegenansichten darf keinesfalls vertraut werden. Zu den Besonderheiten im Zusammenhang mit der Fristversäumung wegen eines PKH-Verfahrens vgl. Rz. 90 ff.
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Wichtig: Der Rechtsanwalt muss die Frist eigenverantwortlich auch nochmalig (BGH MDR 2004, 1014) bei Vorlage der Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung prüfen (zB zwecks Fertigung der Berufung oder ihrer Begründung, nicht aber bereits bei Vorlage nach Ablauf der Vorfrist, s. BGH MDR 1999, 767, 768), und nicht erst dann, wenn er sich zu ihrer Bearbeitung entschließt (BGH MDR 2003, 299; s. auch Rz. 45); dabei darf er sich grundsätzlich und vorbehaltlich erkennbarer Verdachtsmomente für eine fehlerhafte Fristnotierung auf die Prüfung der Vermerke in den Handakten beschränken (BGH FamRZ 2014, 284). Ist aus der Handakte ersichtlich, dass eine Frist versäumt worden ist, läuft die diesbezügliche Wiedereinsetzungsfrist ab diesem Zeitpunkt. Deshalb auch sollte der Rechtsanwalt Verdachtsmomenten einer Säumnis sofort nachgehen (BGH MDR 2004, 1436). Unter Umständen kann es erforderlich sein, den Fristenkalender einzusehen und es nicht bei der Überprüfung der Fristberechnung bzw. -notierung auf bzw. in der Handakte zu belassen.
67 Innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist muss auch die versäumte Prozesshandlung nachgeholt werden (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dessen bedarf es nur dann nicht, wenn die Prozesshandlung bereits vor der Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung vorgenommen worden ist (BGH v. 3.6.2014 – VIII ZB 23/14; zur Bezugnahme BGH MDR 2008, 705). Besonders ist darauf hinzuweisen, dass der an sich zulässige Antrag auf Verlängerung einer Frist, wie etwa zur Berufungsbegründung, nicht ausreichend ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Partei bei richtiger Sachbehandlung eine längere Frist zur Begründung ihrer Berufung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zugestanden hätte. Eine wichtige Ausnahme macht die Rechtsprechung, wenn ein Hindernis für die Rechtsmittelbegründung in der Sphäre des Gerichts gegeben ist (wie zB keine rechtzeitige Akteneinsicht) und die Partei deshalb nicht in der Lage ist, die Rechtsmittelbegründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist zu fertigen. In diesem Fall gewährt die Rspr. eine Fristverlängerung analog §§ 520 Abs. 2 Satz 2, 551 Abs. 2 Satz 5 und 6, 575 Abs. 2 Satz 3 ZPO (BGH MDR 2007, 1332; BGH v. 14.11.2012 – IX ZR 268/12).
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Praxistipp: Obwohl die Frist gem. § 234 Abs. 1 ZPO keine Notfrist ist, finden §§ 233 ff. ZPO analoge Anwendung. Die Frist beträgt stets zwei Wochen (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) unabhängig davon, ob Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer zweiwöchigen (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) oder einmonatigen (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) Wiedereinsetzungsfrist beantragt wird. Eine Pflicht gem. § 232 ZPO, über die Möglichkeit dieser Wiedereinsetzungsmöglichkeit zu belehren, besteht nach allgemeiner Ansicht nicht.
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Rz. 76 Kap. 71
§ 234 Abs. 3 ZPO beinhaltet eine uneigentliche Frist. Hiernach kann nach Ablauf eines Jahres, von 69 dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen ihren Ablauf ist grundsätzlich keine Wiedereinsetzung zulässig (BGHZ 113, 228, 232). Eine Ausnahme ist nur dann zuzulassen, wenn für die Versäumung der Jahresfrist ein Umstand ursächlich ist, der allein in der Sphäre des Gerichts liegt, wie zB die Entscheidung über eine rechtzeitig beantragte Prozesskostenhilfe erst nach Ablauf der Jahresfrist (vgl. BGH MDR 2008, 642; BGH MDR 2013, 670 Rz. 10).
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Wichtig: Die Fristen des § 234 Abs. 1 ZPO werden – soweit sie von einer gerichtlichen Entscheidung abhängig sind (häufig Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag) – durch eine erfolglose Gegenvorstellung (vgl. hierzu Kap. 69 Rz. 20), Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) oder Rechtsbeschwerde nicht hinausgeschoben (BGH v. 21.12.2017 – IX ZA 29/17). Haben sie indes bei unverändertem Sachverhalt Erfolg, weil das Gericht zuvor falsch entschieden hat, laufen die Fristen des § 234 Abs. 1 ZPO neu an (BGH MDR 1964, 304).
70
5. Begründung § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO schreibt eine Begründung für den Wiedereinsetzungsantrag vor, die sich auf zwei Punkte beziehen muss:
71
Zum einen gilt es, die Fehlerquelle(n) herauszuarbeiten und eine entsprechende Schuldlosigkeit 72 darzustellen bzw. das Fehlen einer Ursächlichkeit zwischen Fehler und Fristversäumung aufzuzeigen. Hierbei ist größtmögliche Genauigkeit geboten. Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Der Antragsteller muss sich auf einen Sachverhalt festlegen. Er kann nicht alternativ vortragen oder den tatsächlichen Geschehensablauf dahinstehen lassen, wenn dabei die Möglichkeit der verschuldeten Fristversäumung offen bleibt (BGH NJW 2008, 3501, 3502). Es reicht nicht aus, lediglich auf „das Versehen“ einer „bewährten“ Büroangestellten zu verweisen: Das Versehen muss durch eine Gegenüberstellung des tatsächlichen Geschehensablaufs mit der vorgegebenen Organisation erklärt werden; der Begriff „bewährt“ erfordert die Darlegung der Tatsachen, aus denen sich die Bewährung ergibt (BGH MDR 2012, 1246 Rz. 27). Es bedarf keiner Darlegung von Gründen, die das Versehen erklären (BGH MDR 2005, 469), gleichwohl sollte es plausibel dargestellt werden. Der antragstellenden Partei obliegt die Darlegungslast; deshalb gehen alle verbleibenden Zweifel zu ihren Lasten (BGH NJW-RR 1997, 1153; MüKo.ZPO/Gehrlein § 233 ZPO Rz. 17). Jede denkbare Möglichkeit ursächlichen Verschuldens muss ausgeräumt werden (BGH MDR 2007, 1458). Ein Nachschieben von Gründen ist selbst im Beschwerdeverfahren nur in sehr engen Grenzen zulässig. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) vorgetragen werden (BGH NJW 2001, 1577).
73
K
Wichtig: Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, dürfen noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (BGH MDR 2013, 1362; zu einem Ausnahmefall vgl. BGH NJW 2007, 1455).
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Keinesfalls darf in der Beschwerde neuer Vortrag über organisatorische Maßnahmen nachgeschoben werden, auf deren Fehlen die Versagung der Wiedereinsetzung im angefochtenen Beschluss gerade gestützt worden ist (BGH NJW 1997, 2120 f.).
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Die antragstellende Partei darf sich nicht ohne Weiteres damit begnügen, ihre Schuldlosigkeit bezüg- 76 lich der im Vordergrund stehenden Fehlerquelle(n) darzulegen. Sie läuft ansonsten Gefahr, dass eine Wiedereinsetzung abgelehnt wird mit der Begründung, im Falle einer – im Übrigen – fehlerfreien Organisation der Fristenkontrolle hätte sich der Fehler nicht ausgewirkt. Deshalb ist es im Zweifel Jaspersen 1173
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
ZPO
Kap. 71 Rz. 77
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
angeraten, die Organisation der Fristenkontrolle jeweils im Ganzen darzustellen (vgl. BGH NJW 2002, 443 f.). Ein häufiger Fehler liegt darin, sich nur durch die Darlegung einer Einzelanweisung an eine Mitarbeiterin zu entlasten, ohne gleichzeitig die Organisation zu beschreiben, in die sich die Einzelanweisung einbettet, und darzulegen, dass auch die fehlerfreie Organisation die Folgen des Verstoßes gegen die Einzelanweisung nicht korrigiert hätte (vgl. zB BGH NJW 2004, 367, 368 f. mwN; BGH MDR 2012, 486 Rz. 8). Des Weiteren ist stets zu bedenken, dass nicht jedes schuldhafte Verhalten eine Wiedereinsetzung ausschließt. Wie dargelegt, kann es an einer Kausalität zwischen dem Verschulden und der Fristversäumung mangeln (instruktiv BGH MDR 2006, 943).
77 Zum anderen muss die Begründung Ausführungen dazu enthalten, dass die Wiedereinsetzungsfrist gewahrt worden ist. Davon kann nur abgesehen werden, sofern die Frist nach Aktenlage – gegebenenfalls unter Heranziehung von Erfahrungssätzen – offensichtlich eingehalten ist (BGH NJW-RR 2000, 1590).
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Wichtig: Die Zweiwochenfrist bzw. Monatsfrist gem. § 234 Abs. 1 ZPO beginnt nicht schon mit Kenntnis des wahren Sachverhalts, sondern schon dann, sobald das Fortbestehen der Ursache der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH NJW-RR 2004, 282, 283).
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Praxistipp: Der Antragsteller darf sich nicht darauf beschränken mitzuteilen, wann das Gericht ihn von der Säumnis in Kenntnis gesetzt hat, sondern er muss ausführen, dass er auch vorher keine Möglichkeit gehabt hat, die Säumnis zu bemerken (etwa bei einer Vorlage der Handakten; s. Rz. 66) und auch keinen Anlass gehabt hat, die Säumnis aufzuklären.
6. Glaubhaftmachung
80 Auch wenn die Glaubhaftmachung noch bis zur Entscheidung und selbst noch im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann (BGH NJW 2006, 1578), empfiehlt es sich, sie mit dem Wiedereinsetzungsantrag zu verbinden. Glaubhaft gemacht ist ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den vorgetragenen Geschehensablauf spricht (zur Glaubhaftmachung mittels Indizien vgl. BGH NJW 1998, 1870).
81 Insbesondere in Fällen der Beweisnot kann eine eidesstattliche Versicherung der Partei oder auch eine anwaltliche Versicherung (OLG Köln MDR 1986, 152) ausreichen. Eine unterstützende Belegung der behaupteten Tatsachen durch Urkunden ist stets angeraten. Beweiswert hat eine eidesstattliche Versicherung im Allgemeinen nur, wenn sie sich auf eigene Wahrnehmungen und eigene Handlungen beschränkt und präzise Tatsachen ohne jede Wertung enthält. Eine Bezugnahme auf schriftsätzlich Vorgetragenes wird als eine Unsitte erachtet und ist jedenfalls dann ohne ausreichende Aussagekraft, wenn der Schriftsatz Wertungen neben Tatsachen enthält. Einen geringen Beweiswert haben auch eidesstattliche Versicherungen die sich auf allgemeine Verfahrensweisen beschränken (BGH NJW-RR 2018, 445).
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Wichtig: Die Glaubhaftmachung muss sich – was häufig übersehen wird – auch auf die Tatsachen beziehen, aus denen die Einhaltung der Frist des § 234 Abs. 1, Abs. 2 ZPO folgt.
IV. Fallgruppen 1. Einspruchsfrist
83 Ist ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergangen und die Einspruchsfrist versäumt worden, bietet es sich an, den Wiedereinsetzungsantrag, den Einspruch und den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 707 ZPO) miteinander zu verbinden.
1174
Jaspersen
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rz. 87 Kap. 71
M 71.1 Einspruch und Wiedereinsetzungsantrag
84
An das Landgericht … In der Sache …/… (Kurzrubrum; wenn der Prozessbevollmächtigte vorher im Verfahren nicht tätig war, Langrubrum) lege ich im Namen des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts vom … – dem Beklagten zugestellt am … – Einspruch ein und beantrage, 1. Dem Beklagten in die am … abgelaufene Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. 2. Das Versäumnisurteil des Landgerichts vom … wird aufgehoben und die Klage abgewiesen. 3. Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts vom … wird ohne – hilfsweise gegen – Sicherheitsleistung vorläufig eingestellt. Begründung: 1. Der Wiedereinsetzungsantrag wird wie folgt begründet: … 2. In der Sache wird der Einspruch wie folgt begründet: … 3. Der Einstellungsantrag rechtfertigt sich aus § 707 Abs. 1 ZPO. Der Beklagte ist zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage, und die Vollstreckung würde für ihn einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen. Dies ergibt sich aus folgenden Umständen: …. Zur Glaubhaftmachung wird auf die anliegende eidesstattliche Versicherung des … verwiesen. Kosten: Besondere Gerichtsgebühren für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung fallen nicht an; hinsichtlich der Anwaltsgebühren gehört das Verfahren zum Rechtszug des Verfahrens über die versäumte Prozesshandlung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 RVG).
2. Berufungsfrist Infolge der Novellierung der Fristen im Berufungsrecht und in § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergeben sich eine Reihe von Modifikationen für die Wiedereinsetzung, die dem Rechtsanwalt besondere Sorgfalt abverlangen.
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a) Normalfall Ist nur die Berufungsfrist versäumt worden, wird folgender Antrag empfohlen:
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M 71.2 Berufung und Wiedereinsetzungsantrag
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An das Landgericht … Berufung und Wiedereinsetzungsantrag In der Sache …/… (Langrubrum) lege ich im Namen und in Vollmacht des Klägers gegen das am … verkündete und am … zugestellte Urteil des Amtsgerichts …, von dem ich eine Kopie beifüge,
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ZPO
M 71.2
Kap. 71 Rz. 88
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
M 71.2
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Berufung ein und beantrage, dem Kläger in die am … abgelaufenen Frist für die Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Den Antrag auf Wiedereinsetzung begründe ich wie folgt: … Die Begründung der Berufung folgt fristgerecht in einem gesonderten Schriftsatz. Kosten: s. Anm. zu M 71.1.
88 K
Wichtig: Die Regelfrist von 2 Monaten zur Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 2 ZPO läuft gesondert und muss ungeachtet des Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist eingehalten werden; insbesondere tangiert der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist die Berufungsbegründungsfrist nicht. Im Allgemeinen wird sie bis zu einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist abgelaufen sein.
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Praxistipp: Die Berufung ist zu begründen, obwohl noch ungewiss ist, ob Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist gewährt wird. Um dem aus dem Weg zu gehen, sollte man sich ggf. mit der notwendigen Zustimmung des Gegners um eine großzügige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bemühen.
b) Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe
90 Im Folgenden wird der Fall behandelt, dass der Berufungsführer um Prozesskostenhilfe für die Einlegung und Durchführung der Berufung nachgesucht hat, ohne die Berufung selbst bereits einzulegen.
91 K
Wichtig: Die Abgrenzung zwischen bedingter und unbedingter Berufung bereitet immer wieder Probleme (vgl. BGH NJW 2007, 3640) und hat wichtige Konsequenzen für die Wiedereinsetzung (vgl. Rz. 22).
92 Wird innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsmittelverfahren beantragt, ist der Antragsteller bis zur Entscheidung über den Antrag so lange schuldlos an der Einlegung des Rechtsmittels und dessen Begründung gehindert, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages hat rechnen müssen (BGH NJW-RR 2017, 895).
93 Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ist – auch wenn dies schon im Rahmen des Bewilligungsverfahrens geprüft worden ist – darzulegen, dass binnen der Berufungsfrist ein ordnungsgemäßer (vgl. hierzu Rz. 105) Prozesskostenhilfeantrag bei Gericht gestellt worden ist. Einer Darlegung, dass sich die Partei für bedürftig hat halten dürfen und dass sie entsprechend § 117 ZPO ihre wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse vorgetragen hat, bedarf es nicht, solange die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht gem. § 124 ZPO aufgehoben worden ist (vgl. BGH FamRZ 1994, 567 Rz. 13).
94 K
Wichtig: Der BGH geht auch für den Rechtszustand seit 1.1.2002 davon aus, dass ein Prozesskostenhilfeantrag für ein Rechtsmittelverfahren keinerlei Begründung der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels bedarf (BGH MDR 2007, 1151; s. auch NJW-RR 2001, 1146, 1147) und dass das Fehlen einer Begründung einer Wiedereinsetzung nicht im Wege stehen kann. Insbesondere vor
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Jaspersen
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rz. 99 Kap. 71
ZPO
dem Hintergrund des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO gewinnt die differenzierende Ansicht einiger Obergerichte (vgl. SchlHOLG MDR 1999, 509) dennoch an Gewicht, die eine kursorische Darlegung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung verlangt (vgl. Fischer MDR 2004, 1160 mit eingehender Begründung und wN). Ungeachtet dessen kann eine Begründung hilfreich sein, das Berufungsgericht von der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung zu überzeugen. Das gilt insbesondere dann, wenn sie auf neue Tatsachen oder Argumentationen gestützt werden soll, die bislang keine Berücksichtigung gefunden haben und die im Berufungsverfahren – was ggf. zu begründen ist – zuzulassen sind. Die Bedürftigkeit der Partei entschuldigt die Fristversäumung iS des § 233 ZPO nur, wenn sie ur- 95 sächlich ist dafür, dass die Partei keinen Rechtsanwalt mit der fristgerechten Einlegung und Begründung einer Berufung beauftragt hat. Ein solcher Zusammenhang bedarf im Allgemeinen keiner besonderen Begründung. An einer Ursächlichkeit fehlt es aber, wenn ein Rechtsanwalt trotz der Bedürftigkeit seiner Partei bereit gewesen wäre, die Berufung einzulegen und zu begründen. Auf eine solche Bereitschaft kann nicht geschlossen werden, wenn nach Ablauf der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist, aber noch vor einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag die versäumte Prozesshandlung (Einlegung der Berufung und ihre Begründung) nachgeholt wird; es bedarf keiner näheren Darlegung, weshalb das Rechtsmittel nicht rechtzeitig eingelegt und begründet worden ist (BGH MDR 2011, 62 Rz. 20). Entsprechend ist es, wenn Prozesskostenhilfe unter Beifügung eines Begründungsentwurfs beantragt wird, mag sie auch inhaltlich den Anforderungen an eine Berufung und Berufungsbegründung genügen (BGH MDR 2014, 47 Rz. 9). Die nämliche Frage stellt sich, wenn es um die Berufungsbegründungsfrist geht und der Rechtsanwalt den Entwurf einer Berufungsbegründung vorlegt, bevor über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden ist (s. Rz. 110). Das Hindernis gilt als iS des § 234 Abs. 2 ZPO behoben und die Wiedereinsetzungsfrist beginnt, so- 96 bald die Bedürftigkeit wegfällt. Als Beispiel für einen vorzeitigen Wegfall sind zu nennen die Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung (BGH NJW 1991, 109 f.), eine kurzfristig zu realisierende Forderung oder gar eine beim Mandanten eingegangene Zahlung.
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Wichtig: Der Rechtsanwalt muss seine Partei hierauf hinweisen; unterlässt er dies und werden deshalb die Fristen des § 234 ZPO versäumt, geht dies zu Lasten der Partei, weil ihr das Beratungsverschulden des Rechtsanwalts gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird (BGH FamRZ 2002, 1704).
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Im Übrigen beginnt die Frist gem. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO spätestens mit Kenntnisnahme bzw. 98 schuldhaft unterlassener Kenntnisnahme (BGH FamRZ 1991, 425 f.) von dem die Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss. Der vorgeschriebenen Zustellung des Beschlusses (§ 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO) bedarf es nicht, um die Frist beginnen zu lassen (BGH VersR 1994, 1324); es reicht die formlose Zusendung an den im Prozesskostenhilfeverfahren beauftragten Rechtsanwalt aus. Fällt die grundsätzliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die spätere Beiordnung eines Rechtsanwalts (ausnahmsweise) auseinander, soll der Zeitpunkt des Zugangs der Entscheidung über die Beiordnung maßgeblich sein (BGH MDR 2004, 1376). Die Fristen des § 324 Abs. 1 ZPO verlängern sich auch bei einer Teilbewilligung von Prozesskostenhilfe – anders als bei der Ablehnung von Prozesskostenhilfe – nicht um eine sog. Überlegungszeit von drei bis vier Tagen (BGH NJW-RR 1993, 451, 452).
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Wichtig: Wegen der Bedeutung der Fristen ist es angezeigt, das Zugangsdatum des Prozesskostenhilfebeschlusses und die Wiedereinsetzungsfrist für die Einlegung der Berufung (zwei Wochen) im Fristenkalender und in den Handakten zu notieren (BGH VersR 1992, 516) ebenso wie die Monatsfrist für die Berufungsbegründung.
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Kap. 71 Rz. 100
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
M 71.3
100 M 71.3 Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist nach Bewilligung von
Prozesskostenhilfe An das Oberlandesgericht … Berufung und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand In dem Rechtsstreit … – Beklagter, Berufungskläger und Antragsteller (im Verfahren über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt … gegen 1. … 2. … – Kläger, Berufungsbeklagte und Antragsgegner (im Verfahren über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) – Prozessbevollmächtigte I. Instanz: Rechtsanwälte … lege ich hiermit für den Beklagten gegen das am 18.6.2018 verkündete und am 21.6.2018 zugestellte Urteil des Landgerichts … Az. I. Instanz: … LG … Berufung ein. Eine Kopie des angefochtenen Urteils füge ich bei. Zugleich beantrage ich, dem Beklagten wegen der Versäumung der Fristen für die Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren Zur Begründung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führe ich aus: Durch das mit der Berufung angefochtene Urteil des Landgerichts ist der Klage antragsgemäß stattgegeben worden. Die Ausfertigung dieses Urteils haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 21.6.2018 zugestellt erhalten. Nach Zustellung dieses Urteils hat sich der Beklagte darauf beschränken müssen, innerhalb der Frist für die Berufung ein Prozesskostenhilfegesuch für eine beabsichtigte Berufung einzureichen, da ihm die Mittel gefehlt haben und fehlen, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung der Berufung zu beauftragen. Das Prozesskostenhilfegesuch für die beabsichtigte Berufung ist beim Oberlandesgericht zusammen mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten fristgerecht eingegangen. Die begehrte Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren hat das Oberlandesgericht durch Beschluss vom 16.8.2018 – 3 U 7/09 dem Beklagten bewilligt. Dieser Beschluss ist den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 3.9.2018 zugestellt worden, so dass mit diesem Tage das Hindernis beseitigt war, aufgrund dessen der Beklagte die Berufungsfrist nicht hat wahren können. Das alles bedarf keiner besonderen Glaubhaftmachung. Die Richtigkeit vorstehender Tatsachen ergibt sich aus den dem Oberlandesgericht vorliegenden Akten.
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rz. 105 Kap. 71
Die Fristen für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 234 Abs. 1 ZPO) wahrt der Beklagte mit diesem Schriftsatz, mit dem ich zugleich die versäumte Prozesshandlung nachhole (§ 236 Abs. 2 ZPO). Binnen der Frist gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO werde ich Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragen und die Berufung begründen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); besondere Gerichtsgebühren für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung fallen nicht an. Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2); das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 1 RVG).
Besondere Gefahrenquellen lauern, wenn der spätere Insolvenzschuldner rechtzeitig und ordnungs- 101 gemäß um Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren nachgesucht hat und nach Ablauf der Berufungsfrist das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet wird. Analog § 249 Abs. 1 ZPO kann die Wiedereinsetzungsfrist nicht an- bzw. ablaufen. Jedoch muss der Insolvenzverwalter die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO beachten (vgl. OLG Koblenz NZI 2010, 686). c) Nach Verweigerung von Prozesskostenhilfe Der Wiedereinsetzungsantrag entspricht wiederum demjenigen im „Normalfall“. Besonderes Augen- 102 merk ist auch hier auf die Einhaltung der Wiedereinsetzungsfrist zu legen. Im Falle der unerwarteten Ablehnung von Prozesskostenhilfe beginnt die 2-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO allerdings erst nach einer Überlegungszeit von 3–4 Tagen unabhängig davon, aus welchem Grund Prozesskostenhilfe versagt wird (BGH MDR 2009, 462). Die Frist läuft schon früher an, wenn der Antragsteller – etwa durch einen gerichtlichen Hinweis – erfährt, dass sein Antrag erfolglos bleiben wird (BGH MDR 2011, 62 Rz. 23). Eine wichtige Frage ist, ob eine Partei, die nach Versagung der Prozesskostenhilfe die Berufung auf eigene Kosten führt, dafür im Wiedereinsetzungsantrag eine Begründung geben muss.
K
Praxistipp: Grundsätzlich ist im Wiedereinsetzungsantrag darzulegen und glaubhaft zu ma- 103 chen, dass die Partei vernünftigerweise hat annehmen dürfen, sie sei arm und deshalb an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen (BGH NJW 1999, 2823). Übersteigt das Vermögen das Schonvermögen, ist unbedingt darzulegen, weshalb mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat gerechnet werden dürfen (vgl. OLG Naumburg FamRZ 2008, 1869, 1870). Ebenso kann es erforderlich sein, plausibel darzulegen, weshalb ein Vermögensverlust dem Antragsteller im Hinblick auf den Prozess nicht vorwerfbar ist (BGH MDR 2008, 1297 Rz. 26).
Anknüpfungspunkt hierfür sind sinnvollerweise die tragenden Gründe des Beschlusses, mit dem ei- 104 ne Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist. Wird etwa wegen vorhandenen Vermögens eine Bedürftigkeit verneint, ist auszuführen, wieso die Partei hat glauben dürfen, zum Einsatz dieses Vermögens nicht verpflichtet zu sein (BGH VersR 2000, 383). Entsprechendes gilt, wenn der Prozesskostenhilfeantrag wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung abgelehnt worden ist. Es empfiehlt sich für den Rechtsanwalt dann, das Gericht davon zu überzeugen, dass weder er (§ 85 Abs. 2 ZPO) noch seine Partei hat davon ausgehen müssen, die beabsichtigte Einlegung des Rechtsmittels beruhe auf mutwilligem Vorgehen (Schneider MDR 1990, 974, 975). Des Weiteren muss die Partei vortragen, dass sie aus ihrer Sicht alles Erforderliche getan hat, dass 105 ihr Prozesskostenhilfe gewährt werden kann. Wegen § 117 Abs. 4 ZPO gehört hierzu u.a., dass die Partei rechtzeitig und das heißt vor Ablauf der Rechtsmittelfrist einen entsprechenden Vordruck ordnungsgemäß und insbesondere vollständig ausgefüllt zu den Akten gereicht hat (BGH NJW-RR 2017, 691 Rz. 12 auch zur Frage, inwieweit einzelne Lücken im Prozesskostenhilfeantrag relevant Jaspersen 1179
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M 71.3
ZPO
Kap. 71 Rz. 106
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
sind; BGH FamRZ 2005, 2062: Anforderungen dürfen nicht überspannt werden); die gem. § 117 Abs. 2 ZPO erforderlichen Belege sind beizufügen. Auch ein etwaiger Prozesskostenvorschussanspruch ist anzugeben, weil es sich um einsetzbares Vermögen iS des § 115 ZPO handelt. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Verpflichteten sind vollständig zu belegen, was nach § 117 Abs. 2 ZPO auch die Vorlage entsprechender Belege innerhalb der Berufungsfrist einschließt (BGH MDR 2006, 166). Insbesondere der Insolvenzverwalter muss bei der Darlegung der Bedürftigkeit gem. § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO besondere Sorgfalt walten lassen. Einzelne Lücken im Vordruck können unschädlich sein, wenn sie sich ohne Weiteres aus den eingereichten Unterlagen schließen lassen (BGH MDR 2008, 1297 Rz. 25 mwN).
106 Ausführungen in einem Schriftsatz können die Vorlage eines ausgefüllten Vordruckes nicht ersetzen. Ausnahmsweise ist eine Bezugnahme auf eine in der Vorinstanz eingereichte Erklärung zuzulassen, wenn das Verlangen, eine neue Erklärung vorzulegen, eine überflüssige Förmelei darstellen würde. Das ist dann der Fall, wenn die Partei im Zusammenhang mit der Bezugnahme auf die frühere Erklärung unmissverständlich mitteilt, es habe sich seither nichts geändert und eine neue Erklärung müsse denselben Inhalt haben (BGH NJW 1997, 1078).
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Wichtig: Ist der Prozesskostenhilfeantrag zwar rechtzeitig, aber unvollständig eingegangen, steht das einer Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn die Unvollständigkeit unverschuldet gewesen ist und der Prozesskostenhilfeantrag binnen der Frist gem. § 234 ZPO ergänzt wird (BGH MDR 2008, 760). Der Partei wird ein Verschulden ihres Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet (BGH NJW 2001, 2771 f.).
108 Demgegenüber bedarf es bei einer Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht des Rechtsmittels keiner Ausführungen dazu, dass die Partei mit einer Bejahung der Erfolgsaussicht seines beabsichtigten Rechtsmittels hat rechnen können (BGH VersR 1985, 395). Dies rührt daher, dass auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe keiner Begründung hinsichtlich der Erfolgsaussichten bedarf (s. hierzu aber oben Rz. 94). 3. Berufungsbegründungsfrist
109 Wegen der von der Berufungsfrist unabhängigen Frist zur Begründung der Berufung ergeben sich durch das neue Berufungsrecht und § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO wichtige Änderungen in Bezug auf die einzuhaltende Wiedereinsetzungsfrist. Die Frist für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist ist grds. unabhängig von der Frist zur Einlegung der Berufung zu betrachten. Die Wiedereinsetzungsfrist beträgt nunmehr 1 Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO ist innerhalb dieser Frist auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen, dh. die Berufung ist auch innerhalb der Monatsfrist zu begründen. Diese verlängerte Frist ist dem Umstand geschuldet, dem schuldlos Säumigen eine gleiche Vorbereitungs- und Überlegungsfrist zur Berufungsbegründung einzuräumen wie dem Nichtsäumigen. Eine Verlängerung der Frist kommt nicht in Betracht, weil das Gesetz sie nicht vorsieht (vgl. § 224 Abs. 2 ZPO); anderes soll gelten, wenn das verfassungsrechtliche Gebot eines fairen Verfahrens nur mittels einer Fristverlängerung gewahrt werden kann, etwa weil binnen der Monatsfrist keine Akteneinsicht gewährt werden kann (vgl. BGH v. 14.11.2012 – IX ZR 268/12); zwingend ist dies nicht, weil eine Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist diese Fälle zufriedenstellend lösen kann. Der Beginn der Frist ist problematisch, wenn auch die Berufungsfrist versäumt worden ist und auch um Wiedereinsetzung in diese Frist nachgesucht werden muss (hierzu s. Rz. 116 f.). a) Normalfall
110 Unter einem Normalfall soll hier der Fall verstanden werden, dass es nach rechtzeitiger Berufungseinlegung nur um die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geht. Hinsichtlich der Grundsätze für den Wiedereinsetzungsantrag kann zusätzlich auf die obigen allgemeinen Ausführun1180
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Rz. 110 Kap. 71
gen (Rz. 58 ff.) verwiesen werden. Die (neue) Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO für den Wiedereinsetzungsantrag und die Nachholung der Prozesshandlung (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO) ist zu beachten, wobei folgende Besonderheiten Bedeutung haben: – Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist kann im Zweifel nicht dahin ausgelegt werden, es werde gleichzeitig Wiedereinsetzung in die abgelaufene Begründungsfrist begehrt (OLG Brandenburg NJW 2003, 2996, 2997). – Eine unzulängliche oder lückenhafte Berufungsbegründung kann nach Fristablauf grundsätzlich nicht im Wege der Wiedereinsetzung geheilt werden (Zöller/Heßler § 520 ZPO Rz. 42a). – Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vertrauen eines Rechtsanwalts schutzwürdig darauf, dass einem 1. Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er ordnungsgemäß unter Angabe von Gründen gem. § 520 Abs. 2 ZPO begründet ist oder wenn es ständiger Übung des Gerichts entspricht, auch ohne Begründung einem erstmaligen Verlängerungsantrag stattzugeben (BGH MDR 2008, 41). Dieser Vertrauensschutz endet, sobald das Gericht die Verlängerung unzweifelhaft nur teilweise bewilligt und der Antragsteller noch ausreichend Zeit zur Begründung hat. Bei einem 2. Verlängerungsantrag gem. § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird das Vertrauen nur geschützt, wenn zusätzlich anwaltlich versichert wird, der Gegner habe eingewilligt (BGH MDR 2005, 1129). – Es kann nach der Gesetzesänderung durchweg nicht darauf vertraut werden, der gegnerische Rechtsanwalt werde sich ohne besondere Umstände einer Bitte um Fristverlängerung nicht verschließen; hierauf lässt sich ein Wiedereinsetzungsantrag in der Regel daher nicht stützen (vgl. OLG Zweibrücken NJW 2003, 3210, 3211). – Die versäumte Prozesshandlung iS des § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO ist die Einreichung der Begründungsschrift. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vermag die Nachholung der Berufungsbegründung nicht zu ersetzen (BGH NJW 1999, 3051; abl. Vollkommer EWiR 1999, 1085 f.). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass demjenigen, der bereits die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat, besondere Anstrengungen zuzumuten sind, die versäumte Prozesshandlung nachzuholen (vgl. Rz. 67). – Ausreichend ist, selbst am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ein ordnungsgemäßes Prozesskostenhilfegesuch einzureichen (BGH NJW-RR 2017, 691 Rz. 12 auch zur Frage, inwieweit einzelne Lücken im Antrag relevant sind; vgl. Rz. 105). Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt dann mit Zugang der Prozesskostenhilfeentscheidung (sofort bei zumindest teilweiser Bewilligung von Prozesskostenhilfe, nach einer Überlegungsfrist von 3–4 Tagen bei vollständiger Ablehnung von Prozesskostenhilfe). Zur Fristberechnung vgl. die obigen Ausführungen. Auch bzgl. der Berufungsbegründungsfrist gilt, dass die Bedürftigkeit ursächlich für ihre Versäumung sein muss. Ist formwirksam Berufung eingelegt, kann die im Allgemeinen zu unterstellende Ursächlichkeit widerlegt sein dadurch, dass der Rechtsanwalt noch innerhalb der Begründungsfrist seinen Prozesskostenhilfeantrag durch Einreichung des Entwurfs einer Berufungsbegründung ausführlich begründet (BGH NJW 2011, 230 Rz. 21; BGH MDR 2008, 994). Im Wiedereinsetzungsantrag ist glaubhaft zu machen, dass der beauftragte Anwalt nicht bereit war, die wirksam eingelegte Berufung im Weiteren ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgemäß zu begründen (BGH NJW-RR 2018, 6 Rz. 10; BGH NJW-RR 2018, 61 Rz. 14). – Nach früherem Recht ist eine Wiedereinsetzung mangels schuldloser Fristversäumung gesperrt gewesen, wenn die Möglichkeit eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO) bestanden hat, um ein größeres Zeitfenster für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu gewinnen. Nunmehr ist geklärt, dass es nicht einmal eines 1. Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bedarf, um die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist offen zu halten (BGH MDR 2007, 1151). – Ein rechtzeitiges Akteneinsichtsgesuch, dem nicht entsprochen wird, kann eine Wiedereinsetzung rechtfertigen (BGH MDR 2018, 356). Jaspersen 1181
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
ZPO
Kap. 71 Rz. 111
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
M 71.4
111 M 71.4 Berufungsbegründung und Wiedereinsetzungsantrag An das Landgericht … Berufungsbegründung und Wiedereinsetzungsantrag In Sachen …/… (Langrubrum) beantrage ich namens des Beklagten und Berufungsklägers, dem Beklagten Wiedereinsetzung in die am … abgelaufene Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen, und begründe die mit Schriftsatz vom … eingelegte Berufung gegen das Urteil des … mit folgendem Antrag: Unter Abänderung des am … verkündeten Urteils des … wird die Klage abgewiesen. … Begründung: I. Den Wiedereinsetzungsantrag begründe ich wie folgt: … Die Berufungsbegründungsfrist ist am … abgelaufen. Der Beklagte hat die Frist schuldlos versäumt …. Die einmonatige Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist noch nicht abgelaufen. Sie hat begonnen mit dem am … zugegangenen Hinweis des Senats, dass die rechtzeitig auf den Weg gebrachte Begründungsschrift niemals bei Gericht eingegangen ist, und endet damit erst am …. Zur Glaubhaftmachung nehme ich Bezug auf die anliegende eidesstattliche Versicherung der … und den Akteninhalt. II. Die Berufung begründe ich wie folgt: … Kosten: Besondere Gerichtsgebühren für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung fallen nicht an; hinsichtlich der Anwaltsgebühren gehört das Verfahren zum Rechtszug des Verfahrens über die versäumte Prozesshandlung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 RVG).
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Praxistipp: Verbleibt damit im Regelfall für die Begründung der Berufung nur ein Monat, muss sich der Rechtsanwalt – soweit es ihm möglich ist – rechtzeitig hierauf einstellen, indem er zB noch während eines vorherigen Prozesskostenhilfeverfahrens Akteneinsicht begehrt, um eine Begründung vorzubereiten. Die Beschränkung der Frist zur Nachholung der versäumten Begründung auf einen Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) unter gleichzeitiger Verschärfung des Begründungszwangs kann in besonders gelagerten Fällen zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Verkürzung der Zugangsmöglichkeit zum Berufungsgericht führen. In diesen Fällen sollte rechtzeitig unter Hinweis auf die verfassungsrechtliche Problematik (vgl. BGH NJW 2003, 3275 ff.) und die in anderen Verfahrensordnungen hierzu entwickelten Grundsätze (BFH NJW 2003, 1550 f.; BVerwG NVwZ 2004, 111 f.) um eine Verlängerung der Frist nachgesucht werden (vgl. Rz. 67).
b) Sonderfall: Wegfall des Hindernisses während noch laufender Berufungsbegründungsfrist
113 Entfällt das Hindernis noch innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist, läuft die Monatsfrist gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO bereits vor Ablauf der Hauptfrist an. Problematisch ist dann aber immer, ob noch von einer schuldlosen Säumnis gesprochen werden kann. Das hängt davon ab, ob die verbleibende Zeit ausreichend ist, die Berufung zu begründen.
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Wichtig: Der Berufungsführer muss die Möglichkeit wahrnehmen, eine Verlängerung der Begründungsfrist zu erreichen, um die von der Begründungsfrist bereits verstrichene Zeit zu kompensieren. Insoweit kann er sich nicht auf die gängige Rechtsprechung verlassen, dass er nicht
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Rz. 120 Kap. 71
verpflichtet sei, durch einen Verlängerungsantrag eine Vergrößerung des Zeitfensters zur Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag zu erreichen (vgl. Rz. 110 aE). Anders ist es aber dann, wenn das Hindernis in einer Bedürftigkeit besteht und weniger als 1 Woche vor dem Ablauf der Begründungsfrist die Prozesskostenhilfeentscheidung zugeht. Hier soll dem Berufungsführer die volle Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ab Wegfall des Hindernisses verbleiben. Es dürfe keine Rolle spielen, ob die PKH-Entscheidung kurz vor oder nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zugehe (vgl. hierzu BGH MDR 2004, 1376).
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c) Sonderfall: Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist, wenn Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sind Im Allgemeinen sind die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist und die in die Berufungsbegründungsfrist getrennt zu betrachten. Eine Abhängigkeit der einmonatigen Frist zur Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelbegründung von der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist, würde die vom Gesetzgeber bewusst abgeschaffte Abhängigkeit der Begründungsfrist von der Rechtsmittelfrist contra legem wiederherstellen (BGH NJW-RR 2008, 1313, 1315). Anders verhält es sich aber bei dem in der Praxis häufigsten Fall, dass rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist und auch ordnungsgemäß (s. Rz. 105) für das gesamte Berufungsverfahren um Prozesskostenhilfe nachgesucht wird. Nach wie vor ist nicht abschließend geklärt, wann in diesem Fall die Monatsfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beginnt.
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Wichtig: Nach nunmehr wohl gesicherter Rechtsprechung des BGH soll die Monatsfrist erst mit dem Zugang der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist beginnen (BGH NJW 2007, 3354, 3355 f. mwN zum Streitstand; BGH NJW 2014, 2442; BGH v. 30.5.2017 – VIII ZB 54/16; BGH v. 10.10.2016 – IX ZR 199/16 für die Begründung einer Rechtsbeschwerde; MüKo.ZPO/Stackmann § 234 ZPO Rz. 16; aA noch BGH NJW-RR 2008, 1313 Rz. 10 ff.).
V. Rechtsbehelfe 1. Gegen Gewährung der Wiedereinsetzung Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar (§ 238 Abs. 2 ZPO). Dies gilt selbst dann, wenn das Ausgangsgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (BGH MDR 2003, 41 f.). Hieraus muss der gegnerische Rechtsanwalt folgern, dass er sich bemühen sollte, Einfluss auf die Wiedereinsetzungsentscheidung zu nehmen. Zwar dürfte es ihm schwerfallen, zu dem vom Antragsteller vorgebrachten Sachverhalt Stellung zu nehmen, weil die maßgeblichen Tatsachen in aller Regel ihren Ursprung in einer ihm nicht einsehbaren Sphäre haben. Wohl aber sollte er den vorgebrachten Sachverhalt rechtlich prüfen und seine Rechtsansicht darlegen.
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Praxistipp: Ist dem Gegner kein rechtliches Gehör gewährt worden, kann er die Wiedereinsetzungsentscheidung gem. § 321a ZPO zu Fall bringen (BGH MDR 2009, 520 f.). Bei der Berechnung der Zweiwochenfrist (§ 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO) ist die Zugangsfiktion gem. § 321a Abs. 2 Satz 3 ZPO zu beachten, wonach formlos mitgeteilte Entscheidungen mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten; bei einem Rechtsanwalt kommt es darauf an, wann er die Möglichkeit der Kenntnisnahme gehabt hat, nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme (vgl. BGH v. 11.2.2013 – IX ZB 101/12).
2. Gegen Versagung der Wiedereinsetzung Diesbezüglich ist das Rechtsmittel zulässig, welches gegen die Hauptsacheentscheidung gegeben ist (§ 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Wird der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil wie nunmehr vorgeschrieben im ersten Rechtszug gem. § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Urteil verworfen, ist Berufung Jaspersen 1183
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
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Kap. 71 Rz. 121
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
einzulegen; im Falle der Verwerfung einer unzulässigen Berufung durch Beschluss ist die Rechtsbeschwerde eröffnet (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO; vgl. hierzu Kap. 70). Die Voraussetzungen einer der von § 574 Abs. 2 ZPO genannten drei Alternativen (grundsätzliche Bedeutung, Rechtsfortbildung oder Einheitlichkeit der Rspr.) für eine Zulässigkeit oder eine Zulassung der Rechtsbeschwerde dürften vielfach nicht ohne Weiteres zu bejahen sein. Denn regelmäßig steht allein die individuelle Frage im Vordergrund, ob der Rechtsanwalt die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt hat. Die Beantwortung dieser Frage dürfte häufig aber von Erwägungen abhängig sein, die einzelfallbezogen sind und sich einer Verallgemeinerung gem. § 574 Abs. 2 ZPO entziehen. Die Rechtsprechung hat hierauf reagiert und die Anforderungen heruntergeschraubt im Hinblick darauf, dass das Wiedereinsetzungsverfahren verfahrensrechtliche Grundrechte sichern soll. Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung genügt es schon darzulegen, dass das erkennende Gericht einen zu strengen Sorgfaltsmaßstab angelegt und die besonderen Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend gewürdigt hat (BGH NJW-RR 2004, 216). In diesem Fall würde dem Betroffenen der Zugang zu den Gerichten in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert; hierin läge eine Verletzung des Anspruchs auf wirkungsvollen Rechtsschutz (BGH NJW 2004, 367).
121 Folgende weitere Grundsätze gilt es bei der Rechtsbeschwerde zu beachten und schon bei Erteilung des Antrags an den beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt zu bedenken: – Zuständig ist gem. § 133 GVG allein der Bundesgerichtshof, die Beschwerde muss folglich von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden. – Die Einlegungs- und Begründungsfrist belaufen sich jeweils auf nur einen Monat. Zum Beginn vgl. BGH MDR 2009, 1059. – Dem Beschwerdeführer ist es gem. § 576 ZPO versagt, seine Beschwerde auf neue Tatsachen zu stützen. – Hat das Gericht die Wiedereinsetzung abgelehnt und – früher oder später – in einer gesonderten Entscheidung über die Hauptsache befunden, reicht es nicht aus, nur die Hauptsacheentscheidung anzugreifen. Das Rechtsmittelgericht prüft nur dann inzident auch die Wiedereinsetzungsentscheidung, wenn über Wiedereinsetzung und Hauptsache einheitlich entschieden worden ist. Wird die Wiedereinsetzungsentscheidung rechtskräftig, ist dies für den Instanzenzug betreffend die Hauptsache präjudiziell (BGH NJW 2017, 1554). – Der Beschwerdeführer muss für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gem. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht darlegen, dass die Entscheidung auf dem Verstoß gegen das Gebot, einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren, beruht.
122 Die Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) ist neben den allgemeinen Rechtsbehelfen ausgeschlossen (§ 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
123 Wird im Rechtsmittelverfahren Wiedereinsetzung gewährt, werden im Hinblick auf die Fristversäumnis getroffene Entscheidungen ohne Weiteres gegenstandslos, ohne dass es eines Ausspruchs bedarf. Gleichwohl sollte ein solcher Ausspruch begehrt werden, um von vornherein Problemen und Zweifeln vorzubeugen.
124 Für die Kostenentscheidung gilt im Falle erfolgreicher (Rechts-)Beschwerde § 238 Abs. 4 ZPO und ist der Endentscheidung vorzubehalten. Der Antragsteller trägt danach die Kosten – auch eines erfolgreichen Beschwerdeverfahrens – selbst dann, wenn die Wiedereinsetzung Erfolg hat. § 238 Abs. 4 ZPO stellt eine Ausnahme zu § 97 Abs. 1 ZPO dar. Bei Klage- oder Rechtsmittelrücknahme wird § 238 Abs. 4 ZPO durch §§ 269 Abs. 3, 516 Abs. 3, 565 ZPO verdrängt (Musielak/Voit/Grandel § 238 ZPO Rz. 8 mwN). Hat die (Rechts-)Beschwerde Erfolg, weil kein Fall der Säumnis vorgelegen hat, muss sich die Kostenentscheidung nicht an § 238 Abs. 4 ZPO ausrichten, sondern an §§ 91 ff. ZPO (BGH MDR 2006, 166, 167) mit der Maßgabe, dass der Gegner des Antragstellers nur dann mit Kos1184
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ten belastet werden darf, wenn und soweit er sie durch einen unbegründeten Widerspruch gegen die Wiedereinsetzung verursacht hat (arg. ex § 238 Abs. 4 Halbs. 2 ZPO).
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Wichtig: § 238 Abs. 4 ZPO wird in der Praxis vergleichsweise häufig vergessen. Verliert der Antragsteller, dem zuvor Wiedereinsetzung gewährt worden ist, den Prozess, und muss er die Kosten gem. § 91 Abs. 1 ZPO tragen, spielt dies keine Rolle. Im umgekehrten Fall muss der mit den Kosten des Rechtstreits belastete Antragsgegner gem. § 321 ZPO vorgehen, will er die Kosten der Wiedereinsetzung abwälzen.
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
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B. Verfahren zur Vernichtung/Abänderung eines Titels Kapitel 72 Restitutionsklage I. Im Vorfeld der Klage . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung der in Betracht kommenden Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außergerichtliche Streiterledigung . . . . . . M 72.1 Anwaltsvergleich als Ersatz für ein Restitutionsurteil . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten des Verfahrens, Zulässigkeit der Restitutionsklage . . . . . . . . . . 1. Die drei Stufen des Verfahrens . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit der Restitutionsklage . . . . . . . M 72.2 Klageantrag, wenn die Restitutionsklage beim Berufungsgericht erhoben wird . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründetheit der Restitutionsklage . . . IV. Restitutionsklage bei strafbarer Verletzung der Wahrheitspflicht eines Zeugen (§ 580 Nr. 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 72.3 Restitutionsklage bei strafbarer Verletzung der Wahrheitspflicht eines Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . .
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V.
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VI. VII. 1. 2. 3. VIII.
M 72.4 Klageantrag, wenn Restitutionskläger der ursprüngliche Beklagte ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restitutionsklage nach Auffinden einer anderen Urkunde (§ 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 72.5 Restitutionsklage nach Auffinden einer anderen Urkunde . . . . . . . . Rechtsmittel in Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entsprechende Anwendung in anderen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entsprechende Anwendung im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entsprechende Anwendung nach beiderseitiger Erledigungserklärung . . . . . . . . . Entsprechende Anwendung im Revisionsverfahren über § 559 Abs. 1 ZPO hinaus . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Im Vorfeld der Klage 1. Abgrenzung der in Betracht kommenden Möglichkeiten
1 Nachdem eine Partei im Rechtsstreit rechtskräftig unterlegen ist, können ihr tatsächliche Gesichtspunkte oder Beweismittel erstmals bekannt werden oder können überhaupt erst nachträglich Umstände entstehen, die es als sicher oder jedenfalls naheliegend erscheinen lassen, dass das Gericht in ihrer Kenntnis anders entschieden hätte, oder die eine weitere Durchsetzung des Urteils jedenfalls als nicht mehr im Einklang mit der materiellen Rechtslage stehend erscheinen lassen. Hier ist zu prüfen, ob und in welchem Verfahren diese Umstände noch zum Nutzen der Partei dem Gericht unterbreitet werden können. Folgende Fälle sind zu unterscheiden:
2 – Die Tatsachen oder Umstände werden der Partei nach Abschluss der ersten Tatsacheninstanz bekannt: Die Partei muss prüfen, ob die Berufungssumme erreicht und ob die Berufungsfrist noch nicht abgelaufen ist (Kap. 65). Ist dies der Fall, das Urteil also noch nicht rechtskräftig, können die neuen Umstände mit der Berufung geltend gemacht werden. Dabei ist mit der Berufungsbegründung aufzuzeigen, warum die erst jetzt geltend gemacht Umstände, soweit sie nicht unbestritten bleiben sollten, nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu berücksichtigen sind (Kap. 65 Rz. 165 ff.).
3 – Sind die neuen Umstände erst nach der letzten mündlichen Verhandlung der abgeschlossenen ersten Instanz entstanden (und nicht nur der Partei erst jetzt bekannt geworden) und führt ihre Berücksichtigung dazu, dass der titulierte Anspruch ganz oder teilweise entfällt oder jedenfalls vorläufig nicht durchgesetzt werden kann, so kann der Schuldner des titulierten Anspruchs die (nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO unproblematisch berücksichtigungsfähigen) neuen Umstände statt mit der Berufung auch bzw., wenn die Berufungsfrist bereits verstrichen ist, nur noch mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen (Kap. 63). 1186
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– Lautet der Titel über eine künftig fällig werdende wiederkehrende Leistung und ergeben die neuen Tatsachen, dass die bei Titelerlass angenommenen anspruchsbegründenden Voraussetzungen künftig nicht mehr vorliegen, sind die neuen Tatsachen mit der Abänderungsklage gem. § 323 ZPO geltend zu machen (s. Kap. 76).
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– Ergibt sich aus den nach Rechtskraft des Titels zwischen den Parteien unstreitigen Tatsachen, dass der titulierte Anspruch nicht besteht und hat der Gläubiger den Titel erschlichen oder sind nach Titelerlass Umstände aufgetreten, die die weitere Vollstreckung des unrichtigen Titels als grob sittenwidrig erscheinen lassen, so kann der Schuldner gestützt auf § 826 BGB Klage auf Unterlassung der weiteren Zwangsvollstreckung aus dem Titel und gegebenenfalls auf Rückzahlung der bereits geleisteten Beträge erheben (s. Kap. 74).
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– Werden nach Rechtskraft des Urteils bestimmte schwerste Verfahrensmängel bekannt, die auch im Interesse des Rechtsfriedens nicht hingenommen werden müssen (abschließende Aufzählung in § 579 Abs. 1 Nr. 1–4 ZPO), kann das rechtskräftige Urteil mit der Nichtigkeitsklage (§§ 578 Abs. 1, 579 ZPO) beseitigt und das abgeschlossene Verfahren wieder aufgenommen werden (s. Kap. 73).
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– Wird schließlich erst nach Rechtskraft bekannt, dass das Urteil in tatsächlicher Hinsicht auf einer unrichtigen Grundlage beruht, weil
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– Werden die Umstände erst nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz bekannt, ist aber das Rechtsmittel der Revision zugelassen (§ 543 ZPO) oder ist der Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben (§ 544 Abs. 6 ZPO) worden, so können neue Tatsachen nur unter den engen Voraussetzungen des § 559 ZPO in der Revisionsinstanz berücksichtigt werden (Zöller/Heßler § 559 ZPO Rz. 7 und Zöller/Greger vor § 578 ZPO Rz. 16; BGH MDR 2013, 1227). Ansonsten verbleiben je nach dem Charakter der neuen Umstände die Vollstreckungsabwehr-, Nichtigkeits- oder Restitutionsklage.
– auf die Tatsachenfeststellung zu Lasten der unterlegenen Partei in anstößig erscheinender (strafbare Mittel einsetzender) Weise eingewirkt wurde (§ 580 Nr. 1–5 ZPO), – ein Urteil, auf welches das Urteil gegründet war, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist (§ 580 Nr. 6 ZPO; ist dieses andere Urteil ein BVerfG-Urteil, greift § 580 ZPO aber nicht, da § 79 BVerfGG insoweit eine vorrangige abschließende Regelung enthält: BGH MDR 2006, 1422; BVerfG NJW 2007, 1802), – objektive, durch die unterlegene Partei nicht nachträglich unkontrollierbar zu beeinflussende Urkunden keine Verwendung gefunden haben, die erst jetzt vorgelegt bzw. berücksichtigt werden können (§ 580 Nr. 7 lit. a) und b) ZPO) oder – der EGMR festgestellt hat, dass eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle vorliegt und das Urteil auf dieser Verletzung beruht (vgl. § 580 Nr. 8 ZPO, der gem. § 35 EGZPO [verfassungsrechtlich unbedenklich, vgl. BVerfG FamRZ 2015, 1263 und BVerfG NZA 2016, 1163], auf Verfahren, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind, nicht anzuwenden ist), kann das rechtskräftige Urteil durch eine Restitutionsklage beseitigt und das abgeschlossene Verfahren wieder aufgenommen werden (§§ 578 Abs. 1, 580 ZPO). 2. Außergerichtliche Streiterledigung Erweist sich im Einzelfall nach der vorstehenden Abgrenzung der zu erwägenden Möglichkeiten die Restitutionsklage als der richtige Rechtsbehelf, so stellt sich auch die Frage, welche sicheren – den Mandanten also vor weiteren Beeinträchtigungen aufgrund des falschen Titels schützende – Möglichkeiten der außergerichtlichen Streiterledigung bestehen.
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Kap. 72 Rz. 10
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Restitutionsklage
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10 War die – nunmehr nach den nachträglich bekannt gewordenen Umständen eigentlich begründete – Klage des Mandanten im Vorprozess rechtskräftig abgewiesen worden, so benötigt der Mandant gegen den obsiegenden Gegner des Vorprozesses für den Fall der nicht rechtzeitigen Leistung einen Titel, der neben der bisher vergeblich eingeklagten Hauptleistung (ggf. nebst Zinsen) zugleich auch die Kosten des Vorprozesses und die Kosten der „Reparatur“ des unzutreffenden Ergebnisses des Vorprozesses umfasst. Insoweit kommt als vollwertiger Ersatz für ein Restitutionsurteil nur ein Anwaltsvergleich (s. dazu im Einzelnen Kap. 3) in Betracht.
11 M 72.1 Anwaltsvergleich als Ersatz für ein Restitutionsurteil Vergleichsvereinbarung zwischen (Langrubrum erforderlich) Herrn K … – Kläger des Vorprozesses – vertreten durch den von ihm insoweit bevollmächtigten Rechtsanwalt R 1 und Herrn B … – Beklagter des Vorprozesses – vertreten durch den von ihm insoweit bevollmächtigten Rechtsanwalt R 2 1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Urteil des Amtsgerichts … vom … – Az. … für ihre Rechtsbeziehungen gegenstandslos ist. 2. Zum Ausgleich aller im vorgenannten Rechtsstreit geltend gemachten und durch den vorgenannten Rechtsstreit entstandenen wechselseitigen Ansprüche zahlt Herr B an Herrn K … Euro (= Summe aus folgenden Positionen: Hauptsumme des Vorprozesses nebst Zinsen, Kosten des Vorprozesses, Kosten im Zusammenhang mit der Vergleichsvereinbarung). 3. Herr B unterwirft sich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in sein gesamtes Vermögen. …, den … (Unterschrift R 1) (Unterschrift R 2) Der Vereinbarung sind die von K auf R 1 und von B auf R 2 lautenden Vollmachten beigefügt. Kosten: Anwalt: Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (0,5–2,5; Schwellengebühr 1,3) nach dem an K zu zahlenden Betrag zzgl. 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG.
12 War der Mandant im Vorprozess – aufgrund verfälschter Tatsachenfeststellung – rechtskräftig zu einer Leistung verurteilt worden und ist dieser Titel noch nicht vollstreckt, so genügt es, wenn der obsiegende Gegner des Vorprozesses schriftlich auf die titulierte Leistung einschließlich der Ansprüche aus einem eventuellen Kostenfestsetzungsbeschluss verzichtet und die Titel (vollstreckbare Ausfertigungen des Urteils und des Kostenfestsetzungsbeschlusses) an den Mandanten herausgibt. Gegen mögliche spätere Vollstreckungsversuche, für die der obsiegende Gegner des Vorprozesses ohnehin eine redlich kaum zu erlangende weitere vollstreckbare Ausfertigung des Titels (§ 733 ZPO) benötigen würde, ist der Mandant bei Vorlage des Verzichtsschreibens durch § 775 Nr. 4 ZPO geschützt. Ist der Titel bereits ganz oder teilweise vollstreckt und wird das bereits Beigetriebene nicht freiwillig – ggf. auf der Grundlage eines zu schließenden Anwaltsvergleichs – erstattet, führt an der Erlangung eines Restitutionsurteils kein Weg vorbei.
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Rz. 18 Kap. 72
Praxistipp: Wegen der Klagefrist des § 586 ZPO steht für eine außergerichtliche Streiterledigung vor Erhebung der Restitutionsklage nur kurze Zeit zur Verfügung.
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Restitutionsklage
II. Besonderheiten des Verfahrens, Zulässigkeit der Restitutionsklage 1. Die drei Stufen des Verfahrens Das Wiederaufnahmeverfahren (sowohl aufgrund einer Restitutions- als auch aufgrund einer Nich- 14 tigkeitsklage) zerfällt in drei Stufen (Zöller/Greger vor § 578 ZPO Rz. 20 ff.), wobei der jeweils folgende Abschnitt erst geprüft werden darf, wenn der vorhergehende abschließend mit positivem Ergebnis geprüft ist (BGHZ 2, 247): 1. Prüfung der verfahrensrechtlichen Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage (Restitutions- oder Nichtigkeitsklage). 2. Prüfung der Begründetheit der Wiederaufnahmeklage, also des tatsächlichen Vorliegens des geltend gemachten Wiederaufnahmegrunds. Zum Schutze der Rechtskraft ist insoweit die Parteiherrschaft eingeschränkt: Anerkenntnis, Geständnis, Fiktionswirkung des Nichtbestreitens (§ 138 Abs. 3 ZPO) scheiden als Nachweis des Wiederaufnahmegrunds ebenso aus wie eine Parteivernehmung gem. §§ 445, 447 ZPO als Beweismittel, § 581 Abs. 2 ZPO (Musielak/Voit § 581 ZPO Rz. 6; Zöller/Greger vor § 578 ZPO Rz. 22). 3. Fortsetzung und Beendigung des alten Prozesses unter Einbeziehung der neuen Urkunden, aufgefundenen Urteile usw.: Da das alte Verfahren fortgesetzt und nicht gänzlich neu begonnen wird, dauern bindende Prozesslagen des Vorprozesses (Geständnisse, Anerkenntnisse) fort, zusätzliche, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind aber möglich. 2. Zulässigkeit der Restitutionsklage Die Restitutionsklage ist zulässig (Stufe 1), wenn
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a) die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen.
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b) das angerufene Gericht zuständig ist.
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Wichtig: Die Sondervorschrift des § 584 ZPO (ausschließliche Zuständigkeit!) ist zu beachten: – Haben also sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch das Berufungsgericht in der Sache entschieden (auch wenn das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil nur bestätigt hat), muss die Restitutionsklage beim Berufungsgericht erhoben werden, s. M 72.2 (Einzelheiten: MüKo.ZPO/Braun § 584 ZPO Rz. 4; Musielak/Voit § 584 ZPO Rz. 5; Zöller/Greger § 584 ZPO Rz. 2). Ist die Klage beim unzuständigen Gericht eingereicht, ist gem. § 281 Abs. 1 ZPO zu verfahren (vgl. BGH v. 21.3.2018 – IV 196/17). Die Klageerhebung beim unzuständigen Gericht wahrt die Frist des § 586 Abs. 1 ZPO, wenn gem. § 281 ZPO an das zuständige Gericht weiterverwiesen wird (BAG NZA 2003, 453, 455; Musielak/Voit § 586 ZPO Rz. 5). – Für eine Restitutionsklage, die ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil betrifft, ist das Revisionsgericht nur in den Fällen der §§ 579, 580 Nr. 4, 5 ZPO zuständig (vgl. § 584 Abs. 1 Halbs. 3 ZPO). Wird ein in der Revisionsinstanz ergangenes Urteil nach § 580 Nr. 8 ZPO angefochten, ist das Berufungsgericht zuständig (vgl. BGH v. 21.3.2018 – IV 196/17, FamRZ 2018, 1013).
c) sie statthaft ist, sich also gegen ein bereits rechtskräftiges Endurteil (also nicht gegen ein bloßes Zwischenurteil zu einer verfahrensrechtlichen Frage; ebenfalls nicht gegen einen Prozessvergleich – zur Vorgehensweise in diesem Fall Kap. 75) richtet (§ 578 ZPO). Rechtskraft des angefochtenen Wiemer 1189
18
ZPO
Kap. 72 Rz. 19
Restitutionsklage
M 72.2
Urteils ist ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn gegen das Urteil zwar noch Revision eingelegt werden könnte, der Wiederaufnahmegrund im Revisionsverfahren aber nicht abschließend geprüft werden kann (MüKo.ZPO/Braun § 578 ZPO Rz. 22). Das Urteil muss in der Klageschrift genau bezeichnet sein (§ 587 ZPO). Urteilen gleichgestellt sind unanfechtbare Vollstreckungsbescheide (vgl. §§ 584 Abs. 2, 700 Abs. 1 ZPO).
19 d) der Restitutionskläger durch das angefochtene Urteil beschwert ist (BGHZ 39, 179); dies ist nicht der Fall, wenn die Partei im Vorprozess in der Sache obsiegt hat, ihr allerdings die Begründung dieser Entscheidung missfällt.
20 e) ein konkreter Restitutionsgrund behauptet ist (§ 588 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). 21 f) die Partei ohne ihr Verschulden nicht in der Lage war, diesen von ihr behaupteten Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO) (zum insoweit strengen Maßstab vgl. OLG Köln v. 29.8.2008 – 19 U 55/08). Es stellt aber grundsätzlich kein – eine spätere Restitutionsklage ausschließendes – Versäumnis dar, wenn eine Partei es unterlässt, ihr erst in der Revisionsinstanz bekannt gewordene neue Tatsachen, die noch nicht Gegenstand des Berufungsurteils sein konnten, im Revisionsverfahren vorzubringen (BGHZ 213, 238 mwN, dort auch zur unterschiedlichen Behandlung einer eingetretenen Änderung der Patentlage).
22 g) hinsichtlich der Restitutionsgründe des § 580 Nr. 1–5 ZPO zusätzlich die Voraussetzungen des § 581 ZPO (insbes. Vorliegen eines rechtskräftigen Strafurteils gegen die Partei oder den Zeugen oder den Verfälscher der Urkunde) erfüllt sind.
K
Wichtig: Im Falle der Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153a StPO sowie gem. § 154 StPO liegt ein „anderer Grund“ iS des § 581 Abs. 1 Halbs. 2 Alt. 2 ZPO vor (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1999, 1298; Musielak/Voit § 581 ZPO Rz. 3; Zöller/Greger § 581 ZPO Rz. 8). Dies ist dagegen dann nicht der Fall, wenn die Strafverfolgung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung inzwischen ausgeschlossen ist, eine rechtzeitige Anzeige der Straftat aber möglich und die Durchführung des Strafverfahrens dann nicht ausgeschlossen gewesen wäre (BGH MDR 2007, 234).
23 h) die Klagefrist des § 586 ZPO – ggf. in Anwendung des § 167 ZPO – gewahrt ist. Diesbezüglich soll die Klageschrift bereits die die Einhaltung der Notfrist betreffenden Beweismittel benennen (§ 588 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
24 In förmlicher Hinsicht muss die Klage zudem ausdrücklich als „Restitutionsklage“ bezeichnet sein (§ 587 ZPO).
25 M 72.2 Klageantrag, wenn die Restitutionsklage beim Berufungsgericht erhoben
wird … / … (Langrubrum) Namens des von uns vertretenen Klägers erheben wir Restitutionsklage und beantragen, 1. das rechtskräftige Urteil des Landgerichts … vom … – Az. … aufzuheben, 2. auf die Berufung des Klägers das Urteil des Amtsgerichts … vom … – Az. … abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst … % Zinsen seit dem … zu zahlen, 3. dem Beklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen. Kosten: Gericht: 4,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf 1,0 (Nr. 1221 KV GKG), 2,0 (Nr. 1222 KV GKG) oder 3,0 (Nr. 1223 KV GKG); Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV RVG (Verfahrensgebühr: 1,6, Terminsgebühr: 1,2).
1190
Wiemer
M 72.3
Restitutionsklage
Rz. 28 Kap. 72
Die Restitutionsklage ist begründet (Stufe 2), wenn einer der in § 580 Nr. 1–8 ZPO genannten Restitutionsgründe zur Überzeugung des Gerichts bewiesen ist.
26
IV. Restitutionsklage bei strafbarer Verletzung der Wahrheitspflicht eines Zeugen (§ 580 Nr. 3 ZPO) 27
Um die Stufe 1 zu überwinden, müssen insbesondere: – die Klageschrift innerhalb der Frist des § 586 ZPO zugestellt (§ 253 Abs. 1 ZPO) oder bei Gericht eingegangen und die Zustellung demnächst erfolgt (§ 167 ZPO) sein (s. Rz. 23), – in der Klageschrift der Zeuge, der im Vorprozess die Wahrheitspflicht verletzt hat, und die Strafakten, in denen sich seine Bestrafung bzw. die Einstellung des Strafverfahrens aus den in § 581 Abs. 1 ZPO genannten Gründen befindet, benannt sein bzw. das Strafurteil vorgelegt werden (s. Rz. 20, 22), – die Entscheidungsgründe des Vorprozesses ergeben, dass die Aussage dieses Zeugen mitursächlich (nicht die alleinige oder überwiegende Ursache) für den für die Partei ungünstigen Prozessausgang war (s. Rz. 20), und – in der Klageschrift Gründe genannt sein, warum die Partei nicht bereits im Vorprozess in der Lage war, den Zeugen der Unwahrheit zu überführen.
M 72.3 Restitutionsklage bei strafbarer Verletzung der Wahrheitspflicht eines Zeugen An das … gericht in … Restitutionsklage des … / … (Langrubrum) Namens des von uns vertretenen Klägers erheben wir Restitutionsklage gegen das Urteil des … gerichts … vom … – Az. … mit den Anträgen 1. das rechtskräftige Urteil des … gerichts … vom … – Az. … aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger … Euro nebst … % Zinsen seit dem … zu zahlen; 2. dem Beklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen. Vorab beantragen wir, die Zwangsvollstreckung aus dem vorgenannten Urteil einstweilen ohne, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Zur Begründung führen wir aus: Im bezeichneten Vorprozess hatte der Kläger den Beklagten auf Zahlung von … Euro Schadensersatz in Anspruch genommen, weil dieser den Pkw des Klägers an zahlreichen Stellen mutwillig mit einem Schlüssel zerkratzt hatte. Obwohl die Ehefrau des Klägers den Beklagten bei seiner Tat beobachtet und dies im Prozess als Zeugin bekundet hatte, war die Klage abgewiesen worden, weil die Ehefrau des Beklagten in der gleichen Beweisaufnahme unter Eid bekundet hatte, dass ihr Ehemann sich zur fraglichen Zeit in der häuslichen Wohnung aufgehalten und dort Tapeziererarbeiten durchgeführt habe. Er habe am fraglichen Tag das Haus nicht verlassen.
Wiemer 1191
28
ZPO
III. Begründetheit der Restitutionsklage
ZPO
Kap. 72 Rz. 29
Restitutionsklage
M 72.3
Nach Abweisung seiner Klage stellte der Kläger weitere Recherchen an und konnte einen unbeteiligten Zeugen ausfindig machen, der den Beklagten ebenfalls ohne jeden Zweifel bei seiner Tat beobachtet hatte. Der Kläger erstattete daraufhin Strafanzeige wegen Meineides gegen die Ehefrau des Beklagten. Diese wurde dann auch durch Urteil des … gerichts … vom … wegen Meineides verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Beweis hinsichtlich der rechtskräftigen Verurteilung: Strafakten … Js … / … StA … Das Urteil im Vorprozess wird daher gem. § 580 Nr. 3 ZPO mit der Restitutionsklage angefochten. Der Kläger wiederholt zur Begründung seiner Schadensersatzklage seinen gesamten Vortrag aus dem Vorprozess und die dort bereits genannten Beweismittel. Dafür, dass der Beklagte den Pkw des Klägers am Nachmittag des … gegen … Uhr mutwillig mit seinem Schlüssel zerkratzt hat, tritt der Kläger Beweis an durch 1. Frau Elfriede K, die Ehefrau des Klägers, zu laden bei diesem 2. Herrn X … 3. Beiziehung der Strafakten … Js … / … StA … (dort Bl. …: Aussage des X über seine Beobachtungen) Zur Höhe des ihm durch die Verkratzungen entstandenen Schadens beruft der Kläger sich auf das bereits in den Akten des Vorprozesses befindliche Privatgutachten des Sachverständigen S. sowie zusätzlich auf das sachverständige Zeugnis des Herrn S., hilfsweise auf das Gutachten eines vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen. Zum Vollstreckungsschutzantrag gem. § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO berufe ich mich auf die in den vorgenannten Strafakten zutage getretene äußerst missliche Vermögenslage des Beklagten, die es wahrscheinlich erscheinen lässt, dass der Kläger die aufgrund des Urteils im Vorprozess von ihm zu erstattenden Kosten nicht zurückerhält, falls der Beklagte diese erst einmal beigetrieben hat. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sind beschränkt und ermöglichen ihm nicht die Erbringung einer Sicherheitsleistung. Insoweit wird zur Glaubhaftmachung verwiesen auf die beigefügte eidesstattliche Erklärung des Klägers. Die Gebühr iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG.
29 Die Stufe 2 ist dann überwunden, wenn das Gericht nach der mündlichen Verhandlung vom Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes überzeugt ist.
30 Um auch in der Stufe 3 erfolgreich zu sein, muss der Kläger schließlich darlegen und beweisen, dass ausgehend von der Unwahrheit der ursprünglichen Zeugenaussage unter Berücksichtigung der übrigen, bisherigen wie auch neuen Beweismittel und des Vortrags beider Parteien entweder die ursprüngliche Klage begründet (ursprünglicher Kläger als Restitutionskläger) oder unbegründet ist (ursprünglicher Beklagter als Restitutionskläger).
1192
Wiemer
Restitutionsklage
Rz. 33 Kap. 72
M 72.4 Klageantrag, wenn Restitutionskläger der ursprüngliche Beklagte ist
31
… / … (Langrubrum) Namens des von uns vertretenen Beklagten und Restitutionsklägers erheben wir Restitutionsklage und beantragen, 1. das rechtskräftige Urteil des … gerichts … vom … – Az. … aufzuheben und die Klage des Klägers und Restitutionsbeklagten abzuweisen, 2. dem Kläger und Restitutionsbeklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen, 3. die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil vorab einstweilen einzustellen. Kosten: s. Anm. zu M 72.3.
V. Restitutionsklage nach Auffinden einer anderen Urkunde (§ 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO) Um die Stufe 1 zu überwinden, müssen der fristgerecht eingereichten Klage (s. Rz. 23) die Urkunde 32 beigefügt sein, die eine der Partei günstigere Entscheidung im Vorprozess herbeigeführt haben würde (§ 588 Abs. 2 ZPO), und in der Klageschrift unter Beweisantritt (§ 588 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) dargelegt sein, wann die Urkunde gefunden wurde und warum sie im Vorprozess nicht vorgelegt werden konnte. Insoweit bedarf es einer besonders sorgfältigen Darlegung. Denn bereits eine auch nur leicht fahrlässige Pflichtverletzung schließt die Zulässigkeit der Restitutionsklage aus (OLG Köln v. 29.8.2008 – 19 U 55/08). Nicht nachträglich aufgefunden ist eine Urkunde, deren Existenz als solche bereits bekannt und die im Vorprozess den Parteien auch zugänglich war, von deren Inhalt die unterliegende Partei aber eine falsche Vorstellung hatte, weil sie auf die Echtheit einer von der Gegenseite zu Täuschungszwecken vorgelegten, verfälschten Fotokopie vertraute (BGH NJW-RR 2013, 833). In einem solchen Fall kann nur eine Wiederaufnahme gem. § 580 Nr. 4 ZPO unter den weitreichenden Einschränkungen des § 581 ZPO in Betracht kommen. Die Vorschrift ist nur auf Urkunden im Sinne der ZPO anzuwenden (BGH NJW-RR 2013, 833; Zöller/Greger § 580 ZPO Rz. 16; Zöller/ Geimer vor § 415 ZPO Rz. 2), nicht auch auf nachträglich aufgefundene Augenscheinsobjekte wie Fotografien (BGHZ 65, 300) oder Tondokumente, nicht auf nachträglich erstellte oder aufgefundene wissenschaftliche oder sonstige Sachverständigengutachten (OLG Koblenz NJW-RR 1995, 1278) und nicht auf schriftlich niedergelegte Zeugenerklärungen (BGH NJW 2013, 2686 und NJW 2016, 3789), selbst wenn diese mit einer Versicherung an Eides statt versehenen sind (BGHZ 80, 389). Private elektronische Dokumente nach § 371a ZPO können nur dann Urkunde iS des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO sein, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (vormals § 2 Nr. 3 SignG, vgl. nunmehr Abschnitt 4 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 – eIDAS-VO) versehen sind (KG v. 30.8.2007 – 12 U 34/07). Die Urkunde muss regelmäßig bereits im Zeitpunkt des Vorprozesses errichtet gewesen sein, ansonsten hätte die Partei sie dort ja nicht zu ihren Gunsten einsetzen können, falls sie auf sie hätte zugreifen können (BGH NJW 2016, 3789; vgl. zu den Ausnahmen: Zöller/Greger § 580 ZPO Rz. 16a, 17).
M 72.5 Restitutionsklage nach Auffinden einer anderen Urkunde
33
An das … gericht Restitutionsklage (Langrubrum erforderlich) des B … – Restitutionskläger und früherer Beklagter –
Wiemer 1193
ZPO
M 72.5
Kap. 72 Rz. 34
Restitutionsklage
M 72.5
ZPO
gegen den K … – Restitutionsbeklagter und früherer Kläger – Namens des von uns vertretenen Restitutionsklägers und früheren Beklagten erheben wir Restitutionsklage und beantragen, 1. das rechtskräftige Urteil des … gerichts … vom … – Az. … aufzuheben und die Klage des Klägers und Restitutionsbeklagten abzuweisen, 2. dem Kläger und Restitutionsbeklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen. Zur Begründung führen wir aus: Der Restitutionsbeklagte und frühere Kläger (künftig nur noch: Kläger) hatte dem Restitutionskläger und früheren Beklagten (künftig nur noch: Beklagter) im Mai 2015 ein Darlehen über 10.000 Euro gewährt. Obwohl der Beklagte das Darlehen schon 2016 zurückgezahlt hatte, verklagte ihn der Kläger im März 2018 nochmals auf Rückzahlung. Der Beklagte konnte die Rückzahlung im Prozess nicht nachweisen, da er infolge der Scheidung seiner Ehe im Jahr 2017 und dem damit verbundenen Auszug aus seiner alten Wohnung viele seiner alten Unterlagen nicht mehr besaß. Der Verwirkungseinwand, den der Beklagte hilfsweise neben der Erfüllung geltend gemacht hatte, blieb ebenfalls erfolglos. Vor einer Woche nun sandte die frühere Ehefrau des Beklagten, die nunmehrige Frau Z, diesem einen Umschlag mit alten Unterlagen zu, den sie im Keller der früheren ehelichen Wohnung noch gefunden hatte. Beweis: Zeugnis der Frau Z., … In diesem Umschlag fand der Beklagte neben vielen anderen Papieren auch die vom Kläger 2016 ausgestellte Quittung über die Rückzahlung der 10.000 Euro. Beweis: Anliegende Quittung vom 13.3.2016 (Anlage) Beweis dafür, dass die Quittung sich gerade in dem Umschlag befand, den der Beklagte erst vorige Woche zugesandt erhielt: Zeugnis der Frau B, der jetzigen Ehefrau des Beklagten, zu laden bei diesem. Hätte der Beklagte diese Urkunde im Vorprozess vorlegen können, hätte dies zur Abweisung der Klage führen müssen, da der Beklagte in den Jahren 2015/2016 kein weiteres Darlehen über 10.000 Euro vom Kläger erhalten hat, die Quittung sich also nur auf das im Streit befindliche Darlehen bezogen haben kann. Beweis: 1) Zeugnis der Frau Z, bereits benannt 2) Parteivernehmung des Klägers. Die Gebühr iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: s. Anm. zu M 72.3.
34 Um die Stufe 2 zu überwinden, muss die Urkunde zusammen mit den Tatsachenfeststellungen im Vorprozess (also nicht erst im Zusammenhang mit noch zu erhebenden neuen Beweisen) in den Augen des Gerichts das im Vorprozess gefundene Beweisergebnis erschüttern (sie muss also noch nicht notwendig zum Beweis des Gegenteils führen; dies kann dann in Stufe 3 zusammen mit neuen Beweismitteln erreicht werden). Erschüttert wird das Ergebnis des Vorprozesses auch dann, wenn die nachträglich aufgefundene Urkunde den Restitutionskläger veranlasst, eine gegnerische Tatsachenbehauptung aus dem Vorprozess erstmals zu bestreiten (BGH MDR 2005, 471).
VI. Rechtsmittel in Wiederaufnahmeverfahren 35 Das ein Wiederaufnahmeverfahren abschließende Urteil ist hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Rechtsmittel wie ein Urteil der Instanz zu behandeln, in der es erlassen wurde. Gegen 1194
Wiemer
Nichtigkeitsklage
Rz. 1 Kap. 73
ZPO
ein erstinstanzliches Urteil ist also nach den allgemeinen Regeln die Berufung gegeben, gegen ein Berufungsurteil die Revision, gegen ein die Revision nicht zulassendes Urteil eines Berufungsgerichts die streitwertgebundene Nichtzulassungsbeschwerde (BGH v. 3.4.2012 – XI ZR 389/11).
VII. Entsprechende Anwendung in anderen Verfahren 1. Entsprechende Anwendung im Insolvenzverfahren Aufgrund der Verweisung in § 4 InsO sind die §§ 578 ff. ZPO auch im Insolvenzverfahren auf streit- 36 entscheidende rechtskräftige Beschlüsse anwendbar (BGH MDR 2006, 1008). Über das Wiederaufnahmegesuch ist im Beschlussverfahren zu entscheiden. 2. Entsprechende Anwendung nach beiderseitiger Erledigungserklärung Grundsätzlich können übereinstimmende Erledigungserklärungen nicht mehr widerrufen oder angefochten werden. Ein einseitiger Widerruf der Erledigungserklärung nach Anschließung durch den Beklagten ist nur noch möglich, wenn ein Restitutionsgrund vorliegt (BGH MDR 2013, 927).
37
3. Entsprechende Anwendung im Revisionsverfahren über § 559 Abs. 1 ZPO hinaus Trotz § 559 Abs. 1 ZPO kann in der Revisionsinstanz neues tatsächliches Vorbringen zu den in § 580 ZPO aufgeführten Restitutionsgründen berücksichtigt werden (BGH NJW-RR 2007, 767; BGH NJW-RR 2011, 1692; Musielak/Voit/Ball § 559 ZPO Rz. 9a; Thomas/Putzo/Reichold § 559 ZPO Rz. 11). Soweit die Restitutionsgründe auf einer strafbaren Handlung beruhen (§ 580 Nr. 1–5 ZPO), müssen dabei auch die Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 ZPO erfüllt sein. Beruft sich der Revisionskläger auf einen der Tatbestände des § 580 Nr. 7b ZPO, kann das neue tatsächliche Vorbringen zugelassen werden, wenn andernfalls in dem anhängigen Verfahren noch weitere unrichtige Urteile ergehen, die nur durch eine Restitutionsklage beseitigt werden könnten (BGH NJW-RR 2011, 1692).
38
VIII. Kosten Die Kosten des Restitutionsverfahrens hat im Falle des Scheiterns in Stufe 1 oder 2 der Restitutionskläger zu tragen. Wird erst in Stufe 3 entschieden, so wird eine einheitliche Kostenentscheidung für das (wieder aufgenommene) Vorverfahren und die Restitutionsklage getroffen (Thomas/Putzo/Reichold § 590 ZPO Rz. 5). Diese ersetzt die bisherige Kostenentscheidung des Vorprozesses.
39
Kapitel 73 Nichtigkeitsklage I. Voraussetzungen der Klage . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeitsgrund der mangelnden Vertretung der Partei im Vorprozess . . . . .
1
M 73.1 Nichtigkeitsklage (wegen mangelnder Vertretung im Vorprozess) . . . .
10
5
I. Voraussetzungen der Klage Die Nichtigkeitsklage zielt ebenso wie die Restitutionsklage (Kap. 72) auf die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ab. Zur Abgrenzung gegenüber ähnlichen anderen Verfahren kann auf die Darstellung im Rahmen der Restitutionsklage verwiesen werden (Kap. 72 Rz. 1–8). Wiemer 1195
1
Nichtigkeitsklage
Rz. 1 Kap. 73
ZPO
ein erstinstanzliches Urteil ist also nach den allgemeinen Regeln die Berufung gegeben, gegen ein Berufungsurteil die Revision, gegen ein die Revision nicht zulassendes Urteil eines Berufungsgerichts die streitwertgebundene Nichtzulassungsbeschwerde (BGH v. 3.4.2012 – XI ZR 389/11).
VII. Entsprechende Anwendung in anderen Verfahren 1. Entsprechende Anwendung im Insolvenzverfahren Aufgrund der Verweisung in § 4 InsO sind die §§ 578 ff. ZPO auch im Insolvenzverfahren auf streit- 36 entscheidende rechtskräftige Beschlüsse anwendbar (BGH MDR 2006, 1008). Über das Wiederaufnahmegesuch ist im Beschlussverfahren zu entscheiden. 2. Entsprechende Anwendung nach beiderseitiger Erledigungserklärung Grundsätzlich können übereinstimmende Erledigungserklärungen nicht mehr widerrufen oder angefochten werden. Ein einseitiger Widerruf der Erledigungserklärung nach Anschließung durch den Beklagten ist nur noch möglich, wenn ein Restitutionsgrund vorliegt (BGH MDR 2013, 927).
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3. Entsprechende Anwendung im Revisionsverfahren über § 559 Abs. 1 ZPO hinaus Trotz § 559 Abs. 1 ZPO kann in der Revisionsinstanz neues tatsächliches Vorbringen zu den in § 580 ZPO aufgeführten Restitutionsgründen berücksichtigt werden (BGH NJW-RR 2007, 767; BGH NJW-RR 2011, 1692; Musielak/Voit/Ball § 559 ZPO Rz. 9a; Thomas/Putzo/Reichold § 559 ZPO Rz. 11). Soweit die Restitutionsgründe auf einer strafbaren Handlung beruhen (§ 580 Nr. 1–5 ZPO), müssen dabei auch die Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 ZPO erfüllt sein. Beruft sich der Revisionskläger auf einen der Tatbestände des § 580 Nr. 7b ZPO, kann das neue tatsächliche Vorbringen zugelassen werden, wenn andernfalls in dem anhängigen Verfahren noch weitere unrichtige Urteile ergehen, die nur durch eine Restitutionsklage beseitigt werden könnten (BGH NJW-RR 2011, 1692).
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VIII. Kosten Die Kosten des Restitutionsverfahrens hat im Falle des Scheiterns in Stufe 1 oder 2 der Restitutionskläger zu tragen. Wird erst in Stufe 3 entschieden, so wird eine einheitliche Kostenentscheidung für das (wieder aufgenommene) Vorverfahren und die Restitutionsklage getroffen (Thomas/Putzo/Reichold § 590 ZPO Rz. 5). Diese ersetzt die bisherige Kostenentscheidung des Vorprozesses.
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Kapitel 73 Nichtigkeitsklage I. Voraussetzungen der Klage . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeitsgrund der mangelnden Vertretung der Partei im Vorprozess . . . . .
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M 73.1 Nichtigkeitsklage (wegen mangelnder Vertretung im Vorprozess) . . . .
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I. Voraussetzungen der Klage Die Nichtigkeitsklage zielt ebenso wie die Restitutionsklage (Kap. 72) auf die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ab. Zur Abgrenzung gegenüber ähnlichen anderen Verfahren kann auf die Darstellung im Rahmen der Restitutionsklage verwiesen werden (Kap. 72 Rz. 1–8). Wiemer 1195
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Kap. 73 Rz. 2
Nichtigkeitsklage
ZPO
2 Die Nichtigkeitsgründe sind in § 579 Abs. 1 ZPO abschließend geregelt: Abs. 1 Nr. 1–3 betrifft Fälle, in denen der Partei der gesetzliche Richter entzogen wurde. Die Regelung entspricht den Revisionsgründen in § 547 Nr. 1–3 ZPO. Die auf die Nichtigkeitsgründe des Abs. 1 Nr. 1 und 3 gestützte Klage ist gem. § 579 Abs. 2 ZPO unzulässig, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels im Vorprozess hätte geltend gemacht werden können. Abs. 1 Nr. 4 schützt die Partei, die mangels ordnungsgemäßer Vertretung ohne ihr Zutun im Prozess nicht agieren konnte (so dass weder der Gegner der nicht ordnungsgemäß vertretenen Partei noch der Nebenintervenient dieses Gegners zur Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrunds berechtigt ist, vgl. BGH v. 15.5.18 – XI ZA 5/18). Die Vorschrift entspricht § 547 Nr. 4 ZPO. Einer prozessunfähigen Partei, die den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Vertretung geltend macht, kann nicht entgegengehalten werden, sie hätte den Verfahrensmangel schon im nunmehr abgeschlossenen Verfahren durch ein Rechtsmittel geltend machen müssen. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die Partei von vornherein kein Rechtsmittel eingelegt oder aber ein zunächst eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen hat (BGH NJW 2014, 937).
3 Über den endgültigen Erfolg der Nichtigkeitsklage wird wie bei der Restitutionsklage in 3 Stufen entschieden (Kap. 72 Rz. 14). Hinsichtlich der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage (Stufe 1) gilt das zur ersten Stufe der Restitutionsklage in Kap. 72 Rz. 15–21 und 23 Gesagte entsprechend. Die Klagefrist ist allerdings in den Fällen der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung (§ 579 Nr. 4 ZPO) nicht vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Nichtigkeitsgrund an zu berechnen, sondern gem. § 586 Abs. 3 Halbs. 2 ZPO bereits vom Zeitpunkt der Zustellung des Urteils im Vorprozess an die Partei bzw. im Falle ihrer mangelnden Prozessfähigkeit an ihren gesetzlichen Vertreter.
4 Die Klage muss in der Klageschrift als Nichtigkeitsklage bezeichnet sein und das Urteil, gegen das sie sich richtet, benennen (§ 587 ZPO). Die Klageschrift soll darüber hinaus inhaltlich den Mindestanforderungen des § 588 ZPO entsprechen (zum Soll-Vorschrift-Charakter des § 588 ZPO: Thomas/ Putzo/Reichold § 588 ZPO Rz. 1, 4; Zöller/Greger § 588 ZPO Rz. 1).
II. Nichtigkeitsgrund der mangelnden Vertretung der Partei im Vorprozess 5 Hierher zählen alle Fälle, in denen ein Prozessunfähiger oder ein im konkreten Fall nicht Prozessführungsbefugter (zB im Falle der Fortführung einer Klage durch den Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung: BGH ZIP 1988, 446) im Prozess aufgetreten ist oder in denen für die Partei ein von ihr nicht (Beispiel: Auftreten eines Dritten unter dem Namen der Partei) oder nicht wirksam Bevollmächtigter (Beispiel: Die die Vollmacht erteilende Partei war nicht geschäftsfähig) gehandelt hat (weiteres Beispiel: Der vom Gegner in der Klage benannte, von der Partei aber nicht bevollmächtigte Anwalt hat die Klageschrift als zugestellt angenommen: BVerfG NJW 1998, 745). Die Norm ist nicht anzuwenden, wenn die Prozessunfähigkeit nur zu Beginn des Verfahrens vorlag, später aber wegfiel, oder wenn umgekehrt der zunächst Prozessfähige das Verfahren einleitete und in diesem Stadium wirksam Prozessvollmacht erteilte, später dann aber prozessunfähig wurde. In beiden Fällen war er in der Lage, eine ordnungsgemäße Vertretung im Verfahren sicher zu stellen (OLG Köln v. 19.7.2013 – 19 U 221/97).
6 Im Falle fehlender Parteifähigkeit (Beispiel: Eine nichtrechtsfähige Personenmehrheit, zB eine Bürgerinitiative, war unter ihrem Fantasienamen unter Zustellung an ihre „Geschäftsadresse“ verklagt worden), die im Prozess nicht problematisiert und deshalb nicht ausdrücklich bejaht wurde, ist § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO – jedenfalls entsprechend – anwendbar, da der nicht Parteifähige regelmäßig „nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war“, wohingegen bei Nichtexistenz einer Partei das Urteil ohne Weiteres wirkungslos ist (Musielak/Voit § 579 ZPO Rz. 6; Zöller/Greger § 579 ZPO Rz. 6).
7 Erfolgt eine Zustellung an eine prozessunfähige Partei unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO, setzt jene die Einspruchs- bzw. Rechtsmittelfrist gleichwohl in Gang (vgl. insoweit auch § 586 Abs. 3 ZPO), so dass das ergangene Urteil in formelle Rechtskraft erwachsen kann. Das Gesetz eröff1196
Wiemer
M 73.1
Nichtigkeitsklage
Rz. 10 Kap. 73
ZPO
net der prozessunfähigen Partei die Wahl, gegen die Ausgangsentscheidung entweder mittels eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs vorzugehen oder aber die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen zu lassen und anschließend – unter den Erleichterungen des § 586 Abs. 3 ZPO – eine auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage zu erheben (vgl. § 579 Abs. 2 ZPO). Um der prozessunfähigen Partei diese Wahlmöglichkeit zu erhalten muss der Lauf der Einspruchs- und Rechtsmittelfrist auch bei einer nach § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksamen Zustellung an die Partei in Gang gesetzt werden. Andernfalls würden Versäumnisurteile, Vollstreckungsbescheide und Urteile, die nicht verkündet werden, überhaupt nicht in Rechtskraft erwachsen (vgl. §§ 310 Abs. 3, 339 Abs. 1, 700 Abs. 1 ZPO) und sonstige Urteile nur mit erheblicher Verzögerung, nämlich nach Ablauf von sechs Monaten ab Verkündung (§§ 517, 548, 544 Abs. 1 ZPO; BGH NJW 2014, 937). Auch im Falle einer mangels ordnungsgemäßer Zustellung der Klage an eine prozessfähige Partei 8 nicht eingetretenen Rechtshängigkeit soll ein dennoch ergehendes Urteil wirksam werden und in Rechtskraft erwachsen mit der Folge, dass eine Nichtigkeitsklage auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützt werden könne (Musielak/Voit § 579 ZPO Rz. 7). Allerdings begründet eine unwirksame Klagezustellung an eine prozessfähige Partei den Nichtigkeitsgrund der mangelhaften Vertretung nicht, so dass eine Nichtigkeitsklage nicht statthaft ist. In diesen Fällen muss es bei dem Grundsatz bleiben, dass eine unwirksame Zustellung keinen Fristenlauf auslöst, damit der ordnungsgemäß vertretenen Partei die einzig zur Verfügung stehende Möglichkeit eines Rechtsmittels oder eines Einspruchs erhalten bleibt (BGH NJW 2014, 937). Das gilt auch im Falle einer öffentlichen Zustellung, deren Voraussetzungen für das Gericht erkennbar nicht vorlagen (BGH NJW 2003, 1326 und 2007, 303) und die deshalb keine Frist in Gang setzen konnte. Sofern die fehlerhafte öffentliche Zustellung durch Täuschung des Gerichts seitens des Prozessgegners veranlasst wurde, um die Partei aus dem Prozess fernzuhalten, kommt eine Restitutionsklage gem. § 580 Nr. 4 ZPO in Betracht und steht der Partei ein Schadenersatzanspruch gemäß § 826 BGB zur Verfügung (BGH NJW 2003, 1326; Zöller/Greger § 579 ZPO Rz. 7). Kein Fall des § 579 Nr. 4 ZPO liegt vor, wenn im Verfahren eine zwar partei- und prozessfähige, nicht aber postulationsfähige Partei agiert hat (BAG MDR 1991, 674; Zöller/Greger § 579 ZPO Rz. 7). Gegen sie hätte Versäumnisurteil ergehen müssen. Ist dagegen ein streitiges Urteil ergangen, so ist dieses, wenn es nicht durch Rechtsmittel angefochten wurde, als vollwirksam zu respektieren.
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M 73.1 Nichtigkeitsklage (wegen mangelnder Vertretung im Vorprozess)
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An das Landgericht – … Zivilkammer – Nichtigkeitsklage (Langrubrum erforderlich) des B … – Nichtigkeitskläger und früherer Beklagter – gesetzlich vertreten durch seine Eltern … Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den K … – Nichtigkeitsbeklagter und früherer Kläger – Namens des von uns vertretenen Nichtigkeitsklägers und früheren Beklagten (künftig nur: Beklagter) erheben wir, bevollmächtigt durch seine Eltern, Nichtigkeitsklage gegen das rechtskräftige Urteil des Landgerichts … vom … – Az. … und beantragen,
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Kap. 73 Rz. 10
Nichtigkeitsklage
M 73.1
ZPO
1. das rechtskräftige Urteil des Landgerichts … vom … – Az. … aufzuheben und die Klage des Klägers und jetzigen Nichtigkeitsbeklagten abzuweisen, 2. dem Kläger und Nichtigkeitsbeklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen und 3. vorab, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Zur Begründung führen wir aus: Der am … geborene Beklagte ist heute also 17 Jahre alt. Beweis: Geburtsurkunde (Anlage K 1) Er kaufte am … vom Nichtigkeitsbeklagten (künftig nur: Kläger) einen gebrauchten Pkw BMW zum Preis von 6.000 Euro. Seine Eltern wussten von dem Vertrag nichts und hätten ihn niemals genehmigt. Der Beklagte hoffte, das Geld von einem Sparbuch, das ihm seine Großmutter geschenkt hatte, abheben zu können. Als sich dies als nicht durchführbar erwies, da die Sparkasse die Zustimmung der Eltern verlangte, die er auf keinen Fall einschalten wollte, teilte er dem Kläger mit, dass er vom Kaufvertrag Abstand nehme. Der Kläger ließ sich darauf nicht ein und verklagte den Beklagten im Vorprozess auf Zahlung des Kaufpreises, wobei er – möglicherweise mangels Kenntnis – nirgends erwähnte, dass der Beklagte minderjährig sei. Die Klageschrift wurde dem Beklagten persönlich zugestellt. Beweis: Beiziehung der Akten des Vorprozesses … O … / … LG … Der Beklagte schämte sich, die Klageschrift seinen Eltern auszuhändigen. Er hoffte, dass die Sache schon noch irgendwie gut gehen werde. Da er auch zum Termin vor der Kammer nicht erschien, wurde er durch Versäumnisurteil vom … antragsgemäß zur Zahlung von 6.000 Euro an den Kläger verurteilt. Dieses Urteil wurde wiederum dem Beklagten persönlich zugestellt. Beweis: Beiziehung der Akten des Vorprozesses Als acht Monate nach Zustellung des Versäumnisurteils am Mittwoch vor drei Wochen, also am …, der Gerichtsvollzieher in der Wohnung der Eltern des Beklagten erschien, erfuhren diese erstmals von dem Vorgang. Der Gerichtsvollzieher händigte ihnen eine Ausfertigung des Versäumnisurteils aus. Beweis: 1. Einvernahme der Eheleute B. als Partei 2. Zeugnis des Gerichtsvollziehers G … Sie versuchten zunächst, den Kläger außergerichtlich zu einem Verzicht auf seine Forderung zu bewegen. Dies scheiterte. Das Versäumnisurteil kann keinen Bestand haben, da der Beklagte im Vorprozess nicht prozessfähig und nicht ordnungsgemäß vertreten war (§ 579 Nr. 4 ZPO). Da die Eltern des Beklagten erst heute vor drei Wochen von dem Urteil erfahren haben und allenfalls in der Aushändigung einer Ausfertigung des Urteils durch den Gerichtsvollzieher an sie eine Zustellung gesehen werden kann, ist die Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO gewahrt (§ 586 Abs. 3 ZPO). Die Klage selbst muss nach Aufhebung des rechtskräftigen Versäumnisurteils abgewiesen werden, da der Beklagte als Minderjähriger den Pkw nicht wirksam kaufen konnte und die Eltern des Beklagten den Kauf nicht genehmigt haben und auch nicht genehmigen werden (§ 108 Abs. 1 BGB). Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beruht auf § 707 Abs. 1 ZPO. Der Beklagte verfügt über kein Vermögen und ist als Schüler ohne eigenes Einkommen zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage. Die Gebühr iHv. … Euro habe ich durch … gezahlt. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gehört hinsichtlich der Anwaltsgebühren zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG).
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Klagen aus § 826 BGB
Rz. 2 Kap. 74
I. Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtskraftdurchbrechung als Folge grober Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 74.1 Klage aus § 826 BGB . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unrichtiger Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erschleichen des Titels oder sittenwidrige Ausnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 74 Klagen aus § 826 BGB a) Erschleichen des Titels . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrige Ausnutzung . . . . . . . . . . . 3. Kenntnis der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . 4. Herausgabe des Titels . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . M 74.2 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen sittenwidriger Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ziel 1. Gesetzliche Ausgangslage Nach der Systematik der ZPO können gegen rechtskräftig titulierte Ansprüche Einwendungen nur 1 noch sehr eingeschränkt geltend gemacht werden: Zum einen kann unter den engen Voraussetzungen der §§ 579, 580 ZPO Nichtigkeits- bzw. Restitutionsklage (Kap. 73 bzw. 72) erhoben werden mit dem Ziel, das rechtskräftige Urteil rückwirkend wieder zu beseitigen und den Anspruch doch noch als von Anfang an unbegründet abzuwehren. Zum anderen kann der Titel als zum Zeitpunkt seines Erlasses zutreffend akzeptiert werden mit der Möglichkeit, Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, die dem Titel vorausging, noch nicht zur Verfügung standen, im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen (Kap. 63 Rz. 1 ff.). Schließlich kann, wenn der Titel wiederkehrende Leistungen zum Gegenstand hat, die auf der Prognose beruhen, die tatsächlichen Verhältnisse würden sich in Zukunft nicht wesentlich verändern, mit der Abänderungsklage gem. § 323 ZPO (Kap. 76) der Einwand verfolgt werden, die Prognose treffe ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu. Ist das Urteil oder der sonst der Rechtskraft fähige Titel (Vollstreckungsbescheid, §§ 700 Abs. 1, 796 Abs. 2 ZPO) im Übrigen unrichtig, muss dies nach den Vorstellungen der ZPO hingenommen werden. Auch aus unrichtigen Titeln kann selbstverständlich in zulässiger Weise vollstreckt werden. Der Rechtsfrieden, den die Rechtskraft gewährleisten will, hat insoweit Vorrang vor der Durchsetzung des materiellen Rechts. 2. Rechtskraftdurchbrechung als Folge grober Sittenwidrigkeit In langer Tradition hat die Rechtsprechung (zu deren Entwicklung vgl. BGH NJW 1987, 3257; s. ferner BGH NJW 1998, 2818; MDR 1999, 566; NJW 2006, 154; NJW-RR 2012, 304; OLG Brandenburg Info-M 2013, 35) ausnahmsweise dann, wenn keiner der unter Rz. 1 genannten Rechtsbehelfe eingreift bzw. möglich war, aber das allgemeine Billigkeitsgefühl unter Berücksichtigung aller für den Schutz der Rechtskraft sprechenden Umstände die Vollstreckung aus einem unrichtigen Titel ausnahmsweise als grob sittenwidrig empfindet, Grundsätze zu einem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB entwickelt, der auf – Herausgabe des sittenwidrig erzielten Vollstreckungserfolges (soweit bereits aus dem Titel in gegen die guten Sitten verstoßender Weise vollstreckt wurde), – Unterlassung der weiteren Zwangsvollstreckung und – Herausgabe des Vollstreckungstitels
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ZPO
Kap. 74 Rz. 3
Klagen aus § 826 BGB
M 74.1
gerichtet ist. Die praktische Bedeutung dieses Anspruchs hat durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die § 767 ZPO, § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG dann als entsprechend anwendbar anzusehen, wenn in gleichgelagerten Fällen die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher hingenommene Vertragsfolgen nunmehr als sittenwidrig verwirft, etwas an Bedeutung verloren (vgl. Kap. 63 Rz. 43). Der Schadensersatz selbst wird mit einer Leistungsklage gerichtlich geltend gemacht, die aber nur statthaft ist, wenn keiner der unter Rz. 1 genannten spezielleren Rechtsbehelfe eingreift.
3 M 74.1 Klage aus § 826 BGB An das Amtsgericht … Klage des … / … (Langrubrum) Namens des von uns vertretenen Klägers erheben wir Klage mit den Anträgen, die Beklagte zu verurteilen, 1. es zu unterlassen, aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom … – Az. … gegen den Kläger zu vollstrecken, 2. an den Kläger 850 Euro zu zahlen, 3. an den Kläger die vollstreckbare1 Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids des Amtsgerichts … vom … – Az. … herauszugeben. Vorab beantragen wir, die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom … – Az. …, einstweilen bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Zur Begründung führen wir aus: Der Kläger kam Anfang 2017 als Asylbewerber aus Tschetschenien in die Bundesrepublik. Er konnte damals so gut wie kein Wort Deutsch und lebte in einem Asylbewerberheim. Im Juni 2017 suchte ihn ein schon länger in Deutschland lebender Landsmann auf, der für die Beklagte, die ein Partnervermittlungsinstitut betreibt, als nebenberuflicher Vertreter arbeitete. Er schwärmte ihm vor, welch aufregende Frauen, gerade auch aus dem Kaukasus, sein Institut „im Angebot“ habe, und überredete ihn, mit ihm zusammen die örtliche Geschäftsstelle des Instituts, das unter dem Namen „Herzblatt“ auftritt, aufzusuchen. Der Kläger, der sich damals in dem ihm gänzlich fremden Land sehr einsam fühlte, unterzeichnete einen Vertrag, den er nicht lesen konnte und den ihm der Landsmann – vermutlich nicht einmal korrekt – übersetzte. Heute weiß der Kläger, dass er sich in dem Vertrag ohne jegliche Erfolgsgarantie verpflichtete, der Beklagten allein für die 24-malige Übersendung von monatlichen „Partnervorschlägen“ ein im Voraus fälliges Gesamthonorar von 5.000 Euro zu zahlen. Beweis: Vertrag vom 24.6.2017 (Anlage K 1) Da der Kläger das Geld nicht hatte, gewährte man ihm eine dreimonatige Zahlungsfrist. Die Partnervorschläge, die der Kläger in der Folgezeit erhielt, sagten ihm nicht zu, da keine russisch sprechenden Kaukasierinnen darunter waren. Er suchte am 25.8.2017 das Institut auf und erklärte, dass er den Vertrag kündige und keine Vorschläge mehr bekommen wolle. Die Mitarbeiterin des Instituts sagte ihm irgendetwas Freundliches, das er nicht verstand, und machte ihm ein Zeichen, dass er gehen solle. Der Kläger nahm an, dass die Sache damit erledigt sei, und zahlte in der Folgezeit auch nicht die 5.000 Euro. Er wunderte sich nur, dass er weiter „Partnervorschläge“ erhielt, die er wegwarf. Am 15.12.2017 erhielt der Kläger, der damals immer noch kaum Deutsch konnte, ein Schreiben des Amtsgerichts … zugestellt, das er leider wegwarf und von dem er heute annimmt, es sei ein Mahnbescheid der Beklagten gewesen. Am 5.2.2018 erhielt der Kläger dann den anliegenden Vollstreckungsbescheid, auf den der Klageantrag sich bezieht, zugestellt. Er fragte seinen Landsmann, was es damit auf sich habe, und der erklärte ihm, die Sache sei nicht wichtig, er könne das Schreiben wegwerfen. Der Kläger unternahm daher in der Folgezeit nichts, verwahr-
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Klagen aus § 826 BGB
Rz. 3 Kap. 74
te das Schreiben allerdings in der Mappe, in die er alle seine wichtigen Papiere zu legen pflegt. Der Landsmann hat übrigens noch zahlreiche andere Landsleute auf die gleiche Weise wie den Kläger hereingelegt, ist deswegen zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden und befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt …. Beweis: Zeugnis des Herrn …, derzeit Justizvollzugsanstalt …, genaue Anschrift wird nachgereicht. In dem Vollstreckungsbescheid über 5.000 Euro ist als Grund der Forderung lediglich angegeben „Honorarforderung aus dem Vertrag vom 24.6.2017“. Als Gläubigerin ist der bürgerliche Name der Inhaberin der Beklagten angegeben ohne Hinweis, dass die Beklagte ein Partnervermittlungsinstitut „Herzblatt“ betreibt. Beweis: Vollstreckungsbescheid vom … des Amtsgerichts …, Az. … (Anlage K 2) Der Kläger, der zwischenzeitlich eine Arbeit gefunden hat und mit einer Landsmännin glücklich verheiratet ist, hatte die Angelegenheit dann vergessen, bis er Ende Mai 2018 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt erhielt, durch den sein Lohnanspruch gepfändet wurde, und er dann prompt auch im nächsten Monat 850 Euro weniger Lohn ausgezahlt bekam. Beweis: Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom … Az. … (Anlage K 3) Der Vollstreckungsbescheid ist erschlichen. Das Mahnverfahren wurde gewählt, weil die Beklagte im Hinblick auf § 656 Abs. 1 BGB keinen Titel im ordentlichen Verfahren hätte erlangen können und weil sie darauf vertraute, dass der Kläger wegen seiner mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache sich im Mahnverfahren nicht verteidigen werde. Der Kläger wäre nicht verurteilt worden, wenn dem Gericht der wahre Sachverhalt bekannt gewesen wäre. Wenn der Kläger auch durch §§ 767 Abs. 2, 796 Abs. 2 ZPO gehindert ist, seine Einwände mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen, so steht ihm vorliegend gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB zu, da das Verhalten der Beklagten in höchstem Maße anstößig ist. Die Beklagte hat es zu unterlassen, künftig weiter aus dem anstößig erlangten und sachlich unrichtigen Titel zu vollstrecken. Sie muss darüber hinaus den bisher beigetriebenen Betrag zurückerstatten, da sie genau wusste, was sie tat, als sie den Vollstreckungsbescheid erwirkte und dann auch noch vollstreckte. Der Anspruch beträgt insoweit 850 Euro. Schließlich muss die Beklagte dem Kläger den Vollstreckungsbescheid herausgeben, um ihn vor weiteren Vollstreckungsversuchen zu sichern. Da der nächste Lohnauszahlungstermin bevorsteht, ist Eile geboten. Der Kläger bittet darum, umgehend über seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu entscheiden. Da der Anspruch des Klägers offensichtlich ist, ist die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Der Kläger ist zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage. Zur Glaubhaftmachung verweisen wir auf die anliegende eidesstattliche Erklärung des Klägers, die wir als Anlage K 4 beifügen. Kosten: Gericht: 3,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 1210 KV GKG; die Gebühr ermäßigt sich auf 1,0, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1211 KV GKG vorliegen; Anwalt: Regelgebühren nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG; der Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 RVG); Streitwert: Betrag, der noch vollstreckt werden soll zzgl. 850 Euro (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO). 1 Ist eine vollstreckbare Ausfertigung nicht erteilt, was bei Vollstreckungsbescheiden regelmäßig der Fall sein wird (vgl. § 795 Abs. 1 ZPO), sollte der Antrag auf Herausgabe der dem beklagten Gläubiger erteilten mit einer Zustellungsbescheinigung versehenen Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids (vgl. Zöller/Seibel § 699 ZPO Rz. 15) lauten.
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M 74.1
Kap. 74 Rz. 4
Klagen aus § 826 BGB
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II. Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs 1. Unrichtiger Titel
4 Es muss in tatsächlicher Hinsicht (über die aus den unstreitigen Tatsachen ableitbaren Rechtsfolgen können die Parteien nach wie vor unterschiedlicher Auffassung sein) feststehen, dass der Titel, aus dem vollstreckt wird, unrichtig ist. Es darf also nicht erst Ziel des Schadensersatzprozesses sein, die Unrichtigkeit, insbesondere im Rahmen einer umfangreichen Beweisaufnahme, festzustellen. Der Schadensersatzprozess dient nicht der Wiederholung des alten Prozesses, um nun zu einem „richtigen“ Ergebnis zu gelangen. 2. Erschleichen des Titels oder sittenwidrige Ausnutzung
5 Der Titel muss vom Gläubiger (oder einem seiner Rechtsvorgänger) entweder erschlichen worden sein (Staudinger/Oechsler § 826 BGB Rz. 497 ff.) oder die Ausnutzung des Titels muss durch später hinzugekommene Umstände das allgemeine Anstandsgefühl grob verletzen (Staudinger/Oechsler § 826 BGB Rz. 503 ff.). Die bloße Unrichtigkeit des Titels allein reicht also nicht aus, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel als sittenwidrig erscheinen zu lassen. a) Erschleichen des Titels
6 Erschlichen wurde der Titel insbesondere, wenn der Weg des Mahnverfahrens gewählt wurde, um unter Ausnutzung der Unkenntnis und der geistigen Unbeweglichkeit des Schuldners Ehemäklerlohn (AG Bad Schwalbach NJW 1991, 2426; aA aber LG Freiburg NJW-RR 1992, 1149), vor Einführung des § 688 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wucherische Zinsen (OLG Nürnberg NJOZ 2002, 1890) oder unter neutraler Bezeichnung zusammengefasste, durch übertriebene Nebenforderungen „angeschwollene“ Bagatellforderungen (ausf. hierzu Hergenröder DGVZ 2009, 49) im Vollstreckungsbescheid titulieren zu lassen (die Inanspruchnahme des Mahnverfahrens allein ohne zusätzliche anstößige Motivation reicht nicht aus, BGH MDR 1999, 566; vgl. ferner BGH NJW 2005, 2991). Ein Erschleichen kann ferner vorliegen, wenn der Gläubiger gezielt ein Versäumnisurteil erwirkt, obwohl (oder gerade weil) ihm positiv bekannt ist, dass der Schuldner zurzeit infolge schwerer Erkrankung oder schwerer psychischer Beeinträchtigungen nicht in der Lage ist, auf einen Rechtsstreit zu reagieren (weitere Beispiele: LG Heilbronn NJW 2003, 2389; OLG Köln SchiedsVZ 2015, 295). b) Sittenwidrige Ausnutzung
7 Ein sittenwidriges Ausnutzen eines unrichtigen, aber nicht erschlichenen Titels kann nur in extremen Ausnahmefällen (Beispiele: BGH NJW 1983, 2317; OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 827; OLG Nürnberg NJOZ 2002, 1890; OLG Köln v. 2.12.2014 – 19 U 123/14; Thüringer OLG v. 7.11.2016 – 2 W 533/16) angenommen werden (Beispiele, in denen trotz unrichtigen Titels ein Titelmissbrauch durch Fortsetzen der Zwangsvollstreckung verneint wurde: BGH NJW 1998, 2818 und 2002, 2940; OLG Hamm NJW 1998, 1800; OLG Koblenz MDR 2002, 475; OLG Köln InVo 2002, 63). 3. Kenntnis der Umstände
8 Wird mit der Klage auch der Vollstreckungserfolg aus der Vergangenheit zurückverlangt (beispielhaft: ein Teil des Ehemäklerlohns war bereits durch den Gerichtsvollzieher beigetrieben worden), so muss dem Titelgläubiger die Unrichtigkeit des Titels zum Zeitpunkt der Vollstreckung bekannt gewesen sein.
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M 74.2
Klagen aus § 826 BGB
Rz. 11 Kap. 74
Der Anspruch auf Herausgabe des Vollstreckungstitels ist nur begründet, wenn aus dem Titel nichts 9 mehr vollstreckt werden kann. Ist zwar der Zinsanspruch wucherisch und der Titel insoweit erschlichen, so dass er nicht mehr durchgesetzt werden kann, ist aber auch ein Teil der Hauptsumme noch nicht zurückbezahlt, so kann dieser Teil weiterhin mit dem (insoweit nicht zu beanstandenden) Titel beigetrieben werden. Anspruchsgrundlage für das Verlangen auf Herausgabe des Titels ist nicht nur § 826 BGB, sondern auch § 371 Satz 1 BGB analog (BGHZ 127, 146; BGH NJW 2009, 1671; BAG v. 19.6.2012 – 1 ABR 35/11; Wendt JuS 2013, 33).
III. Vorläufiger Rechtsschutz Es ist in Literatur und Rspr. heftig umstritten, ob der Kläger, der die Zwangsvollstreckung bis zur 10 Entscheidung über seine Anträge in der Hauptsache einstweilen eingestellt sehen will, einen Antrag nach § 769 ZPO analog (M 63.1 und M 63.5 sowie M 74.1) stellen muss (so MüKo.ZPO/Schmidt/ Brinkmann § 769 ZPO Rz. 4; Zöller/Herget § 769 Rz. 1; Peglau MDR 1999, 400; Schuschke NZM 2015, 233; OLG Köln NJW-RR 1995, 576; OLG Hamm FamRZ 2002, 618; OLG Rostock v. 16.4.08 – 1 W 26/08; LG Berlin MDR 2005, 1254) oder ob er vorläufigen Rechtsschutz nur über eine selbständige einstweilige Verfügung – wie im Folgenden M 74.2 – erlangen kann (so die wohl überwiegende Meinung; beispielhaft: BLAH/Hartmann § 769 ZPO Rz. 3; Musielak/Voit/Lackmann § 769 ZPO Rz. 1a; Thomas/Putzo/Seiler § 769 ZPO Rz. 2a; OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 70). Da für beide Anträge dasselbe Gericht zuständig ist, ist es möglich, wenn nicht vorab geklärt werden kann, welcher Rechtsansicht das angerufene Gericht sich anschließt, den notwendigen vorläufigen Rechtsschutz alternativ zur Entscheidung des Gerichts zu stellen (wie im Folgenden M 74.2 am Ende).
M 74.2 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen sittenwidriger Vollstreckung An das Amtsgericht … Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des … / … (Langrubrum) Namens des von uns vertretenen Antragstellers beantragen wir im Wege der einstweiligen Verfügung, und zwar wegen der besonderen Dringlichkeit des Falles ohne vorherige mündliche Verhandlung, anzuordnen: Die Antragsgegnerin hat es zu unterlassen, aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom … – Az. … gegen den Antragsteller zu vollstrecken. Begründung: Die von der Beklagten gegen den Kläger betriebene Zwangsvollstreckung ist in höchstem Maße sittenwidrig. Zur Begründung unseres Vortrags und unseres Antrags verweisen wir auf die gleichzeitig eingereichte Klage zur Hauptsache1 vom heutigen Tag. Wir machen den dortigen Vortrag auch zum Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens und überreichen eine Abschrift der dortigen Klageschrift als Anlage zu den hiesigen Akten. – Anlage EV 1 – Zur Glaubhaftmachung beziehen wir uns auf die mit der Klage überreichten Anlagen K 1 bis K 3, die wir ebenfalls