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German Pages [423] Year 2023
Benedikt Josef Neuroth
Das Private in der Sicherheitsgesellschaft Umstrittene Freiheitsrechte in den USA 1963–1977
Bürgertum Neue Folge Studien zur Zivilgesellschaft Herausgegeben von Manfred Hettling und Paul Nolte Band 23
Benedikt Josef Neuroth
Das Private in der Sicherheitsgesellschaft Umstrittene Freiheitsrechte in den USA 1963–1977
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, 37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Richard M. Nixon vor einem Fenster im Inneren der Camp David Lodge, 22. November 1972. Courtesy Richard Nixon Presidential Library and Museum, photo no. NLRN-WHPO-D1014-04. Satz: textformart, Göttingen Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0890 ISBN 978-3-666-30222-0
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Forschungsstand: Was die Gesellschaft wissen darf und was sie nichts angeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Fragestellung: Wie sich privacy wandelte . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Theorie und Methode: Konstruktion des Nichtexistenten . . . . 19 4. Konzeptualisierung von privacy: Drei Spannungsverhältnisse zwischen öffentlich und privat . . . 21 5. These: Eine sich verdichtende Sicherheitsgesellschaft . . . . . . . 25 6. Aufbau der Arbeit: Politisierung, Krise, Konsens . . . . . . . . . 27 I. Privarität und Gouvernementalität von den Anfängen bis zu John F. Kennedy . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Die USA verfolgen eine Politik der sozialen Sicherheit . . . . . . 1.1 Die Sozialgesetzgebung bringt eine Identifikationsnummer hervor: »Serial numbers stenciled on their chests« . . . . . . 1.2 Sozioökonomische Erhebungen des Zensus: »How lush grows the federal jungle« . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Staat interveniert in die Familienplanung: »Leading Connecticut Criminals« . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Ein Staat der nationalen und inneren Sicherheit entsteht . . . . . 2.1 Geheimdienste ermitteln nach innen und außen: »The virus of communism« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Loyalitätsprüfungen in der McCarthy-Ära: »Unjustifiable transgression of the right of privacy« . . . . . 2.3 Abhörmaßnahmen stehen in der Kritik: »Wiretapping, eavesdropping, and similar invasions of privacy« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Ansprüche auf Privatsphäre konfrontieren die Sicherheitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3.1 Die Kontrolle politischer Dissidenten bekommt Risse: »Irreparable injury to the property and the civil rights« . . . 65
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Inhalt
3.2 Reporter stellen das Privatleben zur Schau: »Great emotional distress and embarassement« . . . . . . . . 69 3.3 Verhütungsmittel als Privatsache: »Abstinence from sexual intercourse« . . . . . . . . . . . . . 72 4. Neue Sicherheitstechnologien etablieren sich . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Pille revolutioniert die Familienplanung: »The medical, social and moral implications« . . . . . . . . . 4.2 Computer verarbeiten Behördendaten: »As we seek more and more data to the machine« . . . . . . . 4.3 Wie der Vorschlag für ein Federal Data Center entsteht: »Prying data lose from the generating agencies« . . . . . . .
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5. Krise des Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. In der Ära von Lyndon Johnson wird privacy zum Politikum . . . . 101 1. Neue und alte Rechte auf Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Anspruch auf Familienplanung: »This is a question of pure power« . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Pressefreiheit wird gestärkt: »Knowing or reckless falsity« . . 1.3 Abhörmaßnahmen auf dem Prüfstand: »Personal privacy and the requirements of public security« . . . . . . . . . . . .
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2. Politik der Geburtenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Johnson setzt ein Bevölkerungskomitee ein: »Nation’s efforts in population and family planning« . . . . . 2.2 Programme des Department for Health, Education and Welfare: »Population problem« . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Risiken und Nebenwirkungen: »So long as benefits outweigh risks« . . . . . . . . . . . . . .
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3. Daten zwischen Privatsphäre, Geheimhaltung und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Streit um den Zensus geht in die nächste Runde: »New demands for information« . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Was Bürger über den Staat wissen dürfen: »Encroachment on executive power« . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Datenverarbeitung in Verwaltung und Kreditwirtschaft: »Unduly jeopardizing the privacy of individuals« . . . . . . .
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4. Am National Data Center scheiden sich die Geister . . . . . . . . 156 4.1 Machtfrage über Daten: »Almost complete centralization of the collection of statistics« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4.2 Debatte um Privatsphäre und Informationen: »We would develop a Frankenstein here« . . . . . . . . . . . . 167
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4.3 Statistiken für effiziente Planung: »The goal of national development and human enrichment«
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5. Ermittlungspraktiken im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Aktivitäten der Bundesbehörden: »Interception of telephone conversations as a general investigative technique« . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Ein Kriminalitätsgesetz entsteht: »A reflection of the fears, frustration and politics of the times« . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Bedeutungswandel von privacy: »Equilibrium between privacy and the demands of disclosure and surveillance« . .
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6. Politische Überwachung von Dissidenten . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Das FBI und COINTELPRO: »The most dangerous Negro to the future in this Nation« . . 6.2 Überwachung im Long Hot Summer of Love: »Confused and distored concept of American society« . . . . 6.3 Eskalation im Protestjahr 1968: »Potential and probable trouble areas and trouble makers« . .
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7. Anatomie einer Sicherheitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Privacy gerät während der Präsidentschaft Richard Nixons in eine Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Sicherheitsdispositive verdichten sich . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Regeln für den Datenschutz entstehen: »Revolutionary new powers of data surveillance« . . . . . . . 1.2 Abtreibungsfrage in der Bevölkerungspolitik: »Assist families voluntarily to limit their own size« . . . . . . 1.3 Die Regierung baut die Sicherheitspolitik aus: »An around-the-clock civil disturbance watch« . . . . . . . . 2. Enthüllung geheimer Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Militärische Überwachung wird publik: »Not arrest them, keep an eye on them« . . . . . . . . . . . . 2.2 Juristische und politische Aufarbeitung: »Those who dissent are ferreted out« . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Im Dunstkreis der Geheimdienste: »I don’t want to see a police state« . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kontroverse um Abtreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 3.1 Bevölkerungskommission der Regierung: »I really am not for abortion… on demand« . . . . . . . . . . 277 3.2 Abtreibungsdienste in der Familienplanung: »The New York City experience as a laboratory« . . . . . . . 279
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Inhalt
3.3 Die National Organization for Women diskutiert Abtreibung: »Need to complete the sexual revolution« . . . . 286 4. Gerichtsurteile betreffen privacy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der Fall Laird v. Tatum im Kontext: »The Army needs no advance political information« . . . . . 4.2 Abhören für die nationale Sicherheit: »Searches into the words, ideas, and thoughts« . . . . . . . . 4.3 Abtreibungspolitik nach Roe v. Wade: »The right to life of the unborn child« . . . . . . . . . . . . .
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5. Das Watergate-Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Streit um Abhörmaßnahmen: »Our right to have different views« . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Das Thema Datenschutz im Aufwind: »A system that fails to respect its citizen’s right to privacy« . . 5.3 Lauschangriff im Weißen Haus: »All this is in the public area as well as the private area« . . .
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6. Gouvernementalität und Privarität am Scheidepunkt . . . . . . . 320 IV. Ein Konsens zu privacy entsteht unter Gerald Ford . . . . . . . . . . 323 1. Grenzen der Gouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Regeln für elektronische Überwachung: »The governmental secrecy issue« . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Vernetzte Dienste: »Control over the technology of surveillance« . . . . . . . . . 1.3 Abtreibung zwischen individuellem und sozialem Recht: »Miracle of creation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Debatte über Informationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Reform der Informationsfreiheit: »Insidious secrecy that characterized the Watergate years« . . 2.2 Die Politik entwickelt Datenschutzgesetze: »Watergate is really the quintessential privacy case« . . . . . 2.3 Aushandeln von Privatsphäre: »Violating a man’s right to privacy by simply knowing something about him« . . . . . .
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3. Revision der Geheimdiensttätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Bekanntwerden der Operation CHAOS: »In a world where information is power« . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Church-Komitee erstellt einen Bericht: »Some of the most crucial privacy issues facing this nation« 3.3 Der Gesetzgeber arbeitet am FISA: »The abuses of Presidential power in the surveillance area« . . . . . . . .
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Inhalt
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4. Eine neue Balance von Sicherheit und Privatsphäre . . . . . . . . 356 V. Konfliktlinien um privacy ziehen sich bis in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 1. Knowledge privacy, intimate privacy und political privacy . . . . 1.1 Streit um Daten im Informationszeitalter: »Vast amounts of personal information in computerized data banks« . . . . . . 1.2 Konflikt um intime Privatsphäre polarisiert: »A profound moral question« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Reformen des FISA im Kampf gegen Terrorismus: »Most complete invasion of privacy« . . . . . . . . . . . . . .
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2. Privacy im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Neue Geltungsbereiche von privacy . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Die Rolle von Zivilgesellschaft, Technologie und Staat . . . . . . 378 3. Sozialpolitik und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 4. Transparenz und Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 5. Familienplanung und Intimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 6. Innere und nationale Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 7. Überwachen von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 8. Privatsphäre in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9. Regierungstechniken und Selbstregierung . . . . . . . . . . . . . 386 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Archivquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Publizierte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
Dank
Das Buch basiert auf meiner Dissertation »Konzeptionen von Privacy in den Vereinigten Staaten von Amerika in den 1960er und 1970er Jahren«. Das Promotionsverfahren wurde an der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt und am 26. November 2020 mit der Disputation abgeschlossen. Dekanin und Erstgutachterin war Prof. Dr. Gabriele Metzler, Zweitgutachter war Prof. Dr. Paul Nolte, Freie Universität Berlin. Ihnen danke ich für die Unterstützung. Paul Nolte hat das Projekt weiterverfolgt und das überarbeitete Manuskript schließlich für die vorliegende Reihe vorgeschlagen. Ich danke dem Verlag, insbesondere Daniel Sander von der Programmplanung und Celine Semenic, Projektmanagement, für die Zusammenarbeit. Gegengelesen und korrigiert haben dankenswerterweise Christoph Weemeyer und – das gesamte Manuskript – Johannes Zechner. An der State University of New York at Stony Brook bin ich zu Dank verpflichtet: Gastgeber Lawrence Frohman, Nancy Lannak, Adviser to International Faculty & Scholars, Visa & Immigration Services, Roxanne Fernandez, Graduate Program Coordinator, Department of History, Kolleginnen und Kollegen, unter anderem, Jordan Helin, Liz Iannotto, Emmanuel Pardo, Aihua Zhang. Gefördert wurde der Forschungsaufenthalt von April 2014 bis März 2015 mit einem DAAD-Doktorandenstipendium. Mein Dank gilt ferner den Archivarinnen und Archivaren, unter anderem: Monica S. Blank, Rockefeller Archive Center, NY; Ellen M. Shea, Schlesinger Library, Harvard University, MA; Christine A. Lutz, Seegley G. Mudd Manuscript Library, Princeton University, NJ, Thomas Eisinger, Legislative Archive, NARA, DC; Robert Ellis, Federal Judicial Records, NARA, DC; Janice F. Goldblum, National Academy of Sciences Archives, DC; Tim Holtz, Gerald R. Ford Presidential Library, MI; Liza Talbot, Lyndon B. Johnson Presidential Library, TX; Ira Pemstein, Richard M. Nixon Presidential Library, CA; Amy Hague, Sophia Smith Collection, Smith College, MA; Tab Lewis, National Archives, MD. Kommilitoninnen und Kommilitonen im Kolloquium für die Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen danke ich für die Lektüre von Kapiteln, insbesondere: Anne Freese, Lars Lehmann, Birgit Lulay, Tommy Stöckel und Matthias Thaden. Ich danke den Teilnehmenden an Konferenzen, Tagungen und Vorträgen für Anmerkungen und Kritik: 2019: Amerika-Institut, Ludwig-MaximiliansUniversität München; Conference: Human Rights and Technological Change.
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Dank
Conflicts and Convergences since the 1950s, Universität zu Köln / Fritz Thyssen Stiftung; 2018: Vierter Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologievereinigungen: Abschaffung des Rechts?, Universität Basel; 2016: Workshop: Grundlagen der Digitalisierung, Sonderforschungsbereich »Medien der Kooperation«, Universität Siegen; 23. Jahrestagung des Jungen Forums Rechtsphilosophie: Recht und Technik – Grenzen des Rechts im Informationszeitalter, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Bremen; Conference: Gender, Politics & Agency, Centre for Gender Studies, University of Winchester; University of London, Society for the History of Women in the Americas (SHAW) Ninth Annual Conference: Gender, Religion, and Activism, Bedford Centre for the History of Women, Royal Holloway; 2015: Dritter Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen: Die Versprechungen des Rechts, Humboldt-Universität zu Berlin; International Doctoral Workshop in Contemporary History, École Normale Supérieure de Cachan; 2014: Colloquium, Department of History, State University of New York at Stony Brook; 2013: Colloquium zur Zeitgeschichte Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin; Kollegiatentagung: Planlos! Zu den Grenzen von Planbarkeit, Graduiertenkolleg Automatismen, Universität Paderborn; Gründungstagung der Themengruppe »Politik und Recht«: Hat ›Humpty Dumpty‹ eigentlich ›Recht‹? Interpretationen zwischen Politik und Recht, Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft, Universität Jena; 2012: Jahrestagung: Narrative Formen des politischen Denkens, Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens, Technische Universität München; Winterschule: Realms of Memory, Erasmus Intensivprogramm »Cold War and Society«, Humboldt-Universität zu Berlin, Universität Wien. Besonderer Dank gilt meinen Eltern Rosa und Heinrich.
Einleitung
Hong Kong, China, am 5. Juni 2013: In einem Zimmer des Hotels »The Mira« sitzt ein hagerer Mann in weißem T-Shirt, den teilweise eine rote Decke verhüllt, auf dem Bett und tippt auf einem Laptop. Die rote Decke schützt vor ungewollten Blicken, denn der Mann konfiguriert gerade den Zugang zu brisanten Geheimdienstdokumenten, die er einem anwesenden Journalisten zuspielt. Unter der Decke besteht Privatsphäre, doch gleichzeitig hat Edward Snowden, ein für die US-amerikanische National Security Agency (NSA) tätiger Computerspezialist, alles aufgegeben, was sein privates Leben bisher auszeichnete. Diesen Konflikt hatte der Journalist Glenn Greenwald zuvor angesprochen, als er den Informanten nach seinen persönlichen Motiven fragte: If your self-interest is to live in a world in which there is absolute privacy, doing something that could put you into prison in which your privacy is completely destroyed – this is sort of the antithesis of that – how did you reach the point where that was a worthwhile calculation for you?1
Als Snowden wieder unter der Decke hervorkommt, schrillt während des Gesprächs plötzlich eine Glocke wie für einen Feueralarm, die Anwesenden wirken verunsichert und nervös, doch es handelt sich bloß um Wartungsarbeiten. So zeigt es der Oscar-prämierte Dokumentarfilm von Laura Poitras. Wenige Stunden später veröffentlicht Greenwald einen Artikel darüber, wie die USRegierung verdachtslos massenweise Daten über Telefonate ihrer Bürgerinnen und Bürger sammelt. Deren Rechte und Ansprüche auf »privacy« erscheinen geschwächt im politischen Klima nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, als im Regierungshandeln das Bedürfnis nach Sicherheit Oberhand gewinnt. Snowden, inzwischen von den USA wegen Spionage und Geheimnisverrats angeklagt, rechtfertigt sein Vorgehen explizit mit Bezug auf privacy: »But privacy is the fountainhead of all our rights, from which all rights are derived«.2 Die beiden Werte »privacy« und »security« stehen dabei in einem schwierigen Verhältnis, wie der Rechtswissenschaftler Neil Richards argumentiert: »that the conflict between privacy and security has been overblown and that securityminded government officials have both overstated the need for surveillance and understated the costs of fine-grained government monitoring in our lives«.3 1 Poitras, Citizenfour, Min. 23:22. 2 Zitiert nach: Erlanger 17.9.2016, The New York Times, S. A3; Zeitungsartikel via ProQuest 2004, Historical Newspapers. 3 Richards, Why privacy matters, S. 7.
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Einleitung
Dieses Spannungsverhältnis ist historisch gewachsen. So gab beispielsweise im Jahr 1970 ein ehemaliger Offizier Dokumente weiter, die ein Überwachungsprogramm der US-Armee und den Einsatz von Datenbanken über politischen Protest dokumentierten. Bereits zuvor stand die NSA in der Kritik, zu weitflächig zu überwachen, wie ein Komitee des US-Senats im Jahr 1975 feststellte. Die vorliegende Studie untersucht die Geschichte von privacy in den USA über den Zeitraum, als sich das Konzept in den sechziger und siebziger Jahren wandelte. Diesen Wandel bettet die Studie in den historischen Kontext ein: von Richter Louis Brandeis, der mit privacy im Fall von Telefonüberwachung argumentierte, bis hin zur jüngsten Entscheidung zu Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization, mit der die Geltung von privacy im Abtreibungsrecht zurückgenommen wurde – von Brandeis zu Dobbs. Die von Snowden angestoßene Affäre stellte auch das transatlantische Verhältnis auf die Probe. Nicht zuletzt das Scheitern der beiden Abkommen über den Austausch von Daten zwischen der Europäischen Union und den USA – Safe Harbor Agreement und Privacy Shield – stand unter dem Eindruck der Enthüllungen. Der transatlantische Austausch von Daten zeigt Machtverhältnisse im Umgang mit Informationen auf.4 Bei privacy handelt es sich in den USA um ein Konzept, dem Autoren eine »broader social importance«5 zuschreiben, obgleich umstritten ist, welche soziale Bedeutung genau diesem individuellen Wert gegenüber anderen sozialen Werten zukommt.6 Als vertrackt erweist sich die Situation außerdem, da in den USA und Kontinentaleuropa unterschiedliche Traditionen der Werte bestehen, die mit privacy verbunden sind.7 Um gegenwärtige transatlantische Konflikte und Unterschiede besser zu deuten, lohnt sich also ein Blick auf die historische Entwicklung in den USA. Dort prägt die Datenschutzpolitik der sechziger Jahre noch immer die heutige Situation und begünstigt die Macht der Konzerne: »to demand data transparency rather than limit data collection, and to legislate the behavior of government but not private industry«.8 Auch in der BRD entbrannte eine »[p]ublic debate over policing, technology, and ›the information question‹«.9 Dabei haben sich die Herausforderungen im Zeitalter von Internet und sozialen Medien geändert, so dass damalige Konzepte nicht mehr zeitgemäß wirken: »We must rethink privacy for the Information Age«.10 Diesbezüglich stellt die vorliegende Studie das Spezifische der damaligen Zeit heraus, so dass auf dieser Grundlage heutige 4 Vgl. Farrell / Newman, Of privacy and power. 5 Regan, Legislating privacy, S. 212 f., Zitat S. 212. 6 Schoeman, Privacy and social freedom, S. 89–114; Etzioni, The limits of privacy, S. 1–15. 7 Vgl. Whitman, The two western cultures of privacy. 8 O’Mara 5.12.2018, The New York Times, S. A31. 9 Frohman, Datenschutz, the Defense of Law, and the Debate over Precautionary Surveillance, S. 306. 10 Solove, The digital person, S. 9.
Forschungsstand
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Probleme klarer erscheinen. Neben den Themen Datenschutz und Überwachung werden in den USA Reproduktivrechte wie Verhütung und Abtreibung unter dem Konzept privacy verhandelt – Rechte, die gegenwärtig unter Druck stehen, beschnitten zu werden. Angesichts seiner hohen Relevanz hat sich mittlerweile auch die historische Forschung dem Thema privacy gewidmet.
1. Forschungsstand: Was die Gesellschaft wissen darf und was sie nichts angeht Zu Beginn dieses Forschungsprojekts war das Konzept privacy in der Historie der Vereinigten Staaten noch stark unterbelichtet, und es lagen erst einige Überblickswerke vor.11 Unter diesen Werken ragt in Darstellung und Detailreichtum die 400-jährige Geschichte von Frederick Lane heraus, der das Konzept einer Reihe von Angriffen ausgesetzt sieht: »This is the story of that right and the grave threats to its continued existence«.12 Mittlerweile haben Sarah Igo und Lawrence Cappello historische Studien veröffentlicht, in denen sie die Bedeutung von privacy in der US-amerikanischen Geschichte analysieren. Das jüngst erschienene Buch von Amy Gajda konnte ich nicht mehr umfänglich berücksichtigen.13 Die vorliegende Studie nimmt schon deshalb eine andere Perspektive ein, da sie für ein deutschsprachiges Publikum konzipiert ist. Die amerikanische Sprache aus Forschungsliteratur und Quellen ins Deutsche zu übertragen, erfordert ein hermeneutisches Verständnis der Konzepte und philologisches Geschick. Gewissermaßen ist der Autor ein Außenseiter, ein Nicht-Amerikaner, der diesbezüglich auf das Personalpronomen »wir« und das Possessivpronomen »unser« verzichtet. Es handelt sich also nicht um eine Nationalgeschichte. Hier liegt ein weiterer Unterschied zu den genannten Werken, die in einer longue durée das Identitätsstiftende von privacy herausarbeiten. Ganz deutlich bringt dies Lane zum Ausdruck, der die US-amerikanische Geschichte sogar mit der Geschichte von privacy gleichsetzt: »At its core, the history of America is the history of the right to privacy«.14 In die gleiche Richtung, aber etwas vorsichtiger, geht Igo, wenn sie die identitätsstiftende Bedeutung für die Nation im 20. Jahrhundert betont: »Americans in the twentieth century thus made of privacy much more than a legal right. They made it foundational to their sense of personhood and national identity«.15 Schließlich argumentiert auch Cappello, wenngleich noch zurückhaltender, dass privacy seit dem ausgehenden 11 Vgl. Smith, Ben Franklin’s web site; Strum, Privacy – Hünemörder, The Right to Privacy. 12 Lane, American privacy, S. xx. 13 Vgl. Gajda, Hide and seek. 14 Lane, American privacy, S. 1. 15 Igo, The known citizen, S. 4.
16
Einleitung
19. Jahrhundert zu einer zentralen politischen Kategorie wurde: »It was there, in the Gilded Age, where discussions about privacy became a permanent and uninterrupted fixture of American social and political discourse«.16 In diesem Sinne trägt das Konzept zur Bindung an eine »imagined political community«17 nach Benedict Anderson bei. Richter William O. Douglas sprach von dem »right of privacy« als einem Recht, das älter als die Bill of Rights sei, und stärkte damit das historische Bewusstsein für eine nationale Tradition, die es aus Sicht konservativer Verfassungsrechtler so gar nicht gab. Am weitesten zurück reicht die Darstellung Lanes, die im Kolonialzeitalter einsetzt, als Benjamin Franklin im Amt des Generalpostmeisters über das Briefgeheimnis wachte. Als Geburtsstunde eines »right to privacy«18 bestimmt Lane die Verabschiedung der Bill of Rights im Jahre 1791, obwohl der Begriff selbst bekanntlich weder in der Verfassung noch ihren Zusatzartikeln erwähnt wird. So verankerten die Gründungsväter im vierten Verfassungszusatz einen Schutz vor willkürlichen Durchsuchungen, ohne privacy explizit zu nennen. Während die meisten Studien und Überblickswerke also von einer Kontinuität ausgehen, stellt diese Arbeit Diskontinuität heraus und verdeutlicht, dass in den sechziger und siebziger Jahren neue Konzeptionen von privacy den Diskurs bestimmten, die retrospektiv an andere Traditionslinien anknüpften. Das breite Themenspektrum und der relativ lange Zeitrahmen stellen Auto ren vor besondere Herausforderungen, was sowohl den theoretischen Ansatz als auch die erzählerische Stringenz betrifft. Sarah Igo untersucht privacy im weitesten Sinne als ein Phänomen der Moderne: »Arguments about privacy were really arguments over what it meant to be a modern citizen«.19 Den Erzählbogen spannt Igo an der Frage auf, was die Gesellschaft über ihre Mitglieder wissen dürfe: »This book pursues its history from a new vantage point: the question of how Americans would, and should, be known by their own society«.20 Es lässt sich streiten, wie neu der Aspekt Wissen gegenüber den etablierten Konzepten »information privacy«21 oder »information society«22 tatsächlich ist. Igo widmet sich psychologischen Tests sowie soziologischen Studien und kontrastiert unerwünschte Presseberichte mit der Selbstdarstellung von Personen in Fernsehsendungen und Autobiografien. Details über Personen können freiwillig oder unfreiwillig in den Medien preisgegeben werden. Auf dieser Erzählachse erscheint die Analyse von gesellschaftlichem Wissen als origineller Ansatz, 16 Cappello, None of your damn business, S. 27. 17 Anderson, Imagined communities, S. 6. 18 Lane, American privacy, S. 17. 19 Igo, The known citizen, S. 3. 20 Ebd., S. 4. 21 Begriff im Titel: Solove u. a., Information privacy law. 22 Begriff im Titel: Privacy Protection Study Commission 1977, Personal privacy in an information society.
Forschungsstand
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passt aber nicht deckungsgleich mit privacy zusammen, da sich beispielsweise das Thema Reproduktivrechte, in diesem Zusammenhang das Nutzen von Mitteln zur Verhütung oder zum Abbruch einer Schwangerschaft, nicht über die Kategorie »Wissen« erschließt.23 Umgekehrt fügen sich einige Episoden in das Wissens-Narrativ ein, obgleich über weite Strecken von privacy spärlich oder überhaupt gar nicht explizit die Rede ist. Den methodischen Ansatz, die Rede über privacy zu untersuchen, löst Igo also nur bedingt ein: »Americans turned to privacy talk because it helped them navigate the pull and push of a knowing society, one that sought to apprehend, govern and minister to its members by capturing them in fuller and finer detail«.24 Igo fährt gewissermaßen zweigleisig, indem sie zum einen analytisch von einer »knowing society« und zum anderen empirisch von »privacy talk« ausgeht. Daraus ergibt sich ein spezieller Ansatz: My panoramic approach attempts to overcome what is thus far a patchwork history. This book deliberately peers into otherwise unrelated domains in U. S. society in order to piece together a new picture of how and why privacy came to matter so much to modern Americans.25
Dabei führt Igo eine »series of critical episodes« an, ohne aber sämtliche Erzählstränge weiterzuführen.26 Die Studie ist in ihrer Binnenstruktur sehr gut ausgearbeitet, doch es stellt sich insgesamt die Frage, was die unterschiedlichen Episoden zu unterschiedlichen Zeitpunkten überhaupt zusammenhält. Der argumentative Zusammenhang zwischen den einzelnen Kapiteln und Themen bleibt schwach, wie auch die Rezensentin Samantha Barbas glaubt.27 Einen anderen Weg beschreitet Cappello, indem er einen »aggressively thematic approach – one privacy debate at a time«28 verfolgt: »This book examines five key privacy debates in US history from the Gilded Age to the internet age with the aim of providing some much-needed clarity about that very complicated word – privacy«.29 Diesen Anspruch erfüllt die Studie vollumfänglich, was die fünf einzelnen Debatten für sich genommen betrifft. Allerdings verlieren sich die thematischen Querbezüge, etwa bei der Frage, wie Sicherheitsbehörden auf Abhörmaßnahmen oder auf Technologien der Datenverarbeitung zurückgriffen, und in der jeweils diachronen Parallelführung verblasst das Zeitkolorit, wenn verschiedene Themen synchron verhandelt werden.
23 Barbas, The Known Citizen, S. 581. 24 Igo, The known citizen, S. 2. 25 Ebd., S. 8. 26 Ebd., S. 13. 27 Barbas, The Known Citizen, S. 581. 28 Cappello, None of your damn business, S. 14. 29 Ebd., S. 3.
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Einleitung
2. Fragestellung: Wie sich privacy wandelte Anstatt also Kontinuitäten von privacy über einen langen Zeitabschnitt zu verfolgen, richtet die vorliegende Studie den Fokus auf einen kurzen Zeitabschnitt in den sechziger und siebziger Jahren und stellt Diskontinuitäten heraus. Das Buch gliedere ich in eine kurze Vorgeschichte sowie die Regierungsjahre der Präsidenten Lyndon Johnson, Richard Nixon und Gerald Ford – eine Phase, in der Konzepte von privacy auf den Gebieten Datenschutz, Überwachung und Reproduktivrechte neu ausgehandelt wurden. In diesen Jahren wandelte sich der Geltungsbereich von privacy grundlegend, Experten veröffentlichten wegweisende Studien, Gerichte fällten grundsätzliche Urteile, und der Gesetzgeber verabschiedete nationale Regelwerke. Privacy bedeutete zum Beispiel, dass seit 1965 Ehepartner Verhütungsmittel benutzen durften, dass seit 1967 Ermittlungsbehörden nicht beschlusslos Telefone anzapfen durften, dass seit 1970 Kreditkunden eine gewisse Kontrolle über ihre Daten erhielten, dass seit 1973 der Abbruch einer Schwangerschaft legal wurde, dass seit 1975 Bürger einen bestimmten Datenschutz gegenüber Bundesbehörden genossen. In anderen Fällen reichte privacy aber nicht weit genug, etwa um 1967 einem Nachrichtenmagazin die Publikation einer persönlichen Geschichte zu verbieten, um 1972 ein geheimdienstliches Programm der Armee über Dissidenten zu unterbinden, um 1977 der General Service Administration die Dokumente aus dem Präsidialamt vorzuenthalten oder um ebenfalls 1977 eine Datensammlung zu Betäubungsmitteln zu untersagen. Bislang unbeantwortet geblieben ist in der Forschung die Frage, warum privacy in dieser Zeit derart intensiv verhandelt wurde, eine solche Fülle neuer Gesetze, Urteile und Konzepte zu verzeichnen ist und wie die unterschiedlichen Facetten zusammenpassen. Ich argumentiere, dass Zeitgenossen das althergebrachte Konzept privacy aufgriffen und damit Ansprüche in einer sich verdichtenden »Sicherheitsgesellschaft«30 geltend machten – ein von Michel Foucault verwendeter Begriff, auf den ich später zurückkomme. An dieser Sicherheitsthese spanne ich den Erzählbogen auf und verwebe unterschiedliche Aspekte von privacy zu einem Narrativ, welches das Verständnis von privacy schärft und zugleich ein genaues Bild der Periode von 1963 bis 1977, also während der Präsidentschaften von Johnson, Nixon und Ford, zeichnet. Dabei bin ich bemüht, keinen Erzählstrang fallenzulassen und die Gleichzeitigkeit sowie die Querbezüge zwischen unterschiedlichen Debatten zu berücksichtigen. Die Konfliktlinien verfolge ich in einem abschließenden Kapitel bis in die Gegenwart.
30 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 26.
Theorie und Methode
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3. Theorie und Methode: Konstruktion des Nichtexistenten Was den diskutierten historischen Studien fehlt, ist eine schlüssige Theorie, welche Bedeutung und Funktion das Konzept privacy hatte, um unterschiedliche Themenfelder zu bündeln. Die Autoren behandeln privacy als Überbegriff für verschiedene Aspekte: »Privacy is an umbrella term«.31 Eine feste Definition verbietet sich in einer historischen Studie, die vorbehaltlos zeitgenössische Sichtweisen untersucht: »If we want to understand how Americans in varied contexts and times understood privacy, we need to abandon the notion of it having a stable definition«.32 Doch umgekehrt ergibt sich aus diesem Vorgehen am Ende auch keine definitorische Schärfung. So stellt Igo Thesen auf, die aneinandergereiht merkwürdig inhaltsleer klingen: »Privacy talk waxed and waned, following no predictable path«, »privacy is everywhere in modern America and hardly anywhere in modern America«, »Privacy, it turns out, has been a highly flexible container for social thought«.33 Es ist ein schwaches Argument, zu sagen, dass privacy als ein Sammelbegriff für alles Mögliche diente: I argue that ›privacy‹ has served in the United States as a catch-all for concerns about modern life and social organization, from new forms of media and technology to new state projects, new kinds of expert intervention, and even new living arrangements.34
Auch Cappello behandelt privacy als »multifaceted concept«35 und führt einen Ausdruck im Titel des Buches an, den US-Amerikaner nutzen, wenn sie bestimmte Fakten lieber für sich behalten: »None of your damn business«.36 Einen ähnlichen Ausdruck hat bereits in den achtziger Jahren die Philosophin Judith Wagner DeCew als analytische Klammer von privacy für die Themen Datenschutz und Reproduktion herangezogen: »We do, however, have a crude intuition that what is private is that which is nobody else’s business«.37 Frederick Lane fasst privacy einerseits als »space for ourselves, out of the sight of others« und andererseits als »confidentiality of one’s thoughts and communications« auf.38 Historisch betrachtet überwiege der Aspekt einer Kontrolle über Information: The common thread in privacy debates over the course of our nation’s history is the concept of control – that privacy at its core is the ability to determine what information will be shared with others and when it will be shared.39 31 Cappello, None of your damn business, S. 20. 32 Igo, The known citizen, S. 11. 33 Ebd., S. 2, 6, 12. 34 Ebd., S. 11. 35 Cappello, None of your damn business, S. 4. 36 Ebd., S. 5. 37 DeCew, The Scope of Privacy in Law and Ethics, S. 169. 38 Lane, American privacy, S. 1. 39 Ebd., S. 254.
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Einleitung
Dies entspricht im Wesentlichen der klassischen Definition, die der Politikwissenschaftler Alan F. Westin im Jahre 1967 aufstellte.40 Privacy entzieht sich also einer festen Definition und wandelt sich über die Zeit. Tatsächlich konnte Mitte der fünfziger Jahre die Bedeutung von privacy fluid erscheinen, wenn ein Autor in einem US-Zeitschriftenartikel eine Reihe von Störfaktoren nannte: beispielsweise Lärm, verursacht etwa durch die Fehlzündung eines Busmotors, Teleobjektive für Kameras in der Hand von Ermittlern, Akten von Ermittlungsbehörden oder Werbung per Post.41 Für den heutigen Leser mag diese Reihe von Themen merkwürdig anmuten. Der Text folgt aber einer eigenen Ordnung des Wissens, ähnlich wie die »gewisse chinesische Enzyklopädie«, zitiert von Michel Foucault im Vorwort zu »Die Ordnung der Dinge«, die verschiedene Tiere in eigentümlicher Art und Weise bezeichnet und gruppiert.42 Einerseits lautet die Prämisse meiner Forschung also, dass kein überzeitliches Wesen von privacy besteht, sondern dass es sich um kontingente, umstrittene und teils widersprüchliche Konzeptionen handelt. Andererseits erscheint es aber notwendig, einen theoretischen Rahmen aufzuspannen, um unterschiedliche Aspekte zu trennen und ähnliche Aspekte zu verbinden. Methodisch folgt die Studie einer foucaultschen Diskursanalyse, indem sie aus Texten auf wiederkehrende Muster schließt, wobei sie sich stark auf Primärquellen stützt. Herangezogene Archivdokumente stammen sowohl von zivilgesellschaftlichen Organisationen als auch von staatlichen Institutionen wie Behörden, Ministerien und dem Weißen Haus. Darüber hinaus werden gedruckte Quellen aus dem Kongress und aus Gerichtsverhandlungen berücksichtigt. Aus epistemologischer Sicht kann das Ergebnis mit keiner übergeordneten Wahrheit abgeglichen werden, sondern »die einzige Referenz für die Angemessenheit einer Diskursanalyse [ist] die Kohärenz des Diskursmusters selbst«.43 Damit ordnet sich diese Arbeit wissenschaftstheoretisch im Konstruktivismus ein, dessen Vertreter Philosoph John Searle fragt: »How do we construct an objective social reality?«44 Searle entwirft eine Ontologie sozialer Fakten und Institutionen, von Dingen wie Geld, Eigentum, Staaten und Ehen, die bloß durch menschliche Übereinkunft existierten: »In a sense there are things that exist only because we believe them to exist«.45 In diesem Sinne handelt es sich bei privacy zunächst um eine soziale Konstruktion. Auch Foucault befasst sich mit Phänomenen, die an sich nicht existieren und sich erst aus Praktiken ergeben, und fragt, »durch welche Interferenzen diese Reihe von Praktiken es schaffen konnte, daß das Nichtexistierende (der Wahnsinn, die Krankheit, die Delinquenz, die 40 Westin 1967, Privacy and freedom, S. 7. 41 Montagu 31.3.1956, The Saturday Review, S. 10f, 32. 42 Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 17. 43 Sarasin, Diskursanalyse, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.), Geschichte, S. 214. 44 Searle, The construction of social reality, S. xii. 45 Ebd., S. 1.
Konzeptualisierung von privacy
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Sexualität usw.) dennoch zu etwas wird, etwas, das jedoch weiterhin nicht existiert«.46 In diese Reihe des Nichtexistierenden ließe sich privacy einordnen, ein Konzept, das in diesem Sinne nicht als gegeben angenommen werden kann, sondern sich erst in Diskursen und Praktiken herausbildet.
4. Konzeptualisierung von privacy: Drei Spannungsverhältnisse zwischen öffentlich und privat Um die historisch entstandenen Bedeutungen von privacy zu systematisieren, gehe ich von unterschiedlichen Spannungsfeldern zwischen öffentlich und privat aus, innerhalb derer privacy verhandelt wurde. Wer über privacy spricht, kommt nicht umhin, auch Konzepte wie »Öffentlichkeit«, »Staat« oder »Gesellschaft« zu berücksichtigen. Denn zwischen privat und öffentlich verläuft keine eindeutige Grenze, wie etwa Raymond Geuss argumentiert: »dass es nicht eine einzige klare Unterscheidung zwischen öffentlich und privat gibt, sondern vielmehr eine Reihe überlappender Gegensätze«.47 Ich unterscheide an dieser Stelle zwischen einer aus der Antike stammenden Dichotomie von öffentlich und privat, einer in der Moderne entstandenen Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit sowie in Anlehnung an Foucault einer Dichotomie von Gouvernementalität und Privarität, ein von mir selbst vorgeschlagener Neologismus, auf den ich später zurückkomme. Im antiken Stadtstaat, so schreibt Hannah Arendt in »Vita activa«, bestand eine Trennung zwischen dem Haushalt, dem oikos, dem privaten Bereich, und dem Gemeinwesen, der polis, dem öffentlichen Bereich.48 Intimität, intime Lebensbereiche und Informationen darüber gelten nach wie vor als zentrales Merkmal von privacy, wie etwa die Philosophin Julie Inness zeigt.49 Im antiken Rom gab es eine semantische Verschiebung hin zum lateinischen Wortstamm privare, der »beraubt« oder »befreit« bedeutet, den »Nichtinhaber eines Amtes« und in der Antike »alles, was der außerstaatl[ichen] Sphäre angehört«, bezeichnet.50 Diese Unterscheidung verdeutlicht Caesars Weigerung, sich dem Senat zu beugen und sich als Privatperson vor Gericht zu verantworten.51 Mit Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit sind die Grenzen des privaten Hauses durchlässiger geworden, aber nicht gänzlich verschwunden. Das private Leben im Sinne der häuslichen Familie ist Gegenstand historischer Forschung, wobei sowohl Elaine Tyler May als auch Deborah Nelson die Familie in der US-amerikanischen Nach 46 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 38. 47 Geuss, Public goods, private goods, S. 17, Hervorhebung im Original. 48 Arendt, Vita activa, S. 31. 49 Inness, Privacy, intimacy, and isolation, S. 56, 60. 50 Bayer et al., Wörterbuch zur Geschichte, S. 446. 51 Geuss, Privatheit, S. 57.
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Einleitung
kriegszeit mit der politischen Vokabel »Containment« charakterisieren.52 Die Bill of Rights stellt das Haus unter einen besonderen Schutz, so dass Richter in Fällen, in denen der Inhalt abgehörter Telefonate vor Gericht verwendet werden sollte, erörterten, ob Ermittler im Wortsinn eine Schwelle überschritten hätten. Zu dem entsprechenden Fall formulierte Richter Louis Brandeis einen folgenreichen Gegenstandpunkt, in dem er sich auf privacy berief. In einem weiteren Spannungsfeld steht privacy zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wandelte sich das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Bereich grundlegend, als eine gesellschaftliche Sphäre hinzukam. So schreibt Arendt in einer berühmten Hypothese: »Der Raum des Gesellschaftlichen entstand, als das Innere des Haushalts mit den ihm zugehörigen Tätigkeiten, Sorgen und Organisationsformen aus dem Dunkel des Hauses in das volle Licht des öffentlich politischen Bereichs trat«.53 Das Private, der Garant für Intimität, hatte nunmehr einen stärkeren Bezug zur Gesellschaft als zur Politik.54 Im 19. Jahrhundert entstand eine bürgerliche Öffentlichkeit, die Jürgen Habermas bezeichnenderweise dem Privatbereich zuordnet, da sie aus einem Publikum von Privatmenschen entstand. Parallel dazu entstand eine bürgerliche Privatheit: Das Selbstverständnis des öffentlichen Räsonnements ist spezifisch von solchen privaten Erfahrungen geleitet, die aus der publikumsbezogenen Subjektivität der kleinfamilialen Intimsphäre stammen. Diese ist der geschichtliche Ursprungsort von Privatheit, im modernen Sinne gesättigter und freier Innerlichkeit.55
Im Verhältnis zur öffentlichen Meinung fasst auch Geuss das Konzept der Privatheit: »Der eigentliche Kern der Idee von der ›Privatheit‹ besteht in der Idee eines begrenzten kognitiven Zugangs«.56 Das Wechselspiel von privat und öffentlich verdeutlicht Habermas mit dem literarischen Salon, ein publikumswirksamer Ort in den eigenen vier Wänden: »Die Linie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit geht mitten durchs Haus«.57 Die vorliegende Studie untersucht jedoch nicht die Ausprägung konkreter Lebensstile, sondern befasst sich mit privacy als einem Anspruch. Als solchen formulierten ihn die Juristen Samuel Warren und Louis Brandeis 1890 in ihrem berühmten Artikel über das »Right to Privacy« und prägten damit das Deliktrecht in Hinblick auf Konflikte zwischen einer Person und der medialen Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang unter 52 May, Mythen und Realität der Amerikanischen Familien, in: Prost, Antoine u. a. (Hg.), Vom Ersten Weltkrieg zur Gegenwart, S. 13 ff.; Nelson, Pursuing privacy in Cold War America, S. xii. 53 Arendt, Vita activa, S. 38. 54 Ebd., S. 39. 55 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 87. 56 Geuss, Public goods, private goods, S. 106, Hervorhebung im Original. 57 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 109.
Konzeptualisierung von privacy
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suchen Jessica Lake oder Samantha Barabas unter dem Aspekt von privacy, wie Medien die Fotos und Abbildungen von Personen verwendeten.58 Allerdings sind die getroffenen Unterscheidungen zwischen privatem Haushalt und politischem Bereich sowie der Privatperson im Verhältnis zur Gesellschaft nicht in Stein gemeißelt, sondern Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Diesbezüglich bemerkt Geuss: »die verschiedenen Formen des Gegensatzes zwischen ›öffentlich‹ und ›privat‹ sind nicht absolut, aber sie sind auch nicht allesamt gegenstandslos und illusorisch«.59 Bereits Karl Marx relativierte die Trennlinie von privat und öffentlich: »Jede Privatsphäre hat einen politischen Charakter oder ist eine politische Sphäre, oder die Politik ist auch der Charakter der Privatsphären«, wie ihn Lucian Hölscher im »Lexikon der Geschichtlichen Grundbegriffe« zitiert.60 Insbesondere feministische und marxistische Theorien hinterfragen die Dichotomie zwischen privat und öffentlich.61 In diesem Sinne zu verstehen ist der Ausspruch von Carol Hanisch »The personal is political«.62 Die Forschung beleuchtet diesbezüglich die Aspekte class, race und gender, die quer zur Unterscheidung von öffentlich und privat verlaufen. So analysiert Khiara Bridges die Bedeutung von Armut und argumentiert: »To be poor is to be subject to invasions of privacy«.63 Ethnische Dimensionen von Überwachung untersucht Simone Browne, eine feministische Perspektive nimmt Anita Allen ein.64 In Bezug auf häusliche Gewalt in den USA argumentiert Michael Mayer, »dass die ›moderne‹ Trennung von öffentlichem und privatem Raum sowie der Schutz der Privatsphäre vor staatlichen Eingriffen, die zu Recht als bedeutende Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft gelten, in Hinblick auf Frauen einen folgenschweren Effekt hatten«.65 Im Schutz des Hauses verloren Frauen demnach den Schutz vor gewalttätigen Ehemännern. Aus der Sicht von Habermas durchdrangen sich Staat und Gesellschaft in einer Sphäre, innerhalb derer eine strikte Trennung von öffentlich und privat obsolet wurde: Aus der Mitte der öffentlich relevanten Privatsphäre der bürgerlichen Gesellschaft bildet sich eine repolitisierte Sozialsphäre, in der sich staatliche und gesellschaftliche Institutionen zu einem einzigen nach Kriterien des Öffentlichen und Privaten nicht länger mehr zu differenzierenden Funktionszusammenhang zusammenschließen.66 58 Vgl. Lake, The face that launched a thousand lawsuits; Barbas, Laws of image. 59 Geuss, Privatheit, S. 128. 60 Hölscher, Öffentlichkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. von Otto Brunner u. a., S. 462. 61 Vgl. Olsen, Privacy, in: Routledge encyclopedia of philosophy, hg. von Edward Craig. 62 Begriff im Titel: Hanisch 1970, The Personal is Political. 63 Bridges, The poverty of privacy rights, S. 5. 64 Vgl. Browne, Dark matters; Allen, Uneasy access. 65 Mayer, Der Staat und das Private, S. 129. 66 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 234.
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Dies habe auch Folgen für die Charakteristika der Privatsphäre: »die Intimsphäre, einst das Zentrum der privaten Sphäre überhaupt, rückt, soweit diese selbst sich entprivatisiert, gleichsam an deren Peripherie«.67 Angesichts der sich überschneidenden Bereiche von Staat und Gesellschaft argumentiert Paul Nolte: »Demokratie fungiert nur mehr als Garant der Privatheit, nicht als Staat gewordene Öffentlichkeit«.68 Bis weit in die fünfziger Jahre wurde privacy vorwiegend entweder innerhalb der antiken Dichotomie zwischen privatem Haushalt und dem Raum des Politischen oder der modernen Dichotomie zwischen bürgerlicher Öffentlichkeit und Privatheit verhandelt, wobei sich die jeweiligen Pole von öffentlich und privat überschneiden und nicht vollkommen trennscharf sind. Das Bild änderte sich in den sechziger und siebziger Jahren, als Konflikte um privacy aufkamen, die sich am besten in Bezug auf Gouvernementalität und ihrer Beschränkung in Privarität erschließen lassen. Mit »Gouvernementalität« sind in Anlehnung an Foucault Regierungspraktiken gemeint, eine bestimmte Kunst des Regierens. Mit diesem Konzept untersucht Foucault die Rolle des Staates: »Der Staat ist […] kein seelenloses Ungeheuer, sondern das Korrelat einer bestimmten Weise zu regieren«.69 Mit »Privarität«, meine eigene Wortschöpfung, bezeichne ich die Begrenzung der Gouvernementalität, der möglichen Handlung von Staat, aber auch Unternehmen, um das Verhalten von Menschen zu steuern. So schreibt Foucault in Hinblick auf Grundrechte, dass die Grenzen der Regierung nicht bei den Individuen verlaufen, sondern »in der Regierungspraxis selbst, und zwar zwischen Operationen, die durchgeführt werden können, und denen die es nicht können«.70 Zeitgenossen, wie zu zeigen sein wird, erhoben Ansprüche auf privacy gegenüber gouvernementalen Regierungspraktiken. Solche Praktiken berücksichtigt eine Diskursanalyse, denn im Gegensatz zum Historizismus will Foucault »von konkreten Praktiken ausgehen und gewissermaßen die Universalien in das Raster dieser Praktiken einordnen«.71 Auch der Rechtswissenschaftler Daniel Solove konzeptualisiert privacy über soziale Praktiken, wobei es sich um Praktiken des Privaten handelt, wie etwa das Briefeschreiben. Dabei argumentiert Solove mit Bezug auf Ludwig Wittgenstein, dass zwischen einzelnen Praktiken familiäre Ähnlichkeiten bestehen.72 Davon ausgehend fasst die vorliegende Studie neuartige Konzeptionen von privacy über Praktiken, allerdings Praktiken des Regierens anstatt Praktiken des privaten Lebens. Beispielsweise wertet die Arbeit 67 Ebd., S. 238. 68 Nolte, Öffentlichkeit und Privatheit, S. 512. 69 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 19. 70 Ebd., S. 27. 71 Ebd., S. 15. 72 Solove, Conceptualizing Privacy, S. 1088 f.
These
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keine private Korrespondenz aus, um ein Bild des Privatlebens in der untersuchten Zeit zu zeichnen. Private Korrespondenz kommt erst zum Tragen, wenn sich etwa ein Brief von Friedensaktivistinnen in Geheimdienstakten findet.
5. These: Eine sich verdichtende Sicherheitsgesellschaft Die Arbeit folgt der These, dass Konflikte um privacy vor dem Hintergrund einer sich verdichtenden Sicherheitsgesellschaft ausgetragen wurden. Laut Foucault haben Praktiken der Sicherheit, die steuernd auf die Realität von Bevölkerungen einwirken, herkömmliche Praktiken von Souveränität und Disziplin ergänzt. Dabei geht Foucault der Frage nach, »ob man tatsächlich von einer Sicherheitsgesellschaft sprechen kann«.73 Diese Steuerung einer Bevölkerung entwickelt Foucault historisch aus dem 18. Jahrhundert und führt den Begriff »Bio-Politik« ein: »Die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit allen ihren Variationsbedingungen wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrollen: Bio-Politik der Bevölkerung«.74 Im gleichen Zusammenhang macht Foucault auch vom Begriff »Bio-Macht« Gebrauch: Auf dem Felde der politischen Praktiken und der ökonomischen Beobachtungen stellen sich die Probleme der Geburtenrate, der Lebensdauer, der öffentlichen Gesundheit, der Wanderung und Siedlung; verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper und zur Kontrolle der Bevölkerungen schießen aus dem Boden und eröffnen die Ära einer ›Bio-Macht‹.75
Historisch intensivierten sich solche Praktiken im Zuge einer Politik der inneren, der nationalen wie auch der sozialen Sicherheit, wie sie die Regierungsprogramme seit Beginn des 20. Jahrhunderts prägte. Um Aufschlüsse über die Bevölkerung zu erlangen und staatliche Programme zu verwalten, setzten Behörden in den sechziger Jahren verstärkt auf elektronische Datenbanken und statistische Analysen, ein Vorgehen, das mit Gesetzen zum Datenschutz reguliert wurde. Reproduktivrechte entstanden vor dem Hintergrund von Programmen zur Geburtenkontrolle und eines ansteigenden Bevölkerungswachstums. Darüber hinaus überwachten Sicherheitsbehörden umfassend Bürger und legten dazu Datenbestände an mit dem Ziel, Unruhen und Gewalt in der Bevölkerung zu prognostizieren. Ein solcher Ausbau von Befugnissen geriet jedoch mit dem Prinzip in Konflikt, »nicht zu viel zu regieren«76: 73 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 26. 74 Ders., Sexualität und Wahrheit, S. 166, Hervorhebung im Original. 75 Ebd., S. 167. 76 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 29.
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Das Individuum sollte nicht bis in jedes Detail kontrolliert, Freiheit nicht im Keim erstickt werden. Entsprechend diagnostiziert Foucault für die siebziger Jahren eine »gegenwärtige Krise des Liberalismus«.77 Gouvernementale Vernunft sei auf Freiheit angewiesen, Regierungskunst vollziehe die Freiheit: »Das Prinzip der Rechnung ist selbstverständlich das, was man Sicherheit nennt«.78 Die vorliegende Studie untersucht, wie Zeitgenossen in einer Krise des Regierens Ansprüche auf privacy als Antwort auf Praktiken der Sicherheit stellten. Verschiedene Einflüsse prägten den Diskurs. Erstens entstanden Ansprüche auf privacy in Reaktion auf eine wachsende Bundesverwaltung und intensivierte Staatstätigkeit, die sich in einem Wandel von Staatlichkeit im Sinne von »Veränderungen von Regierungspraxis und politischem Denken«79 widerspiegeln. Staatlichkeit erschließt sich so aus bestimmten Praktiken: »Staat ist nichts anderes als der bewegliche Effekt eines Systems von Gouvernementalitäten«.80 Etwa die elektronische Verarbeitung von Personenakten oder Kreditdaten führte zu einem Anwachsen bürokratischer Macht über Individuen und wird mit einer Perspektive auf Techniken des Regierens betrachtet. Zweitens lösten technologische Innovationen Kontroversen um privacy aus, so dass Gesetzgebung und Rechtsprechung reagieren mussten. Dabei wäre etwa die Entwicklung des Computers zu nennen, diverse zur Spionage einsetzbare Werkzeuge wie Kameras oder Mikrofone, aber auch die Markteinführung von oralen Verhütungsmitteln. Allerdings wirkten technologische Innovationen nicht deterministisch, sie brachten individuelle Rechte nicht automatisch in Bedrängnis, sondern funktionierten im Kontext der jeweiligen politischen Programme und praktischen Anwendungen.81 Die Art und Weise, wie Daten über Personen verarbeitet werden, gehört aus heutiger Sicht in das »framework of contextual integrity«.82 Drittens wurden Ansprüche auf privacy häufig von Akteuren erhoben, die aus zivilgesellschaftlichen Organisationen stammten und das Recht in ihrem Sinne zu mobilisieren versuchten.83 Bürger riefen in ihrem eigenen Interesse juristische Normen auf und suchten über die Justiz einen direkten Zugang zu staatlicher Macht, um Entscheidungen zu erzwingen.84 Dabei spielte die American Civil Liberties Union (ACLU) eine besondere Rolle, da sie sowohl zu Datenschutz und Überwachung als auch zu Reproduktivmedizin Position bezog. Die Zeit von
77 Ebd., S. 105. 78 Ebd., S. 97 ff., Zitat S. 99. 79 Metzler, Am Ende aller Krisen?, S. 61. 80 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 115. 81 Regan, Legislating privacy, S. 11. 82 Nissenbaum, Privacy in context, S. 2. 83 McCann, Law and Social Movements, S. 21, 24. 84 Zemans, Legal Mobilization, S. 692 f.
Aufbau der Arbeit
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1965 bis 1974 stand unter der Ägide von »New Civil Liberties«, in der auch eine »Privacy Revolution« stattfand.85
6. Aufbau der Arbeit: Politisierung, Krise, Konsens Der erste Teil der vorliegenden Studie verortet das Konzept der Sicherheit historisch, wie es sich in einer Politik der sozialen, inneren und nationalen Sicherheit niederschlug, und theoretisch, wie es Foucault unter anderem als Steuerung der Bevölkerung auffasst. Ein Weg, um in sozialen Belangen steuernd auf die Bevölkerung einzuwirken, ergab sich bei der Verwaltung von Daten, als die Regierung in den dreißiger Jahren eine Sozialversicherungsnummer einführte oder später im Rahmen der Volkszählung zunehmend umfangreichere Fragebögen an die Einwohner richtete. Hieraus resultierten frühe Konflikte um privacy, in welchem Maße der Staat Informationen über Bürger sammeln dürfe. Ein weiteres Feld der Bevölkerungssteuerung bildete Geburtenkontrolle, wobei sich der Gesetzgeber im 19. Jahrhundert diesbezüglich mit Verboten hervortat, was etwa die Verbreitung von Mitteln zur Verhütung einer Schwangerschaft anging. Gesellschaftliche Interessensgruppen wie Planned Parenthood stellten solche Verbote auf den Prüfstand. In Fragen der nationalen und der inneren Sicherheit etablierte sich seit dem Ersten Weltkrieg eine Sicherheitspolitik, die es vor allem auf Anhänger des Kommunismus abgesehen hatte und in den fünfziger Jahren einen Höhepunkt erreichte. Gegen Ende der Dekade mehrten sich Stimmen, die diese Politik als einen Angriff auf privacy erachteten. Unter diesem Konzept verhandelten Politiker und Richter auch Abhörmaßnahmen mit technologischen Mitteln. Staatliche Kompetenzen beschnitt der Oberste Gerichtshof der USA, als er den Anspruch auf privacy einer Bürgerrechtsorganisation anerkannte, die sich geweigert hatte, staatlichen Behörden ihre Mitgliederliste auszuhändigen. Ein Streit um privacy im Sinne des Presserechts entstand, als ein Autor sich vom Entführungsfall einer Familie inspirieren ließ und Reporter schließlich das fiktionale Werk mit dem echten Fall in Verbindung brachten. Mit dem Konzept privacy argumentierten auch Anwälte gegen ein Verbot von Verhütungsmitteln, scheiterten aber zunächst mit ihrer Klage. Parallel zu dem Fall befanden sich neue Methoden zur Empfängnisverhütung in der Entwicklung, darunter die »Pille«, die die Familienplanung revolutionieren sollte. Solche medizinischen Technologien boten auch neue Wege in der Bevölkerungspolitik. Als bahnbrechend erwies sich auch die Entwicklung von Computern, mit denen Behörden und Unternehmen Daten automatisiert verarbeiten, Daten und Statistiken über die Bevölkerung zusammenstellen konnten. Konflikte um 85 Walker, In defense of American liberties, S. 299 f.
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Einleitung
privacy bahnten sich an, als Wissenschaftler Vorschläge für ein Federal Data Center an die Bundesverwaltung herantrugen.86 Mit Bezug auf bisher unberücksichtigtes Quellenmaterial zeichne ich nach, wie ein vom Social Science Research Council (SSRC) eingesetztes Komitee den Vorschlag erarbeitete. Es zeichnete sich somit bis Anfang der sechziger Jahre eine Krise des Regierens dergestalt ab, dass in den Augen von Kritikern die Kompetenzen von Behörden zu weit reichten und sie gleichzeitig über ein mächtiges technisches Instrumentarium verfügten. Der Ruf nach privacy war aber damals erst schwach zu vernehmen. Innerhalb von nur zwei Jahren wurde die verfassungsrechtliche Landschaft hinsichtlich verschiedener Aspekte von privacy also gründlich verändert. Mit Bezug auf privacy erklärten die Richter 1965 ein Gesetz im Bundesstaat Connecticut, das die Verbreitung von Verhütungsmitteln beschränkte, für verfassungswidrig.87 Unter anderem berücksichtige ich Akten der Organisation Planned Parenthood Federation of America (PPFA), deren regionale Tochterorganisation den Rechtsstreit führte. Im Jahr 1967 befasste sich der Oberste Gerichtshof mit dem konventionellen right to privacy in Hinblick auf mediale Berichterstattung und kassierte ein Urteil, das einem Entführungsopfer eine Entschädigung von einem Medienkonzern zusprach, weil dessen Reporter in einem Bericht Fiktion und Realität vermischt hatten. Des Weiteren forderten die Richter 1967 mit dem Verweis auf privacy eine gerichtliche Anordnung, wenn Ermittlungsbehörden abgehörte Telefonate als Beweismittel anführen wollten. Der Rechtsstreit um Verhütungsmittel hatte eine politische Dimension: Nach Warnungen von Demografen vor einem ungebremsten Wachstum der Bevölkerung entdeckte die Politik Geburtenkontrolle als ein Handlungsfeld im Kampf gegen die Armut. Die Regierung setzte ein Komitee ein, das Bevölkerungsfragen untersuchen sollte, und das für Soziales zuständige Ministerium koordinierte Programme, die Bürger bei der Familienplanung unterstützen sollten. Die Frage, wie weit staatliche Kompetenzen reichen sollten, war hoch umstritten. Gleichzeitig fand eine Debatte zu Risiken und Nebenwirkungen oraler Verhütungsmittel statt. Einen weiteren wichtigen Pfeiler der Sozial- und Wirtschaftspolitik bildete die Analyse von Daten. Hier stand erneut der Zensus in der Kritik, zu weit reichende Fragen zu stellen. Umgekehrt stand zur Diskussion, was Bürger über die Arbeit der Ministerien und Behörden wissen durften. Ein Gesetz zur Informationsfreiheit versuchte den Balanceakt, einen Zugang zu Akten und Dokumenten zu schaffen, ohne aber staatliche Interessen der Geheimhaltung zu verletzen oder Informationen zu veröffentlichen, die für individuelle Ansprüche auf privacy relevant waren. Aber auch die Praktiken von Unternehmen, die etwa Handel mit Berichten über die Kreditwürdigkeit von Personen betrieben, waren Gegenstand im Kongress. Eine breite Diskussion um Datenschutz ergab sich, als die 86 Regan, Legislating privacy, S. 71 f. 87 Vgl. Garrow, Liberty and sexuality, Kap. 4.
Aufbau der Arbeit
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Haushaltsbehörde Vorschläge von Wissenschaftlern aufgriff, um ein National Data Center zu etablieren. Während sich Beamte von einem Statistikzentrum Vorteile für die Planung politischer Programme versprachen, warnten Kritiker davor, dass das Vorhaben das Ende von privacy bedeuten würde. Die Politik der nationalen und inneren Sicherheit weitete sich aus. Daraus ergaben sich neue Probleme im Hinblick auf privacy. Neue Methoden der Ermittlungsbehörden, die beispielsweise Gespräche mit elektronischen Mitteln abhörten, ließen einen Regulierungsbedarf entstehen, dem man mit einem neuen Kriminalitätsgesetz begegnete. Außer den Strafverfolgungsbehörden griffen auch Mitarbeiter anderer Behörden wie beispielsweise Steuerfahnder auf klandestine Techniken zurück, was Kongressmitglieder auf die Tagesordnung setzten. Nicht zuletzt verfügten auch private Ermittler über das nötige Equipment, um Personen auszuspähen. Präsident Johnson wollte geheime Abhörmaßnahmen, sofern sie nicht die nationale Sicherheit betrafen, auf Bundesebene gänzlich verbannen und war damit einer Position zugeneigt, die sich letztlich nicht behaupten konnte. Sicherheitsbehörden sahen sich in den sechziger Jahren mit einer instabilen Lage im Land konfrontiert. Wachsender Unmut über die Politik äußerte sich in inländischen Protesten, die Johnsons Präsidentschaft belasteten und schließlich ein Faktor für sein Scheitern und seinen Rückzug aus der Politik bildeten. Die Ursachen dafür waren Widerstand gegen den Vietnamkrieg, radikale afro-amerikanische Bewegungen sowie Proteste der Studierenden an den Universitäten.88 In einigen Städten brachen gewaltsame Unruhen aus, die lokale Polizeikräfte in manchen Fällen nur mit Unterstützung der Nationalgarde oder der Armee unter Kontrolle bringen konnten. Gleichzeitig wuchsen die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden. So erweiterte der Staat seinen Tätigkeitsbereich nicht nur in der sozialen, sondern auch in der nationalen und inneren Sicherheit: »much of the blame that critics placed on the liberal state properly belonged to the national security state, which had grown alongside it«.89 Während die Bundespolizei ein Geheimprogramm, das Dissens zerstreuen sollte, fortsetzte, begann der Geheimdienst der Armee, flächendeckend Demonstrationen und Proteste zu überwachen. Die Anfänge einer Sicherheitsgesellschaft hinterließen somit ihre Spuren. Das Ziel, steuernd auf den Kapitalismus einzuwirken, die Ursachen von sozialen Problemen anzugehen und Widerstand gegen den Krieg zu bändigen, war verbunden mit neuen Regierungspraktiken. Die vorangegangene Debatte um ein National Data Center hatte Politiker wie Experten für die Themen Datenschutz und Privatsphäre sensibilisiert. So verabschiedete der Kongress im Jahr 1970 ein Gesetz, das die Verwaltung von Kreditreporten regulierte und Verfahren verlässlich und fair gestaltete, ohne 88 Bernstein, Guns or butter, S. 379. 89 Blum, Years of discord, S. 186.
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aber die Datenverarbeitung einzuschränken. Mittlerweile befassten sich Experten in mehreren Studien mit dem Problem, wie sich elektronische Datenbanken auf die Rechte der Personen auswirkten, deren Informationen verwaltet wurden. Auftraggeber waren der Senat, die Wissenschaftsakademie sowie ein Ministerium. Kontroversen um privacy und Intimität, die mit der Debatte um Verhütungsmittel begonnen hatten, setzten sich beim Thema Abtreibung fort. Den Sicherheitsapparat baute die Nixon-Regierung weiter aus und plante eine Zusammenarbeit verschiedener Dienste, die für das Inland, aber auch für das Ausland zuständig waren. Die Sicherheitspolitik geriet aber ins Kreuzfeuer der Kritik, als Anfang der siebziger eine Reihe von geheimdienstlichen Tätigkeiten an die Öffentlichkeit kam, die teilweise zurück bis in die Johnson-Regierung und weiter reichten. Zuerst berichteten Zeitungen über das Programm der Armee, deren Geheimdienste seit Ende der sechziger Jahre landesweit Dissidenten beobachteten und Ergebnisse in Datenbanken verwalteten. Daraufhin reichten Individuen und Gruppen, die sich vom Überwachungsprogramm der US-Armee in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlten, eine Sammelklage ein.90 Auch eine Verletzung von privacy führten die Kläger an. Hingegen erachtete die Armeeführung das Programm als legitim und notwendig, um ihre Mission im Landesinnern zu erfüllen. Auch ein Senatskomitee nahm sich der Sache an. Um den Konflikt zwischen Sicherheit und privacy herauszuarbeiten, werte ich unter anderem Dokumente der ACLU sowie einer task force des Assistant Chief of Staff for Intelligence (ACSI) der Armee aus. Ein Jahr später enthüllten Aktivisten das geheime Programm des Federal Bureau of Investigation (FBI), das Bürgerrechtsgruppen und Protestgruppen ganz überwiegend aus dem linken politischen Spektrum überwachen und zerschlagen sollte. Zu Fragen der Bevölkerungspolitik setzte die Regierung eine Kommission ein. Nixon, der nicht ohne parteipolitisches Kalkül eine zunehmend abtreibungskritische Haltung einnahm, distanzierte sich aber von dem Bericht, der Abtreibung als legitimen Teil der Familienplanung auffasste. Seit Anfang der siebziger Jahre setzte der Trend zu einer liberalen Abtreibungspolitik ein, die einzelne Bundesstaaten beschlossen. Unter anderem der Bundesstaat New York liberalisierte das Abtreibungsrecht. Damit einher ging das Engagement von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der PPFA und ihrer New Yorker Tochterorganisation, das ich anhand von Archivquellen nachzeichne. Das Thema hatte aber selbst innerhalb der Frauenbewegung ein hohes Konfliktpotenzial, wie der Streit innerhalb der National Organization for Women (NOW) zeigt. Fälle, in denen verschiedene Konflikte um privacy verhandelt wurden, erreichten schließlich erneut den Obersten Gerichtshof der USA. Die Richter legalisierten frühe Abtreibungen als einen Bereich von privacy, schränkten die 90 Vgl. Donner, The age of surveillance, Kap. 8.
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akustische Überwachung auch in die nationale Sicherheit betreffenden Fällen ein, sprachen aber den Parteien, die sich juristisch dagegen wehrten, von militärischen Geheimagenten beobachtet zu werden, eine Klagebefugnis ab. Konkrete Fälle, in denen Ermittler einzelne Personen überwachten, trafen in der Rechtsprechung auf höhere Akzeptanz als allgemeine Fälle von Massenüberwachung. Die Themen Datenschutz und Überwachung debattierten Kongress, Experten und Medien zwar rege, fällten aber keine einschneidenden Entscheidungen. Ein entscheidendes Moment, diesen Trend umzukehren, bildete die Watergate-Affäre, die das Unbehagen nährte, dass es um privacy der Bürger im Land nicht gut bestellt war. Einbrüche und illegale Abhörmaßnahmen waren, wie Reporter und Kongressabgeordnete aufdeckten, von höchster Stelle angeordnet und dieser Umstand sogleich vertuscht worden. Steuerunterlagen und andere Dokumente sollten offenbar gegen politische Gegner verwendet werden. Unter dem Eindruck der Affäre gelangte wieder Bewegung in die Gesetzgebung zum Datenschutz, als Nixon dazu ein Komitee einsetzte. Auch Streit um Abhörmaßnahmen kochte wieder hoch, insbesondere in Bezug auf solche Maßnahmen ohne vorherigen Gerichtsbeschluss, bei denen sich Behörden und Ministerien auf die nationale Sicherheit beriefen. Es erschien wie eine Ironie der Geschichte, dass Bandaufnahmen von Gesprächen im Weißen Haus, die Nixon selber angeordnet hatte und deren Herausgabe an Ermittler er vergeblich verweigerte, schließlich seine Position in der Watergate-Affäre erheblich schwächten. Während der Kongress ein Verfahren anstrengte, um Nixon des Amtes zu entheben, trat der Präsident zurück. Vizepräsident Gerald Ford, der Nixon im Amt folgte, stand vor einem politischen Scherbenhaufen. In den Ford-Jahren glätteten sich die Wogen langsam. Kongress und Regierung rangen um einen Konsens zu Themen, die mit privacy konnotiert waren. So arbeitete der Gesetzgeber daran, den Einsatz von elektronischen Mitteln zur Überwachung zu regulieren. Entwickler erzielten vor allem in der Computertechnologie große Fortschritte und begannen, einzelne Rechner zu vernetzen. Ein Reporter berichtete, Geheimdienste hätten über ein Netzwerk, den Prototyp des späteren Internets, Daten über Bürger untereinander ausgetauscht. Darüber hinaus tauchten in der Militärverwaltung alte Informationsbestände aus dem umstrittenen und inzwischen zurückgeschnittenen Überwachungsprogramm der Armee auf. Es erschien fraglich, wie Bürger die Kontrolle über Informationen erlangen sollten, wenn Behörden selbst den Überblick über Bestände verloren. Nicht weniger umstritten war das Thema Reproduktivrechte. Präsident Ford vertrat wie sein Vorgänger eine abtreibungskritische Position. Als eine wesentliche Folge aus Watergate verhandelten Politiker den Umgang mit Akten und Daten neu, wobei sie das Verhältnis von staatlichen Interessen an Geheimhaltung, öffentlichen Interessen an Transparenz und individuellen Interessen an privacy ausloteten. Gegen das Veto von Präsident Ford setzte der Kongress eine Reform der Informationsfreiheit durch, die den öffentlichen An-
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spruch stärkte und beispielsweise eine gerichtliche Revision hinter verschlossenen Türen zuließ, ob Dokumente zu Recht als geheim eingestuft waren. Allzu oft hatte die Regierung mit Verweis auf die nationale Sicherheit Dokumente zurückgehalten, die sie selbst belasteten, aber eigentlich keine Einstufung verdienten. Erst der Zugang zu Ermittlungsakten offenbarte es Anwälten und Reportern, welche Angriffe auf privacy stattgefunden hatten. Darüber hinaus wurden Regeln für die Verarbeitung von Daten mit Personenbezug auf den Weg gebracht. Bürger sollten einen gewissen Zugang zu Daten erhalten, wie es ein Datenschutzgesetz, der Privacy Act, vorsah, während Behörden ihre Datenbanken nicht im Geheimen betreiben sollten. Ausnahmen galten jedoch für Geheimdienste, und das Gesetz sparte den gesamten privaten Sektor aus. Einen Eindruck davon, wie unkontrolliert Dienste Informationen zusammentrugen, vermittelte ein Bericht über eine Operation der Central Intelligence Agency (CIA), die als Auslandsdienst auch Daten über US-amerikanische Staatsbürger gesammelt hatte. Die Regierung setzte eine Kommission ein, um die Vorwürfe zu untersuchen, und der Kongress begann, den gesamten Geheimdienstapparat einer Revision zu unterziehen. Schließlich brachte der Kongress ein Gesetz auf den Weg, unter welchen Umständen die Kommunikation von US-Bürgern mit mutmaßlichen ausländischen Agenten überwacht werden dürfe. Kompromisse aus den sechziger und siebziger Jahren zu Datenschutz, Reproduktivrechten und Überwachung waren in den folgenden Jahren häufig Angriffen ausgesetzt, erwiesen sich aber bis ins 21. Jahrhundert als stabil.
I. Privarität und Gouvernementalität von den Anfängen bis zu John F. Kennedy
Eine Person legt schützend ihre Hände über die Ohren, während um ihren Kopf herum – im Uhrzeigersinn – rauchende Fabrikschlote, ineinandergreifende Zahnräder, ein schwarzes Dreieck mit grimmig blickenden Augen sowie ein Telefonhörer zu sehen sind. Das Individuum sieht sich also einer Reihe von Umwelteinflüssen des modernen Lebens ausgesetzt, die seine Privatsphäre schmäleren. Die Zeichnung dieser Person illustrierte einen Artikel mit dem Titel »The Annihilation of Privacy«, den die Zeitschrift The Saturday Review im März 1956 druckte. Der Autor Ashley Montagu von der Rutgers University erachtete es als wichtig, dass Menschen einen Rückzugsort hätten, nicht aber in Isolation lebten, und analysierte eine Reihe von Angriffen auf dieses Refugium. Er nannte Lärm, wie ihn etwa Automobile verursachten durch Hupen, Anfahren oder Gangschalten. In Bezug auf das Konzept Privatsphäre bezog sich Montagu unter anderem auf das »right to be alone«.1 Dieses Recht »to be let alone« hatte zuerst Richter Thomas M. Cooley in einem Buch über das Deliktrecht formuliert, und es wurde von den Juristen Samuel Warren und Louis Brandeis 1890 prominent behandelt.2 Innerhalb dieser facettenreichen Aufzählung von Angriffen auf privacy kritisierte der Autor auch das FBI und das beim Repräsentantenhaus angesiedelte Committee on Un-American Activities, das Personenakten führte. Aber auch Krediteinträge oder Telefonbücher – »Black Books, Red Books, Who Knows What Books« – seien ein Problem, denn wenn persönliche Details veröffentlicht würden, könne dies der Reputation schaden. Teleobjektive, Aufnahmegeräte und halbdurchsichtige Spiegel könnten der Observation dienen.3 Ashley Montagu nutzte den Begriff der Privatsphäre, um damit eine Kritik an der Sicherheitspolitik der McCarthy-Ära zu transportieren, die gerade ihren Zenit überschritten hatte. Ebenfalls im Jahre 1956 analysierte der Soziologe Edward Shils in »The Torment of Secrecy« die »crudities and enormities of our security and loyalty policies«, die eng mit dem Namen von Senator Joseph McCarthy verbunden waren.4 Solche Kommentare stellten zu dieser Zeit noch eine Ausnahme dar, gaben aber einen Vorgeschmack auf folgende Debatten.
1 Montagu 31.3.1956, The Saturday Review, S. 10 f., Zitat S. 32. 2 Warren / Brandeis 1890, The Right to Privacy, S. 195. 3 Montagu 31.3.1956, The Saturday Review, S. 10 f., Zitat S. 10. 4 Shils 1956, The torment of secrecy, S. 10.
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Diese Studie untersucht das Verhältnis von Privatsphäre und Sicherheit. Doch der Begriff »Sicherheit« erweist sich als ebenso mehrdeutig wie der Begriff »Privatsphäre«. Sicherheit bezeichnet sowohl ein theoretisches Konstrukt nach Michel Foucault als auch ein politisches Leitbild, wie es die USA etwa seit den dreißiger Jahren prägte und sich in Gesetzen der sozialen sowie der nationalen und inneren Sicherheit manifestierte. Mit der Gesetzgebung zur sozialen Sicherheit, insbesondere dem Social Security Act, antwortete Präsident Franklin D. Roosevelt auf die wirtschaftliche Depression und knüpfte an die Tradition der Progressive Era an.5 Nach dem Zweiten Weltkrieg – auch als eine Lehre aus dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor – unterzeichnete Präsident Harry Truman den National Security Act, der die wichtigsten Verteidigungsinstitutionen im Bund schuf und gleichsam einen Sicherheitsstaat begründete.6 Ebenfalls im Kalten Krieg schrieb der Gesetzgeber im Internal Security Act, einem zentralen Gesetz der McCarthy-Ära, Kommunisten vor, sich bei der Regierung zu registrieren.7 Im Gegensatz zu dieser politisch-administrativen Verwendung nutzt Foucault den Begriff der Sicherheit, um Machtgefüge zu analysieren. Mit dem Begriff einer Sicherheitsgesellschaft verweist Foucault auf das Zusammenspiel von »political security« und »social security« innerhalb der Regierung.8 Unter Sicherheit versteht Foucault allgemein gesprochen einen Machtmechanismus, den er von herkömmlichen Mechanismen der Souveränität und Disziplin abgrenzt. Beispielsweise bestehe für Straftaten wie Diebstahl ein Gesetzeswerk, das in einem Akt der Souveränität eingesetzt wird und bestimmte Verbote beinhaltet. Mechanismen der Disziplin beinhalteten wiederum Überwachung, Gefängnisse und Korrekturmaßnahmen, um Delinquenten aufzuspüren, zu bestrafen und womöglich wieder auf einen besseren Weg zu führen. Sicherheitsmechanismen beruhten hingegen auf Statistiken oder Kostenrechnungen über Kriminalität, was Foucault außerdem an Berechnungen zum Nahrungsmangel und zu Epidemien weiter expliziert. Diese Mechanismen stellen keine historische Abfolge dar, sondern stehen in wechselseitiger Beziehung: »Es gibt kein Zeitalter des Rechtlichen, kein Zeitalter des Disziplinarischen, kein Zeitalter der Sicherheit«.9 Sicherheitsdispositive behandeln Wahrscheinlichkeiten, stellen eine Kostenrechnung auf, legen einen Toleranzbereich zwischen dem Verbotenen und Erlaubten fest und sind ferner darauf ausgerichtet, eine Bevölkerung zu lenken.10 Ausgehend von diesen Theorieansätzen analysiert diese 5 Achenbaum, Social security, S. 13. 6 Stuart, Creating the national security state, S. 1. 7 Schrecker, Many are the crimes, S. 141. 8 Gordon, Governmental Rationality, in: Burchell, Graham u. a. (Hg.), The Foucault effect, S. 35. 9 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 17–27, Zitat S. 22. 10 Gordon, Governmental Rationality, in: Burchell, Graham u. a. (Hg.), The Foucault effect, S. 20.
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Studie, wie sich Sicherheitsmechanismen Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend verdichteten. So ermöglichten es moderne Computer, Statistiken, Prognosen und Simulationen über die Bevölkerung zu erstellen, und die Politik richtete sich an Risiken und Indikatoren aus. Ferner eröffneten Erfindungen zur Verhütung neue Pfade in der Geburtenkontrolle. Aber auch disziplinarische Mechanismen wie Technologien zur Überwachung und Gesetze zur sozialen und nationalen Sicherheit entwickelten sich weiter. Konzeptionen von privacy stehen in unterschiedlichen Spannungsfeldern. Die klassische Dichotomie, wie sie aus der Antike überliefert ist, unterscheidet zwischen öffentlicher und privater Sphäre,11 wobei privacy gemeinhin einen Zustand von Ruhe und Abgeschiedenheit bezeichnet. Im 19. Jahrhundert entstand eine bürgerliche Öffentlichkeit in Abgrenzung zur bürgerlichen Privatheit,12 wobei privacy einen Anspruch, in Ruhe gelassen zu werden, postulierte. In der Sicherheitsgesellschaft rückten Konflikte um privacy, nunmehr als Anspruch auf Kontrolle verstanden, in eine andere Dichotomie zwischen Regierungspraktiken und ihrer Begrenzung in Privarität – meine eigene Wortschöpfung, die ich dem Begriff »Gouvernementalität« gegenüberstelle. Gouvernementalität beschreibt einen »conduct of conduct«, was sowohl die Lenkung des Verhaltens anderer als auch eine Selbststeuerung umfasst.13 Foucault führt den Begriff ausgehend von der Analyse der Machtmechanismen in »Sicherheit, Territorium, Bevölkerung« ein und verortet ihn historisch. Mit Gouvernementalität verweist Foucault, erstens, auf den institutionellen und analytischen Rahmen, der die Ausübung der zuvor beschriebenen Machtmechanismen ermöglicht, die sich auf die Bevölkerung richten, zweitens auf die historische Bewegung, die diese Apparate der Regierung vollzogen und dabei Formen des Wissens hervorgebracht haben, drittens auf die Entwicklung, wie sich der Staat »gouvernementalisiert« hat. Dabei zieht Foucault eine Linie vom »Staat der Gerichtsbarkeit« über den »Verwaltungsstaat« im 15. und 16. Jahrhundert bis hin zum »Regierungsstaat« und führt aus: dieser Regierungsstaat, der sich im Wesentlichen auf die Bevölkerung stützt und sich auf die Instrumente des ökonomischen Wissens beruft und sie gebraucht, entspräche einer durch die Sicherheitsdispositive kontrollierten Gesellschaft.14
Staat konzeptioniert Foucault über Regierungstaktiken, die das Private vom Öffentlichen und das Nicht-Staatliche vom Staatlichen trennen, und schreibt: »Also, wenn Sie so wollen, dürfen sich der Staat in seinem Überleben und der 11 Geuss, Public goods, private goods; Arendt, Vita activa, S. 31–38. 12 Nolte, Öffentlichkeit und Privatheit, 501 f.; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 107–16. 13 Dean, Governmentality, S. 250 f., Zitat S. 250. 14 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 162 ff., Zitat S. 164 f.
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Staat in seinen Grenzen nur von den allgemeinen Taktiken der Gouvernementalität her verstehen«.15 Mit dem Begriff »Privarität« beschreibe ich theoretisch, welche Begrenzungen Regierungstaktiken staatlichem Handeln auferlegen. Es ist also die Kunst der Regierung, sich selbst zu begrenzen. Die Grenzen des Staates waren seit jeher umstritten. Foucaults Geschichte der Gouvernementalität begleitet eine »Geschichte der Gegenbewegungen«, die durch die bürgerliche Gesellschaft, Revolutionen in der Bevölkerung oder die Idee der Nation zum Ausdruck kamen.16 Nicht zuletzt wegen solcher Gegenbewegungen entwickelten sich mit der modernen Gouvernementalität im 18. Jahrhundert moderne Rechtsansprüche gegenüber dem Staat. Es kann zwischen einer kontinentaleuropäischen und einer angloamerikanischen Tradition, Regierungshandeln zu begrenzen, unterschieden werden. Nach dem Umsturz von 1689 beschloss das englische Parlament die Declaration of Rights, die allerdings keinen universalen Anspruch verfolgte. Universellen Charakter trug hingegen die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1789 in Frankreich. Die Vereinigten Staaten ratifizierten 1791 die Bill of Rights, die Rechte noch weitreichender vor gesetzlichen Einschnitten schützte als die französische Erklärung.17 In »Die Geburt der Biopolitik« erläutert Foucault zwei unterschiedliche Wege zu Rechten, den »revolutionären Weg« der Menschenrechte und den »radikalen Weg« der Nützlichkeit, die von der Regierung ausgehen soll, wobei eine »Forderung der Unabhängigkeit der Regierten gegenüber der Gouvernementalität« bestehe.18 In dieser »Sphäre der Unabhängigkeit der Regierten«, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, die Regierung zu begrenzen,19 liegt eine weitere theoretische Nische für den Ansatz, privacy über Regierungspraktiken innerhalb der Dichotomie Gouvernementalität und Privarität zu analysieren. Aus dieser Perspektive erschließen sich auch transatlantische Konflikte zwischen dem kontinentaleuropäischen und dem US-amerikanischen Verständnis von Privatsphäre. Während Kontinentaleuropa Privatsphäre von Menschenrechten ausgehend als Teil der Würde einer Person begründet, verstehen die USA Privatsphäre als Freiheit vor Eingriffen: »America, in this as in so many things, is much more oriented towards values of liberty, and especially liberty against the state«.20 In den folgenden Kapiteln schildere ich, wie sich die Konzepte der sozialen und nationalen Sicherheit in der US-amerikanischen Politik entwickelten, wie neben konventionelle Ansprüche auf privacy neuartige, politische 15 Ebd., 164. 16 Ebd., S. 512. 17 Neier, The international human rights movement, S. 31 f. 18 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 68 f. 19 Ebd., S. 71. 20 Whitman, The Two Western Cultures of Privacy, S. 1161.
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Ansprüche traten und welche neuartigen Sicherheitstechnologien, allen voran der Computer und die Pille, diese Entwicklung begleiteten. Der Teil schließt mit einem Ausblick auf eine Krise des Liberalismus, in der sich das Verhältnis zwischen Gouvernementalität und Privarität verschob.
1. Die USA verfolgen eine Politik der sozialen Sicherheit
Abb. 1: Die Sozialversicherung der New-Deal-Politik benötigte einen bürokratischen Apparat. Das Bild (ca. 1933–1939) zeigt die Verwaltung von Akten der Altersversicherung. Courtesy Franklin D. Roosevelt Presidential Library & Museum (53227(1740)).
Eine Politik der sozialen Sicherheit reagierte auf soziale Spannungen infolge einer wirtschaftlichen Flaute, die erhebliche Unsicherheiten mit sich brachte, in der traditionelle Formen der Absicherung der arbeitenden Bevölkerung gegen den Verlust des Arbeitsplatzes, Altersarmut oder Krankheit versagten. So stieg in der Great Depression der dreißiger Jahre die Arbeitslosigkeit auf 25 Prozent, Ersparnisse dezimierten sich, als etliche Banken in den Jahren nach dem Börsencrash von 1929 bankrottgingen, und Firmen, die in eine finanzielle Schieflage gerieten, verwarfen ihre Pensionspläne.1 Der Bund baute unter dem Leitbild New Deal weitreichende Sozialprogramme und damit einhergehend einen großen bürokratischen Apparat zur Verwaltung dieser Programme auf. Augenscheinliches Merkmal war eine neunstellige Ziffernfolge, um Bürgern ihre 1 Achenbaum, Social security, S. 16 f.
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Konten der Sozialversicherung zuzuweisen. Dieses Vorgehen war umstritten und rief Kritik an einem überbordenden Zentralstaat hervor, der die Autonomie der einzelnen Person einschränkte. Die Sozialpolitik wie auch die Wirtschaftspolitik griffen auf Daten und Statistiken zurück. Der Fragebogen der zehnjährlichen Volkszählung, des Zensus, wurde kontinuierlich erweitert. Auch dies provozierte Kritik einiger Politiker und Bürger, dass die Fülle an erhobenen Fakten die Privatsphäre der Bürger beeinträchtigte. In der Gesundheitspolitik förderte der Bund Programme zur Empfängnisverhütung im direkten Anschluss an eine Geburt. Parallel dazu attackierten zivilgesellschaftliche Organisationen die rechtlichen Einschränkungen, die diesbezüglich in einigen Bundesstaaten bestanden.
1.1 Die Sozialgesetzgebung bringt eine Identifikationsnummer hervor: »Serial numbers stenciled on their chests« Die Politik stand vor der Herausforderung, solche sozialen Zerwürfnisse abzufedern, die sie nicht der Verantwortung der einzelnen Person zuschrieb. Präsident Franklin D. Roosevelt erklärte im Juni 1934 vor dem Kongress, dass es die verfassungsgemäße Aufgabe der Regierung sei, soziale Absicherung zu gewährleisten: »it is our plain duty to provide for that security upon which welfare depends«. Staaten sollten demnach mit dem Bund kooperieren, um die US-Amerikaner zumindest in drei Belangen zu unterstützen: »the security of the home, the security of livelihood, and the security of social insurance«.2 Die soziale Frage geriet zu einem Teil der Politik eines New Deal, ihre Beantwortung erwies sich jedoch als kontrovers. Das ministerielle Committee on Social Security suchte nach einem Weg, der zwischen Unterstützung der Armen und dem Prinzip der Versicherung verlief, ohne aber den Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung zu importieren, sondern Kräfte des Marktes zu berücksichtigen und auf die Eigenverantwortung der Bürger zu setzen. Im Jahr 1935 unterzeichnete Präsident Roosevelt den Social Security Act, der allen voran die Lage alter Menschen, aber auch anderer vulnerabler Gruppen, wie Arbeitslose, Blinde oder notleidende Kinder, verbessern sollte.3 In der Sozialgesetzgebung kamen unterschiedliche gouvernementale Techniken zum Tragen, von solidarischer Wohlfahrt, die ihre Ursprünge in der christlich-pastoralen Sorge hatte,4 bis hin zu Sicherheitsdispositiven einer Versicherung der Bürger gegen soziale Risiken,5 die marktgängig gestaltet werden und die Leistung der einzelnen Person berücksichtigen sollte.
2 Zitiert nach: ebd., S. 19. 3 Ebd., S. 22 ff. 4 Dean, Governmentality, S. 99 ff. 5 Vgl. Ewald, Insurance and Risk.
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Die Sozialgesetzgebung beförderte also gouvernementale Techniken einer Sicherheitsgesellschaft, um die Bevölkerung gegen Risiken zu versichern. Konsequenzen für die Privarität folgten daraus, dass Verwaltungsaufgaben anfielen und Datensammlungen entstanden. Bürger, die einen Sozialversicherungsausweis beantragten, richteten damit eine Art Versicherungskonto bei der Regierung ein.6 Dieses Verfahren konnte aber nur mit einer genauen Zuordnung eines Arbeiters oder einer Angestellten zu ihren Konten funktionieren, so dass der Bund erwerbstätige Personen mit einer neunstelligen Social Security number (SSN) registrierte. Unter anderem aus diesem Grund regte sich Kritik am Social Security Act. So initiierte die Partei der Republikaner im Wahljahr 1936 eine Kampagne gegen die Sozialpolitik, in der sie unter anderem den Sozialversicherungsausweis als Hundemarke diskreditierte und davor warnte, dass Behörden eine Reihe persönlicher Informationen erheben wollten. Diese Strategie scheiterte jedoch, da die Sozialversicherung breite Akzeptanz genoss.7 Zudem wehrten sich afroamerikanische Organisationen wie die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) gegen die Erhebung ethnischer Merkmale, und Gewerkschaften fürchteten Repressionen durch die Arbeitgeber, wenn diese auf Versicherungsdaten der Arbeitnehmer zugreifen könnten. Per Anordnung erklärte die zuständige Behörde, das Social Security Board, im Juni 1937 Versicherungsdaten für vertraulich.8 In der Praxis behandelten viele Bürger die Sozialversicherungsnummer als wertvollen Identitätsnachweis, ließen sie auf Ringe gravieren oder sogar auf die Haut stechen, wie ein Tätowierer im Radio berichtete, wonach sich Kunden meldeten »who want to have their serial numbers stenciled on their chests«.9 Der Begriff privacy tauchte in den zeitgenössischen Diskussionen nur vereinzelt auf. So glaubte ein Bankdirektor, den die New York Times im Juli 1936 zitierte, die Politik der sozialen Sicherheit könne dazu führen, dass der Bund jede erwerbstätige Person überwache. Die Bürger seien aber Werte von »privacy and freedom of movement« gewohnt.10 Von einer Debatte über Privatsphäre konnte noch keine Rede sein. Erst später, ab den sechziger Jahren, wurde die SSN in Hinblick auf privacy virulent, da die Nummer als universelle Identifizierung dienen konnte, um mit Hilfe von Computern automatisch Datensätze über einzelne Personen zusammenzufassen. In den dreißiger Jahren etablierten sich mit der Sozialgesetzgebung sowohl gouvernementale Sicherheitsmechanismen als auch Regeln, inwieweit die Regierung Bürger erfassen durfte, was eine veränderte Privarität bedeutete.
6 Achenbaum, Social security, S. 28. 7 Lane, American privacy, S. 109 f. 8 Igo, The known citizen, S. 72–75. 9 Zitiert nach: ebd., S. 96. 10 Zitiert nach: ebd., S. 65.
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1.2 Sozioökonomische Erhebungen des Zensus: »How lush grows the federal jungle« Die Erfassung der Bürger war eng verbunden mit Sicherheitsdispositiven, die auf einem Wissen über statistische Zusammenhänge innerhalb der Bevölkerung basierten. Statistiken, so argumentiert Foucault, beschrieben im Zeitalter des Absolutismus ein bestimmtes Wissen über den Staat, dessen Regierungskunst noch blockiert gewesen sei. Später diente Statistik dazu, Vorgänge in der Bevölkerung zu beschreiben, und unterstützte eine Regierung, die sich ab dem 18. Jahrhundert an wissenschaftlichen und ökonomischen Kriterien ausrichtete: »dieselbe Statistik wird zum technischen Hauptfaktor für die Aufhebung jener Blockade [der Regierungskunst]«.11 Diese neue Regierungskunst oder Gouvernementalität hatte Folgen für die Privarität. Eine der zentralen statistischen Erhebungen der USA bildete der zehnjährlich stattfindende Zensus, eine Volkszählung, über deren Reichweite häufig gestritten wurde. Der Zensus, wie ihn die Gründungsväter in der Verfassung festgeschrieben hatten, war auf grundlegende Funktionen der Verwaltung insbesondere der Parlamentswahlen ausgerichtet, diente also in der Terminologie Foucaults der Souveränität, in diesem Falle der Volkssouveränität. Der erste Zensus im Jahre 1790 verlief ohne größere Zwischenfälle, obwohl sich ein Volkszähler über Hundebisse und auf ihn gerichtete Schüsse beschwerte. Außerdem verweigerten einige Personen die Antwort auf Fragen, da eine biblisch überlieferte Befragung des Volkes eine Epidemie nach sich gezogen habe. Anfang des 19. Jahrhunderts ging der Kongress dazu über, auch ökonomische Daten etwa zu Beruf und Einkommen zu erheben, und ab 1830 arbeiteten die Staatsdiener mit standardisierten Fragebögen.12 Parlamentarier wie auch Unternehmen zeigten ein steigendes Interesse an sozioökonomischen Daten, wobei der Zensus aber unzureichende Statistiken lieferte. Nach mangelhaften und ungenauen Ergebnissen im Zensus von 1840 führte der Kongress eine eigene Behörde ein, das Census Board. Nach dem folgenden Zensus von 1850, der erstmals Individuen und nicht bloß Haushaltsvorstände erfasste, hängten die Volkszähler Ergebnisse nicht mehr öffentlich aus. Der zuständige Innenminister äußerte Vorbehalte, dass Volkszähler vereinzelt Fragebögen unzulässig preisgegeben oder zu eigennützigen Zwecken verwendet hätten.13 Der Zensus erfasste in diesem Jahr erstmals weitreichende Informationen zu Bildung und Gewerbe der Einwohner, denn der Kongress wünschte: »a full view of the pursuits, industry, education, and resources of the country«.14 Im Jahr 1880 befragten die Volkszähler die Einwohner außerdem nach ihrer 11 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 156. 12 Lane, American privacy, S. 39 f. 13 Ebd., S. 40 f. 14 Zitiert nach: Cappello, None of your damn business, S. 184.
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Gesundheit, so dass der Fragenkatalog auf einen bis dato unerreichten Umfang anwuchs. Gleichzeitig stellte es der Kongress unter Strafe, dem Zensus Antworten zu verweigern, was mit 100 Dollar geahndet wurde.15 Mit Privatsphäre argumentierten republikanische Senatoren gegen den Zensus von 1940, wobei ihre Kritik auch auf die Sozialpolitik der Roosevelt-Regierung abzielte. Senator Charles William Tobey, Republikaner aus New Hampshire, störten insbesondere Fragen zum Einkommen der Bürger, und er erklärte in einer landesweiten Radioansprache, Zensusfragen verletzten das »right of privacy as guaranteed under the Constitution«.16 Letztlich scheiterte Senator Tobey aber mit seiner Kampagne, Fragen aus dem Zensus zu eliminieren. Auch ein Zensusboykott durch Hausfrauen, wie ihn drei prominente Frauen im Senat vorhergesagt hatten, blieb aus.17 Zwei Jahrzehnte später beschäftigte die Frage, ob der Zensus in die Privatsphäre eingreife, auch die Gerichte. Im Jahr 1960 wurde ein Bürger verurteilt, der die Beantwortung eines Zusatzfragebogens verweigerte, da er sich in seiner Privatsphäre verletzt sah. So entstand ein Rechtsstreit, welche Daten Behörden über die Bürger erheben und wie sie diese verwalten durften. »How lush grows the federal jungle! The tentacles of its creepers pierce the walls of all the homes in the land«, schrieb William R ickenbacker, ein Investmentberater, im Mai 1960 in einem Artikel als Redakteur für National Review mit dem Titel »The Fourth House«, nachdem er Fragebögen des Zensus erhalten hatte. Rickenbacker führte aus, dass die detaillierten Fragen, die von der Anzahl der Zimmer über das Vorhandensein einer Waschmaschine bis hin zum Marktwert des Hauses und der Höhe der Nebenkosten reichten, zu weit gingen.18 Er boykottierte einen Teil des Fragebogens und ließ es auf einen Rechtsstreit ankommen. Während Rickenbacker den Standardbogen ausfüllte, verweigerte er Antworten im Zusatzbogen zum Haushalt, der an jeden vierten Teilnehmer ging. Dabei argumentierte Rickenbacker vor der Jury mit einer »unnecessary invasion of my privacy«. Das Bundesbezirksgericht in New York verurteilte Rickenbacker schließlich zu einer Strafe. Dieses Urteil bestätigte das Bundesberufungsgericht für den zweiten Gerichtsbezirk.19 Rickenbacker wandte sich daraufhin mit einer Petition an den Obersten Gerichtshof der USA. Unter anderem sah sich Rickenbacker in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt, weil die Justiz seinen Fall wegen seiner öffentlichen Kritik am Zensus im Artikel des National Review ausgewählt habe.20 Der Fall erregte auch 15 Lane, American privacy, S. 42. 16 Zitiert nach: ebd., S. 115 f. 17 Ebd., S. 116 f. 18 Rickenbacker 21.5.1960, National Review, S. 325; vgl. Packard, The naked society, S. 269; vgl. Brenton, The Privacy Invaders, S. 12. 19 United States v. Rickenbacker, 309 F.2d 462, October 29, 1962, Zitat S. 463. 20 William Rickenbacker, Petitioner, v. United States, 371 U. S. 962 (1963), Petition, November 28, 1962, (Gale Document Number: DW3901809905), S. 2 ff.; vgl. Neuroth, Origins of a human right to privacy.
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die Aufmerksamkeit von Anwälten für Freiheitsrechte der American Civil Liberties Union (ACLU), die Rickenbacker offenbar rechtlichen Beistand angeboten hatte.21 Die Gegenseite argumentierte unter anderem, dass kein Eindringen in das Haus des Klägers stattgefunden habe und dass der Bund berechtigt sei, Informationen und statistische Daten für »governmental functions and purposes« zu erheben.22 Während Rickenbacker für sich beanspruchte, staatlichen Behörden zum Schutz seiner Privatsphäre bestimmte Informationen zur Person und zum Hausstand vorzuenthalten, verortete der Staat das Erheben von Statistiken in seinem Machtbereich. Die Petition scheiterte, da der Oberste Gerichtshof den Fall nicht zur Verhandlung annahm. Erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nahm das Thema Volkszählung und Privatsphäre nochmal an Fahrt auf.
1.3 Der Staat interveniert in die Familienplanung: »Leading Connecticut Criminals« Sicherheitspolitik berührte auch Geburtenkontrolle und Familienplanung. Im Sinne Foucaults betrafen diese Sicherheitsdispositive Geburtenrate und Bevölkerungsentwicklung. Eine bundespolitische Förderung von Programmen zur Familienplanung diskutierten die USA zuerst, in den fünfziger Jahren, im Rahmen der internationalen Entwicklungshilfe und später, in den sechziger Jahren, auch im Rahmen der Sozialpolitik. Das war ein Novum. Bis dahin dominierten staatliche Verbote gegenüber Förderung. Seit dem 19. Jahrhundert erließ der Gesetzgeber in den USA Vorschriften, die in den Lebensbereich der Reproduktion eingriffen, verhängte Verbote und verankerte Moralvorstellungen über Sexualität in Paragrafen. Mit dem Comstock Act, benannt nach dem Sittenwächter Anthony Comstock, verabschiedete der Kongress im Jahr 1873 ein Gesetz, das den Handel und Vertrieb von obszöner Literatur und Mitteln, die zur Verhütung einer Schwangerschaft dienen konnten, untersagte. Über vierzig Bundesstaaten folgten dem Aufruf, ähnliche Gesetze einzurichten.23 Der Bundesstaat Connecticut verabschiedete im Jahre 1879 ein entsprechendes Gesetz, das den Gebrauch von Mitteln zur Verhütung unter Strafe stellte. Eine Interpretation wäre, dass in einem solchen Verbot eine epochale Repression der Sexualität gipfelte, ein Höhepunkt des Viktorianischen Zeitalters, auf dem der Puritanismus – in einer Formulierung von Foucault – »seine dreifache Verfügung von Untersagung, Nicht-Existenz und Schweigen 21 William F. Rickenbacker to Stephen C. Vladeck, mit Nummer ausgewiesene Schriften via Gale 2006, The Making of Modern Law; September 29, 1967, Folder 8, Box 719, ACLU Records, MC001-02-03, PUL, S. 1. 22 William Rickenbacker, Petitioner, v. United States, 371 U. S. 962 (1963), Brief in opposition (on petition), December 27, 1962, (Gale Document Number: DW3904231245), S. 10. 23 Bailey, Momma’s Got the Pill, S. 104.
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durchgesetzt [hatte]«.24 Foucault verwirft diese Hypothese aber in »Der Wille zum Wissen« und schreibt, »es hat wahrscheinlich kein Zeitalter der sexuellen Restriktion gegeben«.25 Bemerkenswert erscheint zunächst, dass der Gesetzgeber überhaupt auf dem Gebiet der Familienplanung intervenierte und wie sich der Diskurs strukturierte. Tatsächlich waren Kondome käuflich zu erwerben, um sich gegen Geschlechtskrankheiten zu schützen, nicht aber zur Empfängnisverhütung.26 Zugespitzt ausgedrückt, durften Männer mit Prostituierten zum Vergnügen beischlafen, mit der eigenen Ehefrau aber nur zur Fortpflanzung. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts äußerte eine Aktivistin, dass der gesetzlich eingeschränkte Zugang zur Verhütung von Schwangerschaften Frauen in ihre »traditional roles of wives and mothers«27 dränge. Eine weitere Interpretation wäre, dass das Gesetz auf Sitten und Gebräuche innerhalb der Familien abzielte. Diese erachtet Foucault als Schlüssel für gouvernementale Techniken der Sicherheit: »sobald man bei der Bevölkerung hinsichtlich des Sexualverhaltens, hinsichtlich der Demographie, der Kinderzahl, hinsichtlich der Konsumtion etwas erreichen will, [muß] man sich an die Familie wenden«.28 Das Verhütungsmittelverbot ließe sich als Ausdruck dessen betrachten, was Foucault als »Bio-Politik der Bevölkerung« bezeichnet, die versucht, einen Einfluss auf die Fortpflanzung oder die Geburtenrate zu nehmen.29 Dabei weist Foucault dem Sex eine Scharnierfunktion zwischen einer Disziplinierung des Körpers und einer Steuerung der Bevölkerung zu, indem Reproduktion gefördert oder eingeschränkt wird.30 Historisch fielen die Sittengesetze und Moralvorstellungen in das Gilded Age, die goldenen Wirtschaftsjahre zum Ende des 19. Jahrhunderts, als ein »nativist movement« eine Dominanz europäischer Immigranten fürchtete, die größere Familien gründeten als die ortsansässigen gehobenen Schichten.31 Die neue Gouvernementalität rief Gegenbewegungen hervor, die sich für einen individuellen Zugang zu Verhütungsmethoden aussprachen und in besonderem Maße von Frauen initiiert wurden. Aktivistin Margaret Sanger, die wegen der Comstock-Gesetze mit der Justiz in Konflikt geraten war, rief Arbeiterinnen in einer Schrift dazu auf, zu verhüten, anstatt den Markt mit billigen Arbeitskräften zu versorgen: »refusing to populate the earth with slaves«.32 Dies war ein bevölkerungspolitisches Argument, das Fortpflanzung in den Kontext der kapitalistischen Industrialisierung stellte. Die 24 Foucault, Sexualität und Wahrheit, S. 13. 25 Ebd., S. 147. 26 Griswold v. State of Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), June 7, 1965, Nr. 46. 27 Zitiert nach: Cappello, None of your damn business, S. 223. 28 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 157. 29 Ders., Sexualität und Wahrheit, S. 166. 30 Ebd., S. 173 f. 31 Cappello, None of your damn business, S. 220. 32 Zitiert nach: ebd., S. 224.
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Frauenbewegung formierte sich zu einflussreichen Organisationen. So gründete Sanger in den zwanziger Jahren die Birth Control League of America, die sich der Geburtenkontrolle und Familienplanung verschrieb und im Februar 1942 in Planned Parenthood Federation of America (PPFA) umbenannte.33 Aufwind erhielten diese Gegenbewegungen, als zur Mitte des 20. Jahrhunderts der Bund nach und nach eine proaktive Rolle in der Geburtenkontrolle einnahm. Rechtsstreitigkeiten um das Verhütungsmittelverbot erfolgten häufig dann, wenn neue bundespolitische Programme zur Familienplanung aufgelegt wurden. Eine medizinische Debatte über Verhütung setzte in den dreißiger Jahren ein, als der Bund soziale Sicherheit auch im Bereich der öffentlichen Gesundheit ausbaute, und staatliche Gesundheitsdienste übernahmen das Thema – teilweise mit Bundesmitteln finanziert – in ihr Angebot. Kurz darauf verhandelte der Oberste Gerichtshof der USA, ob das Verbot in Connecticut verfassungsgemäß sei. Die American Medical Association hatte im Juni 1937 eine Empfehlung ausgesprochen, Ärzten eine rechtliche Grundlage für die Verordnung von Verhütungsmittel zu verschaffen. Diese Empfehlung unterstützten 13 medizinische Fachgesellschaften auf einzelstaatlicher Ebene, woraufhin sieben Bundestaaten Verhütung als Teil des Gesundheitsdienstes etablierten. Ein Memorandum der Federal Security Agency behandelte im Jahr 1942 »[the] use of Federal funds for state planned parenthood programs«. Demnach fasste der Public Health Service ein »child-spacing program«, das sich wohl auf die Zeitspanne zwischen einer Geburt und der nächsten Schwangerschaft bezog, als gleichrangig mit anderen Gesundheitsprogrammen auf.34 Damit war der Weg geebnet für eine begrenzte Finanzierung von Familienplanung aus Bundesmitteln. In diese Zeit fielen Rechtsstreitigkeiten, wie der Fall State v. Nelson, in dem der Oberste Gerichtshof von Connecticut eine 1938 gegründete Wochenklinik der Connecticut Birth Control League im Jahr 1940 zur Aufgabe zwang. Bis vor den Obersten Gerichtshof der USA gelangte der Fall Tileston v. Ullman von 1943, mit dem das Verhütungsmittelverbot zur Disposition stand. In dem Rechtsstreit hatte der Arzt Wilder Tileston dagegen geklagt, dass er verheirateten Patientinnen, für die eine Schwangerschaft lebensbedrohlich wäre, keine Verhütungsmittel verschreiben durfte. Allerdings sprachen ihm die Richter eine Klagebefugnis ab.35 In dem Fall hatte ihn der Rechtsbeistand von Planned Parenthood unterstützt. Aus Sicht der Organisation ging es um mehr als die Rechte eines Arztes, nämlich um gesundheitspolitische Reformen, denen das Verhütungsmittelverbot im Weg stand.
33 Engelman, A history of the birth control movement in America, S. xviii. 34 PPFA, Facts on the medical status of contraception, M-75, [these facts are important: know them, Mary S. Calderone], December 1959, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 ff., Zitat S. 1. 35 Williams, The paths to Griswold, S. 2161.
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Während einige Bundesstaaten restriktive Gesetze hinsichtlich der Familienplanung aufrechterhielten, nahmen andere Verhütung in ihre Gesundheitsdienste mit auf. Der Bund näherte sich in langsamen Schritten einer interventionistischen Politik, die auf Förderung statt auf Verbote setzte. Ein Wendepunkt zeichnete sich zunächst in der Außenpolitik ab: Unter der Eisenhower-Regierung untersuchte ein Komitee das U. S. Military Assistance Program und sorgte im Bericht von General William Draper im Jahr 1959 mit dem Vorschlag für Aufsehen, dass sich die Vereinigten Staaten international für die Förderung von Geburtenkontrolle engagieren und dass Beratungen zur Familienplanung im Rahmen von Hilfsprogrammen angeboten werden sollten.36 Präsident Dwight D. Eisenhower positionierte sich gegen eine solche Intervention des Staates. Innerhalb der Demokratischen Partei gab es unterschiedliche Positionen, jedoch lehnte Eisenhowers Nachfolger Präsident John F. Kennedy ebenfalls eine zentralstaatliche Förderung der Familienplanung ab. Spannungen in der Bevölkerungspolitik bauten sich auch zwischen Kirche und Staat auf. So hatten katholische Bischöfe den Draper-Bericht zu Überbevölkerung und Geburtenkontrolle zurückgewiesen, während ihn liberale Protestanten und Planned Parenthood begrüßten.37 Im Streit um das Verbot von Verhütungsmitteln in Connecticut standen sich offizielle Kirchenvertreter und zivilgesellschaftliche Akteure gegenüber. Beispielsweise engagierten sich Kirchenvertreter, um eine Lockerung des Verhütungsmittelverbots im Parlament von Connecticut zu verhindern, wo unter anderem ein Vertreter der Diözese Hartford vor Abgeordneten sprach. Dass die debattierte Gesetzesinitiative scheiterte, wertete die Planned Parenthood League of Connecticut (PPLC) als Zeichen für eine fehlende Trennung von Staat und Kirche in Connecticut.38 So unterstützte sie auch den Draper-Bericht, während Monsignore DeBlanc von der katholischen Kirche ihm widersprach. »Let us speak up!«, forderte ein Rundschreiben die 4.000 Mitglieder der PPLC auf.39 Der Konflikt um Verhütung und Geburtenkontrolle wurde in einer Gemengelage zwischen staatlichen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Gruppen wie auch kirchlichen Würdenträgern ausgetragen. In der Kampagne für ein medizinisches Überweisungszentrum wurde deutlich, dass die nationale Organisation über einen geringen Handlungsspielraum verfügte, um sich in den Bundesstaaten in gesetzgeberische Kontroversen einzubringen. Im Jahre 1956 eröffnete PPLC ein Zentrum in Norwalk, von dem aus Patientinnen nach Port Chester im benachbarten Bundesstaat New York über 36 Critchlow, Intended consequences, S. 41 ff. 37 Ebd., S. 42 ff., 52 f. 38 Officers and Board [PPLC] to Friends, July 15, 1959, Folder [26] ›CT BC Situation Legal, Corresp. from Jul 1, 1959‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 39 Mrs. Richard W. Griswold to William Vogt, with attachment, Call to action, September 21, 1959, Folder [26] ›CT BC Situation Legal, Corresp. from Jul 1, 1959‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 f., Zitat S. a1.
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wiesen werden konnten, um das Verbot von Verhütungsmitteln in Connecticut zu umgehen.40 Die Hälfte der Finanzierung organisierte die PPFA über eine anonyme Spende der Sunnen Foundation. Dem Spender aus der Verhütungsmittelbranche ging es insbesondere um die Bekanntmachung des Projekts. Winfield Best, Director of Public Relations, ließ PPFA-Direktor William Vogt wissen, dass die PPLC das Geld zwar unabhängig von Öffentlichkeitsarbeit bekomme, wies aber zugleich auf die Chance hin, landesweit auf das Projekt aufmerksam zu machen.41 Estelle Griswold, Direktorin der PPLC, hielt in einem Fortschrittsbericht eine landesweite Berichterstattung zu diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich.42 Die geplante Kampagne für »Connecticut Pioneering« sollte öffentlichen Druck auf den Gesetzgeber ausüben, wozu einzelne »publicity packages« geplant waren. Unter anderem sollten sich Bürger, die Verhütungsmittel benutzten, auf Fotos als »Leading Connecticut Criminals« präsentieren.43 Der Entwurf aus dem Jahr 1956 mit den Initialen WB stammte wohl von Winfield Best. Er war sich wegen des Engagements der nationalen Organisation in lokalen Projekten aber unsicher und bemerkte im Februar 1956: »I’m not at all sure the local objectives and national possibilities here do not conflict«.44 Daher holte Best auf Anraten von PPFA-Direktor Vogt rechtlichen Rat bei Harriet Pilpel von der Kanzlei Greenbaum Wolff & Ernst (GW&E), dem Rechtsbeistand der PPFA, ein, wobei es um die Frage ging, ob der »tax exempt status« gefährdet sei, wenn die PPFA Patientinnen zu Kliniken in einem benachbarten Bundesstaat überweise. Pilpel interpretierte die Aktivitäten der Organisation als Angebot eines medizinischen Dienstes und nicht als gesetzliches Lobbying, bat aber in Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit um genauere Fakten.45 Gravierende Bedenken äußerte hingegen Nancy Wechsler von GW&E, weil sie durch eine Unterstützung der Öffentlichkeitskampagne gegen das Gesetz in Connecticut den steuerbefreiten Status der Organisation gefährdet sah. Daher solle die Organisation auf keinen Fall mit der Kampagne in Verbindung gebracht werden. 40 Garrow, Liberty and sexuality, S. 139 f. 41 Winfield Best to William Vogt, Memorandum, Connecticut Referral Service, June 8, 1956, Folder [1] ›CT, BC Plan, Legal, for CT Pioneering – Sunnen‹, Box 185, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 f. 42 Mrs. Richard W. Griswold to William Vogt, with attachment Referral Service Progress Report, June, 1956, June 19, 1956, Folder [1] ›CT, BC Plan, Legal, for CT Pioneering – Sunnen‹, Box 185, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 ff. 43 WB [Winfield Best], A Plan For ›Connecticut Pioneering‹, [July 19, 1956], Folder [1] ›CT, BC Plan, Legal, for CT Pioneering – Sunnen‹, Box 185, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 2. 44 Winfield Best to [William] Vogt, Memorandum, Publicity on Connecticut Referral Service, February 15, 1956, Folder [1] ›CT, BC Plan, Legal, for CT Pioneering – Sunnen‹, Box 185, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 45 Harriet Pilpel to Winfield Best, July 26, 1956, Folder [1] ›CT, BC Plan, Legal, for CT Pioneering – Sunnen‹, Box 185, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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Weder solle der Bundesverband Mittel einwerben noch an entsprechenden Konferenzen teilnehmen. Personal, das für die Kampagne nötig sei, solle die Bezüge für diese Zeit nicht über die nationale Organisation erhalten. Allerdings sei eine Beratung bedenkenlos möglich.46 Der Bundesverband verfügte über finanzielle Mittel und Personal, um auf nationaler Ebene zu agieren, musste sich als gemeinnützige Organisation jedoch darauf beschränken, die lokale Tochterorganisation zu beraten. In den folgenden Jahren erwies sich die Gegenbewegung zu einer restriktiven Politik in der Familienplanung als wirkmächtig. Gouvernementalität hatte im Zusammenhang mit Geburtenkontrolle durch Verbote von als obszön klassifizierten Schriften und von Mitteln zur Verhinderung von Schwangerschaften weitreichende Folgen für Privarität. Hier behauptete die Kirche, mit Foucault gesprochen, eine »pastorale Macht«47 in der Sphäre des Politischen. Diese Machtstellung war gefährdet, als der Bund sich einer unterstützenden Politik in der Familienplanung zuwandte.
46 Nancy F. Wechsler to Winfield Best, Plan For Connecticut Pioneering, August 7, 1956, Folder [1] ›CT, BC Plan, Legal, for CT Pioneering – Sunnen‹, Box 185, PPFA records group II, unprocessed, SSC, 1. 47 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 225.
2. Ein Staat der nationalen und inneren Sicherheit entsteht
Abb. 2: J. Edgar Hoover war einer der Architekten eines Staates der inneren Sicherheit. Dieses Porträt stammt von ca. 1953. Courtesy National Archives (65-HN-4649).
Die US-amerikanische Politik der Nachkriegszeit kennzeichnete das Streben nach Sicherheit vor äußeren wie vor inneren Gefahren. Nationale Sicherheit, die in der Folge zweier Weltkriege und des aufziehenden Kalten Krieges in den USA an Bedeutung gewann, bezeichnete die Verteidigung des Staates gegen Feinde von außen. Präsident Franklin D. Roosevelt nutzte den Begriff bereits im Dezember 1940, um die Bevölkerung auf den Krieg einzuschwören: »This is not a fireside chat on war. It is a talk on national security«.1 Aus dem Zweiten
1 Zitiert nach: Bolton, The rise of the American security state, S. 4.
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Weltkrieg gingen die militärischen Institutionen gestärkt hervor, das Außenministerium geschwächt, so dass diplomatische Lösungen gegenüber kriegerischen Interventionen ins Hintertreffen gerieten; es folgte eine »militarization of U. S. foreign policy«.2 Zum Beispiel unterstützten die Truman- und die EisenhowerRegierung die einstige Kolonialmacht Frankreich in Vietnam, was zu einem zunehmenden Engagement im Süden des Landes führte. Auch John F. Kennedy korrigierte diesen Kurs nicht, der zu einem erbitterten Krieg führte. Dass die Vereinigten Staaten in Unkenntnis über die lokalen Verhältnisse in Vietnam handelten, war auch einer Politik der inneren Sicherheit geschuldet, da Sachverständige zu Südostasien aus dem Außenministerium entfernt worden waren.3 Denn um Subversion und Spionage vorzubeugen, setzte der Staat alles daran, angeblich illoyale Personen aufzuspüren. Dieses Vorgehen uferte bald aus, politisch motivierte Prozesse nahmen Überhand, und das Durchleuchten von Personen stand schließlich auf dem Prüfstand. Im Inneren betraf Sicherheit außerdem die Bekämpfung von Kriminalität, wozu Ermittler unter anderem Telefonate von Verdächtigen abhörten. In diesem Zusammenhang prägte Richter Louis Brandeis in seinem Dissens zum Fall Olmstead v. United States das Konzept Privatsphäre im Verfassungsrecht, blieb mit seiner Meinung am Obersten Gerichtshof aber in der Minderheit. Privarität – Regeln wie weit Gouvernementalität in der Sicherheitspolitik reichen durfte – erschien unterentwickelt. Ähnlich wie in der Politik der sozialen Sicherheit konnte indes von einer Debatte über privacy bis in die späten fünfziger Jahre noch keine Rede sein, da der Begriff, wenn überhaupt, sporadisch auftauchte und selten Widersprüche gegen die Sicherheitspolitik erhoben wurden. Dies war auch dem Umstand geschuldet, dass einige Programme staatlicher Kontrolle bis in die siebziger Jahre geheim und Akten lange unter Verschluss blieben.
2.1 Geheimdienste ermitteln nach innen und außen: »The virus of communism« Die Sicherheitspolitik reichte zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Im Ersten Weltkrieg erstarkten antikommunistische Kräfte, die unter der Maßgabe der nationalen Sicherheit gegen kommunistische Dissidenten vorgingen und ausländische Staatsbürger, die sich radikalisierten, auswiesen. Die Regierung unter Woodrow Wilson erließ den Espionage Act von 1917, der sich gegen Spionage und Widerstand gegen die Einberufung zum Militär richtete, und den Sedition Act von 1918, der eine beleidigende Sprache gegen Staatssymbole unter Strafe stellte,
2 Ebd., S. 16. 3 Michaels, McCarthyism, S. 237 ff.
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und setzte diese Gesetze rigoros durch.4 Weitere Kampagnen attackierten deutschstämmige Bürger, da sich die USA mit dem Deutschen Reich im Krieg befand. Die Ermittlungsbehörde des Justizministeriums und die Postbehörde begannen im Jahr 1917 damit, die Korrespondenz von vermeintlich subversiven Personen zu kontrollieren, was als das erste landesweite Überwachungsprogramm betrachtet werden kann.5 Nach dem Ersten Weltkrieg zog in den Jahren 1919 und 1920 eine regelrechte Panik vor einem kommunistischen Umsturz auf, eine Phase des red scare, als Behörden die Kommunistische Partei in den Untergrund trieben. Mit den wirtschaftlichen Spannungen der dreißiger Jahre erhielt die aktivistische Arbeiterschaft erneut Zulauf, und der Konflikt flammte wieder auf. Im Jahr 1938 gründete das Repräsentantenhaus ein Special House Committee on Un-American Activities, später mit dem Akronym HUAC bezeichnet, dem Martin Dies, Demokrat aus Texas, vorsaß. Die Anhörungen des Komitees, die auf reges öffentliches Interesse stießen und breite Zustimmung erhielten, richteten sich insbesondere gegen Angehörige der Regierung, die wirtschaftspolitische Programme des New Deal umsetzten. Indessen erleichterte es der Alien Registration bzw. Smith Act von 1940, gegen ausländische Staatsbürger vorzugehen.6 Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit wurden Protagonisten einer Politik der sozialen Sicherheit ebenso attackiert wie politische Dissidenten des Umsturzversuches bezichtigt. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs baute die 1935 in Federal Bureau of Investigation (FBI) umbenannte Ermittlungsbehörde unter Direktor J. Edgar Hoover erstmals ein weitflächiges Geheimdienstprogramm auf, das auf Gegner einer interventionistischen Politik, die eine Kriegsbeteiligung ablehnten, zielte. Es bahnte sich ein »domestic security state« an, dessen Aktivitäten aber in geregelten Bahnen unter Aufsicht der Regierung blieben.7 Dies sollte sich im aufziehenden Kalten Krieg rasch ändern. Dort, wo das Außen der Sicherheit begann und das Innen aufhörte, erschien keine klare Grenzlinie zu verlaufen, und die Zuständigkeiten waren auf verschiedene Stellen verteilt. Auf Bundesebene engagierten sich zahlreiche Ministerien und Behörden in Geheimdienstarbeit, wobei der National Security Act von 1947 der Central Intelligence Agency (CIA) die Aufgabe zuwies, diese Aktivitäten zu koordinieren. Bald baute sich die CIA einen eigenen operativen Zweig auf, führte verdeckte Aktionen aus und sammelte Geheimdienstmaterial,8 so dass sich der Dienst alsbald dem Vorwurf ausgesetzt sah, die Ermittlungen zu äußeren Gefahren auch auf den innenpolitischen Bereich auszudehnen, wovon später noch die Rede sein wird. Das Department of Defense (DOD), das im Jahr 1949 4 Schrecker, Many are the crimes, S. 52 ff. 5 Cappello, None of your damn business, S. 79. 6 Schrecker, Many are the crimes, S. 11, 90 f. 7 Charles, J. Edgar Hoover and the anti-interventionists, S. 12. 8 Stuart, Creating the national security state, S. 280 f.
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aus dem National Military Establishment, einer der Institutionen des National Security Act, hervorgegangen war, entwickelte sich zur zentralen Stelle, an der die Fäden einer Politik der nationalen Sicherheit zusammenliefen und die über ein Milliardenbudget verfügte. Diese zentrale Stelle behauptete das Ministerium auch in Hinblick auf militärisches Geheimdienstmaterial, das entweder von untergeordneten Stellen, aus der Zusammenarbeit mit anderen Stellen oder von anderen Behörden stammte.9 Allein die US-Armee verfügte über rund eine Viertelmillion Informanten, und ihre Geheimdienstagenten, bekannt als G-2-Einheiten, setzten auch illegale Methoden wie Einbrüche oder das Abhören von Telefonaten ein. Informanten beschatteten zwar Millionen von Personen, brachten jedoch nach Einschätzung des FBI kaum relevante Fälle hervor.10 Mit Wurzeln in zwei Weltkriegen und dem Kalten Krieg bildeten sich bis Mitte der sechziger Jahre verzweigte geheimdienstliche Institutionen heraus. Der militärische Geheimdienst Military Intelligence Division (MID) mit G-2-Einheiten stammte aus dem Ersten Weltkrieg und operierte unter dem Continental Army Command (CONARC). Im Zweiten Weltkrieg trat das Counter Intelligence Corps hinzu und kam neben Einheiten von G-2 auch in Angelegenheiten der inneren Sicherheit zum Einsatz. Später kooperierte militärisches Geheimdienstpersonal mit Senator Joseph McCarthy.11 Im Kalten Krieg verschob sich der Schwerpunkt der Spionageabwehr. Wie ein Briefing aus dem Jahre 1960 erläuterte, wurde die Mission des Counter Intelligence Corps in den Jahren 1947 bis 1953 vor allem auf Übersee erweitert, und mit dem kriegerischen Konflikt in Korea und dem Aufziehen des Kalten Krieges in Europa wurde das Programm Field Operations Intelligence aufgelegt. Diese beiden Programme sollten nun integriert werden, wie das U. S. Army Intelligence Center in Fort Holabird empfahl.12 Im Jahr 1965 wurde das United States Army Intelligence Command (USAINTC) mit Hauptquartier in Fort Holabird geschaffen. Es bestanden sieben Military Intelligence Groups (MIG) mit weiteren Untereinheiten. Zwischen MID und MIG entwickelte sich eine Konkurrenz. Geheimdienstmaterial beider Sparten floss an die Counterintelligence Analysis Branch (CIAB) im Office of the Assistant Chief of Staff for Intelligence (OACSI), die Informationen auswertete und analysierte.13 Lag zunächst ein Schwerpunkt der Geheimdienstarbeit auf rechten Gruppierungen und Bürgerrechtsgruppen, verschob sich der Schwerpunkt in den sechziger Jahren auf den Protest gegen den Vietnamkrieg und auf zivile Un-
9 Ebd., S. 275. 10 Schrecker, Many are the crimes, S. 107. 11 Donner, The age of surveillance, S. 292. 12 U. S. Army Intelligence Center, Briefing, Integration of Counter Intelligence Corps and Field Operations Intelligence, Volume I, Introduction, (sanitized copy, declassified NND 881514), March 11, 1960, Reel 17, Frame 4-15, ASOD, S. I–1. 13 Donner, The age of surveillance, S. 294 ff.
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ruhen.14 Bald beobachteten Agenten nahezu sämtliche Demonstrationen oder Protestaktionen im Land, bis das Programm Anfang der Siebziger publik wurde und eine Kontroverse über Privatsphäre und Meinungsfreiheit provozierte, was spätere Kapitel behandeln. Im aufziehenden Kalten Krieg verbreiteten sich Gerüchte über Kommunisten in Regierungspositionen, die mit der Sowjetunion kollaborieren könnten. Im März 1947 sprach FBI-Direktor Hoover vor dem HUAC, das seiner Ansicht nach gleiche Ziele verfolge wie das FBI: »the protection of the internal security of this Nation«.15 Die innere Sicherheit bedrohe nichts Geringeres als ein kommunistischer Umsturz, ein Umsturz der Regierung, aber auch des »American way of life«.16 Denn Hoover ging es nicht allein um Bombenleger oder sowjetische Agenten, sondern auch um Dissidenten. Das Perfide am Kommunismus war es nach Hoovers Meinung, dass der Kommunismus unerkannt gesellschaftliche Institutionen infiltrierte, Regierungsbehörden ebenso wie die Filmindustrie in Hollywood oder Gewerkschaften, und sich dem liberal-progressiven Kurs annäherte. Überhaupt handele es sich beim Kommunismus eher um einen Lebensstil, den Hoover mit einem Virus verglich, »the virus of communism«, wegen dem die Nation wie in einer Epidemie in Quarantäne gehen müsse.17 In dieser starken Sprache kam Hoovers persönliches Ressentiment zum Ausdruck, das seine Arbeit als FBI-Chef prägte. Politisch signalisierte die Rede ein Zerwürfnis mit Präsident Truman, der die Behörde in Hinblick auf Loyalitätsprüfungen an die kurze Leine nehmen wollte.18 Hoover war eine ambivalente Figur: Über Jahrzehnte leitete er eine Behörde, die für das Justizministerium in Strafsachen ermittelte und sich im Kampf gegen Kriminalität mit modernen Techniken einen Namen machte. Gleichzeitig verfolgte Hoover eine politische Agenda, indem er den Präsidenten bei der Ernennung von Richtern für den Obersten Gerichtshof beriet oder indem er Kongressmitglieder mit pikanten Details aus ihrem Leben unter Druck setzte.19 Gegen die Kommunistische Partei ermittelte Hoover und leitete auf offiziellem Wege Gerichtsprozesse ein. In die Direktiven von Roosevelts Nachfolgern fügte Hoover – möglicherweise unbemerkt – die weitgefasste Formulierung ein, in »subversive activities and related matters« zu ermitteln.20 Darüber hinaus führte der FBI-Chef geheime und nicht autorisierte Aktionen durch, die illegale Methoden wie Einbrüche, das Anbringen von Wanzen oder das Abhören von Telefonaten 14 Jensen, Army surveillance in America, 1775–1980, S. 240 f. 15 J. Edgar Hoover, Testimony before HUAC, March 26, 1947, in: Schrecker, Ellen (Hg.), The age of McCarthyism, S. 114. 16 Ebd., S. 116. 17 Ebd., S. 119 f., Zitat S. 119. 18 Cunningham, There’s something happening here, S. 25. 19 Theoharis / Cox, The boss, S. 303, 309. 20 Schrecker, Many are the crimes, S. 207.
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beinhalteten. Auszüge aus den Akten spielte das FBI den Vorgesetzten einzelner Personen oder einschlägigen Kongressausschüssen zu.21 Je erbitterter Hoover im Glauben, das Land zu beschützen, bestimmte Lebensstile bekämpfte, desto mehr drohte er selbst zu einer Gefahr für die freiheitliche Ordnung zu werden. Seine Repression von überwiegend linken Organisationen und Personen war politisch motiviert und verfassungsrechtlich zweifelhaft: »Hoover had more to do with undermining American constitutional guarantees than any political leader before or since«.22 Die Mitstreiter seines antikommunistischen Kurses kamen aus Politik und Wirtschaft.
2.2 Loyalitätsprüfungen in der McCarthy-Ära: »Unjustifiable transgression of the right of privacy« Die Phase eines repressiven Antikommunismus von den späten vierziger bis in die fünfziger Jahre ging als McCarthy-Ära in die Geschichtsbücher ein. Ihr Namensgeber Senator Joseph R. McCarthy, Republikaner aus Wisconsin, betrat die politische Bühne im Februar 1950 mit einer Brandrede über »the graft, the corruption, the dishonesty, the disloyalty, the treason in high Government positions«.23 Angeblich hielten Kommunisten Posten im Außenministerium und beeinflussten die Geschicke des Landes. Agenten wie Alger Hiss waren zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Staatsdienst entlassen worden, über akute Verdachtsfälle blieb Senator McCarthy vage. Seine Vorwürfe erhob er aber mit solcher Vehemenz, dass sie den Ruf und die Stellung angeschuldigter Personen schädigten, obwohl sie zumeist unbegründet, politisch motiviert und teilweise sogar fingiert waren: »Being controversial was enough«.24 Bei der EisenhowerRegierung fiel McCarthy schließlich in Ungnade, da er gegen Angehörige der US-Armee ermittelte. Als McCarthy die politische Bühne nach den Armeeanhörungen von 1954 wieder verließ, hatte er eine Reihe von Karrieren zerstört, aber keine Verschwörung aufgedeckt. Der Senator trat als ein energisches Mitglied einer antikommunistischen Koalition auf, war aber »in many ways, its creature, not its creator«.25 Die Ursachen des vehementen Antikommunismus machten soziologische Analysen in der Frustration agrarischer Schichten aus, politische Analysen betonten hingegen parteitaktisches Kalkül, und bis heute streiten Historiker, ob eine ernstzunehmende kommunistische Gefahr bestand und welchen 21 Ebd., S. 214–25. 22 Theoharis / Cox, The boss, S. 17. 23 Joseph R. McCarthy, Speech at Wheeling, West Virginia, February 9, 1950, in: Schrecker, Ellen (Hg.), The age of McCarthyism, S. 213. 24 Schrecker, Many are the crimes, S. 254. 25 Ebd., S. 265.
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Schaden die politische Kultur nahm.26 McCarthyism wurde zum Inbegriff eines lärmenden Stils, von Verdächtigungen, Ausforschungen, gegenseitigem Misstrauen und Einschüchterung zulasten der Meinungsfreiheit. Das Spektrum antikommunistischer Akteure war ebenso weitreichend wie ihre Befugnisse. Ein Instrument bildete der Internal Security Act von 1950, auch bekannt als McCarran Act, der unter anderem vorsah, dass sich Kommunistenführer beim Justizministerium registrieren mussten und dass ein Subversive Activities Control Board den Hintergrund von Organisationen durchleuchtete. Ein dagegen gerichtetes Veto von Präsident Truman überstimmten beide Kammern im Kongress, wobei einige Senatoren bis zum Umfallen debattierten, um eine Abstimmung zu verhindern.27 Das Gesetz erlaubte es FBI-Direktor Hoover, seinen »Security Index«, der Listen über angebliche Kommunisten und subversive Personen enthielt, weiterzuführen und Pläne zur Internierung von Personen anzulegen, von denen angeblich eine Gefahr ausging.28 Das von Senator Patrick McCarran, Demokrat aus Nevada, geleitete Senate Internal Security Subcommittee (SISS) bildete zusammen mit dem HUAC, das 1945 zu einem ständigen Komitee wurde und mit dem späteren Vizepräsidenten und Präsidenten Richard Nixon ein prominentes Mitglied aufwies, die parlamentarischen Stützpfeiler der antikommunistischen Kampagne. Solange es nicht um Angriffe auf die eigenen Reihen ging, verfolgte auch die von den Demokraten gestellte Regierung und nicht nur das konservative Lager einen antikommunistischen Kurs, der letztlich dazu beitrug, die liberalen Ideale des New Deal zu bewahren.29 HUAC oder SISS inszenierten ihre Anhörungen publikumswirksam, wobei das öffentliche Zurschaustellen von vermeintlichen Kommunisten zur Strategie gehörte und selbst Personen, die sich weigerten auszusagen, eine Schädigung ihres Rufes erfuhren.30 Beschäftigte in der Bundesverwaltung mussten sich Loyalitätsprüfungen unterziehen und waren stets der Gefahr ausgesetzt, ihre Anstellung zu verlieren. Häufig steckten hinter solchen Prüfungen weniger eine Sorge um die Sicherheit des Landes als persönliche Motive und politisches Machtkalkül: »The national security argument was bullshit. For the most part, at least«.31 Die Gefahrenlage durch eine kommunistische Infiltrierung, die zuständige Stellen als drastisch darstellten, sollte weitgehende Eingriffe rechtfertigen: »By the mid-1950s, American Communists had few rights that any official body had to respect«.32 Regierungsbehörden hatten sich weitgehende Durchgriffsrechte gesichert, die es ihnen erlaubten, im Namen der Sicherheit einzelne 26 Michaels, McCarthyism, S. 10 f. 27 Lane, American privacy, S. 129 ff. 28 Schrecker, Many are the crimes, S. 208. 29 Delton, Rethinking the 1950s, S. 37. 30 Cappello, None of your damn business, S. 109. 31 Ebd., S. 118. 32 Schrecker, Many are the crimes, S. 190.
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Personen auszuspionieren und anzuprangern, wohingegen die Rechte der von solchen gouvernementalen Praktiken Betroffenen beschnitten waren, und es benötigte einer langwierigen politischen Reflexion und Konfrontation, diesem Trend entgegenzuwirken. Gegen Ende der fünfziger Jahre geriet der staatliche Kontrollanspruch gegen eine aufgebauschte Gefahr langsam in die Kritik. So setzte sich der Soziologe Edward A. Shils im Jahr 1956 mit der US-amerikanischen Sicherheitspolitik auseinander und beschrieb, wie Vorschriften dazu führten, dass bei der Personalauswahl Details aus dem privaten Leben von Personen ausgeforscht würden.33 Von einer »unjustifiable transgression of the right of privacy« sprach Shils in Zusammenhang mit Ermittlungen des FBI und von Senator McCarthy und führte aus: »The distrust of privacy is the distrust of the individual’s capacity for judgement and self government«.34 Die Obsession von Sicherheit stellte Eigenverantwortung in den Schatten, ein Anspruch auf Privatsphäre erregte Verdacht. Privatsphäre befand sich im Belagerungszustand. Das Konzept privacy war ein Mittel, mit dem das Land die Ära von McCarthy im Nachhinein aufarbeitete. Das offene Zurschaustellen von Personen, denen Verbindungen zum Kommunismus nachgesagt wurden und die in der Folge um sozialen Status und wirtschaftliche Existenz bangen mussten, verlor in der Öffentlichkeit an Zustimmung. Auch zog der Oberste Gerichtshof dem Smith Act den Zahn, indem die Richter handfeste Beweise für einen geplanten gewaltsamen Umsturz verlangten, während zuvor Beweise für eine revolutionäre Gesinnung ausgereicht hatten.35 Einer seiner stärksten Waffen entledigt, ging das FBI nun verstärkt dazu über, unliebsame Gruppierungen und Personen vom Untergrund aus zu bekämpfen. Im Jahr 1956 legte das FBI ein Programm auf, in dessen Rahmen es seine aggressiven Geheimaktionen gegen dissidentische Gruppen durchführte. In einer Sitzung des National Security Council im März 1956 hatte Hoover Mitgliedern der Eisenhower-Regierung über illegale Methoden wie Einbrüche oder das Öffnen von Briefen berichtet, mit denen das FBI die Kommunistische Partei der USA ausforschte, und den Plan vorgestellt, dass das FBI die Partei im Interesse der nationalen Sicherheit unterwandern und zerrütten wolle.36 Um diesen Plan auszuführen, installierte Hoover ein Counterintelligence Program (COINTELPRO). Anstatt Material über Dissidenten zusammenzutragen, lautete das Ziel der Gegenspionage: »expose, disrupt, misdirect, discredit, or otherwise neutralize« – den Gegner bloßzustellen, in Misskredit zu bringen und seine Strukturen zu zerschlagen.37 Den Anfang machte ein Programm, das Hoover 33 Shils 1956, The torment of secrecy, S. 201 f. 34 Ebd., S. 207. 35 Cunningham, There’s something happening here, S. 26. 36 Theoharis / Cox, The boss, S. 312. 37 Zitiert nach: Cunningham, There’s something happening here, S. 6.
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im August 1956 gegen die Kommunistische Partei auflegte, die zu diesem Zeitpunkt allerdings schon auf einen Bruchteil ihrer Stärke in den vierziger Jahren geschrumpft war. Zwar setzte die Regierung bereits vorher aggressive Methoden gegen die Partei ein, doch koordinierte das FBI die Gegenspionage erstmals landesweit in einem formellen Programm. Der Kampf gegen die Kommunistische Partei fand parteiübergreifende Unterstützung, und Hoover setzte Regierungsmitglieder zumindest rudimentär über das Programm in Kenntnis. In den folgenden Jahren ging Hoover zunehmend eigenmächtig vor und richtete im Oktober 1961 ohne Rücksprachen ein COINTEL-Programm gegen die Socialist Workers Party (SWP) ein, einem trotzkistischen Ableger der Kommunistischen Partei, dem Hoover revolutionäre Ziele unterstellte.38 Im Laufe der sechziger Jahre vervielfachten sich die COINTELPRO schließlich und zielten auf inländische, überwiegend linke, Gruppen ab, bis Aktivisten das Programm Anfang der siebziger Jahre enttarnten. Unter der Maßgabe, die nationale oder die innere Sicherheit zu wahren, hatten sich eine Reihe von Institutionen und Praktiken herausgebildet, um politischen Gesinnungen nachzuspüren und Personen, nicht selten ohne formalen Rahmen, den Prozess zu machen. Gouvernementale Praktiken waren kaum an Regeln gebunden, Privarität war schwach ausgeprägt. Abhörmaßnahmen standen auf der Tagesordnung. Nachdem im Jahr 1949 ein Spionageprozess gegen die Angestellte im Justizministerium Judith Coplon platzte, da das FBI Beweise aus Abhörmaßnahmen erlangt hatte, ging Hoover dazu über, in Berichten die unerlaubten Mittel zu verschleiern.39 Auch zur Strafverfolgung wurden Personen abgehört und überwacht.
2.3 Abhörmaßnahmen stehen in der Kritik: »Wiretapping, eavesdropping, and similar invasions of privacy« In dem kleinen Ort Apalachin im Norden des Bundesstaats New York erregte im Jahr 1957 eine Schar schwarzer Limousinen die Aufmerksamkeit der Polizei, die ortsfremde Nummernschilder notierte, ein Treffen verdächtiger Personen auflöste und dutzende Festnahmen vornahm. Dem Treffen war die blutige Fehde zwischen zwei Oberhäuptern krimineller Familien vorausgegangen, und sie näherte den Verdacht, dass eine landesweit organisierte Kriminalität mit mafiaähnlichen Strukturen existierte.40 FBI-Chef Hoover hatte diesen Verdacht lange abgestritten und über die Abwehr der angeblichen Bedrohung des Kommunismus die Bekämpfung der organisierten Kriminalität vernachlässigt, musste nun 38 Ebd., S. 27 ff. 39 Theoharis / Cox, The boss, S. 256–61. 40 Cappello, None of your damn business, S. 146.
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aber einlenken, dass eine Mafia namens »Cosa Nostra« existierte, und setzte ein Programm mit dem Codenamen »Top Hoodlum« auf, das auf illegale Methoden zur Überwachung zurückgriff.41 Die Eisenhower-Regierung sah sich unter Zugzwang und richtete eine Special Group on Organized Crime unter der Ägide des Justizministeriums ein, da sich der FBI-Chef bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität zögerlich verhielt. Auch die nachfolgende Kennedy-Regierung, zu der Hoover ein gespanntes Verhältnis hatte, wollte der organisierten Kriminalität mit einer eigenständigen task force im Justizministerium Herr werden.42 Im Jahr 1961 startete das Justizministerium ein bundesweites Vorgehen gegen organisierte Kriminalität.43 Dieses Vorgehen zielte auf eine weitere Gefahr für die innere Sicherheit ab, erforderte aber Methoden wie die akustische Überwachung von Verdächtigen, was eine seit Jahrzehnten schwelende Kontroverse wieder wachrief. Technologische Innovationen, die ein Belauschen von Personen ermöglichten und unter den Begriffen wiretapping für das Anzapfen von Telefonleitungen, eavesdropping für das Belauschen von Gesprächen oder bugging für das Anbringen von Wanzen debattiert wurden, kollidierten mit Ansprüchen auf Privatsphäre.44 Solche Konflikte können bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden, als es Technologie ermöglichte, Nachrichten per Leitung über weite Strecken zu senden.45 Bereits Telegrafenbüros waren Angriffsziele von Ermittlern geworden, was aber für wenig Aufsehen sorgte. Ein Problembewusstsein für Lauschangriffe kam erst mit der Erfindung des Telefons auf, dessen Leitungen zu einzelnen Firmen und später zu einzelnen Haushalte liefen. Beispielsweise fragte eine New Yorker Zeitung im Jahr 1877, ob die Technologie »the sacred privacy of telegrams« bewahren würde.46 Diese Sorgen erschienen berechtigt, da etwa Gesetzeshüter von technologischen Möglichkeiten Gebrauch machten, um Personen zu überwachen. Schon um das Jahr 1895 hörte die New Yorker Polizei ohne Gerichtsbeschluss Telefonate ab.47 Solche Praktiken stießen bereits damals auf Widerspruch. Später, im Jahr 1914, reichte eine Privatperson eine »Petition for Telephone Privacy« ein, um mögliche ungewollte Mithörer abzuwehren.48 In New York entfachte sich 1916 ein Streit um Abhörmaßnahmen, als sich katholische Würdenträger beschwerten, dass Kommissare ihre Telefo-
41 Theoharis / Cox, The boss, S. 304. 42 Ebd., S. 322, 327. 43 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 3, S. 1158; Kongressbände sofern nicht anders ausgewiesen via ProQuest 2008, Congressional. 44 Die aktuelle Studie Hochmann, The Listeners, konnte ich nicht mehr berücksichtigen. 45 Dash 1959, The Eavesdroppers, S. 23–34. 46 Zitiert nach: Segrave, Wiretapping and electronic surveillance in America, S. 20. 47 Wicker, Cellular convergence and the death of privacy, 20. 48 Zitiert nach: Segrave, Wiretapping and electronic surveillance in America, S. 23.
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nate belauscht und es auf »sacred subjects of private life« abgesehen hätten.49 Eine Untersuchung sollte klären, ob ein Verstoß gegen das Abhörgesetz in dem Bundesstaat vorliege. Wie ein Komitee unter dem New Yorker Senator George F. Thompson herausfand, waren polizeiliche Lauschaktionen seit zwanzig Jahren gang und gäbe, jüngst seien mehrere hundert Leitungen angezapft worden. Die Beschuldigten im Falle der Wohlfahrtsorganisationen wurden schließlich freigesprochen, obgleich das Gericht bemerkte: »the police cannot arbitrarily nor without just cause interfere with the right of privacy of the owner of a telephone line«.50 Für Ermittler, ob Privatdetektive oder Beamte staatlicher Behörden, stellte das Belauschen von Telefonaten ein wertvolles Werkzeug dar, das sie nicht gerne zur Rückgewinnung individueller Rechte aus der Hand zu geben bereit waren. In den nächsten Jahrzehnten folgte ein rechtliches Hin und Her, unter welchen Umständen das Abhören von Gesprächen mit technischen Mitteln legitim sei. Erste Bundesgesetze gegen Telefonüberwachung verabschiedete der Kongress im Ersten Weltkrieg mit der Absicht, Staatsgeheimnisse zu schützen, und es folgte eine Reihe von weiteren einzelstaatlichen Gesetzen.51 Einen zentralen Fall von Abhörmaßnahmen verhandelte der Oberste Gerichtshof der USA in der Zeit der Prohibition, als der Vertrieb von alkoholischen Getränken verboten war.52 Ermittler aus Seattle und von Bundesbehörden hatten die Telefonleitungen des mutmaßlichen Schwarzhändlers Roy Olmstead angezapft, der Alkohol von Kanada in die Vereinigten Staaten schmuggelte, und deckten ein Komplott auf, das von Händlern über Buchhalter bis hin zu bestechlichen Polizisten reichte. Olmstead ging gegen seine Verurteilung in Berufung und argumentierte, dass die beschlusslose Abhörmaßnahme eine ungerechtfertigte Durchsuchung darstelle und gegen das Recht verstoße, das eine Person sich nicht selbst beschuldigen müsse.53 Das Berufungsgericht erachtete das Anzapfen von Telefonen als möglicherweise »unethical intrusion upon the privacy of persons who are suspected of a crime«, jedoch nicht als einen Verstoß gegen Grundrechte.54 Auch die Richter des Obersten Gerichtshofs der USA urteilten, dass keine Durchsuchung oder Beschlagnahmung stattgefunden habe, sondern lediglich auf akustischem Wege Beweise gesichert wurden. Richter Louis D. Brandeis widersprach in einer abweichenden Stellungnahme und argumentierte mit dem »right to be let alone – the most comprehensive of rights and the right most valued by civilized men«.55 Der Oberste Gerichtshof wertete das Abhören von 49 Zitiert nach: Lane, American privacy, S. 83. 50 Zitiert nach: ebd., S. 87. 51 Stevens, Privacy, S. 2. 52 Regan, Legislating privacy, S. 111 ff., 116. 53 Cappello, None of your damn business, S. 132 f. 54 Zitiert nach: Lane, American privacy, S. 93. 55 Zitiert nach: Cappello, None of your damn business, S. 135.
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Telefonaten also nicht als verfassungswidrig. Vielmehr galten nach einer wörtlichen Auslegung des vierten Verfassungszusatzes lediglich physische Eingriffe in geschützte Bereiche als eine Durchsuchung.56 So verlief die Grenzziehung zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Der Gesetzgeber reagierte auf das Urteil mit dem Federal Communications Act (FCA) von 1934, der es verbot, Telefonleitungen anzuzapfen oder mit anderen elektronischen Mitteln Gespräche abzuhören und deren Inhalte weiterzugeben. Der Oberste Gerichtshof der USA bekräftigte in mehreren Urteilen die Intention des Gesetzgebers und untersagte Bundesbehörden schließlich, Beweise aus Abhöraktionen vor Gericht zu verwenden, was etwa zur Folge hatte, dass ein Verfahren gegen den berüchtigten Gewerkschaftler Jimmy Hoffa scheiterte.57 Dennoch nutzte das Justizministerium eine rechtliche Grauzone und argumentierte, dass Gespräche abgehört werden dürften, solange Inhalte nicht weitergegeben würden. So hatte das FBI elektronische Abhörtechnik wie das Anbringen von Wanzen, sogenanntes »bugging«, in Fällen eingesetzt, die die nationale Sicherheit, die innere Sicherheit sowie organisierte Kriminalität betrafen.58 Das Abhören mit Mikrofonen war insbesondere dann heikel, wenn Agenten eine Türschwelle überschreiten, also in Wohnungen einbrechen mussten, um Technik zu installieren. FBI-Chef Hoover versicherte dem Justizminister am 6. Juni 1952, solche Aktionen nur anzuordnen, wenn die Sicherheit des Landes bedroht sei: »I told the Attorney General that this authority would only be used in extreme cases and only in cases involving the internal security of the United States«.59 Mit dem Argument der Sicherheit rechtfertigte Hoover drastische Maßnahmen. Es fehlten detaillierte gesetzliche Regeln, was zu einem unkontrollierten Einsatz von Abhörtechnik führte. Gesetzeslücken betrafen etwa die maschinelle Aufzeichnung und Übertragung von Gesprächen.60 Aufschluss darüber, wie verbreitet elektronische Abhörmethoden waren, gab die Studie »The Eavesdroppers«, die 1959 unter der Leitung von Samuel Dash erschien. Außer dem Anzapfen von Telefonleitungen behielten die Autoren auch andere Methoden im Blick, wie Lauscher an der Wand, Informanten, versteckte Mikrofone, Fernrohre, versteckte Kameras oder Videoüberwachung: »it becomes clear that several other techniques of surreptitious fact-finding present similar if not the same issues with regard to individual privacy, or the right of a man to be left alone«.61 56 Clancy, The fourth amendment, S. 295. 57 Lane, American privacy, S. 119, 135. 58 Library of Congress, Legislative Reference Service 1968, The Omnibus Crime Control and Safe Streets Act, S. 16 ff. 59 J. Edgar Hoover, Memorandum for the Director’s Files, June 9, 1952, Technical Surveillances, June 9, 1952–June 1, 1967, MS Official and Confidential Files of FBI Director J. Edgar Hoover, Federal Bureau of Investigation Library, S. 1. 60 Stevens, Privacy, S. 4. 61 Dash 1959, The Eavesdroppers, S. 6.
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Solche Publikationen verankerten auf der einen Seite das Thema Privatsphäre im öffentlichen Bewusstsein. Auf der anderen Seite sorgte der Kampf gegen die organisierte Kriminalität dafür, dass sich die Debatte um akustische Überwachung in der darauffolgenden Dekade der sechziger Jahre intensivierte. Eine wichtige Organisation, die sich gegen Abhörmaßnahmen und für die individuelle Privatsphäre einsetzte, war die ACLU. Die Organisation stand keinesfalls am linken Rand des politischen Spektrums, denn seit den dreißiger Jahren setzte der Anwalt Morris Ernst innerhalb der ACLU einen antikommunistischen Kurs durch.62 Ernst unterhielt ein gutes Verhältnis zu FBI-Chef Hoover, mit dem er die antikommunistische Einstellung teilte, verfasste wohlwollende Artikel und unterstützte ihn während der vierziger und fünfziger Jahre dabei, Vorwürfe gegen fragwürdige Praktiken des FBI abzuwehren.63 In den sechziger Jahren arbeitete die Organisation daran, ein gestärktes Bewusstsein für Grundrechte in rechtliche Normen zu übersetzen, darunter das Recht auf Privatsphäre: »Most ordinary Americans had developed new expectations of personal freedom, generally expressed in terms of a right to privacy«.64 Beispielsweise vertrat die ACLU dieses Interesse im Hinblick auf elektronische Abhörmaßnahmen im Kongress, der sich mittlerweile der Frage angenommen hatte. Eine Kostprobe davon, wie effektiv akustische Elektronik arbeitete, gab der Privatdetektiv Hal Lipset aus San Francisco dem Unterausschuss für Verfassungsrechte, indem er den Senatoren das gehaltene Eingangsstatement von einem Miniaturrekorder abspielte, den er in den Sitzungssaal geschmuggelt hatte.65 Im Jahr 1961 führte der Senat Anhörungen zu Telefonüberwachung und Abhörmaßnahmen fort, die in den Jahren 1958 und 1959 unter der Fragestellung: »How do wiretapping, eavesdropping, and similar invasions of privacy affect our constitutional rights« begonnen hatten.66 Als Vertreter der ACLU erklärte Herman Schwartz, dass die Organisation in den beiden vergangenen Dekaden zu dem Schluss gelangt sei, Abhörmaßnahmen abzulehnen: »wiretapping and other forms of electronic eavesdropping seriously invade privacy and endanger liberty«.67 Die Rechte der einzelnen Person drohten unter die Räder zu geraten. Eine Umkehr dieses Trends zeigte sich Anfang der sechziger Jahre, als der Oberste Gerichtshof der USA in Mapp v. Ohio die Rechte Verdächtiger gegen Durchsuchungen und Selbstbeschuldigung stärkte: »to maintain inviolate large areas of personal privacy«.68 In dem Fall war eine ursprünglich des Bombenbaus verdächtigte Frau wegen des Besitzes pornografischen Materials, das bei ihr 62 Schrecker, Many are the crimes, S. 82 f. 63 Ebd., S. 219. 64 Walker, In defense of American liberties, S. 300. 65 Cappello, None of your damn business, S. 140. 66 U. S. Senate 1961, Wiretapping and Eavesdropping Legislation, S. 8. 67 Ebd., S. 407. 68 Zitiert nach: Lane, American privacy, S. 155.
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sichergestellt wurde, verurteilt worden. Dabei waren die Methoden, mit denen Ermittler, Agenten oder Privatdetektive Verdächtige abhörten und belauschten, durchaus umstritten. Im Sinne von Foucault handelte es sich aber nicht um Sicherheitstechniken. Das Zurschaustellen angeblich subversiver Personen erinnerte eher an einen Ausdruck von Souveränität, die im äußersten Falle das Recht auf Leben und Tod für sich behauptet. Gleichwohl waren – gegen Julius und Ethel Rosenberg – nur zwei Todesurteile gegen Personen gefällt worden, die der Spionage verdächtigt wurden. Die Abhörmaßnahmen in Strafsachen ähnelten den Mechanismen der Disziplin. Foucault erkennt als Modell der Disziplin den Panoptismus, den er in Anlehnung an Jeremy Benthams »Panopticon« beschreibt, einem Entwurf für eine geschlossene Anstalt, in der ein Wächter von einem zentralen Turm aus Einblick in einzelne Zellen hat, selber aber unsichtbar bleibt. Nach dem Benthamschen Prinzip muss ein Insasse den Turm zwar sehen können, über den Wächter aber im Unklaren bleiben, so dass »der Häftling niemals wissen darf, ob er gerade überwacht wird; aber er muss sicher sein, daß er jederzeit überwacht werden kann«.69 Bei den panoptischen Einrichtungen handelt es sich zunächst um geschlossene Institutionen, wie sie Erving Goffman im Sinne einer »totalen Institution« in »Asylums« analysiert.70 Das Überwachungsprinzip auf den Alltag der Menschen zu übertragen, ist die Leistung von George Orwell im dystopischen Roman »Nineteen Eighty-Four«, in dem ein ähnliches Prinzip herrscht: »There was of course no way of knowing whether you were being watched at any given moment.«71 Foucaults Analyse klingt wie ein Echo auf den Roman. Orwell zeigte die soziale Funktion von Privatsphäre auf, indem er sie in einem dystopischen Setting zum Verschwinden brachte. So war es auch Orwells Roman und die Figur des Big Brother, auf die sich Kommentatoren in den USA wie Montagu bezogen.72 Referenzen auf den Roman zogen sich wie ein roter Faden durch Debatten um Privatsphäre.73 Erst Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Orwells Roman löst Foucault das Panopticon aus seinem ursprünglichen Kontext und überträgt es auf die alltägliche Welt: »Das Panopticon hingegen ist als ein verallgemeinerungsfähiges Funktionsmodell zu verstehen, das die Beziehungen der Macht zum Alltagsleben der Menschen definiert«.74 Von diesem Modell ausgehend schildert Foucault die Entwicklung der Polizei in der frühen Neuzeit: »Zu ihrer Durchsetzung muß sich diese Macht mit einer ununterbrochenen, erschöpfenden, allgegenwärtigen Überwachung ausstatten, die imstande ist, alles sichtbar zu machen, 69 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 259. 70 Goffman, Asyle, S. 16 f. 71 Orwell, Nineteen Eighty-Four, S. 4 f. 72 Montagu 31.3.1956, The Saturday Review, S. 10. 73 Neuroth, ›The Specter of Orwell‹; vgl. auch: Lane, American privacy, S. 141 f., 219 f. 74 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 263.
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sich selber aber unsichtbar«.75 Foucault bleibt aber nicht bei frühneuzeitlichen Entwicklungen stehen, sondern bezieht das Modell auf seine Gegenwart: »Der Idealfall des heutigen Strafsystems wäre die unbegrenzte Disziplin: eine Befragung ohne Ende; eine Ermittlung, die bruchlos in eine minutiöse und immer analytischer werdende Beobachtung überginge«.76 Lückenlose Disziplin stellt, wenn überhaupt, ein Ideal dar und bildet nicht die Realität ab. Mechanismen der Disziplin, die Ahnung, wie persönliche Details ans Licht kamen, dass Behörden einzelne Personen ausforschten, trugen sicherlich zur Stimmung der fünfziger Jahre bei. Disziplin funktioniert bei Foucault wie eine gut geölte Maschine, die eine Optimierung verspricht, beschreibt aber nicht die Dysfunktionalitäten von Technologie, die Idiosynkrasien, was als deviantes oder subversives Verhalten erachtet wurde, die politischen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Verwerfungen, letztlich die Willkür, mit der Personen in die Fänge der Behörden gerieten und um ihre Karrieren bangen mussten.
75 Ebd., S. 275. 76 Ebd., S. 291.
3. Ansprüche auf Privatsphäre konfrontieren die Sicherheitsgesellschaft
Abb. 3: Die NAACP klagte erfolgreich gegen die vom Bundesstaat Alabama geforderte Herausgabe ihrer Mitgliederlisten. Das Foto vom 10. März 1954 zeigt Präsident Dwight D. Eisenhower, der ein Grußwort an die Organisation richtet. Courtesy National Archives, Eisenhower Presidential Library (72-724-6).
Das Streben nach Sicherheit und danach, das Gemeinwesen gegen äußere Feinde und Gefahren im Innern zu verteidigen sowie die Folgen von Lebensrisiken wie Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzufedern, führte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem steten Ausbau gouvernementaler Praktiken. Häufig waren solche Praktiken unzureichend eingegrenzt, Privarität schwach ausgeprägt. Manchmal war Sicherheit bloß ein vorgeschobenes Argument, um politische Kampagnen zu rechtfertigen. Eine Antwort auf einen Staat der nationalen, inneren und sozialen Sicherheit waren Ansprüche auf Privatsphäre, die bis in die fünfziger Jahre aber nur sporadisch erhoben wurden, als Autoren wie Montagu oder Shils begannen, sich genauer mit dem Konzept auseinanderzusetzen, und Aktivisten sich organisierten und Widerspruch artikulierten. Ende der
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fünfziger Jahre befasste sich der Oberste Gerichtshof der USA mit unterschiedlichen Ansprüchen auf Privatsphäre. Als einer der Südstaaten eine Bürgerrechtsorganisation schikanierte, wurde mit dem Konzept Privatsphäre die politische Meinungsfreiheit gestärkt. Als eine Zeitschrift einen reißerischen Artikel zu einem Entführungsfall veröffentlichte, standen umgekehrt unter dem Aspekt der Privatsphäre die Grenzen der Meinungsfreiheit zur Debatte. Als Aktivisten die Rechtmäßigkeit eines in die Jahre gekommenen Verbots von Verhütungsmitteln bezweifelten, bezogen sie sich auf die Privatsphäre von Eheleuten. Diese Fälle verhandelte der Oberste Gerichtshof unter dem Vorsitz von Earl Warren. In seiner Ära schlug der Gerichtshof einen liberalen Kurs ein und interpretierte die Verfassung weitreichend hinsichtlich zeitgenössischer Probleme. Eine der wichtigen Innovationen war das Recht auf Privatsphäre: »the Warren Court made privacy a central legal concept in American law«.1
3.1 Die Kontrolle politischer Dissidenten bekommt Risse: »Irreparable injury to the property and the civil rights« Die Sicherheitspolitik, die Freiheitsrechte in die Enge trieb, hatte seit den vierziger Jahren einen überraschenden Gewinner, nämlich die Bürgerrechtsbewegung. Seitdem das von Truman eingesetzte President’s Committee on Civil Rights im Jahr 1947 seinen Bericht veröffentlicht hatte, stand der Begriff der Bürgerrechte in engem Zusammenhang mit den Anliegen der afroamerikanischen Bevölkerung auf Gleichbehandlung. Als die Sowjetunion begann, Lynchmorde und Segregation in den Vereinigten Staaten für ihre Propaganda zu nutzen, stieg der Schutz der Bürgerrechte zur Staatsräson der Sicherheit auf: »From the 1940s onward, this Cold War imperative proved a powerful national security rationale for federal dismantling of the worst excesses of Jim Crow«.2 Nach der Spottfigur Jim Crow waren rassistische Gesetze zur Segregation der Ethnien benannt. Auch die Freiheitsrechte von Organisationen wie der NAACP waren bedroht, denn Sicherheitsbehörden nahmen die Bürgerrechtsbewegung ins Visier. Kaum ein Bundesstaat erlangte im Streit um Bürgerrechte einen so zweifelhaften Ruhm wie Alabama, wo Segregation herrschte und die afroamerikanische Bevölkerung ausgegrenzt in einem Teufelskreis von Armut und geringen Bildungschancen lebte. Hier weigerte sich im Dezember 1955 die NAACPAktivistin Rosa Parks, die mit dem Bus in Montgomery unterwegs war, ihren Sitzplatz einem Weißen freizugeben, und riskierte eine Festnahme. Diese provozierte einen Boykott der Buslinien, den Martin Luther King mit anführte. Hier wurde im Jahr 1956 Autherine Lucy, die als erste afroamerikanische Studierende 1 Lane, American privacy, S. 154. 2 Schmidt, Civil rights in America, S. 58 f.
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einen Platz an der University of Alabama erhielt, von einer wütenden Menge empfangen. Hier sprengten im September 1963, zwei Wochen nachdem Martin Luther King in Washington die Rede über seinen Traum vom Ende des Rassenbewusstseins gehalten hatte, Klan-Mitglieder eine tödliche Dynamitladung in einer Baptistenkirche in Birmingham – aus war der Traum. Hier fand 1965 der blutig endende Marsch von Selma nach Montgomery statt, wozu lokale Gruppen und die Southern Christian Leadership Conference (SCLC) aufgerufen hatten.3 Alabamas Politik wirkte rückwärtsgewandt, denn in den fünfziger Jahren erlebten Bürgerrechtler eine Stärkung, als der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 1954 in Brown v. Board of Education die Segregation von Schulen als verfassungswidrig aufhob. Um das Urteil durchzusetzen, musste Präsident Eisenhower sogar einmal die Armee anrücken lassen, um die Polizei in Little Rock, Arkansas, dabei zu unterstützen, afroamerikanische Schüler zu ihrer integrierten Bildungsstätte zu eskortieren und vor weißen Übergriffen zu schützen.4 Auch der Busboykott in Montgomery hatte ein juristisches Nachspiel, als die NAACP gegen die Segregation in Bussen klagte und in unterer Instanz recht bekam, was den rassistischen Verordnungen der weißen Mehrheitsgesellschaft eine empfindliche Niederlage zufügte. Daraufhin wandte sich die Stadt an den Obersten Gerichtshof der USA, dessen Richter im November 1956 die Entscheidung in Browder v. Gayle bestätigten. Als die Entscheidung Ende Dezember rechtskräftig wurde, währte der Busboykott schon über ein Jahr.5 Obgleich der Boykott nicht von der NAACP selbst ausging, begegnete die Regierung Alabamas der Organisation feindselig. So lief parallel zum Streit um das Anrecht auf einen Sitzplatz im Bus ein Verfahren, mit dem Alabamas Justizminister die Organisation zwingen wollte, ihre Mitgliederlisten preiszugeben. Der Versuch, an die Identität von Mitgliedern und Beschäftigten der NAACP zu gelangen, entpuppte sich nicht bloß als taktischer Fehler, sondern führte zu einem »benchmark in the history of American privacy«.6 Die NAACP eröffnete im Jahr 1951 eine Zweigstelle in Alabama, führte ihre Zentrale aber in New York. Im Juni 1956 klagte Alabamas Attorney General John Patterson dagegen, dass die Organisation ihre Geschäfte in dem Bundesstaat weiterführe, ohne sich zu registrieren, sie Mitglieder angeworben, afroamerikanische Studierende und Teilnehmende am Busboykott in Montgomery unterstützt habe: »causing irreparable injury to the property and the civil rights of the residents and citizens of the State of Alabama for which criminal prosecution and civil actions at law afford no adequate relief«.7 Ein Gericht untersagte der Organisation ein wei 3 Dierenfield, The civil rights movement, S. 44 f., 107, 131. 4 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 37 f. 5 Dierenfield, The civil rights movement, S. 50 f. 6 Cappello, None of your damn business, S. 106. 7 NAACP v. Alabama ex rel. Patterson, 357 U. S. 449 (1958), June 30, 1958, S. 452.
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teres Engagement, wogegen diese klagte. Inzwischen forderte der Bundesstaat eine Reihe von Dokumenten an, da sich die NAACP als überregionale Organisation nach dem Recht in Alabama regestrieren müsse. Im Juli 1956 verhandelte das Berufungsgericht in Montgomery den Fall. Auf die Frage, warum der Staat unter anderem Mitgliederlisten angefordert habe, antwortete Patterson, er habe es getan, um zu prüfen, ob die NAACP überregional tätig sei und Mitglieder angeworben habe: I think that lists of members in the State of Alabama will indicate that your corporation has been in the State of Alabama soliciting members and dues, and doing things in furtherance of your corporate purpose, which as you know is doing business in the State of Alabama.8
Die NAACP gestand zwar ein, unter anderem Lucy bei der Bewerbung um einen Studienplatz sowie Beteiligte am Busboykott, darunter King, juristisch unterstützt zu haben. Doch verwehrte sich die Organisation gegen das Vorgehen des Staates.9 Nachdem ein Bußgeld von 10.000 Dollar verhängt worden war, kam die NAACP der Aufforderung zur Herausgabe von Dokumenten nach, ohne aber die Mitgliederlisten zu übergeben, woraufhin sie mit einem Bußgeld von 100.000 Dollar belegt wurde. Das Verfassungsgericht von Alabama weigerte sich zweimal, den Fall in der Sache zu verhandeln, und lehnte eine Übergabe der Akten ab. Der Oberste Gerichtshof der USA gewährte schließlich certiorari, eine Aktenübergabe, um den Fall selbst zu entscheiden. Die Berufungskläger beriefen sich unter anderem auf den Anspruch auf Freiheit und ordentliche Verfahren nach der Klausel due process im vierzehnten Verfassungszusatz. Die Richter gaben ihnen Recht und kehrten das Urteil der unteren Instanz um. Dabei argumentierte Richter John Marshall Harlan mit einer »privacy in one’s associations«. Die Herausgabe von Mitgliederlisten zu erzwingen, könne die Vereinigungsfreiheit einer Gruppe, die für ihre Überzeugungen eintrete, gefährden: »Inviolability of privacy in group association may in many cases be indispensable to preservation of freedom of association, particularly where a group espouses dissident beliefs«.10 Mit dieser Passage betonte das Urteil, dass es sich bei den Petenten um eine Minderheit handelte.11 Eine Intervention weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen mit einer Schrift amicus curiae entstand unter der Federführung des American Jewish Congress. Grundsätzlich bestand die Möglichkeit für einzelne Gruppen, die von einer Entscheidung betroffen waren, aber keine Prozess 8 In the Circuit Court of Montgomery County, Alabama, Fifteenth Judicial Circuit USSC, In Equity, No 30468, Alabama v. NAACP, Transcript of Proceedings, July 25, 1956, Folder ›91 Oct 1957, NAACP v. Alabama‹, Box 2184, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 9 f. 9 Ebd., S. 28. 10 NAACP v. Alabama ex rel. Patterson, 357 U. S. 449 (1958), June 30, 1958, S. 462. 11 Ho, NAACP v. Alabama and the False Symmetry in the Disclosure Debate, S. 414.
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partei stellten, sich mit amicus briefs bei den Richtern Gehör zu verschaffen und Argumente vorzutragen.12 Die ACLU schloss sich zwar der Schrift an, sparte aber nicht mit Kritik an der Argumentation: »We have approved it, however, not because we are completely satisfied with it but because we recognize that the exigencies of the situation did not permit substantial modification of it«.13 Die Organisationen begründeten ihr Interesse in diesem Fall damit, dass sie ebenfalls freiwillige Zusammenschlüsse, die bestimmte gesellschaftliche Anliegen verfolgten, darstellten und daher auch Repressionen fürchteten: »Tomorrow, the same measures may be taken against any group that supports a cause opposed by state officials«.14 Den Antrag der Organisationen, die Schrift zu berücksichtigen, lehnte das Gericht am 28. Oktober 1957 ab.15 In diesem Fall erhielt privacy eine politische Funktion, da eine zivilgesellschaftliche Organisation vor staatlichen Eingriffen geschützt und in ihrem politischen Engagement gestärkt wurde. Hinter den Kulissen hatten die Richter rege diskutiert, welche Gründe ausschlaggebend seien, wobei entweder ordentliche Verfahren nach dem vierzehnten Verfassungszusatz oder Meinungsfreiheit nach dem ersten Verfassungszusatz in Frage kamen.16 Zwischen diesen beiden Positionen versuchte Richter Harlan, der das Urteil verfasste, einen Spagat, indem er den vierzehnten Verfassungszusatz anführte, aber mit Grundrechten argumentierte. Richter Douglas empfand die Interpretation der Meinungsfreiheit im Entwurf als zu engführend: »I think that the right of free speech is subject to no more and no less regulation by the states than it is by the Congress«.17 Richter Felix Frankfurter sandte mehrere Briefe an Harlan, in denen er den Bezug zum ersten Verfassungszusatz vehement kritisierte: »Why in heaven’s name must we, whenever some discussion under the Due Process Clause is involved, get off speeches about the First Amendment?«18 Nach Frankfurters Ansicht verletze das Anfordern von Mitgliederlisten freies Handeln nach dem vierzehnten Verfassungszusatz, ohne dass ein triftiges Interesse des Bundesstaates vorliege. Die betreffende Passage nahm Richter Harlan offenbar aus dem Urteil wieder heraus: »It is of course firmly established that the protection given by the First Amendment against federal 12 Samuels, First among friends, S. 2 f. 13 Rowland Watts to Leo Pfeffer, October 4, 1957, Folder 26, ›NAACP v. Alabama‹, Box 1109, ACLU Records, MC001-02-03, PUL, S. 1. 14 U. S. Supreme Court, OT 1957, No. 91, Motion and Brief for Amicus Curiae, October 3, 1957, Folder ›91 OT 1957, NAACP v. Alabama‹, Box 2184, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 2 f. 15 U. S. Supreme Court, OT 1957, No. 91, October 28, 1957, Folder ›91 OT 1957, NAACP v. Alabama‹, Box 2184, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 1. 16 Dickson, The Supreme Court in conference, S. 311. 17 William O. Douglas to Justice Harlan, April 22, 1958, Folder ›No 91, NAACP v. Alabama, Memoranda‹, Box 46, October Term 1957, JMHarlanPs, MC071, PUL, S. 1. 18 Justice Felix Frankfurter to Justice Harlan, April 23, 1958, Folder ›No 91, NAACP v. Alabama, Memoranda‹, Box 46, October Term 1957, JMHarlanPs, MC071, PUL, S. 2.
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invasion of such rights is afforded by the Due Process Clause of the Fourteenth Amendment against state action«.19 Dabei erinnerte Richter Frankfurter an die Angriffe von Präsident Theodore Roosevelt auf den Obersten Gerichtshof und auf den »Court packing plan« von Präsident Franklin Roosevelt, eine Strategie, um die Mehrheitsverhältnisse zu ändern, nachdem die Richter mit einer weiten Auslegung der Vertragsfreiheit mehrere Gesetze kassiert hatten.20 Auch Richter Hugo Black hatte sich der Ansicht von Douglas angeschlossen. Nachdem die Kollegen Richter Tom Clark von einer abweichenden Meinung abbringen konnten, fiel das Urteil einstimmig aus.21 Die Diskussion der Richter berührte die Frage, wie ein Anspruch auf Privatsphäre verfassungsrechtlich zu begründen sei, insbesondere wenn Gesetze der einzelnen Bundesstaaten zur Disposition standen, und gab einen Vorgeschmack auf spätere Auseinandersetzungen. Bürgerrechte erlangten einen großen Konsens, Freiheitsrechte hatten aber weiterhin einen schweren Stand gegenüber dem allgegenwärtigen Anspruch auf Sicherheit: »Civil liberties, by contrast, required the careful, pragmatic balancing of individual liberty and security«.22 Obgleich das Urteil Züge einer Entscheidung über Bürgerrechte im Sinne eines Minderheitenschutzes trug, entwickelte es sich zu einem Präzedenzfall für individuelle Freiheitsrechte.
3.2 Reporter stellen das Privatleben zur Schau: »Great emotional distress and embarassement« Privatsphäre, wie die Richter sie politischen Vereinigungen zusprachen, sollte Rechte nach dem ersten Verfassungszusatz stärken und als Garant der Meinungsfreiheit wirken. Umgekehrt sah es aus, wenn Herausgeber von Zeitungen, die sich selbst als Hort der Meinungsfreiheit betrachteten, Artikel druckten, die von den darin vorkommenden Personen als Eingriff in die Privatsphäre wahrgenommen wurden. Wenn es eine Personengruppe gab, über die Medien noch lieber berichteten als über Prominente, dann handelte es sich um Opfer von Verbrechen. Zu einem solchen Opfer von Verbrechen, das später, wie es glaubte, der Presse zum Opfer fiel, wurde im September 1952 die Familie Hill. Die Familie Hill bewohnte ein Haus in einem wohlhabenden Vorort von Philadelphia, wo sie Ruhe und Zurückgezogenheit im »postwar suburbia«23 genoss, bis sich eines Tages drei entflohene Bankräuber Zutritt zu ihrem Heim verschafften und sie über neunzehn Stunden hinweg als Geiseln hielten. Obwohl die Geiselnahme im 19 Ebd., S. 3. 20 Justice Felix Frankfurter to Justice Harlan, April 24, 1958, Folder ›No 91, NAACP v. Alabama, Memoranda‹, Box 46, October Term 1957, JMHarlanPs, MC071, PUL, S. 2. 21 Dickson, The Supreme Court in conference, S. 312. 22 Schmidt, Civil rights in America, S. 70. 23 Igo, The known citizen, S. 117.
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Haus gewaltfrei ablief, steckte den Hills der Schock tief in den Knochen. »They were courteous to me, kind to the children, respectful of our furniture, and considerate of our feelings as much as would be possible under such circumstances,« schrieb die Mutter Elizabeth Hill im gleichen Monat an eine Freundin: »I suffered only in fear of what they might do any moment«.24 Es war nicht hilfreich für die Familie, dass Medien intensiv berichteten und Zeitungsreporter sich auf den Fall stürzten. Die Geiselnahme und vergleichbare Fälle inspirierten den Autor Joseph Hayes zum Roman »The Desperate Hours«, den er später zu einem Theaterstück umarbeitete, dessen Handlung gewalttätig und Dialoge anstößig waren. Drei Jahre nach der Entführung rissen alte Wunden wieder auf, als das Magazin Life im Jahr 1955 das Theaterstück auf reißerische Art bewarb, wozu Reporter Szenen im alten Haus der Hills nachstellten, obwohl es sich um ein fiktives Stück handelte. An die Tat erinnert, litt Frau Hill an psychischen Problemen und stand unter Elektroschockbehandlung. Die Familie Hill zog vor Gericht, wobei sie sich auf das Privacy-Gesetz in New York, wo das Magazin seinen Sitz hatte, berief.25 Es entfaltete sich ein über Jahre geführter Rechtsstreit darüber, ob die mediale Verarbeitung des persönlichen Schicksals einer Familie deren Privatsphäre verletzte oder von der Meinungsfreiheit gedeckt war. Dieser Anspruch auf Privatsphäre, darauf, in Ruhe gelassen zu werden, ging auf einen Artikel zurück, den die Juristen Louis Brandeis und Samuel Warren im Jahre 1890 veröffentlicht hatten. Die Autoren argumentierten, dass Recht, hier das Richterrecht im Common Law, auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren müsse, um den Schutz der Persönlichkeit zu gewährleisten. Dabei hatten es die Autoren insbesondere auf eine sensationslüsterne Presse und Fotojournalisten abgesehen: »Instantaneous photographs and newspaper enterprise have invaded the sacred precincts of private and domestic life«.26 Damit war auch klar, wo die Autoren die Privatsphäre verorteten: im häuslichen Leben. Kritiker haben auf die elitären Züge des Konzepts verwiesen, das aus einer weißen Oberschicht hervorging: »This vision of privacy was patriarchal as well as privileged«.27 Legendär war Samuel Warren selbst mit der Presse aneinandergeraten, da seine Frau, eine Gesellschaftsdame von hohem Rang, eine Reihe von Feiern gab, über die lokale Zeitungen ausführlich berichteten. Die Reportage über die Hochzeit einer Tochter brachte das Fass zum Überlaufen, und Warren stieß den Artikel an.28 Bei allem Gram gegenüber übergriffigen Reportern räumten Warren und 24 Supreme Court [of New York], Appellate Division, First Judicial Department, Hill v. Hayes et al. and Time Inc., Case on Appeal, [1961], Folder ›No 22 OT 1966, 3 of 4, Time Inc v. Hill‹, Box 6980, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 900, Hervorhebung im Original. 25 Barbas, Laws of image, S. 176 f., 197. 26 Warren / Brandeis 1890, The Right to Privacy, S. 195. 27 Igo, The known citizen, S. 39. 28 Prosser 1960, Privacy, S. 383.
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Brandeis dem Recht auf Privatsphäre keine absolute Stellung ein, die jedwede Berichterstattung verhindern könne, sondern formulierten Ansprüche des öffentlichen Interesses.29 Prominente Figuren und die Presse standen in einer komplizierten Symbiose aus Sehen und Gesehen-Werden. In den fünfziger Jahren erlebte dieses Verständnis von privacy, das die Integrität der Person gegenüber anderen schützte und im Deliktrecht etabliert war, eine Konjunktur, als sich die Zahl der Fälle verdoppelte und die strittigen Summen von rund zwei Milliarden auf rund fünf Milliarden Dollar kletterten, woraus sich ein lohnendes Gebiet für Anwälte ergab.30 Bis zum Jahr 1960 hatten sich unter Privatsphäre verschiedene Kategorien herausgebildet: das Stören der Ruhe oder Abgeschiedenheit, das Veröffentlichen pikanter Details, das Darstellen von Personen in einem schiefen Licht sowie die Aneignung von Fotos oder Namen.31 Was diesen Kategorien gemein war, erschien nicht unbedingt offensichtlich, zumindest betrafen sie allesamt den Gegensatz von öffentlich und privat, wobei hier eine mediale Öffentlichkeit von Zeitungen, Werbung und Filmen einer persönlichen Privatheit, die wiederum medial ungebührlich repräsentiert wurde, gegenüberstand. Diese Dichotomie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit unterschied sich von der Dichotomie zwischen Gouvernementalität, den Praktiken einer Regierung, und ihrer Beschränkung in Privarität. Im Falle der Familie Hill stand Privatsphäre nicht als Garant für Meinungsfreiheit, der gegen staatliche Praktiken geschützt werden müsse, wie im Falle der NAACP gegen Alabama, sondern als ein Schutzwall gegen die Meinungsäußerungen anderer über die eigene Person. Häufig wird der Fall aus verfassungsrechtlicher Perspektive von seinem Ergebnis aus analysiert, von der höchstrichterlichen Entscheidung über eine Familie, die einem großen Medienkonzern gegenüberstand, wie David gegen Goliath. Es lohnt aber ein Blick darauf, wie der Fall in den unteren Instanzen verlief. James Hill, der Familienvater, kontaktierte Leonard Garment, einen alten Bekannten, der eigentlich als Wirtschaftsjurist arbeitete. Nachdem das Magazin eine Gegendarstellung abgelehnt hatte, reichte der Anwalt eine Klage ein. Eine Verleumdungsklage kam nicht in Frage, da die fiktionale Familie in den Medien durchaus als heldenhaft dargestellt wurde, so dass die Klage eine Verletzung der Privatsphäre anführte, wonach das Schicksal der Familie zu kommerziellen Zwecken ausgeschlachtet worden sei.32 Die Hills holten in der ursprünglichen Beschwerde zu einem Rundumschlag aus, verklagten allen voran den Autor Joseph Hayes und Marijane Hayes als Rechteinhaberin, den Agenten Howard Erskine, mehrere Verlage und Buchgesellschaften sowie eine Theaterfirma, die »The Desperate Hours« vertrieben, und 29 Warren / Brandeis 1890, The Right to Privacy, S. 214–219. 30 Barbas, Laws of image, S. 178. 31 Prosser 1960, Privacy, S. 389. 32 Barbas, Newsworthy, S. 57 ff., 81 ff.
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eine Filmproduktionsfirma, die eine Fassung für die Kinos gedreht hatte und auf einen günstigen Starttermin wartete, sowie den Time-Konzern als Herausgeber von Life, die eine Fotoserie zum Theaterstück gedruckt hatte.33 Kurzum wollte die Familie Hill anfangs sämtliche Publikationsformen des fiktionalisierten Stoffes, den ihre Geiselnahme inspiriert hatte, unterbinden und verhindern, dass irgendjemand mit ihrem Schicksal ein Geschäft machte. Dem Familienvater ging es ums Prinzip: »Like many plaintiffs against the press, James also wanted to punish Hayes and Time, Inc.«.34 Die dritte geänderte Beschwerde konzentrierte sich auf den Magazinbericht, für den Autor, Agent und Theaterfirma mitverantwortlich seien. Der Bericht sei für Werbung, Unterhaltung und Kommerz bestimmt und stelle eine falsche Verbindung zwischen Fiktion und einer tatsächlichen Geiselnahme her, so dass die Kläger »great emotional distress and embarassment« erlitten hätten.35 Die Verhandlung zu Hill v. Hayes begann Anfang April 1962 in New York.36 Die meisten Beschwerdepunkte wurden abgewiesen. Die Jury entlastete den Großteil der Beklagten einstimmig und verurteilte mit zwei Gegenstimmen lediglich den Time-Konzern zu einem erklecklichen Schadensersatz.37 Einerseits hatte das Life-Magazin den wirklichen Namen und den ehemaligen Wohnort der Familie ins Spiel gebracht. Andererseits hatte sich das Magazin das Stück weder ausgedacht noch mit Gewinnabsicht vertrieben, sondern lediglich darüber berichtet. Die New Yorker Gerichte verwarfen also schon den Hauptteil der Klage. Der auf einen Nebenaspekt zurechtgestutzte Fall ging durch die Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof der USA, worauf ich später zurückkomme.
3.3 Verhütungsmittel als Privatsache: »Abstinence from sexual intercourse« Es bahnte sich ein weiterer Konflikt an, in dem sich die Richter am Obersten Gerichtshof mit Ansprüchen auf Privatsphäre auseinandersetzen mussten. Das Verbot von Verhütungsmitteln in Connecticut hatte zweifellos Konsequenzen für das Zusammenleben von Paaren, und seine Kritiker betonten, dass die Staats 33 Supreme Court [of New York], Appellate Division, First Judicial Department, Hill v. Hayes et al. and Time Inc., Case on Appeal, [1961], Folder ›No 22 OT 1966, 3 of 4, Time Inc v. Hill‹, Box 6980, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 912 f. 34 Barbas, Newsworthy, S. 52. 35 Supreme Court [of New York], Appellate Division, First Judicial Department, Hill v. Hayes et al. and Time Inc., Case on Appeal, [1961], Folder ›No 22 OT 1966, 3 of 4, Time Inc v. Hill‹, Box 6980, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 13. 36 Barbas, Newsworthy, S. 111 ff. 37 Supreme Court [of New York], Appellate Division, First Judicial Department, Hill v. Hayes et al. and Time Inc., Case on Appeal, [1961], Folder ›No 22 OT 1966, 3 of 4, Time Inc v. Hill‹, Box 6980, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 768.
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gewalt sozusagen mit einem Fuß im ehelichen Schlafzimmer stehe. Das tat sie aber nicht wortwörtlich und hatte zum Beispiel keine Razzien bei Privatpersonen durchgeführt. Einen Schlüssel zum Fall stellte abermals das Konzept privacy dar. Das Privatsphäre-Argument brachten Anwälte von Planned Parenthood und der ACLU in einen Rechtsstreit um Verhütungsmittel ein, um den Schutz des Ehelebens zu betonen, womit sie sich bei einigen Richtern Gehör verschaffen konnten.38 Patienten unter den Pseudonymen Paul und Pauline Poe, ein verheiratetes Paar, sowie Jane Doe, eine verheiratete Frau, hatten den Arzt Lee Buxton wegen Verhütungsmitteln konsultiert. Die Anwältin Catherine Roraback reichte im Mai eine Beschwerde für die Parteien ein, die zunächst vor Gericht scheiterte. In seinem Urteil vom 30. Januar 1959 erklärte der Superior Court of Connecticut das Verhütungsmittelverbot für verfassungskonform.39 Hinter den Kulissen herrschte Aufregung: Es bestanden Rivalitäten zwischen verschiedenen Anwälten, und Roraback wollte nicht mit Morris Ernst von GW&E kooperieren. Juristische Ratschläge der Kanzlei GW&E an die Prozessanwälte führten zu Verstimmungen.40 Campbell versuchte, die Wogen zu glätten, betonte aber die Verantwortung von PPLC, die Meinung von PPFA zu berücksichtigen.41 Für den Bundesverband stand mehr auf dem Spiel als die Rechte einzelner Kläger, denn der Fall hatte Auswirkungen auf die gesamte Politik der Familienplanung, da ein Erfolg den Weg für eine staatliche Intervention in der Familienplanung ebnen konnte. Der Supreme Court of Errors of Connecticut stellte im Dezember 1959 keine Fehler fest und verwies auf »issues of public policy«, welche in den Beschwerden aufgeworfen wurden, und auf eine Alternative zu Verhütungsmitteln in Form einer »abstinence from sexual intercourse«.42 Daraufhin gingen die Kläger in die nächsthöhere Instanz. In der Verteidigungsschrift vor dem Obersten Gerichtshof der USA argumentierte Albert Coles, Attorney General, dass es sich beim Verhütungsmittelverbot um eine legitime Ausübung der Staatsgewalt, der »police power of the State« handle, die weder das Recht auf Leben und Freiheit noch die Eigentumsrechte der Klagepartei Buxton verletze.43 Die Rechtsanwälte der Kläger beriefen sich unter anderem auf Privatsphäre. Anwalt Fowler Harper bezog sich in seiner Schrift auf den Dissens von Richter Brandeis in den zwan 38 Igo, The known citizen, S. 150. 39 Poe v. Ullman, 367 U. S. 497 (1961), Transcript of record, March 23, 1960, (Gale Document Number: DW3901316562), S. 1, 5, 10, 19 f. 40 Garrow, Liberty and sexuality, S. 153, 157. 41 [Loraine] Campbell to Sydney A. Hessel, July 1, 1959, Folder [26] ›CT BC Situation Legal, Corresp. From Jul 1, 1959‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 2. 42 Poe v. Ullman, 367 U. S. 497 (1961), Transcript of record, March 23, 1960, (Gale Document Number: DW3901316562), S. 33. 43 Poe v. Ullman, 367 U. S. 497 (1961), Appellee’s brief, October 19, 1960, (Gale Document Number: DW3901960981), S. 3.
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ziger Jahren sowie auf die angloamerikanische Redensart »a man’s home is his castle«, um einen Anspruch auf privacy zu begründen, und er argumentierte: »These married appellants claim a constitutionally protected right to marital intercourse in the privacy of their homes, by mutual agreement, under medically approved conditions«.44 Harper widersprach aber der Auffassung, dass Privatsphäre unter den vierzehnten Verfassungszusatz falle.45 Damit grenzte sich Harper gegen eine Schrift der ACLU ab, die das »Right to Privacy« mit diesem Verfassungszusatz begründete.46 Die Organisation unterstützte die Kläger in Connecticut und arbeitete eng mit dem Rechtsbeistand der nationalen Organisation von Planned Parenthood zusammen. Außerdem hatte sich im Jahr 1955 Griswold, Direktorin von PPLC, mit Patrick Malin, Geschäftsführer der ACLU, getroffen.47 Auf einige Richter, die eine Minderheitsmeinung vertraten, wirkte die Argumentation der ACLU im Fall Poe, wie das Recht auf eheliche Privatsphäre zu begründen sei, überzeugend.48 Auf diese Weise trug die Organisation dazu bei, Privatsphäre rechtliche Konturen zu verleihen. Die Mehrheit der Richter wies die Klage ab und nahm mit vier zu drei Stimmen das Urteil an, das Richter Felix Frankfurter verfasst hatte, wonach der Fall nicht justiziabel sei, da die Kläger nicht von einer Strafverfolgung betroffen seien. Bisher war es erst einmal zu einer Strafverfolgung gekommen, was Richter Frankfurter aber als bloßen »test case« wertete.49 Das Argument einer verletzten Privatsphäre konnte sich noch nicht durchsetzen. Doch die lokalen Akteure wehrten sich weiterhin gegen das gesetzliche Verbot. Die Frage lautete, wie ein justiziabler Fall konstruiert werden könne. Um die Staatsgewalt herauszufordern, planten Griswold und Buxton, eine Klinik für Geburtenkontrolle zu eröffnen.50 Der Bundesverband hatte weiterhin ein besonderes Interesse an den Fällen, um Programme zur Familienplanung aufzubauen, für die auch zentralstaatliche Gelder zur Verfügung standen. Zuvor, in einem Memorandum von 1961, spielte Mary Calderone auf bestehende gesetzliche Verbote an, die solchen Programmen im Wege stünden: »For obvious reasons, the question is presently an academic one in the states of Massachusetts and Connecticut«. Allerdings hoffte Calderone auf die Entscheidung im Fall Poe: »the forthcoming Supreme Court decision may free this subject to be of interest
44 Poe v. Ullman, 367 U. S. 497 (1961), Appellant’s brief, September 3, 1960, (Gale Document Number: DW3902384573), S. 28 f. 45 Garrow, Liberty and sexuality, S. 167. 46 Poe v. Ullman, 367 U. S. 497 (1961), Amicus brief [ACLU], October 17, 1960, (Gale Document Number: DW3901961576), S. 6, 10. 47 Garrow, Liberty and sexuality, S. 143. 48 Samuels, First among friends, S. 28 ff. 49 Williams, The paths to Griswold, S. 2163. 50 Garrow, Liberty and sexuality, S. 196.
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to health officers even in these two states«.51 Die Organisation wollte rechtliche Hürden beseitigen, um medizinische Dienste und entsprechende Beratung anbieten zu können, was in den Bundesstaaten Massachusetts und Connecticut untersagt war. Das Zitat lässt sich so interpretieren, dass der Gerichtshof Restriktionen verwerfen und damit Gesundheitsbeamten den Weg ebnen könne. Inzwischen suchte Griswold eine Immobilie mit zehn Räumen in guter Lage von Hartford, richtete sie ein und eröffnete zudem am 1. November 1961 eine Verhütungsklinik in New Haven. Im Planned Parenthood Center of New Haven beriet das Personal die Patientinnen zu Verhütungsmethoden, und Ärzte verschrieben entsprechende Mittel.52 Das New Haven Police Department schaltete sich ein, und die Staatsanwaltschaft stellte im November 1961 einen Beschluss gegen Griswold als Klinikleiterin und Buxton als medizinischen Leiter wegen Verstoßes gegen das Verhütungsmittelgesetz aus und forderte das Zentrum auf, seine Dienste einzustellen. In der Anhörung am Bezirksgericht in New Haven plädierten Buxton und Griswold auf nicht schuldig. Richter Robert Lacey verurteilte die Beklagten im Januar 1962 zu einer Geldbuße von jeweils 100 Dollar, was ein Berufungsgericht sowie der Oberste Gerichtshof von Connecticut bestätigten.53 Schließlich musste der Oberste Gerichtshof der USA erneut über das Verhütungsmittelverbot entscheiden. Um die eheliche Privatsphäre drehte sich der Fall bloß mittelbar, denn unmittelbar verklagt worden war das Leitungspersonal einer Klinik für Verhütung, das für sein Recht stritt, eine solche Klinik zu führen. Außer den Rechten von Patienten und Ärzten bestimmte der Ausgang des Falls den Fortgang der Familienpolitik. Im weitesten Sinne wurden gouvernementale Praktiken in der Bevölkerungsfrage verhandelt.
51 Mary S. Calderone to Doctor, M-1159, Enclosures, May 19, 1961, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 52 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Transcript of records, September 14, 1964, (Gale Document Number: DW3900564568), S. 16 f. 53 Ebd., S. 64 ff.
4. Neue Sicherheitstechnologien etablieren sich
Abb. 4: Der Zensus basierte früh auf automatisierter Datenverarbeitung. Das Bild von ca. 1950 zeigt eine Mitarbeitende an einer Lochkartenmaschine und stammt aus einem Trainingsfilm für Volkszähler. Courtesy National Archives (29-FS-1950-1-29).
Ansprüche auf Privatsphäre waren von einschneidenden technologischen Entwicklungen begleitet, dem Computer und der Pille, die beide gouvernementale Techniken begünstigten, auf die Bevölkerung einzuwirken. Auch auf anderen Gebieten wie der Überwachung gab es bahnbrechende Innovationen, doch wären diese mit ihren gezielten Angriffen auf einzelne Verdächtige eher den Disziplinartechniken zuzuordnen. Foucault konzeptioniert Sicherheit in einem bestimmten Raum zufälliger Erscheinungen: »Der Sicherheitsraum verweist also auf eine Serie möglicher Ereignisse, er verweist auf das Zeitliche und das Aleatorische, ein Zeitliches und Aleatorisches, die in einen gegebenen Raum eingeschrieben werden müssen«.1 Folgen wir Foucault, der einen Aspekt von Sicherheit darin erkennt, das Zufällige zu beherrschen, dann wirkten Computer wie ausgesprochene Sicherheitsmaschinen, ermöglichten sie es doch, Simulationen, 1 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 40.
Neue Sicherheitstechnologien etablieren sich
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Prognosen, Planungen und Statistiken zu erstellen, die auf Wahrscheinlichkeiten basierten. Sie konnten einer Bevölkerungspolitik dienen: »Computerization and administrative rationalization begin to make possible for the first time a ›real‹ government of population«.2 Darum, den Zufall zu beherrschen, ging es gewissermaßen auch in der Familienplanung, deren herkömmliche Methoden, um eine Schwangerschaft zu verhüten, mit einigen Unsicherheiten behaftet waren. Dies änderte sich mit medizinischen Methoden wie der Pille, die verlässlicher und sicherer waren und daher tradierte Familienbilder durcheinanderbrachten. Beschränkte sich die Geburtenkontrolle bisher auf Verbote, die auf Sitten und ein bestimmtes Familienbild ausgerichtet waren, lieferten neue Verhütungsmethoden das Werkzeug für eine »echte« Bevölkerungspolitik.
4.1 Die Pille revolutioniert die Familienplanung: »The medical, social and moral implications« Soziale Sicherheit hing auch von Familienplanung ab. Im Einzelfall konnte eine Schwangerschaft zu medizinischen Komplikationen führen, eine Geburt zu einem ungünstigen Zeitpunkt Karrierewege hemmen und eine unverhoffte Geburt sozial schwach gestellte Familien in Armut stürzen. Diese prekäre Situation von Familien änderte sich rasant mit der Entwicklung neuer medizinischer Verhütungsmethoden. Eine bedeutende Organisation, die sich der Verbreitung von Methoden zur Verhütung verschrieben hatte, war PPFA. Von einer »threshold of a new era in birth control«, die Forscher wahrnahmen, berichtete beispielsweise Alan Guttmacher von einem Symposium in New York im Oktober 1957.3 Damit zielte der damalige Leiter der medizinischen Abteilung der PPFA auf neue Methoden zur Empfängnisverhütung ab, die von einer breiten Bevölkerungsschicht akzeptiert würden. Neben Cremes oder Gels erprobten Mediziner ein Hormonpräparat zur Verhütung: die Pille. Die Organisation investierte selbst in die Entwicklung neuer Methoden und unterstützte etwa die technologische Entwicklung der Pille, indem sie in den fünfziger Jahren ein Stipendium an den Forscher Gregory Pincus vergab. Margaret Sanger, Gründerin der Organisation, konnte Katherine McCormick als Förderin gewinnen, die Gelder zunächst über die PPFA und dann über eine eigene Stiftung zur Erforschung der Pille bereitstellte. Im Jahr 1957 ließ die FDA die Pille als Medikament zu, das zur kurzfristigen Einnahme bei gynäkologischen 2 Gordon, Governmental Rationality, in: Burchell, Graham u. a. (Hg.), The Foucault effect, S. 45. 3 Alan Guttmacher, Statement. Threshold of a New Era in Birth Control, October 15, 1957, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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Beschwerden bestimmt war.4 Orale Verhütungsmethoden standen in der Testphase. Diesbezüglich erklärten Alan Guttmacher, Medical Committee, und Carl Hartman, Biological Research Committee, dass es wegen möglicher Nebenwirkungen zu früh sei abzuschätzen, ob diese verwendet werden könnten.5 Aus Sicht der PPFA standen nicht allein medizinische Möglichkeiten im Vordergrund, sondern darüber hinaus die gesellschaftliche Bedeutung. Planned Parenthood zeigte sich der medizinischen Entwicklung von oralen Verhütungsmitteln gegenüber aufgeschlossen und betonte die Relevanz für die öffentliche Gesundheit. Auf dem Symposium 1957 diskutierten Experten: »the medical, social and moral implications of new contraceptive methods«.6 Als wie weitreichend die Folgen sich erweisen sollten, ließ sich Ende der fünfziger Jahre bestenfalls erahnen. Der Durchbruch erfolgte in den sechziger Jahren. Im Jahr 1960 ließ die FDA das Präparat Enovid des Arzneimittelherstellers Searle als orales Verhütungsmittel zu. Innerhalb der nächsten fünf Jahre entwickelte sich die Pille zum beliebtesten Verhütungsmittel in den USA.7 Das Hormonpräparat in Pillenform bildete nicht die einzige Innovation; außerdem entwickelten Forscher die Spirale zur Verhütung. Dieses »Intra-Uterine Device« (IUD), das in den Uterus eingesetzt wurden, erklärte die internationale Organisation von Planned Parenthood im Oktober 1964 für effektiv, einsatzfähig und sicher.8 Neue Methoden zur Verhütung verbreiteten sich rasch und begünstigten soziale Umwälzungen. Just zu der Zeit, als die Pille auf den Markt kam, brach sich ein grundlegender Wertewandel bahn, der zu einem freieren Umgang mit Sexualität und zur Emanzipation der Frau führen konnte: »The pill is also helping to overturn conventional ideas of sexual morality, and, coming as it did at a time of increasing sexual liberty, it must be admitted that it arrived almost on cue«.9 Die Möglichkeit einer Schwangerschaft nach heterosexuellem Geschlechtsverkehr erschien kontrollierbar, wodurch sich Frauen neue Chancen und Rollenbilder eröffneten, da Mutterschaft weniger als ein Schicksal, sondern als eine Entscheidung erschien. Die Entwicklung von Pille und IUD veränderten das soziale Wertegefüge: »They did more than lower birth rates; they also changed attitudes«.10 4 Watkins, On the pill, S. 25 f., 32. 5 Alan Guttmacher and Carl G. Hartman, Statement on Rock-Pincus Studies on Steroids, A-5996, July 10, 1957, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 6 Frederick S. Jaffe, for release, Planned Parenthood meeting to focus on new contraceptive methods, A-6127, October 13, 1957, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 f., Zitat S. 1. 7 Watkins, On the pill, S. 33 f. 8 PPWP, News about International Planned Parenthood, October 15, 1964, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 9 Vaughan, The pill on trial, S. 2. 10 Reed, The birth control movement and American society, S. 376.
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Eine weitere Technologie zur Verhütung stellte Sterilisation dar, die aber einen unwiderruflichen Schritt bedeutete. Deshalb war es entscheidend, ob dieser Schritt freiwillig oder unter Zwang erfolgte. Dies macht deutlich, wie eine Technik die Selbstbestimmung von Frauen sowohl fördern als auch beschneiden konnte: »it was not the technology of sterilization itself that determined whether women saw the operation as repressive or liberating but the context in which the technology was embedded«.11 Auf dem Gebiet der Familienplanung erschien Technologie ambivalent, da sie sowohl Freiheiten eröffnen als auch repressiv eingesetzt werden konnte. Die technologische Entwicklung ging Hand in Hand mit juristischen Streitigkeiten und verliehen dem oben analysierten Konflikt in Connecticut eine größere Bedeutung. Gesetzliche Verbote wie jenes in Connecticut standen der Verbreitung neuer Verhütungsmethoden im Weg, so dass Planned Parenthood solche Restriktionen beseitigen wollte. Dahinter stand auch eine soziale Agenda: Denn neue medizinische Mittel erschienen für Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen erschwinglich, wie es in einem Brief der Kanzlei GW&E hieß. So zeigte die Rechtsanwältin Harriet Pilpel auf, wie Informationen über Verhütungsmittel verbreitet werden könnten, und hob das Interesse hervor, weshalb die Organisation rechtliche Prozessrisiken in Kauf nehmen könne: »Planned Parenthood’s desire to push back the legal frontiers«.12 Während Kondome in dem Bundesstaat relativ frei verfügbar waren, stellte die Vergabe von medizinischen Mitteln wegen der Verbote ein juristisches Risiko für Ärzte und Apotheker dar, was eine Barriere für viele Frauen bedeutete, zur Pille zu greifen.13 Daher bestand eine besondere Motivation für PPFA, das Verbot von Verhütungsmitteln anzugreifen. Da das Gesetz insbesondere den Zugang zu medizinischen Methoden und Präparaten beschränkte, wollten Anwälte des Bundesverbandes medizinische Argumente in die Prozessstrategie einfließen lassen. Auf einer Konferenz zu den Fällen in Poe, an der Anwalt Harper, PPFA sowie Ernst und Pilpel von GW&E teilnahmen, bemerkten die Vertreter der Kanzlei, dass eine Vielzahl von Verhütungsmitteln in Drogerien frei verfügbar sei, und riet daher dazu, den Fokus auf verschreibungspflichtige Präparate zu legen.14 Laut Pilpel sollten in der Schrift für den Fall des Arztes Buxton medizinische Punkte stärker berücksichtigt werden: »the medical significance of availability of contraceptive advice for health purposes«.15 11 Schoen, Choice and coercion, S. 79. 12 Harriet F. Pilpel to William Vogt, December 30, 1957, Folder [33] ›PPWP, Med.Dep., from 1956, contraceptives-corresp.‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 f., Zitat S. 1. 13 Bailey, Momma’s Got the Pill, S. 108. 14 GW&E, Conference, Re: Connecticut Birth Control Cases, November 14, 1958, Folder [27] ›CT BC Situation Legal, Corresp. Jan ’55 to Jun ’59‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 2. 15 Harriet Pilpel to Fowler V. Harper, July 6, 1959, Folder [26] ›CT BC Situation Legal, Corresp. From Jul 1, 1959‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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Die Motive für den Rechtsstreit waren also unterschiedlich gelagert und reichten von der Versorgung breiter Bevölkerungsschichten bis hin zur Verbreitung medizinischer Innovationen. Diese Motivlage spiegelte sich in der Tätigkeit der PPFA wider, die Beratung und medizinische Dienste anbot. Eine Broschüre aus dem September 1960 beschrieb Verhütung als gängiges Mittel in der Präventivmedizin und erläuterte verschiedene Methoden.16 Behörden fehlte dieser direkte Zugang zur Bevölkerung. Als Reaktion auf eine Stellungnahme der American Public Health Association von 1959 kontaktierten Gesundheitsbeamte PPFA und erfragten, wie das »child-spacing«, also die Zeitspanne zwischen Geburt und einer erneuten Schwangerschaft, in Gesundheitsprogramme eingebunden werden könne. Diesbezüglich empfahl Mary Calderone, medizinische Direktorin von PPFA, im Mai 1961 für Bevölkerungsgruppen von niedrigem sozialem Status einfache Präparate anzubieten, die bei großen Bestellungen preiswert seien.17 Das Augenmerk galt hier sozial schwachen Schichten, die über neue Mittel einen Zugang zu Familienplanung erhalten sollten, wozu mehrere Produkte zur Empfängnisverhütung zur Verfügung standen. Zu den Kategorien zählten Cremes bzw. Gels, Vaginaltabletten, Verhütungsschwamm und Schaum, Vaginalzäpfchen, orale Verhütungsmittel wie das verschreibungspflichtige Enovid, verschreibungspflichtige Diaphragmas, Portiokappen, Kondome, qualitätsgeprüft von der FDA, sowie eine Verhütung nach Menstruationszyklus.18 Die Organisation beriet zum einen medizinisches Personal über bestehende Methoden und veröffentlichte dazu Publikationen wie »Methods of Contraception in the United States« oder »Modern Methods of Birth Control«.19 Zum anderen gab PPFA Empfehlungen an Patientinnen und Patienten. Am sichersten sei ein gleichzeitiger Gebrauch von Kondomen, die aber viele Paare ablehnten, weshalb Methoden kombiniert werden sollten, so dass der Ehemann lediglich an den geschätzt fruchtbaren Tagen im Menstruationszyklus der Ehefrau ein Kondom verwenden müsse.20 16 Planned Parenthood, Contraceptives, [1958] revised by Mary S. Calderone, September 1960, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 17 Mary S. Calderone to Doctor, M-1159, Enclosures, May 19, 1961, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 18 [PPFA] Birth Control Products, 11/61, M-1471, [November 1961], Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 ff. 19 Mary S. Calderone to Presidents and Executive Directors, November 27, 1961, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 20 PPWP, Limitation of Use of Presently Available Oral Contraceptives, M-8760, November 13, 1964, Folder [18] ›PPWP, Med.Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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In der Praxis mussten Mittel erst einmal ihren Weg in das private Leben finden, und damit verbunden waren gouvernementale Praktiken der Sicherheit aber auch Selbstverantwortung. So intim die Details der Verhütung auch wirkten, setzte sich der Anspruch auf Privatsphäre erst in den darauffolgenden Jahren durch.
4.2 Computer verarbeiten Behördendaten: »As we seek more and more data to the machine« Ob digitale Computer eine Sicherheitsmaschine per se darstellten, die eine neue Justierung zwischen gouvernementalen Praktiken und ihren Grenzen in Privarität erforderlich machte, bedarf eines genauen Blickes. Schließlich gehörte es seit jeher zu den Aufgaben des Staates, Informationen über die Bevölkerung zu sammeln und zu verwalten, wozu Behörden seit dem 19. Jahrhundert auch automatisierte Verfahren und mechanische Apparate einsetzten. So verwendete die Zensusbehörde die Lochkartenmaschine von Hermann Hollerith bei der Volkszählung von 1890 zur »mechanization of information«.21 In der Folge entwickelten Ingenieure die mechanischen Apparate, mit denen Daten automatisch verarbeitet werden konnten, weiter. So ging aus Holleriths Firma schließlich der Konzern International Business Machines (IBM) hervor. Diese technologische Entwicklung bildete den zivilen Ursprung des Computers. Im gleichen Jahr, als die Zensusbehörde erstmals Daten automatisch verarbeitete, erschien auch der Artikel zum Recht auf Privatsphäre von Warren und Brandeis, jedoch bezogen sich die Autoren nicht auf staatliche Informationsverarbeitung. Nur vereinzelt fassten andere Autoren Fakten und Informationen über Personen überhaupt als Teil der Privatsphäre, wie ein Chicagoer Autor, der im September 1925 die Ansicht vertrat, das Anlegen von Akten und Dokumenten wie Steuerunterlagen oder Kreditberichten bedeute eine »terrible invasion of privacy«.22 Von automatischer Datenverwaltung mit Lochkarten und Maschinen war in diesem Zusammenhang nichts zu hören. Ein Aufschrei wegen Privatsphäre blieb aus. Nur sporadisch trugen Politiker und Bürger vor, dass die Zensusbehörde in die Privatsphäre eingreife. Dabei unterhielt diese Behörde auf Bundesebene die größte und augenscheinlichste Datenverwaltung. Über den Zensus hinaus waren die statistischen Dienste der Ministerien und Behörden von dezentraler Struktur und es bestand eine geringe Koordinierung, eine Situation, mit der sich die Verantwortlichen im Grunde zufrieden zeigten. Dieses Bild zeichnete sich in einer Reihe von Studien seit den zwanziger Jahren ab: »most of the recommendations have favored the existing decentralized orga 21 Austrian, Herman Hollerith, S. 4. 22 Igo, The known citizen, S. 56.
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nization of the U. S. Federal Statistical System at least in broad concept«.23 Andererseits gab es immer wieder Bestrebungen, diese Dienste weiter zu integrieren. Im Jahr 1933 betraute Präsident Franklin D. Roosevelt ein Central Statistical Board (CSB) mit der Aufgabe, Standards zur Koordinierung der statistischen Dienste zu setzen. Der Ratschlag zur Einrichtung einer solchen Koordinationsstelle stammte vom Committee on Government Statistics and Information Services, einem Gremium, das die American Statistical Association und der Social Science Research Council (SSRC) im gleichen Jahr organisiert hatten. Dem SSRC kam später mit einer Studie über ein Datenzentrum eine besondere Rolle zu. Das CSB startete als unabhängige Behörde, wurde aber 1939 dem Bureau of the Budget (BOB) untergeordnet und alsbald in Division of Statistical Standards umbenannt, 1959 schließlich in Office for Statistical Standards (OSS), das ab Mitte der sechziger Jahre eine zentrale Rolle in der Debatte um ein Datenzentrum einnahm.24 Darauf komme ich später zurück. Für eine task force unter Präsident Herbert Hoover verfassten Frederick Mills und Clarence Long 1949 einen Bericht an den Kongress, in dem sie unter anderem sich überlappende Aufgabenbereiche bemängelten und vorschlugen, das Sammeln und Auswerten von Statistiken in der Zensusbehörde zu bündeln.25 Die Ministerien und Behörden verarbeiteten eine Vielzahl von Statistiken, von denen wohl nur ein Bruchteil Daten über Personen umfassten, und arbeiteten dezentral. Das Recht auf Privatsphäre stand hier nicht zur Debatte. Das änderte sich erst, als digitale Computer neue Möglichkeiten boten, die Informationsverwaltung zu zentralisieren. Handelte es sich bei Lochkartenmaschinen um den zivilen Strang der Computergeschichte, gingen digitale Rechenmaschinen im Wesentlichen auf militärische Investitionen zurück. Im Zweiten Weltkrieg stieg das Interesse an automatisierten Verfahren, um verschlüsselte Nachrichten zu entziffern oder um die Flugbahnen von Geschossen zu berechnen. Vor allem das US-amerikanische Militär investierte hohe Summen und beauftragte Forscher, die mit dem Electronic Numerical Integrator and Computer (ENIAC) einen Meilenstein der digitalen Rechentechnik schufen. Die gleichen Ingenieure boten in der Nachkriegszeit mit dem Universal Automatic Computer (UNIVAC) ein kommerzielles Produkt an, das wiederum die Zensusbehörde erwarb.26 Konkurrenz kam unter anderem von IBM. Die Technologie verbreitete sich rasch in der Bundesverwaltung. Ein Gesetzesentwurf, um die Ministerien und Behörden mit Equipment zur EDV auszustatten, bildete der Brooks Bill.27 Dieser war benannt nach dem Abgeordneten Jack Brooks, Demokrat aus Texas, der dem Unterausschuss für 23 Duncan / Shelton 1978, Revolution in United States Government statistics, S. 160. 24 Ebd., S. 145 ff., 151 ff. 25 Ebd., S. 158 f., 160 f., 169. 26 Campbell-Kelly / Aspray, Computer, S. 121. 27 Vgl. Neuroth, Data politics.
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Government Activities vorstand. Dieses Gesetz, das die Digitalisierung der Verwaltung vereinheitlichen und vorantreiben sollte, war allerdings innerhalb der Regierung umstritten, und Behörden rangen um Kompetenzen. Einem Gesetzesentwurf stimmte das Repräsentantenhaus 1963 zu, doch im Senat dauerte die Debatte an, da sich insbesondere gegen eine zentrale Verwaltung der Beschaffung von Anlagen Widerstand regte. So erklärte Kermit Gordon, Direktor des BOB, in einem Brief an den Comptroller General aus dem November 1963: »we are strongly opposed to taking from the department and agency heads the authority and responsibility for decisions as to the procurement and utilization of data processing equipment for their programs«.28 Das Gesetz kam schließlich in der Johnson-Regierung zustande. Die Verbindung der zivilen Technologien zum Verarbeiten großer Informationsbestände mit der militärischen Technologie, die eine große Rechenleistung bereitstellte, führte zu einer neuen Qualität der elektronischen Datenverarbeitung. Bald kamen Forscher auf die Idee, digitale Rechenoperationen auf große Datenmengen anzuwenden, gleichsam den militärischen mit dem zivilen Entwicklungsstrang zu verknüpfen. Beispielsweise fanden Methoden wie System Analysis, welche die Research and Development Corporation (RAND) zur Bewertung von Waffensystemen entwickelt hatte, alsbald Einzug in die Regierungsarbeit. So etablierte Robert McNamara, der eine leitende Position in der Industrie aufgab, um 1961 Verteidigungsminister zu werden, das von RANDAnalysten entworfene Planning Programming and Budgeting System (PPBS), das eine zentrale Planung vorsah und Kosten senken sollte.29 RAND war aus einem Projekt einer Rüstungsfirma in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe hervorgegangen und hatte sich 1948 als eigenständige, nichtprofitorientierte Institution für militärische Forschung ausgegründet.30 Im Pentagon war das neue Management, das sich nach wissenschaftlichen Kriterien ausrichten sollte und Sicherheit als Ergebnis anstrebte, umstritten aber wirkungsvoll: The centralization of policy-making was crucial here because it placed decision power in the hands of those top civilian leaders who could view the national security system holistically and act according to national rather than parochial interests.31
Computer dienten zunächst dazu, herkömmliche Verwaltungsaufgaben zu beschleunigen, bargen aber auch das Potenzial, Aufgaben mit mathematischen Analysen anzugehen. Beispielsweise schlug ein IBM-Ingenieur 1963 vor, die Suche in Kriminalitätsakten nach dem Prinzip »Modus Operandi« zu automati 28 Kermit Gordon to Joseph Campbell, November 7, 1963, Folder ›Data Processing 12/20/63–1/8/65‹, Box 2, WHCF, CM, LBJL, S. 4. 29 O’Connor, Poverty knowledge, S. 173 f. 30 Jardini, Out of the Blue Yonder, in: Hughes, Agatha C. (Hg.), Systems, experts and computers, S. 316. 31 Ebd., S. 326.
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sieren, um nach bestimmten Mustern Listen von Straftaten oder Verdächtigen zu erstellen. Solche Akten wurden bereits mit Hilfe von Lochkarten verwaltet, doch digitale Computer versprachen mehr: »Through a mathematical analysis of the weights which are attached to matching factors, the computer can retrieve correlated crimes on a selective basis«.32 Der Computer sollte also den Analysten dabei unterstützen, ähnlich gelagerte Fälle herauszufiltern, wobei nicht bloß die Suche in großen Datenbeständen vereinfacht würde, sondern auch die Rechenkapazität genutzt werden sollte. Hier ging es sowohl um eine ökonomische Effizienzsteigerung der Polizeiarbeit als auch um eine Sicherheitspraktik, um das Zufällige, das Deviante berechenbar zu gestalten. Solche Ansätze legten den Grundstein für eine Entwicklung, die schließlich zu Methoden wie predictive policing führten. Wenn aber Personendaten verarbeitet wurden und ein Computer etwa automatisiert Personen als verdächtig auswies, berührte dies bald Grundrechte. Eine »Technisierung von politisch-administrativem Handeln« warf in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rechtliche Fragen auf.33 Insbesondere der Einsatz elektronischer, digitaler, Computer hatte ungeahnte gesellschaftliche Folgen, und Anfang der sechziger Jahren begannen Autoren, gewisse Bedenken zu äußern. »If, in a free society, information is power, how do we prevent tempering with the data provided by the machine?« fragte ein Autor im Januar 1961 im Magazin Harper’s und betonte damit den Zuwachs von Macht für die Betreiber von Rechenmaschinen, die einen Zuwachs von Daten bewältigen und verarbeiten konnten, was auch Konsequenzen für die Privatsphäre mit sich ziehen könne: »As we seek more and more data to the machine, can we maintain our traditions of privacy?«34 Dabei bezog sich der Autor auf die Firma Simulmatics, für die er selbst in der Öffentlichkeitsarbeit tätig war und die von sich behauptete, eine »People’s Machine« zu entwickeln. Die Leiter der Firma wollten mit Computern Simulationen durchführen und damit gesellschaftliche Trends erkennen, eine Methode, die sie bereits unter anderem als Berater für den Wahlkampf 1960 von John F. Kennedy angewendet hatten.35 Dieser Artikel stellte ein frühes Beispiel dafür dar, dass die automatische Datenverarbeitung als Problem für die Privatsphäre aufgefasst wurde. In Hinblick auf die Episode warf Vance Packard in »The naked society« die Frage auf: »whether by 1984 power might be held by the party with the best computers, or the one most adept at exploiting information stored in computers«.36 Dieses Bewusstsein verstärkte sich in den darauffolgenden Jahren. Im Jahr 1964 spekulierte der Politikwissenschaftler Donald Michael über zukünftige 32 Giske 1963, To catch a thief, S. 18. 33 Metzler, Am Ende aller Krisen?, S. 93. 34 Zitiert nach: Lepore, If then, S. 126. 35 Ebd., S. 2. 36 Packard 1964, The naked society, S. 202.
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Konsequenzen, die der Einsatz von Computern auf die Privatsphäre haben könne, ob zum Schlechten einer ausufernden Sicherheitspolitik oder zum Guten einer ausgefeilten Analyse von Kriminalität. Wie Micheal schilderte, beschränke der Computer das Vermögen einer Person, den Zugang zu Informationen und Akten einzugrenzen. Auch die geschilderte Methode von Simulationen inspirierte den Autor: »Simulation of the behavior of individuals and institutions is well under way, and all signs are that it will be exceedingly productive«. Um das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Verhalten zu analysieren, bedurfte es aber eines Zugangs zu »centralized data banks where many of the characteristics of each person, the institutions with which he is involved, and the environment in which he operates are recorded«.37 Auch Sozialkritiker Brenton warnte vor den Folgen für die Privatsphäre, wenn unterschiedliche Datenbestände integriert würden: »entirely separate data-processing systems could be pooled, shared, fed into each other«.38 Ein ähnliches Ziel verfolgte ein Team von Wissenschaftlern seit Anfang der sechziger Jahre, das verschiedene Datenbestände der Bundesbehörden bündeln wollte.
4.3 Wie der Vorschlag für ein Federal Data Center entsteht: »Prying data lose from the generating agencies« Der Vorschlag, ein bundesweites Datenzentrum zu etablieren, sollte später während der Johnson-Regierung eine initiale Kontroverse um die Folgen des Einsatzes von Computern für die Privatsphäre auslösen. In der Fachliteratur erscheint diese Episode als eine Geburtsstunde der Datenschutzfrage und als Beleg für eine ausufernde Bürokratie, die das Individuum in Bedrängnis bringt. Dabei stammte der Vorschlag eigentlich aus der Wissenschaft und nicht aus der Politik. Erst in jüngerer Zeit behandeln Historiker stärker statistische und sozialwissenschaftliche Aspekte der Kontroverse. So fragt Rebecca Kraus, Historikerin beim U. S. Census Bureau, welche politischen Schlüsse für das heutige Statistikwesen aus der Geschichte gezogen werden können: »What can we learn from 1965 that can help us form sound statistical information policies in the 21st century?«39 Christopher Loughnane und William Aspray betrachten das Projekt archivtheoretisch und beschreiben, welche Archive für sozialwissenschaftliche Daten damals bestanden, und gehen der Frage nach, »why the need for centralization was felt so urgently within the social science community«.40 Ob die gesamte So 37 Michael 1964, Speculations on the Relation, S. 273 ff., Zitat S. 275. 38 Brenton 1964, The privacy invaders, S. 233. 39 Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 1. 40 Loughnane / Aspray, Rethinking the Call for a US National Data Center in the 1960s, S. 204.
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zialwissenschaft so dringend auf zentrale Lösungen angewiesen war, ist aber zu hinterfragen, bevor das Warum adressiert wird. Eine Frage ist in der bisherigen Forschung unberücksichtigt geblieben, nämlich, wie die Idee für ein Datenzentrum genau zustande gekommen ist. Um diese Frage zu beantworten, gehe ich in der Zeit vor das Jahr 1965 zurück, als der ursprüngliche Bericht über ein Federal Data Center erschien, und ziehe neues Quellenmaterial aus dem Komitee im Auftrag des SSRC, das den Bericht erarbeitet und das Projekt angeregt hatte, heran. Es war ein kleiner Kreis von Experten, die das Vorhaben eines Datenzentrums entwickelten, das aber von Beginn an unrealistisch wirkte und letztlich an Problemen scheiterte, die es eigentlich zu lösen gedachte. Zur Entstehung des Berichts an den SSRC von 1965, in dem das Committee for the Preservation and Use of Economic Data (CPUED) der Haushaltsbehörde empfahl, ein zentrales Federal Data Center aufzubauen, vermerken Forschungsartikel, das Komitee sei auf eine Empfehlung des Vorstands der American Eco nomic Association (AEA) hin eingerichtet worden.41 Einziger Beleg dafür ist jedoch der Abschlussbericht des Komitees selbst, in dem es heißt, dass die AEA auf ihrer Jahresversammlung im Jahr 1959 die Frage der Speicherung und Nutzung von Daten behandelt und in der Folge der Vorstand der AEA dem SSRC empfohlen habe, bezüglich der Beschaffung von Mikrodaten ein Komitee einzusetzen.42 Später im Jahr 1970 behandelte eine Notiz aus dem SSRC die Frage, was den Ausschlag zur Gründung des Komitees gegeben hatte. Laut Protokoll des AEA Executive Committee vom 25. und 26. März 1960 behalte es sich das Gremium vor, ein Komitee für eine Datenspeicherstelle einzusetzen »until the dimensions of the project could be thoroughly explored«. Den Umfang des Projekts solle der Ökonom Richard Ruggles mit Unterstützung von qualifiziertem Personal untersuchen und dem Vorstand eine explorative Studie vorlegen.43 Das Projekt und das Komitee standen also unter ausdrücklichem Vorbehalt, dass die Dimensionen zu eruieren und Vorstudien anzustellen seien. Eines bleibt gewiss: Der Umfang des Projekts sollte alsbald aus den Fugen geraten. Die Motivation für das Projekt einer Datenspeicherstelle lag darin, dass Forscher in Information einen besonderen Wert erkannten – und Computertechnologie bot einen Schlüssel dazu. Das spätere Vorhaben eines Bundesdatenzentrums reihte sich in eine »history of the political economy of data« ein.44 Ein Zugang
41 Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 5; Loughnane / Aspray 2018, Rethinking the Call for a US National Data Center in the 1960s, S. 207. 42 CPUED, Appendix 1. Report of the Committee for the Preservation and Use of Economic Data to the Social Science Research Council, March 1965, in: U. S. House of Representatives (Hg.), Special Inquiry on Invasion of Privacy, S. 196. 43 SSRC, Preservation and Use of Economic Data, March 25, 1970, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 44 Bouk, The National Data Center and the Rise of the Data Double, S. 628.
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zu Daten, sofern richtig archiviert und aufbereitet, versprach wissenschaftliche Erkenntnisse. Dies galt es auszuloten. Im April 1960 sandte Ruggles, zu der Zeit bei der Ford Foundation angesiedelt, einen Vorschlag an Paul Webbink vom SSRC, um ein Komitee ins Leben zu rufen, das den Zugang zu und die Speicherung von statistischen Wirtschaftsdaten untersuchen sollte.45 In einem zweiseitigen »Proposal for an Exploratory Committee on Data Repositories in Economics« richtete sich Ruggles an Forscher auf wirtschaftlichem Gebiet in Staat, Stiftungen und Wissenschaft. Um Forscher auf bestehende Datenbestände aufmerksam zu machen, erwog das Exposee zum einen, eine Bibliographie mit Indexen oder kontinuierliche Berichte zu erstellen, zum anderen, eine Stelle zu schaffen, die ausrangierte Lochkarten oder Magnetbänder mit Daten archivieren sollte. Diese statistischen Daten entstünden in Behörden und Wirtschaft sozusagen als Nebenprodukt, über deren Wert und mögliche Aufbewahrung ein noch einzurichtendes Komitee entscheiden solle.46 Es lag zu der Zeit eine Goldgräberstimmung in der Luft, da auf Datenträgern, die im alltäglichen Betrieb von Behörden und Firmen anfielen, vermutlich unermessliche Werte schlummerten, vorausgesetzt, die Information würde aufbewahrt, aufbereitet und zugänglich gemacht. Im September 1960 genehmigte das Committee on Problems and Policy (P&P) im SSRC eine Konferenz zu dem Thema, wie Daten archiviert werden könnten. Spezialisten sollten erörtern, ob der Vorschlag, Speicherstätten für Datenbestände einzurichten, praktikabel sei.47 Auf der »Conference on Preservation and Use of Economic Data«, die am 19. Dezember 1960 in den Räumen des SSRC in New York stattfand, diskutierten Teilnehmer aus Universitäten, Stiftungen und Forschungsinstituten aber auch aus Ministerien zunächst technische Aspekte wie Speichermedien für Daten in maschinenlesbarer Form sowie die Archivierung auf Mikrofilm. Aktuelle Daten könnten etwa für Prognosen dienen. Daten aus zentralstaatlichen Stellen sollten zu Forschungszwecken bereitgestellt und ausrangierte Magnetbänder mit Daten sollten archiviert anstatt zerstört werden. Von besonderem Interesse waren Informationen über individuelle Einheiten, wie Haushalte oder Firmen. Die Diskussion konzentrierte sich auf den Bund, da Daten hier einem einheitlichen Standard entsprächen und landesweit erhoben würden. Auch existierten innerhalb der Bundesverwaltung vertrauliche Informationen, die andere Institutionen nicht erhielten.48 Weder war klar, welche 45 Richard Ruggles to Paul Webbink, with attachment, April 5, 1960, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 46 Ebd., S. A-1 f. 47 SSRC, P&P minutes, 3. Economic Archives, September 10, 1960, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, Nr. 3. 48 SSRC, Report of the Conference on Preservation and use of economic data, December 19, 1960, Appendix 2, January 9, 1961, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f., 5.
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Datensätze genau von Interesse sein konnten, noch, welche konkreten Forschungsprojekte sich auf die Daten stützen sollten. Der Tenor lautete: Es musste gehandelt werden. Der Rat genehmigte schließlich im März 1961, ein »Exploratory Committee on the Preservation and Use of Economic Data« unter der Leitung von Ruggles, Yale University, einzurichten. Mitglieder waren zunächst Ernest Enquist von der Steuerbehörde (Internal Revenue Service, IRS), Stanley Lebergott, BOB, Guy Orcutt, University of Wisconsin, sowie Joseph Pechman, National Committee on Government Finance. Von Anfang an waren also auch Beamte der Bundesbehörden involviert. Die Aussicht, dass möglicherweise statistische Zentren an Universitäten angesiedelt werden könnten, weckte Interessen der Forscher bei der Standortwahl. Beispielsweise schlug Orcutt vor, dass ein Datenzentrum an der University of Wisconsin entstehen könne.49 Der Auftrag des explorativen Komitees vom SSRC lautete ganz allgemein, zu untersuchen, wie Daten, die etwa aus Umfragen stammten, archiviert und möglicherweise von Forschern genutzt werden könnten. Nicht involvierte Beamte reagierten zurückhaltend. So regte Ross Eckler, Bureau of the Census (BOC), als Antwort auf den Konferenzbericht an, das Vorhaben in einem kleinen Rahmen zu starten und daraufhin Probleme auszuwerten und Technologien zu erörtern.50 Probleme gab es reichlich; gedacht wurde aber lieber im großen Maßstab. Von Tag eins an lagen die Schwierigkeiten auf dem Tisch: Ministerien und Behörden waren an Regeln von Vertraulichkeit und Offenlegung gebunden und konnten Personenakten nicht einfach herausgeben. Gleichzeitig beruhten aber statistische Analysen, auf die es die Forscher abgesehen hatten, auf Daten über Personen. Als eine Möglichkeit, um den Wert der Information weiter zu steigern, galt eine »matching operation«, wobei Computer individuelle Einheiten aus mehreren Datensätzen verknüpften. Um dem »problem of disclosure« zu begegnen, sollte nach Ansicht der Wissenschaftler eine professionelle Aufsicht in möglichen »data centers« bestehen.51 Wissenschaftler erhofften sich »information on a micro level«, wobei Bundesbehörden jene Datensätze, die über individuelle Einheiten wie Haushalte oder Firmen Auskunft gaben, nur mit speziellen Vereinbarungen oder als Samples zur Verfügung stellten. Solche Daten benötigten Sozialwissenschaftler wie Naturwissenschaftler Experimentaldaten, wie es in einem Bericht aus dem Herbst 1961 hieß, doch es war klar, wo die Hürden der Erschließung von Daten lagen: »The committee recognizes that 49 SSRC, P&P minutes, 7. Preservation and Use of Economic Data (Appendix 2), March 23, 1961, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 50 Ross Eckler to Paul Webbink, March 8, 1961, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 51 SSRC, Report of the Conference on Preservation and use of economic data, December 19, 1960, Appendix 2, January 9, 1961, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 4 f., Zitat S. 4.
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problems of disclosure may arise in certain areas of government statistics but it feels that various devices can be utilized to meet this problem«.52 Im kleinen Rahmen ließen sich Probleme wie das der Offenlegung lösen. Beispielsweise plante die Zensusbehörde ein Sample von Statistiken, die auf individuellen Akten über etwa 60.000 Haushalte beruhten, wobei die Vertraulichkeit einzuhalten und Rückschlüsse auf die Identität einzelner Personen zu verhindern waren.53 Das Komitee glaubte an umfassende Lösungen: Wegen bestehender Probleme erwogen die Mitglieder, ein »Committee on Access and Disclosure« einzusetzen, dem auch Vertreter des Joint Economic Committee und des Nationalarchivs angehören sollten. Konkrete Vorschläge, wie der »question of disclosure« zu begegnen sei, lauteten beispielsweise, aus Lochkarten und Bändern jene Informationen zu entfernen, mit denen Personen oder Korporationen zu identifizieren waren. Allerdings ließen laut Bericht einzelne Merkmale auch indirekt Rückschlüsse zu, etwa auf bestimmte Industrieanlagen.54 Anscheinend war es dem Komitee von Beginn an bewusst, dass es die Frage nach Zugang und Offenlegung zu beantworten galt. Wie es im SSRC hieß, sollte das CPUED Forschern beratend beiseite stehen, auch bei »technical difficulties concerning disclosure of confidential material«.55 Diese Regeln erschwerten eine Herausgabe von Behördendaten. Aber das Komitee machte die Rechnung ohne den Wirt. Während der Lobbyarbeit bei Behörden in der Bundeshauptstadt Washington, District of Columbia (DC), wofür der SSRC im März 1962 eine Halbtagsstelle für ungefähr ein Jahr schuf,56 erfuhr das Komitee von verschiedenen Statistikprojekten der Behörden und Ministerien, die Informationen mit wissenschaftlichen Methoden und technologischen Mitteln nutzbar machten. Zwar zeigten sich Beamte grundsätzlich offen dafür, mit Forschern zu kooperieren, doch eine Herausgabe von Datensätzen war nicht so einfach möglich. Zunächst machte das Komitee einige Anläufe, um Behörden von Fall zu Fall dazu zu bewegen, einzelne Datensätze etwa als Stichproben aufzubereiten. Etwa sollte die Bundessteuer behörde (Internal Revenue Service, IRS) prüfen, wie Daten herausgegeben werden
52 CPUED, Report of the Committee on the Preservation and Use of Economic Data, (Appendix 3), [September 18, 1961], Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 3 f., Zitat S. 4. 53 Conrad Taeuber to Eleanor C. Isbell, September 15, 1960, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 54 SSRC, Report on SSRC Committee Meeting on the Preservation and Use of Data for Economic Research, April 27, 1961, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 2, 4, Zitat S. 2. 55 SSRC, Council Agenda, 29. Preservation and Use of Economic Data, September 10, 1961, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 56 SSRC, P&P minutes, 6. Preservation and Use of Economic Data, March 22, 1962, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1.
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könnten unter der Voraussetzung: »no confidential information is disclosed«.57 Die Steuerbehörde arbeitete zu der Zeit an einem Sample von Bescheiden über die Einkommenssteuer. Raymond Bowman, stellvertretender Direktor des BOB für das Amt für Statistische Standards OSS, mit dem Ruggles die Publikation von Daten aus der wirtschaftlichen Gesamtkostenrechnung diskutiert hatte, glaubte, dass jede Abteilung selbst entscheiden müsse, ob sogenannte »micro data« zu Forschungszwecken bereitgestellt werden solle. Außerdem erklärte sich George Jaszi vom Office of Business Economics einverstanden, Datenbänder zur Verfügung zu stellen, die mit aktuellen Publikationen zu Unternehmensstatistiken korrespondierten.58 Insgesamt verliefen die ersten Gespräche schleppend. Vertreter der Behörden blieben distanziert, wenn es um die Herausgabe von Daten ging, die den Behörden als vertraulich galten. Über die Publikation von gesamtökonomischen Daten ließ sich schon eher reden. An einen Wendepunkt kam das Komitee, als es von dem Vorhaben, eine Datenstelle für Arbeitsstatistiken zu installieren, erfuhr. Arnold Chase vom Bureau of Labor Statistics (BLS) merkte, dass die Behörde ein Datenzentrum auslagern wolle, um Kosten zu sparen. Allein eine Budgetkürzung von mehreren hunderttausend Dollar machte einen Strich durch die Rechnung, so dass die Finanzierung des Projekts ungeklärt blieb. Um die Einhaltung von Regeln zu gewährleisten, sollten beispielweise an einem Universitätsstandort zwei oder drei Beamte mit dem Personal des Zentrums zusammenarbeiten.59 Dieses »Data Service Center« sollte Bänder mit Daten bereitstellen, solange die »confidentiality of the information« gesichert wäre. Das Vorhaben des CPUED lautete nun, dass sämtliche, auch vertrauliche, Informationen in einem von einer externen Institution geführten Datenzentrum gelagert werden solle.60 Unternehmen, Universitäten wie auch die Regierung selbst sollten davon profitieren. Gleichwohl blieben Ende des Jahres neben der Finanzierung die »disclosure problems« ungelöst.61 Trotzdem nahm die Arbeit des Komitees erst richtig Fahrt auf. Im Jahr 1963 nahm der Plan, die Datenverarbeitung in einzelnen Zentren zu organisieren, Gestalt an, und das Komitee suchte nach Standorten für mögliche Datenzentren, die sowohl als Ausgabestelle als auch als Forschungsstätte dienen 57 CPUED, Report of the Committee on the Preservation and Use of Economic Data, December 12, 1962, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 2. 58 [CPUED], Report of Messrs. Ruggles and Miller’s visit with Messrs. Jaszi, Bowman and Chase, December 12, 1962, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 59 Ebd., S. 1 f. 60 CPUED, Report of the Committee on the Preservation and Use of Economic Data, December 12, 1962, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 2, 4. 61 [CPUED] Meeting, SSRC offices, Messrs Ruggles, Lebergott, Pechman, Miller, December 6, 1962, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1.
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sollten. Kontaktgruppen zu Behördenvertretern sollten verhindern, dass aus Datensätzen mikroökonomische Einheiten ermittelt werden konnten.62 Dabei erschien längst nicht geklärt, welche Datensätze überhaupt in Frage kämen und wie die Zuständigkeiten der Behörden gelagert waren. Wiederum bestand in der Federal Trade Commission (FTC) das Problem, dass Firmen anhand von Daten identifiziert werden könnten, weshalb die FTC auch keine Mikrodaten von der Security and Exchange Commission (SEC) erhielt. Auch zwischen den einzelnen Behörden bestanden also Hürden für den Austausch von Daten. Dennoch erklärte William Levin von der FTC seine Bereitschaft, Forscher mit Daten zu unterstützen. Richard Holton vom Handelsministerium unterbreitete den Vorschlag, innerhalb der Zensusbehörde einzelne Forschungsstätten einzurichten. Das Vorhaben, Datenzentren außerhalb der Behörden etwa an Universitäten zu errichten, sei aber problematisch.63 Ein weiterer Kandidat, um einen Datenspeicher aufzubauen, war das Nationalarchiv. Laut Henry Riecken, SSRC, oblag die Sammlung von Informationen aber dem OSS, und das Nationalarchiv sei noch nicht auf die Lagerung von Magnetbändern eingestellt.64 Wayne Grover vom Nationalarchiv äußerte seine Sympathie über das Projekt, hinterfragte aber die Finanzierung und die Auswahl von Datenbeständen, die archiviert werden sollten. Ferner sei das Nationalarchiv an sämtliche Gesetze und Verwaltungsvorschriften gebunden, so dass sich Nutzer mit Anfragen nach Daten direkt an die betreffende Behörde wenden müssten.65 Die Diskussion drehte sich im Kreis. Verwaltungsintern waren Datenzentren im Gespräch, ohne aber eine Ausgabe an externe Nutzer zu planen. Außer dem BLS organisierte die Steuerbehörde die Archivierung von Steuererklärungen in mehreren »federal records centers«, die unter der Ägide von Nationalarchiv und General Service Administration standen, wobei bestimmte, die Besteuerung betreffende, Daten permanent auf Bändern von UNIVAC oder IBM gespeichert und gelagert werden sollten. Die Daten könnten laut Enquist vom IRS auch der akademischen Forschung zur Verfügung gestellt werden, ohne aber das »disclosure problem« oder die »federal rules of confidentiality« zu vernachlässigen.66 Diese Vorbehalte klangen immer wieder an. Zunächst verstärkte das Komitee sein Team. Im Frühjahr traten 62 [CPUED] Meeting, Brookings Institution, March 6, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f. 63 [CPUED] Mr. Miller, trip to Washington D. C., [FTC, DOC, BLS], March 26, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 64 CPUED, Meeting, National Science Foundation Offices, March 29, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 65 CPUED, Social Science Research Council Committee for the Preservation and Use of Economic Data, Meeting at The National Archives, [Minutes], October 7, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f. 66 [CPUED] Luncheon Meeting, Brookings Institution, March 6, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1.
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E dwin Kuh vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Harold Watts, der Guy Orcutt mit dem Aufbau einer universitären Datenbank unterstützen sollte, dem Komitee bei.67 Das Problem der Offenlegung betraf die mögliche Identifizierung von Personen in Datensätzen: »disclosure problem--identifying individual microeconomic units from available data«. Um dem Problem zu begegnen, schlug das Komitee vor, dass sich ständig ein Behördenmitarbeiter in einem Statistikzentrum aufhalten solle, oder dass Forscher mit einem Amtseid als Staatsbedienstete auf Zeit eingeschworen werden sollten. Unklarheit bestand unter Ökonomen und Sozialwissenschaftlern weiterhin darüber, welche Datensätze für Forschungszwecke relevant wären. Es fehlte an Kriterien und einer »grand strategy«, hieß es im Jahresbericht des CPUED.68 Ohne konkrete Datensätze zu benennen, lautete die Strategie anscheinend, erstmal sämtliche Daten zu sammeln. Wegen des Problems der Offenlegung solle ein Statistikzentrum in zentralstaatlicher Hand bleiben und ähnlich einem Verbund von Bibliotheken in Zweigstellen Datensätze verleihen.69 So entstand die Idee zu einem Datenzentrum nicht, weil dies praktikabel erschien, um zugängliche Daten zu organisieren, sondern, weil Probleme bei der Akquise von Daten auftraten. Probate Lösungen bestanden im kleinen Stil, wenn Forscher ein spezielles Projekt durchführen wollten. So arbeitete die Harvard University mit Zensusdaten zu großen Firmen und war dazu von der Behörde bevollmächtigt und mit einer Assistentenstelle ausgestattet worden.70 Ein weiterer Ansatz konzentrierte sich darauf, einzelne Forschungsstätten, die über bestehende Daten aus Umfragen und Erhebungen verfügten, zu vernetzen. Eine zentrale Lösung wirkte hingegen problematisch: »The sticking point with any center remains disclosure«.71 Lösungen, um bestimmte Datensätze zu analysieren, bestanden von Fall zu Fall aber nicht pauschal. Aus Sicht der Wissenschaft war eine Art Bibliothek wünschenswert, in der Daten archiviert werden könnten. Diesbezüglich erwähnte die National Science Foundation ein geplantes Netzwerk von universitären Dateneinrichtungen.72 Ungeachtet solcher Alternativen strebte das CPUED nun eine umfassende Lösung an, dass Informationen zentral gesammelt, die Vertrau 67 Richard Ruggles to Paul Webbink, April 17, 1963, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 68 Committee on Preservation and Use of Economic Data, Annual Report 1962–1963, (Council Agenda, Appendix 24), September 8–11, 1963, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f. 69 SSRC, P&P Minutes, 10. Preservation and Use of Economic Data, November 25, 1963, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 70 [CPUED], Mr. Miller, trip to Cambridge, Massachusetts, March 15, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 2. 71 [CPUED] [Minutes], Meeting at Brookings [Institution], October 7, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 72 Bertha W. Rubinstein to Paul Webbink, July 25, 1963, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74., Misc., RAC, S. 1.
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lichkeit geprüft und schließlich zu Forschungszwecken publiziert sowie Datenbestände für historische Forschung archiviert würden. Eine Zentralstelle, in der die Information von hunderttausenden von Lochkarten auf einzelnen Bändern lagern sollte, könne regionale Zentren bei der Verwaltung von Forschungsdaten beaufsichtigen: »The central Data Center in Washington thus would provide the basic mechanism for supervision and control of data made available for research purposes«.73 Das Komitee führte die Treffen mit Behördenvertretern fort. Laut Bowman wären in Datenzentren »disclosure safeguards« notwendig, und es bestehe das Problem der Aktualisierung: »keeping the data up to date«.74 In den Sitzungen klang eine gewisse Ratlosigkeit in dieser drängenden Frage der Offenlegung an: The committee agreed that prying data loose from the generating agencies may be a big step because of the disclosure problem; however, agency concern over disclosure typically erodes over time, but disclosure may be used as a smoke screen to hide data deficiencies.75
Mit dieser Einsicht stand das Komitee im Grunde wieder am Ausgangspunkt, trieb aber die Idee von Datenzentren unbeirrt voran. Der Tenor der Verantwortlichen blieb unisono, zu klären seien Offenlegung und Vertraulichkeit. Behörden äußerten bezüglich von Mikrodaten in maschinenlesbarer Form starke Vorbehalte, solche Informationen, die Rückschlüsse auf einzelne Personen zuließen, zu Forschungszwecken zu veröffentlichen. In Hinblick auf eine Erhebung von Konsumausgaben aus den Jahren 1960 bis 1961 meldete das BLS ernsthafte Bedenken an.76 Innerhalb der Sozialversicherung, Social Security Administration, gab die Direktorin der Forschungs- und Statistikabteilung Ida Merriam Auskunft, dass ein Beratungsgremium über jede einzelne Anfrage nach Daten entscheide, und zeigte sich laut Protokoll »extremly sensitive to the disclosure problem«. Vito Natrella, Assistant Director des Office of Economic Research der SEC, erachtete einige Datensätze als bedenklich, andere hingegen nicht. Vertreter der Steuerbehörde willigten ein, bestehende Datenbestände zu indizieren. William Levin, Chef der Abteilung für Finanzstatistiken der FTC, äußerte Interesse an einer Datenstelle, wollte aber keine Daten an das Archiv 73 CPUED, Progress Report of the Social Science Research Council Committee on the Preservation and Use of Economic Data, [September 1963], Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 7, Zitat S. 9. 74 CPUED, Meeting, Office of Statistical Standards, Bureau of the Budget, October 7, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 75 [CPUED] [Minutes], Meeting at Brookings [Institution], October 7, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 76 Committee on the Preservation and Use of Economic Data, Report of Activities, [July 1, 1963-June 30, 1964], Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1.
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übermitteln. Robert Bahmer, Deputy Archivist, sagte zu, eine Inventur über Daten in maschinenlesbarer Form zu erstellen. Dieses Vorhaben unterstützte Paul Krueger von der Abteilung Wirtschaftsstatistik im OSS.77 Im Ergebnis zeigte sich das Nationalarchiv offen dafür, eine Datenstelle für Forscher einzurichten. Weiterhin mahnte Bowman vom BOB »very real problems of disclosure« an.78 In einem Brief an Bowman zeigte sich Ruggles erfreut, dass eine Inventur von Lochkarten und Magnetbändern der Bundesbehörden entstehen solle, die eine wichtige Grundlage für künftige Planungen für den Erhalt von Daten sowie das Errichten eines »federal data center« sei.79 Damit fiel zum ersten Mal der Begriff eines bundesweiten Datenzentrums. Da eine externe Stelle nahezu ausgeschlossen schien, sollte aus Sicht des Komitees ein zentralstaatliches Zentrum den Zugang zu Behördendaten verschaffen, der bislang verwehrt wurde. Es blieb fraglich, wie ein solches Statistikzentrum zu organisieren sei. Eine Option bestand darin, die Zensusbehörde auszubauen. So regte Ruggles bei einem Treffen in der Behörde an, den Zensus um Informationen aus der Steuerbehörde und der Sozialversicherung zu erweitern. Die Ausgründung eines Zentrums außerhalb der Verwaltung erschien problematisch. Ross Eckler von der Zensusbehörde bemerkte im Januar 1964, dass die statistischen Dienste der Behörde nicht einfach an eine externe Stelle ausgelagert werden könnten. Daher schlug Lebergott vor, dass nur offizielle Angestellte die Datenbänder nutzen dürften.80 Eine Zentralstelle für Daten sollte aus Sicht der Wissenschaftler die Einhaltung von Regeln garantieren, doch standen gerade diese Regeln der Gründung einer Zentralstelle im Weg. Weiterhin sollte eine Zentralstelle den Flickenteppich von ministeriellen und behördlichen Datensätzen vereinheitlichen. Einen Eindruck über die disparaten Bestände gab das Material für eine Inventur, das Krueger vom OSS dem Komitee schickte.81 Laut Auszügen aus der Inventur lagerten diese Bestände auf Lochkarten und Magnetbändern auf verschiedene Behörden im Land verteilt. Teilweise unterlagen die Informationen keiner Restriktion, teilweise war diese als vertraulich eingestuft.82 Ruggles er 77 [CPUED] Meetings of Chairman and Secretary with representatives of various government agencies, October 21, 1963, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f., Zitat S. 1. 78 [CPUED] Summary of Meeting, [October 21, 1963], Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 79 Richard Ruggles to Raymond T. Bowman, October 28, 1963, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 80 U. S. Department of Commerce, Bureau of the Census, Meeting On Utilization of Census Bureau Data, January 22, 1964, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1–6. 81 Paul F. Krueger to Richard Ruggles, January 20, 1964, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 82 CPUED, Report of the Committee on the Preservation and Use of Economic Data to the Social Science Research Council, (Agenda Appendix 3), [March 1965], Folder 1145, Box
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achtete die Liste als vollständig aber wenig detailreich in Hinblick auf die ökonomischen Variablen, die in den Datensätzen steckten. Die Kosten, um Informationen zentral zu verwalten, kalkulierte Bowman auf etwa eine Million Dollar jährlich, wovon die Hälfte auf Computertechnik falle, wobei für die Regierung und den Kongress ein einzelner Projektplan wünschenswert sei. Laut Protokoll bestand aber über das Vorhaben eines Datenzentrums Einigkeit: »There was unanimous agreement that a Federal Data Computor [sic] center should be set up as soon as possible«.83 Die Situation gestaltete sich so, dass Behörden disparate Datenbestände unterhielten, sich ein Zugang zu Forschungszwecken aber schwierig gestalte und im Einzelfalle abzuwägen sei. Die Schlussfolgerung des Komitees lautete daher, diesen Komplex an Informationen, Zuständigkeiten und Regeln zentral zu organisieren. Mit der Haushaltsbehörde gewann diese Idee einen prominenten Fürsprecher. Das Vorhaben, ein Datenzentrum innerhalb der Bundesverwaltung aufzubauen, war im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass sich die Versuche, einzelne Behörden ad hoc nach Daten zu Forschungszwecken anzufragen, als wenig ergiebig erwiesen hatte.84 Mit anderen Worten sollte also das, was im kleinen Maßstab nicht funktionierte, im großen Maßstab realisiert werden. Neben dem Zensus bot weiterhin das Nationalarchiv eine Option, um Datenbestände der statistischen Dienste zu verwalten. Im März diskutierte das Komitee mit den Verantwortlichen des Archivs, wie der Kongress von dem Vorhaben überzeugt werden könne, damit er das Budget bewillige.85 Im Juni äußerte Bahmer vom Nationalarchiv, dass mögliche Nutzer aus Forschung und Industrie das Vorhaben im Kongress unterstützen müssten. In der Zensusbehörde sollte wiederum ein Gremium über Forscheranfragen nach Datensätzen entscheiden. Außerdem erwähnte Richard Holton vom zuständigen Handelsministerium eine mögliche »Commerce data library«.86 Dabei bestand offenbar eine Rivalität zwischen den Behörden. Morris Hansen vom Zensus erklärte, dass die Behörde eine konkurrierende Stelle ablehne und die einzelnen Behörden die Kontrolle über Daten behalten sollten. Die Zensusbehörde widersprach im Oktober 1964 dem Bericht an das Board des SSRC bei einem Treffen im Brookings Institute: »Census opposes placing a Federal Data Center in Archives«. In Hinblick auf 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 34, 44; U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 213, 249. 83 CPUED, Meeting, Brookings Institution, February 18, 1964, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 5, Zitat S. 4. 84 CPUED, Annual Report 1963–64, Appendix 22, Council Agenda, September 13, 1964, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 85 [CPUED] [Meetings], March 3, 1964, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 86 [CPUED] [Minutes of] Meetings, June 2–3, 1964, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 ff., Zitat S. 3.
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den Zwist zwischen den Stellen machte Kermit Gordon, Direktor der Haushaltsbehörde, gegenüber Ruggles den Vorschlag, ein neues Gesetz zu entwerfen, um eine eigene statistische Stelle innerhalb der Bundesverwaltung zu schaffen, ein »central statistical service«. Das Vorhaben sei zu bedeutsam, um es in bestehenden Strukturen von Zensus und Archiv anzusiedeln. Die Komitee-Mitglieder beschlossen tags darauf, dass diese Stelle dem Zensus unterstehen und mit Stiftungen sowie universitären Verbänden kooperieren solle.87 Der Kurs steuerte nunmehr auf eine eigenständige Institution innerhalb der Bundesverwaltung zu. Wegen der Äußerungen Gordons erwog das Komitee die Errichtung einer »central statistical agency«.88 Ruggles schrieb im November 1964 an Gordon: »the committee decided that it should take a forthright stand on the need for a Federal Data Center which would have access to all of the machine readable data produced in the Federal government«.89 Zu dem Beschluss hatte ein langer Weg geführt. Ursprünglich startete das Komitee, um den Zugang zu Daten und deren Speicherung explorativ zu untersuchen und Dimensionen aufzuzeigen. Als die Schwierigkeiten sich mehrten, entwarf es stattdessen ein überdimensioniertes Projekt. Da Behörden Daten nicht ohne Weiteres herausgaben, lautete die Folgerung, ein verwaltungsinternes Zentrum zu gründen, und da sich keine geeignete Behörde fand, sollte eine eigenständige Institution entstehen, eine fixe Idee, die Beamte des BOB freilich befeuerten. Ein unausgegorenes Projekt nahm seinen Lauf, das Zeitungen später als monströse Staatsmaschine karikierten.90
87 [SSRC CPUED] [Meetings], Committee use only, October 29, 1964, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f., Zitat S. 1. 88 Richard A. Miller to Paul Webbink, November 3, 1964, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 89 Richard Ruggles to Kermit Gordon, November 4, 1964, Folder 5078, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., Box 420, RAC, S. 1. 90 Vgl. Neuroth, Ikonographie der Privatsphäre, S. 224 ff.
5. Krise des Liberalismus
Abb. 5: Präsident John F. Kennedy war eine liberale Ikone; das Attentat auf ihn bestürzte das Land. Das Foto von Robert Knudsen zeigt Kennedy bei einem Dinner am 21. Januar 1963. Courtesy National Archives, John F. Kennedy Presidential Library (KN-26184).
Die Zeichen der US-amerikanischen Politik standen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Sicherheit. Dabei bezog sich Sicherheit zum einen auf das Abmildern sozialer Zerwürfnisse, zum anderen auf die Abwehr von Feinden nach innen und nach außen sowie auf das Bekämpfen von Kriminalität. Sicherheitsdispositive im Sinne Foucaults wurden mit technologischen Innovationen wie digitalen Computern oder oralen Verhütungsmitteln gestärkt. Zur Sicherheitsgesellschaft formten zivilgesellschaftliche Organisationen wie die ACLU, die NAACP oder die PPFA mit ihren Ansprüchen auf privacy eine Gegenbewegung. Damit griffen Akteure ein althergebrachtes, zutiefst bürgerliches Konzept auf und stellten es in den Kontext einer Sicherheitsgesellschaft. Privacy stand hier weder für einen Rückzug innerhalb der klassischen Dichotomie zwischen öffentlicher und privater Sphäre noch für einen Anspruch innerhalb der modernen Dichotomie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, in Ruhe gelassen zu werden, sondern für Ansprüche auf Kontrolle innerhalb einer sicherheitsrelevanten Dichotomie zwischen Gouvernementalität und Privarität, zwischen
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Regierungspraktiken und ihren Einschränkungen. So wurde das Abhören von Telefonaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb der klassischen Dichotomie verhandelt, da Ermittler erst gegen Grundrechte verstießen, wenn sie die Schwelle zum Haus eines Verdächtigen überschritten, und nicht, wenn sie Leitungen im öffentlichen Raum anzapften. Der Fall der Familie Hill, die sich gegen das mediale Ausschlachten ihres persönlichen Schicksals wehrte, stand innerhalb der modernen Dichotomie, da die Privatheit der Familie mit einer Öffentlichkeit aus Verlagen und Zeitschriften konfrontiert war. Hingegen bildete das staatliche Anfordern von Mitgliederlisten der NAACP eine gouvernementale Praktik, die im Interesse der Vereinigungsfreiheit zurückgewiesen wurde. Der Streit um das Verhütungsmittelverbot, in den PPFA und ACLU involviert waren, betraf zwar die private Sphäre des Hauses, doch hatte der Staat diese nicht direkt verletzt, wie etwa mit einer Hausdurchsuchung nach Verhütungsmitteln. Tatsächlich drehte sich der Streit um gouvernementale Praktiken, inwieweit der Staat Verhütungsmethoden verbieten oder gar fördern dürfe. In letzteren beiden Fällen standen Ansprüche auf privacy also in einer sicherheitsrelevanten Dichotomie. Historisch kristallisierten sich verschiedene Ansprüche auf privacy in einer Krise des Liberalismus, womit hier weniger das politische Parteienspektrum der USA zwischen konservativ und liberal gemeint ist, sondern die ideengeschichtliche Strömung. Beispielsweise stand die Politik des New Deal nach Ansicht von Foucault im Widerspruch zu neuen Formen der Gouvernementalität, so hätten »die keynesianische Politik, die sozialen Kriegspakete und das Wachstum der Bundesverwaltung durch die Wirtschafts- und Sozialprogramme, den Gegner, die Zielscheibe des liberalen Denkens gebildet«.1 Dieser Satz erscheint aus parteipolitischer Perspektive etwas widersprüchlich, da die liberale Politik, die im US-amerikanischen Kontext eine interventionistische war, doch konservative Gegner hatte. Sein Verständnis des liberalen Denkens erläutert Foucault folgendermaßen: Der Liberalismus, das Spiel: Die Leute gewähren zu lassen, die Dinge geschehen, die Dinge laufen zu lassen, laisser faire, geschehen und laufen zu lassen, dies bedeutet wesentlich und grundlegend Machen in dem Sinne, daß sich die Realität entwickelt und läuft, ihrem Lauf folgt, nach den Gesetzen, den Prinzipien und den Mechanismen der Realität selbst.2
Das liberale Denken sah sich nicht nur von der Politik der sozialen Sicherheit herausgefordert, sondern auch von der Politik der nationalen und inneren Sicherheit, wie sie etwa das FBI verfolgte. Wie William Keller argumentiert, muss der Staat mit den Konsequenzen seiner liberalen Verfasstheit umgehen: 1 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 302. 2 Ders., Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 77.
Krise des Liberalismus
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The tension between society and state is manifested when the security interests of the state conflict with political and constitutional rights of groups and individuals who assert an adversarial ideology or who organize to resist large-scale policies.3
Extreme Zeiten erforderten mithin extreme Maßnahmen, provozierten aber auch Gegenbewegungen zu diesem Kurs der Sicherheit. Ein Ausbau staatlicher Tätigkeitsfelder zusammen mit einem wachsenden Portfolio von Technologien, mit denen Behörden diese Felder bearbeiteten, standen in einem Spannungsverhältnis zu dem liberalen Verständnis von staatlicher Zurückhaltung und Grundrechten. In einer sich verdichtenden Sicherheitsgesellschaft erschienen Gouvernementalität und ihre Beschränkung in Privarität aus der Balance geraten. Die Krise des Liberalismus US-amerikanischer Prägung intensivierte sich in den sechziger Jahren und erreichte schließlich Anfang der siebziger Jahre einen Höhepunkt. Einen politischen Schock erfuhr das Land, als am 22. November 1963 Präsident Kennedy in Dallas, Texas, erschossen wurde. Sein Nachfolger Johnson führte die Politik unter dem Leitbild einer Great Society weiter. Um das Konzept privacy entwickelten sich zunehmend politische Konflikte.
3 Keller, The liberals and J. Edgar Hoover, S. 6.
II. In der Ära von Lyndon Johnson wird privacy zum Politikum
Die sechziger Jahre waren eine Zeit von sozialen Protesten, als eine Phase des Liberalismus und sodann eine konservative Wende einsetze.1 In den turbulenten Jahren der Johnson-Ära entwickelte sich privacy zu einem politischen Zankapfel. Protagonisten aus dem Kongress wie auch aus zivilgesellschaftlichen Organisationen bemängelten, dass staatliche Aktivitäten ausuferten, und führten privacy der Bürger als Argument an. Gelegentlich musste der Oberste Gerichtshof der USA den Streit schlichten, dessen Rechtsprechung unter dem Vorsitz von Earl Warren sich mit dem Vorwurf eines »judicial activism« im Gegensatz zu »judicial restraint« konfrontiert sah, aber im Einklang mit dem Liberalismus der sechziger Jahre stand.2 Der rechtliche Gehalt von privacy änderte sich wesentlich, als der Oberste Gerichtshof der USA 1965 mit dem »right to privacy« den Zugang zu Verhütungsmitteln garantierte, als die Richter 1967 Telefongespräche unter einen verfassungsrechtlichen Schutz stellten und als sie das traditionelle »right to privacy« gegenüber der Pressefreiheit relativierten. Im Vergleich zum eher unpolitischen Verständnis von privacy als einem Anspruch auf Ruhe und Abgeschiedenheit im eigenen Haus vor unerwünschten Eindringlingen wie Fotografen, bekam privacy in der Folge eine stärker politische Bedeutung, im Sinne von Ansprüchen gegenüber Regierungspraktiken. Die Regierung unter Präsident Lyndon Johnson stand in der Tradition von Reformen der Progressive Era und des New Deal. Jedoch war die zentralstaatliche Macht in der Great Society im Gegensatz zu früheren Reformen nicht auf die Linderung sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen beschränkt, da es der »philosophy of liberalism« der sechziger Jahre entsprach, die Ursachen für soziale Probleme zu suchen und an der Wurzel anzugreifen.3 Probleme waren beispielsweise Armut und die Diskriminierung von Minderheiten. Daher richtete sich die Politik auf Stabilität aus: »Like the New Deal, the Great Society tamed capitalism and secured a modicum of political peace«.4 Dabei war die Regierungspolitik mit umfassender Staatstätigkeit verbunden. Es wuchsen die 1 Heale, The Sixties as History, S. 138, 140, 145. 2 Abraham, Justices and Justice, in: Milkis, Sidney M. (Hg.), The Great Society and the High Tide of Liberalism, S. 351. 3 Milkis, Lyndon Johnson, in: Milkis, Sidney M. (Hg.), The Great Society and the High Tide of Liberalism, S. 3. 4 Zeitz, Building the great society, S. 316.
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Befugnisse des Zentralstaats, der in den Privatsektor ebenso eingriff wie in einzelstaatliche und kommunale Belange. Konservative Kritiker wähnten in der Reformpolitik der sechziger Jahre einen »creeping socialism«.5 Der Kampf gegen die Armut war ein Aushängeschild der Reformen. Ein Schlüssel in diesem Kampf war es, Familien zu ermöglichen, ihre Kinderanzahl und damit ihre Größe zu kontrollieren. Eine entstehende Sicherheitsgesellschaft eroberte neues Terrain, als Politiker aus Sorge vor einem ungebremsten Bevölkerungswachstum und zur Sicherung von Wohlstand die Themen Verhütungsmittel und Familienplanung aufgriffen. Wissenschaftler machten auf den Trend einer weltweit wachsenden Bevölkerung aufmerksam, dem sich der Kongress in Anhörungen zur Population Crisis oder zu einem Family Planning Program annahm. Es stand zur Debatte, ob der Bund Programme zur Familienplanung im Ausland oder auch im Inland auflegen sollte. Präsident Johnson hatte der Armut den Kampf angesagt, und Familienplanung erschien als ein Mittel dazu, so dass sich die Politik dem Thema widmen musste: »Inevitably, the War on Poverty had to address the thorny issue of birth control«.6 Mehrere Organisationen, darunter der Population Council und Population Crisis Committee, unterstützt von Planned Parenthood und der Ford Foundation, betrieben Lobbyarbeit, um das Thema Bevölkerung auf die politische Agenda zu heben.7 Unter anderem initiierte die Regierung eine Bevölkerungskommission. Neue Gesetze ermöglichten es dem Bund schließlich, in der Geburtenkontrolle tätig zu werden. Hier übernahm das Department of Health, Education, and Welfare (HEW) eine Schlüsselposition, um Programme zu implementieren. Die Politik debattierte rege, wie weit und mit welchen Praktiken und Mitteln staatliche Behörden Programme zur Familienplanung fördern und damit die Entwicklung der Bevölkerung beeinflussen dürften. Über die Pille, ein Hormonpräparat, das Familienplanung revolutionierte, entfachte sich alsbald Streit um ihre Risiken und Nebenwirkungen. Schützte das traditionelle »right to privacy« die einzelne Person vor unerwünschten Publikationen, so weiteten sich Ansprüche nun aus und betrafen die Art und Weise, wie Behörden, aber auch Unternehmen Daten über Personen verarbeiteten. Die sich verdichtende Sicherheitsgesellschaft entwickelte einen Heißhunger auf Informationen; die Zensusbehörde hatte mehr Fragen, als die bloße Anzahl der Bewohner; Firmen, die auf den Handel mit Kreditberichten spezialisiert waren, verwalteten diese zunehmend elektronisch, und solche Berichte weckten auch das Interesse von staatlichen Behörden. Eingang in ein Gesetz nahm privacy jedoch zuerst im Zusammenhang mit der Frage, welche
5 Woods, Prisoners of hope, S. 391. 6 Ebd., S. 203. 7 Critchlow, Intended consequences, S. 51 ff.
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Fakten Behörden und Ministerien den Bürgern mitteilen sollten. Einerseits drängten Politiker auf Informationsfreiheit, andererseits sollte die Herausgabe von Dokumenten nicht den Anspruch der Bürger auf privacy verletzen. Wie kompliziert das Verhältnis zwischen Vertraulichkeit, staatlichen Geheimnissen und Offenlegung von Daten war, zeigte die Debatte um ein National Data Center, als Beamte den Vorschlag aus der Wissenschaft aufgriffen, Behördendaten zu zentralisieren und zugänglich zu machen. Weiterhin baute die Politik die innere und nationale Sicherheit weiter aus. Spätestens mit den Urteilen zu privacy in Hinblick auf Telefongespräche sah sich der Gesetzgeber aber gezwungen, die Praktiken zur Überwachung zu regulieren. Komitees im Kongress befassten sich außerdem mit Ermittlungsmethoden der Bundesbehörden, die als Eindringlinge wahrgenommen wurden, als »The Intruders«8 wie der Titel eines Sachbuches von Senator Edward V. Long, Demokrat aus Missouri, lautete. Die Haltung von Präsident Johnson zu Freiheitsrechten erschien ambivalent. Einerseits trat er für einen Schutz vor akustischer Überwachung ein, andererseits ließ er beispielsweise die Friedensbewegung, die gegen den Krieg in Vietnam protestierte, bespitzeln. Seit den fünfziger Jahren intervenierten die USA in dem Konflikt im geteilten Land, zuerst mit Hilfen an Frankreich, dann an ein südvietnamesisches Regime. Die kommunistische nordvietnamesische Führung startete im Winter 1964 und Frühjahr 1965 eine Offensive, um die Kräfteverhältnisse umzukehren, bevor die USA eingreifen konnten, und hoffte außerdem auf einen Aufstand des Volkes. Der Süden hielt die Stellung, ein Aufstand blieb aus, und die USA reagierten mit Luftangriffen, als US-Stützpunkte attackiert wurden. Um den Kommunismus einzudämmen, entsandte Johnson ab 1965 auch Bodentruppen, womit »Vietnam’s American war« begann.9 Zur Strategie Nordvietnams im Kampf gegen einen militärisch überlegenen Gegner gehörte es, dessen politische Unterstützung für den Krieg zu untergraben.10 Tatsächlich verlor die US-Regierung zunehmend an Rückhalt, und es formierte sich eine Protestwelle. Als Reaktion auf eine Demonstration mit rund 50.000 Teilnehmern vor dem Pentagon, dem Hauptsitz des US-Verteidigungsministeriums, bekam Johnson vor seinen Beratern einen Wutausbruch: »I’m not going to let the communists take this government and they’re doing it right now«.11 Hier wirkte der Antikommunismus fort. Wegen einer vermeintlichen Infiltration ließ Präsident Johnson Antikriegsorganisationen durch den Geheimdienst CIA überwachen, was später als Operation CHAOS bekannt wurde. Das FBI verfolgte Praktiken von Einschüchterung und Zerstreuung des Protests. Solche Rechts 8 Begriff im Titel: Long 1967, The intruders. 9 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 124; Asselin, Vietnam’s American war, S. 115 f., Zitat S. 116. 10 Ebd., S. 120. 11 Zitiert nach: Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 808.
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verletzungen verkörpern ein düsteres Vermächtnis der Präsidentschaft Johnsons und der Great Society.12 Als sich Demonstranten für den Frieden zusammenschlossen, infiltrierten Agenten militärischer Geheimdienste solche Gruppen. Geheimdienste waren aber auch gefragt, wenn in Städten Unruhen ausbrachen. Von den Überwachungsprogrammen erfuhr die Öffentlichkeit zunächst nichts.
12 Ders., Prisoners of hope, S. 341 f., 401.
1. Neue und alte Rechte auf Privatsphäre
Abb. 6: Die Richter am Obersten Gerichtshof der USA fällten wegweisende Urteile zum »Right to Privacy«. Das Foto, entstanden vor 1961, zeigt das Gebäude des Gerichtshofs. Courtesy National Archives (64-M-54)
Innerhalb weniger Jahre mischten die Richter am Obersten Gerichtshof der USA die Karten neu, was die Geltung rechtlicher Ansprüche auf privacy betraf. So stellten sie intime Entscheidungen der Familienplanung unter einen besonderen Schutz der Privatsphäre, der sich aus verschiedenen Quellen in der Bill of Rights zusammensetzte. Die Vertraulichkeit von telefonisch übertragenen Ferngesprächen lösten sie aus dem Kontext der Grenzen des Hauses und übertrugen den Schutz auf Personen. Jedoch stärkten sie Verlage und Redaktionen in ihrer Berichterstattung, der sie Ansprüche auf Privatsphäre unterordneten. Indes standen die Fälle Griswold v. Connecticut, Katz v. United States sowie Time Inc. v. Hill auch in einem politischen Kontext, wie im Folgenden dargelegt wird.
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1.1 Anspruch auf Familienplanung: »This is a question of pure power« Die verfassungsrechtliche Debatte um privacy prägte der Oberste Gerichtshof der USA insbesondere mit dem Urteil, welches das Verhütungsmittelverbot in Connecticut im Jahr 1965 kippte, wozu sich Richter William O. Douglas in seiner Begründung auf ein »right to privacy« bezog.1 An dem Urteil schieden sich die Geister zwischen einer liberalen und einer konservativen Interpretation der Verfassung. Konservative Verfassungsrechtler vertreten die Methode von »originalists«, wonach die ursprüngliche Absicht der Verfassungsväter ausgelotet werden soll, und werfen dem Urteil vor, mittels »judicial activism« die Macht des Gesetzgebers auf unzulässige Weise zu beschneiden.2 Zur Debatte steht, ob der Föderalismus eingeschränkt würde, wenn die Politik zu Verhütung an den Obersten Gerichtshof der USA verlagert würde und der Gesetzgeber nicht mehr gestalten könne.3 Liberale Verfassungsrechtler glauben, dass sich die Interpretation notwendigerweise an der Gegenwart orientiere. Einerseits stellt sich aus einer Perspektive von Law and Literature die Frage, wie weit die textuelle Auslegung reichen kann: »is the Court qualified to extrapolate substantive rights from those expressly articulated?«4 Andererseits reflektierte das Urteil einen Konflikt um Verhütungsmittel und Familienplanung, der geprägt war von öffentlicher Moral und staatlicher Intervention, von neuen Technologien und zivilgesellschaftlichem Einfluss. In der Politik vollzog sich ein Wandel von auf moralischen Standpunkten beruhenden Verboten, wie sie aus dem 19. Jahrhundert stammten, hin zu einer interventionistischen Richtung, die Familienplanung als integralen Bestandteil der Sozialgesetzgebung auffasste. Vermutlich wäre der Fall nie vor Gericht gelandet, wenn eine Ausgabestelle für Präservative und nicht eine Klinik für moderne Methoden der Verhütung eröffnet worden wäre. Neue Technologien prägten das Recht. Nicht zuletzt wurde der Fall von zivilgesellschaftlichen Gruppen getragen, die ihre Positionen auch auf juristischem Wege durchzusetzen versuchten und das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern neu ausbuchstabierten. Das Argument privacy war zentral in der Argumentation der Befürworter eines freien Zugangs zu Verhütungsmitteln. In dem Rechtsstreit hatten drei Frauen ausgesagt, dass sie in der Klinik nach Verhütungsmittel gefragt, diese erhalten und auch genutzt hätten. Diesen Umstand schrieb Anwalt Harper im juristictional statement dem Recht der Frauen auf Intimität zu: »How they 1 Garrow, Liberty and sexuality, S. 260–268, Zitat S. 253. 2 McCarthy, In Defense of Griswold v. Connecticut, S. 336. 3 Casey, Griswold v. Connecticut, S. 166. 4 Musante, Black and White, S. 891.
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arrive at a decision on this matter and the preventive means which they adopt is a matter of personal and intimate privacy«.5 Die Berufungsschrift für die Verhandlung am Obersten Gerichtshof der USA verfasste Tom Emerson von der Yale Law School, da Harper mittlerweile schwer erkrankt war. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern zeigte sich Emerson offen für Ratschläge des Bundesverbandes und seinem Rechtsbeistand.6 Emerson machte das »right of privacy« am Hausfrieden sowie an intimen sexuellen Beziehungen in einer Ehe fest.7 In ähnlicher Weise argumentierte die Schrift amicus curiae von PPFA, die Morris Ernst und Harriett Pilpel von GW&E verfassten. Demnach stelle das Gesetz einen weitreichenden Eingriff in die eheliche Privatsphäre dar, bis hinein »into the marriage bed of every Connecticut couple«.8 So verlief die Konfliktlinie: Der unbedingte Machtanspruch des Staates traf auf den Anspruch der Klinik, den Betrieb aufrechtzuerhalten, und ihrer Patientinnen auf privacy. Die Richter waren sich noch unschlüssig. Am ersten Verhandlungstag bemerkten sie, dass Drogerien Verhütungsmittel zum Schutz vor Krankheiten anboten und dass der Fall lediglich verheiratete Frauen involviere, und befragten Emerson nach der »equal protection clause«, ob das Gesetz gegen den Grundsatz verstoße, dass gleiches Recht für alle gelte, und bestimmte Personengruppen diskriminiere. Laut Emerson basierte der Fall aber auf der »due process clause«, dem Grundsatz ordentlicher Verfahren, wobei es um einen spezifischen Aspekt dieses Grundsatzes gehe: »The privacy argument is substantially narrower«.9 Dagegen hinterfragte Joseph Clark, stellvertretender Staatsanwalt, für den Bundesstaat Connecticut als Appellat, ob das Argument privacy in diesem Falle valide und stichhaltig sei. Weder Buxton noch Griswold würden in ihren Rechten eingeschränkt, und es liege kein Eindringen in die Privatsphäre einer Person vor: »There has been no invasion of anyone’s privacy in this case«.10 Schließlich standen nicht die Patientinnen, sondern eine Klinikleiterin und ein Arzt vor Gericht. Für den Staat handelte es sich um eine Machtfrage. So argumentierte Clark, dass es sich bei der eingeschränkten Verbreitung von Verhütungsmitteln um eine legitime Ausübung der Staatsgewalt durch das Parlament in Connecticut handele. In der Verhandlung bemerkte er: »I think, if Your Honor please, the only argument that we can honestly say is that this is a question of pure power«.11 5 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Jurisdictional statement, September 14, 1964, (Gale Document Number: DW3900564527), S. 13. 6 Garrow, Liberty and sexuality, S. 230 ff. 7 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellant’s brief, February 11, 1965, (Gale Document Number: DW3900564638), S. 12. 8 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Amicus brief [PPFA], March 15, 1965, (Gale Document Number: DW3900478727), S. 12. 9 Vgl. Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Oral argument, March 29, 1965. 10 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellee’s brief, March 9, 1965, (Gale Document Number: DW3900564749), S. 20. 11 Vgl. Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Oral argument, March 30, 1965.
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Staatliche Interessen divergierten. Auf der einen Seite bestand eine moralische Politik, wie sie der Gesetzgeber im Bundesstaat vertrat, um die Sitten zu wahren, auf der anderen Seite orientierte sich der Bundesstaat hin zu einer interventionistischen Politik, die auf das Bevölkerungswachstum einwirken und Armut im Land bekämpfen wollte. An diesem Scheideweg stand der Fall Griswold, obgleich es sich bei dem Urteil aus juristischer Sicht nicht um eine »creative judicial response to influences emanating from the broader society«12 handelte. Dennoch begleiteten gesundheitspolitische Interessen den Fall, und trugen zur Motivation bei, einen solchen Fall vor Gericht zu bringen. Auf dem Gebiet Familienplanung dominierten traditionelle Moralvorstellungen, Sitten und Gebräuche, die im Fall Griswold verhandelt wurden. So solle das Gesetz laut Staatsanwalt Clark die »chances of immorality« senken, wie außerehelichen Geschlechtsverkehr.13 Eine Vergabe von Verhütungsmitteln an Alleinstehende widerspreche den Gebräuchen im Lande: »But that single people should be allowed to use a contraceptive device is so contra American experience, thought, and family law that it does not merit further discussion«.14 Diese Ansicht bildete den traditionellen Erfahrungshorizont ab, in dem Sexualität zwischen zwei Partnern ein Teil des Ehelebens war, innerhalb dessen wiederum Beischlaf der Zeugung und Fortpflanzung dienen solle. Aus Sicht des Staates bildete das Gesetz ein legitimes Mittel, um die Sittlichkeit in der Gesellschaft zu bewahren. Die Gegenseite versuchte, die Moralvorstellungen als überkommen darzustellen, da das Verhütungsmittelgesetz in einem Missverhältnis zu den tatsächlichen Moralvorstellungen der Bevölkerung stehe.15 Gleichzeitig zeigte sich Emerson zurückhaltend, ob das Thema außerehelicher Geschlechtsverkehr in der Schrift verhandelt werden solle, und empfahl der Anwältin Pilpel, den Aspekt »sexual behavior in private between consenting adults« in den amicus brief aufzunehmen.16 Laut PPFA leiste das Gesetz keinen sinnhaften Beitrag, um Sitten und Moral in der Bevölkerung zu sichern. Unter Kirchen und Religionsgemeinschaften, die eine Autorität in moralischen Fragen bildeten, herrsche ein Konsens: »There is no religious controversy about the need for individuals and nations to restrict their fertility«.17 Statt auf Moral und Sitten beruhte das Argument der 12 Williams, The paths to Griswold, S. 2187 f., Zitat S. 2187. 13 Vgl. Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Oral argument, March 30, 1965. 14 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellee’s brief, March 9, 1965, (Gale Document Number: DW3900564749), S. 12. 15 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellant’s brief, February 11, 1965, (Gale Document Number: DW3900564638), S. 49 ff. 16 Harriet F. Pilpel to Fred Jaffe and Nancy F. Wechsler, Memorandum, January 22, 1965, Folder [23] ›CT BC Situation Legal 1965‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 3. 17 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Amicus brief [PPFA], March 15, 1965, (Gale Document Number: DW3900478727), S. 17, Zitat S. 33.
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Befürworter eines Zugangs zu Verhütungsmitteln darauf, individuelle Entscheidungen im häuslichen Bereich einer Ehe zuzulassen. In der Bundespolitik war der Bereich Familienplanung eng mit der Frage des Bevölkerungswachstums verbunden, beides Themen, die im Fall Griswold verhandelt wurden. Anwälte von PPFA bezogen sich im Rechtsstreit um Verhütungsmittel auf eine Rede von Präsident Johnson und auf die Reformpolitik der Regierung insgesamt, wozu sie die Bedeutung von Verhütungsmitteln in den Vereinigten Staaten erläuterten. Präsident Johnson habe darauf hingewiesen, wie bedeutend das Thema des weltweiten Bevölkerungswachstums sei, und die Politik versuche, den Problemen von Armut, Arbeitslosigkeit und Jugendkriminalität auch durch Aufklärung zu begegnen: »helping people learn how to control the size of their families«.18 Hintergrund dessen war die Rede zur Lage der Nation im Jahr 1965, in der Präsident Johnson das Thema Familienplanung aufgriff und eine Förderung auf nationaler Ebene über Institutionen wie das Department of Health, Education and Welfare oder das Office of Economic Opportunity initiierte.19 Geburtenkontrolle – das nächste Kapitel kommt darauf zurück – wurde ein Teil der sozialpolitischen Agenda der Great Society. Staatsanwalt Clark machte auf diese sozialpolitische Bedeutung aufmerksam und bemerkte in seiner Schrift, dass die »social philosophy« und nicht medizinische Indikationen den Arzt Buxton zur Verschreibung von Verhütungsmitteln bewogen hatten.20 Clark glaubte, dass es in dem Fall um eine soziale Frage ging, deren Klärung nicht Sache der Gerichte sei, weshalb der Gesetzgeber über den Gebrauch von Verhütungsmitteln durch Eheleute entscheiden solle. Jedoch erschien die Politik des Bundesstaates inkompatibel zu Bundesprogrammen. Zwar zielte die Bevölkerungspolitik im Inland weniger auf die Geburtenraten insgesamt ab, widmete sich jedoch einzelnen Milieus und der Frage, wie Familien, die von Armut bedroht waren, die Größe ihrer Familien kontrollieren könnten. Um das Bevölkerungsargument lavierten die Juristen herum. Emerson argumentierte in seiner Schrift zunächst, dass das Gesetz in Connecticut nicht auf »population control« ausgerichtet sei, es aber nationalen und internationalen Entwicklungen auf diesem Gebiet entgegenstehe. Darüber hinaus sei das Bevölkerungswachstum derart komplex, dass es von dem Gesetz nicht beeinflussbar sei. Außerdem verwies die Schrift auf zentralstaatliche Programme zur Geburtenkontrolle.21 Zur »so-called population explosion«, welche die Gegenseite angeführt habe, bemerkte Clark, dass die Geburtenrate in Connecticut, wie auch 18 Ebd., S. 26 f., Zitat S. 27. 19 Critchlow, Intended consequences, S. 42 ff., 52 f. 20 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellee’s brief, March 9, 1965, (Gale Document Number: DW3900564749), S. 24. 21 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellant’s brief, February 11, 1965, (Gale Document Number: DW3900564638), S. 28 f., 58 f., Zitat S. 28.
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in den Vereinigten Staaten insgesamt, rückläufig sei.22 Tatsächlich fiel die Geburtenrate seit Ende der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre in den USA um fast die Hälfte.23 Nicht zuletzt die Pille zur Verhütung hatte zu einem Abfall der Geburtenrate geführt.24 Hierin waren sich die Parteien einig, dass das Gesetz keine Auswirkung auf die Bevölkerungsentwicklung hatte oder haben sollte. Als das Gesetz im 19. Jahrhundert beschlossen worden war, stand das Wachstum der Bevölkerung nicht im Vordergrund, doch seine moralischen Grundlagen kollidierten später mit Reformbestrebungen der Regierung, die ein Wachstum der armen Bevölkerung zu begrenzen suchte und den weltweiten Wachstumstrend als Problem erachtete. Medizinische Argumente waren im Fall Griswold wichtig. Ein zentrales Argument lautete, dass eine medizinische Behandlung unter Strafe stünde und der Staat damit in die Privatsphäre von Patientinnen und Ärzten eingreife. Allerdings erhielten Fälle, auf die der Rechtsstreit Griswold aufbaute, keine medizinischen Indikationen.25 Dies stellte eine argumentative Schwachstelle für das Vorhaben dar, Verhütungsmittel zu legalisieren. Darüber hinaus war es nicht die Abgabe einfacher Mittel, sondern die ärztliche Verschreibung neuer medizinischer Methoden, die zu einer Anklage der Klinikleitung geführt und den Fall auf den Weg gebracht hatten. In der Beweisaufnahme führten die Beklagten an, dass Joan Forsberg, eine verheiratete, dreifache Mutter, sich in der Klinik Verhütungspillen verschreiben ließ und über einen längeren Zeitraum eingenommen habe. Weiterhin habe das ärztliche Klinikpersonal Marie Wilson Tindall, einer Ehefrau und mehrfachen Mutter, nach einer Unterleibsuntersuchung ein Diaphragma eingepasst. Einer weiteren Patientin, einer verheirateten Studentin namens Rosemary Anne Stevens, hatte Buxton nach einer Untersuchung ein Vaginalgel verschrieben. Mit der Nutzung der Präparate hätten die Patientinnen gegen das Gesetz verstoßen.26 Obwohl die Patientinnen nicht aus medizinischen Gründen auf Verhütung angewiesen waren, bezogen sich die Anwälte auf medizinische Innovationen, um zu begründen, dass das Verhütungsverbot überkommen sei. Neben neuen Technologien existierten weiterhin althergebrachte Mittel. Beispielsweise hieß die katholische Kirche lediglich die Rhythmusmethode unter bestimmten Umständen gut, bei der verheiratete Paare die unfruchtbaren Tage im Menstruationszyklus der Frau abschätzen und
22 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellee’s brief, March 9, 1965, (Gale Document Number: DW3900564749), S. 27. 23 Connelly, Fatal misconception, S. 250. 24 Bailey, Momma’s Got the Pill, S. 122 f. 25 Mary S. Calderone to Harriet F. Pilpel, March 6, 1962, Folder [25] ›CT BC Situation Legal, Corresp. from Jan 1962‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 26 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Transcript of records, September 14, 1964, (Gale Document Number: DW3900564568), S. 1, 20–23.
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den Geschlechtsverkehr entsprechend in diesen Phasen praktizieren sollten.27 Im Rechtsstreit zählte Staatsanwalt Clark verschiedene Methoden auf, die zur Verhütung möglichen seien: »Abstinence, withdrawal, and the rhythm method are available to the married in Connecticut«.28 Der Gebrauch von Verhütungsmitteln sei, wie Clark in den Verhandlungen argumentierte, ein »social problem, not a medical problem«.29 Herkömmliche Methoden zur Verhütung sowie ältere Mittel waren praktisch frei verfügbar, so dass erst neue Verhütungsmethoden den Fällen ein besonderes Gewicht verliehen. Die Gegenseite betonte die Bedeutung neuer Verhütungsmethoden. Klägeranwalt Emerson bezog sich in seiner Schrift auf Studien, die untersuchten, wie effektiv und zuverlässig einzelne Methoden seien. Dabei war die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft bei neuen Präparate wie der Pille, die unter dem Markennamen Enovid vertrieben wurde, oder der Spirale besonders niedrig und lag im unteren einstelligen Bereich.30 Fred Jaffe von PPFA hatte Emerson mit fachlicher Expertise für die Schrift unterstützt, wie etwa mit Studien, wonach die Rate für eine Schwangerschaft mit herkömmlichen Mittel wie Kondomen oder Diaphragma deutlich über zehn Prozent lag, während orale oder intra-uterine Mittel einen geringeren Wert von unter einem bzw. knapp über zwei Prozent aufwiesen.31 Die Berufungskläger stellten infrage, ob herkömmliche Methoden verlässlich seien, während technologische Innovationen von der Gesetzeslage ausgebremst würden. Die Anwälte von PPFA argumentierten, dass die Kläger in ihrer medizinischen Arbeit eingeschränkt würden, und fügten im Anhang Material zur Wirksamkeit von Verhütungsmethoden an.32 Technologie entwickelte sich zu einem entscheidenden Aspekt in dem Rechtsstreit. Die medizinische Argumentation untermauerten Experten, die Partei für die Berufungskläger ergriffen. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte, insgesamt 141 erklärte Spezialistinnen und Spezialisten auf den Gebieten Obstetrik und Gynäkologie bzw. Kinderheilkunde, schlossen sich als amici curiae zusammen. Die Schrift berief sich auf das Recht, den Beruf frei und nach der gängigen Lehrmeinung ausführen zu dürfen, während das gesetzliche Verhütungsmittelverbot die persönliche Freiheit der Ärztinnen und Ärzte beschneide. Die medizinische Verordnung von Verhütungsmittel sei universell anerkannt, um das Wohlergehen 27 Tentler, Catholics and contraception, S. 2. 28 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellee’s brief, March 9, 1965, (Gale Document Number: DW3900564749), S. 16. 29 Vgl. Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Oral argument, March 30, 1965. 30 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Appellant’s brief, February 11, 1965, (Gale Document Number: DW3900564638), S. 32 ff. 31 Fred Jaffe to Tom Emerson, Memorandum, January 26, 1965, Folder [23] ›CT BC Situation Legal 1965‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 f. 32 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Amicus brief [PPFA], March 15, 1965, (Gale Document Number: DW3900478727), S. 14, 1b.
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der Patientinnen zu sichern, hingegen oktroyiere der Gesetzgeber medizinischen Methoden seine moralischen Standards auf. Die »private morality« stand hier den »public morals« gegenüber; das Verwenden von Verhütungsmittel sei eine Angelegenheit von »great privacy and intimacy«.33 Während der Staat in herkömmlichen Methoden eine Lösung des Problems ungewollter Schwangerschaften sah, bestanden Medizinerinnen und Mediziner darauf, auch neue Mittel, die aus technologischen Innovationen hervorgegangen waren, zu verschreiben. Zivilgesellschaftliche Akteure unterstützten Fälle vor Gericht, um einen freien Zugang zu Verhütungsmitteln zu erstreiten.34 Allerdings erklärt dieser »social movement account« zum Beispiel nicht, warum sich die Rechtsprechung erst 1965 änderte.35 Tatsächlich waren frühere Versuche, wie der vorige Teil dargestellt hat, gescheitert. Die genannten Aspekte neuer Technologien und der Ausbau zentralstaatlicher Gesundheitsprogramme trugen zum Erfolg des erneuten Versuchs bei. Gleichzeig mobilisierten Organisationen weitere Ressourcen und entwickelten Argumente weiter. Mehrere Organisationen ergriffen Partei für die Berufungskläger. Neben den schon genannten medizinischen Expertinnen und Experten und dem Bundesverband PPFA beteiligte sich die ACLU sowie ein katholischer Rat für Freiheitsrechte, der allerdings nicht die offizielle Kirchenmeinung vertrat. Aus juristischer Sicht spielte die ACLU vor dem Obersten Gerichtshof eine wichtige Rolle, indem sie argumentierte, dass privacy betroffen sei; die Organisation »focussed its energy on grouding the privacy right«.36 Diese Strategie hatte Erfolg. Die ACLU reichte gemeinsam mit der Zweigorganisation Connecticut Civil Liberties Union eine Schrift ein. Als ersten Punkt führten Rhoda Karpatkin und Melvin Wulf aus New York sowie Jerome Caplan eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre auf und bezogen sich auf den vierzehnten Verfassungszusatz, wobei die familiäre Privatsphäre in einer Ehe im Vordergrund stand: »The incidents of marriage and family life that are the private concern of the family itself, and consequently beyond the reach of the government, are numerically overwhelming«.37 Demnach wollten die Frauen, welche die Verhütungsklinik besuchten, ihr Eheleben ohne staatliche Einflussnahme führen: »In short, they [the women] want legislators as well as policemen to stay out of their bedrooms«.38 Damit behauptete die Organisation einen Schutz intimer Beziehungen vor staatlichen Interventionen, was sie als Anspruch auf privacy konzeptualisierte. 33 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Amicus brief [for doctors], March 15, 1965, (Gale Document Number: DW3900564817), S. 8, S. 14, Zitat S. 9. 34 Garrow, Liberty and sexuality, S. 60, 63. 35 Williams, The paths to Griswold, S. 2158. 36 Samuels, First among friends, S. 40. 37 Griswold v. Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), Amicus brief [ACLU], February 25, 1965, (Gale Document Number: DW3900564795), S. 7. 38 Ebd., S. 9.
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Die Anwälte des Catholic Council on Civil Liberties zitierten eine Äußerung von Papst Paul VI. aus dem Juni 1964, in der er die Bedeutung von Geburtenkontrolle behandelte und verheirateten Paaren Befähigungen zu Freiheit, Gewissen, Liebe und Pflichten zugestand.39 Die Argumentation wandte die päpstliche Anerkennung von Freiheiten in der Ehe gegen einen staatlichen Einfluss. Nachdem das Urteil 1965 gesprochen war, nahmen schließlich auch offizielle Vertreter der katholischen Kirche den Standpunkt ein, dass die eigene Doktrin zu Geburtenkontrolle nicht als allgemeinverbindliches Gesetz gelten solle, und protestierten nicht gegen das Urteil zu Griswold.40 Obgleich sie nicht selbst unmittelbar am Rechtsstreit beteiligt waren, bildeten zivilgesellschaftliche Organisationen einen wichtigen Faktor, indem sie medizinische und juristische Expertise einbrachten und die Berufungskläger unterstützten. Der Oberste Gerichtshof der USA gab den Berufungsklägern Griswold und Buxton schließlich in einer Entscheidung von sieben zu zwei Stimmen Recht. Sein Urteil begründete Richter Douglas im Juni 1965 mit einer »zone of privacy«, »privacy surrounding the marriage relationship« und einem »right of privacy older than the Bill of Rights«. Diesen Anspruch leitete Richter Douglas aus »penumbras« und »emanations« der Bill of Rights ab.41 Dabei distanzierte er sich von Urteilen, die mit der Doktrin von »substantive due process« wirtschaftliche Interessen stärkten, allen voran Lochner v. New York von 1905, ein umstrittenes Urteil, das Gesetze zum Mindestlohn aufweichte. Jedoch machte Richter D ouglas diese Interpretation nicht an konkreten Rechten aus der Verfassung fest, so dass die Interpretation als »too eccentric« erschien, um sich in der Rechtsprechung durchzusetzen.42 Die Begründung war auch innerhalb der zustimmenden Richter umstritten, die sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten. Richter Harlan vertrat eine gemäßigt konservative Sicht, eine »flexible and openended interpretation of the Due Process Clause«, die Bundesstaaten einen weiten Spielraum beließ. Hingegen bezog sich Richter Arthur Goldberg auf den neunten Verfassungszusatz, der den Schutz von »unenumerated individual rights« begründete.43 Welcher Argumentation auch der Vorzug zu geben sei, privacy war nun fest mit der Tradition des politischen Denkens in den USA verbunden: »The constitutional recognition of a right to privacy was an acknowledgement that privacy was implicit in America’s liberal democratic traditions and inherent in its culture of individualism and its sense of notional exceptionalism«.44 39 Supreme Court of the U. S., OT 1964 No. 496, Griswold v. Connecticut, Amicus Brief for CCCL, [March 15, 1965], Folder [29i] [Printed Briefs, CCCL], PPFA records group II, unprocessed, Box 184, SSC, S. 13, 17. 40 Critchlow, Intended consequences, S. 120. 41 Griswold v. State of Connecticut, 381 U. S. 479 (1965), June 7, 1965, Nr. 14, 17 ff. 42 Williams, The paths to Griswold, S. 2181 f. 43 Ebd., 2171 f., Zitat S. 2171. 44 Cappello, None of your damn business, S. 240 f.
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Das Urteil begründete privacy als individuelles Recht auf Entscheidungen in intimen Fragen, die etwa die Sexualität betrafen. Verhandelt wurden aber auch medizinische Fragen und technologische Innovationen, das Bestreben des Bundes, Programme zur Familienplanung aufzulegen, sowie die Interessen von gesellschaftlichen Akteuren, die sich mit Schriften amicus curiae in den Fall einbrachten. Auf den ersten Blick klärte das Urteil das alte Verhältnis von öffentlich zu privat, wonach sich die Politik aus Angelegenheiten des ehelichen Haushalts heraushalten solle. Es entwickelte sich zu einem geflügelten Wort, dass der Staat vom ehelichen Schlafzimmer fernbleiben sollte, was eine Karikatur mit dem Satz beschrieb: »A policeman in every home is the only way to enforce this law«.45 Doch es lagen keine Polizisten unter den Ehebetten, es fanden auch keine Razzien statt. Der Staat hatte diesen häuslichen Bereich nicht direkt berührt, beklagt waren nicht Patientinnen oder Eheleute, sondern Klinikleitung und medizinisches Personal. Daher erschließt sich das Urteil eher im Verhältnis zwischen Gouvernementalität und Privarität, da Regierungspraktiken verhandelt und Verbote von Verhütungspraktiken für nichtig erklärt wurden, was aber gleichzeitig eine staatliche Förderung von Geburtenkontrolle ermöglichte.
1.2 Pressefreiheit wird gestärkt: »Knowing or reckless falsity« Im geschilderten Fall Griswold tarierten die Richter das Verhältnis zwischen privatem Haushalt und der Einflusssphäre der Politik aus, ob der Staat in der Familienplanung Verbote erlassen dürfe. Mitverhandelt wurden gouvernementale Praktiken, die Sicherheit herstellen sollten und für die Bevölkerungsentwicklung relevant waren. Medienprozesse, wie der Streit zwischen dem Time-Konzern und der Familie Hill, waren anders gelagert, da hier die einzelne Person in ihrer Privatheit einer bürgerlichen Öffentlichkeit gegenüberstand. Dieser Anspruch auf Privatheit war schwer in ein Konzept zu fassen. Während der Jurist William Prosser feststellte, dass es sich um eine Assemblage verschiedener Rechte handele, glaubte der New Yorker Juraprofessor Edward Bloustein einen umfassenden Wert von menschlicher Würde ausmachen zu können: »The man who is compelled to live every minute of his life among others and whose need, thought, desire, fancy or gratification is subject to public scrutiny, has been deprived of his individuality and human dignity«.46 Verfassung und Gesetzgeber schützten die Person vor einer solchen Bloßstellung. Doch es stand noch zur Bewährung aus, ob Personen sich in oberster Instanz gegen unerwünschte Presseberichte zur Wehr setzen könnten. In dem streitgegenständlichen Bericht im Fall Hill hatten es die Reporter mit der Grenze zwischen Fiktion und Fakten nicht so genau ge 45 Zitiert nach: Igo, The known citizen, S. 150. 46 Bloustein 1964, Privacy as an aspect of human dignity, S. 1003.
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nommen und Szenen aus einem Theaterstück an dem Schauplatz eines tatsächlichen Verbrechens nachstellen lassen. Eine Strafzahlung wollte der Konzern nicht akzeptieren und ging in Berufung. Schließlich entschieden die Richter am Obersten Gerichtshof der USA den Fall Time, Inc. v. Hill. Es stand das Recht auf privacy gegen die Pressefreiheit; für beide Werte stand der Warren-Court ein.47 Der Fall sorgte für Aufsehen, da der frühere Vizepräsident Richard Nixon im Jahr 1966 das Mandat für die Partei Hill übernahm, so dass Beobachter fragten, ob eine Politisierung des Falls drohe. Nixon bereitete sich akribisch auf den Fall vor und bemerkte gegenüber einem Reporter, er habe sich für zwei Wochen lang in sein Büro eingeschlossen.48 Nixon hoffte, als Anwalt für Persönlichkeitsrechte sein Image aufzupolieren, das unter seinen Attacken auf die Presse nach verlorenen Kampagnen in Kalifornien gelitten hatte, und wollte einen politischen Neustart vorbereiten. Er argumentierte, dass der strittige Bericht ein Werbegag sei, mit dem das Magazin seine Auflage verbessern und den Handel mit den Heften unterstützen wolle, wie es das New Yorker Gesetz verbat. Die Gegenseite, vertreten von dem prominenten Medienanwalt Harold Medina, pochte darauf, dass es sich um Nachrichten im öffentlichen Interesse handele.49 Der Fall stand auf Messers Schneide. Nach der ersten Anhörung im April neigten die Richter dazu, der Familie Hill rechtzugeben. Richter Abe Fortas verfasste einen entsprechenden Urteilsentwurf, doch Richter Hugo Black konnte die Mehrheit der Kollegen über den Sommer umstimmen, so dass sich das Blatt mit der zweiten Anhörung im Oktober wendete und Richter William Brennen schließlich ein Urteil zugunsten des Medienkonzerns schrieb.50 Damit unterlag die Familie Hill in dem Rechtsstreit. Richter Brennan führte in der Entscheidung aus dem Januar 1967 aus, dass in dem Verfahren nicht geklärt worden sei, ob die Redaktion wissentlich oder sorglos falsche Tatsachen verbreitet habe: »the failure of the trial judge to instruct the jury that a verdict of liability could be predicated only on a finding of knowing or reckless falsity in the publication of the Life article«.51 Damit folgte der Gerichtshof der Linie, die er im Urteil zum Verleumdungsfall New York Times v. Sullivan vorgezeichnet hatte. Das Recht auf Meinungsfreiheit überwog, insofern keine mutwillig falsche Darstellung bestand. Nach Ansicht der Richter ging das Risiko, bloßgestellt zu werden, mit dem Leben in einer Gesellschaft einher, die Meinungsfreiheit als oberstes Gut betrachte, und es fand keine Abwägung statt: »privacy was not really being weighed against freedom of the press«.52 Abschotten und Abkapseln galt nicht als Grundrecht, das von Warren 47 Barbas, Laws of image, S. 178, 193. 48 Graham, Time Inc. v. Hill, in: Johnson, Timothy R. u. a. (Hg.), A good quarrel, S. 107 f. 49 Barbas, Laws of image, S. 193 f. 50 Dies., When Privacy Almost Won, S. 571 f. 51 Time, Inc., Appellant, v. James J. Hill, 385 U. S. 374 (1967), January 9, 1967, S. 397. 52 Barbas, When Privacy Almost Won, S. 577.
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und Brandeis propagierte Right to Privacy existierte in der Verfassung nicht. Trotzdem hielt das New Yorker Privacy-Gesetz stand und wurde nicht als verfassungswidrig erklärt. Die Richter reichten den Fall an die unteren Instanzen zurück, um die offenen Fragen zu klären. Schließlich einigten sich die Parteien auf eine sechsstellige Entschädigungszahlung; doch Geld ließ die Wunden von Frau Hill nicht ausheilen, die 1971, also neunzehn Jahre nach der Entführung, Selbstmord beging.53 Anders als im Medienprozess lagen die Dinge, wenn es um die Praktiken staatlicher Ermittler ging.
1.3 Abhörmaßnahmen auf dem Prüfstand: »Personal privacy and the requirements of public security« Der Streit darum, unter welchen Umständen Ermittler auf Technologien zurückgreifen dürften, um Gespräche abzuhören und den Inhalt vor Gericht zu verwenden, und welche Ansprüche auf privacy bestünden, schwelte weiter. Präsident Johnson erachtete Abhörpraktiken als »serious abuses and invasions of privacy«, wie er am 30. Juni 1965 schrieb, so dass ein Eindringen in »privacy of communications« nur in Fällen gerechtfertigt sei, in denen die nationale Sicherheit betroffen sei.54 Der Entwurf stammte anscheinend von Attorney General Nicholas Katzenbach.55 Der Anlass des Memorandums erschien unklar. Allein die Abhörmaßnahmen des FBI könnten diesbezüglich zu Problemen führen.56 Im Jahr 1966 suchte die Johnson-Regierung nach Wegen, wie das Abhören von Telefonaten gesetzlich zu regeln sei, denn in der Politik der inneren Sicherheit erschien Überwachung als wichtiges Werkzeug. Außerdem zapften zunehmend Privatpersonen Telefonleitungen an. Den bisherigen Standpunkt versuchten Berater im Weißen Haus zu erweitern und teilten Johnson mit, dass die unklare Rechtslage zu Verstößen gegen das »right to privacy« geführt habe.57 Federführend in der Diskussion waren die Berater des Präsidenten Joseph Califano und Lee White. Califano, Harvard-Absolvent mit irisch-italienischer Abstammung, war im Juli 1965 ins Weiße Haus gekommen. Dem Juristen kamen die Rolle eines »general-utility infielder on the domestic scene« und damit die Aufgaben zu, im Bereich Innenpolitik die Gesetzgebungen zu leiten sowie Programme der Great Society zu implementieren; White war zuständig für 53 Ebd., S. 580. 54 Lyndon B. Johnson, Memorandum for the heads of executive departments and agencies, June 30, 1965, Folder ›JL‹, Box 60, CF, LBJL, S. 1 f., Zitat S. 1. 55 Nicholas deB. Katzenbach, Memorandum for the President, April 8, 1965, Folder ›JL‹, Box 60, CF, LBJL, S. 1. 56 Lee White to Bill Moyers, April 10, 1965, Folder ›JL‹, Box 60, CF, LBJL, S. 1. 57 Joseph A. Califano and Lee White, Memorandum for the President, February 9, 1966, Folder ›LE / JL‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 1.
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Ressourcen und für Bürgerrechte.58 Die beiden Berater standen in Hinblick auf Telefonüberwachung mit Attorney General Katzenbach in Kontakt, der eine Änderung der Gesetzgebung befürwortete und einen entsprechenden Entwurf von Senator John L. McClellan, Demokrat aus Arkansas, unterstützte. Diesen Standpunkt hatte er bereits öffentlich vertreten. Katzenbach erachtete die Aussicht auf »maximum privacy« als nicht praktikabel und wenig wünschenswert, aber ein entsprechendes Gesetz müsse auch die »importance of privacy« herausstellen.59 Der Justizminister wollte den Senatsentwurf unterstützen, ohne den Präsidenten in die Angelegenheit einzubeziehen. Es ging darum, die willkürlichen Abhörmaßnahmen einzudämmen und eine gesetzliche Grundlage für Regeln und Verfahren zu schaffen, um es Ermittlern zu ermöglichen, Telefonate von verdächtigen Personen gezielt abzuhören. Regierung und Regierungsoberhaupt waren sich in dieser Frage jedoch uneins. Sowohl die Optionen einer unbeschränkten Erlaubnis behördlicher Abhörmaßnahmen als auch eines vollständigen Verbots galten als unrealistisch. Der Entwurf von Senator McClellan enthielt einen Kompromiss zwischen diesen Optionen, wonach ein Anzapfen von Telefonleitungen unter strengen Auflagen genehmigt werden könnte, etwa bei schweren Straftaten, während die Implementierung strikter Verfahren den Entwurf auch Freiheitsrechtsgruppen schmackhaft machen sollte. Da der Entwurf die bisherige Position des Präsidenten revidierte, lautete der Vorschlag, Johnson aus der Frage herauszuhalten, strenge Auflagen einzuführen und verfassungsrechtliche Aspekte der elektronischen Überwachung etwa mit Wanzen, also Miniaturmikrofonen, zu untersuchen. Wie handschriftliche Notizen auf dem Memorandum nahelegen, blieb der Präsident seiner Linie treu. Anscheinend favorisierte Präsident Johnson einen Bann von Abhörmaßnahmen, stand zu seinem Memorandum und verlangte Gesetze, um elektronische Überwachung zu unterbinden. Ob Abhörmaßnahmen über Fälle der nationalen Sicherheit hinaus stattfinden dürften, erachteten die Berater als »crux of the matter«.60 Durch eine sture Haltung des Präsidenten drohte die Regierung, sich ins politische Abseits zu manövrieren. Justizministerium und Kongress arbeiteten unter Hochdruck an einer Lösung. Zu Beginn des Jahres 1967 empfahl eine Studie der präsidentiellen Kommission zur Kriminalitätsbekämpfung unter Katzenbach, dass Ermittlungsbehörden unter bestimmten Umständen auf elektronische Überwachung zurückgreifen dürften. Allerdings betonte die Kommission auch »threats to privacy« und die Bedeutung von »privacy of communication« der Bürger in einer demo 58 Zeitz, Building the great society, S. 121, 184, Zitat S. 121. 59 Nicholas Katzenbach, Memorandum for Joseph A. Califano, January 28, 1966, Folder ›LE / JL‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 2. 60 Joseph A. Califano and Lee White, Memorandum for the President, February 9, 1966, Folder ›LE / JL‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 2 f., Zitat S. 2.
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kratischen Gesellschaft.61 Auch im Kongress bestanden divergente Positionen, und seine Mitglieder debattierte zwei entgegengesetzte Entwürfe zu Abhörmaßnahmen. Präsident Johnson selbst hatte zu dem Thema in seiner Rede zur Lage der Nation von 1967 Position bezogen und trat für ein weitrechendes Verbot von ein.62 Ein entsprechendes Gesetz, das ein Abhören von Telefonaten und Belauschen von Gesprächen weitgehend verbieten sollte, debattierte der Unterausschuss von Senator Long, wonach solche Maßnahmen auf Fälle beschränkt bleiben sollten, in denen die nationale Sicherheit gefährdet erschien. In den Anhörungen vom 20. März 1967 befürwortete der neue Attorney General Ramsey Clark den Right of Privacy Act. Laut Clark ordne die Justiz Maßnahmen zur elektronischen Überwachung an, die er als »the most insidious invasion of privacy« wertete.63 Damit vertrat Clark die Position der Regierung, die den Gesetzesentwurf unterstützte. Weitere Anhörungen zum Privatsphäre-Gesetz fanden im April und Mai 1967 statt.64 Doch der politische Wind drehte sich. Das Land stand vor der Aufgabe, Probleme wie die organisierte Kriminalität zu bewältigen, wozu ein starker Anspruch auf privacy eher hinderlich erschien. Nunmehr forderte die Politik der Sicherheit ihre Rechte ein. Präsident Johnson wollte mit diesem Privatsphäre-Gesetz einen Ausgleich zum Gesetz zur Kriminalitätsbekämpfung schaffen und Freiheitsrechte schützen. Für das Kriminalitätsgesetz schlug Califano als Titel vor, sichere Straßen zu betonen, während Clark die Kontrolle von Kriminalität favorisierte, da eine freie Gesellschaft keine vollständige Sicherheit garantieren könne, so dass der Titel schließlich Safe Streets and Crime Control Act lautete.65 In Anhörungen zu Programmen zur Strafverfolgung bemerkte Clark: »Legislation to safeguard the right of privacy is long overdue«.66 Im Unterausschuss zu Strafrecht und Verfahren, der von März bis Juli 1967 tagte, erklärte Senator Samuel J. Ervin, Jr., Demokrat aus North Carolina, dass er sich dem Vorschlag der Regierung aus dem Unterausschuss von Senator Long über Abhörmaßnahmen anschließe. Allerdings gestand Senator Ervin ein, dass die organisierte Kriminalität das Land bedrohe und elektronische Überwachung unter bestimmten Umständen bewilligt werden könne: »Any legislation on this subject will necessarily have to strike an extremely delicate balance between the rights of the individual to personal privacy and the requirements of public security«.67 Ansprüche auf privacy gerieten in Konflikt mit Sicherheitsinteressen. Trotz Unterstützung der Regierung kam das Gesetz zum Recht auf Privatsphäre nicht zustande. Das 61 [U. S. Government] 1967, The Challenge of Crime in a Free Society, S. 204. 62 Cappello, None of your damn business, S. 156. 63 U. S. Senate 1967, Right of Privacy Act of 1967, Part 1, S. 48. 64 Vgl. U. S. Senate 1967, Right of Privacy Act of 1967, Part 2. 65 Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 746 f. 66 U. S. House of Representatives 1967, Anti-Crime Program, S. 212. 67 U. S. Senate 1967, Controlling Crime Through More Effective Law Enforcement, S. 5 f.
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Interesse des Gesetzgebers bestand darin, rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, um Abhörmaßnahmen zu ermöglichen.68 Es ging nicht darum, staatliches Handeln zurückzuschneiden, sondern in geregelte Bahnen zu lenken, während sich die Position, Privatsphäre als einen absoluten Schutzraum zu betrachten, nicht behaupten konnte. Regierungspraktiken wurden Regeln unterworfen, um einen Zustand der Sicherheit herzustellen, ohne aber Freiräume zu ersticken. Dass die Situation ohne eine rechtliche Grundlage nicht mehr zu halten war, machte spätestens die Judikative klar. Im Jahr 1967 verhandelte der Oberste Gerichtshof der USA zwei Fälle um Telefonüberwachung in Strafverfahren. Im Fall Berger v. New York erklärten die Richter ein Gesetz aus dem Bundesstaat für verfassungswidrig, da es an juristischen Kontrollen für das Abhören von Gesprächen mangele. Die Anhörungen im Ausschuss des Repräsentantenhauses zur Kriminalitätsbekämpfung waren bereits vor den Urteilen abgeschlossen. Justizminister Clark wollte »wiretapping und eavesdropping« unabhängig vom ausstehenden Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA gesetzlich unterbinden; nur in äußerst dringenden Fällen seien diese Methoden gerechtfertigt.69 Das Urteil zu Berger am 12. Juni 1967 fiel in den Zeitraum der Senatsanhörungen, in denen Senator McClellan im Juli 1967 das Urteil als »serious blow to law enforcement« kritisierte und den Kongress in der Pflicht sah, den negativen Folgen des Urteils auf die Sicherheit mit Gesetzen zu begegnen.70 Abermals standen Sicherheit und Privatsphäre in Opposition zueinander. Die Verhandlung zu Katz v. United States fand im Oktober 1967 statt. Charles Katz betrieb in Kalifornien ein Geschäft mit Glückspiel, das sich bis zu Städten an der Ostküste erstreckte. Katz, der in einem Wohnblock am Sunset Boulevard in Los Angeles lebte, setzte auf Sportwetten im College-Basketball und nutzte eine von drei Telefonzellen an der Straße, um illegal Informationen mit Partnern in Boston und Miami auszutauschen. Um den Verdächtigen zu überführen, brachte das FBI Wanzen an einer öffentlichen Telefonzelle an und nahm Gespräche auf, in denen Katz Informationen über Wettgeschäfte übermittelte.71 Der Angeklagte wehrte sich dagegen, dass die Aufnahmen vor Gericht verwendet würden, und der Fall ging bis in die höchste Instanz. Die Richter befanden im Urteil aus dem Dezember mit einer Gegenstimme, dass Telefonate unter den Schutz des vierten Verfassungszusatzes vor willkürlichen Durchsuchungen fielen und ein richterlicher Beschluss für Abhörmaßnahmen nötig sei. Allerdings erteilte Richter Potter Stewart sowohl der Ansicht, es existierten geschützte Sphären, als auch der Idee eines generellen verfassungsrechtlichen Anspruchs auf privacy unter anderem mit Verweis auf die Fälle Griswold, NAACP v. Ala 68 Regan, Legislating privacy, S. 125. 69 U. S. House of Representatives 1967, Anti-Crime Program, S. 210. 70 U. S. Senate 1967, Controlling Crime Through More Effective Law Enforcement, S. 867. 71 Schneider, Katz v. United States, S. 13.
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bama und Hill eine Absage, da bestimmte Artikel wie der vierte Verfassungszusatz die persönliche Privatsphäre jeweils vor bestimmten staatlichen Angriffen schützten: »the protection of a person’s general right to privacy – his right to be let alone by other people – is, like the protection of his property and of his very life, left largely to the law of the individual States«.72 Ein generelles Recht ergab sich also nicht aus der Verfassung, sondern war Sache der Bundesstaaten. Doch das Gesetzeswerk der Bundesstaaten, die äußerst spezifische und untereinander divergierende Regeln erließen, war natürlich auch nicht geeignet, ein generelles Recht zu etablieren. Die Frage, ob abgehörte Gespräche von einer öffentlichen Telefonzelle oder von zuhause aus geführt wurden, betrachtete das Urteil als nebensächlich: »the Fourth Amendment protects people, not places«.73 Damit verwarf der Oberste Gerichtshof die Theorie, dass Durchsuchungen nur dann unzulässig seien, wenn Ermittler eine Schwelle überschritten. Nach der bisherigen Rechtslage war das Abhören von Gesprächen durch eine Wand legitim, solange das Mikrofon aufgelegt und nicht durch die Wand durchgebohrt wurde – ein juristischer Standard, der auf einem überholten technischen Stand der vierziger und fünfziger Jahre beruhte.74 Hier reagierte die Rechtsprechung nur mit Zeitverzug auf technologische Innovationen. Diesbezüglich ergänzte Richter Harlan, dass »reasonable expectations of privacy« einer Person zu berücksichtigen seien.75 Hingegen favorisierte Richter Black eine strengere, wörtliche Lesart des vierten Verfassungszusatzes, der sich auf Durchsuchungen von Personen, ihrer Häuser, Schriftstücke und Habseligkeiten beschränke. Sowohl Richter Douglas als auch Richter Goldberg bemerkten, dass das Urteil offenlasse, wie in die nationale Sicherheit betreffenden Fällen zu entscheiden sei.76 Diese Frage sollten die Richter erst fünf Jahre später in Auseinandersetzung mit der Nixon-Regierung klären. Katz indes war ein Kleinkrimineller ohne Hang zu verfassungsrechtlichen Fragen. Als sein Anwalt über den Ausgang der Verhandlung berichtete, war seine erste Frage, ob er die Telefongesellschaft verklagen könne.77 In der Folge musste der Gesetzgeber auf die Urteile reagieren.78 Jedoch verlief die Ausschussarbeit insgesamt bereits im Vorfeld und eher unabhängig von der Rechtsprechung, so dass der Kongress nicht etwa im Schnellverfahren auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs reagierte. In den Urteilen zu Griswold, Hill und Katz zurrten die Richter 72 Katz v. United States, 389 U. S. 347 (1967), December 18, 1967, Nr. 5. Hervorhebung im Original. 73 Ebd., Nr. 6. 74 Vitiello, Katz v. United States, S. 429. 75 Katz v. United States, 389 U. S. 347 (1967), December 18, 1967. U. S. Supreme Court, Nr. 30. 76 Ebd., Nr. 22, 34, 55. 77 Schneider, Katz v. United States, S. 23. 78 Regan, Legislating privacy, S. 122.
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Ansprüche auf privacy auf einen engen Geltungsbereich zusammen; privacy war nicht die prägende Idee hinter den Grundrechten, die Verfassung enthielt kein generelles Recht. Damit loteten die Richter das Verhältnis zwischen öffentlich und privat neu aus. Das Verhältnis zwischen bürgerlicher Öffentlichkeit und Privatheit war nicht in der Verfassung geregelt; die physische Sphäre des Hauses war nicht ausschlaggebend für die Legitimität von Überwachung und Eingriffen. Letztlich beeinflussten die Urteile Privarität, denn es ergaben sich daraus Regeln, unter welchen Umständen gouvernementale Praktiken legitim seien, um Personen zu überwachen oder um in der Geburtenkontrolle zu intervenieren. Beide Themen beschäftigten die Regierung in der Folge. Ob und wieweit der Bund Programme auflegen durfte, um Familienplanung zu unterstützen, war äußerst kontrovers.
2. Politik der Geburtenkontrolle
Abb. 7: HEW-Minister Wilbur Cohen war für Sozialprogramme auch im Bereich der Familienplanung verantwortlich. Das Foto zeigt Cohen als Assistant Secretary of HEW (rechts neben dem Historiker Abraham Bortz, Mitte, und dem Archivar Jerome Finster, links) bei einer Ausstellungseröffnung am 25. September 1964. Courtesy National Archives (64-NA-2456).
Der Staat durfte es Ehepartnern nicht verbieten, Mittel zu erwerben und zu verwenden, um eine Schwangerschaft zu verhüten, da dies zum right to privacy gehöre, wie es der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 1965 entschieden hatte. Doch in der Politik flammte der schwelende Konflikt um Geburtenkontrolle zu der Zeit erst auf, denn es galt, die Armut im Land zu bekämpfen und auf das weltweite Bevölkerungswachstum einzuwirken, ohne aber die Reichweite staatlichen Handelns zu überdehnen. Das Argument privacy führten sowohl Befürworter als auch Gegner staatlicher Intervention an. Geburtenkontrolle war sicherheitsrelevant, das Wachstum der Bevölkerung rückte ins Interesse der Politik. Der Begriff »Population Control« prägte die politische Debatte um
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Reproduktion, bevor die feministische Bewegung das Thema aufgriff.1 Mit Sorge verzeichneten Demografen ein weltweit steigendes Bevölkerungswachstum, während die USA im Inland mit einer alternden, langsam anwachsenden Bevölkerung konfrontiert waren. 1965 war das Jahr, als der Moynihan-Bericht »The Negro Family« afroamerikanische Familien in den Fokus der Sozialpolitik rückte, deren Privatsphäre prekär erschien und deren »publicness« sich mit dem Konzept »privacy«, wie es im Fall Griswold verhandelt wurde, kontrastieren lässt.2 Diese Gruppe war stark von Armut bedroht. Die Regierung wollte sich aber nicht dem Verdacht aussetzen, mit Förderprogrammen zur Familien planung bestimmte Ethnien anzusprechen, und ebenso wenig, Druck oder Zwang auszuüben. Mit politischen Entscheidungen zur Geburtenkontrolle hielt sich die Regierung zurück: »Johnson was leery. The subject was a minefield«.3 Der Senat debattierte mehrere Gesetzesvorhaben, die auch Geburtenkontrolle umfassten wie insbesondere die Reform der Sozialversicherung, während die Regierung ein Komitee einsetzte, das Fragen des Bevölkerungswachstums klären sollte. Behörden und Ministerien implementierten Programme, um Paare bei der Familienplanung zu unterstützen, womit die Politik der Great Society in private Bereiche hineinreichte: »Birth control was no longer a ›private vice‹ but became a ›public virtue‹«.4 Nach und nach weitete der Bund sein Engagement aus. Das HEW war die wichtigste Institution, um zentralstaatliche Programme für soziale Dienste im Bereich Familienplanung aufzulegen. Ein »family planning memo« des HEW kursierte seit Januar 1966, wonach das Ministerium die Forschung zur Bevölkerungsentwicklung fördern sowie »family planning information and services« bereitstellen wollte. Allerdings sollten Programme ohne Zwang durchgeführt werden und das Gewissen und die Freiheit des Individuums in Hinblick auf Verhütungsmethoden respektieren.5 Diese Formulierung sollte die Bürger katholischen Glaubens besänftigen.6 Denn Würdenträger der katholischen Kirche positionierten sich als Gegner einer interventionistischen Bevölkerungspolitik. Zu den Befürwortern innerhalb der Gesellschaft zählte weiterhin die Organisation Planned Parenthood, die medizinische Dienste anbot, sowie die ACLU aus freiheitsrechtlicher Perspektive. Darüber hinaus hatte das Thema Geburtenkontrolle eine technologische Komponente, als sich neue Methoden zur Verhütung weit verbreiteten. Noch bevor die Food and Drug Administration (FDA) das Prä 1 Gordon, The moral property of women, S. 286. 2 Osucha, Race and the Regulation of Intimacy in the Moynihan Report, S. 259. 3 Woods, Prisoners of hope, S. 203. 4 Watkins, On the pill, S. 69. 5 John W. Gardner, Memorandum to HEW Heads of Operating Agencies, January 24, 1966, Folder ›Population 5‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1. 6 Harry C. McPherson, Jr. to Bill Moyers, January 28, 1966, Folder ›Population 5‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1.
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parat Enovid zu Verhütungszwecken freigab, nutzten im Jahr 1959 bereits eine halbe Million Frauen die Pille, und 1967 verbrauchten US-amerikanische Frauen mehr als die Hälfte der weltweit hergestellten Verhütungspillen. Dabei war mit John Rock ausgerechnet ein Katholik an der Entwicklung beteiligt, dem es aber ursprünglich darum ging, Unfruchtbarkeit zu behandeln.7 Alsbald ergaben sich auch Fragen zu Risiken und Nebenwirkungen. In der Politik der Geburtenkontrolle wurde abermals die Reichweite gouvernementaler Praktiken verhandelt, welche Mittel und Verfahren zum Einsatz kamen und welche Grenzen staatlichen Einflüssen und Zwängen gesetzt waren.
2.1 Johnson setzt ein Bevölkerungskomitee ein: »Nation’s efforts in population and family planning« Bevölkerungspolitik erschien zunächst im internationalen sodann auch im nationalen Rahmen relevant, denn wachsende Bevölkerungszahlen weltweit gefährdeten aus Sicht von Experten die Versorgungssicherheit, verursachten Armut und boten der Politik daher Anlass zur Sorge. Diesbezüglich setzte die Regierung zunächst eine Task Force on Population and Family Planning ein, die sich im Jahr 1965 vor allem mit der weltweiten Lebensmittelversorgung befasste. Dabei betonten die Autoren des Berichts auch die Bedeutung von Familienplanung, wozu Wissen und Programme notwendig seien, um die verfügbaren Nahrungsmittel pro Kopf zu erhöhen und einer »ever growing food crisis« zu begegnen.8 Diese krisenhafte Entwicklung der Weltbevölkerung brachten auch Anhörungen im Senat zum Ausdruck. Unter dem Titel Population Crisis ließ Senator Ernest H. Gruening, Demokrat aus Alaska, seit 1965 über einen Gesetzesentwurf debattieren, der vorsah, dass sich das HEW sowie das Außenministerium auf dem Gebiet der Geburtenkontrolle engagieren sollten. Als prominenter Fürsprecher trat General William Draper auf, Autor eines Bevölkerungsberichts und Vizevorstand von Planned Parenthood World Population, wie die Organisation zwischenzeitig hieß, und führte aus, dass die Wachstumsrate der Weltbevölkerung ansteige, und eine Katastrophe drohe, ohne aber die Folgen genau zu benennen. Dieser Trend könne aber durch moderne Methoden der Verhütung wie etwa der Pille umgekehrt werden.9 Sein Bericht betonte das Problem der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung.10 Die Organisation zeigte eine starke Präsenz. Alan 7 Gordon, The moral property of women, S. 286 ff. 8 Report of the Task Force on Population and Family Planning, November 22, 1965, Folder ›11/22/65 TF on Population‹, Box 160, CF, LBJL, S. 20. 9 U. S. Senate 1966, Population Crisis, S. 619. 10 Vgl. den Auszug in: ebd., S. 627.
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G uttmacher, Präsident von Planned Parenthood World Population, erläuterte die Möglichkeiten neuer Verhütungsmethoden wie intrauteriner Mittel. War das Wissen um Geburtenkontrolle lange Zeit ein Privileg gebildeter Schichten gewesen, sei diesbezüglich mit einer Demokratisierung zu rechnen.11 John Rock, Autor des Buches »The Time Has Come«, unterstütze die Belange der Bevölkerungsforschung und wertete die weltweiten Wachstumsraten der Bevölkerung als tödliche Bedrohung für zivilisatorische Errungenschaften.12 Es zeichnete sich ein Sicherheitsdispositiv ab, als Experten mit Erkenntnissen aus Demografie und Statistik ein Krisenbewusstsein hervorriefen, worauf die Politik mit einem Engagement in der Familienplanung antwortete. Der Gesetzgeber begab sich daran, Programme zur Familienplanung zu fördern. Die Johnson-Regierung diskutierte im Jahr 1966 den Gesetzesentwurf zu Familienplanung von Senator Joseph D. Tydings, Demokrat aus Maryland. Demnach sollte über fünf Jahre ein Programm für Zuschüsse über 225 Millionen Dollar aufgelegt werden, womit staatliche und öffentliche Einrichtungen sowie Non-Profit-Organisationen, die Dienste für Familienplanung vor allem in einkommensschwachen Regionen anboten, finanziert werden könnten. Um moralische und religiöse Haltungen zu schützen, mussten Personen in medizinische Behandlungen schriftlich einwilligen. Allerdings verfolgte die Regierung den Plan, ein umfassendes Gesundheitsprogramm aufzulegen, was aber daran scheiterte, dass das Repräsentantenhaus einen entsprechenden Entwurf der Regierung ablehnte.13 Es erschien so, als blockierten sich die Gesetzesentwürfe zur Familienplanung und zur allgemeinen Gesundheitsplanung gegenseitig, weshalb die Regierung unentschlossen agierte. Der Senat diskutierte im Mai 1966 unter dem Vorsitz von Senator Joseph S. Clark, Demokrat aus Pennsylvania, das Family Planning Program. Hier werte Guttmacher auch weitere Gesetzesentwürfe als Chance für die Vereinigten Staaten, den Bürgern Dienste zur Familienplanung zugänglich zu machen.14 Es ging der Organisation darum, nicht bloß Entscheidungsfreiheit, sondern auch einen Zugang zu verschiedenen Optionen zu gewährleisten. Auf internationalem Parkett unterzeichnete Präsident Johnson im Dezember 1966 eine Erklärung der Vereinten Nationen, die in einer Resolution beschlossen, dass Staaten bei Programmen zur Familienplanung unterstützt werden sollten.15 Bevölkerungswachstum und Geburtenkontrolle waren die Themen der Stunde.
11 Ebd., S. 971 ff. 12 Ebd., S. 638. 13 Wilf Rommel, Memorandum for Mr. McPherson, September 30, 1966, Folder ›LE / W E‹, Box 164, WHCF, LE, LBJL, S. 1 ff. 14 U. S. Senate 1966, Family Planning Program, S. 81. 15 William H. Draper, Jr. to S. Douglass Cater, Jr., enclosures, December 2, 1966, Folder ›Population 3‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1.
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Diese Politik stieß insbesondere in der katholischen Kirche auf Missfallen. Katholiken vertaten aber uneinheitliche Positionen. So äußerte Reverend Dexter Hanley, Rechtsprofessor an der Georgetown University in Washington, DC, in Anhörungen zum Family Planning Program seine Zustimmung zu dem Gesetz, das Individuen »free moral choices« in der Familienplanung gewähre. Diese Ansicht bilde zwar nicht den offiziellen Standpunkt der Kirche ab, sei jedoch mit der katholischen Lehrmeinung zu vereinbaren.16 Ein Einspruch von offizieller Seite folgte prompt. So schreib Paul Tanner, Generalsekretär der National Catholic Welfare Conference (NCWC), in einem Brief an Senator Clark, dass sich die NCWC dagegen ausspreche, dass sich zentralstaatliche Institutionen an Programmen zur Geburtenkontrolle beteiligten.17 Um diesen Standpunkt zu untermauern, sandte Tanner ein Statement, das William Ball, Pennsylvania Catholic Welfare Conference, in den Gruening-Anhörungen aus dem August 1965 abgegeben hatte. Demnach sei eine zentralstaatliche Förderung von Diensten zur Geburtenkontrolle für arme Bevölkerungsschichten mit Macht und Prestige verbunden, ein Umstand, der in Zwang umschlagen und zu »violations of human privacy« führen könne.18 Privacy bedeutete in diesem Zusammenhang einen Zustand, der frei von staatlicher Bevormundung und Kontrolle sein sollte. Traditionell sprach sich die katholische Kirche gegen den Gebrauch von Verhütungsmitteln aus, wie es die päpstliche Schrift »Casti connubii« von 1930 erklärte. Diese Position erneuerte Papst Paul VI im Juli 1968 in der Enzyklika »Humanae vitae« und überstimmte damit sowohl die progressiven Stimmen als auch einen kircheninternen Kommissionsbericht. Daraus resultierte ein Konflikt zwischen der Kirche und ihren Mitgliedern: »By the mid-1960s, then, the teaching on contraception had generated what can only be called a major crisis among American Catholics«.19 In Hinblick auf die bundespolitische Agenda knüpften Laien innerhalb der katholischen Kirche auf Bevölkerungskonferenzen zwischen 1963 und 1967 Kontakte zu Organisationen wie Population Council oder Planned Parenthood.20 Jenseits der Hierarchien kooperierten zivilgesellschaftliche und kirchliche Akteure. Der innerkirchliche Konflikt spiegelte sich in regierungsinternen Konflikten wider, wie die Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Regierungsmitgliedern katholischen Glaubens verdeutlichte. Während Anthony Celebrezze vom HEW sich gegen weiterführende, zentralstaatliche Tätigkeit aussprach, befürwortete Sargent Shriver vom Office of Economic Opportunity
16 U. S. Senate 1966, Family Planning Program, S. 18 f., Zitat S. 18. 17 Paul Tanner to Senator Clark, May 12, 1966, in: U. S. Senate (Hg.), Family Planning Program, S. 1. 18 William B. Ball, Prepared Statement, August 24, 1965, in: U. S. Senate (Hg.), Family Planning Program, S. 3. 19 Tentler, Catholics and contraception, S. 2. 20 Ebd., S. 258 f.
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(OEO) diese.21 Nach der konservativen Lesart folgte aus Ansprüchen auf privacy nicht bloß, dass der Staat keine Verbote in Fragen der Verhütung aussprechen durfte, sondern dass staatliche Institutionen sich aus der Familienplanung ganz heraushalten sollten. Die konservative katholische Position lautete, dass eine zentralstaatliche Förderung dazu führe, dass sich Personen auf subtile Weise genötigt fühlten, Verhütungsmittel zu verwenden. Diese Kritik an der Debatte, wie dem Bevölkerungswachstum und Armutsproblem zu begegnen sei, war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Einige Personengruppen, wie etwa Empfänger von Sozialleistungen, fühlten sich von der Politik unter Druck gesetzt, Verhütungsmittel zu verwenden, und empfanden, diese Programme seien »not a part of any Great Society«.22 Beispielsweise waren Sozialarbeiter verspflichtet, Bedürftige über kostenfreie Angebote zur Geburtenkontrolle zu unterrichten. Der Kongress drängte das OEO, sich in der Familienpolitik zu betätigen, vor allem in Hinblick auf Sozialhilfeempfänger. Ein Gesetzesentwurf aus dem Repräsentantenhaus für den Social Security Act von 1967 sah vor, zentralstaatliche Mittel für Bundesstaaten zu kappen, wenn der Anteil von sozialhilfebedürftigen Kindern an der Bevölkerung stieg. Dieser Vorschlag, der schließlich aber scheiterte, zeigte »how populations – instead of individuals – could become the object of policy«.23 Eine derart drastische Bevölkerungspolitik war nicht mehrheitsfähig. Dennoch wollten Sozialpolitiker ökonomisch schwächer gestellten Schichten einen Zugang zu Methoden der Familienplanung ermöglichen. So erwog das OEO Mitte der sechziger Jahre, Dienste auf Jugendliche auszuweiten, und stellte schließlich Fördermittel auch für unverheiratete Frauen bereit.24 Noch deutlicher erschien das Problem staatlicher Eingriffe in Hinblick auf Zwangssterilisationen, die unter Frauen mit niedrigem Einkommen keine Seltenheit waren und sich Schätzungen zufolge auf mehrere hunderttausend bis eine Million Fälle beliefen. Ein entsprechender Fall von zwei Mädchen afroamerikanischer Abstammung aus Alabama, der im Jahre 1973 öffentlich wurde, zwang das HEW, seine Programme zur Familienplanung zu überarbeiten.25 Gegen missbräuchliche Sterilisation mobilisierte eine Reihe von Organisationen, bis 1978 schließlich Richtlinien auf nationaler Ebene verabschiedet wurden.26 Die Vorzeichen hatten sich gedreht: Der Staat durfte keine Verbote in der Familienplanung aussprechen, durfte aber gleichzeitig keine Vorschriften machen. Nach der liberalen Lesart folgte aus Ansprüchen auf privacy, dass ein Zugang zu Mitteln der Familienplanung sicherzustellen sei, um Entscheidungen über 21 Woods, Prisoners of hope, S. 203. 22 Connelly, Fatal misconception, S. 251. 23 Ebd., S. 251. 24 Watkins, On the pill, S. 67. 25 Self, All in the family, S. 150. 26 Schoen, Choice and coercion, S. 76.
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haupt erst zu ermöglichen, wobei aber staatliche Institutionen Entscheidungen nicht erzwingen durften. Personen, die auf Sozialhilfe angewiesen waren, waren im allgemeinen Kontrollen und Auflagen ausgesetzt, die ihr Privatleben betrafen. Lawrence Speiser, Direktor im Washingtoner Büro der ACLU, erörterte in den Senatsanhörungen, ob Empfänger von wohlfahrstaatlichen Leistungen einen Eingriff in ihr verfassungsmäßiges Recht auf »privacy« erdulden müssten, da etwa eine Vorschrift im Sozialgesetz die Erlaubnis zu reisen einschränke.27 Außerdem befürwortete die Organisation »sexual privacy« wie den Gebrauch von Mitteln zur Geburtenkontrolle und wollte einen freien Zugang zu Informationen und Bildern mit sexuellen Inhalten gewähren.28 In diesem Zusammenhang argumentierte die Organisation etwa, dass Werbepost nicht die »domestic privacy« gefährde.29 Dieser Anspruch auf Privatsphäre war allerdings nicht der alleinige Fokus der Organisation: »Given the considerable public support for the general principle of privacy, the ACLU’s primary task became balancing it against other civil liberties principles«.30 In Hinblick auf Familienplanung begrüßte Paul Todd, Geschäftsführer von Planned Parenthood, die Aspekte zur Förderung von Familienplanung grundsätzlich, während der Ausbau von Programmen zur Familienplanung für Wohlfahrtsempfänger aber keinen Zwang implizieren dürfe, da Zwang das Recht auf »individual privacy« einschränke und eine abschreckende Wirkung entfalte.31 Monseigneur Lawrence Corcoran, National Conference of Catholic Charities, argumentierte hingegen, dass staatliche Programme zur Familienplanung, die das langfristige Ziel einer Kostensenkung im Sozialbereich hätten, Druck auf Personen ausüben und freie Gewissensentscheidungen kompromittieren könnten: »freedom of concience to choose in this matter«.32 Befürworter staatlicher Intervention betonten, dass jeglicher Zwang ausgeschlossen bleiben müsse. Nachdem die Senatsdebatten zu Familienplanung und Bevölkerungskrise vorerst ergebnislos geblieben waren, verabschiedete der Kongress im Jahr 1967 zwei Gesetze, die das Thema Geburtenkontrolle betrafen. Zum einen stellte der Foreign Assistance Act unter anderem finanzielle Mittel für den Bereich Familienplanung im internationalen Rahmen bereit, zum anderen ermöglichten die Social Security Amendments einen Einstieg des Bundes in die Geburtenkontrolle. So verpflichtete der Gesetzgeber die Bundestaaten, Programme zur Familienplanung zu entwickeln, und erlaubte es dem Bund, Non-Profit-Organisationen wie Planned Parenthood zu fördern, die Dienste und Beratung zu Familienpla 27 U. S. Senate 1967, Social Security Amendments of 1967, S. 1226 ff., Zitat S. 1226. 28 Wheeler, Publicizing Sex through Consumer and Privacy Rights, in: Schaefer, Eric (Hg.), Sex scene, S. 351. 29 Ebd., S. 365. 30 Walker, In defense of American liberties, S. 308. 31 U. S. Senate 1967, Social Security Amendments of 1967, Part 2, S. 1495. 32 Ebd., S. 1359.
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nung bereitstellten. Daraus entwickelte sich eine Symbiose zwischen zentralstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen.33 Insbesondere Planned Parenthood war neben Organisationen wie dem Population Council oder der Ford Foundation daran beteiligt, zentralstaatliche Programme zu implementieren. Widerspruch kam erneut vom NCWC, welches die Richtlinien von HEWMinister John Gardner als Eingriff in die »privacy« von Ehepaaren ablehnte.34 Darüber hinaus erachteten nationale Stimmen aus der afroamerikanischen Bevölkerung eine aktive Politik zur Geburtenkontrolle als Angriff auf ihre ethnische Gruppe, ein Standpunkt, den vor allem Männer vertraten, während Frauen dieser Gruppe stattdessen Selbstbestimmung in reproduktiven Fragen forderten.35 In der Sozialpolitik und insbesondere in der Familienplanung war privacy ein ambivalentes Konzept, das für und wider staatliches Handeln angeführt wurde. Verhandelt wurden die Grenzen gouvernementaler Praktiken, die Familienplanung fördern aber nicht aufzwingen durften. Im Inland verhielt sich Präsident Johnson in der Bevölkerungspolitik weiterhin zögerlich. Im Juli 1968 setzte er zunächst ein internes Beratungskomitee zu den Themen Bevölkerung und Familienplanung ein und vertagte die Gründung einer Regierungskommission.36 Innerhalb der Regierung gab es Stimmen gegen eine Bevölkerungskommission. So erachtete Philip Lee vom HEW die Ziele einer Kommission als zu unbestimmt.37 Das Komitee sollte unter anderem die Rolle des Bundes in der Forschung zu Bevölkerung und Verhütungsmethoden sowie beim Bereitstellen von Informationen und Diensten zur Familienplanung ausloten und dazu einen Fünf-Jahres-Plan skizzieren.38 Wissenschaftliche Expertise prägte staatliche Handlungsweisen. Die Autoren erhofften sich Aufschlüsse über die Wirkung von Präparaten sowie über die Verhaltensweisen der Menschen, um daraus Empfehlungen für die Politik abzuleiten. Eine zentrale Rolle spielten dabei Statistiken. Carl Schultz, Personalleiter des Komitees, übersandte im September 1968 erste Entwürfe.39 Beispielsweise stellte das zweite Panel des Komitees zu Forschung und Bildung die Bedeutung der Biologie unter anderem zur Erforschung neuer Verhütungsmethoden heraus.40 Die Forschung zur Bevöl 33 Critchlow, Intended consequences, S. 78 f. 34 Ebd., S. 52 f., 60 f., zitiert nach: ebd., S. 76. 35 Self, All in the family, S. 151. 36 Critchlow, Intended consequences, S. 83. 37 Philip R. Lee to Douglass Carter, Memorandum for Honorable Douglass Cater, February 26, 1968, Folder ›Population 4‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1. 38 Douglas Carter to The President, Memorandum, attachments, July 16, 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. B-1. 39 Carl S. Schultz to Douglas Carter, Memorandum, 5 enclosures, September 12, 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. 1. 40 President’s Committee on Population and Family Planning, Panel 2: Research and Training, September 10, 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. 3, 6.
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kerung betreffe laut Abschlussbericht biomedizinische ebenso wie sozialwissenschaftliche Fragen.41 Zum einen erweiterten technologische Innovationen wie neue Präparate den Entscheidungsspielraum im Privatleben von Personen. Zum anderen zielten staatliche Interventionen darauf ab, wie diese Mittel aber auch Wissen und sexuelle Aufklärung an die Menschen zu vermitteln seien, wozu unter anderem Verhaltensstudien Aufschluss bieten sollten. Das Komitee, dem Wilbur J. Cohen, Minister des HEW, und stellvertretend John D. Rockefeller III vorstanden, veröffentlichte seinen Bericht »Population and Family Planning: The Transition from Concern to Action« im November 1968.42 Es fand eine regierungsinterne Diskussion darüber statt, ob der Bericht zeitnah zur Bischofskonferenz zu Geburtenkontrolle veröffentlicht werden solle. Laut einem Memorandum an den Präsidenten lenkte der Bericht die Aufmerksamkeit auf das Bevölkerungsproblem, ohne dem Präsidenten konkrete Verpflichtungen aufzuerlegen. Ein Exemplar sollte an den gewählten Präsidenten Nixon gehen.43 Wie Minister Cohen und Rockefeller an Präsident Johnson schrieben, zeigte der Bericht die Möglichkeiten auf, wie die »Nation’s efforts in population and family planning« zu verbessern seien. Dazu lauteten direkte Empfehlungen, nationale wie internationale Programme zur Familienplanung finanziell zu unterstützen, Bildung und Forschung zu fördern, Programmplanung zu verbessern, ein National Institute for Population Research sowie eine Presidential Commission on Population zu gründen.44 Demnach sollten bis zum Jahr 1973 Informationsangebote und Dienste zur Familienplanung bereitgestellt werden für Frauen, die diese zwar wünschten, sich aber nicht leisten könnten, wozu das Budget von dreißig Millionen Dollar im Jahr 1969 schrittweise auf 150 Millionen Dollar im Jahr 1973 ansteigen sollte.45 Das »population problem« erschien vielschichtig, da in den USA eine sinkende Sterberate zusammen mit einer sinkenden Geburtenrate in einer Wachstumsrate der Bevölkerung von einem Prozent jährlich resultierten, die auf Dauer zu sozioökonomischen Verwerfungen führen könnten.46 In der politischen Debatte erschienen Bevölkerungspolitik und Familienplanung als zwei Seiten derselben Medaille. Im letzten Regierungsjahr von Präsident Johnson blieb der Bericht allerdings folgenlos,
41 Report of the President’s Committee on Population and Family Planning, November 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, WHCF, FG, Box 382, LBJL, S. 27. 42 Ebd., S. 1. 43 Ben Wattenberg to The President, Memorandum, November 15, 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. 1. 44 Wilbur J. Cohen, John D. Rockefeller III, to the President, November 18, 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. 1. 45 Report of the President’s Committee on Population and Family Planning, November 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. 10. 46 Ebd., S. 14.
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und erst die nachfolgende Regierung unter Präsidenten Nixon widmete sich den Empfehlungen zur Bevölkerungspolitik.
2.2 Programme des Department for Health, Education and Welfare: »Population problem« Das HEW bildete eine zentrale Institution, um Programme zur Familienplanung zu implementieren. Zunächst verlief die Aktivität auf diesem Gebiet sporadisch. Laut dem Jahresbericht zu »Family Planning« im Jahre 1967 konzentrierte sich die Arbeit auf medizinische Versorgung und soziale Dienste, auf die Ausbildung von Personal sowie auf Forschung.47 Mit den Ergänzungen zum Sozialgesetz erhielt Familienplanung eine hohe Priorität im Ministerium, und allmählich kam die Politik auf Touren. Ende Januar 1968 gab das HEW die Leitlinien für eine »Familiy Planning Policy« heraus, wonach der Minister entsprechende Programme priorisierte und die einzelnen Behörden anwies, entsprechende Dienste mit maximalem Einsatz zu fördern. Nach den Vorstellungen des HEW müssten Gesundheitsdienste für Mutter und Kinder den Aspekt Familienplanung miteinbeziehen. Bezieher von Sozialleistungen sollten über Dienste zur Familienplanung aufgeklärt werden, ohne aber die Vergabe von Leistungen daran zu knüpfen, ob Verhütungsmittel verwendet würden. Auch hier lautete die Maßgabe, dass Dienste auf freiwilliger Basis bereitstehen und keinen Druck ausüben sollten.48 Zu den Zielen gehörte es, bis 1973 Informationsangebote und Dienste bereitzustellen und die Ausbildung im Gesundheitsdienst auszubauen, wobei Demografen, Statistiker und Sozialwissenschaftler mit Diensten zur Familienplanung zusammenarbeiten sollten.49 Damit verankerte das Ministerium den Bereich Familienplanung in den Gesundheitsdiensten. Der Social Security Act sah gemäß Title XI vor, dass private und öffentliche Stellen die Planung koordinieren könnten, um Wohlfahrtsdienste wie »Maternity and Infant Care and Family Planning Projects« bereitzustellen.50 In Hinblick auf die Zusammenarbeit mit privaten Organisationen sprach Minister Gardner in einen Brief an Alan Guttmacher von Planned Parenthood von einer »public-private partnership« im Bereich Familienplanung. Das gleiche Schreiben ging an das Population
47 Mary E. Switzer to Philip R. Lee, Second Annual Report on Family Planning, September 15, 1967, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1. 48 John W. Gardner, Memorandum to Heads of Operating Agencies, January 31, 1968, Folder ›Population 4‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1 f., Zitat S. 1. 49 Katherine B. Oettinger, Memorandum to Heads of Operating Agencies, January 31, 1968, Folder ›Population 4‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 2. 50 Department of Health, Education and Welfare, Programs in Family Planning, January 31, 1968, Folder ›Population 4‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 6.
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Crisis Committee.51 Der Staat stellte hohe Summen bereit und kooperierte mit Organisationen, um auch armen Schichten den Zugang zu Verhütungsmethoden zu ermöglichen, was nicht nur als Wohltat dienen, sondern auch die grassierende Armut eindämmen sollte. Die Implementierung einer Politik zur Förderung der Familienplanung schritt voran. Mit dem Children Health Act von 1967 wurden weitere Mittel frei, wobei der überwiegende Teil auf Fördergelder entfiel, die neben öffentlichen Stellen auch Non-Profit-Organisationen beantragen konnten.52 Im Februar 1968 tagte zum ersten Mal das Departmental Committee on Population and Family Planning, und seine Mitglieder besprachen, dass Regionaldirektoren eine zusätzliche Stelle eines Beraters für Familienplanung zugewiesen bekämen, was sich auf insgesamt achtzehn Positionen belief. Weiterhin sollten ministerielle sowie regionale Beratungskomitees entstehen und in Kooperation mit dem OEO ein Technical Advisory Committee eingerichtet werden.53 Auf diese Weise trug das Ministerium die Bundespolitik in die einzelnen Regionen des Landes. Innerhalb des HEW übernahm der Social and Rehabilitation Service (SRS) Aufgaben, um die Politik zur Familienplanung umzusetzen, wobei auch hier die Regionaldirektoren gestärkt wurden. Ein Entwurf legte für die Haushaltsjahre 1968 und 1969 fest, wie der SRS die Ministeriumspolitik zur Familienplanung umsetzen wolle. Darüber hinaus leistete die Behörde Forschungsarbeit, die sich unter anderem auf sozialpsychologische Aspekte der Familienplanung für einkommensschwache Personen richtete. Außerdem sollten medizinische Dienste zur Familienplanung aufgebaut und Informationskampagnen gestartet werden.54 Der Zugang zu Verhütungsmitteln wurde weiter liberalisiert. Wie Minister Cohen im April 1968 mitteilte, war das HEW mit einem Gesetzesentwurf einverstanden, wonach Verbote von Import, Transport und Postversand für Verhütungsmittel aufgehoben werden sollten. Demnach seien diese Präparate nicht als »immoral und obscene« zu klassifizieren.55 Damit solche Präparate und Informationsdienste auch die Teile der Bevölkerung erreichten, die nach Ansicht der Regierung dringend darauf angewiesen waren, mussten staatliche Institutionen die Regionen des Landes erschließen.
51 John W. Gardner to Alan Guttmacher, January 15, 1968, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1. 52 Mary E. Switzer to Katherine B. Oettinger, February 5, 1968, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1. 53 Arthur J. Lesser to Mary E Switzer, February 20, 1968, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1 ff. 54 Mary E. Switzer to Katherine B. Oettinger, attachment, February 23, 1968, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1 ff. 55 Wilbur J. Cohen to Wilbur D. Mills, April 25, 1968, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1.
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Seit der Gesetzgeber mit der Änderung des Social Security Act und dem Foreign Assistance Act Gelder für Familienplanung zur Verfügung gestellt hatte, vervielfachten sich die Fördersummen und verdoppelten sich noch einmal vom Jahr 1968 zum Jahr 1969. Das HEW beantragte für inländische Forschung, Ausbildung, Dienste und Bildung im Jahr 1965 lediglich 8,6 Millionen Dollar, im Jahr 1968 dann schon rund 28 Millionen Dollar und veranschlagte für das Haushaltsjahr 1969 bereits rund 56 Millionen Dollar. Vorschläge aus verschiedenen Studien zu Familienplanung standen unter Vorbehalt, aber aus Sicht des Ministeriums könne eine task force einen Fünf-Jahres-Plan aus den Ergebnissen ableiten.56 Die Ausgaben für Programme zur Familienplanung stiegen stetig, um Wissen über medizinische Grundlagen und über die Gesellschaft zu generieren und auf dieser Grundlage soziale Dienste bereitzustellen, die unter anderem Mittel und Ratschläge zur Empfängnisverhütung anboten. So wirkte die Politik auf die Bevölkerungsentwicklung ein. Forschung bildete einen wichtigen Pfeiler dieser Politik. Ein Deputy Assistant Secretary for Population innerhalb des HEW sowie ein Special Assistant for Population in der Internationalen Entwicklungsagentur des Außenministeriums sollten die Bevölkerungsforschung koordinieren. Ein weiterer Pfeiler war die Unterstützung von sozial schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen. So sollten Community Health Programs unter der Ägide des HEW in armen Regionen arbeiten, um medizinische Versorgung zu gewährleisten.57 Im Juli 1968 genehmigte das HEW ein Positionspapier des SRS hinsichtlich der Dienste zu Familienplanung, wobei das Ministerium einen Fokus auf Gesundheitsaspekte richten wollte.58 Für die Haushaltsjahre 1969 bis 1970 sollte das Budget für »public assistance agencies« sowie für medizinische Versorgung im Medical Assistance Program weiter ansteigen. So belief sich das Budget für soziale Dienste, Verwaltung und Projekte auf rund 8,3 Millionen Dollar bzw. auf 10,3 Millionen Dollar. Geschätzte 550 Arbeitsjahre für das Jahr 1969 bzw. 675 Arbeitsjahre für das Jahr 1970 wurden für Sozialarbeit aufgebracht, und die geschätzte Anzahl der berechtigten Frauen für die Programme belief sich auf 430.000 bzw. 500.000.59 Innerhalb eines Jahres hatte der Bund landesweit Programme ausgebaut, die Informationsangebote und medizinische Dienste zur Familienplanung anboten. Auf diese Weise intervenierte die Politik in einem Bereich, der persönliche Entscheidungen betraf. Diese Assistenz bei persönlichen Entscheidungen war ein Schlüssel, um Einfluss auf Geburtenzahlen, auf bestimmte Ursachen von Armut und auf 56 Philip R. Lee to S. Douglass Cater, Jr., May 22, 1968, Folder ›Population 2‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1 ff. 57 Ebd., S. 1 ff. 58 Katherine B. Oettinger to Mary E Switzer, July 31, 1968, Folder ›Family Planning‹, Box 13, HEW, LBJL, S. 1. 59 Samuel E. Martz to Carl S. Shultz, October 8, 1968, Folder ›Family Planning Service‹, Box 47, HEW, LBJL, S. 1 f., Zitat S. 1.
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das Wachstum der Bevölkerung zu nehmen. Wissenschaftler und Publizisten zeichneten ein alarmierendes Bild der Bevölkerungsentwicklung. Den Ausdruck einer »Population Bomb« hatte Hugh Moore im Jahre 1954 geprägt, 1968 erschien dann ein gleichnamiges Buch von Paul Ehrlich. Entsprechend diesem »Malthusian discourse«, der an klassische Schriften des Ökonomen Thomas Malthus erinnerte, glaubten Demografen, dass eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums die Armut eindämmen könne.60 Ein Gegenpol zu Warnungen vor Hungersnöten wegen Überbevölkerung, wie sie Ehrlich vortrug, stammte von Julian Simon, der von technologischen Lösungen der Ernährungsfrage überzeugt war.61 Gouvernementale Praktiken zielten darauf ab, die Bevölkerung zu erfassen und zu lenken, was Foucault zuerst am Problem des Nahrungsmangels untersucht hat: Die Bevölkerung ist als Zielobjekt relevant, und die Individuen, die Serien von Individuen, die Gruppen von Individuen, die Multiplizität von Individuen, sie ist als Zielobjekt nicht relevant. Sie ist lediglich als Instrument relevant, als Relais oder Bedingung, um etwas auf der Ebene der Bevölkerung durchzusetzen.62
Ein Beispiel für einen solchen Ansatz bildet die Bevölkerungspolitik in den sechziger Jahren. In der Diskussion bildeten Wissenschaft und Technik wichtige Faktoren. So regte das HEW Verhaltensstudien gemäß der »behavioral science« an, um die Akzeptanz von Diensten zur Familienplanung und Methoden der Verhütung zu erforschen. Das National Institute of Child Health and Human Development unterhielt ein Forschungsprogramm zu Reproduktion, das unter anderem Entwicklung und Wirkung von Präparaten zur Verhütung erforschte. Dabei sollte zunächst ein eigenes Institut innerhalb der National Institutes for Health entstehen.63 Weiterhin regte das Ministerium die Forschung in biomedizinischen Bereichen wie »methods of fertility control« aber auch in demografischen sowie verhaltenswissenschaftlichen Fragen an. Schließlich sah das Programm öffentliche Bildung wie etwa »sex education« vor.64 Verbunden mit der Sozialpolitik war das Bestreben, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Familienleben und Sexualität sowie zur Entwicklung der Bevölkerung zu gewinnen. Mit statistischen Zahlen untermauerten Demografen die Forderung nach einer Politik der Bevölkerungskontrolle. Diese Haltung ging insbesondere von Wissenschaftlern aus, die am Office of Population Control der Princeton Uni-
60 McCann, Figuring the population bomb, S. 4. 61 Sabin, The bet, S. 2 f. 62 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 70. 63 Philip R. Lee to S. Douglass Cater, Jr., May 22, 1968, Folder ›Population 2‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 1 ff. 64 Katherine B. Oettinger, Memorandum to Heads of Operating Agencies, January 31, 1968, Folder ›Population 4‹, Box 66, DCaterFs, LBJL, S. 3 f.
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versity sowie beim Population Council ansässig waren.65 Demografen erstellten wissenschaftliche Prognosen, die wiederum die Politik zum Handeln drängten: »The point of such predictions was not be correct about the future but to spur action in the present«.66 Laut Bevölkerungskommission könnten Datenanalysen einer landesweiten Erhebung Aufschlüsse über Sterblichkeit, Migration und Geburten liefern, was auch ethnische, sozioökonomische und geografische Faktoren miteinbezog, und die Kommission empfahl, dass das Bureau of the Census eine fünfjährige Bevölkerungszählung, ein »quinquennial population census«, erhebe.67 Wissenschaftliche Expertise schuf eine Vorstellung von Sicherheit, die Regierungspraktiken herzustellen versuchten, wobei sie gewissen Restriktionen unterlagen und Geburtenkontrolle nicht aufzwingen durfte. Familienplanung befand sich in einem schwierigen Verhältnis zwischen Privarität und Gouvernementalität.
2.3 Risiken und Nebenwirkungen: »So long as benefits outweigh risks« Geburtenkontrolle und Familienplanung wandelten sich mit technologischen Innovationen. Dabei bot die Pille ein vergleichsweise sicheres Mittel, um eine Schwangerschaft zu verhüten; es stand aber auf dem Prüfstand, ob die Einnahme von Hormonen auch von einem medizinischen Standpunkt aus sicher sei. Im Jahr 1966 erschien ein Bericht der FDA, womit Vorgaben, die eine Verschreibung der Pille an Patientinnen zeitlich begrenzten, zur Disposition standen.68 Wie es im Bericht der FDA hieß, verwendeten im Jahr 1961 rund 400.000 Frauen in den USA die Pille und im Jahr 1965 bereits fünf Millionen. Dabei untersuchte die FDA auch mögliche Gefahren des Medikaments.69 Denn die medizinische Innovation der Pille rief alsbald Fragen nach den Risiken und Nebenwirkungen auf. Es mangelte jedoch an eindeutigen Befunden. Eine Sorge galt dem Thromboserisiko durch Einnahme der Pille, wofür ein Komitee der FDA jedoch keine Beweise fand. Im Jahr 1966 erkannten weder die FDA noch die Weltgesundheits 65 McCann, Figuring the population bomb, S. 120. 66 Ebd., S. 199. 67 President’s Committee on Population and Family Planning, Panel 2: Research and Training, September 10, 1968, Folder ›Committee on Population, FG 659‹, Box 382, WHCF, FG, LBJL, S. 3, Zitat S. 6. 68 Richard L. Day to Medical Directors, D-813, August 15, 1966, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 69 Advisory Committee on Obstretrics and Gyneology, FDA, Report on the Oral Contraceptive, August 1, 1966, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 3, 7.
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organisation einen Zusammenhang.70 Die Lage erschien unübersichtlich: »By 1966, medical scientists had far more questions than answers about the health effects of oral contraception«.71 Technologien fanden ihre Verbreitung unter anderem über soziale und medizinische Dienste, die von staatliche Gesundheitsprogrammen gefördert wurden. Auch Planned Parenthood machte die neue Methode über medizinische Zentren zugänglich, wobei deren Anteil an den landesweiten Verschreibungen bloß einen Bruchteil betrug und die Organisation nicht eine einzelne Methode favorisierte: »Planned Parenthood did not ›push‹ the pill as a superior contraceptive method«.72 Beispielsweise gab PPFA im Februar 1968 Richtlinien heraus, nach denen die Pille in Zentren der Organisation verschrieben und ärztliche Untersuchungen durchgeführt wurden.73 Insgesamt war PPFA in Hinblick auf Verhütungsmittel sowohl im medizinischen als auch im sozialem Bereich tätig und betrieb auch Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying. Die Organisation reagierte auf wissenschaftliche Artikel und Medienberichte, indem sie Artikel in der Presse veröffentlichte und die medizinischen Dienste darüber aufklärte, wie die Verschreibung der Pille zu handhaben sei. Beispielsweise verfasste George Langmyhr von der medizinischen Abteilung von PPFA einen Beitrag für das Parents Magazine.74 Im Oktober 1968 gab Präsident Alan Guttmacher in einem Brief an die Präsidenten der Tochterorganisationen die Anweisung weiter, vor Verschreibung der Pille und danach mindestens einmal jährlich einen Abstrich hinsichtlich Gebärmutterhalskrebs durchzuführen.75 Im Jahr 1969 mehrte sich die Kritik an der Pille. Neben einem wohlwollenden Buch »The Pill« von Robert Kistner erschienen im Jahr 1969 kritische Bücher wie »The Doctors’ Case Against the Pill« von Barbara Seaman. PPFA diskutierte die Position in dieser Sache und verteidigte die Pille.76 Eine weitere Studie der FDA enthielt neue Einsichten zu Risiken, brachte aber keine Klarheit.77 Die PPFA begrüßte eine weitere Studie des British Medical Journal, die im Juli 1969 zu dem 70 Vaughan 1970, The pill on trial, S. 85. 71 Watkins, On the pill, S. 86. 72 Ebd., S. 40 f., Zitat S. 41. 73 George J. Langmyhr to All Affiliates et al., Prescription of Oral Contraceptives, 126/268, February 20, 1968, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 74 Winfield Best, George Langmyhr to Affiliate Executives et al., 609/1167, November 29, 1967, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 75 Alan F. Guttmacher to Affiliate President, October 14, 1968, Folder [18] ›PPWP, Med. Dep., Contraceptive Memos 1957–1968‹, Box 69, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 76 [George J.] Langmyhr, Dorothy Millstone, Memorandum, October 22, 1969, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 77 Watkins, On the pill, S. 93.
Politik der Geburtenkontrolle
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Thema erschien und auf Daten von Planned Parenthood in New York basierte, widersprach aber dem Fazit der Studie, die Risiken ausmachte.78 Die Studie hatte im Vorfeld für Aufregung bei Planned Parenthood gesorgt, da zwar Daten von Kliniken der Organisation verwendet wurden, die Gesundheitsabteilung aber keine Kenntnis über den Verlauf der Publikation hatte.79 In diesem Klima der Verunsicherung setzte der Senat Anhörungen an. Ab Januar 1970 hielt Senator Gaylord A. Nelson, Demokrat aus Wisconsin, im Subcommittee on Monopoly Anhörungen ab, um zu klären, ob Frauen genügend über mögliche Risiken der Pille aufgeklärt würden. Dabei hatten die Anhörungen laut Beobachtern »the atmosphere of a public trial«, die zu einer emotionalen Diskussion über die Pille führten.80 Die Wellen schlugen hoch, und Planned Parenthood musste sich zu dem Thema positionieren: »The national leadership of Planned Parenthood moved quickly in an attempt to allay the fears of clinic patients and the general public in the wake of the first round of hearings«.81 In Reaktion auf die Anhörungen erklärten George Langmyhr und Walter Rogers von der medizinischen Abteilung in einem Rundschreiben, dass die Kliniken sämtliche Methoden zur Verhütung anböten und die Pille nur unter medizinischer Aufsicht verschrieben. Insgesamt überwögen die Vorteile der Pille die gesundheitlichen Risiken von Schwangerschaft, Geburt oder die Zeit im Wochenbett: »We believe that so long as benefits outweigh risks, the oral contraceptive should be continued to be offered by our clinics and by physi cians in private practice as well«.82 Zu einer zweiten Runde von Anhörungen im Februar 1970 lud Senator Nelson auch Guttmacher ein, um zu dem Thema zu sprechen. Insgesamt erschien die Liste an Rednern in den zweiten Anhörungen ausgewogener, und Organisationen für Familienplanung und Bevölkerungskontrolle waren vertreten.83 Als Reaktion auf die Anhörungen stieg die Zahl der Anfragen in Kliniken nach Sterilisation, und es wechselten viele Frauen zum Diaphragma oder zu IUDs.84 Längerfristig war der Erfolgskurs der Pille in der Familienplanung und Geburtenkontrolle aber nicht zu bremsen. 78 George Langmyhr to Mecal Advesory committee Charimen et al., Memorandum, July 29, 1969, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 79 Vaughan 1970, The pill on trial, S. 95 ff. 80 Ebd., S. 223. 81 Watkins, On the pill, S. 107 ff., Zitat S. 113. 82 George Langmyhr, Walter C. Rogers, to Regional Directors, PPWP board, et al., Memorandum, urgent, January 8, 1970, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 ff., Zitat S. 3. 83 Watkins, On the pill, S. 114, 117 ff. 84 George Langmyhr to Alan Guttmacher, Memorandum, March 4, 1970, Folder [80] ›PPWP, Oral contraceptive history, Nelson Hearings, Background Material, 1957–1970‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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Das Wachstum der Bevölkerung und das Problem der Armut brachten das Thema Geburtenkontrolle in den Fokus der Sozialpolitik, die Regierung arbeitete an Gesetzen, um Familienplanung zu unterstützen, ernannte ein Komitee, um das Bevölkerungswachstum zu untersuchen, und implementierte über Ministerien und Behörden soziale und medizinische Dienste. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf Statistiken beruhten, prägten Diskurse und Praktiken der Sicherheit, währende neue Technologien das Instrumentarium einer Bevölkerungspolitik erweiterten. Gleichzeitig schufen neue Technologien wie die Pille oder IUDs auch neue Möglichkeiten für Personen, einen Kinderwunsch zu planen oder auszuschließen. Hier kamen verschiedene Schichten von Ansprüchen auf privacy zum Vorschein, die einerseits freie Entscheidungen bedeuteten und darüber hinaus auch den Zugang zu Diensten begründeten, andererseits eine Zurückweisung von staatlichen Interventionen beinhalteten und einen Schutz vor Bevormundung und Zwangsmaßnahmen forderten.
3. Daten zwischen Privatsphäre, Geheimhaltung und Öffentlichkeit
Abb. 8: Die Daten des Zensus waren auch für Forschende interessant. Das Foto aus dem März 1968 zeigt die Auszubildende Sandra Irwin im Nationalarchiv mit Akten der Volkszählung von 1860. Courtesy National Archives (64-NA-3517).
Ein zentrales Merkmal der entstehenden Sicherheitsgesellschaft bildete das Verarbeiten von Information. Ob zum Verwalten von staatlichen Programmen oder zum Abschätzen der Zahlungsfähigkeit von Kunden: Stets lag der Schlüssel in Daten über Individuen. Daraus ergaben sich Konflikte um privacy, ob Daten vertraulich behandelt wurden oder akkurat waren. Die Politik griff das Thema Datenverarbeitung auf. Es stand in den sechziger und siebziger Jahren die Frage zur Debatte: »How much personal record-keeping is desirable?«1 Der Konflikt darum, welche Daten die Zensusbehörde bei ihrer zehnjährigen Zählung der Bürger erheben solle, ging in die nächste Runde, als die Behörde ihre Aktivitäten ausweitete und dies mit sozialen Herausforderungen, gegenüber denen die Poli 1 Rule, The politics of privacy, S. 7.
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tik gewappnet sein müsse, begründete. Widerspruch von Kongressabgeordneten folgte prompt. Behördenleiter mussten dem Einwand begegnen, das Erheben von Daten über Haushalte und Betriebe könne als Eingriff in die Privatsphäre empfunden werden. Umgekehrt bestand ein Spannungsfeld, was Behörden und Unternehmen über Bürger wissen dürften und welche Informationen die Bürger selbst einfordern könnten, denn zum Beispiel ließen sich Sicherheitsbehörden ungern in die Karten schauen. Ein neues Informationsfreiheitsgesetz sollte es Bürgern ermöglichen, Dokumente von Behörden anzufordern, schrieb aber Ausnahmen fest, falls etwa eine Herausgabe von Informationen einen Eingriff in privacy bedeute. Diesbezüglich bestanden konkurrierende Interessen von Offenlegung und Privatsphäre, die einen Ausgleich erforderten: »Both transparency and privacy can be balanced through limitations on the access and use of personal information in public records«.2 Der Konflikt um Daten intensivierte sich mit der technologischen Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung mit Computern, so dass Forscher wie Alan Westin sich mit »computer and privacy« befassten.3 Während die Bundesverwaltung den Einsatz von Computern forcierte, um Programme umzusetzen, stellten Kongressmitglieder Fragen in Hinblick auf die Verwaltung von Personendaten. Neben dem öffentlichen Sektor der Verwaltung begannen auch Unternehmen, wie Firmen für Kreditreporte, Personenakten in maschinenlesbare Form zu bringen. Datenverarbeitung eröffnete neue Möglichkeiten, Aufschlüsse über die Bevölkerung zu erlangen und so eine höhere Effizienz in politischen Programmen oder der Kreditvergabe anzustreben. Die Triebfeder lag im Streben nach Sicherheit.
3.1 Der Streit um den Zensus geht in die nächste Runde: »New demands for information« Als der nächste Zensus zu Bevölkerung, Arbeitslosigkeit und Wohnen in Planung war, rechnete die zuständige Behörde mit einem Anstieg der Bevölkerung auf über zweihundert Million Einwohner, und ein Bericht zitierte Frank Notestein, Präsident des Population Council, der auf das zukünftige Problem einer alternden Gesellschaft hinwies.4 In solchen Prognosen lag eine Schnittmenge zwischen Bevölkerungspolitik, wie im vorigen Kapitel geschildert, und administrativer Datenerhebung. Der Umfang der Volkszählung war weiterhin umstritten. Der Kongress untersuchte die Praktiken der Zensusbehörde, als der Abgeordnete Cornelius E. Gallagher, Demokrat aus New Jersey, im Juni 1965 die Erhebung zur Landwirtschaft von 1964 auf die Tagesordnung in einem Unter 2 Solove, The digital person, S. 150. 3 Westin 1967, Privacy and freedom, S. 321, 158. 4 U. S. House of Representatives 1967, Report of Hearings on 1970 Census Questions, S. 1.
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ausschuss setzte. Demnach habe ein Farmer aus Pennsylvania an den Ausschuss geschrieben, dass der Zensus Fragen über das Einkommen, Alter und Bildung von Haushaltsmitgliedern enthalte, was er als »invasion of privacy« empfand.5 Privacy bedeutete hier, bestimmte Informationen vor staatlichen Behörden zurückzuhalten. Offenbar baute die Zensusbehörde ihre Tätigkeit in den Jahren aus, was sie mit einem gesellschaftlichen Wandel begründete. Im Prinzip könne jede Zensusfrage als Verletzung der Privatsphäre wahrgenommen werden, erklärte Roy Eckler, Direktor des BOC, als Zeuge im Kongress, doch befasse sich die Behörde intensiv mit dem Aspekt einer »invasion of privacy« und wäge Fragen sorgsam ab.6 Statistiken stellten ein wichtiges Mittel für die Politik dar, um Aufschlüsse über einen Wandel in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belangen zu gewinnen, so dass mehr Informationen und Daten auf der Wunschliste von Behördenvertretern standen. Zensusdirektor Eckler sagte, dass zen tralstaatliche Stellen, aber auch Unternehmen, die mit der US-amerikanischen Wirtschaft befasst seien, Zensusinformation benötigten. Wegen eines rasanten Wandels etwa in der Landwirtschaft entstünden »new demands for information for the census«.7 Das Thema, welche Fragen der Zensus abfragen sollte, beschäftigte weitere Gremien im Kongress. So veröffentlichte das Committee on Post Office and Civil Service des Repräsentantenhauses im Jahr 1967 einen Bericht zum Zensus von 1970, bei dessen Planung die Autoren auch den Aspekt privacy diskutierten. So habe sich der Abgeordnete Gallagher dagegen ausgesprochen, die Sozialversicherungsnummer abzufragen, da mit ihrer Hilfe Informationen über bestimmte Personen leichter zugänglich seien. Diese Abfrage sowie die Computerisierung von Zensusdaten könnten laut Gallagher ein erster Schritt zum Aufbau einer Bundesdatenbank sein. Eine mögliche missbräuchliche Nutzung des Zensus durch andere Institutionen des Staates könne »some person’s right to privacy« verletzen, so lautete eine Sorge.8 Hier verschärfte die technologische Entwicklung Probleme, die sich aus gouvernementalen Praktiken der Datenerhebung ergeben konnten, da Computer eine automatisierte Abfrage von Daten ermöglichten. Mit Hilfe einer Nummer zur Identifizierung konnten Datenbestände über eine Person aus verschiedenen Quellen zusammengefasst werden. Es stellte sich die Frage, was der Staat über die Bürger wissen dürfe, aber auch, auf welche Weise Daten verarbeitet, zentralisiert und zweckentfremdet werden könnten.
5 U. S. House of Representatives 1966, Special Inquiry on Invasion of Privacy, S. 271 f. 6 Ebd., 279 f., Zitat S. 279. 7 Ebd., S. 274. 8 U. S. House of Representatives 1967, Report of Hearings on 1970 Census Questions, S. 3, 23 ff., Zitat S. 23.
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Kritik äußerten auch gesellschaftliche Interessensgruppen. Die Art und Weise, wie Informationen erhoben und verarbeitet wurden, betraf aus Sicht der ACLU die individuelle Privatsphäre. Schließlich hatten Sicherheitsbehörden und Komitees im Kongress in der Vergangenheit die Praktik verfolgt, Fakten über Personen zusammenzustellen und diese bloßzustellen. Als eine Form von »McCarthyism« wertete Speiser Fragen nach politischen Ansichten in Fragebögen für Angestellte und kritisierte außerdem Fragen nach der Sexualität.9 Die Ära von McCarthy hatte tiefe Spuren im öffentlichen Bewusstsein hinterlassen und drohte sich nun mit elektronischen Datenbanken zu wiederholen. In Hinblick auf den Zensus erachteten manche Religionsgruppen die Frage nach der Religionszugehörigkeit als »unwarranted infringement upon the privacy of Americans«.10 Die ACLU hatte den Redakteur William Rickenbacker, der seine Kooperation mit dem Zensus teilweise verweigert hatte, rechtlichen Beistand im Streit gegen die Behörde angeboten. Rickenbacker, nunmehr Vizevorsitzender des National Right to Privacy Committee neben dem Sozialkritiker Vance Packard, Autor von »The naked society«, kontaktierte im September 1967 die ACLU, um zu Privatsphäre-Themen zusammenzuarbeiten.11 Ein Aspekt betraf den Zensus. Auf diese Weise standen zivilgesellschaftliche Akteure zum Thema privacy in Austausch. Zwar hatte Rickenbacker den Rechtstreit verloren, doch sollte er am Ende in gewisser Weise rechtbehalten, da sich beim nächsten Zensus im Jahre 1970 die Vorschriften änderten, so dass ein Ausfüllen des längeren Fragebogens auf freiwilliger Basis beruhte.12 Es ergab sich ein kompliziertes Verhältnis zwischen privacy und Information. Einerseits ging es um die Art der Fakten, die Behörden zusammentrugen, andererseits richtete sich das Augenmerk darauf, wie Behörden diese Fakten verwalteten und welche Vorteile und Nachteile sich daraus ergeben könnten. Im Vergleich zur BRD etwa, wo die Volkszählung in den achtziger Jahren einen Sturm der Entrüstung auslöste,13 blieb der Konflikt in den USA überschaubar und wurde beizeiten befriedet.
9 U. S. Senate 1967, Privacy and the Rights of Federal Employees, S. 192, 203, Zitat S. 193. 10 U. S. House of Representatives 1967, Report of Hearings on 1970 Census Questions, S. 17 f., Zitat S. 18. 11 William F. Rickenbacker to Stephen C. Vladeck, September 29, 1967, Folder 8, Box 719, ACLU Records, MC001.02.03, PUL, S. 1. 12 Fowler 9.7.2019, National Review (online), S. 6. 13 Vgl. Frohman, Only Sheep Let Themselves Be Counted.
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3.2 Was Bürger über den Staat wissen dürfen: »Encroachment on executive power« Außer der Frage, welche Informationen die Vertreter der Zensusbehörde abfragen und welches Wissen sie über die Bürger ansammeln dürften, bestand umgekehrt das Problem, was Bürger über die Arbeit der Bundesbehörden erfahren dürften und was Behördenvertreter unter Verschluss halten sollten. Die Handhabe von Akten barg politischen Zündstoff. Schon der Soziologe Edward Shils glaubte, dass sich staatliche Geheimnisse negativ auf die Privatsphäre auswirken könnten, da die Privatsphäre verletzt werden müsse, um Geheimnisse zu wahren: »Yet secrecy is the enemy of privacy«.14 Geheimhaltung trug auch dazu bei, dass ein Eindringen in die Privatsphäre von Bürgern unerkannt blieb, wie etwa im Zuge der Überwachung von politischen Gruppierungen. Umgekehrt konnte auch eine unkontrollierte Offenlegung von Akten einen Eingriff in die Privatsphäre bedeuten, so dass der Staat hier in der Pflicht stand, Informationen über einzelne Personen vertraulich zu halten. Von zentraler Bedeutung war das Informationsfreiheitsgesetz (Freedom of Information Act, FOIA), das im Jahr 1966 verabschiedet wurde. Mehrere Ausnahmen sahen vor, dass Behörden die Herausgabe von angeforderten Akten verweigern konnten, unter anderem, wenn eine Verletzung von privacy zu erwarten sei. In diesem Spannungsfeld zwischen einem gesellschaftlichen Anspruch auf Wissen, einem staatlichen Interesse an Geheimhaltung und schließlich einem Schutz der individuellen Privatsphäre bewegte sich der Gesetzgeber. Anhörungen zur Informationsfreiheit fanden im Senat und im Repräsentantenhaus statt.15 Der Unterausschuss unter der Leitung des Abgeordneten John E. Moss, Demokrat aus Kalifornien, behandelte im März und April 1965 Entwürfe für ein Federal Public Record Law. Dem Thema Informationsfreiheit hatte sich Moss seit den Loyalitätsprogrammen, mit denen die Truman-Regierung gegen eine befürchtete kommunistische Unterwanderung im Staatsdienst vorging, verschrieben: »Fighting excessive secrecy became Moss’s mission«.16 Das Thema fand starken Rückhalt bei beiden Parteien im Kongress, stieß jedoch auf das Missfallen der Regierung und von Präsident Johnson persönlich, so dass es Ziel der Regierung wurde, die Reichweite des geplanten Gesetzes zurechtzustutzen.17 Moss erklärte, dass ein Zugang zu Informationen über den Bund wichtig für die Demokratie sei, damit Bürger ihr Wahlrecht kompetent
14 Shils, The torment of secrecy, S. 201. 15 Vgl. Foerstel, Freedom of information and the right to know, Kap. 2. 16 Graham, Presidents’ secrets, S. 120. 17 Ebd., S. 119.
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ausüben könnten.18 Dabei sah ein Gesetzesentwurf bestimmte Ausnahmen für die Herausgabe von Informationen vor, wenn diese eine »clearly unwarranted invasion of personal privacy« bedeuteten.19 Moss erklärte eine Spannung zwischen dem Recht auf Wissen und dem Anspruch auf Vertraulichkeit, die für das Funktionieren staatlicher Institutionen wichtig sei, und betonte: »the need for the people to be fully informed about the actions of their government and the need for protection of information«.20 Das Gesetz zur Informationsfreiheit bewerteten Regierungsmitglieder wie etwa im BOB kritisch, da es den Austausch zwischen Beamten und Behörden beeinträchtigen könne, wenn Informationen »the idly curious« zugänglich wäre.21 Die Regierung gab sich zugeknöpft und wollte sich vor neugierigen Blicken schützen. Zwischen Regierung und Kongress traten weitere Konflikte um Informationen auf, da die Exekutive der Legislative mit Bezug auf ein »executive privilege« Akten vorenthalten konnte. Auf Anfrage von Moss versicherte Präsident Johnson, dass er die Linie der Regierung unter John F. Kennedy weiterführe und dieses Recht dem Präsidenten vorbehalten sei.22 Der Unterausschuss von Senator Long debattierte im Mai 1965 verschiedene Gesetzesentwürfe, um Regeln zur Informationsfreiheit einzuführen. Im eingehenden Statement erklärte Long, dass »the people’s right to know« nicht dem Interesse einer unpersönlichen Bürokratie unterzuordnen sei.23 Auch Senator Ervin unterstützte »the public’s right to information«, das Anliegen, dass Bürger die Herausgabe von Informationen der Bundesbehörden einfordern könnten. Ein Zugang zu Informationen durch Kongress, Presse und Öffentlichkeit sei auch bedeutsam, um die individuelle Privatsphäre vor der Bürokratie zu schützen: »The value of individual’s privacy in our society can have meaning only as long as we have a free society«.24 In diesem Zusammenhang konnte eine Herausgabe von Akten einen Anspruch auf privacy stärken, wenn sie Klarheit über staatliche Praktiken brachte. Wie sich in den Anhörungen zeigte, mussten staatliche und gesellschaftliche Interessen austariert werden, doch in Hinblick darauf, welche Pflichten zur Offenlegung staatlichen Institutionen auferlegt werden sollten, erschienen die Gesetzesentwürfe aus den beiden Kammern des Kongresses anscheinend weitreichender, als es der Regierung recht war.
18 U. S. House of Representatives 1965, Federal Public Records Law (Part 1), S. 1. 19 Ebd., S. 3. 20 Ebd., S. 1. 21 Phillip S. Hughes, Memorandum for Mr. Lee White, August 12, 1965, Folder ›Executive Privilege‹, Box 22, HMcPhersonFs, LBJL, S. 1. 22 Lyndon B. Johnson to John E. Moss, April 2, 1965, Folder ›FE 14-1‹, Box 44, WHCF, EX LE, LBJL, S. 1. 23 U. S. Senate 1965, Administrative Procedure Act, S. 2. 24 Ebd., S. 4.
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So hielten die Widerstände gegen das Gesetz zur Informationsfreiheit innerhalb der Regierung an. Der Entwurf aus dem Repräsentantenhaus sah eine Änderung der Revised Statutes vor, der Senatsentwurf eine Änderung des Administrative Procedures Act von 1946. Das BOB bemängelte im August 1965, dass Behörden laut dem überarbeiteten Entwurf aus dem Repräsentantenhaus nicht nach eigenem Ermessen entscheiden könnten, ob Dokumente vertraulich bleiben sollten, sondern starre Regeln auferlegt bekämen. Phillip Hughes, Assistant Director for Legislative Reference, wertete den Entwurf als »serious legislative encroachment on executive power«.25 So empfahl das BOB im Oktober 1965 weiterhin, das Gesetz abzulehnen, und glaubte, dass der Entwurf aus dem Senat, den der Justizausschuss gebilligt hatte, die gleichen Mängel wie jener aus dem Repräsentantenhaus aufweise.26 So nahm ein Gesetz seinen Weg durch den Kongress, von dem die Regierung wenig begeistert war, die anscheinend einen Verlust an Macht fürchtete und deshalb seit Ende 1964 einen eigenen Entwurf erarbeitete. Etwa äußerte das Justizministerium verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass Gerichte über die Herausgabe von Dokumenten entscheiden sollten und dass die Befugnisse des Präsidenten beschnitten würden, Akten als vertraulich einzustufen.27 Insbesondere kritisierte das Justizministerium am Senatsentwurf, spezifisch formulierte Ausnahmen einzuführen, welche Informationen unter Verschluss bleiben solle.28 Diese Ausnahmen waren umstritten. Der alternative Gesetzesentwurf scheiterte im Repräsentantenhaus, und ein Bericht griff die Bedenken der Behörden auf. Schließlich stimmten die Ministerien und Behörden dem Gesetzesentwurf zu, wobei das HEW dagegen votierte und sich das Justizministerium keine konkrete Empfehlung abgab und sich sozusagen der Stimme enthielt. Das BOB bezeichnete die geplanten Änderungen in Teil drei des Administrative Procedures Act als »far-reaching«, empfahl Präsident Johnson aber, dem Gesetz zuzustimmen.29 Wie Minister Gardner ausführte, erwartete das HEW schwerwiegende Probleme von dem Gesetz, da die Kommunikation mit Bundesstaaten, Kommunen, Institutionen und Individuen gestört würde, sollte die Korrespondenz des HEW öffentlich gemacht werden.30 Kritisch äußerte sich Ramsey Clark, Deputy Attorney General, für das 25 Phillip S. Hughes, Memorandum for Mr. Lee White, March 19, 1965, Folder ›Executive Privilege‹, Box 22, HMcPhersonFs, LBJL, S. 1. 26 Phillip S. Hughes, Memorandum for Mr. Lee White, October 4, 1965, Folder ›FE 14-1‹, Box 44, WHCF, EX LE, LBJL, S. 1. 27 Norbert A. Schlei to Lee C. White, January 21, 1966, Folder ›FE 14-1‹, Box 44, WHCF, EX LE, LBJL, S. 2 f. 28 Leon Ulman, Memorandum for the honorable Bill D. Moyers, attachments A, B, C, March 16, 1966, Folder ›FE 14-1‹, Box 44, WHCF, EX LE, LBJL, S. A-2, B-6. 29 Winfield Rommel, Memorandum for the President, June 29, 1966, Folder ›LE / FE 14-1‹, Box 44, WHCF, EX LE, LBJL, S. 2 f., Zitat S. 2. 30 John W. Gardner to Charles L. Schultze, June 23, 1966, Folder ›P. L. 89–487‹, Box 36, RepEnrLeg, LBJL, S. 2 f.
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Justizministerium, dessen Position diplomatisch so lautete, dass es nicht dazu dränge, die Gesetzgebung abzulehnen.31 Die Behörden büßten die Kompetenz ein, nach eigenem Ermessen im öffentlichen Interesse darüber zu entscheiden, welche Informationen als vertraulich einzustufen sei. Das Gesetz schuf ein neues Verständnis davon, wie Staat und Bürger interagierten. Laut dem Gesetz durfte jede Person Informationen von der Regierung anfordern und nicht wie bislang nur speziell dazu befugte Personen. Ferner musste sich die Regierung auf eine der Ausnahmeregeln berufen, um Dokumente zurückzuhalten, und die Bundesbezirksgerichte erhielten die Befugnis, Dokumente anzufordern, die möglicherweise ungerechtfertigt vorenthalten wurden. Die Empfehlung von Beratern an den Präsidenten lautete, sich zum »right of the public to have access to government information« zu bekennen.32 Präsident Johnson unterzeichnete den FOIA am 4. Juli 1966, dem öffentlichkeitswirksamen Datum des Nationalfeiertags, lehnte jedoch eine Zeremonie vor Medienvertretern und Anwaltsverbänden ab. Dagegen hatte sich der Abgeordnete Moss dem Vernehmen nach für eine öffentliche Unterzeichnung ausgesprochen, mit der Johnson der Kritik einer »credibility gap« begegnen könne.33 In seinem Statement hob Präsident Johnson hervor, wie wichtig es für die Demokratie sei, dass Bürger Informationen erhielten, während einige Dokumente im Interesse der Nation oder hinsichtlich von »rights of individuals« aber unzugänglich bleiben müssten.34 Bevor das Gesetz ein Jahr später in Kraft trat, erstellte das Justizministerium ein Handbuch, um eine Interpretationshilfe zu geben. In einem Memorandum war hinsichtlich des Gesetzes von einer »vagueness of its exceptions« die Rede.35 Das Gesetz zur Informationsfreiheit bildete einen Meilenstein und änderte das Verhältnis von Vertraulichkeit, Offenlegung und Schutz der Privatsphäre der Bürger maßgeblich. Allerdings hatte das Gesetz praktische Schwächen: »The crippled Freedom of Information Act combined strong ideas with weak action«.36 Es festigte sich ein Gegensatz zwischen Öffentlichkeit und Behörden, und in Ermanglung allgemeiner Regeln, die eine Offenlegung vorschrieben, mussten Bürger jeweils einen separaten Antrag stellen, um Einsicht in Dokumente zu erhalten: »A large-scale affirmative disclosure regime seemed technologically infeasible and practically unenforcea 31 Ramsey Clark to Charles L. Schultze, June 28, 1966, Folder ›P. L. 89–487‹, Box 36, RepEnrLeg, LBJL, S. 1 f. 32 Milton P. Semer, Memorandum for the President, approved Jul 4, 1966, July 1, 1966, Folder ›P. L. 89–487‹, Box 36, RepEnrLeg, LBJL, S. 1. 33 Robert E. Kistner, Confidential Memorandum for the President, June 24, 1966, Folder ›Jun 1966 [4 of 5]‹, Box 15, HdWrF, LBJL, S. 1. 34 Lyndon B. Johnson, Statement by the President, [July 4, 1966], Folder ›P. L. 89–487‹, Box 36, RepEnrLeg, LBJL, S. 1. 35 Frank M. Wozencraft, Memorandum for the Honorable Milton Semer, August 4, 1966, Folder ›FE 14-1 4/6/65–5/10/67‹, Box 25, WHCF, Gen FE 14, LBJL, S. 1. 36 Graham, Presidents’ secrets, S. 130.
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ble in 1966«.37 Der Bürger geriet zum Bittsteller, der Staat zum Gralshüter von Geheimnissen. Zur gleichen Zeit debattierte der Kongress, nach welchen Regeln Behörden, aber auch Unternehmen mit Informationen über Personen umgehen sollten. Nicht zuletzt der Einsatz von Computern in der Verwaltung weckte Befürchtungen, dass die Privatsphäre in Mitleidenschaft gezogen werden könne.
3.3 Datenverarbeitung in Verwaltung und Kreditwirtschaft: »Unduly jeopardizing the privacy of individuals« In der Debatte um den Zensus ging es darum, welche Informationen der Staat erheben dürfe, ohne damit in die Privatsphäre der Bürger einzudringen. Die Diskussion um den FOIA drehte sich um die Frage, welche Daten Behörden herausgeben mussten, ohne aber im Einzelfall die Privatsphäre zu verletzen. Privacy gewann eine weitere Bedeutung angesichts der Problematik, auf welche Weise staatliche wie auch privatwirtschaftliche Institutionen Daten verwalten dürften. Das Problem erhielt mit der Verbreitung von Computertechnologie eine neue Qualität. Computertechnologie hatte in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren einen großen Aufschwung erlebt, den staatliche Investitionen in Militär und Raumfahrt beflügelten. Als die Sowjetunion 1957 den Satelliten Sputnik in die Erdumlaufbahn schoss, saß der Schreck in den USA tief, bis das Land 1969 mit einer Landung auf dem Mond im Wettlauf um Prestige wieder gleichzog. Doch nach der Apollo-Mission flossen die Gelder der National Aeronautics and Space Agency (NASA) zäher, und auch das Pentagon fuhr die Forschungsförderung wegen des kostspieligen Kriegs in Vietnam zurück, so dass das Wachstum der Computerbranche zunehmend von privaten Firmen, die sich vor allem in Massachusetts und Kalifornien ansiedelten und zu Lieblingen der Börse an der Wall Street gediehen, angekurbelt wurde.38 Auf Computer setzte die Regierung längst nicht mehr nur in Raumfahrt und Militär, sondern nutzte sie auch, um administrative Programme auszuführen. Beim Ausbau des Wohlfahrtstaates nach dem Modell des New Deal konnten Institutionen MainframeRechner nutzen, um auf ihre Aktenbestände automatisiert zuzugreifen, wie es zur Verwaltung von Steuern, Sozialversicherung oder im Bereich Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt geschah. Die liberale Politik brachte eine wachsende Sammlung von Daten mit sich.39 In diesem Kontext entwickelte sich die Verwaltung von Daten über Personen zu einem politischen Gegenstand. Die Johnson-Regierung forcierte die Anwendung von Computern. So schrieb Johnson in einem Brief an den Sprecher des Repräsentantenhauses: »The elec 37 Pozen, Freedom of Information beyond the Freedom of Information Act, S. 1156. 38 O’Mara, The code, S. 86. 39 Cappello, None of your damn business, S. 178 ff.
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tronic computer has enabled the Government to carry out programs that otherwise would have been impossible«.40 Laut einem Bericht des Comptroller General aus dem August 1965 hatte EDV-Technologie einen großen Einfluss auf das staatliche Handeln, wie Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen würden: »The information-processing advances stemming from the computer age bid to drastically change conventional approaches to problem solving and management decision making«.41 Computer bestanden aus raumfüllenden Anlagen und waren kostspielig, weshalb die Regierung für eine zentrale Planung ihres Einsatzes plädierte. So kursierten Pläne, wonach die Beschaffung und das Management von Computer-Equipment der Ministerien und Behörden zentral verwaltet werden sollte, wie im vorigen Teil geschildert. Der Kongress hielt im März und April 1965 Anhörungen zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf ab, um Behörden mit EDV-Equipment auszustatten.42 Im Laufe des Jahres 1965 unterstützte Präsident Johnson den sogenannten Brooks Bill mit dem Ziel einer »greater economy and efficiency in the conduct of government’s business«, wie er in einem Brief an Senator McClellan erklärte.43 Schließlich unterzeichnete der Präsident im Oktober 1965 das entsprechende Gesetz. Laut einem Bericht des BOB aus dem Januar 1967 wurden Computer unter anderem zur Verwaltung von Finanzmitteln im War on Poverty genutzt.44 Präsident Johnson bat die Leiter der Ministerien und Behörden, ihre Arbeit mit Hilfe von Computern zu verbessern, und betonte die Bedeutung der EDV für den Staat: »The electronic computer is having a greater impact on what the Government does and how it does it than any other product of modern technology«.45 Jedoch warf die Strahlkraft der neuen Technologie auch ihre Schatten voraus. Diese Schattenseiten leuchten Kongressmitglieder aus und verhandelten unter dem Konzept privacy rechtliche Probleme, die sich aus der Verarbeitung von Personendaten ergeben konnten. Das Verarbeiten von Personendaten versprach eine verbesserte Sicherheit, wie etwa Vorteile in der Strafverfolgung oder in der Sozialpolitik, und an Regierungspraktiken der Sicherheit kristallisierten sich Diskurse um privacy. Dem Problem, welche Folgen der Einsatz von Computern für die Privatsphäre der Bürger habe, nahmen sich der Abgeordnete Gallagher und Senator Long in 40 Lyndon Johnson to John W. McCormack, March 2, 1965, Folder ›Data Processing 1/9/65–6/20/66‹, Box 2, WHCF, CM, LBJL, S. 1. 41 Frank H. Weitzel, Report to the Congress of the United States by the Comptroller General, August 31, 1965, Folder ›FG 11-1, 8/20/65–9/2/65‹, Box 51, WHCF, FG, LBJL, S. 1. 42 Vgl. Neuroth, Data politics. 43 Lyndon B. Johnson to John L. McClellan, October 8, 1965, Folder ›Data Processing 1/9/65–6/20/66‹, Box 2, WHCF, CM, LBJL, S. 1. 44 Philip S. Hughes, Memorandum for the President, with attachment, progress report, January 31, 1967, Folder ›Data Processing 6/21/1966‹, Box 3, WHCF, CM, LBJL, S. 1. 45 Lyndon B. Johnson, Memorandum for heads of departments and agencies, June 28, 1966, Folder ›Data Processing 6/21/1966‹, Box 3, WHCF, CM, LBJL, S. 1.
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Unterausschüssen zum Thema privacy an.46 Wie Vertraulichkeit und Sicherheit von Daten über Personen zu gewährleistet sei, war bei den Vorschlägen für ein National Data Center zu klären, wie das nächste Kapitel im Detail analysiert. Die Vorschläge statuierten aus Sicht von Beobachtern ein Exempel, welche Gefahren drohten, wenn Behördendaten in maschinenlesbarer Form zentral verwaltet würden. So wies Gallagher in einer Kongressrede im August 1966 dazu auf katastrophale Folgen für die Demokratie hin, wenn Daten in die falschen Hände gerieten: The detailed European census, long in effect even before the advent of the Nazi Party, provided a most convenient and efficient tool for Hitler’s use when he led the party to control Germany. The census information provided a central data system from which the dictator could draw detailed information on any German citizen, thereby facilitating the power surge of his totalitarian regime.47
Tatsächlich half die Volkszählung, die »Zahlenkolonnen für den Führer«48, dem NS-Regime, seine Macht zu konsolidieren.49 Befürworter einer zentralen Statistikstelle hoben die Vorteile für die Politik hervor. In den Anhörungen von Long äußerte sich Berater Edgar Dunn zu dem Vorhaben und bestritt negative Auswirkung auf »personal privacy«. Das bestehende Statistiksystem solle so erweitert werden, dass allgemeinen Daten besser genutzt werden und für intelligent public planning, administration and evaluation« zugänglich gemacht werden könnten.50 Das öffentliche Interesse, politische Planung zu verbessern, stand individuellen Ansprüchen auf Privatsphäre gegenüber.51 Kritik an dem Vorhaben äußerten zivilgesellschaftliche Organisationen. Die ACLU lehnte ein mögliches National Data Center ab, da gesammelte Informationen ungenau sein oder zu schädlichen Zwecken verwendet werden könnten.52 Auch zu den weiteren Plänen für ein Bundesdatenzentrum äußerte sich die ACLU skeptisch und bezog sich dabei auf ein Recht auf Privatsphäre. So erläuterte Speiser von der ACLU im März 1967 in den Anhörungen zu Computer Privacy, dass nach Ansicht der Organisation in den Plänen, ein Bundesdatenzentrum einzurichten, mögliche Bedrohungen für »civil liberties and privacy« inhärent seien, etwa in Hinblick auf mögliche »personal dossiers«.53 Hier kam die Sorge zum Ausdruck, dass Behörden sämtliche Daten über bestimmte Per 46 Regan, Legislating privacy, S. 191. 47 Abgedruckt in: U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 312 f. 48 Aly / Roth, Die restlose Erfassung, S. 49. 49 Vgl. Wietog, Volkszählungen unter dem Nationalsozialismus. 50 U. S. Senate 1966, Invasions of Privacy, Part 5, S. 2389 f., Zitat S. 2390. 51 Vgl. Neuroth, Planung versus Privatsphäre? 52 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 183 f. 53 U. S. Senate 1967, Computer Privacy, S. 137.
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sonen automatisiert zusammentragen könnten. Bestimmte Fakten, das war eine Lehre aus den fünfziger Jahren, konnten Personen kompromittieren und den Job kosten. Speiser argumentierte, dass Informationen über Personen, wie sie von Behörden wie Kreditinstituten verwaltet würden, häufig unzuverlässig und inakkurat sei. Außerdem könne ein Statistikzentrum weiter ausgebaut und Daten zu anderen Zwecken als vorgesehen verwendet werden.54 Die Organisation stand in Kontakt zu Behörden, um auf mögliche Konflikte mit Freiheitsrechten hinzuweisen. So lud das Privacy Committee der ACLU beispielsweise Bowman vom BOB zu einem Treffen im Januar 1967 ein, um den Status der geplanten Datenbank und »implications for the privacy of the individual« zu diskutieren.55 Mit dieser Präsenz in Kongress und Verwaltung trug die Organisation dazu bei, einen Anspruch auf informationelle Privatsphäre zu etablieren und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Der Streit um ein mögliches Datenzentrum war indes erst der Beginn einer Diskussion um das Verhältnis von Computertechnologie zu Privatsphäre. Neben Plänen für ein Bundesdatenzentrum kamen weitere größere EDVProjekte zur Sprache, wie etwa eine Justizdatenbank im Bundesstaat New York, eine Kriminalitätsdatenbank des FBI oder die Datenbank einer Stadtplanungsorganisation. Das New York State Intelligence Information System (NYSIIS), stellte ein Pioniervorhaben auf dem Gebiet der EDV-Anwendungen in der Justiz dar. Nachdem ein Beratungskomitee getagt hatte, initiierte Gouverneur Nelson A. Rockefeller im Jahr 1964 ein Zentrum in Albany; der erste Block sollte im August 1967 betriebsbereit sein.56 Robert Gallati, Direktor des NSYIIS, führte im Juli 1966 im Repräsentantenhaus aus, dass der Bundesstaat plane, die etwa siebzig Millionen Datensätze aus dem Justizwesen in einem Zentrum zu verwalten und mit Stellen der Strafverfolgung auszutauschen, um so die Bearbeitung von Akten zu erleichtern. Gallati bemerkte: »Information is the raw material of criminal justice action«.57 Gleichwohl versicherte er, dass der Zugang zu Informationen geschützt und diese vertraulich seien. Bestimmte Informationen, wie Material aus Abhörmaßnahmen, Juryprotokolle oder die Identität von Informanten, solle nicht eingespeist werden.58 Wie Edward DeFranco, Assistent der Direktion des NYSIIS, im März 1967 im Senat berichtete, befasse sich das Personal zu der Zeit mit der Konvertierung von Akten von Papierform in maschinenlesbare Form.59 Insgesamt gab es keine Beanstandungen an dem Projekt.
54 Ebd., S. 137 f. 55 Sanford Kahn to Raymond Bowman, December 22, 1966, Folder ›SPD-FDC Jul-Dec 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 56 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 150. 57 Ebd., S. 147. 58 Ebd., S. 148. 59 U. S. Senate 1967, Computer Privacy, S. 105.
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Auf Bundesebene sollte ein National Crime Information Center (NCIC) die Arbeit des FBI unterstützen. Zu geplanten wie bestehenden staatlichen Datenzentren reichte Jack Pemberton, Geschäftsführer der ACLU in New York, ein Statement über das »right to privacy« ein und bemerkte in Hinblick auf die Kriminalitätsdatenbank NCIC, dass zwar die Strafverfolgung effizienter gestaltet werden könne. Doch Akten über Verhaftungen könnten inakkurat sein und Personen ungerechtfertigt benachteiligt werden, ein Problem, das sich mit einer zentralen Speicherung von Informationen noch verschärfe.60 Die ACLU äußerte ferner Bedenken, dass die Datenbank politische Ansichten und Mitgliedschaften von Personen enthalten könne. Ein Sprecher des Attorney General antwortete daraufhin, dass es sich nicht um ein »centralized dossier system«, sondern um einen »computerized index« handele.61 Entscheidend war die Art der gespeicherten Daten und die Verfahren, wie diese verwendet würden. Die Betreiber von großen Datenbanken mussten Rechenschaft über den Betrieb ablegen, ob mögliche Einschnitte in die Privatsphäre zu befürchten waren. Beispielsweise nutzte die Urban Planning Organization (UPO) Computertechnik in der Stadtplanung. In einem Senatsausschuss gab Wiley Branton, Geschäftsführer der UPO, über das Social Data File der Organisation Auskunft und wies auf Sicherheitsvorkehrungen hin, »safeguards [...] to protect the confidentiality of data«, um Verletzungen der Privatsphäre vorzubeugen: »unduly jeopardizing the privacy of individuals«.62 Es handelte sich um eine Datenbank über Armut, die Informationen über sozial schwach gestellte Personen sowie über die Aktivitäten von sozialen Organisationen enthielt, um Armut zu bekämpfen. Dabei wurde den Datensätzen über Personen jeweils eine Nummer zugeordnet, um neue Daten über längere Zeiträume zuordnen zu können. Die UPO führte persönliche Daten wie Name, Anschrift oder Sozialversicherungsnummer sowie vertrauliche Daten in einer separaten Datenbank und publizierte lediglich aggregierte Statistiken ohne Identifikationsnummer.63 Um die Privatsphäre zu schützen, setzten die Verantwortlichen wiederum auf technische Lösungen zur Datensicherheit. Sicherheit war auch in der Finanzwelt gefragt, und beim Streben danach erschienen Kundendaten hilfreich. So nutzten Unternehmen in der Privatwirtschaft verstärkt Computer, um beispielsweise Kreditreporte, die Angaben über Personen und deren Zahlungsverkehr enthielten, zu verwalten. Damit schätzten Firmen, Banken oder öffentliche Geldgeber die Zahlungsmoral von Individuen ein. Kreditbüros verwalteten Datensätze über zig Millionen US-Amerikaner. Das Geschäft mit den Reporten blühte. Denn laut Schätzungen einer Studie 60 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 182 f. 61 Westin / Baker 1973, Databanks in a free society, S. 53. 62 U. S. Senate 1968, Computer Privacy, Part 2, S. 317 f. 63 Ebd., S. 317 ff.
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aus dem Jahre 1969 war die Verschuldung der Privathaushalte von etwa fünf Milliarden Dollar im Jahr 1945 auf über 100 Milliarden Dollar im Jahr 1968 gestiegen.64 Bereits vor der Verwaltung von Kreditreporten mit Computern beschrieben Kritiker wie Myron Brenton, wie Ermittlungen in persönliche Lebensbereiche reichten, und bemängelten den laxen Umgang mit Information.65 Auch Behörden wie die Federal Housing Administration (FHA) griffen auf Kreditreporte zurück, um etwa über die Vergabe von Hypotheken an Personen zu entscheiden. Wie Horace Bazan als Vertreter der FHA versicherte, unterlägen die Kreditreporte gemäß dem United States Code der Vertraulichkeit und sollten auch nicht in ein geplantes National Data Center integriert werden.66 Diese Praktiken gingen auf die Politik des New Deal zurück, so dass die FHA seit den dreißiger Jahren Kredite von Hausbesitzern bei Banken versicherte.67 Im Jahr 1968 befasste sich der Abgeordnete Gallagher im Sonderausschuss zu Privatsphäre mit dem Thema Kreditreporte. Wie Harry C. Jordan, Präsident von Credit Data Corporation (CDC) im Repräsentantenhaus erläuterte, hatte seine Firma im Jahr 1962 eine Niederlassung in Kalifornien eröffnet, die 1965 das erste »computerized online credit reporting system« aufbaute und damit Kreditreporte mit Computern verwaltete.68 Auf diese Weise konnten Büros in San Francisco oder Los Angeles den gesamten Bundesstaat Kalifornien abdecken, Büros in New York City die Bundesstaaten New York, New Jersey sowie Connecticut. Diese Datenbanken enthielten jeweils Information über fünfzehn bis achtzehn Millionen Personen. Die Firma operierte unabhängig vom Marktführer, den Associated Credit Bureaus (ACB). Firmen dieser Gruppen begannen auf Druck der Konkurrenz ihrerseits, Computersysteme zu entwickeln, so dass eine Studie einen Wettlauf um ein zentrales Computersystem, mit dem Firmen landesweit operieren könnten, prognostizierte.69 Das Geschäft mit Kreditreporten warf rechtliche Fragen auf und rief den Gesetzgeber auf den Plan. Laut Gallagher sollten Gesetze »privacy and dignity in our data-rich society« wahren.70 Die Abgeordneten pochten auf ordentliche Verfahren, die im Zweifelsfall mit Gesetzen sichergestellt werden sollten. Betreiber von Kreditbüros verteidigten ihr Geschäft und versicherten, Mechanismen für Sicherheit und Privatsphäre zu implementieren. Laut Jordan von CDC unternehme das Unternehmen aus eigener Initiative Schritte, um die »privacy of individuals« 64 Rule u. a. 1969, The Dossier in Consumer Credit, in: Wheeler, Stanton (Hg.), On Record, S. 145. 65 Brenton 1964, The Privacy Invaders, S. 25 ff. 66 U. S. House of Representatives 1968, Commercial Credit Bureaus, S. 43. 67 Zeitz, Building the great society, S. 238. 68 U. S. House of Representatives 1968, Commercial Credit Bureaus, S. 73. 69 Rule u. a. 1969, The Dossier in Consumer Credit, in: Wheeler, Stanton (Hg.), On Record, S. 151 ff. 70 U. S. House of Representatives 1968, Commercial Credit Bureaus, S. 1 f.
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zu schützen.71 Im Gegenteil wertete Jordan angebliche Anfragen der Steuerbehörde nach Kreditreporten als »unconscionable threat to the personal privacy of the American people«.72 Kritik konterte die Privatwirtschaft hier ihrerseits mit Kritik am Staat und setzte auf Eigenverantwortung der Branche. In dem schwelenden Konflikt um Information, Betriebsgeheimnis und Privatsphäre wollten Unternehmer gesetzlichen Vorgaben zu Privatsphäre und ordentlichen Verfahren aus dem Weg gehen und setzten stattdessen auf eigene Mechanismen zum Konsumentenschutz. Hingegen forderten Kritiker der Praktiken klare Gesetze. So argumentierten etwa James Rule und seine Co-Autoren in einem Aufsatz aus einem Sammelband der Russell Sage Foundation (RSF), dass ein öffentliches Interesse bestehe, das Geschäft mit Kreditreporten zu regulieren. Unter anderem müsse privacy berücksichtigt werden: »privacy carries with it very tangible practical advantage in all sorts of competitive and contractual relationships«.73 Ein Problem bestehe in irreführenden Reporten, die auf falscher oder falsch verarbeiteter Information beruhten und zu Nachteilen für Konsumenten führen könnten.74 Ferner seien Zugang und Verantwortlichkeit zu klären, da die betroffenen Personen die Reporte nicht einsehen und korrigieren könnten, jedoch auch Vermieter, Arbeitgeber sowie Strafverfolgungsbehörden die Reporte anforderten.75 Daten über Personen galten als wertvolles Gut. Institutionen, die mit großen Datensätzen operierten, wie etwa Firmen aus der Kreditbranche, versicherten ihr Interesse an der Privatsphäre von erfassten Personen. So sagte Lee Burge, dass der Firma Retail Credit Co. am Schutz von »privacy« gelegen sei.76 Doch sprach er sich dagegen aus, dass Personen einzelne Details in Reporten einsehen und korrigieren lassen könnten, denn zum einen schütze das Unternehmen die »confidentiality of the sources of information«, zum anderen müsse ein Schutz vor »suppression of information« bestehen.77 Aus Sicht von Staatsanwälten, Forschern oder Kreditreporthändlern war Vertraulichkeit ein hohes Gut, oblag aber der Obhut der jeweiligen Institution. Als ein technisches Mittel, um Daten über Personen vor unbefugten Zugriffen zu schützen, zählte Kryptografie. Mitarbeiter der RAND Corporation brachten diese technischen Sicherheitsmaßnahmen in die Debatte ein. So riet Paul Baran dazu, Kommunikationskanäle mit »minimal cryptographic-type protection« zu versehen, so dass es Computertechnologie auf diese Weise er 71 Ebd., S. 62. 72 Ebd., S. 92. 73 Rule u. a. 1969, The Dossier in Consumer Credit, in: Wheeler, Stanton (Hg.), On Record, S. 160 f., Zitat S. 161. 74 Ebd., S. 162 f. 75 Ebd., S. 166 f. 76 U. S. House of Representatives 1969, Retail Credit Co. of Atlanta, GA, S. 5. 77 Ebd., S. 14.
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mögliche, das »personal right to privacy« zu behaupten. Es galt zu verhindern, dass Daten über einzelne Personen zusammengetragen werden konnten, da mittels Telefonleitungen Computer verbunden und digitale Daten versendet werden konnten, wie es Fluggesellschaften zur Reservierung, Banken zur Kreditprüfung oder das Militär zur Kommunikation bereits praktizierten.78 Das Verhältnis von Recht und Technik erwies sich als kompliziert, da Gesetze nur bedingt die nötigen Sicherheitsmechanismen einfordern könnten: »It is a very difficult problem to be solved by law and law alone, because it is so difficult to implement the intent of the law«.79 Auch Paul Armer von RAND empfahl in einem Aufsatz, dass für Systeme, in denen mehrere Computer verbunden seien, Verschlüsselung zum Schutz von Daten und der Privatsphäre, »an encryption (or privacy protection) program«, bestehen solle.80 Damit stand die technologische Entwicklung in einem Wechselspiel mit gesellschaftlichen Debatten, da Computer ein effizientes Mittel bildeten, um Daten zu analysieren, aber auch, um Personen auszuforschen. Unter dem Begriff privacy etablierte sich ein individueller Anspruch von Personen darauf, eine gewisse Kontrolle darüber auszuüben, welche Informationen über sie auf welche Weise verarbeitet würden.81 Dieses Thema erschien insbesondere angesichts der Möglichkeiten der EDV wichtig, so dass der Umgang mit Daten und Information, wie Behörden und Unternehmen sie über Bürger bzw. Kunden sammelten und verarbeiteten, in den sechziger Jahren eine Politisierung erfuhren. Es war umstritten, wie Datenverarbeitung zu gestalten sei, ohne in Rechte des Einzelnen einzugreifen, was Mitglieder des Kongresses, Rechtsexperten sowie zivilgesellschaftliche Akteure wie die ACLU betonten. Wer große Mengen an Information verwaltete und in computerisierten Datenbanken speicherte, musste Rede und Antwort stehen, wie der Schutz der Privatsphäre und ordentliche Verfahren zu gewährleisten seien. Datenbanken, in denen Strafverfolgungsbehörden Akten über Personen speicherten, mussten hohen Standards genügen. Mit Hilfe der EDV konnten auch Unternehmen in der Kreditbranche auf effiziente Weise Daten über Kunden verwalten und waren daher angehalten, genau darauf zu achten, dass Informationen akkurat waren und vertraulich behandelt wurden, so dass Personen keine Nachteile entstünden. Privatsphäre implizierte nicht, dass weniger Daten gesammelt und verarbeitet würden, sondern das Konzept umfasste die Verfahren und Regeln dazu. Tatsächlich wuchs der informationstechnische Sektor stetig weiter.82 Computer begünstigten gouvernementale Praktiken der Sicherheit, um Risken eines Zah 78 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 125 ff., Zitat S. 127. 79 Ebd., S. 129. 80 U. S. Senate 1968, Computer Privacy, Part 2, S. 336. 81 Westin 1967, Privacy and freedom, S. 7. 82 Cappello, None of your damn business, S. 212.
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lungsausfalls abzuschätzen oder um die Akten von Straftätern zu verwalten. Solche Praktiken sollten nicht unterbunden werden, indem etwa bestimmte Daten nicht verarbeitet werden dürften, sondern angemessen ablaufen, was letztendlich die Qualität von Daten und die Prozesse zur Analyse verbessern sollten. Die Reichweite von Gouvernementalität in einer sich verdichtenden Sicherheitsgesellschaft wurde in der Folge mit Privarität, in diesem Falle Vorschriften zum Datenschutz, austariert. Den Anstoß zu diesem Prozess hatte vor allem das Vorhaben, eine landesweite Datenbank einzurichten, gegeben.
4. Am National Data Center scheiden sich die Geister
Abb. 9: Ein National Data Center kam nie zustande – aber so ähnlich hätte es aussehen können. Das Foto aus der Sammlung von Ingenieur Christopher C. Kraft zeigt NASAComputer (IBM 7090s, hergestellt von ca. 1959–1969). Courtesy National Archives at Fort Worth (NRFF-255-70-37(6)-CCK1).
Um ihre Aufgaben zu erfüllen und Programme durchzuführen, sind staatliche Institutionen auf Daten über die Bürger angewiesen; das gilt für die Behörden der inneren und nationalen Sicherheit ebenso wie jene der sozialen Sicherheit. In den fünfziger und verstärkt in den sechziger Jahren begannen Behörden, solche personenbezogenen Daten in computerbetriebenen Datenbanken zu verwalten, wie etwa das FBI in einer landesweiten Kriminalitätsdatenbank, und solange Daten ihren spezifischen Zweck erfüllten, gab es wenige Einwände. Ein Merkmal einer sich verdichtenden Sicherheitsgesellschaft stellte es dar, Aufschlüsse über die Fluktuationen und Zufälligkeiten in der Bevölkerung zu gewinnen, wozu Statistiken passende Werkzeuge boten, zumal Computer komplexe Zusammenhänge berechnen konnten. Die Entdeckung solcher Zusammenhänge hatte ein
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Komitee im Auftrag des SSRC dazu bewogen, der Verwaltung vorzuschlagen, ein Federal Data Center aufzubauen und darin sämtliche maschinenlesbaren Behördendaten zu sammeln. Diesen Vorschlag griffen einige Beamte vor allem aus der Haushaltsbehörde dankbar auf, versprach die Analyse von Mikrodaten doch eine Verbesserung politischer Planung. Nach wie vor bestanden allerdings Regeln zur Vertraulichkeit und Offenlegung, und die Frage erhielt eine Wendung, als Abgeordnete und Senatoren von einem Angriff auf privacy sprachen. Des Weiteren war auch regierungsintern umstritten, wo ein solches Zentrum innerhalb der Bundesstatistik implementiert werden solle und welcher Grad an Zentralisierung gegenüber der von Dezentralisierung geprägten Struktur überhaupt wünschenswert sei. In die wissenschaftliche Forschung zu dem geplanten National Data Center (NDC) ist in jüngerer Zeit wieder Bewegung gelangt. Als Historikerin der Zensusbehörde schildert Kraus die Behördenarbeit zum Vorhaben eines NDC, wobei die Zensusbehörde allerdings nicht aktiv involviert gewesen sei.1 Während die meisten Studien hauptsächlich auf gedruckten Bänden aus dem Kongress basieren, bezieht Kraus außerdem Dokumente aus dem Bureau of the Census und dem BOB mit ein, wobei sie aber die Fundstellen nicht kenntlich macht.2 Diese Dokumente decken sich im Wesentlichen mit jenen, auf die ich meine Analyse stütze. Darüber hinaus beziehe ich Quellen aus dem Archiv des Präsidialamtes mit ein, die dokumentieren, welche alternativen Schritte die Regierung unternahm, um die Arbeit mit ökonomischen Statistiken zu verbessern, als das Vorhaben einer Zentralstelle ins Stocken geriet.
4.1 Machtfrage über Daten: »Almost complete centralization of the collection of statistics« Was einmal als Vorstudie eines explorativen Komitees begonnen hatte, war in dem Bericht, der Anfang 1965 fertig wurde, zu einer Empfehlung für ein Großprojekt mit nationaler Tragweite herangewachsen. Dieses Missverhältnis entging auch dem SSRC nicht. Im Februar 1965 sandte Webbink seinen Kommentar zum Entwurf an Ruggles und riet unter anderem davon ab, eine konkrete Empfehlung an die Haushaltsbehörde zu richten, und stattdessen dazu, eine Schlussfolgerung zu ziehen: »Somehow I am squeamish about the ultimate impact of a ›recommendation‹ of a non-governmental committee to an important government Bureau«.3 Im P&P stellte Webbink am 25. März 1965 den abschließenden Bericht vor, der mit dem BOB diskutiert worden sei und auch anderen Bundesbehörden 1 Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 23. 2 Ebd., S. 35. 3 Paul Webbink to Richard Ruggles, February 18, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1.
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zukommen solle. Eine der Empfehlungen im Bericht an den SSRC lautete, eine dauerhafte Organisation zu gründen, wozu sich das P&P zurückhaltend äußerte. Verantwortliche in Behörden hätten auf eine Organisation gedrängt, die sich mit den Anliegen der Konsumenten von Daten befassen sollte.4 Es war längst nicht ausgemacht, welche spezifischen Datensätze für die Nutzer eines Zentrums überhaupt von Interesse waren. Wie Lebergott im SSRC ausführte, würden viele Datensätze zerstört oder in einem für die Forschung unbrauchbarem Zustand aufbewahrt. Nach Ansicht des Komitees solle eine Organisation die Anliegen von Forschungsinstituten und Universitäten vertreten.5 Lebergott kam ursprünglich als Mitarbeiter des BOB zum CPUED, wo er sich mit dem Projekt befasste, wie statistische Daten bewahrt und zugänglich gemacht werden könnten, wechselte aber in die Forschung, so dass er 1964 als Vertreter der Wesleyan University geführt wurde.6 Dabei zeichnete sich Lebergott durch einen nüchternen Blick auf das Vorhaben aus, da er beide Seiten kannte, und bemerkte beispielsweise, dass das Komitee bei den meisten Behörden den Eindruck gewann: »where there is a will there is not a way«.7 Der Wille der Forscher bestand darin, möglichst unkompliziert auf Behördendaten zugreifen zu können. Welche Daten für welchen Zweck dienen sollten, erschien erst einmal nebensächlich. Diesbezüglich fragte Philip Converse, University of Michigan in Ann Arbor, nach, wie die »consumer side« zu organisieren wäre, also die Institutionen, die Daten nachfragten.8 Einige Institutionen wie die RSF oder die Historical Research and Evaluation Organization wollten in die Diskussion einbringen, welche Daten für die Forschung von Interesse seien und wie der »information explosion« begegnet werden könne.9 Unabhängig von der Frage, welche konkreten Datensätze benötigt würden, maßen die beteiligten Wissenschaftler Information einen allgemeinen Wert bei und erhofften sich eine Art von Bibliothek für Daten. So empfahlen die Autoren dem BOB im abschließenden Bericht, ein FDC zu gründen, um sämtliche maschinenlesbaren Daten 4 SSRC, P&P minutes, 7. Preservation and Use of Economic Data, March 25, 1965, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 5 SSRC, Council minutes, IX. Other Committee Reports, B. Preservation and Use of Economic Data (Agenda Appendix 3), March 26, 1965, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 6 U. S. Department of Commerce, Bureau of the Census, Meeting On Utilization of Census Bureau Data, January 22, 1964, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 7 SSRC, Council Minutes, VI. Data Collection, Preservation, and Utilization, September 13, 1964, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 8 Philip E. Converse to Pendleton Herring, Report of the Committee on the Preservation and Use of Economic Data, March 19, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 9 SSRC, P&P minutes, 15. Preservation and Use of Economic Data, September 11, 1965, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1.
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bestände der Bundesbehörden zusammenzuführen und zugänglich zu machen, ohne dabei Regeln zur Offenlegung zu verletzen.10 Solche Regeln standen dem Anliegen der Wissenschaftler, auf Behördendaten zugreifen zu können, von Beginn an im Weg, so dass eine zentralstaatliche Institution ihre Einhaltung garantieren sollte, da die Weitergabe von Daten an eine externe Stelle ausgeschlossen schien. Laut Bericht könne die Sozialversicherungsnummer dazu dienen, Datensätze zu verknüpfen, was es ermögliche, statt einfacher Modelle mit aggregierten Daten komplexe Beziehungen zu berechnen.11 Doch gerade an solchen Operationen, die es erlaubten, Daten über spezifische Personen automatisiert zusammenzutragen, stießen sich später Kritiker des Vorhabens. Der SSRC nahm den Bericht positiv auf und stimmte einer Verbreitung zu. Webbink versandte den Bericht Ende März an verschiedene Behörden und Institutionen und verkündete im September 1965 im P&P, dass das OSS die Pläne für ein Datenzentrum rege erörtere und bald mit einer Entscheidung zu rechnen sei.12 Die Initiative lag nun bei den Bundesbehörden, sodass das P&P am 13. November 1965 entschied, das Komitee von seinen Aufgaben zu entbinden und die weitere Entwicklung abzuwarten.13 Der Rat würdigte zum Abschluss die Arbeit des Komitees mit seinem Vorsitzenden Ruggles.14 Damit war die die Rolle des SSRC offiziell beendet. Mit dem Vorschlag, eine staatliche Institution aufzubauen, verlagerten sich die Probleme in die Verwaltung. Zwischen Wissenschaft und Verwaltung bestanden gute Kontakte, so dass einige Beamte die Idee dankbar aufgriffen. Bereits im März 1965, als Webbink Paul Krueger telefonisch darüber informierte, dass der Bericht des Komitees freigegeben sei, hatte das OSS anscheinend Edgar Dunn von Resources for the Future, Inc. mit einer weiteren Studie beauftragt.15 Das Unternehmen war in der Sache kein Neuling und schon als Teilnehmer auf einer Konferenz des SSRC im Dezember 1960 gelistet.16 Dunn war bereits mit dem Projekt vertraut, da er beispielweise im Januar 1964 als Beschäftigter des 10 CPUED, Report of the Committee on the Preservation and Use of Economic Data to the Social Science Research Council, (Agenda Appendix 3), [March 1965], Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1 f. 11 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 199, 204–207. 12 SSRC, P&P minutes, 15. Preservation and Use of Economic Data, September 11, 1965, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 13 SSRC, P&P minutes, 4. Preservation and Use of Economic Data, November 13, 1965, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1. 14 Pendleton Herring to Richard Ruggles, November 17, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 15 Paul Webbink to Stanley Lebergott, March 30, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 16 SSRC, Report of the Conference on Preservation and use of economic data, 19.12.1960, Appendix 2, January 9, 1961, Folder 1145, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 1.
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Handelsministeriums anmerkte, dass der Zugang zu zentralstaatlichen Statistiken für wirtschaftliche Zwecke verbesserungswürdig sei. Seiner Ansicht könne sich eine Servicestelle, eine »user service facility«, mit den Fragen nach Offenlegung von Information befassen.17 Bei einem weiteren Treffen des CPUED im Oktober 1964 war wiederum Dunn anwesend, diesmal als Vertreter der American Statistical Association.18 Innerhalb des Statistikverbandes saß Dunn dem Committee on Data Sources and Information Systems vor.19 Karrierestationen von Experten verliefen teilweise von der Forschung in die Verwaltung oder aus der Verwaltung zu Beraterjobs. Trotzdem waren die Interessen von Forschung und Verwaltung, wie Statistiken zu organisieren seien, unterschiedlich gelagert. Ein neuer Ansatz war von der Studie angesichts früherer Äußerungen von Dunn kaum zu erwarten. Die Idee, ein Datenzentrum einzurichten, die nunmehr die Verwaltung diskutierte, bildete in erster Linie die Interessen der Wissenschaftler ab, die einen Zugang zu Behördendaten suchten. Welche Ansprüche die Bundesverwaltung an eine zentrale Statistikbehörde hatte, war längst nicht ausgemacht. Insbesondere die Haushaltsbehörde war an einer Zentralisierung der statistischen Dienste interessiert. Doch Kermit Gordon, Direktor des BOB, quittierte alsbald seinen Job und verließ die Behörde laut Medienberichten für eine Beratertätigkeit.20 Damit schwand der Rückhalt für das Projekt, da Gordon den Vorschlag eingebracht hatte, eine eigene Bundesbehörde zu gründen, und noch im April 1965 sein »personal interest in the idea of a Federal Data Center« betont hatte.21 Andere Behörden waren weitaus skeptischer. Ewan Clague, Commissioner im BLS, äußerte technische Bedenken, dass ein Editieren von Daten aufwändig sei, weshalb eine zentrale Datenstelle kostspielig würde. Außerdem bemängelte Clague, dass der Aspekt der Vertraulichkeit in dem Bericht des CPUED nicht genügend berücksichtigt würde: »I doubt that such information can be made available to any data bank external to the original agency receiving the data in confidence«. Selbst im Falle einer Weitergabe von Daten würde die empfangende Organisation auch die Verantwortung für das »confidentiality pledge« in Surveys tragen.22 Einzelne Behörden und 17 U. S. Department of Commerce, Bureau of the Census, Meeting On Utilization of Census Bureau Data, January 22, 1964, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1 f., Zitat S. 7. 18 [SSRC CPUED] [Meetings], Committee use only, October 29, 1964, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc., RAC, S. 2. 19 Ewan Clague to Paul Webbink, April 15, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 20 Richard A. Miller to Paul Webbink, April 9, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 21 Kermit Gordon to Paul Webbink, April 21, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 22 Ewan Clague to Paul Webbink, April 15, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 2.
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Stellen in Ministerien unterstanden Regeln, die der Kooperation mit Forschern Grenzen setzte. Mit dem OSS ergriff eine Behörde die Initiative in Hinblick auf ein Datenzentrum, die dem BOB und damit dem Präsidialamt unterstand. Ein weiterer, externer Bericht war in Arbeit.23 Bowman fragte das Amt für Nationale Standards (National Bureau of Standards, NBS), das dem Department of Commerce (DOC) unterstand, an und bat um eine technische Dokumentation über die Entwicklung von Computersystemen zum Speichern, Verwalten und Abrufen von Daten.24 Von einem Informationsdienst versprach sich Bowman »significant payoffs for the public decision-making process«. Mit Computertechnologie könnten Datenbestände editiert werden, um das »disclosure problem« zu umgehen.25 Hierin äußerte sich ein Glaube an technologischen Fortschritt, der sowohl zur Lösung politischer Aufgaben beitragen als auch rechtliche Schwierigkeiten klären könne. Wie sich später herausstellte, ging eine technische Lösung des Problems der Offenlegung von Daten auf Kosten der Funktionalität des Zentrums. Als sich die Verwaltung mit der Sache befasste, kamen gesetzliche Lösungen in Betracht. Der externe Gutachter Dunn glaubte, dass eine restriktive Informationspolitik Forschern das Nutzen von nicht-aggregierten Daten erschwerte, weshalb Gesetze die Herausgabe von Daten erleichtern müssten, um den Transfer an ein Zentrum zu ermöglichen. Es stellte sich die verwaltungstechnische Frage, ob eine unabhängigen Stelle eingerichtet werden solle oder Behörden kooperieren sollten, wobei Dunn dafür plädierte, innerhalb der Zensusbehörde eine unabhängige Institution aufzubauen.26 Am 1. November 1965 übersandte Dunn den Report über ein NDC an Bowman.27 Der Anhang enthielt den Bericht eines informellen Gremiums, das im Sommer 1965 getagt hatte, eine Dateninventur des BLS von Rudolph Mendelssohn sowie den Bericht des NBS an das BOB, in dem die Autoren die Aufgaben eines statistischen Dienstes erörterten.28 Von den Daten könne unter anderem die Wohlfahrtspolitik profitieren, hieß es 23 Vgl. dazu auch Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 7 f. 24 Raymond T. Bowman to Allen V. Astin, June 29, 1965, Folder ›SPD: FDC 1965‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 25 Raymond T. Bowman to The Director, Memorandum, Interagency Cabinet Level Committee to Consider the Establishment of a National Data Service Center, August 5, 1965, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2. 26 Edgar Dunn to Raymond T. Bowman, Memorandum, Progress Report on Assignment, June 8, 1965, Folder ›SPD: FDC 1965‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NAMD, S. 1, 7. 27 Edgar S. Dunn to Raymond T. Bowman, November 1, 1965, Folder ›SPD: FDC 1965‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f. 28 Vgl. Edgar S. Dunn, Memorandum Report, Review for a National Data Center, [November 1965], Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, App. A, B, C.
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im Bericht von Dunn, doch bei der Datenanalyse träten Konflikte mit Regeln zur Offenlegung auf, wenn Datensätze verknüpft würden.29 Diese Einschätzung eines Nutzens für die Politik mochte dem Umstand geschuldet sein, dass die Verwaltung selbst die Studie in Auftrag gegeben hatte. Insgesamt waren die rechtlichen Probleme evident und konnten weder durch technische Verfahren zum Editieren von Daten noch durch das Schaffen einer staatlichen Stelle mit autorisiertem Personal ausgeräumt werden. Zwar betonte der Bericht den Nutzen eines Datenzentrums für die Politik, doch orientierte sich der Autor an dem Vorschlag aus der Wissenschaft und weniger an den Gegebenheiten der Verwaltung. Aber die Verwaltung umzubauen, war leichter gesagt als getan. Sodann wurde das Projekt in die höheren Ebenen weitergereicht, und der Vorschlag aus einer explorativen Studie erreichte über den Direktor der Haushaltsbehörde schließlich das Präsidialamt.30 Im Juli 1965 unterbreitete Charles Schultze, Direktor des BOB, den Vorschlag, ein Komitee einzurichten, und Milton Moss bezeichnete die Pläne für ein »Federal Data Center« als »most vitalizing and consequential project of the office«.31 Der Name Charles Schultze kursierte früh, als Ruggles im April 1962 erwogen hatte, ihn in das Projekt einzubeziehen, Schultze jedoch als stellvertretender Direktor zur Haushaltsbehörde wechselte.32 Dies zeigte abermals, wie eng Wissenschaft und Politik in Hinblick auf das Vorhaben eines Datenzentrum über Personen und Karrieren verzahnt waren. Anfang August richtete Bowman ein Schreiben an den Direktor des BOB, in dem er anregte, ein Komitee zwischen verschiedenen Behörden zu etablieren, um die Einrichtung eines »National Data Service Center« zu untersuchen. Erforderlich sei ein gewisser Grad an Zentralisierung der Datenverarbeitung, eine Finanzierung sowie eine Gesetzgebung, welche die Behörden von ihren Einschränkungen in der Weitergabe von Daten entbinde, wenn Information an das Zentrum übermittelt werden solle.33 Schultze legte Präsident Johnson am 3. November 1965 den Vorschlag für eine externe task force vor, die ein FDC erörtern solle. Probleme, die es zu lösen gelte, betrafen Archivierung, Referenzen zu unveröffentlichter Information, Zugang zu Daten sowie das Nutzen von Verwaltungsakten bzw. Reporten einzelner Behörden. Computern komme künftig eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von zentralstaatlichen Statistiken zu. 29 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 258 f., 261–264. 30 Vgl. dazu auch: Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 8 ff. 31 Milton Moss to Messrs. [Paul] Krueger and [Raymond T.] Bowman, July 19, 1965, Folder ›SPD: FDC 1965‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 32 Richard Ruggles to Paul Webbink, April 30, 1962, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 33 Raymond T. Bowman to The Director, Memorandum, Interagency Cabinet Level Committee to Consider the Establishment of a National Data Service Center, August 5, 1965, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 3 f., Zitat S. 1.
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Dabei rekurrierte Schultze auf das Leitbild einer Great Society, um die Zustimmung des Präsidenten zu dem Vorhaben zu erlangen: »A modern Federal Data Center would also increase the effectiveness of planning for the Great Society programs«.34 Diese Ansicht stammte allerdings nicht von den Verantwortlichen der Programme, sondern vom BOB selbst, um damit für ein Datenzentrum zu werben und die Gunst des Präsidenten zu erlangen. Die Mitgliederliste war im Weißen Haus noch einmal überarbeitet worden. So befand sich unter den Vorschlägen für Mitglieder einer task force ursprünglich ein Vertreter von IBM; hinzugekommen waren Mitglieder aus Berkeley und Los Angeles in Kalifornien. Denn Präsident Johnson erahnte, dass es sich um einen unausgewogenen Expertenkreis handelte, und auf einer Notiz zum Memorandum stand: »These are all eastern. Tell him to provide us with a statement. We’ll issue it down here«.35 Dies lässt sich so interpretieren, dass die Personen auf der vorgeschlagenen Liste allesamt von der Ostküste stammte, so dass schließlich zwei Personen von der Westküste eingeladen wurden. Das Weiße Haus erklärte in einer Pressemitteilung am 9. Dezember, dass eine task force sich mit Speicherung und Zugang zu zentralstaatlichen Statistiken befassen solle. Den Vorsitz des Gremiums hielt Carl Kaysen, Harvard University, inne, weitere Mitglieder waren Charles Holt, University of Wisconsin, Richard Holton, University of California at Berkeley, George Kozmetsky, Teledyne Corporation, Russell Morrison, Standard Statistics and Standard and Poors, sowie erneut Richard Ruggles, Yale University. In der Erklärung war die Rede von einer »indispensable source of information« und davon, dass die Datenverarbeitung mit »new information technology« effizienter gestaltet werden könne. Dabei sollten öffentliche Datensätze zugänglich gemacht, Standards zur Speicherung bestimmt und Daten auch in elektronischer Form auf Magnetbändern publiziert werden.36 Damit entstand ein dritter Bericht eines externen Gremiums. Allein der Umstand, dass wiederum Ruggles der task force beisaß, ließ wenig Neues erwarten. Die beiden Forscher Ruggles und Kaysen kannten sich bereits zuvor. So war Kaysen zu einem Treffen des CPUED im Januar 1964 eingeladen, aber nicht anwesend.37 Später, im Juni 1965, äußerte Ruggles, dass er Carl Kaysen kontaktieren und Dinge, vermutlich bezüglich des Berichts für den SSRC, wieder 34 Charles L. Schultze, Memorandum for the President, Planning for a Federal Data Center, attachment, November 3, 1965, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 35 [Lyndon B. Johnson] LBJ / mf, 9:45a, November 20, 1965, Folder ›FG 999, 6/29/65– 5/20/66‹, Box 429, WHCF, FG, LBJL, S. 1. 36 Office of the White House Press Secretary, for release, December 8, 1965, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 37 U. S. Department of Commerce, Bureau of the Census, Meeting On Utilization of Census Bureau Data, January 22, 1964, Folder 5078, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1.
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anschieben wolle.38 Die Namen Kaysen und Ruggles erschienen schon im Vorfeld gesetzt. Tatsächlich hatten die Forscher in einem Schreiben über eine Central Statistical Agency weitere Vorschläge an den Direktor des BOB unterbreitet, die so auch aufgenommen wurden.39 Die Beteiligung der gleichen Experten an dem Projekt führte dazu, dass in externen Berichten die Interessen der Wissenschaft überwogen und an den Anforderungen der Verwaltung vorbeiliefen. Abermals konsultierten Experten verschiedene Behörden. Anfang Januar 1966 trafen sich die Mitglieder der task force unter Kaysen mit Vertretern aus dem Landwirtschaftsministerium, dem Handelsministerium, der Zensusbehörde, dem BLS sowie dem IRS.40 Neue Ansätze in der Verwaltung, die von wissenschaftlichen Prämissen getragen wurden, trafen jedoch auf alte Strukturen, die historisch gewachsen und schwierig aufzubrechen waren. In der Datenverarbeitung lag die Zuständigkeit auf zahlreiche Abteilungen verteilt. Dezentralisierung oder Zentralisierung lauteten die Aspekte, die es hinsichtlich einer Reform der Bundesstatistik zu klären galt. Dieser Aufgabenbereich der Statistik wuchs kontinuierlich. Einzelne Institutionen setzten verstärkt auf Statistiken, um Programme zu entwerfen und zu planen. Von 1961 bis 1966 war das Budget für Bundesstatistiken jährlich im Schnitt um etwa dreizehn Prozent gestiegen.41 Jedoch erwies sich der Vorschlag, eine zentrale Bundesstatistik zu realisieren, als schwierig, da sich dezentrale Verwaltungsstrukturen über Jahrzehnte entwickelt hatten. Im Januar 1966 unterbreitete Handelsminister John T. Connor in einem Brief an Joseph Califano, Berater des Präsidenten, den Vorschlag für ein »National Statistical Data Center« innerhalb seines Ministeriums. Demnach solle ein neuer Koordinator für das »Federal Statistical System« die Zusammenarbeit mit dem Zensus leiten, wobei das Sammeln von Informationen weiterhin den einzelnen Behörden überlassen bleiben solle.42 Die Interessen innerhalb der Verwaltung erschienen disparat. Raymond Bowman vom OSS berichtete dem Direktor von diesem Vorschlag des DOC, wobei die Ministerien und Behörden aber in unterschiedliche Richtungen arbeiten könnten. Allerdings habe er dies nicht mit dem Komitee unter Kaysen besprechen können. Es sei zu klären, was von dem Bericht zu erwarten sei und wie die Behörde damit umgehen wolle: 38 Richard Ruggles to Paul Webbink, June 7, 1965, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 39 Carl Kaysen and Richard Ruggles, Memorandum for the Director of the Budget [BOB], [1965], Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 7. 40 Notice of Meeting, Task Force – Federal Data Center, January 6, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 3. 41 Paul F. Krueger to Carl Kaysen, January 26, 1966, Folder ›SPD: FDC Jan.–Jun. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2. 42 The Secretary of Commerce, Memorandum for Honorable Joseph A. Califano, Jr., January 28, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 5 f., Zitat S. 5.
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»I am, however, completely in the dark on this«.43 Bowman kritisierte daher den Entwurf für den Kaysen-Bericht, der eine zentrale Sammelstelle für Statistiken vorsah, als wenig hilfreich und unrealistisch: »I do not share Kaysen’s view that complete or almost complete centralization of the collection of statistics is the ideal solution«.44 Die Pläne für eine Statistikzentrale gewannen innerhalb der Verwaltung eine eigene Dynamik. Als offene Fragen aus Sicht des OSS blieben, wie das statistische System innerhalb der Verwaltung reorganisiert werden solle, welcher Grad an Zentralisierung erstrebenswert sei und wie ein Datenzentrum arbeiten solle. Die externen Experten suchten zwar den Kontakt zur Verwaltung, doch arbeiteten sie beständig an deren Interessen und Vorstellungen vorbei. Am 1. April sandte Kaysen einen Entwurf an die Mitglieder des Komitees und beraumte ein Treffen mit Verantwortlichen in Behörden an, um den Bericht zu besprechen.45 Die anstehenden Anhörungen im Unterausschuss für Statistik des Joint Economic Committee, die unter anderem »The Data Center« sowie die Organisation der Bundesstatistiken behandeln sollten, ließen die Sache dringlich erscheinen.46 In einem Schreiben an den Direktor aus dem Mai sorgte sich Dunn, dass Entscheidungen über das »Federal Statistical System« ohne »adequate staff work« getroffen werden könnten.47 Bowman favorisierte eine »Central Statistical Agency«, die als unabhängige Behörde dem Präsidialamt untergeordnet sei. Als Alternative könne ein FDC innerhalb einer bestehenden Behörde aufgebaut werden: »A meaningful Central Statistical Agency should not stress centralization per se«.48 Es bestand weder eine klare Position in der Verwaltung, wie eine zentrale Statistikbehörde zugeschnitten, noch darüber, wo sie angesiedelt sein solle. Alles was zu diesem Zeitpunkt vorlag, waren die Vorschläge von externen Experten, die eher illusorisch als praktikabel wirkten. Noch im Juli 1966 distanzierte sich Bowman von dem Entwurf des KaysenBerichts, der seines Erachtens mehr Schaden als Nutzen anrichten würde, da dieser auf Reorganisation abziele, die alle Behörden mittragen müssten. Längerfristig könnten Statistikstellen über Arbeitsmarkt und Landwirtschaft dem 43 Memorandum, Raymond T. Bowman to The Director, BOB, February 14, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 44 Memorandum, Raymond T. Bowman to The Director, March 9, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 45 Carl Kaysen, Memorandum to Charles Holt et al., April 1, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 46 Memorandum, Raymond T. Bowman to The Director, BOB, April 8, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 47 Edgar S. Dunn to Charles [L. Schultze], Director [BOB], May 6, 1966, Folder ›SPD: FDC Jan.–Jun. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 48 Raymond T. Bowman to The Director, May 17, 1966, Folder ›SPD: FDC Jan.–Jun. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. Hervorhebung im Original unterstrichen.
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Zensus oder einem Datenzentrum unterstellt werden, doch der Vorschlag einer vollständigen Reorganisierung der Bundesstatistik erschien nach Bowmans Ansicht insgesamt weder ausgereift noch in der Verwaltung durchsetzbar.49 Kaysen sandte den Bericht der task force am 21. Oktober 1966 an Schultze, Direktor des BOB.50 Kaysens Vorschlag lautete, den Posten eines Direktors für Bundesstatistiken zu schaffen, der ein NDC leiten und dem Executive Office unterstehen solle.51 Dass die Autoren des Berichts vorschlugen, ein Datenzen trum ihrem eigenen Auftraggeber zu unterstellen, erschien wenig überraschend. Insgesamt gab der neuerliche Bericht der Debatte keine wesentlichen Impulse. Die statistischen Abteilungen arbeiteten getrennt, so dass ein Bestreben, diese Aufgabe zu bündeln, Konflikte barg. In seinem Dankesschreiben an Kaysen betonte Direktor Schultze die Bedeutung von statistischen Informationen für die Politikgestaltung: »Perspective analysis of the economic and social problems which confront the Nation depends vitally on the timely and imaginative collection and use of statistical data«.52 Angesichts der Geschichte der Bundesstatistik hinterfragte Stuart Rice von der Survey & Research Corporation, ob die vorgeschlagenen Änderungen der Bundesstatistik praktikabel seien.53 Rice, der in der Vergangenheit unter anderem die Posten des stellvertretenden Leiters der Zensusbehörde sowie des Vorsitzenden des CSB bekleidet hatte, war bereits zu Amtszeiten ein Gegner einer zentralisierten Bundesstatistik.54 Tatsächlich hatte es in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Studien mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen gegeben. Einen ersten Bericht erarbeitete 1922 das Bureau of Efficiency, das eine Verwirrung in der Öffentlichkeit über die Arbeit der unterschiedlichen statistischen Dienste ausmachte. In einem Bericht des CSB von 1934 hatte Rice geschrieben, dass dezentrale Einheiten flexibel auf spezielle Aufgaben eingehen könnten. Nach Ansicht des externen Committee on Government Statistics and Information Services konnten kleine Abteilungen zwar ihre eng gefassten Bereiche gut abdecken, doch sei eine Vergleichbarkeit von Statistiken problematisch. Entsprechend seiner früheren Ansicht kritisierte Rice die Behauptung im Kaysen-Bericht, dass Dezentralisierung eine effektive Funktionsweise behindere. Anders als Kaysen führte Rice Komplexität als Argument gegen Zentralisierung 49 Raymond T. Bowman to The Director, The Kaysen Report, for official use only, July 26, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f. 50 Carl Kaysen to Charles L. Schultze, October 21, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 51 U. S. Senate 1967, Computer Privacy, S. 33–36. 52 Charles L. Schultze to Carl Kaysen, November 8, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 53 Stuart A. Rice to Raymond T. Bowman, December 2, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 ff. 54 Duncan / Shelton 1978, Revolution in United States Government statistics, S. 147, 160.
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an.55 Dieser Exkurs in die Geschichte der Bundesstatistik verdeutlicht den unterschwelligen Konflikt um Kompetenzen und um zentrale Befugnisse. Es handelte sich innerhalb der Verwaltung auch um eine Machtfrage, wer über Informationsverwaltung bestimmen konnte. Angesichts dessen erschien es unrealistisch, dass spezialisierte Abteilungen auf ihre Eigenständigkeit verzichten wollten oder dass sich Ministerien und Behörden auf ein weitreichendes Datenbankprojekt einigen würden.
4.2 Debatte um Privatsphäre und Informationen: »We would develop a Frankenstein here« Noch während sich der Kaysen-Bericht in Arbeit befand, erschienen kritische Medienberichte über das Projekt. Im Mai 1966 publizierte US News & World Report eine Reportage über die Datenverwaltung des Bundes und erwähnte die Pläne für ein Datenzentrum. Der Artikel zitierte Orville Brim von der RSF, der in diesem Zusammenhang auf die Sorge aufmerksam machte, dass die Privatsphäre in Mitleidenschaft geraten könne, und der von einer möglichen »Government dossier bank« sprach. Auch Senator Long kam zu Wort, dessen Komitee das Vorhaben in Anhörungen untersuchen wollte.56 Senator Long befasste sich mit der Studie von Dunn für das NDC, das seiner Ansicht nach als »central dossier bank« genutzt werden könne, wenn sämtliche Individuen mit einer Nummer versehen würden. Eine nicht regulierte Sammlung von Daten über Personen werfe Fragen nach »privacy« auf.57 Demnach konnten Behörden auch die Privatsphäre der Bürger verletzen, indem sie Daten in einer Zentralstelle verarbeiteten, bündelten und auswerteten. Auch im Repräsentantenhaus regte sich Widerstand gegen eine Datenstelle. Den Abgeordneten Gallagher hatte das Thema privacy schon beschäftigt, bevor er das Datenzentrum auf die Tagesordnung stellte, und er hatte in einem Brief aus dem September 1965 gefordert, ein »concern for unnecessary prying into an individual’s privacy« explizit als Politik des BOB zu formulieren.58 Bald stellte sich heraus, dass der Vorschlag aus der Wissenschaft, Daten einfach zu bündeln und zugänglich zu machen, der Verwaltung einen Bärendienst erwiesen hatte. In Kongressanhörungen überwogen kritische Stimmen.59 Dagegen wehrten sich Befürworter des Projekts. Dunn versicherte in der Anhörung von Senator 55 Stuart A. Rice to Raymond T. Bowman, December 2, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 4. 56 Editor 16.5.1966, U. S. News & World Report, S. 58. 57 U. S. Senate 1966, Invasions of Privacy, Part 5, S. 2388. 58 Cornelius E. Gallagher to Charles L. Schultze, September 21, 1965, Folder ›In-House TF 3‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2. 59 Vgl. dazu auch: Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 10–13.
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Long im Juni 1966, dass technische Sicherheitsvorkehrungen in einem Datenzentrum vor einer ungewollten Offenlegung von Daten schützen könnten. Jedoch äußerte Senator Long seine Bedenken gegenüber den Plänen: »We would develop a Frankenstein here that would be very undesirable for the American people, and would certainly result in great violation of their privacy«.60 Privacy lautete von nun an das Schlagwort in der Debatte, und es galt als Eingriff in die Privatsphäre, wenn Daten über eine Person automatisch zusammengefasst oder offengelegt würden. Nach Ansicht von Dunn nutzte Senator Long das Thema privacy als politischen Schachzug und sei dem Abgeordneten Gallagher damit zuvorgekommen, das Thema zu besetzen. Dunn besprach die Pläne beim Mittagessen mit Gallagher, der seine Anhörungen auf Juli 1966 ansetzte.61 Der Einladung, das Vorhaben im Unterausschuss zu privacy zu erläutern, folgte Ruggles und wies auf Vorteile hin, die eine Analyse von individuellen Datensätzen brächte, ohne dabei die Identität von Individuen preisgeben zu müssen: »First, and foremost, it is essential to protect the individual from an invasion of his privacy and the misu[s]e of information which may damage or embarrass him«.62 Ruggles Vorstellung von privacy bezog sich auf die Sammlung von Daten selbst, nicht ihre Zentralisierung, und er erachtete es als »erosion of privacy«, dass Behörden Daten zur Einkommenssteuer oder zur Sozialversicherung erhoben.63 Ein Problem für die Privatsphäre entstand nach Ruggles Ansicht mit steigender Staatstätigkeit dadurch, dass Behörden in zunehmendem Maße Daten erfassten: »The increasing role of government has inevitably brought with it the problem of the invasion of privacy«.64 Hier kamen unterschiedliche Vorstellungen zum Ausdruck, die entweder die Art und Weise betrafen, wie Daten verarbeitet würden, oder das staatliche Erheben von Daten im Rahmen von politischen Programmen selbst. Die Anhörungen im Kongress schlugen hohe Wellen. Unter anderem die New York Times berichtete von der Gefahr für die Privatsphäre, die ein Datenzentrum berge.65 Eine Reihe von Politikern erkundigte sich nach den Plänen. Etwa antwortete Krueger Senator Walter Mondale, Demokrat aus Minnesota, dass ein Datenzentrum lediglich für statistische Zwecke nicht aber für individuelle Dossiers 60 U. S. Senate 1967, Invasions of Privacy, S. 2398. 61 Edgar Dunn to [Charles] Zwick and Carl [Kaysen], Memorandum, The National Data Service Center and the Personal Privacy ›Flap‹, June 16, 1966, Folder ›SPD: FDC Jan.–Jun. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 62 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 91 f. 63 U. S. Congress 1967, The Coordination and Integration of Government Statistical Programs, S. 27. 64 Richard Ruggles, Paper for Federal Statistical Users’ Conference, The Role of a National Data Center in Economic Statistics, October 14, 1966, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 7. 65 Robertson 27.7.1966, The New York Times, S. 41.
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ausgerichtet sei.66 Doch genau hier verlief der Konflikt, da Statistiker in ihren Analysen zwar allgemeine Phänomene untersuchten, dafür jedoch auf spezifische Daten über Personen zurückgreifen wollten. Trotz des Bekenntnisses zu einem statistischen Gebrauch war nicht auszuschließen, dass etwa Ermittlungsbehörden auf den Datenpool zugriffen oder Details unbeabsichtigt veröffentlicht würden. Der Abgeordnete Gallagher sprach im August 1966 im Repräsentantenhaus über privacy, das NDC und darüber, welche Verantwortung technologische Entwicklung in der Datenverarbeitung mit sich bringe. Im Oktober 1966 sprach Gallagher erneut im Repräsentantenhaus und berichtete über die Balance von Technologie und dem »Right to Privacy«.67 Mit der Entwicklung des Computers erhielt dieses Recht eine neue Dimension, da Daten automatisch kopiert und weitergegeben oder Datensätze miteinander verknüpft werden konnten, was mit manuell geführten Akten einen immensen Aufwand bedeutet hätte. Die Berichterstattung zu den Anhörungen klang alarmierend, so sagte die New York Times das »effective end of privacy«68 voraus, sollte der Kongress das Vorhaben billigen. Politiker beider Parteien erkundigten sich nach den möglichen Folgen eines Datenzentrums für die Privatsphäre der Bürger. Unter anderem versicherte Joseph Laitin, Assistant to the Director, dem Abgeordneten Charles E. Goodell, Republikaner aus New York, dass ein Zentrum keine Information verwalten solle, die etwa zur Erstellung von individuellen »credit ratings« genutzt werden könne.69 An Senator Robert F. Kennedy, Demokrat aus New York, schrieb Laitin, dass ein Zentrum nicht dazu ausgerichtet sei, »dossiers about individuals« zu erstellen.70 Auch Senator Ervin, der später selbst Anhörungen zu Bundesdatenbanken initiieren sollte, erkundigte sich nach dem »right to privacy« und dem Datenzentrum.71 Neben offenen technologischen, rechtlichen sowie verwaltungstechnischen Fragen erfuhr das Vorhaben nun auch politischen und öffentlichen Gegenwind. Die schlechte Presse und die kritischen Nachfragen aus dem Kongress ließen die Regierung nicht unbeeindruckt. BOB-Direktor Schultze versicherte, die Sorge um »unwarranted invasion of privacy« zu berücksichtigen.72 In einem 66 Paul F. Krueger to Walter F. Mondale, August 5, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 67 Congressional Record – House, 27521, October 21, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 68 Editor 9.8.1966, The New York Times, S. 36. 69 Joseph Laitin to [Charles] E. Goodell, August 31, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2. 70 Joseph Laitin to Robert F. Kennedy, August 10, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 71 Charles J. Zwick to Sam J. Ervin, Jr., August 10, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2. 72 Charles L. Schultze to Cornelius E. Gallagher, October 15, 1965, Folder ›In-House TF 3‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 4.
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Schreiben an Charles Zwick vom OSS und Kaysen beklagte sich Dunn darüber, dass die Pläne zu einer Aufregung über das Thema Privatsphären geführt hätten, und gab den Autoren weiterer Studien den Ratschlag, explizit auf »safeguards for personal privacy« einzugehen, was Komitees im Kongress nunmehr einforderten.73 Kaysen schlug vor, zum Schutz der Privatsphäre einheitliche Standards zur Offenlegung zu schaffen.74 Als Reaktion auf das negative Echo fügten die Autoren der Kaysen-Studie einen gesonderten Abschnitt zum Thema privacy ein. Laut Kaysen sollten diese Vorbehalte ernstgenommen werden, aber nicht dazu führen, die Vorteile neuer Technologie für eine gesteigerte Effizienz aufzugeben.75 Angesichts der politischen Debatte durfte dieses Bekenntnis nicht fehlen. Wie solche Standards und Sicherheitsmechanismen genau aussehen sollten, blieb ebenso vage wie die praktische Umsetzung eines Datenzentrums. Entsprechend überzeugten solche Bekenntnisse die Kritiker natürlich nicht. So bemängelte der Abgeordnete Gallagher den Kaysen-Bericht vor allem in Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre.76 Im SSRC zog die Debatte keine weiteren Konsequenzen nach sich. Genau genommen handelte es sich beim SSRC um den Auftraggeber, der aber für den Inhalt des abschließenden Berichts nicht verantwortlich war. Auf die spätere Anfrage des Repräsentantenhauses, den Bericht zu drucken zu dürfen, betonte der SSRC, dass der Bericht für den Rat und nicht vom Rat selbst verfasst worden sei.77 In einem Brief an Webbink schrieb Ruggles, dass er in dem Bericht ein Datenzentrum innerhalb der Zensusbehörde favorisierte und das Problem der Offenlegung behandelt habe: »As far as I can see the matter rests here for the moment. I am not as pessimistic as many, since I do not feel that the problem of disclosure will prevent an intelligent solution«.78 In seiner Antwort beklagte Webbink die »egregious misinformation«, die in den Medien kursiere, gegen die sie sich wehren sollten, und schlug vor, den Bericht an Henry Riecken, Vize präsident des SSRC, zu senden.79 Ruggles antwortete, dass sowohl das BOB
73 Edgar Dunn to [Charles] Zwick and Carl [Kaysen], Memorandum, The National Data Service Center and the Personal Privacy ›Flap‹, June 16, 1966, Folder ›SPD: FDC Jan.–Jun. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 74 U. S. Senate 1967, Computer Privacy, S. 33–36. 75 Carl Kaysen to Charles L. Schultze, October 21, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 76 Cornelius E. Gallagher to Charles L. Schultze, News Release, December 1, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 4 ff. 77 Paul Webbink, Memo, Committee on Preservation and Use of Economic Data, August 23, 1966, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 78 Richard Ruggles to Paul Webbink, October 31, 1966, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 79 Paul Webbink to Richard Ruggles, November 7, 1966, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1.
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als auch der Zensus den Bericht der task force positiv aufgenommen hätten.80 Schließlich, im September 1967, vermerkte der SSRC auf seiner Agenda lediglich, dass das Repräsentantenhaus den Bericht abgedruckt habe.81 Der SSRC intervenierte in der Sache nicht weiter. Das Projekt Datenzentrum steckte in einer Sackgasse. Erst jetzt loteten Beamte die Anforderungen der Verwaltung aus. Schultze erhielt am 10. Oktober 1966 den Auftrag, eine hausinterne task force zu gründen, die der Präsident damit betraut hatte, die Organisation der Datenerhebung und die Analyse wirtschaftlicher Daten sowie Schritte zu untersuchen, um Statistiken zu verbessern.82 In der Folge kontaktierten Schultze und Krueger weitere Behördenvertreter aus den Bereichen Handel und Zensus, Finanzen und Steuern, Landwirtschaft, Arbeitsmarkt sowie aus dem Council of Economic Advisers.83 Die Meinung in der Presse war überwiegend negativ. Beispielsweise titelte die Zeitschrift The Nation im Oktober 1966 »The Computer vs. The Bill of Rights«.84 Auch von Seiten einzelner Behörden stieß das Vorhaben, die Bundesstatistik zu zentralisieren, auf Vorbehalte, da ein Umbau der Verwaltung ein besonnenes Handeln erforderte und weiterhin Regeln für Vertraulichkeit bestanden. William Smith, Deputy Commissioner der Steuerbehörde IRS, warnte vor einer überstürzten Implementierung, einem »›quick, bold‹ approach« oder einem »strong-arm attempt«, die sich als fatal erweisen könne. Auch sprach sich Smith dagegen aus, ein Zentrum dem Präsidialamt zu unterstellen. Ferner sollten nur statistische Bestände an das Zentrum übermittelt werden: »I can’t imagine that the merits of this basic proposition would be judged by anyone on the basis of questions of codes, tape compatibility, suitable identifying record links, etc.«.85 Winn Finner vom Landwirtschaftsministerium schlug vor, ausgewählte Kongressmitglieder zu kontaktieren und eine Organisationseinheit zum Aufbau eines zentralisierten Datenbankdienstes zu gründen. Aufgaben beständen darin, Daten nach Nutzergruppen zu klassifizieren und Probleme von »security and confidentiality« zu erörtern, wozu »safeguards and ethics« berücksichtigt
80 Richard Ruggles to Paul Webbink, November 11, 1966, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 1. 81 SSRC, Council Agenda, 6. Preservation and Use of Economic Data (1961–1965), September 10, 1967, Folder 1146, Box 192, SSRC records, Acc. 1, Ser. 1, Subser. 19, Misc. RAC, S. 1. 82 Memorandum, Joseph A. Califano to Charles L. Schultze, October 10, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 83 Charles L. Schultze to Gardner Ackley, with attachments, October 28, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 84 Prisendorf 31.10.1966, The Nation; vgl. zum Medienecho auch Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 13–17. 85 William H. Smith to Paul F. Krueger, Memorandum, Examination of Government Statistics Organization, November 4, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 ff., Zitat S. 3.
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werden sollten.86 Ähnliche Vorbehalte, dass die vertrauliche Behandlung von Daten gesichert sein müsse, äußerten Verantwortliche in der Zensusbehörde. In einer vertraulichen Empfehlung schrieb William Shaw, Assistant Secretary for Economic Affairs, DOC, an Zwick, dass der Zensus bereits mit der Sozialversicherung sowie der Steuerbehörde kooperiere, und forderte »an explicit plan for the statutory and administrative implementation of provisions for assuring confidentiality and rights of privacy for records of the Center«.87 Abermals stand privacy dem Vorhaben im Weg. Dieser individuelle Anspruch auf eine integre Verarbeitung von Daten trat in der Debatte an die Stelle der behördlichen Verantwortung und internen Vorschriften. Allerdings bestanden die Regeln zur Vertraulichkeit von Daten schon länger, und die damit verbundenen Probleme waren hinlänglich bekannt. In der Folge arbeitete das BOB an Lösungen, um das Problem von Vertraulichkeit und Privatsphäre anzugehen. Die Ansätze griffen frühere Vorschläge wieder auf, nämlich technische Schutzmechanismen zu installieren sowie spezielles Personal einzustellen. Ein Exposé für ein Statistikzentrum sah ein Beratungsgremium vor, das mit der »protection of confidentiality« betraut sein solle.88 Wegen der Sorge vor einer »invasion of privacy«, die mit dem Konzept verbunden war, verzögerte sich die Arbeit innerhalb der Exekutive. So vermerkte Califano, Berater des Präsidenten, dass er die Angelegenheit »on the hill«, an den Kongress im Kapitol, tragen wolle, sobald eine Reihe konkreter Vorschläge hinsichtlich des Themas Privatsphäre vorliege.89 Doch die Vorbehalte überwogen. Die Debatte um ein Datenzentrum bot Akteuren, die sich für individuelle Rechte einsetzten, eine Chance, das Thema prominent zu behandeln. In der Folge konnten Autoren und Politiker das Konzept von privacy als Kontrollanspruch über Information etablieren. Nunmehr standen Privatsphäre und Datenschutz auf der Tagesordnung.90 Wie der Abgeordnete Gallagher ausführte, könne ein Datenzentrum als »Personal Dossier Bank« funktionieren, da laut Experten »social security numbers or code numbers« geführt werden sollten, was
86 Winn Finner to Paul F. Krueger, Memorandum, Kaysen Task Force Report, November 4, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f., Zitat S. 2. 87 William H. Shaw to Charles J. Zwick, Task Force on Government Statistics, Attachment, administratively confidential, November 4, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 ff., Zitat S. 3. 88 Bureau of the Budget, Proposal for Establishment of a Federal Statistical Data Center, administratively restricted, December 7, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2. 89 Memorandum, Charles L. Schultze to [Joseph A.] Califano, December 16, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 90 Regan, Legislating privacy, S. 71 f.
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aber Rückschlüsse auf die Identität von Personen zulasse.91 Privacy meinte hier den Anspruch, Grenzen für Regierungspraktiken zu ziehen, wie Daten zu verarbeiten seien. Auf Datenträgern wie Magnetbändern konnte Information mit geringem Aufwand gespeichert, archiviert, aber auch kopiert und weitergegeben werden. Aus technischer Sicht konnte eine individuell spezifische Nummer dazu genutzt werden, Daten aus unterschiedlichen Quellen zu verknüpfen. Der Begriff »Dossier« hatte dabei eine politische Konnotation und weckte die Erinnerung an Praktiken von Ausschüssen im Kongress, Personen auszuleuchten und bloßzustellen. Anfang Januar 1967 erschien ein Artikel von Vance Packard mit dem Titel »Don’t Tell it to the Computer« im Magazin der New York Times, der die Pläne skeptisch sah und glaubte, Bürger könnten sich als eine von Computern kontrollierte Zahlenfolge wahrnehmen.92 Rückblickend charakterisierte der Rechtswissenschaftler Arthur Miller in »The assault on privacy« das geplante Datenzentrum als »lightning rod for the vague feelings of discontent generated by the computer revolution«.93 Der Anspruch auf Privatsphäre richtete sich gegen eine weitreichende Erfassung und Speicherung sowie gegen die Verknüpfung von Daten über einzelne Personen. Diese Ansicht schlug sich in Sachbüchern der Zeit nieder. So nahm der Soziologe Jerry Rosenberg im Buch »The death of privacy« Bezug auf die Debatte und sprach von einer möglichen Überwachung: »Under the surveillance of a national data bank or center, most of our actions could be documented, put into a permanent dossier and stored on tape with other vital data about us«.94 Zweifellos trug die Diskussion dazu bei, dass ein Bewusstsein für Privatsphäre entstand, ein Anspruch dagegen, dass ein Abbild einer Person aus verschiedenen Informationsquellen zusammengefügt würde. Beispielsweise beschreibt Simson Garfinkel in »The database nation«, wie sich die Pläne damals zu verselbständigen drohten zu einer »massive databank containing cradle-to-grave electronic records for every U. S. citizen«.95
91 Cornelius E. Gallagher to Charles L. Schultze, News Release, December 1, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 4 ff., Zitat S. 4. 92 Packard 8.1.1967, The New York Times, S. 236. 93 Miller 1971, The assault on privacy, S. 57. 94 Rosenberg 1969, The death of privacy, S. 4 f. 95 Garfinkel, Database nation, S. 13.
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4.3 Statistiken für effiziente Planung: »The goal of national development and human enrichment« Es blieb unklar, wie das Vorhaben, Behördendaten in einer zentralen Stelle zu verwalten, umzusetzen sei, ohne Regeln zur Vertraulichkeit und Offenlegung zu verletzen, ein hinlänglich bekanntes Problem, das nunmehr unter dem normativen Anspruch auf privacy verhandelt wurde. Trotzdem entstand ein verwaltungsinterner Vorschlag. Dabei blieb die Frage, wie das Zentrum in die dezentrale Struktur der Bundesstatistik integriert werden solle oder ob eine Zentralisierung überhaupt sinnvoll sei, weiter offen. Vage blieben außerdem die Vorteile, die das umstrittene Vorhaben bringen sollte. Experten und Beamte argumentierten häufig, dass eine zentralisierte Statistik dazu beitragen könne, politische Planung zu verbessern. Dieses Argument blieb aber theoretisch. Behörden, die mit operativer Planung betraut waren, teilten diese Ansicht nicht. Welcher Struktur der Vorzug zu geben wäre, erschien noch lange nicht ausgemacht. Harold Seidman vom BOB erachtete technische Probleme der computerbetriebenen Datenverarbeitung, wie etwa »standardization of data elements and codes«, für ein Datenzentrum als lösbar, und rückte die Frage in den Vordergrund, wie das Zentrum innerhalb der Bundesverwaltung organisiert werden solle: »the suitable organizational structure and location becomes a key issue«. Dabei plädierte Seidman dafür, das Zentrum entweder innerhalb des Handelsministeriums aufzubauen oder eine »independent agency« zu gründen.96 Diese Debatten verdeutlichen eine Doppelstruktur von Handelsministerium mit BOC versus Haushaltsbehörde mit OSS, die ihrerseits dem Präsidialamt unterstellt war. In Hinblick auf eine mögliche Zentralstelle wollte keine Institution an Einfluss verlieren. Die hausinterne Arbeitsgruppe erarbeitete einen fünfseitigen, nur für den Behördengebrauch deklarierten Bericht vom 23. November 1966, der auf dem Kaysen-Bericht aufbaute.97 Damit verpassten die verantwortlichen Beamten die Chancen, einen eigenen Entwurf zu erarbeiten, der stärker auf die Gegebenheiten und Bedürfnisse der Verwaltung zurechtgeschnitten wäre, und behielten eine Struktur bei, die stärker die Ansprüche der Wissenschaft berücksichtigte. Entweder solle ein Entwurf sofort in das Programm des Präsidenten für 1968 als »Immediate Action« aufgenommen werden oder weitere Zeit für »Planning and Preparation« eines Datenzentrums eingeplant werden. Außerdem solle die Reaktion im Kongress ausgelotet werden. Neben dem Vorschlag des Kaysen 96 Harold Seidman to [Charles J.] Zwick, November 14, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f. 97 In-House Task Force, Report of Task Group on Government Organization for Collection and Analysis of Statistics, administratively restricted, November 23, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1.
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Bericht, den Posten eines »Director of the Federal Statistical System« einzurichten, sah eine weitere Option vor, ein Datenzentrum im Handelsministerium in Zusammenarbeit mit der Zensusbehörde zu implementieren, wobei das BOB Politik und Programme steuern solle.98 Mit einem Statistikdirektor, der dem Präsidialamt unterstellt wäre, konnte sich die Zensusbehörde nicht anfreunden; umgekehrt wollte das BOB seinen Einfluss nicht verlieren, wenn ein Zentrum im Handelsministerium angesiedelt würde. Die Variante, ein Zentrum innerhalb des Handelsministeriums aufzubauen, gewann an Zustimmung. Planungen liefen, um das Projekt im Jahr 1968 zu starten. Inzwischen unterrichtete Arthur Ross vom BLS Zwick über die Diskussion des Entwurfs vom November und bemängelte, dass der Kaysen-Bericht mit dem Vorschlag, die statistische Datenerhebung zu zentralisieren, über seinen Auftrag hinausgegangen sei.99 Die Empfehlungen aus dem externen Expertenbericht, Datenbestände zusammenzuführen, erschienen unrealistisch, auf eine abgeschwächte Variante konnten sich die Behörden aber auch nicht einigen. Shaw vom BOC empfahl, innerhalb der nächsten Monate einen genauen Entwurf für Anhörungen im Kongress sowie einen Budgetantrag für 1968 oder 1969 zu erstellen.100 Dabei erschien die Finanzierung des Projekts noch als das geringste Problem angesichts der unklaren Verwaltungsstruktur und bestehender Vorschriften, die die Offenlegung von Daten einschränkten. Gleichzeitig war klar, dass am Kongress kein Weg vorbeiführte und die Abgeordneten das Vorhaben absegnen mussten, um die Gelder für den Aufbau eines Datenzentrums freizugeben. Auf den internen Bericht folgte ein Vorschlag der Haushaltsbehörde für ein Datenzentrum, der ebenso nicht an die Öffentlichkeit gelangte und lediglich unter den Behörden diskutiert wurde. Dabei stand etwa zur Debatte, inwieweit ein eigenes Gesetz nötig wäre. Der Vorschlag vom 7. Dezember 1966 sah vor, ein »Federal Statistical Data Center« im Handelsministerium anzusiedeln, während die Haushaltsbehörde einem zwischenbehördlichen Beratungskomitee vorstehen solle. Ziel war es, Datenbestände verschiedener Behörden zusammenzutragen und für statistische Analysen möglichst nützlich aufzubereiten. Die Pläne sollten ausgewählten Kongressabgeordneten präsentiert und im Haushalt für das Jahr 1968 eingeplant werden.101 Wie die Struktur der Verwaltung zugeschnitten sein sollte, bestimmte über Kompetenzen und Macht. 98 Ebd., S. 3 f. 99 Arthur M. Ross to Charles Zwick, Memorandum, November 28, 1966, Folder ›InHouse Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 100 William H. Shaw to Charles J. Zwick, Memorandum, Steps in Preparing A Specific Proposal for the Data Center, November 29, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2 f. 101 Bureau of the Budget, Proposal for Establishment of a Federal Statistical Data Center, administratively restricted, December 7, 1966, Folder ›In-House Task Force 1‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 ff., Zitat S. 1.
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Innerhalb der Regierung stießen diese Pläne für ein Statistikzentrum auf Zustimmung, wie Schultze an Califano berichtete. Schultze kam mit Regierungsmitgliedern überein, ein »National Statistical Data Center«102 innerhalb des Handelsministeriums einzurichten und nah an der Zensusbehörde anzusiedeln. Eine Koordinierungsstelle sollte in der Haushaltsbehörde entstehen, über die das Präsidialamt die Richtung bestimmen könne.103 Das Handelsministerium befürwortete die erneute Studie vom 6. Dezember 1966 für ein Zentrum für Bundesstatistiken, um eine »greater efficiency and effectiveness« in der Organisation der statistischen Programme zu erreichen, und zeigte sich bereit, die Führung zwischen den einzelnen Behörden zu übernehmen. John Connor vom DOC sah mit Bezug auf eine rechtliche Expertise keine Notwendigkeit für eine neue Gesetzgebung, riet aber dazu, den Titel eines »Federal Statistical Data Center« aufzugeben, der mittlerweile stark mit Überwachung konnotiert sei.104 Die Expertise stammte von Robert Giles, der keine rechtlichen Gründe, dafür aber politische Gründe sah, eine Gesetzesvorlage im Kongress einzureichen.105 Der Kompromiss sah also so aus, dass eine Stelle innerhalb des DOC entstehen solle, die aber über eine weitere Stelle im BOB koordiniert werden solle, was im Prinzip eine Fortführung der Doppelstruktur bedeutet hätte. Dabei war bezüglich des Status einer neuen Stelle noch ungeklärt, ob eine zentralisierte Struktur verwaltungsrechtlich möglich wäre, und es blieb offen, ob eine Zentralstelle über nötige Befugnisse für die Datenverarbeitung verfügte. Krueger traute der Einschätzung von Giles nicht und stellte eine dringende Nachfrage an Arthur Focke, Office of General Counsel, ob Daten innerhalb der Verwaltung übermittelt werden dürften: »without data the the center cannot perform its functions«.106 Im Januar 1967 holte Krueger bei Focke eine Expertise zur rechtlichen Grundlage für ein Datenzentrum ein. Focke bemerkte, dass keine generelle rechtliche Grundlage dafür bestehe, dass eine Behörde Daten an ein statistisches Zentrum übermittle. Dazu müsse das Zentrum selbst eine Berechtigung zum Sammeln von Informationen erhalten und wäre damit an die gleichen Auflagen hinsichtlich als vertraulich eingestufter Informationen
102 Vgl. auch: Bowman 1968, Crossroad Choices, S. 811. 103 Memorandum, Charles L. Schultze to [Joseph A.] Califano, December 16, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 104 John T. Connor to Charles L. Schultze, December 22, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 105 Memorandum, Robert E. Giles to Secretary Connor, U. S. Department of Commerce, Legal review of proposed Federal Statistical Data Center, December 22, 1966, Folder ›InHouse Task Force 2‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 4. 106 Paul F. Krueger to Arthur B. Focke, Comment on Giles Opinion, December 30, 1966, Folder ›SPD: FDC Jul.–Dec. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NAMD, S. 1.
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gebunden.107 Demnach hätte der Direktor keine rechtliche Grundlage, um ein Datenzentrum aufzubauen, da in den entsprechenden Gesetzen wie beispielsweise dem Federal Reports Act oder dem Budget and Accounting Procedures Act keine zentrale Behörde zum Sammeln und Herausgeben von Daten vorgesehen sei. Außerdem könnten Daten nicht zu anderen Zwecken als ursprünglich vorgesehen verwendet werden.108 Mit der Frage, wo ein solches Zentrum zwischen Verwaltung und Präsidialamt angesiedelt und wer zuständig sein sollte, befasste sich 1967 unter anderem ein Unterausschuss für Wirtschaftsstatistik.109 Insgesamt blieben viele Fragezeichen bestehen, was den rechtlichen Status einer zentralen Datenstelle anging. Eng verbunden mit der Frage, ob Ministerien und Behörden in beliebigem Maße Daten austauschen oder sogar an eine Zentralstelle übermitteln dürften, war der Streit um privacy. Dieser Konflikt um die möglichen Folgen für individuelle Rechte, die der Betrieb eines Statistikzentrums haben könnte, war längst nicht beigelegt. In einem Brief an Gallagher versicherte Schultze hinsichtlich der Kaysen-Studie, dass ein besserer Zugang zu statistischen Daten im Einklang mit dem »individual’s right to privacy« stehen müsse.110 Das Amt für Statistische Standards veröffentlichte ein Positionspapier, in dem es klarstellte, dass ein »Federal Statistical Center« nur für statistische Berechnungen geplant sei und keine Dossiers oder persönlichen Akten wie etwa vom FBI enthalten solle. Darüber hinaus solle der Kongress das Vorhaben kontrollieren: »insure against invasion of privacy«.111 So einfach war die Trennung zwischen brisanten Ermittlungsakten und neutralen Statistiken natürlich nicht, denn auch Daten etwa über Finanzen, Steuern, Sozialversicherung oder Sozialleistungen konnten ein genaues Bild über eine Person liefern, wenn sie ihr zugeordnet und anschließend zusammengefügt würden. In den Anhörungen zu Computer Privacy unter der Leitung von Senator Long bemerkte Bowman, dass ein Datenzentrum ausschließlich statistischen Zwecken dienen solle und keine Dossiers aus persönlichen Akten angelegt werden sollten.112 Im gleichen Jahr erschien der Bericht des Joint Economic Commit 107 Arthur B. Focke to Paul F. Krueger, Legal basis for transferring information to a statistical data center, January 13, 1967, Box 71, Folder ›In-House Task Force 2‹, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f. 108 Memorandum, Arthur B. Focke to Charles J. Zwick, Legal Authority for a Federal Statistical Data Center, January 17, 1967, Folder ›In-House Task Force 2‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f. 109 U. S. Congress 1967, The Coordination and Integration of Government Statistical Programs, S. 1–4. 110 Charles L. Schultze to Cornelius E. Gallagher, January 9, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 111 Office of Statistical Standards, [BOB], Background Information on ›Proposal‹ for a Federal Statistical Center, January 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 112 U. S. Senate 1967, Computer Privacy, S. 52.
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tee zu Bundesstatistiken, der sich unter anderem mit der Frage befasste: »Would further integration and particularly a national data center present a threat to personal privacy?«113 Diese Frage dominierte die Debatte. Während die Verwaltung an einer Vorlage arbeitete, äußerten sich weitere Interessensgruppen, wie die American Federation of Information Processing Societies, die ein Treffen eines Komitees über Privacy and Government Information Systems anberaumte.114 Im Februar 1967 meldete sich erneut Edgar Dunn zu Wort. Seiner Ansicht nach sei es möglich, ein statistisches System so zu verwalten, dass es nicht als geheimdienstliche Quelle dienen könne, obwohl es eine perfekte Lösung nicht gebe.115 In einem Vortrag vor der Anwaltsvereinigung argumentierte Bowman, dass Information in maschinenlesbarer Form gegen missbräuchliche Verwendung geschützt werden könne, wenn beispielsweise Computerprogramme das Ausdrucken von Daten verweigerten: »There are numerous other ways of restricting identifying codes so that, even within the Center, the identity of the units is restricted«.116 Was zuvor als verwaltungstechnische Frage verhandelt wurde, war zu einem politischen Konflikt herangewachsen. Ein Zentrum galt in Kongress und Öffentlichkeit nicht mehr als Lösungsansatz für Vorgaben der Vertraulichkeit, sondern als Angriff auf die Privatsphäre. Privatsphäre erschien gefährdet, wenn aus verschiedenen Datenbeständen eine vollständige Akte über einzelne Personen angelegt werden könne oder vertrauliche Ermittlungsakten kursierten. Forscher hofften weiterhin darauf, dass ein Datenzentrum statistische Mikrodaten bereitstellen könne. Im Mai 1967 verteidigte Ruggles die Pläne in Anhörungen des Unterausschusses für Wirtschaftsstatistik, wobei er die Vorteile von »matching data« gegenüber den Aggregatdaten der volkswirtschaftlichen Gesamtkostenrechnung hervorhob und für das Erstellen von Zeitreihen, die Computer ermöglichten, warb: »studies of individual behavior over time can be made«.117 Die Aussicht, Datensätze hinsichtlich einzelner Untersuchungseinheiten zu verknüpfen und über einen längeren Zeitraum zu erstellen, bildete von Beginn an einen Antrieb des Projekts. Gleichzeitig stellten solche Verfahren das größte Problem für seine Umsetzung dar, da theoretisch Datensätze über einzelne Personen verknüpft werden konnten. In einem Beitrag für eine Statistikkonferenz erörterte Ruggles die Vorzüge einer Bundesdatenstelle, die Mik 113 U. S. Congress 1967, The Coordination and Integration of Government Statistical Programs, Report, S. 7 ff., Zitat S. 7. 114 Stan Rothman to Charles Zwick, February 2, 1967, Folder ›In-House Task Force 2‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 115 Dunn 1967, The Idea of a National Data Center and the Issue of Personal Privacy, S. 23 ff. 116 Raymond T. Bowman, Address, Federal Bar Association’s Panel of the Committees on Government Information and Electronic Data Processing Retrieval, July 27, 1967, Folder ›In-House TF 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 7. 117 U. S. Congress 1967, The Coordination and Integration of Government Statistical Programs, S. 9.
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rodaten bereitstellen könne, für die Arbeit der Bundesbehörden: »In designing policy, government agencies are also finding the use of micro data very valuable«. Ferner betonte Ruggles die Bedeutung der Statistik für politische Planung, beispielsweise um Steuermodelle zu berechnen.118 Sein Kollege Dunn hob im Journal The American Statistician den Wert von Information hervor: »How can information, which is really the codification of all human knowledge, be made to serve the goal of national development and human enrichment«.119 In solchen Aussagen klang der reformerische und progressive Gestus der Statistiker an, die gesellschaftliche Probleme analysieren und Lösungen anbieten wollten. In der gleichen Ausgabe erschien auch der Bericht des NBS aus dem November 1965. Zu den Vorteilen eines Informationsnetzwerks zählten die Autoren: »better understanding of interdependencies within our pluralistic society, leading to better informed choices among alternative policies and programs, and more effective program implementation«.120 Hierin äußerte sich einerseits ein neues wissenschaftliches Paradigma, das Zusammenhänge zwischen individuellen Merkmalen untersuchte, statt sich auf Bezüge zwischen makroökonomischen Phänomenen zu beschränken. Andererseits war damit eine neue Perspektive auf die Gesellschaft verbunden, die nicht mehr auf Großkategorien wie Klassen oder Schichten fokussierte, sondern Pluralismus und individuelle Situationen berücksichtigte. Der Blick auf die pluralistische Gesellschaft stellte Herausforderungen an politische Planung.121 Gleichzeitig ergaben sich ungeahnte rechtliche Fragen, wenn Behörden Daten über individuelle Merkmale austauschten und untersuchten. Fortschritte in der Informationsverarbeitung schufen Techniken, um Fluktuationen in der Bevölkerung zu beobachten, was für das Streben nach Sicherheit in Hinblick auf solche Unwägbarkeiten wichtig war. Entsprechend beflügelte die Idee einer zentralen Datenbank die zeitgenössische Vorstellung von politischer Planung. In der Verwaltung stieg die Nachfrage nach Daten und Statistiken. Krueger vom OSS errechnete einen gestiegenen Etat für Statistiken, die er einerseits auf ein gestiegenes Interesse an »more and better information« als Grundlage für politische Programme zurückführte, andererseits auf Sozialprogramme. So war etwa eine ausführliche Datenerhebung im Gespräch, um Programme zur Armutsbekämpfung zu planen und zu evaluieren. Beispielsweise sollte das OEO im Jahr 1967 zwei Millionen Dollar zusätzlich für Planung und Machbarkeits 118 Richard Ruggles, Paper for Federal Statistical Users’ Conference, The Role of a National Data Center in Economic Statistics, October 14, 1966, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 6. 119 Dunn 1967, The Idea of a National Data Center and the Issue of Personal Privacy, S. 26 f. 120 Glaser u. a. 1967, The Design of a Federal Statistical Data Center, S. 20. 121 In der Bundesrepublik fand in den siebziger Jahren eine Debatte um ein Personenkennzeichen statt, das in einer vernetzten Datenbank totale und globale Information liefern sollte. Vgl. Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, S. 378.
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studien erhalten.122 Die Vorteile von EDV für die Verwaltung erschienen unbestritten, wie etwa ein Bericht aus dem Januar 1967 von Sam Hughes, BOB, über den Nutzen und das Management von Computern zeigte.123 Autoren erhofften sich vom Computer weitreichende Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Steuerung. Beispielsweise glaubten die Zukunftsforscher Herman Kahn und Anthony Wiener vom Hudson Institute, dass die Gesellschaft zukünftig wie von einem Piloten im Cockpit aus einem einzigen Zentrum heraus gesteuert würde.124 Der Autor Robert MacBride prognostizierte, dass Industrie und Finanzbranche zukünftig sozioökonomische Daten in ein zentrales System einspeisten und die Steuerung der Wirtschaft in Echtzeit ablaufe.125 Solche Bilder finden sich in der öffentlichen Debatte häufig, die anscheinend vom Vorhaben eines NDC inspiriert waren. Aus technischer Sicht ermöglichten Computer eine effiziente Speicherung von Daten sowie weitreichende Prozesse zur Verarbeitung. Zumeist beruhten ökonomische Modelle, die etwa von Theorien von John M. Keynes ausgingen, auf Aggregatdaten.126 Hingegen versprachen Mikrodaten detaillierte Analysen zu bestimmten Merkmalen oder Zeitverläufen. Mit der politischen Praxis hatten solche Visionen nur bedingt zu tun. In einem Brief an Sargent Shriver vom OEO bemerkte William Cannon, BOB, im April 1966, dass ein »central ›data bank‹ program«, das Daten aus über zweihundert Programmen aus sechzehn Behörden sammeln sollte, überdimensioniert und ressourcenintensiv wirke und ein Zusammenhang zum War on Poverty nicht stets erkennbar sei.127 Zwar bildeten Informationen eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen und zur Planung von Programmen, um mit Unsicherheiten umzugehen, doch erschien eine zentrale Datenbank für das Funktionieren der Verwaltung unerheblich. Das Projekt trieben mit der Haushalts- und der Zensusbehörde jene Institutionen voran, die mit der Verarbeitung von Statistiken nicht aber mit der Planung von politischen Programmen betraut waren. Der Wunsch nach einem Datenzentrum überlagerte die Diskussion, wie die Bundesstatistik in Hinblick auf die Aufgaben und die Struktur der Behörden auf eine behutsamere, weniger einschneidende Art und Weise zu reformieren sei. An eine pragmatische Auseinandersetzung darüber war in der Hitzigkeit der Debatte kaum noch zu denken. Gleichwohl beschäftigte diese Frage Verantwortliche im 122 Paul F. Krueger to Carl Kaysen, January 26, 1966, Folder ›SPD: FDC Jan.–Jun. 1966‹, Box 73, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 ff., Zitat S. 2. 123 Phillip S. Hughes, Memorandum for the President, January 31, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 124 Kahn 1967, The Year 2000, S. 96, 351 ff. 125 MacBride 1967, The automated state, S. 123, 131. 126 Desrosières, The politics of large numbers, S. 209; 333. 127 William B. Cannon to Sergent Shriver, April 13, 1966, Folder ›Data Use‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1.
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Präsidialamt. Jetzt griff Califano ein und forderte gangbare Ansätze. Zunächst erkundigte sich Califano über das geplante Panel von Juristen und Statistikern zu Fragen eines »right of privacy«, die sich aus dem »proposal for a national data bank« ergäben, und erwartete von Charles Schultze bis 10. Oktober 1967 einen Fortschrittsbericht.128 Außerdem forderte Califano, bis zum 11. September einen Bericht, wie die Arbeit der Zensusbehörde verbessert werden könne.129 Die Berichte wartete Califano nicht ab und übernahm weiter die Initiative. Einen Tag später, am 18. August 1967, richtete Califano eine weitere task force ein, die sich mit der »Quality of Economic Data for 1968« befassen sollte, und ernannte Arthur Okun, Counsel of Economic Advisers, zum Vorsitzenden. Bis zum 16. Oktober sollte ein Bericht erstellt werden. Eine Kopie des vertraulichen Memorandums ging unter anderem an den Direktor der Haushaltsbehörde und den Handelsminister.130 An Schultze selbst richtete Califano die Bitte, zu untersuchen, wie »the collection, quality, and management of manpower data« verbessert werden könne.131 Diese Schritte können so verstanden werden, als habe Califano das Projekt Datenzentrum fallenlassen. Califano erwartete Vorschläge, um einzelne statistische Dienste zu verbessern, anstatt ein Zentrum aufzubauen. Hingegen arbeitete das BOB weiter an der Idee für ein Datenzentrum und hielt trotz allem an einer weitgehenden Zentralisierung fest.132 Einen Vorschlag, das BLS mit dem Zensus zu fusionieren, lehnte Schultze ab und setzte die Priorität auf ein »data center«.133 Innerhalb einer internen task force übernahm wiederum das OSS die Führung. Die Diskussion darüber, wie Daten über individuelle statistische Einheiten gewonnen werden könnten, ging in die nächste Runde. Krueger sandte ein Memorandum, in dem Details der Datennutzung erörtert wurden und an das ein Gesetzesentwurf angehängt war, an Charles Zwick. Außer rechtlichen Vorgaben zum Schutz der Privatsphäre sollten auch technische Sicherheitsmechanismen für Hardware und Software berücksichtigt werden.134 Bowman fragte 128 Joseph A. Califano to Charles L. Schultze, Memorandum, The White House, eyes only, August 17, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 129 Joseph A. Califano, Jr. to Gardner Ackley and Charles L. Schultze, Memorandum, eyes only, August 17, 1967, Folder ›1/2, FG II-I BOB (1967)‹, Box 17, CF, LBJL, S. 1. 130 Joseph A. Califano, Jr. to Arthur M. Okun, memorandum, eyes only, August 18, 1967, Folder ›FG 600, Task Force Data 1968‹, Box 37, CF, LBJL, S. 1 f., Zitat S. 1. 131 Joseph A. Califano, Jr. to Charles L. Schultze, Memorandum, eyes only, August 18, 1967, Folder ›1/2, FG II-I BOB (1967)‹, Box 17, CF, LBJL, S. 1. 132 Vgl. dazu auch: Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 21 ff. 133 Charles L. Schultze to Joseph Califano, Memorandum, Analysis of proposed merger of BLS and Census, with attachment, October 21, 1967, Folder ›In-House Task Force 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 134 Paul F. Krueger to Charles J. Zwick, What is Needed for Documentation of Proposal for National Data Center, September 21, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1–4.
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Behördenmitarbeiter an, um wichtige statistische Datensätze zu ermitteln, die in einer zentralen Stelle verwaltet würden, wozu David Rosenblatt vom NBS einige Auswahlkriterien übersandte.135 Der Bedarf an konkreten Datenbeständen spielte eine untergeordnete Rolle. Die Devise hieß, erst zu sammeln und dann zu fragen. Eine Aussicht bestand darin, interne Analysen zu erstellen, ohne Daten zu veröffentlichen und damit die individuelle Privatsphäre zu verletzen. In der Folge diskutierten die statistischen Abteilungen in Ministerien und Behörden die mögliche Verarbeitung von Mikrodaten im Rahmen eines Datenzentrums. So sandte etwa Carey Modlin vom Council of Economic Advisers eine Liste von Datensätzen an das BOB, wobei er zwischen »micro« und »macro« unterschied, je nachdem, ob auf individuelle Datensätze zurückgegriffen werden müsse. Dies wäre beispielsweise für »special tabulations« notwendig.136 Auch Vito Natrella, Direktor der Statistikabteilung des IRS, übermittelte eine Liste von Datensätzen, die für statistische Analysen wie »interrelation and collation« von Interesse seien.137 Bei diesen statistischen Verfahren sollten Beziehungen zwischen einzelnen Merkmalen von Untersuchungseinheiten analysiert werden. Unterdessen hatten sich die Arbeitsgruppen, die Califano eingerichtet hatte, mit der Aufgabe befasst, wie die Verarbeitung von ökonomischen Daten verbessert werden könne. Der Ratschlag der Task Force on the Quality of Economic Data lautete schließlich, ein »crash program« über fünf Millionen Dollar im Haushaltsjahr 1969 einzuplanen.138 Schließlich übermittelte Schultze an Califano einen Fortschrittsbericht, einen Gesetzesentwurf sowie den Vorschlag für ein weiteres Panel in Hinblick auf ein Datenzentrum.139 Die Gesellschaft durchzogen demnach vielfältige Zusammenhänge, so dass Daten eine gewisse Sicherheit bei Entscheidungen ermöglichen sollten. In Hinblick auf die Frage, ob ein Datenzentrum wünschenswert erschiene, erachtete Zwick in einem Vortrag bei einem Treffen des Anwaltsverbandes gesellschaftliche Ziele als wichtigen Faktor, wie »Equity in tax policy, elimination of poverty, social advancement«.140 Diese 135 Dave Rosenblatt and Ezra Glaser to Raymond Bowman, Memorandum, October 20, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records, 1940–1968, NA-MD, S. 1. 136 C. P. Modlin to Raymond T. Bowman, Memorandum, Series to be included in the proposed Federal Data Center, October 9, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 137 Vito Natrella to Raymond T. Bowman, Memorandum, Task Force on Selection of Statistical Series, October 9, 1967, Folder ›SPD: NDC 1967‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 138 Joseph A. Califano to Charles L. Schultze, Memorandum, November 22, 1967, Folder ›Quality of Economic Data‹, Box 24, TFR, LBJL, S. 1. 139 Charles L. Schultze to Califano, Memorandum, Statistical Data Center proposal, attachments, November 29, 1967, Folder ›In-House Task Force 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 140 Charles J. Zwick, [BOB], Address, Annual Meeting of the American Bar Association, A National Data Center, August 8, 1967, Folder ›In-House TF 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 12.
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Punkte waren allesamt Teil der liberalen politischen Agenda, der es aber häufig nicht bloß an Information, sondern vor allem an Ressourcen mangelte. Zwick riet allerdings dazu, das Vorhaben in der nächsten Legislaturperiode einzubringen, da das Thema im Wahljahr zu heikel sei: »Given the emotion associated with the privacy issue, I doubt that we should make an attempt to win congressional approval during an election year«.141 Politisch erschien das Projekt vorerst nicht mehr umzusetzen. Die Strategie war daher, die Debatte auszusitzen. Innerhalb der Verwaltung verschob sich der Schwerpunkt von der Idee eines zentralen Datenpools hin zu einem zentralen statistischen Dienst. Spät besann sich die Verwaltung auf ihre eigenen Interessen. Anfang 1968 arbeitete Krueger ausschließlich an der Dokumentation für »Federal Statistical Service Center Plans«.142 Inzwischen erkundigte sich auch der Abgeordnete Gallagher nach einem »new plan for a National Data Center«, den die Haushaltsbehörde erarbeite.143 Daraufhin teilte Zwick mit, dass die Behörde konkrete Pläne verfolge, es allerdings unwahrscheinlich sei, dass noch in diesem Kongress ein konkreter Vorschlag vorliege.144 Für die nächste Legislaturperiode existierte mittlerweile ein weiterer Entwurf einer Gesetzesvorlage für das Jahr 1969. Diese gehörte zu einem erneuten Plan des BOB, ein »Federal Statistical Service Center« zu etablieren. Laut Krueger sollten andere Behörden eingebunden, ein Panel außerhalb der Regierung befragt sowie ein Gesetz für die 91. Legislaturperiode des Kongresses in Hinblick auf den Haushalt für 1970 erstellt werden.145 Wie Bowman ausführte, sollte das Zentrum keine Information enthalten, mit der Personen identifiziert werden könnten, wie Sozialversicherungsnummer oder »Employer Identification number«, um auf diese Weise die Funktion, Dossiers zu erstellen, auszuschließen.146 Dieser Kompromiss, um »invasion of privacy« zu verhindern, schränkte allerdings erheblich die Funktion des Zentrums ein
141 Charles J. Zwick to The Director, BOB, Memorandum, The Proposed National Data Center, November 10, 1967, Folder ›In-House Task Force 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 142 Raymond T. Bowman to The Director, Proposal for Development of Federal Statistical Service Center Plans, February 20, 1968, Folder ›SPD: NDC 1968‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f., Zitat S. 1. 143 Cornelius E. Gallagher to Charles Zwick, February 27, 1968, Folder ›SPD: NDC 1968‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 144 Charles J. Zwick to Cornelius E. Gallagher, March 21, 1968, Folder ›SPD: NDC 1968‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 145 Paul F. Krueger to Raymond T. Bowman, Proposal to Establish a Federal Statistical Service Center, May 16, 1968, Folder ›In-House Task Force 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1 f. 146 Raymond T. Bowman to The Director, Proposal for Development of Federal Statistical Service Center Plans, February 20, 1968, Folder ›SPD: NDC 1968‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1.
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wie etwa »matching or linkage operations«, wie es in einer Studie hieß.147 Ohne die Möglichkeit, Datensätze zu verknüpfen, waren Statistiker wieder auf makroökonomische Analysen zurückgeworfen. Unter anderem sollte das BLS statistisches Material zum Arbeitsmarkt, die FTC zur Industrie sowie der IRS zum Einkommen beisteuern. Allerdings sollten keine »dossiers« oder »case files« enthalten sein, die als »sensitive« eingestuft würden, was das Risiko einer »invasion of privacy by improper use and disclosure of information« reduzieren würde.148 Um den Wert von Information zu erschließen, wollte das BOB Standards für Datensätze schaffen, um diese zu integrieren und technische Möglichkeiten zu eröffnen, die einheitliche und detaillierte Datenarchive versprachen. Bei den statistischen Operationen »Matching or Linkage« wurde entweder ein »longitudinal matching«, eine Zeitreihe aus aufeinanderfolgenden Berichten, oder ein »cross file matching« erstellt, das Berichte aus verschiedenen Quellen anhand individueller Einheiten verknüpfte.149 Um solche Operationen in Zukunft zu ermöglichen, empfahlen die Autoren des Reports »identification codes«, die Personen oder Firmen bezeichnen, einzuführen. In einem »index« sollten diese Codes den Namen, Adressen sowie Sozialversicherungs- oder Arbeitgebernummern zugeordnet werden.150 Dieses Verfahren hätte die Datensätze quasi anonymisiert, wäre aber nicht umhingekommen, eine Zuordnungstabelle zu einzelnen Personen zu führen. Verknüpfte Datensätze ermöglichten komplexe statistische Analysen, doch darin lag auch die Crux, da die dafür erforderlichen Mikrodaten Restriktionen unterlagen. Die zuständigen Stellen arbeiteten mit Hochdruck an dem Vorhaben eines statistischen Dienstes, den sie noch innerhalb der aktuellen Regierung in trockene Tücher bringen und erst später vom Kongress absegnen lassen wollte. Der Kongress stellte sich gegen das Projekt, wie es in den vorausgegangenen Berichten dargestellt wurde. Im August 1968 erschien der Bericht des Repräsentantenhauses, worin die Autoren empfahlen, das Projekt vorerst ruhen zu lassen: »no work to be done to establish the national data bank until privacy protection is explored fully and guaranteed to the greatest extend«.151 Das aktuelle Vorhaben war nicht Gegenstand des Berichts. Laut BOB sollten Standards entwickelt werden »for maintenance of confidentiality of statistical data and safeguarding rights of personal privacy«.152 Bis Ende des Jahres 1968 arbeitete 147 Proposal for Establishment of the Federal Statistical Service Center, [May 16, 1968], Folder ›In-House Task Force 4‹, Box 71, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 2 f., Zitat S. 3. 148 Ebd., S. 7 f. 149 Ebd., S. 27. 150 Ebd., S. 30. 151 U. S. House of Representatives 1968, Privacy and the National Data Bank Concept, S. 6. 152 Raymond T. Bowman to The Director, A Budget Bureau Program for Improvement in Storage of and Access to Statistical Data in FY 1970, with attachment, October 9, 1968, Folder ›SPD: NDC 1968‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1.
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das BOB an einer Verwaltungsvorlage, ohne zu einer rechtlichen Lösung zu gelangen. Insbesondere Regeln zu Vertraulichkeit stellten eine rechtliche Hürde dar. In der Debatte stand der Schutz der Privatsphäre im Mittelpunkt, seit sich der Kongress der Angelegenheit angenommen hatte. Befürworter des Projekts gerieten darüber in die Defensive. Im Oktober 1968 entstand schließlich ein behördeninternes Arbeitspapier dazu, wie die Bundesstatistik zu reorganisieren sei, wonach jede statistische Behörde über maschinenlesbare Akten, die nach einem bestimmten Schema organisiert wären, verfügen solle. Um dies zu realisieren, sollten Indices erstellt, die Lagerung geklärt, Standards eingeführt sowie einzelne Datensätze integriert werden. Es zeichnete sich ab, dass die Regierung keinen offiziellen Vorschlag für ein »national data center« machen würde. Die Bemühungen beliefen sich nunmehr auf einen Posten für das Haushaltsjahr 1970 für ein »Budget Bureau Program for Improvement in Storage of and Access to Statistical Data«, wie Bowman an den Direktor schrieb. Die früheren Vorschläge einer zentralen Stelle sowie die Ausgabe von Daten an Nutzer waren ausdrücklich ausgenommen: »Opposition to the data center idea has focused almost exclusively on the dangers to privacy attendant to the centralization of data. This proposal would leave data decentralized for the time being«.153 Damit war das Vorhaben wieder auf den Ausgangspunkt zurückgekehrt, wie die Speicherung und der Zugang zu statistischen Daten verbessert werden könne, allerdings innerhalb der Verwaltung. Das Argument für ein Datenzentrum, dass dieses für politische Entscheidungen und Planung von Nutzen wäre, fand verschiedene Fürsprecher. So nannte die Harvard Law Review als Vorzüge der Studie von Kaysen unter anderem ein »effective program planning« sowie Vorteile für Unternehmen und Forschung. Ferner müsse sich der Staat mit einem föderalen Datenzentrum den Aufgaben in einer »increasingly complex society« stellen.154 Diese Ansicht kam auch in einem Nachschlagewerk der Kongressbibliothek zum Ausdruck, worin die Autoren eine wachsende Größe und Komplexität des Landes erkannten und daher ein Dilemma ausmachten, ob Datenbestände in EDV-Anlagen zentralisiert werden sollten oder dies die Privatsphäre bedrohe. Schließlich würden die Datenbestände zur Programmplanung benötigt: »data requisite to the proper planning of programs essential to national development«.155 Die einzelnen Analysen glichen sich stark. Einerseits betonten Autoren, wie dringlich Daten benötigt würden, wie wichtig aber andererseits der Schutz individueller Rechte sei. »The need for many types of data is very real, and their availability to planners and researcher specialists becomes more and more imperative«, hieß es in Law and 153 Ebd., S. 1 ff., Zitat S. 2. 154 Note 1968, Privacy and Efficient Government, S. 400, 417. 155 The Library of Congress Legislative Reference Service, The Federal Data Center, Proposals and reactions, Robert L. Chartrant, June 14, 1968, Folder 5079, Box 420, SSRC records, Acc. 2, Ser. 1, Subser. 74, Misc., RAC, S. 2.
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Computer Technology, »Equally critical is the preservation of individual freedom and privacy«.156 In einem Artikel listeten Jack Sawyer und Howard Schechter von der Northwestern University die Vorteile für die Statistik auf, zu denen der Zugang zu repräsentativen Daten, replizierbare und überprüfbare Analysen oder das Erstellen von vergleichbaren und umfassenden Variablen zählten: »a national data center necessarily has the clear potential to be used not only for administrative planning and basic research, but also as a means for evaluating the citizenry«.157 Diese Diagnosen im Jahre 1968 konnten die Debatte um ein Datenzentrum nicht mehr wiederbeleben. Am Alltag in Behörden und Ministerien ging das Vorhaben vorbei, da es keine Anzeichen dafür gab, dass die einzelnen Ressorts überfordert seien und eine zentrale Datenstelle erhofften. Längst arbeiteten hier Fachleute mit Technologien der Datenverarbeitung. Die Pläne steckten in einer Zwickmühle zwischen Privatsphäre und Effizienz, wie die Washington Post, Times Herald titelte.158 Der Entwurf für ein Gesetz erreichte nie den Kongress.159 Einen Strich durch die Rechnung machte spätestens der Ausgang der Wahlen, die eine neue Regierung mit neuem Personal in Schlüsselpositionen brachten. Die Debatte hatte die Themen »privacy, computers, and government information practice« auf die politische Agenda gerückt.160 Schon in der damaligen Literatur galt das geplante Datenzentrum als Hinweis für einen möglichen Schaden, den Privatsphäre an Computern nehmen könne, wie etwa in der klassischen Studie Privacy and Freedom von Alan Westin.161 In der Debatte erfuhr privacy einen Bedeutungswandel. Im Gegensatz zum Konflikt um Überwachung überschritten hier staatliche Stellen nicht eine Schwelle zum privaten Haus, um an Fakten zu gelangen, die sie nur in richterlich begründeten Ausnahmefällen etwas angingen. Auch drohte der einzelnen Person nicht, in ihrer Privatheit in öffentlichen Medien zur Schau gestellt zu werden. Verhandelt wurden vielmehr Regierungspraktiken, wie Daten verwaltet und welche Regeln dabei eingehalten werden sollten, also inwieweit Gouvernementalität eine Begrenzung in Privarität erfuhr.
156 Chartrand 1968, The Federal Data Center, S. 19. 157 Sawyer / Schechter 1968, Computer, Privacy, and the National Data Center, S. 814. 158 Editor 8.12.1968, The Washington Post, Times Herald, S. E2. 159 Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 22. 160 Regan, Legislating privacy, S. 73. 161 Westin 1967, Privacy and freedom, S. 317.
5. Ermittlungspraktiken im Fokus
Abb. 10: Attorney General Clark stand Abhörmaßnahmen kritisch gegenüber. Das Foto vom 15. Dezember 1966 zeigt Clark, damals Deputy Attorney General, bei einer Ausstellungseröffnung. Courtesy National Archives (64-NA-2978).
Um einen Zustand der Sicherheit herzustellen, griffen Ermittler auf verschiedene Praktiken und Techniken zurück, um Verdächtige zu überwachen, deren Gespräche abzuhören, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen oder ihre Korrespondenz zu kontrollieren. Außer dem FBI übernahmen verschiedene Bundesorgane wie etwa die Steuerbehörde Ermittlungsaufgaben. In der Bevölkerung verbreitete sich ein Gefühl der Unsicherheit. Die landesweite Kriminalitätsrate stieg in den sechziger Jahren um 176 Prozent an, was sich dann in den siebziger Jahren fortsetzte; so verdoppelte sich zwischen 1963 und 1975 die Mordrate, und auch der Handel mit Betäubungsmitteln wuchs.1 Angesichts dieser Entwicklung sah sich die Regierung dem Druck der konservativen Opposition, die eine Politik
1 Zeitz, Building the great society, S. 240.
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von »law and order« favorisierte, ausgesetzt.2 Zwar glaubte Präsident Johnson, dass Gewalt und Verbrechen in den Städten mit einer ausgebauten Sozialpolitik zu begegnen sei, welche die Ursachen für Kriminalität adressierte; doch in der Politik überwog das öffentliche Sicherheitsbedürfnis. Im Wesentlichen war Strafverfolgung eine Sache der einzelnen Bundesstaaten und Kommunen, darüber hinaus wollte Johnson mit zentralstaatlichen Mitteln das lokale Justizsystem verbessern, Programme zur Strafverfolgung aufbauen sowie Forschungs- und Ausbildungsstätten fördern.3 Gleichzeitig stand zur Debatte, wie Ermittlungspraktiken mit individuellen Rechten zu vereinbaren seien. So nahmen Ausschüsse im Kongress die Arbeit der ermittelnden Behörden unter die Lupe, und die Regierung arbeitete an einem Kriminalitätsgesetz, das Regeln enthalten sollte, unter welchen Voraussetzungen und Verfahren Ermittler beispielsweise Telefonate abhören durften. Spätestens mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs war klar, dass der Gebrauch von Überwachungstechnik zu klären war. In diesem Kontext wurde der Anspruch auf privacy verhandelt, den Experten theoretisch weiterentwickelten und rechtlich fundierten.
5.1 Aktivitäten der Bundesbehörden: »Interception of telephone conversations as a general investigative technique« Mehrere Bundesbehörden ermittelten gegen Personen und setzten dabei auf Technologien. Ob es sich um Steuerdelikte, Medikamentenmissbrauch oder das Durchleuchten von Personal handelte: Das Bedürfnis nach Sicherheit stand an vorderer Stelle. Ein Konflikt um privacy erschien vorgezeichnet. Präsident Johnson hatte, wie schon erwähnt, seine ablehnende Haltung gegen Abhörmaßnahmen bekundet: »I am strongly opposed to the interception of telephone conversations as a general investigative technique«.4 Daher sollte Bundespersonal keine Telefonate ohne Einverständnis einer der Beteiligten mithören, und es sollte die Erlaubnis des Attorney General eingeholt werden müssen. Die Behörden waren aufgefordert, ihre Praktiken und Verfahren an die Anweisungen anzupassen. Die Berater Califano und White arbeiteten an einem Positionspapier und schlugen als Alternativen vor, staatliche Abhöraktionen zu erlauben, sämtliche Telefonüberwachung zu unterbinden oder diese unter strengen Auflagen zu genehmigen – Präsident Johnson votierte für ein generelles Verbot.5 2 Woods, Prisoners of hope, S. 12. 3 Ders., LBJ, architect of American ambition, S. 746. 4 Lyndon B. Johnson, Memorandum for the heads of executive departments and agencies, June 30, 1965, Folder ›JL‹, Box 60, CF, LBJL, S. 1 f., Zitat S. 1. 5 Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 747.
Ermittlungspraktiken im Fokus
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Eine Reihe von Ausschüssen im Kongress unter dem Vorsitz von Senator Long, dem Abgeordneten Gallagher sowie Senator Ervin gingen den Praktiken der Behörden und Ministerien nach. Das Subcommittee on Administrative Practice and Procedure untersuchte ab 1965 Vorwürfe einer behördlichen »invasion of privacy«. Wie Senator Long eingangs bemerkte, stammte der Vorwurf nicht genehmigter und unnötiger Aktionen von Behördenmitarbeitern selbst sowie von Stimmen aus der Öffentlichkeit.6 Bei der Recherche ging das Personal des Komitees einfach der Frage nach, welche elektronischen Apparate, die zum Abhören von Gesprächen dienen konnten, Behörden angeschafft hatten, die daraufhin nach Auskunft über den Gebrauch solcher Apparate gebeten wurden.7 Die Ausgangslage gestaltete sich also so, dass Präsident und Kongress individuelle Rechte stärken wollten, während Behörden darauf bestanden, dass der Einsatz technischer Mittel zur Überwachung notwendig sei, um die Einhaltung von Recht und Gesetz sicherzustellen. Insbesondere die Bundessteuerbehörde IRS, stand in der Kritik. Laut Commissioner Sheldon Cohen befand sich die Behörde Ende 1965 seit einigen Monaten »almost in a state of war« mit dem Senatsausschuss.8 Senator Long hatte die Behörde ins Visier genommen und beschuldigte den Direktor, die Rechte der Steuerpflichtigen zu missachten. Gegenüber dem Weißen Haus rechtfertigte Cohen die Praktiken der Behörde, da es seiner Ansicht nach kein rechtliches Fehlverhalten bei Abhörmaßnahmen gebe: »the Service is simply not wiretapping wrongly«.9 Ein handschriftlicher Vermerk von Präsident Johnson ordnete an, dass die Behörde elektronische Überwachung sowie Abhörmaßnahmen unterlassen solle: »Sheldon, stop it all at once, and this is final – no microphones – taps or any other hidden devices, legal or illegal if you are going to work for me«.10 In Anhörungen äußerte sich Cohen zu Fällen, in denen Ermittler der Steuerbehörde illegale Abhörmaßnahmen getätigt hatten, und bekannte sich im Allgemeinen zu einem »individual’s right to privacy« im Sinne von Richter Brandeis, das aber in einem Konflikt zu gesellschaftlichen Interessen stehe. Insgesamt zeigte sich die Behörde begrenzt kooperativ mit dem Kongress, da sich Cohen mit Hinweis auf Vertraulichkeit weigerte, beglaubigte Aussagen von Ermittlern zu Abhörmaßnahmen an das Komitee weiterzugeben, woraufhin Senator Long von Vertuschung sprach.11 Ähnlich wie beim Thema Datenschutz gerieten das 6 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), S. 1. 7 Cappello, None of your damn business, S. 149. 8 Sheldon S. Cohen, Memorandum for Marvin Watson, November 30, 1965, Folder ›JL‹, Box 60, CF, LBJL, S. 1. 9 Sheldon S. Cohen, Memorandum for Marvin Watson, May 27, 1966, Folder ›JL 12/12/63–7/3/67‹, WHCF, EX JL, Box 1, LBJL, S. 3. 10 Zitiert nach: Woods 2006, LBJ, architect of American ambition, S. 747. 11 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 3, S. 1120 ff., Zitat S. 1122.
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staatliche Geheimhaltungsinteresse mit dem individuellen Anspruch auf Privatsphäre in Konflikt. Es kam zu einem offenen Schlagabtausch zwischen Steuerbehörde und Senat. Einerseits wuchsen zentralstaatliche Aufgaben, und Vergehen wie Steuerhinterziehung erforderten aus Behördensicht ein Durchgreifen mit verfügbaren Mitteln. Sicherheit ging vor. Andererseits sollten Freiheitsrechte wie Privatsphäre gewahrt bleiben. Laut einem Manual vertrat der IRS die Position, elektronische oder mechanische Ermittlungstechnik kontrolliert einzusetzen. Zu solcher Ausrüstung gehörten etwa Miniatursender, Aufnahmegeräte bzw. halbdurchsichtige Spiegel zur Observierung. Auf diese Techniken durften lediglich Ermittler in Strafsachen zurückgreifen, wozu eine Genehmigung der Ermittlungsabteilung bzw. der Aufsichtsperson in der Abteilung für Alkohol- und Tabaksteuern nötig sei.12 Laut Cohen setzten Ermittler der Behörde technisches Equipment ein, um Steuervergehen aufzudecken und organisierte Kriminalität wie etwa illegales Glückspiel zu bekämpfen, wobei vereinzelte Fälle aufgetreten seien, in denen Ermittler rechtliche Grenzen überschritten hätten, wovon die Führung nichts gewusst habe.13 Aus Sicht von Kongressmitgliedern herrschte ein Wildwuchs von Praktiken, den es zurückzuschneiden galt. Beamte aus den Bundesbehörden glaubten, dass ein Einsatz von elektronischer Überwachung nötig sei, etwa zur Verfolgung von Gesetzesverstößen oder Straftaten. Beispielsweise führte George Larrick, Kommissar der FDA, aus, dass die Behörde elektronische Sender und Aufnahmegeräte einsetzte, um den illegalen Handel mit Medikamenten aufzuklären. Schätzungen zufolge würde etwa die Hälfte der verkauften Präparate von Schlafmitteln und Aufputschmitteln auf dem Schwarzmarkt vertrieben.14 Die rechtliche Situation der Verfolgung von illegalem Handel erschien überarbeitungsbedürftig, da es keine genauen Antworten darauf gab, wie Ermittler neuere technische Methoden anwenden dürften. Laut Lee Loevinger, Kommissar der Federal Communications Commission (FCC), leite die Kommission Verstöße gegen den Federal Communications Act, der das Abhören von nicht öffentlicher Kommunikation über Telefonleitungen oder Funk untersagte, an das Justizministerium weiter.15 Die Behörde zeigte sich für technische Standards, die den Gebrauch von Überwachungstechnik regulierten, zuständig. Grundsätzlich beteuerte Kommissar Loevinger im September 1966, dass die Behörde das »right to privacy in private communications« achte. Inzwischen hatte die FCC Regeln erarbeitet, wonach Abhörmaßnahmen mit Geräten, die mit Radiowellen funktionierten, verboten wurden. Ausnah 12 Internal Revenue Service, Manual Supplement No 93G-56, February 4, 1966, Folder ›JL 12/12/63–7/3/67‹, Box 1, WHCF, EX JL, LBJL, S. 1, 4. 13 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 3, S. 1123 ff. 14 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 2, S. 387 ff. 15 Ebd., S. 839 ff.
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men von dem Verbot bestünden wiederum für Gesetzeshüter, die diese Technik ordnungsgemäß einsetzten. Ferner sei das Problem von Abhörtechniken nicht gelöst, wenn Frequenzen jenseits von Radiowellen oder Amateurfunk genutzt würden.16 Eine simplere Technik bestand in der Überwachung von Postsendungen, wobei entweder Absender und Adressaten überprüft oder Umschläge sogar geöffnet wurden. Wie Henry B. Montague, Chief Postal Inspector, darlegte, käme ein »mail cover« lediglich in strafrechtlichen Ermittlungen zum Einsatz. Dieses Vorgehen sei legal, da lediglich die Informationen auf dem äußeren Umschlag erfasst würde: »such matter is not considered or intended to be private«.17 Das Öffnen von Briefen, genannt »mail levies«, wurde im Zuge der Anhörungen gesetzlich verboten.18 Offenbar griffen verschiedene Praktiken der Behörden in die Vertraulichkeit von Postsendungen sowie von Gesprächen ein. Technologische Innovationen wie elektronische Abhörmittel verschärften die Kontroverse um privacy und Überwachung. Doch im Kampf gegen den illegalen Handel mit Medikamenten oder Steuerhinterziehung stand der Bund in der Pflicht, Ermittlungsergebnisse zu liefern. Parallel zu den Anhörungen von Senator Long untersuchte der Abgeordnete Gallagher ab 1965 Ermittlungspraktiken, die in die Privatsphäre eindrangen. Die Privatsphäre der Bürger war nach Ansicht Gallaghers sogenannten Schnüfflern in Staat und Industrie ausgesetzt, die auf neuartige Methoden zurückgriffen. Die Themen der Anhörungen reichten von Datensammlung der Bundesbehörden über psychologische Tests von Angestellten bis hin zu elektronischen Abhörmaßnahmen.19 Persönlichkeitstests waren auch im kommerziellen Sektor ein florierendes Geschäft, mit dem beispielsweise Arbeitgeber ihren Bewerbern auf den Zahn fühlten und dabei manchmal den Umweg über das Auskundschaften von dessen Ehefrau oder Verlobter gingen. Beliebt war insbesondere das Minnesota Multiphasic Personality Inventory.20 Mit den Methoden zur Überprüfung von Personal befasste sich Senator Ervin im September und Oktober 1966 und sagte, dass den Bundesangestellten grundlegende Rechte verwehrt würden, was eine gesetzliche Regelung erfordere. Der Bund stehe dabei als Modell für das gesamte Land in Hinblick auf ordentliche Verfahren, »privacy and human dignity« sowie eine Beurteilung nach Qualifikation. Absagen würden demnach bisher aus Gründen von Loyalität und Sicherheit erteilt, Behörden setzten Polygraphen als
16 U. S. Senate 1966, Invasions of Privacy (Telephone Systems), Part 6, S. 2710 ff., Zitat S. 2705. 17 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), S. 66 f., Zitat S. 67. 18 U. S. Senate 1966, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 4, S. 1645. 19 U. S. House of Representatives 1966, Special Inquiry on Invasion of Privacy, S. 7. 20 Igo, The known citizen, S. 136 f.
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Lügendetektoren ein, und Ermittlungen reichten bis in die Privatsphäre.21 Im Repräsentantenhaus erläuterte John Macy von der Civil Service Commission, in welchem Umfang Persönlichkeitstests an Personal in bestimmten Bundesbehörden durchgeführt wurden.22 Abermals war Sicherheit das Ziel, für das Ermittler in die Privatsphäre eindrangen, psychologische Test durchführten, massenweise Daten sammelten oder Personen abhörten. Privatsphäre wurde als Kontrolle über Kommunikation verhandelt: »The right to privacy includes more than simply the right to be let alone«, schrieb Vize präsident Hubert Humphrey in einem Vorwort zu »The Intruders«: »Its most important characteristic is in exercising control over the number of participants in our communication«.23 Privatsphäre implizierte hier nicht, dass sich eine Person einigelte und nichts von sich preisgab, sondern darüber entschied, wem sie etwas mitteilte. Die verfassungsrechtlichen Begründungen reichten dabei von Meinungsfreiheit, die sich erst mit einer starken Privatsphäre der Bürger entfalte, bis hin zum Schutz vor willkürlichen Durchsuchungen. Dabei standen weder das Wesen noch der Gegenstand von Privatsphäre fest, sondern diese wurden weiterverhandelt. »The right to privacy is a developing concept«, wie Speiser von der ACLU bemerkte.24 Die Organisation erachtete eine Reihe von Technologien und behördlichen Praktiken als Gefahr für die Privatsphäre. Speiser verstand es etwa als »invasion of privacy«, wenn Bundesbehörden psychologische Tests einsetzten, und sprach sich dafür aus, auf Lügendetektoren zu verzichten.25 Auch der Abgeordnete Gallagher bezeichnete den Einsatz von Lügendetektoren als »blatant invasion of privacy«.26 Noch 1973 wertete die ACLU den Einsatz von Lügendetektoren als einen Eingriff in die Privatsphäre.27 Ferner kritisierte die Organisation, dass Behörden das Briefgeheimnis verletzten. Speiser sprach sich im Namen der ACLU gegen die oben erwähnten »mail covers« aus, bei denen die Postbehörde Informationen über Absender, Empfänger und abonnierte Publikationen ermitteln konnte. Wegen dieser Praxis seien Individuen in ihrer Korrespondenz gehemmt, da sie befürchteten, dass eine zentralstaatliche Akte darüber angelegt würde. Die Organisation sei darüber besorgt, dass »rights of privacy« der US-Amerikaner mit fraglichen Mitteln eingeschränkt würden, und gegen solche Methoden nicht vorgehen könnten, da Personen von einer Verletzung ihrer Privatsphäre häufig nichts wüssten.28 So unterschiedliche Bereiche 21 U. S. Senate 1967, Privacy and the Rights of Federal Employees, S. 3 ff., Zitat S. 3. 22 U. S. House of Representatives 1966, Special Inquiry on Invasion of Privacy, Part 2, S. 2 ff. 23 Long 1967, The intruders, S. vii. 24 U. S. House of Representatives 1966, Special Inquiry on Invasion of Privacy, S. 25. 25 U. S. Senate 1967, Privacy and the Rights of Federal Employees, S. 206 f., Zitat S. 207. 26 Regan, Legislating privacy, S. 151. 27 Baesler, Clearer than truth, S. 214, 219. 28 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), S. 300 f., Zitat S. 300.
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wie psychologische Test oder das Überwachen von Postsendungen wurden unter Privatsphäre subsummiert. Es ging weniger darum, eine private von einer staatlichen Sphäre abzugrenzen, sondern es wurden die Grenzen von Regierungspraktiken neu gezogen.
5.2 Ein Kriminalitätsgesetz entsteht: »A reflection of the fears, frustration and politics of the times« Der Kurs der Regierung, wie mit Abhörmethoden umzugehen sei, war noch nicht festgelegt und intern umstritten. Justizminister Katzenbach verfolgte zunächst einen pragmatischen Kurs, der den Ermittlungsbehörden eine akustische Überwachung unter juristischen Auflagen erlauben sollte. Katzenbach wertete »Wiretapping« als gravierende »invasion of privacy«, so dass das Abhören von Telefonaten ohne richterlichen Beschluss nach Ansicht des Justizministeriums nur in Fällen der nationalen Sicherheit infrage kommen solle.29 Weiterhin argumentierte Katzenbach, dass es unter gewissen Bedingungen und Verfahren gerechtfertigt sei, die »privacy of phone calls« zu verletzen und Ermittlern ein Eindringen in die »privacy of the home and person« zu ermöglichen.30 Das Abhören von Telefonaten war eine Praktik, über die Zeitungen häufig berichteten und die deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung stand. So meldeten Zeitungen im Dezember 1966, dass die Regierung Botschaften in der Hauptstadt Washington abhörte. Diesbezüglich schlug der neue Attorney General Ramsey Clark vor, auf Anfragen von Reportern zu antworten, dass Präsident Johnson von diesen Praktiken nichts wisse und den Attorney General angewiesen habe, lediglich in die nationale Sicherheit betreffenden Fällen Abhörmethoden zu billigen.31 Nationale Sicherheit lautete das Argument stets, wenn Behörden in Erklärungsnot gerieten, da ihre Ermittlungstaktiken in der Kritik standen. Über die genauen Aktivitäten der Behörden war wenig bekannt. Auch das FBI hatte in Strafsachen auf Mittel zur elektronischen Überwachung zurückgegriffen, wozu Clark eine Untersuchung anordnete. Laut FBI-Direktor Hoover hatte der frühere Justizminister Robert Kennedy die Maßnahmen angeordnet, der wiederum behauptete, Abhörmaßnahmen nur in Fragen der nationalen Sicherheit genehmigt zu haben.32 An der nationalen Sicherheit kristallisierten sich Konflikte um Überwachung, die in den siebziger Jahren an Intensität gewinnen sollten, 29 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 3, S. 1155. 30 Nicholas Katzenbach, Memorandum for Joseph A. Califano, January 28, 1966, Folder ›LE / JL‹, WHCF, LE, Box 79, LBJL, S. 2. 31 Ramsey Clark, Memorandum für Jake Jacobsen, December 5, 1966, Folder ›JL‹, Box 60, CF, LBJL, S. 1. 32 Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 748.
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bis das Argument in den Watergate-Jahren sogar als Vorwand der Vertuschung von Machtmissbrauch diente. Ein Gesetz auf Bundesebene sollte das Problem der wachsenden Kriminalität angehen. Präsident Johnson äußerte sich in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 1967 zu dem Thema, wie Kriminalität zu bekämpfen sei, bekannte sich aber zum Recht auf Privatsphäre. Diesbezüglich unterstützte Johnson den Right of Privacy Act, der eine weitreichende Begrenzung von Abhörmaßnahmen beinhaltete. Das Gesetz scheiterte aber im Senat, nachdem unter anderem die Kommission zur Kriminalitätsbekämpfung empfohlen hatte, Regeln für den Einsatz elektronischer Überwachung zu erlassen.33 Zur Kriminalitätsbekämpfung warb die Regierung für den Entwurf eines Safe Streets Act. In einem Brief an Senator Michael J. Mansfield, Demokrat aus Montana, schrieb Präsident Johnson, dass die Polizei schlecht ausgerüstet und überfordert sei, während das Verbrechen grassiere und Angst und Schrecken verbreite. Zwar sei die Strafverfolgung eine lokale Aufgabe, doch könne der Bund die einzelstaatlichen und kommunalen Behörden unterstützen.34 Dies bedeutete einen Wandel im Staatsgefüge, indem zentralstaatliche Kompetenzen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung ausgeweitet würden. Den Bundesstaaten sollten Fördermittel des Bundes für Planung und Verbesserungen bereitgestellt werden. Im abschließenden Gesetz zur Kriminalitätsbekämpfung behielt der Kongress jedoch einige Bundesmittel ein, die nach dem Willen der Regierung lokalen Polizeikräfte zugutekommen sollten, und errichtete darüber hinaus eine vom Justizministerium unabhängige »Law Enforcement Administration«, um Fördermittel an Bundesstaaten zu vergeben.35 Hand in Hand mit einem verstärkten Engagement des Staates, Kriminalität zu bekämpfen, ging eine Debatte um staatliche Kompetenzen, wobei der Gesetzgeber über Regeln zur Überwachung im Kriminalitätsgesetz stritt. Im August 1967 debattierte das Justizkomitee im Repräsentantenhaus den Regierungsentwurf, fügte aber einige Änderungen bezüglich von Fördergeldern hinzu.36 Zur Diskussion für ein Kriminalitätsgesetz standen im September 1967 der Entwurf der Regierung, ein von den Republikanern unterstützter Entwurf im Repräsentantenhaus sowie der Entwurf von Senator McClellan.37 Clark verwies auf die Bill of Rights, in der privacy als Schutz vor willkürlichen Durchsuchungen festgeschrieben sei, und bestritt ferner, dass Abhörmaßnahmen eine
33 Cappello, None of your damn business, S. 156 f. 34 Lyndon B. Johnson to Mike Mansfield, September 19, 1967, Folder ›LE / JL 3, 6/21/66– 12/31/67‹, WHCF, LE, Box 79, LBJL, S. 1 f. 35 Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 849. 36 Winfred H. Rommel, Memorandum for Mr. Califano, August 3, 1967, Folder ›LE / JL 3, 6/21/66–12/31/67‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 1. 37 [Joseph] Califano, for the President, September 19, 1967, Folder ›LE / JL 3, 6/21/66– 12/31/67‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 1.
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sinnvolle Polizeimethode seien und der öffentlichen Sicherheit dienten.38 Mit Bezug auf Richter Brandeis, der in einem Fall um Telefonüberwachung in den zwanziger Jahren eine behördenkritische Gegenmeinung formuliert hatte, argumentierte Clark: »Unrestricted invasions of privacy made possible by sophisticated electronical devices are too great to permit their exploitation even by Government agents acting in the name of law enforcement«.39 Hinter den Kulissen arbeitete die Regierung an einem »wiretapping amendment« für den Safe Streets Act.40 Ohne den Präsidenten zu konsultieren, reichte Califano den Entwurf an Ramsey Clark weiter.41 Die unterschiedlichen Positionen führten zu einem Patt im Senatskomitee, wie ein Memorandum aus dem Weißen Haus ausführte. Es bildete sich eine Koalition von liberalen Senatoren, die für eine bereinigte Version des Kriminalitätsgesetzes plädierten, die keine Verfahren für Abhörmaßnahmen enthielt, was den Empfehlungen der Regierung entsprach. Ein Treffen des Attorney General mit dieser Gruppe führte zum Eklat, da sich Senator McClellan düpiert fühlte, der sich für Regeln einsetzte, um den Einsatz von Überwachungstechnik zu regulieren, und glaubte, dabei im Interesse der Regierung zu handeln. So berichtete es Senator James O. Eastland, Demokrat aus Mississippi, der dazu riet, die Gemüter sich erst einmal beruhigen zu lassen.42 Präsidialamt, Justizministerium und Kongress standen sich gegenseitig im Weg und traten sich auf die Füße. Es schalteten sich Personen und Gruppen ein, die Ansprüche stellten und ihre Rechtsauffassung vertraten. Vereinzelt meldeten sich Gewerkschaften zu Wort, wenn es um Überwachung am Arbeitsplatz ging. Joseph A. Beirne von der Communications Workers of America äußerte, dass sich die Gewerkschaft besorgt über »eavesdropping and snooping« zeige. Gewerkschaftsmitglieder seien zum einen »invasions of privacy« ausgesetzt, wie etwa versteckt angebrachten Kameras in Toilettenräumen. Zum anderen verfügten die Arbeiter über technische Fertigkeiten, so dass Ermittler versuchten, sie für die Durchführung von Abhörmaßnahmen anzuwerben.43 Für die ACLU argumentierte Herman Schwartz, dass der Nutzen von elektronischer Überwachung, Straftaten zu verfolgen und zu bekämpfen, nicht erwiesen sei, während jedoch große Personenkreise wie insbesondere Anwälte, im Sinne des sechsten Verfassungszusatzes, davon betroffen 38 U. S. Senate 1967, Right of Privacy Act of 1967, Part 1, S. 48. 39 U. S. House of Representatives 1967, Anti-Crime Program, S. 209. 40 [Joseph] Califano to Matt Nimetz, November 3, 1967, Folder ›LE / JL 3, 6/21/66– 12/31/67‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 1. 41 [Joseph] Califano to Ramsey Clark, November 11, 1967, Folder ›LE / JL 3, 6/21/66– 12/31/67‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 1. 42 Mike Manatos, Memorandum for the President, December 7, 1967, Folder ›LE / JL 3, 6/21/66–12/31/67‹, Box 79, WHCF, LE, LBJL, S. 1. 43 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), Part 2, S. 972 f., Zitat S. 972.
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seien.44 Im Repräsentantenhaus bekräftigte Schwartz, dass Abhörmaßnahmen nicht zu kontrollieren oder einzuschränken seien, sondern jedes Gespräch von Personen betroffen sei, weshalb das Recht auf freie Meinungsäußerung gefährdet sei: »One cannot say that a wiretap put on to fight organized crime does not chill free discussion or free discourse or exchange between people«.45 Vertreter der Organisation führten verschiedene Grundrechte an, um einen Anspruch auf Privatsphäre zu begründen, wie den Schutz vor willkürlichen Durchsuchungen oder das Recht auf anwaltlichen Beistand. Mittelbar galt Privatsphäre als Garant dafür, dass Personen ihre Meinung frei äußern könnten. Das Argument einer Einschüchterung der Meinungsfreiheit stand später im Mittelpunkt, als Fälle der Überwachung von Dissidenten vor Gericht landeten. Im Dezember 1967 änderte sich die Rechtsprechung, wonach nunmehr Personen und nicht bloß Orte vom vierten Verfassungszusatz geschützt waren, und es etablierte sich in der Folge ein »reasonable expectation of privacy test«.46 Das Urteil zu Katz machte klar, dass die bestehende unsichere Rechtslage nicht mehr zu tragen war und der Gesetzgeber handeln musste. Das Kriminalitätsgesetz kam trotz aller Widrigkeiten zustande. Im Mai 1968 riet Justizminister Clark dem Präsidenten zu einem »strong statement«, um den Kongress zur Verabschiedung des Gesetzes zu bewegen.47 Der Senat entwarf eine Gesetzesvorlage, die schließlich in den Entwurf des Repräsentantenhauses eingefügt wurde, so dass sich die Vorlage im Detail aus zwei Entwürfen zusammensetzte, dem Federal Wire Interception Act und dem Electronic Surveillance Control Act. Unter anderem enthielt die Ausschussvorlage die Empfehlung, den Right of Privacy Act mit Titel III zu ersetzen, der lokalen Strafverfolgungsbehörden erlaubte, Abhörmaßnahmen durchzuführen. Demnach durften Ermittlungsbehörden auf elektronische Abhörmethoden zurückgreifen, wenn unter anderem ein gerichtlicher Beschluss vorlag. Senator Long scheiterte in einer Abstimmung mit dem Versuch, Titel III aus dem geplanten Gesetz zu streichen.48 Auch in Reaktion auf die Ermordung von Robert Kennedy im Juni 1968 verschärfte der Kongress die Gesetzesvorlage nochmals. Justizminister Clark zeigte sich enttäuscht, da das Gesetz kaum wiederzuerkennen sei: »The bill is far more a reflection of the fears, frustration and politics of the times than an intelligent carefully tailored measure«.49 Nicht zuletzt wegen Titel III erwog Präsident Johnson, ein Veto
44 U. S. Senate 1967, Right of Privacy Act of 1967, Part 2, S. 379. 45 U. S. House of Representatives 1967, Anti-Crime Program, S. 950 ff., Zitat S. 952. 46 Clancy, The fourth amendment, S. 296. 47 Ramsey Clark, Memorandum to The President, May 2, 1968, Folder ›JL 4/1/68–8/31/68‹, Box 1, WHCF, EX JL, LBJL, S. 1. 48 Library of Congress, Legislative Reference Service 1968, The Omnibus Crime Control and Safe Streets Act, S. 16 ff., 22. 49 Zitiert nach: Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 848 f.
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gegen das Gesetz einzulegen, wovon Clark aber abriet, um die Lage nicht noch zu verschlimmern.50 Präsident Johnson musste schließlich einlenken und unterzeichnete im Juni 1968 das Gesetz. Seine Ankündigung, das Justizministerium anzuweisen, Abhörmaßnahmen auf wenige Ausnahmen zu beschränken, blieb folgenlos.51 Die Abhörregelungen bildeten den Titel III des Omnibus Crime Control and Safe Streets Act (OCCSSA). Das Thema Abhörmaßnahmen säte Zwietracht innerhalb der Regierung. Beide Seiten argumentierten mit dem Konzept privacy, jedoch auf unterschiedliche Weise. Während Gegner von Lauschangriffen die Privatsphäre der Bürger als unbedingt schützenswerten Bereich erachteten, der nicht mit elektronischen Mitteln überwacht werden dürfe, verstanden Befürworter unter Privatsphäre, dass Voraussetzungen und Verfahren galten, um willkürliche Maßnahmen zu verhindern. Erstere Position orientierte sich an einem klassischen Verständnis von privacy, das eine private Sphäre von staatlichem Einfluss abgrenzte. Zweitere Position grenzte mit dem Konzept privacy die Reichweite von Regierungspraktiken ein, was das Verhältnis zwischen Gouvernementalität und Privarität betraf. Mit den neuen Urteilen und Gesetzen war das letzte Wort aber noch nicht gesprochen, und der Streit setzte sich in den siebziger Jahren fort, als Fälle der nationalen Sicherheit und Fälle, in denen US-Bürger mit ausländischen Staatsbürgern kommunizierten, verhandelt wurden.
5.3 Bedeutungswandel von privacy: »Equilibrium between privacy and the demands of disclosure and surveillance« Aus den verstärkten Aktivitäten von Ermittlern sowie den eingesetzten Technologien der Sicherheit, wie auch aus den zuvor analysierten Techniken der Datenverarbeitung und der Geburtenkontrolle, resultierten Konflikte. Heimliche Angriffe auf die Privatsphäre lauerten in Behörden oder am Arbeitsplatz, in Universitäten oder ausgehend von den Medien: »The regions of private life susceptible to prying appeared boundless, with some of the most threatening incursions being invisible and imperceptible«.52 In der Terminologie Foucaults machte sich eine Krise der Gouvernementalität bemerkbar, da der liberale Staat stets im Verdacht stand, zu viel des Guten zu tun, was in Spannungen mit Ansprüchen auf privacy resultierte. Dies machte sich beispielsweise in einer Kritik an der Sozialpolitik bemerkbar: »The new welfare programs expand areas of
50 Ders., Prisoners of hope, S. 377. 51 Cappello, None of your damn business, S. 163. 52 Igo, The known citizen, S. 142.
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official concern into additional spheres of private life«.53 Was Privatsphäre ausmachte und welche Aspekte darunter zu zählen waren, erschien jedoch unklar. Wie der Abgeordnete Gallagher im Jahr 1965 ausführte, handele es sich zwar nicht um ein absolutes Recht: »there can be no right of absolute privacy«. Gleichwohl sei das »right to privacy« starken Angriffen ausgesetzt, und es habe sich ein »security conciousness« seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Konflikt in Korea verstetigt.54 Das Sicherheitsbedürfnis stand in einer historischen Entwicklung und rückte in der Politik allmählich in den Mittelpunkt, musste aber mit individuellen Rechten in Einklang gebracht werden. Senator Long sprach von einem Problem für den Gesetzgeber, wie verschiedene Interessen auszugleichen seien: »Privacy of the individual on the one hand and law enforcement on the other«.55 Autoren vergewisserten sich mit geschichtlichen Bezügen, um Privatsphäre zu begründen. Etwa führte David Flaherty das Konzept auf die frühe Siedlungsgeschichte zurück: »In colonial New England privacy had essentially the same conceptual meaning as at the present day«.56 Der Soziologe Shils sprach von einem »golden age of privacy«, das von einer Massengesellschaft abgelöst wurde.57 Soziologen verliehen dem Verständnis von Privatsphäre eine weitere Dimension. Statt von Rückzug und Abschottung auszugehen, begriffen Autoren das Konzept als Kommunikation, was sowohl das Mitteilen als auch das Zurückhalten von Fakten betraf. In Hinblick darauf, wie Privatsphäre in sozialwissenschaftlichen Studien geschützt werden könne, erklärten Oscar Ruebhausen und Orville Brim: »privacy is a two way street consisting not only of what we need to exclude from or admit into our own thoughts and behavior but also what we need to communicate to, or keep from, others«.58 Wie weit die Neugierde die Forschenden treiben dürfe, geriet immer wieder zum Gegenstand von Auseinandersetzungen. So erntete eine 1970 publizierte Studie über städtische Treffpunkte von Homosexuellen Kritik, dass die dargestellten Personen bloßgestellt würden.59 Von der Konzeption nach Ruebhausen und Brim, nach der privacy nicht bloß Verschwiegenheit, sondern auch ein Mitteilungsbedürfnis umfasste, war es nur noch ein kleiner Schritt zur Definition von Privatsphäre, die eine Kontrolle über Informationen und Kommunikation beinhaltete, wie sie Alan Westin gab: »Privacy is the claim of individuals, groups, or institutions to determine for themselves when, how, and to what extent information about them is communicated to others«.60 Ähnlich formulierte es der Rechtswissenschaftler 53 Handler / Rosenheim 1966, Privacy in Welfare, S. 394. 54 U. S. House of Representatives 1966, Special Inquiry on Invasion of Privacy, S. 1 f. 55 U. S. Senate 1965, Invasions of Privacy (Government Agencies), S. 1. 56 Flaherty 1967, Privacy in colonial New England, S. 405. 57 Shils 1966, Privacy, S. 292. 58 Ruebhausen / Brim 1965, Privacy and Behavioral Research, S. 1189. 59 Igo, The known citizen, S. 186 ff. 60 Westin 1967, Privacy and freedom, S. 7.
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Charles Fried: »Privacy is not simply an absence of information about us in the minds of others; rather it is the control we have over information about ourselves«.61 Dennoch fehlte eine allgemeine Definition, die verschiedene Ansprüche einer Kontrolle über Information, Entscheidungen in der Familienplanung oder einem Schutz vor Eindringlingen integriert hätte. Rechtswissenschaftler systematisierten die Konflikte um Privatsphäre und betten sie in eine Theorie ein. William Beaney von der Princeton University vertrat den Standpunkt, dass die Gründungsväter Privatsphäre zwar als wichtig erachteten, sie aber wegen dem damaligen Wesen der Gesellschaft nicht in den ersten zehn Verfassungszusätzen genannt wurde. Allerdings schützten in der Gesamtschau der erste und fünfte sowie der vierte und vierzehnte Verfassungszusatz den Schutz der »privacy of the individual«. Dabei verstand Beaney privacy im Sinne von Selbstbestimmung: »By privacy in this sense, I mean the freedom or the liberty to determine to what extend you will share your life, your activities, your ideas, your thoughts, and your sensations with others«.62 Außerdem nannte Alan Westin die Aufgabe von Gesetzgeber und Gerichten: »restore proper equilibrium between privacy and the demands of disclosure and surveillance«. Denn laut Westin existierten aus sozialwissenschaftlicher Sicht ein physisches Eindringen in die Privatsphäre etwa durch technische Mittel zum Abhören und Beobachten von Personen, ein psychologisches Eindringen, um intime Informationen zu erlangen, sowie ferner eine »Data surveillance«, die anhand von elektronischen Akten die Transaktionen von Personen kontrolliere.63 Damit lieferten Experten einen theoretischen Rahmen, um neue Konflikte zwischen staatlichen Kompetenzen und individuellen Rechten zu fassen. Das Vorgehen gegen organisierte Kriminalität, Medikamentenmissbrauch oder Steuerdelikte, die Suche nach illoyalen Staatsbediensteten oder nach Kommunisten – all diese Aufgaben der Behörden forcierten den Ausbau einer Sicherheitsgesellschaft. Früh meldeten sich Beobachter zu Wort, die einen Schutz der Privatsphäre anmahnten. Ein solcher Schutz der Privatsphäre war politisch konnotiert. Moderne Konzeptionen von privacy, wie sie aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert herrührten, betonten die Integrität der Person, ihres Bildes in der Öffentlichkeit und ihres Haushaltes. Unter privacy als politischen Anspruch verhandelten Akteure Regierungspraktiken wie Abhörmaßnahmen und Datensammlungen staatlicher Stellen. Eine solche Politisierung setzte sich in den sechziger Jahren fort, als Aktivitäten zentralstaatlicher Stellen als Eingriff in die Privatsphäre in der Kritik standen. Praktiken wie das Anzapfen von Telefonleitungen oder elektronische Überwachung erschienen weit verbreitet und bedurften einer Lösung des Gesetzgebers, worauf auch die Rechtsprechung 61 Fried 1968, Privacy, S. 482. 62 U. S. House of Representatives 1966, Special Inquiry on Invasion of Privacy, S. 13. 63 U. S. Senate 1967, Privacy and the Rights of Federal Employees, S. 233.
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drängte. Dabei traten einige Senatoren, aber auch Präsident Johnson persönlich für ein weitreichendes Verbot solcher Praktiken ein, doch der Right to Privacy Act, der eine akustische Überwachung weitgehend verbannt hätte, scheiterte. Gleichzeitig bemühte sich die Johnson-Regierung um einen Kompromiss mit dem Kongress. Der Titel III des OCCSSA legte schließlich rechtliche Verfahren fest, die Strafverfolgungsbehörden das Mitschneiden von Gesprächen ermöglichten. Kongressmitglieder wie Senator Ervin, Senator Long und der Abgeordnete Gallagher untersuchten, wie weit staatliche Aktivitäten reichen durften, ohne die Privatsphäre zu beeinträchtigen. Der Standpunkt, privacy als einen Schutzbereich zu verstehen, der im Sinne einer klassischen Trennung von privater und staatlicher Sphäre nicht beeinträchtigt werden dürfe, geriet ins Hintertreffen. Der Diskurs drehte sich um Regierungspraktiken, wie Gouvernementalität in Privarität eine Begrenzung erfahren könne. Im Vordergrund standen Regulierungen und Verfahren, wie Ermittlern Abhörtechnologien einsetzen könnten und wie das Sicherheitsinteresse mit individuellen Rechten abzuwägen sei: »Rather than balance competing values, the Unites States merely established a series of weak qualifying procedures for a license to invade privacy«.64 Im Unterschied zu Diskursen um Datenverarbeitung und Geburtenkontrolle richtete sich das Sicherheitsdispositiv zumeist nicht auf eine Bevölkerung als ganze, sondern auf einzelne Verdächtige. Statistiken und Kriminalitätsraten lieferten zwar Argumente für mehr Kompetenzen zur Überwachung, doch fand diese nicht flächendeckend und anlasslos statt, sondern zielte auf einzelne Personen ab. Anders sah die Sache aus, als staatliche Behörden dissidentische Gruppen überwachten und ein möglichst lückenloses Datenbild einen Gradmesser für das Risiko von gewalttätigen Ausschreitungen liefern sollte, wie das nächste Kapitel zeigt.
64 Cappello, None of your damn business, S. 130.
6. Politische Überwachung von Dissidenten
Abb. 11: Die Organisation Veterans for Peace stand unter Beobachtung militärischer Geheimdienste. Das Foto von Frank Wolfe zeigt Teilnehmer am March on the Pentagon am 21. Oktober 1967. Courtesy Lyndon B. Johnson Presidential Library (7049–30).
Die Sicherheitslage gestaltete sich aus Sicht der Regierung zunehmend prekär. Denn eine Welle von Protesten rollte in den sechziger Jahren über das Land. In Washington sprach Bürgerrechtler Martin Luther King vor Hunderttausenden von Zuhörern über das Ende des Rassenbewusstseins; dort versammelte sich einige Jahre später ein Demonstrationszug gegen den Krieg in Vietnam. Vietnamesische Kommunisten versuchten, über ihren verlängerten Arm in Südvietnam inoffizielle Kanäle zu nutzen, um ihre Botschaft an nicht-staatliche Akteure zu tragen. Wie stark der ausländische Einfluss gewesen sein mag, eines bleibt gewiss: »The antiwar movement became emblematic of a growing malaise in American society, characterized by a mounting lack of trust in the competence of the federal government«.1 Gleichwohl formierte sich auch eine konservative Bewegung, die auf einen militärischen Sieg drängte und Gruppierungen wie Young Americans for Freedom hervorbrachte, die für den Krieg demonstrierten, 1 Asselin, Vietnam’s American war, S. 148.
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wobei es darum ging, nationale Identität zu stiften entgegen den als defätistisch empfundenen Antikriegs-Protesten.2 Darüber hinaus brach Gewalt aus, in Form von Ausschreitungen in segregierten Innenstadtbezirken und Vororten von Großstädten oder von Anschlägen, die radikalisierte Gruppen verübten. Ethnische Konflikte spalteten das Land. Zwar brachte die Regierung mit dem Civil Rights Act ein epochales Gesetz, das eine rechtliche Gleichstellung versprach, auf den Weg. Doch blieben ökonomische Nachteile und soziale Diskriminierung bestehen, so dass häufig ein einzelnes Ereignis den Funken bildete, der ein explosives Gemisch aus Armut und Frustration entzündete und Randalierer anstiftete. Diese kontrastreichen Bilder von friedvollem Protest auf der einen und eskalierendem Unmut auf der anderen Seite verdeutlichten die sozialen und politischen Spannungen, die sich über Jahre aufgestaut hatten und nun entluden. Einen Höhepunkt erfuhr diese Entwicklung im Jahr 1968, das zur Chiffre einer linksgerichteten sozialen Bewegung und jugendlichen Rebellion wurde: »1968 became not just a date but also a myth for the world’s left«.3 Im Gegensatz zur sogenannten alten Linken, die ihre Kader aus der Arbeiterschaft und den Gewerkschaften rekrutierte, war die Neue Linke, wie sie C. Wright Mills 1961 nannte, eine Revolte der Jugend, die vor allem von Studierenden an den Universitäten organisiert wurde.4 Der Widerstand gegen einen Krieg, der festgefahren erschien, wuchs. Anfang des Jahres startete Nordvietnam die Tet-Offensive, benannt nach einem Feiertag, als Ende Januar mehrere Städte in Südvietnam Ziel von Angriffen wurden. Aus militärischer Sicht erschien die Aktion für den Norden wie ein Debakel, aber sie provozierte in der von der Offensive überraschten amerikanischen Öffentlichkeit ein politisches Umdenken.5 Die Fronten waren verhärtet. Ein Massaker in der Stadt Hue offenbarte, wie grausam kommunistische Kämpfer bisweilen vorgingen, die feindliche Kämpfer aber auch Zivilisten exekutiert und dem Anschein nach teilweise noch bei lebendigem Leibe in Massengräbern verscharrt hatten.6 Nicht zuletzt der Verlauf des Vietnamkriegs bewog Präsident Johnson dazu, im März auf die Kandidatur für eine weitere Amtszeit zu verzichten. Wie zerrüttete die Gesellschaft erschien, zeigte sich, als nach der Ermordung Martin Luther Kings im April schwere Unruhen in zahlreichen Städten des Landes ausbrachen, und im August eine Kundgebung gegen den Krieg am Rande des Parteitags der Demokraten in Chicago eskalierte.7 Ereignisse wie Demonstrationen oder Ausschreitungen bestimmen die Erinnerung und die Forschung. Weniger bekannt ist darüber, wie Agenten von Geheimdiensten der Armee unter 2 Scanlon, The pro-war movement, S. 5, 8 f. 3 Rossinow, The New Left, in: Reframing 1968, ed. Martin Halliwell u. a., S. 16. 4 Davis, Assault on the left, S. 21 f. 5 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 155. 6 Asselin 2018, Vietnam’s American war, S. 159 f. 7 Ebd., S. 163 ff.
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den Protestierenden agierten und staatliche Behörden versuchten, dissidentische Gruppen zu infiltrieren oder gar zu unterwandern und zu zerstreuen, wobei das FBI eine unrühmliche Rolle spielte. Anstatt konkreten Verdachtsmomenten nachzugehen, überwachte der militärische Geheimdienst flächendeckend Protestereignisse in der Bevölkerung, um unter anderem Indikatoren für Gewaltausbrüche zu ermitteln. Dieses Sicherheitsdispositiv provozierte erst später Ansprüche auf privacy, als die geheimen Regierungspraktiken enttarnt wurden und Reporter über sie berichteten. Der Ausgleich zwischen Gouvernementalität und Privarität lag zunächst einzig im Ermessen der Sicherheitsbehörden, was sich freilich zum Vorteil des ersteren und Nachteil des letzteren Pols auswirkte.
6.1 Das FBI und COINTELPRO: »The most dangerous Negro to the future in this Nation« Im Streben nach Sicherheit ging insbesondere das FBI nicht zimperlich mit individuellen Rechten um. Ein prominenter Fall war der Bürgerrechtler Martin Luther King, den das FBI seit August 1963 intern als the most dangerous Negro to the future in this Nation«8 bezeichnete. Unter anderem ließ FBI-Chef Hoover mit Erlaubnis des Justizministeriums Telefonleitungen von Kings Haus sowie des Büros der Southern Christian Leadership Conference (SCLC) anzapfen. Ein halbes Jahr später, im Januar 1964, verwanzten Agenten die Hotelräume von King in Washington. Tonbänder und Fotografien, die aus der Observation hervorgegangen waren, legten nahe, dass King eine außereheliche Affäre hatte. Allerdings vertraute Präsident Johnson darauf, dass dieses Material unter Verschluss blieb, und beraumte ein Treffen mit dem Aktivisten an.9 Im Sommer 1964 kam es zu ersten ethnischen Ausschreitungen, über deren Hintergründe Präsident Johnson mehr erfahren wollte und das FBI anfragte. Die Behörde verstärkte im gleichen Jahr ihre Ermittlungen zu ethnischen Konflikten und einem möglichen kommunistischen Einfluss.10 Als Reaktion auf Ausschreitungen in Städten im Jahr 1967 ließ Präsident Johnson ein weitverzweigtes Geheimdienstnetz knüpfen, wozu unter anderem das Ghetto Informant Program des FBI gehörte. Solche Praktiken lassen sich wie ein Kampf gegen die arme Bevölkerung statt gegen die Armut interpretieren: »The administration’s program of spying and spoiling would give a new meaning to the War on Poverty«.11 Darüber hinaus erweiterte das FBI geheime COINTELPROs in den sechziger Jahren sukzessive. Standen in den fünfziger Jahren zunächst die Kommunisti 8 Zitiert nach: Woods, LBJ, architect of American ambition, S. 576. 9 Ebd., S. 577 f. 10 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 146. 11 Woods, Prisoners of hope, S. 366.
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sche Partei und sodann ein trotzkistischer Ableger im Fokus, richtete sich das Programm bald gegen weitere Gruppierungen. Das Repertoire der etwa 2.600 geplanten und rund 2.300 durchgeführten Aktionen umfasste unter anderem das Versenden anonymer Briefe, die falsche Informationen oder Drohungen enthielten, Verleumdungen, falsche Anschuldigungen, dass beispielsweise eine Führungsfigur ein Informant sei, sowie über Pressekontakte lancierte Schmutzkampagnen. Die Programme erschienen rechtlich fragwürdig, da sie ohne institutionelle Kontrollen im Geheimen abliefen. Das Justizministerium unter Katzenbach, Clark und später John Mitchell war über die Programme nur unzureichend informiert. Zwar reichte das FBI jährliche Berichte ein, doch ließen diese den aggressiven Charakter bestenfalls erahnen: »The annual reports conveyed a narrow, literal definition of counterintelligence«.12 Anscheinend betrieb Hoover teilweise eigenmächtig die Programme zur Spionageabwehr, die innerhalb der Strukturen des FBI eine eigene Dynamik gewannen. Den historischen Kontext, in dem das FBI Geheimprogramme aufbaute, bildeten der Vietnamkrieg und die Bürgerrechtsbewegung. Ereignisse wie Massenproteste oder gewaltsame Ausschreitungen gaben meist den Anlass, um ein COINTELPRO aufzusetzen. Nachdem Mitglieder des Ku Klux Klan (KKK) im Jahr 1964 im Bundesstaat Mississippi drei Bürgerrechtsaktivisten ermordet hatten, forderten Regierung und Kongress das FBI zum Handeln gegen solche Gewalttaten auf. Im September legte das FBI ein »COINTELPRO-White Hate« auf, das sich gegen Klan-Strukturen richtete und diese bloßstellen, stören oder neutralisieren sollte. Mit dem Programm richtete sich Gegenspionage erstmals gegen eine inländische kriminelle Vereinigung, der keine Verbindungen ins Ausland nachgesagt wurde.13 Die COINTELPROs erschienen rückblickend wie ein »war against the political left«. Zwar standen die einzelnen Aktionen und Methoden gegen den Klan für sich betrachtet in ihrer Härte denen gegen linke Gruppierungen in nichts nach, doch war das Ziel hier die Prävention von Gewalt und nicht die Zerschlagung einer sozialen Bewegung.14 Denn ein Unterschied zu antikommunistischen Programmen, die auch das weitere, nichtkommunistische, Umfeld von Parteien angriffen, bestand darin, dass fast ausnahmslos Klan-Mitglieder im Visier standen. Die rund 250 Aktionen machten etwa zehn Prozent der Aktionen, die insgesamt auf das Konto von COINTELPROs gingen, aus. Zu der Zeit fiel das FBI, das gerade im Süden des Landes über ein eher rechtsgerichtetes Personal verfügte, mit Untätigkeit auf, wenn es darum ging, Personen vor Klan-Gewalt zu schützen, aber die Behörde musste auf den politischen Druck reagieren.15 12 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 143. 13 Cunningham, There’s something happening here, S. 32. 14 Ebd., S. 11. 15 Donner, The age of surveillance, S. 204 ff.
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Ziel der Behörde war es nun, Klan-Organisationen im Süden des Landes zu diskreditieren, wo eine Akzeptanz für gewaltsame Bürgerwehren und Selbstjustiz bestand.16 Die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung stand im Fokus eines weiteren COINTELPRO, das im August 1967 eingerichtet wurde, um Organisationen wie Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) oder SCLC zu spalten, und schließlich 360 Aktionen initiierte. Das blutigste Kapitel war der mit besonderer Härte geführte Kampf gegen die eigentlich marginale Black Panther Party (BPP), der im Verlauf von nicht einmal zwei Jahren 28 Todesopfer forderte, die bei direkten Aktionen oder vom FBI eingefädelten Intrigen ums Leben kamen.17 Im Umgang mit afroamerikanischen Gruppen entwickelte die Behörde Methoden einer »organizational secrecy«, um ihre Identität zu verschleiern.18 Schließlich attackierte Hoover mit einem COINTELPRO die Neue Linke, die ihm wegen ihrer Proteste gegen den Krieg ein Dorn im Auge war. Ziel war hier eine gesamte soziale Bewegung. Einer der Auslöser für das im Mai 1968 autorisierte Programm war die Besetzung der Columbia University im Frühjahr.19 Insbesondere die Organisation Students for a Democratic Society (SDS) wurde Ziel von Aktionen, die vor allem den Vorwurf von Rassismus oder sexualisierte Gerüchte kolportierten. Ein Beispiel für solche Gerüchte war die Aktion gegen Jean Seberg, die unter anderem die BBP unterstützt hatte. Dabei unterstellten Agenten der Schauspielerin über die Presse, ein uneheliches Kind auszutragen. Diese Schmutzkampagne mag zur anschließenden Fehlgeburt und zum späteren Selbstmord der Schauspielerin beigetragen haben.20 Solche Aktionen waren nicht bloß ein Angriff auf die Privatsphäre, sondern eine krude Form der Bestrafung außerhalb des Justizsystems. Hoover war hier sowohl der Richter als auch der Henker. Indessen standen viele der Organisationen, die das FBI ins Visier nahm, auch auf der Liste der militärischen Geheimdienste, die ihre Aktivitäten sukzessive ausbauten. Wie sich später herausstellte, fand ein reger Austausch zwischen den Diensten der Armee und dem FBI statt.
6.2 Überwachung im Long Hot Summer of Love: »Confused and distored concept of American society« In brenzligen Situationen kann der Präsident der Vereinigten Staaten Einheiten der Armee im Inland einsetzen. So war die Nationalgarde angerückt, um ethnische Konflikte um eine Schule zu schlichten. Die Armeeführung entwarf 16 Drabble, To Ensure Domestic Tranquility, S. 397. 17 Donner, The age of surveillance, S. 212, 221, 231. 18 Hoerl / Ortiz, Organizational Secrecy, S. 590. 19 Davis, Assault on the left, S. 42 f. 20 Donner, The age of surveillance, S. 232 ff., 237.
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Pläne, um sich auf mögliche Einsätze vorzubereiten und Angriffe abzuwehren, und sah auch das Sammeln von Geheimdienstmaterial vor. Dieser Bereich weitete sich sukzessive aus. Der Plan Steep Hill enthielt erstmals die Anweisung, bereits im Vorfeld von Unruhen geheimdienstliche Berichte zu erstellen, was die Grundlage für ein permanentes Überwachungsprogramm legte.21 Dieser Operationsplan galt im Zeitraum vom Sommer 1963 bis Frühjahr 1967.22 In der Sicherheitspolitik vollzogen staatliche Stellen einen Wandel hin zu besserer Planung, die mit Programmen zur Überwachung verbunden waren. Etwa wies der Operationsplan Steep Hill der Geheimdienstzentrale aus dem August 1965 zu »planning purposes« an, wie »CONUS INTC Groups« die Truppen der Armee in tumultartigen Situationen im Inland unterstützen sollten.23 Dafür sollten Geheimdienstagenten signifikante Informationen (Essential Elements of Information, EEI) sammeln, die unter anderem auf Sabotage und Spionage gegen die Armee oder Diebstahl von Waffen etwa aus ROTC-Anlagen (Reserve Officers’ Trainings Corps) Aufschluss geben sollten.24 Der Plan unterteilte die Vereinigten Staaten in siebzehn Zonen, die wiederum in einzelne Gebiete gegliedert waren, von denen einige in der entsprechenden Anlage als »Potential trouble spots« ausgewiesen wurden.25 Eine aktualisierte Fassung des Plans lag ein Jahr später vor und enthielt einen Anhang zu »Intelligence«, wonach das FBI Informationen über subversive Gruppen zusammentrug und Kommandanten der Armee kontinuierlich Berichte zu inländischen Unruhen erstellten. Solche spot reports wurden per Telefonnetz, Automatic Voice Network (AUTOVON), an die Zentrale übermittelt.26 Damit bestand seit Mitte der sechziger Jahre die Infrastruktur für ein engmaschiges Geheimdienstnetz, innerhalb dessen Agenten schon im Vorfeld in potentiellen Unruhegebieten agierten und unterschiedliche Dienste aus dem militärischen und dem zivilen Bereich kooperierten. In der Folge sammelten Agenten ohne konkreten Anlass Geheimdienstmaterial und leiteten es an höhere Stellen weiter. Ein entscheidendes Moment für den weiteren Ausbau der inländischen Geheimdienstarbeit waren zivile Unruhen. Seit dem Sommer 1964 kam es immer wieder zu Ausschreitungen, wie etwa 1965 im Stadtteil Watts von Los Angeles. Im Sommer 1967 randalierten Menschen in Städten wie Newark oder Detroit derart stark, dass die örtliche Polizei überfordert war. Während in Newark die Nationalgarde anrückte, orderte Präsident Johnson bei den Unruhen in Detroit 21 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 347. 22 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 44. 23 USAINTC, Operation Plan 563, Steep Hill (U), (declassified NND 881514), August 26, 1965, Reel 16, Frame 259–281, ASOD, S. 1. 24 Ebd., S. 4. 25 Ebd., S. B-1. 26 USAINTC, OPLAN 563, Steep Hill (U), (declassified NND 881514), February 21, 1966, Reel 16, Frame 283–326, ASOD, S. F-1, F-5, Zitat S. F-1.
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auch Einheiten der Armee, um lokale Kräfte zu unterstützen und die Lage unter Kontrolle zu bringen. Das Land sah sich mit einem städtischen »guerilla warfare« konfrontiert, wie führende Persönlichkeiten in der Armee glaubten.27 Etwa wollte Generalmajor William Yarborough während der Krawalle in Detroit zu Mitteln der Aufstandsbekämpfung greifen und baute ein landesweites Fernmeldenetz für geheimdienstliche Informationen auf.28 Am 29. Juli initiierte Präsident Johnson die National Advisory Commission on Civil Disorders, die später den Kerner-Bericht herausgab. Für den District of Columbia überarbeitete eine behördenübergreifende task force unter David McGiffert, Under Secretary of the Army, die Einsatzpläne bei zivilen Unruhen.29 Die Armee traf die Situation in Detroit relativ unverhofft und unvorbereitet. Daraufhin entwickelte die Armee Pläne weiter und zielte dabei auf bestimmte Städte und Regionen ab. Ein Planungsansatz bestand darin, Städte nach Gewaltpotenzial zu unterscheiden, so dass die Armee nach verschiedenen Kategorien »city packets« vorbereitete.30 Laut einem Brief des Deputy Chief of Staff for Intelligence (DCSINT) im USAINTC an die 111. MI-Gruppe aus dem August 1967 sollten Pläne für Städte auf dem Gebiet der dritten Armee für einen möglichen Einsatz von Truppen erstellt werden, so dass die Forderung »detailed planning« lautete. Als Modell diente dabei die Stadt Atlanta. Zu den Faktoren für die Auswahl von Städten zählten vergangene Ereignisse von ethnischer Gewalt sowie die Zahl von afroamerikanischen Einwohnern sowie ihr Anteil in der Stadt. In der Anlage wurden entsprechende Städte aufgelistet.31 Eine Zusammenfassung der Operationen von USAINTC listete für den Zeitraum von Juli 1967 rund 1.000 spot reports auf, die als »Counterintelligence services« angefertigt wurden. Darüber hinaus waren achtzehn »CI penetrations« verzeichnet, die auf verdeckt arbeitende Ermittler hinweisen. In Hinblick auf Unruhen sollten sämtliche Einheiten des Geheimdienstes darauf vorbereitet sein, die Operationspläne »Lantern Spike« oder »Garden Plot« umzusetzen, und zu diesem Zweck unter anderem das Sammeln von Geheimdienstmaterial verstärken.32 Die Folgerungen aus den Unruhen fielen unterschiedlich aus. Während ein Bericht von Cyrus Vance, Deputy Secretary of Defense, vor allem soziale Faktoren anführte, gingen Befehlshaber der Armee davon aus, dass subversive Gruppen zu Unruhen anstifteten oder diese nutzen 27 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 71 f., Zitat S. 71. 28 Jensen, Army surveillance in America, S. 291. 29 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 109. 30 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 81; Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 99. 31 Deputy Chief of Staff for Intelligence, AJAGI-I, Richard E. Adams to CO 111th MI Group, Planning for Civil Disturbance, with enclosure, (declassified NND 881514), August 8, 1967, Reel 14, Frame 878–880, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. 1. 32 USAINTC, ICOP, Operations Summary, enclosure, (declassified NND 881514), August 15, 1967, Reel 13, Frame 98–103, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. e1, e2.
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wollten.33 Außerdem erstellte die Armee im Dezember einen »Collection Plan«, der zur Beschaffung von Geheimdienstmaterial für Einsätze dienen sollte, sich gegen mögliche Subversion und Konspiration richtete und Kriegsgegner sowie Dissidenten als Unruhestifter nannte.34 Die Armee wollte auf eventuelle Unruhen vorbereitet sein und Planungen erstellen, weshalb Agenten angewiesen waren, in umfassendem Maße Fakten über Protestgruppen zu ermitteln und zu sammeln. Die Überwachung brachte zum Ausdruck, wie sich Staatlichkeit wandelte und das Streben nach präventiven Maßnahmen zu einer flächendeckenden Beobachtung von Demonstrationen führte. Abermals kamen wissenschaftliche Ansätze ins Spiel, die Analysen und Prognosen versprachen. Etwa war der Aufbau des Geheimdienstprogramms der Armee vom Wunsch nach Planbarkeit getrieben. Die Armeeführung wollte zivile Unruhen prognostizieren, um auf Einsätze vorbereitet zu sein, wozu Geheimdiensteinheiten umfangreiche Informationen sammelten. Beispielsweise wurden vom FBI Auskünfte über die in Frage kommenden Städte eingeholt. Unter anderem plane Martin Luther King angeblich eine »Operation Bread Basket« in High Point, NC.35 Die Planung war insgesamt mit einem ethnischen Fokus ausgerichtet und sah Sammlung von Informationen im Vorfeld vor. Außerdem versuchte die Armee, Gefahren mit statistischen Methoden zu ermitteln und zu bewältigen. Dementsprechend lassen sich die frühen sechziger Jahre als Übergangsphase von Reaktionen ad hoc hin zu Planung im Vorfeld von Einsätzen charakterisieren.36 In den späten sechziger Jahren weitete die Armee die Planungsbestrebungen aus. Nach den Ausschreitungen in Detroit 1967 empfahl Cyrus Vance in einer Studie, mit Hilfe von Daten lokale Muster von zivilen Unruhen zu analysieren. Dies ging mit einer präventiven Strategie der Armee einher. Diese Herangehensweise der Armee korrespondierte mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen aus den sechziger Jahren, die auf Trends und Indikatoren setzten: »the stress on prediction, on forecast, on strategy rather than tactics became the dominant priority of military intelligence in the late sixties«.37 Technologie unterstützte die präventive Sicherheitspolitik und lieferte Mittel zur Überwachung, wie das Betreiben von Datenbanken, das Auswerten von Telefondaten oder das Übermitteln von Nachrichten. Beispielsweise gab eine Datenbank des CONARC Angaben über Trends zu Ereignissen: »the summary appears to be a crude attempt to construct a barometer of political activity throughout the nation«, kommentierten Mitarbeiter des Verfassungsausschusses im Senat 33 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 46. 34 Donner, The age of surveillance, S. 303. 35 [111 MI], ICGP-C-OT, to CG Third US Army, Planning for Civil Disturbance, (declassified NND 881514), August 23, 1967, Reel 14, Frame 881–882, ASOD, S. 1 f., Zitat S. 2. 36 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 29. 37 Donner, The age of surveillance, S. 302.
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später.38 Dieser Ansatz, aus großen Datenmengen Aufschlüsse über Gefahrensituationen zu gewinnen, erwies sich als wenig zielführend. Der Geheimdienst der Armee nutzte weitere Technologien, um Protestgruppen zu beobachten, wie aus Geheimdienstakten der Armeeführung hervorgeht. Unter anderem wandte sich der Geheimdienst von CONARC an kommerzielle Telefondienstleister, um Daten über Telekommunikation zu erhalten. So kam auf einer Planungskonferenz zu zivilen Unruhen zur Sprache, dass die Firma AT&T Bedenken geäußert habe angesichts der »nature and magnitude of detailed TELCO information«. Schließlich erreichten das Militär und der Telefondienstleister eine Einigung über »advanced planning information and communications support«, die im Falle von zivilen Unruhen geliefert werden sollten.39 Die zu Planungszwecken angeforderten Informationen betraf Anlagen, Kapazitäten und Servicepersonal der Firma. Ein möglicher Hintergrund könnte die Praxis gebildet haben, nach der Agenten ihre Berichte telefonisch an die Zentrale weitergaben. Beispielsweise hieß es in einem Bericht von 1967, dass sich Probleme bei der Berichterstattung daraus ergaben, dass Agenten große Distanzen bis zur nächsten Telefonzelle zurücklegen mussten.40 Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Agenten des Geheimdienstes Telefonate von Protestgruppen belauschten. Im Vorfeld einer Antikriegsdemonstration in Washington, DC, führte ein special summary mit der Nummer dreißig aus dem Oktober 1967 mehrere Teilnehmer auf. Laut Bericht habe die Landeszentrale der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) die Organisation in Miami telefonisch kontaktiert und erklärt, dass sich Demons tranten nicht als Mitglieder von WILPF ausgeben sollten. Der Grund dafür seien geplante Gewaltaktionen, über die aber nichts Näheres bekannt sei. Als Quelle nannte der Bericht einen Spezialagenten der 111. MI Group.41 Dies zeigt, dass Agenten möglicherweise Telefonleitungen anzapften, was in Hinblick auf den späteren Rechtsstreit relevant ist, da die Kläger auch im Namen ähnlich situierter Personen und Organisationen sprachen. Technische Mittel dienten dazu, Tonund Bildaufnahmen zu erstellen sowie Berichte per Fernschreiber (teletype) zu versenden. Das OACSI verlangte Informationen über die Teilnehmeranzahl und die Reisepläne hinsichtlich einer Großdemonstration in Washington, DC, und 38 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 48. 39 ICLC-CM, Memorandum for the Record, C-E Planning Conference for Civil Disorders, with attachments, (declassified NND 881514), September 29, 1967, Reel 14, Frame 858–662, ASOD, S. 1. 40 CG, USA THREE to CG USCONARC, The Anti-Vietnam War Demonstration, Annex K, Operation Center Punch (U), (sanitized copy, declassified NND 881514), 1967, Reel 13, Frame 547–557, ASOD, S. 7. 41 CG USAINTC to Army Operations Center, Pentagon, USAINTC Special Summary Number 30, (declassified NND 881514), October 15, 1967, Reel 18, Frame 276–286, ASOD, S. 1.
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forderte unter anderem Fotos von Führern von Organisationen, wobei für 26 von 33 Personen Fotos eingereicht wurden. Außerdem nahm die 116. Einheit fünf Bänder mit Reden auf, die am Lincoln-Memorial gehalten wurden.42 Rückblickend bemängelte der Bericht, dass Reporte häufig an Details mangelten und ungefiltert weitergereicht wurden. Über vier Stunden erhielt das Hauptquartier keine Informationen aus Washington, woraufhin die Geheimdiensteinheit verstärkt wurde, um Informationen zu verarbeiten, und Prioritäten für Reporte geklärt wurden. Technische Schwierigkeiten bereiteten »flexowriter tape perforators«, lange Zusammenfassungen blockierten das »teletype equipment«.43 Technologie beschleunigte den Aufbau eines Überwachungsapparats und begünstigte ein Sicherheitsdispositiv, das flächendeckend und präventiv auf die Bevölkerung ausgerichtet war, sie hatte aber auch ihre Tücken und lieferte häufig nicht die gewünschten Ergebnisse. Die Proteste gegen den Vietnamkrieg rückten weiter in den Blick des militä rischen Geheimdienstes. Zur Antikriegsdemonstration im Oktober 1967 verbreitete das OACSI eine spezielle Studie des Forschungsprojekts zur Spionageabwehr (Counterintelligence, CI), die geplante Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams skizzierte. Unter anderem analysierten die Autoren psychologische Faktoren der Demonstrierenden, die sich in einer undisziplinierten und offen feindlichen Stimmung äußerten. Zwar hätten die Demonstrierenden begründete Argumente gegen den Krieg, jedoch wiesen jüngere Teilnehmer eine unbegründet antiautoritäre Haltung auf und hätten ein »confused and distorted concept of American society«.44 Die Autoren erwarteten etwa 40.000 vorwiegend friedliche Demonstranten und schrieben etwa fünf bis zehn Prozent der Teilnehmenden die Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam zu, wobei es sich überwiegend um passive Aktionen wie etwa Blockaden handeln könnte.45 Im Anhang listete die Studie eine Reihe von Persönlichkeiten und Organisationen, darunter die 1961 gegründete Organisation Women Strike for Peace (WSP). Diese stufe der Attorney General nicht als subversiv ein, erwähnte aber, dass es Hinweise auf eine kommunistische Infiltration gebe. Es bestehe keine offizielle Mitgliedschaft, eine sowjetische Publikation schätze die Zahl der Anhänger auf etwa 200.000.46 WSP, die später gegen das Überwachungsprogramm klagte, stand anscheinend weit oben auf der Liste der Dienste. Wer gegen den Krieg war, machte sich verdächtig. Obwohl die Geheimdienststudie von friedlichen
42 CG, USA THREE to CG USCONARC, The Anti-Vietnam War Demonstration, (sanitized copy, declassified NND 881514), December 1, 1967, Reel 13, Frame 477–488, ASOD, S. 7. 43 Ebd., S. 9. 44 OACSI, CI Special Study, (declassified NND 881514), August 9, 1967, Reel 16, Frame 372–409, ASOD, S. 2. 45 Ebd., S. 7. 46 Ebd., S. 22.
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Demonstrationen ausging, überwachte der Geheimdienst die Protestierenden und infiltrierte Gruppen mit Agenten. Bei einem Demonstrationszug zum Pentagon befand sich die Armee in Alarmbereitschaft und setzte eigene Agenten ein.47 Bereits im Vorfeld standen Personen, die an der Demonstration teilnehmen wollten, unter genauer Beobachtung, und die Geheimdienstzentrale gab Zusammenfassungen der Berichte heraus, die häufig unbescholtene Bürger erfassten. So listete Report Nummer 28 an das Army Operation Center im Pentagon Teilnehmende aus verschiedenen Städten auf. Beispielsweise nannte der Bericht namentlich Demonstranten aus St. Louis, MO, und führte das Transportmittel an. Wie einem Schwarzen Brett zu entnehmen sei, reisten unter anderem Frau Vivian S. mit ihrer Tochter Linda per Flugzeug sowie David K., Professor an der Washington University (WU), mit seiner Frau. Als Quelle wurde die Polizeiwache genannt.48 Wie im Report Nummer elf berichtet wurde, gab David Dellinger, Chairman des National Mobilization Committee (NMC), auf einer Pressekonferenz Details zur Demonstration im Oktober 1967 bekannt. Laut Dellinger solle die Veranstaltung friedvoll ablaufen, und Gewalt würde von Polizei und Regierung ausgehen. Es finde ein Demonstrationszug, eine Kundgebung sowie »direct action« statt. Als Organisatoren nannte Dellinger unter anderem Dagmar Wilson, Vorsitzende von WSP.49 Das FBI versuchte später, Dellinger als vermeintlichen Informanten zu diskreditieren.50 Zu Bedrohungen wie Sabotage oder Waffendiebstahl hatten diese Informationen keinen Bezug und war für die Mission nicht relevant, so dass ohne ordentliche Verfahren oder begründeten Verdacht die Daten von Demonstranten in Berichte und schließlich in Datenbanken wanderten. Ein After Action Report (AAR) aus dem Dezember schilderte die Vorbereitungen und den Ablauf des »March on Washington«, eine Massendemonstration, die für den 21. bis 22. Oktober geplant war. Der Bericht listete in Anhang C Personen auf, die den Protestmarsch vorbereiteten. Es reisten Teilnehmer aus rund 170 Städten, vornehmlich aber aus dem Nordosten, an. Während die Organisatoren von 100.000 bis 200.000 Personen ausgingen, berichteten offizielle Stellen von etwa 33.000 Personen, die an der Demonstration teilnahmen. Der Geheimdienstreport charakterisierte die Mehrheit als »college student, hippy types«, die unzufrieden mit dem Krieg seien, außerdem Professoren, Lehrende und Studierende, die aus Idealismus ein geringeres Engagement im Krieg propagierten. Des Weiteren nahmen afroamerikanische Gruppen teil, die der Be 47 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 52. 48 CGUSAINTC to Army Operations Center, Pentagon, USAINTC Special Summary Number 28, ICOP-IV, (declassified NND 881514), October 14, 1967, Reel 18, Frame 292–297, ASOD, Item 7. 49 CGUSAINTC to Army Operations Center, USAINTC Special Summary Number 11, declassified NND 881514, [September 30, 1967], Reel 18, Frame 383, ASOD, S. 1. 50 Davis, Assault on the left, S. 47.
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richt als »Black Power« und »militant negro groups« charakterisierte.51 Die Demonstration versammelte sich am Lincoln-Memorial und zog in Richtung Pentagon. Der Konsum an Marihuana war hoch, dagegen wurden wenig Spirituosen verzeichnet. Es gab vereinzelte Versuche, in das Gebäude einzudringen oder Linien der Militärpolizei zu durchbrechen, und es kam insgesamt zu rund 700 Festnahmen. Gegendemonstrationen bildeten unter anderem die American Nazi Party.52 Das Gebäude des Verteidigungsministeriums abzusichern, erschien eine legitime Aufgabe der Militärpolizei. Hingegen wirkt es im Rückblick unverhältnismäßig und unzweckmäßig, dass Agenten im Vorfeld die Demonstranten auskundschafteten, Listen über teilnehmende Organisationen führten und in Berichten namentlich Teilnehmer aufführten. Die Armee verstärkte im Vorfeld die Infrastruktur, um Personen zu beobachten und Berichte zu übermitteln. Die »CONUS Intelligence Branch, Operations IV« bildete vom 7. bis zum 23. Oktober rund um die Uhr eine Basis als »Operations Center«, in dem unter anderem eine Vorrichtung für teletype sowie eine sichere Leitung für klassifizierte Informationen bestanden. Mit der Stufe Lantern Spike galt ein abgekürztes Format für spot reports. Am 17. Oktober wurde nach einer Konferenz mit ACSI und FBI der Operationsplan Center Punch genehmigt und am 22. Oktober die 116. Einheit des Militärgeheimdienstes abermals verstärkt.53 Nach einem Treffen des OACSI mit der CIAB und dem USAINTC sowie später dem FBI sprachen die Verantwortlichen im Vorfeld des Demonstrationszugs eine Warnung an die MI-Gruppen aus. Ziel war es, Informationen über »aims, movement, tactics, and leadership of participating organizations« sowie über »means of shipment, location and intended use of arms, arson, demolition equipment, and harassment and propaganda material« zu erlangen. Es sollten Informationen über »intent and capabilities of the demonstrators« geliefert werden, damit die Armee gegebenenfalls taktisch Truppen einsetzen könne.54 Es herrschte ein Alarmzustand, Agenten sollten nach Waffen und Brandbeschleunigern Ausschau halten und die Struktur der Protestgruppen ermitteln. Die 116. Einheit war mit dem Verwalten von Informationen betraut. Agenten reichten während ihres Aufenthalts in Washington etwa 100 Berichte ein, doch wegen Problemen mit der Kommunikation wurden wenige Informationen zum direkten Gebrauch erstellt. Hingegen seien Informationen von der Anreise über Persönlichkeiten von hohem Wert für die MIG. Laut einem Schreiben konnte die 116. Einheit dem Chief of Staff of the Army 51 CG, USA THREE to CG USCONARC, The Anti-Vietnam War Demonstration, (sanitized copy, declassified NND 881514), December 1, 1967, Reel 13, Frame 477–488, ASOD, S. 3. 52 Ebd., S. 4 f. 53 Ebd., S. 5 f., Zitat S. 6. 54 CG, USA THREE to CG USCONARC, The Anti-Vietnam War Demonstration, Annex K, Operation Center Punch (U), (sanitized copy, declassified NND 881514), 1967, Reel 13, Frame 547–557, ASOD, S. 2 ff., Zitat S. 3.
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auf Grundlage von Berichten über die »intentions of demonstrators« Auskunft geben.55 Die Beobachtung vor Ort konzentrierte sich auf »Marshals«, die in Rufweite den Kontakt zu Demonstranten hielten und deren Handlungsfähigkeit entsprechend eingeschränkt war.56 Im Vorfeld wurden Agenten darauf angesetzt, Organisationen und Protestierende auszuforschen sowie signifikante Informationen zu sammeln. Die Überwachung hatte ein Eigenleben entwickelt. Die Berichte erwecken den Eindruck, dass die signifikanten Informationen zu gefährlichen Gegenständen ausblieben, dafür Details zu unbescholtenen Personen und zu harmlosen Ereignissen zu verzeichnen waren, und Agenten als vermeintliches Propagandamaterial eifrig Handzettel sammelten. Diese Art von Details hatte für die Mission der Armee keinen Nutzen, galt den Verantwortlichen dennoch als wertvoll. In einem Bericht der 113. Geheimdiensteinheit hieß es, dass fünf Teams im Einsatz waren, die mit Demonstranten nach Washington reisten. Das erste Team identifizierte David Thorstad als anerkannten Leiter der Gruppe des NMC. Eine gewisse Führungskraft besäßen ferner Larry S. und Fran S. Die Atmosphäre wurde als freundlich und entspannt charakterisiert. Bei einem Zwischenhalt in Wisconsin verteilte Joe Johnson von der SWP mit Begleitung Flugblätter für die nächste Präsidentenwahl, und die Agenten machten Fotos. Das zweite Team mischte sich unter die Fahrgäste, die zur Hälfte aus Hippies, ansonsten aus Individuen im Schul- oder Studentenalter sowie älteren Personen bestünde. Eine Person, die als Marty L. angesprochen wurde, Doktorandin in Soziologie an der WU und Mitglied der örtlichen SDS, leitete die Gruppe. Der Bericht beschrieb, wie sich die Demonstrierenden mit einem »›buddy‹ system« organisierten, wozu jeweils zwei Personen eine Gruppe bildeten und eine Telefonnummer erhielten, die Kontaktpersonen im Falle einer Verhaftung anrufen sollten. Weitere Reisende wurden namentlich genannt, darunter Jim M., ein 63-Jähriger, der sich als Kommunist ausgab, Charlene B., eine verheiratete Mutter von vier Kindern, die gelegentlich im Peace Information Center aushalf, sowie Robert I., ein Bibliothekar der WU, der schon in New York demonstriert hatte.57 Nach der Ankunft teilte sich die Gruppe auf. Die Demonstranten setzten sich in Bewegung zum Pentagon, wobei sie von »Marshals« geleitet wurden. Die Stimmung wurde als heiter beschrieben, die aber in eine etwas feindlichere Attitüde umschlug, als sich mehr Personen am Pentagon versammelten. Viele sangen: »Hell No, We Won’t Go«, oder: »Peace --- Now! --- Peace --- Now!«, wie die Agenten berichteten. In der Dämmerung wurde Tränengas versprüht, ohne dass 55 Ebd., S. 5. 56 Ebd., S. 6 f. 57 HQ 113 MI Group, ICGP-E-B to CG-USAINTC, After Action Report, Operation Center Punch, Control #7289–9012 (U), sanitized copy, (declassified NND 881514), October 31, 1967, Reel 13, Frame 902–920, ASOD, S. 6 ff., Zitat S. 9.
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die Agenten dies den Demonstranten oder der Militärpolizei zuordnen konnten. Auf der Rückfahrt sei die Stimmung ruhig gewesen, und viele hätten geschlafen. Etwa fünf Prozent hätten sich an zivilem Ungehorsam beteiligt. Mitarbeiter des Geheimdienstes sammelten verschiedene Flugblätter und Broschüren auf der Demonstration.58 Insgesamt erachtete der Autor des Berichts den Einsatz, dessen Ausgaben sich auf rund 600 Dollar beliefen, als Erfolg.59 Der Bericht wertete die Demonstration selbst als Misserfolg, da sie fragmentarisch, statt gut organisiert und geführt war.60 Anscheinend hatte der Geheimdienst subversive Gruppen mit klaren Kommandostrukturen erwartete, traf aber auf Zivilisten, die auf lose und unverbindliche Weise organisiert waren. Entsprechend trivial erschienen die Berichte, die in keinem Zusammenhang zu Gewalttaten standen. Weder bedrohten Aktionen die Sicherheit der Armee, noch stand zu irgendeinem Zeitpunkt ein Einsatz der Armee zur Debatte, um kommunale Kräfte zu unterstützen.
6.3 Eskalation im Protestjahr 1968: »Potential and probable trouble areas and trouble makers« Bereits Anfang des Jahres 1968 war die Lage angespannt. Im Januar fand ein Treffen im Büro von Joseph Califano, Special Assistant to the President, statt, bei dem die Planung für den Fall ziviler Unruhen besprochen wurde und die Pläne des Justizministeriums im Vordergrund standen. Wie Califano anmerkte, verlangte der Präsident, dass Probleme mit zivilen Unruhen unter Kontrolle gebracht würden. Unter anderem führte der verantwortliche Attorney General zur Geheimdienstarbeit aus, dass jegliche Ressourcen benötigt würden aber zu viel Material anfalle. Dem Verteidigungsministerium komme daher die Aufgabe zu, Geheimdienstmaterial zu prüfen und bloß wichtige Informationen an das Justizministerium weiterzuleiten.61 In dieser Weise waren aus Sicht der Regierung die Aufgaben verteilt, während innerhalb der Armee das eigenständige Überwachungsprogramm weiter wuchs. Anfang des Jahres 1968 erschien der Bericht der Kerner-Kommission, dessen Autoren eine wachsende Spaltung des Landes zwischen Ethnien erkannten und vor allem soziale Gründe für Unruhen ausmachten. Daher forderten sie im Bericht staatliche Interventionen, um »common opportunities« für die gesamte Bevölkerung zu schaffen und der 58 Ebd., S. 9 ff., Zitat S. 10. 59 Ebd., S. 18. 60 CG, USA THREE to CG USCONARC, The Anti-Vietnam War Demonstration, (sanitized copy, declassified NND 881514), December 1, 1967, Reel 13, Frame 477–488, ASOD, S. 9 f. 61 Robert E. Jordan, Memorandum for the Under Secretary of the Army, January 10, 1968, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1.
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»continuing polarization of the American community« zu begegnen.62 Dies waren die herkömmlichen Lösungsansätze der liberalen Politik, die gesellschaftliche Probleme an der Wurzel anpacken wollte. Die Armee befand sich im Inland in Alarmbereitschaft und erstellte eigene Pläne zur Beschaffung von Information, deren Tragweite stetig zunahm. Im Januar trat der Operationsplan 100-68 in Kraft, den das USAINTC in Hinblick auf zivile Unruhen erstellt hatte.63 Die Mission des Geheimdienstes war umfangreich und präventiv: »USAINTC monitors, on a continuous basis, areas of possible unrest and disseminates information / intelligence to commanders concerned«.64 Der Chief of Staff of the Army bestimmte USAINTC als zentrale Organisation für das Bereitstellen von Informationen zu zivilen Unruhen, wozu Angaben über Organisationen, Aktivitäten und Personen zählten. Bei kleineren Unruhen sollte sich die Geheimdienstarbeit verstärken. Der Kommandant der MI-Gruppen könne dem USAINTC in der Folge die Phase Lantern Spike empfehlen. Während dieser Phase befehligte der MI Group Commander das Geheimdienstpersonal aus der Region in einem Emergency Operations Center. Dies lief unabhängig von Armeeplänen ab und betraf lediglich den Geheimdienst USAINTC. Im Falle einer Phase Garden Plot solle der Geheimdienst »maximum intelligence support« liefern.65 Spot reports sollten »activities by dissident or potentially dissident groups and individuals throughout CONUS« abdecken, um Operationen und Planung bezüglich ziviler Unruhen zu unterstützen.66 Dissidenten und eventuelle Dissidenten bildeten eine vage bestimmte Gruppe, die der Geheimdienst verdächtigte, Unruhen anzustiften. Dieser Verdacht gründete auf Vermutungen statt auf Fakten. Es bestand eine Reihe von Informationssystemen, die von verschiedenen Abteilungen betrieben wurden. Beide Geheimdienstsparten unterhielten Informationssysteme in den Hauptquartieren, USAINTC in Fort Holabird bzw. CONARC in Fort Monroe.67 Die Datenbestände erschienen umfangreich und enthielten teilweise Informationen über zivilen Protest. Das Kernstück des 1965 gegründeten Geheimdiensts USAINTC bildete das US Army Intelligence Record Repository (USAIRR), das etwa acht Millionen Akten zu Sicherheitsüberprüfungen, Strafverfolgung sowie Gegenspionage umfasste. In der Zentrale in Fort Holabird befand sich ferner das National Agency Check Center (NACC), das auch Ermittlungsakten von Marine und Luftwaffe enthielt. Der Defense Central Index of Investigation (DCII) bildete eine Kartei zu den Ermittlungsakten. Dieser Index 62 National Advisory Commission on Civil Disorders 1968, Report, S. 1. 63 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 270. 64 USAINTC Civil Disturbance Plan, OPLAN 100-68 (U), (declassified NND 881514), March 1, 1968, Reel 15, Frame 934–1002, ASOD, S. 3. 65 Ebd., S. D-3 f., Zitat S. D-4. 66 Ebd., S. H-3-1. 67 Donner, The age of surveillance, S. 294 ff.
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umfasste Ende 1970 rund 25 Millionen Karteikarten über Individuen, wie später aus Anhörungen hervorging.68 Außerdem bestanden sogenannte Biographical Files über Personen, die der DCSINT verwaltete.69 Bestände ohne direkten Bezug zu Sicherheitsüberprüfungen bezeichnete eine Senatsstudie später als »satellite files«, darunter »subversive files« über Personen und Organisationen, die eine Bedrohung für das Land darstellen könnten. Ferner existierten Bestände mit Berichten über politische Ereignisse, von denen eine Gefahr ausgehen könne. Eine Datenbank über Ereignisse wie zivile Unruhen oder Demonstrationen war computerbetrieben. In computerisierter Form bestand auch eine Datenbank über Personen, von denen angeblich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die militärische Sicherheit ausging.70 Die Ereignisdatenbank wurde mit Berichten gespeist und enthielt Zusammenfassungen von Begebenheiten sowie Angaben über beteiligte Organisationen und Personen. Vermutlich diente die Datei als »index to more extensive records«.71 Ursprünglich dienten die Informationssysteme den Kernaufgaben der Armee wie Sicherheitsüberprüfungen. Diese Aufgabe vermischte sich aber zusehends mit dem Erfassen von Zivilisten. Geheimdienstliche Stellen bauten weitere Systeme auf, die einzig auf zivilen Protest ausgerichtet waren. Auf diese Weise hatten die Geheimdienste im Hintergrund eine informationstechnische Infrastruktur errichtet, mit der sie Berichte über Proteste ordneten und Listen über politisch aktive Personen und Gruppen führten. Nach den Unruhen im April 1968 wurde diskutiert, eine Zentralstelle für Informationen über zivile Unruhen aufzubauen. Ein Schreiben des OACSI empfahl, eine »centralized civil disorder data base« zu installieren. Demnach habe das Justizministerium im Dezember 1967 eine »Inter-Division Information Unit« (IDIU) eingerichtet, um Daten über zivile Unruhen zu verwalten. Allerdings sei das System noch nicht vollständig automatisiert. Es bestehe eine Kooperation zur CIAB, die Berichte an das Justizministerium weitergegeben und ihrerseits »Weekly Summaries« in eine Datenbank eingespeist habe.72 Insgesamt wirkte das Informationssystem wenig integriert oder zentralisiert. Vielmehr unterhielten die ermittelnden Geheimdienstsparten sowie die Analysestelle jeweils eigene Systeme. Ein Ansatz zur Planung bestand darin, eine Datenbasis zu schaffen, um drohende Unruhen vorab zu bestimmen. Beispielsweise regte das USAINTC 68 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 399 ff. 69 DA, USAINTC, ICIRD to ACSI, Counterintelligence Activities Concerning Civilians Not Affiliated With the Department of Defense, with inclosure, (declassified NND 881514), January 29, 1971, Reel 2, Frame 505–531, ASOD, S. 5 ff. 70 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 21 f., Zitat S. 21. 71 Ebd., S. 33. 72 CI Div OACSI to DCDPO, Status of Actions taken on DA After-Action Report of April 1968 Disorders, (declassified NND 881514), July 26, 1968, Reel 17, Frame 326–328, ASOD, S. 3.
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in einer Zusammenfassung der Ereignisse im Juli 1967 an, einfache Statistiken über Feuer, Verhaftungen oder Ereignisse an einem »normal day« zu erstellen, um sie beim Ausbruch von Unruhen als Referenzwert zu nutzen.73 Solch einen statistischen Ansatz legten Studien zu den Unruhen im Sommer nahe, wie sie Cyrus Vance 1967 im Auftrag des Verteidigungsministeriums anfertigte. Als Reaktion auf die Krawalle erarbeitete eine DA task group eine Studie zur Mission der Armee hinsichtlich ziviler Unruhen.74 Wie aus einem Chief of Staff Memorandum (CSM) 67-316 hervorgeht, sollten Einflussfaktoren für Unruhen ausgemacht werden. Später konzentrierte sich die Analyse aber auf Schwellen der Gewalt, bei deren Überschreitung die lokalen Sicherheitskräfte auf Unterstützung angewiesen seien.75 Laut CSM 67-316 entwickelte das USAINTC eine statistische Datenbank, um Trends zu zivilen Unruhen zu bestimmen. Aus den Daten sollte ein Normwert für Städte bestimmt werden, so dass Behörden Schritte unternehmen könnten, sobald dieser Wert in potenziellen Unruhegebieten überschritten werde. Zu den Indikatoren zählten »fires, shootings, robberies, false alarms, major police / civil incidents, bombings, riot deaths, looting / larceny, meetings and assaults«.76 Schließlich gab der Chief of Staff sein Einverständnis zum Konzept von Schwellenwerten. Wie James Gardner in seiner Dissertation analysiert, scheiterte das Vorhaben, Indikatoren für zivile Unruhen zu bestimmen, an den »complexities of developing a valid statistical incident base«.77 In Dokumenten einer internen Diskussion um Indikatoren für Unruhen und einer entsprechenden Datenbank zeichnet sich ein spezifisches Verständnis von Sicherheit ab. Einem Zustand der Unsicherheit wollte das Verteidigungsministerium mit der Analyse statistischer Daten begegnen. Das Konzept von Schwellenwerten hatte Yarborough, Assistant Chief of Staff for Intelligence, im Februar 1968 beim Stabschef vorgeschlagen. Demnach solle das Konzept aus dem OACSI umgesetzt werden und sich der USAINTC beim Aufbau einer statistischen Datenbank danach ausrichten.78 Harry Lemley, Lieutnenant General, Deputy Chief of Staff for Military Operations, gab zu bedenken, dass das Konzept von Schwellenfaktoren zu rechtlichen Konflikten mit dem FBI führen könne, das für das Erheben von Daten ziviler Stellen zuständig sei. Seine Empfehlung lautete, dass das ACSI einen Vorschlag für Entwicklung
73 USAINTC, ICOP, Operations Summary, enclosure, (declassified NND 881514), August 15, 1967, Reel 13, Frame 98–103, ASOD, S. 4. 74 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 70, 85. 75 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 77 ff. 76 [OACSI], Summary of CSM 67-316, Study, [TAB A, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 680, ASOD, S. 1. 77 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 102. 78 ACSI-DSCV, William P. Yarborough, Army Preparedness in Civil Disturbance Matters, (declassified NND 881514), February 4, 1968, Reel 7, Frame 676–677, ASOD, S. 1.
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und Nutzung einer Datenbank erarbeite.79 Colonel William Walsworth, Provost Marshal General, verwies darauf, dass die vorgeschlagenen Faktoren zur offiziellen Einschätzung der Situation erst nach Eintreffen von Armeetruppen in einer Stadt verfügbar seien. Jedoch wolle der Chief of Staff vorab informiert sein: »the CofSA desires an evaluation before a city has erupted«.80 Es standen Prävention und Sicherheit im Vordergrund. Beide Stellen, die konsultiert wurden, wollten anscheinend am Konzept für eine Datenbank festhalten und sprachen sich gegen die modifizierte Empfehlung aus, lediglich Berichte von örtlichen Kräften einzubeziehen. Die Idee lautete, politischen Protest lückenlos zu beobachten und die resultierenden Berichte zusammen mit sozioökonomischen Daten in einen Computer, der das mögliche Auftreten von Unruhen errechnete, zu speisen. Diese Idee war freilich umstritten. Vorangegangen waren unterschiedliche Studien und Analysen, die im Anhang des Memorandums von Yarborough standen. Eine Studie zu einer »Civil Disturbance Data Base« untersuchte Bestände aus dem USAINTC wie etwa spot reports, Bestände des CIAB, after action reports, Medienberichte sowie akademische Studien. Die Autoren erörterten verschiedene Indikatoren, von Polizeimeldungen bis hin zu Gerüchten, wobei generelle Indikatoren etwa den Anteil ethnischer Minderheiten, Arbeitslosigkeit und Kriminalität abbildeten. Allerdings könnten die »complex inter-relations« zwischen diesen Indikatoren nicht objektiv analysiert werden. Außerdem könnten Städte nicht ohne weiteres verglichen werden.81 Zu einem ähnlichen Urteil gelangte eine weitere Einschätzung zu statistischen Analysen, wonach gewöhnliche Ereignisse Ausschreitungen auslösten und die Krawalle kaum Gemeinsamkeiten aufwiesen. Es könnten keine Schwellen der Gewalt ausgemacht werden, und statistische Analysen könnten sich als irreführend erweisen. Das Fazit lautete: »mob violence, a form of mass hysteria, is the most unpredictable of human actions«.82 Unruhen erschienen unberechenbar. Mit anderen Worten machte das Vorhaben, eine statistische Datenbank zur Prognose von Unruhen aufzubauen, aus Expertensicht wenig Sinn. Gesammelt wurde aber weiterhin eifrig. Trotz dieser Einschätzungen bestand die Frist, bis Ende Januar einen Vorschlag vorzulegen, wie Schwellenwerte zu bestimmen seien. In der Folge wandelte die Verwaltung das Konzept ab. Das Konzept »Thresholds of Control« zielte darauf ab, dass nicht die Summe der Ereignisse, sondern die fehlende Bereitschaft lokaler Kräfte einen Notstand ausmache. Daher folgerte die Studie: 79 DA, DCSOPS, OPS OD AOC, Harry J. Lemley, Memorandum for ACSI, (declassified NND 881514), [February 1968], Reel 7, Frame 678, ASOD, S. 1. 80 DA, OTPMG, PMGP-M, William A. Walsworth, Memorandum for ACSI, (declassified NND 881514), [February 1968], Reel 7, Frame 679, ASOD, S. 1. 81 [OACSI], Summary of CSM 67-316, Study, [TAB A, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 680, ASOD, S. 1. 82 [OACSI], Assessment of Statistical Analyses Approach to Thresholds, [TAB E, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 683, ASOD, S. 1.
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»the best collectors and analysts are the civil commanders and experts on the scene«.83 Entsprechend sollte das USAINTC statistische Daten sammeln, die statt geheimdienstlichen Zwecken der Analyse von Schwellenfaktoren dienten.84 Laut dem Konzept solle die Geheimdienstführung außer Ereignissen auch die Bereitschaft der lokalen Kräfte beachten.85 Deshalb solle eine geplante Datenbank zu zivilen Unruhen auch solche Indikatoren enthalten. Zu Trends für soziale Unruhen galten weiterhin etwa »subversive and militant organization activity«.86 In den unterschiedlichen Ebenen der Hierarchie herrschte Uneinigkeit und ein uneinheitliches Vorgehen. Während der Chief of Staff vermutete, dass bestimmte Gewaltschwellen bestanden, kamen Studien für das OACSI zu dem Ergebnis, dass Unruhen spontan ausbrachen. Derweil hatte das USAINTC begonnen, auf eigene Faust ein Informationssystem aufzubauen. Als Resultat der Diskussion sollte eine ganze Reihe von Faktoren ermittelt werden, darunter auch die Aktivitäten von vermeintlich subversiven Organisationen. Im Februar trat ein Operationsplan mit dem Codenamen Garden Plot in Kraft, der eine umfassende Planung für zivile Unruhen beinhaltete. Dieser Plan sah vor, die verfügbaren Truppen aufzustocken, und ermöglichte es der Führung, parallele Einsätze zu leiten.87 Laut einem Operationsplan des US Army Materiel Command fiel dem USAINTC dabei sowohl die Aufgabe zu, Gebiete während Unruhen zu beobachten, als auch die Kommandeure »prior to and during periods of increased tension« zu unterstützen.88 Dass der Geheimdienst schon agieren sollte, bevor Spannungen überhaupt auftraten, resultierte in einer permanenten Überwachung von Demonstrationen und Veranstaltungen. Landesweite richtete die Armee 26 Hauptquartiere ein, um im Notfall Truppen zu entsenden.89 Der Annex B, Intelligence, vom 1. Februar 1968 behandelte die Geheimdienstarbeit und entsprach Anhang C des Operationsplans 100-68. Das Format für die Geheimdienstberichte bildeten spot intelligence report und daily intelligence summary. Als Konfliktherde machten die Autoren die Stadtzentren 83 [OACSI], Incorporation of Thresholds of Control Requirements into the US Army Civil Disturbance Procedures, [TAB F, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 684–686, ASOD, S. 1. 84 [OACSI], Collection of Statistical Data Base by US Army Intelligence Command, [TAB G, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 687, ASOD, S. 1. 85 [OACSI], Concept Threshold of Control, [TAB H, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 688, ASOD, S. 1. 86 [OACSI], Summary of CSM 67-316 Study, Conclusions and Recommendations, Modified Conclusion, Tab M, [TAB I, Army Preparedness], (declassified NND 881514), [February 4, 1968], Reel 7, Frame 689, ASOD, S. 1. 87 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 97 f. 88 U. S. Army Material Command, OPLAN 563 (Garden Plot) (U), inclosure, (declassified NND 881514), December 23, 1968, Reel 14, Frame 653–739, ASOD, S. 3. 89 Ebd., S. A-1.
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bei heißem Sommerwetter aus, wobei Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik, die sich in Antikriegsdemonstrationen äußere, sowie konfliktgeladene ethnische und soziale Verhältnisse den Nährboden für Gewalt bildeten. Diese Situation könnten »external subversive forces« ausnutzen, so dass insgesamt eine militärische Intervention erforderlich werden könne.90 Diese Gefahreneinschätzung war weit gefasst. Die Sorge vor Subversion, die von außerhalb Unruhe ins Land bringen könne, reflektierte eine Rhetorik des Kalten Kriegs, die einer faktischen Grundlage entbehrte. Die Antwort auf diese Analyse lautete, Ereignisse von politischem Protest möglichst lückenlos zu überwachen. Auch die Liste zu sammelnder Informationen war allgemein bezeichnet und umfasste unter anderem »subversive elements« als EEI.91 Auf Grundlage der Informationen aus dem Inland sollte der ACSI des Department of the Army (DA) Berichte, Prognosen sowie Studien erstellen, wie es im Operationsplan 100-68 aus dem März 1968 hieß.92 Der Anhang I zu Planung enthielt Städte im Gebiet der einzelnen MI-Gruppen, denen das DA eine hohe Priorität zuwies. Weiterhin hieß es: »Group plans will ensure that all possible sources for civil disturbance information are exploited«.93 Die Dienste waren mit einer Situation konfrontiert, in der soziale Konflikte in gewalttätigen Ausschreitungen eskalierten. Solche gesellschaftlichen Spannungen ließen sich aber schlecht observieren. Stattdessen glaubten die Dienste an subversive Kräfte und Verschwörer, von denen zivile Unruhen ausgehen könnten, und nahmen Demonstrationen gegen den Krieg in den Fokus. Verschwörungstheorien prägten die Strategie der Armee: »the conspiracy thesis became the organizing concept«.94 Dabei wirkte der Antikommunismus der fünfziger Jahre nach. Die Annahme lautete, dass Gruppen in den Ghettos der Städte zu einer kommunistischen Revolution aufrufen könnten.95 Die Folge war eine flächendeckende Überwachung von Protesten, die vor allem die Friedens- und Bürgerrechtsbewegung betraf. Die Armee schien nach dem Motto zu verfahren: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Diese Perspektive, wonach subversive Personen hinter Unruhen steckten und jede Demonstration in schwere Ausschreitungen zu eskalieren drohte, nahmen Studien zur Gefahrenanalyse ein. Einer Schätzung der Gegenspionage zufolge sei damit zu rechnen, dass sich Führer von ethnischen Gruppierungen sowie von Antikriegsorganisationen militarisierten, Dissidenten-Organisationen effektiver arbeiteten und besser kooperierten. Die Autoren listeten für das Jahr 90 DA, Civil Disturbance Plan (U); Annex B (Intelligence), February 1, 1968, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1. 91 Ebd., S. 3. 92 ICDO, USAINTC Civil Disturbance Plan, OPLAN 100-68 (U), inclosure, (declassified NND 881514), March 1, 1968, Reel 15, Frame 934–1022, ASOD, S. C-5. 93 Ebd., S. I-1 f., Zitat S. I-2. 94 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 368. 95 Ebd., S. 325.
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1968 geplante Großdemonstrationen auf und nannten Städte, in denen Unruhen wahrscheinlich würden. Weitere 36 Städte waren in einem Anhang als »Category II« eingestuft, in denen zivile Unruhen sogar einen Einsatz der Nationalgarde erfordern könnten.96 Eine Prognose von CONARC ging von Unruhen eines »racial conflict« im Sommer 1968 aus, deren Orte nicht genau vorherzubestimmen seien, da Dissens und Agitation weit verbreitet seien. Laut einem Bericht unter Einbezug von FBI-Informationen würden »dissident elements« ethnische Unruhen anstiften und ausnutzen.97 In den vorhergehenden Jahren folgten die Unruhen einem Muster einer »spontaneous eruption of mob violence, triggered by some trivial incident«. Im Hintergrund warteten laut Bericht Kräfte, um solche Unruhen politisch auszunutzen. Als Personen wurden Bürgerrechtler Stokely Carmichael, H. Rap Brown vom SNCC, Floyd McKissick, Congress of Racial Equality (CORE) sowie Martin Luther King genannt. Die genannten Personen engagierten sich in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Zu den Organisationen zählten die Communist Party USA (CPUSA), das SNCC, Nation of Islam (NOI), CORE, SCLC, SDS oder SWP.98 Außer Organisationen aus der Zivilgesellschaft, gingen die Dienste auch Dissidenten in den eigenen Reihen nach. Eine Studie zu Subversion gegen die Armee nannte unter anderem Resisters Inside the Army (RITA).99 Als Quelle für eine Subversion gegen die US-Armee galten Pazifisten, Kommunisten sowie die Neue Linke; zu deren Mitteln zählte vor allem Propaganda. Allgemein nahm die Armee Dissens als Problem für die eigene Organisation und das Militär wahr: »The rise in political dissent has a particular impact on US military forces«.100 Während das Militär im Vietnamkrieg zunehmend den Rückhalt in der Gesellschaft verlor, infiltrierte der Geheimdienst Kriegsgegner und Demonstranten. Während sich soziale Spannungen in spontanen Ausschreitungen entluden, machte die Armee die Schuldigen unter subversiven Kräften aus, die sie teilweise in der Bürgerrechtsbewegung vermutete. Es gehörte eigentlich nicht zu den Aufgaben der Armee, gegen Dissens und Propaganda vorzugehen. Nur in Ausnahmefällen kam ein Einsatz der Armee im Inland infrage. Eine solche Ausnahmesituation entstand im Frühjahr 1968. Der im Bericht der Gegenspionage genannte Martin Luther King wurde im April ermordet. In der Folge kam es zu schweren Ausschreitungen in mehreren 96 USAINTC, ICCS, Items of Command Interest, inclosure, (declassified NND 881514), March 8, 1968, Reel 12, Frame 740–743, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. i2. 97 DA, USCONARC, Charles A. Symroski, Deputy Chief of Staff for Intelligence, Forecast of possible civil disturbances – 1968 (U), inclosure, (declassified NND 881514), March 26, 1968, Reel 12, Frame 727–739, ASOD, S. 1 f., Zitat S. i2. 98 Ebd., S. 8. 99 OACSI, CI Research Project, (declassified NND 881514), October 1, 1968, Reel 16, Frame 579–646, ASOD, S. 2. 100 Ebd., S. 4 ff., Zitat S. 4.
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Städten. Ein after action report schilderte den Einsatz der Armee bei Ausschreitungen in Baltimore im April 1968, der sich nach dem Department of the Army Civil Disturbance Plan aus dem Februar 1968 richtete und bei dem Lieutenant General Robert York das Kommando hatte. In der Nacht nach dem Attentat wurde das Hauptquartier in Alarmbereitschaft versetzt; in der Nacht zum Montag, den 8. April, unterzeichnete der Präsident eine executive order, um Truppen der Armee einzusetzen. Daraufhin wies das CONARC das Hauptquartier XVIII Abn Corps an, einen Plan zu entwickeln und zwei Brigaden in Baltimore bereitzustellen.101 In den Morgenstunden wurde über Menschenmengen mit bis zu 500 Personen und von Plünderungen berichtet. Die Führung entsandte unter anderem Bataillone in den zentralen Polizeibezirk, den östlichen Polizeibezirk und zum Druid Hill Park als Reserve. Auf diese Weise konnte die Situation unter Kontrolle gebracht werden, wie es im Bericht hieß: »With the event of this increased troop density, particularly in the Central downtown section, incidents of violence began to decrease and the situation was again stabilized«.102 Die Unruhen dauerten weitere Tage an. Erst am Samstag, den 13. April, wurde die letzte Brigade nach Fort Bragg abgezogen. Wie der Bericht betonte, sei kein einziger Soldat getötet oder verwundet worden, was von der Professionalität der Mission zeuge.103 Insbesondere in der Anfangsphase von zivilen Unruhen sei eine stärkere Geheimdiensttätigkeit notwendig. Dabei sollte die Operation mobiler MI-Gruppen präventiv vorgehen: »before a disturbance actually erupts or immediately upon the outbreak of a disorder«.104 Es gehörte zu den Aufgaben des Geheimdienstes, die Armee bei einem Einsatz bei zivilen Unruhen zu unterstützen. Eine Dauerüberwachung von friedlichen Demonstrationen ergab sich daraus freilich nicht. Während Einsätzen bei Unruhen erschienen wiederum Statistiken als nützlich. Laut einem Bericht zu den Ausschreitungen in Baltimore im April 1968 sollte die task force eine Verbindung zur Polizeizentrale und zur Feuerwehr halten, was insbesondere zur Beschaffung von »statistical data required to determine the hour to hour progress of a civil disturbance« bedeutsam sei.105 Mit Hilfe von Statistiken wollte die Armee den Verlauf von Unruhen einschätzen, um Entscheidungen in unsicheren Situationen zu treffen. Allerdings sammelten die Geheimdienste auch ohne einen konkreten Anlass verschiedene Informationen. Der Operationsplan Garden Plot listete Indikatoren für mögliche Gewalt auf, wie Arbeitslosigkeit unter Minderheiten, steigende Kriminalitätsraten, sowie 101 DA, HQ XVIII Airborne Corps and Fort Bragg, After Action Report, Task Force Balti more (RCS CSFOR-65), 7–13 April 1968, (declassified NND 881514), May 7, 1968, Reel 8, Frame 8–51, ASOD, S. I-1 ff. 102 Ebd., S. I-4. 103 Ebd., S. I-7. 104 Ebd., S. II-d-1. 105 Ebd., S. II-d-1 f., Zitat S. II-d-1.
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Lohnungleichheit, ein verschlechtertes Verhältnis zu Gesetzeshütern, Zuzug von Minderheitengruppen in Slums und Proteste gegen dortige Lebensbedingungen. Ein direktes Gewaltpotential ging laut Operationsplan von militanten Agitatoren oder von extremistischen Gruppen aus, die etwa auf Flugblättern zu Gewalt aufriefen; ferner zählten vermehrter Diebstahl oder vermehrte Verkäufe von Waffen, zerbrochene Fenster oder falscher Alarm, Berichte oder Gerüchte über geplante Gewaltaktionen, Anwesenheit von Aufwieglern zu den Merkmalen.106 Dies stellte eine breite Palette an zu sammelnden Daten dar, die sowohl sozioökonomische Faktoren als auch Informationen über politische Dissidenten umfasste. Der praktische Nutzen dieser Informationen war fraglich. Indessen stand das Vorhaben, wie es Vance angeregt hatte, Schwellenindikatoren zu bestimmen, vor einer Bewährungsprobe. Wie Colonel Millard Dougherty, der für Operationen von USAINTC verantwortlich zeichnete, anmerkte, fehlten entsprechende Statistiken. Ein monatlicher Index zur Kriminalität, den das FBI erstellte, bot keinen verlässlichen Indikator für Unruhen. Als verlässlichere Indikatoren betrachtete das Schreiben die Präsenz von Radikalen, Aktivitäten von radikalen Organisationen, Propaganda und Gerüchte, Abwesenheit von Schülern in Schulen, von der Arbeit fernbleibende Angestellte, ungewöhnliche Versammlungen, Automobile von außerhalb mit männlichen Insassen, steigende Nachfrage nach Lebensmitteln, Treibstoff oder Waffen sowie Trends von Ereignissen oder Diebstahl von Waffen.107 Der Geheimdienst setzte also weiterhin auf die Überwachung von Dissidenten, anstatt sich auf sozialen Faktoren zu verlassen. Auch innerhalb des CONUS-Geheimdienstes gab es Probleme mit dem statistischen Ansatz. So berichtete dessen Chef, Major Orville McLay, über Schwierigkeiten, die geforderten Ereignisstatistiken zusammenzustellen. Denn lokale Polizeikräfte erstellten solche Statistiken nicht, und es bestünden keine einheitlichen Standards zur Datenerhebung. Insgesamt seien mehr Arbeitsstunden und mehr Personal notwendig, um Informationen vor Ort zu erheben und weiterzuleiten.108 Außer rein statistischen Indikatoren für Lageberichte und Prognosen trugen Dienste also massenweise Fakten über Personen und Organisationen zusammen. Es ergab sich eine Mischung aus technologiegläubigen und technikgestützten Planungskonzepten und einer flächendeckenden Beobachtung bestimmter Gruppierungen.
106 DA, Civil Disturbance Plan (U); Annex B (Intelligence), February 1, 1968, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 2. 107 [USAINTC], Millard F. Dougherty, Memorandum to Chief of Staff, Incident Rate Data (Action Sheet 257–68), (declassified NND 881514), June 19, 1968, Reel 12, Frame 626–627, ASOD, S. 1 f. 108 [CONUS], Orville K. McLay, Memorandum for the Chief of Staff, Incident Rate Data (Action Sheet 257–68), (declassified NND 881514), June 19, 1968, Reel 12, Frame 628–629, ASOD, S. 1 f.
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Im Verlauf des Jahres 1968 baute das Militär unter der Führung der Armee die Kapazitäten aus, um auf Unruhen zu reagieren, aber auch, um vermeintlich subversive Kräfte zu überwachen. Seit dem 4. April 1968 richtete das USAINTC die Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf zivile Unruhen, anstatt der üblichen Mission nachzugehen, wie es in einer Notiz hieß, und es war ein »considerable shift of effort to CONUS intelligence« zu verzeichnen.109 Darüber hinaus erweiterte das Militär die operativen Kapazitäten und gründete eine eigene Stelle, um auf Unruhen reagieren zu können. Im Frühjahr 1968 wurde ein Directorate for Civil Disturbance Planning and Operations (DCDPO) eingerichtet, das dem Army Chief of Staff unterstand. Damit errichtete das Verteidigungsministerium eine Stelle innerhalb des DA, die sich fortwährend mit der Planung für den Einsatz bei möglichen Unruhen befasste und auch das Sammeln von Informationen koordinierte.110 In einer Besprechung im Verteidigungsministerium am 10. April fand sich eine Mehrheit für ein neues Direktorat; die entsprechende Anweisung gab Staatssekretär McGiffert am 13. April weiter.111 Die Entscheidung, diese Stelle einzurichten, fiel zeitlich mit den Ausschreitungen nach dem Attentat auf Martin Luther King zusammen. Keine zwei Wochen nach den Unruhen war das neue Direktorat geschaffen. Indessen ging die Überwachung der Bürgerrechtsbewegung weiter, wobei das Washington Spring Project 1968 im Fokus der Dienste stand.112 Diesbezüglich forderte Yarborough akkurate und pünktliche Informationen über Größe, Ziele und Taktik der Demonstration, um die Lage im Vorfeld einschätzen zu können. Demnach solle das USAINTC per spot reports über verschiedene Aspekte berichten, wie Daten zu Transport und Marschrouten, mögliche Ziele der Demonstration, finanzielle wie logistische Probleme, ferner über möglichen subversiven Einfluss auf die Führung des Washington Spring Project, über Nutzen, den »local black militants« daraus ziehen könnten, sowie Daten über bestimmte Persönlichkeiten der SCLC.113 Der Geheimdienstchef sah in der Organisation einen Hort von Unruhestiftern und in der Demonstration gegen Armut einen Krisenherd. Als weitere Reaktion auf die Ausschreitungen entschied sich die Armee, einen umfangreichen Army Civil Disturbance Information Collection Plan (ACDP (U)) 109 USAINTC, ICOP to ACSI, statement of Impact – USAINTC, inclosure, (declassified NND 881514), April 12, 1968, Reel 12, Frame 722–726, ASOD, S. 1. 110 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 123 f.; Donner, The age of surveillance, S. 294 ff.; U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1122. 111 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 342 f. 112 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 84. 113 ACSI-DSCC, William P. Yarborough to USAINTC, Intelligence Reports on Washington Spring Project, (U), (declassified NND 881514), April 25, 1968, Reel 8, Frame 543–546, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. 1.
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aufzusetzen. Dieser Plan aus dem Mai 1968 überstieg den Anhang zu Geheimdienstaktivitäten von Garden Plot und sah das Sammeln von Fakten in umfangreichem Maße vor. Dazu griff der Geheimdienst auch auf verdeckte Methoden zurück. Diesen Kurs hatte die Regierung zwar nicht vorgegeben, doch das Weiße Haus erhöhte den Druck auf die Armee, zuverlässige Informationen zu liefern.114 Auch dieser Plan betonte eine Notwendigkeit zum präventiven Sammeln von Geheimdienstmaterial, die sich aus den Unruhen ergebe: »advance information concerning potential and probable trouble areas and trouble makers«.115 Die Armee wähnte weiterhin sowohl in der Antikriegs- als auch in der Bürgerrechtsbewegung eine gewaltbereite Minderheit. Entsprechend allgemein fiel die Mission des Geheimdienstes aus, wonach Material zu »any actual, potential or planned demonstrations or other activities related to within the Continental United States« gesammelt und ausgewertet werden sollte.116 Erneut fällt der präventive Charakter des Programms auf. So richtete sich die Arbeit bereits auf mögliche Demonstrationen oder eventuelle Unruhestifter. Als Konsequenz daraus standen weite Personengruppen unter einem pauschalen Verdacht. Im Juni verabschiedete der Kongress ein Gesetz, wonach der Direktor des Secret Service auf Kräfte von Bundesbehörden zurückgreifen durfte, sodass sich ein weiteres Einsatzgebiet der Armee im Inland ergab. Sowohl der Parteitag der Republikaner in Miami, als auch der Parteitag der Demokraten in Chicago standen unter der Überwachung der Armee.117 Außerdem waren Agenten auf dem Campus von Universitäten aktiv, denn der Protest der Studierenden richtete sich gegen den Vietnamkrieg, und es standen beispielsweise ROTC-Programme in der Kritik. Im August 1968 wurde Major General Joseph McChristian neuer Geheimdienstchef der Armee, der die inländische Überwachung von Zivilisten zurückfahren wollte, aber am Widerstand im Pentagon scheiterte.118 Die präventive Strategie setzte sich daher fort. Angesichts steigender Nachfrage an MI-Gruppen zum Sammeln und Weitergeben von inländischem Geheimdienstmaterial von »Conus Intelligence Reporting« erließ das Hauptquartier USAINTC in Fort Holabird im Jahre 1968 neue Richtlinien. Demnach könnten Befehlshaber situationsbedingt ein abgekürztes Format für spot reports wählen und Agenten in dringenden Fällen Berichte
114 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 156 ff.; Donner, The age of surveillance, S. 303; Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 375. 115 DA, Department of the Army Civil Disturbance Information Collection Plan ACDP (U), May 2,1968, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1. 116 Ebd., S. 2. 117 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 15; Donner, The age of surveillance, S. 305 f. 118 Jensen, Army surveillance in America, S. 242 f., 244 f.
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auch telefonisch übermitteln.119 Die Armee setzte auch Videoequipment zur Überwachung ein. So erachtete Colonel, MI, Maurice Young, Deputy Director, Video als eine Form von ermittlungsbezogener Fotografie und bezeichnete es als »technical investigative technique«.120 Technologie, so lässt sich das Zitat verstehen, entfaltete ihre Wirkung erst mit den entsprechenden Techniken zu ihrer Anwendung. In einer Bibliothek lagerten unter anderem Videoaufnahmen von Demonstrationen und Fotografien von Demonstranten.121 Schon im Vorfeld sollten Geheimdienstagenten der Task Force Washington verschiedenen Fragen zur »opposing force« nachgehen. Darunter fiel die soziale Zusammensetzung wie nach Alter, Arbeitslosigkeit oder Angehörigkeit zu einer Minderheit aber auch Möglichkeiten, schwere Gewalttaten auszuüben. Im Detail listete der Plan Fragen nach Scharfschützen, Art der Waffen, Zielen und Zielobjekten, Versammlungspunkten, Zahl der lokalen Akteure in Unruhen, Zahl der Unterstützer von außerhalb, verbundene Organisationen sowie nach Führern der Unruhen auf.122 Für »planning purposes« teilte Anhang C von Garden Plot verschiedene Regionen in hohe, mittlere und niedrige Priorität ein.123 Diese Strategie wurde später kontrovers diskutiert. Einerseits bestand ein legitimes Interesse, über mögliche Einsatzorte informiert zu sein und etwa vorab über Kartenmaterial zu verfügen. Andererseits führten die Pläne zu einer ausufernden Sammlung von Informationen über Zivilisten. In den Kriterien mischten sich allgemeine Angaben zur Sozialstruktur oder zum Waffenbesitz wie auch zur Zusammensetzung von Organisationen. Die Anforderungen der Planung resultierten in zahllosen Berichten über harmlosen Protest unbescholtener Personen. Eine Kursänderung war nicht abzusehen. Konservative Politiker wie der Präsidentschaftskandidat Richard Nixon propagierten eine Antwort von Recht und Ordnung, so dass dessen Regierungsantritt die Programme zur Überwachung eher zu befördern erschien, als sie zurückzustutzen.
119 CG USAINTC to All MI Groups, Utilization of Spot Report Formats, (declassified NND 881514), [August 24, 1968], Reel 11, Frame 322–323, ASOD, S. 1. 120 USAINTC Ops to DCSOPS, Policy and Procedures, video equipment, (declassified NND 881514), [October 17, 1968], Reel 7, Frame 571, ASOD, S. 1. 121 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 21 f. 122 U. S. Army Material Command, OPLAN 563 (Garden Plot) (U), inclosure, (declassified NND 881514), December 23, 1968, Reel 14, Frame 653–739, ASOD, S. B-4. 123 Ebd., S. C-1.
7. Anatomie einer Sicherheitsgesellschaft
Abb. 12: Präsident Lyndon Johnson gelang mit der Bürgerrechtsgesetzgebung ein großer Wurf, ließ aber soziale Bewegungen bespitzeln. Das Foto von Yoichi R. Okamoto zeigt Johnson (vorne zweiter von rechts) bei einem Treffen mit Bürgerrechtlern im Sitzungsraum des Kabinetts. Courtesy Lyndon B. Johnson Presidential Library (A6016-12).
Ansprüche auf Privatsphäre politisierten sich in den sechziger Jahren. Das war eine Antwort auf eine entstehende Sicherheitsgesellschaft. Um einen Zustand der Sicherheit herzustellen, überwachte beispielsweise die Armee große Teile der Bevölkerung. Diese Form der Überwachung unterscheidet sich von Foucaults Studien zum Panoptikum, einem Gefängnis mit zentralem Wachturm, das auf Jeremy Bentham zurückgeht. Nach dem Prinzip des Panoptismus führt permanente Sichtbarkeit führt dazu, dass Insassen Disziplin internalisieren und ohne tatsächliche Beobachtung konform verhalten.1 Foucault beschreibt den Panoptismus als souveräne Form von Herrschaft: »Man kann in diesem Zusammenhang sagen, daß der Panoptismus der älteste Traum des ältesten Souveräns ist: Keiner meiner Untertanen entgeht mir, und keine Geste keines
1 Wicker, Cellular convergence and the death of privacy, S. 67.
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meiner Untertanen bleibt mir unbekannt«.2 Allerdings bleibt fraglich, ob dieses architektonische Modell für Überwachung in der Mitte des 20. Jahrhunderts zeitgemäß war. So ging es dem Geheimdienst der Armee nicht in erster Linie darum, einzelne Bürger auf Schritt und Tritt zu überwachen. Vielmehr wollte der Geheimdienst Situationen erfassen, bewerten und mögliche Ausschreitungen vorhersagen. Die Programme sollten die Bevölkerung erfassen und Unruheherde ausmachen, nicht vorrangig einzelne Personen auskundschaften. Auch den Einsatz von Abhörmaßnahmen erklärt der Panoptismus unzureichend. Zwar dienten diese wie auch das Panoptikum der Disziplinierung. Doch griffen Ermittlungsbehörden zu solchen Maßnahmen in einzelnen Fällen, in denen ein Verdacht gegen eine Person bestand, ohne dass eine Architektur bestanden hätte, die ein unmittelbares Abhören jedweder Person ermöglicht hätte. Im Gegenteil erforderte es einen hohen Aufwand, etwa in Innenräume einzudringen, um Abhörtechnik anzubringen, immer mit dem Risiko aufzufliegen. In der Debatte um ein landesweites Datenzentrum glaubten Kritiker, dass eine Infrastruktur entstünde, die der dystopischen Welt von George Orwell gleichkäme und auf Knopfdruck komplette Dossiers über Personen produzieren könne. Die Motivation hinter den Plänen war aber nicht Disziplinierung, sondern Sicherheit, indem statistische Daten ein Abbild der Bevölkerung zeichnen sollten. Sicherheit unterscheidet sich von Disziplinierung: Die Relevanzebene für das Handeln einer Regierung ist nicht die tatsächliche, Punkt für Punkt-Totalität der Untertanen, sondern die Bevölkerung mir ihren eigenen Phänomenen und Vorgängen. Die Idee des Panoptismus, eine in gewissem Sinne moderne Idee – man kann auch sagen, daß sie völlig archaisch ist.3
Hier relativiert Foucault die Geltung des panoptischen Modells für die Sicherheitsgesellschaft. Technologie erweiterte das Arsenal von Regierungspraktiken und ermöglichte ausgefeilte Techniken. Elektronik bot die Grundlage für Abhörtechnologie im Miniaturformat. Computer, die Daten über Personen in neuartiger Weise speichern, kopieren, verknüpfen und berechnen konnten, setzten ihren Siegeszug fort. Unter anderem legte die Armee Datenbanken über Personen, Organisationen und Ereignisse an. Der Versuch, mittels statistischer Indikatoren zivile Unruhen zu prognostizieren, blieb aber erfolglos. Statistiken gaben darüber hinaus Aufschluss über das Wachstum der Bevölkerung, das als Risiko wahrgenommen wurde. In der Geburtenkontrolle eröffneten wiederum Technologien wie die Pille zur Verhütung oder IUDs den Menschen neue Möglichkeiten. Diese technologische Entwicklung fand Befürworter und Gegner innerhalb der Gesellschaft. Die Entwicklung neuer Verhütungsmethoden wurde von der PPFA 2 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 102. 3 Ebd., S. 102.
Anatomie einer Sicherheitsgesellschaft
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aktiv befördert, und die Organisation setzte sich für eine Liberalisierung ein, die sie unter anderem mit Ansprüchen auf privacy begründete. Richter erkannten diese Ansprüche im intimen Bereich der Familienplanung an. Ein weiterer Streit um Privatsphäre entzündete sich am Vorhaben eines NDC. Ökonomen und Sozialforscher setzten auf Computer und befürworteten ein NDC, während Freiheitsrechtsgruppen wie die ACLU diesem Vorschlag skeptisch gegenüberstanden. Letztlich erschien die Bundesstatistik dezentral und uneinheitlich, so dass der Vorschlag aus der Wissenschaft, ein Datenzentrum zu initiieren, schwer zu verwirklichen war. In Konflikten um privacy, bedingt durch neue Technologien und eingefordert von zivilgesellschaftlichen Gruppen, wurden Regierungspraktiken verhandelt. Der Begriff war Fällen aus dem Deliktrecht entlehnt, die das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit betrafen, wie es im Fall der Familie Hill gegen den Medienkonzern Time verhandelt wurde. Im Fall Katz, der sich um abgehörte Gespräche eines Verdächtigen von einer Telefonzelle drehte, stand das klassische Verhältnis zwischen staatlicher und privater Sphäre zur Disposition, doch lösten die Richter den Schutz vor Durchsuchungen von der räumlichen Sphäre des Hauses und bezogen ihn auf Personen, enttäuschten aber die Erwartung, dass eine kohärente Theorie von privacy aus der Verfassung abzuleiten sei. Unter dem Konzept privacy wurden zunehmend Spannungen zwischen gouvernementalen Praktiken und Regeln zu ihrer Begrenzung, Privarität, verhandelt. Politik und Gerichte passten das Regelwerk an, nicht um einen absoluten Schutz der Privatsphäre zu gewähren, sondern um gouvernementale Praktiken von Überwachung, Datenverarbeitung und Geburtenkontrolle zu ermöglichen. Nachdem Johnson darauf verzichtet hatte, erneut für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, blieb es seinem Nachfolger Richard Nixon überlassen, weitere Regeln auszugestalten. Während seiner Amtszeit stürzte das Selbstverständnis einer intakten Privatsphäre der Bürger in eine Krise.
III. Privacy gerät während der Präsidentschaft Richard Nixons in eine Krise
Die Präsidentschaftswahlen brachten einen schroffen Wechsel in der Politik. Mit ebenso großem Erfolg, wie zuvor ein liberaler Präsident der demokratischen Partei im Amt bestätigt worden war, kam nun ein konservativer Präsident der republikanischen Partei an die Macht. Die Wählerschaft erschien gespalten, und an Präsident Richard Nixon kristallisierte sich die Polarisierung der politischen Kultur im Land.1 Auf den zweiten Blick gab es einige Kontinuitäten. So blieben Probleme und Konflikte um privacy, die Datenverarbeitung, Geburtenkontrolle und Überwachung betrafen, weiterhin bestehen. In der Wirtschaftspolitik gewannen zwar neoklassische Ansätze an Prominenz, die bürokratische Strukturen reduzieren wollten. Doch wirkten viele Programme aus der liberalen Ära nach und entfalteten sich erst in der neuen Regierung. Auch die private Sphäre hilfsbedürftiger Bürger sollte durch »less observation, evaluation, and interference by the welfare bureaucracy«2 besser geschützt werden. Vorbehalte gegen zu weitreichende staatliche Kompetenzen und eine anwachsende Verwaltung bündelten sich im Schlagwort »big government«.3 In den sechziger Jahren entfachten sich Debatten um privacy an einem Staatssektor mit weitreichenden Kompetenzen, der Großrechner zur Datenverarbeitung einsetze, doch trotz der konservativen Ziele, den Staatssektor einzuschränken, nahm die behördliche Datenverarbeitung in den siebziger Jahren weiter zu.4 Weiterhin stand das Thema Geburtenkontrolle auf der Agenda, womit die Frage, ob und unter welchen Umständen der Abbruch einer Schwangerschaft legitim sei, an politischer Brisanz gewann. Einzelne Bundesstaaten wie New York liberalisierten das Abtreibungsrecht, bis der Oberste Gerichtshof der USA frühe Abtreibungen als Grundrecht verankerte. In der Sicherheitspolitik liefen einige Programme unverändert fort oder die Regierung verschärfte ihr Vorgehen sogar. Die Situation in Vietnam übernahm Nixon von seinem Vorgänger und besaß diesbezüglich wenig innen- wie außenpolitischen Spielraum. Sein Sicherheitsberater und späterer Außenminister Henry Kissinger machte im Nachhinein die Vorgängerregierung verantwortlich: »The liberal Establishment, which had launched America into the 1 Perlstein, Nixonland, S. vii. 2 Blum, Years of discord, S. 345. 3 Foner, The Story of American Freedom, S. 311. 4 Cappello, Big Iron and the Small Government, S. 179.
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quagmire, had become demoralized and left the field to the radical protesters«.5 Die Nachricht aus dem November 1969 über ein Massaker, das US-amerika nische Soldaten im Frühjahr 1968 in My Lai an der Zivilbevölkerung angerichtet hatten, ließ Proteste wieder aufflammen.6 Nixon, der einen würdevollen Frieden versprochen hatte, vollzog einen Strategiewechsel, indem er zwar einen geordneten Rückzug der US-Truppen anstrebte, aber die südvietnamesische Armee stärkte und den Luftkrieg ausweitete, mit dem Ziel, den Krieg zu einer innervietnamesischen Angelegenheit zu transformieren.7 Nixon begann schon 1969 geheime Verhandlungen mit der nordvietnamesischen Führung, von denen selbst Kabinettmitglieder der Ressorts Verteidigung und Außenpolitik nichts wussten und die Berater Kissinger führte.8 Vietnam hinterließ seine Spuren im Inland der USA, wo die Sicherheitsbehörden Protestierende gegen den Krieg beobachteten. Nach und nach berichtete die Presse über geheime Aktivitäten der Behörden. Zunächst kam das geheimdienstliche Programm der Armee an die Öffentlichkeit, was einen Rechtstreit und eine Untersuchung im Senat provozierte. Sodann enttarnten Aktivisten COINTELPROs des FBI, welches die Programme daraufhin offiziell einstellte. Einen Wendepunkt bildeten die Enthüllungen um Spionage im Watergate-Komplex in Washington, woraus sich eine Affäre entwickelte, die bis in innerste Regierungskreise reichte. Als Konsequenz erhielten Initiativen im Datenschutz, zur Regulierung von Abhörmaßnahmen sowie in der Informationsfreiheit Aufwind. Die siebziger Jahre prägte ein tiefgreifender Wandel.9 So festigte sich in den Nixon-Jahren ein öffentliches Misstrauen gegenüber politischen Institutionen und ein Krisenbewusstsein um den Zustand von privacy der Bürger.
5 Zitiert nach: Kort, The Vietnam War reexamined, S. 163. 6 Asselin, Vietnam’s American war, S. 181. 7 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 166 ff. 8 Asselin, Vietnam’s American war, S. 177. 9 Schulman, The seventies, S. 42–48.
1. Sicherheitsdispositive verdichten sich
Abb. 13: Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten mit Computern rief rechtliche Fragen hervor. Das Foto (ca. 1953–1973) zeigt symbolisch zeitgenössische Computer der North American Air Defense Command Headquarters. Courtesy National Archives (306-PSE-82-3362).
Die im Aufziehen begriffene Sicherheitsgesellschaft zielte darauf ab, steuernd auf die Bevölkerung einzuwirken. Deutlich zeigte sich dies an Prognosen über das Wachstum der weltweiten wie auch nationalen Bevölkerung und den Maßnahmen zur Geburtenkontrolle. Befürworter eines Rechts auf Abtreibung argumentierten oftmals mit einer stark wachsenden Bevölkerung. Das Bevölkerungsargument trat erst Mitte der siebziger Jahre in den Hintergrund, und die Entscheidung zu Roe v. Wade bildete einen Bezugspunkt, an dem sich die Standpunkte pro-life sowie pro-choice ausrichteten: »In the mid-1970s, organizations like NARAL, Planned Parenthood, and NOW dramatically reversed course, insisting that Roe stood for women’s interest in decisional freedom and bodily integrity«.1 Diese zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützten einen legalen Zugang zu Abtreibungen, den andere Organisationen vehement ablehnten. In der Sicherheitspolitik im engeren Sinne setzte sich ein Trend durch, 1 Ziegler, After Roe, S. 169.
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bereits im Vorfeld präventiv große Teile der Bevölkerung zu beobachten. So lief das landesweite Überwachungsprogramm der Armee unter der Nixon-Regierung fort. Im Februar des Jahres 1969 unternahm David E. McGiffert, Under Secretary of the Army, den Versuch, die Geheimdienstarbeit unter Kontrolle zu bringen und Verantwortlichkeiten zu klären, scheiterte aber mit dem Anliegen bei der Armeebehörde, dem Department of the Army.2 McGiffert glaubte, dass das Ausmaß der geheimdienstlichen Aktivitäten den eigentlichen Zweck überschritten und die gesammelten Fakten teilweise von geringem Wert seien, doch die Armeeführung wirkte gespalten und kam einem entsprechenden Memorandum nicht nach. Anfang 1969 erfuhr auch Verteidigungsminister Melvin Laird von der Existenz geheimdienstlicher Datenbanken über Zivilisten, ohne allerdings etwas dagegen zu unternehmen. Thaddeus Beal, der McGiffert im Amt folgte, verhielt sich zurückhaltend in der Frage und forderte weitere Untersuchungen, wie die Geheimdienstarbeit im Inland zu reduzieren sei, statt verbindlichen Weisungen zu geben. Indessen verhandelte Pentagon-Berater Robert E. Jordan ohne Erfolg mit dem Justizministerium, um die Verantwortung für die Überwachung an zivile Stellen zu übertragen.3 Damit scheiterten Versuche innerhalb der Armeebehörde, das Programm zu revidieren. Sicherheitsdispositive gründeten auf Wissen über die Bevölkerung, um Risiken und zufällige Fluktuationen abzufedern. Rohe Daten lieferten zunächst wenig Aufschlüsse, so dass Institutionen aus Information, im Grunde eine technische Einheit, Wissen generieren wollten.4 Ohne Daten funktionierte keine Bürokratie, doch evozierte ein Zuviel an Daten das Bild einer unerbittlichen Machtmaschine, wie es in der Diskussion über ein landesweites Datenzentrum gezeichnet wurde. Firmen wollten sich mit Wissen über Kunden beispielsweise gegen den Ausfall von Krediten absichern. Hingegen generierte die Verwaltung statistisches Wissen über die Bevölkerung, um etwa Programme zur sozialen Absicherung zu gestalten. Dabei brachten computerbetriebener Datenbanken neue Möglichkeiten, Wissen nach rationalen und effizienten Kriterien zu formen. In Kontroversen um privacy wurde ausgehandelt, wie Institutionen das Wissen über Bürger oder Kunden verwalteten und ob Daten vertraulich und zweckmäßig behandelt würden. In den sechziger Jahren hatte sich ein Anspruch entwickelt, wonach Personen eine gewisse Kontrolle über Daten und Informationen zustand. Insbesondere das Vorhaben für ein Datenzentrum hatte die Debatte angeheizt. Die neue Regierung verfolgte das Projekt eines NDC nicht weiter. Zwar kontaktierte Carl Kaysen im Jahr 1970 George Shultz, Direktor des Office for Management and Budget (OMB), dem Nachfolger des BOB, um das
2 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 163 ff. 3 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 376 ff., 379. 4 Cortada, All the facts, S. 1.
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Vorhaben erneut zu beleben, doch ohne Erfolg.5 Dabei erschienen statistische Dienste reformbedürftig. Unter der Regierung von Präsident Nixon befasste sich ein Komitee damit, wie die Bundesstatistik zu organisieren sei, und die Autoren des Berichts verwiesen unter anderem auf die Pläne für ein Datenzentrum.6 Indes resultierten aus der Datenschutzdebatte zunächst noch keine Regeln und Gesetze, obgleich im Kongress zwischen 1965 und 1972 über 200 Gesetzesvorschläge mit einem Bezug zu Privatsphäre kursierten.7 Erst in den siebziger Jahren goss der Gesetzgeber diesen Anspruch in konkrete Normen.
1.1 Regeln für den Datenschutz entstehen: »Revolutionary new powers of data surveillance« Konflikte darüber, wie die Verwaltung und Unternehmen Daten über die Bürger sammeln und austauschen durfte, waren längst nicht beigelegt. Ein erstes Gesetz, das den Umgang mit Daten über Personen regulierte und Privatsphäre schützen sollte, betraf Kreditreporte. Frühe Formen von Kreditreporten hatten Agenturen im 19. Jahrhundert entwickelt, die Dokumente über einzelne Personen zusammentrugen, um deren Zahlungsmoral abzuschätzen.8 Dabei versuchten Firmen, mit verschieden Fakten den guten oder schlechten finanziellen Ruf einer Person abzubilden.9 Seit den sechziger Jahren regte sich Kritik an dem Handel mit Kreditreporten, die unkontrolliert zirkulierten und massenweise Daten enthielten. Obgleich diese Daten fehlerbehaftet sein konnten, machten Unternehmen wie auch Behörden Entscheidungen von solchen Reporten abhängig. Daher erforderte der Umgang mit Daten aus Expertensicht bestimmte Regeln. Im Mai 1969 nahm sich ein Unterausschuss für Finanzinstitute unter dem Vorsitz von Senator William Proxmire, Demokrat aus Wisconsin, des Themas an. Die Vorlage stammte aus dem Senat und sollte in ein Gesetzespaket integriert werden. Virginia Knauer, Assistentin des Präsidenten in Verbraucherschutzfragen, berichtete, dass es Fälle gebe, in denen Individuen wegen fehlerhafter Reporte oder Computerfehlern in ihrer Kreditwürdigkeit, ihrer Person oder ihrem Ansehen geschädigt worden seien. Das Gesetz solle die Privatsphäre schützen und gleichzeitig einen geregelten Zugang zu Informationen gewähren: »The general purposes of the bill are to assure the consumer protection against
5 Carl Kaysen to George Shultz, November 23, 1970, Folder ›SPD: FDC 1969–1970‹, Box 74, RG 51, OMB, General Records 1940–1968, NA-MD, S. 1. 6 President’s Commission 1971, Federal statistics, S. 195 f.; Hansen, The Role and Feasibility of a National Data Bank, in: ebd.; vgl. dazu auch: Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 31. 7 Bennett, Regulating privacy, S. 69. 8 Lauer, From Rumor to Written Record, S. 303. 9 Lipartito, Mediating Reputation, S. 673.
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invasion of his privacy and to meet the need of commerce for credit and other information in a manner which is fair and equitable to the individual«.10 In der Debatte äußerten sich Experten, Unternehmen und nicht-profitorientierte Organisationen, die sich aus unterschiedlichen Motiven für einen Anspruch auf privacy einsetzten. Politikprofessor Alan Westin erklärte vor einem Senatsausschuss, dass Individuen Verhandlungsmacht benötigten, um ihre »rights to privacy and due process« gegenüber Unternehmen in der Kreditwirtschaft ausüben zu können.11 Dagegen verwies John Spafford, Vizepräsident des Verbands ACB, auf eigene »Guidelines for Protection of Privacy«, die der Verband im November 1968 eingeführt habe, wonach Personen unter anderem Reporte einsehen und korrigieren dürften.12 In Anhörungen des Repräsentantenhauses erklärte Lawrence Speiser als Vertreter der ACLU im März 1970, dass die Organisation die Gesetzesentwürfe zu Kreditreporten unterstütze. Die ACLU befasse sich insbesondere mit Verfassungsrechten, und es sei eine politische Frage, wie der Kongress das »consumer’s right to privacy« sichern wolle.13 Trotz der Bemühungen der Industrie, eigene Regeln zu implementieren und den Gesetzgeber aus der Frage herauszuhalten, verabschiedete der Kongress den Fair Credit Reporting Act (FCRA), den Präsident Nixon im Oktober 1970 unterzeichnete. Darin hieß es unter anderem, dass das Bankenwesen auf faire und akkurate Kreditreporte angewiesen sei, aber sichergestellt werden müsse, dass mit Kundenreporten handelnde Firmen die Rechte der Konsumierenden respektierten.14 Die Aufsicht über den FCRA erhielt die FTC.15 Ein Schutz von privacy bedeutete einen Schutz der Reputation, indem Daten akkurat sein und vertraulich behandelt werden sollten. Privatsphäre bedeutete nicht, dass weniger Daten erhoben würden, sondern, dass die Art und Weise, wie Firmen die Informationen über Kunden verarbeiteten, geregelt wurde. Um die Frage zu klären, welchen Einfluss Datenverarbeitung auf die Privatsphäre der Bürger habe, beauftragten Forschungsinstitute, Behörden sowie der Kongress Experten mit Studien.16 So initiierte die National Academy of Sciences (NAS) Ende der sechziger Jahre eine Studie, um den Gebrauch von Datenbanken in öffentlichen wie auch privaten Institutionen zu untersuchen. Das neu gegründete Computer Science and Engineering Board bat Alan Westin darum, ein Forschungsprojekt zum Gebrauch von Datenbanken zu durchzuführen, woraufhin dieser im Oktober 1968 das Vorhaben mit Orville Brim von der RSF 10 U. S. Senate 1969, Fair Credit Reporting, S. 12. 11 Ebd., S. 74. 12 Ebd., S. 142 f., Zitat S. 142. 13 U. S. House of Representatives 1970, Fair Credit Reporting, S. 233. 14 U. S. Code, PL 91–508, Title VI, § 602. 15 Hoofnagle, Federal Trade Commission privacy law and policy, S. 268. 16 Bennett, Regulating privacy, S. 69 f.; Regan, Legislating Privacy, S. 74 ff. – vgl. Rule, The politics of privacy.
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besprach. Im Antrag vom 15. Januar 1969, verwiesen die Autoren unter anderem auf die Debatte um das NDC in den sechziger Jahren.17 Im Oktober 1970 stellte die NAS einen weiteren Antrag, um Fördermittel aufzustocken, da sich die Feldforschung, die aber bereits erste Annahmen hervorgebracht habe, als aufwändig erwies. Beispielsweise zeichne sich ab, dass Organisationen wegen der Nutzung von Computern nicht automatisch mehr Information sammelten.18 Im abschließenden Bericht aus dem Jahr 1972 gaben die Studienautoren zunächst Entwarnung; die befürchtete Überwachung sei ausgeblieben: »computer usage has not created the revolutionary new powers of data surveillance predicted by some commentators«.19 Hingegen ermöglichten Computer eine effizientere Datenverarbeitung in Organisationen, wobei Verfahren in ein digitales Umfeld übertragen worden seien: »Where an individual’s right to privacy, confidentiality, or due process had been recognized in the past, these rights have been carried over into the computerized systems«.20 Dennoch empfahlen die Autoren, dass Institutionen nur relevante Daten sammeln und damit der Privatsphäre Rechnung tragen sollten, und forderten, Regeln für den Zugang zu Daten, für Verbreitung und Vertraulichkeit einzuführen.21 Zwar mahnten die Autoren eine Sparsamkeit von Daten an. Doch lag der Schwerpunkt auf ordentlichen Verfahren, die Behörden und Unternehmen einhalten sollten. Dieser Initiative von Stiftungen und Wissenschaftsakademie folgten weitere Berichte von Gesetzgeber und Regierung. Regeln zum Schutz der Privatsphäre betrafen den Zugang zu Daten. Umgekehrt schwelte der Streit darum, zu welchen Daten die Bürger Zugang haben durften. Nicht selten hielten Behörden Dokumente zurück und argumentierten mit der nationalen Sicherheit, was aus Sicht von Kritikern häufig einen Vorwand darstellte, um mögliche Vergehen zu decken. Geheimhaltung bildete die Kehrseite von Privatsphäre. Einerseits forderte Akteure Akteneinsicht, um möglichen Verletzungen der Privatsphäre nachzugehen, andererseits hielten Behörden Dokumente mit Verweis auf die Privatsphäre zurück. Dabei traten Spannungen auf, welches Wissen die Regierung geheim halten und welches sie preisgeben musste. Die Nixon-Regierung konnte sich nur auf eine Minderheit im Kongress stützen. Daher erschienen Konflikte mit Abgeordneten und Senatoren, die eine Einsicht in Dokumente forderten, absehbar. Grundsätzlich erklärte Präsident Nixon, dass die Regierung so weit wie möglich den Anfragen aus dem Kongress nachkom 17 NAS, Proposal for a Study on Privacy and Due Process Issues in Computer Data Banks, January 15, 1969, Computer Sc & Eng BdCom on Privacy & Due Process Issues in Data Banks, 1969, Central File, ADM, C / B, NAS-NRC, S. 1 f. 18 NAS, Proposal for Supplementary Budget to Project Grant, Russell Sage Foundation, October 20, 1970, Computer Sc & Eng BdCom on Privacy & Due Process Issues in Data Banks, 1970, Central File, ADM, C / B, NAS-NRC, S. 5. 19 Westin / Baker 1973, Databanks in a free society, S. 341. 20 Ebd., S. 341. 21 Ebd., S. 348 ff.
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men und nur in Ausnahmefällen bestimmte Fakten im öffentlichen Interesse zurückhalten wolle. Darüber, ob die Regierung ein »Executive privilege« geltend machte, um Akten unter Verschluss zu halten, wollte Nixon im Einzelfall selbst entscheiden.22 Bereits kurz nach Regierungsantritt gab John Ehrlichman, Berater im Weißen Haus, eine Weisung an das Personal heraus, wie mit Anfragen nach Zeugenaussagen in Ausschüssen umgegangen werden solle. Diese Anfragen galten bisweilen als schlechter Stil und Eindringen in Regierungsinterna, als »Congressional invasion of the President's official staff family«.23 Die Regierung wollte möglichst unbehelligt von solchen parlamentarischen Anfragen handeln.
1.2 Abtreibungsfrage in der Bevölkerungspolitik: »Assist families voluntarily to limit their own size« Die Frage, wie sich die Bevölkerung national wie auch global entwickelte, erschien sicherheitsrelevant. Wachsende Bevölkerungszahlen galten als Risiko. Bis zum Jahr 2000 rechneten Experten mit einem Zuwachs von 100 Millionen Menschen in den USA. Wie Präsident Nixon in einem Brief an Carl Gilbert, U. S. Trade Representative, ausführte, unterstütze er ein Forschungsprogramm zur Familienplanung sowie ausgeweitete Dienste für arme Menschen: »there is much we can do to assist families voluntarily to limit their own size«.24 Wie diese Dienste auszugestalten seien, blieb umstritten. Damit überdauerte auch das Thema Geburtenkontrolle den Regierungswechsel. In diesem Zusammenhang galt Abtreibung als heikles Sujet, zu dem sich Präsident Nixon zunächst nicht klar positionieren wollte. In einer internen Besprechung riet Nixon, die Antwort den einzelstaatlichen Gesetzgebern zu überlassen, wie Notizen von Mitarbeitern nahelegen: »On abortion – get the hell off it. Just say it’s a State matter and get the hell off it«.25 Die Regierung folgte einer Empfehlung der Vorgängerregierung, die Bevölkerungspolitik fortzuführen, so dass Präsident Nixon 1969 entsprechend eine Commission on Population Growth and the American Future initiierte. Im Gespräch für den Vorsitz stand im Vorfeld John D. Rockefeller, der gedenke, den Aspekt Bevölkerung über »family planning« und »birth control« hinauszuführen, wie es im Weißen Haus hieß.26 In einer Botschaft zur 22 Richard Nixon, Memorandum for the heads of executive departments and agencies, March 24, 1969, Folder ›Access to Records, 1969–70, 1/2‹, Box 20, WHCF, FE 14-1 [Ex], RNL, S. 1. 23 John D. Ehrlichman, Memorandum for Bryce Harlow [et al.], May 22, 1969, Folder ›OA 3279, Exec. Priv.‹, Box 69, WHSF, SMOF, Egil Krogh, RNL, S. 2. 24 Richard Nixon to Carl J. Gilbert, September 25, 1969, Folder ›Ex FG 275 Begin – 12/31/69‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 25 Zitiert nach: Reeves, President Nixon, S. 265. 26 Chester E. Finn, Jr., Memorandum for Daniel P. Moyinhan, April 1, 1969, Folder ›Ex FG 275, OSA: 2973 1/15‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1.
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Bevölkerungsfrage an den Kongress empfahl Nixon im Juli 1969, eine Kommission einzusetzen, erwähnte das Thema Abtreibung aber nur am Rande, wonach das »dangerous incident of illegal abortion« dadurch begünstigt werde, dass Familien im Falle einer ungewollten Schwangerschaft in Armut zu geraten drohten.27 Damit waren grundlegende Probleme benannt. Zum einen war es um die Sicherheit medizinischer Eingriffe unter dem Verbot schlecht bestellt, so dass sich Frauen bisweilen einem hohen Risiko aussetzten. Zum anderen waren Schwangerschaft und Geburt für Teile Bevölkerung mit hohen sozialen Unsicherheiten verbunden. Nixons Botschaft stieß auf ein positives Echo in der Öffentlichkeit, auch bei der U. S. Catholic Conference. Daniel P. Moynihan, Assistent des Präsidenten, sprach von einer »historic Message«.28 Von zivilgesellschaftlicher Seite stand der Population Council in Kontakt zum Weißen Haus und stimmte die geplante Kommission ab.29 Obgleich der Auftrag für die Kommission breit angelegt war, zeichnete sich Geburtenkontrolle als zentraler Streitpunkt ab. Das Gesetz zur Errichtung einer Bevölkerungskommission erhielt breite Zustimmung im Kongress. Doch der Vorsitzende John Rockefeller war als Fürsprecher von Familienplanung innerhalb der Regierung umstritten, da der Schwerpunkt der Kommission darauf lag, Planungen in Hinblick auf eine wachsende Bevölkerung anzustoßen.30 Im März 1970 unterzeichnete Nixon das Gesetz, um eine Kommission einzusetzen, die unter anderem den Einsatz von Mitteln zur Bevölkerungskontrolle im Einklang mit »ethical values and principles of this society« erörtern sollte.31 Darüber, wie diese ethischen Werte und Prinzipien gelagert waren, herrschte Uneinigkeit. Dennoch betonte Nixon einen parteiübergreifenden Konsens, als er im Juni Kommissionsmitglieder ernannte.32 Von Beginn an bestanden Spannungen zwischen Regierung und Kommission, die sich mit ihren Vorschlägen für Geburtenkontrolle auf ein unsicheres und umstrittenes Terrain begab. Die Politik stritt darüber, wieweit staatliche Stellen Familienplanung fördern und welche Verbote sie aussprechen konnten. Beide Formen der Intervention standen unter Verdacht, die Privatsphäre zu stören. Das Urteil zu Verhütungs 27 Richard Nixon, Special Message to the Congress on Problems of Population Growth, No. 271, July 18, 1969, in: ders. (Hg.), Containing the public messages, speeches, and statements of the president, S. 526. 28 Daniel P. Moynihan, Memorandum for the President, August 4, 1969, Folder ›Ex FG 275 Begin – 12/31/69‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 29 Harris Huey, The Population Council, Memorandum to Daniel P. Moynihan, October 15, 1969, Folder ›Ex FG 275 Begin – 12/31/69‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 30 Daniel P. Moynihan to Peter M. Flanigan, November 24, 1969, Folder ›Ex FG 275 Begin – 12/31/69‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 31 Richard Nixon to John W. McCormack, March 10, 1970, Folder ›Ex FG 275 1/1/70-3/ 31/70‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 32 John D. Ehrlichman, Memorandum for the President, June 2, 1970, Folder ›Ex FG 275 4/1/70-8/31/70‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1.
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mitteln entfaltete eine starke Wirkung. In der Folge passten andere Bundesstaaten ihre Gesetzgebung an das Urteil an und erlaubten den Verkauf von Verhütungsmitteln an Ehepaare. Anfang der siebziger Jahre war dieser Prozess abgeschlossen.33 Auch in der Rechtsprechung fielen weitere Schranken. Im Fall Eisenstadt v. Baird von 1972 weitete der Oberste Gerichtshof der USA das Recht auf Privatsphäre zum Gebrauch von Verhütungsmitteln auf unverheiratete Paare aus. Jedoch wertete die katholische Kirche eine staatlich geförderte Familienplanung als Eingriff in die Privatsphäre. So kritisierte der Washingtoner Kardinal Patrick O’Boyle die Bundesprogramme zur Geburtenkontrolle als Angriff auf »privacy and freedom of married couples«, aber auch auf das menschliche Leben selbst.34 In der Abtreibungsdebatte verschärfte sich der Ton, und die Bischöfe sprachen sich gegen Abreibungen aus, indem sie ein »right to life« propagierten.35 Umgekehrt begründeten Befürworter eines Rechts auf Abtreibung dieses mit Ansprüchen auf Privatsphäre. Außerdem führten Befürworter bisweilen das Argument eines stetigen Bevölkerungswachstums an. Dagegen kritisierten männliche Vertreter von afroamerikanischen Verbänden, dass sich die Abtreibungspolitik gegen hohe Geburtenraten von Minderheiten richte, was mit dem Begriff eines »black genocide« umschrieben wurde. Insbesondere in den Südstaaten waren Gesundheitsbehörden außerdem dem Vorwurf ausgesetzt, Sterilisationen für Angehörige von Minderheiten, die häufig arm und auf Sozialleistungen angewiesen waren, zu befördern. Auch drängten Mitarbeiter von Wohlfahrtsbehörden Frauen dazu, sich im Gegenzug für Sozialleistungen ein IUD einsetzen zu lassen.36 Auf diese Angriffe reagierte Planned Parenthood und betonte insbesondere in Hinblick auf Abtreibungen, dass eine individuelle Entscheidung zu einem medizinischen Eingriff ausschlaggebend sei. Seit dem Jahr 1968 forderte die Organisation, rechtliche Hürden von Abtreibung abzuschaffen.37 Verschiedene Praktiken gerieten in Widerstreit: ein souveräner Anspruch, Verbote von Verhütung und Abtreibung aus moralischen Gründen auszusprechen, ein disziplinarischer Anspruch, biopolitisch auf bestimmte Bevölkerungsgruppen einzuwirken, sowie ein Sicherheitsanspruch in Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung.
33 Bailey, Momma’s Got the Pill, S. 109. 34 U. S. Catholic Conference, Press Department, October 14, 1969, Folder ›Ex FG 275 OSA: 2973 9/15‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 35 U. S. Catholic Conference, Press Department, November 17, 1969, Folder ›Ex FG 275 OSA: 2973 9/15‹, Box 1, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 36 Haugeberg, Women against abortion, S. 14 f. 37 Ziegler, After Roe, S. 104 ff.
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1.3 Die Regierung baut die Sicherheitspolitik aus: »An around-the-clock civil disturbance watch« In den vorangegangenen Jahren hatte das Land friedliche Massenproteste aber auch gewaltsame Ausschreitungen und Anschläge erlebt. Das Versprechen von Ruhe und Ordnung hatte Nixon an die Macht gebracht. Die Sicherheitspolitik der Regierung zielte auf Kriegsgegner, Dissidenten, die Neue Linke sowie afroamerikanische Aktivisten ab, die sie als extremistisch erachtete. Eine zentrale Figur blieb FBI-Direktor Hoover, der die politischen Tumulte im Land nutzte, um das Mandat der Behörde zu erweitern und Überwachung auszudehnen.38 Hoover führte seinen Kampf gegen politische Gruppen, die er als radikal einstufte, unter der neuen Regierung fort. Beispielsweise hielten lokale Abteilungen des FBI im Jahr 1969 Konferenzen zu »Extremist Groups and Violence« ab. Dabei wurden lokale Polizeikräfte und Staatsanwälte alarmiert und in Hinblick auf Identitäten, Hintergrund, Herkunft und Ziele von »radical elements« unterrichtet.39 Ein Augenmerk galt den Studierendenprotesten. Im September 1969 kam das Inter Departmental Evaluation Committee zusammen.40 Damit führte die Regierung die Interdepartmental Information Unit weiter, die unter der JohnsonRegierung Dossiers über Subversion angelegt hatte. Unter anderem erstellte die Nixon-Regierung Listen über Extremisten.41 Ein Bericht des Inter Departmental Evaluation Committee schrieb »black extremists«, Angehörigen der »New Left« sowie dem »antiwar movement« ein Gewaltpotenzial zu.42 Landesweit gebe es an high schools und colleges das Potenzial zu Ausschreitungen. Allerdings bestehe keine Notwendigkeit, eine »Departmental Civil Disorder Task Force« einzusetzen. Laut Komitee setzten »extremist elements« zunehmend auf »violent revolutionary tactics«, um die Ordnung des Landes zu stören.43 Diese Analysen und Warnungen vor revolutionären Umbrüchen deckten sich mit Erkenntnissen der Bundespolizei. Im gleichen Monat übersandte Hoover einen weiteren Bericht zu »Black Student Extremism« an Ehrlichman. Diese Form des Extremismus hätte sich der »student revolution« der Neuen Linken an-
38 O’Reilly, The FBI and the Politics of the Riots, S. 92. 39 J. Edgar Hoover to John D. Ehrlichman, December 5, 1969, Folder ›OA 3061 [Demonstrations]‹, Box 65, WHSF, SMOF, Egil Krogh, RNL, S. 1. 40 Director FBI, Memorandum to Richard G. Kleindienst, September 11, 1969, Folder ›OA 3262 [Radical Groups]‹, WHSF, SMOF, Egil Krogh, Box 68, RNL, S. 1. 41 Donner, The age of surveillance, S. 283. 42 [U. S. Government], Meeting of the Inter-Departmental Evaluation Committee, (declassified, MR NLN 88-18), September 9, 1969, Folder ›OA 3262 [Radical Groups]‹, Box 68, WHSF, SMOF, Egil Krogh, RNL, S. 1, 5, 8. 43 Ebd., S. 19.
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geschlossen.44 Im Bericht führte Hoover für das akademische Jahr 1968/1969 über 185 Campusunruhen auf, bei denen Schwarze maßgeblich beteiligt gewesen seien. In sechzig Fällen sei es zu Gewalt gegen Personen oder Sachschaden gekommen; zur Bilanz zählten ein Toter, 125 Verletzte, 25 Fälle von Brandstiftung und zwei Bomben, und es kam zu 2.400 Verhaftungen. Die ideologischen Bezüge erkannte Hoover im »black nationalism« und der neuen Bewegung von »black power« sowie teilweise im Marxismus-Leninismus.45 Hoover sah sich mit Protestbewegungen konfrontiert, die sich gegenseitig aufwiegelten und Unruhe stifteten, und seine Warnung vor sogenannten Radikalen traf auf ein offenes Ohr. Wenn es um Gruppen ging, die möglicherweise die öffentliche Ordnung stören könnten, blieb das Recht auf Privatsphäre untergeordnet. Die Überwachung von Demonstrationen und Protestaktionen durch die Armee lief unvermindert weiter. Im Laufe des Jahres 1969 überarbeitete die Armee erneut Einsatzpläne sowie Informationspläne. Bei den Feierlichkeiten zur Amtseinführung Nixons im Januar war der Geheimdienst stark vertreten. Auch bei Antikriegsprotesten im Oktober und November waren zahlreiche Agenten der Armee im Einsatz.46 Bei Nixons Vereidigung erreichte die militärische Geheimdienstarbeit einen Höhepunkt, als rund 100 Agenten aus allen Landesteilen ermittelten.47 So infiltrierte die 116. MI-Einheit die Organisation Mobe (National Mobilization Committee). Einige Agenten erhielten den Auftrag, die Nummernschilder von Demonstrationsteilnehmern zu notieren, und gaben schließlich die Namen von 400 Fahrzeughaltern ans FBI weiter.48 Das Hauptquartier rechnete im Dezember 1968 damit, die Armee mit Berichten zu dem Ereignis zu unterstützen. Daher wurden die MI-Gruppen in Alarmbereitschaft versetzt, um »contigency planning« vorzunehmen und den Geheimdiensteinsatz zu planen, wobei die 116. MI-Einheit unter anderem eine Aufzeichnung mit Video vorbereiten sollte. Andere Einheiten sollten Pläne erstellen, um Agenten, die Fakten über an Protesten teilnehmende Organisationen beschaffen sollten, in Busse und Züge nach Washington einzuschleusen.49 Zur Amtseinführung des Präsidenten wies General William Blakefield, USAINTC, die Operation an, dass die 116. Einheit verdeckte Agenten einsetzen sollte, um dissidentische Organisationen auszuforschen: »through the covert insertion of US Army Counter 44 J. Edgar Hoover to John D. Ehrlichman, (declassified MR NLN 88-18), September 16, 1969, Folder ›OA 3262 [Radical Groups]‹, Box 68, WHSF, SMOF, Egil Krogh, RNL, S. 1. 45 J. Edgar Hoover, Black Student Extremism, (declassified MR NLN 88-18), September 1969, Box 68, Folder ›OA 3262 [Radical Groups]‹, WHSF, SMOF, Egil Krogh, RNL, S. i, ii, Zitat S. ii. 46 Jensen, Army surveillance in America, S. 245. 47 Donner, The age of surveillance, S. 306. 48 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 371. 49 USAINTC, ICOP-IV, Planning Alert for Coverage of Presidential Inauguration (U), (declassified NND 881514), December 1, 1968, Reel 9, Frame 75–77, ASOD, S. 1 f, Zitat S. 2.
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intelligence special agents«.50 Die MI-Gruppe wurde angewiesen, »counterintelligence coverage« über die Versammlungen von Protestgruppen zu liefern. Zu der vom NMC geplanten Demonstration erwartete der Geheimdienst etwa 26 Antikriegsorganisationen; unabhängig davon plane die BPP eigene Aktivitäten. Nach Einschätzung des Geheimdienstes waren diese Organisationen in der Lage, schwere Unruhen zu provozieren, die einen Einsatz von Truppen erforderten.51 Wie der Dienst zu dieser Einschätzung gelangte, bleibt offen. Einziges gemeinsames Merkmal der Organisationen war eine kritische Haltung zum Krieg, was als Angriff auf das Selbstverständnis der Armee selbst verstanden wurde. Aus dem Material, das Agenten im Vorfeld zusammentrugen, ergab sich ein ganz anderes Bild, als es der Geheimdienst hatte. Statt Gewalt bahnte sich ein Spektakel an. Die einzelnen MI-Gruppen übersandten spot reports über AUTOVON an das Hauptquartier. Mehrere Berichte behandelten WSP, die während der Inauguration demonstrieren wollte. Die Organisation hatte einem Bericht aus dem Dezember 1968 zufolge an einem Treffen des Verwaltungsgremiums des NMC am 17. November in Washington, DC, teilgenommen, auf dem eine Fraktion unter Rennie und John Davis einen konfrontativen Kurs unterstützt, während John Wilson vom SNCC eine Fraktion für friedliche Demonstrationen angeführt habe.52 Im Vorfeld listete das Geheimdienstkommando verschiedene geplante Aktivitäten auf. Unter anderem würden am 20. Januar 1969 Mitglieder der WSP als Suffragettes der zwanziger Jahre verkleidet Wahlzettel verbrennen. Außerdem sollten Guerilla-Theater-Performances in der Stadt stattfinden.53 Wie aus einem after action report hervorging, untersuchten die Mitglieder der 116. MI-Gruppe vom 6. bis zum 10. Januar 1969 auch die Organisation, Persönlichkeiten und Ziele von SDS. Unter anderem lokalisierte die Gruppe am 14. Januar die Zentrale von SDS in der Vermont Avenue.54 Die Antikriegsdemonstration ging schließlich in den Massen, die sich zur Amtseinführung versammelt hatte, etwas unter und erlangte nicht die erwünschte Aufmerksamkeit. Dies veranlasste FBI-Agenten, den NMC-Organisator Dellinger in einem anonymen Brief lächerlich zu machen.55 Anzeichen für schwere Ausschreitungen gab es keine.
50 USAINTC Counterintelligence Operationsplan, short title 103–69, (sanitized copy, declassified NND 881514), January 13, 1969, Reel 16, Frame 695–700, ASOD, S. 2 f., Zitat S. 2. 51 USAINTC Counterintelligence Operations Plan, short title 102–69, 116 MI, (sanitized copy, declassified NND 881514), January 13, 1969, Reel 10, Frame 364–371, ASOD, S. 1 f. 52 USAINTC, ICOP-IV, Subject Inauguration Activities (U), (declassified NND 881514), [December 17, 1968], Reel 9, Frame 69–74, ASOD, S. 3 f. 53 USAINTC, ICOP-IV, Subject: Inauguration Day Activities (U), (declassified NND 881514), [January 7, 1969], Reel 9, Frame 55–63, ASOD, S. 5 f. 54 DA, 116. Military Intelligence Group, After Action Report, Presidential Inauguration, (sanitized copy, declassified NND 881514), [1969], Reel 10, Frame 357–358, ASOD, S. B-1 f. 55 Davis, Assault on the left, S. 109.
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Im März war WSP Teil einer Delegation der WILPF, die einen Termin beim Secretary of the Army erbat.56 Wegen des Termins hatte die 116. Gruppe beim Washington Field Office, FBI, Anfragen über Personen gestellt, wobei es um Martha F. D., zwanzig Jahre alt, ging, die unter anderem für WSP aktiv sei und am 21. Oktober 1967 bei einer Demonstration am Pentagon verhaftet worden sei. Des Weiteren war Timothy Lukas W. als Mitglied der CPUSA angeführt, der bei einer Demonstration gegen eine Chemiefirma am Times Square verhaftet worden sei. Seine Frau Joyce Maile sei Mitglied der CPUSA und in der Organisation WSP aktiv. Diskussionspunkte der Delegation sei der Stopp der Einberufung, Amnestie für meuternde Soldaten und Kriegsdienstverweigerer sowie Abzug der Truppen aus Vietnam. Die Organisation WSP sei eine kleine Gruppe, die im Gebiet Washington, DC, aktiv sei und Dissidentengruppen dort unterstütze.57 Diese Lageberichte deuteten nicht auf schwere Unruhen hin, sondern ließen eine Art Happening erwarten. Protest fand als Performance statt, und mittendrin bewegten sich Geheimagenten. WILPF stand auch auf der Liste des FBI. So attackierte ein COINTELPRO eine Aktivistin, die sich bei WILPF wie auch ACTION engagierte, indem Agenten dem Ehemann einen Brief mit sexuellen Verleumdungen schickten, was einen Anteil daran hatte, dass die Ehe schließlich in die Brüche ging.58 Weibliche Aktivistinnen waren in der männlich dominierten Domäne der Geheimdienste anscheinend weiche Ziele. Der Hunger des Dienstes auf Informationen nahm weiter zu. Das USAINTC gab im April 1969 einen eigenen Plan zur Informationssammlung heraus, der unter anderem auf angeblich subversive Personen und Organisationen abzielte.59 Gesammelt werden sollte alles über Demonstrationen und zivile Unruhen, auch wenn diese bloß eventuell stattfinden sollten. Dazu sollten geheimdienstliches Material, EEI, für bestimmte Kategorien gesammelt werden, darunter zivile Unruhen, Antikriegsproteste, Demonstrationen sowie Streiks. Der Geheimdienst erbat, umfassende Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu verbreiten und zwar zu: »actual, potential or planned demonstrations, civil disturbances, dissident activities, disasters and catastrophes which threaten civil order, military security and / or the capability of the Department of the Army to accomplish its mission«.60 Etwa listete der Informationsplan in der Kategorie C auf, dass »Anti-War / Anti-Draft Activities« beobachtet werden sollten 56 ACSI CIAB, AIC Conus HQ to ACSI DA, From: CG USAINTC Fort Holabird MD, Subject: Committee for 27, (declassified NND 881514), March 15, 1969, Reel 11, Frame 467, ASOD, S. 1. 57 AIC 116 HQ to USAINTC, from: CO 116th MI Group, Subject: Spot Report 116-907330, (declassified NND 881514), [March 15, 1969], Reel 11, Frame 461, ASOD, S. 1. 58 Donner, The age of surveillance, S. 237. 59 Ebd., S. 304; Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 380 f. 60 USAINTC, Collection Plan, April 23, 1969, in: U. S. Senate (Hg.), Military Surveillance of Civilian Politics, S. 1.
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und forderte: »Full identifying data on individuals / groups who are engaged in such anti-war activities«. Des Weiteren sollten umfassende Fakten zu geplanten Demonstrationen und Protestveranstaltungen gesammelt werden. Dazu forderte der Plan, Details über Personen zusammenzutragen, die voraussichtlich an Protesten teilnähmen: »identification of all personalities involved, or expected to become involved, in protest activities«.61 Der Geheimdienst ließ Personen ohne Verdacht, konkreten Anlass oder ordentliches Verfahren erfassen, allein deswegen, weil sie an Demonstrationen oder Protesten teilnehmen wollten. Der Umstand, dass keine brisanten Informationen verfügbar waren, tat dem Eifer, mit dem Agenten zu Werk gingen, keinen Abbruch. Ein Bericht nannte ein »WSP handbill«, worauf Demonstrationen in Washington angekündigt wurden. Unter anderem sollten am Pentagon die Namen getöteter Soldaten sowie zerstörter vietnamesischer Dörfer verlesen werden, wobei unter anderem der Schriftsteller Sidney Lens, die Publizistin Susan Sontag, der Arzt Benjamin Spock und der Historiker Howard Zinn anwesend sein sollten.62 Wie der Geheimdienst berichtete, kündigte WSP am 17. und 18. Juni 1969 weitere Aktionen gegen den Vietnamkrieg an, wie etwa »Teach Ins« prominenter Redner sowie mehrere »Wait In[s]« vor den Büros von Senatoren.63 Solche öffentlichen Vorlesungen waren ein beliebtes Mittel der Kommunikation, seit 1965 an der University of Michigan das erste »teach-in« stattgefunden hatte.64 Für die Mission der Armee waren solche Berichte irrelevant. Solche Performances hatten nichts mit der Art von Informationen zu tun, die auf schwere Unruhen oder auf Gefahren für die Armee hingedeutet hätten. Die 116. MI-Gruppe nannte weitere Details, wonach kleinere Gruppen in so genannten »Speakouts« planten, während der Mittagspause vor Bundesgebäuden die Mitarbeiter anzusprechen. Insgesamt handele es sich um eine kleinere Protestaktion, zu der 400 bis 1.000 Personen, davon 300 bis 400 von außerhalb von Washington, DC, erwartet wurden. Der Bericht zitierte außerdem private Korrespondenz: »6. In private correspondence received 13 June 1969 between Barbara B[…] and Cora W[…], both of WSP, B[…] briefly outlines the demonstrations planned for 17 and 18 June, and ask’s W[…] suggestions«. Des Weiteren diskutierten die beiden Aktivistinnen über einen Rückzug von Truppen aus Vietnam: »W[…] suggests that in view of the new leap by certain Senators into troop withdrawal plans in Vietnam, almost all have given certain numbers to be withdrawn, but none have supported a total withdrawal«. Als Quelle für den Punkt sechs nannte der Bericht das Washingtoner 61 Ebd., S. 4 ff., Zitat S. 4, 6. 62 AIC CONUS HQ, CG USAINTC to ACSI-CIAB, Subject: Demonstrations in Washington, D. C., (declassified NND 881514), [June 17, 1969], Reel 11, Frame 668–669, ASOD, S. 1 f. 63 AIC Conus HQ, From: CG USAINTC to ACSI CIAB, Subject: Request for Information, (declassified NND 881514), June 16, 1969, Reel 11, Frame 676–677, ASOD, S. 1. 64 Davis, Assault on the left, S. 29.
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field office des FBI. Anscheinend hatten FBI-Agenten Briefe geöffnet und an MIG weitergeleitet.65 Diese Dokumente verraten, dass die späteren Kläger gegen das Verteidigungsministerium im Fokus der Geheimdienste standen und dass sich deren Arbeit bei weitem nicht auf das Sammeln von Zeitungsausschnitten beschränkte, sondern mit dem Lesen und Auswerten privater Korrespondenz tief in die Privatsphäre von Personen eingriff. Das Zentrum DCDPO, das im Vorjahr zur Bekämpfung von Aufständen eingerichtet worden war, nahm Formen an und sollte die Armeeführung zu zivilen Unruhen beraten und Pläne erstellen. Des Weiteren bestanden DCDPO watch teams innerhalb des Army Operations Center (AOC).66 Aufgabe dieser Beobachtungsgruppen war es, mögliche sowie akute zivile Unruhen permanent zu überwachen: »an around-the-clock civil disturbance watch to monitor possible and ongoing civil disorders«.67 Eine Geheimdienstsparte wertete »civil disturbance information« zur bestehenden Situation aus und versorgte das DCDPO mit ausgewählten Berichten. Darüber hinaus wies die Sparte das OACSI an, welche Anforderungen an Informationen zu zivilen Unruhen, fertiggestelltes Geheimdienstmaterial sowie »counterintelligence assistance« bestanden.68 Auch die neu geschaffene geheimdienstliche Institution ging präventiv vor und beobachtete permanent Situationen, aus denen sich eventuell zivile Unruhen ergeben könnten. Anstatt sich auf konkrete Gefahrenlagen zu beschränken, nahmen Agenten in der Folge friedvolle Protestaktionen und Demonstrationen ins Visier. Vor einem geplanten Marsch im Oktober kam es zu vereinzelten Gewalttaten, so dass das DCDPO mögliche Ausschreitungen fürchtete, obwohl das ACSI von einem friedlichen Verlauf überzeugt war. Dennoch bereitete sich das DCDPO im November auf gewalttätige Unruhen vor.69 Mit der Institution hatte sich ein weiterer Akteur mit geheimdienstlichen Aufgaben etabliert und operierte direkt aus dem Pentagon. Zum Vietnam Moratorium Day im Oktober 1969 hatte der Commanding General (CG) USAINTC die Operationsstufe Lantern Spike ausgerufen. Ein AAR berichtete aber von technischen Problemen, da die CONUS intelligence branch teams zwar zufriedenstellende Arbeit geleistet hätten, jedoch zu wenig Personal für Zusammenfassungen aber zu viele Telefonisten vorhanden gewesen seien. Es bestand ferner ein Mangel in der »coding section«, und es gab Probleme mit dem »tape cutter«. Insgesamt seien die spot reports zu lang gewesen und hätten
65 AIC 116 HQ, from: CO 116 MI Group, to: CG USAINTC, Subject: Request for Information, (declassified NND 881514), [June 14, 1969], Reel 11, Frame 681–683, ASOD, S. 1 ff. 66 DCDPO, Memorandum Number 10-1, (declassified NND 881514), July 1, 1969, Reel 10, Frame 607–613, ASOD, S. 1. 67 Ebd., S. 3. 68 Ebd., S. 4. 69 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 382 ff.
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mehr als ein Ereignis behandelt.70 Beim sogenannten March on Pentagon war der Geheimdienst besonders stark präsent. Der Geheimdienst arbeitete mit Transportgesellschaften zusammen, und auf dem Weg zu Demonstrationen mischten sich Agenten unter die Fahrgäste.71 In Hinblick auf die Demonstration im November forderte der CG USAINTC umfassende Fakten gemäß der EEI aus dem Informationsplan in Hinblick auf das NMC. Diese betrafen etwa Parkplätze, Toiletten oder Essensausgabe und, wie viele Busse und Teilnehmer zu erwarten seien. Außerdem erbat der Geheimdienst Fakten über jene Mitglieder des Student Mobilization Committee oder des NMC, die Führung im Vietnam Moratorium Committee (VMC) übernehmen wollten.72 Bei der Demonstration selbst waren hingegen COINTELPRO-Agenten relativ inaktiv, wie auch einen Monat später im November bei einer weiteren Großdemonstration.73 Ein Armeebericht lieferte ein genaues Bild über die Organisation Veterans for Peace in Vietnam (VPV) in Chicago, die sich auf 300 bis 350 Personen belief, davon etwa 100 aktive Mitglieder. Der Bericht listete Mitglieder, die als am aktivsten galten, mit Namen, Funktion und Adresse auf. Die Organisation bestand seit Januar 1966, einige Mitglieder gehörten der Kommunistischen Partei an.74 Auch VPV gehörte neben WSP später zu den Klägerparteien im Rechtsstreit um das Überwachungsprogramm. Die Geheimdienstberichte schossen ins Kraut. Ressentiments gegen die Friedensbewegung und Verdächtigungen formten die Ziele der Geheimdienstarbeit. Aus dem Bestreben, zivile Unruhen im Vorfeld zu antizipieren, resultierte eine Dauerbeobachtung von politischen Aktionen. Die Überwachung hatte auch eine ethnische Dimension, da Minderheiten im Fokus der Dienste standen. Noch Anfang der sechziger Jahre bildeten ethnische Konflikte den Anlass für einen inländischen Einsatz der Armee, wie zur Eskortierung nicht-weißer Schülerinnen und Schüler. Entsprechend war die geheimdienstliche Arbeit auf solche Konflikte ausgelegt. Beispielsweise lag ein Fokus des Operationsplans Steep Hill auf der »racial situation«, wobei als kritische Indikatoren »Racial riots, terrorism, violence or disturbances« genannt wurden. Dabei solle Hinweisen nachgegangen werden, dass extremistische Gruppen von CPUSA, NOI oder KKK infiltriert würden. Spannungen erzeugten laut Armeeplan sowohl National States Rights Party, White Citizens Councils als auch NAACP oder Congress of Racial Equality.75 In der Folge verschob sich der 70 DCSOPS to Chief of Staff, After Action Report, Vietnam Moratorium, attachments, (declassified NND 881514), November 13, 1969, Reel 14, Frame 3–6, ASOD, S. 1 f., Zitat S. a1. 71 Donner, The age of surveillance, S. 305. 72 AIC CONUS HQ, CG USAINTC to CO 116 MI GP, Subject: Collection Requirements, (declassified NND 881514), October 24, 1969, Reel 11, Frame 884, ASOD, S. 1. 73 Davis, Assault on the left, S. 155 f. 74 [USAINTC], AIC Conus HQ, Chicago to Washington, (declassified NND 881514), November 7, 1969, Reel 11, Frame 902. ASOD, S. 1. 75 USAINTC, Operation Plan 563, Steep Hill (U), (declassified NND 881514), August 26, 1965, Reel 16, Frame 259–281, ASOD, S. 4.
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Schwerpunkt des Geheimdienstes auf die afroamerikanische Bevölkerung und Bürgerrechtsbewegung, weshalb sich der Geheimdienst bemühte, Angehörige afrikanisch-stämmiger Ethnien als Mitarbeitende einzusetzen. Zur geheimdienstlichen Tätigkeit bemerkte etwa ein Bericht, dass sich mobile Einheiten von MI aus »Negro agents« im Einsatz befanden.76 Im Entwurf zu einer Gegenspionagestudie hieß es, dass die Gefahr von Unruhen in Ballungsgebieten an den Küsten liege. Ohne ein auslösendes Ereignis wie das Attentat auf Martin Luther King sei aber nicht mit flächendeckenden Unruhen zu rechnen. Jedoch bestehe weiterhin ein »threat of subversion and conspiracy«, der von der ethnischen Bürgerrechts- sowie der Antikriegsbewegung ausgehe. Weitere Faktoren seien weißer Rassismus, Beschaffung von Waffen, »Negro militant activity« sowie sozioökonomische Faktoren in den Slumgegenden.77 Nach und nach institutionalisierte die Armee Vorbehalte gegen die afroamerikanische Bevölkerung, dass Angehörige der Minderheit anfällig dafür seien, sich unterwandern und aufwiegeln zu lassen. Auch Operationspläne und Informationspläne der Armee enthielten ethnische Implikationen. Bei Unruhen könne es sich laut Operationsplan Garden Plot der Task Force Washington beispielweise um »sporadic racial violence« handeln, die von »dissident militants« angestiftet würde, oder um Demonstrationen von radikalen Organisationen. Als »Dissident Elements« listete die Armee afroamerikanische Organisationen mit revolutionären Führern auf, wozu unter anderem das SNCC oder Black United Front zählten.78 Der Informationsplan aus dem April 1969 listete Punkte zu »Pre-Disturbance Activities« auf, darunter Indikatoren, die Ausschreitungen und Gewalt begünstigten. Diese Punkte befassten sich insbesondere mit Minderheitengruppen. Etwa könnten militante Agitatoren innerhalb der Gemeinschaften von Minderheiten zu Unruhen aufwiegeln, und »extremist minority groups« könnten zu Gewalttaten anstiften.79 Auch bestand die Befürchtung, dass sogenannte subversive Gruppen und nichtweiße Organisationen kollaborieren könnten. Der Plan listete schließlich verschiedene Organisationen auf, die von geheimdienstlichem Interesse waren, darunter befand sich die Bürgerrechtsorganisation NAACP, und versah diese mit Kennziffern.80 Verdächtigungen, Verschwörungsdenken und der Vorwurf von 76 DA, HQ XVIII Airborne Corps and Fort Bragg, After Action Report, Task Force Baltimore (RCS CSFOR-65), April 7–13, 1968, (declassified NND 881514), May 7, 1968, Reel 8, Frame 8–51, ASOD, S. II-d-1 f., Zitat S. II-d-1. 77 OACSI, Carlton R. Horne to Commanding General USAINTC, with inclosure, (declassified NND 881514), September 26, 1968, Reel 12, Frame 680–706, ASOD, Foreword. 78 DA, HQ Military District of Washington, ANOPN-PO, Task Force Washington, Oplan Garden Plot (U), (declassified NND 881514), January 30, 1969, Reel 15, Frame 628–819, ASOD, S. B-1 f. 79 USAINTC, Collection Plan, April 23, 1969, in: U. S. Senate (Hg.), Military Surveillance of Civilian Politics, S. 1 f., Zitat S. 1. 80 Ebd., S. 7 f.
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Subversion prägte die Sichtweise des Geheimdienstes auf die afroamerikanische Bevölkerung, und als Konsequenz daraus wurde die Minderheit ungleich stärker überwacht. Als die Geheimdiensttätigkeit später publik wurde, setzte sich die Armee mit solchen ethnischen Fragen auseinander. Beispielsweise behandelte eine Anweisung aus dem Juli 1970 »Racial Matters«, wonach Bürgerrechtsaktivitäten nicht per se als Ziel der Spionageabwehr zu werten seien.81 Weiterhin hieß es in einem Bericht, dass ein Schwerpunkt auf »Black Extremists in the Armed Forces« lag. Laut USAINTC habe eine Analyse von elektronischen Nachrichten ergeben, dass vor 1970 Berichte über black extremists an das FBI häufig auf Vorannahmen sowie unbewiesener und unbestätigter Informationen beruhten. Im Vergleich zu extremistischen Gruppen wie Minutemen, KKK oder der American Nazi Party überwögen die Reporte über Schwarze, was als »undue command emphasis on the black extremists« gewertet wurde.82 Insgesamt standen Angehörige der afroamerikanischen Minderheit unter besonderem Verdacht, zu Gewalttaten anzustiften oder an subversiven Verschwörungen beteiligt zu sein.
81 U. S. Senate 1973, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 91; U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1117 f. 82 USAINTC, ICDSO-R-A, David F. Henderson to ACSI, (declassified NND 881514), May 28, 1971, Reel 1, Frame 673–674, ASOD, S. 1 f., Zitat S. 2.
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Abb. 14: Die Nixon-Regierung baute den Staat der inneren und nationalen Sicherheit weiter aus. Das Foto von Byron E. Schumaker zeigt eine Besprechung am 26. Mai 1971 unter Attorney General John Mitchell, Präsident Nixon, FBI-Direktor J. Edgar Hoover und Berater John Ehrlichman (von links nach rechts). Courtesy Richard Nixon Presidential Library and Museum (NLRN-WHPO-6397-09A).
Die Spannung zwischen einem Anspruch auf Privatsphäre und einem staatlichen Interesse auf Geheimhaltung setzte sich von den späten sechziger Jahren in die siebziger Jahre hinein fort. Präsident Johnson wollte Geheimhaltung bewahren, um die Eskalation in Vietnam zu verbergen. Darüber hinaus ließ die Regierung Bürgerrechtsbewegung und Kriegsgegner überwachen, wozu sie sich auf eine Gefahr für die nationale Sicherheit und auf kommunistische Verschwörungen berief. Die Öffentlichkeit sollte davon nichts erfahren.1 Dies reichte soweit, dass Exekutive und Geheimdienste aus einem »commitment to secrecy« keine vollständige Aktenführung betrieben.2 Eine Umkehr von diesem Kurs setzte auch mit dem Regierungswechsel nicht ein; vielmehr erschien sich das Gegenteil abzuzeichnen, und die Regierung setzte volle Kraft voraus. Kaum 1 Graham, Presidents’ secrets, S. 122. 2 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. xii.
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hatte Nixon sein Amt angetreten, überdehnte die Regierung ihre Befugnisse und bemühte sich gleichzeitig um Geheimhaltung: »Secrecy soon became an administration obsession«.3 In der Außenpolitik verfolgte die Regierung hinsichtlich des Vietnamkriegs einen ambivalenten Kurs. Obwohl Nixon einen Frieden in Vietnam anstrebte, ließ er 1970 das offiziell neutrale Kambodscha angreifen, um nordvietnamesischen Einheiten die Nachschublinien abzuschneiden.4 Die Entscheidung löste einen Sturm der Entrüstung unter Kriegsgegnern aus. Ein Ereignis an der Kent State University in Ohio brachte den bis dahin schwärzesten Tag der Spannungen um den Krieg, als Angehörige der Nationalgarde bei Protesten vier Studenten erschossen.5 Konfliktlinien in Bezug auf innenpolitische Sicherheit zogen sich durch mehrere Ebenen: Es wurden staatliche Kompetenzen neu verhandelt, wie weit Behörden Personen ausforschen durften und wie weit der behördliche Anspruch auf Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit reichte. Als Programme politischer Überwachung, die in den späten fünfziger und in den sechziger Jahren weitgehend im Verborgenen geblieben waren, publik wurden, entzündeten sich Konflikte um privacy. Die siebziger Jahre waren von einer Reihe von Skandalen um politische Überwachung geprägt, deren Vorbote das Bekanntwerden des Armeeprogramms unter dem Überbegriff Continental U. S. (CONUS) war. Es folgten Berichte über das COINTELPRO des FBI, über Watergate und schließlich, während der Amtszeit Gerald Fords, über die Operation CHOAS der CIA. Studien, die das CONUS behandeln, erörtern entweder aus einer Perspektive der Armee deren Einsätze im Landesinnern oder aus der Perspektive der Zivilgesellschaft den Aspekt Überwachung. So analysiert Gardner den Umgang mit Unsicherheit bei zivilen Unruhen, wobei die die Armee anfangs auf »ad hoc responses« und später verstärkt auf »adaptive planning« setzte.6 Einsätze sollten planbar werden, weshalb auch geheimdienstliche Tätigkeiten zunahmen. Des Weiteren beurteilt Paul Scheips, einst Historiker am U. S. Army Center for Military History, in seiner Studie zu Einsätzen bei inländischen Unruhen die Überwachung von Zivilisten als »dark chapter«, da die Armee in ihrem Glauben an Verschwörungen und Subversion zu fragwürdigen Mitteln der Spionage gegriffen habe: »improper gathering and storage of a great quantity of information on American citizens that was seriously at odds with the tenets of a democratic society«.7 In seiner Studie zu Überwachung analysiert Frank Donner den besonderen Eifer des militärischen Geheimdienstes: »One can hardly conceive a setting more favorable to the growth of a countersubversive intelligence com 3 Walker, Presidents and civil liberties from Wilson to Obama, S. 288. 4 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 166 ff. 5 Asselin, Vietnam’s American war, S. 184. 6 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 2. 7 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 399.
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mitment and more hostile to restraints on involvement in civilian and political dissent«.8 Historikerin Joan Jensen spricht von einer »decade of discontent over the executive’s use of army surveillance«.9 Mit privacy begründeten Aktivisten einen politischen Anspruch, der unter anderem für das Ausüben von Vereinigungs- und Meinungsfreiheit bedeutend war. Christopher Pyle, der zuerst über das Programm berichtete, untersuchte die Ursachen des Programms später in seiner Dissertation, und er führt die militärische Überwachung, die weitgehend ohne zivile Kontrolle ablief, auf Initiativen innerhalb der Militärbürokratie zurück.10 Seine Analyse stützt er unter anderem auf Dokumente des Assistant Chief of Staff for Intelligence (ACSI), erwähnt aber weitere Bestände in der U. S. Army Historical Research Collection in Carlisle Barracks, PA, die noch nicht zugänglich gewesen seien. Darüber hinaus archivierte das Büro des Command Historian im Januar 1972 die Unterlagen der ACSI Task Force sowie des Pyle O’Brien First Tuesday (POFT) Committee.11 Mittlerweile sind einige Akten der ACSI Task Force im Nationalarchiv zugänglich und liegen auf Mikrofilm vor.12 Diese Dokumente sowie Bände aus dem Kongress und Gerichtsakten werfen ein Schlaglicht auf das schwierige Verhältnis zwischen Sicherheit, Geheimnis und Privatsphäre.
2.1 Militärische Überwachung wird publik: »Not arrest them, keep an eye on them« Ein Merkmal einer entstehenden Sicherheitsgesellschaft bildeten präventive Maßnahmen wie Überwachung, die einer Prognose und Planung dienen sollten, um gewalttätigen Ausschreitungen zu begegnen. Die Kritik folgte bald, dass solche Maßnahmen nicht bloß ineffektiv seien, sondern einschüchternd wirkten und einen Eingriff in die Privatsphäre bedeuteten. Über Jahre hinweg beobachteten militärische Geheimdienste politischen Protest im Inland und verwalteten Ergebnisse in Datenbanken. Christopher Pyle, ein ehemaliger Armeeangehöriger, machte das CONUS im Januar 1970 im Magazin Washington Monthly publik. Das Programm könne unter anderem eine Gefahr für »job rights and privacy« darstellen, da das Informationssystem bei Sicherheitsüberprüfungen irrelevante aber kompromittierende Daten liefern könne.13 Der inländische 8 Donner, The age of surveillance, S. 290. 9 Jensen, Army surveillance in America, S. 248. 10 Pyle 1986, Military surveillance of civilian politics, S. 392. 11 USAINTC, ICHIS, Elaine Pospishil, Command Historian, Memorandum for Col Cole, (declassified NND 881514), January 17, 1972, Reel 6, Frame 326, ASOD, S. 1. 12 Lester / Burton 2005, U. S. Army surveillance of dissidents, S. ix. 13 Christopher H. Pyle, CONUS intelligence, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1, Zitat S. 5.
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Geheimdienst der Armee störe »expectations of privacy«, und Pyle führte aus: »the privacy of politically active citizens is especially threatened by the Army’s practice of watching political protesters«.14 Der Fall erlangte landesweite Bedeutung, da der Kongress die Angelegenheit untersuchte und der Oberste Gerichtshof eine betreffende Klage verhandelte. Pyle bezog sich unter anderem auf das Vorhaben eines NDC, das nicht so viele Informationen zu Überzeugungen und Handlungen von Personen zusammengetragen hätte wie Geheimdienste der Armee in ihren Datenbanken.15 Auch der Abgeordnete Gallagher erinnerte in einem Brief an den Secretary of the Army vom Januar 1970 an seine Anhörungen zu privacy und dem NDC.16 Die Frage, ob der Aufbau eines NDC die Privatsphäre verletzen könne, blieb hypothetisch. Ein konkreter Konflikt um bereits bestehende Informationssysteme ergab sich aus dem Bekanntwerden von Datenbanken, welche die Armee über politische Protestgruppen führte. Das Bekanntwerden eines engmaschigen Netzes, mit dem militärische Geheimdienste landesweit Demonstrationen und Treffen überwachten, schlug hohe Wellen. Am 3. Februar trug Senator Ervin die Sache dem Senat vor und forderte einen Bericht vom Secretary of the Army ein.17 Es entfaltete sich eine Debatte um privacy, inwiefern die Armeegeheimdienste Grundrechte einschränkten, wenn sie Protestierende beobachteten und Fakten dazu in Datenbanken zusammentrugen. So sprach Ervin im März im Kongress zu »Privacy and Army Data Banks«.18 Eine Klage reichte die ACLU in Chicago ein. In dem folgenden Rechtsstreit ACLU v. Westmoreland kam ein geheimdienstliches Netzwerk zutage, das fast den gesamten Bundesstaat Illinois abdeckte. Die Chicagoer ACLU war selbst Ziel des Geheimdienstes, da ein Informationsplan Organisationen listete, die sich hinsichtlich ziviler Unruhen äußerten oder Rechtsbeistand boten. Diese Klage wurde in unteren Instanzen abgewiesen.19 Außerdem klagten mehrere Gruppen und Personen, darunter Kriegsdienstverweigerer Arlo Tatum, im Februar unter der Federführung der ACLU in einer Sammelklage gegen das Verteidigungsministerium unter Laird. Somit hatte die Kontroverse sowohl eine politische als auch eine juristische Dimension. Die Kläger, die in der Beschwerde gelistet waren, stammten größtenteils aus Antikriegsgruppen. Sie versuchten, eine richterliche Erklärung über die Verfassungswidrigkeit der Überwachung 14 Ebd. S. 6. 15 Ebd., S. 16. 16 Abgedruckt in: Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Appendix, January 3, 1972, (Gale Document Number: DW3903002533), S. 73. 17 Donner, The age of surveillance, S. 314 f.; Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 189 ff.; Jensen, Army surveillance in America, S. 248; Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 390 ff. 18 Abgedruckt in: U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1610. 19 Donner, The age of surveillance, S. 309 f.
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zu erreichen, und beantragten ferner eine einstweilige Verfügung. Die Gegenseite solle die Überwachung gesetzestreuer, politischer Aktionen unterlassen und gesammelte Informationen nicht manipulieren sowie diese dem Gericht aushändigen, bevor ein Urteil vorliege.20 Im Rechtsstreit Tatum v. Laird wurden also erneut die Werte von Privatsphäre und Sicherheit verhandelt. Während sich die Kläger in ihrer Meinungsäußerung eingeschüchtert fühlten, erachtete die Armee ihre geheimdienstliche Tätigkeit als wichtig, um ihre Mission zu erfüllen. In der Beschwerde führte die Klageseite an, dass sie wie auch ähnliche Personengruppen von der Armee beunruhigt und von ihrem Recht auf politisches Engagement abgeschreckt würden, unter anderem »by invading their privacy«.21 Den Anspruch auf Privatsphäre entwickelten die Anwälte aus verschiedenen Verfassungszusätzen, wonach die Praktiken der Armee laut der Beschwerde unter anderem das »right of privacy guaranteed and protected by the First, Fourth, Fifth and Ninth Amendments« verletzten.22 Damit beriefen sich die Anwälte auf die Rede- und Vereinigungsfreiheit, auf den Schutz vor Durchsuchungen, auf ordentliche Verfahren sowie auf nicht explizit ausgeführte Rechte. Aus Sicht der Armee war die Überwachung nötig, um Sicherheit zu gewährleisten oder wiederherzustellen. Informationen erachtete die Verteidigung als essentiell zur Abwehr von Gefahren: »The Secretary must know therefore of any threat to the security of the Army«, was andernfalls die »National Security« kompromittiere.23 Um auf Einsätze im Innern vorbereitet zu sein, sei es notwendig, relevante Informationen zu sammeln und zwar kontinuierlich schon im Vorfeld, bevor es zu einem Einsatz komme: »military commanders must have relevant background information«.24 Zur Verhandlung ständen sämtliche geheimdienstliche wie auch öffentliche Informationen über angeblich friedliche und gesetzestreue Proteste: »any information including public information«.25 Dabei bezweifelten die Parteien die jeweiligen Argumente der Gegenseite. So hinterfragten die Kläger, dass es der Sicherheit diene, wenn die Armee friedliche Demonstrierende überwache und in Datenbanken führe. Umgekehrt bezweifelte die Verteidigung, dass Rechte wie Privatsphäre oder Meinungsfreiheit tatsächlich verletzt würden.
20 Motion for Preleminary Injunction, D. D. C., No 459–70, [1970], Folder ›Tatum v. Laird 1972‹, Box 1728, ACLU Records, MC001-02-04, PUL, S. 1. 21 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Appendix, January 3, 1972, (Gale Document Number: DW3903002533), S. 8. 22 Ebd., S. 11. 23 Tatum v. Laird, Defendants’ Opposition to Plaintiffs’ Motion for a Preliminary Injunction, D. D.C., No 459–70, [1970], Folder ›Tatum v. Laird 1965–1971‹, Box 1729, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 6. 24 Ebd., S. 4. 25 Ebd., S. 1.
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Die mündliche Verhandlung fand am 22. April 1970 am Bundesbezirksgericht für DC statt. Es gab keine Beweisaufnahme, so dass unklar blieb, welche Art von Informationen gesammelt wurde, wie die Datenbanken funktionierten und welche Konsequenzen für betroffene Personen und Gruppen daraus resultierten. Frank Askin, Rutgers Law School, der das Plädoyer für die Kläger hielt, führte aus, dass in letzter Konsequenz die Armee vermeintliche Störenfriede in Gewahrsam nehmen würde. Diese Ansicht wertete Bezirksrichter George Hart als Paranoia, da die Möglichkeit einer richterlichen Haftprüfung bestehe.26 Insgesamt erachtete es Richter Hart als legitim, dass die Armee mögliche Unruhestifter ausfindig machen wolle: »It may help them to know what persons are likely to cause trouble and thereby keep an eye on them as such; not arrest them, keep an eye on them«.27 Strittig blieb, ob Agenten der Armee auch im Geheimen agiert hätten. Askin versicherte, eine Infiltration von Treffen beweisen zu können, wohingegen. Bezirksrichter Hart glaubte, dass gesammelte Fakten öffentlich zugänglich seien, und das Informationssystem mit einem Zeitungsarchiv verglich: »Are they doing anything that the newspapers don’t do in their morgues?«28 Dies erschien wie eine rhetorische Frage. Damit stellte sich das Gericht auf den Standpunkt, dass die Protestgruppen in der Öffentlichkeit agierten und die gesammelten Informationen öffentlich verfügbar seien. Die Aussagen von Zeugen, wonach die Armee verdeckte Ermittler eingesetzt und geschlossene Treffen belauscht hätte, ließ Richter Hart in der Verhandlung nicht zu, doch nach der Verhandlung gab die Klageseite eine Pressekonferenz mit besagten Zeugen und gab die Aussagen an die Presse weiter.29 Auch Technologie war ein Thema. Die bloße Existenz von computerisierten Datenbanken ließ Bezirksrichter Hart nicht als Argument gelten und forderte Hinweise darauf, dass die Datenbanken tatsächlich zu unlauteren Zwecken verwendet würden: »I’m not interested in the Intelligence System’s hardware, what are they doing with it that is improper?«30 Dies bedeutete eine hohe Hürde für eine Klage, da über die Funktion der eingesetzten Technologie wenig bekannt war. Laut dem Urteil des Bundesbezirksgerichts lag keine justiziable Kontroverse vor, da die Kläger weder einen Anspruch erheben noch ein Fehlverhalten der Gegenseite oder eine Bedrohung ihrer Rechte aufzeigen könnten.31 Die Rechtsprechung breitete einen Schleier über die Geheimdienstaktivitäten aus. Das Berufungsgericht lehnte am 26 Tatum v. Laird, Transcript of Proceedings, Civil Action No 459–70, U. S. District Court for DC, April 22, 1970, Folder ›Tatum‹, Box 1729, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 22. 27 Ebd., S. 23. 28 Ebd., S. 9. 29 Stein 1973, Laird v. Tatum, S. 247. 30 Tatum v. Laird, Transcript of Proceedings, Civil Action No 459–70, U. S. District Court for DC, April 22, 1970, Folder ›Tatum‹, Box 1729, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 9. 31 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Appendix, January 3, 1972, (Gale Document Number: DW3903002533), S. 137.
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12. Juni 1970 einen Antrag ab, das Urteil in Gänze aufzuheben, und die Kläger gingen erneut in Berufung mit der Frage, ob sie einen justiziablen Anspruch erheben konnten und ihre Vorwürfe beweisen dürften. Nach und nach kamen weitere Details über das Überwachungssystem an die Öffentlichkeit. Die Existenz einer Datenbank innerhalb des CONARC deckte die Chicago Sun-Times im Februar 1970 auf. Demnach befand sich in Fort Monroe unter anderem eine Computerdatenbank mit der Bezeichnung Counterintelligence Records Information System (CRIS), die Information über Ereignisse sowie politisch aktive Personen und Organisationen enthielt.32 Laut einem Schreiben von Colonel James Akins, DCSINT, solle der Computer im Hauptquartier von CONARC Statistiken zu Ausschreitungen zur Analyse und Vorhersage von gefährdeten Gebieten liefern: »forecasting locations of possible civil disturbances«. Der Computer enthielt darüber hinaus Information über Personen, Organisationen und Ereignisse. Allerdings war das System bis zum Stopp im Februar 1970 noch nicht vollständig entwickelt.33 In Fort Hood unterhielt ein Armeecorps eine Computerdatenbank über politische Aktivitäten von Zivilisten, wie sich bei einer Revision herausstellte.34 Die CIAB führte zwei als geheim eingestufte Bände über Dissens und zivile Unruhen. Anscheinend stammten die Informationen aus dem »Compendium« vom FBI. Der erste Band enthielt Informationen über Städte und mögliche Unruhen sowie über Organisationen, die als politisch, als ethnisch, als Kriegsgegner oder als international kategorisiert waren.35 Laut einem Entwurf für ein Geheimdienstprogramm mehrten sich die Nachfragen an CIAB nach Analysen, um Planung und Operationen bezüglich ziviler Unruhen zu unterstützen. Im Bereich Datenverarbeitung unterhielt die CIAB unter anderem das AOC, das eine »counterintelligence data base« führte, und ein »Counterintelligence Research File System«, das über 75.000 Dokumente mit Querverweisen zu 252.000 Aktivitäten, Persönlichkeiten, Organisationen oder Ereignissen umfasste und monatlich um weitere 1.000 Dokumente mit weiteren 7.500 Querverweisen anstieg.36 Damit verfügte die Armee über einen systematischen Bestand über politische Aktivitäten im Land und begann, diese Bestände zu automatisieren. Eine rechtliche Grundlage dafür fehlte. Die Geheimdienste verhinderten eine gründliche Aufklärung, indem sie Daten und Dokumentation zerstörten. In der Zentrale in Fort Holabird bewahrte die Armeeführung sechs als vertraulich klassifizierte Bände auf, die Material über an zivile Unruhen beteiligte Individuen enthielten. Fünf dieser 32 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 44 f. 33 DA, CONARC, ATINT-IS to ACSI, Reponse to ACSI-STF Request for Information, (declassified NND 881514), February 26, 1971, Reel 3, Frame 571–572, ASOD, S. 1. 34 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 72. 35 Ebd., S. 17 ff., Zitat S. 17. 36 CIAB, Draft input to Consolidated Intelligence Program (CIP) for FY 69–74 (U), (declassified NND 881514), [1968], Reel 12, Frame 752–759, ASOD, S. 2 ff., Zitat S. 4.
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Bände, aufbewahrt im Zuge des Falls Tatum, enthielten Einträge über rund 1.000 Personen. Zwar ordnete die Führung im Februar 1970 die Zerstörung der Bände an, doch blieb der tatsächliche Verbleib ungewiss.37 Ein Computer, mit dem das USAINTC Information zu zivilen Unruhen verwaltete, war seit November 1968 in Betrieb. Im Februar 1970 wurden auf Befehl des Kommandanten sämtliche Kopien der Conus Intelligence Data Base gelöscht.38 Dies ging aus der Antwort des Data Handling Center auf eine Anfrage von Senator Ervin hervor. Als 1968 das DCII mit einem Computer des Typs IBM 360/40 ausgestattet wurde, diente der ausrangierte Computer IBM 1401 schließlich als CONUS-Geheimdienstdatenbank und wurde aufgerüstet, um die große Anzahl an Lochkarten auf Magnetband zu überspielen. Die Datenbank konnte auf Abfrage des Director of Investigation (DOI) im USAINTC Statistiken liefern zu Ereignis, Ort sowie Personen, die bei Unruhen gesichtet wurden. Die Bänder, das Programm und Reporte wurden im September oder Oktober 1970 an Colonel Llewellyn Sobke, Office of the DA Inspector General, übergeben, und das Band kam vollständig »degaused« zurück; USAINTC löschte weitere Kopien.39 Bereits am 2. März 1970 wies das ACSI an, die biographische Datenbank zu zerstören. Die Ereignisdatenbank wurde bereinigt und auf ein einzelnes Band mit 11.000 Einträgen reduziert. Das Band samt Ausdrucken ging an Colonel Sobke, der ein gelöschtes Band zurückgab. Allerdings blieb der Verbleib der Ausdrucke und der Programmierung ungewiss.40 Auf ebenso dubiose Weise, wie das System installiert wurde, verschwand es wieder. Aufgrund der gelöschten Bänder aus Datenbanken und der zerstörten Dokumente blieben viele Details unbekannt. Die Armee und zuständige Regierungsstellen reagierten außerdem auf die Vorwürfe, indem sie Vorschriften änderten. Im April und Mai nahm die Armeebehörde erste Korrekturen des Überwachungsprogramms vor, rang aber um eine Position, wie mit Informationen zu zivilen Unruhen umzugehen sei. Diesbezüglich gab es das Bestreben, Aufgaben und Verantwortung an das Justizministerium abzugeben.41 Im März erklärte das DA die mit Computern betriebenen Datenbanken mit inländischem Geheimdienstmaterial über Zivilisten zur Chefsache. Das Betreiben solcher Anlagen musste vom Chief of Staff of the Army und dem Secretary of the Army bewilligt werden, wie Stanley Resor, Secretary of the Army, 37 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 4, 7 f. 38 ICAD, Paul Jordan to Colonel Robbins, Memorandum Civil Disturbance Data Bank, (declassified NND 881514), March 11, 1971, Reel 4, Frame 160–162, ASOD, S. 1 ff. 39 ICIRD, Paul Anderson, Memorandum for the Record, Computer Information for General McCristian, (declassified NND 881514), March 10, 1971, Reel 4, Frame 170–171, ASOD, S. 1 f. 40 ICDO-PO to ACSI, Report of Implementation of Department of the Army Policies Governing Counterintelligence Activities (U), (declassified NND 881514), February 18, 1971, Reel 10, Frame 488–490, ASOD, S. 2. 41 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 194, 200 f.
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in einem Memorandum anwies.42 Ferner änderte die Armee unter anderem Vorschriften über Berichte, die der Armeegeheimdienst USAINTC auswertete. So forderte das USAINTC unter anderem, bestimmte Berichte der Spionageabwehr, counterintelligence spot reports, die etwa zivile Unruhen betrafen, nach sechzig Tagen zu zerstören.43 Mit Bekanntwerden des Programms änderte die Armee ihre Planung. Wie Jordan, General Counsel, in einem Brief an Senator Ervin ausführte, habe die Armee den Schluss gezogen, dass Geheimdienstinformation nicht die gewünschte Prognose von Unruhen ermöglichte: »we realized that our previous intelligence system did not substantially aid us in making predictions about civil disturbances«.44 Die Planungseuphorie erschien verflogen. Laut einer Direktive sollten Pläne nicht mehr auf Informationen über Zivilisten beruhen, die in keiner Verbindung zum Verteidigungsministerium standen, wie es unter dem Punkt »Planning« hieß.45 Kritikern gingen die Reaktionen nicht weit genug. Etwa bemängelte Pyle in einem weiteren Artikel die verhaltene Reaktion der Armeeführung und sprach von Vertuschung.46 Es ging um den Umgang mit Information, um Transparenz und Geheimhaltung. Innerhalb dieser Interessenlage stand der Konflikt um privacy, was Geheimdienste über Bürger zusammentragen und verwalten durften, aber auch, wie weit der Einblick in die Arbeit der Dienste reichte, die ihre Spuren zu beseitigen begannen. Der Geheimdienstbetrieb lief indes weiter. Organisationen, die gegen den Krieg protestierten, standen weiterhin im Fokus der Agenten, was die Armee mit möglichen Unruhen begründete. Beispielsweise waren Geheimdienstagenten bei einer Antikriegsdemonstration in Washington, DC, am 9. Mai aktiv. Aus Sicht der Armee konnte es zu Auseinandersetzungen kommen, die außer Kontrolle zu geraten drohten, da Organisationen die Situation für Gewalttaten nutzen könnten. Es befänden sich Mitglieder der Weathermen, der afroamerikanischen Protestgruppe BPP sowie der Chicago Seven in der Stadt. Als eine der Schlüsselorganisationen war WSP gelistet.47 Die Weathermen, eine radikale Gruppierung, die aus SDS hervorgegangen war, tauchten zuerst in COINTELPRO 42 U. S. Senate 1973, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 89; SECARMY, Memorandum for the Chief of Staff, March 6, 1970, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1 f. 43 USAINTC, ICDO-PO, USAINTC Spot Reports, (declassified NND 881514), [März 1970], Reel 6, Frame 548–550, ASOD, S. 2. 44 Robert E. Jordan, Letter to Sam Ervin, November 27, 1970, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 2. 45 Robert E. Lynch, Collecting, Reporting and Storage of Civil Disturbance Information, June 9, 1970, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 2. 46 Christopher H. Pyle, Conus Revisited, July 1970, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1. 47 DA, HQ, Task Force MDW, OPORD 1–70, Annex B (Intelligence), (declassified NND 881514), [Mai 1970], Reel 12, Frame 903–905, ASOD, S. B-1 f.
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Berichten aus dem Herbst 1968 auf.48 Bei WSP handelte es sich um eine der Klageparteien im Fall Tatum. Im abschließenden Bericht nannte der Kommandeur der task force »planning problems«, die sich aus unzureichenden Informationen im Vorfeld ergeben hätten. Auch während der Demonstration konnte der Kommandeur nicht auf geheimdienstliche Quellen zugreifen und war auf lokale Stellen des Bürgermeisters angewiesen.49 In dem Bericht klang eine gewisse Frustration an, dass die Geheimdienstarbeit eingeschränkt worden war. Hingegen wollten Befehlshaber der Armee umfassend über die Teilnehmenden an Demonstrationen und den Ablauf des Geschehens informiert werden. Es galt, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Diese militärische Haltung stand im Widerspruch mit der zivilen Politik, friedliche Demonstrationen gewähren zu lassen und die Armee nur in Ausnahmesituationen als Unterstützung der lokalen Kräfte vor Ort einzusetzen. Im Laufe des Jahres schnitt die Armee das Programm weiter zurück. Eine Direktive von Colonel Robert E. Lynch brachte die Überwachung unter die Kontrolle höherer Stellen, ohne aber das Programm zu beenden.50 In dem Schreiben untersagte die Armeebehörde mit bestimmten Ausnahmen das Sammeln und Verarbeiten von Daten über zivile Personen und Organisationen, die nicht mit einer derartigen Gefahr, die lokale Sicherheitskräfte überfordern und einen Einsatz der Armee erfordern würde, in Verbindung gebracht werden könnten.51 Ein separater Information Collection Plan der Armee wurde im Juni 1970 für ungültig erklärt.52 Insgesamt sollten operationelle Akten der Mission der Armee dienen und die Dokumente entsprechend durchgesehen und kontrolliert werden: »a very thorough and careful screening of all files is necessary«.53 Über lange Zeit war Geheimdienstmaterial ungefiltert in die Akten und Datenbanken der Armee gewandert. Dies erwies sich nun als Problem. Ende des Jahres 1970 folgte eine weitere Anweisung, die sämtliche Informationen über Zivilisten betraf und die später in eine Direktive des Verteidigungsministeriums
48 Davis, Assault on the left, S. 156. 49 DA, ANOPN-PO, Roland M. Gleszer, Maj. Gen., After Action Report, Washington Protest Activities 7–10 May (U), enclosures, (declassified NND 881514), May 26, 1970, Reel 6, Frame 885–894, ASOD, S. 1. 50 Jensen, Army surveillance in America, S. 251. 51 DA, AGDA (M) (25 May 1970) ACSI-CICD, Col. Robert E. Lynch, Collection, Reporting, Processing, and Storage of Civil Disturbance Information, (declassified NND 881514), June 9, 1970, Reel 17, Frame 94–99, ASOD, S. 2; U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1099–1102; U. S. Senate 1973, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 90. 52 Vgl. U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1147, 2091. 53 USAINTC, ICCG, Command Letter 4–70, Jack E. Matthews, (declassified NND 881514), August 7, 1970, Reel 10, Frame 780–781, ASOD, S. 1.
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einging.54 Im Dezember 1970 forderte Verteidigungsminister Laird in einem Memorandum, dass geheimdienstliche Arbeit unter dem DOD mit Verfassungsrechten, rechtlichen Vorgaben sowie der nationalen Sicherheit korrespondierten.55 Damit wollte Laird die Geheimdienstarbeit unter eine stärkere Kontrolle des DOD bringen.56 Indes stieg der öffentliche und politische Druck auf die Armeeführung. Im Dezember zeigte der Fernsehsender NBC eine Dokumentation über die Aktivitäten von Geheimdiensten, in der unter anderem Agenten berichteten, dass Akten über Kongressmitglieder und Richter existierten, was für Empörung im Kongress sorgte.57 Senator Ervin kündigte Anhörungen ab Anfang Februar 1971 an. Damit ging das Ringen um die Deutungshoheit in dem Skandal in die nächste Runde.
2.2 Juristische und politische Aufarbeitung: »Those who dissent are ferreted out« Indessen wurde der Fall Tatum im Januar 1971 vor einem Berufungsgericht weiterverhandelt. Der Kenntnisstand war beschränkt. Die Kläger argumentierten, dass Dissidenten überwacht und in Dossiers geführt würden: »Those who dissent are ferreted out, placed under constant surveillance, and made the subject of dossiers«.58 Daraus leiteten die Kläger einen einschüchternden Effekt des Geheimdienstapparats ab, da der Staat die Informationen über Personen nutzen könne.59 Laut Verteidigung genüge ein diffuses Gefühl der Angst seitens der Kläger nicht, um daraus einen justiziablen Anspruch abzuleiten: »But the fact that plaintiffs are afraid, standing alone, is not enough to demonstrate the requisite judicially identifiable breach of a duty required to present a justiciable controversy a court can review«.60 Obgleich die planerischen Konzepte revidiert wurden, beharrte das Verteidigungsministerium im Rechtsstreit darauf, dass die Geheimdienstarbeit sinnvoll gewesen sei. So argumentierte die Verteidigung, dass die Armee wegen möglicher Einsätze im Landesinnern auf geheimdienstliche Informationen angewiesen sei: »when it deploys federal troops to assist 54 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 199; U. S. Senate 1973, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 92, 94; U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1142, 1253. 55 U. S. Senate 1973, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 94; U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 2088. 56 Gardner 1977, The Civil Disturbance Mission, S. 200 57 Jensen, Army surveillance in America, S. 250 f. 58 Tatum v. Laird, Brief for Appellants, No. 24,203, D. C.Cir., [1971], Folder ›Tatum‹, Box 1729, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 12. 59 Ebd., S. 21, 22. 60 Tatum v. Laird, Brief for Appellees, No. 24,203, D. C.Cir., [1971], Folder ›Tatum 1971‹, Box 1728, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 17 f., Hervorhebung im Original.
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local authorities in restoring order«. Die Beklagten argumentierten ferner, dass die gesammelten Informationen für die Mission der Armee bedeutend seien, und führten Vorschriften an, nach denen die Armee befugt war, im Landesinnern zu agieren, wonach der Secretary of the Army für »the planning for, and the deployment and employment of military resources in the event of, civil disturbances« verantwortlich sei. Der Secretary of the Army sei außerdem mit der Aufgabe betraut, das National Military Command Center mit Informationen zu versorgen. Es würden solche Informationen über zivilen Aktivitäten gesammelt, die eine Gefährdung der Sicherheit darstellten: »the Army’s collecting information regarding civilian activity, as that activity pertains to threats to the security or the mission of the Army«.61 Demnach sei es in den letzten Jahren zu einer Reihe von gewalttätigen Protesten gekommen, die sich auch gegen militärische Institutionen gerichtet habe, darunter: »ransacking Selective Service offices, plundering defense-oriented businesses, holding up troop and supply trains by lying on the tracks, unlawful attempts to enter upon military bases for demonstration purposes«.62 In der Praxis beobachteten Agenten jedoch Personen und Gruppen, die in keinem Zusammenhang zu Gewalttaten gegen die Armee standen. Vor dem Berufungsgericht betonten die Kläger das Argument privacy stärker als vor dem Bundesbezirksgericht und argumentierten, dass eine Person die Kontrolle über Daten und Informationen verliere und ungewiss sei, wie diese verwendet würden: »Thus, the value of anonymity is an essential part of the right to privacy and of the right to freedom of speech and expression protected by the First Amendment«.63 Demnach war Privatsphäre eine notwendige Bedingung zur politischen Partizipation und freien Meinungsäußerung. Darüber hinaus nannten die Anwälte die Privatsphäre von Gruppen sowie das Konzept von Freiheit vor staatlichen Eingriffen. Von einem System, das zivile Aktivitäten überwache und darüber berichte, gehe eine Gefahr für Meinungsfreiheit und Privatsphäre aus: »infringe upon the privacy of the citizen to pursue his life and beliefs free of governmental interference or direction«.64 Allerdings erkannten sie in der Sicherheit ein legitimes Interesse der Armee, das aber der richterlichen Aufsicht unterliegen müsse. Der Sicherheitsanspruch der Armee rechtfertige kein verfassungswidriges Eindringen in die Privatsphäre: »This fact does not justify the unconstitutional invasions of expression and privacy of the citizenry, no matter how legitimate the purported purpose may be«.65 Hiermit formulierten die Anwälte ein politisches Recht auf Privatsphäre, wonach Bürger ihre 61 Ebd., S. 4. 62 Ebd., S. 8. 63 Tatum v. Laird, Brief for Appellants, No. 24,203, D. C.Cir., [1971], Folder ›Tatum‹, Box 1729, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 21 f., Zitat S. 21. 64 Ebd., S. 27. 65 Ebd., S. 30 ff., Zitat S. 30.
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Meinung frei von staatlichen Eingriffen äußern dürften. Das Berufungsgericht widersprach im April dem Urteil der unteren Instanz und verlangte, den Rechtsstreit in der Hauptsache zu verhandeln. Daraufhin wandte sich die Verteidigung mit einer Petition an den Obersten Gerichtshof der USA. Die Aussicht auf Senatsanhörungen veranlasste die Armeeführung dazu, die Sache weiter zu untersuchen und sich auf Anfragen vorzubereiten. Dazu gründete Kenneth Wickham, Adjutant General, auf Geheiß des Chief of Staff im Januar 1971 eine task force unter der Führung des ACSI.66 Weiterhin etablierte Verteidigungsminister Laird im Februar ein Defense Investigative Program und betraute den Defense Investigative Review Council (DIRC), damit, die geheimdienstlichen Tätigkeiten der Armee zu kontrollieren.67 Für Aufsehen sorgten auch Akten, die Colonel Ralph Van Deman gesammelt hatte, sich nun im Privatbesitz befanden und vom Justizkomitee im Senat eingefordert wurden.68 Senator Ervin erörterte im Unterausschuss zu Verfassungsrechten, ob zentralstaatliche Datenbanken mit Standards von »privacy and other constitutional rights of the American citizen« vereinbar seien, und behandelte in diesem Zusammenhang auch die Datenbanken der Armee.69 Demnach übersteige die Sammlung an Informationen der Behörden in einigen Fällen den Bedarf und bedrohe »individual’s privacy and right to due process of law«.70 Mit dem Senat trat ein weiterer Akteur im Zwist um Information, Geheimhaltung und Privatsphäre auf den Plan. Die Regierung wehrte sich gegen die Vorwürfe. In den Senatsanhörungen äußerte sich Robert F. Froehlke, Assistant Secretary of Defense, im März zur Legitimität der Überwachung und dem anhängigen Rechtsstreit und argumentierte, dass keine Informationen zu zivilen Unruhen gesammelt worden seien, um Individuen oder Organisationen zu benachteiligen. Daher seien weder Verfassungsrechte oder »the right to privacy« durch die Informationssammlung beeinträchtigt worden.71 Ein Anspruch auf privacy einer Person, nicht in staatlichen Informationsbeständen geführt zu werden, ergab sich demnach erst, wenn diese einen konkreten Schaden erlitten hatte. Aus Sicht der Armee war die staatliche Kompetenz weit gefasst; das Sammeln von Fakten galt als unbedenklich,
66 Kenneth G. Wickham, DA, AGAO-KG, to CG USAINTC, (declassified NND 881514), January 22, 1971, Reel 8, Frame 215, ASOD, S. 1. 67 DOD Directive 5200.26, (declassified NND 881514), February 17, 1971, Reel 2, Frame 800–804, ASOD, 1; U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 1251. 68 James Eastland to Melvin Laird, (declassified NND 881514), March 1, 1971, Reel 3, Frame 576, ASOD, S. 1. 69 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 1. 70 Ebd., S. 4. 71 Ebd., S. 385; Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 392.
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solange Personen nicht zur Herausgabe genötigt oder Informationen gegen sie verwendet würden. Zivilgesellschaftliche Akteure drängten auf Aufklärung und Reformen. Pyle, der das Programm publik gemacht hatte, kooperierte nunmehr mit der ACLU und beriet die Organisation. Die ACLU bemühte sich um Zeugen, die über die Überwachungspraktiken aussagen könnten. So stand John Shattuck mit einem ehemaligen Armeeangehörigen und CONUS-Agenten in Kontakt, der als verdeckter Ermittler auch über Friedensgruppen berichtet hatte. Dabei war sich dieser über eine mögliche Aussage unsicher und wollte Pyle dazu konsultieren.72 Schließlich tauchte er als Quelle in der Dissertation Pyles auf.73 Die ACLU vertrat ihren Standpunkt dazu, dass die Armee politische Dissidenten überwacht und in Datenbanken geführt hatte, auch im Kongress. So sprach Burt Neuborne, begleitet von Hope Eastman, für die ACLU im Februar 1971 im Unterausschuss zu Verfassungsrechten und reichte außerdem eine schriftliche Stellungnahme ein. Darin betonte er insbesondere »the importance of the right of privacy to the functioning of a free democracy«.74 Privacy erhielt hier ein besonderes politisches Gewicht, da das Konzept als eine Voraussetzung für andere Grundrechte galt. Unter anderem forderte Neuborne neue Gesetze, die das staatliche Sammeln von Informationen über politische Aktivisten beschränkten, damit Personen in ihrer Meinungsfreiheit nicht eingeschüchtert würden.75 Damit positionierte sich die Organisation in der Debatte um Datenschutz und trat für eine Regulierung ein. Der Umgang mit dem geheimdienstlichen Aktenbestand bereitete der Armee Schwierigkeiten. Zwar wurden einige klassifizierte Dokumente vernichtet, doch erschienen ein vollständiges Säubern und Schwärzen der zahlreichen Akten als eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Am 22. Februar 1971 hielt Colonel Robbins, Director of Investigative Records, eine Unterrichtung des ACSI ab. Demnach verfügte das USAIRR über 416 Dokumente, die als top secret klassifiziert waren. Nach einer Durchsicht wurden 322 Dokumente aussortiert und am 1. März 1971 zerstört. Des Weiteren sollten Mikrofiche mit der Klassifizierung secret nachweislich zerstört bzw. mit confidential oder For Official Use Only (FOUO) zerstört werden. Ferner sollte unter anderem die Anzahl der Personen reduziert werden, die befugt war, Akten vom USAIRR anzufordern. Innerhalb des USAIRR wurden täglich 3.000 Dokumente aussortiert und weitere 5.000 geschwärzt.76 Indes
72 JS [John Shattuck], Memo to Files, October 22, 1971, Folder ›Tatum v. Laird 1968–1971‹, Box 1728, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1. 73 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 228–234. 74 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 46. 75 Ebd., S. 48 ff. 76 Director of Investigative Records, ICIRD, P. W. Robbins, Memorandum for the record, (declassified NND 881514), March 5, 1971, Reel 10, Frame 402–404, ASOD, S. 1 ff.
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bestanden Verunsicherung und Probleme, wie die Armee mit den Anweisungen, um das Überwachungsprogramm einzuschränken, umgehen solle. Das USAIRR wurde vorübergehend davon ausgenommen, Berichte des FBI über Zivilisten ohne Verbindung zum Verteidigungsministerium zu verwalten.77 Diese FBI- Berichte erschienen besonders brisant und enthielten Geheimdienstmaterial über zivilen Protest. Aber auch die Akten des Armeegeheimdienstes selbst waren kontaminiert mit Material, das dort nicht hineingehörte. Ein vollständiges Durchleuchten der Informationsbestände nach Daten über Personen ohne Verbindung zum Verteidigungsministerium erschien als impraktikabel. Das Ausmaß der Bestände innerhalb des USAIRR war immens und ein Säubern der Dossiers mit hohem Aufwand verbunden. Es existierten etwa fünfeinhalb Millionen Ordner in Papierform sowie rund 60.000 Ordner auf Mikrofilm über US-Bürger. So führte Adjutant General Theodore M. Libershal aus, dass ein Bereinigen der bestehenden Dossiers etwa sieben Jahre erfordere, bei einem jährlichen Zuwachs von rund 200.000 Dossiers. Ausgenommen aus dem Programm waren zunächst FBI-Reporte, deren Behandlung weitere sieben Jahre erfordert hätte.78 Im Februar 1971 berichtete Libershal, dass 197 Arbeitsjahre zum Säubern der rund sieben Millionen Personenakten sowie 200.000 Organisationsakten notwendig wären. Dabei entfielen allein 87 Arbeitsjahre auf das Bearbeiten von FBI-Akten, wozu eine besondere Expertise nötig sei.79 Über Jahre hinweg hatten sich Berichte zu militärischen Angelegenheiten mit Berichten über unbescholtene Bürger vermischt. Es hatte sich ein toxisches Gemenge ergeben, das kaum mehr zu bereinigen war. Ein Löschen der Datenbanken konnte die technische Funktionsweise des Überwachungsapparats verschleiern, nicht jedoch die betreffenden Informationen in unzähligen Ordnern und Akten tilgen. Vor Gericht wurden die Dokumente nicht ausgewertet. Weiterhin erschien die Ansicht des Bundesbezirksgerichts, wonach Dienste bloß öffentlich zugängliches Material zusammengetragen hätten, zweifelhaft. In Spezialprogrammen, die einer hohen Geheimhaltung unterlagen, ermittelten Agenten auch verdeckt. Auch diesen Umstand berücksichtigte die Justiz nicht. So führte die Armee offensive und aggressive Programme durch, bei denen Agenten aktiv in Protestgruppen agierten. Neue Regeln zum Sammeln und Verarbeiten von Informationen über Zivilisten hatten zur Folge, dass die verdeckten Operationen zur Disposition standen und die Armee die Vorschriften überarbeitete. Im Februar 1971 wies der Director, Sepecial Operations, an, 77 AGDA, Kenneth Wickham to CG USAINTC, (declassified NND881514), January 31, 1971, Reel 2, Frame 75, ASOD, S. 1. 78 USAINTC, ICIRD, Theodore Libershal to ACSI, with inclosure, (declassified NND881514), January 29, 1971, Reel 2, Frame 505–531, ASOD, S. 1 ff. 79 USAINTC, ICIRD, Theodore Libershal to ACSI, (declassified NND881514), Febru ary 16, 1971, Reel 2, Frame 773–774, ASOD, S. 2.
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sämtliche Aktivitäten von Offensive Counterintelligence Operations (OFCO) und Aggressive Counterintelligence Program (ACIP) einer Revision zu unterziehen. Die Operationen müssten auf spezifischen Gefahren mit bestimmter Zeit und Ort abzielen und dürften nur direkt involvierte Personen und Organisationen betreffen.80 Am 17. Februar erging die Anweisung, sämtliche ACIP und OFCO auszusetzen, da der überwiegende Teil beendet oder neu ausgerichtet werden müsse. Bis dahin würden keine EEI oder Reporte angenommen.81 Beispielsweise existierte ein Plan unter dem Namen »Grain Silo«, der sich gegen »espionage, sabotage, subversion or other disruptive or dissident activities« richtete, welche die »mission, morale and discipline« der Armee unterwanderten. Neben Gefahren wie Sabotage umfasste der Plan aber auch Dissens im allgemeinen Sinne und zielte unter anderem auf Zivilisten ab, die sich subversiv verhielten oder zu Ungehorsam und Desertion aufforderten. Ferner standen Organisationen im Fokus, deren Ziele und Aktionen sich gegen die Armee richteten und die Moral der Truppe zu untergraben drohten. Die Empfehlung lautete, das Programm wieder zu bestätigen.82 Nunmehr sollte das DIRC über den Einsatz von OFCOs entscheiden.83 Am 28. Juni beantragte das USAINTC, Operationen des ACIP wiederaufzunehmen, da diese auf Personen mit Verbindung zum DOD abzielten.84 Die praktischen Ausmaße der Programme blieben im Dunkeln. Welche Operationen tatsächlich stattgefunden haben, lässt sich im Rückblick nicht rekonstruieren. Dem ACSI wurden nur drei Beispiele übermittelt, die Ziele von OFCOs verdeutlichen sollten. Dabei handelte es sich um den Versuch, eine »servicemen’s union« aufzubauen, um eine »GI underground newspaper« sowie um eine geplante »mock invasion« einer militärischen Anlage. Bei der vorgetäuschten Aktion wollten Protestierende zum Schein einen See überqueren, gerüchteweise bewaffnet, um damit die Armee zu provozieren und für schlechte Presseberichte zu sorgen.85 Laut Darstellungen der Armee konnte sie die jeweilige Gefahr bändigen. Diese Maßnahmen erschienen im Verhältnis zwischen ge 80 DCSOPS, DSO, William Singleton, CI Activities Relating to Countersubversion and the Aggressive CI Program (U), with enclosure, (declassified NND 881514), February 16, 1971, Reel 2, Frame 782–786, ASOD, S. 2. 81 USAINTC, ICDSO, Subject: CONUS ACIP-OFCO Suspension (U), (declassified NND 881514), February 17, 1971, Reel 2, Frame 796–799, ASOD, S. 2. 82 Theodore Libershal, ICDSO, to ACSI, Subject: Grain Silo (U), inclosure, (sanitized copy, declassified NND 881514), February 22, 1971, Reel 1, Frame 385–388, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. i1. 83 DA, OACSI, Merill T. Kelly, ACSI-CICR, to CG USAINTC, Subject: Special Operations, (declassified NND 881514), June 29, 1971, Reel 1, Frame 347–348, ASOD, S. 1 f. 84 ICDC, John W. Downie, Colonel MI, ACSI-CIC, Reactivation of Special Operations Under the Aggressive Counterintelligence Program (ACIP) (U), (declassified NND 881514), June 28, 1971, Reel 1, Frame 345–346, ASOD, S. 1 f. 85 Robert E. Cooper, CPT MI, to Mr Unrath, [ACSI TF], attachments, (declassified NND 881514), March 5, 1971, Reel 4, Frame 130–136, ASOD, S. 2 ff., Zitat S. a1, a2, a3.
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steckten Zielen und eingesetzten Mitteln unausgewogen. Das Programm stand auf dem Prüfstand. In Reaktion auf das Memorandum des DA aus dem Februar und weitere Revisionen wurden die meisten der 23 OFCOs eingestellt. Beispielsweise wurden vier OFCOs beendet, da eine Abnahme von »dissident / subversive threat« festgestellt wurde. Insgesamt bestanden elf solcher Operationen gegen Dissens oder Subversion. Hinsichtlich der ACIPs wurde der Operationsplan Lentil Monkey überarbeitet. Anfragen über weitere Operationen wurden seit Ende August an das FBI weitergeleitet.86 Anscheinend zeigte die Ermittlungsbehörde wenig Interesse daran, die Geheimdienstarbeit der Armee zu übernehmen. So bemerkte Arbor Gray, Internal Security Section, FBI, bei einem Treffen, dass die Bundesbehörde in den meisten Fällen nicht die gewünschten, detaillierten Informationen liefern könne, und schlug vor, dass Informationen über die OFCOs vom USAINTC bezogen werden sollten.87 Im Oktober 1971 besichtigte das House Appropriation Committee Surveys and Investigation Staff das Hauptquartier, um die speziellen Operationen im Bereich der Spionageabwehr zu untersuchen.88 Insgesamt erschienen die Operationen als verzichtbar und wurden größtenteils eingestellt. Die Einschränkung der Spezialoperationen löste Widerspruch der Befehlshaber aus, die eine Gefahr der Sicherheit ausmachten. Beispielsweise befürchtete der militärische Geheimdienst eine Bedrohung durch Dissidenten am Armed Forces Day, wonach Protestgruppen verschiedene Armeeeinrichtungen besetzen könnten. In einem Schreiben hieß es, dass neue Direktiven die Möglichkeiten begrenzten, um Befehlshaber zu unterstützen; es bestünden bloß Gerüchte über Protestaktionen. Die Lage erfordere es, Ausnahmen zu machen.89 Insgesamt warnte die Armeeführung vor Gefahren für die Sicherheit, wenn die Geheimdienstarbeit stark zurückgefahren würde. Von einer »security gap« sprach etwa Colonel John Downie, die sich auftue, wenn geheimdienstliche Verbindungen vernachlässigt würden. Laut Downie dürften MI-Gruppen an privaten Treffen und Seminaren teilnehmen, allein das Sammeln und Verarbeiten von Informationen sei eingeschränkt.90 Die Befehlshaber innerhalb von CONUS sollten nur mit Spionageabwehr (CI) unterstützt werden, insofern es sich um Informationen über eine Bedrohung für die Armee handele, wohingegen Dissens verfassungs 86 Andrew H. Havre, DAC, Memorandum for the Record, Status of OFCO’s and ACIP’s, (declassified NND 881514), October 13, 1971, Reel 1, Frame 740–742, ASOD, S. 1 f. 87 ICDSO-O, Andrew H. Havre, Memorandum for the Record, Conference with FBI on CS OFCO’s, (declassified NND 881514), October 21, 1971, Reel 1, Frame 762, ASOD, S. 1. 88 ICDSO, Memorandum for the Record, (declassified NDD 881514), October 22, 1971, Reel 1, Frame 770–771, ASOD, S. 1. 89 ICDSO-O-S, for CICR, CONARC for ATINT, Subj Armed Forces Day, (declassified NND 881514), May 15, 1971, Reel 1, Frame 51–55, ASOD, S. 2 ff. 90 DA, USAINTC, ICDO-PO, John W. Downie to CO, 108th MI Group et al., Subject: Counterintelligence Liaison Responsibilities, (declassified NND 881514), October 7, 1971, Reel 1, Frame 735–738, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. 1.
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rechtlich geschützt sei.91 Laut ACSI sollten Operationen nur bei eindeutigen Gefahren genehmigt werden. Es sei abzuwägen, dass Operationen in der Öffentlichkeit als »spying on civilians« durch die Armee wahrgenommen werden könnten. Die Empfehlung lautete, dass eine ACIP-Operation einer OFCO vorausgehen könne, um eine Gefahrensituation zu bestätigen.92 Hierin machte sich eine Diskrepanz bemerkbar, die zwischen operativen Kräften und der Führung bestand. Während sich das Geheimdienstpersonal in einer permanenten Bedrohungslage wähnte, glaubte die Führung, dass die Aktionen über das Ziel hinausgeschossen seien und ein zweifelhaftes Bild in der Öffentlichkeit abgäben. Es fand ein zähes Ringen um Informationen über das Programm CONUS statt. So versuchten die Kläger, Dokumente zur Überwachung zu sichern und Informationen zu erlangen.93 Dabei gab es Schwierigkeiten, militärische Geheimdienste zur Verantwortung zu ziehen, da Informationen über deren Aktivitäten unzugänglich waren: »Civilians need to know enough detail about internal security policies to be able to criticize them and to dissent from them«.94 Die Armee agierte in einer »atmosphere of secrecy«.95 Wie Lawrence Baskir, Personalleiter im Ausschuss für Verfassungsrechte, rückblickend feststellte, verschlechterte sich das Verhältnis des Ausschusses zum Verteidigungsministerium mit dem Führungswechsel von Robert Jordan zu J. Fred Buzhardt als General Counsel, DOD.96 Zwar erstellte der Geheimdienst beispielsweise Listen darüber, welche Bestände über Gruppen aus dem Umfeld der University of Minnesota bestanden.97 Doch blieb der Inhalt der Dokumente unter Verschluss. Laut einer Anweisung von Buzhardt sollten Personen nach Möglichkeit keine Einsicht in Ermittlungsakten erhalten, sondern lediglich über die Existenz von Akten über die Datenbank DCII erfahren. Denn die Existenz von Akten bedeute noch keinen Grundrechtseingriff, wobei das Memorandum auf die Urteile zu ACLU v. Westmoreland sowie Tatum v. Laird verwies. Auch FOIA-Anfragen könnten unter anderem abgewiesen werden, wenn die Herausgabe eine »invasion of personal privacy« von Dritten bedeute.98 Hier verhinderte das Argument eines 91 DA, USAINTC, ICDO-PO, John W. Downie to USAFAC [?] HQS, 902D MI GP HQS et al., Memorandum, (sanitized copy, declassified NND 881514), October 28, 1971, Reel 1, Frame 784–791, ASOD, S. 6. 92 DAMI-DOI-S, Phillip B. Davidson to CG USAINTC, (declassified NND 881514), January 4, 1972, Reel 1, Frame 891–892, ASOD, S. 2. 93 Jensen, Army surveillance in America, S. 250. 94 Ebd., S. 267. 95 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 384. 96 Baskir 1973, Reflections on the Senate Investigation of Army Surveillance, S. 630. 97 John W. Downie, ACSI-STF, to CG USAINTC, (declassified NND 881514), March 4, 1971, Reel 4, Frame 120–125. ASOD, S. 1. 98 J. Fred Buzhardt, Memorandum for General Counsel, Department of the Army, Subject: Disclosure of the Existence and Content of Investigative Files, (declassified NND 881514), March 15, 1971, Reel 4, Frame 214–216, ASOD, S. 1 ff., Zitat S. 2.
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Schutzes der Privatsphäre die Herausgabe von Dokumenten, die ihrerseits Hinweise auf Verletzungen der Privatsphäre hätten geben können. Kongress und Kläger im Fall Tatum wehrten sich gegen die Politik der Intransparenz der Behörden. Allerdings erschien Technologie wie eine blackbox, die schwer zu öffnen war. Während die Kläger im Unklaren über das Ausmaß der Überwachung blieben und der Senat Aufklärung forderte, verfolgte die Armeeführung eine restriktive Informationspolitik. Darüber hinaus wurde damit begonnen, Dokumente, Handbücher und Datenbanken zu zerstören. Allerdings wurden Daten teilweise zuerst kopiert oder auf Mikrofilm überspielt und erst dann zerstört, Akten einfach umbenannt oder an andere Orte verbracht.99 Diese Schritte erschwerten es, dass sich betroffene Personen oder Kontrollgremien ein Bild von dem Programm machen und es beurteilen konnten. Insgesamt versuchte die Armee in Hinblick auf Senatsanhörungen und mediale Berichte, die Öffentlichkeit auszuschließen und zu verhindern, dass Dokumente publik würden. So wies Adjutant General Theodore Libershal im Februar 1971 an, Informationen als vertraulich zu klassifizieren, die in Zusammenhang mit speziellen Operationen der Spionageabwehr stand. Ferner sollten aktuelle Geheimdienstreporte als nur für den Behördengebrauch markiert werden, um die Öffentlichkeit auszuschließen: »Collection of information concerning current intelligence will be accomplished in such a manner as to preclude publicity«.100 Darüber, wie die Datenbanken und Aktenbestände tatsächlich verwendet wurden, herrschte außerhalb des Militärs Unwissen. In Senatsanhörungen stellte sich das Verteidigungsministerium hinter diesen Schleier des Unwissens und argumentierte, dass Hinweise auf die Überwachung verloren gegangen seien. Doch die Kooperation und Herausgabe von Dokumenten war halbherzig. So sagte Froehlke aus, dass Geheimdienst und Gegenspionage im Jahr 1963 den Auftrag erhalten hätten, Material zu zivilen Unruhen zusammenzutragen, und dass Akten über Personen und Organisationen erstellt worden seien, von denen angenommen wurde, dass sie Unruhen beeinflussen könnten. Da dieses Material im Frühjahr 1970 zerstört worden sei, könne die Überwachung nicht rekonstruiert werden: »Therefore, it is impossible to examine such files to determine to what particular individuals and organizations they related or the specific contents of those files«.101 Anscheinend beeilte sich die Armee, Dokumente beiseite zu schaffen. In einer Aktennotiz vom 1. März 1971 hieß es, dass eine Kopie des ersten Bandes von Listen über Personen, die in zivilen Unruhen aktiv waren, sowie der Index an die Verbindungsperson zum 99 Donner 1980, The age of surveillance, S. 317. 100 USAINTC, ICDO-PO, Theodore H. Libershal, Safeguarding of Counterintelligence Reports and Activities, (declassified NND 881514), February 2, 1971, Reel 6, Frame 628–629, ASOD, S. 1 f., Zitat S. 1. 101 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 389.
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ACSI weitergeben werden solle. Ferner seien die sechs Bände aus dem Mai 1968 zu zerstören, ebenso wie der Index und »Instructions for Preparation of ADP Code Sheets for Biographical Data Book« vom 13. März 1968, sowie eine undatierte Kopie von »Instructions for Preparation of ADP Code Sheets for Incident Data Book«. Die Dokumente stammten vom USAINTC.102 Die Zerstörung der Dokumente erfolgte kurz vor den Senatsanhörungen. Mit diesem Vorgehen wollte die Armee anscheinend eine Aufarbeitung erschweren. Dabei handelte es sich um Codebücher für die biographische Datenbank sowie die Ereignisdatenbank im USAINTC. Später beklagten die Autoren einer Senatsstudie, dass wichtige Unterlagen fehlten. So konnte im April 1971 ein Computerspezialist der Armee den Mitarbeitern des Verfassungsausschusses nicht erklären, wie die Datenbank in Fort Holabird codiert war, da laut DOD die Anleitungen, »computer instruction books«, fehlten. In einer weiteren Lieferung im Januar 1972 erhielt der Ausschuss nachträglich vom Justizministerium diese Anleitungen für die Datenbanken in Fort Holabird. Der Senat vermisste aber weiterhin etwa »Computer code books for the Fort Monroe, Fort Hood, DCDPO, and Strike Command data banks«.103 Wie Buzhardt in einem Brief an Senator Ervin schrieb, habe sich die Armee um Aufklärung bemüht: »the Department of the Army contacted the originators of the computer system and obtained their recollections as to the meaning of the computer code symbols«.104 Von den sechs Bänden zu »Individuals Active in Civil Disturbance« fehlte ausgerechnet Band 1, der laut Aktennotiz weitergegeben werden sollte. Außerdem vermisste der Ausschuss »Fort Holabird’s incident data files«.105 Einige Informationen seien an das Hauptquartier weitergeleitet und in die Akten des USAIRR integriert worden, wie Froehlke bemerkte.106 In den Senatsanhörungen fragte Ervin nach, ob die Armee die Akten über Zivilisten zerstört habe: »Now, as I understand, the Army says that these records of civilians that they collected have been destroyed?«, woraufhin Froehlke bemerkte, dass die Datenbanken zerstört wurden: »The computer data banks dealing with civil disturbances have been destroyed«.107 Die Akten waren also nicht zerstört worden, lediglich die Datenbanken. Möglicherweise funktionierten einige Datenbanken wie ein elektronischer Karteikasten, enthielten nur grundlegende Daten und Kennungen detaillierter Berichte. Obwohl Computerdaten gelöscht wurden, blieb das Geheimdienstmaterial selbst deshalb teilweise intakt. Solche Berichte befanden 102 ICAG, Charles King for the Record, with enclosure, (declassified NND881514), March 1, 1971, Reel 3, Frame 582–583, ASOD, S. 1. 103 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 2 f. 104 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 1232. 105 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 3 f. 106 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 390. 107 Ebd., S. 427.
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sich weiterhin im USAIRR, auch der ACSI hatte Dokumente angefordert, die später archiviert wurden. Dieser Umgang mit Informationen stand nun zur Debatte. In einem Brief vom 1. Juni 1971 führte Major General Verne L. Bowers an, wie entsprechend einer Direktive mit Personen und Gruppen umzugehen sei, die nicht mit dem Verteidigungsministerium verbunden waren. Diese Direktive betraf auch die Arbeit der CIAB.108 Demnach dürften keine Informationen über Zivilisten gesammelt werden, außer es betreffe die Mission der Armee, etwa im Falle von Subversion, Diebstahl von Munition oder Demonstrationen auf Armeegelände.109 Weiterhin wollte die Armee auf Informationen zurückgreifen, um Einsätze bei zivilen Unruhen zu planen und abzuschätzen. So könne der Secretary oder der Under Secretary of the Army die Weitergabe von Reporten mit dem Zweck: »planning to anticipate a civil disturbance«, genehmigen, und Reporte könnten bis zu sechzig Tage zu »planning purposes« ausgewertet werden.110 Ferner bedurfte der Einsatz von elektronischer Überwachung sowie von computergestützten Datenbanken fortan einer besonderen Genehmigung. Bis Ende Oktober 1971 spezifizierte das DA das Schreiben aus dem Juni 1971. So durften Untereinheiten des USAINTC Karteikarten über Personen führen, die Ermittlungsbehörden, insbesondere das FBI, als »Armed and Dangerous« einstuften. Hingegen sollten aus vertraulichen Reporten der CI lediglich Daten zu den jeweiligen Informanten aufbewahrt werden, insofern die Reporte nichts über Gefahren für die Armee enthielten.111 Die Tätigkeit der Geheimdienste wurde eingeschränkt, die Informationsverarbeitung reguliert und unter das Kommando höherer Stellen gebracht. Die Anweisungen wurden überarbeitet und im Juni 1971 in USAINTC Reg 381-100 zusammengefasst, die dem Unterausschuss für Verfassungsrechte vorlag, aber aus Gründen der nationalen Sicherheit klassifiziert war.112 Laut der Regulierung sollten Armeeeinheiten erst einer Geheimdiensttätigkeit über zivile Unruhen nachgehen, sobald der Secretary oder der Under Secretary of the Army bestimmt habe, dass eine Situation außer Kontrolle zu geraten drohe.113 108 Donner, The age of surveillance, S. 318. 109 AGDA-A, Verne L. Bowers to Office, Secretary of the Army et al., Acquisition of Information Concerning Persons and Organizations not Affiliated with the Department of Defense, (declassified NND 881514), June 1, 1971, Reel 1, Frame 154–171, ASOD, S. 6 f., 15. 110 Verne L. Bowers, Acquisition of information concerning persons and organizations not affiliated with the Department of Defense, June 1, 1971, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 5. 111 AGDA-A, DA clarifications through 29 Oct 1971, (declassified NND 881514), June 1, 1971, Reel 1, Frame 197–220, ASOD, S. 9, 15 f., Zitat S. 9. 112 U. S. Senate 1971, Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 1, S. 467, 438. 113 CI, USAINTC Reg 381-100, Military Intelligence Counterintelligence Procedures, Section IV, (declassified NND 881514), June 1, 1971, Reel 16, Frame 351–369, ASOD, S. I-6.11.
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Dabei enthielten die Direktiven zahlreiche Ausnahmen, die für Gerüchte oder erwartete Spannungen gelten sollten. Im Allgemeinen sollte die Armeeführung Informationen zur Planung für Einsätze bei zivilen Unruhen vom Justizministerium beziehen. Erst, wenn der Secretary of the Army eine bedrohliche Situation ausmachte, die einen Einsatz von Truppen erfordere, könnten Einheiten der Armee Informationen sammeln, verarbeiten oder über sie berichteten. Wenn Truppen angefordert würden, unterstütze das USAINTC das »local planning«.114 Informationen des Justizministeriums dienten dazu, frühe Warnungen auszusprechen, um das »contigency planning« für Operationen bei zivilen Unruhen zu unterstützen.115 Pläne für zivile Unruhen sollten keine Personen und Organisationen ohne Bezug zum DOD auflisten.116 Bestehen blieb die Praxis des Armeegeheimdienstes, Städte und Gebiete nach Gefahrenlage einzustufen, für die ein »Information Planning Package« erstellt wurde.117 Damit wurde die geheimdienstliche Tätigkeit bei der Planung auf Kernaufgaben zurückgestutzt. Die Idee von einer Art Seismographen für zivile Unruhen war gescheitert. Im Zuge des Rechtsstreits um Überwachung sicherte die Armeeführung Beweisstücke. So stellte der ACSI im Juni 1971 eine Anfrage, um sämtliche Dossiers, Akten oder Portfolios über mehrere Individuen und Organisationen abzurufen. Diese sollten, wie Colonel Mitchell, Vorsitzender der Kontrollgruppe, forderte, ACSI zugesandt werden und ausdrücklich nicht entsprechend den gegenwärtigen Richtlinien zerstört werden.118 Bei den besagten Gruppen handelte es sich um sämtliche Kläger in dem Rechtsstreit Tatum v. Laird, unter anderem um Arlo Tatum, Conrad Lynn sowie das Central Committee for Conscientious Objectors (CCCO) und WSP. Aus der Antwort des USAIRR vom 8. Juni ging unter anderem hervor, dass über Tatum keine Dokumente, wohl aber über Lynn ein Band der Armee vorhanden war, der weitergeleitet werde. Ferner sei das CCCO lediglich als Unterthema in einer Armeeakte angeführt, zu WSP existierte ein elfteiliger Band, auf acht Bände belief sich die Akte des VMC; eine Armeeakte existierte zu VPV.119 Die schiere Anzahl von Aktenbeständen legte nahe, dass ein Grund zur Klage bestand, doch der Inhalt blieb unter Verschluss. Denn das Gericht hatte keines dieser Dokumente angefordert, sondern die Klage 114 USAINTC Regulation 381-100, C1, (declassified NND 881514), June 1, 1971, Reel 2, Frame 46–63, ASOD, S. 1–6.10 f., Zitat S. 1–6.11. 115 HQ, CONARC Civil Disturbance Plan (Garden Plot) (U), Annex B (Intelligence), (declassified NND 881514), February 1, 1972, Reel 16, Frame 27–28, ASOD, S. 1 f., Zitat S. 1. 116 USAINTC, OPLAN 100-70 (U), Annex B (Intelligence), (declassified NND 881514), [December 20, 1971], Reel 2, Frame 297–301, ASOD, S. 2. 117 USAINTC OPLAN 100-70, Annex H (Planning), (declassified NND 881514), [December 20, 1971], Reel 2, Frame 367–368, ASOD, S. 1. 118 ACSI to CG, USAINTC, Request for DCII Check (U), (declassified NND 881514), June 3, 1971, Reel 1, Frame 222, ASOD, S. 1. 119 USAIRR, ICIRR-A, ACSI-STF, Request for DCII Check (U), (declassified NND 881514), June 8, 1971, Reel 1, Frame 223–224, ASOD, S. 1 f.
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auf einer technischen Eben abgewiesen; und die Geheimdienstführung reichte Dokumente nicht weiter. Als Konsequenz waren die Praktiken der Armee der Rechtsprechung entzogen.
2.3 Im Dunstkreis der Geheimdienste: »I don’t want to see a police state« Sicherheit stand hoch im Kurs, aber die Situation erschien alarmierend. Zwar war Präsident Nixon mit dem Versprechen nach Ruhe und Ordnung angetreten, doch galt sein Augenmerk weniger der Bekämpfung von Kriminalität als der inneren und nationalen Sicherheit, die er durch kommunistische Kräfte und die Friedensbewegung gefährdet sah. Nixon erachtete die Gegner des Vietnamkriegs als illoyal und suchte nach Beweisen, dass die Bewegung von außen infiltriert würde: »Where this anti-Communism differed from earlier presidents was in his more expansive conception of disloyalty«.120 Deshalb verfolgte die Regierung die Linie, die Tätigkeit der Geheimdienste auszuweiten. Zur Geheimdienstarbeit verfasste Tom Huston, Mitarbeiter im Weißen Haus, ein rund 40-seitiges Manuskript, das Methoden wie das Öffnen von Briefen oder das beschlusslose Abhören von Telefonaten vorsah.121 Während sich »student activism« für Bürgerrechte und ein »protest movement« gegen den Krieg engagierten, trete nunmehr ein »revolutionary terrorism« auf den Plan, der ideologische und andere Unterstützung aus dem Ausland suche, hieß es in einem Gesprächspapier. Diese Revolutionäre seien lose organisiert, hoch mobil und verfügten über weitreichende Kommunikationskanäle.122 Ausgehend von solchen Analysen setzte sich der Ausbau von Überwachung, der in den Johnson-Jahren begonnen hatte, in den Nixon-Jahren fort. Verantwortliche der Geheimdienste erkannten in der Initiative eine Chance, eine Grundlage für illegale Praktiken, die diese über Jahre verfolgt hatten, zu erhalten, ohne im Einzelfall eine Autorisierung zu erfragen. Mittlerweile rumorte es im Geheimdienstapparat mächtig. Nachdem der Kongress IRS-Praktiken unter die Lupe genommen hatte, stieg die Nervosität, dass Methoden der Überwachung aufgedeckt werden könnten. FBI-Direktor Hoover fuhr den Einsatz illegaler Techniken zurück und weigerte sich, Anfragen der Auslandsdienste CIA und NSA zu bedienen. In dieser Ausgangslage arbeitete Huston eng mit William Sullivan, zuständig für die Geheimdienstsparte des FBI, zusammen, der Kompetenzen der Behörde ausweiten wollte.123 Doch der FBI-Chef ließ sich nicht so einfach ausbooten. 120 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 14. 121 Perlstein, Nixonland, S. 517 ff. 122 [Tom Huston], Presidential Talking Paper, [June 4, 1970], Folder ›ND6, Intelligence [1969–70]‹, Box 41, WHSF, SFCF, RNL, S. 1 f., Zitat S. 1. 123 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 15 ff.
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Die Regierung wollte Hoover einbinden, und Nixon selbst bot ihm den Vorsitz eines Geheimdienstkomitees an, wozu Hoover einwilligte. Sullivan, von dem die Idee eines Komitees eigentlich ausging, sollte den Personalstab führen.124 Im Juni 1970 fand im Weißen Haus ein Treffen des Präsidenten mit den Geheimdiensten statt, die mehr Informationen im Landesinnern sammeln sollten. Außer Hoover waren unter anderem auch die Chefs von CIA, Defense Intelligence Agency (DIA) und NSA geladen. Huston riet dem Präsidenten, die Auslandsdienste einzubeziehen, da aufgrund gestiegener Mobilität zunehmend im Ausland Aktivitäten stattfänden, die die Sicherheit im Inland beträfen. Die Empfehlung lautete, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu schaffen.125 Zu dem Zeitpunkt, als Huston anregte, die Überwachung durch die Geheimdienste zu erweitern, hatte er von bestehenden Programmen von FBI, CIA und NSA, die ohne präsidentielle Genehmigung zustande gekommen waren und auch unter der neuen Regierung weiterliefen, keine Kenntnis.126 Das Interagency Committee on Intelligence wurde damit begründet, dass Kommunisten eine Bedrohung für die Sicherheit darstellten und der Sowjetunion nahstanden. Außerdem galten Marxisten als verdächtig.127 Eine solche Kooperation zwischen Inlands- und Auslandsdiensten widersprach der Aufgabentrennung und dem Mandat einzelner Dienste. Hoover kritisierte den Plan wegen möglicher Eingriffe in Freiheitsrechte und bestand auf der Unterschrift des Präsidenten für weitreichende und möglicherweise illegale Aktivitäten. Eine Autorisierung von höchster Stelle hätte jedoch »Nixon’s strategy of deniability«128 konterkariert. Der Huston-Plan wurde nie implementiert, und es wurden nur einzelne Aspekte umgesetzt. In der Folge baute die Regierung etwa eine eigene special investigative unit auf, die später als »Plumbers« bekannt wurde.129 Hoover sicherte seine Machtstellung innerhalb der Verwaltung und gegenüber der Regierung. Dass sein Hauptanliegen nicht Freiheitsrechte betraf, verdeutlichten geheime Aktionen gegen Dissidenten. Nach außen hin präsentierte sich Nixon als Präsident, der für das Recht auf Privatsphäre einstand, wie er es schon als Anwalt im Medienprozess Time Inc. v. Hill vertreten hatte, und erklärte in einem Interview aus dem April 1971 auf eine Frage zu Überwachung: »I don’t want to see a police state. I argued the right of privacy case in the Supreme Court, and I feel strongly about the right of privacy«.130 Allerdings wolle die Regierung für Recht und Gesetz eintreten. In 124 Ebd., S. 21. 125 Tom C. Huston, Memorandum for the President, attachment, (declassified, MR NLN 93-2714), June 4, 1970, Folder ›ND6, Intelligence [1969–70]‹, Box 41, WHSF, SFCF, RNL, S. 1 f. 126 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 35. 127 Donner, The age of surveillance, S. 265. 128 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 33. 129 Kutler, The wars of Watergate, S. 100 f., Zitat S. 101. 130 Richard Nixon, Panel Interview at the Annual Convention of the American Society of Newspaper Editors, No. 144, April 16, 1971, in: ders. (Hg.), Containing the public messages, speeches, and statements of the president, S. 550.
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dessen versetzten Straßenschlachten und Anschläge die Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft. Beispielsweise stand die Black Panther Party, die Hoover als hochgefährlich einstufte, im Visier des FBI. Häufig kam es zu Zusammenstößen von Mitgliedern der BBP mit der Polizei. Nachdem sich die linksgerichtete White Panther Party gegründet hatte, gab es eine Reihe von Bombenanschlägen, so dass das FBI die Organisation überwachte. Am rechten Rand des politischen Spek trums verübten radikale Exilkubaner oder die Minutemen Anschläge.131 Ein Jahr, nachdem publik geworden war, dass die Armee Dissidenten überwachte, kamen geheime Programme des FBI an die Öffentlichkeit. Im März 1971 hatten Aktivisten des Citizen’s Committee to Investigate the FBI mehrere Kisten mit Dokumenten aus einem Büro der Ermittlungsbehörde in Media, PA, gestohlen und an die Presse weitergegeben. Erst in jüngerer Zeit bekannten sich fünf der acht Personen zu dem Einbruch.132 Als Reaktion auf die Enthüllungen empfahl Sullivan, die Programme aus Sicherheitsgründen einzustellen, da sie sensible Methoden und Techniken beinhalteten. FBI-Chef Hoover stimmte der Einschätzung zu und stoppte die Programme im April 1971 offiziell, behielt sich aber vor, in speziellen Ausnahmen auf Methoden der Gegenspionage zurückzugreifen. Ein Dokument enthielt Hinweise auf COINTELPRO. Fernsehjournalist Carl Stern forderte Akten über COINTELPRO vom Justizministerium an und reichte schließlich eine Klage unter dem FOIA ein. Im Jahr 1973 inspizierte ein Bundesbezirksgericht einzelne Dokumente und forderte deren Herausgabe. Stern erhielt im März 1974 weitere Dokumente, die über COINTELPROs Auskunft gaben. Untersuchungen im Kongress brachten schließlich das Ausmaß der Programme und weitere Details zutage.133 In den Geheimprogrammen hatte das FBI massiv die Rechte von Personen verletzt und in die Privatsphäre von Individuen und Gruppen eingegriffen, die größtenteils nicht als gewalttätig, sondern als subversiv galten. Obgleich die Programme in den fünfziger Jahren ihren Anfang genommen und in den sechziger Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatten, verstärkten sie das öffentliche Bewusstsein einer Krise von privacy in der Nixon-Ära. Die Debatte, ob Datenbanktechnologie eine Gefahr für Privatsphäre darstelle, setzte sich in den siebziger Jahren fort. Die Nixon-Regierung folgte dem Kurs der Vorgängerregierung zum Ausbau von Computertechnologie, die in Ministerien und Behörden vermehrt zum Einsatz kam. Beispielsweise in der Strafverfolgung setzten Behörden verstärkt auf Computer. Ein unveröffentlichter Bericht aus dem Mai 1971 der Law Enforcement Assistance Administration (LEAA), die der Gesetzgeber mit dem Kriminalitätsgesetz OCCSSA ins Leben gerufen hatte, befasste sich mit Sicherheit und Privatsphäre in computerbetriebenen Informa 131 Perlstein, Nixonland, S. 340 f. 132 Mazetti 7.1.2014, The New York Times, S. A1. 133 Theoharis 1978, Spying on Americans, S. 150 ff.
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tionssystemen der Strafjustiz. Laut dem Bericht brachte Computertechnologie einerseits einige Neuerungen, wonach Polizeistellen einfacher Informationen sammeln und zentral speichern könnten als bislang. Andererseits könnten möglicherweise unberechtigte Personen auf landesweite Daten zugreifen, so dass der Bericht sowohl verwaltungstechnische Lösungen, als auch nationale Gesetze diskutierte, um Daten zu sichern.134 Als Beispiele wurden das NCIC des FBI sowie ein zwischenstaatliches Programm zum Austausch von Vorstrafenregistern genannt: das System for Electronic Analysis of Criminal Histories (Project Search). Beide Programme setzten sich mit »problems of individual privacy and system security« auseinander. Schließlich wurde das Project Search in das NCIC inte griert.135 Im Gegensatz zu den Debatten um Fälle von Überwachung wirkte die Diskussion weniger kontrovers. Es ging um verwaltungstechnische Lösungen, die dafür sorgen sollten, dass im Zuge der automatisierten Datenverarbeitung die Information vertraulich blieb.
134 Law Enforcement Assistance Administration, Security and Privacy Considerations in Computerized Criminal Justice Information Systems, May 10, 1971, ›Oversize Attachment 6591‹, WHCF, RNL, S. iii, iv. 135 Ebd., S. viii.
3. Kontroverse um Abtreibung
Abb. 15: Als einer der ersten Gouverneure liberalisierte Nelson Rockefeller das Abtreibungsrecht in New York. Das Foto vom 19. Dezember 1974 zeigt Rockefeller bei seiner späteren Vereidigung als Vizepräsident im Senatssaal des Kapitols; außerdem im Bild: Richter Warren Burger. Courtesy Gerald R. Ford Presidential Library (GRF-WHPO-A2548-09).
Anfang der siebziger Jahre beschäftigte das Land die Frage, ob Abtreibungen ebenso ein legitimes Mittel der Familienplanung darstellten wie Verhütungsmittel. In dieser Frage standen in Hinblick auf Sicherheit das medizinische Wohl oder die Karrierewege von Frauen im Vordergrund, aber auch biopolitische Argumente, dass mit diesem Mittel das Bevölkerungswachstum eingedämmt werden könne, hatten Fürsprecher. Abtreibungsverbote aus dem 19. Jahrhundert zwangen Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollten, bislang in Bereiche der Illegalität und zu gefährlichen Prozeduren, woraus häufig Komplikationen bis hin zu Todesfällen resultierten.1 In der Politik bewegte das Thema Abtreibung die Wähler. Präsident Nixon nahm nach und nach eine abtreibungskritische Position zu dem Thema ein und überwarf sich mit der Bevölkerungskommission. Doch es gab auch Bestrebungen in die umgekehrte Richtung. Als 1 Dudden, Women’s Rights Advocates and Abortion Laws, S. 102.
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einer der ersten Bundestaaten liberalisierte New York im 1970 Jahr das Abtreibungsrecht. Behörden kooperierten hier mit Non-Profit-Organisationen, um den Zugang zu medizinischen Diensten zu vereinfachen. Etwa bot die Organisation Planned Parenthood einen Informationsdienst an und unterhielt Zentren, die unter anderem den Eingriff eines frühen Abbruchs einer Schwangerschaft durchführen konnten. Neben medizinischen Aspekten hatte das Thema Abtreibung eine gesellschaftliche Relevanz. So erachtete die National Organization for Women (NOW) ein Recht auf Abtreibungen als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter. NOW zählt zu den liberalen Reformgruppen im Gegensatz zum radikalen Feminismus.2 Als radikalen Ansatz betrieb beispielsweise ein feministisches Kollektiv an der University of Chicago einen illegalen Abtreibungsdienst.3 Es entbrannte ein Streit darüber, ob ein Anspruch auf privacy den Zugang zu einer Abtreibung legitimierte, aber auch darüber hinaus, inwieweit sozial schwächer Gestellte unterstützt und informiert werden sollten.
3.1 Bevölkerungskommission der Regierung: »I really am not for abortion… on demand« Das Thema Abtreibung gehörte neben Einwanderung zu den politisch brisanten Punkten, die während der Arbeit der Regierungskommission zur Bevölkerungsfrage auftauchten. So berichtete Donald Rumsfeld, Berater im Weißen Haus, im Januar 1971 über ein Treffen mit John Rockefeller zu diesen Themen: »Rockefeller seems to be handling the questions of immigration and abortion with care and is sensitive to the dangers in those issues«.4 Präsident Nixon wollte das Thema aus der Bevölkerungspolitik heraushalten. Des Weiteren entschied er im April, die gesundheitlichen Einrichtungen der Armee den staatlichen Gesetzen zu unterstellen und damit den Zugang zu Abtreibungen für Armeeangehörige zu erschweren, was er damit begründete, dass Abtreibungen eine »unacceptable form of population control« darstellten.5 Demgegenüber kritisierte die Organisation Planned Parenthood, dass Nixon die eigens einberufene Kommission an die kurze Leine nehme.6 Hier verlief die Konfliktlinie zwischen einer konserva 2 Wandersee, On the move, S. xiii. 3 Ebd., S. 82 f. 4 Donald Rumsfeld, Memorandum for John Ehrlichman, January 16, 1971, Folder ›Ex FG 275 1/1/71 (1/2)‹, Box 2, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 5 Richard Nixon, Statement About Policy on Abortions at Military Base Hospitals in the United States, Nr. 127, April 4, 1971, in: ders. (Hg.), Containing the public messages, speeches, and statements of the president, S. 1; Garrow, Liberty and sexuality, S. 483; Editor 3.4.1971, The New York Times, S. 30. 6 Editor 7.4.1971, The New York Times, S. 54.
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tiven Haltung, die geringe staatliche Interventionen wohl aber Verbote propagierte, und einer liberalen Haltung, die eine aktive Förderung bei gleichzeitiger Lockerung von Verboten unterstützte. Präsident Nixon positionierte sich zunehmend als Abtreibungsgegner. Die Strategie der Republikaner bestand darin, mit dieser Position die katholische Wählerschaft der Demokraten zu umwerben, womit Nixon seinen katholischen Kontrahenten Senator Edmund S. Muskie, Demokrat aus Maine, schwächen wollte.7 Muskie hatte zuvor in einem Fernsehinterview seine eigene Vorstellung der »sanctity of human life« dargelegt und richtete sich dabei nach der Frage: »when does life begin to quicken«.8 Hier klang die Vorstellung an, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt und nicht schon mit Beginn einer Schwangerschaft menschliches Leben beginne. Damit entfernte sich der Senator gefährlich weit vom katholischen Dogma, womit er sich von konservativen Wählerschichten zu distanzieren drohte. Später, im Wahlkampf 1972, präsentierten Medien den Kandidaten der Demokraten Senator George S. McGovern, Demokrat aus South Dakota, als vermeintlichen Befürworter eines Rechts auf Abtreibungen. Hingegen äußerte Nixons Ehefrau Pat gegenüber der Presse: »I really am not for abortion… on demand – wholesale«.9 Solche Aussagen verdeutlichten, auf welch schmalem Grat sich Persönlichkeiten bewegten, wenn sie die Abtreibungsfrage kommentierten. Einerseits wollte die First Lady eine ablehnende Haltung beweisen, schränkte dies aber gleich wieder ein, indem sie bloß von kommerziell frei verfügbaren Eingriffen sprach. Dies implizierte, dass die Frage unter bestimmten medizinischen oder sozialen Umständen anders zu bewerten sei. Tatsächlich glichen sich die Positionen, die Präsident und Herausforderer vertraten, stark. In der Folge weiteten Republikaner die Strategie, katholische Wähler anzusprechen, auch auf konservative Schichten aus, die für traditionelle Werte und Rollenbilder eintraten.10 Abtreibung bildete ein schwieriges Thema, an dem aber Wählerstimmen hingen, und es geriet mit der Zeit zum parteipolitischen Kalkül. Angesichts dieser Politik des Präsidenten versprach der Bericht der Bevölkerungskommission kontroverse Ergebnisse. Die Regierung arbeitete an der Frage, wie sie mit der Kommission umgehen solle. Kurz vor der Abgabe des Berichts wandte sich Rockefeller an Nixon und bat um dessen Unterstützung, da eine kleine, aber gut organisierte Minderheit den Präsidenten unter Druck setzen könne, um den Bericht zu diskreditieren.11 Rockefeller spürte, wie sich der Wind in der republikanischen Partei drehte, und fürchtete um die Früchte seiner Arbeit. Vor der Fertigstellung bemerkte Rockefeller, dass Präsident Nixon 7 Blum, Years of discord, S. 411 ff. 8 Reston 7.4.1971, The New York Times, S. 43. 9 Perlstein, Nixonland, S. 652. 10 Greenhouse / Siegel, Before (and after) Roe v. Wade, S. 2054 f. 11 John D. Rockefeller 3rd to The President, March 17, 1972, Folder ›Ex FG 275 1/1/71 (2/2)‹, Box 2, WHCF, FG 275, RNL, S. 1.
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sich zurückhielt, die Ergebnisse zu kommentieren, und erbat eine positive Würdigung.12 Es kriselte zwischen Kommission und Präsidialamt. Nixon distanzierte sich schließlich in einigen Punkten von dem abschließenden Bericht und sprach sich etwa gegen uneingeschränkte Abtreibungen zur Bevölkerungskontrolle aus. Außerdem wandte sich Nixon gegen unbeschränkte Dienste zur Familienplanung für Minderjährige.13 Mit dieser Kritik blieb Nixon seiner Linie treu und setzte den sozio-ökonomischen Erwägungen, die im Bericht der Kommission überwogen, konservative Werte entgegen. Eine hauseigene task force befasste sich in der Folge mit den Empfehlungen des Berichts.14 Die Regierung führte den eher abtreibungskritischen Kurs fort. So hatte Nixon in einem Brief an den New Yorker Kardinal Terence Cooke aus dem Mai 1972 unbeschränkte Abtreibungen als unvereinbar mit der religiösen Tradition und dem westlichen Erbe des Landes bezeichnet.15 Das Weiße Haus schrieb die Autorenschaft später einem Redenschreiber zu, nachdem Kritik laut geworden war.16 Die Verstimmungen zwischen Kommission und Regierung über Geburtenkontrolle zeugten von einem Prozess, in dem sich die republikanische Partei von liberalen Politikern entfremdete. Dazu gehörte der Republikaner Nelson Rockefeller, der als Gouverneur von New York das Abtreibungsrecht in dem Bundesstaat liberalisierte.
3.2 Abtreibungsdienste in der Familienplanung: »The New York City experience as a laboratory« Im Jahr 1970 liberalisierte der Bundesstaat New York das Abtreibungsrecht, wonach Frauen unter bestimmten Umständen darüber entscheiden konnten, eine Schwangerschaft abzubrechen. Den gleichen Schritten taten außerdem die Bundesstaaten Alaska, Hawaii und Washington. Andere Bundesstaaten hatten teilweise die Richtlinien des American Law Institute umgesetzt, die empfahlen, Abtreibungen zu medizinischen Zwecken zu gewähren, wenn Leib und Leben einer Frau durch die Schwangerschaft gefährdet erschien.17 Aus medizinischer Sicht war die Liberalisierung ein Erfolg, da die Zahl der Todesfälle, die in Verbindung mit Schwangerschaften eintraten, stark sank. Die Methoden, die am 12 John D. Rockefeller 3rd to The President, April 7, 1972, Folder ›Ex FG 275 1/1/71 (2/2)‹, Box 2, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 13 Ray Waldmann, via Ken Cole, Memorandum for the President, May 3, 1972, Folder ›Ex FG 275 1/1/71 (2/2)‹, Box 2, WHCF, FG 275, RNL, S. 2. 14 Leonard Laster, Memorandum for Edward E. David, Jr., December 29, 1972, Folder ›Ex FG 275 OSA: 14264‹, Box 3, WHCF, FG 275, RNL, S. 1. 15 Richard Nixon, Letter from President Nixon to Cardinal Cooke, May 16, 1972, in: Greenhouse, Linda u. a. (Hg.), Before Roe v. Wade, S. 1 f. 16 Garrow, Liberty and sexuality, S. 546. 17 Stone, Sex and the constitution, S. 371, 379.
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häufigsten verwendete wurden, stellten das Absaugen gefolgt vom Ausschaben der Gebärmutter dar.18 Nicht-profitorientierte Organisationen spielten eine wichtige Rolle, um medizinische Dienste und Beratung bereitzustellen. Diese Organisationen erhielten eine starke Stellung, als die Nixon-Regierung sie in ihre Politik der Familienplanung einband, da etwa der Family Planning Services and Population Research Act von 1970 die Stellung von Organisationen wie Planned Parenthood erweiterte.19 So arbeitete Planned Parenthood eng mit der staatlichen Gesundheitsbehörde zusammen. Die öffentlichen Stellen bat Planned Parenthood, bei der Suche und Ausbildung von Sozialarbeitern und Personal behilflich zu sein, und die Organisation verstärkte ihre Arbeit mit Unterstützung der Ford Foundation ab 1968.20 Darüber hinaus kooperierte Planned Parenthood mit kirchlichen Stellen, um Frauen in Konfliktfällen zu einer Abtreibungsklinik in New York zu überweisen.21 Nunmehr engagierte sich Planned Parenthood auf lokaler Ebene dafür, dass das Gesetz in New York umgesetzt und es Frauen ermöglicht würde, sich für eine Abtreibung zu entscheiden. Familienplanung reichte über die Privatsphäre hinaus, und als ebenso bedeutsam wie die individualrechtliche Begründung erwies sich die sozialrechtliche Fundierung, Entscheidungen über Schwangerschaft und Geburt zu ermöglichen. Die Situation in New York war für die Bundesorganisation von Planned Parenthood von Interesse, die landesweit ihre Informationsdienste ausbauen wollte.22 Das medical department von Planned Parenthood World Population (PPWP) reagierte mit dem Vorschlag, die Programme der Zweigorganisationen auszubauen und neben Informationen über Abtreibungen auch Beratungen und Überweisungen an Kliniken anzubieten. Im Mai 1970 schlug George Langmyhr, medizinische Abteilung, vor, dass die Organisation eine Führungsrolle bei der Implementierung des Abtreibungsgesetzes übernehmen solle: The implementation of the New York State Abortion Law offers all of us an opportunity, virtually unparalleled in our history, to make sure that adequate services are provided to all women who request and require abortion in New York State.23
Tatsächlich markierte das liberale Gesetz einen historischen Wendepunkt seit den Restriktionen aus dem 19. Jahrhundert. Die Organisation erkannte die Chance, die der Bundesstaat bot, der als Vorbild für andere Bundesstaaten fungieren könne, einen Zugang zu Abtreibungen zu ermöglichen. Dazu sollten 18 Harris u. a. 1973, Legal abortion, S. 418. 19 Critchlow, Intended consequences, S. 94 f. 20 Ebd., S. 102 f. 21 Reagan, When abortion was a crime, S. 241 f. 22 Vgl. auch Langmyhr 1971, The Role of Planned Parenthood-World Population in Abortion, S. 1195 f. 23 George Langmyhr to Eleanor Snyder, July 20, 1970, Folder 24, ›PPWP 1970, Medical Department, Abortion Proposal‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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Mitgliedsorganisationen einen »community plan« über bestehende Dienste entwerfen, eine Liste von Diensten erstellen, telefonische Beratungsstellen einrichten sowie mit Ärzten kooperieren. Darüber hinaus sollten Dienste für Geburtenkontrolle, aber auch zur weiblichen wie männlichen Sterilisation, evaluiert werden, was Langmyhr unter dem Konzept einer totalen Familienplanung fasste: »Now is the time to accept the concept of total family planning«.24 Aus Sicht der Organisation griffen unterschiedliche Angebote von medizinischen bis sozialen Aspekten ineinander, denn das liberale Abtreibungsrecht allein schaffte noch keinen Zugang zu Diensten für die breite Bevölkerung. Hier engagierte sich Planned Parenthood, um das Gesetz zu implementieren und Dienste aufzubauen. In der nationalen Organisation von Planned Parenthood bestand bis 1970 keine zentrale Abteilung für das Thema Abtreibung. Schließlich baute das field department ein abortion program auf. Zu den Zielen gehörte es, gesetzliche Reformen anzuregen, einen Dienst für Abtreibungsfragen sowie eine Stelle für die Patientenüberweisung, Schwangerschaftsberatung sowie Forschung zur Evaluierung einzurichten. Das Budget belief sich auf rund 285.000 Dollar, wie Francine Stein, Assistant Director, in einem abschließenden Bericht für September 1970 bis Juni 1971 aufführte.25 In der Folge erweiterte Planned Parenthood seine Beratungsdienste für schwangere Frauen. Einrichtungen in New York galten als Vorreiter, und es entstanden Programme und Modelle, die landesweit adaptiert werden sollten, wenn sich die Gesetzgebung und Rechtsprechung in einzelnen Staaten ändere: »using the New York City experience as a laboratory«, wie es in einem Fortschrittsbericht hieß.26 So unterhielt Planned Parenthood New York City (PPNYC) in Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen seit 1961 ein Family Planning Information Service (FPIS), der telefonisch Ratschläge erteilte und Patientinnen und Patienten an ärztliche Stellen vermittelte. Den Service erweiterte FPIS nun um Beratungen zu Abtreibungen. Einen Teil der Kosten, die sich 1970 auf rund 125.000 Dollar beliefen, deckten Spenden ab, für den Rest kam PPNYC auf. Seit Juli 1970 bezogen sich etwa achtizig Prozent aller Anrufe bei FPIS auf Abtreibungen.27 Als das neue Gesetz in Kraft trat, richtete auch die Organisation PPWP einen Service ein, der im Mai 1971 mit dem New 24 George Langmyhr to John Robins, Memorandum, June 16, 1970, Folder 24, ›PPWP 1970, Medical Department, Abortion Proposal‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 2. 25 Francine S. Stein to Jerim Klapper, Final Report – June 1971, June 15, 1971, Folder 90, ›National Pregnancy Counseling and Abortion Services Program‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 2. 26 Alfred F. Moran, Family Planning Resources Center, Progress Report – 1971, June 29, 1972, Folder 65, ›PPNYC, Family Planning Resources Center from 1969‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 27 PPNYC, The Family Planning Information Service, May 27, 1971, Folder 62, ›New York City Family Planning Information Service, from 1971‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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Yorker Dienst zusammengelegt wurde. In den vorausgegangenen zehn Monaten hatte PPWP 4.500 Frauen an medizinische Einrichtungen in New York überwiesen.28 Auf diese Weise kooperierte der Dienst von Planned Parenthood mit Behörden, um eine offizielle Beratungsstelle anzubieten, die auch über Abtreibungen informierte. Über Informationskampagnen und Überweisungen hinaus erweiterte die Organisation bald ihr Engagement, den medizinischen Eingriff auch selbst anzubieten. Neben einem telefonischen Beratungsangebot unterhielt PPNYC eigene Kliniken und Zentren. Im Dezember 1971 eröffnete PPNYC die 22nd Street Clinic, die neben Beratung zu Verhütung auch Abtreibungen durchführte. Das Zentrum in bot Dienstleistungen zu Verhütung, Schwangerschaftstests, frühe Abtreibungen, Vasektomie, das heißt Sterilisation des Mannes, Behandlung von Geschlechtskrankheiten oder Unfruchtbarkeit sowie soziale Dienste an.29 Abtreibungen fanden in den ersten zwölf Wochen unter örtlicher Betäubung mittels Vakuumaspiration statt. Laut einer Studie behandelte das Personal des Zentrums im Jahre 1972 über 14.000 Patientinnen und Patienten und führte rund 7.300 Abtreibungen durch.30 Im Jahr 1973 wurde das 22nd Street Center erweitert und in Margaret Sanger Center umbenannt.31 Des Weiteren unterhielt PPNYC ein Family Planning Resources Center im Stadtteil Brooklyn, das zur Ausbildung und technischen Unterstützung auf dem Gebiet der Familienplanung diente. Die Personalkosten dazu konnten zu Beginn teilweise mit einer Spende der Ford Foundation gedeckt werden.32 Ein Fortschrittsbericht des Zentrums an die Rockefeller Foundation hob hervor, dass in der Region das Potenzial bestehe, bedürftige Bevölkerungsgruppen wie Familien mit niedrigem Einkommen oder junge sowie schlecht informierte Menschen in der Familienplanung zu unterstützen.33 Hier zeigte sich abermals das Bestreben, Familienplanung als soziales Recht zu fördern und außer Beratung und ärztlicher Überweisung auch
28 Francine Stein, No. 8, Mai 1971, Folder 62, ›New York City Family Planning Information Service, from 1971‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 29 Alfred F. Moran and Francine S. Stein, [March 1972], Folder 64, ›PPNYC 22nd Street Center, from 1972‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 30 Beverly Douglas, 22nd Street Planned Parenthood Clinic, [November 29, 1973], Folder 64, ›PPNYC 22nd Street Center, from 1972‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 31 Ira Neiger, For Release, June 14, 1973, Folder 64, ›PPNYC 22nd Street Center, from 1972‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 32 PPWP, Naomi Gray to Presidents and Executive Directors of Affiliates listed, enclosure, March 11, 1969, Folder 65, ›PPNYC, Family Planning Resources Center from 1969‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 2. 33 Alfred F. Moran, Progress Report, Family Planning Resources Center, [June 29, 1972], Folder 65, ›PPNYC, Family Planning Resources Center from 1969‹, Box 183, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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medizinische Dienste anzubieten. Ein weiterer Weg, um Menschen zu informieren und den Zugang zu Diensten zu eröffnen, bestand in Öffentlichkeitsarbeit. PPNYC schaltete Radio- und Fernsehwerbung und gab Broschüren heraus. So lief beispielsweise ein Spot im Fernsehen, in dem die städtische Gesundheitsverwaltung auf den FPIS hinwies und die Rufnummer angab. Die Botschaft lautete, dass Abtreibungen nunmehr legal seien: »The decision about having an abortion can be made only by the woman and the doctor who performs it«.34 Die Organisation PPNYC vertrat die Position, dass Frauen das Recht hätten, sich für eine Abtreibung zu entscheiden. Landesweit nahm die New Yorker Organisation eine führende Rolle in der Beratung und Überweisung für Abtreibungen ein. Der Bundesstaat New York wurde zu einer Anlaufstelle für Abtreibungen. Von geschätzten 168.000 Abtreibungen im ersten Jahr nach der Liberalisierung entfielen etwa sechzig Prozent auf Patientinnen, die ihren Wohnsitz außerhalb von New York gemeldet hatten.35 Als Abtreibungen 1973 landesweit legalisiert wurden, fiel die Anzahl von 300.000 im Vorjahr um fast ein Drittel.36 Gleichwohl standen öffentliche Aktivitäten im Bereich Schwangerschaftsberatung und Abtreibung in der Kritik. Das 1967 gegründete New York Right to Life Committee erfuhr mit der Liberalisierung des Abtreibungsrechts einen Aufwind, verzeichnete steigende Mitgliederzahlen und eröffnete neue Zweigstellen. Ein Gesetz, dass das Abtreibungsrecht in New York wieder eingeschränkt hätte, war unter Zusammenarbeitet mit der Organisation entstanden und wurde von beiden Kammern verabschiedet. Jedoch lehnte Gouverneur Rockefeller 1972 dieses Gesetz mit einem Veto ab.37 Kontroversen zeichneten sich auch bei der Finanzierung von Abtreibungen über Medicaid ab. Dies betraf die Gesetzgebung in New York und später auch das landesweite Abtreibungsrecht. Am 8. April 1971 beschloss das State Department of Social Services, Abtreibungen, die nicht aus medizinischen Gründen durchgeführt wurden, vom Programm Medicaid auszusparen.38 Alan Guttmacher, Präsident von PPFA, verfasste daraufhin einen Brief an Gouverneur Rockefeller, worin er gegen die Entscheidung protestierte, da sie arme Bevölkerungsgruppen diskriminiere.39 Der Streit um Abtreibung,
34 PPWP, PPNYC, Workbook on Planning and Providing Abortion Services, May 1973, Folder 1, ›Workbook‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. R / T V-1. 35 Harris u. a. 1973, Legal abortion, S. 418. 36 Sanger, About abortion, S. 25. 37 Karrer, The National Right to Life Committee, S. 540. 38 Alfred F. Moran, Medicaid Coverage for Elective Abortion, February 25, 1972, Folder 48, ›PPWP, Field Department, Abortion, Medicaid, from 1971‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 39 Alan F. Guttmacher to Nelson A. Rockefeller, Kopie, AFG;hmw 2686/471 2.3, April 12, 1971, Folder 48, ›PPWP, Field Department, Abortion, Medicaid, from 1971‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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wie er sich bald landesweit entfaltete, zeichnete sich in New York bereits ab: Abtreibungsgegner formierten sich und der Gesetzgeber kappte die Finanzierung. Finanzen waren Dreh- und Angelpunkt der Abtreibungsdebatte. Patientinnen reisten von außerhalb nach New York für eine Behandlung an. Diesbezüglich entschied sich die Organisation PPNYC versuchsweise dafür, unabhängig vom Wohnsitz kostenfreie Abtreibungen anzubieten und eine Erstattung der Kosten über Medicaid anzustreben, wobei die Kostenerstattung für Patientinnen aus Nassau County im Bundesstaat New York unproblematisch, für Patientinnen aus dem Bundesstaat New Jersey allerdings ungeklärt erschien.40 Zuvor hatte New Jersey angekündigt, über Medicaid nur noch die Kosten für therapeutische Abtreibungen zu übernehmen, was aus Sicht von PPNYC im Widerspruch zu Title XIX des Sozialgesetzes stand.41 Die New Yorker Direktive, Abtreibungen aus persönlichen statt medizinischen Gründen von Medicaid auszuschließen, hielt vor einem Berufungsgericht stand, was Alfred Moran, Executive Vice President von PPNYC, kritisierte.42 Laut einer Studie im Auftrag der Stadt New York wurden im Jahr 1973 etwa zwei Fünftel der Abtreibungen von Bewohnerinnen über Medicaid abgerechnet. Die Autoren der Studie errechneten einen Anstieg von staatlichen Kosten von 51 bis 75 Millionen Dollar, falls Abtreibungen nicht mehr über das staatliche Gesundheitsprogramm finanziert werden dürften.43 Strittig blieb, ob sich aus einem Recht auf eine Entscheidung zu einer Abtreibung auch ein sozialer Anspruch auf den Zugang zu medizinischen Diensten ableitete, den öffentliche Institutionen fördern und finanzieren sollten. Das Thema Abtreibung hatte auch eine technologische Dimension. Zum einen stießen Ärzte mit ihrer medizinischen Expertise eine Liberalisierung an und stellten die Gesundheit von schwangeren Frauen in den Vordergrund. Zum anderen gab es technologische Innovationen für den Eingriff einer Abtreibung, und der Abbruch einer Schwangerschaft unter medizinischer Aufsicht vereinfachte sich. Zunächst bildete das Ausschaben die vorherrschende Methode, bis Ende der sechziger Jahre mit Absaugen per Vakuum eine neue Technologie aufkam, die sicherer und günstiger war und zu weniger Blutverlust führte. Darüber hinaus konnte dieser Eingriff statt in Krankenhäusern auch in speziellen Klini 40 Alfred F. Moran to Joyce Washington, Memorandum, January 21, 1972, Folder 48, ›PPWP, Field Department, Abortion, Medicaid, from 1971‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 41 Susan Dickler to John C. Robbins, Memorandum, October 1, 1971, Folder 48, ›PPWP, Field Department, Abortion, Medicaid, from 1971‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 42 Alfred F. Moran, Medicaid Coverage for Elective Abortion, February 25, 1972, Folder 48, ›PPWP, Field Department, Abortion, Medicaid, from 1971‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 43 PPWP, News, for release, [January 14, 1975], Folder 48, ›PPWP, Field Department, Abortion, Medicaid, from 1971‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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ken durchgeführt werden, die vor 1973 allerdings nur in New York zugelassen waren.44 Über Erfahrungen in diesem Bereich berichtete Planned Parenthood in New York im September 1972. Ein Trend bestand darin, frühe Abtreibungen im ersten Trimester von Krankenhäusern in Spezialkliniken auszulagern, wobei Abtreibungsangebote in Zentren für Familienplanung integriert werden könnten.45 PPNYC trat für ein Grundrecht von Frauen ein, darüber zu entscheiden, eine Schwangerschaft mittels einer Abtreibung abzubrechen, unabhängig von Alter, Einkommen, Familienstand oder Wohnort: »basic right to decide whether to terminate her pregnancy«. Die Zentren boten bis zur zwölften Schwangerschaftswoche eine Abtreibung per Vakuumabsaugung an, wobei sich die Kosten auf bis zu 145 Dollar beliefen. Patientinnen durften darüber entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder weiterführen und möglicherweise das Kind später in zwischenzeitige Pflege geben oder zur Adoption freigeben wollten, wobei sie an entsprechende Stellen für Mutterschaft und Adoption überwiesen wurden.46 In New York, einem der ersten Staaten mit einem liberalen Abtreibungsrecht, sorgte der medizinische Fortschritt für ein breiteres Angebot. Zentren von Planned Parenthood betteten das medizinische Angebot in soziale Dienste ein. Das National Medical Committee beschloss, dass Zentren zu einer Reihe von Themen beraten sollten, wie zu Unfruchtbarkeit, Eheberatung, Schwangerschaftsberatung sowie vorehelicher Aufklärung.47 Laut einer Resolution bezog die Organisation den Standpunkt, dass die Beratung zu Empfängnis in ein allgemeines Programm der Gesundheitsfürsorge gehöre.48 Mit der Einrichtung eines Überweisungsdienstes war eine ausführliche Strategie in der Öffentlichkeitsarbeit verbunden. Die Organisation sollte sich für legale Abtreibungen zu therapeutischen Zwecken einsetzen und Informationen auch an Personenkreise herantragen, die schlechten Zugang zu Einrichtungen hätten.49 Außerdem wollte die Organisation Statistiken sowohl über Beratung zu Abtrei-
44 Haugeberg, Nursing and Hospital Abortions in the United States, S. 421 f. 45 PPWP, PPNYC, Workbook on Planning and Providing Abortion Services, May 1973, Folder 1, ›Workbook‹, Box 184, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. NYC-1 f. 46 Ebd., S. A / G-1 f., A / G-7, Zitat S. 1. 47 PPWP, Report of the Program Sub-Committee, National Medical Committee, March 14, 1968, Folder 24, ›PPWP 1970, Medical Department, Abortion Proposal‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1 f. 48 PPWP, Minutes, Special Medical Committee Meeting, February 25, 1968, Folder 24, ›PPWP 1970, Medical Department, Abortion Proposal‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 49 Arthur Young to Claire Brightman et al., Memorandum, June 17, 1970, Folder 24, ›PPWP 1970, Medical Department, Abortion Proposal‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1.
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bungen als auch für »Vasectomy«, also eine Sterilisation bei Männern, anlegen.50 Seit Ende der sechziger Jahre baute die Organisation ihre Tätigkeit aus, Personen in der Familienplanung zu beraten, wobei die Dienste verschiedene Bereiche der Reproduktivmedizin und mit der Liberalisierung auch Abtreibungen umfassten. Im abortion program arbeiteten sieben bezahlte und neun freiwillige Mitarbeiter. Mehrere Stiftungen, darunter die Sunnen Foundation, unterstützten das Programm.51 Laut einem Bericht könne PPWP die Mitgliedsorganisationen beim Aufbau von Beratungs- und Überweisungsstellen unterstützen. Alsbald hatten sich auch kommerzielle Überweisungsstellen für Abtreibung gebildet, und PPWP hatte Mühe, Informationen über die Agenturen zu verwalten, da diese häufig ihren Namen und Telefonnummer wechselten. Es entstand ein legaler Abtreibungsmarkt.52 Das Programm zur Abtreibung baute der nationale Verband von Planned Parenthood Anfang der siebziger Jahre mit wenigen Ressourcen auf, die teilweise aus Spenden stammten. Indes entfaltete der Streit um Abtreibung eine gesellschaftliche Tragweite, als sich auch Organisationen aus der Frauenbewegung dazu positionierten.
3.3 Die National Organization for Women diskutiert Abtreibung: »Need to complete the sexual revolution« Gesellschaftliche Gruppen und Organisationen engagierten sich zum Thema Abtreibung. Befürworter eines Rechts auf Abtreibung betonten die soziale Bedeutung in Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. So hatte das Thema in der Frauenbewegung eine lange Tradition. Frühe Feministinnen bewerteten aufkommende Verbote im 19. Jahrhundert skeptisch. Zwar missbilligten sie Abtreibungen, sahen aber in einer Kriminalisierung den falschen Weg.53 Die Debatte um eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen war zunächst von überwiegend männlichen Ärzten geprägt. Erst Ende der sechziger Jahre äußerten sich Frauenverbände öffentlich zu dieser Frage.54 Innerhalb der Frauenbewegung spielte NOW eine zentrale Rolle. Im Zuge einer »long and bitter debate« nahm NOW die Position ein, dass strafrechtliche Abtreibungsgesetze abzuschaffen seien.55 Zum einen berief sich NOW auf ein 50 George Langmyhr to John Robbins, Memorandum, July 7, 1970, Folder 24, ›PPWP 1970, Medical Department, Abortion Proposal‹, Box 68, PPFA records group II, unprocessed, SSC, S. 1. 51 Francine S. Stein to Jerim Klapper, Final Report – June 1971, June 15, 1971, Folder 90, ›National Pregnancy Counseling and Abortion Services Program‹, Box 56, PPFA records group II, unprocessed, SSC, Sec. 1, 3. 52 Ebd., Sec. 5, 7, 8. 53 Dudden, Women’s Rights Advocates and Abortion Laws, S. 102. 54 Greenhouse / Siegel, Before (and after) Roe v. Wade, S. 2043. 55 Wandersee, On the move, S. 40.
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Grundrecht, zum anderen argumentierten Vertreterinnen mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Während der Gründungsphase, als NOW ein sozialpolitisches Programm zur Gleichstellung zwischen den Geschlechtern und gegen Diskriminierung entwarf, war Abtreibung noch kein Thema. Das Statement of Purpose vom Oktober 1966 enthielt noch keine Aussagen zu Reproduktivrechten, lediglich eine Absage an traditionelle Geschlechterrollen und Familienbilder.56 Schon bald nach der Gründung der Organisation stand das Thema Abtreibung zur Debatte. Vorsitzende Betty Friedan mahnte dabei mehr Führung an. In Hinblick auf die geplante Gesetzesreform in New York regte Friedan an, dass die nationale Organisation einen Beschluss fasse, nach dem sich Mitglieder in einzelnen Staaten dem Thema anschließen könnten.57 Ausgangspunkt für die Abtreibungsdebatte innerhalb von NOW war weniger Privatsphäre als die Gleichstellung der Frau. Dabei ging es um Rollenbilder und Karriereverläufe. Um eine Gleichstellung der Frau zu erreichen, plädierten führende Mitglieder von NOW dafür, dass Frauen darüber entscheiden durften, ob sie eine Schwangerschaft fortsetzten. Mit den Themen Verhütung und Abtreibung befasste sich die Soziologin Alice Rossi im Familienkomitee. Wie Rossi in einem vorerst nicht zur Veröffentlichung bestimmten Zwischenbericht schrieb, herrschte unter den Mitgliedern wenig Einigkeit über »the proposition that equality between the sexes requires that women have full control of their reproductive lives«.58 Eine task force sprach sich schließlich für das Ziel einer ausgewogenen Partizipation von Mann und Frau in Arbeit, Familie und Gemeinschaft aus. Dazu zählte die »complete control of reproductive life«, wozu sexuelle Aufklärung sowie Informationen und Mittel zur Verhütung erforderlich seien. Aber auch eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts, was ein medizinisch sicheres Beenden einer ungewollten Schwangerschaft ermögliche, forderte Rossi in der Programmschrift.59 »There is much need to complete the sexual revolution of our century«, hieß es zu Verhütung und sexueller Aufklärung in der Fassung, die der Vorstand überarbeitet hatte. Allerdings beschränkte sich die Forderung im Punkt »Individual Control of Reproductive Life« auf eine offene Debatte von Frauen wie Männern über das Abtreibungsrecht.60 Frauen, die von dem Thema besonders betroffen seien, sollten sich ebenso stark in die Abtreibungsdebatte einbringen wie Männer, postulierte die Schlussfassung.61 Es waren gesellschaft 56 NOW, Statement of Purpose, October 29, 1966, Folder 2, Box 1, NOW, I, SchL, S. 2. 57 Betty Friedan to Alice Rossi, March 1, 1967, Folder 2, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1 f. 58 Alice Rossi, NOW Temporary Committee on Family, [February 1967], Folder 5, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1. 59 [Alice] Rossi, N. O.W. Task force on the Family, [April 1967], Folder 5, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1. 60 N. O.W. Task Force on the Family (as revised at Board meeting), [September 17, 1967], Folder 5, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1. 61 Ebd., S. 1.
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liche Erwägungen zur Stellung der Frau, die innerhalb von NOW die Debatte zu Abtreibung prägten. Die Frage stand im Kontext von sexueller Revolution und Chancen in der Arbeitswelt. Die Entscheidung über Reproduktion erschien hier als ein soziales Recht. Der Vorstand hatte auf einem Treffen vom 16. bis 17. September 1967 in Madison, Wisconsin, lediglich Positionspapiere zum Thema Abtreibung gebilligt. Rossi erachtete den Punkt zu Reproduktion als »major bone of contention« und sprach von einem minimalen Konsens. Anscheinend bestand eine Opposition unter katholischen Mitgliedern.62 Wie Friedan von der Vorstandssitzung berichtete, war das Statement zu Abtreibung ein Kompromiss, der einen Fortschritt für die nationale Organisation bedeute und verschiedene Positionen auf einzelstaatlicher Ebene zulasse.63 Wie Friedan ausführte, drängten insbesondere jüngere Frauen auf einen Standpunkt in der Abtreibungsfrage. Hierin fürchtete Friedan eine Spaltung der Organisation: »yet we can’t let it [the abortion question] split our organization«.64 In einer Resolution zu Abtreibung, die dem Bericht der task force zu Familie von Rossi entnommen war, beschlossen die Mitglieder schließlich, dass Gesetze aufgehoben werden sollten, die Abtreibung unter Strafe stellten. Allgemein verpflichtete sich NOW dem »basic right of every woman to control her reproductive life« sowie einer Fortschreibung der sexuellen Revolution.65 Die NOW Bill of Rights von 1968, die auf der zweiten nationalen Konferenz vom 18. bis 19. November 1967 beschlossen wurde, forderte schließlich unter anderem den Zugang zu Verhütung und Abtreibung. Diese Position wurde auf der Konferenz in Atlanta vom 6. bis 8. Dezember 1968 bestätigt und die Abschaffung der Abtreibungsgesetze gefordert: »Repeal of abortion laws«. So schrieb es auch das »Legislative Program« von 1969 fest.66 Damit war die Diskussion abgeschlossen und die Position in den Statuten integriert. Nunmehr engagierte sich NOW auf landesweiter Ebene für ein Recht auf Abtreibung. Auf dem Treffen des Vorstands am 26. Juni 1969 in San Francisco berichtete Lucinda Cisler von der abortion task force, dass NOW eine entscheidende Rolle dabei gespielt habe, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen, wovon etwa Demonstrationen in New York zeugten. Dabei sprach sich Organisation für 62 Alice Rossi to Kathryn Clarenbach, October 5, 1967, Folder 5, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1 f. 63 Betty Friedan to Alice Rossi, September 20, 1967, Folder 6, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1. 64 Betty Friedan to Alice Rossi, October 20, 1967, Folder 9, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1 f., Zitat S. 1. 65 Resolution passed re abortion, November 20, 1967, Folder 11, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1. 66 Nan Wood, Chronological Summary of NOW Conference Resolutions, Policies, and Board Decisions, 1966–1971, [1971], Folder 7, Box 1, NOW, I, SchL, S. 2, 4 f., 7 f., 11, Zitat 10, 13.
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eine Abschaffung der Abtreibungsgesetze aus, da Versuche einer Reform zum Scheitern verurteilt seien: »›Reform‹ has even institutionalized the inequities that existed only informally under the old law«.67 Anfang des Jahres 1969 nahm Friedan an einer Konferenz teil, aus der die National Association for Repeal of Abortion Laws hervorging.68 Auf der vierten nationalen Konferenz von NOW vom 20. bis 22. März 1970 in Chicago konkretisierten die Mitglieder in einer Resolution das Thema Reproduktion und anerkannten eine »dual responsibility of both sexes«. Ferner sollten Dienste in der Reproduktivmedizin öffentlich bereitgestellt werden.69 Dieser geforderte Zugang zu Familienplanung implizierte ein soziales Recht. Die Position von NOW speiste sich aus zwei Quellen. Zum einen propagierte Friedan ein individuelles Recht, zum anderen begründete Rossi das Recht mit soziologischen Aspekten einer Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Der Konflikt hatte die Organisation auf eine Bewährungsprobe gestellt, da sich beispielsweise die Women’s Equality Action League abspaltete.70 An die Stelle von traditionellen Rollenmustern traten individuelle Rechte, die aber mit sozialen Rechten in der Gesellschaft begründet wurden. Hingegen begünstigte die Vorstellung einer natürlichen Familienordnung, wie sie etwa die katholische Kirche vertrat, ein eher restriktives Abtreibungsrecht.71 Diese Konfliktlinien zeichneten sich innerhalb der NOW ab. Die Organisation erarbeitete ein Positionspapier zur Abtreibungsfrage, das die Grundlage für eine fachübergreifende Diskussion bieten sollte. Entsprechend dem Beschluss erarbeiteten die Mitglieder einer task force verschiedene Arbeitspapiere zu Abtreibung. Aus soziologischer Sicht untersuchte Rossi sowohl die Rechte als auch die Mittel und Wege für Frauen, um die Reproduktion zu kontrollieren. Dies fasste Rossi als »private right« über die eigene Person und als »social right« eines Zugangs zu Mitteln, um für die eigene Person zu sorgen. NOW trete für das Recht einer Frau ein, ihre Fortpflanzung zu kontrollieren, betreffe die »dignity and privacy of their own person«, wobei die individuellen moralischen und religiösen Beweggründe unterschiedlich sein könnten.72 Andere Autorinnen führten das Abtreibungsverbot auf das 19. Jahrhundert und eine männlich dominierte Gesellschaft zurück73 oder erachteten Fortpflanzung als bestimmenden Unterschied 67 Lucinda Cisler, Report, Abortion Task-Force, June 26, 1969, Folder 4, Box 2, NOW, I, SchL, S. 1 f., Zitat S. 1. 68 Stone, Sex and the constitution, S. 377 f. 69 NOW, Action Resolutions, March 20, 1970, Folder 7, Box 1, NOW, I, SchL, S. 1. 70 Spruill, Divided we stand, S. 20. 71 Boyle u. a., Abortion Liberalization in World Society, S. 884 f. 72 Alice Rossi, Sociological Argument in Support of Effect of Denial of Right to a Woman to Control Her Own Reproductive Life, [1967], Folder 12, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1 f., Zitat 2, 13. 73 Barbara Sykes-Wright, Historical Argument In Support of The Right of a Human Female to Control her Reproductive Process, [1967], Folder 12, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1, 7.
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zwischen den Geschlechtern.74 Auch eine katholische Sichtweise war präsent, wonach viele Theologen hinsichtlich der Geburtenkontrolle die Entscheidung im Zweifel der einzelnen Person überließen. Hingegen könne der Zweifel, wann das menschliche Leben beginne, nicht aufgelöst und eine Abtreibung nicht befürwortet werden.75 Mitglieder mit »Catholic viewpoint« äußerten sich skeptisch über Abtreibung als Bürgerrecht und wären eher einverstanden damit, Abtreibungen aus dem Strafrecht zu nehmen und eine staatliche Einflussnahme zu unterbinden.76 Unter den Autorinnen der einzelnen Studien überwog der Standpunkt, Abtreibungen zu legalisieren, wobei die katholische Sichtweise eine Sonderstellung einnahm. Auch nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Abtreibungen zu legalisieren, hielt das Engagement von NOW an.
74 Ti-Grace Atkinson, Philosophical Argument In Support of The Human Right of a Woman to Determine her Own Reproductive Process, [1967], Folder 12, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1 ff. 75 E. J. Farians, A Statement On Abortion and Birth Control From the Catholic View point, [1967], Folder 12, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 1. 76 Mary Eastwood to Ti-Grace Atkinson, October 16, 1967, Folder 11, Box 32, NOW, XV, SchL, S. 2.
4. Gerichtsurteile betreffen privacy
Abb. 16: Verteidigungsminister Laird reformierte das geheimdienstliche Programm der Armee, wehrte aber Vorwürfe dagegen vor dem Obersten Gerichtshof ab. Das Foto von Oliver F. Atkins vom 29. Juni 1973 zeigt Laird (links) mit Präsident Nixon. Courtesy Richard Nixon Presidential Library and Museum (NLRN-WHPO-E1142C-29).
Nachdem der Oberste Gerichtshof der USA unter dem Vorsitzenden Warren wegweisende Urteile gesprochen hatte, kehrte das Gericht unter dem Vorsitzenden Warren E. Burger zu einer konservativen Haltung zurück. Es traf eng gefasste Entscheidungen, hielt sich mit rechtlichen Innovationen zurück, führte aber einmal getroffene Grundsatzentscheidungen weiter. Diese Haltung kam auch in Urteilen, die Ansprüche auf privacy betrafen, zum Ausdruck. Das Bundesbezirksgericht für DC hatte den Klägern gegen das Geheimdienstprogramm der Armee eine Befugnis zur Klage abgesprochen, da sie keinen Schaden angeführt hätten. Ein Berufungsgericht bewertete den Fall anders und reichte ihn zurück in die untere Instanz, woraufhin sich die Regierung mit einer Petition an den Obersten Gerichtshof der USA wandte. Zwar legten Anhörungen im Senat nahe, dass das Armeeprogramm politisch fragwürdig war, da unter anderem kein konkretes Gesetz es legitimierte. Doch bestand die Schwierigkeit, einen justiziablen Fall zu konstruieren, woran die Klage schließlich scheiterte. Aus juristischer Perspektive hat Scott Michelman, ACLU-Anwalt, den Fall Tatum
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v. Laird jüngst in Hinblick auf eine Klagebefugnis gegen den Bund erörtert. Allerdings habe der Fall in der Rechtsprechung mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. Als möglicher Schaden kommen zum einen ein »loss-of-privacy injury«, zum anderen ein »chilling-effect injury« in Frage.1 Während das Argument einer Einschüchterung in diesem Fall den Richtern zu vage blieb, ergeben sich im Rückblick deutliche Hinweise darauf, dass die Privatsphäre der Kläger verletzt wurde. In Hinblick auf eine Klagebefugnis argumentiert Jeffrey Vagle, dass sich das staatliche Handeln nach der Verfassung richten müsse und nicht umgekehrt, und spricht von einer »seriously flawed opinion«.2 Unter anderem argumentierten die Richter, dass es nicht die Aufgabe der Gerichte sei, das Handeln staatlicher Stellen einer permanenten Revision zu unterziehen.3 Damit weigerten sich die Richter, den Fall in der Sache zu verhandeln und eine Beweisaufnahme zuzulassen. Die Justiz fand keinen rechten Zugang zu Fällen, in denen Behörden Teile der Bevölkerung präventiv und flächendeckend unter Beobachtung stellten, in denen ein Sicherheitsdispositiv das Handeln bestimmte. Fälle, die nach der Logik eines Disziplinardispositivs aufgebaut waren, erschienen klarer. Wenn Behörden einen Kleinkriminellen oder politischen Aktivisten gezielt überwachten und Ergebnisse gegen ihn verwendeten, konnte sich dieser auf den Schutz vor willkürlichen Durchsuchungen berufen. So befasste sich der Oberste Gerichthof mit einem Fall von Abhörmaßnahmen, die das Justizministerium im Namen der nationalen Sicherheit angewiesen hatte, woraufhin Ermittler in die Sphäre des Privaten eingedrungen waren. Mit dem Urteil im sogenannten Keith Case beschnitt das Gericht die Kompetenzen der Exekutive, politische Aktivisten im Inland ohne weiteres abzuhören. Präsident Nixon zeigte sich unzufrieden mit dem Ergebnis.4 Auch in Rechtsstreitigkeiten um gesetzliche Verbote von Abtreibungen verlief eine Grenze zwischen staatlicher Kompetenz und privaten Entscheidungen, die die Richter im Fall um Verhütungsmittel gezogen hatten. Die Entscheidung, frühe Abtreibungen zu legalisieren, rief ein geteiltes Echo hervor. Zwar anerkannten die Richter auch den staatlichen Anspruch, medizinische Standards einzuhalten und potentielles Leben zu schützen. Jedoch wurde das Urteil nicht als ein Kompromiss wahrgenommen.5 Die Urteile bildeten Leitlinien für die Rechtsprechung, wie weit Ansprüche auf privacy in welchen Bereichen reichten.
1 Michelman, Who Can Sue, S. 74. 2 Vagle, Laird v. Tatum, S. 1063. 3 Ebd., S. 1061. 4 Ambrose, Nixon, S. 21. 5 Roy, Roe and the New Frontier, S. 346 ff.
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4.1 Der Fall Laird v. Tatum im Kontext: »The Army needs no advance political information« Intern reformierte die Armeebehörde die Pläne für mögliche Truppeneinsätze und die damit verbundene Geheimdienstarbeit weiter. Anfang 1972 änderte das Kommando der Armee den Einsatzplan für den Fall, dass Truppen bei zivilen Unruhen angefordert würden. Der überarbeitete Garden Plot vom 1. Februar 1972 schränkte die militärische Geheimdienstarbeit auf kritische Situationen ein, die einen Einsatz erfordern könnten. Das Sammeln von Informationen zu zivilen Unruhen solle auf Befehl des Hauptquartiers erfolgen und mit lokalen Gesetzeshütern abgestimmt werden. Die EEI beschränkten sich auf die Frage, ob eine Situation möglicherweise die lokalen Kräfte überfordern könne. Als mögliche »dissident elements« galten aber weiterhin »racial or minority group advocates, peace movement and non-violent group advocates« sowie »masses of incited minority group members, teen and sub-teen looters and vandals, racial power advocates, habitual criminal offenders«.6 Damit wurde die Geheimdienstarbeit einer zivilen Kontrolle unterstellt und die Praxis eingeschränkt, permanent und präventiv Geheimdienstmaterial zu sammeln. Zwar wurden laut Weisung keine Organisationen namentlich genannt. Doch listete der Plan im Allgemeinen unter anderem Friedensbewegung, Bürgerrechtler und Organisationen, die rechtlichen Beistand boten, als Dissidenten auf. Als Dissident galt anscheinend schon, wer sich gegen den Einsatz der Armee in Vietnam positionierte oder sich für Rechte von Minderheiten einsetzte. Auch die vage Aufzählung von Gewalttätern, wie aufgewiegelte Angehörige von Minderheiten, brachte eine nur unbestimmte Gefahrenlage zu Ausdruck. Die Situation hatte sich geändert, als der Rechtsstreit um Überwachung in die höchste Instanz ging, sowohl was den Kenntnisstand als auch was Regulierungen anging. Das Verteidigungsministerium wollte verhindern, dass eine Beweisaufnahme in der unteren Instanz stattfand, da diese das Bild, das sich aus dem Sachstand von Anfang 1970 ergab, womöglich hätte korrigieren müssen. Inzwischen war viel Zeit verstrichen, in der das Verteidigungsministerium das Programm zurechtgestutzt hatte, so dass einige der Richter den Fall als erledigt betrachteten.7 Vor dem Obersten Gerichtshof der USA verblieb im Fall Laird v. Tatum als strittige Frage, ob die Kläger einen justiziablen Anspruch angeführt hätten und zur Klage befugt seien. In der Schrift aus dem August 1971 bestritten die Rechtsvertreter des DOD, dass die »mere existence of a domestic surveillance system within the Department of the Army« einschüchternd auf die Redefreiheit 6 HQ, USCONARC, Civil Disturbance Plan, (Garden Plot) (U), Annex B (Intelligence), Change 1, (declassified NND 881514), February 1, 1972, Reel 16, Frame 27–28, ASOD, S. B-1 f. 7 Kastenberg, Shaping US Military Law, S. 125 f.
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wirke.8 Außerdem hätten die Kläger keinen Schaden geltend gemacht. So sei ein »threat of the ›unknown‹« nicht hinreichend für einen Rechtsprozess.9 Allerdings galt es aus Sicht der Kläger gerade, Licht in dieses Unwissen zu bringen, und sie entgegneten, dass der Rechtsakt unvollständig sei, weshalb sie auf einer Beweisaufnahme bestanden.10 Insbesondere argumentierten die Anwälte, dass sich die Kläger von der Überwachung eingeschüchtert fühlten und damit in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit gestört sahen, was sie mit der Doktrin eines chilling effect begründeten. So zitierte die Schrift eine Studie von Frank Askin, selbst Klägeranwalt, mit dem Titel »Chilling effect: A View from the Social Sciences«.11 In einer Antwort stellten die Anwälte der Regierung klar, dass das Gericht nicht über die Verfassungsmäßigkeit des Armeeprogramms zu entscheiden habe, sondern darüber, ob die Beschwerde technisch zulässig sei.12 Während die Regierung keinen Schaden ausmachte, sah sich die Gegenseite in ihren Grundrechten verletzt. Als Anwalt kam John Shattuck von der ACLU Foundation in New York hinzu, da Speiser die Organisation verlassen hatte. Für die ACLU hatte zusätzlich Hope Eastman an der Schrift mitgewirkt. Die Kläger, nun als respondents, argumentierten gesondert, dass ein justiziabler Anspruch aus einer »invasion of [...] privacy« resultiere. Dieses »right of privacy« möge zwar noch genauer bestimmt werden, doch müsse das Gericht feststellen, ob eine Verletzung dieses Rechts vorliege. Als Referenzen dienten unter anderem die Fälle Olmstead und Griswold. Laut der Schrift gestaltete sich Privatsphäre als vielseitig: »the right to privacy covers a multitude of situations«.13 Gerichte hätten im Common Law sowie in Hinblick auf die Weitergabe von Polizeiakten eine Gefährdung des »right of privacy« festgestellt. Aus Sicht der Anwälte bestehe dieses Recht auch in Hinblick auf Information, die der Staat über individuelle Ansichten sammle: »it certainly reaches as far as governmental gathering and recording of information about an individual’s words and activities both in private and in public«. Im vorliegenden Fall gehe es um das spezifische »right of privacy and anonymity of political action«.14 Aus Privatsphäre leitete sich ein Anspruch ab, staatliches Handeln einzugrenzen. Wenn Sicherheitsbehörden Fakten über Personen und 8 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Petitioner’s brief, January 3, 1972, (Gale Document Number: DW3910492884), S. 2. 9 Ebd., S. 6. 10 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Respondent’s brief, February 28, 1972, Gale Document Number: DW3908949312, S. 15 ff. 11 Ebd., S. 57. 12 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Reply brief [for the petitioners], March 20, 1972, (Gale Document Number: DW3903001750), S. 1 f. 13 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Respondent’s brief, February 28, 1972, (Gale Document Number: DW3908949312), S. 61 f. 14 Ebd., S. 64 f., Zitat S. 65.
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Gruppen zusammentrugen, die sich politisch engagierten, bedeutete dies aus Sicht der Kläger einen Eingriff in die Privatsphäre. Die politische Dimension des Falls äußerte sich darin, dass Organisationen in dem Verfahren als Freunde des Gerichts Argumente lieferten. So beteiligte sich die Unitarian Universalist Association mit einer Schrift amicus curiae, die Senator Ervin und Baskir, Mitarbeiter im Verfassungsausschuss, verfassten. Die Autoren stützten ihre Argumentation auf eine breitere verfassungsrechtliche Basis als die Kläger.15 Sie bezogen eine klare Position für die Kläger, wonach eine »invasion of their right to associational privacy« vorliege.16 Darüber hinaus seien die gesammelten Informationen über politische Aktivitäten nutzlos für die Mission der Armee: »The Army needs no advance political information, no information on personalities, views, opinions, personal data, and the like«.17 Dennoch seien die Geheimdienststellen der Armee dazu angehalten, nahezu sämtliche Informationen über eine Person zu sammeln, die ins Visier der Überwachung geraten sei. Nach Ansicht der Autoren beschneide die Geheimdienstarbeit den Anspruch der Bürger auf Privatsphäre, sich politisch ohne staatliche Beobachtung zu betätigen: The privacy of a citizen who is one of a faceless crowd at a demonstration or speech is totally destroyed when the Army observes and identifies the citizen, seeks out other data held by private and governmental agencies, infiltrates secret meetings, permanently records this data, and makes it generally available to other governmental agencies.18
Eine weitere Schrift reichte eine Gruppe ehemaliger Geheimdienstagenten der Armee ein.19 Darunter befand sich unter anderem Ralph Stein, der den Fall später in einem Artikel analysierte. Als Anwalt brachte sich Arthur Miller, Autor von »The assault on privacy«, ein. Ziel der Schrift war es, den Kenntnisstand des Gerichts aufzufrischen. Es hatte keine Beweisaufnahme stattgefunden, und die vor Gericht verwendeten Dokumente gaben ein unzureichendes, wenn nicht verzerrtes Bild ab. Erwin Griswold, Solicitor General, zitierte in der Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof im März 1972 einige Berichte und folgerte, dass die geheimdienstlichen Informationen harmlos seien und den Charakter von Presseberichten hätten: »it’s apparent that they are the kind of items that constantly appear in the newspapers, information of very little significance and not at all repressive 15 Jensen, Army surveillance in America, S. 254. 16 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Amicus brief [Unitarian Universalist Association], February 25, 1972, (Gale Document Number: DW3903001704), S. 11. 17 Ebd., S. 33. 18 Ebd., S. 23. 19 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), Amicus brief [group of former army intelligence agents], February 25, 1972, (Gale Document Number: DW3903001876), S. 1.
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in its nature«.20 Dagegen betonte Anwalt Askin, dass die Klage justiziabel sei, und er verlangte eine Beweisaufnahme, um die Vorwürfe begründen zu können: »this was not wholly public activity we were talking about«.21 Senator Ervin argumentierte in der Verhandlung, dass es gegen das Gesetz verstoße, die Armee als »posse comitatus« für polizeiliche Aufgaben einzusetzen.22 Schließlich hoben die Richter die Entscheidung des Berufungsgerichts wieder auf und bestätigten damit das Urteil des Bundesbezirksgerichts. Der Fall wurde nie in der Sache entschieden.23 Laut dem Urteil stellte die bloße Existenz einer Datenbank keine Bedrohung dar. Es liege keine justiziable Kontroverse vor, und es bestehe keine Klagebefugnis. Das Urteil verfasste der vorsitzende Richter Burger; einen Gegenstandpunkt nahmen Richter Douglas und Richter William J. Brennan, Jr., ein.24 Die Stimmen waren in fünf gegen vier gespalten. Mit dem Urteil räumte der Gerichtshof der Exekutive mit dem Argument Sicherheit eine weitgehende Rechtfertigung ein, während er Personen wie auch politischen Gruppen, die sich in ihrer Privatsphäre verletzt sahen und eingeschüchtert fühlten, eine hohe Hürde stellte. Schließlich beantragte die unterlegene Partei, dass der Fall erneut verhandelt werden solle. Das Urteil auf der Ebene der Justiziabilität beruhe auf unkorrekten Fakten, die nicht in einem Verfahren nachgewiesen worden seien.25 Zu der Schrift hatte wiederum Christopher Pyle beigetragen. Allerdings kam es zu keiner Wiederaufnahme des Verfahrens. Einen weiteren Streitpunkt bot der Umstand, dass sich Richter William Rehnquist an der Entscheidung beteiligte, dem die unterlegene Seite Befangenheit vorhielt. Rehnquist hatte sich bereits vor dem Senatsausschuss als damaliger Assistant Attorney General, Office for Legal Counsel, zugunsten der Armee zu Wort gemeldet, beispielsweise dass die Techniken der Datenerhebung mit »personal privacy« vereinbar seien.26 »Privacy, Surveillance and the Law«, lautete der Titel eines Vortrags von Rehnquist aus dem März 1971. Darin erklärte er, dass das first amendment keinen Schutz biete vor »even foolish or unauthorized information gathering by the government«.27 Nach Ansicht der Columbia Law Review hätte Rehnquist zwar weder ein monetäres Interesse an dem Fall noch hätte er zuvor eine der Parteien als Rechtsbeistand vertreten oder wäre als Zeuge 20 U. S. Supreme Court, Laird v. Tatum, March 27, 1972, Folder ›No. 71–288, Tatum v. Laird‹, Box 134, RG 267, AppCFs, NARA-DC, S. 5. 21 Ebd., S. 21. 22 Ebd., S. 34. 23 Note 1972, Judicial Review of Military Surveillance of Civilians, S. 1013. 24 Laird v. Tatum, 408 U. S. 1 (1972), June 26, 1972, S. 1. 25 Laird v. Tatum, Petition for Rehearing, Oct. Term 1971, No. 71–288, [1972], Folder ›Tatum v. Laird, 1971‹, Box 1728, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 4. 26 Note 1973, Justice Rehnquist’s Decision to Participate in Laird v. Tatum, S. 117. 27 William H. Rehnquist, Privacy, Surveillance, and the Law, in: U. S. Senate (Hg.), Federal Data Banks, Computers, and the Bill of Rights, Part 2, S. 5.
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vor Gericht aufgetreten, und es sei daher kein Verstoß gegen eine verbindliche Vorschrift auszumachen. Jedoch hätte Rehnquist den Anschein der richterlichen Unabhängigkeit verletzt, der als richterlicher Verhaltenskodex festgehalten sei.28 Im Jahr 1986 stellte sich bei Anhörungen über die Nominierung von Rehnquist zum vorsitzenden Richter heraus, dass er in seiner Regierungszeit einen Interdepartmental Action Plan for Civil Disturbances miterarbeitet hatte, der auch militärische Überwachung beinhaltete. Dies stellte erneut die richterliche Unabhängigkeit infrage, wie Askin glaubte.29 Das Gericht lehnte es ab, den entsprechenden Antrag auf eine Wiederaufnahme anzunehmen.30 So erwies sich der Rechtsstreit in mehrfacher Hinsicht als Politikum. Auf der einen Seite stand Senator Ervin, der Untersuchungen angestellt hatte und schließlich in den Fall intervenierte, wobei er auf einen Anspruch auf privacy pochte. Auf der anderen Seite stand Richter Rehnquist, der erst kurz zuvor aus der Regierung heraus berufen worden war und seine Auffassung als Regierungsmitglied, dass die Überwachung keinen Eingriff in die Privatsphäre bedeutete, als Richter bekräftigte. In dieser Frage betrieb die ACLU Öffentlichkeitsarbeit. Franklin Pollak warb bei der Redaktion der Columbia Law Review darum, die Teilnahme von Richter Rehnquist an der Verhandlung zu analysieren.31 Das Journal beauftragte ein Redaktionsmitglied mit einer Analyse und plante außerdem, eine Notiz zu militärischer Überwachung zu veröffentlichen, wie Redakteur William Dickey schrieb.32 Auf diese Weise diente die Organisation als Anlaufstelle für Personen, die Fehlverhalten aufdecken wollten, und bemühte sich darum, Sachverhalte aufzuklären und einer Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. In einem Antrag an Richter Rehnquist forderten die Beklagten, dass er sich wegen seiner früheren Position und seinen Äußerungen zu dem Fall aus Befangenheit der Stimme enthalte: »it was precisely because of the clarity and finality of his testimonial views and the intimacy of his knowledge of the evidentiary facts at issue in this case«.33 Rehnquist lehnte dies am 10. Oktober 1972 ab und gab eine Erklärung ab. Über das weitere Vorgehen herrschte Uneinigkeit innerhalb der ACLU. Pollak erwog, einen Antrag an den Gerichtshof selbst zu stellen, dass die 28 Note 1973, Justice Rehnquist’s Decision to Participate in Laird v. Tatum, S. 124. 29 U. S. Supreme Court, Laird v. Tatum, No. 71–288, OT 1986, Folder ›No. 71–288, Tatum v. Laird‹, Box 134, RG 267, AppCFs, NARA-DC, S. 2. 30 U. S. Supreme Court, Office of the Clerk, Francis J. Lorson to Frank Askin, October 14, 1986, Folder ›No. 71–288, Tatum v. Laird‹, Box 134, RG 267, AppCFs, NARA-DC, S. 1. 31 Franklin S. Pollak, letter to Columbia Law Review, July 15, 1972, Folder ›Tatum v. Laird 1969–1970‹, Box 1727, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1. 32 William Dickey, letter to Franklin Pollak, July 20, 1972, Folder ›Tatum v. Laird 1969–1970‹, Box 1727, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1. 33 Laird v. Tatum, Motion to Withdraw Opinion of the Court and Motion to recuse Mr. Justice Rehnquist Nunc Pro Tunc, OT 1971, No 71–288, [1972], Folder ›Laird v. Tatum 1971–1972‹, Box 1490, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 9.
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Stimme Rehnquists ausgeschlossen würde, wie er Shattuck schrieb.34 Dieser glaubte aber von Beginn an, dass ein Antrag dem »beating of a dead horse« gleichkomme.35 Edward Ennis, den Pollak als Rechtsanwalt empfohlen hatte, erwog einen Antrag, um einen möglichen Ausschluss laut Gesetz in den Akten festzuhalten, obwohl der Schritt vielleicht zu spät komme.36 Melvin Wulf Leiter der Rechtsabteilung der ACLU, teilte Ennis mit, dass der general counsel entschieden habe, nichts Weiteres zu unternehmen, um nicht Rehnquist in seiner persönlichen Ansicht zu bestärken.37 In einer Petition für eine Wiederaufnahme des Falls untermauerten die ursprünglichen Kläger, dass ihre Beschwerde über einen »chilling effect« hinausgegangen und ein konkreter Schaden bemängelt worden sei. Dieser Schaden betreffe ein Eindringen in die Privatsphäre und eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre.38 Statt auf Informationen aus Zeitungen und Medien habe die Armee auf verdeckte Quellen zurückgegriffen und Informationen aus privaten Bereichen gesammelt: »Army intelligence maintained extensive records on the finances, psychiatric records, and sex lives of civilians who posed no threat to military security or civil order«.39 Damit stellten die Anwälte infrage, dass die Praktiken der Armee der Sicherheit dienten. Sicherheit und Privatsphäre standen demzufolge nur in einem scheinbaren Widerspruch. Diese gesellschaftliche Konfliktlinien zwischen Sicherheit und Privatsphäre zogen sich durch den Rechtsstreit. So stellte die New York University Law Review aus dem November 1972 einen Gesetzesentwurf zu Überwachung vor, der unterschiedliche Interessen ausgleichen sollte: »to balance the seemingly conflicting objectives of those who emphasize society’s need for security and those who emphasize the individual’s need for privacy«.40 Neue Ansätze in der Sicherheitspolitik führten dazu, dass Geheimdienste permanent politische Aktivisten beobachteten, was Konflikte um Privatsphäre nach sich zog. Der Fall Laird v. Tatum bot zwar die Chance, verfassungsrechtliche Fragen publik zu machen, doch führte er nicht zu einer »judicial protection of individual rights«.41 Vielmehr stärkte die Judikative die Befugnisse der Exekutive im Streben nach Sicherheit: »The change in tone in 34 Franklin Pollak, letter to John Shattuck, October 10, 1972, Folder ›Tatum v. Laird 1969–1970‹, Box 1727, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1 ff. 35 Zitiert nach: Franklin Pollak, letter to Melvin Wulf, October 23, 1972, Folder ›Tatum v. Laird 1969–1970‹, Box 1727, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1. 36 Edward Ennis, letter to Melvin Wulf, October 24, 1972, Folder ›Tatum v. Laird 1969–1970‹, Box 1727, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1. 37 Melvin Wulf, letter to Edward Ennis, October 30, 1972, Folder ›Tatum v. Laird 1969–1970‹, Box 1727, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 1. 38 Laird v. Tatum, Petition for Rehearing, Oct. Term 1971, No. 71–288, [1972], Folder ›Tatum v. Laird, 1971‹, Box 1728, ACLU Records, M001-02-04, PUL, S. 2. 39 Ebd., S. 6. 40 Christie 1972, Government Surveillance and Individual Freedom, S. 871. 41 Jensen, Army surveillance in America, S. 255.
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Laird v. Tatum was an important clue to a judicial shift in attitudes about giving the executive a constitutional blank check to expand its power under the guise of national security«.42 Der Fall war damit abgeschlossen. In der politischen Arena gärte die Sache weiter, so dass sich im Repräsentantenhaus das Military Operations Subcommittee mit dem Überwachungsprogramm befasste. In einem Brief aus dem Mai 1972 an den Vorsitzenden Chester Holifield, Demokrat aus Kalifornien, äußerte Robert Mardian, Assistant Attorney General, dass der Bund nicht ausreichend informiert gewesen sei, um das Vorgehen bei zivilen Unruhen zu planen.43 Im Jahr 1972 veröffentlichten die Mitarbeiter des Unterausschusses für Verfassungsrechte im Senat eine dokumentarische Studie über die Datenbanken innerhalb der Armee. Laut den Autoren hatten geheimdienstliche Sparten unabhängig voneinander mehrere Datenbanken über Ereignisse, Dissidenten und Organisationen aufgebaut. Eine wichtige Informationsquelle bildete das FBI. Das Spektrum reichte von Kriegsgegnern bis hin zu militanten, linken Gruppierungen, aber auch rechte Organisationen wie die American Nazi Party oder der KKK waren verzeichnet.44 Allerdings lassen die Dokumente der ACSI task force vermuten, dass die Armee überwiegend Gegner des Vietnamkriegs überwachte. Der Vietnamprotest war eine »driving force« der geheimdienstlichen Aktivitäten.45 Mit der geheimdienstlichen Tätigkeit handelte die Armee an einer »home front«.46 Außerdem versuchte Senator Ervin, wie auch andere Kongressmitglieder, die Überwachung durch die Armee auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und damit einzudämmen. Nach Ansicht von Beobachtern ging der Entwurf von Ervin nicht weit genug.47 In der 93. Legislaturperiode des Kongresses reichte Ervin erneut einen Entwurf unter dem Titel Freedom from Military Surveillance Act ein, wonach es Ziviloffizieren oder Mitgliedern der Armee verboten sei, Zivilisten zu überwachen und Zivilrecht durchzusetzen. Ein Bericht des Senats aus dem Jahr 1973 lieferte schließlich eine Analyse des geheimdienstlichen Programms der Armee und kritisierte auf dieser Basis die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs: »The subcommittee concludes, then, that military surveillance was both unauthorized and in violation of the first amendment«.48 Die Autoren kritisierten das Überwachungsprogramm als illegal, da es auf keiner gesetzlichen Grundlage beruhe und die Ausübung von Verfassungsrechten von »free speech, free association, and privacy« eingeschränkt 42 Ebd., S. 256. 43 Robert C. Mardian to Chet Holifield, (declassified NND 881514), May 6, 1972, Reel 1, Frame 0011-0015, ASOD, S. 1. 44 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 96 f. 45 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 381. 46 Ebd., S. 398. 47 Christie 1972, Government Surveillance and Individual Freedom, S. 881 ff. 48 U. S. Senate 1973, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 9.
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habe.49 Insgesamt bemängelten die Autoren der dokumentarischen Senatsstudie von 1972 die Datensammlungen als nutzlos und ohne Zusammenhang zur militärischen Mission. Dass »constitutional rights and privacy of American citizens« beschnitten würden, sei nicht mit dem Argument zu rechtfertigen, der öffentlichen Sicherheit zu dienen.50 In diesen Einschätzungen kommt ein Anspruch auf politische Privatsphäre, der eine Funktion für die Demokratie zukam, zum Ausdruck. Privatsphäre geriet demnach in Bedrängnis, wenn staatliche Institutionen unkontrolliert Fakten über politische Ansichten von Personen zusammentrugen. Das Gesetzesvorhaben scheiterte jedoch vor allem am Widerstand des Verteidigungsministeriums. Auch ein weiterer Anlauf im nächsten Kongress verlief ergebnislos.51 Damit konnte sich ein Anspruch auf privacy weder in der Gesetzgebung noch auch auf dem Rechtsweg durchsetzen. Einzig die Schritte der Regierung schränkten das Überwachungsprogramm der Armee ein, die den Einsatzplan für zivile Unruhen überarbeitete. Dabei fielen die Reformen stärker im Sinne staatlicher als freiheitsrechtlicher Interessen aus und beendeten die Überwachung nicht gänzlich. Damit legte sich der Skandal langsam. Noch im April 1974 sprach Shattuck, National Staff Councel, ACLU, in Anhörungen unter dem Titel »Military Surveillance« und unterstützte die geplante Gesetzgebung des Komitees hinsichtlich eines »developing privacy law«.52 In einer schriftlichen Stellungnahme bezog sich Shattuck auf »associational privacy« als Garant der Meinungsfreiheit insbesondere gemäß dem Fall NAACP v. Alabama sowie auf den Schutz von privacy unter dem vierten Verfassungszusatz.53 Insgesamt engagierte sich die Organisation auf vielfältige Weise, führte Gerichtsprozesse, betrieb Lobbying im Kongress und trug die Themen in die Öffentlichkeit. Die Organisation interpretierte Privatsphäre als politischer Garant für Meinungsfreiheit und Demokratie, wonach ein staatliches Sammeln von Fakten über politische Gruppen einen Eingriff in dieses Recht darstellte. Die Organisation verfolgte einen integrierten Ansatz, in dem sie die Implikationen von Privatsphäre in einzelnen Verfassungszusätzen herausstellte, in Bezug auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, auf den Schutz vor Durchsuchungen oder das Recht auf ordentliche Verfahren, und diese Rechte auf Themen wie Datenverarbeitung, Familienplanung oder Überwachung bezog. Es blieb die Frage nach der politischen Verantwortung. Die Nixon-Regierung sah die Verantwortung bei der Vorgängerregierung. Jedoch existiert kein Beleg dafür, dass Mitglieder der Johnson-Regierung die Überwachung von Zivilisten durch die Armee angeordnet hatten. Es herrschte ein Mangel an ziviler Kont 49 Ebd., S. 8. 50 U. S. Senate 1972, Army Surveillance of Civilians, S. 96 f., Zitat S. 97. 51 Scheips, The role of federal military forces in domestic disorders, S. 398. 52 U. S. Senate 1974, Military Surveillance, S. 84. 53 Ebd., S. 94 ff., Zitat S. 94.
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rolle über die militärischen Dienste.54 Zwar wurde das Geheimdienstprogramm von der Armee installiert, doch gab es Druck aus dem Weißen Haus und dem Justizministerium, Informationen zu beschaffen, um möglicherweise Unruhen voraussagen zu können: »means of predicting riots«. Unter der Nixon-Regierung blieb die mangelnde Kontrolle bestehen. Auch mit dem Interdepartmental Action Plan (IAP) hielten die Aktivitäten des Armeedienstes an.55 Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Johnson-Regierung auf geheimdienstliche Studien der Armee zurückgriff. So kursierte im Weißen Haus eine SpionageabwehrStudie des OACSI, das sich beim USAINTC und dem FBI für die Mithilfe bedankte, über das afroamerikanische SNCC.56 Gänzlich unbemerkt dürfte die inländische Spionage des Geheimdienstes also nicht geblieben sein. Im Namen der nationalen Sicherheit lösten sich manche Bedenken und Grundsätze. Sicherheit gründete auf umfassender Information, die eine ständige Bereitschaft ermöglichen sollte. Die Institutionen der Sicherheitsgesellschaft waren der Gerichtsbarkeit entzogen, da das Gericht keine Dokumente untersuchte und eine Verletzung der Privatsphäre als Klagegrund verwarf. Dabei zeigen Akten auf, dass das Programm der Armee weitreichender war, als das Bundesbezirksgericht angenommen hatte, und es sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen sich Agenten unter Demonstranten mischten und Proteste aufzeichneten. In einigen Fällen kursierten auch die Inhalte von privater Korrespondenz. Gegen den pauschalen Anspruch auf Sicherheit konnte sich das Argument von privacy in der Rechtsprechung und der Gesetzgebung nicht durchsetzen. Rechtliche Schritte gegen disziplinarische Praktiken erschienen vielversprechender.
4.2 Abhören für die nationale Sicherheit: »Searches into the words, ideas, and thoughts« Nicht allein das staatliche Aufgabenfeld und die Institutionen hatten sich gewandelt, auch die technischen Möglichkeiten erweiterten sich. Technologie vergrößerte das Spektrum von Überwachung und bildete einen Faktor, der die Debatten um Privatsphäre bestimmte und auf den sowohl Gesetzgebung als auch Rechtsprechung reagieren mussten.57 Dazu gehörte unter anderem elektronische Abhörtechnik. Genaue Zahlen über deren Einsatz waren allerdings rar. Am 21. Juni 1972 übersandte Ehrlichman, Berater im Weißen Haus, Statistiken
54 Pyle 1974, Military Surveillance of Civilian Politics, S. 300, 392, 425. 55 Donner, The age of surveillance, S. 318 f., Zitat S. 318. 56 DA, OACSI, CI Special Project, SNCC (U), declassified NLJ 007-D05-1-27, October 10, 1967, Folder ›Civil Rights & Anti-War Personalities‹, Box 5, NSF, Subject File, LBJL, Ackn. 57 Strickland u. a., Domestic security surveillance and civil liberties, S. 482.
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zur Telefonüberwachung an Präsident Nixon.58 Bevor der OCCSSA in Kraft trat und richterliche Beschlüsse vorschrieb, existierten kaum verlässliche Zahlen über Abhörmaßnahmen, die der Attorney General genehmigt hatte. Von 1960 bis 1970 lagen die Zahlen des FBI jährlich unter 100 Fällen, wobei unklar blieb, ob es sich dabei um Kriminalitätsbekämpfung oder ähnliche Operationen handelte. Die nationale Sicherheit betreffende Fälle beliefen sich in der zweiten Hälfte von 1968 auf 50, im Jahr 1969 auf 81, 1970 auf 97, 1971 auf 86.59 Eine weitere Technik stellte es dar, Risiken und Gefahren zu ermitteln. Beispielsweise gab die LEAA Fördermittel aus, um Programme gegen zivile Unruhen zu fördern, wobei die Vorstellung bestand, mittels Technologie Situationen planbar und berechenbar zu machen. So sollten Situationen untersucht werden, die in soziale Unruhen umschlagen könnten, wozu etwa in Rode Island fortwährend mit Computern Kriminalitätsdaten in Hinblick auf soziale Spannungen analysiert und in Kalifornien eine »tension detection and forcasting capability« aufgebaut werden sollten.60 Solche Techniken, die auf Modellen zur Vorhersage und statistischen Methoden beruhten, unterschieden sich von herkömmlicher Überwachung. Dieses Sicherheitsdispositiv richtete sich darauf aus, zufällige Fluktuationen in einer Bevölkerung erkennen und Gefahren bannen zu können. Von Abhörmaßnahmen Betroffene wehrten sich auf dem Rechtsweg gegen die Regierung. Am 19. Juni 1972 entschied der Oberste Gerichtshof der USA in einem Fall über Abhörmaßnahmen hinsichtlich der nationalen Sicherheit.61 Geklagt hatten mehrere Personen vor dem Bundesbezirksgericht in Michigan, denen Justizbehörden Verschwörung und Sachbeschädigung an zentralstaat lichen Objekten vorwarfen. Lawrence Plamondon, einer der Beklagten und Mitbegründer der White Panther Party, wurde beschuldigt, einen Bombenanschlag auf ein CIA-Gebäude in Ann Arbor, MI, geplant zu haben. Seine Gespräche mit Mitgliedern der Black Panther Party waren abgehört worden – Plamondon landete schließlich auf der »FBI’s Most Wanted List«.62 In einem Strafverfahren forderten die Angeklagten Unterlagen über elektronische Überwachung an. Daraufhin bestätigte Attorney General John Mitchell, dass Ermittler auf seine Weisung hin Gespräche abgehört hätten. Die mündliche Verhandlung fand im Januar 1971 statt. Laut Bezirksrichter Damon Keith lag ein Verstoß gegen das fourth amendment vor, so dass der Bund dem Beklagten die Unterlagen offen 58 John D. Ehrlichman, Memorandum for the President, June 21, 1972, Folder ›[CF] JL 1971–74‹, Box 38, WHSF-SFCF, RNL, S. 1. 59 Geoff Shepard, Memorandum for John D. Ehrlichman, June 21, 1972, Folder ›[CF] JL 1971–74‹, Box 38, WHSF, SFCF, RNL, S. 1. 60 Law Enforcement Assistance Administration, Security and Privacy Considerations in Computerized Criminal Justice Information Systems, May 10, 1971, ›Oversize Attachment 6591‹, WHCF, RNL, S. 22 f., Zitat S. 23. 61 Kutler, The wars of Watergate, S. 123 f. 62 Maclin 2008, The Bush Administration’s Terrorist Surveillance Program, S. 1280.
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legen müsse. Das Berufungsgericht lehnte eine Entscheidung ab, wonach die Protokolle nicht hätten offengelegt werden sollen, und der Oberste Gerichtshof nahm den Fall zur Verhandlung an und orderte die Akten.63 Die Schrift der Berufungsbeklagten erachtete den Fall als Weggabelung in der Geschichte des Landes. Unter anderem verstoße der Machtanspruch der Exekutive für »general searches into the words, ideas, and thoughts of citizens« gegen das first amendment.64 Die staatliche Seite argumentierte hingegen, dass das Justizministerium im Interesse der »nation’s security« gehandelt habe und dass Abhörmaßnahmen unter die Befugnis des Präsidenten fielen.65 Sicherheitsinteressen und Privatsphäre standen scheinbar in einem Konflikt. Die Richter erklärten die Praxis beschlussloser elektronischer Überwachung für verfassungswidrig und urteilten einstimmig, dass das Interesse der Regierung, die innere Sicherheit zu gewährleisten, mit der Gefahr für »individual privacy and free expression« abgewogen werden müsse.66 Richter Lewis F. Powell, der das Urteil verfasste, war erst im Jahr zuvor von Präsident Nixon wegen seiner konservativen Haltung nominiert worden.67 Richter Rehnquist entschlug sich wegen seiner früheren Position im Justizministerium diesmal seiner Stimme. Das Urteil untermauerte den Wert von Privatsphäre mit dem Recht der Bürger, ihre Meinung frei zu äußern, und baute den politischen Gehalt von Privatsphäre aus. In dem Gerichtsverfahren unterstützten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Gruppierungen die Beklagten. So meldete die Indus triegewerkschaft United Auto Workers, die nach eigenen Angaben über eine Million Mitglieder vertrat, ein Interesse an dem Fall an. Einerseits unterstütze die Gewerkschaft Freiheitsrechte, da diese auf ein demokratisches Klima angewiesen seien und von Autoritarismus bekämpft würden. Andererseits seien die Mitglieder selbst ausspioniert und in der Vergangenheit als subversive Bedrohung der nationalen Sicherheit bezeichnet worden. Daher argumentierten die Autoren der Schrift, dass die Praktiken des Justizministeriums im konkreten Fall einen »chilling effect« auf die Meinungsfreiheit ausübten.68 Außerdem beteiligte sich die BPP gemeinsam mit zwei Anwaltsverbänden an dem Fall. Die Organisationen standen laut eigenem Bekunden für Rechte von unterdrückten
63 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), Transcript of record, September 28, 1971, (Gale Document Number: DW3907136244), S. 7 ff., 24, 87 f. 64 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), Respondent’s brief, January 21, 1972, (Gale Document Number: DW3900229546), S. 9 f., Zitat S. 14. 65 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), Reply brief, February 18, 1972, (Gale Document Number: DW3900148578), S. 2 f. 66 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), June 19, 1972, Nr. 41. 67 Maclin, The Bush Administration’s Terrorist Surveillance Program, S. 1278. 68 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), Amicus brief for UAW, December 16, 1971, (Gale Document Number: DW3900148512), S. 2 ff., Zitat S. 3.
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Minderheiten ein, deren Angehörige arm, nicht weiß oder politisch aktiv seien.69 Auch die ACLU reichte gemeinsam mit der Zweigorganisation aus Michigan eine Schrift ein, die unter anderem der Rechtswissenschaftler Herman Schwartz verfasste. Demnach habe sich die Organisation seit ihrem Bestehen mit den Rechten von »freedom of expression and privacy« auseinandergesetzt.70 Gesellschaftliche Organisationen betonten das Recht auf freie Meinungsäußerung, für das Privatsphäre ein Garant war, und schärften so das politische Profil dieses Rechts. Die Überwachung durch die Armee mochte zwar weitreichender und von größerer politischer Tragweite gewesen sein, doch wurden deren Ergebnisse nicht, wie im eng gesteckten Fall der Überwachung durch das Justizministerium, im Einzelfall in Strafsachen verwendet.
4.3 Abtreibungspolitik nach Roe v. Wade: »The right to life of the unborn child« Eine Wende nahm die Debatte um Abtreibung vor Gericht. In Texas standen Abtreibungen unter Strafe. Eine unverheiratete, schwangere Frau hatte wegen des texanischen Strafrechts keinen Zugang zu einer Abtreibung erhalten, konnte sich aber keine Reise in einen anderen Bundesstaat leisten und klagte. Ebenso klagten ein kinderloses Paar, und der Arzt James Hallford intervenierte in den Fall. In der Verhandlung, die am 22. Mai 1970 vor dem Bundesbezirksgericht im nördlichen Abschnitt von Texas stattfand, äußerte sich neben dem Staatsanwalt auch ein Regierungsvertreter. So erklärte Jay Floyd, stellvertretend für den Attorney General in Texas, dass der Bundesstaat sich mit Ansichten und Meinungen zu der Frage befassen müsse, wann menschliches Leben beginne. Privatsphäre bedeute, dass eine Person abgeschieden bleibe und in Ruhe gelassen werde, und beziehe sich nicht auf persönliche Entscheidungen.71 Diese Position betonte das traditionelle Verständnis von Privatsphäre. Die Bedeutung von privacy war umstritten und politisch, da sie die Befugnisse des Staates betraf. Nachdem die Klage abgewiesen worden war, gingen die Kläger schließlich bis zur höchsten Instanz in Berufung. Vor dem Obersten Gerichtshof der USA setzte sich der Streit darüber fort, was unter privacy zu verstehen sei. Die Schrift für Staatsanwalt Henry Wade argumentierte unter anderem, dass zwar ein Recht auf »marital privacy« und »personal privacy« anerkannt sei. Doch sei das 69 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), Amicus brief for Black Panther Party et al., December 20, 1971, (Gale Document Number: DW3900148490), S. 1 f. 70 United States v. United States District Court, 407 U. S. 297 (1972), Amicus brief for ACLU, December 30, 1971, (Gale Document Number: DW3900148619), S. 1 f. 71 Transcript of oral argument, Roe v. Wade, District Court for the Northern District TX, July 30, 1970 [filed], Folder ›No. 70-18, Roe v. Wade (7)‹, Box 9A, RG 267, USSC, AppCFs, NARA-DC, S. 32 f., 35.
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»right to privacy« relativ und beziehe sich nicht auf Abtreibungen, sondern es überwiege das Recht des Ungeborenen: »The right to life of the unborn child is superior to the right of privacy of the mother«.72 Die Berufungskläger hingegen argumentierten unter anderem mit einem Recht auf eheliche und persönliche Privatsphäre, um einen Anspruch auf den Zugang zu einer legalen Abtreibung zu begründen. Diese »Fundamental Rights to Marital and Personal Privacy« habe das Gericht zuvor anerkannt.73 Dies bezog sich auf das Urteil zu Verhütungsmitteln. Damit einher gehe die verfassungsmäßig geschützte körperliche Unversehrtheit der Bürger »the citizen’s sovereignty over his or her own physical person«, weshalb das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ein »Integral Part of Privacy Rights« sei.74 Unterschiedliche Positionen von traditionellen Rollenbildern und individuellen Rechten trafen aufeinander und fanden Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in dem Verfahren ihre Argumente vortrugen. Die Schriften der Organisationen trugen dazu bei, das Recht auf Privatsphäre zu begründen, indem sie beispielsweise die Bürde von Schwangerschaft und Geburt für Frauen herausstellten: »In providing the rationale for employing liberty and privacy rights, however, the amici appear to have had a profound impact«.75 So unterstützte etwa das National Right to Life Committee (NRLC) die Position des Bundesstaates und bezog sich auf medizinische Forschung, wonach menschliches Leben mit der Befruchtung beginne: »life begins at conception«. Daher bestehe ein staatliches Interesse daran, menschliches Leben im Mutterleib zu schützen.76 Für ein Recht auf Abtreibung trat Planned Parenthood mit einer Schrift ein, die Anwältin Pilpel verfasste. Die Schrift führte unter anderem medizinische Argumente an. Demnach seien Verhütungsmittel unsicher oder unzugänglich, Schwangerschaften häufig gefährlich oder unpassend im Lebensabschnitt, und die Rechtsprechung habe ein »right to control fertility« anerkannt.77 Auch NOW beteiligte sich gemeinsam mit anderen Organisationen und einzeln genannten Frauen mit einem brief amicus curiae. Die von der American Association of University Women angeführte Schrift erklärte es als ein verfassungsmäßiges Grundrecht von Frauen, darüber zu entscheiden, wann und wie viele Kinder sie gebären. Die Anerkennung dieses Rechts sei bedeutsam 72 Roe v. Wade, 410 U. S. 113 (1973), Appellee’s brief, October 19, 1971, (Gale Document Number: DW3900136546), S. 8 f., Zitat S. 9. 73 Roe v. Wade, 410 U. S. 113 (1973), Appellant’s brief, October 19, 1971, (Gale Document Number: DW3909058968), S. 99. 74 Ebd., S. 103 ff., Zitat S. 103, 105. 75 Samuels, First among friends, S. 59. 76 Roe v. Wade, 410 U. S. 113 (1973), Amicus brief [NRLC], October 8, 1971, (Gale Document Number: DW3907192444), S. 3. 77 Roe v. Wade, 410 U. S. 113 (1973), Amicus brief [PPFA], October 12, 1971, (Gale Document Number: DW3908997893), S. 9 ff., Zitat S. 11.
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für die Gleichberechtigung der Frau.78 Dieses Verständnis von Privatsphäre reflektierte einen gesellschaftlichen Wandel, der Gleichberechtigung und individuelle Entscheidungen beförderte. Der Anspruch auf Privatsphäre wurde von zivilgesellschaftlichen Gruppen genauso vehement eingefordert wie auch abgelehnt. Schließlich kippte der Oberste Gerichtshof der USA im Fall Roe v. Wade das Abtreibungsverbot im Bundesstaat Texas und im Fall Doe v. Bolton das Verbot in Georgia. Richter Harry A. Blackmun folgte in seinem Urteil zu Roe der Argumentation der Kläger und erklärte, dass das Recht auf Privatsphäre die Entscheidung umfasse, eine Schwangerschaft abzubrechen. Dabei schütze der Grundsatz due process nach dem vierzehnten Verfassungszusatz das right of privacy. Allerdings anerkannte das Gericht auch das staatliche Interesse, potenzielles Leben zu schützen, wobei es zwischen drei Trimestern der Schwangerschaft unterschied.79 Im Urteil bezog sich Richter Blackmun auf die Schriften von Interessensgruppen, ohne sie allerdings konkret zu benennen, so dass das Urteil schließlich auf Quellen jenseits der Schriften amicus curiae gründete.80 Die Rechtsprechung brachte die Regierung in Schwierigkeiten. Denn nun standen frühere Entscheidungen zur Disposition, und frühere Äußerungen standen in Konflikt zum geltenden Recht. Zu dem Urteil äußerste sich Präsident Nixon nicht öffentlich. Dabei hatte dieses Urteil Richter Blackmun verfasst, den Nixon selbst berufen hatte: »As Nixon knew painfully well, the President could not dictate Supreme Court decisions«.81 Daher diskutierten Mitarbeiter der Regierung die Position zu dem Thema. Wie es im Weißen Haus hieß, ziehe das Urteil »serious implications« nach sich. Unter anderem sei die Abtreibungspolitik des DOD möglicherweise nichtig.82 Berater unterschieden, wie sich Nixon als Amtsperson zu dem Urteil verhalten musste und wie er als Privatperson dazu stand: »the President’s views be treated as his own personal views«. Entsprechend lautete Position der Nixon-Regierung, der Rechtsprechung des Gerichts zu folgen.83 Einerseits war der Präsident dem Recht verpflichtet, andererseits sollte seine persönliche Haltung konsistent erscheinen. Das Urteil vertiefte den Graben, der zwischen Befürwortern und Gegnern eines Rechts auf Abtreibung verlief. Die Bischofskonferenz kritisierte das Urteil und riet medizinischem Personal, den Eingriff einer Abtreibung abzulehnen. 78 Roe v. Wade, 410 U. S. 113 (1973), Amicus brief [AAUW], August 10, 1971, (Gale Document Number: DW3910690013), S. 6 f. 79 Schachter, Informational and decisional privacy, S. 825. 80 Samuels, First among friends, S. 55. 81 Ambrose, Nixon, S. 658. 82 Agnes Waldron, Memorandum for Ron Ziegler, February 1, 1973, Folder ›Abortion, President’s Position (3)‹, Box 2, SCMassengaleFs, GFL, S. 1. 83 Vera Hirschberg, Memorandum for Anne Armstrong, February 21, 1974, Folder ›Abortion, President’s Position (3)‹, Box 2, SCMassengaleFs, GFL, S. 2 ff., Zitat S. 4.
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Aus Umfragen ging hervor, dass die Abtreibungsfrage polarisierte und Befürworter und Gegner jeweils rund die Hälfte der Bevölkerung bildeten. Organisationen, die sich als »pro-life« positionierten, erhielten großen Zulauf, und viele Frauen traten ihnen bei.84 Um 1973 gehörten Abtreibungsgegner noch fast ausschließlich der römisch-katholischen Kirche an, die sich mit dem NRLC in die Debatte einbrachte. Für Aktivisten bildete das Urteil zu Roe im Nachhinein einen Angriffspunkt.85 Gesellschaftliche Organisationen verstärkten in der Folge ihr Engagement. Im Laufe des Jahres 1973 reorganisierte sich das NRLC als unabhängige Körperschaft.86 Der Streit war mit dem Urteil längst nicht beigelegt, sondern wurde in die Politik getragen. Alsbald lagen mehrere Entwürfe für ein human life amendment vor, was Zuspruch vom NRLC fand. Nicht alle Abtreibungsgegner folgten diesem Kurs. Als liberale Alternative gründete sich beispielsweise American Citizens Concerned for Life.87 Gegen das Bestreben von Kongressmitgliedern und Lobbygruppen, den Zugang zu Abtreibungen mit Gesetzen und Verfassungszusätzen stark zu regulieren oder gar zu verbieten, betrieben Mitglieder von NOW Lobbyarbeit bei Abgeordneten und Senatoren.88 Das legislative program von NOW stellte sich gegen Verfassungsänderungen auf dem Gebiet Abtreibung. Mitglieder sollten darin ausgebildet werden, Lobbying zu betreiben. Das Lobbying in Hinblick auf Abtreibung sollte unter anderem Kongressabgeordnete davon abhalten, Verfassungsänderungen wie »right-to-life of the foetus« zu verabschieden, und verhindern, dass Bundesstaaten restriktive Abtreibungsgesetze erließen. Eine Zusammenarbeit mit Planned Parenthood wurde angestrebt.89 In einem bundesweiten Lobbyprogramm »The Right to Choose« riefen Ann Scott und Jan Liebman von NOW dazu auf, gegen Verfassungsänderungen zu votieren, die das Urteil des Obersten Gerichtshofs zu Abtreibungen aufheben sollten. Das Programm sah vor, dass die Koordinatoren in den Zweigorganisationen die staatlichen Repräsentanten kontaktieren sollten: »The heart of the our [sic] program is constituent home lobbying by NOW chapters of their U. S. Senators and Representatives«.90 Entlang dem Abtreibungsurteil formierten sich zivilgesellschaftliche Organisationen, die entweder Wahlfreiheit propagierten oder ungeborenes Leben schützen wollten.
84 Williams, Defenders of the unborn, S. 207. 85 Munson, The making of pro-life activists, S. 84 f. 86 Karrer, The National Right to Life Committee, S. 553. 87 Williams, Defenders of the unborn, S. 216. 88 Ziegler, After Roe, S. 125, 135, 168. 89 Ann Scott, NOW, Legislative Program, [July 1973], Folder 21, Box 2, NOW, I, SchL, S. 4. 90 Ann Scott and Jan Liebman to State Legislative Coordinators, Abortion, [February 15, 1974], Folder 28, Box 2, NOW, I, SchL, S. 1. Hervorhebung im Original unterstrichen.
5. Das Watergate-Moment
Abb. 17: In diesem Gebäude begann einer der größten Politskandale der Nachkriegsgeschichte. Das Foto (ca. 1972–1974) vom Watergate-Bürogebäude und von Howard Johnson’s Motor Lodge diente als Beweisstück im Verfahren gegen die Einbrecher. Courtesy National Archives (NWCTF-21-USDISTCTDC-CRUSVLIDDY-GOVEX1&2).
Die Urteile des Supreme Court hatten den Geltungsbereich eines Rechts auf Privatsphäre konkretisiert und zwar in Hinblick auf intime, die Sexualität betreffende, Entscheidungen ausgeweitet und in Hinblick auf Abhörmaßnahmen in Fällen der nationalen Sicherheit gestärkt; in Hinblick auf pauschale präventive Überwachung und den Einsatz von geheimdienstlichen computerbetriebenen Datenbanken aber negiert. Damit waren zentrale verfassungsrechtliche Fragen geklärt. Politische Konflikte darum, wie das Verwalten von Personendaten oder der Einsatz von Abhörtechnologie reguliert werden solle, schwelten aber weiter. Es blieb das Bewusstsein bestehen, dass privacy in einer Krise steckte, dass Daten über Personen unkontrolliert gesammelt, gespeichert, verarbeitet und weitergegeben würden, dass Ermittlungsbehörden und Geheimdienste im Verborgenen Gruppen observierten, infiltrierten und manchmal sogar zer-
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rütteten. Gesetzesvorhaben, wie in Hinblick auf militärische Überwachung, Abhörmaßnahmen oder Datenschutz, scheiterten oder kamen nicht richtig voran. Das entscheidende Moment, das die vor sich hin dümpelnden Debatten wieder anfachte, war eine politische Krise um das Ausforschen des politischen Gegners, um Machtmissbrauch und Vertuschung. Präsident Nixon hatte viele Skandale, die sich um Überwachung drehten und von der Presse ans Licht gebracht wurden, von Vorgängerregierungen geerbt. Gleichwohl wollte er die entsprechenden Kompetenzen der Behörden weiter ausbauen. Mit dem Versuch, illegale Praktiken zu seinem persönlichen Vorteil zu nutzen und Behörden zu seinen eigenen Zwecken einzuspannen, ging er aber einen Schritt zu weit. Ausgehend von Unregelmäßigkeiten während der Kampagne für seine Wiederwahl fächerte sich langsam aber stetig eine Affäre nationaler Tragweite auf.
5.1 Streit um Abhörmaßnahmen: »Our right to have different views« Mit dem Argument, die nationale Sicherheit zu schützen, rechtfertigten Behörden Eingriffe in Privatsphäre, wie etwa das Abhören von Telefonaten und das Nutzen elektronischer Technologie zur Überwachung. Politik und Gerichte verhandelten diese Praktiken. Zwar befürwortete Präsident Nixon beschlusslose Abhörmaßnahmen, wenn die nationale Sicherheit betroffen erschien. Doch habe die staatliche Überwachung ein geringeres Ausmaß als angenommen, und das FBI höre nur in seltenen Fällen Personen ohne richterlichen Beschluss ab, wie Nixon in einem Interview im April 1971 erklärte. Insgesamt sei die Anzahl der Abhörmaßnahmen seit Beginn der sechziger Jahre stetig gesunken.1 Auch der Kongress führte die Debatte um Abhörmaßnahmen weiter. Kongressmitglieder der Demokraten nutzten das Thema Privatsphäre, um Oppositionsarbeit zu betreiben. Kurz nach dem Urteil zum Keith Case leitete Senator Edward M. Kennedy, Demokrat aus Massachusetts, am 29. Juni 1972 Anhörungen im Unterausschuss zu Administrative Practice and Procedure. In seinem Eingangsstatement bezog sich Senator Kennedy auf das Urteil und erklärte, dass »our right to be let alone, our right to privacy, our right to speak freely in public and in private, our right to have different views« vor zentralstaatlichen Eingriffen geschützt werden müssten.2 Wiederum war hier Privatsphäre verbunden mit politischen Rechten wie öffentlicher Meinungsäußerung. Für das Justizministerium sprach Kevin Maroney, Deputy Assistant Attorney General. Als Reaktion 1 Richard Nixon, Panel Interview at the Annual Convention of the American Society of Newspaper Editors, No. 144, April 16, 1971, in: ders. (Hg.), Containing the public messages, speeches, and statements of the president, S. 17. 2 U. S. Senate 1972, Warrantless Wiretapping, S. 2.
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auf das Urteil hatte der Attorney General veranlasst, dass Abhöranlagen abgebaut würden, die in Widerspruch zur Rechtsprechung stünden. Allerdings nahm die Regierung den Standpunkt ein, dass die Beschaffung von ausländischen Informationen nicht betroffen sei. Darüber hinaus sah der Präsident vorerst keinen Bedarf dafür, mit Gesetzesänderungen mögliche rechtliche Lücken zu schließen.3 Fast erschien es so, als verliefen die Initiativen und Debatten im Sand. Allerdings bahnte sich im Monat der Senatsanhörungen ein Skandal an, der in den folgenden zwei Jahren das politische Gefüge ins Wanken und Themen wie Überwachung in die Schlagzeilen bringen sollte. Am 17. Juni 1972 wurden Einbrecher, die Abhörtechnik mit sich führten, in Büroräumen der demokratischen Partei im Watergate-Komplex in Washington, DC, ertappt. Rasch kam der Verdacht auf, dass die Einbrüche auf das Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten zurückgingen. Erstmals berichtete die Washington Post im Dezember 1972 von einer mit dem Spitznamen »Plumbers« betitelte Gruppe, mit der die Regierung politische Gegner ausforschen ließ. Beispielsweise brach die Gruppe ins Büro des Psychiaters von Daniel Ellsberg ein, der die »Pentagon Papers« an die Presse weitergereicht hatte. Diese Dokumente betrafen eine Studie des Verteidigungsministeriums der Johnson-Regierung zum Vietnamkrieg.4 Ellsberg selbst wurde später wegen Verfahrensfehlern vom Vorwurf der Spionage freigesprochen, da Ermittler unter anderem Telefongespräche abgehört hatten.5 Mitarbeiter der Nixon-Regierung unternahmen Versuche, die Verbindungen zum Weißen Haus zu vertuschen, was später als Behinderung der Justiz ausgelegt wurde. In der sogenannten Watergate-Affäre führten Ermittler und Reporter weitere kriminelle Aktivitäten, die auf politische Gegner und die Opposition gerichtet waren, auf Mitarbeiter im Weißen Haus zurück. Außerdem erhob die Opposition den Vorwurf von Machtmissbrauch. Als Nixon im April 1973 im Zuge der Affäre eine Reihe von Beratern entließ, war er bereits politisch isoliert: »the presidency of Richard Nixon was over«.6 Die Affäre hinterließ tiefe Spuren in der politischen Landschaft. Die Privatsphäre politischer Persönlichkeiten wirkte beschädigt, Einbrüche, Miniaturmikrofone und angezapfte Telefonleitungen schienen zum politischen Alltagsgeschäft zu gehören. Die Gesetzgebung gewann mit der Watergate-Affäre um illegale Abhörmaßnahmen an Dynamik. Im Frühjahr 1974 nahm sich der Kongress des Themas Abhörmaßnahmen erneut an. Die Affäre lief mittlerweile auf hohen Touren. Mit den Themen Privatsphäre und Überwachung erhöhte der Kongress den Druck auf die Regierung. Im Repräsentantenhaus debattierte Robert W. Kasten 3 Ebd., S. 6 f., 12. 4 Kutler, The wars of Watergate, S. 112 ff., Zitat S. 112. 5 Donner, The age of surveillance, S. 248. 6 Kutler, The wars of Watergate, S. 218, Zitat S. 320.
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meier, Demokrat aus Wisconsin, im April die Themen beschlusslose Abhörmaßnahmen und elektronische Überwachung. Auf der Tagesordnung stand elektronische Überwachung als eine »most insidious invasion of privacy«.7 Die ACLU, die unter anderem Morton Halperin, dessen Telefonate als Regierungsmitglied im Zeitraum von Mai 1969 bis Februar 1971 abgehört worden waren, vor Gericht vertrat, betonte den Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Privatsphäre. Dieses »national security wiretap« hatte Henry Kissinger angeordnet, um herauszufinden, auf welchem Wege Fakten aus dem Weißen Haus unautorisiert an die Presse gelangten.8 In der Stellungnahme zu elektronischer Überwachung der ACLU erachtete Leon Friedman die Überwachung von politischen Gesprächen als schweren Eingriff in die Privatsphäre und Meinungsfreiheit: »there is an absolutely massive invasion of the privacy of an individual and a massive invasion in an area in which protection is absolutely essential«.9 Im Senat schlossen sich mehrere Ausschüsse zusammen, um das Thema Überwachung zu untersuchen. So sprach sich Senator McGovern gegen eine »violation of privacy« aus und bezog sich dabei auf Watergate, worin er den Höhepunkt einer jahrelangen Preisgabe von Verfassungsrechten im vermeintlichen Interesse der nationalen Sicherheit erkannte.10 Elektronische Überwachung galt als schwerwiegender Eingriff in die individuelle Privatsphäre. Es mussten rechtliche Grauzonen geklärt werden, wie die exekutiven Befugnisse gelagert waren, um Überwachung anzuordnen. Insgesamt zog in den frühen siebziger Jahren ein politisches Klima von Geheimhaltung und Überwachung auf, das sich in einem Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden niederschlug. Die Nation blickte auf einen Wildwuchs von Programmen, die unter Geheimhaltung und ohne parlamentarische Aufsicht entstanden waren. Wie weit die Kompetenzen der Behörden reichen durften, wenn es um Fälle der nationalen Sicherheit ging, war umstritten, und Politiker hatten allzu oft nationale Sicherheit als Vorwand genutzt, um eigenes Fehlverhalten zu verschleiern.
5.2 Das Thema Datenschutz im Aufwind: »A system that fails to respect its citizen’s right to privacy« Ähnlich wie mit dem Thema Überwachung verhielt es sich mit dem Thema Datenschutz. Datenschutz war ein trockenes und abstraktes Thema im politischen Betrieb. Zwar verhandelte der Kongress das Thema beständig, und Experten widmeten sich dem Einfluss von Computern auf die Privatsphäre in 7 U. S. House of Representatives 1974, Wiretapping and Electronic Surveillance, S. 3. 8 Ebd., S. 83. 9 Ebd., S. 88. 10 U. S. Senate 1974, Warrantless Wiretapping and Electronic Surveillance, S. 8.
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einigen Studien. Doch gab es in der Gesetzgebung außer der Regulierung von Kreditreporten von 1970 kaum Fortschritte. Zur Debatte stand neben einer Reform des Gesetzes zu Kreditreporten eine umfassende bundesweite Regulierung der Verarbeitung von Personendaten. Der Abgeordnete William S. Moorhead, Demokrat aus Pennsylvania, hielt im Juni 1972, dem Monat, als die Einbrüche, die später die Watergate-Affäre auslösten, vereitelt wurden, Anhörungen dazu ab, welche Akten die Bundesbehörden führten, und behandelte Gesetzesentwürfe, die teilweise unter dem Titel »Privacy Act« geführt wurden. Geladen war unter anderem Westin von der Columbia University, der in Begleitung von Hope Eastman die Ansichten der ACLU vertrat. Westin forderte ein starkes Gesetz, dass »rights of confidentiality« sowie ein »right-to-access« festschreibe, wobei aber die Frage zu klären sei, wie Quellen oder Informanten von Informationen vertraulich bleiben könnten.11 Als Änderungen des Gesetzes zu Konsumentenreporten anstanden, kamen erneut Vertreter von nicht-profitorientierten Organisationen zu Wort. Im Oktober 1973 sprach John Shattuck für die ACLU im Unterausschuss für Verbraucherkredite unter dem Vorsitz von Senator Proxmire. Shattuck bemerkte, dass er rechtlicher Berater eines Projekts der ACLU sei, welches »public and private data collection practices« und einen möglichen »effect on privacy« untersuche. Da Verfassungsrechte in der Privatwirtschaft nicht bestünden, sah die Organisation den Gesetzgeber in der Pflicht.12 Die ACLU äußerte sich regelmäßig zum Thema, wie Behörden mit Personendaten umzugehen hätten. Inzwischen hatte sich das Ministerium HEW der Frage angenommen, wie sich der Einsatz von Computern darauf auswirke, wie Daten über Personen verwaltet würden. Die Studie im Auftrag des HEW leitete Willis Ware von RAND. Um individuelle Rechte zu schützen, schlugen die Autoren einen Code of Fair Information Practice vor, mittels dessen sichergestellt werden sollte, dass Information akkurat sei und Personen einen Zugang zu Daten, die über sie gespeichert waren, erhielten.13 Unter anderem bezogen sich die Autoren auf Studien zum landesweiten Datenzentrum.14 Die Regierung erweiterte das Sammeln von Daten, anstatt es zu begrenzen, achtete aber darauf, diese vertraulich und zweckgemäß zu verwalten. Eine Handlungsoption betraf eine Weisung zur Landwirtschaftspolitik. Per executive order gewährte Präsident Nixon im Januar 1973 dem Agrarministerium Zugang zu Steuererklärungen von Landwirten. Obwohl strikte Regeln existierten, die »use of data and confidentiality of records« 11 U. S. House of Representatives 1972, Records Maintained by Government Agencies, S. 132 f., Zitat S. 132. 12 U. S. Senate 1973, Fair Credit Reporting Act, S. 630 ff., Zitat S. 631. 13 U. S. Dep. of Health, Education and Welfare 1973, Records, computers and the rights of citizens, S. 40 ff. 14 Ebd., S. 24.
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betrafen, stand die Praxis in der Kritik, in die Privatsphäre der Bauern einzudringen.15 Es wurde viel Papier bedruckt, und es wurden viele Bekenntnisse geäußert, aber es herrschte Stillstand. Es bedurfte eines externen Ereignisses, eines Skandals, der wieder eine Diskussion um Datenschutz anfachte, an der sich die Gemüter erhitzten. Die Watergate-Affäre katapultierte das Thema Privatsphäre und Daten wieder ins öffentliche Bewusstsein, so dass das Thema eine Priorität im politischen Betrieb erhielt.16 Prominente Fälle von Überwachung, wie sie in der Affäre an die Öffentlichkeit kamen, ließen Zweifel am Schutz der Privatsphäre von politischen Persönlichkeiten aufkommen. Gleichwohl war Datenschutz ein Thema, mit dem sich die Regierung profilieren wollte, weshalb Mitarbeiter im Weißen Haus daran arbeiteten, aus Debatten um privacy politisches Kapital zu schlagen.17 So versprach Präsident Nixon in seiner letzten Rede zur Lage der Nation am 30. Januar 1974, das »right of personal privacy« zu erklären und zu schützen.18 Dieser Rede widersprach unter anderem Senator Michael J. Mansfield, Demokrat aus Montana, der »illegal invasions of personal privacy by executive agents« beanstandete.19 Denn aus der Perspektive der oppositionellen Demokraten ergab sich ein anderes Bild, wonach sich Personal der Regierung selbst schuldig gemacht hatte, in die Privatsphäre von Personen einzudringen. In einer Radioansprache vom 23. Februar 1974 bekräftigte Nixon seine Haltung zu Privatsphäre und erklärte: »A system that fails to respect its citizen’s right to privacy fails to respect the citizens themselves«.20 In der Rede kündigte Nixon an, ein Regierungskomitee einzusetzen, das sich mit einem Gesetz zum Datenschutz befassen sollte. Nixon stand politisch unter Druck, da im selben Monat das Repräsentantenhaus einer Untersuchung für eine Amtsenthebung zugestimmt hatte. ACLU-Direktor Aryeh Neier würdigte zwar den Beitrag Nixons zu privacy, doch vermisse er den Aspekt von politischer Überwachung in der Rede.21 Aus Sicht der Organisation hatte die Regierung die Privatsphäre von Bürgern verletzt. Schon im Oktober des Vorjahres hatte die ACLU gefordert, den
15 Ken Cole, Memorandum for the President, March 24, 1973, Folder ›Access to Records 1/1/73–12/31/73 2/3‹, Box 21, WHCF, FE 14-1 [Ex], RNL, S. 1. 16 Bennett, Regulating privacy, S. 71. 17 Smith, Ben Franklin’s web site, S. 331 f. 18 Richard Nixon, Annual Message on the State of the Union Delivered Before a Joint Committee, No. 25, January 30, 1974, in: ders. (Hg.), Containing the public messages, speeches, and statements of the president, S. 2. 19 Kutler, The wars of Watergate, S. 444. 20 Richard Nixon, Radio Address About the American Right of Privacy, No. 59, February 23,1974, in: ders. (Hg.), Containing the public messages, speeches, and statements of the president, S. 195 f., Zitat S. 196. 21 U. S. Congress 1974, Privacy, The Collection, Use, and Computerization of Personal Data, Part 2, S. 1798.
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Präsidenten des Amtes zu entheben.22 Neier widmete sich später in dem Buch »Dossier« dem Thema Datenschutz.23 Die Strategie aus dem Weißen Haus lautete, der Kritik aus der Presse an Abhörmaßnahmen und Einbrüchen, wie sie in der Watergate-Affäre laut geworden war, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Demnach solle Nixon für das »right to privacy« einstehen, ein Recht, das den durchschnittlichen Bürger betreffe, wie etwa in Hinblick auf Informationen, die von der Bundesverwaltung erhoben würden. Dennoch bestand die Gefahr, mit eigenem Fehlverhalten konfrontiert zu werden: »charges can be laid at our own door for invasion of privacy«.24 Die kurzfristigen Handlungsoptionen erschienen allerdings beschränkt. Im März wurde die Weisung, Daten über Landwirte zu erheben, präzisiert, wonach die Anfragen rein statistischen Zwecken dienten und nicht auf die individuelle Situation von Bauern abzielten. Nixon eröffnete am 26. Februar 1974 die erste Sitzung des Domestic Council Committee on the Right of Privacy (DCCRP), dem Vizepräsident Ford vorstand. An das Komitee richtete Nixon die Frage, wie die Regierung mit der Erhebung der Daten über Bauern umgehen solle. Ford und Landwirtschaftsminister Earl L. Butz kamen überein, dass der Eindruck einer »invasion of the privacy of the farmers« im Verhältnis zum Nutzen für das Ministerium überwiege.25 Am 21. März 1974 zog Präsident Nixon die Weisungen zurück.26 Damit wollte Präsident Nixon ein Zeichen für den Schutz der Privatsphäre setzen, indem die Datenverarbeitung reguliert und Behörden Grenzen gesetzt werden sollten. Auch der Prozess der Gesetzgebung kam langsam in Fahrt. So publizierte der Senatsausschuss zu Verfassungsrechten 1974 einen sechsbändigen Bericht über Datenbanken in der Bundesverwaltung, von denen viele computerbetrieben waren. Laut den Autoren handelte es sich bei der Studie »Federal Data Banks and Constitutional Rights« um eine »study of privacy«, wobei sie unter privacy die Fähigkeit eines Individuums verstanden, selbst zu bestimmen, welche Fakten über sich gesammelt und verbreitet würden. Darüber hinaus bestehe ein subjektives Empfinden von »self-determination and control over information«.27 Die Autoren bezogen sich unter anderem auf Datenbanken für »political intelligence«.28 Damit knüpfte die Studie an die Debatte um Überwachung durch die Armee an, die Geheimdienstberichte mit Computern verwaltet hatte. Der Gesetzgeber war gefordert. 22 Walker, In defense of American liberties, S. 292–295. 23 Vgl. Neier 1975, Dossier. 24 Geoff Shepard, Meeting with Domestic Council Committee on Privacy, February 25, 1974, Folder ›FG 6-15-1, DCC Privacy 1971–74‹, Box 16, WHSF, SFCF, RNL, S. 1 f., Zitat S. 2. 25 Geoff Shepard, Memorandum for the President, March 12, 1974, Folder ›Access to Records 3/15/74–4/30/74‹, Box 22, WHCF, FE 14-1 [Ex], RNL, S. 1 f., Zitat S. 1. 26 Executive Order 11773, [March 21, 1974], Folder ›Access to Records 3/15/74–4/30/74‹, Box 22, WHCF, FE 14-1 [Ex], RNL, S. 1. 27 U. S. Senate 1974, Federal Data Banks and Constitutional Rights, S. 1. 28 Ebd., S. 4.
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Darüber hinaus stand zur Debatte, wie weit staatliche Geheimhaltung reichen sollte, hatten Behörden doch weitreichende Programme etabliert, um Personen zu überwachen, und Regierungsmitglieder standen im Verdacht, illegale Handlungen zu vertuschen. Auf der Grundlage von Berichten arbeitete der Kongress seit 1973 an Änderungen des FOIA. In Anhörungen zum FOIA bildeten die Ausnahmen zu Privatsphäre ein kontroverses Thema. Es traten Zielkonflikte auf, dass einerseits Personen Einsicht in Akten erhalten sollten, um Verletzungen der Privatsphäre nachzugehen, andererseits aber Regierungsbehörden im Interesse der Privatsphäre Dokumente wie Ermittlungsakten zurückhalten dürften. Diesen Unterschied stellte die Abgeordnete Bella S. Abzug, Demokratin aus New York, in Anhörungen im März 1973 heraus. So bezweifelte Abzug in einer Befragung von Buzhardt, General Counsel DOD, dass Geheimhaltung die Privatsphäre schütze: »that the Government is protecting the individual right to privacy, where under our constitutional view it was the right of privacy of the individual should not be invaded by Government«.29 Hinter diesem Widerspruch standen verschiedene Auffassungen von privacy, wonach zum einen Behörden die Vertraulichkeit von Informationen sicherstellen mussten und sich der Staat zum anderen aus Belangen von Bürgern heraushalten solle. Dabei verwies Abzug auf die Möglichkeit, dass Behörden verdachtslos und nicht zielgerichtet Fakten über Personen sammeln könnten. Organisationen, die für Bürgerrechte eintraten, warben für einen besseren Zugang zu Regierungsdokumenten. Weitreichende Geheimhaltung konnte einem Schutz der Privatsphäre zuwiderlaufen: »ACLU leaders had long warned that secrecy was only one part of a larger problem – the power of the executive branch to impinge upon the privacy of individuals«.30 Bereits nach Inkrafttreten des FOIA glaubte die ACLU, dass die Exekutive den Zugang zu Akten behindern könne, solange eine Aufsicht fehlte. Als sich Schwächen des Gesetzes in der Praxis zeigten, unterstützte die Organisation die Pläne des Abgeordneten Moorhead zu einer Reform.31 Jedoch bestand umgekehrt das Problem, dass eine Herausgabe von Akten die Privatsphäre der darin vermerkten Personen betreffen könnte. Dieses Konflikts war sich die ACLU bewusst. In Anhörungen bemerkte Shattuck von der ACLU, dass »privacy-invading documents« nicht dazu dienen sollten, andere Dokumente zu verbergen. Ferner schlug die Organisation vor, dass Dokumente vor einer Herausgabe von personenbezogenen Informationen bereinigt werden könnten: »deletion wherever possible of the names and identifying information which would invade privacy, and then to release the documents«.32 Dieser Vorschlag sollte dazu beitragen, den Konflikt zwischen Privatsphäre und Transparenz zu lösen. 29 U. S. House of Representatives 1973, The Freedom of Information Act, S. 214. 30 Scott, Reining in the state, S. 179. 31 Ebd., S. 130 f. 32 U. S. House of Representatives 1973, The Freedom of Information Act, S. 256.
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Im Frühjahr 1974 lagen unterschiedliche Entwürfe zur Änderung des FOIA vor. Schließlich verhandelte eine vermittelnde Konferenz eine Kompromissfassung.33 Das Repräsentantenhaus stimmte im März 1974 für Änderungen des FOIA. Zwar entstand im Justizausschuss des Senats eine Vorlage, die der Regierung annehmbar erschien, doch stimmte der Senat im Mai für eine abgeänderte Fassung. Aus Sicht der Nixon-Regierung enthielten beide Entwürfe problematische Passagen.34 Ziel der Gesetzesentwürfe war es, mehr Offenheit der Behörden zu erreichen und unter anderem Gerichte in camera, das heißt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, über die Herausgabe von Dokumenten entscheiden zu lassen. Die Empfehlung an Präsident Nixon vom 2. Juli 1974 lautete, das Gesetz abzulehnen und darauf zu hoffen, dass ein Veto im Senat standhalten würde.35 Liberale Oppositionspolitiker sahen in der Informationsfreiheit einen Weg, wie Personen möglichen Verletzungen der Privatsphäre nachgehen könnten. Hingegen argumentierte die konservativ geführte Regierung, dass bestimmte Dokumente unter Verschluss bleiben müssten, um eine Verletzung der Privatsphäre zu verhindern. Erstere Position gewann gegenüber letzterer Position an Zustimmung, als sich herausstellte, wie Regierungsmitglieder unter dem Schleier der Geheimhaltung illegale Handlungen begangen und eine Aufklärung behindert hatten.
5.3 Lauschangriff im Weißen Haus: »All this is in the public area as well as the private area« Im Zuge der Watergate-Affäre eskalierte der Streit zwischen der Geheimhaltung der Regierung und dem Anspruch auf Fakten, den Kongress und Medien anmeldeten. Unter anderem machte Nixon das »Executive privilege« geltend, um seine Aussage vor dem Senatsausschuss und die Herausgabe von Dokumenten zu verweigern. Wie Nixon in einem Brief an Senator Ervin darlegte, handele es sich bei Dokumenten des Präsidenten und seiner Mitarbeiter um private Angelegenheiten, die sich einer öffentlichen Begutachtung entzögen: »No President could function if the private papers of his office, prepared by his personal staff, were open to public scrutiny«.36 Hier verwischte Nixon die Grenzen zwischen Privatperson und Amtsperson. Beim Versuch, Dokumente vorzuenthalten, musste Nixon einige Niederlagen hinnehmen. Im Senat wurde staatliche Ge 33 U. S. Senate 1975, Freedom of Information Act and Amendments of 1974, S. 111 f. 34 Roy L. Ash, Memorandum for the President, June 28, 1974, Folder ›FOI, 6/18-81716/74‹, Box 5, O’DonnellJenckesFs, GFL, S. 1 f. 35 Ken Cole, Memorandum for the President, July 2, 1974, Folder ›Access to Records 5/1/74–8/9/74‹, Box 22, WHCF, FE 14-1 [Ex], RNL, S. 1. 36 [Richard Nixon] to Sam Ervin, July 6, 1973, Folder ›Access to Records 1/1/73–12/31/73 3/3‹, Box 21, WHCF, FE 14-1 [Ex], RNL, S. 2.
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heimhaltung debattiert. Etwa kritisierte Senator J. William Fulbright, Demokrat aus Arkansas, eine willkürliche Geheimhaltung der Exekutive, da Regierungs mitgliedern ein gewisses Maß an Vertraulichkeit zustehe, ohne aber eine Immunität zu gewähren: »The privilege goes to the information between a visitor to the President and the President or vice versa, to give them a degree of privacy in their communication«.37 Wie weit die Privatsphäre des Präsidenten reichen sollte, beschäftigte die Gerichte auf dem Höhepunkt von Watergate, was Dokumente, aber auch Gespräche, aus dem Weißen Haus anbelangte. Die Watergate-Affäre entfachte einen hitzigen Streit um das Abhören und Ausforschen des politischen Gegners. Daher erschien es wie eine Ironie der Geschichte, dass das Auffinden von Tonbandaufnahmen von Gesprächen im Weißen Haus eine unerwartete Wendung brachte. Der Inhalt der Gespräche konnte Aufschluss über die Rolle von Regierungsmitgliedern und des Präsidenten selbst liefern. Bei einer Befragung im Juli 1973 erfuhren Ermittler des Senatsausschusses, dass der Secret Service auf Weisung des Präsidenten eine Tonbandanlage, die automatisch sämtliche Gespräche aufzeichnete, in dessen Büroräumen installiert hatte. Nachdem der Senatsausschuss von der Anlage erfahren hatte, forderte er eine Herausgabe der Bänder, was Nixon verweigerte. Daraus entwickelte sich ein rechtlicher Konflikt um Geheimhaltung, Privatsphäre und Öffentlichkeit. Nixon bereute bald, die Bänder bereits Ende April 1973 nicht einfach zerstört zu haben, wie er bei einem Krankenhausaufenthalt notierte. Nach Bekanntwerden der Existenz der Bänder erschien es unklug, diese zu löschen. Schließlich forderte Sonderermittler Archibald Cox Bänder aus dem Weißen Haus an.38 Nixon beschloss im Oktober, den Sonderermittler zu entlassen, woraufhin Attorney General Elliot L. Richardson sowie sein Stellvertreter William D. Ruckelshaus zurücktraten, was als Saturday Night Massacre in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Für Aufsehen sorgte im gleichen Monat die Nachricht von zwei verschwundenen Bändern. Des Weiteren hatte Nixons Sekretärin angeblich versehentlich Passagen auf einem Band gelöscht, woraufhin Experten allerdings erklärten, dass die Lücke von achtzehneinhalb Minuten kaum zufällig entstanden sein könne. Zwar gab Nixon schließlich einige Bänder frei, doch verweigerte er eine erneute Anfrage des neuen Sonderermittlers Leon Jaworski, woraufhin Richter John J. Sirica ein Berufungsverfahren einleitete.39 Wiederum geriet der exekutive Anspruch auf Geheimhaltung mit dem öffent lichen Interesse an Informationen in Konflikt. Vor dem Obersten Gerichtshof der USA unterlag der Präsident schließlich im Fall United States v. Nixon.
37 U. S. Senate 1973, Executive Privilege, Secrecy in Government, Freedom of Information, S. 65 f., Zitat S. 66. 38 Kutler, The wars of Watergate, S. 368 ff., 385 ff., 389. 39 Ebd., S. 429 f., 467 f.
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Der springende Punkt in der Affäre lag in der Überschneidung zwischen der öffentlichen Amtsperson des Präsidenten und seiner Privatperson. Nixon hatte seine amtlichen Befugnisse dazu gebraucht, um seine privaten Interessen durchzusetzen und die Affäre zu vertuschen. Den Verdacht, dass Nixon von der Vertuschung der Affäre wusste, erhärtete ein aufgezeichnetes Gespräch auf einem Tonband aus dem Weißen Haus, das als Smoking Gun bekannt wurde. So hatten Nixon und sein damaliger Stabschef Harry Robbins Haldeman im Juni 1972 versucht, den Geheimdienst CIA darauf anzusetzen, die Ermittlungen des FBI zu den Einbrüchen im Watergate-Komplex auszubremsen.40 Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die ebenfalls Abhörmaßnahmen und Überwachung angeordnet hatten, agierte Nixon aus persönlichen Motiven, was als Missbrauch von Macht interpretiert werden kann: »Nixon’s abuses of power were singular in the history of the presidency«.41 Nixon war sich dieser Spannung zwischen dem öffentlichen und seinem privaten Interesse bewusst, wie ein Gespräch auf einer weiteren Bandaufnahme nahelegt. Als im Mai 1973 die Behinderung der Ermittlungen aufzufliegen drohte, bemerkte der ehemaligen Haldeman-Mitarbeiter Lawrence Higby in einem Telefonat, dass Haldeman die Affäre in der »national-security area« verorten wolle. Daraufhin sagte Nixon: »what I mean, is that all this is in the public area as well as the private area and so forth«.42 Diese Grenze zwischen öffentlichem und privatem Interesse verschwamm zusehends. Es war eine gängige Praxis im Weißen Haus, heikle Vorgänge, die unangenehme Fragen provozieren konnten, in der Kategorie der nationalen Sicherheit einzuordnen. Entscheidend erschien, ob die Sicherheit des Landes betroffen war oder der Präsident seinen eigenen Posten absichern wollte. Nixon deutete in dem Gespräch auf eine Gemengelage zwischen privaten und öffentlichen Motiven hin. Das Aufzeichnen von Gesprächen auf Tonbändern erachtete Nixon als Privatsache und wollte die Bänder einer Kontrolle durch Institutionen entziehen. Um seine eigene Person zu schützen, berief sich Nixon wiederum auf exekutive Befugnisse des Amtes, als er die Herausgabe der Bänder verweigerte. Machtmissbrauch und Behinderung der Justiz lauteten die Vorwürfe im Beschluss des Repräsentantenhauses, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Nur vereinzelt nahmen Abgeordnete Bezug auf Privatsphäre, wie »the sanctity of the right of privacy« oder »the right to be free from Government interference in his privacy«43, als der Justizausschuss Ende Juli 1974 den Beschluss debattierte. Auch im Bericht des Senate Watergate Committee spielte der Aspekt Privatsphäre eine untergeordnete Rolle. So hieß es darin lediglich, dass der Aus 40 Walker, Presidents and civil liberties from Wilson to Obama, S. 360. 41 Ebd., S. 316. 42 [The White House], The President and Lawrence M. Higby, May 14, 1973, in: Kutler, Stanley I. (Hg.), Abuse of power, S. 2. 43 U. S. House of Representatives 1974, Debate on Articles of Impeachment, S. 79, 442.
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schuss zu »unlawful violations of privacy« ermittelt habe und die Vorschriften zu Abhörmaßnahmen aus Titel III des Safe Streets Act unzureichend seien, um Bürger vor »unjustified invasions of privacy« zu schützen.44 Um dem Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen, trat Nixon schließlich im August 1974 vom Amt des Präsidenten zurück. Letztendlich scheiterte die Regierung an dem Versuch, die Vertuschung der Affäre selbst zu vertuschen: »a cover-up of that cover-up«.45 Die Affäre schärfte das Bewusstsein für Privatsphäre. Personen aus dem Umfeld des Weißen Hauses waren in die Privatsphäre von politischen Persönlichkeiten eingedrungen, hatten Einbrüche begangen, Wanzen angebracht, Steuerakten und Krankenberichte ausgeforscht. Darüber hinaus verfestigte sich der Eindruck, dass staatliche Institutionen wie Geheimdienste außer Kontrolle geraten waren. Der Anspruch auf privacy steckte in einer Krise.
44 U. S. Senate 1974, The Final Report of the Select Committee on Presidential Campaign Activities, S. 104. 45 Kutler, The wars of Watergate, S. xxi.
6. Gouvernementalität und Privarität am Scheidepunkt
Abb. 18: War zugleich Anwalt und Nemesis des »Right to Privacy«: Richard Nixon. Das Foto vom 17. September 1971 zeigt Nixon an der Bowlingbahn des Weißen Hauses. Courtesy Richard Nixon Presidential Library and Museum (WHPO 7290-31A).
Ein Ausblick auf die Gestalt einer Sicherheitsgesellschaft bot sich den US-Amerikanern in den frühen siebziger Jahren, als Details bekannt wurden, wie weit staatliche Institutionen das Leben von Bürgern überwachten. Nach und nach berichteten Zeitungen von Programmen der Geheimdienste. Unter dem Druck der Öffentlichkeit reformierte die Armeebehörde die Geheimdienstarbeit und beschränkte die Überwachung von Zivilisten stark. Die Verantwortlichen verfolgten aber eine restriktive Informationspolitik, was es dem Senat erschwerte, die Angelegenheit aufzuklären. Ein Mangel an Dokumenten erschwerte es auch den Anwälten der ACLU, einen justiziablen Fall gegen die Überwachung aufzubauen. Der Oberste Gerichtshof wies die Klage als unbegründet ab. Weitreichende Geheimhaltung wirkte hier in mehrfacher Hinsicht als Gift für die Privatsphäre, fand doch Überwachung im Verborgenen statt und war schwer zu beweisen. Die geheimdienstliche Tätigkeit der Armee bildete erst die Spitze eines Eisbergs. Ein weiteres Programm, das auf Dissidenten und politische Gruppen abzielte, unterhielt das FBI. Die geheimen COINTELPROs, um politische Gruppierungen zu zerrütten, liefen bereits seit Jahren, bis Zeitungen 1971 über sie berichteten.
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Das Bekanntwerden von geheimdienstlichen Programmen, die im Namen der Sicherheit auf die inländische Bevölkerung abzielten, löste eine politische Krise der Privatsphäre aus. Damals wie heute traten »abuses of privacy« auf, wenn die Exekutive den Geheimdiensten einen weiten Freiraum einräumte, diese ihre Befugnisse überschritten und Ziele von Überwachung nach eigenen politischen Ansichten auswählten.1 Die Nixon-Regierung verstärkte dieses Vorgehen im Vergleich zur Johnson-Regierung weiter. Extremistische und radikale Dissidenten vermuteten die Behörden unter Kriegsgegnern, Studierenden, afroamerikanischen Aktivisten und bisweilen auch unter rechten Organisationen. Die Regierung plante ein umfassendes Programm, das auch Auslandsgeheimdienste einbinden sollte. Außerdem standen Abhörmaßnahmen unter dem Banner der nationalen Sicherheit in der Kritik. Der Praktik beschlussloser Lauschaktionen schob der Oberste Gerichtshof im Jahr 1972 einen Riegel vor. Der Vietnamkrieg hatte das Verhältnis des Staates, insbesondere der Sicherheitsbehörden, zu den Bürgern, insbesondere der Friedensbewegung, empfindlich gestört. Mit dem Rückzug der US-Truppen aus Vietnam klangen auch die Proteste langsam ab. Die USA förderten weiterhin den Süden des Landes, dessen Militär mit massiver amerikanischer Luftunterstützung 1972 eine Invasion während der Osteroffensive des Nordens abwenden konnte.2 Erste Friedensverhandlungen im Oktober und ebenso im Dezember 1972 führten zu keiner Einigung. Dennoch erzielten die verhandelnden Parteien Fortschritte, als Nordvietnam, auch auf Druck seiner Verbündeten China und der Sowjetunion hin, Zugeständnisse machte.3 Noch bevor die Parteien an den Verhandlungstisch zurückkehrten, ordnete Nixon Ende des Jahres schwere Bombardements in Nordvietnam an. Schließlich kam im Januar 1973 das Pariser Abkommen zustande, dem wiederum der Süden des Landes nur widerwillig zustimmte. Auch aus Sicht einiger US-amerikanischer Beobachter ließen der vollständige Truppenrückzug und der Verbleib kommunistischer Einheiten im Süden das Abkommen wie eine Bankrotterklärung der USA erscheinen.4 Es blieb abzuwarten, ob die Regierung das Versprechen, die südvietnamesische Regierung gegen Angriffe zu unterstützen, halten konnte. Um die Situation im eigenen Land zu befrieden, waren die USA zu weitgehenden Zugeständnissen an den Norden bereit und sahen sich damit der Kritik ausgesetzt, den Süden im Stich zu lassen. Teilweise schwanden die Anlässe, Kriegsgegner bis in ihre Privatsphäre hinein zu beobachten, als Proteste abflauten, teilweise hatten die Behörden den Überwachungsapparat auf öffentlichen Druck hin zurückgefahren.
1 Theoharis, Expanding U. S. Surveillance Powers, S. 531. 2 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 186 ff. 3 Asselin, Vietnam’s American war, S. 197. 4 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 194 ff.
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Privacy gerät während der Präsidentschaft Richard Nixons in eine Krise
Die Debatte um das Bevölkerungswachstum lief weiter, und eine Kommission befasste sich in diesem Zusammenhang auch mit Familienplanung, Verhütung und Abtreibung. Allerdings distanzierte sich Präsident Nixon, der eine abtreibungskritische Politik verfolgte, von dem abschließenden Bericht. Unterdessen entschieden sich einige Bundesstaaten für ein liberales Abtreibungsrecht. Dem Bundesstaat New York kam dabei eine Modelfunktion zu. Es stellte sich die Frage, wie das Recht auszugestalten sei und ein Zugang zu Informationen und medizinischen Diensten geboten werden könne. Diesbezüglich engagierte sich die Organisation Planned Parenthood in New York und kooperierte teilweise mit Behörden. Gleichzeitig regte sich Protest gegen Abtreibungen, und es formierte sich ein Right to Life Committee. Abtreibungsgegner zielten insbesondere auf die Finanzierung mit öffentlichen Mitteln ab. Dieser Konflikt weitete sich später landesweit aus. Gesellschaftliche Argumente für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch führte NOW an, wonach dieses Recht bedeutsam sei, um eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Insgesamt war die Frauenbewegung in der Abtreibungsfrage zerstritten. Eine Wende brachte die Entscheidung des Supreme Court, frühe Abtreibungen zu legalisieren. Das Recht auf Privatsphäre umfasste laut dem Urteil die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen. Kritiker des Urteils hoben indes den Schutz des ungeborenen Lebens hervor. Präsident Nixon erbte zwar viele Programme und Probleme, welche als Krise von privacy antizipiert wurden, von seinen Vorgängern, doch löste er mit seinem Vorgehen einen politischen Skandal aus, der dem Unbehagen über staatliche Überwachung einen Namen gab: Watergate. In der Watergate-Affäre stellte sich heraus, dass Mitarbeiter der Nixon-Regierung zu unlauteren Zwecken geheimdienstliche Methoden eingesetzt hatten, vermutlich mit dem Wissen des Präsidenten persönlich. Beim Versuch, Vorwürfe zu vertuschen, verstrickte sich Nixon in Widersprüche, so dass der Vorwurf des Machtmissbrauchs und der Behinderung der Justiz ihn schließlich zum Rücktritt zwang. Die Affäre war ein entscheidendes Moment in der Krise von privacy und gab Debatten um Datenschutz, Überwachung und Informationsfreiheit neue Impulse. Nixon präsentierte sich selbst als Verfechter der Privatsphäre, der den Fall der Familie Hill vor Gericht vertreten hatte, und unterzeichnete in seiner Amtszeit den FCRA, um den Handel mit Kreditreporten zu regulieren. Des Weiteren ließen die NAS sowie das HEW in Studien untersuchen, wie sich neue Technologie der Computerdatenbanken auf die Privatsphäre der Bürger auswirke. Es folgte der Senat mit einem mehrbändigen Bericht. Das Vorhaben eines Bundesgesetzes für Datenschutz erhielt wegen der Watergate-Affäre unverhofften Zuspruch. Ebenso prägte die Affäre die Debatten um Abhörmaßnahmen. Nixons Nachfolger Ford fiel die Aufgabe zu, die Wogen zu glätten.
IV. Ein Konsens zu privacy entsteht unter Gerald Ford
Die Regierungskrise, die im Rücktritt Nixons kulminierte, strahlte auf den politischen Betrieb insgesamt aus. Bei seiner Vereidigung erklärte Präsident Ford: »our long national nightmare is over«.1 Es stand die Aufgabe an, den Schaden zu begrenzen und das Misstrauen der US-Bürger in staatliche Institutionen zu reduzieren. Dazu gehörte es aus Sicht Fords auch, seinen Vorgänger von Anschuldigungen freizusprechen und zu begnadigen. Der Vietnamkrieg hatte zu innenpolitischen Zerwürfnissen geführt und die Regierung veranlasst, Kriegsgegner als Dissidenten zu überwachen, da sie eine ausländische Infiltration vermutete. Mit dem Versprechen, die Regierung in Südvietnam weiterhin zu unterstützen, hatten sich die USA aus dem Krieg herausgezogen. Doch Präsident Nixon war durch die Watergate-Affäre geschwächt gewesen, und auch sein Nachfolger Ford konnte die Versprechen nicht vollständig halten. Von anderthalb Milliarden beantragten Dollar bewilligte der Kongress etwas weniger als die Hälfte.2 Das waren immerhin mehrere hundert Millionen Dollar, doch nur ein Bruchteil der Summen aus den Vorjahren. Die USA erschienen kriegsmüde und des Konflikts in einem fernen Land überdrüssig, den die Exekutive mitunter über die Köpfe der Bevölkerung hinweg führte. Auch die »Pentagon Papers« über die Situation in Vietnam gehörten zu den großen Enthüllungen der Zeit, die das Vertrauen in die Regierung erschütterten. Nun war es an der Zeit, die innenpolitischen Wunden zu versorgen. Die Situation hatte ein Krisenbewusstsein über Ansprüche der Bürger auf privacy hervorgerufen, da nichts vor Behörden, Ermittlern oder von Regierungsmitgliedern angeheuerten Einbrechern sicher erschien: von Steuerakten über psychologische Unterlagen bis hin zu Gesprächen hinter verschlossenen Türen oder am Telefon. Ford wollte privacy wieder stärken. Allerdings musste er staatliche Ansprüche auf Informationen sowie auf Geheimhaltung berücksichtigen. Unter dem Eindruck der Watergate-Affäre und der Exzesse der Geheimdienste im Inland suchte Präsident Ford nach einem Ausgleich zwischen »openness and secrecy«, so dass beispielsweise Gerichte und Kongress auch in die nationale Sicherheit betreffenden Fällen eine Aufsicht über geheimdienstliche Arbeit erhalten sollten.3 In diesem politischen Klima kam ein Programm der CIA über 1 Zitiert nach: Cannon, Gerald R. Ford, S. 27. 2 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 200. 3 Graham, Presidents’ secrets, S. 133 f., Zitat S. 133.
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Ein Konsens zu privacy entsteht unter Gerald Ford
Spionage im Inland an die Öffentlichkeit, mit dem sich eine Kommission unter Vizepräsident Nelson Rockefeller befasste. In Reaktion auf die Skandale untersuchten Kongressausschüsse die Arbeit der Geheimdienste, eine Revision, die umstritten blieb. Während konservative Autoren und Politiker den Standpunkt vertreten, dass die Untersuchungen zu weit reichten, betonen liberale Stimmen, dass die Geheimdienste gestärkt und einer effektiven Kontrolle untergeordnet wurden.4 Der sogenannte Church-Bericht trug eine Reihe zweifelhafter Praktiken der In- und Auslandsgeheimdienste ans Licht. Des Weiteren arbeitete der Gesetzgeber daran, Überwachung in die nationale Sicherheit betreffenden Fällen zu regulieren. Wie empfindlich das Verhältnis zwischen Geheimhaltung und einem Anspruch auf Wissen war, zeigte der Streit um eine Reform der Informationsfreiheit, in dem Ford schließlich unterlag. Zur Informationspolitik gehörte auch das Thema Datenschutz. Bereits als Vizepräsident saß Ford einem Regierungskomitee für das Recht auf Privatsphäre vor. Nun setzte er seine Bemühungen, Regeln für den Datenschutz zu erarbeiten, fort. Schon kurz nach Regierungsantritt unterzeichnete Ford ein Gesetz, das Studierenden und Eltern eine Einsicht in Schulakten gewähren sollte. Weiterhin arbeitete der Kongress an einem Gesetz zum Datenschutz auf Bundesebene. Die ambitionierten Pläne aus dem Senat verwässerte das Repräsentantenhaus jedoch mit Unterstützung Fords. Mit dem Urteil, dass das Recht auf Privatsphäre die Entscheidung umfasse, eine Schwangerschaft abzubrechen, haderte Ford allerdings. Als Abgeordneter im Repräsentantenhaus hatte Ford den Vorschlag für eine Verfassungsänderung unterstützt, wonach die Abtreibungspolitik den Bundesstaaten überlassen bleiben solle. Entsprechend galt die Kontroverse in Hinblick auf die nächsten Wahlen dem Weißen Haus als »one of the most emotional and volatile issues«.5 Jedoch musste sich die Regierung nach der Rechtsprechung richten, die eine Entscheidung zu einer frühen Abtreibung als Teil der Privatsphäre wertete. Demgegenüber bekundete Präsidentengattin Betty Ford 1975 in einem prominenten Fernsehinterview, dass sie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu Abtreibungen unterstütze.6 Zivilgesellschaftliche Organisationen versuchten, sich mit entgegengesetzten Positionen pro life oder pro choice bei Politikern Gehör zu verschaffen.
4 Johnson, A season of inquiry revisited, S. xvii, 272 ff. 5 Ken Cole, Memorandum for the President, September 6, 1974, Folder ›Welfare Abortions‹, Box 51, PHWF, GFL, S. 1 ff., Zitat S. 1. 6 Igo, The known citizen, S. 274 ff.; Wandersee, On the move, S. 158.
1. Grenzen der Gouvernementalität
Abb. 19: Große Teile der Frauenbewegung unterstützten den freien Zugang zu Abtreibungen. Das Foto zeigt Aktivistinnen auf der National Women’s Conference im Jahr 1977. Courtesy National Archives (220-WC-118H).
In der politischen Krise erschienen die staatlichen Institutionen außer Kontrolle geraten zu sein, häufig zum Schaden einzelner Personen. Die Öffentlichkeit erfuhr sukzessive von geheimen Programmen, in denen die Bevölkerung überwacht wurde, und davon, dass die Spitze der Exekutive eine informelle Gruppe für illegale Aktionen unterhalten hatte und deren Existenz vertuschen wollte. Das Gebot der Stunde lautete, gouvernementale Praktiken einzugrenzen und ein Zutrauen in die Institutionen wiederherzustellen. Dies ging nicht ohne Konflikte über die Bühne, denn die Dienste beklagten sich, in ihrer Arbeit eingeschränkt zu werden. Parallel dazu schritt die Aufarbeitung der Praktiken des Sicherheitsapparats voran, dessen Dienste, wie sich herausstellte, bestens vernetzt waren. Dass Politiker und Bundesstaaten eine Begrenzung ihrer Kompetenzen nicht bereitwillig hinnahmen, zeigte sich in der Abtreibungsdebatte, in der finanzielle Hürden und erneute Regulierungen verhandelt wurden.
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Ein Konsens zu privacy entsteht unter Gerald Ford
1.1 Regeln für elektronische Überwachung: »The governmental secrecy issue« Zu Beginn der Ford-Regierung sorgte ein Fall von Überwachung ausländischer Vertretungen für Aufsehen. Darüber unterrichtete Außenminister Henry Kissinger den Präsidenten und empfahl, das Programm weiterlaufen zu lassen. Es ging unter anderem um Fälle von »110 Telephone Surveillances«, »16 Microphone Surveillances« sowie »80 Technical Surveillances of Teletype Facilities of Foreign Establishments in the United States (TELEX)«, die vorwiegend Botschaften zum Ziel hatten.1 Insgesamt versuchte die Regierung, in Bezug auf Abhörmaßnahmen zu beschwichtigen. Weiterhin debattierte der Kongress verschiedene Gesetzesentwürfe, die elektronische Überwachung zum Zweck der nationalen Sicherheit regulieren sollten. Der Gesetzgeber wollte die Privatsphäre im Sinne des vierten Verfassungszusatzes schützen, wozu die Rechtsprechung ihn angehalten hatte. Das Argument des öffentlichen Anspruchs auf Sicherheit war in Zweifel geraten, da der zurückgetretene Präsident mit diesem Argument seine politischen Gegenspieler überwachen und Affären verschleiern ließ. In seinem Statement in einem Senatsausschuss im Oktober 1974 bezog sich Senator Gaylord A. Nelson, Demokrat aus Wisconsin, auf die Watergate-Affäre, in der Präsident Nixon geraten worden sei, den Einbruch in das Büro von Ellsbergs Psychiater als Fall der nationalen Sicherheit auszugeben. Diesbezüglich betonte Nelson »the dimensions of invasion of privacy«.2 Nationale Sicherheit und Privatsphäre standen hier in Opposition zueinander. Sicherheit sollte der Regierung aus Sicht der Kritiker nicht als Blankoscheck dienen, um Personen zu überwachen und in persönliche Bereiche wie die mentale Gesundheit vorzudringen. Auch der Abgeordnete Kastenmeier führte die Anhörungen zu Überwachung im Jahr 1975 fort.3 Dabei bezeichnete Kastenmeier das beschlusslose Abhören von Telefonen sowie elektronische Überwachung als besonders heimtückisch, da Personen häufig in Unkenntnis darüber blieben: »without the subject ever knowing that his privacy is being or has been invaded«.4 Das staatliche Geheimnis wirkte sich aus Sicht des Abgeordneten zum Schaden für die Privatsphäre aus. Als Vertreter der ACLU war Shattuck geladen, der Kläger vor Gericht vertrat, die von staatlichen Stellen überwacht worden waren. Dabei sprach Shattuck »the governmental secrecy issue« als ein Problem in den Gerichtsverfahren an, da einiges Material in den Fällen einer 1 Henry A. Kissinger, Memorandum for the President, declassified NLF-BIS-114-3-3-6, [October 1974], Folder ›PWBuchenFs, Intelligence Series (16)‹, Box 36, RACP, GFL, S. 5 ff., Zitat S. 6, 7. 2 U. S. Senate 1974, Electronic Surveillance for National Security Purposes, S. 49. 3 Regan, Legislating privacy, S. 126. 4 U. S. House of Representatives 1975, Surveillance, S. 2.
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»protective order« unterlag.5 Abermals standen der private Anspruch auf Wissen und der öffentliche Anspruch auf Geheimhaltung in einem Konflikt. Unterdessen diskutierten Regierungsmitglieder die Frage, welche Regeln Behörden in Fällen der nationalen Sicherheit befolgen sollten, um Gespräche von Personen abhören zu dürfen. In einer rechtlichen Grauzone stand die Frage, ob der Bund in Fällen von Auslandsspionage anweisen dürfe, ohne Beschluss in Räume einzudringen, um Wanzen und Mikrofone zum Abhören anzubringen. Dazu verfasste Assistant Attorney General Antonin Scalia eine rechtliche Einschätzung und befand, dass weder Gerichte noch Gesetze einer solchen Überwachung widersprächen, empfahl aber, sich die Erlaubnis des Präsidenten einzuholen. Dieser hatte sich im August gegenüber dem Kongress zu »privacy and surveillance« geäußert.6 Während Präsident Ford als Verfechter von individueller Privatsphäre angetreten war, interpretierten Regierungsmitglieder die bestehenden Vorschriften als weitreichend genug. Fords Position warf Probleme auf, als strengere Regeln für akustische und elektronische Überwachung die Nachrichtendienste in Schwierigkeiten brachten. Ford hatte in einem Memorandum aus dem Dezember 1974 angewiesen, dass Operationen, um ausländische Vertreter in den USA zu überwachen, den gleichen Regeln wie für US-Bürger unterliegen sollten. Diese Vorgaben implementierte der Attorney General und führte ein Verfahren in einem zwischenbehördlichen Gremium ein. Die NSA schlug Alarm. In einem Schreiben an den Außenminister erbat Lew Allen, Jr., Central Security Service der NSA, die Erlaubnis, auf die ausländische Kommunikation über Telefonleitungen und auf elektronischem Wege zugreifen zu dürfen.7 Aus Sicht des Geheimdienstes erwiesen sich rechtliche Prozeduren als impraktikabel, galten als aufwändig und heikel. Es erschien kompliziert, wie der geheimdienstliche Anspruch auf Informationen wie auch auf Geheimhaltung mit individuellen Rechten vereinbart werden könne. Sicherheit und Privatsphäre mussten in Einklang gebracht werden, so lautete die Aufgabe an Regierung und Gesetzgeber.
5 Ebd., S. 106. 6 Antonin Scalia, Memorandum for the Attorney General, declassified NLF-BIS-1142-3-7, September 17, 1974, Folder ›PWBuchenFs, Intelligence Series (16)‹, Box 36, RACP, GFL, S. 16. 7 Lew Allen, Jr., Memorandum for the Secretary of Defense, declassified NLF-CODEWORD-47-25-3-0, October 4, 1975, Folder ›PWBuchenFs, Intelligence Series Codeword‹, Box 33, RACP, GFL, S. 1 ff.
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1.2 Vernetzte Dienste: »Control over the technology of surveillance« Für Aufsehen sorgte der Geheimdienst der Armee abermals, als die Armee im Januar 1975 bekanntgab, dass Mikrofilmbestände gefunden worden waren, die Informationen über US-Bürger enthielten. Außerdem bestand ein Computerindex. Wie Howard Callaway, Secretary of the Army, in einem Brief an Kongressmitglieder ausführte, bezögen sich die Informationen unter anderem auf Spionage oder Terrorismus.8 Diese Datensammlung laufe den neuen Richtlinien zuwider und hätte demgemäß zerstört werden müssen, so dass Callaway in einem Memorandum an den Stabschef betonte, wie ernst die Armee die Regeln zu Ermittlungstätigkeiten nehme.9 Als Antwort empfahl der Unterausschuss für Verfassungsrechte im Senat, keine Informationen zu zerstören, bevor das Gremium über die Sache entschieden habe.10 Ein Vertreter des OACSI hatte die Mikrofilmbestände der Gegenspionageabteilung inspiziert und war auf die Bestände aus den späten sechziger Jahren gestoßen. Unter den gelisteten Personen befand sich unter anderem Jane Fonda, Schauspielerin und Aktivistin, die in einem laufenden Verfahren eine Beweisanfrage an das Justizministerium gestellt hatte.11 Offenbar handelte es sich um etwa 400.000 Dokumente von vor Januar 1970, die in das Counterintelligence Research Files System (CIRF) eingespeist werden sollten. Bis Dezember 1974 waren etwa noch einmal so viele Dokumente mit rund 850.000 Einträgen angefallen, deren manuelle Sichtung als sehr aufwändig galt.12 Es blieb fraglich, wo das Geheimdienstmaterials verblieb und ob es möglicherweise über Netzwerke ausgetauscht worden war. Im Juni berichtete Ford Rowan, Reporter des Fernsehsenders NBC, dass die Akten der Armee nicht gänzlich zerstört worden seien, sondern ihren Weg zu anderen Diensten gefunden hätten.13 Zwar gestand von Seiten des Verteidigungsministeriums David Cooke im Repräsentantenhaus ein, dass die Armee vor 1971 Dokumente weitergereicht hätte, bestritt jedoch, dass dies nach 1971 heimlich geschehen sei.14
8 Howard H. Callaway to John L. McClellan, January 10, 1975, Folder ›Army Surveillance Files, 1975‹, Box 2, MRHoffmanPs, GFL, S. 2. 9 Howard H. Callaway, Memorandum for the Chief of Staff US Army, January 10, 1975, Folder ›Army Surveillance Files, 1975‹, Box 2, MRHoffmanPs, GFL, S. 1. 10 Mark Gitenstein to Martin Hoffman, January 10, 1975, Folder ›Army Surveillance Files, 1975‹, Box 2, MRHoffmanPs, GFL, S. 1. 11 Richard V. Kearney, Memorandum for the Secretary of the Army, January 7, 1975, Folder ›Army Surveillance Files, 1975‹, Box 2, MRHoffmanPs, GFL, S. 1. 12 Harold R. Aaron, Memorandum for the Acting General Counsel, January 7, 1975, Folder ›Army Surveillance Files, 1975‹, MRHoffmanPs, Box 2, GFL, S. 2. 13 Levine, Surveillance valley, S. 87 f. 14 Watson 4.6.1975, The Washington Post, S. 1.
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So wirkte das unkontrollierte Sammeln von Geheimdienstmaterial nach, obgleich die Armeeführung neue Richtlinien eingeführt hatte. Die technologischen Möglichkeiten entwickelten sich rasch, wobei das Vernetzen von Computern eine neue Qualität bedeutete. Eine Studie aus dem Senat behandelte elektronische Abhörtechnik, Bildaufnahmen, Sensoren sowie Computer. Sowohl die Abfrage von Daten über Computernetzwerke als auch der Zugriff auf zentrale Datenbanken bedeuteten eine »additional dimension to the privacy problem«.15 Über Leitungen konnten digitalisierte Akten übertragen werden, eine Technik, von der auch Geheimdienste Gebrauch machten. Rowan berichtete auf NBC weiterhin, dass geheimdienstliche Dokumente der Armee über ein geheimes Netzwerk geleitet worden seien. Den technologischen Durchbruch hatte das Advanced Research Projects Agency Network (ARPANET), ein Vorläufer des Internets, geschafft.16 Daraufhin untersuchte Senator John V. Tunney, Demokrat aus Kalifornien, die Vorwürfe. Tunney erläuterte den Anlass der Anhörungen: »Control over the technology of surveillance conveys effective control over our privacy, our freedom, and our dignity«.17 Ob das ARPANET, entwickelt von MIT, University of California, Los Angeles, und Stanford University, zu militärischen Zwecken genutzt wurde, blieb umstritten. Cooke, Deputy Assistant beim Verteidigungsministerium, erklärte in Senatsanhörungen, dass Verantwortliche beim MIT und ARPA keine Hinweise darauf hätten, dass Daten über zivile Unruhen über das Netzwerk übertragen worden seien. Die Datenbanken der Armee seien nicht mehr in Betrieb, und das Militär verfüge mit dem Community Online Intelligence System über ein eigenes Netzwerk.18 Abgesehen von der Frage, welche Infrastruktur tatsächlich zum Einsatz kam, erschien es plausibel, dass Daten des Armeegeheimdienstes aus den späten sechziger Jahren mittlerweile über Computernetzwerke liefen. Auch konnte die Armee längst nicht alle Daten zerstören. Der Schutz von privacy erschien unter diesen Umständen schwierig zu gewährleisten.
1.3 Abtreibung zwischen individuellem und sozialem Recht: »Miracle of creation« In der Abtreibungsdebatte war Präsident Ford dem Recht auf Privatsphäre abgeneigt, denn er hatte sich bereits in der Vergangenheit kritisch zu dem Eingriff geäußert. Darüber hinaus musste die Regierung mit Entscheidungen der Vorgängerin umgehen, da das Dekret von Präsident Nixon, die Abtreibungs 15 U. S. Senate 1976, Surveillance Technology, S. 32. 16 Levine, Surveillance valley, S. 73. 17 U. S. Senate 1976, Surveillance Technology, S. 1. 18 Levine, Surveillance valley, S. 91.
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politik von militärischen Einrichtungen nach einzelstaatlichen Gesetzen zu richten, vorerst bestehen blieb, obwohl einige dieser Gesetze nicht mehr der Rechtsprechung entsprachen. Bei einem Treffen im Weißen Haus schlugen Vertreter der ACLU als Lösung vor, dass die Regelung der Nixon-Regierung aufgehoben werden solle.19 Dieses Problem, dass das DOD möglicherweise nicht verfassungskonformen Gesetzen folge, besprach Präsident Ford auch mit HEWMinister Caspar Weinberger. Kurz nach einem Treffen von Präsident Ford mit katholischen Bischöfen ließ das DOD laut Zeitungsberichten eine Änderung der Abtreibungspolitik verlautbaren. Weinberger sprach sich gegen eine solche Änderung aus und zeigte sich besorgt, dass die Pressemitteilungen den Aussagen der Regierung widersprechen könnten: »I also think that the Catholic Bishops would quite justifiably feel they had been misled«.20 Präsident Ford stimmte zu und versicherte, dass die Regelung für das DOD bestehen bleiben solle: »Unfortunately, neither you nor I had any forewarning of this development prior to our meeting with the Catholic Bishops«.21 Schließlich glichen DOD und HEW ihre Vorschriften an das Urteil an, wonach das DOD ankündigte, in sämtlichen medizinischen Einrichtungen einen Zugang zu Abtreibungen zu gewähren, beziehungsweise das HEW dies für sämtliche medizinischen Einrichtungen des Bundes plane.22 Ministerien und Behörden waren rechtlich an das Urteil des Obersten Gerichtshofs gebunden, unabhängig von der Haltung der Regierungsmitglieder. In politischer Hinsicht erschien das Thema Abtreibung heikel. Ford war mit neokonservativen Herausforderern konfrontiert, so dass er im Wahljahr 1976 eine stärker ablehnende Position zu Abtreibungen einnahm.23 Der rechtliche Spielraum erwies sich aber als gering. So wertete die U. S. Commission on Civil Rights die vorgeschlagenen amendments, die das Urteil aufheben sollten, als Verstöße gegen die Bill of Rights.24 Bereits 1972 hatte Ford ein Referendum in Michigan für die freie Wahl zu einer Abtreibung abgelehnt. Dennoch empfahlen die Berater Philip Buchen und Jim Cannon dem Präsidenten, eine eng gefasste Erklärung abzugeben, in der er sich zum Verfassungsrecht bekannte.25 Dieser 19 Art Quern, Memorandum for Jim Cannon., May 7, 1975, Folder ›Abortion, Defense DepPol.‹, Box 2, SCMassengaleFs, GFL, S. 1. 20 Caspar W. Weinberger, Memorandum for the President, June 24, 1975, Folder ›Abortion, Defense DepPol.‹, SCMassengaleFs, Box 2, GFL, S. 1. 21 Gerald R. Ford to Caspar Weinberger, July 24, 1975, Folder ›Abortion, Defense DepPol.‹, Box 2, SCMassengaleFs, GFL, S. 1. 22 Jim Cannon, Memorandum for the President, October 23, 1975, Folder ›Abortion May 75 to Aug 76‹, Box 1, JMCannonFs, GFL, S. 1. 23 Walker, Presidents and civil liberties from Wilson to Obama, S. 346. 24 Jim Cannon, Memorandum for The President, April 15, 1975, Folder ›Welfare Abor tions‹, Box 51, PHWF, GFL, S. 1. 25 Phil Buchen and Jim Cannon, Memorandum for The President, January 15, 1976, Folder ›Welfare Abortions‹, Box 51, PHWF, GFL, S. 4.
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Rat stieß auf taube Ohren, und Präsident Ford entschied sich im Januar 1976 für ein ausführliches Statement. Demnach sei er als Präsident zwar an die Entscheidungen des Supreme Courts gebunden, es entspreche jedoch seiner persönlichen Philosophie, dass Abtreibungen lediglich in Fällen von schwerer Krankheit oder Vergewaltigung Abhilfe schaffen könnten: »Personally I do not favor abortion on demand«. Ferner hielt Ford an seiner Position als Minderheitsführer im Repräsentantenhaus fest, dass über dieses Thema die Bundesstaaten entscheiden sollten.26 Lobbygruppen übten Druck auf die Regierung aus. Bei einem Treffen im Weißen Haus äußerten Abtreibungsgegner unter anderem ihre Sorge, dass Steuergelder für Abtreibungen ausgegeben würden.27 Das Thema Abtreibung brachte Präsident Ford in die Bredouille. Während die Regierung die Politik der einzelnen Ressorts an das Urteil anpasste, behauptete Ford seinen persönlichen Standpunkt. Auf der anderen Seite des Spektrums stritten zivilgesellschaftliche Gruppen dafür, das Abtreibungsurteil umzusetzen. Die Umsetzung des Urteils verlief vor allem im Süden des Landes schleppend, wo kaum eine Klinik Abtreibungen anbot, wie Aktivist Lawrence Lader gegenüber der ACLU bemerkte.28 Darüber hinaus debattierte der Senat mögliche Verfassungsänderungen, um den Zugang zu Abtreibungen einzuschränken. In den Anhörungen waren auch Vertreter von Organisationen geladen, die sich für das Recht zu Abtreibungen aussprachen, darunter die ACLU, NOW und Planned Parenthood. So erläuterte Judith Mears, Direktorin eines »reproductive freedom project« der ACLU, im April 1975 im Senat, dass die Organisation mit der Implementierung des Urteils befasst sei, was sie als »the nittygritty unglamorous work of enforcing a decision« bezeichnete. Dabei ging es darum, dass öffentlich finanzierte Krankenhäuser den Eingriff anbieten müssten. Während die ACLU individuelle Gewissensgründe respektierte, keine Abtreibungen durchzuführen, widersprach sie jenen Institutionen, die sich auf moralische oder religiöse Haltungen beriefen.29 Für NOW erklärte Friedan im Senat, dass die Organisation »the right of the woman to control her own body« einforderte, da ohne dieses Recht keine gleichberechtigte Partizipation der Frau in der Gesellschaft möglich sei. In einem weiteren Sinne beträfen Abtreibungen das »right of the woman to choose«.30 Im DC unterstützte das legislative office freiwillige Lobbyisten, die Mitglieder von NOW aus dem Wahlkreis von Senatoren und Abgeordneten in Washington vertraten, wenn sich die Lobbyisten von NOW im Bezirk aufhielten. Eine informelle 26 Jim Connor, Memorandum for Phil Buchen and Jim Cannon, January 16, 1976, Folder ›Welfare Abortions‹, Box 51, PHWF, GFL, S. 1. 27 Sarah Massengale, Memorandum for the Files, January 27, 1976, Folder ›Abortion, (2)‹, Box 1, PWBuchenFs, GFL, S. 1. 28 Williams, Defenders of the unborn, S. 209. 29 U. S. Senate 1976, Abortion – Part IV, S. 280 f., Zitat S. 280. 30 Ebd., S. 708.
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Koalition bestand unter anderem aus Mitgliedern der ACLU, Planned Parenthood sowie NARAL.31 Im Repräsentantenhaus präsentierte Pilpel, Beraterin von Planned Parenthood und Vizepräsidentin von ACLU, im März 1976 eine rechtliche Analyse und argumentierte gegen Verfassungsänderungen, die ein Recht auf Leben einführen, Ungeborenen Verfassungsrechte zusprechen beziehungsweise die Bundesstaaten über Abtreibungsverbote entscheiden lassen wollten. Denn die individuelle Einstellung gegenüber Abtreibungen betreffe »personal privacy«.32 Der Konflikt zog sich durch die Reihen der republikanischen Partei. Im August 1976 wandte sich John Rockefeller persönlich in einem Brief an Präsident Ford sowie in Kopie an die First Lady, um seinen Standpunkt zu schildern. In dem Brief zeigte sich Rockefeller, Vorsitzender der Commission on Population Growth and the American Future, beunruhigt über die Tendenz in der republikanischen Partei und des Präsidenten selbst, Frauen das Recht auf Abtreibung zu verweigern. Laut Rockefeller sei aber nicht die Frage zentral, ob Abtreibungen legal seien, sondern, ob sie sicher durchgeführt würden.33 Ungeachtet dessen untermauerte Ford seine Position. Bei dem Treffen mit katholischen Bischöfen im September 1976 bekannte sich Präsident Ford zu seiner ablehnenden Haltung zu Abtreibungen. In einem Brief vom 10. September 1976 an Most Reverend Joseph Bernardin dankte Präsident Ford der National Conference of Catholic Bishops für das Treffen und äußerte zu Abtreibungen »grave concern over the serious moral questions raised by this issue«. Ferner sprach Ford vom »miracle of creation« und erklärte, dass der Staat eine Verantwortung trage, Leben zu schützen. Deshalb erachtete Ford das Urteil zu Roe persönlich als unklug und sprach sich gegen »abortion on demand« aus.34 Damit führte Ford die Linie Nixons weiter, die katholische Wählerschaft anzusprechen und moralische Standpunkte zu vertreten. Gleichzeitig wurde der Gesetzgeber aktiv. Statt eine Verfassungsänderung anzustreben, zielte eine weitere Strategie darauf ab, öffentliche Dienstleistungen zu beschneiden. In New York hatte sich zuvor ein Streit um Finanzmittel abgezeichnet, wie er so ähnlich nunmehr auf Bundesebene geführt wurde. So erkundigte sich Präsident Ford im Jahr 1976 über die mögliche Verwendung von Bundesmitteln für Eingriffe einer Abtreibung. In einer Vorstudie zeichnete sich ein unklares Bild ab, da die Daten der Behörden und Ministerien verwirrend 31 Mary Vogel, Report to the Board by the Legislative Office, February 1974, Folder 30, Box 2, NOW, I, SchL, S. 1 f. 32 U. S. House of Representatives 1976, Proposed Constitutional Amendments on Abortion, S. 189. 33 John D. Rockefeller 3rd to Gerald Ford, August 31, 1976, Folder ›Abortion, General (2)‹, Box 2, SCMassengaleFs, GFL, S. 1 f. 34 Gerald R. Ford to The Most Reverend Joseph L. Bernardin, September 10, 1976, Folder ›Abortion, Mt w. Cath. Bish. Sep 9, 76‹, Box 1, JMCannonFs, GFL, S. 1 f., Zitat S. 1.
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und unvollständig erschienen. Im Weißen Haus kursierten Zahlen, wonach das HEW unter anderem jährlich etwa 250.000 bis 300.000 Abtreibungen mit 45 bis 55 Millionen Dollar fördere. Dabei fehlte eine Angabe, ob die Eingriffe zu medizinischen Zwecken oder auf Wunsch durchgeführt wurden; abzuwarten bleibe ein Urteil des Supreme Court sowie das »›Hyde‹ Amendment in the Labor-HEW Appropriation bill« im Kongress.35 Dieser Zusatz zu Haushaltsgesetzen würde eine Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus öffentlichen Mitteln unterbinden. Dementsprechend sollte das Hyde Amendment die zentralstaatliche Finanzierung von Abtreibungen verbieten. Es scheiterte 1974 zunächst in einem Vermittlungsausschuss, hatte aber zwei Jahre später Erfolg. Mit der Genehmigung von Finanzmitteln für Arbeitsministerium und HEW ging ein Zusatz einher, dass keine Gelder für Abtreibungen ausgegeben werden sollten. Auch in den Folgejahren erwies sich diese Strategie, Zusätze zu verschiedenen Haushaltsposten zu verabschieden, als erfolgreich.36 Dies hielt auch in der Rechtsprechung Bestand. Im Juni 1977 fiel ein Gerichtsurteil, dass Abtreibungen auf Wunsch nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert werden müssten.37 Der Konflikt verlagerte sich auf die Finanzierung medizinischer Dienste. Außer dem individuellen Recht auf Privatsphäre waren insbesondere soziale Rechte und der Zugang zu Abtreibungen steten Angriffen ausgesetzt.
35 Jim Cannon, Memorandum for the President, September 21, 1976, Folder ›Welfare Abortions‹, Box 51, PHWF, GFL, S. 5 f., Zitat S. 6. 36 Ainsworth / Hall, Abortion politics in Congress, S. 101 f. 37 Spruill, Divided we stand, S. 129.
2. Debatte über Informationspolitik
Abb. 20: Die Watergate-Affäre wirkte bis in die Präsidentschaft Fords nach. Das Foto (ca. Mai 1973–Januar 1974) zeigt Beweisstücke (70–72) der Sonderermittler: ein Tonbandgerät und eine Schreibmaschine. Courtesy National Archives (ID: 7582822).
Ab Mitte der siebziger Jahre entwickelte sich ein Feld, das Nelson Rockefeller in einer Studie als »national information policy«1 bezeichnete, eine landesweite Informationspolitik darüber, was geheim und unter Verschluss bleiben sollte, was Ansprüchen auf privacy unterlag, was der Öffentlichkeit zugänglich sein sollte. Vorangegangen war diesem Politikfeld eine Regierungskrise. Im Namen der Sicherheit hatte die Regierung Dokumente zurückgehalten, die sie selbst belasteten und öffentlich zugänglich hätten sein können, ohne ein Risiko darzustellen, und hatte die Privatsphäre von Personen verletzt, die solche Verstöße mangels zugänglicher Dokumente nicht beweisen konnten oder von Verstößen gar nichts wussten. Eine Reform der Informationsfreiheit erschien überfällig. Jedoch sollte die Informationsfreiheit ihrerseits nicht zu einer Verletzung der Privatsphäre führen und die Aufgaben der Ministerien und Behörden nicht behindern. Der politische Streit kochte erneut hoch und erreichte einen Siedepunkt mit einem präsidentiellen Veto. Auch beim Thema Datenschutz herrschte selten so viel Einigkeit wie beim Gesetz, das den individuellen Zugang zu Schul 1 Begriff im Titel: Domestic Council Committee on the Right of Privacy 1977, National information policy.
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akten regulierte. In Hinblick auf ein bundesweites Gesetz blieben beispielsweise Streitpunkte, ob eine dezidierte Behörde gegründet oder ob der Privatsektor miteinbezogen werden solle, bestehen. Im akademischen Bereich stritten Experten, ob das Wissen über eine Person überhaupt deren Privatsphäre betreffe oder welchen Einfluss Technologie wie computerbetriebene Datenbanken auf die Privatsphäre hätten.
2.1 Reform der Informationsfreiheit: »Insidious secrecy that characterized the Watergate years« Die Watergate-Affäre erschütterte das Verhältnis zwischen Regierungsgeheimnissen, Öffentlichkeit sowie individueller Privatsphäre. Beispielsweise unterstützte der Senat ein Gesetz, um die Finanzierung von Wahlkämpfen zu regulieren, da das »public right to know« entgegen dem »individual’s right to privacy« in Bezug auf Spenden an Bedeutung gewinne.2 So stand es im abschließenden Bericht des Senats. Nixon selbst führte einen Rechtsstreit, um Akten aus seiner Regierungszeit zurückzuhalten. Zunächst handelte Nixon einen Kompromiss aus, das NixonSampson Agreement, unter welchen Bedingungen das Nationalarchiv Dokumente seiner Präsidentschaft verwaltete. Darüber hinaus sollten die Bänder mit Tonaufnahmen aus dem Weißen Haus nach einer bestimmten Frist gelöscht werden. Laut Philip Buchen, Berater im Weißen Haus unter Präsident Ford, standen die Aufnahmen auf den Bändern in Widerspruch zur persönlichen Privatsphäre von Personen, deren Gespräche aufgezeichnet worden waren. Jedoch ließ der Kongress die Abmachung nicht gelten und verabschiedete im Jahr 1974 den Presidential Recordings and Materials Preservation Act. In den folgenden Jahren kämpfte Nixon weiter gegen die Herausgabe von Dokumenten.3 So klagte Nixon gegen das Gesetz und führte unter anderem das Recht auf Privatsphäre an. Allerdings scheiterte er vor dem Obersten Gerichtshof der USA im Fall Nixon v. Administrator of General Services. Zwar gestanden ihm die Richter einen Anspruch auf Privatsphäre zu, doch überwiege insgesamt das öffentliche Interesse an den Dokumenten.4 Der Rechtstreit um die Archivierung dauerte noch jahrelang an.5 Das zähe Ringen um Akten hatte gerade erst begonnen. In der Watergate-Affäre entfaltete sich ein Streit um staatliche Stellen, die in die Privatsphäre von Personen eindrangen, um an Informationen zu kommen, 2 U. S. Senate 1974, The Final Report of the Select Committee on Presidential Campaign Activities, S. 892. 3 Kutler, The wars of Watergate, S. 563 f. 4 Solove / Schwartz, Information privacy law, S. 508. 5 Kutler, The wars of Watergate, S. 623–26.
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sich selbst der Öffentlichkeit gegenüber aber verschlossen zeigten und Geheimnisse pflegten. In der Folge gewann eine Reform des FOIA an Zustimmung.6 Kaum war Nixons Nachfolger Gerald Ford im Amt, diskutierte das Kabinett bei einem ersten Treffen, ob der Präsident ein Veto gegen das Gesetz einlegen solle. Ford beunruhigte insbesondere die Vorschrift, dass Gerichte die Geheimhaltung einzelner Akten prüfen durften.7 In einem Vermittlungsausschuss schwächten Kongressmitglieder das Gesetz nochmals ab, um einem Veto aus dem Weißen Haus vorzubeugen. Beispielsweise relativierte der Entwurf die Beweislast der Regierung, dass Dokumente unter Verschluss bleiben sollten.8 In einem Brief an den Vermittlungsausschuss führte Präsident Ford als Argument gegen das Gesetz unter anderem das »individual’s right to privacy« an. Dabei ging es um die Herausgabe von Ermittlungsakten. Denn Fakten über Personen aus diesen Akten seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, wie Ford erklärte: »I believe now is the time to preclude the Freedom of Information Act from disclosing information harmful to the privacy of individuals«.9 Hier wog Ford den Schutz der Privatsphäre gegen die Herausgabe von staatlichen Dokumenten ab, die im Einzelfall aber Hinweise auf eine Verletzung der Privatsphäre geben könnten. Bei den Ministern und Behördenchefs stießen die Änderungen am FOIA auf Ablehnung und sie reagierten alarmiert und rieten dem Präsidenten zu einem Veto.10 So warnte beispielsweise CIA-Direktor William Colby unter anderem davor, Gerichte über die Herausgabe von Dokumenten entscheiden zu lassen, und verwies auf den Schutz von geheimdienstlichen Quellen und Methoden.11 Dieser Ansicht schloss sich auch das Verteidigungsministerium an. Darüber hinaus könne das Gesetz zu einem zu freigiebigen Umgang mit Dokumenten führen, die wegen »the interest of privacy, national security, or agency efficiency« unter Verschluss bleiben sollten.12 Auch Scalia schlug Ausnahmen für Ermittlungsakten sowie militärische und außenpolitische Angelegenheiten vor und riet dazu, Fristen bei Anfragen zu ändern.13 Mitte Oktober legte Präsident Ford sein Veto gegen den Konferenzentwurf ein, dem Senat und Repräsentanten-
6 Foerstel, Freedom of information and the right to know, S. 46 f. 7 Graham, Presidents’ secrets, S. 137. 8 Crain, The Ford presidency, S. 85. 9 Gerald R. Ford to William S. Moorhead, August 20, 1974, Folder ›FOI-Legislation (3)‹, Box 17, PWBuchenFs, GFL, S. 3. 10 [Roy L. Ash], Memorandum for the President, October 16, 1974, Folder ›Veto FOIA 10/17/74‹, Box 8, WHCF, SP 2-3-16, GFL, S. 1. 11 W. E. Colby to the President, September 26, 1974, Folder ›LE8, FR 12471, FOIA Am (6)‹, Box 29, KASLazarusFs, GFL, S. 1. 12 Martin R. Hoffmann to Roy L. Ash, [1974], Folder ›LE8, FR 12471, FOIA Am (6)‹, KASLazarusFs, Box 29, GFL, S. 2. 13 Antonin Scalia, Memorandum to Stanley Ebner, October 17, 1974, Folder ›LE8, FR 12471, FOIA Am (6)‹, Box 29, KASLazarusFs, GFL, S. 1 f.
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haus am Anfang des Monats zugestimmt hatten.14 Ministerien und Behörden befürchteten, in ihrer Arbeit eingeschränkt zu werden, sollte der Anspruch auf Einsicht in Regierungsdokumente gestärkt werden. Die Debatte im Kongress über das Veto stand wiederum im Zeichen von Watergate. Als Antwort auf die »Watergate era« verlangte Senator Edward M. Kennedy, Demokrat aus Massachusetts, im November 1974 sowohl Gesetze zum Schutz der Privatsphäre als auch zur Transparenz. Deshalb warb Kennedy dafür, das präsidentielle Veto zu überstimmen: »I do not believe that President Ford personally harbors any desire to perpetuate the kind of insidious secrecy that characterized the Watergate years«.15 Praktiken der Geheimhaltung lastete der Verdacht von Vertuschung und illegalen Operationen im Verborgenen an. Hingegen verwiesen Fürsprecher der Ford-Regierung darauf, dass das geplante Gesetz zu Verletzungen der individuellen Privatsphäre und zur Preisgabe von staatlichen Geheimnissen führen könne. So bemerkte Senator Roman L. Hruska, Republikaner aus Nebraska, in der Debatte, dass die Herausgabe von vertraulichen Akten Schaden anrichten könne: »at the expense of our Nation’s in foreign relations and defense, and every individual’s interest in law enforcement, the right of privacy and of personal security«.16 Republikaner betonten den Aspekt der Sicherheit in außen- wie verteidigungspolitischer Sicht und in der Strafverfolgung. Eine zu große Offenheit der Regierung konnte demnach die Funktion der Behörden beeinträchtigen und Unsicherheit hervorrufen. Auf das Recht auf Privatsphäre konnten sich beide Parteien einigen, wenn auch aus unterschiedlichen Prämissen. In Regierungskreisen galt der ursprüngliche FOIA mittlerweile als gescheitert, da Ausnahmen von den Transparenzpflichten weit und allgemein gefasst waren und praktische Probleme hinzukamen. Einer Studie der Kongressbibliothek zufolge bestanden bürokratische Hürden, und es kam zu langen Bearbeitungszeiten.17 Verhandelt wurden der Anspruch auf Wissen, auf Privatsphäre und das Interesse an Vertraulichkeit. Diese Interessen hatte der frühere Attorney General Ramsey Clark gegenübergestellt, wie ihn ein Bericht des Repräsentantenhauses zum FOIA aus dem September 1972 zitierte: »commitments in our democratic system, such as privacy and the right to know, inevitably impinge one against another«.18 So konnten Dokumente, bei denen ein öffentliches Interesse auf Einsicht bestand, auch Details zu einzelnen Personen enthalten. Ferner bemängelte der Bericht staatliche Geheimhaltung und eine Verletzung der Privatsphäre: »The factor of credibility, together with the inclination of go 14 Ken Cole, Memorandum for the President, October 16, 1974, Folder ›H. R. 12471, 10/17/74, FOIA-Veto‹, Box 9, WHROLegCF, GFL, S. 1 f. 15 U. S. Senate 1975, Freedom of Information Act and Amendments of 1974, S. 436. 16 Ebd., S. 453. 17 Graham, Presidents’ secrets, S. 138 f. 18 U. S. Senate 1975, Freedom of Information Act and Amendments of 1974, S. 12 f.
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vernment to invade the privacy of our citizens, poses an ominous threat to our democratic system«.19 Regierungen, so lautete hier die Annahme, operierten häufig im Verborgenen und drangen in die Privatsphäre der Bürger ein, weshalb Behörden auf Anfrage Dokumente öffentlich zugänglich machen sollten, außer es handle sich um Ausnahmefälle. Diese Ausnahmen betrafen wiederum Staatsgeheimnisse sowie die individuelle Privatsphäre selbst. Der Versuch der Regierung, das Gesetz zu verhindern, scheiterte, als der Senat das Veto im November überstimmte. Für Anfragen im öffentlichen Interesse fielen nunmehr keine Gebühren an, und es existierten Fristen zur Bearbeitung. Ferner konnten Gerichte über die Herausgabe auch von als geheim eingestuften Dokumenten entscheiden.20 In einer Reform von 1976, auch bekannt als Sun shine Act, schränkte der Gesetzgeber unter anderem den Ermessenspielraum der Behörden ein, so dass diese Informationen nur dann vorenthalten durften, wenn es ein Gesetz ausdrücklich vorsah.21 Das Kräfteverhältnis zwischen staatlichen Behörden und Öffentlichkeit hatte sich verschoben. Damit etablierte sich ein Konsens über das Recht auf Informationsfreiheit mit all seinen Stärken und Schwächen. Der Modus, in dem Konflikte um Geheimnis und Sicherheit, um Privatsphäre und Offenlegung ausgetragen wurden, war für die nächsten Jahrzehnte festgeschrieben. Der geänderte FOIA erweiterte schließlich die Möglichkeiten, behördliche Dokumente anzufordern, selbst wenn diese als vertraulich eingestuft waren. Deshalb sah sich die Regierung alsbald mit der Forderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen konfrontiert, Informationen zu Überwachung herauszugeben. Wie Buchen an Edward Levi, Attorney General, schrieb, ergaben sich daraus »difficult legal questions«.22 Halperin, mittlerweile für das Project on National Security and Civil Liberties tätig, informierte das Weiße Haus vorab über einen offenen Brief, den mehrere Organisationen, angeführt von der ACLU, unterzeichnet hatten. Darin forderten die Unterzeichner, dass die Regierung von Überwachung betroffene Personen in Kenntnis setze. Dabei beriefen sie sich auf den FOIA sowie das »Privacy Law«. Im Einzelnen ging es um das Öffnen von Post durch CIA und FBI, Überwachen internationaler Kommunikation durch die NSA, die Operation CHAOS der CIA (auf die das nächste Kapitel genauer eingeht), das COINTELPRO vom FBI, Einbrüche durch CIA und FBI, beschlusslose Abhörmaßnahmen, sowie Akten, die der IRS über Bürger wegen ihrer politischen Anschauungen angelegt habe.23 In dem Brief kam der Konflikt 19 Ebd., S. 13. 20 Foerstel, Freedom of information and the right to know, S. 48. 21 Ebd., S. 49. 22 Philip W. Buchen, to Edward Levi, October 31, 1975, Folder ›FOI-Requests (3)‹, Box 17, PWBuchenFs, GFL, S. 1. 23 Aryeh Neier et al. to Gerald R. Ford, [October 28, 1975], Folder ›FOI-Requests (3)‹, Box 17, PWBuchenFs, S. 1 ff., Zitat S. 1.
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zwischen individueller Privatsphäre, zentralstaatlichen Geheimnissen sowie der Transparenz von öffentlichen Institutionen zum Ausdruck.
2.2 Die Politik entwickelt Datenschutzgesetze: »Watergate is really the quintessential privacy case« Verzahnt mit der Informationsfreiheit war Datenschutz. Zum einen enthielt der FOIA bestimmte Regeln zum Schutz der Privatsphäre, zum anderen plante der Gesetzgeber, den Behörden im Datenschutz bestimmte Transparenzpflichten aufzuerlegen. Nachdem der Kongress seit einiger Zeit über Entwürfe für ein Gesetz debattiert hatte, schaltete sich nun die Regierung ein. Gerald Ford hatte schon in seiner Zeit als Vizepräsident zu dem Thema gearbeitet und den Vorsitz des DCCRP innegehalten, dem zehn Ministerien und Behörden angehörten, darunter das Verteidigungsministerium, das HEW, das Handelsministerium sowie das OMB. Anfang März 1974 erbat Vizepräsident Ford von den Mitgliedern in einem Brief, innerhalb von vier Monaten erste Handlungsoptionen zu entwerfen.24 Auf dem ersten Treffen im April wurden die Prioritäten festgelegt, die Informationssammlung, Korrektur von Daten, Mailinglisten, Sicherheit von Datenbanken sowie Praktiken der Offenlegung von Informationen betrafen.25 Die Mitglieder gründeten in der Folge mehrere Arbeitsgruppen, deren Themen ein weites Spektrum von der Verwendung der Sozialversicherungsnummer über »personal privacy« von Konsumenten bis hin zu Vertraulichkeit von statistischen Daten umfassten.26 In diesen Bereichen war dem Konzept privacy gemein, dass Daten über Personen nicht unreguliert verarbeitet werden sollten. Bei einem Treffen im Juni nahm das OMB die Haltung ein, dass die Verantwortung über Informationssysteme bei den Behörden selbst liegen solle, statt bei einer Aufsichtsbehörde.27 Während die Planungen für das Treffen am 10. Juli liefen, standen einige Gesetzesentwürfe im Kongress zur Debatte, darunter das Datenschutzgesetz im Senat, ein Verbot militärischer Überwachung von Zivilisten sowie ein Gesetz zur Kontrolle von Justizdatenbanken.28 Die zentrale Frage 24 Gerald R. Ford to George P. Shultz, March 6, 1974, Folder ›PrivacyDCC, Mar 5-23, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 2. 25 Domestic Council Committee on the Right of Privacy, Summary Record, First Meeting, April 11, 1974, Folder ›PrivacyDCC, Mar 24-Jun 14, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 1 f. 26 Philip Buchen, Memorandum for the Vice President, May 1, 1974, Folder ›PrivacyDCC, Mar 5-23, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 1. 27 Domestic Council Committee on the Right of Privacy, Summary Record, Fourth Meeting, June 20, 1974, Folder ›PrivacyDCC, Jul 9-Aug 12, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 1. 28 Philip Buchen, Memorandum for the Vice President, June 26, 1974, Folder ›Privacy DCC, Jun 20-Jul 8, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 2 f.
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war es, wie Regierung und Parlament in Bezug auf gesetzliche Regelungen zueinander finden würden. Um den Zugang zu Akten ging es in den Anhörungen, die der Abgeordnete Moorhead leitete. Zur Debatte stand eine Gesetzesvorlage des Abgeordneten Edward I. Koch, Demokrat aus New York, die den Bürgern gewisse Rechte einräumte, wie Akten einzusehen und zu korrigieren oder im Falle einer Weitergabe von Dokumenten Nachricht zu erhalten. Offene gesetzgeberische Fragen sollten laut Moorhead zugunsten der »individual privacy« geklärt werden.29 Regeln zum Schutz von privacy zielten darauf ab, wie Institutionen Daten verwalten, nutzen und austauschen, wie sie aus Informationen Wissen generieren konnten. Im Juni 1974 fanden im Kongress gemeinsame Anhörungen zu einem möglichen Datenschutzgesetz statt. Dabei ging es darum, wie Personendaten gesammelt, genutzt und in maschinenlesbare Form gebracht würden. Senator Ervin erklärte, dass staatliche wie privatwirtschaftliche Institutionen Datenbanken nutzten, um Dienste bereitzustellen. Jedoch entstünden Kosten, wenn keine administrative Erwägung von »privacy, due process and surveillance over the individual« bestehe.30 Privacy stand hier im Zusammenhang mit ordentlichen Verfahren, die bei der Informationsverwaltung gewährleistet werden müssten. Außerdem sollte vorgebeugt werden, dass Behörden Daten nutzten, um Personen zu überwachen. Indessen schien das Vorhaben für ein Datenzentrum noch nicht vom Tisch zu sein. So plante die General Service Administration laut einem Bericht der Washington Post aus dem Juni 1974 ein System namens »Fednet«, das »modern nationwide data facilities« bieten sollte. Kritiker wähnten die Privatsphäre unzureichend berücksichtigt und erachteten das Projekt als »murky and mysterious«.31 Die Nachricht verbreitete sich während einer intensiven Debatte um Datenschutz und einer Regierungskrise. Der Kongress debattierte mögliche Datenschutzgesetze auf dem Höhepunkt der Watergate-Affäre. Für die ACLU erklärte Eastman, dass die Organisation am Thema privacy interessiert sei, da sie das Phänomen eines »record prison« beobachte. Daher forderte die ACLU ein umfassendes Gesetz, dass den Gebrauch von Datenbanken regeln sollte.32 Aus Sicht von Eastman habe die Watergate- Affäre die Diskussion um eine Gesetzgebung befördert: »Watergate is really the quintessential privacy case in the United States«.33 Die ACLU wollte die Watergate-Affäre nutzen, um ihre Agenda zu untermauern. Einerseits verdeutlichte die Affäre, dass die Regierung politische Aktivitäten überwachte, andererseits 29 U. S. House of Representatives 1974, Access to Records, S. 1 f., Zitat S. 2. 30 U. S. Congress 1974, Privacy, the Collection, Use, and Computerization of Personal Data, Part 1, S. 1 f., Zitat S. 2. 31 Editor 18.6.1974, The Washington Post, S. A14. 32 U. S. Congress 1974, Privacy, the Collection, Use, and Computerization of Personal Data, Part 1, S. 153 f., Zitat S. 156. 33 Ebd., S. 154.
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verfolgte sie einen restriktiven Kurs, um Dokumente unter Verschluss zu halten.34 Zwischen Regeln zur Verarbeitung von Daten, Regeln zur Herausgabe von Dokumenten und Rechten für den Einzelnen ergab sich ein Spannungsfeld, in dem sich die politischen und gesellschaftlichen Akteure bewegten. Zu dem Gesetzesentwurf aus dem Senat äußerten sich außerdem Bundesbehörden und Ministerien. Während der Senatsentwurf einen weitreichenden Datenschutz vorsah, wollten Vertreter von Behörden das Gesetz enger fassen und auf den Bund ausrichten. So sprach sich HEW-Minister Weinberger dagegen aus, ein »single set of privacy safeguard requirements« sowohl für öffentliche als auch für privatwirtschaftliche Organisationen vorzuschreiben.35 Weiterhin rieten das OMB, das Handelsministerium sowie das Justizministerium davon ab, den privatwirtschaftlichen Sektor miteinzubeziehen und damit Unternehmen Bürden aufzulasten.36 Im Juli lagen einige Initiativen des DCCRP vor. Ford zeigte sich mit den ersten Ergebnissen zufrieden, die ein »broad spectrum of privacy concerns« ansprächen. Zu den Themen gehörten unter anderem zentralstaatliche Datenverarbeitung, der Zugang zu Akten, militärische Überwachung von politischen Aktivitäten sowie der FCRA.37 Beim Treffen am 10. Juli beschloss das Komitee insgesamt 14 separate Initiativen. Allgemein herrschte die Ansicht, dass Regelungen zunächst auf zentralstaatlicher Ebene erprobt werden sollten, bevor andere öffentliche wie auch private Sektoren einbezogen würden.38 Ende Juli 1974 wurden weitere Projekte angestoßen. Das Komitee unter Ford entwickelte unter Zeitdruck Regeln zum Schutz der Privatsphäre. Dabei war die gesetzgeberische Tätigkeit im Kongress mittlerweile weit fortgeschritten, und es zeichnete sich ein Gerangel um Kompetenzen ab. Ob das Komitee mehr als ein Dutzend einzelne Vorhaben auf den Weg bringen könnte, erschien dabei fraglich. Seit August führte Ford die Datenschutzpolitik als Präsident fort. Eine Datenzentrale, über die zuvor berichtet worden war, lehnte Ford ebenso ab wie auch weitere Vorschläge für zentrale Informationssysteme.39 Keiner dieser Vorschläge hatte praktische Relevanz. Ein weiteres Gesetz zum Datenschutz bildete der Family Educational Rights and Privacy Act (FERPA). Dieses Gesetz regulierte die Handhabe von Akten in Bildungseinrichtungen ähnlich wie das Gesetz zu 34 Scott, Reining in the state, S. 164. 35 Caspar W. Weinberger to Sam J. Ervin, July 30, 1974, Folder ›S.3418‹, Box 15, RG 46, U. S. SEN, 93rd, NARA-DC, S. 3; U. S. Congress 1974, Privacy, the Collection, Use, and Computerization of Personal Data, Part 1, S. 472. 36 Ebd., S. 443, S. 450, S. 474. 37 Gerald R. Ford, Memorandum for to William E. Simon et al., with attachments, July 2, 1974, Folder ›PrivacyDCC, Jun 20-Jul 8, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 2. 38 Domestic Council Committee on the Right of Privacy, Fact Sheet, July 25, 1974, Folder ›PrivacyDCC, Jul 9-Aug 12, 1974‹, Box 83, GRFVicePP, GFL, S. 1. 39 Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 30; Smith, Ben Franklin’s web site, S. 309 ff.
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Kreditreporten, wodurch der Zugang für betreffende Personen zu Informationen und deren Korrektur erleichtert, hingegen der Zugang für Dritte zu Daten erschwert werden sollten.40 Auch für dieses Thema hatte sich eine zivilgesellschaftliche Lobby engagiert. Insbesondere Eltern machten sich für das Gesetz stark, und ihre Anliegen artikulierte das National Committee for Citizens in Education, eine Organisation mit Sitz in Maryland. Darüber hinaus unterstützte der Children’s Defense Fund das Anliegen. Schulakten blieben für gewöhnlich unter Verschluss, enthielten aber nicht bloß Fakten über individuelle Leistungen, sondern darüber hinaus psychologische Testergebnisse, Gesundheitsdaten, Informationen über familiäre Hintergründe und laut Medienberichten bisweilen pikante Details über Schülerinnen und Schüler, beispielsweise bezüglich ihrer Sexualität. Der Kongress hatte den FERPA bereits verabschiedet, und Präsident Ford unterzeichnete das Gesetz im August 1974 als eine seiner ersten Amtshandlungen. Ein Schlupfloch betraf Empfehlungsschreiben, auf deren Einsicht Betroffene angehalten waren zu verzichten, wie ein Berater des Präsidenten vermerkte.41 Es zeichnete sich eine gesetzliche Regelung einzelner Bereiche ab, wie Bildung oder Kreditwirtschaft, ohne dass diese Regelungen über ihren speziellen Geltungsbereich hinaus eine Wirkung entfaltet hätten. Ein umfassendes Datenschutzgesetz auf Bundesebene stand weiterhin aus. Die Gesetzgebung zum Privacy Act verlief vergleichsweise zügig. Schließlich drängte die Zeit, noch in der laufenden Legislaturperiode ein Ergebnis zu erzielen.42 Der Entwurf der Senatoren Ervin, Charles H. Percy, Republikaner aus Illinois, und Muskie aus dem Mai 1974 (S. 3418) sah das Einrichten eines »Federal Privacy Board« als unabhängige Bundesbehörde vor.43 In der Folge verabschiedeten Senat und Repräsentantenhaus Ende des Jahres verschiedene Gesetzesentwürfe. Es bahnte sich ein Kompromiss zwischen Regierung und Opposition an, der das Ziel eines umfassenden Datenschutzes stark verwässerte.44 Der Senatsausschuss stellte das »right to privacy with respect to confidential information held by the Federal Government« in einen größeren Kontext der Rechtsprechung und bezog sich etwa auf den Fall Griswold. Demnach sollte das Gesetz die verfassungsrechtlichen Ansprüche auf Privatsphäre weiter ausgestalten.45 Ein Vorbehalt der Regierung betraf die Funktionsweise der Behörden und Ministerien. Insbesondere sprach sich das OMB dagegen aus, eine 40 Regan, Legislating privacy, S. 6. 41 Igo, The known citizen, S. 250–56. 42 Bennett, Regulating privacy, S. 73. 43 Congressional Record, 93rd Congress, second session, Vol. 120, May 1, 1974, Folder ›S.3418‹, Box 15, RG 46, U. S. SEN, 93rd, NARA-DC, S. 1. 44 Bennett, Regulating privacy, S. 73. 45 U. S. Congress 1976, Senate Committee on Government Operations, and the Committee on Government Operations, Legislative History of the Privacy Act of 1974, S.3418, Public Law 93–579, S. v, vii, Zitat S. v.
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unabhängige Behörde, wie der Senat sie favorisierte, einzurichten, da die Verantwortung bei den einzelnen Behörden liegen solle.46 Das Handelsministerium wandte sich gegen einen Änderungsantrag, der den Zugang der Zensusbehörde zu Steuerdaten einschränken würde, obwohl die Behörde diese Daten benötige, um ihren Aufgaben nachzukommen: »The Census record in using confidential data, including tax data, has been unblemished for over a century«.47 Obwohl Bundesbehörden das Ansinnen eines Datenschutzgesetzes begrüßten, befürchteten sie einen hohen bürokratischen Aufwand und eine Störung der Arbeitsabläufe. Im Dezember ließ der Abgeordnete Moorhead den Senatsentwurf im Repräsentantenhaus debattieren, das den Text aber mit dem eigenen Entwurf (H. R. 16373) ersetzte.48 Die Regierung bevorzugte die Version aus dem Repräsentantenhaus. Behörden und Ministerien waren wenig begeistert von der Gesetzgebung, glaubten aber, dass Ford das Gesetz aus »political reasons« unterzeichne. Einwände betrafen unter anderem die Ernennung einer Kommission, einen fehlenden Bezug zum FOIA sowie die gerichtlichen Auslegungen.49 Statt einen Vermittlungsausschuss einzuberufen, einigten sich beide Kammern bei einem Treffen. Der Kompromiss sah vor, eine Studienkommission zu bilden anstatt ein Federal Privacy Board einzurichten, und die Aufsicht darüber dem OMB zu unterstellen.50 Außerdem sparte das Gesetz den Privatsektor aus und bezog sich lediglich auf die Bundesbehörden, nicht aber auf einzelstaatliche oder kommunale Institutionen. Der Gesetzgeber befand, dass die Privatsphäre der Bürger von der – häufig computergestützten – Informationsverarbeitung der Bundesbehörden betroffen sei und ihre Chancen in Hinblick auf Arbeit, Versicherung und Kredit sowie auf ordentliche Verfahren gefährdet seien. Allerdings sei Privatsphäre ein Grundrecht: »the right to privacy is a personal and fundamental right protected by the Constitution of the United States«. Daher müsse der Kongress regulieren, wie Behörden Daten speichern, sammeln, nutzen und weitergeben dürften.51 Ende Dezember 1974 unterzeichnete Präsident Ford den Privacy Act. Mit Inkrafttreten des Privacy Act wurden Behörden verpflichtet, über Informationssammlungen zu berichten und diese zu beschreiben sowie Zugangs 46 Roy L. Ash to Sam J. Ervin, November 21, 1974, Folder ›S.3418‹, Box 15, RG 46, U. S. SEN, 93rd, NARA-DC, S. 1. 47 Frederick B. Dent to Sam J. Ervin, December 2, 1974, Folder ›S.3418‹, Box 15, RG 46, U. S. SEN, 93rd, NARA-DC, S. 2. 48 Vgl. Congressional Record – House, December 11, 1974, Folder ›S.3418‹, Box 15, RG 46, U. S. SEN, 93rd, NARA-DC, S. 39204. 49 Ken Cole, Memorandum for the President, December 28, 1974, Folder ›Privacy Act 1974, S. 3418, 12131/74‹, Box 18, WHRO LegCF, GFL, S. 1. 50 Bennett, Regulating privacy, S. 73. 51 U. S. Code, PL 93–579, in: U. S. Congress (Hg.), Senate Committee on Government Operations, and the Committee on Government Operations, Legislative History of the Privacy Act of 1974, S. 3418, Public Law 93–579, Sec. 2.
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rechte und Nutzung von Daten darzulegen. Das Gesetz räumte den Bürgern gewisse Rechte hinsichtlich der Datenbestände in Bundesbehörden ein. So durften Personen erstens erfahren, welche Datenbestände existierten, zweitens untersagen, dass Daten zu anderen Zwecken genutzt würden, sowie drittens Akten einsehen und gegebenenfalls korrigieren lassen. Viertens sollten Behörden lediglich notwendige Daten sammeln und diese akkurat und sicher verwalten, fünftens sollten Ausnahmen nur bei öffentlichem Interesse bestehen, sechstens sollten Zivilverfahren möglich sein.52 Eine augenscheinliche Konsequenz ergab sich daraus, dass Behörden die Existenz von rund 8.000 Karteien und Datenbanken bekanntgaben. Die Informationssysteme erschienen Reportern als schier endlos. Beispielsweise existierten Listen von Personen, die auf Militärbasen Haustiere hielten.53 Außerdem traten verwaltungstechnische Schwierigkeiten auf. So kam es zu Problemen bei Steuerbescheinigungen von Armeeangehörigen, da Dienststellen nicht mehr ungehindert Daten austauschen konnten.54 Insgesamt fasste die Öffentlichkeit das Gesetz als nüchternen Verwaltungsakt auf. Kommentatoren bemängelten das Gesetz in einigen Punkten, wie die zahlreichen Ausnahmen etwa für Sicherheitsbehörden. Etwa bezeichnete Kommentator James Beverage das Gesetz als einen Meilenstein, der aber erst einen Anfang darstelle.55 Darüber hinaus ergaben sich Konflikte mit der Transparenz, da das Gesetz zur Informationsfreiheit und das Datenschutzgesetz jeweils eigene Standards setzten. Daher legte Kommentator Frank Rosenfeld dar, dass in der Folge Gerichten die Aufgabe zukomme, zwischen Privatsphäre und Transparenz abzuwägen: »an acceptable balance is to be struck between the need to protect privacy and the need to permit public access to government records«.56 Das Gesetz bildete den Schlussstein einer Debatte, die zehn Jahre zuvor mit dem Bekanntwerden des Vorhabens, ein NDC zu gründen, begonnen hatte. Noch im Jahr 1976 argumentierten die Autoren eines Artikels mit Bezug auf das NDC, dass ein zentrales System einen besseren Datenschutz bieten könne als ein dezentrales System.57 Dies mochte theoretisch gut begründet sein, doch erschien diese wissenschaftliche Sicht in der Verwaltung wenig praktikabel geschweige denn politisch zu vermitteln. Zum Thema Daten und Privatsphäre hatte sich ein Konsens herausgebildet, mochten die statistischen Dienste noch so dysfunktional, mochten die beschlossenen Regeln noch so zahnlos sein.
52 Ebd. 53 Watson 16.9.1975, The Washington Post, S. A7. 54 Mathews 9.8.1975, The Washington Post, S. A1. 55 Beverage 1976, The Privacy Act of 1974, S. 326, 328 f. 56 Rosenfeld 1976, Comments, S. 597. 57 Vgl. Turn u. a. 1976, Privacy and Security.
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2.3 Aushandeln von Privatsphäre: »Violating a man’s right to privacy by simply knowing something about him« Es war umstritten, wie das Verhältnis von Technologie zu Privatsphäre zu bewerten sei. So kamen die Autoren der oben erwähnten Studie der Wissenschaftsakademie zu dem Schluss, dass Entscheidungen nicht unterschiedlich ausfielen, wenn Akten in computerlesbarer Form oder in Papierform bestanden. Regeln zu individuellen Rechten seien mit der Einführung des Computers unverändert geblieben.58 Allerdings ermöglichte der Einsatz von Computern auch erweiterte Möglichkeiten, um Daten zu verarbeiten und zu analysieren. Darauf wiesen die Autoren eines Ministeriumsberichts hin, die verschiedene Operationen von »updating, merging, and linking operations« sowie »matching data« nannten, die in Hinblick auf Privatsphäre relevant seien. Dieses Verknüpfen von Daten könne mit einer identifizierenden Nummer wie der Sozialversicherungsnummer verbessert werden. Jedoch sei für Überwachung keine »giant national data bank of dossiers« notwendig.59 Senator Ervin, der an einem Datenschutzgesetz arbeitete, glaubte, dass Technologie zwar nicht die Schuld an einem Eingriff in die Privatsphäre trage: »technology is not to blame«. Doch könnten mehr Institutionen mit technologischen Mitteln mehr Informationen über Personen verarbeiten.60 Insgesamt standen Technologie und Privatsphäre in einem ambivalenten Verhältnis, da Technologie die Möglichkeit von Überwachung erweiterte, aber auch dem Schutz der Privatsphäre dienen und darüber hinaus den Handlungsspielraum von Personen vergrößern konnte. Beispielsweise hieß es in einem Senatsbericht, dass staatliche Bürokratie ein Eigenleben entwickelt habe, wobei Behörden laufend auf Gefahren und Pro bleme hinwiesen, die es zu bekämpfen gelte. In der Folge käme es zu einem Einsatz von Überwachungstechnologie, ohne dass der Nutzen hinterfragt werde.61 Als Antwort auf Praktiken von Behörden wie teilweise auch von Unternehmen beklagten Autoren, Politiker und Anwälte einen Eingriff in die Privatsphäre. Der Geltungsbereich von Privatsphäre blieb kontrovers. Einige Philosophen bestritten, dass ein einheitliches Recht auf Privatsphäre bestehe. Dass Informationen über Personen im Umlauf seien, bedeute noch keinen Eingriff, wie die Philosophin Judith Jarvis Thomson erklärte: »there is no such thing as violating a man’s right to privacy by simply knowing something about him«.62 Andere Autoren 58 Westin / Baker 1973, Databanks in a free society, S. 341. 59 U. S. Dep. of Health, Education and Welfare 1973, Records, computers and the rights of citizens, S. 22 ff., Zitat S. 23, 24. 60 U. S. Congress 1974, Privacy, the Collection, Use, and Computerization of Personal Data, Part 1, S. 2. 61 U. S. Senate 1976, Surveillance Technology, S. 1. 62 Thomson 1975, The Right to Privacy, S. 306.
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hingegen begründeten ein integrales Recht, dass sowohl Entscheidungen in der Familienplanung, als auch einen Schutz von Daten bedeutete, wie der Philosoph James Rachels befand: »control who has access to us and to information about us«.63 Privatsphäre erstreckte sich hier auf Daten und Information. Die Arbeit des DCCRP führte schließlich Nelson Rockefeller als Vizepräsident weiter. Dabei verfolgte Rockefeller einen integrierten Ansatz, der neben privacy auch Informationsfreiheit sowie die Vertraulichkeit von Regierungsinterna umfasste.64 Die Gesetze bildeten die Grundlage, auf der Datenschutz in der Folge verhandelt wurde. Es erschien schwierig, den erreichten Konsens grundlegend zu erweitern. Im Oktober und November 1975 hielt Senator Joseph R. Biden, Demokrat aus Delaware, im Unterausschuss für Verbraucherangelegenheiten erneut Anhörungen über Änderungen des Kreditreportgesetzes ab. Als Vertreter der ACLU war Jeremiah Gutman geladen, der den Vorsitz des privacy committee der Organisation übernommen hatte. Gutman bemängelte, dass das Gesetz lediglich im Konfliktfall zum Tragen käme, Personen sich aber jederzeit über Reporte und die Quellen von negativen Aussagen informieren können sollten.65 Privatsphäre betraf hier das Wissen über Konsumenten. Dabei ging es letztlich nicht um ein Verbot von Datenverarbeitung, sondern darum, Daten akkurat und vertraulich zu behandeln. Ebenso drehte sich die Debatte im staatlichen Sektor um Regeln und Verfahren, anstatt darum, weniger Daten zu erheben. Ein Anspruch auf Nicht-Wissen der Institutionen bestand nicht.
63 Rachels 1975, Why Privacy is Important, S. 326. 64 Nelson A. Rockefeller, Memorandum for the President, December 17, 1975, Folder ›1/1/76–1/20/77‹, Box 62, WHCF, FG 6-15-1, GFL, S. 1. 65 U. S. Senate 1976, Fair Credit Reporting Amendments of 1975, S. 535 f.
3. Revision der Geheimdiensttätigkeit
Abb. 21: Die enttarnte CIA-Operation CHAOS gewährte einen tiefen Einblick in die Geheimdienstarbeit. Das Foto vom 6. Juni 1975 zeigt die Berichterstattung an Präsident Ford durch Vizepräsident Rockefeller und Mitglieder seiner Kommission. Courtesy Gerald R. Ford Presidential Library (A4947-05).
Präsident Ford erachtete Privatsphäre als wichtiges Anliegen in seiner Regierungszeit. Jedoch wollte er die Sicherheitsbehörden nicht beschädigen oder zu stark einschränken, als eine Revision der Geheimdienste einsetzte. Mehrere Kommissionen und Ausschüsse befassten sich mit den geheimdienstlichen Aktivitäten, unter anderem in Hinblick auf die Folgen für die Privatsphäre der Bürger. Der eigentliche Auslöser für diese Revision war ein CIA-Programm. Es bleibt umstritten, ob die Operation CHAOS überwiegend als legales und legitimes Mittel oder als gravierender Verstoß gegen Grundrechte zu werten ist.1 Alsbald dehnten sich die Untersuchungen auf weitere Kreise der Geheimdienste aus und wurden schließlich im Senatsbericht unter der Leitung von Frank F. Church, Demokrat aus Idaho, festgehalten. Reformen gestalteten sich als schwierig, da sie das empfindliche Verhältnis zwischen Sicherheit und Privatsphäre austarieren mussten. Dies galt auch für die Frage, unter welchen Verfahren Behörden die Gespräche von US-Amerikanern mit ausländischen Staatsbürgern abhören 1 Rafalko, MH / CHAOS, S. 198 f., 208 f.
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durften. Für die Überwachung im Namen der nationalen Sicherheit stand noch immer eine gesetzliche Regelung aus.
3.1 Bekanntwerden der Operation CHAOS: »In a world where information is power« Ein Spionageprogramm der CIA, das auch die Rechte von US-Bürgern betraf, machte der Reporter Seymour Hersh in der New York Times publik. Demnach richteten sich diese Aktionen gegen Kriegsgegner sowie Dissidenten. Anscheinend basierte der Artikel auf einer hausinternen Revision, die der damalige CIA-Direktor James Schlesinger im Mai 1973 angestoßen hatte. Die Berichte über mögliche Regelverstöße erwiesen sich als zahlreich und bildeten einen Satz an Dokumenten, die in Geheimdienstkreisen als »family jewels« bekannt waren. Darin enthalten war eine Referenz zur Operation CHAOS, auf die sich der Zeitungsartikel bezog. Der neue CIA-Direktor William Colby sah sich hohem Druck ausgesetzt. Colby hatte die Dokumente an Aufsichtsgremien im Kongress weitergegeben, doch anstatt den Geheimdienstchef dafür zur Verantwortung zu ziehen, entschied sich Ford, die Behörde vor Angriffen zu schützen, gleichzeitig aber für Aufklärung zu sorgen.2 Daher setzte Präsident Ford Anfang Januar eine Kommission unter Vizepräsident Rockefeller ein, um die Aktivitäten der CIA im Inland zu untersuchen.3 Erneut drehte sich die Kontroverse darum, wie weit der Staat unter der Maßgabe der Sicherheit die politischen Aktivitäten der Bürger überwachen durfte. Diesmal lautete der Vorwurf an den Auslandsgeheimdienst, im Inland operiert zu haben, um angeblichen Einflüssen anderer Staaten auf politischen Protest nachzugehen. Auch in diesem Fall stand das Programm unter Geheimhaltung, bis Details darüber an die Presse gelangten. Die verschiedenen Enthüllungen zu Geheimdienstprogrammen, die möglicherweise irreguläre Praktiken beinhalteten, brachten den Kongress auf den Plan. Es setzte ein »Year of Intelligence« ein.4 Ende Januar 1975 gründete der Senat unter Church einen Ausschuss, der über neun Monate die Arbeit der Geheimdienste durchleuchten sollte.5 Während sich der Senatsausschuss mit Personalien befasste und Verantwortliche suchte, richtete sich ein Ausschuss im Repräsentantenhaus unter Otis G. Pike, Demokrat aus New York, auf organisatorische Aspekte aus. Derweil sorgte sich Präsident Ford, dass die Ausschüsse die Geheimdienstarbeiten und damit die Sicherheit des Landes gefährden könnten: »In a world where information is power, a vital element of our national security 2 Cannon, Gerald R. Ford, S. 321 f., Zitat S. 321. 3 Johnson, A season of inquiry revisited, S. 5 ff. 4 Ders., Spy watching, S. 107. 5 Ders., A season of inquiry revisited, S. 5 ff.
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lies in our intelligence services«.6 In dem schwelenden Konflikt um Wissen bedurfte der Schutz der nationalen Sicherheit ein gewisses Maß an Geheimhaltung, doch durch zu viel Geheimhaltung entzogen sich Sicherheitsbehörden einer Kontrolle, so dass Angriffe auf die Privatsphäre im Verborgenen blieben. In der Folge sah sich der Ausschuss unter Church Versuchen der Regierung ausgesetzt, die Untersuchungen zu verschleppen und zu behindern.7 Zum einen musste der Ausschuss mit Geheimnissen und sensiblen Informationen umgehen. Zum anderen war das Gremium mit weitreichender Geheimhaltung konfrontiert. Daher betrieb der Ausschuss eine »analysis of the overuse of secrecy stamps, and of the harm caused by excessive secrecy«.8 Solche Praktiken der Behörden, übertrieben viele Dokumente geheim zu halten, waren eine Voraussetzung für unkontrollierte Überwachung, die als Verletzung der Privatsphäre von Bürgern betrachtete wurde. In der Zusammenfassung des Abschlussberichts wogen die Mitglieder der Rockefeller-Kommission das Interesse der nationalen Sicherheit gegen individuelle Freiheitsrechte ab. Etwa erachteten die Autoren privacy als ein Fundament der Gesellschaft. Aber auch ein Eindringen in die Privatsphäre durch fremde Dienste zog der Bericht in Betracht. Laut der Kommission hatte die Operation zum Teil die gesetzlichen Schranken überschritten und eine unverhältnismäßige Sammlung an Daten hervorgebracht, aber keiner effektiven Kontrolle unterlegen.9 Beispielsweise hatte der frühere Präsident Johnson angeordnet, Kriegsgegner zu infiltrieren und Telefonate von linken Aktivisten abzuhören. Sein Nachfolger Nixon hatte den Dienst auf die Bewegungen von black power und auf Studierendengruppen angesetzt.10 Unter der Bezeichnung black power formierten sich radikale afroamerikanische Aktivisten, wie NOI oder die BPP, die Selbstbestimmung einforderten aber auch einen Stolz auf ihre eigene Ethnie kultivierten, wie sie aus dem schwarzen Nationalismus tradiert wurde.11 Auch das Church-Komitee untersuchte die Operation CHAOS. Laut Bericht nahm die Operation in einer ersten Phase im August 1967 die Sowjetunion, die Volksrepublik China sowie Kuba in den Blick. Von Beginn trug die Operation Züge von inländischer Spionage, und Ende 1969 standen sämtliche Beziehungen von Protestgruppen ins Ausland unter Beobachtung.12 Obwohl die Operationen der CIA auf ausländische Informationen abzielten, bestand der Vorwurf, dass der Dienst tausende US-Amerikaner ausgespäht und in Akten geführt habe.13 6 Cannon, Gerald R. Ford, S. 323, zitiert nach: ebd., S. 324. 7 Johnson, Spy watching, S. 111. 8 Schwartz, The Church Committee, S. 278. 9 Tames 11.6.1975, The New York Times, S. 18. 10 Cannon, Gerald R. Ford, S. 325 f. 11 Ogbar, Black Power, S. 2 ff. 12 U. S. Senate 1976, Intelligence Activities and the Rights of Americans, S. 99 f. 13 U. S. Senate 1976, Supplementary Detailed Staff Reports, S. 681.
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Die vorrangige Frage lautete, ob die CIA gesetzliche Vorgaben missachtet und Inlandsspionage betrieben habe. Umstritten war auch, dass der Dienst Bürger in Computerdateien und Akten erfasste.
3.2 Das Church-Komitee erstellt einen Bericht: »Some of the most crucial privacy issues facing this nation« Politische Privatsphäre stand auf dem Spiel, wie ein Blick in die geheimdienstlichen Institutionen vermuten ließ, und darüber hinaus bezweifelten Politiker den Nutzen einzelner Programme für die Sicherheit des Landes. Die Untersuchungen im Kongress brachten Details zu weiteren Programmen hervor. Im April 1976 veröffentlichte das Church-Komitee seine Ergebnisse. Wie es im Bericht einleitend hieß, seien Geheimdienste oftmals wenig zielgerichtet vorgegangen, was Privatsphäre und freie Meinungsäußerung in Mitleidenschaft gezogen habe: »intelligence has lost this focus and domestic intelligence activities have invaded individual privacy and violated the rights of lawful assembly and political expression«.14 Ferner hätte die Weitergabe von Informationen durch Behörden die »adverse effects on privacy« weiter verschärft.15 Privatsphäre kam hier wiederum die Funktion zu, dass Bürger sich ohne staatlichen Einfluss zu Kundgebungen versammeln und politisch äußern durften. Das Komitee berichtete über zahlreiche Fälle, in denen Geheimdienstmitarbeiter die persönliche Privatsphäre von Bürgern verletzt hätten. Es traf der staatliche Anspruch auf Informationen über Gefahren auf den Anspruch auf Privatsphäre, das Interesse an Geheimhaltung auf das Interesse an Aufklärung. Im Zuge dieses Konflikts wurden die Kompetenzen des Staates neu ausgehandelt, der staatliche Zugriff auf Informationen reguliert und Geheimhaltung hinterfragt. Die staatlichen Institutionen machten eine Krise durch. Der Ruf nach neuen Regeln bezog sich unter anderem auf Vorschriften, nach denen Behörden auf elektronische Technologien zurückgreifen konnten, um Personen abzuhören und zu überwachen. Es stellte sich die Frage, ob der Staat zu weit gegangen war. Die Antwort auf überbordende Sicherheitspolitik lautete: Privatsphäre. Privacy bildete ein wiederkehrendes Motiv im abschließenden Bericht des Church-Komitees, dessen Autoren befanden, dass inländische Geheimdienstaktivitäten zu weitreichend gefasst waren und »rights of speech, political activity, and privacy against unjustified government intrusion« beeinträchtigt hätten. Dabei nannten die Autoren Programme von FBI, Armee, CIA sowie NSA.16 Demnach habe das FBI unter dem Codenamen COINTELPRO verdeckte Aktionen gegen Dissidenten aus 14 U. S. Senate 1976, Intelligence Activities and the Rights of Americans, S. 1. 15 Ebd., S. 253. 16 Ebd., S. 167 ff., Zitat S. 169.
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geführt sowie auf illegale oder unangemessene Methoden zur Überwachung zurückgegriffen.17 Der Bericht kritisierte die Behörde scharf, die sich seit 1948 in hunderten Fällen ohne richterlichen Beschluss heimlichen Zugang zu geheimdienstlichen Informationen verschafft habe: »despite the questionable legality of the technique and its deep intrusion into the privacy of targeted individuals«.18 Der Bericht befasste sich unter anderem mit der Überwachung durch die Armee, wonach die Bill of Rights unter anderem einen Schutz des »right to privacy« biete. Daher untersuchten die Autoren die Praktiken des Militärs in Hinblick auf Informationssammlungen über politische Aktivitäten, Abhören des Funkverkehrs, Ermittlungen zu Organisationen, die das Militär als Bedrohung einstufte, sowie Unterstützung anderer Behörden.19 Dabei befassten sich die Autoren mit der Frage, ob das Datenschutzgesetz aus dem Jahr 1974 einen Schutz vor militärischer Überwachung böte, und kamen zu dem Schluss: »the Privacy Act falls short of providing adequate assurance that the military will not engage in surveillance of private citizens in the future«.20 Auch der Nachrichtendienst NSA stand in der Kritik, der offenbar überwachte, wie US-Bürger mit dem Ausland kommunizierten, und auf diese Weise deren Privatsphäre verletzte: »NSA has intercepted and disseminated the international communication of American citizens whose privacy ought to be protected under our Constitution«.21 Regulierungen erwiesen sich aber als kompliziert. Vorschriften, welche die Regierung beschlossen hatte, führten zu Verwerfungen und lösten Widerspruch der NSA aus. Wie Lieutenant General Allen 1975, im Jahr vor Erscheinen des Berichts, ausführte, hätten neue Verfahren zu Unterbrechungen der Geheimdienstarbeit geführt, so dass Informationen verloren gegangen sei. Außerdem fürchtete Allen, dass geheimdienstliche Operationen aufgedeckt und kompromittiert werden könnten, da für jeden Fall ausführliche Dokumentationen mit einer weiten Verbreitung erstellt werden mussten. Zwar müsse bei beschlusslosen Abhörmaßnahmen das »constitutional right to privacy of American citizens« geschützt werden, die Empfehlung lautete jedoch, die Operationen der NSA gesondert von denen anderer Dienste zu behandeln.22 Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig die Interessen von Privatsphäre und Sicherheit in Einklang zu bringen waren. Dementsprechend fragt etwa der am Church-Bericht beteiligte Loch Johnson rückblickend: »Can the United States protect the privacy and liberty of its citizens while, at the same time, conduct 17 Ebd., S. 10 ff., 86 ff. 18 U. S. Senate 1976, Supplementary Detailed Staff Reports, S. 355. 19 Ebd., S. 788. 20 Ebd., S. 834. 21 Ebd., S. 735. 22 Lew Allen, Jr., Memorandum for the Secretary of Defense, declassified NLF-CODEWORD-47-25-3-0, October 4, 1975, Folder ›PWBuchenFs, Intelligence Series Codeword‹, Box 33, RACP, GFL, S. 1 ff., Zitat S. 2.
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effective intelligence operations?«23 Insgesamt ergab sich aus dem Argument, dass Behörden die Privatsphäre von Bürgern gestört hätten, der Ruf nach Regeln und Vorschriften. Um Bürger zu überwachen, setzten die Geheimdienste technologische Mittel ein, womit sie in die Privatsphäre eindrangen. So hatten die Geheimdienste auf Techniken zurückgegriffen, die einer besonderen Kontrolle unterliegen müssten, da sie ein »threat to the personal privacy« darstellten, wie der Church-Bericht betonte. Etwa wurden Briefe geöffnet, sich unerlaubter Zutritt verschafft sowie klassische und moderne Mittel der elektronischen Überwachung verwendet.24 Aus dem Öffnen von Briefen im Rahmen der Operation CHAOS resultierten anderthalb Millionen Namen, die in Datenbanken geführt wurden.25 Allein die CIA-Datenbank HYDRA umfasste etwa 300.000 Einträge über US-Bürger. Die Datenbank funktionierte als Index, der sämtliche Dokumente zu einem gesuchten Namen ausgab. Jedoch unterhielt die CIA selbst bloß Akten über etwa 7.500 der gelisteten Personen.26 Solche Datenbanken bildeten einen Schritt hin zu einer präventiven Gefahrenabwehr.27 Der Dienst NSA hatte Telefonate von Personen und Gruppen auf diesen Listen abgehört, betonte aber, dass jeweils ein Ende der Leitung ins Ausland geführt habe.28 Bei der Überwachung unter dem Programm »Minaret« folgte der Dienst sogenannten »watch lists« und erhielt unter dem Codenamen »Shamrock« Kopien von Telegrammen, die von den USA aus versendet wurden. Einige der Listeneinträge betrafen US-amerikanische Bürger, die in Zusammenhang mit inländischen zivilen Unruhen oder Drogenhandel überwacht wurden. Unter anderem forderte das DOD geheimdienstliches Material an, das über einen möglichen, ausländischen Einfluss auf zivile Unruhen Aufschluss geben sollte.29 Die neuen Erkenntnisse über die Kooperation mit anderen Diensten zogen keine direkten Konsequenzen für die Armee nach sich. Zu den Listen bemerkte der Church-Bericht: »The watch list activities and the sophisticated technological capabilities that they highlight present some of the most crucial privacy issues facing this nation«.30 In diesem Kontext sorgte Technologie für eine Erosion von individuellen Freiheiten. Kritiker der Nachrichtendienste beriefen sich diesbezüglich auf einen Anspruch auf Privatsphäre.
23 Johnson, Spy watching, S. 2. 24 U. S. Senate 1976, Intelligence Activities and the Rights of Americans, S. 183. 25 Johnson, Spy watching, S. 119. 26 U. S. Senate 1976, Supplementary Detailed Staff Reports, S. 695. 27 Goschler u. a., Sicherheit, in: Bösch, Frank (Hg.), Wege in die digitale Gesellschaft, S. 72. 28 Johnson, Spy watching, S. 117 f. 29 U. S. Senate 1976, Supplementary Detailed Staff Reports, S. 738 f. 30 Ebd., S. 764 f., Zitat S. 764.
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3.3 Der Gesetzgeber arbeitet am FISA: »The abuses of Presidential power in the surveillance area« Eine Reform der Dienste stand an, bei der Präsident Ford deren Kompetenzen nicht zu weit einschränken aber gleichzeitig Rechte wie Privatsphäre schützen wollte. Zunächst setzte Ford eine Intelligence Coordination Group zur Reform der Geheimdienste ein, in der auch Attorney General Edward Levi maßgeblich mitwirkte. Mit einer Verfügung ordnete Ford im Jahr 1976 die Aufgaben der Behörden neu, wonach unter anderem Bürger innerhalb der USA nicht mehr mit elektronischen Mitteln überwacht werden durften.31 Gleichzeitig schob Ford aber auch der Weitergabe von vertraulichem Material durch Staatsbedienstete einen Riegel vor.32 Im März 1976 implementierte Levi Richtlinien zur Arbeit des FBI, die spezifizierten, zu welchen Anlässen Ermittler in Sicherheitsfragen tätig werden konnten. Außerdem wurde der Einsatz von verdeckten Ermittlern und von elektronischer Überwachung eingeschränkt.33 Darüber hinaus wurde der Gesetzgeber aktiv und pochte auf seine Kontrollfunktion der Regierung. Mit dem Senate Select Committee on Intelligence im Jahr 1976 und dem House Permanent Select Committee on Intelligence im Jahr 1977 richtete der Kongress Gremien zur Aufsicht über die Geheimdienste ein.34 Ein Gesetzesentwurf zu elektronischer Überwachung stammte aus dem Justizministerium. In dieser Sache wandte sich CIA-Direktor George Bush an Attorney General Levi sowie an einen Berater des Präsidenten. Bush unterstützte ein Memorandum des Außenministeriums, nach dem unter anderem für bestimmte Methoden der Überwachung ein richterlicher Beschluss nötig wäre.35 Präsident Ford willigte schließlich in den Entwurf von Levi ein, demgemäß für die Überwachung von Botschaften und Gesandtschaften sowie von US-Bürgern und ansässigen Ausländern ein Beschluss nötig wäre.36 Anfang 1976 bat Präsident Ford den Sprecher des Repräsentantenhauses, die Gesetzgebung zu elektronischer Überwachung zu erörtern und zu verabschieden, die in parteiübergreifenden Debatten entstanden sei und das Problem von »personal privacy« adressiere. Dabei orientierte sich das Gesetz am Kriminalitätsgesetz, indem ein richterlicher 31 Cannon, Gerald R. Ford, S. 328 f. 32 Crain, The Ford presidency, S. 129. 33 Walker, Presidents and civil liberties from Wilson to Obama, S. 326. 34 Johnson, Congress and the American Experiment in Holding Intelligence Agencies Accountable, S. 503. 35 George Bush, Memorandum for Edward H. Levi, John O. Marsh, declassified NLFBIS-115-2-5-4, March 10, 1976, Folder ›PWBuchenFs, Intelligence Series (17)‹, Box 36, RACP, GFL, S. 1. 36 James E. Connor, Memorandum for Philip Buchen, Jack Marsh, declassified NLFBIS-115-3-5-3, March 17, 1976, Folder ›PWBuchenFs, Intelligence Series (17)‹, Box 36, RACP, GFL, S. 1.
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Beschluss nötig würde, wenn Geheimdienste im Inland tätig werden wollten, um ausländische Kontakte zu überwachen.37 Die NSA sollte gemäß dem Entwurf ausgenommen werden.38 Wie das President’s Foreign Intelligence Advisory Board diskutierte, müssten die Informationen aus Überwachungsmaßnahmen als »essential« eingestuft werden.39 Dies galt als Hürde für einen Beschluss. Ein Gesetz kam vorerst nicht zustande. Im Jahr 1976 erschien der Bericht einer Regierungskommission darüber, wie elektronische Überwachung zu regeln sei.40 Die Autoren befanden, dass das Kriminalitätsgesetz bestimmte Verfahren und Kontrollen festlegte, die dazu geführt hatten, »invasion of privacy« durch Strafverfolgungsbehörden auf ein Minimum zu beschränken. So könne die Privatsphäre von Verdächtigen geschützt werden, indem strafrechtlich nicht relevante Gespräche unberücksichtigt blieben.41 Diese Art von Überwachung, ein gezieltes Abhören von Verdächtigen, war eher mit disziplinarischen Techniken als mit einem Sicherheitsdispositiv verbunden. Das Problem, wie Sicherheit und individuelle Rechte zu vereinbaren seien, wenn ausländische Ziele involviert waren, bestand fort. Anhörungen zum Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) fanden im März 1976 unter der Leitung von Senator McClellan statt, der zehn Jahre zuvor schon am OCCSSA mitgearbeitet hatte. Ihm zufolge hatte die Regierung ihre Befugnisse, Abhörmaßnahmen in Fällen der nationalen Sicherheit anzuordnen, überstrapaziert: »The abuses of Presidential power in the surveillance area reached their zenith under the Nixon administration«. Obwohl Überwachung auch legitimen Zwecken dienen könne, müsse der Kongress möglichen Gefahren für »Constitutionally protected rights of privacy, association and speech« begegnen.42 Dies folgte dem verbreiteten Narrativ, wonach die Exekutive außer Kontrolle geraten sei, und ihre Befugnisse mit politischen Rechten der Bürger ins Gleichgewicht gebracht werden müsse. Privatsphäre, Vereinigungsrecht und Meinungsäußerung hingegen dabei eng zusammen. In Anhörungen zum FISA im Jahr 1976 glaubte der Abgeordnete Kastenmeier, dass zentralstaatliche Behörden unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit politische Ansichten von Personen ausforschten: »It is this asserted exception to the protections of the Bill of Rights, with all the variations made possible through the use of modern electronic technology, which could form
37 Gerald Ford to [Carl Albert], March 23, 1976, Folder ›FISA, S. 3197 (2)‹, Box 3, LChernePs, GFL, S. 1. 38 Lionel H. Olmer, Memorandum for William J. Casey, April 14, 1976, ›FISA, S. 3197 (1)‹, Box 3, LChernePs, GFL, S. 1. 39 Lionel H. Olmer, Memorandum for Mr. Williams et. al., August 18, 1976, ›FISA, S. 3197 (2)‹, Box 3, LChernePs, GFL, S. 1. 40 Regan, Legislating privacy, S. 127 f. 41 [U. S. Government] 1976, Electronic Surveillance, NWC Report, S. 11. 42 U. S. Senate 1976, The Foreign Intelligence Surveillance Act of 1976, S. 2 f., Zitat S. 3.
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the cornerstone of a future police state«.43 Das Beobachten von politischen Einstellungen im Namen der nationalen Sicherheit galt hier als ein Schritt auf dem Weg in einen Polizeistaat, in dem Grundrechte missachtet würden. Diesen dystopischen Zustand, in dem Überwachung mit technologischen Mitteln allgegenwärtig wäre, galt es aus Sicht des Abgeordneten zu verhindern. Die Gesetzgebung sollte sich noch über weitere zwei Jahre hinziehen.
43 U. S. House of Representatives 1977, Foreign Intelligence Surveillance Act, S. 2.
4. Eine neue Balance von Sicherheit und Privatsphäre
Abb. 22: Präsident Gerald Fords Engagement für das »Right to Privacy« hatte eine gemischte Bilanz. Das Foto vom 8. September 1974 zeigt Ford, wie er die Mitteilung durchgeht, seinen Vorgänger Nixon von allen Anschuldigungen freizusprechen. Courtesy Gerald R. Ford Presidential Library (A0619–16a).
Einen Pfeiler der Sicherheitsgesellschaft, wie sie sich in Ansätzen abzeichnete, bildete Wissen. Solches Wissen basierte auf Kriterien wie Rationalität oder Effizienz und speiste sich aus großen Datensätzen, die zunehmend automatisiert mit Computern verwaltet wurden. Beispielsweise versuchten sich Firmen abzusichern, indem sie die Kreditwürdigkeit von Kunden anhand von Daten bestimmten. Behörden stützten sich unter anderem auf Daten, um Programme zur sozialen Absicherung der Bürger zu verwalten. Bald traten Konflikte auf, wieweit die Befugnisse der Institutionen reichen und wie Regierungspraktiken eingehegt werden sollten, da die Informationsverarbeitung undurchsichtig erschienen und auch fehlerhafte Daten verarbeitetet wurden, was zum Nachteil einer Person gereichen konnte. Privatsphäre im Sinne einer Kontrolle über Informationen war Präsident Ford ein besonderes Anliegen und prägte seine Amtszeit. Allerdings erwirkte die Regierung, dass der Privatsektor ausgespart blieb und keine eigene Aufsichtsbehörde geschaffen wurde, so dass der Privacy Act ausschließlich die Informationsverwaltung der Bundesbehörden regelte. Des Weiteren konnte das
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Speichern und der Austausch von Informationen einen Eingriff in die Privatsphäre bedeuten. Ebenso begehrt wie Daten über Personen erschienen Informationen aus den Behörden. Dies war die Kehrseite der Datenpolitik. In der Watergate-Affäre geriet die Regierung in Verdacht, sich einerseits Informationen zu beschaffen, indem die Privatsphäre von politischen Persönlichkeiten verletzt wurde, anderseits Fakten unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit zurückzuhalten. Mit diesem Streit erhielt eine FOIA-Reform Aufwind. Gegen das Veto von Präsident Ford stärkte der Kongress die Öffentlichkeit gegenüber den Behörden, wenn es um die Herausgabe von Dokumenten ging. Die Regierung sah dadurch unter anderem die Sicherheitspolitik gefährdet. Geheimhaltung konnte den Anspruch auf politische Privatsphäre aushöhlen. Zwar erforderte das Streben nach Sicherheit, dass Behörden gewisse Vorgänge und Dokumente geheim hielten. Doch Geheimnisse ließen Ansprüche auf Privatsphäre erodieren, wenn staatliche Programme unkontrolliert abliefen und Überwachung ohne richterliche Aufsicht stattfand. Solche Regierungspraktiken drohten den politischen Diskurs zu lähmen. Das Überwachungsprogramm der Armee hatte ein Nachspiel, als Beamte auf Aktenbestände, die politischen Protest von Zivilisten dokumentierten, stießen. In diesem Zusammenhang stand zur Debatte, wie die Geheimdienste ihre Computer untereinander vernetzten und Daten austauschten. Den Betrieb geheimer Datenbanken zu unterbinden war eine Intention des Gesetzgebers, als er den Privacy Act verabschiedete, denn das Komitee von Senator Ervin, der das Gesetz mit erarbeitete, hatte die Datenbanken der Armee ausführlich untersucht. Technologie entwickelte sich stetig weiter, während Regeln und Gesetze kaum Schritt hielten. Ein weiteres Beispiel für das fragile Verhältnis zwischen Geheimnis und Privatsphäre war das Programm der CIA unter dem Codenamen CHAOS. Als die Presse über das Programm berichtete, ergab sich der Verdacht, dass der Dienst inländische Bürger beobachtete, um einem angeblichen ausländischen Einfluss auf Kriegsproteste nachzugehen. In der Folge begannen der Kongress und die Ford-Regierung, die Arbeit der Geheimdienste aufzuklären und Regelwerke zu schaffen, um staatliches Handeln zu kontrollieren und einzudämmen. Für Streit sorgte die Frage, wie weit diese Inspektion gehen sollte, ohne die Dienste zu schwächen. Hierbei standen sich ein liberaler Kongress, der auf umfassende Aufklärung setzte, und eine konservative Regierung, die der Funktion der Sicherheitsbehörden eine Priorität einräumte, gegenüber. Auch die Implementierung von Regeln bereitete Schwierigkeiten, da Behördenchefs die Geheimdienstarbeit nicht schwächen wollten. Im selben Jahr als die Spionage gegen Kriegsgegner bekannt wurde, kapitulierte Südvietnam im April vor nordvietnamesischen Truppen, die ihre Kräfte in der Zwischenzeit hatten bündeln können.1 Der Krieg war nun endgültig verloren und erschien im Nachhinein sinnlos. 1 Kort, The Vietnam War reexamined, S. 210 ff.
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Es hatte sich ein Konsens darüber herausgebildet, welche Ansprüche mit privacy verbunden waren und wie weit der Schutz reichen sollte. Das Verhältnis gouvernementaler Praktiken zu Privarität, Regeln und Verfahren, die solche Praktiken einhegten, wurde neu justiert. Dieser Konsens kam nicht unvermittelt, sondern baute auf jahrelanger Arbeit auf. Datenschutz wurde auf Bundesebene reguliert, blieb aber schwach ausgeprägt. Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden wurden Grenzen gesteckt, Kontrollinstanzen etabliert und Verfahren festgelegt, wie Mittel elektronischer Überwachung eingesetzt werden konnten. Darüber hinaus debattierte der Kongress ein Gesetz, das regelte, unter welchen Verfahren Behörden die Kommunikation zwischen Inländern und Ausländern überwachen dürften. Allein der geplante FISA kam während der Ford-Regierung nicht mehr zustande. Der Kongress stärkte den Anspruch auf die Herausgabe von staatlichen Dokumenten, die Gerichte unter Ausschluss der Öffentlichkeit prüfen und freigeben konnten, wobei ein Kriterium der Schutz der Privatsphäre war. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Reporter nutzten diese Möglichkeit, um Verletzungen der Privatsphäre der Bürger zu belegen. Im Verfassungsrecht umfasste das Recht auf Privatsphäre die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen. Von diesem Recht distanzierte sich Präsident Ford persönlich, doch waren der Politik enge Grenzen gesetzt. Der Streit verlagerte sich auf Fragen der Finanzierung von Abtreibungen mit öffentlichen Geldern. Damit waren die Leitlinien, innerhalb derer sich der Diskurs bewegte, gesteckt. Gesetzgebung und Urteile wurden erweitert und modifiziert, blieben aber in ihren Grundsätzen für die nächsten Dekaden bestehen.
V. Konfliktlinien um privacy ziehen sich bis in die Gegenwart Sicherheit stand hoch im Kurs in den Vereinigten Staaten während des 20. Jahrhunderts, als sich mit der Politik des New Deal ein Sozialstaat entwickelte und infolge zweier Weltkriege und der entstehenden Konfrontation mit der Sowjetunion ein nationaler Sicherheitsstaat entstand. Allmählich verdichteten sich die Anzeichen einer Sicherheitsgesellschaft im Sinne von Michel Foucault, deren Regierungstechniken sich auf eine Bevölkerung ausrichteten und aleatorische Schwankungen auszumachen versuchten. Der Zuwachs an gouvernementalen Praktiken rief Zweifel hervor, ob zu viel Intervention der freiheitlichen Ordnung schade, und mündete in Forderungen nach einer Begrenzung in Privarität. Akteure argumentierten mit dem Konzept privacy, das aber nicht im klassischen Sinne auf die Trennung einer privaten von einer staatlichen Sphäre abhob oder im modernen Sinne Privatheit mit einer bürgerlichen Öffentlichkeit kontrastierte, sondern Ansprüche gegenüber Regierungspraktiken umfasste. Während der Präsidentschaft Johnsons entwickelte sich privacy zu einer politischen Vokabel. Ein Eindringen in die Privatsphäre wurde problematisiert, als Beamte überlegten, die Informationsbestände mehrerer Bundesbehörden zu zentralisieren, um statistische Aufschlüsse über die Bevölkerung zu gewinnen; als Gesetze aus dem 19. Jahrhundert, die Mittel zur Empfängnisverhütung beschränkten, als antiquiert und übergriffig wahrgenommen wurden; als Ermittler auf elektronische Technologie setzten, um Verdächtige abzuhören. Praktiken von Geheimdiensten blieben zumeist im Verborgenen, bis Zeitungen während der Präsidentschaft Nixons eine Reihe von Programmen aufdeckten, die Armee und Bundespolizei betrieben. Proteste gegen einen ausufernden Krieg in Südostasien und verschärfte ethnische Konflikte machten die eigene Bevölkerung zur Zielscheibe der Sicherheitsbehörden. In der Watergate-Affäre, die Züge eines Spionagethrillers trug, wurde Nixon sein persönliches Machtstreben zum Verhängnis. Während der Präsidentschaft Fords kam ein Prozess zum Abschluss, in dem sich ein Konsens über verschiedene Ansprüche auf privacy herausbildete. Obwohl einige Urteile und Gesetze hochumstritten blieben, erwies sich dieser Konsens als stabil; es gab kontinuierliche Reformen, aber keinen starken Bruch. Es hatten sich verschiedene Ansprüche wie »control over access and use«, »physical or locational privacy« oder »informational privacy«1, die unter dem Konzept gebündelt sind, herausgebildet. Der Konsens baute auf Kompromissen auf, zentrale Konflikte schwelten weiter. 1 Moore, Privacy rights, S. 5.
1. Knowledge privacy, intimate privacy und political privacy
Abb. 23: Nach den Anschlägen vom 11. September beschnitt die Regierung Freiheitsrechte. Das Foto von Eric Draper zeigt Präsident George Bush, wie er am 10. Juli 2008 ein Gesetz zur Reform des Foreign Intelligence Surveillance Act unterzeichnet. Courtesy George W. Bush Presidential Library and Museum (P071008ED-0098).
Diese Konfliktlinien, die sich in den sechziger und siebziger Jahren entwickelten, unterteile ich grob in die Kategorien knowledge privacy, imtimate privacy und political privacy. Die erste Kategorie bezieht sich auf den Anspruch einer Person, über die Zirkulation sie betreffender Informationen mitzuentscheiden, wie Alan Westin ihn formulierte. Damit verbunden sind die Fragen, wie aus rohen Daten Wissen generiert wird, auf welche Weise Daten verarbeitet werden, was umgekehrt Behörden unter Verschluss und geheim halten dürfen. Gesetze waren unter dem Eindruck großer Datenbankprojekte und dem Einsatz von Computern in Behörden wie auch in Unternehmen entstanden. Verfassungsrechtlich konnte sich dieser Anspruch in den USA, im Gegensatz etwa zur BRD, nicht etablieren. In den folgenden Jahren sah sich der Gesetzgeber mit einem rasanten Fortschritt in der Computertechnologie konfrontiert, der mit zunehmender Vernetzung sowie der Entwicklung von Miniatur- und Heimcomputern und schließlich des Internets und mobiler Endgeräte einherging. Diese Technologie erweiterte einerseits den Bereich, den eine Person nutzen konnte, um sich auszuleben und
Knowledge privacy, intimate privacy und political privacy
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zu definieren, erlaubte andererseits jedoch Staat und Unternehmen einen Zugriff auf entsprechende Daten. Die zweite Kategorie bezieht sich auf intime Aspekte von Sexualität und Familienleben. Diesen Bereich erweiterten Richter am Obersten Gerichtshof sukzessive, wobei insbesondere das Recht auf Abtreibung die Gesellschaft polarisierte. Die dritte Kategorie, die politische Privatsphäre, betrifft den Bereich politischer Willensbildung und wird beschränkt, wenn das Agieren insbesondere jener politischen Akteure überwacht wird, die eine von der Regierung abweichende Haltung einnehmen. Privatsphäre wird hier als Garant für andere Grundrechte wie freie Meinungsäußerung erachtet. Eingriffe in diesen Bereich, die sich aus der Erweiterung behördlicher Befugnisse ergaben, wurden etwa mit dem Kampf gegen Terrorismus gerechtfertigt. Zwischen den Kategorien bestehen natürlich Überschneidungen. So sollte nicht vergessen werden, dass die Debatte um Datenschutz dezidiert politische Konnotationen trug, wenn Datenbanken von Geheimdiensten in der Kritik standen oder Beobachter vor elektronischen Dossiers warnten, die einer Art Cyber-McCarthyism Vorschub geleistet hätten.
1.1 Streit um Daten im Informationszeitalter: »Vast amounts of personal information in computerized data banks« Die Debatte um Datenschutz hatte ihren Anfang genommen, als staatliche Großprojekte verhandelt wurden. Eine weitere Facette erhielt das Thema mit der Vernetzung von Computern und schließlich dem Aufkommen des Internets, zu dem Privatpersonen Zugang hatten. Die Bundesstatistik war von Dezentralisierung geprägt und von einer Zentralisierung weit entfernt. Die Machtmaschine, in die ungefiltert sämtliche Informationen über einzelne Bürger flössen und die ihre Privatsphäre verletze, blieb ein Vexierbild. Letztlich konnten sich die Behörden und Ministerien nicht einmal darauf einigen, einen zentralen statistischen Dienst aufzubauen. Reformvorhaben, wie die Vorschläge der Bonnen-Kommission unter der Präsidentschaft Jimmy Carters, blieben erfolglos.1 Im Jahr 1980 wurde das Office of Information and Regulatory Affairs (OIRA) innerhalb des OMB gegründet, das die Aufsicht über das Sammeln von Informationen, den Schutz der Privatsphäre sowie statistische Programme erhielt.2 Doppelte Strukturen blieben erhalten. So bekam ein Chefstatistiker im OIRA die Aufsicht über rund ein Dutzend statistische Stellen, drei Behörden, die hauptsächlich mit
1 Kraus, Statistical Déjà Vu, S. 31 ff. 2 Vgl. White House, Office of Management and Budget, Information and Regulatory Affairs.
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Statistiken betraut sind, sowie über 100 einzelne Programme.3 Nicht zuletzt die Sorge vor einer starken Machtkonzentration trug zum Erhalt der zergliederten Strukturen bei. Zum Ende der Obama-Regierung, im September 2017, unterbreitete eine Regierungskommission den Vorschlag, einen »National Secure Data Service (NSDS)« für statistische Zwecke einzurichten. Dabei betonten die Autoren, dass sich dieser Vorschlag von dem Vorhaben einer »national Data Bank« aus den sechziger Jahren tunlichst unterscheiden solle.4 Schließlich hatte das Vorhaben, ein National Data Center zu installieren, Bedenken um privacy ausgelöst, die ein Grund für sein Scheitern waren. Deshalb versprechen die Autoren der Studie starke Schutzmechanismen für Daten und Privatsphäre und bemerken: »Technology and privacy-protective approaches have advanced greatly over the past 50 years since the Data Bank proposal was rejected«.5 Doch damals wie heute mangelt es der Politik anscheinend an einer effizienten Bundesstatistik. So stellen die Autoren weiter fest: »the Federal government currently lacks the complete infrastructure needed to routinely, efficiently, and securely generate evidence about government policies and programs using confidential data«.6 Ähnliche Diagnosen, dass die zentralstaatlichen Datenbestände uneinheitlich seien, gab es schon vor über fünfizig Jahren, als um ein Statistikzentrum gestritten wurde. Damals wie heute erscheint Privatsphäre als ein wichtiger Aspekt. Im Verfassungsrecht blieb ein Recht auf informationelle Privatsphäre unbestimmt. Lediglich ein Fall über verschreibungspflichtige Medikamente und Datenbanken erreichte die höchste Instanz.7 Verhandelt wurde ein Gesetz im Bundesstaat New York, wonach Ärztinnen und Ärzte ein Formular mit der Bezeichnung des Medikaments und der Identität der Patientin oder des Patienten ausfüllen mussten. Im Speziellen ging es um Medikamente wie Betäubungsmittel oder Psychopharmaka. Diese Information wurde in einer computerbetriebenen Datenbank gespeichert. Hintergrund des Gesetzes war, dass manche verschreibungspflichtige Medikamente auf dem illegalen Drogenmarkt landeten. Gegen das Gesetz klagten mehrere Patienten sowie medizinisches Personal, die ein Eindringen in »zones of privacy« bemängelten. Ein Bezirksgericht untersagte daraufhin, dass das Gesetz ausgeführt wurde.8 Robert Whalen, Commissioner of Health, ging in Berufung. Vor dem Obersten Gerichtshof der USA argumentierten die Berufungskläger, dass das Gesetz eine rationale Grundlage habe und der Strafverfolgung diene. Hingegen sei das »right of privacy« der Kläger nicht 3 Vgl. White House, Office of Management and Budget, Statistical Programs & Standards. 4 Commission on Evidence-Based Policymaking, The Promise of Evidence-Based Policymaking, S. 66. 5 Ebd., S. 66. 6 Ebd., S. 68. 7 Regan, Legislating privacy, S. 40. 8 Vgl. Whalen v. Roe, 429 U. S. 589 (1977), February 22, 1977, Syllabus.
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verletzt, da zwar keine »total anonymity« gewährleistet würde, jedoch das Programm die »confidentiality« der Patientenidentität garantiere.9 Die Berufungsbeklagten führten als Argumente auf, dass das »right to privacy« verletzt sei, als Patient körperliche Gebrechen und Verschreibungen zu verschweigen sowie adäquate medizinische Versorgung zu erhalten. Außerdem sei das Recht, als Arzt zu praktizieren, eingeschränkt. Die zentrale Speicherung von Verschreibungen sei nicht durch das Anliegen des Staates zu rechtfertigen, zu unterbinden, dass Personen mehrfach Verschreibungen anforderten.10 Der Fall erhielt eine gewisse gesellschaftliche Relevanz. Unter anderem reichten Ärzteverbände von Psychiatern und Psychoanalytikern ein brief amicus curiae ein, in dem sie ein »concern for confidentiality« anmahnten.11 Außerdem intervenierten weitere Kläger, deren rechtlichen Beistand die New York Civil Liberties Union aufbot. In der Schrift erklärten die Berufungsbeklagten, dass eine zentrale staatliche Registrierung von Empfängern von Medikamenten das »constitutional right of privacy« verletze. Denn unter diesen Umständen sei das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestört.12 Zwar bestätigte der Oberste Gerichtshof der USA im Fall Whalen v. Roe einen Anspruch von Personen darauf, dass bestimmte Informationen nicht offengelegt werden und bestimmte Entscheidungen frei getroffen werden können. So hieß es in der Urteilsbegründung: »We are not unaware of the threat to privacy implicit in the accumulation of vast amounts of personal information in computerized data banks or other massive government files«.13 Doch sei dieses Recht nach dem fourteenth amendment im vorliegenden Fall nicht verletzt, da ausreichende Sicherheitsvorkehrungen bestünden und Patienten nicht eingeschüchtert würden, keine Medikamente zu erwerben. Der Rechtsweg brachte keine Stärkung des Datenschutzes. Auch der Gesetzgeber tat sich schwer, das Verhältnis zwischen Offenlegung, Privatsphäre und Geheimnis neu zu justieren. Umfassende Reformen des Datenschutzes und der Informationsfreiheit blieben aus, obwohl beide Komplexe mangelbehaftet waren. Die Privacy Protection Study Commission erhielt den Auftrag, Informationssysteme von einzelstaatlichen, regionalen sowie privaten Organisationen in Hinblick auf Personendaten zu untersuchen. Dabei sollte die Kommission Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre vorschlagen, die den 9 Whalen v. Roe, 429 U. S. 589 (1977), Appellant’s brief, May 21, 1976, (Gale Document Number: DW3910807717), S. 9 ff. 10 Whalen v. Roe, 429 U. S. 589 (1977), Appellee’s brief, July 16, 1976, (Gale Document Number: DW3900400527), S. 12 f., Zitat S. 12. 11 Whalen v. Roe, 429 U. S. 589 (1977), Amicus brief, December 16, 1976, (Gale Document Number: DW3901980421), S. 2. 12 Whalen v. Roe, 429 U. S. 589 (1977), Appellee’s brief [intervenor], July 18, 1976, (Gale Document Number: DW3902064750), S. 22 f., Zitat S. 22. 13 Whalen v. Roe, 429 U. S. 589 (1977), February 22, 1977, Nr. 24, 25, Zitat Nr. 33.
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öffentlichen wie privaten Anspruch auf Informationen berücksichtigen sollten. Präsident Ford setzte David Linowes als Leiter der Kommission ein und nominierte unter anderem Willis Ware von RAND, der bereits den HEW-Bericht verantwortet hatte. Weitere Mitglieder ernannte der Kongress.14 In dem Bericht aus dem Jahr 1977 schlugen die Autoren unter anderem erneut vor, eine unabhängige Stelle etwa in Form eines Federal Privacy Board einzurichten.15 Doch wollte Präsident Carter keine eigene Aufsichtsbehörde einrichten, da dies dem Leitbild einer schlanken Verwaltung widerspreche.16 So blieben Empfehlungen der Kommission weitgehend folgenlos. Ende der siebziger Jahre kam der Right to Financial Privacy Act von 1978 zustande, der Finanzkunden Rechte in Hinblick auf staatliche Inspektionen einräumte. Zehn Jahre später verabschiedete der Kongress den Computer Matching Privacy Protection Act von 1988, der regelte, unter welchen Voraussetzungen Datensätze über eine Person abgeglichen werden durften.17 In den achtziger Jahren traten im Bereich Datenschutz nach und nach »privacy advocates«18, spezialisierte Interessensgruppen aus der Zivilgesellschaft, auf den Plan. Einige Gruppen agieren global. Denn der Schutz der Privatsphäre rückt mit zunehmender Vernetzung von Computern auf die internationale Ebene. Beispielsweise bleibt umstritten, ob der Electronic Communication Privacy Act von 1986 auch für Datenspeicher außerhalb der USA gilt.19 Um Datenverarbeitung im Gesundheitssektor zu regulieren, folgte unter der Clinton-Regierung der Health Insurance Portability and Accountability Act von 1996.20 Als Robert Bork als Kandidat für den Obersten Gerichtshof diskutiert wurde, recherchierte ein Journalist, welche Filme sich Bork in einer Videothek ausgeliehen hatte. Daraufhin verabschiedete der Kongress 1988 den Video Privacy Protection Act, der angesichts seiner Entstehung auch als »Bork Bill« bezeichnet wurde.21 Die Episode verdeutlicht zum einen, dass kein allgemeingültiger Schutz von Daten bestand, unter den auch die Vorlieben für bestimmte Videos gefallen wären. Zum anderen zeigt sich hier, wie kleinteilig der Gesetzgeber vorging, indem einzelne Spezialgebiete verhandelt wurden. 14 Der Sprecher des Repräsentantenhauses nominierte die Abgeordneten Barry Gold water, Republikaner aus Kalifornien, und Edward Koch; der Senatspräsident ernannte William Dickenson und Robert Tennessen; Ford berief außerdem William Bailey als Vertreter aus der Finanzwirtschaft: William N. Walker through Donald Rumsfeld, Memorandum for the President, [March 31, 1975], Folder ›PPSC‹, WHCF, FG-396, Box 206, GFL, S. 1 f. 15 Privacy Protection Study Commission 1977, Personal privacy in an information society, S. 37. 16 Regan, Legislating privacy, S. 84 ff. 17 Ebd., S. 99. 18 Vgl. Bennett, The privacy advocates. 19 Woods, Litigating Data Sovereignty, S. 332. 20 Solove / Schwartz, Information privacy law, S. 516–527. 21 Ebd., S. 878.
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Datenschutz hat sich weiter in den Alltag der Menschen verlagert: »The deeper technology becomes embedded into our lives, the more it threatens our privacy«.22 Allerdings hängt die Bewertung davon ab, wie Institutionen bestimmte Technologien einsetzen und mit welchen Zielen: »the politics of arte facts, notions of technology as delegates of their makers, and the affordances offered by technologies«.23 In der Wirtschaft verbreitete sich das Risikomanagement von Daten. Solche Formen von Vorhersagen und Kontrolle waren jedoch umstritten. Im Sachbuch Technospies warnte der Autor Rowan Ende der siebziger Jahre vor den Folgen vermeintlich neutraler Technologie für den Einzelnen: »The danger in the unexamined development of technology is not only the loss of privacy but the potential for predicting behavior in order to modify it«.24 Der Anspruch, der sich gegen solche Sicherheitstechniken richtete, lautete: privacy. Beispielsweise änderte sich das Geschäft mit Kreditreporten, die beim Einschätzen der Solvenz eines Kunden helfen sollten. Anstatt Personen auszuforschen und persönliche Details zusammenzutragen, setzten Unternehmen zunehmend auf Zahlen und Statistiken. Dies führte dazu, dass Unternehmen einzelne Indikatoren entwarfen: »The computerized credit score was the destilled essence of this new form of credit surveillance – a statistical model based on personal and transactional data that predicted credit use and default risks«.25 Dieser Trend, vor allem quantifizierbare Daten über Kunden heranzuziehen, setzte sich in der Kreditbranche der siebziger Jahre durch. Dabei sollten Betreibende von Datenbanken eigentlich »concerns about privacy and prejudice« berücksichtigen.26 Zum Schutz der Privatsphäre von Konsumenten traten 1978 der Fair Dept Collection Practices Act und 1999 schließlich der Financial Services Modernization Act in Kraft, auch als Gramm-Leach-Bliley Act bekannt, dessen fünfter Teil den Konsumentenschutz behandelte. Unter dem Eindruck der Finanzkrise Ende der 2000er Jahre richtete der Kongress mit dem Consumer Financial Protection Bureau eine weitere Aufsichtsbehörde ein.27 In jüngerer Zeit entwickelten Unternehmen die Analyse von großen Datensätzen als Geschäftsmodell. Mit »big data« befasste sich etwa die FTC in einem Bericht und erörterte, ob Firmen, die Daten aus sozialen Netzwerken auswerten, unter den FCRA fallen könnten.28 Regeln blieben fragmentarisch. Die laxe Gesetzgebung, die weite Teile der Wirtschaft außen vor ließ, rächte sich bei technologischen Innovationen wie dem Internet, da weitgehend unreguliert blieb, wie große Konzerne Nutzerdaten 22 Payton, Privacy in the age of big data, S. 12. 23 Hartzog, Privacy’s blueprint, S. 13. 24 Rowan 1978, Technospies, S. 11. 25 Lipartito, Mediating Reputation, S. 674. 26 Ebd., S. 673. 27 Hoofnagle, Federal Trade Commission privacy law and policy, S. 269. 28 Smith / Bartholomew, Fair Credit Reporting Act, S. 483 f., Zitat S. 483.
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verarbeiteten. Einzelne Gesetze betrafen etwa den Schutz Minderjähriger im Internet gemäß dem Children’s Online Privacy Protection Act von 1998.29 Technologien wie die Verschlüsselung von Daten können aber auch deren Vertraulichkeit schützen. Der Appell von Paul Baran, der als Informatiker für die RAND tätig war, aus dem Jahr 1966, solche Mechanismen bereits im »initial system design« zu implementieren,30 wirkt heute noch aktuell: »law should incorporate design concerns to protect privacy«.31 Darüber hinaus setzten sich Konflikte um Wissen fort, was der Geheimhaltung und der Privatsphäre unterliegen oder was für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollte. In dieser Hinsicht hatten die Querelen um die Akten und Bandaufnahmen der Nixon-Regierung ein Nachspiel. So unterzeichnete Präsident Carter im November 1978 den Presidential Records Act, wonach sämtliche Dokumente eines aus dem Amt scheidenden Staatsoberhaupts in den Besitz der Öffentlichkeit übergehen und dem FOIA unterliegen. Für kontroverse Fälle wurde eine 12-jährige Sperrfrist vorgesehen.32 Die Verwaltung obliegt seither dem Nationalarchiv. In Hinblick auf Informationsfreiheit schränkte die Reagan-Regierung den FOIA wieder ein und stärkte Kompetenzen der Behörden, Dokumente aus Sicherheitsbedenken unter Verschluss zu halten. Des Weiteren sah der CIA Information Act weitreichende Ausnahmen für Bestände des Dienstes vor, und in den neunziger Jahren trat der E-FOIA in Kraft, der unter anderem die Publikation von elektronischen Akten regelte.33 In der Praxis erwiesen sich Klagen auf Herausgabe von Akten häufig als stumpfes Schwert. So ordneten Gerichte nur in einem Bruchteil der Verfahren an, Akten zu veröffentlichen. Probleme von »overclassification« und einer allgemeinen »culture of secrecy« blieben bestehen.34 Fehlverhalten wird in dieser Kultur eher durch whistleblower und leaks bekannt als durch Anfragen.
1.2 Konflikt um intime Privatsphäre polarisiert: »A profound moral question« Der Oberste Gerichtshof der USA erweiterte nach und nach den Geltungsbereich intimer Privatsphäre. Mit ihrer Entscheidung im Fall Carey v. Population Services International von 1977 kippten die Richter ein Verbot des Verkaufs von Verhütungsmitteln an Minderjährige.35 Im Jahr 2003 erklärte der Oberste 29 Solove / Schwartz, Information privacy law, S. 891–896. 30 U. S. House of Representatives 1966, The Computer and Invasion of Privacy, S. 126. 31 Hartzog, Privacy’s blueprint, S. 12. 32 Editor 6.11.1978, The Washington Post, S. A11. 33 Foerstel, Freedom of information and the right to know, S. 51 ff., 57. 34 Mart / Ginsburg, (Dis-) Informing the people’s discretion, S. 728 ff., Zitat S. 752. 35 Greene, The So-Called Right to Privacy, S. 723 f.
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Gerichtshof im Fall Lawrence v. Texas ein Gesetz gegen Homosexualität für verfassungswidrig, da der Staat keinen Anspruch habe, in das private Leben einzugreifen, und wich somit vom früheren Urteil Bowers v. Hardwick von 1986 ab.36 Die Diskussion, ob das Recht auf Privatsphäre auf weitere sexuelle Aktivitäten unter Erwachsenen ausgeweitet werden könnte, hatten Juristen bereits Ende der sechziger Jahre geführt.37 Mit dem Urteil zu Obergefell v. Hodges legalisierten Richterinnen und Richter im Juni 2015 in dieser Tradition auch gleichgeschlechtliche Ehen. Das Urteil zu Griswold wirkte weiterhin in der Rechtsprechung, wenn weitere Themen von Sexualität und medizinischen Eingriffen verhandelt wurden. Doch hatte sich die Dogmatik von privacy in der Abtreibungsfrage mittlerweile abgenutzt, da die Konzepte von Freiheit und Gleichheit an dessen Stelle traten.38 Erst Jahre nach der Entscheidung zu Roe polarisierte sich die Parteienlandschaft entlang der Abtreibungsfrage.39 Abtreibungsgegner gingen dazu über, eine Reihe von kleineren Bestimmungen und Regeln zu erlassen, um das Recht auszuhöhlen, was als »incrementalist strategy« bezeichnet wurde.40 Auf dem Rechtsweg wurden zwar Fragen konkretisiert, die Liberalisierung aber nicht im Grundsatz überstimmt. Im Jahr 1992 bestätigte der Oberste Gerichtshof der USA in Planned Parenthood of Southeastern Pennsylvania v. Casey das Abtreibungsurteil, erweiterte aber gleichzeitig den Interessensbereich der Staaten, ungeborenes Leben zu schützen.41 Abtreibung spaltete die politische Landschaft in Für und Wider. So kostete die ablehnende Haltung zu einem diesbezüglichen Recht auf Privatsphäre den Juristen Bork im Jahr 1987 die Ernennung zum Richter am Obersten Gerichtshof.42 Wieweit öffentliche Auflagen den Zugang zu Abtreibungen reglementieren dürften, blieb Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. So regulierte Texas Abtreibungen stark, was der Staat mit der Gesundheit der Frauen begründete. Diesen Regulierungen zeigten die Richterinnen und Richter im Jahr 2016 in Whole Women’s Health v. Hellerstedt Grenzen auf, da sie zulasten betroffener Frauen gingen.43 Ein Vermächtnis der Ära von Präsident Trump war es, drei ausgesprochen konservative Richterinnen und Richter an den Obersten Gerichtshof zu berufen und die Stimmgewichtung damit weit nach rechts zu verschieben. Die neue konservative Mehrheit war entschlossen, mit Entscheidungen aus der Vergangenheit zu brechen. Der Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization 36 Johnson, Griswold v. Connecticut, S. 225 ff. 37 Minto, Perversions by Penumbra, S. 1117. 38 Greene, The So-Called Right to Privacy, S. 729. 39 Greenhouse / Siegel, Before (and after) Roe v. Wade, S. 2068. 40 Borgmann, Roe v. Wade’s 40th Anniversary, S. 246. 41 Sanger, About abortion, S. 31 ff. 42 Greene, The So-Called Right to Privacy, S. 740. 43 Sanger, About abortion, S. 35.
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bedeutete das Ende des Grundrechts auf Abtreibung, das fast ein halbes Jahrhundert Bestand hatte. Zur Verhandlung stand ein Gesetz aus Mississippi, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbot. Die Mehrheit der Richterinnen und Richter entschied, die Urteile zu Roe und Casey wieder umzukehren, obwohl der Vorsitzende Richter John Roberts für ein enger gefasstes Urteil votierte. Richter Samuel Alito kritisierte in seinem Urteil eine schwache rechtliche Begründung von Roe, da das »right of personal privacy« zwei verschiedene Aspekte des Begriffs zusammenfasste: »the right to shield information from disclosure and the right to make and implement important personal decisions without governmental interference«. Nur der zweite Aspekt sei in Hinblick auf Abtreibungen relevant, wobei das Urteil zu Roe keinen Präzedenzfall für den Umgang mit »potential life«, der den zentralen Konflikt bei Abtreibungen bilde, zitiert habe.44 Ebenso verwarf Alito die Begründung, Abtreibungen als Freiheit im Sinne des vierzehnten Verfassungszusatzes zu interpretieren, unter anderem, weil dies aus historischer Sicht der Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Verfassungszusatzes im Jahre 1868 widerspreche. Alito schlussfolgerte: »Abortion presents a profound moral question«. Die Verfassung hindere die Bundesstaaten nicht daran, den Eingriff zu regulieren oder zu verbieten.45 Mit Michel Foucault gesprochen, etablierte sich eine Biomacht, die sich dem Leben verschrieben hatte und Positionen, die ein Abtöten von Leben beinhalteten, schwächten: »Man könnte sagen, das alte Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen wurde abgelöst von einer Macht, leben zu machen oder in den Tod zu stoßen«.46 Allerdings löst das Urteil nicht das Dilemma, dass Komplikationen einer Schwangerschaft ebenso lebensbedrohlich sein können wie illegale Abbrüche, denen sich Frauen in der Vergangenheit unterzogen haben. Richter Stephen Breyer sowie die Richterinnen Sonia Sotomayor und Elena Kagan sprachen in einem Gegenstandpunkt vom »curtailment of women’s rights, and of their status as free and equal citizens«.47 Seither ist wieder ein erbitterter Streit um das Abtreibungsrecht ausgebrochen.
44 Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization, No. 19-1392, 597 U. S. (2022), June 24, 2022, S. 48 f. 45 Ebd., S. 78 f. 46 Foucault, Sexualität und Wahrheit, S. 165, Hervorhebungen im Original. 47 Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization, No. 19-1392, 597 U. S. (2022), Dissent, June 24, 2022, S. 4.
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1.3 Reformen des FISA im Kampf gegen Terrorismus: »Most complete invasion of privacy« Als besonders schwerwiegender Eingriff in die individuelle Privatsphäre galten beschlusslose und unbegrenzte Abhörmaßnahmen. In einer schriftlichen Stellungnahme kritisierte die ACLU im Juni 1977 einen Gesetzesentwurf aus dem Senat, der Maßnahmen zur elektronischen Überwachung auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses ermöglichen sollte, weil diese Form der Überwachung durch staatliche Stellen nicht an bestimmte Orte und Dinge gebunden sei, die durchsucht werden sollten. Aus Sicht der Organisation stellten Miniaturapparate wie Wanzen einen Eingriff in die Privatsphäre dar, da sie sowohl akustische als auch optische Observation ermöglichten.48 Da Überwachung eine Entgrenzung erfuhr und nicht mehr auf Durchsuchungen von Haus und Eigentum begrenzt war, wollte die ACLU den Schutzbereich der Privatsphäre ausweiten. Allerdings setzte sich in der Rechtsprechung kein »value-based grounding« des vierten Verfassungszusatzes durch.49 Insgesamt vertrat die Organisation eine moderne Interpretation von Privatsphäre, indem sie die politische Funktion herausstellte. Unter der Regierung von Präsident Carter wurde eine Einigung erzielt. Der FISA von 1978 regelte, wie die Rechte von Inländern bei Aktionen gegen ausländische Spionage geschützt werden sollten, wobei das Gesetz richterliche Beschlüsse für Abhörmaßnahmen festlegte, über die spezielle Gerichte, Foreign Intelligence Surveillance Courts, unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelten.50 Damit hegte der Gesetzgeber die Regierungspraktiken der Sicherheit ein, was dem Schutz der Privatsphäre zugutekommen sollte. Der Ausgleich zwischen Sicherheitsansprüchen und Freiheitsrechten, wie er im Keith Case und im FISA etabliert wurde, blieb im Wesentlichen bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts bestehen. Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 rückte die Sicherheitspolitik wieder in den Fokus der Politik, woraufhin der Patriot Act von 2001 die Befugnisse der Dienste erheblich erweiterte und deren Kommunikation untereinander erleichterte. Skandale um Überwachung ließen nicht lange auf sich warten, und es wurde ein Terrorist Surveillance Program (TSP) der Bush-Regierung bekannt.51 Zur Debatte stand, ob der FISA geändert und an datenbasierte Technologien angepasst werden müsse, die nicht mehr auf Einzelfallentscheidungen beruhten.52 Im Jahr 2008 wurde der FISA abgeändert und um section 702 erweitert, die Behörden wie NSA, FBI oder CIA 48 U. S. House of Representatives 1977, Foreign Intelligence Surveillance Act, S. 117, 120. 49 Clancy, The fourth amendment, S. 314. 50 Johnson, Spy watching, S. 138 f.; Regan, Legislating privacy, S. 127. 51 Adams, Striking a Balance, S. 406 ff. 52 Kerr, Updating the Foreign Intelligence Surveillance Act, S. 226.
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eine gezielte Überwachung ermöglichte. Kritiker bemängeln allerdings, dass Datenbankabfragen die Privatsphäre beeinträchtigten. Jedoch legt eine Abwägung von Privatsphäre und nationaler Sicherheit nahe, dass solche Abfragen angemessen sind.53 Die ACLU engagierte sich in der jüngeren Vergangenheit weiter für Privatsphäre. Dabei blieben das Grundsatzurteil im Keith Case oder der FISA aus den siebziger Jahren relevant. Beispielsweise führte die ACLU eine Klage mehrerer Journalisten, Wissenschaftler und Anwälte gegen das TSP an. Der entsprechende Fall ACLU v. NSA scheiterte aber vor einem Berufungsgericht, das keine Klagebefugnis gegeben sah.54 Umstritten blieb, ob laut der Rechtsprechung im Keith Case von 1972 in Hinblick auf »privacy and free speech interests« auch dann ein richterlicher Beschluss notwendig ist, wenn auslän dische Geheimdienste im Spiel waren und die Regeln nach dem FISA griffen.55 Im Fall Clapper v. Amnesty International USA schränkte der Oberste Gerichtshof die Befugnis zur Klage gegen staatliche Überwachung weiter ein, wodurch ein Anspruch auf »constitutional rights of privacy and free expression« ins Hintertreffen geriet.56 Die Kläger waren Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Journalisten, deren Kontakte im Ausland wahrscheinlich unter Überwachung durch Behörden wie der NSA standen, weshalb sie sich in ihrer Arbeit beeinträchtigt fühlten. Die beanstandeten Änderungen am FISA von 2008 hielten der Klage stand.57 Ein Jahr zuvor hatte der Gesetzgeber die FISA-Änderungen verlängert, die es dem Staat erlauben, außerhalb der USA die Kommunikation von Ausländern zu überwachen, auch wenn diese mit US-Bürgern in Kontakt stehen. Eine erneute Verlängerung stand im Januar 2018 an, wobei eine parteiübergreifende Initiative für »privacy protections«, wie etwa richterliche Beschlüsse, scheiterte.58 Klagen gegen Sicherheitsbehörden scheitern häufig daran, dass Gerichte den Anspruch von Personen und Gruppen auf eine Klage pauschal abweisen, wie es die Richter auch schon Anfang der siebziger Jahre im Fall Laird v. Tatum um militärische Überwachung entschieden hatten. Der Anspruch auf politische Privatsphäre wurde zwar häufig geäußert, aber nur selten durchgesetzt. Die Kritik gegen den FISA verschärfte sich. Obwohl der Kalte Krieg überwunden war, standen die USA weiterhin in Alarmbereitschaft: American foreign policy is still driven by concepts of threat and preparedness but without the clarity provided by the Soviet opponent. It is hard to say whether this situation poses greater problems for strategists or for civil libertarians, but it clearly poses serious problems for both.59 53 Adams, Striking a Balance, S. 403 ff. 54 Maclin, The Bush Administration’s Terrorist Surveillance Program, S. 1293 ff. 55 Ebd., S. 1308 f., 1311 f., Zitat S. 1308. 56 Casarez, The Synergy of Privacy and Speech, S. 870 f., Zitat S. 871. 57 Ebd., S. 866 f. 58 Savage 17.1.2018, The New York Times, S. A11. 59 Stuart, Creating the national security state, S. 283.
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Im Krieg gegen den Terror weitete die Regierung die Befugnisse der Sicherheitsbehörden aus. Etwa bemängelte eine Kommission zu den Terroranschlägen von 2001 bestehende Barrieren zwischen den Diensten. Konservative Kritiker erachteten den FISA als fehlgeleitet wegen hoher Hürden für Überwachung.60 Im Jahr 2013 sorgte die Preisgabe von geheimdienstlichen Interna durch Edward Snowden für Aufsehen. Eine Antwort der Obama-Regierung stellte der Freedom Act dar, der den Umgang mit Metadaten über Telekommunikation einschränkte. Allerdings blieben andere Regulierungen unberührt, wie eine executive order von Präsident Ronald Reagan, die eine fast uneingeschränkte Überwachung im Ausland gewährt.61 Erneut ergab sich das Problem, wie Privatsphäre und Interessen der Sicherheitsbehörden zu vereinbaren seien. Dabei erscheint das Modell Panoptikum irreführend: »Yet his [Foucault’s] theory of the Panopticon obscures as much as it clarifies in the NSA-Affair«. Gegenwartsfragen lassen sich damit unzureichend erklären: »Despite its wide currency, Foucault’s model of the Panopticon does not fully account for how power and surveillance work in the modern era«.62 Ein stärkerer Ansatz liegt in der Analyse von Sicherheitstechnologien, die sich weniger auf die Disziplinierung jedes Einzelnen als auf das Aufspüren von Netzwerken und Risiken anhand von Metadaten konzentrieren. Solche Praktiken haben sich insbesondere im Zeitalter des Internets weiterentwickelt und gehören zu den Herausforderungen, vor denen ein Schutz von privacy im 21. Jahrhundert steht.
60 Sievert, Time to Rewrite, S. 51. 61 Casarez, The Synergy of Privacy and Speech, S. 815 f. 62 Horowitz, Foucault’s panopticon, in: Miller, Russel A. (Hg.), Privacy and power, S. 40.
2. Privacy im 21. Jahrhundert
Abb. 24: Das Internet stellt große Herausforderungen. Das Foto von Pete Souza zeigt Präsident Barack Obama, der am 21. März 2014 im Oval Office »Privacy«-Themen mit den Vorständen von Internetkonzernen bespricht. Courtesy Barack Obama Presidential Library (P032114PS-0576).
Privacy bleibt ein fluides Konzept. Im 21. Jahrhundert setzten sich Aushandlungen fort über Praktiken der Informationsverarbeitung durch Staat und Unternehmen, über Ermittlungsmethoden von Behörden, über Gebote und Verbote intimer Entscheidungen, wie etwa in Hinblick auf medikamentöse Abtreibungen. Im Fluss befinden sich auch die Ausdrucksmöglichkeiten des Privaten, die häufig Berührungspunkte mit öffentlichen Regulierungen haben. Personen, die sich zwischen traditionellen Geschlechterrollen und -grenzen bewegen, erfahren eine Stärkung ihrer Rechte, kämpfen aber mit Diskriminierung. Eine der zentralen Technologien, die das Wesen von privacy zu Beginn des 21. Jahrhunderts prägt, ist das Internet. Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert hat sich dieses Protokoll, über das Computer vernetzt werden können, von einem Informationsportal zu einer Lebensader entwickelt, über die auch persönliche Transaktionen stattfinden, von Korrespondenz und Chats über Einkäufe und Buchungen bis hin zur Inanspruchnahme medizinischer Dienste. Internettechnologie eröffnet Menschen neue Möglichkeiten der Selbstverwirklichung,
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machen sie aber auch angreifbar. Die Privatsphäre des Hauses verlagert sich in den cyberspace, persönliche Briefe und Dokumente liegen nicht mehr nur im Sekretär, sondern auf Servern, wo sie leicht staatlichen Zugriffen ausgeliefert sind. Soziale Medien bieten Plattformen, auf denen Personen ihre Privatheit in der Öffentlichkeit zur Schau stellen können, sind aber auch ein Forum, wo Details gegen den eigenen Willen präsentiert werden, wo Mobbing und private Rachefeldzüge stattfinden. Das Internet formt das Private neu, stellt aber zentrale Herausforderungen, was seine Regulierung betrifft. Dabei befindet sich der Staat in neuen Machtkonstellationen. Zum einen konzentriert sich Macht in großen Technologiekonzernen, zum anderen reicht Macht über Daten bis auf eine globale Ebene. Da das Internet einen globalen Austausch von Daten ermöglicht, rücken die Themen Datenschutz und Privatsphäre in den Bereich der internationalen Beziehungen. Ein Rat an Staaten lautet daher, Daten auf Servern innerhalb der eigenen Grenzen zu speichern und von andern Staaten Garantien einzuholen, um »the privacy of their citizens« zu gewährleisten.1 Technologien erweitern nicht bloß die Möglichkeiten, die Privatsphäre zu entfalten, sondern bringen auch weitere Mittel zur Beobachtung und Kontrolle hervor. Gesetze wie der Cybersecurity Act der Obama-Regierung bauen jedoch auf der Struktur des Privacy Act auf. Statt das »constitutional right to privacy« zu stärken, hat die Rechtsprechung die Haftung von Behörden eingeschränkt.2 Der Privacy Act reflektiert die Herausforderungen der siebziger Jahre, so dass Forderungen aufkommen, das Gesetz an technologische Entwicklungen wie das Internet anzupassen. Trotz der verschiedenen Gesetzesänderungen blieben richtungsweisende Entscheidungen aus der Phase der initialen Regulierungen bestehen, wie etwa eine mangelnde Aufsicht im öffentlichen Sektor und eine fragmentierte Gesetzeslage im privaten Sektor. Die USA und die internationale Gemeinschaft werden sich den neuen Herausforderungen im 21. Jahrhundert stellen müssen.
1 Woods, Litigating Data Sovereignty, S. 348. 2 Seeley, Once More unto the Breach, S. 1357 f., Zitat S. 1358.
Fazit
»Lassen Sie mich in Ruhe«, »Das geht Sie gar nichts an«, »In meinen eigenen vier Wänden möchte ich ungestört bleiben«: All dies sind Sätze, die herkömmliche Ansprüche auf privacy oder Privatsphäre behaupten. Eine solche Abgeschiedenheit grenzt im klassischen Sinne die private Sphäre, den Haushalt, von der politischen Sphäre ab und im modernen Sinne die individuelle Person vom öffentlichen Blick der Nachbarn und der Zeitungsreporter, wurde Privatheit von der Öffentlichkeit. »Ich möchte selbst bestimmen, wie Daten über meine Person verarbeitet werden«, »Ich möchte entscheiden, ob und wann ich Kinder zeuge, und mir den Zugang zu den nötigen Mitteln vom Staat nicht verbieten lassen«, »Ich möchte demonstrieren und meine Meinung äußern, ohne von Agenten beobachtet und bei Geheimdiensten aktenkundig zu werden«: All dies sind Sätze, die neuartige Ansprüche auf privacy zum Ausdruck bringen. Eine solche Kontrolle über die eigene Privatsphäre begrenzt die Reichweite von Regierungspraktiken und verläuft zwischen Gouvernementalität und Privarität. Gouvernementalität bezeichnet nach Michel Foucault die »aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit« von Regierungspraktiken.1 Mit Privarität habe ich den Gegenpol bezeichnet, der die Reichweite des Regierens über Individuen begrenzte und Regeln unterwirft. Ob Ermittler präventiv politische Protestaktionen überwachten, der staatliche Gesetzgeber den Gebrauch von Verhütungsmitteln unter Strafe stellte, soziale Dienste die Verbreitung von Verhütungsmitteln förderten, Behörden große Mengen an Fakten über die Bürger in Datenbanken zusammentrugen oder Kreditbüros die Berichte über Kunden mit Computern verwalteten – stets wurde der Ruf nach Privatsphäre laut. Gouvernementalität stand vor dem Problem, »nicht zu viel zu regieren«.2 Die daraus resultierenden Konflikte wurden in den USA unter dem Konzept privacy verhandelt. Anstatt zu betrachten, welche Bereiche zur Privatsphäre gehören, nahm diese Studie die Perspektive ein, welche Programme und Praktiken als Eingriff in die Privatsphäre galten. Diese Perspektive unterscheidet sich von bisherigen Ansätzen in der Forschung. An dieser Stelle fasse ich nochmals zentrale Ergebnisse der drei Fallstudien zusammen, gehe auf anfangs gestellte Fragen ein und zeichne die Hauptlinien der Arbeit nach. In der Sozialpolitik ergaben sich Fragen nach Datenverarbeitung, die wiederum mit dem Thema Informa 1 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 162. 2 Ders., Die Geburt der Biopolitik, S. 29.
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Fazit
tionsfreiheit verbunden waren. Eine Revolution bahnte sich in der Familienplanung an, sowohl in Hinblick auf Moralvorstellungen als auch auf technische Möglichkeiten. Der Staat der inneren und nationalen Sicherheit weitete sich aus, was zu Konflikten um Privatsphäre führte. Auch hier ergaben sich Probleme um Datenschutz und Geheimhaltung, um geheimdienstliche Computer und die Herausgabe von Verschlusssachen. Überwachung und Abhörmaßnahmen waren außerdem mit den Themen Strafverfolgung und Kriminalität verbunden. Auf sämtlichen Gebieten wurden Streitfälle an den Obersten Gerichtshof der USA herangetragen, der aber daraus keine kohärente Theorie von privacy entwickelte.
1. Neue Geltungsbereiche von privacy Einen neuen Gehalt bekam das Konzept privacy mit der Frage, welche Daten Institutionen wie Behörden oder Unternehmen über Personen erheben und auf welche Weise sie diese weiterverarbeiten durften. An die Stelle herkömmlicher Regeln, Akten vertraulich zu behandeln und nur unter bestimmten Bedingungen offenzulegen, trat ein individueller Anspruch auf Selbstbestimmung. Die vorliegende Studie hat zwei Datenbankprojekte untersucht, die in den sechziger und siebziger Jahren für Furore gesorgt und die Wahrnehmung von Datenschutz als Problem mitgeprägt haben: der Vorschlag, ein National Data Center (NDC) einzurichten, und der Betrieb von geheimdienstlichen Datenbanken, in denen die Armee Fakten über politische Gruppierungen, Dissidenten sowie Protestereignisse zusammentrug. Anhand von neuem Quellenmaterial habe ich untersucht, wie Wissenschaftler eine Studie für ein Federal Data Center (FDC) erarbeiteten und an die Regierung herantrugen. Es konnte gezeigt werden, dass von Beginn an Probleme bezüglich Vertraulichkeit und Offenlegung bestanden, als Wissenschaftler von Ministerien und Behörden Datensätze akquirieren wollten. Um diese Probleme zu lösen, sollte eine Zentralstelle für Daten geschaffen werden, ein Vorhaben, das schließlich einen Streit um privacy und Computer entfachte. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die dezentrale Struktur der Bundesstatistik sich nicht so einfach in eine zentrale Struktur transformieren ließ, da Rivalitäten um Zuständigkeiten bestanden. Mitarbeiter im Präsidialamt verfolgten eigene Pläne, um die statistischen Dienste zu reformieren und zu verbessern, während sich im Kongress eine ablehnende Haltung zu einem Datenzentrum abzeichnete. Befürworter einer zentralen Lösung hofften unter anderem darauf, politische Planung zu verbessern und Programme effizienter zu gestalten. Obwohl ein Datenzentrum nie realisiert wurde, hatten die Pläne einen großen Einfluss auf das Verständnis von Privatsphäre in Bezug auf Information. Während die Implikationen des Einsatzes von Computern im Hinblick auf individuelle Rechte in diesem Falle hypothetisch blieben, entwickelte sich ein handfester Konflikt darüber, dass Geheimdienste der Armee Datenbanken be-
Neue Geltungsbereiche von privacy
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trieben, um zivilen Protest zu überwachen. Unter anderem sollten Daten es ermöglichen, Unruhen vorherzusagen und Einsätze zu planen. Aus Sicht von Kritikern überwachte die Armee unbescholtene Demonstranten und verletzte deren Privatsphäre, ohne brauchbares Geheimdienstmaterial zu erlangen. Privatsphäre hatte hier eine politische Konnotation, da sie als Garant für andere Grundrechte galt. Mit bisher unberücksichtigtem Quellenmaterial habe ich das Ausmaß der Überwachung und den Zwist zwischen Senat und Armee um eine Aufarbeitung nachgezeichnet. So ergab eine Datenbankabfrage, dass die Aktenbestände, die das Militär über die Klägerparteien führte, beträchtlich waren. Ein Blick in Berichte der Geheimdienste legt nahe, dass Agenten in die Privatsphäre von Personen und Gruppen eindrangen, Organisationen infiltrierten und die Daten von unbescholtenen Bürgern übermittelten, nur weil diese an Demons trationen gegen den Vietnamkrieg teilgenommen hatten. Insbesondere die Organisation Women Strike for Peace, die später gegen die Überwachung klagte, stand im Fokus der Dienste, die etwa aus der privaten Korrespondenz zweier Aktivistinnen zitierten. Den Brief hatte das Washingtoner Büro des FBI weitergegeben. Solche Dokumente fanden aber nicht den Weg in den Gerichtssaal, da die Richter den Fall auf einer technischen Ebene abwiesen und nie in der Sache verhandelten. Auf politischer Ebene nahm sich der Senat der Überwachung durch die Armee an und führte mit der Armeebehörde eine Auseinandersetzung um Fakten. Die Geheimdienste der Armee hatten sich beeilt, Datenbanken zu löschen, und zeigten sich wenig kooperativ. Das geheimdienstliche Material und die Berichte blieben jedoch teilweise erhalten. In offiziellen Datenbanken hatten sich militärische und zivile Angelegenheiten durch und durch vermischt, so dass eine Bereinigung der Akten ausgesprochen aufwändig gewesen wäre. Daher verwundert es nicht, dass in den folgenden Jahren innerhalb der Militärbürokratie gelegentlich geheimdienstliche Dokumente über zivilen Protest wieder auftauchten. Entscheidungen, Verhütungsmittel zu verwenden oder eine Schwangerschaft abzubrechen, zählte die Rechtsprechung in den sechziger und siebziger Jahren zu den Ansprüchen auf Privatsphäre. Familienplanung hatte nicht allein eine individualrechtliche Komponente. Vielmehr wurden im politischen Diskurs auch soziale Rechte wie der Zugang zu Diensten und die Entwicklung der Bevölkerung verhandelt. So stellte die Regierung Dienste zur Familienplanung bereit und förderte den Zugang zu Verhütungsmitteln. Schon vor der bundesweiten Liberalisierung des Abtreibungsrechts im Jahr 1973 wagten einige Bundesstaaten wie New York entsprechende Vorstöße. Die Studie hat gezeigt, wie die Organisation Planned Parenthood teilweise in Kooperation mit Behörden soziale und medizinische Dienste im Zusammenhang mit Abtreibungen anbot. Dazu gehörte neben telefonischer Beratung und ärztlichen Überweisungen auch die Durchführung des Eingriffs in speziellen Kliniken. Auch viele Patientinnen mit Wohnsitz außerhalb von New York nahmen solche Angebote in Anspruch. Es
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Fazit
bestand eine uneinheitliche Gesetzeslage, in der einige Bundesstaaten das Abtreibungsrecht reformierten, etwa zum Schutz von Leib und Leben der Mutter, andere es liberalisierten, das heißt, Abtreibungen auf Wunsch zuließen, und wieder andere ein restriktives Recht beibehielten.
2. Die Rolle von Zivilgesellschaft, Technologie und Staat In der Forschung gibt es keine Antwort darauf, wie einzelne Bereiche, die mit Privatsphäre in Verbindung stehen, zusammenhängen. Aus historischer Perspektive erscheint die Gleichzeitigkeit der Debatten ein verbindendendes Merkmal für einen eigenständigen Diskurs. Dennoch bleibt zu fragen, warum die Debatten im selben Zeitabschnitt geführt wurden. Mehrere Motive ziehen sich durch die Arbeit, die das Wirken zivilgesellschaftlicher Gruppen, das Aufkommen neuer Technologien oder eine gewandelte Staatstätigkeit beleuchtet. Bei Kontroversen um Privatsphäre ließ sich beobachten, wie Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft Ansprüche erhoben, Lobbyismus betrieben und Klagen anstrebten. Eine besondere Position bezog die ACLU, die auf unterschiedlichen Gebieten wirkte. Unter anderem äußerte sich die Organisation zum Thema Datenschutz, engagierte sich gegen Überwachung und positionierte sich außerdem als Befürworterin von Reproduktivrechten. Bezüglich der Abtreibungsfrage engagierten sich Organisationen wie Planned Parenthood darum, Aufklärung und Beratung zu leisten aber auch medizinische Dienste zur Abtreibung bereitzustellen. Innerhalb der Frauenbewegung positionierte sich NOW als Befürworterin einer freien Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung. Umgekehrt betonten Gegner von Abtreibungen den Schutz menschlichen Lebens und zielten darauf ab, Betroffenen den Zugang zu finanziellen Ressourcen wie der öffent lichen Gesundheitsvorsorge zu verwehren. Auch bei der Bedeutung von Technologie ergibt sich ein ambivalentes Bild. Im untersuchten Zeitabschnitt kam eine Reihe von Innovationen auf, wie etwa in den Bereichen Elektronik, Computer oder Medizin, die für Privatsphäre relevant waren. Ein Beispiel dafür stellen technische Mittel von Ermittlern dar, um Personen zu überwachen, zu beobachten und abzuhören. Diesbezüglich wurde das Abhören von Telefonaten mit dem Argument eines Schutzes der Privatsphäre stark eingeschränkt. Im Bereich Reproduktionsmedizin führte Technologie eher zu einem erweiterten Bereich von Privatsphäre. So kam Anfang der sechziger Jahre ein orales Verhütungsmittel auf den Markt, das ein Auslöser dafür war, althergebrachte Verbote von Verhütung zu revidieren. Alsbald standen Risiken und Nebenwirkungen der Pille zur Debatte. Daneben entwickelten Mediziner Intrauterinpessare, besser bekannt als Spiralen, zur Verhütung. Auch Methoden zur Abtreibung hatten sich weiterentwickelt, so dass außerhalb von Krankenhäusern spezialisierte Kliniken diesen Eingriff durchführen konnten
Die Rolle von Zivilgesellschaft, Technologie und Staat
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und durften. Computertechnologie wie automatisierte Datenbanken versprach einerseits einen Gewinn an Effizienz, wurde andererseits aber als Angriff auf die Privatsphäre wahrgenommen. Gleichzeitig bot Technologie auch Mittel an, um Daten zu verschlüsseln, sicher aufzubewahren und zu übertragen. Von Technologie als solcher ging nicht automatisch eine Gefahr für die Privatsphäre aus. Vielmehr stand deren Anwendung, basierend auf den Sicherheitsdispositiven einzelner Behörden oder Unternehmen, im Fokus. Mit der »Krise des Dispositivs der Gouvernementalität«3, wie sie Foucault diagnostizierte, änderte sich auch der Charakter von Privarität. Diese lässt sich im weitesten Sinne als »interne Begrenzung der gouvernementalen Vernunft«4 verstehen. Dabei kommt den sechziger und siebziger Jahren eine Scharnierfunktion zu, als sich Ansätze einer Sicherheitsgesellschaft herausbildeten. Die These der vorliegenden Studie lautete, dass Konflikte um privacy in einer entstehenden Sicherheitsgesellschaft zunehmend virulent wurden und sich in der Folge Konzeptionen von privacy wandelten. Foucault zieht eine historische Linie vom »mittelalterliche[n] Staat der Gerichtsbarkeit, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat wurde, der sich nach und nach ›gouvernementalisiert‹ hat«. Diese Linie führt weiter bis in die Moderne: Das, was es für unsere Modernität, das heißt für unsere Aktualität an Wichtigerem gibt, ist also nicht die Verstaatlichung der Gesellschaft, sondern das, was ich eher die ›Gouvernementalisierung‹ des Staates nenne.5
So etwas wie ein Anspruch auf Privatsphäre gegenüber der Regierung bildete sich erst in der Neuzeit heraus. Autoren aus den sechziger Jahren führten Privatsphäre auf liberale Denker wie John Locke,6 Jeremy Bentham oder John Stuart Mill7 zurück. Das Spezifische an neuen Formen von Gouvernementalität war es, anstelle einer souveränen Herrschaft über einen Untertanen oder einer Disziplinierung des Individuums Sicherheitsdispositive zu etablieren, die Bevölkerung in den Blick zu nehmen und mit Ansätzen der politischen Ökonomie zu steuern.8 Bestimmte Wissensformen wie Statistik oder Demografie bestimmten die Regierungskunst. Dies verdeutlichen Beispiele wie das Bestreben, die Bundesstatistik zu zentralisieren, wovon sich Behörden eine bessere politische Planung und sozioökonomische Aufschlüsse im Kampf gegen die Armut erhofften. Gegen Armut kamen auch Programme zur Geburtenkontrolle zum Tragen, die außerdem vor dem Hintergrund eines wachsenden Anstiegs der Bevölkerungszahlen entstanden. Die Gesamtbevölkerung nahmen zudem Sicherheitsbehörden in 3 Ebd., S. 107. 4 Ebd., S. 25. 5 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 163. 6 Konvitz 1966, Privacy and the Law, S. 274 f. 7 Negley 1966, Philosophical Views on the Value of Privacy, S. 321. 8 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 162 f.
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Fazit
den Blick, wenn sie Prognosen für zivile Unruhen erstellen wollten. Anstatt auf konkrete Gefahrenlagen zu reagieren, stellte die Armee flächendeckend Demonstrationen, Treffen und Protestaktionen unter Beobachtung.
3. Sozialpolitik und Datenschutz In der Ära des New Deal machte es sich die Regierung in der Sozialpolitik zur Aufgabe, das Armutsrisiko bei Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzufedern und Sicherheit herzustellen. Damit einher ging eine wachsende Bürokratie, die verschiedene Daten über die Bürger erhob, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Vereinzelt erhoben Kritiker dagegen Ansprüche auf privacy, wie etwa in Hinblick auf die Sozialversicherungsnummer oder auf die erweiterten Fragen der Volkszählung. Ein Rechtsstreit gegen den Zensus scheiterte aber. Ein Konflikt um Datenschutz entzündete sich am Einsatz von Computern. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts setzte die Zensusbehörde automatisierte Verfahren ein, um Daten zu verarbeiten. Die Behörde arbeitete separat von anderen statistischen Diensten, die die Regierung über die Jahre einrichtete, so dass sich eine dezentrale Struktur verstetigte. Erst Computer lieferten ein Werkzeug, um verstreute Datenbestände zu vereinheitlichen und zu zentralisieren. Computer ermöglichten es, Datensätze zu verknüpfen, Zeitreihen zu erstellen und statistische Zusammenhänge zu berechnen, wobei die Ergebnisse aber stark von der Qualität der eingegebenen Informationen abhingen. Daher erarbeiteten Wissenschaftler den Vorschlag für ein FDC, mit dem sie ungewollt eine Kontroverse über den Umgang mit Personendaten provozierten. Zu dieser Zeit setzten Behörden und Ministerien verstärkt auf digitale Technologie und implementierten beispielsweise Ansätze aus der Systemanalyse. Mit einem Gesetz brachte Präsident Johnson das Management von Computerequipment schließlich unter eine zentrale Führung. Während seiner Regierungszeit ging auch der Streit um den Zensus weiter, da Behörden glaubten, angesichts des gesellschaftlichen Wandels auf mehr Daten angewiesen zu sein, während Kritiker wie die ACLU Teile der Volkszählung als zu weitreichend erachteten. Der Kongress nahm Praktiken unter die Lupe, wie Institutionen Daten verarbeiteten, etwa elektronische Register über Kriminelle oder computerbetriebene Datenbanken mit sozialen Indikatoren oder mit Kreditreporten. Keine dieser Fragen beherrschte die Schlagzeilen so sehr wie die Diskussion um die Schaffung eines NDC, die zwischen dem Interesse des Staates an detaillierten Statistiken, die eine effiziente Planung ermöglichen sollten, und den Interessen der Bürger an einem Schutz ihrer Daten vor Offenlegung aufgerieben wurde. Während der Präsidentschaft Nixons verabschiedete der Kongress ein erstes Datenschutzgesetz, das die Privatsphäre der Kunden in Hinblick auf Kreditreporte schützen sollte und ihnen einige Rechte auf Einsicht und Korrektur
Transparenz und Geheimhaltung
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gewährte. Es entstanden mehrere Studien zum Verhältnis zwischen computer betriebenen Datenbanken und Freiheitsrechten. So empfahl ein Expertengremium der Wissenschaftsakademie, Regeln für den Umgang mit Daten über Personen zu implementieren, und die Autoren einer Studie im Auftrag des HEW erarbeiteten einen Kodex zur Informationsverarbeitung. Der Senat veröffentlichte eine mehrbändige Studie zu Datenbanken auf Bundesebene, wobei vor allem die geheimdienstlichen Datenbanken der Armee im Vorfeld für Aufregung gesorgt hatten. Gut gemeinten Ratschlägen folgten aber zunächst keine Taten, so dass das Thema zu verebben drohte. Einen neuen Impuls erhielt das Thema mit der Watergate-Affäre, in der unter anderem herauskam, dass Personen aus dem engeren Regierungskreis politische Gegner mit Inhalten aus psychologischen Berichten oder aus Steuerakten unter Druck setzen wollten. Präsident Nixon, der selbst im Kreuzfeuer der Kritik stand, machte sich für das Thema Privatsphäre stark, womit er bei einigen Beobachtern Verwunderung hervorrief. Unter anderem setzte Nixon ein eigenes Regierungskomitee unter dem Vorsitz von Vizepräsident Ford ein. Die Entscheidungen der Regierung, etwa die Datenerhebung über Landwirte einzuschränken, blieben aber marginal. Erst während der Regierungszeit Fords erreichte die Politik einen Kompromiss, um die Datenverarbeitung der Bundesbehörden zu regulieren. Der Privacy Act sparte aber die regionale und kommunale Ebene sowie den kommerziellen Sektor aus und verzichtete auf ein Aufsichtsgremium.
4. Transparenz und Geheimhaltung Eng verzahnt mit dem Thema Datenschutz war das Thema Informationsfreiheit. Behörden gaben sich zugeknöpft, wenn es um die Herausgabe von Dokumenten ging. Hingegen wollten Kongressmitglieder den öffentlichen Anspruch auf Wissen darüber, was in Ministerien und Behörden ablief und welche Informationen kursierten, stärken. In dieser Gemengelage um Transparenz und Geheimnis befanden sich Ansprüche auf privacy, denn einerseits wirkte sich eine übertriebene Geheimhaltung negativ auf Freiheitsrechte aus, andererseits sollte eine Herausgabe von Dokumenten nicht einzelne Personen bloßstellen. So enthielt der FOIA als eines der ersten Bundesgesetze eine Klausel zum Schutz der Privatsphäre, wonach Behörden Akten unter Verschluss halten durften, wenn andernfalls eine klare Verletzung der Privatsphäre einer Person zu erwarten wäre. Präsident Johnson unterzeichnete das Gesetz widerwillig und ohne größere Zeremonie. Tatsächlich bestanden innerhalb der Regierung Überlegungen, ob Johnson ein Veto einlegen solle, um einen antizipierten Angriff auf das Funktionieren der Verwaltung abzuwenden. Allerdings bestanden eine Reihe von Ausnahmen und Verfahren, die das Gesetz aus der umgekehrten Perspektive zahnlos erscheinen ließen. Spektakuläre FOIA-Anfragen betrafen etwa die Herausgabe von
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Dokumenten über die COINTELPROs des FBI an einen Fernsehjournalisten. Geheime Verletzungen der Privatsphäre kamen so ans Tageslicht. Ein wichtiges Moment, das eine Reform des FOIA begünstigte, war wiederum Watergate, als bekannt wurde, wie der innere Zirkel der Regierung unter dem Siegel der Geheimhaltung Machtmissbrauch und Spionage betrieben hatte. Schon damals stand ein Veto von Präsident Nixon gegen eine Stärkung der Informationsfreiheit im Raum. Sein Nachfolger Ford legte schließlich ein Veto ein, das der Kongress jedoch überstimmte. Fortan konnten Gerichte unter anderem unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Herausgabe geheimer Dokumente prüfen.
5. Familienplanung und Intimität Geburtenkontrolle war aus zwei Gründen sicherheitsrelevant: weil ein ansteigendes Wachstum der Bevölkerung weltweit zu verzeichnen war und weil eine unkontrollierte Kinderzahl ein Armutsrisiko bedeutete. So entwickelte sich das Thema Familienplanung zu einem Aspekt der sozialen Sicherheit. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen Regierungen zwar Programme in die Gesundheitsvorsorge auf, wie ein zeitlicher Abstand zwischen zwei Schwangerschaften eingehalten werden könne; sie waren aber bis in die sechziger Jahre weit davon entfernt, Familienplanung in die Sozialpolitik zu integrieren. Ganz im Gegenteil bestanden in einigen Bundesstaaten Gesetze, die den Vertrieb von Verhütungsmitteln einschränkten. Technologische Entwicklungen, unter anderem vorangetrieben von der zivilgesellschaftlichen Organisation Planned Parenthood, gaben Personen die Möglichkeit zu einer sicheren Empfängnisverhütung aber auch der Politik neue Mittel an die Hand, steuernd auf die Bevölkerung einzuwirken. In einem Land mit einer Geschichte von Zwangssterilisation stieß dies bisweilen auf eine harsche Ablehnung. Auch die katholische Kirche lehnte eine politische Intervention in die Geburtenkontrolle als Angriff auf die Privatsphäre ab. Freiwilligkeit stand also an erster Stelle, als sich die Politik dem Thema Familienplanung widmete. Präsident Johnson verhielt sich zunächst zögerlich, da das Thema als kon trovers und heikel galt, und setzte ein Expertengremium zu Bevölkerungsfragen ein. Das Problem, so lautete ein Ergebnis des Gremiums, war kompliziert, sah sich das Land doch weniger mit Überbevölkerung als mit einer alternden Gesellschaft konfrontiert. Die Autoren empfahlen unter anderem, Angebote und Informationen zur Familienplanung auszubauen und das Budget hierfür zu erhöhen. Solche Programme koordinierte das HEW. Durch Ergänzungen zum Sozialversicherungsgesetz, die eine Kooperation öffentlicher und privater Institutionen bei der Bereitstellung von Diensten zur Familienplanung vorsahen, erlangte das Thema eine hohe Priorität. Als Präsident Nixon eine Bevölkerungskommission einberief, sorgte die Frage, ob Abtreibungen legitim seien,
Innere und nationale Sicherheit
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für Zündstoff. Einige Bundesstaaten reformierten das Abtreibungsrecht, andere setzten auf eine Liberalisierung. Insbesondere Würdenträger der katholischen Kirche traten als erbitterte Abtreibungsgegner auf.
6. Innere und nationale Sicherheit Neben der sozialen Sicherheit wuchs auch die Bedeutung der nationalen und der inneren Sicherheit. Im Kontext zweier Weltkriege und einer aufziehenden Blockkonfrontation zwischen marktwirtschaftlich und sozialistisch orientierten Staaten baute die Politik verschiedene Behörden auf, die nach illoyalen Personen in den eigenen Reihen suchten. Alsbald verselbständigten sich die Ermittlungen zu einem konservativen Kurs, der aus einer antikommunistischen Haltung heraus die Arbeiterbewegung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bis hin zur Filmindustrie verfolgte. Dieses aggressive Vorgehen kumulierte in der Ära des McCarthyism, als Personen unter teilweise fingierten Vorwürfen in der Öffentlichkeit demontiert wurden. Dahinter stand ein geheimdienstlicher Apparat, den allen voran das FBI betrieb. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung beklagten Beobachter einen Verfall von privacy der Bürger. Mitte der fünfziger Jahre erschwerte es die Rechtsprechung, vermeintlich subversiven Personen den Prozess zu machen. Zur gleichen Zeit initiierte FBI-Chef Hoover ein erstes COINTELPRO, ein berüchtigtes Geheimprogramm, welches die kommunistische Partei infiltrieren und zerstören sollte. Weitere COINTELPROs folgten, bis gegen Ende der sechziger Jahre weite Teile der Neuen Linken und der afroamerikanischen Nationalisten sowie der KKK im Visier des FBI standen. Behörden bereiteten sich auf eine neue Sicherheitslage vor. In den Jahren der Johnson-Regierung formierte sich eine Bewegung gegen den Vietnamkrieg, und die Bürgerrechtsbewegung erreichte einen Höhepunkt. Massendemonstrationen stellten Ordnungshüter, die teilweise hart gegen Protestierende durchgriffen, auf die Probe. Außerdem entbrannten gewalttätige Ausschreitungen in marginalisierten Stadtquartieren, die in einzelnen Fällen die lokalen Kräfte überforderten, so dass Johnson die Hilfe der Armee oder der Nationalgarde zur Hilfe anforderte. Die Einheiten der Armee waren auf einen Einsatz im urbanen Raum schlecht vorbereitet, so dass die Führung Einsatzpläne überarbeitete und ein flächendeckendes Netz von Überwachung ausbreitete, um etwa Unruhen zu antizipieren. Eine gesetzliche Grundlage fehlte ebenso für das Ausspionieren von dissidentischen Gruppen wie für das Anlegen von Datenbanken über Proteste. Johnson selbst traute der Friedensbewegung nicht über den Weg und ließ den Geheimdienst CIA mögliche Verbindungen ins Ausland untersuchen. Die Situation eskalierte im Jahr 1968, als Martin Luther King ermordet und als das Ausmaß des Vietnamkriegs bekannt wurde. Der Krieg torpedierte Johnsons Politik der sozialen Sicherheit und sorgte für ein Zerwürfnis
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zwischen wachsenden Teilen der Bevölkerung und der Regierung, die im Namen der Sicherheit Protestgruppen ausspähte. Präsident Nixon intensivierte die Arbeit der Geheimdienste in Sicherheitsfragen weiter. Mit FBI-Chef Hoover stand der konservative Präsident politisch auf einer Linie. Hoover versorgte die Regierung mit Informationen über extremistische Bewegungen, verhinderte aber die vollständige Umsetzung des Huston-Plans, der unautorisierte Methoden der Überwachung vorsah. Ein Jahr nach Amtsantritt machten Medien das Programm der Armee zur Überwachung inländischer Protestgruppen öffentlich. Im Vorjahr hatte das Programm einen Höhepunkt erreicht, als sich etwa Agenten unter Demonstrierende gegen den Krieg mischten und unter anderem Namen unbescholtener Teilnehmender sammelten, die anschließend in Datenbanken verzeichnet wurden. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und des Senats schränkte die Armee die Reichweite des Programms stark ein. Ein Jahr später enttarnten Aktivisten ein Spionageprogramm des FBI, indem sie geheime Dokumente stahlen und an die Presse weitergaben. Als Reaktion auf die Enthüllungen beendete Hoover die COINTELPROs offiziell. Während die geheimen Programme von Armee und FBI lange vor Nixons Präsidentschaft gestartet waren, stolperte dieser über die hausgemachte Watergate-Affäre. Die Reihe der Enthüllungen von Inlandsspionage riss auch während der Ford-Regierung nicht ab, als ein Journalist über ein CIA-Programm unter dem Namen CHAOS berichtete, das ebenfalls unter der Johnson-Regierung begonnen hatte. Ford setzte eine Kommission ein, um den Fall zu untersuchen. Darüber hinaus begann der Kongress damit, die Aktivitäten der Geheimdienste aufzuklären. Der Church-Bericht aus dem Senat machte öffentlich, wie weitreichend die Dienste die Privatsphäre von Bürgern verletzten, ohne einer effektiven Kontrolle zu unterliegen.
7. Überwachen von Kommunikation Ansprüche auf privacy wurden auch erhoben, wenn Ermittler zu technologischen Mitteln griffen, um etwa Telefonate abzuhören oder Gespräche mit Mikrofonen zu belauschen. Das entstehende Regelwerk zu solchen Lauschangriffen blieb löchrig, der Gesetzgeber konnte mit der technologischen Entwicklung kaum Schritt halten. Zur Zeit der Johnson-Regierung befasste sich der Kongress damit, wie Abhörmaßnahmen zu regulieren und Personen vor willkürlichen Eingriffen in die Privatsphäre und Vertraulichkeit ihrer Konversationen zu schützen seien. Gleichwohl kamen neue Bedrohungen der Sicherheit auf, wie die über einzelstaatliche Grenzen hinaus organisierte Kriminalität, die es erforderten, Strafverfolgungsbehörden geeignete Mittel an die Hand zu geben. Johnson war ein Gegner von Abhörmaßnahmen, musste sich aber dem Willen des Kongresses beugen und unterzeichnete ein Kriminalitätsgesetz, das solche Maßnahmen
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nach bestimmten Verfahren legalisierte. Auch andere Behörden engagierten Ermittler, um Vergehen wie Steuerhinterziehung oder Medikamentenmissbrauch zu ahnden, und sie gingen nicht zimperlich vor, um Verdächtige auszuspähen, wie Untersuchungen im Senat ergaben. Hier stand Johnson, der Abhörpraktiken der Behörden unterbinden wollte, im Clinch mit einzelnen Behördenchefs. Eine Ausnahme betraf wiederum die nationale Sicherheit. So standen Bürgerrechtler wie Martin Luther King mit Billigung der Regierung im Visier des FBI. Johnsons Bilanz in Hinblick auf Freiheitsrechte fiel daher gemischt aus. Sein Nachfolger Nixon verfolgte das Ziel, Recht und Ordnung herzustellen, wobei ihm fast jedes Mittel recht war, wie etwa gerichtlich nicht genehmigte Abhörmaßnahmen. Als Einbrecher in Büros der demokratischen Partei im Washingtoner Watergate-Gebäude ertappt wurden, die Abhörtechnik mit sich führten, begann eine Affäre um Spionage und Machtmissbrauch. Der Skandal belebte die gesetzgeberische Debatte um elektronische Überwachung. Der Inhalt von Bandaufzeichnungen im Weißen Haus, die Nixon selbst erstellen ließ, brach ihm schließlich politisch das Genick. Während der Ford-Regierung setzte sich die Debatte fort, wie Abhörmaßnahmen im Dienst der nationalen Sicherheit zu regulieren seien. Reformbemühungen der Regierung, die Praktiken der Behörden in geregelte Bahnen zu lenken, stießen auf Gegenwehr der Behördenchefs, wie etwa im Fall der NSA.
8. Privatsphäre in der Rechtsprechung Im Verfassungsrecht gab es verschiedene Referenzen auf privacy, ohne dass sich eine einheitliche Theorie entwickelt hätte. Der liberale Warren Court erkannte an, dass politischen Vereinigungen eine gewisse Privatsphäre gegenüber dem Staat zustehe, und entband im konkreten Fall eine Bürgerrechtsorganisation von der angeordneten Aushändigung ihrer Mitgliederlisten. Das Urteil war insofern bemerkenswert, als es eine gewisse Vertraulichkeit von Daten implizierte und über die klassische Trennung des häuslichen vom politischen Bereich hinauswies, indem es politische Aktivitäten unter den Schutz der Privatsphäre stellte und Regierungspraktiken verhandelte. Politischer Privatsphäre kam hier eine Funktion für die Demokratie zu. Ein explizites Recht auf Privatsphäre im Bereich von Sexualität und Familie erhielt Einzug ins Verfassungsrecht, als der Oberste Gerichtshof der USA zuerst eine gesetzliche Beschränkung von Verhütungsmitteln aufhob und später auch die Abgabe an Minderjährige erlaubte. Vordergründig wahrten die Richter die Integrität der häuslichen Sphäre des ehelichen Schlafzimmers, doch im Grunde legalisierten sie es, bestimmte Entscheidungen entgegen gängiger Regierungspraktiken zu treffen. Privacy gründete damit auf dem Zusammenhang mehrerer Verfassungszusätze und erhielt eine neue Qualität.
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Die Hoffnung, dass sich ein umfassender Anspruch auf privacy etablieren könnte, verflüchtigte sich bald, als die Richter die Freiheit der Berichterstattung in einem aufsehenerregenden Medienprozess stärkten. In einem weiteren Fall begründeten die Richter einen Anspruch, dass Gespräche vertraulich blieben, und erteilten beschlusslosen Abhörmaßnahmen eine Absage, widersprachen allerdings einer zu engen Lesart des vierten Verfassungszusatzes im Sinne eines Schutzes der Privatsphäre. Privacy reichte hier wiederum über die klassische Bedeutung der räumlichen Sphäre des Hauses hinaus, weil abgehörte Gespräche von einer Telefonzelle aus zur Verhandlung standen. Den Grundrechtsschutz in Hinblick auf Gespräche stärkten die Richter auch in Fällen, in denen die nationale Sicherheit betroffen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte mit dem Burger Court bereits eine neue Ära begonnen. Spätestens mit der Berufung von Rehnquist an den Obersten Gerichtshof war der liberale Geist verflogen: Er nutzte seine Stimme nutzte, um die Klage gegen die Überwachung durch die Armee abzuschmettern, obwohl er zu seiner Zeit in der Regierung mit dem Fall betraut gewesen war und deswegen Zweifel an seiner richterlichen Unabhängigkeit aufkamen. Die Justiz war, wenn es um konkrete Maßnahmen gegen Kleinkriminelle ging, besser gerüstet als in Fällen flächendeckender Überwachung, die einem Sicherheitsdispositiv folgten. Im Bereich sexueller Privatsphäre bauten die Richter und später auch Richterinnen den Grundrechtsschutz aus, legalisierten frühe Abtreibungen und stellten im weiteren Verlauf Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehen unter Schutz. Das Abtreibungsurteil wurde mittlerweile aufgehoben. Der Aspekt informationeller Privatsphäre blieb im Verfassungsrecht unbestimmt. Der ehemalige Präsident Nixon setzte alles daran, einen öffentlichen Zugang zu Akten aus seiner Regierungszeit zu blockieren, erlitt aber eine empfindliche Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof, dessen Richter das öffentliche Interesse stärker gewichteten als Nixons Anspruch auf Privatsphäre. Zwar anerkannten die Richter in einem weiteren Fall einen möglichen Einfluss von Computern auf privacy der Bürger, wiesen aber die Klage gegen eine Datenbank, die Informationen über die Abgabe von bestimmten Medikamenten an Patientinnen und Patienten enthielt, ab.
9. Regierungstechniken und Selbstregierung Privacy markiert seit Mitte des 20. Jahrhunderts gesellschaftliche Konfliktlinien in den Vereinigten Staaten, wie sich das Handeln staatlicher und unternehmerischer Institutionen im Verhältnis zu den Bürgern wandelte. Diese Konflikte kristallisierten sich in einer im Entstehen begriffenen Sicherheitsgesellschaft heraus, wie die vorliegende Studie argumentiert hat. Ansätze einer Sicherheits gesellschaft führten zu der Diskussion, wie weit der Einfluss von Regierungspraktiken reichen sollte, ohne Freiheit zu weit zu beschränken: »Die neue gou-
Regierungstechniken und Selbstregierung
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vernementale Vernunft brachte also die Freiheit, die neue Regierungskunst vollzieht die Freiheit«.9 Im Sinne von Foucault richten sich Sicherheitsdispositive an Fluktuationen von Ereignissen innerhalb der Bevölkerung aus. Überschneidungen bestehen zu Disziplin bzw. Souveränität. Flächendeckende Videoüberwachung orientierte sich eher an Sicherheit, gezielte Abhörmaßnahmen eher an Disziplin; eine umfassende, anlasslose Datenerhebung eher an Sicherheit, ein Dossier über bestimmte verdächtige oder straffällige Personen eher an Disziplin; eine Förderung des Zugangs zu Verhütungsmitteln eher an Sicherheit, dessen Einschränkung eher an Souveränität. Neben diesem theoretischen Verständnis von Sicherheit hat die vorliegende Studie den Begriff der Sicherheit, wie er sich in der politischen Sprache zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte, analysiert. Eingefleischten Foucaultianern mag diese Lesart zu harmonisch und zu konventionell erscheinen, so als ob die neuzeitliche Trennung zwischen Staat und Gesellschaft einfach in neue Begriffe von Gouvernementalität und Privarität gefasst würde. Der Einwand erscheint zunächst berechtigt, ist doch Macht bei Foucault ein Mikromechanismus, der ubiquitär in allen Lebensbereichen wirkt, und die Trennung zwischen öffentlich und privat als solche schon gouvernementale Macht. Allerdings bezeichne ich mit Privarität nicht eine gesonderte Sphäre, sondern eine Begrenzung gouvernementaler Praktiken, um Freiheit zu wahren, die eine Voraussetzung für die Funktion der Regierung der Sicherheit ist. Foucault sieht in Regeln und Rechten nicht viel Emanzipatorisches und schreibt in »Der Wille zum Wissen«: Lassen wir uns nicht täuschen durch die Einführung geschriebener Verfassungen auf der ganzen Welt seit der Französischen Revolution, durch die zahllosen und ständig novellierten Gesetzbücher, durch eine unaufhörliche und lärmende Gesetzgebungstätigkeit: das alles sind Formen, die eine wesenhaft normalisierende Macht annehmbar machen.10
Ein Aspekt von Gouvernementalität bildet die Selbstregierung, wie Menschen ihr Verhalten auf Machtverhältnisse einstellen. Dies war nicht Gegenstand dieser Studie und wäre für weitergehende Untersuchungen, sofern noch nicht geschehen, interessant. Auch Studien über andere Länder und andere Epochen oder die weiterführende Untersuchung einzelner Fälle wären denkbar. Ein paar Beispiele, wie privacy eine machtstabilisierende Funktion haben kann, seien genannt. Mit dem Recht auf reproduktive Entscheidungen ging auch ein sozialer Druck einher, den Zeitpunkt einer Schwangerschaft karrierekonform zu wählen. Datenschutz ist nicht gleichbedeutend mit Datensparsamkeit und lässt Personen als Konsumenten und Bürger möglichst marktkonforme und politisch unauffällige Datensätze erzeugen, denn Computer vergessen nie. Dabei wird der 9 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 97. 10 Ders., Sexualität und Wahrheit, S. 172.
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Fazit
Datenschutz der einzelnen Person überantwortet, die damit teilweise überfordert ist und mitunter aus Bequemlichkeit die Option »Alle akzeptieren«, wie etwa in den Privatsphäre-Einstellungen von Webseiten, wählt. Und privacy besteht im heutigen Verständnis vielleicht eher vor dem heimischen Fernseher als auf der Straße bei politischen Demonstrationen.
Abkürzungen
AAR After Action Report ACB Associated Credit Bureaus ACIP Aggressive Counterintelligence Program ACLU American Civil Liberties Union ACSI Assistant Chief of Staff for Intelligence AEA American Economic Association AOC Army Operations Center ARPANET Advanced Research Projects Agency Network AUTOVON Automatic Voice Network BLS Bureau of Labor Statistics BOB Bureau of the Budget BOC Bureau of the Census BPP Black Panther Party CG Commanding General CI Counterintelligence CIA Central Intelligence Agency CIAB Counterintelligence Analysis Branch CIRF Counterintelligence Research Files System COINTELPRO Counterintelligence Program CONARC Continental Army Command CONUS Continental U. S. CPUED Committee for the Preservation and Use of Economic Data CSB Central Statistical Board DA Department of the Army DC District of Columbia DCCRP Domestic Council Committee on the Right of Privacy DCDPO Directorate for Civil Disturbance Planning and Operations DCII Defense Central Index of Investigation DCSINT Deputy Chief of Staff for Intelligence DIA Defense Intelligence Agency DIRC Defense Investigative Review Council DOC Department of Commerce DOD Department of Defense EEI Essential Elements of Information ENIAC Electronic Numerical Integrator and Computer FBI Federal Bureau of Investigation FCA Federal Communications Act FCRA Fair Credit Reporting Act FERPA Family Educational Rights and Privacy Act FDA Food and Drug Administration FDC Federal Data Center FISA Foreign Intelligence Surveillance Act FHA Federal Housing Administration FOIA Freedom of Information Act
390 FTC GPO GW&E HEW HUAC IBM IRS IUD KKK LEAA MID MIG MIT NAACP NAS NASA NBS NCIC NCWC NDC NMC NOI NOW NRLC NSA NYSIIS OACSI OCCSSA OEO OFCO OIRA OMB OSS P&P PPBS PPFA PPLC PPNYC PPWP RAND RSF SCLC SDS SEC SISS SSN SSRC SWP TSP UNIVAC UPO
Abkürzungen Federal Trade Commission Government Printing Office Greenbaum Wolff & Ernst Department of Health, Education, and Welfare Special House Committee on Un-American Activities International Business Machines Internal Revenue Service Intra-Uterine Device Ku Klux Klan Law Enforcement Assistance Administration Military Intelligence Division Military Intelligence Groups Massachusetts Institute of Technology National Association for the Advancement of Colored People National Academy of Sciences National Aeronautics and Space Agency National Bureau of Standards National Crime Information Center National Catholic Welfare Conference National Data Center National Mobilization Committee (Mobe) Nation of Islam National Organization for Women National Right to Life Committee National Security Agency New York Intelligence Information System Office of the Assistant Chief of Staff for Intelligence Omnibus Crime Control and Safe Streets Act Office of Economic Opportunity Offensive Counterintelligence Operations Office of Information and Regulatory Affairs Office of Management and Budget Office for Statistical Standards Committee on Problems and Policy, SSRC Planning Programming and Budgeting System Planned Parenthood Federation of America Planned Parenthood League of Connecticut Planned Parenthood New York City Planned Parenthood World Population Research and Development Corporation Russell Sage Foundation Southern Christian Leadership Conference Students for a Democratic Society Security and Exchange Commission Senate Internal Security Subcommittee Social Security number Social Science Research Council Socialist Workers Party Terrorist Surveillance Program Universal Automatic Computer Urban Planning Organization
Abkürzungen USAINTC USAIRR VMC VPV WILPF WSP
United States Army Intelligence Command US Army Intelligence Record Repository Vietnam Moratorium Committee Veterans for Peace in Vietnam Women’s International League for Peace and Freedom Women Strike for Peace
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Register
Sachregister 11. September 2001 13, 369 19. Jahrhundert 44, 70, 81, 276, 289 1968 202 Abhörmaßnahmen 57, 189 – beschlusslose 309, 311, 327 Abtreibung 30, 238–240, 276–278, 282 f., 285, 287 f., 290, 304, 330 f., 333, 367 f. Adoption 285 afroamerikanisch 40, 65 f., 123, 127, 129, 205, 207, 211, 221, 240 f., 248 f., 258, 301, 349 Alabama 66, 127 American Civil Liberties Union 26, 43, 61, 68, 74, 112, 128, 142, 149–151, 192, 195, 236, 253, 263, 294, 297, 300, 304, 311–313, 315, 326, 330–332, 338, 340, 346, 369 f. American Nazi Party 212, 249, 299 Ann Arbor, MI 302 Antikommunismus 54 f., 61, 103, 220, 272 Antikriegsdemonstration 209 f., 243 Apalachin, NY 57 Armee 207, 219, 222, 234, 261 – Agenten der 242, 255 – Akten der 269, 328 – Informationspolitik der 268 – Mission der 270, 295 Assistant Chief of Staff for Intelligence 52, 209 f., 212, 216 f., 220, 246, 252, 257, 262 f., 265, 267, 269, 271, 301, 328 Aussageverweigerungsrecht 55, 59 Baltimore, MD 222 Bevölkerung 25, 34, 41, 44, 134 Bevölkerungskommission 129, 135, 239, 278 Bevölkerungswachstum 109, 123 f., 134, 238, 240 Big Brother 62 Bill of Rights 16, 22, 36, 105, 113, 171, 194, 330, 351, 354
Birmingham, AL 66 Black Panther Party 205, 243, 258, 274, 302 f., 349 Brooks Bill 82, 148 Bundesrepublik Deutschland 14, 142 Bundesstatistik 82, 160, 162, 164, 166, 175, 185, 361 f. Bureau of the Budget 82 f., 86, 88, 90, 94, 96, 144 f., 148, 157 f., 160–162, 164, 166 f., 169 f., 175 f., 180–185 Bureau of the Census 81 f., 85, 88 f., 91, 94 f., 135, 140 f., 157, 161, 164, 170, 172, 175 f., 181, 343 Bürgerrechte 65 Bürgerrechtsbewegung 221, 225, 248 Busboykott 66 Central Intelligence Agency 51, 272 f., 302, 318, 336, 338, 347–350, 352 f., 369 Church-Bericht 351 f. Code of Fair Information Practice 312 Codes 178, 184, 269 Committee for the Preservation and Use of Economic Data 86, 89 f., 92, 158, 160, 163 Computer 81–83, 85 f., 88, 140, 147 f., 161 f., 173, 180, 186, 218, 235, 237, 256 f., 269, 274, 345 – vernetzt 152, 154, 329 Comstock-Gesetze 44 Connecticut 43, 46, 72, 106 Continental Army Command 52, 208 f., 215, 221 f., 256 Continental United States 206, 212, 215, 223–225, 246, 251 f., 257, 263, 266 Counterintelligence Analysis Branch 52, 212, 216, 218, 256, 270 Counterintelligence Program 56 f., 203–205, 244, 247, 258, 274, 338, 350 Daten – aggregierte 178, 180
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Register
Archivierung von 87, 91 f. auf Mikroebene 88, 90 f., 161, 179 geheimdienstliche 349 kreditbezogene 365 maschinenlesbare 94 ökonomische 171 statistische 43, 87, 166, 179, 219, 222, 314 – über zivile Unruhen 216 – Verknüpfen von 88, 345 – Zugang zu 237, 342 – zu Kriminalität 302 – Zweck von 177 Datenbanken 85, 173, 216, 236 – computerbetriebene 363 – der Armee 299, 329 – des Bundes 314 – geheimdienstliche 253, 255–257, 259, 269, 352 – über Patienten 362 Datensätze 158, 163, 182 – verknüpfte 159, 162, 178, 184 Datenschutz 26, 172, 235, 339, 342, 346, 364, 373 Datenverarbeitung 139, 176, 231 Defense Central Index of Investigation 215, 257, 267 Demokratie 24, 118, 143, 146, 251, 263, 300, 303, 337 f. demokratische Partei 46, 202 Department of Health, Education, and Welfare 102, 109, 122–124, 126 f., 129–134, 145, 312, 330, 333, 339, 341 Detroit, MI 206, 208 Diaphragma 80, 111, 137 Directorate for Civil Disturbance Planning and Operations 224, 246, 269 Diskursanalyse 20, 24 Disziplin 62 f. Domestic Council Committee on the Right of Privacy 314, 339, 341, 346 Dossiers 149, 167, 169, 173, 177, 183, 241, 264, 271 due process. siehe ordentliche Verfahren Effizienz 148, 176, 186, 362 Emanzipation der Frau 78 Ermittlungsbehörden 193 Erster Weltkrieg 50, 59 ethnische Konflikte 247
executive privilege 144, 238, 316 Experten 160, 164 Extremismus 241, 249 Fair Credit Reporting Act 236, 341 f., 365 – Reform 312, 346 Familie 21, 44 Familienplanung 45 f., 74, 80, 102, 109, 123–126, 129–134, 238 f., 280–282 Family Educational Rights and Privacy Act 341 f. Federal Bureau of Investigation 51, 53 f., 56–58, 60 f., 116, 119, 151, 193, 203–206, 208, 211 f., 221, 223, 241–244, 246, 249, 256, 264, 266, 270, 272, 274 f., 299, 301 f., 309, 318, 338, 350, 353, 369 Federal Data Center 28, 86, 94 f., 158, 160, 162 f. Fernschreiber 209 f., 212 Food and Drug Administration 77 f., 80, 123, 135 f., 190 Ford Foundation 87, 102, 129, 280, 282 Foreign Intelligence Surveillance Act 354, 360, 369–372 Fort Holabird, MD 52, 215, 225, 256, 269 Fort Hood, TX 256 Fort Monroe, VA 215, 256 Freedom of Information Act 143, 146, 267, 274, 315, 337, 343, 366 – Reform von 1974 316, 336, 338 Freiheit 26, 36, 128, 386 Freiheitsrechte 65, 69, 149, 273 Friedensbewegung 201, 225, 243, 248, 293, 299, 348 f. Geheimdienstmaterial 207 f., 215 Geheimhaltung 31, 237, 250, 267, 315, 317, 326, 336 f., 349, 366 Gewalt 23, 204, 207, 209, 211, 217–221, 223, 226, 241 f., 246, 248, 258, 261 Gleichstellung der Geschlechter 287, 331, 368 Gouvernementalität 24, 26, 36, 41, 98, 197, 375, 379 Great Depression 38 Great Society 101, 104, 116, 127, 163 Hartford, CT 46, 75 Haushaltsbehörde. siehe Bureau of the Budget Homosexualität 367
Sachregister House Committee on Un-American Activities 33, 51, 53, 55 Huston-Plan 273 Indikatoren 208, 217–219, 222 f., 365 Information 234 – nationale Politik der 334 – zivile Unruhen betreffende 293 Informationsfreiheit 143 f. Informationsplan 224, 244, 253, 259 Interdependenzen 179 Internal Revenue Service 88, 91, 164, 171, 182, 184, 189 f., 338 Intra-Uterine Device 78, 137, 240 Justiziabilität 293, 296 Justizministerium 58, 60, 145 f., 197, 203, 214, 216, 234, 269, 301, 309, 353 Kalifornien 152 Kalter Krieg 52 f., 65 Katholizismus 46, 58, 110, 113, 123 f., 126, 128, 130, 239 f., 278 f., 289 f., 330, 332 Klagebefugnis 292, 370 Kommunismus 51, 53, 55 Kommunistische Partei der USA 53, 56 f., 221, 244, 247 Komplexität 109, 166 Kondome 44, 79 f., 111 Kongress 55, 95, 172, 175, 183, 260, 335, 348, 353 Konservativismus 101, 106, 113, 201, 278, 303, 324 Konstruktivismus 20 Koreakrieg 52, 198 Kreditreporte 152 f., 235, 365 Kriminalität 187, 194, 222 f. Kryptografie 153, 366 Ku Klux Klan 66, 204 f., 247, 249, 299 Liberalismus 26, 98, 101, 106, 147, 278, 324 Little Rock, AR 66 Lochkarte 93 f. Los Angeles, CA 119 Lügendetektoren 192 Macht 387 Magnetband 94 March on Washington 211 Massachusetts 75 McCarthyism 55, 142
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Medicaid 284 Meinungsfreiheit 68 f., 115, 294, 311, 354, 370 Moderne 16, 379 Montgomery, AL 66 f. Moralvorstellungen 108 National Association for the Advancement of Colored People 40, 64–67, 247 f. National Crime Information Center 151, 275 National Data Center 149, 152, 173, 178, 183, 185 f., 234, 253, 344 National Mobilization Committee 211, 213, 242 f., 247 National Organization for Women 277, 286–289, 305, 307, 331 National Right to Life Committee 305, 307 National Security Act 51 National Security Agency 13 f., 272 f., 327, 338, 350–352, 354, 369–371 Neue Linke 202, 205, 221, 241 Newark, NJ 206 New Deal 39, 51, 55, 98, 101, 147, 152 New Haven, CT 75 New York 42, 58, 66, 72, 280 New York, NY 87, 281 New York State Intelligence Information System 150 Nineteen Eighty-Four 62 Norwalk, CT 46 Oberster Gerichtshof der USA 42, 45, 53, 56, 59–61, 66, 69, 106, 240, 293, 317, 335, 362, 364, 366 f. – Dobbs v. Jackson Women's Health Organization 367 – Griswold v. Connecticut 106, 113 – Katz v. United States 119 f. – Laird v. Tatum 295 – NAACP v. Alabama 67 – Poe v. Ullman 73 – Roe v. Wade 306 – Time Inc. v. Hill 115 – United States v. US District Court 302 – Whalen v. Roe 363 Offenlegung 88 f., 92 f., 159, 161 f., 170 Öffentlichkeit 22, 24, 71, 255, 267, 366, 369 Office for Statistical Standards 82, 90 f., 94, 159, 161, 179
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Register
Office of Economic Opportunity 109, 127, 132, 179 f. Omnibus Crime Control and Safe Streets Act 197, 200, 274, 302, 353 f. Operation CHAOS 347–349, 352 ordentliche Verfahren 69, 107, 113, 236 f., 262, 340 organisierte Kriminalität 57 f., 60, 118, 190 Panoptismus 62, 228, 371 Pentagon 83, 103, 211 – Marsch auf das 247 – Protestzug 212 f. Pentagon Papers 310 Persönlichkeitstests 191 Philadelphia 69 Pille zur Verhütung 77–79, 110 f., 124, 136 f. Planned Parenthood 128, 240 Planned Parenthood Federation of America 45, 47, 73, 77, 79 f., 107–109, 111, 136, 283, 305 Planned Parenthood League of Connecticut 46 f., 73 f. Planned Parenthood New York City 281–285 Planned Parenthood World Population 128, 280 f., 286 Planning Programming and Budgeting System 83 Planung 149, 179, 185 f., 208, 214–216, 219 f., 242, 256, 258 f., 261, 270 f. Population Council 102, 126, 129, 135, 140, 239 Port Chester, NY 46 Praktiken 24 Prävention 204, 208, 218, 225, 246, 352 Pressefreiheit 115 privacy – Eindringen in 81, 107, 168, 177, 183 – Geschichte von 15, 26, 198 – im Common Law 71, 115 – Konzeption von 14, 17–21, 24, 359, 375 – politische Bedeutung von 56, 144, 253 f., 261, 263, 295, 311, 350 – right of 16, 113, 305 f., 273 – right to 22, 120, 169, 189, 192, 294, 313–315, 343, 351 – und Abtreibung 332, 368 – und Datenbanken 84, 149, 167 f., 178, 181, 183, 237, 253, 296, 329, 362 f., 365 – und Freiheit 40, 61 – und Geheimhaltung 143, 335, 337, 344
– und Informationen 141 f., 152, 154, 172, 186, 198, 236, 267, 315, 336, 340–342, 345 – und Intimität 106 f., 128 – und Kommunikation 117, 190, 192, 317, 326 – und Meinungsfreiheit 299, 303, 309 – und Menschenwürde 126, 289 – und Sicherheit 13, 118, 298, 337 – und Überwachung 60, 193, 200, 311, 319, 327, 352, 354, 370 – von Ehepaaren 74, 129, 240 – von Vereinigungen 67 Privacy Act 312, 343 f., 351, 373 Privarität 24, 36, 48, 99, 379 Privatheit 22, 24, 71, 375 Privatsphäre 23 privat und öffentlich 21, 23, 35 Prognosen 87, 135, 140, 208, 220, 256, 258, 270 Protestantismus 46 Recht auf Leben 240, 305 Regierungskunst. siehe Gouvernementalität Repräsentantenhaus 119, 127, 141, 143, 145, 147, 150, 152, 167, 169, 184, 191 f., 194, 196, 236, 299, 310, 316, 318, 332, 348 republikanische Partei 278 Research and Development Corporation 83, 153 f., 312, 364, 366 Right of Privacy Act 118, 194, 196 Russell Sage Foundation 153, 158, 167, 236 Seattle, WA 59 Segregation 65 f. Selma, AL 66 Senat 42, 61, 118 f., 124 f., 128, 137, 144, 150 f., 167, 177, 189, 236, 253, 262, 269, 299, 311 f., 314, 316, 326, 329, 331, 335, 340, 342, 348, 369 Senate Internal Security Subcommittee 55 sexuelle Revolution 288 Sicherheit 69, 99, 261 – der Armee 298 – im Foucaultschen Sinne 26, 34, 76 – innere 53, 60 – Konzeption von 27, 34 – Lücke in der 266 – nationale 13, 29, 49, 51 f., 55, 60, 116 f., 193, 254, 260, 302 f., 309, 311, 318, 323, 326, 336, 348, 354 – soziale 39 f.
Sachregister Sicherheitsgesellschaft 18, 25, 379 Simulation 85 Socialist Workers Party 57, 213, 221 Social Science Research Council 82, 86 f., 89, 95, 157–159, 170 f. Social Security Act 39 f., 127 f., 131, 133 Social Security Number 40, 159, 172, 183, 339, 345 Southern Christian Leadership Conference 66, 203, 205, 221, 224 Souveränität 62 Sowjetunion 53, 65, 147, 273, 321, 349 Spionageabwehr 210, 264, 268, 270, 301, 328 Staat 24, 35 Staatlichkeit 101 Statistik 41, 89, 129, 141, 165, 175, 177, 179, 182, 186, 208, 217 f., 222 f., 257, 365 Sterilisation 79, 127, 137, 240, 281 f., 286 Steuerung 180 Strafverfolgung 274 Student Nonviolent Coordinating Com mittee 205, 221, 243, 248, 301 Students for a Democratic Society 205, 213, 221, 243, 258 Studierendenproteste 241 f. Subversion 208, 221, 248, 251, 265 f., 270 Technologie 110 f., 136, 147, 161, 169 f., 191 f., 208, 226, 255, 284, 329, 345, 352, 354, 362, 365, 369 Terrorismus 247, 272, 328, 371 Tet-Offensive 202 Tonbänder aus dem Weißen Haus 317 f., 335 transatlantische Beziehungen 14, 36 Transparenz 31, 140, 337, 339, 344 Überwachung – Abhören von Telefonaten 52, 58–60, 116, 188, 203, 209, 302, 326, 349 – akustische 193 – der Post 51, 191 – Einbrüche zur 52 f., 56, 60 – elektronische 53, 58, 60 f., 117 f., 189–191, 193–195, 302, 311, 326, 353 – militärische 30, 297, 300, 351, 370 – mittels Daten 237 – Öffnen von Briefen 56, 245, 352 – politische 313, 321 – von Dissidenten 223
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– von Kreditwürdigkeit 365 – von Metadaten 371 – von Telefondaten 13 US Army Intelligence Command 52, 207, 212, 215–219, 223–225, 242, 244, 246 f., 249, 257 f., 265 f., 269–271, 301 US Army Intelligence Record Repository 215, 263 f., 269, 271 Vereinigungsfreiheit 67, 254, 295, 354 Verfassungszusatz – erster 68 f., 199, 254, 261, 296, 299, 303 – fünfter 199 – neunter 113 – sechster 195 – vierter 60, 119 f., 196, 199, 300, 326, 369 – vierzehnter 67 f., 74, 112, 199, 306, 368 Verhütungsmittel 28, 43, 45, 47, 72, 78 f., 106, 108–111, 127, 131 f., 134, 240, 305, 366 Vertraulichkeit 89, 93, 144, 160, 172, 237, 312, 342, 353, 362 f. Veterans for Peace in Vietnam 201, 247, 271 Veto 55, 196, 316, 336, 338 Videoaufzeichnung 242 Vietnam 50 Vietnamkrieg 103, 201, 231 f., 245, 251, 272, 310, 321, 323, 357 Volkszählung. siehe Zensus War on Poverty 102, 148, 180, 203 Warren Court 65 Washington, DC 66, 89, 93, 193, 209 f., 212 f., 242 f. Watergate-Affäre 31, 310 f., 313 f., 317 f., 323, 335, 337, 340 Watts, Los Angeles, CA 206 weiß 65 f., 70, 247 f., 304 Weißes Haus 116, 163, 195, 225, 238, 273, 279, 301, 306, 310 f., 313 f., 324, 330 f., 338 Wohlfahrtsstaat 231 Women Strike for Peace 210 f., 243–245, 258, 271 Zeitreihen 178, 184 Zensus 41 f., 81, 135, 140–142 – Europäischer 149
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Register
Zensusbehörde. siehe Bureau of the Census zivile Unruhen 203, 207 f., 214, 216 f., 219–222, 224 f., 244, 256, 261 f., 268, 270, 299
Zivilgesellschaft 26, 67, 112, 142, 233, 303, 305, 342, 364 Zwangssterilisation 127 Zweiter Weltkrieg 50, 52, 198
Personenregister Abzug, Bella S. 315 Akins, James 256 Alito Jr., Samuel Anthony 368 Allen Jr., Lew 327, 351 Arendt, Hannah 21 f. Armer, Paul 154 Askin, Frank 255, 294, 296 f. Bahmer, Robert Henry 94 f. Ball, William Bentley 126 Baran, Paul 153, 366 Baskir, Lawrence M. 267 Bazan, Horace B. 152 Beal, Thaddeus R. 234 Beaney, William M. 199 Beirne, Joseph Anthony 195 Bentham, Jeremy 62, 227, 379 Best, Winfield 47 Beverage, James 344 Biden Jr., Joseph Robinette 346 Black, Hugo Lafayette 69, 115, 120 Blackmun, Harry Andrew 306 Blair, Eric Arthur. siehe Orwell, George Blakefield, William Henry 242 Bloustein, Edward Jerome 114 Bork, Robert Heron 364, 367 Bowers, Verne Lyle 270 Bowman, Raymond T. 90, 93–95, 150, 161 f., 164 f., 177 f., 181, 183, 185 Brandeis, Louis D. 14, 22, 33, 50, 59, 70 f., 73, 81, 116, 189, 195 Branton, Wiley Austin 151 Brennan Jr., William Joseph 115, 296 Brenton, Myron 85, 152 Breyer, Stephen Gerald 368 Brim Jr., Orville Gilbert 167, 198, 236 Brooks, Jack Bascom 82 Brown, Hubert Gerold 221 Buchen, Philip William 330, 335, 338 Burger, Warren Earl 296 Burge, William Lee 153 Bush, George Herbert W. 353
Bush, George W. 369 Butz, Earl L. 314 Buxton, Charles Lee 73–75, 79, 107, 109 f., 113 Buzhardt Jr., Joseph Fred 267, 269 Caesar, Gaius Julius 21 Calderone, Mary 74, 80 Califano Jr., Joseph Anthony 116, 118, 164, 172, 176, 181 f., 188, 195, 214 Callaway, Howard Hollis 328 Cannon, James M. 330 Cannon, William B. 180 Caplan, Jerome 112 Carter Jr., James Earl 361, 364, 366, 369 Celebrezze Sr., Anthony Joseph 126 Chase, Arnold E. 90 Church III, Frank F. 347 f. Cisler, Lucinda 288 Clague, Ewan 160 Clark, Joseph 107–109, 111 Clark Jr., Joseph S. 125 f. Clark, Thomas C. 69 Clark, William Ramsey 118 f., 145, 187, 193–197, 204, 337 Clinton, William Jefferson 364 Cohen, Sheldon Stanley 189 f. Cohen, Wilbur Joseph 122, 130, 132 Colby, William Egan 336, 348 Coles, Albert L. 73 Comstock, Anthony 43 Connor, John Thomas 164, 176 Converse, Philip Ernest 158 Cooke, David O. 328 f. Cooke, Terence James 279 Cooley, Thomas M. 33 Coplon, Judith 57 Corcoran, Lawrence 128 Cox Jr., Archibald 317 Dash, Samuel 60 Davis, Rennard C. 243
Personenregister DeBlanc, Irving A. 46 DeFranco, Edward J. 150 Dellinger, David T. 211, 243 Deman, Ralph Henry Van 262 Dickey, William P. 297 Dies Jr., Martin 51 Dougherty, Millard F. 223 Douglas, William Orville 16, 68 f., 106, 113, 120, 296 Downie, John 266 Draper Jr., William Henry 46, 124 Dunn Jr., Edgar S. 149, 159–162, 165, 167 f., 170, 178 f. Eastland, James Oliver 195 Eastman, Hope 263, 294, 312, 340 Eckler, Albert Ross 88, 94, 141 Ehrlichman, John Daniel 238, 241, 301 Ehrlich, Paul Ralph 134 Eisenhower, Dwight David 46, 64, 66 Ellsberg, Daniel 310, 326 Emerson, Thomas I. 107–109, 111 Ennis, Edward J. 298 Enquist, Ernest 88, 91 Ernst, Morris 61, 73, 79, 107 Erskine, Howard 71 Ervin Jr., Samuel James 118, 144, 169, 189, 191, 200, 253, 257 f., 260, 262, 269, 295–297, 299, 316, 340, 342, 345 Finner, Winn Frederick 171 Flaherty, David Harris 198 Floyd, Orbie Jay 304 Focke, Arthur B. 176 Fonda, Jane Seymour 328 Ford, Elizabeth Anne 324 Ford Jr., Gerald Rudolph 31, 314, 323 f., 327, 330–332, 335 f., 339, 341–343, 348, 353, 356, 364 Forsberg, Joan 110 Fortas, Abraham 115 Foucault, Paul-Michel 18, 20 f., 24–27, 34–36, 41, 43 f., 48, 62 f., 76, 98, 134, 227 f., 359, 368, 371, 375, 379, 387 Frankfurter, Felix 68 f., 74 Franklin, Benjamin 16 Friedan, Betty 287–289, 331 Fried, Charles 199 Froehlke, Robert Frederick 262, 269 Fulbright, James William 317
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Gallagher, Cornelius Edward 140 f., 148, 152, 167–170, 172, 177, 183, 189, 191 f., 198, 200, 253 Gallati, Robert R. J. 150 Gardner, John William 129, 131, 145 Garment, Leonard 71 Gilbert, Carl Joyce 238 Giles, Robert E. 176 Goffman, Erving 62 Goldberg, Arthur Joseph 113, 120 Goodell Jr., Charles Ellsworth 169 Gordon, Kermit 83, 96, 160 Gray, Arbor W. 266 Greenwald, Glenn 13 Griswold, Erwin Nathaniel 295 Griswold, Estelle Naomi 47, 74 f., 107, 113 Grover, Wayne C. 91 Gruening, Ernest Henry 124 Gutman, Jeremiah 346 Guttmacher, Alan Frank 77 f., 125, 131, 136 f., 283 Habermas, Jürgen 22 f. Haldeman, Harry Robbins 318 Hallford, James Hubert 304 Halperin, Morton H. 311, 338 Hanisch, Carol 23 Hanley, Dexter L. 126 Hansen, Morris Howard 95 Harlan, John Marshall 67 f., 113, 120 Harper, Fowler Vincent 73 f., 79, 106 f. Hart Jr., George Luzerne 255 Hartman, Carl Gottfried 78 Hayes, Joseph 70 f. Hayes, Marijane 71 Higby, Lawrence M. 318 Hill, Elizabeth 70, 116 Hill, James 71 Hiss, Alger 54 Hitler, Adolf 149 Hoffa, James R. 60 Holifield, Chester Earl 299 Hollerith, Herman 81 Holt, Charles C. 163 Holton, Richard 91, 95, 163 Hoover, Herbert Clark 82 Hoover, John Edgar 51, 53–58, 60 f., 193, 203–205, 241 f., 272–274 Hruska, Roman Lee 337 Hughes, Phillip Samuel 145 Humphrey Jr., Hubert Horatio 192
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Register
Huston, Tom Charles 272 f. Jaffe, Frederick S. 111 Jaszi, George 90 Jaworski, Leonidas 317 Johnson, Joe 213 Johnson, Lyndon B. 29, 83, 101–103, 109, 116–118, 123, 125, 129 f., 143–148, 162 f., 188 f., 193 f., 196 f., 200, 203, 206 f., 227, 250, 272, 349 Jordan, Harry C. 152 Jordan III, Robert Elijah 234, 258, 267 Kagan, Elena 368 Kahn, Herman 180 Karpatkin, Rhoda 112 Kastenmeier, Robert William 311, 326, 354 Katz, Charles 119 f. Katzenbach, Nicholas deB. 116 f., 193, 204 Kaysen, Carl 163–166, 170, 174, 185, 234 Keith, Damon Jerome 302 Kennedy, Edward M. 309, 337 Kennedy, John F. 46, 50, 84, 97, 144 Kennedy, Robert Francis 169, 193, 196 Keynes, John Maynard 180 King Jr., Martin Luther 65–67, 202 f., 208, 221, 224, 248 Kissinger, Henry Alfred 231 f., 311, 326 Kistner, Robert William 136 Knauer, Virginia Harrington 235 Koch, Edward Irving 340 Kozmetsky, George 163 Krueger, Paul F. 94, 159, 168, 171, 176, 179, 181, 183 Kuh, Edwin 92 Lacey, J. Robert 75 Lader, Lawrence 331 Laird Jr., Melvin Robert 234, 260, 262, 291 Laitin, Joseph 169 Langmyhr, George 136 f., 280 f. Larrick, George P. 190 Lebergott, Stanley 88, 94, 158 Lee, Philip Randolph 129 Lemley Jr., Harry Jacob 217 Lens, Sidney 245 Levi, Edward H. 338, 353 Levin, William 91, 93 Libershal, Theodore Michael 264, 268 Linowes, David Francis 364 Lipset, Hal 61
Locke, John 379 Loevinger, Lee 190 Long, Clarence Dickinson 82 Long, Edward Vaughn 103, 118, 144, 148, 167 f., 177, 189, 191, 196, 198, 200 Lucy, Autherine Juanita 65, 67 Lynch, Robert E. 259 Lynn, Conrad Joseph 271 MacBride, Robert 180 Macy Jr., John W. 192 Malin, Patrick Murphy 74 Malthus, Thomas Robert 134 Mansfield, Michael Joseph 194, 313 Mardian, Robert Charles 299 Maroney, Kevin Timothy 309 Marx, Karl Heinrich 23 McCarran, Patrick Anthony 55 McCarthy, Joseph Raymond 33, 52, 54, 56 McChristian, Joseph Alexander 225 McClellan, John L. 117, 119, 148, 194 f., 354 McCormick, Katherine D. 77 McGiffert, David E. 207, 234 McGovern, George Stanley 278, 311 McKissick, Floyd B. 221 McLay, Orville K. 223 McNamara, Robert S. 83 Mears, Judith 331 Merriam, Ida C. 93 Michael, Donald N. 84 Miller, Arthur Raphael 173, 295 Mill, John Stuart 379 Mills, Frederick Cecil 82 Mitchell, John N. 204, 302 Mitchell, W. J. 271 Modlin, Carey Peter 182 Mondale, Walter Frederick 168 Montagu, Ashley 33, 62 Montague, Henry B. 191 Moore, Hugh Everett 134 Moorhead, William S. 312, 315, 340, 342 f. Morrison, H. Russell 163 Moss, John Emerson 143 f. Moynihan, Daniel Patrick 239 Muskie, Edmund Sixtus 278, 342 Natrella, Vito 93, 182 Neier, Aryeh 313 Nelson, Gaylord Anton 137, 326 Neuborne, Burt 263
Personenregister Nixon, Richard M. 30, 55, 115, 130, 226, 231 f., 235–239, 241 f., 251, 272 f., 276–280, 292, 302 f., 306, 309 f., 312–314, 316–321, 323, 326, 335, 349, 354 Nixon, Thelma Catherine 278 Notestein, Frank Wallace 140 Obama, Barack Hussein 371, 373 O’Boyle, Patrick Aloysisus 240 Okun, Arthur Melvin 181 Olmstead, Roy 59 Orcutt, Guy H. 88, 92 Orwell, George 62, 228 Packard, Vance Oakley 84, 142, 173 Parks, Rosa Louise 65 Patterson, John Malcolm 66 f. Paul VI. (Papst) 113, 126 Pechman, Joseph Aaron 88 Pemberton Jr., John de J. 151 Percy, Charles H. 342 Pike, Otis G. 348 Pilpel, Harriet F. 47, 79, 107 f., 305, 332 Pincus, Gregory Goodwin 77 Plamondon, Lawrence 302 Pollak, Franklin S. 297 Powell Jr., Lewis Franklin 303 Prosser, William Lloyd 114 Proxmire, Edward William 235 Pyle, Christopher H. 252 f., 258, 263, 296 Rachels, James W. 346 Reagan, Ronald W. 366, 371 Rehnquist, William H. 296 f., 303 Resor, Stanley Rogers 257 Rice, Stuart Arthur 166 Richardson, Elliot Lee 317 Rickenbacker, William F. 42 f., 142 Riecken, Henry William 91, 170 Robbins, P. W. 263 Rockefeller III, John D. 130, 238 f., 277 f., 332 Rockefeller, Nelson Aldrich 150, 276, 279, 283, 324, 334, 346, 348 Rock, John Charles 124 f. Rogers, Walter C. 137 Roosevelt, Franklin Delano 34, 39, 49, 69, 82 Roosevelt Jr., Theodore 69 Roraback, Catherine Gertrude 73 Rosenberg, Ethel 62
421
Rosenberg, Jerry Martin 173 Rosenberg, Julius 62 Rosenblatt, David 182 Rosenfeld, Frank A. 344 Rossi, Alice S. 287–289 Rowan, Ford 328, 365 Ruckelshaus, William D. 317 Ruebhausen, Oscar M. 198 Ruggles, Richard Francis 86–88, 90, 94, 96, 157, 159, 162–164, 168, 170, 178 f. Rule, James B. 153 Rumsfeld, Donald Henry 277 Sanger, Margaret H. 44 f., 77 Sawyer, Jack 186 Scalia, Antonin Gregory 327, 336 Schechter, Howard 186 Schlesinger, James Rodney 348 Schultz, Carl S. 129 Schultze, Charles Louis 162 f., 166, 169, 171, 176 f., 181 f. Schwartz, Herman 61, 195 f., 304 Seaman, Barbara 136 Seberg, Jean Dorothy 205 Seidman, Harold 174 Shattuck, John Howard Francis 263, 294, 298, 300, 312, 315, 326 Shaw, William Howard 172 Shils, Edward Albert 33, 56, 143, 198 Shriver Jr., Robert Sargent 126, 180 Shultz, George P. 234 Simon, Julian L. 134 Sirica, John Joseph 317 Smith, William H. 171 Snowden, Edward Joseph 13 f., 371 Sobke, Llewellyn 257 Sontag, Susan 245 Sotomayor, Sonia Maria 368 Speiser, Lawrence 128, 142, 149 f., 192, 236, 294 Spock, Benjamin M. 245 Stein, Francine S. 281 Stein, Ralph Michael 295 Stern, Carl 274 Stevens, Rosemary Anne 110 Stewart, Potter 119 Sullivan, William Cornelius 272–274 Tanner, Paul Francis 126 Tatum, Arlo 253, 271 Thompson, George F. 59
422
Register
Thorstad, David 213 Tileston, Wilder 45 Tindall, Marie W. 110 Tobey, Charles William 42 Todd Jr., Paul Harold 128 Truman, Harry S. 34, 53, 55, 65, 143 Trump, Donald John 367 Tunney, John V. 329 Tydings, Joseph D. 125 Vance Sr., Cyrus Roberts 207 f., 217, 223 Vogt, William 47 Wade, Henry 304 Walsworth, William A. 218 Ware, Willis Howard 312, 364 Warren, Earl 65, 101 Warren, Samuel Dennis 22, 33, 70, 81, 115 Watts, Harold W. 92 Webbink, Paul 87, 157, 159, 170
Wechsler, Nancy F. 47 Weinberger, Caspar Willard 330, 341 Westin, Alan F. 20, 140, 186, 198 f., 236, 312, 360 Whalen, Robert P. 362 White, Lee Calvin 116 Wickham, Kenneth G. 262 Wiener, Anthony J. 180 Wilson, Dagmar 211 Wilson, John Augustus 243 Wilson, Thomas Woodrow 50 Wittgenstein, Ludwig Josef Johann 24 Wulf, Melvin L. 112 Yarborough, William P. 207, 217 f., 224 York, Robert Howard 222 Young, Maurice 226 Zinn, Howard 245 Zwick, Charles John 170, 172, 175, 181–183