Das neue Bayern von 1800 bis zur Gegenwart - die innere und kulturelle Entwicklung 9783406509254

2., völlig neu bearb. Aufl. Mit diesem Band wird die vollständige Neubearbeitung des von Max Spindler begründeten Hand

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German Pages [821] Year 2007

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Das neue Bayern von 1800 bis zur Gegenwart - die innere und kulturelle Entwicklung
 9783406509254

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Das Neue Bayern Von 1800 bis zur Gegenwart

Zweiter Teilband Innere Entwicklung und kulturelles Leben

C. H. Beck

HANDBUCH DER BAYERISCHEN GESCHICHTE VIERTER BAND

DAS NEUE BAYERN Von 1800 bis zur Gegenwart

Zweiter Teilband Die innere und kulturelle Entwicklung

HANDBUCH DER BAYERISCHEN GESCHICHTE VIERTER BAND

DAS NEUE BAYERN Von 1800 bis zur Gegenwart Zweiter Teilband

Die innere und kulturelle Entwicklung Begründet von

MAX SPINDLER In Verbindung mit

Helmut Baier, Rainald Becker, Laetitia Boehm, Frank Büttner, Klaus Fehn, Monika Fenn, Pankraz Fried, Rainer Gömmel, Heinz Hürten, Rolf Kießling, Hans-Michael Körner, Kurt Koszyk, Ferdinand Kramer, Hans Pörnbacher, Karl Pörnbacher, Bernhold Schmid, Alois Seidl, Wilhelm Volkert, Joachim Ziehe neu herausgegeben von

ALOIS SCHMID

VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN

Die Herausgabe des Bandes wurde gefordert von der Forschungsstiftung Bayerische Geschichte dem Sparkassenverband Bayern und der Kommission fiir bayerische Landesgeschichte

Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. 2007 Verlag C. H. Beck oHG, München 2007 Satz: Dr. Anton Thanner, Schwendi-Weihungszell Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany ISBN 978 3 406 50925 4 uw.beck.dt

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Mit dem hiermit vorgelegten Teilband IV 2 wird die Neubearbeitung des Handbuches der bayerischen Geschichte in der zweiten Auflage zum Abschluß gebracht. Nachdem die erste Auflage innerhalb von acht Jahren zu Ende ge­ führt werden konnte, zog sich die Neubearbeitung aus unterschiedlichen Gründen über ein volles Vierteljahrhundert hin. Daß deren Abschlußband ge­ rade vier Jahrzehnte nach dem Eröffhungsband vorgelegt werden kann, erfüllt Herausgeber und Verlag mit Freude. Damit wird ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte des Hauptwerkes der bayerischen Landesgeschichte zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt erreicht. Der Teilband IV 2 ist in enger Verbindung mit dem im Jahre 2003 erschiene­ nen Teilband IV 1 zu sehen. Obwohl aus praktischen Erwägungen heraus beide Teilbände als eigenständige bibliographische Einheiten gestaltet wurden, gehö­ ren sie inhaltlich zusammen. Gelangten im Vorgängerband Suat und Politik in Bayern in der neuesten Zeit zur Behandlung, so werden hier die innere und die kulturelle Entwicklung in den Mittelpunkt gerückt. Natürlich war die Konzentration auf wesentliche Aspekte unumgänglich; nicht alle gewünschten Themen konnten besetzt werden. Bei der Neukonzipiening wurde vornehm­ lich größtmögliche Aktualisierung angestrebt. In diesem Sinne werden bei Ver­ zicht auf einzelne Abschnitte mehrere Beiträge neu eingefugt, um den jüngsten Entwicklungen angemessen Rechnung zu tragen. Es wurden zusätzliche Kapitel über die Verwaltung, die Publizistik und die neuen Medien, die jüdischen Ge­ meinden und die muslimischen Mitbürger aufgenommen. Der Stoff wurde zum Teil neu geordnet. Die bereits in der Erstauflage enthaltenen Beiträge wurden in jedem Fall umfassend überarbeitet. Die meisten Abschnitte wurden von neuen Bearbeitern völlig neu abgefaßt. Um den Ausführungen größtmögliche Zeitnähe zu verschaffen, wurden die Betrachtungen bis an die Gegenwart her­ angeführt. Für beide Teilbände wurde aus Gründen der Einheitlichkeit des Ge­ samtwerkes die alte Orthographie beibehalten. Der Herausgeber ist den zahlreichen Helfern, die zu diesem Grundwerk der bayerischen Landesgeschichte beigetragen haben, zu tiefem Dank für vielfältige Unterstützung verpflichtet. Der Dank gilt den Mitarbeitern an der Erstauflage, die in jedem Fall ihre Beiträge gründlich überarbeitet und auf die nunmehrigen Erfordernisse ausgerichtet haben. Der Dank gilt den neuen Mitarbeitern, die sich der Herausforderung gestellt haben, ihr umfassendes Wissen zu den jewei­ ligen Spezialgebieten einem eingeführten und bewährten Grundwerk einzupas­ sen. Der Dank gilt Frau Dr. Franziska Jäger-von Hoeßlin, die die Redaktion der zweiten Auflage bis zum gegenwärtigen Schlußband mit der gleichen uner-

VI

Vorwort

müdlichen Fürsorge begleitete, die sie dem Handbuch von seinen Anfängen an zuwandte. Die Mitarbeiter meines Lehrstuhles für bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München leisteten bei der Einrichtung der Manuskripte für den Satz und den Korrekturen wertvolle Unterstützung; an er­ ster Stelle ist Frau Gisela Kaben M.A. zu nennen. Den Satz besorgte mit ge­ wohntem Engagement Herr Dr. Anton Thanner. Herr Willy Jäger hat einmal mehr das Register erstellt. Von Seiten des Verlages, dem der Freistaat Bayern für sein fortdauerndes Interesse am entscheidenden Grundwerk seiner Ge­ schichte verpflichtet ist, betreute Herr Dr. Stefan von der Lahr auch diesen Band von den Anfängen an nicht nur mit seiner unübertrefflichen Erfahrung und Kompetenz in Organisationsfragen, sondern nahm auch sehr forderlichen Anteil an seiner inhaltlichen Gestaltung. Der Band verdankt gerade ihm vielfäl­ tige wertvolle Impulse. Sein Entstehen beförderte Professor Dr. Andreas Kraus als Sachwalter 4es Erbes Max Spindlers mit vielfältigem Rat und Tat. Die Kommission für bayerische Landesgeschichte leistete mannigfache Hilfestellun­ gen. Materielle Unterstützung erfuhr das Unternehmen von Seiten des Sparkas­ senverbandes Bayern und der Forschungsstiftung Bayerische Geschichte. Allen diesen vielen Helfern sei herzlicher Dank gesagt. Nur mit ihrer Unterstützung war es möglich, die sich neben dem Alltagsgeschäft über fast ein Jahrzehnt hin­ ziehenden Arbeiten zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Der Band soll ei­ nen würdigen Schlußpunkt hinter die Zweitauflage setzen. Ihm ist zu wün­ schen, daß er möglichst vielen Lesern und Benützern die gleichen hilfreichen Dienste erweisen wird wie sein Vorgänger. Der Abschluß der zweiten Auflage bietet Anlaß zu einem Rückblick. Genau vier Jahrzehnte sind seit dem Erscheinen des Einleitungsbandes vergangen. Dieser Zeitraum reicht aus, um die wissenschaftliche Bedeutung des Handbu­ ches der bayerischen Geschichte zu umreißen. Der Begründer des Unterneh­ mens, Max Spindler, erkannte in den Jahren seines Wirkens als Inhaber des Lehrstuhles für bayerische Geschichte an der Universität München (19461960), der damals noch die einzige Professur mit dieser Denomination in Bay­ ern war, mit sicherem Blick die Notwendigkeit des Vorhabens. Er trug damit wesendich zum breiten Aufbruch der Landesgeschichte in den kommenden Jahrzehnten bei. Dieser erfaßte nicht nur die Universitäten des Freistaates Bay­ ern, die in der Folgezeit breit ausgebaut wurden, sondern strahlte auch auf die anderen deutschen Bundesländer aus. Hauptantrieb seiner Bemühungen war die Überzeugung von der Wichtigkeit des Vorhabens nicht nur in wissen­ schaftlicher, sondern auch in staatspolitischer Hinsicht. Das Handbuchunter­ nehmen entsprang seiner festen Überzeugung von der Lebenskraft des deut­ schen Föderalismus, dem ein wissenschaftlicher Unterbau verschafft werden sollte. In diesem Sinne verhalf er dem Freistaat Bayern innerhalb bewunderns­ wert kurzer Zeit als erstem deutschen Bundesland zur Aufarbeitung seiner Ge­ schichte in Form eines Handbuches. Es stieg in der Folgezeit zum Vorbild für entsprechende Unternehmungen in anderen Bundesländern auf. Zwischenzeit-

Vorwort

VII

lieh verfugen mehrere von ihnen über ähnlich ausgerichtete Werke, die sich auch in der formalen Gestaltung an diesem Vorgänger orientierten. Das Hand­ buch ist nicht nur zum entscheidenden Grundwerk der bayerischen Landesge­ schichte geworden, sondern zum Muster eines landesgeschichtlichen Handbu­ ches in Deutschland überhaupt. «Der Spindler» ist längst zur in Fachkreisen vielgebrauchten bibliographischen Sigle geworden. Dem Begründer des Unter­ nehmens ist ein großer Wurf geglückt, der die Landesgeschichte in Deutsch­ land auf neue Wege geführt hat. Das Handbuch der bayerischen Geschichte hat seine Bewährung durch viel­ fältige Erprobung längst mit bestem Erfolg bestanden. Es wurde sofort das ent­ scheidende Grundwerk für die Fachwissenschaft. Es wurde zudem das wichtig­ ste Hilfsmittel für die Lehrer in den verschiedenen Sektoren des Schulbereiches sowie die Studenten. Doch erstreckte sich die Bedeutung von Anfang an über den Forschungs- und Bildungsbetrieb hinaus und griff auf die Mitarbeiter in den einschlägigen Fachverwaltungen, die Kulturschaffenden in den unter­ schiedlichen Bereichen, auf die Vertreter von Politik und Medien aus. Wer immer an rascher und verläßlicher Information über Bayern Bedarf hatte, er­ hielt sie am ehesten hier. Aber auch lediglich an der Geschichte des Freistaates Interessierte wurden bestens bedient. Die Erstauflage fand den Weg in so breite Bevölkerungskreise, daß schon nach wenigen Jahren mehrere Einzelbände zum Teil mehrfach nachgedruckt werden mußten. Das Handbuch der bayerischen Geschichte wurde zu einem Grundwerk für Wissenschaft, Bildung und Infor­ mation. Deswegen war die zweite Auflage eine unumgängliche Notwendigkeit, um das breite Bedürfnis nach einschlägiger Fachinformation auf zeitgemäßem Niveau zu befriedigen. Der ungewöhnliche Erfolg des Handbuches fußt ganz wesentlich auf seiner bewährten Anlage. Hauptaufgabe eines Handbuches ist, ein umfassendes Fach­ gebiet auf begrenztem Raum in möglichst übersichtlicher und leicht benutzba­ rer Form zusammenzufässen und zu erschließen. Diese Aufgabe hat «der Spind­ ler» vorzüglich gelöst; deswegen konnte die Zweitauflage die Grundstruktur der Erstauflage im wesentlichen beibehalten. Die praxisgerechte Aufbereitung einer gewaltigen Stoffülle ist vorzüglich gelungen. Deswegen wurde in der Zweitauflage davon abgesehen, durchaus in Erwägung gezogene neue Frage­ stellungen, etwa zur Geschichte der bayerischen Landeshistoriographie, aufzu­ nehmen; trotz ihrer Wichtigkeit sind sie doch zweckmäßiger an anderer Stelle zu plazieren. Das Handbuch will nicht alle denkbaren Themen abdecken und darf keinesfalls zur Enzyklopädie auswachsen. Es wurde auch davon abgesehen, das zeitlich ausgerichtete Gliederungsmuster durch die verstärkte Herausarbei­ tung der epochenübergreifenden Bezüge zu verwässern; die Orientierung an den Epochen und damit notwendigerweise an den Herrscherpersönlichkeiten beziehungsweise Regierungen wird vor allem den Nichtfachleuten den Zugang wesentlich erleichtern. Die Verteilung des Stoffes auf die zwei Teilbände mit den Schwerpunkten Staat und Politik sowie innere und kulturelle Entwicklung

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koruvrt

folgt gewiß einem vereinfachenden Verständnis historischer Prozesse und kann vielen komplexen Zusammenhängen nicht in wünschenswertem Ausmaß Rechnung tragen. Aber die diesbezüglichen Klagen eines Rezensenten über ein konservatives Geschichtsverständnis sollten die Grundaufgabe eines Handbu­ ches nicht aus dem Auge verlieren: nämlich einer möglichst breiten Benutzer­ schicht die problemlose und rasche Orientierung in einer uferlosen Stoffülle zu ermöglichen. Dazu tragen auch durchaus akzeptierte gelegentliche Überschnei­ dungen bei. Mit Überlegung wird hier den Anforderungen der praktischen Be­ nutzung der Vorrang zuerkannt. Praktikabilität für möglichst breite Interessen­ tengruppen wird nicht immer deckungsgleich mit den Anforderungen der Fachwissenschaft sein. Selbstverständlich kann ein Handbuch nicht alle Wün­ sche erfüllen. Die diesem Werk zugrunde gelegten Leitprinzipien haben sich bestens bewährt und werden deswegen beibehalten. Das für ein wissenschaftliches Handbuch dieser Größenordnung ungewöhn­ lich breite Interesse entspringt auch den politischen Implikationen, die mit ihm verbunden sind. Sein Thema ist der umfassende Rückblick auf die Geschichte des Freistaates in allen seinen Einzelteilen. Es beschränkt sich nicht auf Altbayem, sondern schließt im wohlüberlegten Aufbau auch die erst in der neuesten Zeit angegliederten Landesteile ein. Neben Franken und Schwaben wurde erst­ mals hier auch der Oberpfalz wegen ihrer eigenständigen Entwicklung der ge­ bührende Standort als vierter historischer Landschaft zuerkannt. Dabei wird der Blick immer auch nach außen gerichtet und der Anteil dieser im modernen Staatsbayern zusammengefäßten historischen Landschaften an der deutschen und europäischen Geschichte aufgezeigt. Das Handbuch wird so der eindrucks­ volle Nachweis des historischen Unterbaues des deutschen Föderalismus. Es dokumentiert in Eindringlichkeit, daß sich die deutsche Geschichte aus sehr unterschiedlichen Einzelbausteinen zusammensetzt, unter denen die bayerische Geschichte sicherlich angesichts ihrer Konstanz und Bedeutung zu den wich­ tigsten gehört. Auch das Handbuch der bayerischen Geschichte macht in Ein­ dringlichkeit sichtbar, daß sich die deutsche Geschichte grundlegend von der Geschichte Frankreichs, Spaniens oder Englands unterscheidet. Angesichts die­ ser Gegebenheiten muß Landesgeschichte in Deutschland einen anderen Stel­ lenwert erhalten als in diesen Zentralstaaten. Diesem Umstand hat die Kultur­ politik Rechnung zu tragen. Sie darf nicht zulassen, daß die deutsche Landesge­ schichte in unserer Gegenwart an eine Peripetie gelangt und im Rahmen der Umgestaltung aller Lebensbereiche auf breiter Front zurückgedrängt wird. Auch im Zeitalter der Europäisierung und Globalisierung dürfen die Grundge­ gebenheiten der historischen Entwicklung nicht aus dem Auge verloren wer­ den. Gerade diese Tendenzen unserer Gegenwart begründen ein unverkennba­ res Interesse an neuer Identitätsbildung, die ihre Wurzeln ganz wesentlich aus der Geschichte bezieht. Die Landesgeschichte wird auch angesichts der deut­ lich geweiteten Lebenshorizonte in Deutschland ihre Bedeutung behaupten, wobei sich ihre Pflege aus den Schulen hinaus verstärkt in andere Lebensberei-

Vorwort

IX

ehe verschiebt. Die Befürchtungen über den «Abend der Landesgeschichte» in Deutschland werden sich ah unbegründet erweisen. Auch in Zukunft wird Be­ darf an umfassenden Nachschlagewerken wie dem «Spindler» bestehen. Das Handbuch der bayerischen Geschichte hat sich nach seinem Erscheinen auf dem Buchmarkt im Jahre 1967 rasch einen vielbeachteten Standort ver­ schafft und diesen in den vier Jahrzehnten, die es dort unter der fürsorglichen Betreuung von Max Spindler und Andreas Kraus immer verfügbar war, ein­ drucksvoll behauptet. Das von ihm aufbereitete Thema wird auch für die Wis­ sensgesellschaft der Zukunft Gewicht haben. Für das Fachgebiet der bayeri­ schen Geschichte wird es sowohl für das In- als auch das Ausland das entschei­ dende Informationsmittel bleiben. Deswegen wird die Arbeit an der dritten Auflage unverzüglich aufgenommen. Alois Schmid

INHALT

Abkürzungen ............................................................................................................................. XIX

B DIE INNERE ENTWICKLUNG

LAND - GESELLSCHAFT - WIRTSCHAFT - KIRCHEN

I. Das Land und seine Bevölkerung. Von Klaus Fehn § i. Das Land ................................................................................................................ a) Das bayerische Staatsgebiet im 19. und 20. Jahrhundert..................... b) Die Kulturlandschaft der Rheinpfälz (bis 1945) und der Saarpfalz (bis 1919).......................................................................................................... c) Die Landschaften Bayerns .......................................................................... d) Die natürlichen Ressourcen Bayerns........................................................ § 2. Die Bevölkerungsstrukturen............................................................................. a) Allgemeine demographische Entwicklung............................................. b) Bevölkerungsmobilität.................................................................................. c) Zuwanderungen............................................................................................. d) Urbanisierung und Suburbanisierung ..................................................... § 3. Die Raumordnungsmuster................................................................................ a) Leitideen der Raumordnung........................................................................ b) Flächennutzungswandel................................................................................ c) Umweltschutz und Kulturlandschaftspflege ........................................... d) Kulturlandschaftsentwicklung .....................................................................

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§ 4. Die Siedlungsraumtypen .................................................................................. a) Ländliche Räume .......................................................................................... b) Städtische Räume .......................................................................................... c) Industrielle Räume ........................................................................................ d) Verkehrsräume................................................................................................ e) Erholungsräume .............................................................................................

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II. Die Staats- und Kommunalverwaltung. Von Wilhelm Volkert

§ 5. Die obersten Regierungsbehörden - Auswärtige Angelegenheiten öffentlicher Dienst - Verwaltungsreform .................................................. a) Oberste Regierungsbehörden.....................................................................

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XII

Inhalt b) Auswärtige Angelegenheiten ..................................................................... c) Der öffentliche Dienst................................................................................... d) Verwaltungsreform ........................................................................................ § 6. Allgemeine innere Verwaltung - Justizverwaltung - Militärverwal­ tung .......................................................................................................................... a) Innere Verwaltung ........................................................................................ b) Justizverwaltung............................................................................................. c) Militärverwaltung........................................................................................... § 7. Finanzverwaltung............................................................................................... a) Im Königreich (1806-1918) ........................................................................ b) Im Freistaat und in der NS-Zeit (1919-194$)........................................ c) Seit 194$............................................................................................................ § 8. Sozialordnung - Umweltfragen - Verbraucherschutz ............................. a) Leitende Behörden ........................................................................................ b) Arbeitsverwaltung........................................................................................... c) Kriegsopfer und Vertriebene ..................................................................... d) Versicherungsbehörden und Versicherungsanstalten ........................... e) Gesundheitsverwaltung ................................................................................

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§9. Wirtschaft - Verkehr........................................................................................... a) Land- und Forstwirtschaft ........................................................................... b) Gewerbe, Industrie, Handel........................................................................ c) Verkehrswesen ................................................................................................ d) Bauwesen und Wasserwirtschaft................................................................ e) Münze, Maß und Gewicht........................................................................... § 10. Unterricht - Wissenschaft - Kunst - Kultus................................................ a) Leitende Behörden ........................................................................................ b) Unterricht und Ausbildung ........................................................................ c) Forschung und wissenschaftliche und künstlerische Ausbildung ... d) Archive, Bibliotheken, Museen und Sammlungen .............................. e) Theater und Musik........................................................................................ f) Kirche und Staat.............................................................................................

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III. Die Landwirtschaft. Von Alois Seidl/Pankraz Fried - Joachim Ziche §11. Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen................................................... a) Allgemeine Entwicklung: Agrarverfassung und Agrarstruktur .... b) Agrarforschung und Agrarbildung............................................................. c) Die staatliche Verwaltung ........................................................................... d) Organisations- und Genossenschaftswesen.............................................. § 12. Agrarproduktion und Agrarmarkt................................................................... a) Pflanzliche Produktion ................................................................................ b) Tierische Produktion..................................................................................... c) Die Entwicklung der Landtechnik ........................................................... d) Vermarktung .................................................................................................. e) Erzeugung von Nicht-Nahrungspflanzen und alternative Landwirt­ schaft .................................................................................................................. § 13. Die Sozialentwicklung in Bauerntum und ländlicher Bevölkerung ... a) Ausgangslage .................................................................................................. b) Die innere Sozialentwicklung des Bauerntums.....................................

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Inhalt

XIII

c) Bauerntum und ländliche Bevölkerung in der modernen Industrie­ gesellschaft reit 1945...................................................................................... 211

IV. Gewerbe, Handel und Verkehr. Von Rainer Gömmbl

§ 14. Die Bildung des modernen Bayern und seine Wirtschaftsverwaltung (1806-1848) ............................................................................................................. 216 a) Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse..............................................217 b) Zollpolitik .......................................................................................................... 218 c) Finanzwirtschaft, Steuerpolitik und Verschuldung ................................ 219 d) Landwirtschaft ...................................................................................................220 e) Gewerbe, Gewerbepolitik und Bergbau..................................................... 221 f) Eisenbahn und Verkehr................................................................................... 223 g) Handel, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen ................................... 224 §15. Von der Revolution 1848 bis zur Einbindung in das Kaiserreich .... 228 a) Die Märzrevolution 1848 als Ausgangslage für institutionelle Ver­ änderungen ........................................................................................................ 228 b) Bauernbefreiung und Entwicklung der Landwirtschaft ........................ 229 c) Gewerbe- und Industrieforderung ..................... 231 d) Steuerpolitik und Zollwesen ........................................................................ 232 e) Private und staatliche Infrastrukturmaßnahmen im Verkehrswesen bis 1870/71............................................................................... 233 f) Geld-, Kredit-, Banken- und Versicherungswesen ................................ 234 § 16. Von der Einbindung in das Kaiserreich bis zur Revolution von 1918/19 23$ a) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Stellung Bayerns bei der Reichsgründung ................................................................................................ 236 b) Die Zoll-, Gewerbe-, Sozial- und Verkehrspolitik des Reiches und die Folgen für Bayern ................................ 237 c) Industrie, Bau- und Energiewirtschaft........................................................ 241 d) Landwirtschaft, Handwerk und Handel..................................................... 24$ e) Geld-, Banken-, Kredit-, Münz- und Währungswesen........................ 247 f) Bayerns Wirtschaft unter Kriegsbedingungen 1914bis 1919............... 249 § 17. Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus (1919-1945) ■ . 253 a) Die vom Reich gesetzten Rahmenbedingungen ......................................233 b) Bayern während der Weimarer Zeit ........................................................... 236 c) Das Ende der Eigenstaadichkeit Bayerns und die wirtschaftliche Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Hemchaft................ 260 § 18. Vom Wiederaufbau nach 1943 bis 1980........................................................... 263 a) Ausgangslage und Rahmenbedingungen der bayerischen Wirtschaft bis zur Gründung der Bundesrepublik........................................................ 263 b) Handwerk, Gewerbe und Industrie............................................................. 269 c) Landwirtschaft und Energiewirtschaft ........................................................ 274 d) Handel, Kreditwesen und Versicherung..................................................... 277 e) Leidinien der allgemeinen Wirtschafts-, Regional- und Strukturpo­ litik ........................................................................................................................ 282 § 19. Die Wirtschaft ab 1980 ........................................................................................ 283 a) Neue Herausforderungen durch den Zusammenbruch des Ost­ blocks und die Globalisierung ..................................................................... 283 b) Wachstum und Beschäftigung........................................................................ 284 c) Handwerk, Gewerbe und Industrie............................................................. 286

XIV

Inhalt d) Energiewirtschaft, Verkehrswesen und Forschung ................................ 292 e) Banken und Versicherungen ........................................................................ 296 f) Steuereinnahmen, Länderfinanzausgleich, Wirtschaftsförderung und staatliche Beteiligungen................................................................................... 296 g) Weitere wirtschaftsrelevante Bereiche: Wohnungsbau, Dorfemeuerung und Tourismus ........................................................................................ 298

V. Die katholische Kirche seit 1800. Von Heinz Hörten

§ 20. Die kirchliche Erneuerung(1800-1848) .......................................................... 300 a) Die neuen Kräfte .............................................................................................. 300 b) Der institutionelle Wiederaufbau .................................................................304 c) Ludwig I. als Schirmherr der Kirche..................... 307 § 21. Das langsame Ende des Staatskirchentums (1848-1918).............................. 309 a) Wandlungen nach 1848................................................................................. 309 b) Der Kulturkampf ..............................................................................................311 c) Die Modernismus-Krise................................................................................... 317 § 22. Kirche ohne staatliche Schirmherrschaft .........................................................318 a) Die Kirche in der Republik ........................................................................... 318 b) Die Kirche unter dem Nationalsozialismus .............................................. 320 c) Die Kirche in der freien Gesellschaft........................................................... 323

VI. Die evangelische Kirche seit 1800. Von Helmut Baier § 23. Die Entstehung der protestantischen Kirche - Bewährung einer pa­ ritätischen Staatskirche........................................................................................... 331 a) Anfänge des Protestantismus in Bayern ...................................................... 331 b) Rechtliche Rahmenbedingungen................................................................... 332 c) Kampf um Unabhängigkeit und Gleichberechtigung ........................... 333 § 24. Innere Entwicklung und Ausgestaltung - Neuluthertum und Neupro­ testantismus ..............................................................................................................334 a) Theologische Erneuerung ........................... 335 b) Neue Herausforderungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts ..................................................................................................................... 337 § 25. Die selbständige Landeskirche (1918-1933) ................................................... 339 a) Neuregelung der Organisation und des Verhältnisses zum Staat ... 339 b) Theologische Orientierung ........................................................................... 341 c) Verhältnis zur Republik................................................................................... 342

§ 26. Abwehr von Irrlehre und kirchenpolitische Opposition gegen den Nationalsozialismus (1933-1945)........................................................................ 343 a) Anfänglicher Opportunismus........................................................................ 343 b) Bruch mit der Reichskirche und offener Kirchenkampf.........................344 c) Anpassung, Entkonfessionalisierung undRepression............................. 34$ § 27. Zwischen Tradition und Neubeginn - die Nachkriegsära Meiser (1945-1955) • • • •.;................................................................................................ 348 a) Stellung in der Öffentlichkeit und Vergangenheitsbewältigung . . . 348 b) Wiederaufbau und Ausbau der kirchlichenStrukturen .......................... 349 c) Kirchenpolitik und Theologie ........................ 351

Inhalt

XV

§ 28. Das neue Erscheinungsbild der Kirche.......................................................... 3 $2 a) Theologische und politische Kontroversen ..............................................352 b) Verfassung ........................................................................................................... 353 c) Probleme der Gegenwart................................................................................ 334

P7L Die jüdischen Gemeinden. Von Rolf Kiessling § 29. Das Problem der schrittweisen Emanzipation................................................ 357 a) Im Zeichen des Erziehungskonzepts........................................................... 338 b) Das Judenedikt von 1813 ............................................................................... 360 c) Zögernde und verzögerte Gleichstellung................................................... 362 § 30. Verbürgerlichung und Akkulturation ..............................................................364 a) Bildungswesen ................................................................................................... 363 b) Migration und demographischer Wandel................................................... 367 c) Gesellschaftliche Stellung................................................................................ 368 § 31. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik............................................. 370 a) Verbürgerlichung und Zuwanderung der Ostjuden .............................. 370 b) Antisemitismus, Zionismus und Neo-Orthodoxie ................................ 372 § 32. Einschränkung und Vernichtung jüdischer Existenz durch den Natio­ nalsozialismus ........................................................................................................... 373 a) Die Verfolgungsmaßnahmen seit 1933 und der Pogrom von 1938 . 373 b) Der Weg in die Vernichtungslager ..............................................................377 § 33. Nach dem Holocaust: die jüdischen DPs und die neuen Gemeinden . 379 a) Die Situation der Überlebenden ................................................................ 380 b) Neue Anfänge und neue Perspektiven........................................................ 381

VIII. Die Muslime. Von Ferdinand Kramer

§ 34. Muslime in Bayern................................................................................................ 383

C DAS KULTURELLE LEBEN

I.

Das Schulwesen. Von Monika Fenn und Hans-Michael Körner Im Königreich (1806-1918) ............................................................................... 399 a) Das niedere Schulwesen ................................................................................ 402 b) Das höhere Schulwesen...................................................................................406 § 2. Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus (1918-1943) 412 a) Die Weimarer Republik (1918-1933) ........................................................ 413 b) Die Zeit des Nationalsozialismus (1933-1943) ........................................ 416 §1.

Inhalt

XVI

§ 3. Im Freistaat nach 194$............................................................................................422 a) Volksschulwesen................................................................................................ 427 b) Mittelschulwesen ............................................................................................. 430 c) Höheres Schulwesen........................................................................................ 431 d) Sonder- bzw. Förderschulwesen................................................................... 433 e) Berufsbildende Schularten ..............................................................................434 f) Schularten für den «zweiten Bildungsweg«................................................ 43$

II. Universitäten und Wissenschaften im neubayerischen Staat. Von Laetitia

Boehm § 4. Allgemeine Aspekte zum Standort Bayern im Rahmen deutscher Wis­ senschaftskultur auf dem Weg zur Gegenwart - Epochale Wende in den sechziger/siebziger Jahren?........................................................................... 439 a) Vorbemerkungen ............................................................................................. 439 b) Vom Wiederaufbau in Traditionsspuren nach 194$ zum Genera­ tionswechsel und Umbruch der sechzig-siebzigerJahre........................ 444 c) Methodenwandel in Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsge­ schichte ................................................................................................................ 448 d) Bildungsexpansion und Hochschulwesen in Bayern .............................. 455 e) Hochschulwesen und Wirtschaftshilfe........................................................ 464 f) Historische (außeruniversitäre) Forschungseinrichtungen in der bayerischen Landeshauptstadt....................................................... 468 g) Bayerns Einzug in die «Großforschung«...................................................... 484 h) Wandel der Arbeitsformen in der Wissenschaftsgesellschaft................ 490

III. Publizistik und Medien. Von Kurt Koszyk §5. Werkzeuge der Diplomatie ................................................................................ 49$ a) Neubeginn........................................................................................................... 495 b) Die Frühzeit Ludwigs 1...................................................................................... 498 § 6.

Vorboten der Pressefreiheit ................................................................................ 501 a) Die Spätzeit Ludwigs I....................................................................................... $01 b) Maximilian II........................................................................................................ 503

Organe politischer Gruppierungen .................................................................. $07 a) Im Deutschen Reich ........................................................................................ $07 b) Erster Weltkrieg............................................................................................. 511 §8. Instrumente der Diktatur...................................................................................... 513 a) Weimarer Zeit ................................................................................................... 513 b) Gleichschaltung ................................................................................................ 51$ c) Die Kriegsjahre................................................................................................... 517 § 7.

§ 9.

Geschenk der Demokratie .................................................................................. 518 a) Neubeginn........................................................................................................... $18 b) Ausbau................................................................................................................... 521

§ 10. Vom Radio zum Fernsehen ................................................................................ 522 a) Die Anfänge........................................................................................................ $22 b) NS-Zeit................................................................................................................ 524 c) Die Nachkriegszeit ........................................................................................... $25

Inhalt

XVII

§ ii. München bleibt zentraler Standort ................................................................... $27 a) Medienzentrum München..............................................................................$28 b) Der Film ............................................................................................................. 530 c) Die moderne Medienlandschaft ................................................................... 533 d) Das Internet........................................................................................................ 535

IV. Die Literatur. Von Hans und Karl Pörnbacher § 12. Romantik in Altbayem, Schwaben und Franken....................... 537 a) Die Landshuter Romantik ..............................................................................538 b) Die Münchner Romantik................................................................................ $40 c) Romantik und Nachklassik in Franken ...................................................... $46 § 13. Geistliche Literatur und (romantisches) Biedermeier................................... $49 a) Belehrung und Erbauung................................................................................ 549 b) Lyrik, Erzählungen und Legenden ..............................................................553 c) Unterhaltung, Belehrung für die Jugend, Histone und Erbauung . . 554 d) Franz Graf Pocci und Guido GörTes ........................................................... 557 § 14. Unter den Königen Max II. und Ludwig II......................................................$$9 a) Der Münchner Dichterkreis........................................................................... 560 b) Randfiguren und Außenseiter........................................................................ 563 c) Landesbeschreibung und Brauchtum - Dorfgeschichten und Histo­ rie ........................................................................................................................... 564 § 15. Mundartliteratur und Volksdichtung im 19. Jahrhundert........................... 569 a) Altbayem............................................................................................................. 569 b) Franken........................................... 571 c) Schwaben............................................................................................................. 572 d) Das Volkstheater................................................................................................ 573 § 16. Der Naturalismus ................................................................................................... $74 a) Grundlagen ........................................................................................................ $74 b) Die Vertreter ..................................................................................................... 575 § 17. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Enten Weltkrieg........................ $77 a) Zeitschriften........................................................................................................ 577 b) Die Literatur ..................................................................................................... $82 § 18. Bayerische Lebensart als Thema der Literatur................................................ $90 a) Ludwig Thoma................................................................................................... 590 b) Weitere Autoren................................................................................................ $92 c) Mundartdichtung ............................................................................................. $96 d) Der fränkische Beitrag..................................................................................... $96 § 19. Der Expressionismus............................................................................................. $98 a) Grundlagen ........................................................................................................ $98 b) Die Autoren........................................................................................................ $99 § 20. Die Weimarer Jahre und die NS-Zeit............................................................. 601 a) Die Weimarer Zeit...........................................................................................601 b) Autoren des NS-Staates................................................................................... 610 § 21. Die Gegenwartsliteratur........................................................................................ 611 a) Neubeginn........................................................................................................611 b) München............................................................................................................. 613 c) Die Mundartdichtung ..................................................................................... 614

XP7//

Inhalt

V. Die Kunst. Von Frank Büttner

§ 22. Baukunst bis 1848................................................................................................... 617 a) Zentralisierung der Bauverwaltung..............................................................617 b) Stadtplanung und Städtebau........................................................................... 618 c) Palast und Bürgerhaus..................................................................................... 619 d) Bauten für Kultur und Bildungswesen........................................................ 620 e) Sakralbau............................................................................................................. 622 § 23. Baukunst 1848 bis 1918........................................................................................ 624 a) Das Problem des Stils ......................................................................................625 b) Königliche Bauten und Projekte................................................................... 626 c) Sakralbauten........................................................................................................ 628 d) Öffentliche Bauten ........................................................................................... 629 e) Geschäfts- und Wohnbauten ........................................................................ 633 § 24. Angewandte Kunst ................................................................................................ 63 $ a) Unter den Königen Ludwig I. und Max II.................................................. 636 b) Unter König Ludwig II..................................................................................... 639 § 2$. Die bildende Kunst bis 1918................................................................................ 641 a) Akademien und Zeichenschulen................................................................... 642 b) Malerei bis zur Jahrhundertmitte ................................................................ 643 c) Malerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.................................648 d) Der Weg in die Moderne................................................................................ 631 e) Skulptur................................................................................................................ 655 § 26. Zwischen den beidenWeltkriegen ............................................... 661 a) Baukunst ..............................................................................................................664 b) Malerei ................................................................................................................ 667 c) Skulptur................................................................................................................ 670 § 27. Kunst nach 1945..................................................................................................... 672 a) Wiederaufbau..................................................................................................... 674 b) Architektur........................................................................................................... 676 c) Malerei ................................................................................................................ 680 d) Skulptur................................................................................................................ 684

VI. Die Musik. Von Bernhold Schmid

§ 28. Musik in Bayern im 19. und 20. Jahrhundert................................................ 687

Stammtafeln der Wittelsbacher. Von Wilhelm Volkert................................................... 715 Verzeichnis der Minister 1799-2006. Von Rainald Becker.......................................... 719 Ergebnisse der Landtagswahlen 1868-2003. Von Rainald Becker............................... 737

Register. Von Willy Jäger ..................................................................................................... 751

ABKÜRZUNGEN

Abh. Berlin, Göttingen, . . Abhandlungen der philosophisch-historischen Klasse der Leipzig, Mainz, Akademie der Wissenschaften München, Wien AbM...................................... Altbayerische Monatsschrift, hg. v. Hist. Ver. v. Obb., 15 Bde., 1899-1919/26 ADB...................................... Allgemeine Deutsche Biographie, hg. v. d. HK, $6 Bde. m. Registerbd., 1875/1912 Akad........................................ Akademie AKG...................................... Archiv für Kulturgeschichte AKKR................................... Archiv für katholisches Kirchenrecht Amd. Handbuch.................. Amtliches Handbuch der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags AO........................................ Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken Anh.......................................... Anhang Arch ...................................... Archiv AU........................................ Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg Aufl.......................................... Auflage Ausg......................................... Ausgabe Ausst........................................ Ausstellung AV ........................................ Abkürzungsverzeichnis AZ ........................................ Archivalische Zeitschrift BA ........................................ Bezirksamt Bachem................................. K. Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspattei, 9 Bde., 1927/1932 (ND 1967) BAdW................................... Bayerische Akademie der Wissenschaften Bauer ................................... F. J. Bauer (Bearb.), Die Regierung Eisner 1918/19. Mini­ sterratsprotokolle und Dokumente, 1987 Bauer - Tworek.................. H. Bauer - E. Tworek (Hgg.), Schwabing. Kunst und Le­ ben um 1900, 1998 Bayer. Geschichtsatlas .... Bayer. Geschichtsatlas, hg. v. M. Spindler, Redaktion G. Diepolder, 1969 Bayer. Jb................................. Auskunfts- und Adressenbuch über die Behörden, Gerichte, parlamentarische Körperschaften und Institutionen in Bay­ ern Bayer. Lit.-Gesch.................. E. Dünninger - D. Kiesselbach (Hgg.), Bayer. Literaturge­ schichte in ausgewählten Beispielen, 2. Bde., 1965/67 Bayern im Bund.................. Bayern im Bund, hgg. von Th. Schlemmer, H. Woller u.a., 5 Bde., 2001-2004. BayHStA.............................. Bayer. Hauptstaatsarchiv München BayVBll................................... Bayerische Verwaltungsblätter BB ........................................ Bayer. Bibliothek, hg. v. H. Pörnbacher u. B. Hubensteiner, 5 Bde., 1978-86

XX BBd......................................... Bd., Bde................................. BdL........................................ BdZV ................................... Bearb., bearb......................... Becker ...................................

begr......................................... Beih......................................... Beil.......................................... Beisp........................................ Beirr., Beitrr.......................... Beitrr. ABK......................... BeitrT. BK ............................ Beitrr. z. Statistik Bayerns .

Bez........................................... BGBl....................................... BGBR................................... BGVB1.................................... BHE ...................................... BHVB................................... Bibi.......................................... Bibliogr................................... BJbV...................................... BL, Bll..................................... Blessing.................................

BLfD...................................... BLJ........................................ BUdLG ................................. BLV; BLLV......................... BP........................................... BR ........................................ Brandmüller.........................

BSB........................................ BüL........................................

BV ........................................ BVP ...................................... BWG ...................................

Abkürzungen

Bayer. Bauernbund Band, Bände Berichte zur dt. Landeskunde Bundesverband deutscher Zeitungsverleger Bearbeiter, bearbeitet W. Becker u.a. (Hgg.), Lexikon d. christl. Demokratie in Deutschland, 2002 begründet Beiheft Beilage Beispiel Beitrag, Beiträge Beiträge zur altbayer. Kirchengeschichte Beiträge zur bayer. Kirchengeschichte Beiträge z. Statistik des Königreichs Bayern (1850 fr.) bzw. Bayerns (1919fr.), hg. v. Bayer. Statist. Landesamt Bezirk Bundesgesetzblatt Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg Bayer. Gesetz- u. Verordnungsblatt, seit 1936 Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten Berichte des Historischen Vereins für die Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg Bibliothek Bibliographie Bayer. Jahrbuch für Volkskunde Blatt, Blätter W. K. Blessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft: Institu­ tionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jhs., 1982 Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege Bayerisches Landwirtschaftliches Jahrbuch Blätter für deutsche Landesgeschichte Bayerischer Lehrerverband; nach 1945 Bayerischer Lehrer­ und Lehrerinnenverband Bayempartei Bundesrat W. Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayer. Kirchenge­ schichte III: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, 1991 Bayerische Staatsbibliothek Berichte über Landwirtschaft. Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft, 1920-1923 Stuttgart; 1924-1944 Berlin; ab 1952 Münster-Hiltrup Bayerische Verfassung von 1946 Bayerische Volkspartei Berichte zur Wissenschaftsgeschichte

CDU...................................... Christlich Demokratische Union CSU ...................................... Christlich Soziale Union

DAF ...................................... Deutsche Arbeitsfront

Abkürzungen Dant........................................ dass.......................................... DBJ........................................ DDP...................................... DDR...................................... Demel...................................

XXI

DVP......................................

Dantellung dasselbe Deutsches Biographisches Jahrbuch Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik W. Demel, Der bayer. Staatsabsolutismus 1806/08-1817, 1983 H. D. Denk, Die Christliche Arbeiterbewegung in Bayern bis zum Enten Weltkrieg, 1980 denelbe Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. von K. G. K. Jeserich v.a., 6 Bde., 1983-88 Deutsche Gemeinschaft Deutscher Gewerkschaftsbund dieselbe(n) (Maschinenschriftliche) Dissertation Deutsche Kommunistische Partei Deutsches Literaturlexikon, bisher 35 Bde., hgg. von B. Berger - H. Rupp, 3. völlig neu bearb. Aufl. 1968-1999 Deutschnationale Volkspartei M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, 3 Bde., 1906/31, I 1916’, II 1928’, III hg. v. M. Spindler 1931 M. Doeberl, Ein Jahrhundert bayerischen Verfassungslebens, 1918' Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, hg. von K. Bosl u. A. Kraus, Abt. III, bisher 8 Bde., I976ff. G. Döllinger, Sammlung der im Gebiete der inneren Staats­ verwaltung des Königreichs Bayern bestehenden Verord­ nungen, 20 Bde., 1835/39 Deutsche Partei deutsch Deutschland Deutsche Vierteljahrsschrift f. Literaturwissenschaft u. Gei­ stesgeschichte Deutsche Volkspartei

ebd........................................... EdG ...................................... EG ........................................ Einzelarbeiten .................... Entw........................................ Erdkunde .............................. Erg.-Bd., Erg.-Heft(e) . . . . europ....................................... ev............................................. EWG......................................

ebenda Enzyklopädie deutscher Geschichte Europäische Gemeinschaft Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns Entwicklung Erdkunde. Zschr. des Arch. für wiss. Geographie Ergänzungsband, Ergänzungsheft(e) europäisch evangelisch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

F............................................. Faulhaber, Akten ...............

Folge Akten Kardinal Michael von Faulhaben 1917 - 1945, hg. v. L. Volk u.a., 4 Bde., 1975-2002

Denk......................................

den.......................................... Deutsche Verwaltungs- . . . geschichte [DVG] DG........................................ DGB...................................... dies.......................................... Diss. (Masch.)....................... DKP...................................... DLL’...................................... DNVP................................... Doeberl.................................

Doeberl, Verfassungsleben . Dokumente .........................

Döllinger..............................

DP ........................................ dt.............................................. Dtl........................................... DVjschrLG .........................

XXII

Abkürzungen

Forschungen zur deutschen Landeskunde Freie Demokratische Partei Festgabe A. Kraus (Hg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Pro­ bleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. FG für M. Spindler zum 90. Geburtstag, 3 Bde., 1984 FGB Forschungen zur Geschichte Baierns (vorher Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns), 16 Bde., 1893-1908 Forsch.............. Forschung(en) Fort................... Fortsetzung frank................ fränkisch W. Buhl (Hg.), Fränk. Klassiker. Eine Literaturgeschichte in Fränk. Klassiker Einzeldarstellungen, 1971 Fränk. Lebensbilder (FL) . . Fränkische Lebensbilder, hg. v. d. Gesellschaft für fränkische Geschichte, 1967 fr. D. Fricke u.a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die Fricke bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945), 4 Bde., 1983-86 FS................ Festschrift Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas FS Kraus 2002 Kraus zum 80. Geburtstag, hg. v. K. Ackermann, A. Schmid und W. Volkert (SchbLG 140) 2002 K. Ackermann - A. Schmid (Hg.), Staat und Verwaltung in FS Volkert Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag (SchbLG 139) 2003 Ph. Funk, Von der Aufklärung zur Romantik. Studien zur Funk Vorgeschichte der Münchener Romantik, 1925 FdL........... FDP ......... FG ............ FG Spindler

GB ..................................... GBl....................................... GDP................................... gedr....................................... Geogr................................... Ges........................................ Gesch.................................... Gesch. u. Ges....................... GG .....................................

Gesamtdeutscher Block Gesetzblatt für das Königreich Bayern Gesamtdeutsche Partei gedruckt Geographie Gesellschaft Geschichte Geschichte und Gesellschaft B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 4 Bde., 9. neubearb. Aufl. hg. v. H. Grundmann, 1973-1976; 10. Aufl., 2001 ff. Goedecke .......................... K. Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dich­ tung aus den Quellen, 15 Bde. (verseh. Auflagen) 1884/1966 Gollwitzer, Abel................ H. Gollwitzer, Ein Staatsmann des Vormärz: Karl von Abel. Beamtenaristokratie - Monarchisches Prinzip - Politischer Katholizismus, 1993 Gollwitzer, Ludwig I.......... H. Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Eine politische Bio­ graphie, 1986 Gollwitzer, Standesherren . H. Gollwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesell­ schaftliche Stellung der Mediatisierten 1815-1918, 19642 Götschmann....................... D. Götschmann, Das bayer. Innenministerium 1825-1864. Organisation und Funktion, Beamtenschaft und politischer

Abkürzungen

XXIII

Einfluß einer Zentralbehörde in der konstitutionellen Mon­ archie, 1993 GR ...................................... Geographische Rundschau Graßl................................... H. Graßl, Aufbruch zur Romantik. Bayerns Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte 1765-1785, 1968 GVB1..................................... Gesetz- und Verordnungsblatt f. d. Königreich (1918/19 Volksstaat, ab 1919 Freistaat) Bayern, 1874-1936 GWU ................................. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

H., He.................................. HA v. Bayer.-Schw.............

HAB................................... Hanisch............................... Hartmann, Bayerns Weg . . Hartmannsgruber .............. Hausberger..........................

Haushofer, Bauernverband

Haushofer, Dt...................... Landwirtschaft Haushofer - Riedmüller . .

HB ...................................... HB I-IV ............................ HB Hist. Stätten Dtls.......... HBEKB ...............................

HdSW.................................

Heydenreuter..................... Hg(g)., hg(g)........................ Hist. Ver., HV................... HJb........................................ HK...................................... Hof- u. Staatshandbuch . . .

Hollweck............................ HPB11.................................... HRG................................... Hs(s.)...................................

Heft, Hefte Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben, hg. v. W. Zorn, 1955; 2. Aufl. hg. von P. Fried, 1982 fF. Historischer Atlas von Bayern M. Hanisch, Für Fürst u. Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zw. Revolution 1848 u. deutscher Einheit, 1991 P. C. Hartmann, Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute, 20042 F. Hartmannsgruber, Die Bayerische Patriotenpartei 18681887, 1986 K. Hausberger, Staat und Kirche nach der Säkularisation. Zur bayerischen Konkordatspolitik im frühen 19. Jh., 1983. H. Haushofer, Der bayerische Bauer und sein Verband. 25 Jahre Bayerischer Bauernverband, 1970 H. Haushofer, Die deutsche Landwirtschaft im technischen Zeitalter, 19722 H. Haushofer - S. Riedmüller, Bayerische Agrarbibliogra­ phie. Schriftenkunde der bayerischen Landwirtschaft und Fi­ scherei, 1954 Handbuch Handbuch der bayerischen Geschichte, 1. Aufl., 1969-75; 2. Aufl. 1981 ff. Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands Handbuch der Geschichte der evangelischen Kirche in Bay­ ern, hg. von G. Müller, H. Weigelt und W. Zorn, 2 Bde., 1998/2002 Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 13 Bde., hg. v. E. v. Beckerath, 1956—68 R. Heydenreuter, Office of Military Government for Bava­ ria (OMGUS-Handbuch) 143-295 Herausgeber, herausgegeben Historischer Verein Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Hof- und Staatshandbuch des Königreichs Bayern, hg. vom Königlich Bayerischen Statistischen Landesamt L. Hollweck, Was war wann in München, 10 Bde., 1982—90 Historisch-politische Blätter für das kath. Deutschland, hg. v. G. Phillips, G. Goerres u.a., 171 Bde., 1838-1923 Handwörterbuch zur dt. Rechtsgesch., 2OO42ff. Handschrift(en)

XXIV

Abkürzungen

Huber................................. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 4 Bde., 1957-69 (w. Aufl.) Huber, Dokumente ......... E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungs­ geschichte I—III, 1961-1966 (w. Aufl.) Huber - Huber ................ E. R. Huber - W. Huber (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jh. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskir­ chenrechts, 4 Bde., 1973-88 Hütten .............................. H. Hütten, Dt. Katholiken 1918-1945, 1992 HVjschr................................ Historische Vierteljahrsschrift HZ..................................... Historische Zeitschrift IfZ ..................................... Institut für Zeitgeschichte, München IHK ................................... Industrie- und Handelskammer Ind........................................ Industrie Inst........................................ Institut Jb.,Jbb.................................. Jahrbuch, Jahrbücher JffL..................................... Jahrbuch für fränkische Landesforschung Jg.Jgg.................................. Jahrgang, Jahrgänge Jh.......................................... Jahrhundert(e) JVAB................................... Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte

KAB1................................... Kapfinger............................

Kat........................................ KBL ................................... KG ..................................... Kgr........................................ Killy ................................... KMB1.................................... KME................................... Kock, Bayerns Weg ......... Kock, Landtag ................... Körner, Geschichte............ Körner, Kirche................... Kosch ................................. Kosch, Literatur................

KPD ................................... Kraus, Geschichte.............. Kunisch..............................

Kunisch - Kraft ................

Kunisch - Moser ..............

KWG .................................

Kirchliches Amtsblatt (evl.) H. Kapfinger, Der Eoskreis 1828-1833. Ein Beitrag zur Vor­ geschichte des politischen Katholizismus in Deutschland, 1928 Katalog Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayeri­ schen Akademie der Wissenschaften Kirchengeschichte Königreich W. Killy, Literaturlexikon, 15 Bde., 1988-93 Kultusministerialblatt Kultusministerialerlaß P.J. Kock, Bayerns Weg in die Bundesrepublik, 1983 P.J. Kock, Der BayerischeLandtag. Eine Chronik, 1996 H.M. Körner, Staat und Geschichte in Bayern im 19. Jh., 1992 H.M. Körner, Staat und Kirche in Bayern 1886-1918, 1977 Deutsches Literaturlexikon, 4 Bde., 1949/581 W. Kosch, Geschichte der deutschen Literatur im Spiegel der nationalen Entwicklung 1813-1918, 2 Bde., 1925-28 Kommunistische Partei Deutschlands A. Kraus, Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 20043 H. Kunisch (Hg.), Handbuch der deutschen Gegenwartslite­ ratur, 3 Bde., 1969-702 Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Begr. von H. Kunisch, neu hg. von Th. Kraft, 2 Bde., 2003 Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Begr. von H. Kunisch, neu hg. von D.-R. Moser, 1993 Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft

Abkürzungen

KWI ...................................

XX V

Kaiser-Wilhelm-Institut für Geschichte

Landsch................................. Landschaft Lanzinner............................ M. Lanzinner, Vom Sternenbanner zum Bundesadler. Wie­ deraufbau in Bayern 1945-1958, 1996 Lebensbilder Schw.............. Lebensbilder aus dem bayer. Schwaben, 1-8 hg. v. G. Frhr. v. Pölnitz, ab Bd. 9 v. W. Zorn, 1-10, 1952 ff. Liedtke ............................... M. Liedtke (Hg.), HB der Geschichte des bayer. Bildungs­ wesens, 11 (1800—1918) 1993; III (1918-1990) 1997; IV 1: Epochenübergreifende Spezialuntersuchungen, 1997; IV 2: BLLV,1995 Liefg...................................... Lieferung(en) Lit. in Bayern..................... A. Weber /Hg.), Handbuch der Literatur in Bayern. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Geschichte und Interpre­ tationen, 1987 Lkde...................................... Landeskunde LKGG................................. Die lutherische Kirche. Geschichte und Gestalten, 19 Bde., hg. von W.-D. Hauschild, 1982 ff. Lkr........................................ Landkreis Löffler, Reichsräte.............. B. Löffler, Die Bayer. Kammer der Reichsräte 1848-1918. Grundlagen, Zusammensetzung, Politik, 1996 LP........................................ Legislaturperiode LThK ................................. Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v. M. Buchberger, 2. Aufl. in 10 Bden. mit Reg.-Bd. hg. v. J. Höfer u. K. Rah­ ner 1957-71; 3. Aufl. in ii Bden., hg. von W. Kasper, 1993-2001 Luftbildatlas Bayern ......... Luftbildatlas Bayern, hg. von H. Fehn, 1973 Luftbilder aus Bayern .... Luftbilder aus Bayern, hg. von F. Thorbecke - H. Fehn W. Terhalle, 1963 LV Reichsr........................... Verhandlungen der Kammer der Reichsräte

MA...................................... Mittelalter Mainfr. Jb............................. Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst MBM ................................. Miscellanea Bavarica Monacensia. Dissertationen zur bayeri­ schen Landes- und Münchner Stadtgeschichte, hg. von K. Bosl - M. Schattenhofer - W. Ziegler - F. Kramer, 1967 ff. MfA ................................... Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern MFGG ............................... Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft Mfr........................................ Mittelfranken MGG ................................. Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzy­ klopädie der Musik. Unter Mitarbeit zahlreicher Musikfor­ scher des In- und Auslandes, hg. v. F. Blume, 14 Bde., 1949/68 MGGM.............................. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft München Mitchell............................... A. Mitchell, Revolution in Bayern 1918/19. Die Eisner-Re­ gierung und die Räterepublik, 1967 Mitt....................................... Mitteilung(en) MJBK ................................. Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst K. Möckl, Die Prinzregentenzeit. Gesellschaft und Politik Möckl, Prinzregentenzeit während der Ara des Prinzregenten Luitpold in Bayern, 1972

XXVI

Möckl, Staat.......................

Monachium sacrum .........

Montgelas, Compte rendu .

Montgelas, ....................... Denkwürdigkeiten

MPG................................... MPI ................................... Ms......................................... Müller R. A..........................

Mus....................................... MVGN ..............................

Abkürzungen

K. Möckl, Der moderne bayer. Staat. Eine Verfassungsgesch. v. Aufgekl. Absolutismus b. z. Ende d. Reform­ epoche, 1979 G. Schwaiger (Hg.), Monachium sacrum. FS zur 500-Jahrfeier der Metropolitankirche zu U. L. Frau in München, 1994 Denkwürdigkeiten des Grafen M.J. v. Montgelas über die innere Staatsverwaltung Bayerns (1799-1817), hgg. v. G. Laubmann und M. Doeberl, 1908 Denkwürdigkeiten des bayer. Staatsministers Maximilian Grafen von Montgelas 1799-1817, im Auszug aus d. franz. Original übers, v. Frhr. v. Freyberg-Eisenberg, hg. v. L. Gf. v. Montgelas, 1887 Max-Planck-Gesellschaft Max-Planck-Institut Manuskript R.A. Müller (Red.), Kg. Maximilian II. von Bayern 18481864, 1988 Museum Mitteilungen d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nürnberg

Nadler................................. J. Nadler, Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, 3. Aufl. Bde. III u. IV, 1931 f. Nawiasky, Verfassungsrecht H. Nawiasky, Bayer. Verfassungsrecht, 1923 Nawiasky - Leusser............ H. Nawiasky - C. Leusser, Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946. Systematischer Überblick u. Handkommentar, 1948 Nb........................................ Niederbayern ND, Neudr.......................... Neudruck NDB................................... Neue Deutsche Biographie, hg. von der HK, 1953 ffNF ..................................... Neue Folge Nipperdey.......................... Th. Nipperdey, Dt. Gesch. 1800-60, 3 Bde., 19913 OA..................................... Oft........................................ OMGUS............................

OMGUS-Handbuch......... Opf. ...................................

Oberbayerisches Archiv Oberfranken Office of Military Government of the United States for Germany OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, hg. v. Ch. Weisz, 19952 Oberpfalz

Petermeier.......................... K. Petermeier, Balthasar Daller, Politiker und Parteiführer 1835-1911. Studien zur Geschichte der bayer. Zentrumspar­ tei, 1956 pfälz...................................... pfälzisch Pol........................................ Politik Prot....................................... Protokoll Protokolle Ehard 1 ............ Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954. Das Kabinett Ehard I: 21. Dezember 1946 bis 20. September 1947, bearb. von K.-U. Gelberg, 2000 Protokolle Ehard II............ Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954. Das Kabinett Ehard II: 20. September 1947 bis 18. Dezember

Abkürzungen

XXVII

1950. 1. Teilband 1947/48, bearb. von K.-U. Gelberg, 2 Bde., 2003/05

Protokolle Hoegner 1 .... Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954. Das Kabinett Hoegner I: 28. September 1945 bis 21. Dezember 1946, bearb. von K.-U. Gelberg, 2 Bde., 1997 Protokolle Schäffer............ Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954. Das Kabinett Schäffer: 28. Mai bis 28. September 1945, bearb. von K.-U. Gelberg, 1995

QFitAB............................... Quellen u. Forsch, aus italienischen Arch. u. Bibi. R.......................................... RBez..................................... RB1........................................ RDH................................... RE ...................................... Reg........................................ Rehlingen-Haltenberg ....

Reidelbach..........................

Rep........................................ RGBl..................................... RGG................................... RL........................................

RQ ...................................... Rudhart............................... RV ......................................

Reihe Regierungsbezirk Regierungsblatt für das Königreich Bayern 1805-1873 Reichsdeputationshauptschluß Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche Register H. Frhr. v. Rehlingen und Haltenberg, Beruflich-soziale Gliederung der Bevölkerung des Königreichs Bayern nach amtlichen Quellen 1840-1907, 1911 H. Reidelbach, K. Ludwig I. von Bayern und seine Kunst­ schöpfungen, 1888 Republik Reichsgesetzblatt Die Religion in Geschichte und Gegenwart, i909'/984 Reallexikon der deutschenLiteraturwissenschaft I—111,1997200 3 2 Römische Quartalschrift I. Rudhart, Ueber den Zustand des Königreichs Baiern nach amtlichen Quellen, 3 Bde., 1825-27 Reichsverfassung

SAGG................................. Siedlungsforschung. Archäologie - Geschichte - Geogra­ phie, 1983 ff. SB Berlin, Heidelberg, . . . Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Klasse der München Akademie der Wissenschaften zu Sbl......................................... Sammelblatt Schärl ................................. W. Schärl, Die Zusammensetzung der bayer. Beamtenschaft von 1806-1919, 1955 SchbLG............................... Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte Scherzer............................... Franken: Land, Volk, Geschichte und Wirtschaft, hg. v. C. Scherzer, 2 Bde., 1955-59; Bd. 1 19622 Schiel ................................. H. Schiel, Bischof Sailer und Ludwig I. von Bayern. Mit ih­ rem Briefwechsel, 1932 Schiel I, II .......................... Johann Michael Sailer, Leben und Briefe, dargest. u. hg. v. H. Schiel, Bd. I: Leben u. Persönlichkeit, 1948, Bd. II: Briefe, 1952 Schimke ............................ M. Schimke (Bearb.), Regierungsakten des Kurfürstentums und Königreichs Bayern 1799-1815, 1996 Schindler............................ H. Schindler, Große bayerische Kunstgeschichte II: Neu­ zeit, 1963.

XXVIII

Schlaich.............................. Schlawe I, II .....................

Schlögl .............................. Schmidt..............................

Schnabel ............................

Schnorbus ..........................

Schr(r).................................. Schremmer .......................

Schrott .............................. Schw..................................... Schwab. Lit.-Gesch............. Schwaiger ..........................

Schwaiger, Sailer ..............

Schwend ............................

SED ................................... Seidl ................................... Sengle................................. Seydel.................................

Seydel — Piloty - Grassmann SH ...................................... Siedl...................................... Signate ..............................

Simon.................................

Simon, HAB ..................... Slg(n).................................... SPD ................................... Sperl, Wirtschaft................ Staatsmin..............................

Abkürzungen

H.W, Schlaich, Der bayerische Staatsrat. Beiträge zu seiner Entwicklung von 1808/09 (ZBLG 28) 1965, 460-522 F. Schlawe, Literarische Zeitschriften Teil 1, 1885-1910, 19622; Teil II 1910-1933, 1962 A. Schlögl (Hg.), Bayerische Agrargeschichte, 1954 E. Schmidt, Staatsgründung u. Verfassungsgebung in Bay­ ern. Die Entstehung der Bayer. Verfassung vom 8. Dezem­ ber 1946, 1993 (ND: Beitr. z. Parlamentarismus 10/1-2), 1997 F. Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 4 Bde., 1949-59 (ND 1987) A. Schnorbus, Arbeit und Sozialordnung in Bayern vor dem i. Weltkrieg, 1890-1914, 1969 Schrift(en) E. Schremmer, Die Wirtschaft Bayerns. Vom Hohen Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung. Bergbau, Ge­ werbe, Handel, 1970 L. Schrott, Der Prinzregent. Ein Lebensbild aus Stimmen seiner Zeit, 1962 Schwaben H. Pörnbacher, Schwäbische Literaturgeschichte. Tausend Jahre Literatur aus Bayerisch-Schwaben, 2002 G. Schwaiger, Die altbayer. Bistümer Freising, Passau und Regensburg zwischen Säkularisation und Konkordat 18031817, 1959 G. Schwaiger, Johann Michael Sailer. Der bayer. Kirchenva­ ter, 1982 K. Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur. Beiträge zur bayerischen Frage in der Zeit von 1918 bis 1933. 1954 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands A. Seidl, Deutsche Agrargeschichte, 1995, 20062 F. Sengle, Biermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungs­ feld zwischen Restauration und Revolution, 3 Bde., 1971-80 M. v. Seydel, Bayer. Staatsrecht, 1. Aufl. in 7 Bänden, 1884-94; 2. Aufl. in 4 Bänden, 1896 M. v. Seydel, Bayer. Staatsrecht, 3. Aufl. in 2 Bänden, neu bearb. vonj. v. Grassmann u. R. Piloty, 1913 Sonderheft Siedlung Signate König Ludwigs I., ausgew. und eingel. von M. Spindler, hg. von A. Kraus. Redaktion E. Riedenauer, 7 Bde., 1987/97 M. Simon, Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, 2 Bde., 1952 M. Simon, Die Evangelische Kirche (HAB, Kirchliche Or­ ganisation 1) i960 Sammlung(en) Sozialdemokratische Partei Deutschlands G. Sperl, Wirtschaft und Staat in Bayern 1914-1924,1996 Staatsministerium

Abkürzungen

XXIX

StadtAM ............................ Stadtarchiv München Stat........................................ Statistik StMBO ............................... Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner­ ordens und seiner Zweige StO...................................... Staatsarchiv f. Oberbayern (früher Kreisarchiv) München Stud....................................... Studien SZ........................................ Süddeutsche Zeitung

T., Tl(e.)............................ Teil(e) TH ...................................... Technische Hochschule ThQ ................................... Theologische Quartalschrift (ab Jg. i4i/i96i:Tübinger Theologische Quartalschrift) Thränhardt.......................... D. Thränhardt, Wahlen und politische Strukturen in Bayern 1848-1953, 1973 Top. Atlas Bayern.............. Topographischer Atlas Bayern, hg. von H. Fehn, 1970 TRE ................................... Theologische Realenzyklopädie, 36 Bde., hgg. von G. Krau­ se u. a., 1976—2004 Treml ................................. M. Treml, Bayerns Pressepolitik zwischen Verfassungstreue und Bundespflicht (1815-1837), 1977 TU ...................................... Technische Universität

UA ...................................... UB ...................................... Ufr........................................ Unbekanntes Bayern.........

Universitätsarchiv Universitätsbibliothek Unterfranken Unbekanntes Bayern, 10 Bde., hg. v. A. Fink, 1955-65

VB1........................................ Verf. ................................... Verh.............. ....................... Verw..................................... Verz...................................... VHN................................... VHOR ...............................

Verordnungsblatt Verfassung Verhandlungen Verwaltung Verzeichnis Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern Verhandlungen des Hist. Vereins für Oberpfalz und Regens­ burg Vierteljahresblätter Vierteljahresheft(e) Vierteljahresschrift Verhandlungen der Bayer. Verfassungsgebenden Landesver­ sammlung 15. Juli bis 30. November 1946, Stenographische Berichte Nr. i bis 10 (1946) Verordnung(en) volumen (Band) W. Volkert, Handbuch der Bayerischen Ämter, Gemeinden u. Gerichte 1799-1980, 1983 W. Volkert, Bayern, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte II, 1983.503-55°; UI. 1984. 714-733; IV, 1985, 558-567 Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU 1945-1995, hg. v. d. Hanns-Seidel-Stiftung, 1995 «Vorwärts, vorwärts sollst Du schauen ...» Geschichte, Poli­ tik und Kunst unter Ludwig I., hg. von J. Erichsen und U. Puschner, 3 Bde., 1986 Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Vjbll...................................... Vjh(e).................................... Vjschr.................................... VL .....................................

VO...................................... vol......................................... Volkert, HB....................... Volkert, Bayern II, III, IV . Volkspartei.......................... Vorwärts, vorwärts I, II, III

VSWG ...............................

XXX

VuF

Abkürzungen

Vorträge und Forschungen

WDGB11............................... Würzburger Diözesangeschichtsblätter Weber................................. K. Weber, Neue Gesetz- und Verordnungen-Sammlung für das Königreich Bayern mit Einschluß Reichsgesetzgebung, 42 Bde., 1880-1919 Weis, Montgelas................ E. Weis, Montgelas, 1759-1799. Zwischen Revolution und Reform I, I97i(i9882); II, 2005 Wiss., wiss............................ Wissenschaft(en), wissenschaftlich WV..................................... Weimarer Verfassung ZA ZAA................................... ZBKG................................. ZBLG................................. ZHF................................... ZHVS................................. ZKG................................... ZKiG ................................. ZkTh ................................. Zorn, Bayerisch-Schwaben

Zeitalter Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift des Hist. Vereins für Schwaben (und Neuburg) Zeitschrift für Kunstgeschichte Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für katholische Theologie W. Zorn, Handels- und Industriegeschichte BayerischSchwabens 1648-1870,1961 Zorn, Bayerns Geschichte . W. Zorn, Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie zum Bundesland, 1986 Zorn, Gesellschaft.............. W. Zorn, Gesellschaft und Staat im Bayern des Vormärz (Conze) 1962, 113-142 Zorn, Kirche ..................... W. Zorn, Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, (HBEKB II) 407-414 Zorn, Wirtschaftsgesch. . . . W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1806-1933, 1962 Zschr.................................... Zeitschrift

Der wissenschaftliche Apparat wurde auf der Grundlage dieses Abkürzungsverzeichnisses gestaltet. Außerdem wird die im bibliographischen Vorspannn verzeichnete Hauptliteratur innerhalb der einzelnen Paragraphen mit Kurzzitat angeführt. Bei Verweisen auf Titel außerhalb des jeweiligen Abschnittes wird zusätzlich der betreffende Paragraph angegeben.

DIE INNERE ENTWICKLUNG

I DAS LAND UND SEINE BEVÖLKERUNG

Allgemein. K. Fehn, Raumkompetenz. Gemeinsames Bildungsziel d. Hist. Geogr. u. d. Lan-

desgesch. (Koblenzer Geogr. Koll. 26) 2004, 5-25; R. Glaser, Klimagesch. Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, 2001; HB d. naturräuml. Gliederung Dtls., 19531959; G. Henkel, Der ländl. Raum. Gegenwart u. Wandlungsprozesse in Dtl. seit d. 19. Jh. (Teubner Stud.-Bücher Geogr.) 20044; W. Hilgemann, Atlas z. dt. Zeitgesch. 1918-1968 (Serie Piper 328) 1984; H. Jäger, Entw.-Probleme europ. Kulturlandschaften (Die Geogra­ phie. Einführungen) 1987; H. Küster, Gesch. d Landsch. in Mitteleuropa von d. Eiszeit bis z. Gegenwart, 1996; E. Lichtenberger, Die Stadt. Von d. Polis z. Metropolis, 2002; Nationalatl. Bundesrep. Dtl., hg. v. Inst. f. Länderkde., 1998 fr. (12 Bde. Noch nicht abgeschl.); M. Sauer, In geplanten Bahnen. Eisenbahnanlagen als Kulturlandsch.-Elemente in Dtl. v. 1848 b. 1998, 2000; B. Wiese - N. Zils, Dt. Kulturgeogr. Werden, Wandel u. Bewahrung dt. Kulturlandsch., 1987. Bayern. Bayer. Geschichtsatlas; Bayer. Städtebuch I-1I (Dt. Städtebuch 5) 1971/74; Bayern, hg. v. H.-M. Körner u. A. Schmid (HB d. hist. Stätten Dtls.), 20064; Bayern, hg. v. J. Maier (Perthes Länderprofile) 1998; Bayern. Eine Lkde. aus sozial-geogr. Sicht, hg. v. K. Ruppert (Wiss. Länderkunden 8, BRD II) 1987; K. Fehn, Die bayer. Siedl.-Gesch. nach 1945. Quel­ len u. Methoden - Hauptergebnisse - Bibi. (ZBLG 28) 1965, 651-676; W. Krings - W. Schenk, Zum Stand d. hist.-geogr. Forsch, zu Bayern. Ausgew. Lit. a. d. Jahren 1965 bis 2005 (ZBLG 68) 2005, 27-50; W. Stürmer, Lkde. - Hist. Geogr. - Hist. Atl. (Bayer. Lkde. Ein Wegweiser) 1974, 117-137); Top. Atlas Bayern.

§ 1. DAS LAND

Bayer. Städtebuch (vor § 1); Bayern, hg. v. Körner - Schmid (vor § 1); Bayern (Dt. Plan.Atlas V) 1960; Bayern, hg. v. J. Maier (vor § 1); Bayern. Eine Lkde. (vor § 1); H. Fehn, Zahlreiche Einzelartikel über bayer. Landschaften, Flüsse u. Städte (Westermanns Lex. d. Geogr.) 1968; HB d. naturräuml. Gliederung Dtls. (vor § 1); Luftbildatl. Bayern; Luftbilder a. Bayern; Top. Atl. Bayern.

a) Das bayerische Staatsgebiet im 19. und 20. Jahrhundert. Die Ausdehnung des heutigen bayerischen Staatsgebietes ist im wesentlichen das Ergebnis der politi­ schen Umwälzungen und der großen territorialen «Flurbereinigung» zur Zeit Napoleons. Am Ende der napoleonischen Ara waren Gebiete von verschieden­ stem landschaftlichen Charakter und verschiedensten staatlichen Entwicklungen zum neuen Staat, dem Königreich Bayern, zusammengefugt worden.1 Diese Grenzen blieben im wesentlichen während des 19. Jahrhunderts erhalten. Um 1 H. Fehn, Die Entw. d. bayer. Staatsge­ bietes seit 1800 (HB IV 2) 647 f; Bayer. Geschichtsatlas; W. Hilgemann, Atlas Zeit­

gesch. (vor § 1); Bayern, hg. v. Körner u. Schmid (vor § 1); Bayer. Städtebuch (vor § i).

4

B. I. Das Land und seine Bevölkerung

die Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgten gegenüber Österreich zwei Grenzbe­ richtigungen im Berchtesgadener Raum und in der Oberpfalz. Durch den Frie­ densvertrag von 1866 gingen kleinere fränkische Gebiete an Preußen verloren. Nach dem Ersten Weltkrieg mußte ein Teil der Westpfalz mit den staatlichen Steinkohlengruben in St. Ingbert und Mittelbexbach an das Saargebiet abgetre­ ten werden. 1920 erfolgte nach einer Volksabstimmung die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. 1945 wurde die Enklave Ostheim des Freistaa­ tes Thüringen dem Freistaat Bayern verwaltungsmäßig zugeteilt. Aus dem Zu­ sammenschluß von Gebietsteilen preußischer und hessischer Provinzen mit dem bayerischen Regierungsbezirk Pfalz entstand 1945/46 das Bundesland Rheinland-Pfalz; von der 5500 qkm umfassenden Rheinpfalz wurden 1946 50 qkm an das Saarland abgetreten. 1956 entschied die Bevölkerung der Rhein­ pfalz durch Abstimmung gegen den Verbleib bei Bayern.

b) Die Kulturlandschaft der Rheinpfalz (bis 1945) und der Saarpfalz (bis 1919). Die nach den Befreiungskriegen aus einem territorial und auch konfessionell stark zersplitterten Gebiet zur politischen Einheit eines bayerischen Regierungsbe­ zirks zusammengefugte Pfalz2 wies eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Land­ schaften auf.3 Das Kerngebiet war die vorderpfälzische Rheinebene, ein dicht be­ siedeltes, landwirtschaftlich intensiv genutztes Gebiet, in dem sich aber auch eine überregional bedeutsame arbeits- und verkehrsorientierte Industrie vor al­ lem im Bereich der im 19. Jahrhundert neu entstandenen bayerischen Rheinha­ fenstadt Ludwigshafen entwickelt hat. Die Agrarlandschaft war hier kleinteilig, hoch technisiert und spezialisiert; sie zeichnete sich durch eine große Anbau­ mannigfaltigkeit aus. Die Spezialkulturen von Handelsgewächsen und Feldge­ müsen boten auch die Basis für Nahrungs- und Genußmittelindustrien wie zum Beispiel die Zucker- und die Tabakindustrie. Charakteristisch war die hohe Einwohnerzahl der Dörfer mit häufig über 2000 Einwohnern pro Ort­ schaft und die spezifische Sozialstruktur. Es gab nur wenige echte Bauern, aber viele Industriearbeiter, Arbeiterbauern, Zwerglandwirte und Gärtner. Der Saum der westlichen Vorhügel des Pfälzer Berglandes, der sogenannten Haardt,

2 H. Fehn, Die Rheinpfalz (HB IV 2) 655 ff.; Pfalzatlas, hg. v. Pfalz. Verein z. För­ derung d. Wiss., 1963-1996; RheinlandPfalz u. Saarland, hg. v. E. Keyser; Städte­ buch Rheinland-Pfalz u. Saarland (Dt. Städ­ tebuch 4,3) 1964; Die Städte in RheinlandPfalz in lkdl. Kurzbeschreibungen (BdL 33) 1964, 2-143. 3 H. Schrepfer, Der Südwesten (HB d. Geogr. Wiss. Dt. Reich II) 1940, 521-616; H. Fischer, Rheinland-Pfalz u. Saarland

(Wiss. Ldke. 8, Bundesrep. Dtl. IV) 1989; Top. Atlas Rheinland-Pfalz, 1973; W. Weidmann, Die Pfälz. Landwirtsch. zu Be­ ginn d. 19. Jhs. (Veröffentl. d. Inst. f. Ldke. d. Saarlandes 14) 1968; J. Dörrer, Die Landsch. d. Pfalz (GR 24) 1972, 142-152; Rheinland-Pfalz (Dt. Plan.-Atlas) 1957 fr.; Luftbildatlas Rheinland-Pfalz I—II, hg. v. W. Sperling u. E. Strunk, 1970/72.

f i. Das Land (K. Fehn)

5

war eines der größten Weinanbaugebiete Deutschlands mit einer durchrationa­ lisierten Kulturlandschaft und zahlreichen Weinstädtchen und Weindörfern.4 Im frühen 19. Jahrhundert entwickelte sich unter intensiver Förderung des bayerischen Staates am Rhein die neue Stadt Ludwigshafen, die sehr rasch zu einem wichtigen Industrieort und einem bedeutsamen Hafen aufstieg.5 Sehr wichtig wurde der Bau der Eisenbahnstrecke zur bayerischen Staatskohlengru­ be Mittelbexbach, die neben der Grube St. Ingbert in dem kleineren bayeri­ schen Anteil an den saarländischen Steinkohlevorkommen neben dem wesent­ lich größeren preußischen Anteil gelegen war. Unmittelbar an das Weinland grenzte das Waldland des Pfälzer Waldes, der nach dem Spessart das größte Laubwaldgebiet Deutschlands bildet.6 Das dünn­ besiedelte Buntsandsteingebirge mit Höhen von fast 700 m erhebt sich im Osten in eindrucksvoller Stufe über die Rheinebene. Nach Westen dacht sich das Mittelgebirge auf 400 m zu den waldarmen und verhältnismäßig dichtbe­ siedelten Gäuplatten des Westrichs ab. In den engen steilwandigen Tälern fehl­ ten Siedlungen außer Mühlen. Erst in jüngerer Zeit entwickelten sich einige vom Durchgangsverkehr benutzte Täler zu Gewerbegassen mit mannigfaltiger Industrie. Im Gegensatz dazu kennzeichneten das waldarme Land des Westrichs bäuerliche Dörfer und Einzelhöfe. Die Wälder des Pfälzer Berglandes wurden mittels eines ausgedehnten komplizierten Triftkanalsystems zur Holzgewinnung genutzt. Weiterhin entwickelte sich schon relativ früh der Fremdenverkehr, was neben den herausragenden Reizen der Natur auch auf die zahlreichen hi­ storischen Sehenswürdigkeiten zurückzufuhren war. 1958 wurde das Waldge­ birge zum «Naturpark Pfälzer Wald» erklärt. Von großer Verkehrsbedeutung war im Pfälzer Raum die ursprünglich teil­ weise vermoorte Kaiserslauterer Senke, die ab 1745 kultiviert worden war.7 Kai­ serslautern wandelte sich im 19. Jahrhundert zur Industriestadt; im 20. Jahrhun­ dert bildete die Stadt die wichtigste Verkehrsspinne im Kernraum der inneren Pfalz. Die zweite größere Stadt in der Westpfalz, Pirmasens, entwickelte sich trotz ihrer schlechten Verkehrslage zur führenden «Schuhstadt» in Deutschland. Nach Norden steigt die Kaiserslauterer Senke zum Nordpfälzer Bergland an. Dieses war in seinem nordwestlichen Teil, dem Glan-Alsenz-Bergland, äußerst verkehrsentlegen und wirtschaftlich benachteiligt. Im Nordosten erhebt sich der Donnersberg, mit 687 m der höchste Berg der Pfalz. Östlich vom Donners­ berg hatte die Pfalz noch geringen Anteil an einer nach Klima und Boden sehr

4 H. Musall, Die Entw. d. Kulturlandsch. d. Rheinniederung zw. Karlsruhe u. Speyer v. Ende d. 16. bis z. Ende d. 19. Jhs. (Hei­ delberger Geogr. Arb. 22) 1969. ! H.J. Fromm, Siedl, u. Flurentw. im Umland d. industriellen Agglomeration BASF-Ludwigshafen, dargest. u. erl. unter bes. Berücks. hist. u. top. Karten, 2002.

6 K.G. Faber, Das Landsch.-Bild d. Pfäl­ zer Waldes u. seiner Randgebiete (BdL 25) 1960, 30-69; B.-St. Grewe, Dorf u. Wald im 19. Jh. Lokalstudien a. d. bayer. Rhein­ pfalz (1814-1870) (SAGG 19) 2001, 145162. 7 E. Löffler, Landsch. u. Stadt in Pfalz u. Saar, 1936.

6

B. I. Das Land und seine Bevölkerung

begünstigten Landschaft, dem Alzeyer Hügelland, das durch einen intensiven Acker- und Weinbau ausgezeichnet war. 1919 wurde aus preußischen und bayerischen Landesteilen das Saargebiet ge­ bildet.8 Dadurch wurde die sogenannte Saarpfalz von der Rheinpfalz abge­ trennt. Im Saarland hatte sich im 19. Jahrhundert das Siedlungs- und Wirt­ schaftsschwergewicht weitgehend von den offenen Agrargebieten zu den vor­ her gemiedenen Wäldern verlagert, in denen nun die Steinkohlengruben angelegt worden waren.9 Es entwickelte sich im Zeichen von Kohle und Stahl ein indu­ striell-bergbauliches Ballungsgebiet, dessen Bevölkerung größtenteils aus der näheren und weiteren Umgebung zugewandert war.10 Bemerkenswert war weiterhin, daß ein Großteil der Wälder erhalten geblieben und ein ausgedehn­ tes Bergarbeiterbauerntum mit einschneidenden Folgen für die Gestaltung zahl­ reicher auch relativ weit abgelegener Siedlungen entstanden war. Nachdem zu­ nächst das Wochenpendelwesen eine große Rolle gespielt hatte, verlagerte sich das Schwergewicht in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eindeutig auf das Ta­ gespendeln. Die bayerischen Staatsgruben St. Ingbert und Mittelbexbach waren für die Industrialisierung der Rheinpfalz, aber auch anderer Teile Bayerns von großer Bedeutung. St. Ingbert hatte wegen seiner Einbindung in das Industrieund Bergbaugebiet den am Rande der westpfälzischen Moorniederung gelege­ nen saarpfälzischen städtischen Verkehrsknotenpunkt Homburg schon bald überflügelt. c) Die Landschaften Bayerns. Bayern ist ein von Natur aus recht mannigfaltig ausgestattetes Land mit einer Fläche von 70 548 qkm, woran fast alle natür­ lichen Großlandschaften Süddeutschlands Anteil haben:“ 1. Die Nördlichen Kalkalpen nebst den Schwäbisch-Oberbayerischen Vor­ alpen 2. Das Alpenvorland 3. Das Ostbayerische Grenzgebirge 4. Das Obermainisch-Oberpfälzische Schollenland 5. Die Fränkische Alb und das Ries 6. Das Mittelfränkische Becken 7. Das Keuperbergland 8. Das Mainfränkische Gäuland 9. Odenwald, Spessart und Rhön 10. Die Untermainebene.

" R. Klöpper - C. Rathjens, Die wirtschaftsräuml. Einheiten im Raum Saar Nahe - Rhein (BdL 25) i960, 30-69; Die geogr. Landesaufnahme am Beispiel d. Rau­ mes Saar-Nahe-Rhein (BdL 25) i960, 1-86. 9 Gesch.-Atlas f. d. Land an d. Saar, 19651985; Das Saarland in Karte u. Luftbild, 1974; Fischer, Rh.-Pf. u. Saari. (Anm. 3). 10 K. Fehn - H. Recktenwald, Die Entw. d. Industrie- u. Bergbaustädte Bexbach u. St. Ingbert (Gesch. Atlas f. d. Land an d. Saar) 1985 (Karten mit Erläuterungen); K. Fehn, Die saarpfälz. Bergbaustadt Bexbach um 1850 (Die Stadt in d. europ. Gesch.) 1972, 853-883; Ders., Preußische Siedl.-Po-

litik im saarländischen Bergbaurevier (18161919) (VeröfF. d. Inst. f. Ldke. im Saarland 31) 1981. " H. Fehn, Die Landsch. Bayerns (HB IV 2) 648-655; Dt. Landsch. Geogr.-ldkl. Er­ läuterungen z. top. Karte 1:50 000, hg v. Inst. f. Ldke., 1964fr.; HB d. naturräuml. Gliederung Dtls. (vor § 1); S. Gerndt, Un­ sere bayer. Landsch.-Natur- u. Landsch.Schutzgebiete, 1969, 19702; C. Scherzer; Die fränk. Kulturlandsch. u. ihr hist. Erbe, 1966; HA v. Bayer.-Schw. 1955, 19852; H. Frei, Naturräume u. Kulturlandsch. (Bayer.Schw. Schönes Land zw. Ries u. Bodensee) 1990, 15-55.

f i. Das Land (K. Fehn)

7

Aus der räumlichen Lage und den natürlichen Ausgangsgegebenheiten lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen der Inwertsetzung durch den Menschen ableiten. Dies kann an dieser Stelle nur in knapper Form geschehen.12 Die Nördlichen Kalkalpen sind in den Höhenzonen waldfrei; darunter dehnt sich ein nahezu geschlossenes Waldgebiet aus; größere Almflächen sind nur im westlichen Allgäu zu finden. Die Siedlungen reihen sich in den breiteren Tal­ mulden und Becken auf; hier finden sich berühmte Fremdenverkehrsorte. Die Voralpen sind bewaldet; die bäuerliche Siedlung erfaßt nur die Talböden und die unteren Hänge. Im Alpenvorland finden sich Pechkohle, Erdöl und Erdgas sowie Heilquellen; die umfangreichen Grundwassermengen spielen für die Wasserversorgung der Millionenstadt München eine große Rolle. Die dürren Schotterfluren tragen von Natur aus Heide; sie werden als militärische und in­ dustrielle Standorte genutzt. Die anschließenden Niedermoore wurden seit 1800 weitgehend kultiviert. Das Alpenvorland ist wegen dieses natur- und kul­ turlandschaftlichen Reichtums und dieses kleinräumig raschen Formenwandels ein bedeutsames überregionales Fremdenverkehrsgebiet und bevorzugter Nah­ erholungsraum der Bevölkerungsagglomeration von München. Das Niederbay­ erische Tertiärhügelland überzieht eine kleinteilige Kulturlandschaft mit hohen Anteilen an Wald. Das Donauried und das Donaumoos sind spätkultivierte Moor­ landschaften mit geringwertigen Böden. Im Gegensatz dazu weist der niederbay­ erische Gäuboden fruchtbare Lößböden auf, die agrarwirtschaftlich genutzt wer­ den. Das Vorkommen von Heilquellen hat im sogenannten Niederbayerischen Bäderdreieck einen florierenden Badetourismus entstehen lassen. Die Alpen­ flüsse dienen der Gewinnung von elektrischer Energie, was wiederum eine wichtige Voraussetzung für die Niederlassung von energieintensiver Industrie war. Das Ostbayerische Grenzgebirge ist heute auf längeren Strecken ein Natur­ park und teilweise sogar ein Nationalpark. Sein größtes Kapital für den Frem­ denverkehr sind die ausgedehnten Wälder und die abwechslungsreiche Kultur­ landschaft. Die Kaolinvorkommen bildeten die Grundlage für eine frühe Indu­ strialisierung. Im Nordostabschnitt dieses Gebietes hat sich ausgedehnte Indu­ strie auf der Basis von Bodenschätzen und Wasserenergie entwickelt; die leich­ ten Böden geben nur bescheidene Erträge. Die Fränkische Alb leidet unter Was­ sermangel; die Hochlagen sind ausgesprochen unfruchtbar. Nur in den Mulden und im Ries kann gewinnbringend Landwirtschaft betrieben werden. Die Be­ deutung der Fränkischen Alb als Naherholungs- und Fremdenverkehrsraum nimmt kontinuierlich zu. Das Albvorland ist ein ertragreiches, waldarmes, dicht besiedeltes Bauernland. Das Mittelfränkische Becken trägt weite Wälder; einzelne Teilgebiete werden zum Anbau von Spezialkulturen verwendet. Die Mittelge12 Luftbildatlas Bayern; Lufbilder aus Bay­ ern; Top. Atlas Bayern; Bayern (Dt. Plan.Atlas V) 1959-1960; Bayern - Aktuelle Raumstrukturen im Kartenbild, zusammengest. v. K. Ruppert (Münchner Stud. z. So­

zial- u. Wirtschaftsgeogr. 33) 1987; E. Ewald, Dtl. aus d. Vogelschau - Landsch. u. Siedl, im Luftbild, 1925; E. Diesel, Das Land d. Deutschen, 1931; Atlas d. dt. AgrarLandsch., hg. v. E. Otremba, 1963-1970.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

birge der Keuperstufe sind ein reich zertaltes Berg- und Hügelland, das weitge­ hend bewaldet ist. Die Hochflächen der Rhön sind mit Hochweiden, Mooren und einzelnen Waldparzellen bestanden. Am Rande des Basaltgebietes befinden sich wichtige Kurorte. Das Mainfränkische Gäuland ist durch weite Ebenen, günstiges Klima und Waldarmut gekennzeichnet. Die Ertrags werte der land­ wirtschaftlich genutzten Flächen zählen zu den höchsten in ganz Bayern. Der Hochspessart hat durchweg seinen Charakter als Waldgebirge bewahrt; der niedrigere Vorspessart ist waldarm und dicht besiedelt.'3 d) Die natürlichen Ressourcen Bayerns. Bayern ist nicht reich an natürlichen Roh­ stoffen. Darüber hinaus waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits viele Vorkommen von Erzen ganz oder zumindest teilweise erschöpft. Weiterhin verlor Bayern mit der Saarpfalz seine wichtigsten Kohlengruben. So verwun­ dert es nicht, daß im 20. Jahrhundert Wasser, Steine und Erden die wichtigsten natürlichen Ressourcen bildeten.'4

Wasser: Von Natur aus ist das Wasser recht ungleich in den einzelnen Land­ schaften Bayerns verteilt. Weite Gebiete im Norden und Osten leiden allein schon wegen des geringen Niederschlags unter Wassermangel, während Süd­ bayern dank der Nähe der Alpen und der reichlichen Grundwasservorräte in den Alpentälern und dem Alpenvorland gut mit Wasser versorgt ist. Zahlreiche Maßnahmen haben das Ziel, das Ungleichgewicht zu beseitigen oder zumindest zu verringern. Verhältnismäßig reich sind einzelne Landschaften Bayerns mit Heilquellen ausgestattet. Besonders zu nennen sind die Bäder in Nordbayern, die Bäder am Alpenrand und das niederbayerische Bäderdreieck. Fossile Energie (Kohle, Erdöl, Erdgas): Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Bayern die pfälzischen Steinkohlengruben Mittelbexbach und St. Ingbert. Den dadurch entstehenden Kohlemangel versuchte der Staat durch die Erweiterung des Ab­ baus der oberbayerischen Pechkohle zu beseitigen. Alle Pechkohlengruben wurden aber im Zeitraum zwischen 1966 und 1971 stillgelegt. Auch andere 13 R. Gradmann, Süddtl. I—II, 1931; H. Fehn, Der mittlere Süden (HB d. Geogr. Wiss.: Dt. Reich II) 1940, 616-672; H. Fehn, Artikel Bayern; K. Fehn, Siedl.Gesch. (vor § 1); E. Roth, Bayern. Der Freistaat zw. Rhön u. Alpen I—III, 1970; W. Störmer, Lkde. - Hist. Geogr. - Hist. Atlas (vor § 1); K. Ruppert, Bayern (GR 33) 1981, 378-382; Bayern. Eine Lkde. (vor § 1); Bay­ ern, hg. v. J. Maier (vor § 1); Bayern (GR 50) 1998, H. 9; W. Bätzing, Die Alpen. Gesch. u. Zukunft einer europ. Kulturland­ schaft., 2003; M. Stremlow, Der geogr. Blick a. d. Alpen. Bilder, Vorstellungen u.

Diskurse a. d. deutsch-sprachigen Raum. (Alpenwelt-Gebirgswelten. Inseln, Brücken, Grenzen, hg. v. W. Gamerith) 2004, 45-53; Wiese - Zils (vor § 1). 14 H. Fehn, Bodenschätze, Wasser- u. Energiewirtsch. (HB IV 2) 657-679; G. Barth, Die Bedeutung d. Bodenschätze f. d. bayer. Landesentw. (Raumforsch, u. Raum­ ordnung 18) 1960; J. Müller, Wirtschafts­ kunde v. Dtl. auf wirtschaftsgeogr. u. wirtschaftsgeschichtl. Grundlage, 1936; G. Fuchs, Die Bundesrep. Dtl. (Länderprofile) 1977, 19832; W. Tietze, Geogr. Dtls., 1990; Nationalatl. Bundesrep. Dtl. (vor § 1).

2. Die Bevölkerungsstrukturen (K. Fehn)

9

kleinere Kohleforderungsstandorte existieren heute nicht mehr. Die Suche nach Erdöl und Erdgas im Alpenvorland brachte nur bescheidene Ergebnisse. Ähnlich wie beim Bau der Wasserkraftwerke ein halbes Jahrhundert vorher, ging Bayern auch bei der Nutzung der Kernenergie bahnbrechend voran. 1956 bis 1958 entstand in Garching bei München der erste Forschungsreaktor der Bundesrepublik.

Salze, Erze, Mineralien: Die räumliche Verteilung und wirtschaftliche Bedeu­ tung ist höchst unterschiedlich. Heute gibt es in Bayern keine größeren kultur­ landschaftsprägenden Abbaustellen im Bereich Salze, Erze, Mineralien mehr. Steine und Erden: Natursteine bestimmen in erheblichem Umfange das Gesicht der bayerischen Städte mit ihren Kirchen und Rathäusern, Stadtmauern und Bürgerhäusern. Viele dieser Bauten wurden mit Baumaterial errichtet, das in der Nähe zur Verfügung stand. Der Hauptteil dieser Steinbrüche, die zeitweise zusammen mit den Werksanlagen die Kulturlandschaft erheblich geprägt haben, existiert als aktiver Bergbaubetrieb nicht mehr. Sehr häufig bilden die aufgelas­ senen Steinbrüche aber reizvolle Bestandteile der historisch gewachsenen Kul­ turlandschaft und enthalten oft auch ökologische Werte. Bis in die Gegenwart behielten die Kalk- und Sandsteine sowie der Basalt und der Granit der Mittel­ gebirge eine gewisse Bedeutung. Wesentlich wichtiger sind heute aber der Sand von Mittelfranken und der Kies von Oberbayern.

Alternative Rohstoffe (Wind, Biomasse, Sonnenenergie): Die Möglichkeiten der Nutzung von alternativen Rohstoffen sind in Bayern noch nicht ausgeschöpft. Hierzu gehören Wind, Biomasse und Sonnenenergie. Es gibt optimistische Schätzungen, die über 15% des Primärenergieverbrauchs von der Biomassen­ energie abgedeckt sehen.

§ 2. DIE BEVÖLKERUNGSSTRUKTUREN

Auslaufmodell Europ. Stadt? Neue Herausforderungen u. Fragestellungen am Beginn d. 21. Jh., hg. v. W. Rietdorf (Akad. Abh. z. Raum- u. Umweltforsch.) 2001; K.J. Bade, Vom Auswandererland z. Einwandererland? Dtl. 1880—1980 (Beitrr. z. Zeitgesch. 12) 1983; Bay­ erns vierter Stamm. Die Integration d. Flüchtlinge u. Heimatvertriebenen nach 1945, hg. v. R. Endres, 1998; O. Boustedt, Bevölkerung u. Siedl. (Bayern = Dt. Plan.-Atlas V) 1960; Deutsche im Ausland - Fremde in Dtl. Migration in Gesch. u. Gegenwart, hg. v. K.J. Bade, 1992; U. Herbert, Gesch. d. Ausländer in Dtl. Saisonarbeiter - Zwangsarbeiter - Gastarbei­ ter - Flüchtlinge, 2001; Hist. Gemeinde-Verz. Einwohnerzahlen 1840-1952 (Beitrr. z. Stat. Bayerns 192) 1953; G. Marschalk, Bevölk.-Gesch. Dtls. im 19. u. 20 Jh. (ed. Suhrkamp NF 244) 1984; K.H. Meier-Braun, Dtl. Einwanderungsland (ed. Suhrkamp 2266) 2002; J. Reu­ lecke, Gesch. d. Urbanisierung in Dtl. (ed. Suhrkamp NF 249) 1985; H.G. Steinberg, Die Bevölk.-Entw. v. Dtl. im Zweiten Weltkrieg mit einem Überbl. über d. Entw. v. 1945 b. 1990, 1991.

B. I. Das Land und seine Bevölkerung

IO

a) Allgemeine demographische Entwicklung. Was die allgemeine demographische Entwicklung betrifft, so veränderte sich die Bevölkerungszahl bezogen auf das heutige bayerische Staatsgebiet im 19. und 20. Jahrhundert folgendermaßen (in Millionen):1 1818:

3.25

1852;

3.95

1871:

4,30

1880:

4.67

1890:

4.93

1900;

5,41

1910:

6,03

1925;

6,45

1933:

6,70

1939:

7,08

1946:

8,84

1950:

9,18

1961:

9.52

1970: 10,48

1980: 10,90

1990: 11.34

2000: 12,19

2002: 12,08

Im beginnenden 19. Jahrhundert war Altbayern noch vorwiegend agrarisch strukturiert und dementsprechend noch relativ dünn besiedelt gewesen, wäh­ rend die starke frühindustrielle gewerbliche Entwicklung in Teilen von Fran­ ken mit einem deutlichen Bevölkerungswachstum verbunden gewesen war. Neue Schwerpunktbildungen erfolgten in der Phase der Hochindustrialisierung durch das markante Städtewachstum, die Entleerung ländlicher Gebiete und ganz allgemein durch die Zunahme großräumiger Disparitäten. Die Bevölke­ rung hat also zwar in allen Teilen Bayerns seit dem Beginn des 19. Jahrhun­ derts zugenommen. Die quantitativen Unterschiede sind aber erheblich. So be­ trug die prozentuale Zunahme von 1840 bis 1985 für ganz Bayern circa 190%, für den Lkr. Neustadt a.d. A. - Bad Windsheim 14% und für den Landkreis München 2052%. Ganz allgemein ist eine starke Konzentration im Raum München und in anderen städtischen Agglomerationsräumen sowie eine NordSüd-Schwerpunktverlagerung innerhalb Bayerns zu konstatieren. 2002 betrug die Bevölkerungsdichte Bayerns 173 E/qkm; 1970 waren es 149 E/qkm gewesen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einem gleichmäßigen An­ stieg der Bevölkerung, aber noch zu keinen neuen Schwerpunktbildungen. Erst mit der Anlage des Eisenbahnnetzes begann die räumliche Umschichtung; es ent­ standen nun Ballungs- und Abwanderungsräume, Zentren und Peripherien.2 In bestimmten Gegenden folgte eine zweite Industrialisierungsperiode. Zu den ’ H. Fehn, Bayerns Bevölkerungsentw. seit 1800 (HB IV 2) 679-707; Boustedt; Hist. Gemeinde-Verz.; Marschalk. 2 W. Bätzing, Die Bevölk.-Entw. in d. Rbez. Oft., Mfr. u. Ufr. im Zeitraum 18401999. 1. Teil: Analyse auf Ebene d. kreis­ freien Städte u. d. Lkde. (JfFL 61) 2001, 183-

226; H.-G. Wagner - W. Schenk, Dyna­ mik u. Struktur d. Bevölkerung in Ufr. seit 1815 (Ufr. Gesch. V/i) 2002, 55-71; Ders., Phasen u. Konstanten d. Bevölk.-Entw. Würzburgs im 19. u. 20. Jh. (Würzburger Geogr. Arb. 68) 1987, 65-88.

2. Die Bevölkerungsstrukturen (K. Fehn)

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Verlierern gehörten alle Landesteile, die schlecht in das bestehende Verkehrs­ netz integriert waren und agrarräumlich nur ein geringes Wachstumspotential aufwiesen. Einzelne bisher privilegierte Regionen wurden aus ihrer Gunstlage herausgebrochen. Die Jahrzehnte von 1910 bis 1950 wiesen nur eine geringe Dynamik auf, die sich hauptsächlich in den bestehenden Zentren und Subzentren auswirkte. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann dann eine weitreichende räumliche Umverteilung der Bevölkerung von den Zentren und Subzentren in das weitere Umland. Diese Mobilität überlagerte das allgemeine Bevölkerungs­ wachstum. Das Auto erschloß die Fläche und forderte die Zersiedlung; die Ag­ glomerationsgürtel breiteten sich rasch aus. Obwohl zwar theoretisch ein StadtLand-Kontinuum entstehen sollte, entwickelten sich die Räume verkehrsmäßi­ ger Gunst und die agrarischen Problemzonen immer weiter auseinander. Die Bevölkerungszuwächse im frühen 19. Jahrhundert waren hauptsächlich dar­ auf zurückzuführen, daß traditionell hohe Geburtenraten und gesunkene Sterb­ lichkeit zusammentrafen. Zuwanderung von außen spielte keine große Rolle. Im Gegensatz dazu wanderten viele Einwohner Bayerns vorübergehend oder dauernd ab. Die Zuwanderung der Flüchtlinge, Heimatvertriebenen und Um­ siedler aus der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise DDR nach dem Zweiten Weltkrieg traf noch auf eine wachsende Bevölkerung.3 In der Nach­ kriegszeit wurde aber der Einfluß der Wanderungsbewegungen und vor allem der Zuwanderung auf die Bevölkerungsbilanz immer wichtiger. Die ersten Nachkriegsjahre hatten zur stärksten Bevölkerungsverschiebung und -Verän­ derung, die Bayern jemals erlebt hat, geführt. Danach war das Verhältnis zwi­ schen der Zahl der Geburten und der Sterbefälle noch, wenn auch nur knapp, positiv geblieben, bis 1971 erstmals eine negative Bevölkerungsbilanz festzustellen war.4 Die Ansichten darüber, welche politischen Folgerungen sich aus diesem Be­ fund ergeben sollten, gehen weit auseinander. Wenn sich die natürliche Bevöl­ kerungsbewegung in Bayern nicht grundlegend ändern wird, läßt sich die Ab­ nahme der Bevölkerung nur durch Zuwanderung vermeiden oder zumindest verringern. Uber die Verbesserung der Landesbilanz insgesamt hinaus stellt sich dann noch die Aufgabe der Verteilung der Zuwanderer über die Regionen hin­ weg. Eine ausgewogene Raumpolitik müßte Wert darauf legen, viele disperse Standorte über das Land hinweg mit Zuwanderern zu bedienen. Im Kontext der Tertiärisierung sind bereits zahlreiche neue Standorte entstanden und ältere aus der Industrialisierungsphase aufgegeben worden. Diese Vorgänge bedeuten ohne Zweifel neue Chancen für periphere Regionen. Durch die Erweiterung des bayerischen Staatsgebiets in den ersten zwei Jahr­ zehnten des 19. Jahrhunderts kamen beträchtliche evangelische Bevölkerungs­ 3 Steinberg, Bevölk.-Entw., 1991; M. Kornrumpf, Bayern-Atlas. Landschaft - Anbau - Wirtschaft - Bevölk.-Bewegung, 1949.

4 Bade, Auswandererland; Meier - Braun, Einwanderungsland,

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

teile an Bayern, wodurch dieses von einem katholischen zu einem konfessionell gemischten Staat wurde.5 Die evangelische Bevölkerung lebte vor allem in den ehemaligen Markgraftümern Ansbach und Bayreuth, in den ehemaligen Freien Reichsstädten sowie in den zahlreichen früheren reichsritterschaftlichen Herr­ schaften. Die Rheinpfalz war zu mehr als 50% evangelisch; fast ganz protestan­ tisch war das erst 1920 an Bayern angeschlossene Herzogtum Coburg. 1816 wa­ ren in Bayern rechts des Rheins 23,8% der Bevölkerung evangelisch, 1921 24,6%, 1950 26,1% und 1970 25,7%. In mehr als eineinhalb Jahrhunderten hat sich also der Prozentanteil der beiden Konfessionen trotz ausgedehnter Zu- und Abwanderungen und trotz der Aufnahme von rund zwei Millionen Heimatver­ triebenen kaum verändert. Stark gewandelt hat sich jedoch die räumliche Ver­ teilung des protestantischen Bevölkerungsanteils. Allgemein zeigt die Entwick­ lung eine immer stärkere Vermischung der Konfessionen.

b) Bevölkerungsmobilität. Die Landflucht war die Voraussetzung der Urbanisie­ rung.6 Das Ziel dieser Wanderungen waren besonders häufig die Randgebiete der großen Städte. Aber auch die mittleren und kleineren Städte zogen die überschüssige Landbevölkerung an sich. Die Höhenflucht aus dem Alpenraum und den höheren Teilen der Mittelgebirge verband sich häufig mit der Land­ flucht. Die radikale Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ermöglichte aber seit dem späten 19. Jahrhundert auch die Pendelwanderung vom Wohnort zum Arbeitsplatz. Dabei ist zwischen Tagespendlern und Wochenpendlern zu unter­ scheiden. Die Saisonwanderung über teilweise große Entfernungen hat in Bayern schon eine lange Vergangenheit. Es handelt sich dabei um periodische Arbeits­ migrationen in Schwerpunktgebiete mit einem spezifischen Arbeitskräftebedarf, aber auch um Wandergewerbe von Spezialisten unterschiedlichster Art. Be­ sonders zu nennen sind die Dienstboten, die sich saisonweise in die Städte ver­ dingten. Ein neues Element kam durch die Zweitwohnsitzbewegung auf. Wäh­ rend es sich hier um eine zeitlich und nach Intensität unterschiedliche Nutzung zweier Wohnungen handelte, ist die Entscheidung für einen Altersruhesitz in einer angenehmen Gegend oft mit der Aufgabe der Altwohnung verbunden.

5 H. Fehn, Konfessionen (HB IV 2) 684 fr.; R. Geipel, Ev. in Bayern - ein Indi­ kator f. sozialräuml. Prozesse (ZBLG 65) 1996, 105-141; K. Guth - E. Groiser-Lau, Jüdisches Leben auf d. Dorf. Annäherungen an d. verlorene Heimat Franken, 1999. 6 H. Fehn, Binnen- u. Auswanderung, Landflucht u. Höhenflucht, Entst. v. Bal­ lungsräumen (HB IV 2) 693-699; Ders., Aufnahme von Heimatvertriebenen u. Flüchtlingen 1945 u. in d. folgenden Jahren (HB IV 2) 699; Ders., Zunahme d. Bevölke­ rungsmobilität (HB IV 2) 701 f; Ders., Pen­

delwanderung (HB IV 2) 704-707; Bayern u. seine Gemeinden unter d. Einfluß d. Wanderungen während d. letzten 50 Jahre (Beitrr. z. Stat. Bayerns 69) 1912; R. Heil­ meier, Die Abwanderung v. Lande. Ursa­ chen, Wirkung u. Bekämpfung d. Entvölke­ rung d. Landes in Bayern, Diss. München 1960; J. Franzke, Auswanderer - Binnen­ wanderer - Gastarbeiter - Pendler. Bevölk.Mobilität im Industrialisierungsprozeß (Le­ ben u. Arbeiten im Industriezeitalter) 1985, 135-142.

2. Die Bevölkerungsstrukturen (K. Fehn)

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Die Fernwanderungen führten teils in neue europäische oder außereuropäische Siedlungsgebiete, teils in wachsende Industriegebiete. Nachdem im 18. und frühen 19. Jahrhundert noch einige Siedlungsmöglich­ keiten im zentralen Mitteleuropa eröffnet worden waren und darüber hinaus Ostmitteleuropa, Südosteuropa und Osteuropa als Auswanderziele existierten, richtete sich die Auswanderung im 19. Jahrhundert hauptsächlich nach Nord­ amerika.7 Wichtig erscheint dabei der Hinweis, daß die Pull- und Push-Faktoren im Bereich der Uberseeauswanderung und im Bereich der Abwanderung in die nahen Industriestädte sich nicht grundlegend unterschieden. Nicht selten wanderten die Fernwanderer auch in Etappen ab, vor allem über Kleinstädte in Großstädte. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts steigerte sich mit dem An­ wachsen der Industrie in einer Reihe von Städten auch rasch der Arbeitskräfte­ bedarf. Er konnte bald nicht mehr durch die Bevölkerung der werdenden In­ dustriestädte gedeckt werden, sondern mußte auf das Arbeitskräftepotential der näheren und weiteren Umgebung ausgreifen. Besonders in den fränkischen Dörfern mit Realteilung und in den Waldlandschaften der Mittelgebirge mit ihrer zahlreichen bäuerlichen Unterschicht und ihrem Überangebot an unter­ beschäftigten Handwerkern waren solche Arbeitskraftreserven vorhanden. Diese vielen jungen Menschen waren bis um die Jahrhundertmitte oft dem Sog der Auswanderung erlegen. Als nun im Zuge der Industrialisierung auch die bay­ erischen Städte und Märkte aufnahmefähig wurden und in wachsendem Maße Arbeitsplätze anboten, begann die Abwanderung vom Land in die Städte. Weil mit ihr meist ein Ausscheiden aus der Landwirtschaft verbunden war, wurde sie als Landflucht bezeichnet. Ohne diese Wanderungsbewegung wäre aber ein ra­ sches und kräftiges Wachstum der Städte und damit der Industrie nicht möglich gewesen. So setzt sich die Bevölkerungszunahme der Stadt München von 1800 bis 1950 um rund 825000 Einwohner aus folgenden Komponenten zusammen: Geburtenüberschuß 165000, Eingemeindungen 160000, Wanderungsgewinn 500000. Der Zuwachs kam vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend den Städten und Industriegebieten zugute. Die Möglichkeit, die Wohnung auf dem Lande beizubehalten, die eigene Landwirtschaft im Nebenerwerb weiterzubetreiben und zur Arbeit täglich in die Stadt zu fahren, also zu «pendeln», bestand damals kaum. Als Massenver­ kehrsmittel stand vor 1900 nur das weitmaschige Eisenbahnnetz, für den Indi­ vidualverkehr nur das Fahrrad mit geringer Reichweite zur Verfügung. Speziel­ le Lösungen des Problems waren das Wochen- und Saisonpendeln. Erst zwi­ schen den Weltkriegen verbesserten sich die Pendelmöglichkeiten durch Mo7 Deutsche im Ausland; K. Güth, Wan­ derungsbewegungen in u. aus Franken im 19. Jh. (JfIL 49) 1989, 109-133; F. Blendinger, Die Auswanderung nach Nordamerika aus Obb. in d. Jahren 1846-1852 (ZBLG 27) 1964, 431-487; F. Fegert, «Ihr ghönt es Eich gar nicht vorstelen wie es in Amerigha

zuged.» Auswanderung a. d. jungen Ro­ dungsdörfern d. Passauer Abteilandes nach Nordamerika seit d. Mitte d. 19. Jh., 2001; Good bye Germany. Grüß Gott America. Auswanderung aus Bayern nach Amerika seit 1683 (Veröffentl. z. Bayer. Geschichte u. Kultur 48) 2004.

B. I. Das Land und seine Bevölkerung

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dernisierung und Beschleunigung des Eisenbahnnahverkehrs, die Einrichtung neuer Haltestellen und die Einführung spezieller Arbeitertarife, den Ausbau des Straßenbahnnetzes sowie den Einsatz von Kraftomnibussen auf dem erweiter­ ten und verbesserten Straßennetz. Das größte bayerische Pendlergebiet bildete sich bis 1939 um Nürnberg, Fürth und Erlangen heraus. Nach München pen­ delten damals nur 13000 Beschäftigte, nach Nürnberg dagegen 24300 und in die Region Nürnberg-Fürth-Erlangen 32700. Die wachsende Bedeutung der Pen­ delwanderung ist auf eine Reihe von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Er­ scheinungen zurückzuführen, vor allem auf die starke industrielle Konzentra­ tion in den Großstädten, die Siedlungsverdichtung des Umlandes, die indu­ strielle Entwicklung des flachen Landes selbst, die immer mehr und immer grö­ ßere Betriebe auch in kleineren Gemeinden entstehen ließ, die ständige Frei­ stellung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft, die schnelle Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, insbesondere die Einrichtung zahlreicher Omnibus­ linien und die große Zunahme des Autoverkehrs. Neben der Pendelwanderung über die Gemeindegrenzen ist die Bedeutung der Binnenpendler der Großstäd­ te nicht zu unterschätzen, stellten sie doch Mitte der siebzigerJahre etwa 30% aller Erwerbspersonen Bayerns dar. Schließlich sind noch die Fernpendler zu erwähnen, die als Wochenendpendler von ihren Wohngebieten zum Beispiel vom Bayerischen Wald in die Wirtschaftszentren München und Nürnberg pen­ delten.

c) Zuwanderungen. Während Bayerns Bevölkerung in den rund 70 Jahren von 1871 bis 1939 nur um 2,7 Millionen zunahm, wuchs die Einwohnerzahl trotz der hohen Kriegsverluste durch Aufnahme der Heimatvertriebenen besonders aus dem Sudetenland und den Reichsgebieten östlich der Oder-Neiße-Linie in den Jahren 1946 bis 1950 um fast 2 Millionen; um 1950 war jeder fünfte Ein­ wohner Bayerns ein Heimatvertriebener.8 Später kamen dann noch zahlreiche Flüchtlinge aus der DDR hinzu. Die Verteilung der Heimatvertriebenen über das Land konnte nicht gleichmäßig erfolgen. Innerhalb der Regierungsbezirke wa­ ren durchweg die Landkreise bedeutend stärker an der Aufnahme beteiligt als die Stadtkreise. Die Ursache liegt in der geringen Aufnahmefähigkeit der bom­ bengeschädigten Städte, während die von Kriegsschäden weitgehend verschon­ ten Landkreise und kleineren Stadtkreise Niederbayerns, der Oberpfalz und Oberfrankens sowie Schwabens für die Unterbringung bessere Möglichkeiten boten. Die Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern nahmen nach dem Stand von 1946 59,2%, die mit 2000 bis 5000 Einwohnern 15,5%, also insge­ samt rund drei Viertel der Heimatvertriebenen auf. Diese Verteilung hatte den erheblichen Nachteil, daß den Heimatvertriebenen in den folgenden Jahren be­ rufliche Möglichkeiten in diesen kleinen Gemeinden weitgehend fehlten, so daß sie auf der Suche nach Arbeitsplätzen abwandern mußten. Die Gemeinden s Bayerns vierter Stamm.

J 2. Die Bevölkerungsstrukturen (K. Fehn)

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mit dauernder Bevölkerungsschrumpfung konnten also die Chance zu einer Umkehrung des Trends durchweg nicht nutzen; es gelang ihnen meist nicht, die zahlreichen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge über die ersten Notjahre hinweg zu halten. Durch die vielen Heimatvertriebenen wurde auch die Neusiedlung in Bayern belebt. An den Großstadträndern drängten die Menschen aus den Notunter­ künften und Baracken heraus in auch noch so behelfsmäßige Eigenheime.9 Bis 1949/50 fug dieses Wachstum vielerorts das Gepräge des Improvisierten. Der Wille zur Selbsthilfe und zur Nachbarschaftsleistung zeigt sich in eindrucksvol­ ler Weise bei den Flüchtlingssiedlungen im Bereich ehemaliger Wehrmachtsan­ lagen, die von der Besatzungsmacht nur teilweise zerstört worden waren. Diese entwickelten sich rasch zu großen Stadtteilen oder sogar zu eigenen Gemein­ wesen, die teilweise bereits zehn Jahre später zu Städten erhoben wurden. Nach der kriegsbedingten Abwanderung der Bevölkerung aus den größeren Städten normalisierte sich in der Nachkriegsphase von 1946 bis 1950 die Situa­ tion wieder.10 Der Bevölkerungsüberhang in den mit Evakuierten und Vertrie­ benen überbelegten ländlichen und kleinstädtischen Gemeinden wurde konti­ nuierlich abgebaut. Es folgte in der Periode von 1950 bis 1956 eine weitgehend staatlich gelenkte Umsiedlung in die Zentren und eine spontane Binnenwanderung von den ländlichen Räumen vor allem in die Agglomerationen von München und Nürnberg. 1956 bis 1961 begann sich die Einwohnerzahl der Umlandge­ meinden stark zu erhöhen. Dies war vor allem das Ergebnis einer Mobilisie­ rungswelle, die die Entfernung zwischen Arbeits- und Wohnort erheblich ver­ größerte. Obwohl die normale Binnenwanderung hauptsächlich die demogra­ phischen Veränderungen verursachte, spielte auch der Zustrom von DDRFlüchtlingen eine große Rolle. Der Wiederaufbau wurde in dieser Periode be­ endet. Durch zahlreiche Großprojekte des sozialen Wohnungsbaus und den staatlich geförderten Eigenheimbau uferten die Städte immer stärker in ihr Umland aus. Im Zeitraum von 1961 bis 1970 gelang es, die Vertriebenen und Flüchtlinge voll zu integrieren. Es begann der Zustrom von Gastarbeitern. Der Geburten­ überschuß bei der einheimischen Bevölkerung ging laufend zurück, um 1971 in eine gegenläufige Bewegung mit einem Geburtendefizit überzugehen. Die kernnahen Räume der Agglomerationen veränderten sich in raschem Tempo, während die vorwiegend agrarischen Gebiete, aber auch die Kernstädte an Be­ völkerung verloren. Nach 1970 begann das Bevölkerungswachstum sich ganz 9 H. Fehn, Neusiedlung durch Heimat­ vertriebene (HB IV 2) 699 f.; Ders., Zeitbe­ dingte Wachstumserscheinungen an d. Großstadträndern d. Gegenwart (BdL 8) 1950, 296-300; O. Schütz, Die neuen Städ­ te u. Gemeinden in Bayern. (Veröffentl. d. Akad. f. Raumordnung u. Landesplanung 48) 1967-

10 H. Fehn, Ausländer in Bayern (HB IV 2) 702 fr.; Herbert; V. Richter, Die Aus­ länder in Bayern. Ein hist. Überblick 1871 — 1954 (Zschr. d. Bayer. Stat. Landesamts 87) r955. 35-50; Meier-Braun, Einwanderungs­ land.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

allgemein abzuschwächen; dies machte sich erstmals auch im Umland der Ag­ glomerationen bemerkbar. Die stärkste Zunahme hatten in den achtziger Jah­ ren die peripheren Räume in Bayerisch-Schwaben, Niederbayern und der Oberpfalz zu verzeichnen. Diese Entwicklung setzte sich in den neunziger Jah­ ren fort. Die Verlagerung des stärksten Wachstums in immer ballungsfernere Landkreise wurde noch durch die Aufwertung der an den Grenzen zur DDR und CSSR gelegenen Gebiete nach der Wende beschleunigt. Die immer stärker werdende Zuwanderung von Ausländern brachte große Chancen, aber auch viele Integrationsprobleme mit sich. Kriege, wirtschaftliche Blütezeiten und Depressionen sowie politische Um­ wälzungen haben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Zahl und die nationale Zusammensetzung der auf bayerischem Boden lebenden Ausländer jeweils we­ sentlich beeinflußt. Gefordert durch die günstige Wirtschaftslage der Jahrzehnte zwischen 1871 und 1914 erfolgte eine stetige Zunahme der Ausländerzahl von 54000 auf 134000. Trotzdem gab es kein schwerwiegendes Ausländerproblem, da die meisten von ihnen aus Österreich, aus Ungarn und aus der Schweiz ka­ men. Nach dem Ersten Weltkrieg siedelten sich viele aus politischen Gründen geflüchtete Ausländer in Bayern an. Eine ganz andere Gruppe stellten die in der Spätphase der NS-Zeit angeworbenen oder zwangsverpflichteten Arbeiter aus zahlreichen Staaten dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben viele Flüchtlinge aus den ost- und südosteuropäischen Ländern zunächst in Bayern, wovon ein großer Teil aber später abwanderte. Ende der fünfziger Jahre begann ein völlig neuer Abschnitt in der Ausländer­ beschäftigung. Neben der starken inländischen Wanderungsbewegung machte sich in diesen Jahren ein sprunghaftes Anwachsen der Zahl ausländischer Ar­ beitnehmer bemerkbar. Ihre Zahl erhöhte sich von 37000 (1960) über 166000 (1965) auf 390000 (1973). 1973 lebten in Bayern 615000 Ausländer; das waren 5,7% der gesamten Bevölkerung Bayerns. Neben der räumlichen Ballung der Gastarbeiter in den Agglomerationen München, Nürnberg und Augsburg wur­ de zunehmend eine Konzentration der Ausländerbeschäftigung auf bestimmte Berufe wie die Metallindustrie, das verarbeitende Gewerbe und die Bauindu­ strie deutlich. Bis 2002 stieg die Zahl der Ausländer in Bayern auf 1,132 Millio­ nen an; dies bedeutete 9,5 % der Gesamtbevölkerung (s. u. § 34).

d) Urbanisierung und Suburbanisierung. Im Jahre 1840 wies Bayern keine einzige Großstadt auf; München überschritt die Schwelle der 100000 Einwohner erst 1854." Dann vollzog sich das Wachstum immer rascher: 1876: 200000, 1900: 500000, 1938: 800000, 1958: i Million. Erst um 1970 verlangsamte sich die Expansionsphase durch Abwanderung zahlreicher Einwohner vor allem in das Stadtumland und durch den Rückgang des Wanderungsgewinns. Um 1880 er­ reichte Nürnberg als zweite bayerische Stadt die Großstadtgrenze; um 1908 11 H. Fehn, Städte u. Märkte (HB IV 2) 680-684; Ders., Weiteres Anwachsen d. Ver-

dichtungsräume (HB IV 2) 700 f.; Hist. Gemeinde-Verz.; Reulecke, Urbanisierung.

2. Die Bevölkerungsstrukturen (K. Fehn)

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folgte Augsburg, um 1935 Würzburg und nach dem Zweiten Weltkrieg Re­ gensburg sowie Ingolstadt. Die Einwohnerzahl von Fürth und Erlangen über­ traf um 1975 die besagte Grenze. In den sieben Großstädten lebte Mitte der siebziger Jahre fast ein Viertel der Bewohner Bayerns gegenüber erst 17% im Jahre 1950. Wenn man die Bewohner der Stadtregionen außerhalb der Stadt­ grenze noch hinzunimmt, erhöht sich der Anteil auf etwa ein Drittel der Ge­ samtbevölkerung. Nach den Umlandgemeinden der Großstädte weisen die auf­ strebenden Mittelstädte wie Ingolstadt, Schweinfurt, Aschaffenburg, Landshut, Weiden und Rosenheim das größte Wachstum auf. Neben diesen Städten, die von Mittel- zu Oberzentren aufsteigen wollen, bleiben so alte Kulturzentren wie Bamberg, Bayreuth, Coburg, Ansbach, Passau oder Kempten an Wachs­ tumsintensität etwas zurück. Die Einrichtung von Universitäten verlieh einigen von ihnen neue Wachstumsimpulse. Die erste genaue Bevölkerungsstatistik liegt für das Jahr 1840 vor. Damit wird gerade noch der Zustand vor dem Einsetzen der Industrialisierung und der Urbanisierung erfaßt. Die Situation war in den einzelnen Gebieten des Kö­ nigreichs Bayern aber trotzdem bereits unterschiedlich, da die starke vor- und frühindustrielle gewerbliche Entwicklung in der Regel mit einem deutlichen Bevölkerungswachstum verbunden war. Diese Gebiete lagen durchweg in Franken; Altbayern war noch vorwiegend agrarisch bestimmt. In der folgenden Phase der Industriegesellschaft kam es neben der Industrialisierung zu einem markanten Städtewachstum, zur Entleerung ländlicher Gebiete und ganz allge­ mein zur Zunahme großräumiger Disparitäten. Die Kriegs- und Nachkriegs­ zeit, die bis 1961 reichte, war durch Sonderbedingungen gekennzeichnet (Kriegsverluste, Flüchtlingszustrom). Die Dienstleistungsgesellschaft seit den sechziger, in verstärktem Maße seit den siebziger Jahren schuf neue räumliche Strukturen. Das Wachstum der Städte stagnierte, während die suburbanen Gür­ tel um die Städte herum sich immer mehr ausdehnten. Trotz der inselhaften Wachstumspole blieb die allgemeine negative Einstellung gegenüber den peri­ pheren Räumen erhalten, wenn auch festzuhalten ist, daß sich die großräumi­ gen Disparitäten der Industriegesellschaft nun in kleinräumige Disparitäten um­ gewandelt haben. Die räumliche Entwicklungstendenz der Industrie- und Dienstleistungsgesell­ schaft hat zu einer starken Bevölkerungskonzentration in Agglomerationen bei gleichzeitiger relativer oder auch absoluter Entleerung großer Zwischenberei­ che geführt.12 1985 entfielen auf die zehn größten Städte Bayerns 2,7 Millionen Einwohner (München 1,27 Mill., Nürnberg 0,47 Mill.). In der Region Mün­ chen wohnten 27% der bayerischen Gesamtbevölkerung. Während der fränki­ sche Verdichtungsraum Nürnberg - Fürth - Erlangen sich an Bedeutung nicht 12 H. Fehn, Gedanken z. Wandel d. Be­ griffsinhaltes «Stadt» am Beisp. d. Stadterhe­ bungen in Bayern seit 1800 u. d. zentralörtl. Gliederung seit 1970 (Beitrr. z. geogr. Me­

thode u. Ldke. = Mannheimer Geogr. Arb. 1) 1977, 295-317; J. Deimer, Stadt - Um­ land. Probleme aus d. Sicht d. Bayer. Städte­ tags (MGGM 83) 1998, 1-14.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

mit dem Raum München messen konnte, war das nördliche Bayern insgesamt durch eine größere Anzahl von Mittelstädten mit über 40000 Einwohnern aus­ gezeichnet. Nordostoberfranken war innerhalb Bayerns sowieso ein Sonderfall, da es hier zu einer flächigen Verdichtung durch frühe Industrialisierung gekom­ men war. Im östlichen Bayern gab es zwar einzelne größere Städte (vor allem Regensburg), aber keinen eigentlichen Verdichtungsraum. Besonders zu erwäh­ nen bleibt schließlich der randalpine Bereich südlich Münchens, ein altes Frem­ denverkehrsgebiet und eine attraktive Wohnzone. Im Jahr 1950 gab es in Bayern 250 Städte und 414 Märkte gegenüber 13 197 Dörfern und 28497 Weilern und Einöden. Vom frühen 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde eine Reihe von Märkten zu Städten erhoben. Nach 1950 setzte eine viel stärkere Welle der Stadterhebungen ein, was zum Beispiel in der Stadtregion von Augsburg fünf Orte zwischen 1952 und 1967 betraf. In der Gruppe der mit der Bezeichnung «Stadt» nach 1950 ausgezeichneten Orte überwiegen die Märkte mit 5-8000 Einwohnern; dazu kommen einige Indu­ striegemeinden und Flüchtlingsansiedlungen. Die alte Hierarchie Dorf - Markt - Stadt ist außer Funktion geraten; an ihre Stelle ist die Skala Klein-, Unter-, Mittel- und Oberzentrum getreten. Wie sehr diese Einteilung der Orte über­ holt ist, beweist die Zahl von 36 Zwergstädten in Bayern und die große Zahl von Märkten, die weniger als 2000 Einwohner zählen. Den Bevölkerungsschwund in vielen dieser Kleinstädte und kleinen Märkte, der bei den meisten von die­ sen Siedlungen durch das ganze 19. und 20. Jahrhundert zu verfolgen ist, hängt in erster Linie mit dem Verlust der zentralen Verwaltungs- und Marktfunktio­ nen zusammen, die der Staat durch die Wegverlegung von Ämtern verursacht hat. Das System der zentralen Orte, das im Spätmittelalter, dem Zeitalter der kleinen Territorien, aufgebaut wurde - selbst das kleinste Territorium benötig­ te einen Amtssitz und einen Marktort -, geriet im 19. und 20. Jahrhundert mehr und mehr außer Funktion. Diese Entwicklung wurde durch die Gebiets­ reform von 1972 mit der Verminderung der Landratsämter von 143 auf 71 wei­ ter fortgesetzt. Die zunehmende Mobilität von Menschen, Gütern und Nach­ richten zwingt zu größeren Verwaltungs- und Wirtschaftsräumen und setzt da­ mit die Mittelpunkte älterer kleiner Systeme außer Funktion. Vor den neuesten Veränderungen durch die Postsuburbanisierung ließen sich um 1990 vier Grundtypen der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsent ­ wicklung festlegen:13

13 J. Abing, Suburbia - Postsuburbia Zwischenstadt. Die jüngere Wohnsiedl.Entw. im Umland d. großen Städte Westdtl. u. Folgerungen f. d. regionale Planung u. Steuerung (Akad. f. Raumforsch, u. Landes­ planung Arbeitsmaterial 262) 1999; L. Holzner, Kommunikation u. «demokrat. Kulturlandsch.». Zu Fragen d. sog. Amerika­

nisierung in dt. Städten (Erdkunde $4) 2000, 121-134; A. Priebs, Raumplanung. Instru­ ment d. Obrigkeitsstaatlichkeit oder Instru­ ment einer demokrat. Kulturlandschafts-Ge­ staltung? (Erdkunde 54) 2000, 135-147; Postsuburbia. Herausforderung f. Stadtreg.Management (Beitrr. z. regionalen Entw. 90) 2001; Auslaufmodell.

£ j. Die Raumordnungsmuster (K. Fehn)

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1. Dynamische Umlandbereiche der Verdichtungsräume (im Gegensatz zu den Kernstädten) und der höherrangigen zentralen Orte mit überdurchschnitt­ licher Entwicklung sowohl bei der natürlichen als auch der räumlichen Be­ völkerungsentwicklung. 2. Urbanisierte Gebiete mit überproportionalen Wanderungsgewinnen und überdurchschnittlicher natürlicher Bevölkerungsentwicklung. 3. Sogenannte strukturschwache Räume, in denen die natürliche und die räumliche Bevölkerungsveränderung im Vergleich zur Gesamtentwicklung in Bayern negative Trends zeigt. 4. Agrarisch strukturierte ländliche Gebiete mit noch positiver natürlicher Be­ völkerungsentwicklung bei gleichzeitiger Abwanderungstendenz. In den sechziger und siebziger Jahren erfaßte die Suburbanisierungswelle weite Teile des Umlandes der größeren Städte; es entstanden suburbane Gürtel. Nach der ersten Phase mit einem überdurchschnittlichen Wachstum der Kernstädte und einer außergewöhnlichen Bevölkerungsdynamik im engeren Verdich­ tungsraum griff in den siebziger Jahren bei einer Bevölkerungsstagnation in der Stadt selbst die Suburbanisierung verstärkt auf die äußere Verdichtungszone über. Die Entwicklung außerhalb des S-Bahn-Bereichs war in den siebziger Jahren noch unterdurchschnittlich oder durchschnittlich. In den achtziger Jah­ ren kippte der Trend; es kam zu Bevölkerungsrückgängen in den Kernstädten und im näheren Umlandbereich, also in den Gemeinden, die relativ früh von der Suburbanisierung erfaßt worden waren. Auch die äußere Verdichtungszo­ ne, also die S-Bahn-Gemeinden, verlor an Entwicklungsdynamik. Demgegen­ über wurden weite Teile der übrigen Region im Gegensatz zu den Zielen der Landesplanung von einem deutlichen Wachstumsschub erfaßt. Dieser betraf zum Beispiel Gemeinden zwischen den S-Bahn-Achsen, vor allem aber Teil­ räume außerhalb des S-Bahn-Einzugsbereichs.

§ 3. DIE RAUMORDNUNGSMUSTER U. Ante u. a., Zur geschichtl. Entw. d. Raumordnung, Landes- u. Regionalplanung in d. Bundesrep. Dtl., 1991; Bayern im Bund. 1: Die Erschließung d. Landes 1949 bis 1973, 2001; M. Bergmeier, Umweltgesch. d. Boomjahre. Das Beisp. Bayern, 2002; K.A. Boesler, Kulturlandsch.-Wandel durch raumwirksame Staatstätigkeit (Abh. d. 1. Geogr. Instituts d. FU Berlin 12) 1969; H. Gies, Reagrarisierung oder Industrialisierung? Programmatik u. Realität in d. nationalsozialist. Agrar- u. Wirtschaftspol. (ZAA 48) 2000, 145-160; K. Goppel, Mög­ lichkeiten d. koordinierenden u. vorausschauenden Gestaltung v. Kulturlandsch. (Die Zu­ kunft d. Kulturlandsch. zw. Verlust, Bewahrung u. Gestaltung, hg. v. d. Akademie f. Raum­ forschung u. Landesplanung) 2001, 61-69; W. Istel, Der Beitr. d. Landesplanung in Bayern z. Landesentw. von 1945 bis 1970 (BdL 61) 1987, 391-423; Ders., Wurzeln u. Entw. d. Lan­ desplanung in Bayern bis 1945, 1993; Ders., 75 Jahre «Raumordnung». Zu Genealogie u. In­ haltswandel eines modernen Begriffes, 2000; H. Jäger, Einfuhr, i. d. Umweltgesch. (Die Geogr. Einführungen) 1994; Küster, Gesch. d. Landsch. (vor § 1); Kulturlandsch.-Pflege. Beitrr. d. Geogr. z. räuml. Planung, hgg. v. W. Schenk - K. Fehn - D. Denecke, 1997; E. Lendl, Die mitteleurop. Kulturlandschaften im Umbruch d. Gegenwart, 1951; Raumordnung in Dtl. Siedl.- Systeme - Umwelt - Verkehr - Raumentw., 1996; W. Schenk, «Landsch.» u.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

«Kulturlandsch.» - «getönte» Leitbegriffe f. aktuelle Konzepte geogr. Forsch, u. räuml. Pla­ nung (Petermanns Geogr. Mitt. 146, H. 6) 2002, 8-13; Umweltgesch. Themen u. Perspekti­ ven, hg. v. W. Siemann, 2003; Die Zukunft d. Kulturlandsch. zw. Verlust, Bewahrung u. Gestaltung, 2001.

a) Leitideen der Raumordnung. Die Geschichte der Raumordnung im engeren modernen Sinne beginnt erst im frühen 20. Jahrhundert.' Im 19. Jahrhundert war der Staat im Bereich der Raumordnung weitgehend passiv gewesen; es gab we­ der für das Agrarwesen noch für die aufkommende Industrie ein einheitliches Entwicklungskonzept. Dabei muß berücksichtigt werden, daß der Staat im 19. Jahrhundert keine raumordnenden Kompetenzen und kein Instrumentarium besaß, um den durch die Standortkonzentration der Industrie ausgelösten sozia­ len und regionalen Umschichtungen zu begegnen. In gewissem Umfang hat aber auch der bayerische Staat schon eine raumwirksame Tätigkeit ausgeübt, die jedoch primär auf die Beseitigung der Armut in peripheren Regionen durch die Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten, sozialpolitische Unterstützung und die Verbesserung der Infrastrukturen (Verkehrswesen, Schulwesen und derglei­ chen) zielte.12 Ohne die Initiativen von Kommunen und Einzelpersönlichkeiten wären wesentliche weiterführende Entwicklungen vor allem im Bereich von Gewerbe und Industrie nicht möglich gewesen. Neben den daseinsvorsorgen­ den Maßnahmen wie zum Beispiel der Errichtung von Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerken, dem Ausbau der Kanalisation und der Straßenreinigung so­ wie der Anlage von Nahverkehrsnetzen sind hier auch die Aktivitäten im städ­ tischen Umland zu nennen, die häufig in Stadterweiterungen einmündeten. Die umfangreichen Bemühungen des sogenannten Heimatschutzes seit der Jahrhundertwende enthielten ebenfalls erste Elemente einer Planung mit über­ örtlicher Zielsetzung. Viele einschlägige Gesetze und Bestimmungen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg für das Siedlungs- und Bauwesen, die durchweg auf der Ebene der Länder erlassen worden waren, galten nach 1919 zunächst bis 1933 weiter. Zwar wurden diese teilweise auch in der Weimarer Zeit durch die Länder selbst fortentwickelt, und es entstanden auch einzelne neue Gesetze.3 Die wichtigsten Anstöße kamen aber von Seiten des Reiches, das weite Bereiche grundlegend durch Rahmengesetze regelte. Die Ausführungsbestimmungen wa­ ren wiederum Sache der Länder. Außerdem wurden die Gesetze und Verord­ nungen vielfach durch Ergänzungsbestimmungen erweitert und geändert. Das 1 Istel, Wurzeln u. Entw. 2 D. Schlögl, Der planvolle Staat. Raum­ erfassung u. Reformen in Bayern 1750-1800 (SchbLG 138) 2002; W. Krings, Beautifying the whole country. Large-scale mapping and early planning measures in the Kingdom of Bavaria 1806-1848 (The transformation of the European rural landscape. Methodologi­ cal issues and agrarian change 1770-1914)

1992, 221-229; Münchner Landschaftsmale­ rei 1800-1850 (Ausst.-Kat.) 1979. 3 R. Graafen, Die räuml. Auswirkungen d. Rechtsvorschriften z. Siedl.-Wesen im Dt. Reich, unter bes. Berücks. v. Preußen, in d. Zeit d. Weimarer Rep. (Bonner Geogr. Abh. 82) 1991; H.-G. Bothe, Landeskultur in Dtl. Entw., Ergebnisse u. Aufgaben in mehr als 250 Jahren (BüL SH 193) 1976.

f 3. Die Raumordnungsmuster (K. Fehn)

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Wohnungs- und Siedlungswesen erwies sich nach dem Ersten Weltkrieg als ei­ nes der wichtigsten Betätigungsfelder des Staates. Ganz allgemein ist festzuhalten, daß sich in der Zeit der Weimarer Republik im Deutschen Reich ein gewisses Instrumentarium entwickelt hatte, das vor allem Vorsorgeplanung in Stadt-Umland-Bereichen und großstädtischen Naherho­ lungsgebieten ermöglichte. 1929 kam es zu einer ersten Koordination der Be­ mühungen durch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Landesplanungs­ stellen. Bezeichnenderweise war der bayerische Staat daran nicht beteiligt. Dies hängt damit zusammen, daß vor allem wegen des Fehlens größerer industrieller Ballungsgebiete im bayerischen Staatsgebiet das Bedürfnis nach einer überre­ gionalen Raumordnung nicht so groß wie in anderen deutschen Regionen wie beispielsweise im Ruhrgebiet war. Auch die Idee der Inneren Kolonisation, die im Reichssiedlungsgesetz von 1919 ihren rechtlichen Ausdruck fand, wirkte sich in Bayern nur wenig aus. Es kam weder zu einer nennenswerten Anzahl von Neusiedlungen in Bayern noch zu einer größeren Abwanderung von bay­ erischer Agrarbevölkerung in den dünner besiedelten Osten Deutschlands. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 regelte die Reichsre­ gierung umgehend in mehreren Gesetzen einen Großteil der einschlägigen Ma­ terie. Die immer stärker erhobene Forderung nach überfachlicher und überört­ licher Planung führte 1935 zu einer institutionalisierten Raumordnung,4 die entsprechend dem Wesen des Dritten Reiches zentralistisch ausgerichtet war. Diese sollte die Richtlinien für die zweckmäßige und organische Ordnung und Nutzung des Gesamtraumes entwickeln und die Arbeit der Fachsonderplanun­ gen überwachen. Das nationalsozialistische Idealbild enthielt vier Hauptgrund­ sätze: «1. Steigerung der biologischen Volkskraft. 2. Bestmögliche Ausnutzung des Bodens und seiner Kräfte. 3. Arteigene Zuordnung von Volk und Land­ schaft. 4. Steigerung der Abwehrbereitschaft des deutschen Lebensraumes». In Hinblick auf das wünschenswert ausgewogene Verhältnis von Industrie und Landwirtschaft erschien den Raumplanern die Situation in Bayern noch relativ gesund. Neben den zukunftsorientierten Aufgaben der Nutzung der Wasser­ kräfte, der Erschließung der Wasserstraßen, der Forcierung der Industriesied­ lung und dem Ausbau des Fremdenverkehrs wurden aber von Anfang an die beiden Problemzonen genannt, die es zu beseitigen galt: die Notstandsgebiete vor allem in den östlichen Grenzregionen und gewisse Ballungsräume mit einer negativen Bündelung von nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen. Die Tätigkeit der Planungsinstitutionen während der Weimarer Zeit hatte im wesentlichen noch den Charakter einer gebietlich erweiterten Städteplanung. In dieser Entwicklungsphase sind aber viele Erfahrungen gesammelt worden, die der folgenden Zeit zugute kamen. Besonders zu nennen sind hier die Akti­ vitäten im Münchner und im Nürnberger Raum. Insgesamt hat die Weimarer 4 Istel, 75 Jahre; Boesler, Kulturlandsch.; Raumordnung u. Landsch.-Planung im 20. Jh., 1971; H. Braun, Wirtschafti., sozial.

u. polit. Entw. d. Bayer. Waldes in d. Jahren d. Weltwirtschaftskrise (ZBLG 67) 2004, 401-432.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

Zeit wie in einer Versuchsreihe Planungsorganisationsformen für ganz unter­ schiedliche Problemfelder entwickelt. Der 1935 institutionalisierten Raumord­ nung wurden auch zahlreiche neue Aufgaben zugewiesen, wie zum Beispiel die Reinhaltung von Wasser und Luft, die Pflege der Landschaften, die Wiederher­ stellung des Gleichgewichts des Naturhaushaltes, die Festlegung von Mittel­ punkten und die Abgrenzung von landesplanerischen Regionen. Sehr in den Vordergrund schob sich dabei die Landespflege, deren Hauptauf­ gabe die Gestaltung einer sogenannten «deutschen Kulturlandschaft» für den «deutschen Menschen» war.5 Diese Zielrichtung wurde nach dem Ende des Po­ lenfeldzugs im Herbst 1939 in zahlreiche Regelungen für die «Eindeutschung» der sogenannten «Eingegliederten Ostgebiete» umgesetzt. Diese Pläne sollten nicht nur der Erweiterung des «deutschen Lebensraumes» dienen, sondern auch die Voraussetzungen für grundlegende Umstrukturierungen im «Altreich» schaffen. Obwohl es auch hier gleichgerichtete Aktivitäten gegeben hatte, die Grundlagenuntersuchungen sowohl über die Eignung des zu gestaltenden Rau­ mes als auch über die rassische und politische Qualität der als Siedler vorgese­ henen Personen umfaßten (zum Beispiel im Rahmen des sog. «Dr.-HellmuthPlanes» für die Rhön), eröffneten sich nun im sogenannten «Neuen Deutschen Osten» ganz andere Möglichkeiten für gezielte Bevölkerungsverschiebungen. Die meisten dieser verbrecherischen Pläne blieben wegen der grundlegenden Veränderungen der politischen und militärischen Lage auf dem Papier. In die­ sem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß bereits seit der Aufrüstung Deutschlands 1936 im Zweifelsfall grundsätzlich militärische Gesichtspunkte Vorrang gegenüber raumordnerischen Anliegen hatten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trat die Raumordnung zunächst in den Hintergrund, da sie durch ihre Stellung im Dritten Reich desavouiert war.6 So dauerte es zwölf Jahre, bis Bayern 1957 ein neues Landesplanungsgesetz er­ hielt. Ein erster Versuch war 1951 gescheitert. Als oberste Maxime wurde die Schaffung und Erhaltung gleichwertiger gesunder Lebens- und Arbeitsbedin­ gungen in allen Landesteilen festgelegt. Diese Zielrichtung wurde neuerdings mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit verbunden, die nunmehr der Wertmaßstab bei der Umsetzung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen ist. Die s K. Fehn, Die «artgemäße dt. Kulturlandsch.» als «biologisch-seelische Umwelt» des «dt. Menschen» in d. Spätphase d. Nationalsoz. Leitbilder - Planungen - Verwirk­ lichungen (Raumwirksame Staatstätigkeit = Colloquium Geographicum 23) 1997, 43-52; H. Vogel, Dr. Hellmuth-Plan. Das große Aufbauwerk d. Gauleiters Dr. Hellmuth (Das Bayerland 50) 1939, 271-281; U. Fell­ bor, Rassenbiologie u. Vererbungswiss. in d. Medizin. Fakultät d. Univ. Würzb. 19371945 (Würzburger medizinhist. Forsch. Bei­ heft 3) 1995.

6 W. Terhalle, Zur Gesch. d. Landespla­ nung in Bayern nach d. Zweiten Weltkrieg (Zur geschichtl. Entw. d. Raumordnung, Landes- u. Regionalplanung in d. Bundesrep. Dtl.) 1991, 105-132; K.H. Witzmann, Zur Gesch. d. Landesplanung in Bayern nach d. 2. Weltkrieg: Rbez. u. Regionen (Zur gesch. Entw. d. Raumordnung, Lan­ des- u. Regionalplanung in d. Bundesrep. Dtl.) 1991, 134-152; Istel, Der Beitr. d. Landesplanung; Ders., 75 Jahre.

$ j. Die Raumordnungsmuster (K. Fehn)

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nachhaltige Raumentwicklung basiert auf dem Gleichklang der drei Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales/Kultur: ökonomische Leistungskraft; attrak­ tive Landschaft und gesunde Natur; sozial ausgewogenes Lebensumfeld. Die Landesentwicklungsprogramme 1976, 1984, 1994 und 2003 bemühten sich mit spürbarem Erfolg, früher vorhandene erhebliche Unterschiede innerhalb Bay­ erns abzubauen, die ländlichen Räume gegenüber den Verdichtungszonen auf­ zuwerten und die Nachteile der Ballungsräume zu verringern. Die Ziele der Be­ mühungen der Raumordnung, Lebensqualität, moderne und hochwertige Infra­ strukturen und eine relativ ausgewogene Bevölkerungsentwicklung, sind ohne Zweifel in erheblichem Umfange erreicht worden. Zur besseren Steuerung der raumstrukturellen Entwicklung Bayerns ist das Land in Gebietskategorien aufgeteilt:7 1. Verdichtungsräume, a) Stadt- und Um­ landbereiche in Verdichtungsräumen, b) Außere Verdichtungszone. 2. Länd­ licher Raum, a) Allgemeiner ländlicher Raum, b) Stadt- und Umlandbereich. 3. Ländlicher Teilraum im Umfeld der großen Verdichtungsräume. 4. Ländlicher Teilraum, dessen Entwicklung in besonderem Maße gestärkt werden soll. 5. Alpengebiet. Von den speziellen Aufgaben der Raumordnung sollen hier be­ sonders genannt werden der Klimaschutz, der Hochwasserschutz, der Natur­ schutz, die Flächenvorsorge, die Betreuung des Zentrale-Orte-Systems, der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur und die Stärkung der regionalen Verantwortung. Die Gemeindegebietsreform von 1978 reduzierte die Zahl der Gemeinden um mehr als zwei Drittel. Im Landesentwicklungsprogramm von 2003 laufen unter dem Aspekt Kultur­ landschaftspflege zwei Strömungen zusammen, und zwar die auf historisch ge­ wachsene Landschaften ausgerichtete und diejenige auf ökologische Nachhal­ tigkeit orientierte.8 Der Begriff Kulturlandschaft war bis 1998 nicht ein Thema der Raumordnung; diese war vielmehr durch Fachplanungen für den agrari­ schen Raum geprägt. Die neueste Entwicklung ist nun dadurch gekennzeich­ net, daß es um die raumordnerische Gestaltung der gesamten vom Menschen veränderten und gestalteten Kulturlandschaft im Sinne der Kulturlandschafts­ pflege geht.9 Es gibt bereits einige Kulturlandschaftspflegeprogramme, die für ausgewählte Gebiete Handlungskonzepte entwickelt haben. Damit läßt sich gut 7 Grundlagen u. Ziele d. Raumordnung in Bayern, hg. v. Bayer. Staatsmin. f. Wirt­ schaft u. Verkehr, 1962; Ein Programm f. Bayern l-II, 1969, 1970; G. Stiens, Raum­ ordnung in d. Bundesrep. Dtl. Auswirkun­ gen u. Wandel ihrer Grundsätze u. Organi­ sationsstrukturen (GR 40) 1988, 54-58; Raumordnung in Dtl. Siedl. - Systeme Umwelt - Verkehr - Raumentw., 1996; Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP). Daten - Fakten - Ziele, hg. v. Bayer. Staats­ min. f. Landesentw. u. Umweltfragen I, 2003.

8 Räuml. Strukturen u. Tendenzen in Bayern am Beginn d. neunziger Jahre. Um­ welt u. Entw. (Bayer. Strukturdaten-Atlas 3) 1995; Nachhaltige Entw. in Dtl., 2002. 9 K. Fehn, «Lebensgemeinschaft von Volk u. Raum». Zur nationalsozialist. Raum- u. Landsch.-Planung in d. eroberten Ostgebie­ ten (Naturschutz u. Nationalsozialismus = Gesch. d. Natur- u. Umweltschutzes 1) 2003, 207-224.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

eine Verbindung zu einem gewissen Umdenken in der Raumplanung in einem anderen Bereich herstellen. Es handelt sich um einen veränderten Umgang mit den bisherigen Hauptinstrumenten der Raumordnung: zentrale Orte, Siedlungs- und Entwicklungsachsen, Vorrang- und Vorbehaltsgebiete und sied­ lungsstrukturelle Gebietstypen. Die erste Priorität hat nun nicht mehr die Ver­ teilung des allgemeinen Wachstums auf zentrale Orte und Teilräume, sondern das Vorbehalts- und Sicherungsprinzip, das eng mit Fragen der Ökologie und des Umweltschutzes verbunden ist. Der Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrsflächen soll spürbar verringert, der kleinere zentrale Ort bewußt als sogenannter Pflock mit Vorhalteaufgaben in Gebieten mit einer abnehmenden Bevölkerung erhalten und die regionale Verantwortung gestärkt werden, da gerade im Zeitalter der Globalisierung das Land starke Regionen braucht.1011

b) Flächennutzungswandel. Im Sinne der modernen Raumordnung ist die Kultur­ landschaft nicht nur der agrarisch geprägte und genutzte Raum, sondern die ge­ samte durch Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Wasser- und Energiewirt­ schaft, Industrie und Verkehrsanlagen gestaltete Landschaft. Diese Kulturland­ schaft ist sehr unterschiedlich; sie verändert sich auch in ihren einzelnen Ab­ schnitten nicht in dem gleichen Tempo und mit der gleichen Intensität. Der Flächennutzungswandel ist ein wichtiger Indikator für die Prozesse in der Kultur­ landschaft, wobei zu beachten ist, daß die einzelnen Wirtschafts- und Gesell­ schaftsbereiche sich rascher ändern als die zugehörigen Kulturlandschaften.“ Um das Ziel der Raumordnung, die Schaffung von wertgleichen Lebensbedin­ gungen zu erreichen, muß das Verhältnis der großen Raumkategorien und Flä­ chennutzungen zueinander bestimmt und die Dynamik der Verschiebungen herausgearbeitet werden. Besonders zu beachten ist das Verhältnis von bebau­ ten zu unbebauten Flächen, von agrarem Nutzraum zum Raum für Erholung und Naturschutz, von Wohnflächen zu Gewerbe- und Kommunikationsflä­ chen. Schließlich kommen noch Flächennutzungskonkurrenzen und synchrone beziehungsweise alternierende Mehrfachnutzungen sowie Landschaftsschädi­ gungen vor, die ebenfalls zu berücksichtigen sind. Im frühen 19. Jahrhundert setzte sich die Siedlungspolitik des 18. Jahrhun­ derts zunächst noch eine gewisse Zeit fort.12 Durch die «Peuplierung» von 10 Henkel (vor § 1); Bothe (Anm. 3). 11 W. Schenk, Bilanzierung v. Wald u. Offenland in vorindustrieller Zeit. Dargest. an Beisp. vor allem aus Süd- u. Westdtl. (Staat u. Verwaltung in Bayern) 2003, 373383; N. Krebs, Die Verteilung d. Kulturen in Dtl. (FS z. Hundertjahresfeier d. Ver. f. Geogr. u. Stat. z. Frankfurt/M.) 1936, 287— 309; National-Atlas (vor §1). 12 G. Heinritz - W. Heller - E. Wirth, Wirtschafts- u. sozialgeogr. Auswirkungen reichsritterschaftl. Peuplierungspolitik in

Franken (BdL 41) 1968; H. Heller, Die Peuplierungspolitik d. Reichsritterschaft im Steigerwald (Erlanger Geogr. Arb. 30) 1971; J.-B. Haversath, Die Kultivierung d. Moo­ re im 18. u. 19. Jh. Beispiele aus Obb. u. d. Emsland (5. Kartographiehist. Kolloquium) i99i> 7I_8i; Ders., Die Entw. d. ländl. Siedl, im südl. Bayer. Wald (Passauer Schrr. z. Geogr. 14) 1994; H. Fehn, Ausgew. Beitrr. z. Siedl.-Forsch, in Bayern, hg. v. K. Fehn, 1978; Ders., Erweiterung d. Siedl.Raums durch Anlage neuer Dörfer, Erweite-

j. Die Raumordnungsmuster (K. Fehn)

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Dörfern in kleinen fränkischen Herrschaften, aber auch die Besiedlung von hochgelegenen Gebieten des Bayerischen Waldes, vergrößerte sich die unter­ bäuerliche Schicht, die nach dem Ende des Alten Reiches in eine sehr schwie­ rige wirtschaftliche und soziale Lage geriet. In Südbayern setzte Ende des 18. Jahrhunderts die Moorkolonisation ein, bei der viele Fehler gemacht wurden, die sich bis ins 20. Jahrhundert negativ auswirkten. Die wachsenden Probleme in den Agrarlandschaften konnten schon sehr bald nicht mehr durch Neusiedlun­ gen beseitigt werden, sondern erzwangen die Ab- oder Auswanderung. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Moorkolonisation wieder aufgegriffen, als nach der Gründung der preußischen Zentralmoorkommission und der Errich­ tung der Versuchsstation in Bremen 1900 in Bayern die Königliche Moorkul­ turanstalt gegründet wurde. Die Größe des Siedlungsraumes veränderte sich in Bayern trotz der engagier­ ten Siedlungspolitik nur wenig, da ein Großteil der Aktionen sich auf die in­ tensivere Nutzung schon extensiv bearbeiteten Landes richtete. Die Innere Ko­ lonisation brachte in Bayern nur einen sehr bescheidenen Zugewinn, da es dort an geeignetem Ödland oder ausgedehnterem Großgrundbesitz fehlte, die hätten erschlossen werden können. Immerhin wurden nur 2,3 % der landwirtschaft­ lichen Nutzfläche in den dreißiger Jahren von Großbetrieben bewirtschaftet. Im Rahmen der Ödlandsiedlung wurden einerseits zahlreiche kleinere Moorge­ biete, Hutungen und Niederwälder besiedelt und andererseits einige größere geschlossene Projekte begonnen. Bei der Inwertsetzung der Moore kamen die Arbeiten vor dem Kriegsende meist nicht über die beiden ersten Stufen der Aufschließung und der Urbarmachung hinaus; die landwirtschaftliche Nutzung und die eigentliche Übergabe an den Siedler fehlten. Noch weniger trug die Vergabe von Land an Anlieger zu einer durchgreifenden Veränderung des Siedlungs- und Kulturlandschaftsbildes bei. Nicht vernachlässigen darf man die Siedlung vom Hofe aus, die zu manchen Veränderungen in der bayerischen Agrarlandschaft führte. Das Dritte Reich führte vor allem mit Hilfe des Reichsarbeitsdienstes zahlrei­ che Landerschließungsarbeiten durch.13 Von den 1939 in offiziellen Verlautba­ rungen genannten 79 Großprojekten lagen einige auch in Bayern wie zum Bei­ spiel die Kultivierungsarbeiten im niederbayerischen Donaubecken, Verbesse­

rung bestehender Ortschaften durch Zuzug in Waldgebieten u. Mooren (HB IV 2) 686693. 13 Hilgemann, Atlas Zeitgesch. (vor § 1); H. Stremme - E. Ostendorff, Die bäuerl. Siedl.-Kapazität d. Dt. Reiches (Petermanns Geogr. Mitt. Ergänzungsheft 228) 1937; Krebs (Anm. 11); D. Münk, Die Organisa­ tion d. Raumes im Nationalsoz. (Europ. Hochschulschriften 284) 1993; Graafen (Anm. 3); W. Schenk, Strukturverbessernde

Programme f. d. bayer. Rhön im 19. u. 20. Jh. - Zur Kontinuität v. Planungsideen (Biosphärenreservat Rhön) 1993, 49-62; Ders., Auen als Siedlungs- u. Wirtschafts­ räume vor d. ingenieur-technischen Verän­ derungen d. 19. Jh. - das Mittelmaingebiet als Beisp. (Zschr. f. Geomorphologie NF Supp. 124) 2001, 55-67; W. Hausmann, In­ golstadt - Süddtls. neues Raffinieriezentrum (GR 20) 1968, 205-212.

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rungen der Anbauverhältnisse in der Rhön und in der Fränkischen Alb sowie Flußausbauten an der Salzach. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert fielen in Bayern nur wenige Siedlungen wüst; die totale Aufgabe war die Ausnahme; häufiger kamen partielle Verfalls­ erscheinungen vor.'4 Nicht immer ist die Grenze zwischen Wüstfallen und Nutzungsextensivierung klar zu ziehen. Obwohl im allgemeinen die Siedlun­ gen wuchsen und die Nutzflächen ausgeweitet wurden, erwiesen sich bestimm­ te Hochgebirgs- und höhere Mittelgebirgslagen als zu ungünstig für Siedlungs­ standorte. Ursachen waren meist die geringe Ertragsfähigkeit des Bodens, un­ günstige Reliefgegebenheiten, die Widrigkeit des Klimas, die Verkehrsentle­ genheit und Mängel in der demographischen Struktur der Bevölkerung. In bestimmten Fällen führten die Umweltschädigungen durch Abbau von Rohstoffen direkt zu Orts- und Flurwüstungen. Eine größere Rolle spielten aber in Bayern die Extensivierungserscheinungen und der Kulturlandschafts­ schwund in den landwirtschaftlichen Notstandsgebieten. Verlassene Anwesen waren zunächst aber selten. Im Zusammenhang mit der starken Landflucht nach dem Beginn der Wiederaufrüstung 1936 zeichnete sich aber eine negative Entwicklung ab, die nur durch den Krieg in eine andere Richtung gelenkt wurde. Echte Wüstungen gab es auch im Bereich der Bergbau- und Industrie­ betriebe in den Mittelgebirgen, die wegen Unrentabilität in den zwanziger Jah­ ren aufgegeben wurden, teilweise aber im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik meist kurzfristig wiedereröffnet wurden. Dem Bau von Tal­ sperren zur Versorgung mit Trink- und Nutzwasser fielen nur vereinzelte Sied­ lungen zum Opfer; wesentlich größer war hier der Verlust von Ackern und Wiesen und vor allem von Wald. Der allergrößte Prozentsatz an totalen und partiellen Wüstungen ist auf mili­ tärische Maßnahmen zurückzufuhren. Waldverluste brachten auch die Mo­ numentalbauten im Bereich der Großstädte wie vor allem von Nürnberg mit sich sowie der Bau der Autobahnen und die Erweiterung der Flugplätze. Im Gegensatz dazu wurde für die landwirtschaftliche Siedlung nur in Ausnahme­ fällen Hochwald zur Verfügung gestellt. Zahlreiche Almen fielen wüst. Dabei handelt es sich häufig um planmäßige Wüstlegungen aus forstlichen oder jagd­ lichen Gründen. Siedlungsinseln mit Nutzungsrechten der Bewohner in den Wäldern wie Waldweide oder Streusammeln behinderten ja den Aufbau syste­ matisch bewirtschafteter Forsten und geschlossener Jagdreviere. Neue Gesichts­ punkte brachte für viele dieser Gebiete der Fremdenverkehr mit seinen ande­ ren Bewertungskriterien für Wälder und darin eingelagerte Freiflächen. Das Hauptziel der bayerischen Entwicklungspolitik nach dem Zweiten Welt­ krieg war der möglichst flächendeckende Strukturwandel vom überwiegend agra­ 14 H. Fehn, Siedl.-Rückgang in d. Hoch­ lagen d. Opf. u. d. Bayer. Waldes (MFGG 10) 1963, 155-167; K. Fehn, Orts- u. Flur­ wüstungen im europ. Industriezeitalter

(Rhein. Vjbll. 33) 1969, 197-207; Ders., Al­ men u. Almwirtschaft im Berchtesgadener Land v. MA bis z. Gegenwart (ZAA 16) 1968, 36-54.

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risch strukturierten zum industriell geprägten Land.15 Am Anfang stand die Übernahme und Umnutzung ehemaliger militärischer Anlagen und Flächen für gewerbliche Zwecke. Neue Betriebe wurden vorzugsweise in strukturschwa­ chen Gebieten und im dünnbesiedelten Grenzland angesiedelt. Weiterhin wur­ den die kleinen zentralen Orte außerhalb der Verdichtungsräume als Ansatz­ punkte für die Industrieansiedlung besonders zwischen 1950 und 1962 gewählt. Im Anschluß an diese Zeit konzentrierte sich die Raumordnung besonders auf die Förderung von Teilräumen mit besonderer Funktion für das ganze Land, wie zum Beispiel den Raum Ingolstadt mit seiner Autoindustrie und seinen Raffinerien.1617 *Die Siedlungsflächen haben nach dem Zweiten Weltkrieg über­ proportional zugenommen, wobei die Ausweitung mit einem erhöhten Bedarf an öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Freiflächen und Verkehrsflächen korre­ spondierte.’7 Bemerkenswert ist, daß in der neuesten Zeit der Flächenver­ brauch in der Nähe von ländlichen Siedlungen besonders groß ist. Ganz allge­ mein ist die Ausweitung von bebautem Gelände aber nach wie vor in hochver­ dichteten Gebieten größer als in Peripherräumen. Häufig ist es gar nicht ein­ fach, das Maß an Landschaftsbeeinträchtigungen genau zu bestimmen. Handelt es sich dabei um die Zunahme der Bebauung, die größere Verdichtung, die Versiegelung des Bodens oder die Schädigung der Umwelt? Die Raumordnung gewichtet in umfassender Weise unter Berücksichtigung zahlreicher Kriterien das Potential der einzelnen Räume. Eine Differenzierung der Räume ist dabei zwar unumgänglich und auch im Hinblick auf das Leitziel Regionalisierung erwünscht. Dies darf aber nicht die einseitige Zuordnung be­ stimmter Faktoren zu einem Raum bedeuten, sondern es muß eine möglichst sachgerechte Verteilung von Gebietskategorien über das ganze Land erfolgen. Neben Kultur, Freizeit und Verkehr gehört dazu auch die Natur, die nicht al­ lein dem ländlichen Raum zugeordnet werden darf. Dieser würde dann als Restgröße oder Ausgleichsraum abqualifiziert werden. Natur in diesem Sinne muß es auch im städtischen Bereich als «grüne Lunge» der Stadt geben. Aus einer in den frühen fünfziger Jahren erstellten Bodenbilanz für etwa fünf­ zig Jahre werden die Veränderungen der Flächennutzung und die dadurch be­ dingten Kulturlandschaftsveränderungen für ganz Deutschland ersichtlich.’8 Die einschlägigen Stichworte reichen von neuen Industrieflächen und Verkehrs­ wegen über Flugplätze, Stauseen, Truppenübungsplätze, Neulandgewinnung, Moor- und Ödlandkultivierungen bis zu kulturtechnischen Meliorationen. Ausführlich behandelt werden auch die Aufforstungen, die durch die Bautätig15 Kornrumpf (§ 2 Anm. 3); Bayern. Ein Land verändert sein Gesicht, 1956; Flächen­ nutzungsveränderungen in Mitteleuropa, 1982. 16 Hausmann (Anm. 13). 17 F. Dosch - G. Beckmann, Trends d. Landsch.-Entw. in d. Bundesrep. Dtl. vom Landsch.-Verbrauch zur Produktion v.

Landsch. (Inf. z. Raumentw. 1999 H. 5/6) 1999, 291-310. 18 W. Göpner, Methoden z. Ermittlung d. Veränderungen in d. Flächennutzung u. d. dadurch bedingten Kulturlandsch.-Verän­ derungen in d. Kreisen d. Bundesgebietes im Verlauf d. letzten halben Jhs. (BdL 20) 1958, 328-348.

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keit im Bereich der Siedlungen verlorengegangenen land- und forstwirtschaft­ lichen Nutzflächen, die verkleinerten Freiflächen in den Siedlungen, Verluste durch Bergbau und Industrie, die kulturlandschaftsrelevanten Maßnahmen für Verkehrsanlagen, die Umgestaltungen für Verteidigungszwecke und derglei­ chen. Nach 1972 stieg die Siedlungsfläche viel stärker als die Bevölkerungszahl an. In den letzten fünfzig Jahren wurde mehr Boden bebaut und irreversibel verän­ dert als in der gesamten Zeit davor. Natur- und Landschaftsschutz, Denkmalund Kulturlandschaftspflege spielten zunächst keine größere Rolle; in den letz­ ten Jahrzehnten gewannen diese Felder aber kontinuierlich an Bedeutung. Bayern wandelte sich in der Nachkriegszeit zu einer der wirtschaftsstärksten Regionen Europas. Neben der immer noch wichtigen Landwirtschaft, die Bay­ ern nach Niedersachsen zum zweitgrößten Agrarland in Deutschland macht, sind vor allem die High-Tech-Branchen wie Kommunikations- und Informa­ tionstechnologie, der Dienstleistungssektor mit Tourismus, Versicherungen und Banken sowie die Industrie, vor allem der Maschinenbau, die Fahrzeugin­ dustrie und die Luft- und Raumfahrt zu nennen. Es kam dabei zu typischen Konzentrationen an Standorten wie zum Beispiel der biotechnischen Betriebe südlich von München und der medizinischen Technik im Raum ErlangenNürnberg. Für die Entwicklung neuer Infrastrukturen wurde die vorzügliche Infrastruktur bedeutsam, wozu auch die sogenannten weichen Standortfaktoren wie der Freizeitwert gehören. In Bayern finden sich sowohl weltweit aner­ kannte kulturelle Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel die zum UNESCOWeltkulturerbe gehörenden Sehenswürdigkeiten der Bamberger und Regens­ burger Altstadt, der Würzburger Residenz sowie die UNESCO-Bioreservate des Bayerischen Waldes und des südlichen Berchtesgadener Landes. Hier wird ein Gleichgewicht zwischen dem Erhalt natürlicher Ökosysteme und deren nachhaltiger wirtschaftlicher Nutzung durch den Menschen angestrebt.

c) Umweltschutz und Kulturlandschaftspßege. Wirtschaftlicher und technischer Fortschritt ist immer mit Eingriffen in die Naturlandschaft verbunden gewesen.19 Ob diese aber als Umweltschäden angesehen wurden oder nicht, hing eng mit der jeweiligen sozioökonomischen Situation und der Sensibilität der Bevölkerung gegenüber diesem Bereich zusammen. In der vorindustriellen Zeit traten Umweltschäden in wesentlich geringerem Umfange auf und kon­ zentrierten sich durchwegs auf die städtischen Ballungsräume und die protoin­ dustriellen Gewerbe- und Bergbaulandschaften. Dementsprechend gab es nur ein partielles Umweltbewußtsein, das darüber hinaus eindeutig anthropozen19 A. Siebert, Landschaftspflege als Aufga­ be d. Raumordnung. Landsch.-Schäden Landsch.-Schutz (Raumforsch. 25 Jahre Raumforsch, in Dtl.) 1960, 233-248; K. Fehn, Wirtsch.-Entw. u. Umweltbeeinflus­ sung in Mitteleuropa aus hist.-geogr. Sicht

(Wirtsch.-Entw. u. Umweltbeeinflussung, 14.-20. Jh.) 1982, 277-292; Jäger, Einfüh­ rung; Küster (vor § 1); Umweltgesch.; Schenk (Anm. 11); Bergmeier; R. Beck, Ebersberg oder d. Ende d. Wildnis. Eine Landsch.-Gesch., 2003.

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frisch war und keine Ansätze für einen umfassenden Umweltschutz bot. Die natürliche Umwelt, also Klima, Relief, Böden, Wasser, Pflanzen- und Tierwelt, galt als praktisch unbegrenzt belastbar. Wenn dies im Einzelfall einmal nicht zutraf, konnte man meist immer noch in andere nicht so belastete Räume aus­ weichen, wodurch der Zwang zu umweltverbessernden Maßnahmen wesent­ lich geringer wurde. Das 19. und vor allem das 20. Jahrhundert brachte dann die Umwandlung dieser über weite Strecken noch sehr naturnahen zu einer gewerblich-indu­ striell geprägten Landschaft, oder anders ausgedrückt von einer agrarisch bestimm­ ten Kulturlandschaft zu einer urbanisierten Zivilisationslandschaft. Diese Umwand­ lung von Gestalt und Gehalt der Landschaft ist nicht überall und auch nicht immer in demselben Tempo erfolgt. Die Kleinkammerung und die außeror­ dentliche Vielfalt der geographischen Bedingungen in Bayern verhinderten dies. Neben den direkten anthropogenen Maßnahmen, die häufig mit Hilfe von Werkzeugen und Maschinen durchgeführt wurden und deshalb auch gelegent­ lich als technogene Maßnahmen bezeichnet wurden, gab es zahlreiche absicht­ liche oder unabsichtliche anthropogene Veränderungen natürlicher Kräfte. So verur­ sachten zum Beispiel die ausgedehnten Korrektionen an den Flüssen vor allem im 19. Jahrhundert einen schnelleren Abfluß, der wiederum häufigere und schlimmere Hochwässer im Unterlauf und Grundwasserabsenkungen in der Umgebung der Flüsse nach sich zog. Zu diesen sogenannten quasinatürlichen Vorgängen gehörten vor allem die schwerkraftbedingten Materialbewegungen, die flächenhaften Bodenabspülungen und die fluviatile Erosion und Akkumula­ tion. Naturkatastrophen von säkularer Bedeutung haben sich in Bayern wäh­ rend des 19. und 20. Jahrhunderts nicht abgespielt. Zu erwähnen sind aber zahlreiche regionale Schadensereignisse wie zum Beispiel Überschwemmungen, Stürme, Lawinen und Waldbrände. Wesentlich einschneidendere Auswirkun­ gen auf die Bevölkerung und die Kulturlandschaft Bayerns hatten kriegerische Ereignisse, und hier vor allem der Zweite Weltkrieg.20 Obwohl es starke regio­ nale Unterschiede im Grad der Zerstörungen gab, kann die Bedeutung dieser Jahre gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Folgen reichen von dra­ matischen Bevölkerungsverschiebungen durch den Flüchtlingszustrom bis zu markanten Reliefveränderungen, wie zum Beispiel die Aufschüttung des Schuttberges im späteren Olympiagelände in München. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hielt sich die Umweltbelastung durch die Landwirtschaft noch in Grenzen. Sie galt geradezu als das zentrale Element für eine ökonomisch-ökologische Balance zu den Bereichen der Industrie und des Bergbaus. Problemzonen waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber schon die Almböden in den gefährdeten Höhenregionen, die durch Überwei20 Kriegszerstörung u. Wiederaufbau dt. Städte, hg. v. J. Nipper u. M. Nutz (Kölner Geogr. Stud. 57) 1993.



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düng degradiert wurden, und die Ackerflächen in landwirtschaftlichen Mono­ kulturgebieten, die mit ihrer Wirtschaftsweise die Bodenerosion forderten. Hier zeichneten sich schon Entwicklungen ab, die nach dem Zweiten Welt­ krieg weite Agrarräume erfaßten. Viele Parzellen wurden vergrößert, reguliert und planiert; es entstanden normierte großflächige Muster. Die zahlreichen Kleinformen der traditionellen Agrarlandschaft und die nicht intensiv genutz­ ten Zwischenbereiche verschwanden mehr und mehr.21 So verlor ein erheb­ licher Teil des agrarischen Nutzlandes seine ökologische Bedeutung, da sich die Veränderungen in den Bodenverhältnissen und im Wasserhaushalt auch grund­ legend auf die Vegetation und die Tierwelt auswirkten. Im Bereich der Wald­ wirtschaft führte eine ähnliche Entwicklung zu ausgedehnten Produktionsfor­ sten mit ganz einseitigem Baumbestand. Schließlich ist noch darauf hinzuwei­ sen, daß die moderne Landwirtschaft mit bestimmten Methoden auch zur Ver­ schmutzung der Gewässer durch die Einbringung verschiedenartiger Schadstof­ fe nicht unwesentlich beitrug. Trotz dieser Mitverantwortung der Land- und Forstwirtschaft für die Um­ weltschäden und Umweltbelastungen bleibt jedoch unbestritten, daß die mei­ sten negativen Entwicklungen in diesem Bereich der Industrialisierung und Urbanisierung22 zuzuschreiben sind, nämlich durch das Siedlungswachstum mit seinem enormen Verbrauch von Freiflächen und der Produktion von Abfällen; die Errichtung von Industriewerken mit ihren negativen Folgen für Luft- und Wasserqualität; den Abbau von Bodenschätzen mit seinen Eingriffen in das Re­ lief; den Wasserbau mit seinen Schädigungen der natürlichen fließenden und stehenden Gewässer; den Verkehr mit seiner Zerschneidung der Kulturland­ schaft und der Versiegelung ausgedehnter Flächen; den Massentourismus mit seinen gravierenden Uberlasterscheinungen vor allem in den Gebirgsräumen. Was die klimatischen Verhältnisse betrifft, so war die Luftverschmutzung eine der spürbarsten gesundheitsschädlichen Begleiterscheinungen der Industrialisie­ rung. Zu nennen sind auch die Lärmbelastung und die Veränderung des Lokalkli­ mas in den Industrieorten hauptsächlich durch die Vergrößerung der Strah­ lungsreflexion und die sich daraus ergebende Erwärmung.23 21 Th. Gunzelmann, Die Erhaltung d. hist. Kulturlandsch. Angewandte hist. Geogr. d. ländl. Raumes m. Beisp. a. Franken (Bamberger Wirtschaftsgeogr. Arb. 4) 1987; O. Bender, Die Kulturlandsch. am Brotjacklriegel (Vorderer Bayer. Wald) (Veröff. d. Gesch.-Ver. f. d. Lkr. Deggendorf 15) 1994; O. Bender, Landsch.-Entw. im Vor­ deren Bayer. Wald (MFGG 43) 1996, 235257; V. Denzer, Relikte u. persistente Ele­ mente einer ländl. geprägten Kulturlandsch. mit Vorschlägen z. Erhaltung u. meth.-didakt. Aufbereitung am Beispiel v. Waldhu­ fensiedl. im Südwest-Spessart (Mainzer Geogr. Arb. 43) 1996; P. Burggraaff - K.-D.

Kleefeld, Hist. Kulturlandschaften u. Kul­ turlandsch.-Elemente, 1998. 22 W. Krings, Industriearchäologie u. Wirtschaftsgeogr. Z. Erforschung d. Industrie-Landsch. (Erdkunde 35) 1981, 167-174; Bodendenkmalpflege u. Industriekultur (Mat. z. Bodendenkmalpflege im Rheinland 13) 2002. 23 D. Denecke, Interdisziplinäre hist geogr. Umweltforsch.: Klima, Gewässer u. Böden im MA u. d. Frühneuzeit (SAGG 12) 1994, 235-263; Glaser (vor § 1); M. Schmidt, Hochwasser u. Hochwasserschutz in Dtl. vor 1850. Eine Auswertung alter Quellen u. Karten, 2000.

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Das Relief wurde in den Agrarlandschaften hauptsächlich durch die weitgehen­ de Beseitigung der Kleinformen des Ackerlandes wie Wölbäcker, Geländestu­ fen, Steinwälle, Terrassen und Wallhecken verändert. Im Bereich des Bergbaus kam es zu Abtragungen, Auffüllungen, Aufschüttungen und Eintiefungen, alles Maßnahmen, die sich mehr oder minder stark gegen ein deutlicher ausgepräg­ tes Relief richteten. Flächenhafte Abtragungen und Aufschüttungen ergaben sich vor allem auch aus der Anlage von Materialdeponien. Totes Gestein, Schlacken und Abfälle wurden auf Halden geschüttet, wodurch neue konvexe Formen geschaffen wurden. Nicht selten wurden auch Hohlformen in der Landschaft verfüllt. Der Braunkohlentagebau, aber auch die Kies-, Sand-, Lehm- und Tongewinnung waren für viele neue konkave Formen verantwort­ lich. Die Materialbewegungen im Zusammenhang mit dem Landverkehr standen denjenigen durch den Bergbau kaum nach. Zu einer erheblichen Intensivie­ rung der Landschaftsbeanspruchung trugen bei der Eisenbahn34 die Vergrößerung des Kurvenradius, die Anlage des zweiten und dritten Gleises, der Bau der Straßenüberführungen und die Tieferlegung wegen der Elektrifizierung bei. Das Auto setzte dem Straßenbau neue Bedingungen. Die gewichtigsten Verän­ derungen der neuesten Zeit gingen auf Kurvenbegradigung, Spurverbreiterung, Umstellung auf kreuzungsfreien Verkehr, Erweiterung auf vier Fahrbahnen und Reduzierung der Steigungen zurück. Es kam zu Abtragungen meist in Form von Einschnitten, Auffüllungen von Geländeeintiefungen in Form von Dämmen, Halden insbesondere bei Tunnelbauwerken und Hohlformen. Für die Großschiffahrtsstraßen und die künstlichen Seen waren ebenfalls umfangrei­ che Erdbewegungen nötig. Der Anteil des Fremdenverkehrs an der Umgestal­ tung des Reliefs hat erst in den letzten Jahrzehnten sprunghaft zugenommen. Parkplätze, Bergbahnen, Skipisten und andere Elemente der Infrastruktur für die Freiraumaktivitäten erforderten immer einschneidendere Eingriffe in die Landschaftsgestalt. Lange Zeit glaubte man, daß das Wasser kein so hochwertiges Gut sei wie der land- und forstwirtschaftliche Boden und es nur darum ginge, die Quellen und Zuleitungen zu sichern. Um die Abwässer kümmerte man sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nur wenig. Außerdem erkannte man zunächst die Neben­ wirkungen von Flußbegradigungen und Entsumpfungen auf das Grundwasser nicht, obwohl der Landschaftshaushalt gerade durch Veränderungen im Grund­ wasserbereich am meisten beeinträchtigt wurde. Die Abwässer der Industrie, des Bergbaus, der großen Siedlungen und der Landwirtschaft brachten dann vor allem im 20. Jahrhundert so viele Schadstoffe in die Fließgewässer, daß vie­ le von ihnen ökologisch mehr oder minder abstarben. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die natürlichen Lebensräume fast aller Pflanzen und Tierarten entscheidend verändert. Teils handelte es sich dabei um24 24 Sauer, Geplante Bahnen (vor § 1).

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direkte Eingriffe, teils um ungewollte Folgen von Maßnahmen in den verschie­ densten Bereichen der Wirtschaft. Ebenso wie die natürliche Fauna wurde auch die nichtgezüchtete und nichtkultivierte Vegetation weitgehend verdrängt oder in ihrer Verbreitung gehindert. Die Einteilung in nützliche und schädli­ che Pflanzen bedeutete für viele Arten das Todesurteil. Die Biodiversität wurde dadurch ebenso verringert wie das Funktionieren von Ökosystemen wesentlich erschwert. Die natürlichen Lebensräume fast aller Pflanzen und Tiere wurden entscheidend verändert. Viele Pflanzen und Tiere sind ausgerottet worden oder gerieten zumindest auf die Rote Liste der bedrohten Arten. Die zunehmende Schädigung der Vegetation und Tierwelt, die Verschlechte­ rung des Wasserhaushalts sowie die negative Veränderung des Lokalklimas wa­ ren neben den einschneidenden Veränderungen der Oberfläche die Haupt­ gründe für das Aufkommen verschiedener Gegenmaßnahmen.25 26 Diese waren schon in der Zwischenkriegszeit vereinzelt theoretisch zu einer umfassenden Landespflege vereinigt, faktisch bildeten sie aber noch unterschiedliche Berei­ che. Ganz allgemein war eine zunehmende Bereitschaft der verantwortlichen Stellen festzustellen, bei der Raumordnung auch die Belange der Landespflege zu berücksichtigen. Dies wirkte sich konkret aber nur in wenigen Bereichen aus. Die Rekultivierungsmaßnahmen nach der Gewinnung von Bodenschätzen im Tagebauverfahren wurden zwar verbessert; trotz dieser Maßnahmen ver­ stärkten sich aber zunächst die Landschaftsschäden durch den gesteigerten Ab­ bau. Was die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung betrifft, so gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nur in ganz wenigen Städten biologische Kläranlagen mit ausreichender Reinigungswirkung und gute Wasserversor­ gungseinrichtungen. Die Gewässerverschmutzung und die Belastung des Grundwassers nahmen deshalb zu. Die ersten durchgreifenden Gegenmaßnahmen erfolgten in den großen Städ­ ten, was zur Folge hatte, daß die hygienischen Verhältnisse in kleineren Städ­ ten oft schlechter waren als in den großen. Wichtige Maßnahmen im Bereich der Landespflege waren auch die Anlage von Grünzonen in den Städten und die Erschließung von Erholungsgebieten, wobei die nach dem Zweiten Welt­ krieg auftretenden Konflikte zwischen Fremdenverkehr und Naturschutz wegen der noch wesentlich geringeren Dimension des Fremdenverkehrs zu­ nächst keine größere Rolle spielten. Schließlich sollte auch die Sanierung unge­ eigneter Wohngebiete und Einzelwohnungen der Verbesserung der mensch­ lichen Umwelt dienen. Der geringe Umfang der tatsächlich durchgeführten Sa­ nierungen, die über hygienische Verbesserungen wie zum Beispiel den Ersatz 25 W. Zorn, Idee u. Erscheinungsformen d. Landschaftsschutzes aus soz. u. wirtsch.hist. Sicht (Kulturlandsch. in Gefahr) 1976, 23—35; H. Frei, Wandel u. Erhaltung d. Kulturlandsch. Beitrr. d. Geogr. z. kulturel­ len Umweltschutz (BdL 57) 1983, 277-291; Kulturlandsch.-Pflege; Th. Gunzelmann -

W. Schenk, Kulturlandsch.-Pflege im Span­ nungsfeld v. Denkmalpflege, Naturschutz u. Raumordnung (Informationen z. Raumentw. 1999 H. 5/6) 1999, 347-360; Die Zukunft d. Kulturlandsch.; Hist. Kulturlandsch. u. ländl. Entw. in Bayern (Mat. z. ländl. Entw. 39) 2001; Schenk (Anm. 13).

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veralteter Toiletten hinausgingen und zu Neu- oder zumindest Umbauten führ­ ten, ist hauptsächlich auf die große Wohnungsnot zurückzufiihren, die es den verantwortlichen Stellen ratsamer erscheinen ließ, sanierungsbedürftige Woh­ nungen zu erhalten als die Zahl der Wohnräume durch Abriß zu verringern. Die Umweltprobleme haben sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts erheb­ lich verschärft. Es gilt für die Zukunft, die freien Flächen weniger zu beanspru­ chen, ökologisch wertvolle Bereiche zu erhalten, neue Flächen für den Natur­ schutz und die Landschaftspflege zur Verfügung zu stellen und eine umfassende Kulturlandschaftspflege zu betreiben. Erfreulicherweise ist diese als Quer­ schnittsaufgabe der Raumordnung 1998 anerkannt worden. Dies war vor allem deshalb unbedingt nötig, da sehr bald vor allem in den höheren Mittelgebirgs­ regionen große landwirtschaftliche Flächen aus der Nutzung herausfallen wer­ den. In dieser Situation sind Entwicklungskonzepte vonnöten, die ökonomi­ sche mit ökologischen und kulturhistorischen Konzepten verbinden. Die Dis­ kussion darüber, inwieweit in Zukunft in bestimmten Gegenden die Bauern nicht mehr Produzenten von landwirtschaftlichen Gütern, sondern primär Kul­ turlandschaftspfleger sein sollen, ist noch nicht abgeschlossen. Die Kulturlandschaftspflege ist ein Konzept zur nachhaltigen Regionalentwick­ lung, die gegen die Zerstörung der historischen Substanz in der Kulturland­ schaft, die Zerstörung von Biodiversität, den Verlust des Quellen- und Bil­ dungswertes der gewachsenen Kulturlandschaft, die Verarmung in ästhetischer und erlebnisorientierter Sicht und das Verschwinden von Identifikationsmög­ lichkeiten angeht. In Bayern werden neuerdings in speziellen Kulturland­ schaftspflegeprogrammen für die einzelnen Regionen unterschiedliche Ent­ wicklungskonzepte erarbeitet. Einerseits breiten sich in den agrarischen Gunst­ räumen die produktionsoptimierten Landschaften ohne größere ökologische Werte aus und andererseits zieht sich die Landwirtschaft aus den Peripherräumen zurück und überläßt die Flächen häufig der natürlichen Sukzession. Die vielfältig differenzierte Agrarlandschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die heute als traditionelle Kulturlandschaft geschätzt wird, war auch unter ökologi­ schen Gesichtspunkten günstiger als die an sich standortgerechte Waldland­ schaft, die sich dann wieder einstellen würde, wenn man die wüstfallenden Ge­ biete der Sukzession überließe. Sowohl die Flurbereinigung als auch der Na­ turschutz befinden sich so betrachtet in einem wichtigen Prozeß der Neubesin­ nung auf die spezifischen Werte der gewachsenen Kulturlandschaften. Die Erhaltung von Regionalität und Historizität sind ebenso wichtige Ziele wie die Sicherstellung der ökologisch funktionsfähigen Umwelt und die Be­ wahrung des ästhetisch anspruchsvollen Landschaftsbildes.26 Alle diese Gesichts26 D. Denecke, Hist. Umwelt u. Altlandsch. im Freilandmus. Hist.-geogr. Forsch, u. Betrachtungsansätze in d. Kon­ zeption d. opf. Freilandmuseums NeusathPerschen (Freilandmuseen - Kulturlandsch.

- Naturschutz = Laufener Seminarbeitrr. 5/92) 1992, 9-17; G. Ongyerth, Kultur­ landsch. Würmtal. Modellversuch «Land­ schaftsmuseum» z. Erfassung u. Erhaltung hist. Kulturlandsch.-Elemente im Oberen

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punkte sind als Staatsziele in die bayerische Verfassung aufgenommen worden. Bedauerlicherweise hat ja das bisherige Naturschutzrecht den weiteren Arten­ rückgang ebensowenig wie den Flächenverbrauch oder die Nivellierung des Landschaftsbildes verhindern können. Dies hing ganz wesentlich damit zusam­ men, daß über lange Zeit sich die Bemühungen nur auf den Schutz von Reser­ vaten richteten und nicht als Querschnittsaufgabe der Raumordnung die ge­ samte genutzte Fläche im Außenbereich, aber auch im Innenbereich der Sied­ lungen erfaßten. d) Kulturlandschaftsentwicklung. In Bayern wechselten vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs die Lebensbedingungen von Kleinraum zu Kleinraum.27 Die Spann­ weite der landwirtschaftlichen Betriebsformen reichte von den Intensivkulturen des Oberrheingebiets und des Knoblauchlandes bei Nürnberg bis zu der archa­ ischen Birkenwaldwirtschaft in Teilen des Bayerischen Waldes. Typisch waren kleinere Ballungsgebiete um einzelne Städte; industriell geprägte Landschaften spielten nur in der Pfalz und in Oberfranken eine größere Rolle. Das Alpen­ vorland und der deutsche Anteil an den Alpen wurden zu den wichtigsten deutschen Fremdenverkehrsgebieten gezählt. Das alles überragende städtische Zentrum war München, das zu der Gruppe bedeutender mitteleuropäischer Städte gehörte, die hinter den Metropolen Berlin und Wien rangierten. Was den Gesamtraum Mitteleuropa betrifft, so hatte sich aufbauend auf älteren Strukturen ein komplexes Geflecht zentral-peripherer Differenzierungen her­ ausgebildet. Dieses stellte sich in Bayern besonders kleinteilig dar. Wesentliche Bestandteile waren die vielen mittleren und kleineren Städte und Märkte, die ein dichtes Netz bildeten. Die Agrarräume waren außerordentlich vielgestaltig; dementsprechend gab es auch zahlreiche verschiedene Siedlungsmuster. Sie reichten zum Beispiel von den Einzelhofgegenden im niederbayerischen Tertiärhügelland über die Dorf­ landschaften in den Gäulandschaften an der Donau bis zur Gebirgsumrahmung des böhmischen Beckens mit seinen Waldhufendörfern. Ähnlich vielgestaltig war das Flur- und Hausformenbild. Die Siedlungsräume wurden aber noch bunter durch die städtischen und industriellen Elemente sowie die Phänomene des Fremdenverkehrs, die entweder ganz allein den Siedlungsraum bestimmten oder, was wesentlich häufiger vorkam, in vielfältiger Weise die AgrarlandschafWürmtal (Arbeitshefte d. BLD 74) 1995; Biosphärenreservate in Dtl. Leitlinien f. Schutz, Pflege u. Entw., 1995; Kulturlandsch., Museum, Identität., hg. v. R. Au­ ng, 1999; Oberschönenfeld. Kloster u. Mu­ seum, hg. v. H. Frei (Schriftenreihe d. Mu­ seen d. Bezirks Schwaben 31) 2002. 27 W. Christaller, Die ländl. Siedl Weise im Dt. Reich u. ihre Beziehungen z. Gern.-Organisation (Einzelschrr. d. Kommunalwiss. Inst. d. Univ. Berlin 8) 1937; H.

Fehn, Mittlerer Süden (§ 1 Anm. 13); Müller (§ 1 Anm. 14); E. Otremba, Die dt. Agrar-Landsch. (Erdkundl. Wissen 3) 1936; H. Bleibrunner, Der Einfluß d. Kir­ che auf d. ndbayer. Kulturlandsch. (MGGM 36) 1951, 7-196; Räuml. Grundlagen u. zeitl. Entw.: Landsch. u. Siedl. (Bauernhäu­ ser in Bayern. Dokumentation nach Rbez.; Überblicksdarst.) 1995; Leben u. Arbeiten im Industriezeitalter, 1985.

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ten umgestalteten und gewerblich-agrarische Mischgebiete hervorriefen. Es gab mit industriellen Klein- und Mittelbetrieben durchsetzte Agrarlandschaften ohne bäuerliche Strukturen, arbeiterbäuerliche Randzonen von Industriegebie­ ten, Randzonen von Industriegebieten mit einem Nebeneinander von bäuer­ lichen Betrieben und Arbeitersiedlungen sowie gewerblich-agrarische Mischge­ biete mit geringer industrieller Konzentration und kleinbäuerlichen Strukturen vor allem in den Mittelgebirgen.28 Die physiognomischen und strukturellen Folgen dieser unterschiedlichen Durchmischung von landwirtschaftlicher und nichtlandwirtschaftlicher Bevölkerung waren sehr vielgestaltig. Durch konse­ quente Waldschutzpolitik war Bayern zu einem waldreichen Land geworden. Dabei hatte der Nadelwald zuungunsten des Laubwaldes und der Hochwald zuungunsten des Mittel- und Niederwaldes stark zugenommen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde eine Fülle von raum­ relevanten gesetzlichen Bestimmungen erlassen.29 Was die Kulturlandschafts­ entwicklung betrifft, war das Ziel der NS-Raumordnung unmittelbar vor dem Krieg die Aufteilung des «deutschen Raumes» auf die vier «Typen der neuen Ordnung»: «i. Die bäuerliche Landschaft. 2. Die gemischt-industrielle Land­ schaft. 3. Die Industrielandschaft. 4. Die Großstadt ohne Industrie.» Die «ge­ mischt-industrielle Landschaft» sollte weder größere Städte mit über 10000 Einwohnern noch größere Betriebe aufweisen, sondern durch ein gut aufeinan­ der abgestimmtes System von landwirtschaftlichen Betrieben, handwerklichen und gewerblichen Betrieben und kleineren auf die Bedürfnisse des Raumes orientierten Industriebetrieben charakterisiert sein. Die Großstädte sollten pri­ mär politische, administrative und kulturelle Zentren sein und darüber hinaus Dienstleistungsaufgaben wahrnehmen, aber keine größeren Industriebetriebe mit den dazugehörigen Arbeitermassen beherbergen. Neben den agrarischen Gunsträumen und den industriellen Ballungsgebieten gab es in der Zwischenkriegszeit unterentwickelte Räume, die in der NS-Zeit als «Notstands- oder Rückstandsgebiete» bezeichnet wurden.30 Diese waren im einzelnen sehr verschieden. Die Raumordnung des Dritten Reiches unterschied zwischen den strukturellen Notstandsgebieten, die sie als Notstandsgebiete im engeren Sinne bezeichnete, und den konjunkturellen Notstandsgebieten, die zum Beispiel durch die Einseitigkeit ihrer wirtschaftlichen Struktur besonders krisenempfmdlich waren. Strukturelle Notstandsgebiete waren die sogenannte Bayerische Ostmark mit den ostbayerischen Grenzgebirgen, große Teile des ländlichen Mittelfrankens mit seinen schlechten Böden sowie die Rhön. Ob­ 2K E. Scheu, Die dt. Mittelgebirge. Bezie­ hungen d. Wirtschaftsstruktur z. Siedl.Raum (GR 11) 1959, 103-uo; D. Denecke, Siedl.-Entw. u. wirtschaftl. Erschließung d. höheren Mittelgebirge in Dtl. (SAGG 10) 1992, 9-47. 29 Bayern im ersten Vierjahresplan, 1937; Bauen im Nationalsoz. Bayern 1933-1945

(Ausst.-Kat. d. Architekturmuseums d. TU München u. d. Münchner Stadtmuseums 9) •993; Gies, Reagrarisierung; Lanzinner. 30 K. Fehn, «Ballungsräume» u. «Not­ standsgebiete». Kernräume u. Peripherien in d. nationalsozialist. Raumordnung (SAGG 22) 2004, 119-143; Naturschutz u. National­ soz., hg. v. J. Radkau u. F. Uekötter, 2003.

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wohl die meisten der übrigen Landschaften nicht als Notstandsgebiete bezeich­ net werden konnten, darf doch nicht übersehen werden, daß es noch zahlrei­ che kleinere Bezirke gab, die entwicklungsbedürftig waren. Um die Kontraste zwischen den Wachstumsregionen, die in der NS-Zeit auch als «Wohlstandsre­ gionen» bezeichnet wurden, und den landwirtschaftlichen Stagnations- und Abwanderungsgebieten nicht noch größer werden zu lassen, wurden für einige Gebiete schon bald nach der Machtübernahme regionale Förderpläne aufge­ stellt. Für Bayern sind hier besonders die Programme für die Rhön und die Bayerische Ostmark zu nennen. Für die Rhön standen Landeskultivierungs­ maßnahmen im Vordergrund. Für die Bayerische Ostmark erhoffte man sich eine Besserung der Lebensverhältnisse vor allem vom Ausbau des Fremdenver­ kehrs. Erfreulicherweise ist die Umwandlung von Gestalt und Inhalt der Landschaft nicht überall gleichermaßen radikal erfolgt.3' Deshalb gibt es auch heute noch Zeugnisse für die verschiedenartigen Stadien der Kulturlandschaftsentwicklung und auch noch manche relativ naturnahen Gebiete. Die fach- und institutio­ nenübergreifende Kulturlandschaftspflege, die weit über die bisherigen Akti­ vitäten der Denkmalpflege und des Naturschutzes hinausgreift, ist sowohl auf den Schutz einiger besonders wertvoller Kulturlandschaften als auch auf die kontinuierliche Berücksichtigung der kulturhistorischen wie auch ökologischen Werte in allen Kulturlandschaften ganz allgemein ausgerichtet. Unter dem Gesichtspunkt der Kulturlandschaftsentwicklung läßt sich die Nachkriegszeit in folgende Perioden gliedern: 1945 bis 1948, 1949 bis 1956, 1957 bis 1968, 1969 bis 1981, 1982 bis 1989 und 1990 bis zur Gegenwart.31 32 Die erste Phase von 1945 bis 1948 stand noch ganz eindeutig unter dem Einfluß des Krieges; es kam darauf an, wenigstens die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Es folgte die Phase des «Wirtschaftswunders» von 1949 bis 1956 mit einem welt­ weit anerkannten Wiederaufbau. Von entscheidender Bedeutung für die Ge­ staltung der Kulturlandschaft insgesamt wurde die dritte Phase von 1957 bis 1968. Es kam zu fast alle Räume erfassenden Umformungen, die die spezifi­ schen Charakterzüge der Landschaften erheblich schädigten und der städtisch geprägten Zersiedlung großen Vorschub leisteten. Trotzdem blieben noch viel­ fältige Unterschiede erhalten, an die spätere Aktivitäten anknüpfen konnten. Trotz mancher Bemühungen blieb die Großgliederung in Ballungsräume und Peripherräume nicht nur bestehen, sondern sie verstärkte sich sogar zunächst noch. In der vierten Phase von 1969 bis 1981 setzte sich allmählich eine kriti­ schere Betrachtungsweise gegenüber dem schrankenlosen Verbrauch von Frei­ land und Umweltressourcen durch. Erst in der fünften Phase von 1982 bis 1989 31 Lendl, Kulturlandsch.; A. Dix, Vorin­ dustrielle Kulturlandsch. Leitlinien ihrer hist. Entw. (Die Veränderung d. Kultur­ landsch. Nutzungen - Sichtweisen - Plan) 2003, 11-31.

32 Lanzinner; P. Erker, Industriewirt­ schaft u. reg. Wandel. Überlegungen z. ei­ ner Wirtschafts-Gesch. Bayerns 1945-1995 (Landesgesch. u. Zeitgesch.) 1997, 41-51; Bayern im Bund.

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rückte jedoch die gesamte Kulturlandschaft mit ihren historischen und ökologi­ schen Aspekten in das Blickfeld. Die neuesten Entwicklungstendenzen nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges wirkten sich ab 1990 vor allem in den Randgebieten zur damaligen DDR und zu Tschechien aus, wo sich die Rahmenbedingungen grundlegend änderten.

§ 4. DIE SIEDLUNGSRAUMTYPEN

Bayerns Bauern - Landwirtsch. u. Landsch. im Wandel, bearb. v. L. Gaul, 1995; Bergbau- u. Industrie-Landsch. unter bes. Berücks. v. Steinkohlenbergbau u. Eisen- u. Stahlindustrie, hg. v. K. Fehn u. H.-W. Wehling, 1999; M. Born, Die Entw. d. dt. Agrarlandsch. (Ertr. d. For­ schung 29) 1974; K. Fehn, Singuläre u. periodische Großveranstaltungen in ihrer Auswir­ kung auf d. hist. Kulturlandsch. (SAGG 21) 2003, 7-26; A. Gall, «Gute Straßen bis ins kleinste Dorf». Verkehrspol. u. Landesplanung 1945-1976 (Bayern im Bund 1) 119-204; Hist. Kulturlandsch. (Ländl. Entw. in Bayern. Materialien 39) 2001; M. Krapf, Entw. u. Ver­ waltung bayer. Städte zw. 1870 u. 1914 (SchbLG 115) 1998; J.-M. Kresse, Die Industrie­ standorte in mitteleurop. Großstädten. Überbl. anhand d. Beisp. Berlin sowie Bremen, Frankfurt, Hamburg, München, Nürnberg u. Wien (Berliner Geogr. Studien 3) 1977; Kul­ turlandsch. u. Tourismus, hg. v. H.-R. Egli (Geographica Bernensia G 63) 2000; M. Megele, Baugeschichtl. Atlas d. Landeshauptstadt München (Neue Schriftenreihe d. Stadtarch. Mün­ chen 3, 7, 10) 1951/56/60; H.-W. Prahl - A. Steinecke, Der Millionen-Urlaub. Von d. Bil­ dungsreise z. totalen Freizeit, 1979; H.-R. Ruppert, Räuml. Strukturen u. Orientierung d. Industrie in Bayern (FdL 218) 1981; W. Schenk, Religion u. Kulturlandsch. Annäherungen an ein dialektisches Prozeßfeld aus hist.-geogr. Perspektive (SAGG 20) 2002, 9-24; P. Schöller, Die dt. Städte (Erdkundl. Wissen 17) 1967; U. Troitzsch, Die technikgesch. Entw. d. Verkehrsmittel u. ihr Einfluß a. d. Gestaltung d. Kulturlandsch. (SAGG 4) 1986, 127-143; H.-G. Zimpel, Verkehr (Bayern = Dt. Plan.-Atlas V) 1968.

a) Ländliche Räume. Leitziele der bayerischen Agrarwirtschaft waren im Indu­ striezeitalter bis zur Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts eindeutig die Ertragssteigerung und die Qualitätsverbesserung.1 Die technischen und wissen­ schaftlichen Errungenschaften bewirkten einen deutlichen Wandel der land­ wirtschaftlichen Betriebs- und Produktionsstruktur, was wiederum zu nachhal­ tigen Veränderungen des Erscheinungsbildes der Agrarlandschaft und der länd­ lichen Siedlungen führte. Dieser Wandel verlief allerdings nicht gleichförmig, sondern war abhängig von den verschiedenen naturräumlichen Gegebenheiten, den historisch bedingten Unterschieden in der Raumstruktur sowie der Lage zu den Absatzmärkten und Innovationszentren. Das 19. Jahrhundert kann in bezug auf die Agrarwirtschaft in Deutschland durch drei Hauptaktivitäten gekennzeichnet werden: Meliorationen, Flurbereinigun­ gen und Aufforstungen. Was Bayern betrifft, so haben weder die Meliorationen noch die Flurbereinigungen eine überragende Bedeutung in diesem Zeitraum gehabt. Die Aufforstungen waren dagegen ein wichtiger Faktor.2 Hierdurch 1 Bauern in Bayern von d. Römerzeit bis z. Gegenwart, 1992; H. Jäger, Der agrarlandschaftl. Umbau d. 19. Jhs. (Ufr. im 19. Jh.) 1965, 210-243; Born, Agrar-Landsch.

2 W. Schenk, Waldnutzung, Waldzustand u. regionale Entw. in vorindustrieller Zeit im mittl. Dtl. (Erdkundl. Wissen 117) 1996; Aufbau u. Auswertung «Langer Reihen» zur



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wurden umfangreiche Heide- und Niederwaldflächen in Hochwald umgewan­ delt, der primär der Bauholzgewinnung dienen sollte. Erst viel später erkannte man die Problematik der forstlichen Monokulturen, was im 20. Jahrhundert zu Gegenmaßnahmen führte. Der Übergang von der Dreifelderwirtschaft zur Fruchtwechselwirtschaft, aber noch mehr die Aufgabe älterer Wechselwirtschaftsformen wie der Waldweidewirtschaft, der Waldfeldwirtschaft und der Feldweidewirtschaft wirkte sich sehr stark auf die Form und Funktion der vie­ len Kleinelemente im Gelände aus.3 Viele von ihnen wurden beseitigt, da sie für die neuen Wirtschaftsweisen hinderlich oder zumindest entbehrlich waren. An einigen Standorten bildeten sich Sonderkulturengebiete heraus, wobei es sich häufig um Konzentrationen von älteren wesentlich ausgedehnteren Ver­ breitungsgebieten handelte.4 Zu nennen sind zum Beispiel die Hopfenanbauge­ biete in der niederbayerischen Hallertau und im mittelfränkischen Spalter Raum. Eine wichtige technische Innovation stellten auch die Bewässerungswie­ sen dar, die sich im 19. Jahrhundert in den Mittelgebirgstälern stark ausdehnten. Die ländlichen Siedlungen veränderten sich während des 19. Jahrhunderts auch im Ortsbild grundlegend.3 Im frühen 19. Jahrhundert wurden zahlreiche Neuund Umbauten durchgeführt. Die Fachwerkkonstruktionen und die StrohdäErforsch. v. hist. Waldzuständen u. Waldentw., Hg. ders. (Tübinger geogr. Studien 125) 1999; R. Bärnthol, Nieder- u. Mittel­ wald. Waldwirtschaftsformen aus d. MA (Schrr. u. Kat. d. Fränk. Freilandmus. 40) 2003. 3 Ch. Borcherdt, Das Acker-GrünlandVerhältnis in Bayern. Wandlungen im Lauf eines Jhs. (Münchner Geogr. He. 12) 1957; Ch. Borcherdt, Fruchtfolgesysteme u. Marktorientierung als gestaltende Kräfte d. Agrar-Landsch. in Bayern (Arb. aus d. Geogr. Inst. d. Univ. d. Saarlandes 5) 1960; H. Bergmeier, «Wie sie Einödinen gemachet». Vereinödung im Kemptener Raum (Berichte aus d. Flurbereinigung 56) 1986; Dix (§ 3 Anm. 31); Born, Agrarlandsch.; H. Magel, Flurbereinigung u. Plan. Zur Entw. d. Plan.Ziele u. d. Plan.-Verständnisses d. bayer. Flurbereinigung (100 Jahre Flurbereinigung in Bayern 1886-1986) 1986, 99-116; H. Böhm, Die Wiesenbewässerung in Mitteleu­ ropa 1937. Anm. zu einer Karte v. C. Troll (Erdkunde 44) 1990, 1-10; W. Schenk, Die Fruchtfolgeverhältnisse auf d. mfr. Ackerland in d. letzten beiden Jh. als landschaftl. Wider­ spiegelung agrarisch. Entw.-Phasen (Franken­ land 44) 1992, 64-73; St. Breit - M.WillerGabriel, Landwirtsch. im Priental. Agrarwirtsch. in d. Herrschaft Hohenaschau bis 1850 - Landwirtsch. im Priental seit 1850 (Chronik Aschau i. Ch. Quellenbd. 13) 2001.

4 K. Ruppert, Die Bedeutung d. Wein­ baus u. seiner Nachfolgekulturen f. d. sozialgeogr. Differenzierung d. Agrar-Landsch. in Bayern (Münchner Geogr. H. 19) 1960; W. Weber, Die Entw. d. nördl. Weinbaugrenze in Europa (FdL 216) 1980; W. Schenk, 1200 Jahre Weinbau in Franken. Eine Zusammenschau aus geogr. Sicht (Würzb. Geogr. Arb. 89) 1994, 179-201; K. Ruppert, Spalt (Münchner Geogr. He. 14), 1958; Ch. Pinzl, Die Hopfenregion. Hopfenanbau in d. Hal­ lertau. Eine Kulturgesch. (Schriftenreihe d. Dt. Hopfenmuseums Wolnzach 3) 2002. 5 Christaller (§ 3 Anm. 27); U. Pietrusky, Raumdifferenzierende bevölkerungs- u. sozialgeogr. Strukturen u. Prozesse im ländl. Raum Ost-Ndb. seit d. frühen 19. Jh. (Münchner Geogr. Abh. 21) 1977; U. Pietrusky, Ndb. im 19. Jh. Eine hist.-gcogr. Analyse z. Sozialstruktur, 1987; H.-P. Schäfer, Siedl.-geogr. Aspekte mainfränk. Kulturlandsch.-Entw. nach 1800 (FS für Helmutjäger) 1983, 265-285; Th. Gunzelmann, Hemmendorf im Itzgrund: Ein Bei­ spiel ländl. Siedl.-Plan. d. 19. Jhs. (Jb. d. Coburger Landesstiftung 30) 1985, 223-230; G. Waldemer, Von «Sonnenbau» u. «Gebirgsstyl». Zur Gesch. d. ländl. Bauwesens in Obb. v. 1800-1850 (Schönere Heimat 75) 1986, 429-434; Krings (§ 3 Anm. 2).

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eher wurden aus feuerpolizeilichen Gründen zugunsten von Steinbauten und Ziegeldächern zurückgedrängt. Der Wohnstandard blieb meist bescheiden, auch wenn die Fassade nicht selten anspruchsvoll erneuert wurde. Im Gegen­ satz dazu wurden die Wirtschaftsgebäude beziehungsweise die Wirtschaftsteile häufiger den neuen Gegebenheiten angepaßt. Von größerer Bedeutung für die dörflichen Strukturen wurde die erhebliche Zunahme an Anwesen von klein­ bäuerlichen und nichtbäuerlichen Bevölkerungsschichten. Das ländliche Ge­ werbe und das Handwerk gewannen zusehends an Bedeutung. Hierdurch ent­ standen Nebenerwerbsmöglichkeiten, was bei den Besitzverhältnissen in den meisten ländlichen Siedlungen unbedingt nötig war. Immerhin mußten 1882 fast zwei Drittel aller Anwesen in Bayern mit weniger als 5 ha Grundbesitz aus­ kommen. Bedeutsam waren auch die vielen Verdienstmöglichkeiten durch Sai­ sonarbeiten zum Beispiel bei der Getreide- oder Kartoffelernte, beim Hopfen­ pflücken oder beim Torfstechen sowie durch Tätigkeiten außerhalb des Hei­ matortes als Fuhrleute oder Hausierer. In manchen strukturschwachen Gebie­ ten konnte sich der Fortschritt in dieser Zeit noch nicht ausbreiten; in nicht wenigen Fällen dauerte es bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, bis sich dort Wesentliches veränderte. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert hatte großen Anteil an der Verdichtung der großen Dörfer mit unregelmäßigem Grundriß. Die Dorfränder veränderten sich ebenfalls nicht selten durch Angliederungen und Ausbauten verschiedener Art. In den Realteilungsgebieten kam es oft zu einer bedenklichen Flurzersplit­ terung, woran die Wohn- und Wirtschaftsgebäude häufig nicht genügend an­ gepaßt werden konnten. Insgesamt ist eine gewisse Vereinheitlichung der länd­ lichen Bauten festzuhalten, wobei aber die großräumigen regionalen Unter­ schiede nach wie vor erhalten blieben. In vielen Siedlungen waren städtische Einflüsse feststellbar; dies gilt besonders für die Gemeinbedarfseinrichtungen, die nun dort in großer Zahl errichtet wurden: Kirchen, Schulgebäude, Häuser für die Gemeindeverwaltung etc. In der Zwischenkriegszeit änderten sich die ländlichen Räume in Bayern weniger intensiv als im 19. Jahrhundert. In den zwanziger Jahren entstanden vor allem relativ zahlreiche kleinere Häuser für Landarbeiter, zentrale Wirtschaftsgebäude wie Lagerhäuser, Sportanlagen und Versorgungseinrichtungen. Die peripheren Räume profitierten nur in sehr ge­ ringem Umfange von den wirtschaftlichen Fortschritten, wodurch sie mehr und mehr zu Notstandsgebieten wurden. Trotz der Einrichtung von Landar­ beiterwohnungen konnte die Landflucht nicht gestoppt werden; diese nahm im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung und der damit verbundenen Vollbe­ schäftigung immer bedrohlichere Formen an. Überraschenderweise erreichte trotz des großen ideologischen Aufwandes die Siedlungstätigkeit im Dritten Reich nicht das Ausmaß wie in der Weimarer Re­ publik.6 Die nationalsozialistische Siedlungspolitik stellte in den Mittelpunkt 6 K. Fehn, Die Siedl.-Politik im «Dritten Reich» (Anthropologie im Spannungsfeld

zw. Wiss. u. Politik) 1992, 33-57; Ders., Zentralismus u. Regionalismus in d. natio-



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ihrer Planungen den Erbhof, der eine Größe von mindestens 7,5 ha und höch­ stens 125 ha haben sollte. Als Maßnahmen waren die Kultivierung und Besied­ lung von Neuland und die sogenannte Anliegersiedlung, also die Vergrößerung von bestehenden Betrieben durch die Erschließung von Land vorgesehen. Die Siedlungstätigkeit nahm jedoch ab 1936 stetig ab und kam ab 1940 im «Alt­ reich» und damit auch in Bayern praktisch zum Erliegen. Einige Neusiedlungs­ maßnahmen standen im Zusammenhang mit der Anlage von Straßen, Industrie­ werken und Militärbauten ab 1936; die abgesiedelten Bewohner sollten dem Bauerntum nicht verlorengehen. Ein erheblicher Teil der Planungen konnte wegen des Krieges nicht mehr abgeschlossen werden; der Stand der Vorberei­ tungen bei Kriegsende reichte vom bloßen Landkauf über abgeschlossene Me­ liorationsarbeiten bis zu halbfertigen Bauten. Nach 1939 wurden im Altreich nur noch diejenigen Arbeiten fortgeführt, die einen kurzfristigen Ertrag ver­ sprachen. Damit entfielen alle zeitaufwendigen vorbereitenden Maßnahmen. Theoretische Überlegungen über die Vor- und Nachteile der Siedlungs- oder Hofform haben vor dem Dritten Reich keine große Rolle gespielt; es wurde im wesentlichen nach betriebswirtschaftlichen Erfordernissen gesiedelt. In der NSZeit wurde zunächst das geschlossene Dorf eindeutig favorisiert, da es den «nachbarschaftlichen Zusammenhalt der Volksgemeinschaft» fördere und die «Verschandelung» und «Verödung» der Landschaft verhindere. Später traten dann allmählich die ökonomischen Gesichtspunkte in den Vordergrund, die für Einzelhöfe oder zumindest für aufgelockerte Reihensiedlungen sprachen. Wichtig ist die Feststellung, daß in Bayern wie im ganzen süd- und westdeut­ schen Gebiet bei weitem nicht so viele Siedlungsneugründungen wie im Osten Deutschlands oder in Schleswig-Holstein erfolgt sind. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden neue Siedlungen nur in besonders geförderten wirtschaftlich wichtigen Räumen. Trotz intensi­ ver Anstrengungen, möglichst viele heimatvertriebene Bauern wieder auf dem Lande anzusiedeln, war der Erfolg nur relativ gering. Dies lag einerseits daran, daß nicht genügend kultivierungsfähiges Neuland außerhalb der Wälder zur Verfügung stand, die Wälder selbst aber, von Ausnahmen abgesehen, nicht ge­ rodet wurden. Andererseits waren auch die Ansprüche der Einheimischen zu befriedigen, deren landwirtschaftliche Betriebe häufig zu klein waren und die deshalb auf eine Vergrößerung im Wege der Anliegersiedlung größten Wert legten. Schließlich mußte auch Land für Wohnsiedlung und Kleingärten zur Verfügung gestellt werden. Die Waldfläche verkleinerte sich zwar insgesamt durch viele kleine Rodungen nicht unerheblich; größere geschlossene Waldge­ biete gingen aber nur dort verloren, wo der Wald schon völlig verwüstet war. nalsozialist. Siedl.-Politik 1939-1945 (Dtl. u. Europa. Hist., polit. u. geogr. Aspekte = Colloquium Geographicum 24) 1997, 133145; Ders., Rückblick auf d. «nationalsozialist. Kulturlandsch.». Unter bes. Berücks. d.

völkisch-rassistischen Mißbrauches von Kul­ turlandsch.-Pflege (Erhaltung u. Entw. ge­ wachsener Kulturlandschn. als Auftrag d. Raumordnung = Info. z. Raumentw. 1999, H5/6) 1999, 279-290.

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Auf die ganz allgemein schwerwiegende Schädigung der forstwirtschaftlichen Kultuflächen durch den Krieg und die Nachkriegszeit sei noch besonders hinge­ wiesen, da deren Folgen im Gegensatz zur zeitweisen Extensivierung der Land­ wirtschaft wesentlich länger zu spüren waren. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Vollmechanisierung der Landwirt­ schaft und die individuelle Motorisierung zu einer grundlegenden Veränderung der Agrarlandschaft. Die Flurbereinigung schuf neue Flurstrukturen, wobei die kul­ turtechnischen Gesichtspunkte sich durchwegs gegenüber ökologischen und kulturhistorischen Werten durchsetzten. Mit einer ähnlichen aus der Zeit her­ aus sehr gut verständlichen Zielrichtung agierte die Dorfsanierung. Ergebnisse waren begradigte und kanalisierte Wasserläufe, autogerechte Ortsdurchfahrten und städtisch orientierte Zweckbauten. Die im allgemeinen in Bayern relativ ungünstigen Produktionsbedingungen versuchte man durch Hofaussiedlungen aus den engen Dörfern und die Ansiedlung von Gewerbebetrieben zu verbes­ sern. Die Aussiedlerhöfe brachten ein völlig neues Element in die Kulturland­ schaft. Bei diesen Höfen waren Wohnen und Arbeiten vollständig getrennt; ihre Gestalt knüpfte durchwegs nicht an traditionelle und regionale Elemente an, sondern orientierte sich an standardisierten Bauweisen. Teilweise rückten sie dadurch in die Nähe von Agrarfabriken, wobei aber festzuhalten ist, daß in Bayern die Zahl der agrarindustriellen Unternehmungen mit ihren speziellen Bauten bis heute relativ niedrig geblieben ist.7 Die Hauptveränderungen in der Kulturlandschaft nach dem Zweiten Welt­ krieg lassen sich am eindrucksvollsten an der Veränderung der Flächennutzung festmachen. Die unbebauten Freiflächen, vor allem Ackerland und Grünland, weniger Wald, nahmen in verdichteten Gebieten, aber auch im Umfeld der ländlichen Siedlungen spektakulär zugunsten von bebauten Flächen (Wohn-, Gewerbe- und Kommunikationsflächen) ab. Die Kritiker dieser Entwicklung verwenden die Begriffe Zersiedlung und Raumverzehr. Als besondere Problemge­ biete wurden die zurückgebliebenen Agrarlandschaften und die im Struktur­ wandel begriffenen altindustrialisierten Zonen angesehen. Die Agrarlandschaf­ ten wurden insgesamt gesehen noch einschneidender umgeformt als die städti­ schen Gebiete. In den agrarischen Gunsträumen veränderten Strukturverbesse­ rungen wie Flurumlegungen, Meliorationen, Hofaussiedlungen, Althofsanie­ rungen und Verkehrserschließungen Gehalt und Gestalt der Agrarlandschaft 7 Henkel (vor § 1); E. Ehlers, Die Agrar-Landsch. d. Bundesrep. Dtl. u. ihr Wandel seit 1949 (GR 40) 1988, 30-40; H. Becker, Dörfer heute. Ländl. Lebensver­ hältnisse im Wandel 1952, 1972 u. 1993/95, 1997; Th. Gunzelmann, Gibt es d. fränk. Dorf noch? Der Wandel d. baulichen u. räuml. Strukturen d. Dorfes aus d. Sicht d. Denkmalpflege (Vortragsms. 2001); K. Fehn, Die Bedeutung d. fünfziger Jahre d.

20. Jhs. f. d. Kulturlandsch.-Entw. in d. Bundesrep. Dtl. (Der Aufbruch ins Schlaraf­ fenland. Stellen die fünfziger Jahre eine Epochenschwelle im Mensch-Umwelt-Verhältnis dar? = Environmental History News­ letter Special issue 2) 1995, 89-111; J. Sieglerschmidt. Die Industrialisierung d. landwirtsch. Produktion seit 1950 (Der Aufbruch ins Schlaraffenland) 181-203.

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grundlegend. Während in dieser Zeit die Landwirtschaft noch die prägende Er­ werbsform in der Kulturlandschaft blieb, wandelten sich viele Dörfer mit land­ wirtschaftlichen Produktionsflächen zu ländlichen Wohnsiedlungen mit ausge­ dehnten urbanisierten Neubaugebieten. In den Gemarkungen dieser Orte trat schon in den fünfziger Jahren die soge­ nannte Sozialbrache auf.8 Sie wurde zum sichtbaren Indikator für den Wandel sozial vermittelter Werthaltungen und Einstellungen bestimmter Gruppen zum Bodenbesitz und tauchte zuerst in industriellen Verdichtungsgebieten und im Umkreis der Großstädte auf. Davon getrennt werden müssen die Flurwü­ stungserscheinungen in den abgelegenen Mittelgebirgsregionen, wo tatsächlich auf Dauer Acker- und Wiesenland aufgegeben wurde. Die Neulandgewinnung spielte nur bis Ende der fünfziger Jahre eine größere Rolle, dann traten die Ge­ sichtspunkte des Naturschutzes und des Fremdenverkehrs stärker in den Vordergrund und führten zu neuen Bewertungen dieser Flächen. Die agrari­ schen Ansprüche an die Agrarlandschaft durch den Fremdenverkehr führten in bestimmten Gebieten in den späten Entwicklungsphasen zu ökologisch und/ oder kulturhistorisch orientierten Kulturlandschaftspflegemaßnahmen durch die einheimischen Landwirte. Die Wandlungen in der Stellung der Landwirtschaft im Wirtschafts- und Ge­ sellschaftsgefüge führten dazu, daß zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur noch we­ nige Prozent der Bevölkerung von diesem Erwerbszweig leben.9 Bis in die Gegenwart ist aber die bemerkenswerte Diskrepanz geblieben, daß trotzdem ein hoher Prozentsatz der Kulturlandschaftsfläche noch immer durch die Tätig­ keit der Landwirtschaft geprägt wird. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß bis in die neunziger Jahre das offizielle politische Leitbild die kleinen und mittelgroßen landwirtschaftlichen Familienbetriebe auch in peripheren Gegen­ den aus sozialen Gründen unterstützte. Erst nach der Wende rückten im Zu­ sammenhang mit der Diskussion über die Globalisierung und die Europäisie­ rung ökonomische Gesichtspunkte in den Vordergrund, was zur Aufgabe vieler kleinerer landwirtschaftlicher Einheiten und zum Wüstfallen von Kulturland führte. Von 1949 bis 2004 ging in Bayern die Zahl der Bauernhöfe von rund 390000 auf circa 130000 zurück. Die Durchschnittsgröße der Betriebe liegt nunmehr bei ungefähr 25 ha gegenüber 43,8 ha im gesamten Deutschland. Viele Dörfer haben sich in der Nachkriegszeit von Dörfern mit Landwirt­ schaft zu rein ländlichen Wohnsiedlungen mit städtisch ausgebauten Neubaugebie­ ten entwickelt.10 Obwohl sich die Siedlungsflächen erweitert haben, hat sich das Dorf so oft als wirtschaftliches und soziales Gefüge weitgehend aufgelöst. 8 W. Hartke, Sozialgeogr. Strukturwan­ del im Spessart (Die Erde 8) 1957, 236-254; K. Fehn, Orts- und Flurwüstungen (§ 3 Anm. 14). 9 Ph. Hümmer u.a., Landl. Entw. in Ofr. Ausgew. Beisp. (MFGG 47) 2000, 137-154;

W. Schenk, Ländl. Räume im Wandel (Ufr. Gesch. V/I) 2002, 75-136. 10 Bayerns Bauern; P. Erker, Der lange Abschied v. Agrarland. Zur Sozialgesch. d. Bauern im Industrialisierungsprozeß (Pol. Zäsuren u. gesellschaftl. Wandel im 20. Jh.

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Die Gestalt der Siedlungen veränderte sich einerseits durch das Aufkommen vieler nichtlandwirtschaftlicher Bauten und andererseits durch das Ende des landschaftsgebundenen Bauens. Eine Rolle spielte auch das kontinuierliche An­ wachsen der Wohnraumbedürfnisse. Die Sanierung der Ortskerne brachte in der frühen Nachkriegszeit zwar erhebliche zivilisatorische Fortschritte, war aber mit der Vernichtung von historischer Bausubstanz, der Standardisierung der Neubauten und der Verwischung wesentlicher Strukturen verbunden. Die rege Neubautätigkeit an den Ortsrändern barg die Gefahr der Verödung der Ortskerne in sich. Die ländlichen Siedlungen haben in erheblichem Umfange ihre Strukturen und ihre Physiognomie verändert. Der Hauptgrund ist die Deagrarisierung, also der Rückzug der Landwirtschaft aus den bisherigen Agrar­ räumen. Die Suburbanisierung hat über lange Zeit hinweg den spezifischen Charakter der ländlichen Räume abgeschwächt und teilweise sogar ganz besei­ tigt. Die Maßnahmen der Kulturtechnik, wozu auch die Flurbereinigung zu rechnen ist, haben zunächst eine grundlegende Verbesserung der Anbauverhält­ nisse bewirkt, was aber häufig mit Ubermechanisierung und gelegentlich sogar mit Raubbau verbunden war. Erst in den achtziger Jahren veränderte sich das Leitbild in Richtung auf eine Dorferneuerung, die von den Einzelbauten abrückte und die Gesamtsiedlung ins Visier nahm, den überkommenen Bausubstanzen und Raumstrukturen einen Wert zumaß und wieder auf Multifunktionalität bedacht war. In den ländlichen Räumen formierte sich immer stärker der Widerstand gegen die Fremdbestim­ mung durch die städtischen Zentren. Das neue ländliche Selbstbewußtsein griff auf endogene Potentiale wie die reizvolle Umwelt, die gewachsene Kulturland­ schaft und die intakten Sozialstrukturen zurück, ohne jedoch auf die Vorteile der städtischen Zivilisation verzichten zu wollen. Seitdem der Aspekt der Nachhaltigkeit in der Prioritätenskala ganz nach oben gerückt ist, hat auch eine Auseinandersetzung über die Zukunft der von der Landwirtschaft aus ökonomischen Gründen aufgegebenen Flächen begonnen.“ Einerseits weist man nun den Landwirten die Aufgaben von Kulturlandschafts­ pflegern zu, die zugunsten der Naherholung und des Fremdenverkehrs das ge­ wohnte gewachsene Kulturlandschaftsbild erhalten sollen. Andererseits besteht erhebliches Interesse an Naturreservaten, wo sich die Natur wieder ohne oder nur mit wenigen menschlichen Eingriffen selbst entwickeln kann. Für alle Räu­ me müssen in Zukunft spezielle Bewertungen durchgefuhrt werden, die Natur­ gunst, Verkehrslage, Wirtschafts- und Sozialstrukturen sowie die Kulturland­ schaftsentwicklung zu berücksichtigen haben. Dabei wird ohne Zweifel in den Regionale u. vergleichende Perspektiven) 1996, 327-360; Bender (§ 3 Anm. 21); W. Bätzing u.a., Projektbericht: Die dörfl. Welt im Umbruch am Beisp. v. Kunreuth (JffL 63) 2003, 295-362.

" A. Seidl, Agrargesch. Überlegungen z. gegenwärtigen Lage u. Zukunft d. Landw. (BüL 77) 1999, 479-491; R. Wiessner, Ländl. Räume in Dtl. Strukturen u. Proble­ me im Wandel (GR 51) 1999, 300-304; Gunzelmann (Anm. 7); Becker (Anm. 7).

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agrarwirtschaftlichen Gunstgebieten der ökonomische Ertrag im Vordergrund stehen und zahlreiche Rationalisierungsmaßnahmen mit gravierenden Folgen für die Kulturlandschaft erzwingen. In diesem Zusammenhang muß eventuell auch die Rolle der zentralen Orte überprüft werden. Dieses Konzept hat ja den ländlichen Raum besonders geprägt und verändert, wobei die Bewertung unterschiedlich ausfällt: zu seinen Gunsten wegen der Konzentration der Ressourcen auf einige Standorte oder zu seinen Ungunsten wegen der tiefgrei­ fenden Passivsanierung der nicht in das System eingebauten Zentren. Die bayerische Agrarlandschaft zeigt bis heute noch kein einförmiges Bild. Sie ist immer noch abwechslungsreich und charakteristisch für die einzelnen Regio­ nen. Wenn die Planungen für eine nachhaltige Kulturlandschaftspflege zügig umgesetzt werden, wird es gelingen, großräumige Potentiale der gewachsenen Kulturlandschaft zu erhalten. Der kontinuierliche Abwägungsprozeß über die besten Nutzungen und Gestaltungen der Agrarlandschaft führt nicht in ein überdimensioniertes Freilandmuseum, sondern zu einer vielgestaltigen Kultur­ landschaft, die im Sinne der Nachhaltigkeit den verschiedensten Zwecken in optimaler Weise dienen kann.12

b) Städtische Räume. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert dehnten sich viele bay­ erische Städte weit über ihre bisherigen administrativen Grenzen hinaus aus.'3 Dabei nahmen die Erweiterungen nicht selten eine größere Fläche als die alten Kerne ein. Mit Eingemeindungen versuchten die großen Städte, das Verhältnis zwischen besiedelter Fläche und administrativer Einheit wieder zu normalisie­ ren. Das Städtewachstum hatte erhebliche Auswirkungen auf das Stadt-UmlandVerhältnis. Trotz mancher Versuche, über die Stadtplanung hinaus zu einer Raumordnung für den gesamten Großraum zu gelangen, vergrößerten sich die Diskontinuitäten in Besiedlung, Verkehr und Raumstruktur. Die Urbanisierung des flachen Landes brachte vielfältige positive Effekte, aber auch negative Aus­ wirkungen, die in Kauf genommen wurden. Hierzu gehörte zum Beispiel die Flußverschmutzung durch die großen Städte, die den Nachbargemeinden fluß­ abwärts sehr schadete. Auch viele kleinere Städte wuchsen, worunter auch ei­ nige waren, die lange stagniert hatten.14 12 Hist. Kulturlandschn.; Denecke (§ 3 Anm. 26); W. Thiem - Th. Gunzelmann, Hist. Dorfstrukturen im Fichtelgebirge. Siedl.-geogr. Arbeiten z. Dorferneuerung u. Denkmalpflege (Bamberger Wirtschaftsgeogr. Arb. 7) 1991. 13 P. Schöller, Die dt. Städte (Erdkundl. Wissen 17) 1967; P. Breitling, Hist. Wand­ lungen v. Stadtraum u. Stadtstruktur u. ihre Konsequenzen f. Städtebau u. Stadtentw.Planung (Stadt u. Stadtraum) 1974, 127-149; Die dt. Stadt im 19. Jh. Stadtplanung u. Baugestaltung im industriellen Zeitalter (Stud. z. Kunst im 19. Jh. 24) 1974; N.

Götz, Stadt und «Verstädterung» seit d. Mitte d. 19. Jhs. (Leben u. Arbeiten im In­ dustriezeitalter) 1985, 103-108; Bayer. Städte im jungen Kgr. Ortsbll. d. bayer. Flurkar­ tenwerks im 19. Jh., hg. v. Bayer. Landes­ vermessungsamt, 1989. 14 E. GrÖtzbach, Geogr. Untersuchun­ gen über d. Kleinstadt d. Gegenwart in Süddtl. (Münchner Geogr. He. 24) 1963; R. Mauerer, Entw. u. Funktionswandel d. Märkte in Altbayern seit 1800 (MBM 30) 1971; K. Fehn, Entstehung u. Entw. kleine­ rer Städte (SAGG 11) 1993, 9-40.

4. Die Siedlungsraumtypen (K. Fehn)

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Planmäßige Stadtneugründungen waren in ganz Deutschland sehr selten; es handelte sich dabei meist um Siedlungen für den Verkehr und Bade- und Kur­ betrieb. Häufiger nahmen nichtstädtische Neugründungen städtische Züge an und erhielten dann auch gelegentlich Stadtrecht. Insgesamt gesehen waren die regionalen Veränderungen im bayerischen Städtenetz nicht einschneidend. Das Gesamtsystem der Ranggrößenverteilung blieb erhalten, wenn auch gewisse Verände­ rungen in der Hierarchie zu verzeichnen waren.15 Die Städte erweiterten sich in unterschiedlicher Weise. Einerseits entstanden planmäßig Erweiterungsgebiete, die Neustädten glichen. Andererseits rückte die Bebauung ungeplant an den Hauptausfallstraßen vor. Die frühere klare Ab­ grenzung nach außen ging zunehmend verloren, weil die Städte meist entfestigt waren und die häufig angelegten Ringstraßen keinen strukturellen Ersatz für die beseitigten Stadtmauern boten. Die Bebauung franste fast überall aus. Die gewünschte Ordnung im städtischen Bebauungsbereich sollte der Bebauungs­ zonenplan sicherstellen, der für das gesamte Stadtgebiet eine Abstufung der Höhenausdehnung der Bebauung von innen nach außen vorsah. Die überkom­ menen Grundrisse der alten Städte wurden in der Regel respektiert. Sie unter­ schieden sich meist grundlegend von den schematischen Rastern und schnurge­ raden Achsen der Erweiterungsgebiete. Neue Grundrißelemente steuerten noch die modernen Verkehrsmittel der Eisenbahn und die technischen Elemente der Infrastruktur wie zum Beispiel Wasserleitung und Kanalisation bei. Die immer wieder versuchte nachträgliche Angleichung der beiden Systeme durch Flucht­ linienkorrekturen und Straßendurchbrüche waren häufig nicht erfolgreich. Ge­ legentlich brachten sie aber wesentliche Erleichterungen für die Bevölkerung zum Beispiel durch die Anlage einer Bahnhofstraße. Zu diesen Verkehrsakti­ vitäten kamen noch die Freilegung bedeutender Kirchen und die innere Er­ schließung von Baublöcken hinzu. Das neue Grundrißelement der Eisenbahnli­ nien konnte oft nicht gut integriert werden. Entweder es zerschnitt die städti­ sche Agglomeration oder die ursprünglich außerhalb verlegten Trassen bildeten für die rasch wachsende Stadt einen störenden Fremdkörper. Im Gegensatz dazu entstand mit dem Bahnhof ein neuer wichtiger Standort, an dem sich die städtische Entwicklung häufig orientierte.16 Was die Veränderungen der Sozial- und Wirtschaftstopographie der Städte betrifft, erfolgten wichtige Standortverlagerungen. Besonders zu nennen sind die Auf­ gabe von zentralen Standorten durch die Oberschicht, die sich in eigene ausge­ dehnte Villenviertel am Stadtrand zurückzog, sowie die Außenwanderung der Industrie von den ersten spontan ausgewählten Plätzen bis zu neuen Standorten 15 G. Höhl, Fränk. Städte u. Märkte im geogr. Vergleich (FdL 139) 1962; H. Fehn, Ausg. Beitrr. (§ 3 Anm. 12); Ders., Gedan­ ken z. Wandel (§ 2 Anm. 12). 16 Krapf, Bayer. Städte; F. Zink, Nürn­ berger Stadtplanbilder d. 19. Jhs. (JffL 41)

1981, 145-153; Sauer, Bahnen (vor § 1); Ch. Bühl-Gramer, Nürnberg 1850 bis 1892. Stadtentw., Kommunalpol. u. Stadt­ verwaltung im Zeichen d. Industrialisierung u. Urbanisierung (Nürnb. Werkstücke z. Stadt- u. Landesgesch. 62) 2003.

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am Stadtrand mit einem großen Ausweitungspotential von Flächen.17 Im Zen­ trum der großen Städte kam es zur Citybildung, was konkret eine Verminde­ rung des Wohnbestandes, eine Konzentration von Handels-, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen und eine Ansammlung von Produktionsbetrieben bedeu­ tete. Die Flächengestaltung durch die Industrie war je nach Art der Industrie und der größenmäßigen Struktur verschieden. Bei mittel- und kleinbetrieb­ lichen Strukturen griffen die Fabrikanlagen und die Wohnungen der Arbeiter am engsten ineinander. Bei den größeren Fabriken entstanden häufig große ge­ schlossene Wohnsiedlungen. Ganz allgemein versuchte die Stadtplanung die neuen Wohn- und Gewerbegebiete voneinander zu trennen und sie planmäßig zu erschließen, wozu vor allem eine ausreichende Infrastruktur gehörte.18 Die bisherige Verknüpfung von Wohn- und Arbeitsstätte wurde zunehmend gelockert. Die Nutzung weiter außerhalb liegender Standorte für Wohnzwecke war jedoch erst möglich, als die Verkehrsinfrastruktur genügend ausgebaut war. Bahnhofs- und haltestellennahe Standorte wurden aufgewertet. Am Stadtrand wurden in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg die sogenannten Gartenstädte, vorstädtische Wohnstädte mit besonderen Gestaltqualitäten angelegt. In der städtischen Agglomeration gab es auch noch unterschiedliche Traditionsinseln, die durch die expandierende Stadt umschlossen waren und aus der modernen Entwicklung weitgehend ausgespart blieben. Nachdem vor allem nach dem Deutsch-Französischen Krieg zahlreiche Kasernen gebaut wurden, bildeten die militärischen Bauten nicht selten eigene städtische Viertel. In den Städten ent­ stand neben den Wohngebäuden für die Ober-, Mittel- und Unterschichten auch eine größere Anzahl von privaten, staatlichen, kommunalen und kirch­ lichen Nichtwohngebäuden für unterschiedlichste Zwecke, wie zum Beispiel Fabriken, Warenhäuser, kirchliche Gebäude und ähnliches. Besonders stadt­ bildprägend wurden die zahlreichen Repräsentationsbauten des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, wozu neben Theatern, Museen, Rathäusern und Bahnhö­ fen auch reine Zweckbauten wie Schlachthöfe und Werke für die städtische Ver- und Entsorgung gehörten. In den neuen Stadtteilen wurden sogar Kir­ chen und andere als würdig angesehene Großbauten bewußt als Blickfang er­ richtet.

17 B. v.d. Dollen, Stadtrandphänomene in hist.-geogr. Sicht (SAGG 1) 1983, 15-37; K. Fehn, Stadtrandphänomene. Hindernisse oder Chancen f. d. Entw. d. mitteleurop. Metropolen? (Entstehung u. Entw. v. Me­ tropolen = Veröff. d. interdisziplinären Ar­ beitsgruppe Stadtkulturforsch. 4) 2002, 113129. 18 E. Lichtenberger, Die Stadtentw. in Europa in d. ersten Hälfte d. 20. Jhs. (Die Städte Mitteleuropas im 20. Jh. = Beitrr. z. Gesch. d. Städte Mitteleuropas 8) 1984, 1-

20; Ch. Kopetzki, Grundlinien d. Stadtum­ baus im Dt. Reich zw. 1918 u. 1933 (Stadt­ umbau. Die planmäßige Erneuerung europ. Großstädte zw. Wiener Kongreß und Wei­ marer Rep. = Stadt Planung Gesch. 17) ■995, 273-288; H. Böhm, Bodenmobilität u. Bodenpreisgefüge in ihrer Bedeutung f. d. Siedl.- Entw. (Bonner Geogr. Abh. 5) 1980; C. Pese, Das Warenhaus (Leben u. Arbeiten im Industriezeitalter) 1985, 565576.

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Die Zwischenkriegszeit ist gekennzeichnet durch einen diffusen und explosiven Ausbruch der Stadt in ihr Umland mit weitreichenden Folgen.19 Ein Großteil des Wachstums erfolgte ohne eine umfassende Raumplanung, die erst gegen Ende der NS-Zeit an Einfluß gewann. Obwohl in der Weimarer Zeit und auch in der NS-Zeit Eingemeindungen teilweise im großen Stil durchgefiihrt wurden, hinkten diese Aktionen doch hinter der tatsächlichen Ausdehnung der bebau­ ten Flächen her. Durch die Verbesserung der Verkehrsbedingungen dehnte sich der Bereich der Städte immer weiter aus. Um die Altstädte und die ältesten Er­ weiterungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert legten sich ringförmig die Zonen der größeren meist geplanten Wohnsiedlungen, des stärker individuell gestalte­ ten Stadtrandes, der sichtbaren Veränderungen in Gestalt von Bauvorbereitungen, der unsichtbaren strukturellen Veränderungen, der spezifischen Erwartun­ gen der Bevölkerung und der Reichweite der Dienstleistungen.20 Die Entwick­ lung der Städte in den Außenzonen folgte durchwegs den Verkehrslinien. Da mit den Straßenbahnen und Omnibussen keine Flächen, sondern nur Bänder und Punkte erschlossen werden konnten, dehnte sich die Wohnbebauung zwangsläufig schlauchförmig entlang der Vorortstrecken aus. Die dörflichen Kerne wurden mehr oder minder intensiv überformt und durch teilweise über­ dimensionale Wohnanlagen erweitert. Die Phase von 1918 bis 1939 war für die Bausubstanz der Innenstädte eine Zeit der Stagnation, obwohl es zahlreiche Pläne für tiefgreifende Veränderun­ gen gegeben hat. Hingewiesen sei auf die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen und die Vorstellungen des NS-Regimes zum Umbau der sogenannten Führer­ und Gauhauptstädte.21 Neubauten blieben selten, setzten dann aber meist mar­ kante Akzente wie zum Beispiel das sogenannte Hochhaus in München, das als technisches Rathaus konzipiert worden war. In vielen Städten wurden Straßen­ durchbrüche und Straßenverbreiterungen auch im Innenstadtbereich durchgeföhrt. Die vorhandenen Freiräume wurden nach dem Ersten Weltkrieg der Öf­ fentlichkeit zugänglich gemacht. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Wohnungsnot in den Städten katastropha­ le Ausmaße angenommen. Ein Hauptproblem war die Beschaffung von billi­ gem Bauland für die städtischen und vorstädtischen Wohnsiedlungen. Die Kleinsiedlungen wurden planmäßig von Siedlungsgesellschaften, Baugenossen­ schaften oder anderen Organisationen an den Rändern der Städte, nicht selten auch bei großen Dörfern angelegt. Die locker gebauten Kleinhaus-, Einzelund Reihensiedlungen am Stadtrand bildeten einen wesentlichen Fortschritt Lichtenberger, Die Stadt (vor § 1). 20 M. Reichert, Die Vorortbildung d. süd- u. mitteldt. Großstädte (Stuttgarter Geogr. Stud. A 54/55) 1936; J. Sieber, Be­ völkerungsaufbau u. Sozialstruktur Münche­ ner Siedl. (Beitrr. z. sozialen Siedl.-Kunde) 1941; U. Henn, Die Mustersiedl. Ramers­ dorf in München (MBM 138) 1987.

21 U. v. Petz, Stadtsanierung im Dritten Reich (Dortmunder Beitrr. z. Raumplan. 45) 1987; J. Düefer - J. Thies - J. Henke, Hit­ lers Städte. Baupolitik im Dritten Reich, 1978.

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gegenüber der übermäßig konzentrierten Bauweise in den wilhelminischen Wohnvierteln der Groß- und Mittelstädte.22 Außerdem entstanden soziologisch sehr unterschiedliche Villen- und Landhausgebiete mit größeren Garten- und Parkgrundstücken und locker gestellten Einzelhäusern in begünstigter Land­ schafts- und Verkehrslage. Nach 1936 verlor die Kleinsiedlung gegenüber den Geschoßbauten und das Hauseigentum gegenüber der Mietwohnung kontinu­ ierlich an Bedeutung, was der herrschenden NS-Ideologie eigentlich nicht ent­ sprach und dementsprechend auch sehr heruntergespielt wurde. Den Abschluß dieser Entwicklung bildete der Erlaß Hitlers zur Vorbereitung des Wohnungs­ baus nach dem Kriege vom 15. November 1940, in dem als Grundtypen des deutschen Wohnungsbaus die gemietete Volksgeschoßwohnung, das Eigen­ heim mit Gartenzulage und die Kleinsiedlung mit Wirtschaftsteil und Landzu­ lage genannt wurden. Im Zweiten Weltkrieg mußte der Wohnungsbau zunächst gedrosselt und dann ganz eingestellt werden. Die Folge waren große Barackenla­ ger, vor allem in den neuen Industriegebieten, primitive Behelfsheime und notdürftig ausgebaute zusätzliche Wohnräume in Altbauten, vor allem in Dachgeschossen und Kellern. Schließlich schnellte wie bereits im Ersten Welt­ krieg und während der Wirtschaftskrise die Zahl der als Dauerwohnungen ge­ nutzten Laubenkolonien und Schrebergärten steil in die Höhe. Die ersten erheblicheren Kriegszerstörungen im Deutschen Reich sind auf das Frühjahr 1942 zu datieren.23 Kurz danach begannen die Flächenangriffe gegen die deutschen Städte. Besonders betroffen wurden die Großstädte, die im Durchschnitt fast die Hälfte ihres Baubestands verloren; es folgten die Mittel­ städte mit mehr als einem Drittel und die Kleinstädte mit mehr als einem Vier­ tel Verlust. Im Zweiten Weltkrieg wurden fast alle Innenstädte besonders stark zerstört. Art, Ausmaß und zeitlicher Ablauf der Zerstörung mit ihren unmittel­ baren Folgen riefen aber verschiedenartige Erscheinungsbilder hervor. Es gab nicht wenige Städte am Ende des Krieges, die sich insgesamt in einem derart chaotischen Zustand befanden, daß die Frage berechtigt erschien, ob diese Städte überhaupt wieder an derselben Stelle aufgebaut oder ob neue in günsti­ gerer Lage entstehen sollten. Die Entscheidung fiel ausnahmslos zugunsten der alten Standorte, was nicht zuletzt wesentlich mit der weitgehend erhaltenen unterirdischen Infrastruktur zusammenhing. Da der Wiederaufbau der Städte erst nach der Währungsreform in größerem Stile begann, entstanden zunächst als Ersatz für den fehlenden städtischen Wohnraum zahlreiche primitive Anwesen

22 Villa u. Eigenheim. Suburbaner Städte­ bau in Dtl., hg. v. T. Hariander, 2001; Kopetzki (Anm. 18); S. Zelnhefer, Die Reichsparteitage d. NSDAP. Ihre Bedeutung u. d. Auswirkungen a. d. Stadt Nürnberg (SAGG 21) 2003, 173-194.

23 U. Hohn, Die Zerstörung dt. Städte im Zweiten Weltkrieg. Regionale Unterschiede in d. Bilanz d. Wohnungstotalschäden u. Folgen d. Luftkriegs unter bevölkerungsgeogr. Aspekt (Duisburger Geogr. Arb. 8) 1991; Kriegszerstörung (§ 3 Anm. 20).

4. Die Siedlungsraum typen (K. Fehn)

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am Stadtrand, denen meist die Baugenehmigung und oft sogar das Besitzrecht für das bebaute Grundstück fehlte.24 Nach ersten Überlegungen der Nachkriegszeit, die in eine andere Richtung zielten, zeigte sich rasch, daß eine Veränderung des Gesamtgefüges der Kultur­ landschaft beispielsweise durch die Gründung neuer Städte oder die Auflocke­ rung der Industriegebiete nicht möglich war. Die Standortentscheidungen frü­ herer Zeiten blieben also im Sinne historisch-geographischer Persistenzen raumwirksam. Die Innenstädte wandelten sich mehr und mehr zu Verwaltungs- und Ge­ schäftszentren; die Wohnfunktionen wurden zunehmend verdrängt. Die alten verdichteten Wohnviertel wurden zunächst nicht konsequent wieder aufge­ baut, sondern es entstanden ausgedehnte neue Wohnviertel auf ehemaligen Freiflächen am Stadtrand und in der Umgebung der Städte. Erst in den siebzi­ ger Jahren kam es zu einer Aufwertung der innerstädtischen Wohnzonen, wozu die Umorientierung bei den Raumordnungsleitbildern hin zum Ideal der kom­ pakten Stadt wesentlich beigetragen hat. Nun wurden auch die Bausubstanzund die Funktionsschwächensanierungen in den Städten wesentlich behutsamer durchgeführt, die in den fünfziger und sechziger Jahren durchweg auf Abriß und Wiederaufbau zielten. Ganz allgemein dominierte in den ersten Entwicklungsphasen im Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig die Errichtung von Wohnungen; erst da­ nach folgten Maßnahmen zugunsten der Infrastruktur im Bereich Versorgung, Verkehr, Verwaltung und Bildungswesen, die häufig die alten Gefüge der Innenstädte zerstörten.25 Die Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten erzeugte erhebliche Verkehrsprobleme, die gegen Ende der fünfziger Jahre das problematische Leitbild der autogerechten Stadt auftauchen ließen. 1945 bis 1948 gab es noch keine gravierenden Umwälzungen im Städtesy­ stem, da die Städte, insbesondere die Innenstädte, stark zerstört waren und Aufräumungs- und Reparaturarbeiten durchgeführt werden mußten. Auf­ schlußreich ist die Einfügung neuer Städte in das Siedlungsgefüge. Es handelt sich dabei um die sogenannten Flüchtlingsstädte, also um neue Städte oder neue Stadtteile im Anschluß an vorhandene Zentren.26 In der Phase von 1949 bis 1955 dominierte der Wohnungsbau, gefordert durch entsprechende Gesetze und staatliche Programme. Erst danach wurden Bauten der Versorgung, des Verkehrs, der Verwaltung, des Schul- und Hoch­ schulwesens und der Kultur errichtet. Leitbild des Städtebaus war die gegliederte und aufgelockerte Stadt. Durchgrünte gesunde Stadtbauformen sollten organische 24 W. Durth - N. Gutschow, Träume in Trümmern. Pläne z. Wiederaufbau zer­ störter Städte im Westen Dtls. 1940-1950, 1998; H. Fehn, Großstadtränder (§ 2 Anm. 9); Schütz (§ 2 Anm. 9). 25 G. Schulz, Wiederaufbau in Dtl. Die Wohnungspolitik in d. Westzonen u. d.

Bundesrep. 1945 bis 1957 (Forsch, u. Quel­ len z. Zeitgesch. 20) 1993; Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche u. europ. Lösungen 1918-1960, hg. v. G. Schulz (Forsch, u. Quellen z. Zeitgesch. 22) 1993. 26 H. Fehn, Gedanken (§ 2 Anm. 12).

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Städtebaulandschaften entstehen lassen, die den Gegensatz Stadt - Land mildern sollten. Die neuen Siedlungen entstanden durchwegs an den Stadträndern. In den zerstörten Innenstädten verlief die Entwicklung anders als geplant, denn sie waren anfänglich für Wohnungen vorgesehen. Doch es kam zu einer andersar­ tigen Bebauung. Die Probleme des wachsenden Verkehrs wurden zunächst aus­ geklammert. In der Phase von 1956 bis 1969 erhielten die Kulturlandschaften ihre ent­ scheidende Prägung und weitgehend schon ihr heutiges Bild.27 Die wichtigsten Planungen für die siebziger Jahre wurden in dieser Zeit eingeleitet. Das betraf sowohl die ländlichen Gebiete als auch die Verdichtungsräume und die Erho­ lungslandschaften. Der größte Teil der Baumaßnahmen galt weiterhin dem Wohnungsbau. Zwar konnte bis in die Sechziger jahre der weitaus größte Teil des Wohnungsmarktes befriedigt werden, doch stellten sich gleichzeitig neue Bedürfnisse ein. Das Leitbild des Städtebaus änderte sich. Anstelle der gegliederten aufgelockerten Stadt wurde nun «Urbanität durch Dichte» gefordert. Die ersten Großwohnsiedlungen schossen aus dem Boden. Das Wunschbild der «autoge­ rechten Stadt» stellte die Planer vor immer größere Probleme. Die Innenstädte wurden verdichtet und erweitert; der Ausbau von Nebenzentren wurde voran­ getrieben. Erstmals kam auch die Vernichtung historischer Bausubstanz in das Kreuzfeuer der Kritik. Die Entwicklung der ländlichen und städtischen Kulturlandschaften in den siebziger Jahren (1969—1981) beruhte zwar noch auf Vorstellungen, die bereits vorher entwickelt worden waren, verlief aber teilweise in anderen Bahnen. Die Bevölkerung wuchs insgesamt nicht weiter an. Die Stadtflucht griff immer weiter um sich, weil das Wohnen im Einzelhaus abseits der umweltbelasteten Kernstädte, aber dennoch nicht zu weit entfernt, zunehmend an Attraktivität gewann. Einbezogen in diesen Suburbanisierungsprozeß wurden auch viele Ar­ beitsplätze, die der Wohnbevölkerung in das Umland folgten. Die Leitbilder des Städtebaus gerieten wieder in die Diskussion. Die Gefahr, die den Innen­ städten durch die übermäßige Konzentration von Geschäfts- und Verwaltungs­ bauten drohte, wurde erkannt. Aber auch in den Großwohnsiedlungen ergaben sich nun viele negative Nebeneffekte. Als Leitbild kam die «vormoderne Stadt» wieder ins Gespräch. Es kam zur Wiederentdeckung historischer Stadträume. Die neue «postmodern» genannte Architektur strebt wieder historische Raumfolgen und Gebäudegruppen sowie gutproportionierte Plätze an. Die Stadterneuerung lehnt sich an vorhandene Substanz an. Verkehrsberuhigte Zonen und neue 27 Megele; J. Böddrich, Der Struktur­ wandel v. München-Schwabing seit 1850 (MGGM 43) 1958, 47-102; Ch. Borcherdt, Die Wohn- u. Ausfluggebiete in d. Umgebung Münchens (BdL 19) 1958; M. Meyer-Künzel, Der planbare Nutzen. Stadtentw. durch Weltausstellungen u. Olympische Spiele, 2002; P. Breitling, Die

großstädt. Entw. Münchens im 19. Jh. (Pro­ bleme d. Städtewesens im industriellen Zeit­ alter = Städteforsch. A 15) 1978, 178-196; F. Zimmermann, Wohnbau in München 18001850, 1984; U. Walter, Der Umbau d. Münchener Altstadt (1871-1914) (Schrr. aus d. Inst. f. Kunstgesch. d. Univ. München 24) 1987.

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Fußgängerstraßen, wie sie zunächst nur in den Großstädten entstanden waren, werden zunehmend auch in Mittel- und Kleinstädten angelegt. Nicht mehr die internationale Einheitlichkeit, sondern die regional gebundene Einmaligkeit und Ganzheitlichkeit soll von nun an die Unverwechselbarkeit der Stadt garan­ tieren.28 Die ersten konservierenden Tendenzen sind bereits Ende der siebziger Jahre zu konstatieren. Es kam zur Wiederentdeckung der Innenstädte und der grün­ derzeitlichen Viertel. Das Konzept der autogerechten Stadt und das der Groß­ siedlungen galt nach 1980 nicht mehr. Die Dekonzentration, die Ausbreitung der Stadtregionen brachte eine zunehmende Verdrängung der Wohnfunktio­ nen und der Produktionsstätten aus den Zentren der Städte. Seit den neunziger Jahren haben wir es mit dem Phänomen der Postsuburbanisierung und mit einer zunehmenden Abkoppelung des Umlandes von den Zentren zu tun.29 Im Be­ reich der Stadtregion entwickeln sich neue Raumgefuge mit neuartigen Rollen für die alten Zentren. Netzartig durchdringen sich in dieser «Zwischenstadt» Siedlungs- und Freiräume, wobei die siedlungsräumliche Vielfalt das entschei­ dende Kriterium ist und nicht die Orientierung auf ein historisches Zentrum. Als ein positives Kennzeichen dieser Konstellation wird auch noch die Synthe­ se zwischen einer neuen Urbanität und der Stadtökologie herausgestellt. Die Diskussion über die Vorteile und die Nachteile der beiden Konzepte der kom­ pakten Stadt und der Netzstadt ist noch nicht abgeschlossen. Im ersten Konzept hat der historische Siedlungskern ein deutliches Übergewicht, während es im zweiten Konzept keine feste vorausfixierte Hierarchie und kein vorgegebenes eindeutiges Zentrum gibt.30 Im bayerischen Landesentwicklungsprogramm von 2003 finden sich einige klare Aussagen zur wünschenswerten Entwicklung der städtischen Räume: 1. Die Suburbanisierungstendenzen sollen in geordnete Bahnen gelenkt werden. 2. Die notwendigen Freiflächen für den ökologischen Ausgleich und die stadt­ nahe Erholung sollen erhalten bleiben. 3. Die Zentralen Orte sollen gestärkt werden, um als Knotenpunkte für die verschiedenartigsten Entwicklungen auch bei einer schrumpfenden Bevölkerungszahl dienen zu können. 4. Beim Ausbau der Städte sollen die spezifischen Eigenarten erhalten und substanz­ schonend weiterentwickelt werden. Für die unterschiedlichen Sichtweisen cha­ rakteristisch ist zum Beispiel die aktuelle intensive Diskussion über den Bau von Hochhäusern im Stadtbereich von München. 2" W. Krings, Industrie, Fremdenverkehr u. Stadtbild. Beobachtungen am Beisp. v. Bamberg (Geogr. als Sozialwiss. = Collo­ quium Geographicum 18) 1985, 272-302; V. Eidloth, Bamberg: Stadt, Denkmaldoku­ mentation, 1990; W. Krings, Stadt u. Fluß. Zur Entw. innerstädt. Wasserläufe u. Ufer­ zonen. Ein Aufgabengebiet d. Hist. Geogr. u. d. Anwendungsbeisp. Bamberg (Acta Geographica Lovaniensia 34) 1994, 439-452;

Th. Gunzelmann, Stadtentw. u. hist. Stadt­ kultur (Stadt Würzburg, Baureferat, Hg., Die Stadt Würzburg) 1997, 16-79. 29 Th. Sieverts, Die Stadt in d. Zweiten Moderne: eine europ. Perspektive (Informa­ tionen z. Raumentw. 1998, H. 7/8) 1998, 455-473; Postsuburbia (§ 2 Anm. 13); Lich­ tenberger (vor § 1). 30 Landesentwicklungsprogramm (§ 3 Anm. 7)-

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Die zunehmende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland im Zeitalter der Globalisierung wirkte sich nicht nur in den Industriestandorten aus, wo ausgedehnte Industriebrachen entstanden, sondern neuerdings auch im Bereich der Dienstleistungs- und Verwaltungszentren. Zahlreiche Bürobauten finden keine Nutzer mehr, wobei es sich häufig um ältere Bauten aus den ersten Nachkriegsjahrzehnten handelte, deren infrastrukturelle Anpassung an das EDV-Zeitalter zu teuer kommen würde. c) Industrielle Räume. Am Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Bayern nur we­ nige Gebiete mit frühindustriellen Aktivitäten.3' Zu nennen sind hier vor allem Oberfranken und die Rheinpfalz. An dieser Stelle erscheint der Hinweis nötig, daß die Industrialisierung im Königreich Bayern nicht ohne Berücksichtigung des bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges beziehungsweise zum Ende des Er­ sten Weltkrieges zu Bayern gehörenden Regierungsbezirks Pfalz verständlich wird. Um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen: In der neugegründeten Rhein­ hafenstadt Ludwigshafen entstand 186$ der Chemieweltkonzern BASF. Ein gravierender Nachteil war das Fehlen von ergiebigen Rohstofflagerstätten. Des­ halb gewannen zwei andere Ansatzpunkte an Bedeutung: die Wasserkräfte in den Mittelgebirgen und der handwerklich-gewerbliche Erfahrungsschatz in den größeren Städten. Die Industrialisierung erfaßte die einzelnen Regionen Bay­ erns zu verschiedenen Zeitpunkten und mit unterschiedlicher Intensität. Im Laufe der Zeit kam es zu Verflechtungen und Vernetzungen, wodurch auch Gebiete außerhalb der Kernräume tangiert und überformt wurden.31 32 In den Städten standen oft Handels- oder Handwerksunternehmungen am Beginn der industriellen Entwicklung. Aber auch die spezifischen Gegebenhei­ ten von Residenzstädten boten gute Ansatzpunkte. Entscheidend für die fol­ gende Zeit wurde die Erschließung von Energiequellen, sei es in Form von Wasserkräften wie zum Beispiel in Augsburg oder durch den forcierten Ausbau der Eisenbahnverbindungen, um die Energie der Zukunft, die Steinkohle, her­ anschaffen zu können. Auch auf dem flachen Land entstanden industrielle Be­ triebe, wobei meist eine Verbindung zur Gewinnung von speziellen landwirt­ schaftlichen Produkten bestand. Zu nennen wären hier vor allem die großen Zuckerfabriken in den unterfränkischen und niederbayerischen Gäulandschaf­ ten. Besonders charakteristisch für die Frühzeit der Industrialisierung waren die Gewerbe- und Industriegassen in den Mittelgebirgstälern, die die dortige Was31 G. Voppel, Wesen u. Entw. d. dt. Industrie-Landsch. im 19. u. 20. Jh. (GR 11) 1959. 93-102; A. Timm, Technolog. Krite­ rien bei d. Entw. v. Industrie-Landsch. (BlldLG 108) 1972, 135-142; J.-M. Kresse, Die Industriestandorte; Aufbruch ins Indu­ striezeitalter. Aufsätze z. Wirtschafts- u. Sozialgesch. Bayerns 1750-1850 (Veröffentl. z. Bayer. Gesch. u. Kultur 4) 1985.

32 Industriekultur in Nürnberg, 1980; E. PlÖSSL, Augsburg auf d. Weg ins Industrie­ zeitalter (Hefte z. Bayer. Gesch. u. Kultur 1/2) 1985; Ch. Koch - Ch. Täubrich, Fa­ brikbau u. Industriebaukunst. Eine erste Er­ fassung Nürnberger Fabrikarchitektur (Le­ ben u. Arbeiten im Industriezeitalter) 1985, 663-675; Breitling (Anm. 27); Eidloth (Anm. 28).

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serkraft in zahllosen Kleinbetrieben ausnutzten.33 In Bayern kam es nicht in demselben Umfange zur Entwertung dieser Standorte durch die Verlagerung in die Vorländer der Mittelgebirge wie in anderen Teilen Deutschlands, da die Vorkommen an fossiler Energie hierzu nicht ausreichten. Eine flächenhafte Streuung von industriellen Standorten war erst im Elektrizitätszeitalter mög­ lich.34 Hierzu wurden einerseits zahlreiche Stauwerke in den Flüssen und Stau­ seen angelegt und andererseits die vorhandenen Braunkohlen- und Pechkoh­ lenvorräte für die Verstromung eingesetzt. Durch die Nutzung der Bodenschätze und die Industrialisierung wurden vie­ le Siedlungen überformt. Es entstand der Typ der zwischen Stadt und Land ste­ henden Siedlung, wie er in der Fachliteratur bezeichnet wird, wobei es sich eindeutig um eine begriffliche Hilfskonstruktion handelt. Diese Siedlungen wiesen meist noch starke ländliche Züge auf. Nur selten gelang der Aufstieg zur Stadt, da die Einseitigkeit der funktionalen und sozialen Ausrichtung nur schwer zu überwinden war. Neben den Betriebsgebäuden spielten vor allem die Wohnungen der Arbeiter eine bedeutende siedlungsprägende Rolle. Klei­ nere Werke lagen meist in enger Nachbarschaft zu den Wohnungen, die oft nicht systematisch angelegt wurden. Im Gegensatz dazu gehörten zu den gro­ ßen Werken meist eigene mehr oder minder geschlossene Siedlungen. Charak­ teristisch für die Frühzeit der Industrialisierung war auch die unmittelbare Nachbarschaftslage von Betrieb und Fabrikantenvilla mit dem meist dazugehö­ rigen Park. Die Verzahnung der Industrie mit den bestehenden Siedlungen und vor allem den Städten war sehr verschieden. Die Extreme reichten von struktu­ rierten industriellen Stadtteilen bis zu Wohngebieten mit zahlreichen kleinen Hinterhofbetrieben. In vielen der zwischen Stadt und Land stehenden Siedlun­ gen spielte der landwirtschaftliche Nebenerwerb eine große Rolle, wobei einmal das Hauptgewicht auf der Industriearbeit, das andere Mal auf der Landwirt­ schaft lag. Die Wasserkraft der Flüsse diente in zunehmendem Umfange der Industrie. Dadurch wurde es möglich, daß der industrieschwache Südosten Bayerns zum Standort einer besonders stromintensiven Industriesparte, nämlich der Alumini­ umgewinnung, ausgewählt wurde. Die Wiederaufrüstung seit 1936 nahm sehr wenig Rücksicht auf andere Be­ lange. Es wurden Kasernen, Munitionslager, Truppenübungsplätze, Rüstungs­ betriebe, Flugplätze und vieles mehr an den dafür am günstigsten erscheinen­ den Stellen angelegt. Viele von den neuen Anlagen entstanden mitten im Wal­ de fernab jeder Siedlung. Dies bedeutete neben dem Bau der Gebäude selbst auch die Anlage eines ausgedehnten modernen Straßennetzes, vereinzelt auch ” Denecke (§ 3 Anm. 28); H.-R. Rup­ Industrie u. Gewerbe im Fichtelgebir­ ge (MFGG 18) 1971; H. Ettl, Auf d. Weg in eine neue Zeit. Frühe Industrien im Bay­ er. Wald, 2001. pert,

34 Bergbau- u. Industrie-Landsch.; W. Hausmann, Das obb. Chemiedreieck (GR 18) 1966, 211-218.

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den Anschluß an das Eisenbahnnetz. Nach dem Kriege blieben viele dieser Flä­ chen längere Zeit völlig ungenutzt liegen oder wurden wieder landwirtschaftli­ ches Kulturland beziehungsweise Wald. Andere gehörten weiterhin zum mili­ tärischen Sperrgebiet. Bei der dritten Gruppe blieb weder die neue Nutzung erhalten noch wurde die ehemalige Nutzung wiederhergestellt. Es kam viel­ mehr zu einer Drittnutzung unter Verwendung der verbliebenen Bausubstanz und der erhaltenen Infrastruktur, meist in Gestalt von stabilen Hallen, ausge­ bauten Straßen und Wohnbaracken. Viele dieser Plätze wurden Ansatzpunkte für neue Siedlungseinheiten, die sich teilweise rasch zu größeren Industrie­ standorten entwickelten. Da viele dieser ehemals militärischen Standorte ohne Rücksicht auf den Natur- und Landschaftsschutz mitten in großen Waldgebie­ ten angelegt worden waren, bedeutete die Festigung dieser Siedlungen für die betreffenden Gebiete eine erhebliche Umgestaltung des Siedlungsmusters.35 Echte Wüstungen gab es vereinzelt auch im Bereich der Bergbau- und Indu­ striebetriebe in den Mittelgebirgen, die wegen Unrentabilität in den zwanziger Jahren aufgegeben wurden. Teilweise wurden diese im Rahmen der nationalso­ zialistischen Autarkiepolitik meist kurzfristig wieder eröffnet. Nach dem Zwei­ ten Weltkrieg wurden wiederum viele Bergwerke und Industriebetriebe aufge­ geben. In den ersten beiden Jahrzehnten wurden die Flächen normalerweise total abgeräumt; später wurden mehr und mehr Überlegungen zu möglichen Nutzungen unter Erhaltung der Altsubstanz angestellt. Die gewerblichen und industriellen Bauten und Anlagen breiteten sich über weite Räume aus, wobei die sich ständig verbessernden Verkehrsverbindungen eine entscheidende Rolle spielten. Regionalplanerisch gesehen entwickelten sich so nicht selten un­ zweckmäßige Standorte. Die alten Schwerpunkte der Industrie erlebten in der Zwischenkriegszeit kei­ ne wesentlichen räumlichen Veränderungen.36 Es wurden aber vor allem seit 1936 erhebliche Mittel investiert, um veraltete Betriebsanlagen zu ersetzen und gegebenenfalls auch neue Betriebe zu errichten. Die Raumordnung bemühte sich, die neuen Werke großzügig in die Kulturlandschaft einzuordnen und sie weiträumig über ganz Bayern hinweg zu verteilen. Es gelang aber nur selten, ihre Vorstellungen durchzusetzen; noch seltener kam es zu einer der propagan­ distisch groß herausgestellten Verlagerungen bestehender Betriebe aus den Bal­ lungsräumen in die Peripherie. Ein besonderes Augenmerk richtete der auf Autarkie eingeschworene NS-Staat bei den neuen Industrieansiedlungen auf die Energieversorgung. In den Alpen und im Alpenvorland wurden die Wasser­ kraftwerke forciert ausgebaut, die Erdölförderung machte, wenn auch immer noch unbefriedigende, Fortschritte, und auch weniger ergiebige Braunkohle­ vorkommen wurden konsequent genutzt. Von besonderer Bedeutung waren 35 H. Fehn, Großstadtränder (§ 2 Anm. 9); K. Fehn, Ballungsräume (§ 3 Anm. 30); K. Fehn, Konversion milit. Liegenschaften als Aufgabenfeld d. Kulturlandsch.-Pflege (Kul-

turlandsch.-Pflege. Beitrr. d. Geogr. z. räuml. Planung) (§ 3) 299-301; s. auch Vier­ ter Stamm (§ 2 c). 36 K. Fehn, Ballungsräume (§ 3 Anm. 30).

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neben den staatseigenen pfälzischen Steinkohlegruben St. Ingbert und Mittelbexbach die oberbayerischen Pechkohlenbergwerke. Sehr unterschiedlich ent­ wickelten sich die kleineren Bergbau- und Industriegebiete in den Mittelgebir­ gen, da es sich hier um altgewachsene, komplizierte Systeme unter Einbezug von Land- und Forstwirtschaft handelte. In der NS-Zeit wurden zahlreiche stillgelegte Bergbaubetriebe wieder reaktiviert, wobei es sich jedoch rasch zeig­ te, daß die meisten von ihnen auch unter den Vorzeichen der Autarkie nicht ergiebig genug waren. Viele der kleineren Industriegebiete hätten sicherlich von einer planmäßigen Dezentralisierung der Industrie profitiert, die aber nicht zustande gekommen ist. Gerade die grenznahen Notstandsgebiete hätten drin­ gend neue Impulse benötigt; die Wiederbelebung einzelner älterer Gewerbeund Heimindustriebereiche bot hier nur einen schwachen Ersatz. Die arbeitsorientierten Industriegebiete waren noch nicht so verstädtert wie die rohstofforientierten. Sie fanden sich vorwiegend in den Mittelgebirgen und ihren Randlandschaften. Der Übergang zwischen den industriellen und den landwirt­ schaftlichen Gebieten erfolgte im Bereich der Mittelgebirge und der anschlie­ ßenden Ebenen meist ganz allmählich. Klare Grenzen ließen sich schon wegen des weiten Ausgreifens der Arbeiterwohnzone nicht ziehen; hinzu kommt, daß sich auch zahlreiche einzelne Industriewerke in die landwirtschaftliche Zone vorgeschoben haben. Die alten Schwerpunkte der Industrie erlebten keine grö­ ßeren räumlichen Veränderungen; es kam nur zu inneren Umstrukturierungen und zu randlichen Expansionen. Neue Industriereviere entwickelten sich lange nicht; dies änderte sich erst im Dritten Reich. Zunächst wurden umfassende Pläne für eine systematische Industrieverlage­ rung und Bevölkerungsumschichtung aus den alten Industrierevieren erarbeitet. Das Reichsgebiet wurde in vier Zonen gegliedert, die im Hinblick auf die In­ dustrieansiedlung unterschiedlich bewertet wurden. Die erste Zone umfaßte die meisten Großstädte. Hier sollte die bisherige Kapazität bis zu bestimmten festzulegenden Grenzen verringert werden und alle Veränderungen genehmi­ gungspflichtig sein. Zur zweiten Zone gehört das Vogtland. Hier durfte die alte Kapazität zwar ausgenutzt werden, alle Erweiterungs- und Neubauten waren aber verboten. In der dritten Zone, wozu unter anderem das Neckarland ge­ hörte, waren gewisse Erweiterungen gestattet. Im Rest des Deutschen Reiches waren Neubauten nicht nur grundsätzlich gestattet, sondern sogar erwünscht; hierzu gehörte der größte Teil Süddeutschlands. Diese Pläne wurden größten­ teils nicht ausgeführt. Der Aufbau des Eisenbahnnetzes spielte für die Industrialisierung Bayerns eine entscheidende Rolle.37 Nun konnte sowohl die Steinkohle aus den pfälzischen Staatsgruben als auch aus den Pech- und Braunkohlengruben dorthin transpor­ tiert werden, wo sie zur Energieerzeugung benötigt wurde. Mit der Eisenbahn begann in Bayern das Zeitalter der Dampfmaschine und damit auch der Indu17 H.-P. Schäfer, Die Anfänge d. fränk. Eisenbahn, 1985.

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strialisierung der Städte. Von den größeren bayerischen Städten verfugte nur Augsburg über genügend Wasserkraft für die älteren Betriebe und die neu ent­ stehenden Werke. Nürnberg, München, Aschaffenburg und Schweinfurt brauchten ebenso wie die aufblühenden Hüttenwerke in Amberg und die neue Maximilianshütte bei Burglengenfeld Kohle. Mit der Eisenbahn kamen die Rohstoffe, mit der Eisenbahn wurden auch die Produkte zu den Märkten ge­ bracht. Neue Standortbedingungen waren gegeben, als ein preisgünstiger Ener­ gietransport möglich wurde. Die Elektrizität führte zu einer flächenhaften Streuung der Gebiete und einer gewissen Entzerrung der Ballungsgebiete. Es kam in vielen Gebieten zu einer Überformung der Siedlungssubstanz, ohne daß der ländliche Gesamtcharakter verlorengegangen wäre. Es bildeten sich Ent­ wicklungsregionen, Entwicklungsbänder und manche zwischen Land und Stadt stehende Siedlungen. Während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts existierten in bestimmten Räumen aber noch nebeneinander archaische Formen der Heimarbeit und die moderne Fabrikarbeit.38 In Bayern entwickelten sich keine ausgeprägten Industrie- und Bergbauland­ schaften. Die meist arbeitsintensiven industrialisierten Landschaften erwiesen sich nach dem Zweiten Weltkrieg als flexibler wie andere deutsche Räume mit ihren festgefügten industriellen Strukturen und Verflechtungen. In den Nach­ kriegsjahrzehnten entwickelte sich ein System mit vielen Kernen von unter­ schiedlicher Größe und vielen kleineren Standorten. In dieses insgesamt weder einseitig disperse noch einseitig agglomerierte Industriesystem gehörten auch die großstädtischen Kernbereiche und die flächenhaften branchenbezogenen Industriegebiete in Nordostbayern. Die breitere Industrialisierung des flachen Landes ist ein Ergebnis gezielter Raumordnungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg; dies führte dazu, daß es heute in Bayern kaum noch einen größeren Ort ohne jeglichen Industriebetrieb gibt. Im Zusammenhang mit dem Bedeu­ tungsverlust sogenannter harter Standortfaktoren wie zum Beispiel Boden- und Mietpreise, Arbeitskräftepotential, Lohnkostenniveau und Absatzmarktorientie­ rung gewannen die sogenannten weichen Standortfaktoren wie die Wohn-, Freizeit- und Kulturwerte sowie das Image raumwirksame Bedeutung. Die mo­ derne Kommunikationstechnik erlaubte auch die Verlagerung von Produk­ tionsstätten aus den größeren Städten in die ländlichen Räume. Damit er­ weiterte sich die Palette von standortbestimmenden Faktoren noch weiter. In seiner eingehenden Untersuchung des oberbayerischen Pechkohlenabbau­ gebiets kam Carl Rathjens zu dem Ergebnis, daß man hier nicht von einer In­ dustrielandschaft sprechen dürfe.39 Es sei vielmehr die dort dominierende Agrarlandschaft durch die Wirtschaftslandschaft des Bergbaus überschichtet worden. Die industriellen Erscheinungen seien dort noch mehr punkthaft und 38 Ruppert, Räuml. Strukturen. 39 C. Rathjens, Industriegeogr. als Kulturlandsch.-Forschung, dargest. am Beisp. d. obb. Pechkohlengebiets (BdL 6) 1949, 65-

76; 150 Jahre Maxhütte (Schriftenreihe d. Stadtmus. u. d. Stadtarch. Sulzbach-Rosen­ berg 18) 2003.

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nicht flächenhaft ausgeprägt. In der Mitte des 20. Jahrhunderts bestanden diese aus den Werk- und Arbeitsstätten, den Verwaltungsbauten, den Lagerplätzen und Verkehrseinrichtungen, den Wohnsiedlungen mit Haus-, Pacht- und Schrebergärten, Spiel-, Sport- und Erholungsplätzen, Zu- und Abfahrtswegen. Alle diese Anlagen bildeten jeweils nur kleine Flächen. Hinzu kamen noch die Maschinenhäuser, die Gleisanlagen, die Bahnhöfe und die Halden. Rathjens schlug abschließend vor, statt von Industrielandschaften von industriebetonten Kulturlandschaften zu sprechen. Die Streuung, die allen industriellen Elemen­ ten eigen ist, prägte die bayerischen Bezirke, Reviere und Regionen besonders stark. Die Raumwirksamkeit der einzelnen Industriebetriebe war je nach Branche und Größe verschieden; es ergaben sich unterschiedliche Standorte, innere Struktu­ ren, äußere Formen sowie Wirkungen auf das nähere und fernere Umland des Werksstandorts. Entscheidend für die Beurteilung eines Industriebetriebs ist das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen, wozu auch die Freiräume und Ver­ kehrslinien sowie zahlreiche Einsprengsel aus anderen Wirtschaftsformationen vor allem der Land- und Forstwirtschaft gehören. Anfang der fünfziger Jahre konnte Bayern zwar durchaus als industrialisiertes Land gelten; in vergleichender Perspektive mußte es aber in Deutschland in vieler Hinsicht noch eher als Agrarland erscheinen.40 Die ökonomische Schwä­ che war vor allem die Folge der «geminderten Industrialisierung», die das dünn besiedelte und rohstoffarme Land nur zögerlich und punktuell erfaßt hatte. Trotzdem wäre es nicht richtig, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Industrialisierung ausschließlich als «importierte Industrialisierung» zu bezeich­ nen. Es gab bereits manche Ansätze, vor allem in den Leitsektoren Elektround Chemieindustrie. Die Kriegseinwirkungen auf die Industrie waren zwar in den Hauptstandor­ ten gravierend; flächenhaft waren sie wegen der großen Streuung jedoch we­ sentlich weniger schlimm als in den Industrielandschaften in anderen Teilen Deutschlands. Die Verlagerung bedeutender Unternehmen nach 1945 kam vor allem den drei Großstädten München, Nürnberg und Augsburg zugute.41 Daneben exi­ stierten noch einige Industrieinseln inmitten der strukturschwächeren agrari­ schen Regionen; zu nennen wären hier vor allem das Untermaingebiet, das nördliche Oberfranken, Teile der Oberpfalz und das oberbayerische Pechkoh­ lenrevier. Anknüpfungsmöglichkeiten für kleinere Betriebe boten die vielen ehemaligen Militärstandorte, da dort trotz mancher Zerstörungen zahlreiche Gebäude sowie eine moderne Infrastruktur erhalten geblieben waren. Teilweise entwickelten sich an diesen Standorten größere Industriesiedlungen, die später häufig ein eigenes Stadtrecht erhielten. Die Rahmenbedingungen für eine flä­ 40 Ruppert, Räuml. Strukturen (vor § 1).

41 Erker, Industriewirtschaft (§ 3 Anm. 32); Ruppert, Räuml. Strukturen.

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chige Industrialisierung waren Anfang der fünfziger Jahre in Bayern schlecht. Trotz eines erheblichen Umdenkens war die Skepsis gegen Industrialisierung und Urbanisierung immer noch weit verbreitet; die Politik versuchte mit der Verlagerung und Ansiedlung von Industriebetrieben im ländlichen peripheren Raum eine aktive Sanierung dieser Notstandsgebiete zu betreiben. Es entstan­ den so zwar keine neuen Industriegebiete; trotzdem gelang Bayern auf diese Weise allmählich der Übergang zum industriebestimmten Staat, was als bemer­ kenswerter Akt nachholender Industrialisierung anerkannt werden muß. Eine wichtige Hilfe war hierbei die staatliche Energiepolitik, die die Gewinnung von Wasserkraft, die Braunkohlenverstromung, den Bau von Erdölraffinerien und die Anlage von Atomkraftwerken forderte. Obwohl es an sich in Bayern eine große Vielfalt an natürlichen Rohstoffen gibt, sind derzeit keine Abbaustätten mehr zu nennen, die großräumig kultur­ landschaftsprägend sind.42 Die Situation hat sich im Laufe der Geschichte im­ mer wieder geändert, je nachdem wie die Rohstoffe bewertet wurden, die Ko­ sten- und Bedarfssituation sich darstellte und die Lagerstätten selbst sich er­ schöpften oder durch neuentdeckte Vorkommen ihre Bedeutung verloren. Die tertiäre Braunkohle kam an sich weit verstreut in vielen Teilen Bayerns vor. Heute sind alle Abbaustätten eingestellt, wobei die Vorkommen entweder er­ schöpft waren oder nicht mehr als abbauwürdig angesehen wurden. Torf galt lange Zeit als ein wichtiger Brennstoff Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Bewertung. Zunächst wurde Torf als Material für den Gartenbau ver­ wendet, bis es dann zu einer Einschränkung des Abbaus aus Naturschutzgrün­ den und zum Landschaftserhalt kam. Der Abbau von Natursteinen hatte früher eine wesentlich größere Bedeutung als heute. Zugenommen hat dagegen die Gewinnung von Kalkstein, Kies, Sand und Gips, was häufig andere Interessen, zum Beispiel von Land- und Forstwirtschaft, von Siedlung und Gewerbe, von Freizeit und Trinkwasserversorgung, tangierte.43 d) Verkehrsräume. Im 19. Jahrhundert wurden sowohl die neuen Verkehrsarten Eisenbahn und Automobil und neue Formen der Nachrichtenübermittlung er­ funden und in die Praxis umgesetzt als auch ältere Verkehrstechniken wie zum 42 H.E. Zorn, Bergbau in Bayern 18501980. Grundstoffgewinnung u. Energiever­ sorgung im Wandel (Leben u. Arbeiten im Industriezeitalter) 1985, 167-175; Goppel, Möglichkeiten (§ 3); Kulturlandsch.-Pflege (§ 3); W. Schenk, Aktuelle Tendenzen d. Landsch.-Entw. in Dtl. u. Aufgaben d. Kul­ turlandsch.-Pflege (Petermanns Geogr. Mitt. 146, H. 6) 2002, 54-57; Ders., «Landsch.» u. «Kulturlandsch.» - «getönte» Leitbegriffe f. aktuelle Konzepte geogr. Forsch, u. räuml. Plan, (ebd.) 8-13. 43 A. Siebert, Der Stein als Gestalter d. Kulturlandsch. im Main-Dreieck, 1953; W.

Gerling, Die Gewinnung u. Verarbeitung v. Naturstein bei Kirchheim/Ufr. (Würz­ burger Geogr. Arb. 4/5) 1957; K. Hottes, Die Naturwerksteinindustrie u. ihre stand­ ortprägenden Auswirkungen (Gießener Geogr. Sehr. 12) 1967; H. Jäger, Die Indu­ strie d. Steine u. Erden u. ihr Zusammen­ hang mit Siedl., Bevölk. u. Wirtsch. (18501914) (Ansprüche d. modernen Industrieges. an d. Raum, Teil 5) 1974, 55-66; W. Lieret, Der Rückgang d. Ziegelindustrie im Umland v. Nürnberg (MFGG 35/36) 1988/89, 33535°.

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Beispiel der Chaussee- und Kanalbau und die wasserbaulichen Maßnahmen für die Flüsse weiterentwickelt.44 Die Verbreitung der Innovationen erfolgte im Bereich des bayerischen Staates nicht gleichzeitig und auch nicht mit derselben Intensität. Eine wichtige Rolle spielten dabei die natürlichen Verhältnisse, vor allem das Relief und die auf territorialgeschichtlichen Gegebenheiten beruhen­ den Unterschiede in den Verkehrsspannungen. Schwierig war vor allem die Anbindung des bayerischen Verkehrsnetzes an die Netze der Nachbarländer. Die neue Verkehrsinfrastruktur prägte die Kulturlandschaft sowohl im länd­ lichen als auch im städtischen Raum. Es wurden in der Frühzeit des Eisenbahn­ wesens zahlreiche Strukturen geschaffen, die die spätere Raumordnung oft stark behinderten. Auch die Maßnahmen zur Energie- und Wasserversorgung präg­ ten mit den Talsperren, den kanalisierten Flußabschnitten und den Hochspan­ nungsleitungen die Kulturlandschaften. Um das Wasser konkurrierten verschie­ dene Industriezweige, sei es zur Energiegewinnung, sei es zur Versorgung mit Brauch- und Trinkwasser. Die Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten erzeugte erhebliche Verkehrsprobleme, die gegen Ende der fünfziger Jahre das Leitbild der autoge­ rechten Stadt auftauchen ließen. Erst später zeigte sich, daß dies ein sehr einsei­ tiges Leitbild war, dem umfangreiche Kulturlandschaftswerte geopfert worden waren. Der Ausbau von Verkehrsanlagen und die unkontrollierte Uberdeckung der Stadtrandzonen mit Wohnbauten erschwerten die Erhaltung und Erweite­ rung von Erholungsflächen in höchstem Maße. Durch den Kraftfahrzeugindivi­ dualverkehr war es nun nämlich auch möglich geworden, die noch freien Räu­ me zwischen den Trassen der schienengebundenen Nahverkehrsmittel und den Routen der Linienomnibusse für Wohnzwecke zu nutzen. Die gewerblichen und industriellen Bauten und Anlagen breiteten sich über weite Räume aus, wobei die sich ständig verbessernden Verkehrsverbindungen eine entscheiden­ de Rolle spielten. Der Flächenverbrauch durch Verkehrswege entstand nicht nur durch die Neuanlage von Straßen, sondern auch durch die Verbreiterung und Neutrassierung schon vorhandener Straßen und Wege quer über alle Kultur­ landschaftstypen hinweg. Die Hauptschädigungen durch den Verkehr bestan­ den in der Zerschneidung von Räumen und Siedlungsgefügen, der Versiege­ lung großer Flächen, den umfangreichen Materialbewegungen und den Ein­ griffen in Wasserhaushalt und Vegetation. Die Entwicklung der Verkehrsflächen zeigte eine deutliche Korrelation mit der Ausweitung der Wohn- und Gewerbeflächen.45 Der Verkehr beanspruchte im 44 Zimpel, Verkehr; H.-P. Schäfer, Bay. Verkehrswesen im frühen 19. Jh. (Aufbruch ins Industriezeitaker, hg. v. HdBG) 1985, 308-320; Troitzsch, Technikgeschichtl. Entw. 45 R. Endres, Warum wurde d. erste Ei­ senbahn zw. Nürnberg u. Fürth gebaut? (MFGG 31/32) 1984/1985, 481-502; Schä-

FER (Anm. 37); Ders., Die Eisenbahn in Franken zu kgl.-bayer. Zeit. Netzentw. u. Standortbedeutung (Frühe Eisenbahnen als Pionierleistungen) 1993, 1-20; Ders., Die Entw. d. Straßennetzes im Raum Schwein­ furt bis z. Mitte d. 19. Jhs. (Würzb. Geogr. Arb. 44) 1976.

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Laufe der Zeit mit seinen verschiedenen Ausprägungen sehr große Freiräume. Während dies unbestritten ist, hat sich die Wissenschaft noch nicht definitiv darüber verständigt, ob der Verkehrsaufbau im 19. Jahrhundert primär die be­ stehenden Siedlungen positiv oder negativ beeinflußt hat, oder ob die beste­ henden Siedlungsstrukturen maßgeblich für die Entstehung und Entwicklung der Verkehrssysteme geworden sind. Vermutlich wurden die alten Strukturen beziehungsweise Disparitäten mit ihren alten Land- und Wasserwegen durch das neue Verkehrssystem der Eisenbahn zunächst akzentuiert und später durch die Kraftfahrzeugstraßen modifiziert. Die Versuche, durch aufwendige Fernver­ kehrswege strukturschwachen peripheren Räumen gewerbliche Standortimpul­ se zu geben und sie dadurch zu sanieren, haben offensichtlich durchwegs nicht funktioniert. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß die Zunahme des Verkehrs- und Kommunikationssektors die Physiognomie der Siedlungen nachdrücklich geprägt und wesentlich zu ihrem Gestaltwandel beigetragen hat. Es entwickelten sich so zahlreiche stark durch den Verkehr geprägte Siedlun­ gen. Monofunktionale Verkehrssiedlungen sind aber für Bayern im 19. und 20. Jahrhundert nicht nachzuweisen. Die schnelle Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs nach dem Ersten Welt­ krieg46 führte zum Verlust der Monopolstellung der Eisenbahn, die aber immerhin noch bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts Gewinn machte. Ihr Netz wurde zwar modernisiert, aber nur noch geringfügig erweitert, Wobei es sich meist um Planungen aus der Vorkriegszeit handelte. Nach 1930 begann die Phase der Stillegungen, die sich aber zunächst auf Schmalspurbahnen be­ schränkten. Für die Pendler blieben aber die Eisenbahn, die S-Bahn und die Straßenbahn nach wie vor die entscheidenden Verkehrsmittel, da das Auto für weite Kreise noch nicht zur Verfügung stand. Das schienengebundene Nahver­ kehrssystem beeinflußte in starkem Maße die Ausdehnung der Städte ins flache Land. Trotz des intensiven Ausbaus vor dem Ersten Weltkrieg waren im Was­ serstraßennetz noch erhebliche Lücken geblieben; die ganz großen Blütenträu­ me wie die Verbindung der Hauptströme Donau, Rhein, Elbe und Oder reif­ ten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht.47 Das Kraftfahrzeugzeitalter begann in Bayern erst nach dem Ersten Weltkrieg, wenn es auch schon vor 1914 teilweise erheblichen Autonahverkehr gegeben hat.48 Die neue Entwicklung war durch das Anwachsen des Verkehrs sowohl nach der Zahl der Fahrzeuge als auch nach dem Gewicht, der Zunahme der Geschwindigkeit und der allgemeinen Motorisierung gekennzeichnet. Der KfzVerkehr und hier vor allem der Omnibusverkehr entwickelte sich mehr und mehr zum personenorientierten Flächenverkehr, während der Güterverkehr 46 Sauer (vor §1). 47 E. Häuf, Die Umgestaltung d. Innstromgebietes durch d. Menschen (MGGM 37) 1952, 5-180; K. Heindel, Die Umge­ staltung d. Isar durch d. Menschen, 1936.

48 E. Gruber - E. Schütz, Mythos Reichsautobahn. Bau u. Inszenierung d. «Straßen d. Führers» 1933-1941, 1996.

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nach wie vor weitgehend das bestehende Liniensystem der Eisenbahn und der Wasserstraßen benutzte. Die Entwicklung des Kraftfahrzeugverkehrs führte zur Renovierung des vorhandenen Landstraßennetzes und zur Anlage des gesonder­ ten Schnellstraßensystems der Autobahnen. Die wichtigsten der vorhandenen Straßen wurden schon in der Weimarer Zeit mit widerstandsfähigen Decken versehen, verbreitert sowie mit ebenen Oberflächen und besseren Kurven aus­ gestattet. Bei vielen Straßenabschnitten war darüber hinaus eine Veränderung der Linienführung nötig, um enge Kurven, große Steigungen und schwierige Ortsdurchfahrten zu vermeiden. Hierzu waren zahlreiche Brücken, Einschnitte und Dämme zu errichten. 1937 wurden alle Fernverkehrsstraßen neu in Reichsstraßen, Landstraßen I. und II. Ordnung eingeteilt. Ende der dreißiger Jahre war so die Anpassung des Femstraßennetzes an das moderne Kraftfahrzeug in großen Zügen abgeschlossen. Es fehlte aber völlig die Verbesserung der Nebenstraßen, die meist noch keineswegs kraftfahrzeuggeeignet waren. Ein weiteres Problem stellten auch noch die vielen Schienenbahnen auf den Stra­ ßentrassen dar, die mehr und mehr zu Verkehrshindernissen wurden. Auch das Autobahnnetz war bei Kriegsbeginn noch sehr lückenhaft; der Hauptteil der vorgesehenen Strecken verblieb im Planungsstadium.49 Trotzdem war der Autobahnbau für die NS-Zeit von kaum zu überschätzender Bedeu­ tung, da hier schon länger zurückliegende Pläne für ein modernes Schnellstra­ ßensystem aufgegriffen und teilweise verwirklicht wurden. Die Autobahnen zeichneten sich gegenüber den herkömmlichen Straßen durch folgende Vortei­ le aus: Sie hatten einen einheitlichen festen Straßenkörper; sie wiesen eine für größere Geschwindigkeiten geeignete Linienführung auf; die beiden nach Richtungen getrennten Fahrbahnen ermöglichten gefahrloses Überholen und Begegnen; die bebauten Ortslagen wurden umfahren; die Kreuzungen waren durch Unter- und Überführungen gesichert; die Autobahnen durften nur von Kraftfahrzeugen genutzt werden. Den Autobahnen sehr nahe kamen die gro­ ßen überregionalen Schnellstraßen, wie zum Beispiel die Ostmarkstraße oder die Alpenquerstraße. Nachdem das Verhältnis der Straßen zur Landschaft zu­ nächst ganz zweckorientiert gewesen war, änderte sich dies in der NS-Zeit. Die Fernlandstraßen und die Autobahnen sollten nicht nur eine hohe techni­ sche, sondern auch eine bemerkenswerte ästhetische Qualität aufweisen und in die umgebende Landschaft eingebettet sein. Das Verkehrsaufkommen war in dieser Zeit noch so gering, daß die Vorstellung vom «Wandern mit dem Auto» nicht sofort als Utopie betrachtet worden ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Verkehrsfläche quantitativ und qua­ litativ grundlegend verändert.50 Der Verkehr gehört eindeutig zu den größten «Landschaftsfressern». Die Ausweitung der dadurch beanspruchten Flächen er­ folgte in deutlicher Korrelation mit der Ausweitung der Wohn- und Gewerbe49 Ebd. 50 A. Gall - A. Kagermeier, Siedlungs-

Struktur u. Verkehrsmobilität. Eine empirisehe Unters, am Beisp. v. Südbayern, 1997.

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flächen. Hinzu kamen die neuen Trassen der Autobahnen und neuerdings der Intercity-Expreß-Züge der Eisenbahn, die primär Überlandverbindungen dar­ stellen. Die Motorisierung lief nach dem Krieg erst langsam wieder an. Vor al­ lem war die Zahl der privaten Autobesitzer zunächst noch gering. Erst als diese stark zunahm, wurde es auch möglich, sich außerhalb der größeren Siedlungen niederzulassen und zur Arbeitsstätte zu pendeln. Dafür war dann der Ausbau des Straßennetzes unbedingt erforderlich. Weiterhin mußten die Peripherien durch Straßen erschlossen werden und Überlandverbindungen in Form von Bundesstraßen und Autobahnen hergestellt werden. Insgesamt ist der Flächen­ verbrauch durch die Verlängerung des Straßennetzes trotz vieler spektakulärer Großprojekte geringer gewesen als durch die Verbreiterung, Befestigung und Umlegung vorhandener Straßen, wozu auch die Landstraßen und die Wirt­ schaftswege für die Landwirtschaft zu zählen sind. Die Flächenbeanspruchung durch die Eisenbahnen nahm zunächst wegen der Still­ legung vieler Nebenbahnen erheblich ab, um dann im Zusammenhang mit den neuen ICE-Trassen wieder stark anzuwachsen. Der Flächenbedarf für Rohrlei­ tungen und Hochspannungsleitungen war in Waldgebieten unübersehbar. Schließlich kam es in der Periode der «autogerechten Stadt» auch in den Sied­ lungen zu spürbaren Eingriffen in die Bausubstanz und in den Grundriß. Seit etwa 1960 wurden erstmals auch verschiedene Verkehrsebenen zusammenge­ führt. Die sektorenartige Aussparung von bestimmten Gebieten, die bei einer linienhaft orientierten Verkehrsführung nur schwer genutzt werden konnten, verschwand mehr und mehr, da der Individualverkehr jeden Ort mit nur gerin­ gen Unterschieden erreichen konnte. Die Probleme des Verkehrs in den Peri­ pheriegebieten waren so betrachtet theoretisch gelöst. Faktisch wurde die gute Erreichbarkeit bestimmter Gegenden eine Daueraufgabe der Verkehrspolitik, die nur durch eine nicht am Gewinn orientierte staatliche Unterstützung des Personennahverkehrs gemeistert werden kann. Eine der wichtigsten Aufgaben nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wiedereinfügung der vielen militärischen Anlagen in die zivile Raumordnung. Dies gelang nur teilweise, da zahlreiche Standorte von den Amerikanern weiter beansprucht wurden und nach der deutschen Wiederaufrüstung nach 1956 auch die deutschen Wünsche befriedigt werden mußten. Erst in der neuesten Zeit wurden durch den Abzug der Amerikaner aus vielen Standorten und die Ver­ kleinerung der Bundeswehr zahlreiche militärische Flächen und Anlagen frei. Den Konversionserscheinungen der unmittelbaren Nachkriegszeit folgte nun eine zweite Phase mit zahlreichen neuen Optionen, aber auch raumordneri­ schen Problemen. Die Schiffahrt auf Bayerns Seen und einigen Flüssen5' läßt sich schon früh be­ legen. Der Charakter als alpines Wildwasser schränkte den Verkehrswert der 51 E. Neweklowsk^, Die Schiffahrt u.

1964; F. Stang, Die Wasserstraßen Ober-

Flößerei im Raum d. Oberen Donau, 1952-

rhein, Main u. Neckar. Häfen u. Hinterland

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Alpenflüsse jedoch beträchtlich ein. Schiffahrt war hier unmöglich. Eine um so größere Rolle spielte die Flößerei. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlor die Trift an Bedeutung. Der Main mit seinem starken Gefälle diente bis Bamberg der Holzflößerei, unterhalb von Bamberg auch der Schiffahrt. Vor allem aus dem Frankenwald wurde bis um 1900 durch die Flößerei viel Holz mainab­ wärts verfrachtet. Zu diesem Zwecke wurden zahlreiche Bäche ausgebaut und das Wasser zur Vermehrung der Transportkraft in Stauteichen gesammelt.52 Starke Neigung zur Vereisung im Winter und fühlbare Wasserklemmen im Hochsommer erschwerten jahrhundertelang die Schiffahrt auf dem Main. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde eine Mittelwasserregelung durchgefuhrt, nachdem der von 1836 bis 1846 gebaute Ludwig-Donau-Main-Kanal eine Verbindung zur Donau hergestellt hatte. Dieser Kanal war jedoch zu schwach dimensioniert und so der in dieser Zeit aufkommenden Konkurrenz der Eisenbahn nicht ge­ wachsen. Der Ausbau des Mains zur Großschiffahrtsstraße erreichte 1921 Aschaffenburg, 1940 Würzburg und 1961 Bamberg. Der Rhein-Main-DonauKanal insgesamt wurde aber erst 1995 fertiggestellt und eröffnet. Aus verschie­ denen wirtschaftlichen, aber auch politischen Gründen blieb bis heute die Be­ deutung dieser Verbindung als überregionaler Wasserstraße gering. Viel wichti­ ger wurden die Einflüsse auf den Fremdenverkehr und die Wasserversorgung. Umstritten ist derzeit noch der weitere Ausbau der niederbayerischen Donau­ strecke für einen größeren Schiffstyp. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die Verkehrswege und die Landschaft immer mehr auseinander. Den momentanen Höhepunkt stellen die Lärmschutzwälle und -zäune dar, die die Straßen hermetisch von der Land­ schaft trennen. Sowohl in den Freiräumen als auch im besiedelten Gebiet sind die Verkehrslinien zu Fremdelementen in der Kulturlandschaft mit einem gro­ ßen Flächenverbrauch geworden. Die Einrichtungen des ruhenden Verkehrs und die Serviceanlagen gewannen mit dem Anwachsen des Autoverkehrs eine im­ mer größere Bedeutung. Außerhalb der Siedlungen entstanden Rasthäuser und Tankstellen; innerhalb der Siedlungen kamen noch Parkhäuser bzw. Tiefgara­ gen sowie Omnibusbahnhöfe hinzu. Positive Veränderungen ergaben sich an­ dererseits in den Innenstädten erst, als das Konzept der «autogerechten Stadt» seit den späten siebziger Jahren mehr und mehr kritisiert und das Auto aus den Innenstädten zugunsten der Fußgängerzonen verdrängt wurde. Die Bedeutung des schienengebundenen Verkehrs ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kontinuierlich zurückgegangen. Daran konnte auch die Anlage der ICE-Strekken nur wenig ändern, die außerordentlich aufwendige Neubautrassen mit vie­ len Einschnitten, Dämmen, Brücken und Tunnelen nötig machten.

(FdL 140) 1963; R. Gerlach, Flußdynamik d. Mains unter d. Einfluß d. Menschen seit d. SpätMA (FdL 234) 1990; H. Fehn, Flüsse als Wasserstraßen (HB IV 2) 660 fF.

52 K. Filser, Flößerei auf Bayerns Flüssen. Zur Gesch. eines alten Handwerks (He. z, bayer. Gesch. u. Kultur 11) 1991.

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B. I. Das Land und seine Bevölkerung

Die Trassen, Anlagen und Gebäude der aufgelassenen Eisenbahnstrecken wurden in unterschiedlicher Weise neu genutzt. Nachdem man anfangs häufig einzelne Stücke veräußert hatte, setzte sich später die Meinung durch, daß eine durch­ gehende Trasse einen großen Wert für verschiedenartige Neunutzungen dar­ stellte, den es zu erhalten gelte. Dementsprechend entstanden nun adäquate Nachfolgestrukturen wie zum Beispiel Radwanderwege. Die Bahnhöfe wurden nicht selten in Restaurants umgewandelt. Auch die Bauten und Anlagen der bestehenden Strecken erlebten teilweise tiefgreifende und umfassende Verände­ rungen. So wurden in die Großstadtbahnhöfe moderne Geschäftspassagen ein­ gebaut. Darüber hinaus gibt es Pläne, die Sackbahnhöfe und die anschließen­ den Gleisbereiche komplett, nach der Verlegung des Bahnhofs, nach außen zu überbauen. Die Verbindung der einzelnen Bahnhöfe untereinander wurde ein erstrebenswertes städtebauliches Ziel, das für München anläßlich der Olympi­ schen Spiele 1972 durch den Isartunnel zwischen Haupt- und Ostbahnhof zu­ mindest für die S-Bahn-Züge erreicht worden ist. Das schienengebundene Nahverkehrssystem in Gestalt der S- oder der U-Bahnen ersetzte in den Groß­ städten weitgehend das ältere Straßenbahnsystem. In den kleineren Städten mußte nach dem Zweiten Weltkrieg sehr häufig die Straßenbahn dem Omni­ bus weichen.53 Bereits vor dem Ersten Weltkrieg bestanden Ansätze für den Flugverkehr. Ein Netz von Flughäfen, die regelmäßig genutzt wurden, entstand aber erst in den zwanziger Jahren. Aus den Flugfeldern und Flugstützpunkten der Anfangs­ phase mit ihren Verwaltungsbaracken und Graspisten entwickelten sich Flugha­ fenanlagen mit repräsentativen Abfertigungshallen und befestigten Start- und Landebahnen, die immer größere Flächen in der unmittelbaren Nachbarschaft von Städten beanspruchten. Gleichzeitig kam es aber auch zu einer Konzentra­ tion auf wichtige Plätze mit einer Klassifizierung von Flughäfen I. und II. Ord­ nung sowie Notlandeplätzen auf Militärstandorten und landwirtschaftlichen Brachflächen. Während des Dritten Reichs wurden einige Flugplätze großzügig ausgebaut beziehungsweise neue angelegt. Das beste Beispiel in Bayern ist München-Riem. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich der Linien­ verkehr auf wenige Standorte, die im großen Stil gefordert wurden. Noch stär­ ker als die älteren Flughäfen beeinflußte die Anlage eines neuen Flughafens nördlich von München die Raumstruktur einer ganzen Region. Die Verkehrs­ anbindung ist derzeit immer noch nicht zufriedenstellend. Die Öffnung der Grenzen nach dem Ende des Kalten Krieges und die Erwei­ terung der Europäischen Union führten zu einem stetig wachsenden Druck auf die Verkehrswege in Bayern, vor allem diejenigen, die von West nach Ost führten. Dies hatte in den Gebieten mit älteren Strukturen, zum Beispiel in der Oberpfalz, gravierende Unzuträglichkeiten zur Folge, die möglichst rasch be­ seitigt werden müssen. 53 Stadt u. Verkehr im Industriezeitalter, hg. v. H. Matzerath (Städteforsch. A 41) 1996.

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e) Erholungsräume. Die Anfänge des Fremdenverkehrs im modernen Sinne reichen ins späte 18. Jahrhundert zurück.54 Damals wurden einzelne Sehenswürdigkei­ ten wie Felsenlabyrinthe und Wasserfälle besucht, soweit sie gut erreichbar wa­ ren. Häufig lagen sie in der Nachbarschaft von Kur- und Badeorten, die im 18. Jahrhundert aufgeblüht waren. Im 19. Jahrhundert wurden viele von ihnen großzügig ausgebaut, wobei entsprechend der Herkunft der Besucher Elemente der adeligen und der großbürgerlichen Kultur überwogen. Der Ausbau erfolgte nach bestimmten allgemeinen Konzepten; die Details waren aber regional sehr verschieden. Es entstanden so Hotels, Pensionen und Mietvillen sowie Kaffee­ häuser, Musikpavillons und Wandelgänge, private Gärten und öffentliche Anla­ gen in Form von Parks und Promenaden. Schließlich wurde in zunehmendem Umfange die unmittelbare landschaftliche Umgebung mit ihren Sehenswürdig­ keiten und Aussichtspunkten einbezogen. Die großen Badeorte wurden so die ersten Fremdenverkehrssiedlungen im engeren Sinne. In dieser Initialphase des Fremdenverkehrs etwa zwischen 1780 und 1870 wurden neue Standorte erschlossen, die primär als Sommerfrischen für wohlha­ bende Bürger dienen sollten.55 So entstanden erste Villen im Gebiet des Starn­ berger Sees um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als 1854 die Eisenbahnverbin­ dung München-Starnberg eröffnet wurde, nachdem bereits seit 1851 das erste Dampfschiff auf dem See verkehrte. Mit den Sommerfrischen wurde eine alte Tradition der Oberschicht fortgesetzt, die sich aber aus Verkehrsgründen ihre Standorte früher im näheren Umfeld ihres Wohnsitzes gesucht hatte. Es wird mit Recht herausgestellt, daß es eine besondere Leistung des 19. Jahrhunderts war, die ersten Grundlagen einer Fremdenverkehrsinfrastruktur zu schaffen, die vielfältige landschaftliche Initiativen und zugleich Interessen überspannte. Ohne die Initialphase des Fremdenverkehrs zu unterschätzen, muß hier aber betont werden, daß der eigentliche Durchbruch erst nach 1870 erfolgte und die Zeit des Fremdenverkehrs als Massenphänomen erst nach dem Ersten Welt­ krieg begann. Dies bedeutet auch, daß der Fremdenverkehr vor 1918 nur ver­ gleichsweise wenige Umweltschäden angerichtet hat und die Prioritäten über längere Zeiten noch anders gesetzt wurden, was wiederum Auswirkungen auf den Umgang mit der Kulturlandschaft hatte und sogar zu einer anderen Bewer­ tung von Standorten führte. Die Zahl der Orte mit Fremdenverkehr nahm nach 1870 rasch zu. Die be­ vorzugten Gebiete waren die Alpen und einige Mittelgebirgsräume. Wirkliche Fremdenverkehrsorte, die sich an Bedeutung mit den Kur- und Badeorten messen konnten, wurden aber nur einige wenige Orte, worunter wiederum die 54 Prahl - Steinecke, Millionen-Urlaub; Das Bad. Eine Gesch. d. Badekultur im 19. u. 20. Jh., hg. v. H. Lachmayer u.a., 1991; H. Poser, Geogr. Stud, über d. Fremden­ verkehr im Riesengebirge (Abh. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, Math.-Phys. Kl., 3. Fol­ ge, Nr. 20) 1939.

55 Kulturlandsch. u. Tourismus; G. Scho­ Frühe Villen u. Landhäuser am Starn­ berger See, 1998; Ongyerth (§ 3 Anm. 26); D. Rödel, Die Passionsspiele v. Oberam­ mergau (SAGG 21) 2003, 125-144. ber,

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großen Gebirgssommerfrischen wie Garmisch-Partenkirchen, Oberstdorf und Berchtesgaden eine Sonderstellung hatten?6 Dort entstanden große Neubauten; vor allem mußte eine den hohen Ansprüchen genügende Hotelerie und ein hochrangiges Gaststättengewerbe geschaffen werden. Daneben wurden zahlrei­ che Pensionen erbaut. Nicht unumstritten war in dieser Zeit der Bau von Bergbahnen in Form von Standseilbahnen und Zahnradbahnen, wodurch die Höhenlagen für den Fremdenverkehr erschlossen werden sollten. Früher Frem­ denverkehr fand sich nicht nur in den Alpen und an den Alpenseen, sondern auch in den Mittelgebirgen.56 57* Herausragende Beispiele sind die Fränkische Schweiz und das Fichtelgebirge. Für Bad Berneck lassen sich mit einigen Daten gut die wichtigsten Entwicklungsetappen aufzeigen: 1871 beliebteste Sommer­ frische im Fichtelgebirge; 1888 Gründung des Fichtelgebirgsvereins; 1893 Be­ ginn des Wintersports; 1907 erster Sonderzug mit Urlaubern aus Nürnberg. Insgesamt gesehen entwickelte sich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine größere Zahl von Orten mit Fremdenverkehr zu Fremdenverkehrsorten. In manchen Teilen der Alpen und der Mittelgebirge waren auch erste Ansätze von touristischen Revierbildungen zu erkennen. Nachdem bis in das späte 19. Jahrhundert der Fremdenverkehr sich ausschließlich im Sommerhalbjahr abge­ spielt hatte, entwickelte sich ab etwa 1890 zunächst noch sehr zaghaft der Win­ tersport. Nur an wenigen Standorten kam es zu kulturlandschaftprägenden Um­ formungen. Innerhalb der Siedlungen wurden zum Beispiel Eisbahnen ange­ legt; außerhalb der Siedlungen wurden Ubernachtungsmöglichkeiten für die Tourenläufer geschaffen, die in dieser Zeit das Bild der Wintersportler prägten. Der Wintersport erlebte nach dem Ersten Weltkrieg einen enormen Auf­ schwung, da nun breitere Volksschichten diese Form von Erholung bevorzug­ ten und auch die Möglichkeit dazu hatten?8 Im Zusammenhang mit diesen Ansprüchen und Wünschen weitete sich die Kulturlandschaftsumformung im­ mer mehr in die Umgebung aus. Neue Standorte kamen nur zögerlich hinzu, da erst die Infrastrukturen geschaffen beziehungsweise verbessert werden muß­ ten. Schon frühzeitig wurden dabei Konfliktfelder zwischen Straßenbau und Na­ turschutz oder ländlichem Siedlungsbau und Denkmalpflege deutlich. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war mit der Jugendbewegung eine andere Form des Wanderns aufgekommen; außerdem wurden Stimmungswerte von bestimmten Landschaften wie zum Beispiel den Moorlandschaften nördlich von München von Landschaftskünstlern erkannt und in Kunstwerke umgesetzt. In den Städ­ ten und größeren Siedlungen prallten nicht selten die Interessen der Urbanisie56 Th. Hellmuth, Der Fremdenverkehr (Gesch. v. Berchtesgaden III, 2) 2002, 11471188; K. Ruppert, Das Tegernseer Tal. Sozialgeogr. Stud, im obb. Fremdenverkehrs­ gebiet (Münchner Geogr. Hefte 23) 1962; K.-H. Häussler, Das Oberallgäu, 1958; W. Emmerich - H. Kunstmann, Gesch. d. Stadt Bad Berneck, 1957.

57 A. Weber, Geogr. d. Fremdenverkehrs im Fichtelgebirge u. Frankenwald (MFGG 5) 1958; W. Emmerich, Die Entdeckung d. Fränk. Schweiz (BHVB 102) 1966, 551-586. 58 Kulturlandsch. u. Tourismus.

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rung und Industrialisierung auf diejenigen des Fremdenverkehrs, die einerseits an der Romantik orientiert waren und andererseits den Heimatschutz unter­ stützten. Aus heutiger Sicht kam es in diesen Auseinandersetzungen nicht sel­ ten zu wenig befriedigenden Lösungen. Es entstanden nämlich touristische Re­ servate, bei denen die historische Authentizität einen relativ untergeordneten Wert darstellte. In dem letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg nahm ein wachsender Teil der Bevölkerung an dem Ausflugsverkehr und der Naherholung teil. Bedeut­ sam wurde hierfür der Ausbau des Nahverkehrsnetzes vor allem in Form von Straßenbahnen und die Etablierung einer großen Anzahl von Einkehrmöglich­ keiten im unmittelbaren Umland der Siedlungen. Teilweise errichteten sich Angehörige der vermögenderen Schichten auch Häuser mit größeren Gärten beziehungsweise Parks in der reizvollen Umgebung, wie beispielsweise im Oberen Würmtal südlich von München.59 Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte der Fremdenverkehr einen sprunghaften Anstieg. Es bildeten sich zusätzlich Wintersportorte und Höhenkurorte aus. Es ka­ men aber nicht nur neue Orte hinzu, sondern es entstanden erstmals Fremden­ verkehrslandschaften. Während diese noch relativ selten waren, nahm die Zahl der vom Fremdenverkehr beeinflußten Siedlungsmischtypen erheblich zu. Hier entstanden immer häufiger Nutzungskonkurrenzen vor allem mit der Landund Forstwirtschaft. Eine unabdingbare Voraussetzung für das Aufblühen des Fremdenverkehrs war der Ausbau der Verkehrsverbindungen. Da im Bereich der Schienenbahnen nach dem Ersten Weltkrieg keine wesentlichen Strecken­ erweiterungen mehr zustande kamen, mußte der Kraftomnibus den Durch­ bruch bringen. In den kleineren Fremdenverkehrsorten fehlte es oft noch am Allernotwen­ digsten. Die Infrastruktur reichte meist bei weitem nicht aus. Im Gegensatz zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entstanden aber jetzt nur noch wenige neue Hotels, sondern meist nur Pensionen in kleineren Häusern. Trotzdem kann man sagen, daß das Gesamtbild der Fremdenverkehrsorte in erheblichem Um­ fange in der Zwischenkriegszeit geprägt wurde. Grund dafür waren vor allem die vielen Umbauten verschiedenster Art und die Infrastrukturmaßnahmen, wie zum Beispiel die Anlage eines Freibades. Beherbergung und Bewirtung wurden noch häufig im Nebenerwerb von Privatleuten übernommen. Eine wesentliche Rolle für die Ausbreitung des Fremdenverkehrs spielten die Fremdenverkehrs­ vereine, die in den zwanziger Jahren in vielen Orten gegründet wurden. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde erstmals auch systematischer auf den Ausbau von Naherholungsräumen im Umkreis der Ballungsräume geachtet. Hier ging es ganz wesentlich um die Freihaltung geeigneter Räume von ander­ weitiger Bebauung. In den Städten selbst entstanden während der Weimarer Zeit Volksparks sowie Spiel- und Sportplätze. In die einschlägigen Erholungs59 Ongyerth (§ 3 Anm. 26).

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Überlegungen wurden auch die Kleingärten, die Schrebergärten, die Innenhöfe der großen Wohnanlagen und die Waldfriedhöfe einbezogen. Ein schwierig zu lösendes Problem war die Sicherstellung stadtnaher Wälder vor unerwünschten Veränderungen. Orte, denen der Fremdenverkehr vollständig das Gepräge gab, waren auch in der Zwischenkriegszeit selten.60 Viel zahlreicher waren die Orte, auf die der Fremdenverkehr bereits eingewirkt hatte, ohne sie aber schon grundlegend verändert zu haben. Der Fremdenverkehr führte zu vielen, zunächst relativ un­ scheinbaren Veränderungen im Siedlungsgefuge. Die erste Stufe waren vor­ übergehende Umnutzungen, die zweite dauerhafte Nutzungswandlungen und die dritte Umbauten. Die typischen Fremdenverkehrsorte wiesen häufig ein wenig harmonisches Ortsbild auf; sie machten oft den Eindruck des Unferti­ gen. Es muß hier aber betont werden, daß in den bayerischen Bädern und den Alpensommerfrischen der Anteil an Siedlungselementen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wesentlich höher gewesen ist als in den jüngeren Fremden­ verkehrsorten, zum Beispiel der mitteldeutschen Mittelgebirge, die 1939 von Hans Poser in seiner bahnbrechenden Untersuchung über den Fremdenverkehr charakterisiert wurden. Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fremdenzahlen im Zusammen­ hang mit der Weltwirtschaftskrise begann in der Zeit des Dritten Reiches eine neue Phase.61 Der Fremdenverkehr hatte in der nationalsozialistischen Ideolo­ gie einen hohen Stellenwert. Es handelte sich dabei aber um eine gänzlich an­ dere Form als in der Weimarer Zeit, da nun der Staat den Anspruch auf die to­ tale Freizeitgestaltung erhob. Unter dem Schlagwort «Kraft durch Freude» sollte die Freizeit der deutschen Bevölkerung primär zur überwachten Regeneration der Leistungsträger verplant werden, was jedoch nur teilweise gelang. Langfri­ stig waren eigene riesige Urlaubsstätten am Meer und in den Gebirgen geplant, die eine große Zahl von Urlaubern hätten aufnehmen können. Neue räumliche Schwerpunkte der Reisen innerhalb von Deutschland wurden die grenznahen Gebiete vor allem in den Mittelgebirgen. Dort gab es aber wegen der fehlen­ den oder zumindest schlechten Infrastruktur noch erhebliche Schwierigkeiten, die nicht ohne weiteres zu beseitigen waren. Das Hauptproblem waren die mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Gasthöfen. Mit spektakulären Aktionen wie zum Beispiel den sogenannten Weinpartnerschaften zwischen In­ dustriegebieten und notleidenden Weinbaugebieten sowie günstigen Pauschal­ reisen versuchten die Organisatoren Fortschritte zu erzielen. Der erste Pauschal­ reisezug fuhr im Mai 1933 nach Ruhpolding. Auch im Bereich der Naherholung wurden die meisten Pläne der NS-Zeit nicht verwirklicht. 60 Poser (Anm. 54). 61 W. Buchholz, Die nationalsozialist. Gemeinschaft «Kraft durch Freude». Frei­ zeitgestaltung u. Arbeiterschaft im Dritten Reich, Diss. (Masch.) München 1976; K.

Fehn, Die Auswirkungen d. Veränderungen d. Ostgrenze d. Dt. Reiches auf d. Raum­ ordnungskonzept d. NS-Regimes (19381942) (SAGG 9) 1991, 199-227; Die Bayer. Ostmark, hg. v. H. Scherzer, 1940.

4. Die Siedlungsraumtypen (K. Fehn)

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Dabei ist festzuhalten, daß im Fremdenverkehrskonzept der Nationalsoziali ­ sten die Naherholungsgebiete eine Einheit mit den in Deutschland gelegenen Fernerholungsgebieten bildeten. Ausgehend von der Idee einer Sanierung der Städte im «landschaftsbetonten Sinne» sollten die Stadtgefiige durch Grün- und Freiflächen aufgelockert und die gesamte städtische Agglomeration durch Grünzüge mit der umgebenden Landschaft und vor allem mit den ideologisch so hoch eingeschätzten Wäldern verbunden werden. Diese einschneidenden Veränderungen der Grünflächengestaltung wurden aber fast nirgendwo durch­ geführt. Die weitreichenden Pläne zur Strukturverbesserung notleidender Ge­ biete wie zum Beispiel des Bayerischen Waldes durch den Ausbau des Frem­ denverkehrs wurden ebenfalls nur sporadisch verwirklicht. In der NS-Zeit ent­ standen einige spezifische Fremdenverkehrsbauten, wie zum Beispiel die Auto­ bahnraststätten. Hierzu lassen sich auch die zahlreichen neuen Jugendherbergen und Wanderheime vor allem im Bayerischen Wald und in Oberbayern rech­ nen. Die «Kraft durch Freude»-Reisen forderten die Ausbreitung des Fremdenver­ kehrs in Deutschland sehr. Besonders kam dieses Oberbayern zugute, während die Intensivierung des Fremdenverkehrs in Gebieten, die noch fast keine geeig­ nete Infrastruktur hatten, wie zum Beispiel dem Bayerischen Wald, auf erhebli­ che Schwierigkeiten stieß. Fremdenverkehrslandschaften waren Teile der Bay­ erischen Alpen vor allem um Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Tegernsee und Schliersee, Reichenhall und Berchtesgaden. In den Mittelgebirgen erfaßte der Fremdenverkehr in unterschiedlichster Intensität viele neue Räume.62 Zum Beginn der Weimarer Zeit hatte es ja zunächst nur den Bäderverkehr und ei­ nen noch nicht sehr entwickelten Sommerfrischenbetrieb gegeben. In den Al­ pen spielten die Sommerfrischen in den Randzonen nach wie vor die Haupt­ rolle, von dort aus, zum Beispiel vom Oberallgäu oder dem Salzkammergut, drang der Fremdenverkehr aber allmählich in die inneren Täler vor. Darüber hinaus gewann der Wintertourismus an Bedeutung, und die Sommersaison wurde in den Frühling und den Herbst ausgeweitet. Das Programm der KdF-Reisen umfaßte Wanderungen, Zugreisen und Kreuzfahrten im In- und Ausland. Die Masse der Teilnehmer reiste innerhalb Deutschlands, wobei die regional- und grenzpolitischen Aspekte deutlich her­ ausgestellt wurden. Die Verbindung mit der Landschaft spielte eine große Rol­ le. Die neuen Überlandstraßen, wie beispielsweise die Ostmarkstraße im Bay­ erischen Wald und vor allem die Reichsautobahnen mit ihren zahlreichen Parkbuchten und besonderen Rastanlagen, sollten zum «Autowandern» und zum längeren Verweilen in der schönen Landschaft einladen. Weiterhin gab es umfangreiche Pläne für Ferienstädte, KdF-Hotels und Urlauberdörfer. Für Sonderereignisse wie die Olympischen Spiele 1936 wurden aufwendige Spe­ zialanlagen errichtet. 62 Prahl - Steinecke, Millionen-Urlaub.

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Die Erholungs- und Freizeitansprüche nahmen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer stärker zu.63 Die klassischen Fremdenverkehrsräume behiel­ ten ihre Bedeutung, mußten diese aber in gewissem Umfange mit abgelegeneren und bisher zurückgebliebenen Landstrichen teilen, die nun zunehmend aufgewertet wurden. Dies ist eine Folge der Intensivierung der ausgeführten Erholungsaktivitäten vom punktuellen über den linienhaften zum flächenhaften Anspruch. Immer stärker wurde der Raum genutzt, was zu einer typischen Bau- und Landschaftsgestaltung führte. Die Erholungsmöglichkeiten im Nah­ bereich, der nun besser erreichbar war, wurden erheblich ausgebaut. Seit den 1980er Jahren ist eine Verlangsamung des Ausbaus zu Fremdenver­ kehrslandschaften zu konstatieren. Dies ist auf Widerstände aus dem Bereich des Naturschutzes und der Denkmalpflege, aber auch von der Raumplanung zurückzufuhren.64 Nachdem man in den ersten Nachkriegsjahrzehnten sich auf den Ausbau der Infrastruktur konzentrierte und zum Beispiel zahlreiche Berg­ bahnen, Sesselbahnen und Skilifte in den Alpen und in den Mittelgebirgen er­ öffnete, wurde nun die Sensibilität für die Erhaltung der Landschaftswerte zuneh­ mend größer. Der Raumordnung kommen in diesen Fremdenverkehrsgebieten besondere Aufgaben zu. Einerseits geht es darum, Überlastungen der klassi­ schen Fremdenverkehrsgebiete zu beseitigen, andererseits müssen die neu in die kurzzeitige, mittelfristige oder langfristige Erholung einbezogenen Räume behutsam entwickelt werden. Hier spielt die Koordination mit dem Natur- und Landschaftsschutz und der Kulturlandschaftspflege eine große Rolle.65 Ausgedehnte Gebiete werden ja in Zukunft nicht mehr primär unter agrarwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu be­ werten sein, sondern als Erholungsräume. Der Fremdenverkehr wird sich dann nicht mehr nur in den Kurorten und Naherholungsgebieten abspielen, sondern in zunehmendem Maße auch in den Naturparks. Hier ist besonders darauf zu 63 E. Grötzbach, Die Entw. d. bayer. Fremdenverkehrsgebiete in d. letzten vierzig Jahren (MGGM 53) 1968, 267-292; Ch. Boer, Die Auswirkung d. Fremdenverkehrs auf d. wirtschaftl. Struktur d. Gemeinden Regen, Bodenmais u. Bayer.-Eisenstein (MGGM 47) 1962, 21-70; Bayer, u. Ober­ pfälzer Wald, hg. v. G. Priehäusser (Dt. Landschaften 14) 1965; B. Stallhofer, Grenzenloser Böhmenwald? (Regensb. Beitrr. z. Regionalgeogr. u. Raumplanung 7) 2000; W. Pinkwart, Eignung u. Bedeutung Ufr. u. seiner Teilräume f. d. Fremdenver­ kehr (Mensch u. Umwelt in Franken) 1994, 237-27764 M. Petzet, Denkmalpflege in Bayern (Bayern - Dtl. - Europa. FS A. Goppel) 1975, 273-290; T. Breuer, Ortsübergreifen­ de, landschaftl.-bestimmende Denkmale in­ ner- u. außerhalb d. bayer. Denkmalliste

(Verh. d. Dt. Geogr.-Tags 46) 1988, 185190; M. Petzet, Der neue Denkmalkultus am Ende d. 20. Jhs. (Denkmalpflege-Info d. BLD A 78) 1993, i—11; K. Fehn, Aufgaben d. Denkmalpflege in d. Kulturlandsch.-Pfle­ ge. Überlegungen z. Standortbestimmung (Die Denkmalpflege 55) 1997, 31-37; E. Grunsky, Standort d. Denkmalpflege Ansprüche an d. Denkmalpflege. Auf dem Weg ins 2t. Jh. - Denkmalschutz u. Denk­ malpflege in Dtl. (Schr.-R. d. Dt. Nat.-Ko­ mitees f. Denkmalschutz 61) 1999, 76-82. 65 K. Schenk, Golfplätze in Franken. Standortwahl u. Standortkonflikte (MFGG 44) 1997, 161-172; Ph. Hümmer - Th. Meyer, Wächst unsere Kulturlandschaft zu? Erstaufforstungen am Beisp. d. Rbez. Ofr. (MFGG 45) 1998, 151-164; R. Schmitt, Wird d. Fränk. Schweiz z. Fränk. Wald? (MFGG 45) 1998, 164-176.

Ji 4.

Die Siedlungsraumtypen (K. Fehn)

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achten, daß die historisch gewachsenen Kulturlandschaften und intakten Öko­ systeme als Voraussetzung des Fremdenverkehrs nicht durch unbedachte Nut­ zungen, zum Beispiel durch Feriendörfer, Zweitwohnungen, Vergnügungszen­ tren geschädigt oder sogar zerstört werden. In den letzten Jahrzehnten wurden in Bayern besonders deutliche Akzente durch Freizeitaktivitäten gesetzt.66 Bay­ ern baute seine Stellung als Zielland im Fremdenverkehr weiter aus. Die Frei­ zeitnutzung wurde von einer stärker punktuellen Nutzung zu einer echten Flä­ chennutzung weiterentwickelt, wodurch das große Potential weitaus besser ausgenutzt werden konnte. 66 F. Fegert, Nationalparkplanung u. Kulturlandsch.-Pflege im u. am Nationalpark Bayer. Wald (Kulturlandsch.-Pflege), 1997, 202-207; A. Priebs, Der Beitr. d. Raumord­ nung z. Kulturlandsch.-Pflege in d. «Zwi­ schenstadt» (Kulturlandsch. in Europa. Re­ gionale u. internationale Konzepte zu Be-

standserfassung u. Management: Hannover Region. Beitrr. z. regionalen Entw. 92) 2001, 153-162; F. Dosch, Stadt-Kulturlandsch. statt Kulturlandsch.? Zur Freiraum­ gestaltung in suburbanen Räumen (Die Zu­ kunft d. Kuturlandsch. zw. Verlust, Bewah­ rung u. Gestaltung) 2001, 84-94.

II DIE STAATS- UND KOMMUNALVERWALTUNG

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

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Um 1800 versteht man — wie auch heute noch - unter «Verwaltung» die Ein­ richtung von Ämtern, Behörden oder Institutionen zur Ausübung von Befug­ nissen (meist hoheitlicher Art) des Staates und des Fürsten, dazu aber auch die Tätigkeit dieser Einrichtungen. Die begriffliche Bestimmung und Eingrenzung des Inhalts der Verwaltungstätigkeit ist schwierig und bisher in befriedigender Weise nicht gelungen; eine gewisse Anerkennung hat die Negativdefinition ge­ funden, daß zur öffentlichen Verwaltung all das zu rechnen sei, was nicht dem staatlichen Bereich der Gesetzgebung und der Jurisdiktion zugehöre. Diese im Sinn der aufklärerischen Gewaltenteilungslehre zwischen legislativer, jurisdiktioneller und administrativer Realisierung der Staatsaufgaben angelegte Defini­ tion hat sich erst im Lauf des 19. Jahrhunderts in mehreren Schüben allmählich voll durchsetzen lassen. Sicher ist jedoch, daß die von dem «Polizei»-Begriff des 18. Jahrhunderts geprägte Verwaltungspraxis des frühen 19. Jahrhunderts für den Übergang vom patrimonialen Fürstenstaat zur «modernen», nicht mehr nur allein auf den Herrscher und dessen Dynastie bezogenen Staatlichkeit von gro­ ßer Bedeutung war. Die straff zentralisierte, auf die ministerielle Leitungsebene ausgerichtete, alle Landesteile von den kurfürstlichen Kerngebieten bis zu den fränkischen und schwäbischen Erwerbungsländern nahezu gleichheitlich über­ spannende Verwaltungsorganisation hat die Integration der Teile zum Ganzen des Königreichs stark beeinflußt und gefordert. Neben der Regierungstätigkeit von Krone und Ministerium hat die Administration der Behörden, ausgeübt durch die auf König und Staat fixierte, in ihrem Rechtsstatus neudefmierte Be­ amtenschaft, das Geschehen im ganzen Land nachhaltig geprägt und das Volk, zunächst als Untertanen, dann mehr und mehr als Bürger verstanden, an die öf­ fentlichen Dinge, die Res publica, herangebracht. Die Aufgaben der Verwal­ tung waren zunächst in erster Linie auf die Herstellung und Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bezogen; die Behörden können in die Rechte des einzelnen, was die Person und das Eigentum anlangt, hineinwirken und Maßnahmen durchsetzen. Diese Eingriffsverwaltung bedarf der gesetz­ lichen Begründung. Diese und auch die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungsver­ fahrens wurden kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut. Seit dem frühen 19. Jahrhundert nahm die Leistungsverwaltung der öffent­ lichen Hand immer größeren Umfang an, wenn Einrichtungen geschaffen wer­ den mußten, um die Leistungen, die der Staat vom einzelnen forderte, zu er­ möglichen (etwa im Bildungswesen oder bei der militärischen Dienstpflicht). Hierher gehören auch Verwaltungseinrichtungen für Aufgaben, die die Öffent­ lichkeit zugunsten der Bürger, vielfach auf deren Wunsch, übernommen hat (etwa im Verkehrswesen und im Sozialbereich oder bei der kommunalen 'Ver­ ödet Entsorgung). Die öffentliche Verwaltung steht entwicklungsgeschichtlich in engem Zu­ sammenhang mit der Verwaltung des Staatsvermögens (etwa beim staatlichen Montan-, Industrie- oder Forstbesitz) oder mit der Hofverwaltung des bis 1918 regierenden Königshauses (vor allem bei Museen und Sammlungen, Schlössern

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

und anderen Liegenschaften, Theatern). Hier haben sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wesentliche Neuerungen angebahnt; zum Teil sind solche noch im Gange (etwa bei der Auflösung der Forstverwaltung). Eine in die Breite der Bevölkerung wirkende Entwicklungskomponente der öffentlichen Verwaltung stellt der Ausbau der Gemeindeselbstverwaltung dar; die Gemeinden haben zunächst die Rechtsfähigkeit und dann in mehreren Ent­ wicklungsschritten volle Handlungsfähigkeit erlangt. Die unmittelbare Mitwir­ kung der Bürger an der öffentlichen Verwaltung tritt hier am deutlichsten in Erscheinung.

§ 5. DIE OBERSTEN REGIERUNGSBEHÖRDEN AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN - ÖFFENTLICHER DIENST VERWALTUNGSREFORM

Bauer; «Das schönste Amt d. Welt». Die bayer. Ministerpräsidenten v. 1945 bis 1993 (Staatl. Arch. Bayern. Kl. Ausst. 13) 1999; Dokumente III/9: Die Regierungen 1945-1962, bearb. v. F. Baer, 1976; DVG II 302-322; III 673-677, 732f.; IV 525-539, 1092fr.; V 82fr., 11241142; Ellwein (vor § 5) 27-33, 83 ff.; K.-U. Gelberg, «Wer mitbestimmen will, muß etwas wissen.» Die Entstehung der Bayer. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2005; Götschmann 130-186; Heydenreuter; I. Kratzer, Der Bayer. Ministerpräsident. Bedeu­ tungswandel d. Amtes im Spiegel d. Geschäftsordnungen d. Staatsregierung (1918-2001) (Forsch, z. Landes- u. Regionalgesch. 10) 2003; Mang (vor § 5) II 1-25; H. Rumschöttel, Ministerrat, Ministerpräsident u. Staatskanzlei, in: Ders. - W. Ziegler (Hgg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit: Bayern 1933-1945 (ZBLG Beih. B 21) 2004, 41-75; Schärl; Schlaich; Seydel P 667-833; IIP 320-537; R. Summer, Bayer. Verfassung u. Beamtentum (FS z. 5ojähr. Bestehen d. Bayer. Verfassungsgerichtshofs) 1997, 259-274; Weber, Anh.-Bd. 339-393; Weiss, Montgelas II; B. Wunder, Privilegierung u. Disziplinierung. Die Entstehung d. Be­ rufsbeamtentums in Bayern u. Württemberg (1780-1825) (Stud. z. modernen Gesch. 21) 1978.

a) Oberste Regierungsbehörden. Staatsrat.' Als höchste beratende Stelle für den Landesherrn bestand in wechselnden Organisationsformen seit 1799 ein Gehei­ mer Rat mit den Ministern und höheren Ministerialbeamten als Mitgliedern, der seit 1817 die Bezeichnung Staatsrat führte und bis zum Ende der Monar­ chie als Beratungsorgan des Königs in der Gesetzgebung, bei der Feststellung des Budgets und im Verkehr des Königs mit den Kammern des Landtags wirk­ te. Die dem Staatsrat zugewiesenen Aufgaben bei der Entscheidung von Kom­ petenzkonflikten zwischen den Ministerialressorts und bei der oberstrichter­ lichen Entscheidung von Verwaltungsstreitigkeiten (administrativ-kontensiöse Sachen) erloschen 1850 (hinsichtlich der Zuständigkeitsfragen) und 1878 (hin­ sichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit). Der Staatsrat war kein Verwaltungs-,

' Schlaich 460-522; HB IV i2 72; DVG II 521 f; E. Weis, Ein österr. Bericht über Bayerns Hof, Regierung, Armee u. Finanzen am Vorabend d. Krieges v. 1805 (FS Kraus

2002) II 133 f.; R. Stäuber, Die Anfänge d bayer. Staatsrats 1799-1803 (AZ 88/11) 2006 958-975-

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sondern ein Regierungsorgan; Bedeutung und Einfluß waren geringer als die des Ministerrats.

Als höchstes Regierungs- und Verwaltungsgremium formierte in der Reformphase Kurbayerns seit 1799 Baron Montgelas,3 der leitende Mann im Umkreis Max IV. Josephs, das Geheime Ministerium mit den Departements des Äußern, der Finanzen, der Justiz und der geistlichen Angelegenheiten (letz­ teres 1806 in das Departement des Innern überfuhrt), wozu 1808 noch das De­ partement des Kriegswesens kam. Die weitere Entwicklung führte zur Stärkung der Position der Fachministerien, deren Aufgabenzuteilung und Etatzuweisung 1817 geregelt wurde. Die Funktion eines Gesamtstaatsministeriums hatte die Versammlung der Minister nurmehr dann, wenn Angelegenheiten, die mehrere Ressorts betrafen, zur Beratung und Entscheidung anstanden. Den Vorsitz die­ ses Ministerrats hatte sich der König Vorbehalten, der aber an Mehrheitsbe­ schlüsse der Minister nicht gebunden war. Diese von Ludwig I. bis 1848 geübte Praxis der Ministerberatungen änderte sein Sohn Maximilian II. 1849, indem er für den neuberufenen Minister des königlichen Hauses und des Äußern, Lud­ wig von der Pfordten, die Position eines Vorsitzenden im Ministerrat schuf, der die Ministerkollegen zu Beratungen zusammenrufen konnte. Das Amt ge­ wann in den folgenden Jahrzehnten bis zum Ende der Monarchie zunehmend an Bedeutung, weil die Monarchen4 und (seit 1886) der Regent, Prinz Luit­ pold, dem «Ministerium» (wie das Gesamtministerium häufig auch bezeichnet wurde) und seinem Vorsitzenden mehr und nachhaltigeren Einfluß auf die Ge­ staltung von Politik und Verwaltung einräumten, als dies in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fall gewesen war. Vorsitzende im Ministerrat waren die Außenminister, mit Ausnahme des Jahrzehnts von 1880 bis 1890, in dem der Kultusminister Johann von Lutz diese Funktion ausfüllte. Besonders in der Königstragödie von 1886 hat Lutz als Leiter des Ministeriums die Entwicklung entscheidend gesteuert. Mit der Ernennung des Zentrumspolitikers und Frak­ tionsvorsitzenden im Reichstag, des Grafen Georg von Hertlings, zum Mini­ sterratsvorsitzenden und Außenminister erreichte die Position einen gewissen Höhepunkt, weil Hertling dabei den Auftrag bekommen hatte, selbst die Mini­ ster zu bestimmen. Da bis zum Ende der Monarchie die Fiktion aufrecht erhal­ ten wurde, dem Ministerrat präsidiere der König, konnte der Vorsitzende des Ministerrats offiziell nicht die Bezeichnung Ministerpräsident führen, die gleichwohl in der Öffentlichkeit verwendet wurde. Ministerrat.1

2 DVG II 5i6f.; HB IV 12 288, 381 ff., 392 ff, 405-4093 HB IV i2 sff, 71 ff; W. Demel, Der zweite Mann im Staat: Maximilian v. Mont­ gelas (ZHF Beih. 32) 2003, 217-230; Weis, Montgelas II 507 fr.

4 Vgl. aber auch Chr. Botzenhart, «Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein». Die Regierungstätigkeit Kg. Ludwigs II. v. Bayern (SchbLG 142) 2004.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

Eine sehr wichtige Position im obersten Regierungs- und Verwaltungssystem der Monarchie nahm das Kabinettssekretariat5 des Königs ein, über das die Verbindung des Monarchen zu den Ministerien, den königlichen Beratern und anderen Vertrauten lief. Unter Ludwig I. behördenartig ausgebaut, aus dem Staatsetat (nicht aus Mitteln der Hofverwaltung) unterhalten, aber keinem Mi­ nisterium eingeordnet, stand es allein zur Disposition des Königs. Nach der ge­ setzlichen Regelung der Ministerverantwortlichkeit (1848) geriet es verstärkt in die Kritik des konstitutionellen Verfassungsverständnisses; Maximilian II. gab vor, die Wirksamkeit der Kabinettssekretäre einzuschränken. Deren Einfluß blieb jedoch erhalten, auch als Prinzregent Luitpold 1886 das in der Spätphase Ludwigs II. besonders einflußreiche Kabinett auflöste und seine persönlichen und amtlichen Geschäfte über seine Geheimkanzlei abwickelte. Bis zum Ende der Monarchie änderte sich an dem System nicht viel. Gesamtministerium.6 Die am 8. November 1918 im Zuge der revolutionären Vorgänge gebildete Staatsregierung unter Kurt Eisner verstand sich als kollegia­ les Gesamtministerium, das die oberste vollziehende Gewalt im republikani­ schen Bayern darstellte. Den Vorsitz in diesem Ministerrat hatte der Außenmi­ nister, wie dies der hergebrachten Organisation entsprach. Im Staatsgrundge­ setz, das sich die Regierung Eisner am 4. Januar 1919 gab, wird der Vorsitzende des Gesamtministeriums nicht erwähnt, in dem vom Landtag beschlossenen Vorläufigen Staatsgrundgesetz vom 17. März 1919 wird die Wahl des Vorsit­ zenden durch den Landtag festgelegt. Er bestimmt die Minister, die der Land­ tag bestätigen muß. Die Bezeichnung Ministerpräsident, die damals in der Öf­ fentlichkeit, der Publizistik und auch im amtlichen Schriftverkehr üblich war, kennt erst die Verfassung vom 14. August 1919. Er wurde vom Landtag ge­ wählt und ernannte mit dessen Einverständnis die Minister. Als Vorsitzender des Ministeriums hatte er den Stichentscheid bei Abstimmungen im Kollegial­ organ, führte wie seine Ministerkollegen ein Ministerium, das des Äußern, und war im Verhältnis zu ihnen der Erste unter Gleichen (primus inter pares). Die wichtigste Funktion des Außenministeriums war die Tätigkeit als Büro für den Ministerpräsidenten. Es wurde deshalb mehrfach erwogen, dieses Ressort auf­ zuheben und an seine Stelle eine Staatskanzlei einzurichten. Ministerpräsident Held hat dies jedoch verhindert. Staatskanzlei.7 Die nationalsozialistische Machtübernahme in Bayern erhielt mit der Bestellung des Generals von Epp zum Reichskommissar ihre erste konkrete organisatorische Form (9. März 1933). Nach der Verdrängung Helds (15. März) 5 Volkert, HB 15 f.; HB IV i2 285; Botzenhart (Anm. 4) 132-159. 6 Bauer 106, 379, 440; Kratzer 20 f., 117-120, 455; Rumschöttel 47-50; HB IV i1 450, 459, 468 f.

7 Rumschöttel 66-74; Kratzer 40 ff., 186-201; HB IV i2 521 f.; zum Bau des «Zentralministeriums»: G.K.F. Stinglwagner, Von Mönchen, Prinzen u. Ministerien, 1991, 121-171.

£ j. Die obersten Regierungsbehörden (IV. Volkert)

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übernahm Epp dessen Amt in kommissarischer Weise, bestellte NS-Kommissare für die Ministerien sowie das Polizeipräsidium München und ernannte, selbst inzwischen durch das Reichsstatthaltergesetz (9. April 1933) zum Reichs­ statthalter8 in Bayern geworden, Ludwig Siebert zum Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Landesregierung und die anderen Ressortminister. Gleichzei­ tig (12. April) wurde das Außenministerium aufgehoben, die überwiegende Zahl der Kompetenzen anderen Ministerien zugeordnet, so daß als Hauptauf­ gabe der neugebildeten Staatskanzlei die Vertretung Bayerns gegenüber dem Reich, anderen Ländern und dem Reichsstatthalter blieb sowie die Funktion als Büro für den Ministerpräsidenten. Formal war bereits im Mai 1933 durch einen Ministerratsbeschluß die Position des Ministerpräsidenten aufgewertet worden, nach dem ihm die Richtlinienkompetenz zukam, natürlich innerhalb der vom Reichskanzler vorgegebenen Weisungen und unter dem Vorbehalt der Rechte des Reichsstatthalters. Je länger, um so geringer blieb die Bedeutung dieser Re­ gelung in der seit 1935 nur mehr aus dem Ministerpräsidenten Siebert (seit 1933 auch Finanzminister, seit 1935 Chef der Staatsforstverwaltung, seit 1936 Wirtschaftsminister) und dem Gauleiter des Traditionsgaues München-Ober­ bayern Adolf Wagner als Innenminister (seit 1936 auch Kultusminister, seit 1939 Reichsverteidigungskommissar) bestehenden bayerischen Staatsregierung. Beider Nachfolger in den Staatsämtern, Gauleiter Giesler, ist als Ministerpräsi­ dent wenig in Erscheinung getreten. Die Rudimente der bei der Besetzung Münchens durch amerikanische Trup­ pen noch bestehenden Staatskanzlei bildeten die Grundlage für die Behörde der von der Militärregierung eingesetzten Ministerpräsidenten Schäffer und Hoegner. Deren persönliche Verantwortlichkeit gegenüber der Besatzungsmacht verschaffte ihnen eine herausgehobene Stellung im Verhältnis zu den Ressort­ ministern. Besonders Ministerpräsident Hoegner begrüßte und forderte diese Entwicklung, die in der Verfassung von 1946 konkrete Gestalt gewann. Vom Landtag gewählt, maßgeblich für die Auswahl und Berufung der Mitglieder des Kabinetts, das nun Staatsregierung9 heißt, ausgestattet mit der Kompetenz, die Richtlinien der Politik des Landes zu bestimmen und für diese in der Verant­ wortung gegenüber dem Landtag (zunächst auch noch gegenüber der Militär­ regierung), besitzt der Inhaber des Amtes eine stärkere Position im Vergleich zur bayerischen Verfassung von 1919. Ebenfalls in der Verfassung festgelegt ist die Einrichtung der Staatskanzlei als Behörde zur Unterstützung des Minister­ präsidenten und der Staatsregierung. Als wichtigste Aufgabe bei der Vertretung Bayerns nach außen gilt die Repräsentanz des Freistaates bei der Bundesrepu­ blik; dafür wirkt seit 1963 ein Staatsminister in der Staatskanzlei (§ 5 b); seit “ B. Grau, D. Reichsstatthalter in Bayern (ZBLG Beih. B 21) 2004, 129-169. 9 Protokolle Schäffer 106-116; Kratzer; Die bayer. Ministerpräsidenten 23 ff; H. Rausch, Die Bayer. Staatsregierung (Das

Regierungssystem d. Freistaates Bayern I) 413. 496, 879; 2001, 38, 108;

2003, 829; Kratzer (§ 5) 387-406, 429-447. Vgl. SZ v. 14. u. 16. 10. 2003. 5 HB IV i2 893 f., 915 f., 992; Kratzer (§ 5) 349 ff-, 389 f.; 25 Jahre Bayer. Staats­ min. f. Landesentw. u. Umweltfragen, 1993; Volkert, HB 323-327. Vgl. SZ v. 29. ii. 1999, 21.8.2003, 12. u. 13.5.2004,

HO

B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

zu dienen. Die bisher zum Wirtschaftsministerium gehörende Landesplanung sollte nun vermehrt neben den technischen und technologischen Gesichts­ punkten von Industrie und Gewerbe auch die naturräumlichen, dem Naturund Landschaftsschutz dienenden Erkenntnisse berücksichtigen, in der Öffent­ lichkeit vertreten und über die Behörden der inneren Verwaltung umsetzen. Zur Durchführung von Messungen zur Reinhaltung von Boden, Wasser und Luft, zum Schutz vor Lärm, Erschütterungen und ionisierender Strahlung so­ wie für einschlägige Grundlagenforschung entstand 1972 das Landesamt für Umweltschutz. Dem Ministerium unterstellt war auch die Biologische Ver­ suchsanstalt (zur Landesanstalt für Wasserforschung ausgebaut) und das Geolo­ gische Landesamt, das als Zentralstelle für die geognostische Landesaufnahme seit 1850 in enger Verbindung mit der Bergverwaltung entstanden war. Die weitere Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Fragen des Umweltschut­ zes bewirkte, daß 1992 auch die Kompetenz für das Wasser- und Abwasser­ recht, für Wasserbau und Wasserwirtschaft (mit den zugehörigen Ämtern) dem Umweltressort zugewiesen wurde. Bei der Neuordnung der ministeriellen Zu­ ständigkeiten 2003 ging der wichtige Bereich Landesplanung an das Ministe­ rium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie über (§ 9 b), was als Akzentset­ zung für die Landesplanung gelten kann. Die dem Ministerium nachgeordneten Landesämter für Umweltschutz, für Wasserwirtschaft und für Geologie gerieten 2003 ins Visier der Verwaltungsreformer. Die Landesämter wurden 2005 zu ei­ ner großen zentralen Behörde (Landesamt für Umwelt) zusammengeführt mit mehreren Dienstsitzen und Außenstellen. b) Arbeitsverwaltung. Der staatliche und kommunale Einfluß auf den Arbeits­ markt wirkt vor allem durch die Arbeits- und Stellenvermittlung, um den Be­ darf von Gewerbe und Industrie an Arbeitskräften und die Interessen der Ar­ beitssuchenden in Übereinstimmung zu bringen.6 Die industrielle Entwicklung im späteren 19. Jahrhundert und die starke Zunahme der Fluktuation der Be­ völkerung verlangten neue Formen der Arbeitsvermittlung. Deshalb richteten private Vereine, Gewerkschaften, kirchliche Organisationen und Gemeinden Vermittlungsstellen («Arbeitsnachweise») ein. Während des Ersten Weltkrieges gewann die staatliche Lenkung Bedeutung, um den Arbeitskräftebedarf der kriegswichtigen Industrie zu sichern. Die größeren Gemeinden (über 10000 Einwohner) wurden verpflichtet, Arbeitsvermittlungsstellen einzurichten. Die sachlichen Vorgaben dazu kamen von der Reichsregierung. Die höchst schwierigen Probleme, die die Demobilmachung und die Jahre danach dem Arbeitsmarkt brachten, sollten die vom Reich und von Bayern er­ 16.9.2004, 1.8.2006; ferner § 5 Anm. 27 (24 f.; 2005: 14); GVB1. 2005, 287, 330. 6 Volkert, HB 300 ff.; DVG III 240, 884; IV 116, 228, 563, 802 f.; V 565 f.; FuKUZAWA, Staatl. Arbeitslosenunterstützung;

Chr. Berringer, Sozialpol. in d. Weltwirt­ schaftskrise. Die Arbeitslosenversicherung in Dtl. u. Großbritannien im Vgl. 1928-1934, 1999, 45-60 u. ö.; Mang (vor § 5) I 75; II 200 f.; Protokolle Schäffer iö9f.

8. Sozialordnung — Umweltfragen — Verbraucherschutz (W. Volkert)

in

richteten zentralen Vermittlungsstellen einer Lösung näherbringen; die Erwerbslosenfiirsorge war weiter Sache der weit überforderten Kommunen. Erst 1927 kam es zu der reichseinheitlichen gesetzlichen Regelung, wonach die Ar­ beitsvermittlung und Berufsberatung eine Reichsanstalt als Leitungsbehörde und regionale Arbeitsämter, in welche die größeren der bisher kommunalen Arbeitsnachweise überfuhrt wurden, zu betreuen hatten. Die Reichsanstalt war Träger der neu eingeführten Arbeitslosenversicherung. Bayern erhielt ein Lan­ desarbeitsamt und 41 Arbeitsämter. Nach 1933 wandelten sich die Aufgaben der Arbeitsverwaltung schnell; es galt nun, den Bedarf an Arbeitskräften für die Industrie der Aufrüstung und der Kriegsvorbereitung zu decken. Die Selbstverwaltung der Reichsanstalt wich dem Reichszentralismus; 1937 ging sie im Reichsarbeitsministerium auf. Die Arbeitsämter wurden Reichsbehörden. Diese übernahm 1945 das Land Bayern und organisierte die Verwaltung mit Landesarbeitsämtern und Arbeitsämtern neu, um die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit auf dem Arbeitsmarkt mit zeitweilig hoher Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Entsprechend der Rechtslage des Grundgesetzes (1949) ging der gesamte Verwaltungsbereich an die Bundesrepublik über, die 1952 die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Nürnberg einrichtete; ihr waren die Landesar­ beitsämter und Arbeitsämter zugeordnet. Rechtlich und organisatorisch ent­ sprach dies den Verhältnissen, die seit 1927 während der Weimarer Republik geschaffen worden waren.

c) Kriegsopfer und Vertriebene. Versorgungsverwaltung. 7 Die Versorgungsverwaltung geht zurück auf die vom bayerischen Kriegsministerium eingerichteten Ämter zur Versorgung kriegs- und militärdienstgeschädigter Armeeangehöriger. Sie entstanden unter der Pensions- und Versorgungsabteilung des Kriegsministeri­ ums 1918 bei den Stellvertretenden Generalkommandos in München, Nürn­ berg und Würzburg. Mit der Auflösung der bayerischen Armeeorganisatoren gingen diese Behörden an das Reichsarbeitsministerium über als Hauptversor­ gungsämter; dies war ebenso der Fall bei den militärischen Landwehr-Bezirks­ kommandos, denen als Versorgungsämter nun die Kriegsopfer- und Kriegsbe­ schädigtenversorgung oblag. Nachdem 1945 die Versorgung der Kriegsopfer und Militärangehörigen durch die Reichsinstanzen zum Erliegen gekommen war und der Alliierte Kontrollrat die Anwendung des bisherigen Versorgungs­ rechts verboten hatte, baute Bayern seit 1947 die Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenen-Versorgung unter dem Arbeitsministerium auf. Dazu dienten Abteilungen des Landesversicherungsamtes und der Landesversiche7 Volkert, HB 305 fr., 333, 354; DVG IV 239, 800; V 584; O. Model - C. Creifelds, Staatsbürgertaschenbuch, 20033', Zif­ fer 626, 681, 688; GVB1. 1985, 823; 1988, 452; 1989, 212; 1991, 248, 308; 1995, 174; ’996, 95, 137; vgl. § 5 Anm. 27 (2005: 14);

GVB1. 2005, 330, 354; Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns 51, 2006, 13. Das Schwerbehindertenrecht ist seit 2001 im IX. Buch des Sozialgesetzbuches (BGBl. I 2001, 1046) geregelt.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

rungsanstalten. Nachdem der Bund 1950 durch das Bundesversorgungsgesetz das Versorgungswesen neu geregelt hatte, übernahmen das Landesversorgungs­ amt und die auf der Ebene der Regierungsbezirke eingerichteten Versorgungs­ ämter den Vollzug als eigene Landesaufgaben. Sie haben auch Aufgaben in der Versorgung von Soldaten der Bundeswehr und von Zivildienstleistenden zu er­ füllen, sind in den Vollzug des Schwerbeschädigtengesetzes (seit 1953), des Schwerbehindertengesetzes (seit 1974), des Gesetzes über das Pflegegeld für Zi­ vilblinde und über das Bundes- und das Landeserziehungsgeld eingeschaltet (seit 1986—1989). Deshalb führen das Landesamt und die Versorgungsämter seit 1991 die Bezeichnung Landesamt beziehungsweise Amt für Versorgung und Familienfbrderung. Im Aufgabenbereich des Erziehungsgeldes und der ergän­ zenden Familienhilfe führen sie den Zusatz «Familienkasse» in der Ämterbe­ zeichnung. Seit 2005 ist dieser Verwaltungszweig zusammengefaßt zum «Zen­ trum Bayern. Familie und Soziales» mit dem Hauptsitz in Bayreuth und Regio­ nalstellen in den Regierungsbezirken, in die die bisherigen Ämter für Versor­ gung und Familienforderung überführt wurden. Vertriebene und Flüchtlinge.8 Die katastrophalen Ereignisse um das Kriegsende und die folgenden Jahre der Vertreibung Deutscher aus den Ostgebieten stell­ ten seit Herbst 1945 die Gemeinden und unteren staatlichen Behörden vor die schwierigsten Aufgaben, die in großer Zahl in den Grenzdurchgangslagem an­ kommenden Vertriebenen und Flüchtlinge aufzunehmen, für Unterkünfte und Versorgung, für die Weiterleitung in die anderen Landesteile und schließlich für das Konzept einer Integration der Flüchtlinge in das soziale und wirtschaft­ liche Gefüge der einheimischen Bevölkerung zu sorgen. Zunächst geschah dies durch die Organisation einer Sonderverwaltung unter einem Staatskommissar für das Flüchtlingswesen, der über Flüchtlingskommissare bei den mittleren und unteren Verwaltungsbehörden mit weitgehenden Vollmachten in die Ver­ teilung von Wohnraum eingriff. Auf Betreiben der inneren Verwaltung wur­ den die Stellen der Sonderverwaltung ab 1948/49 in das Innenministerium mit seinen nachgeordneten Ämtern eingegliedert; die Zuständigkeit ging 1954 an das Arbeitsministerium über, das weiterhin bei der Traditionspflege für die Vertreibungsgebiete mitwirkt (Haus des Deutschen Ostens seit 1970; Sudeten­ deutsche Akademie seit 1979). Weitere Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung stellten sich vor 1989 durch die Betreuung von Sowjetzonen-, DDR- oder UdSSR-Flüchtlingen, sowie später durch die Unterbringung der Asylbewerber (nach Art. 16a des Grundgesetzes in der Fassung von 1993). Sie werden von einer in Zirndorf eingerichteten Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber auf die einzelnen Regierungsbezirke verteilt.9 8 HB IV i2 737-740, 744 ff.; Volkert, HB 307fr.

’ BGBl. 1993, I 1002, 1361, 1914; 1997, I 2022; GVB1. 1989, 714, 721; 1993, 168, 276, 758; 2002, 192, 218.

J 8. Sozialordnung - Umweltfragen — Verbraucherschutz (W. Volkert)

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Lastenausgleich.'0 Die durch den Zweiten Weltkrieg verursachten außerordent­ lich großen Sachschäden, die Vermögensverluste der Vertriebenen und Flücht­ linge aus den deutschen Ostgebieten und den ehemals deutschen Siedlungsge­ bieten in Ost- und Südosteuropa und schließlich die Dezimierung der Sparver­ mögen durch die kriegsbedingte Inflation und die Währungsreform von 1948 trafen die Bevölkerung in den Westzonen und in der späteren Bundesrepublik in höchst unterschiedlicher Weise. Um den sich hier abzeichnenden sozialen und wirtschaftlichen Spannungen und Konflikten entgegenzuwirken, veranlaß­ ten die westlichen Besatzungsmächte zusammen mit der Währungsumstellung einen «Lastenausgleich» zwischen denen, die ihr Vermögen vollständig oder überwiegend erhalten hatten, und denen, die völlig oder überwiegend mittellos geworden waren. Dies setzte eine individuelle Feststellung der Vermögen und der eingetretenen Verluste voraus. Grundlage dafür bildeten die Bundesgesetze über die Soforthilfe (1949) und den Lastenausgleich (1952). Die millionenfa­ chen Anträge auf Feststellung der Schäden und auf Leistungen aus dem Aus­ gleichsfonds wurden unter der Leitung einer Bundesoberbehörde durch die Landesausgleichsämter und die Ausgleichsämter, die bei der inneren Verwal­ tung eingerichtet wurden, erledigt. In Bayern ging die ministerielle Leitung 1955 an das Arbeitsministerium über. Die Leistungen aus dem Lastenausgleich haben vielfach die Existenzgründung von Vertriebenen und den Wiederaufbau kriegszerstörter Anwesen und Betriebe erleichtert und die soziale Integration gefördert. Dem Bearbeitungsstand der Anträge entsprechend, wurde die Zahl der Ausgleichsämter seit 1967 kontinuierlich reduziert. 2004 schloß das seit 1996 allein noch bestehende Zentrale Ausgleichsamt in Fürth seine Pforten.

d) Versicherungsbehörden und Versicherungsanstalten. Die Sozialpolitik des Reiches hatte zwischen 1883 und 1889 mit den drei großen Gesetzen über die Kran­ kenversicherung, die Unfallversicherung sowie die Invaliditäts- und Altersver­ sicherung der Arbeiterschaft die Basis für ein öffentlich-rechtliches Versiche­ rungssystem geschaffen. Getragen wurde es von den neu eingerichteten Kran­ kenkassen (Krankenversicherung), den Berufsgenossenschaften (Unfallversiche­ rung) und den vom Staat eingerichteten Versicherungsanstalten (seit 1911 unter der Bezeichnung Landesversicherungsanstalten für die Invalidenversicherung). Sie hoben die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber ein und zahlten die Leistungsgelder aus. Die allgemeinen Verwaltungsbehörden hatten die Ver­ sicherten zu beraten, die Versicherungsträger zu kontrollieren und Streitigkei­ ten zwischen den beiden Parteien zu entscheiden." Zur Aufsicht über die Unfallversicherung entstand 1886 das Landesversiche­ rungsamt, dem dann 1911 auch rechtsprechende Aufgaben aller Sozialversiche­ 10 Volkert, HB 309; DVG V 608-623; GVB1. 2003, 880. 11 Volkert, HB 302-306; DVG III 292306; IV 233 fr., 799; V 577-584; zur Entste-

hung d. territorialen Gliederung d. Landes­ versicherungsanstalten auf Betreiben d. Bundesratsvertreters v. Bayern: R. v. Land­ mann (1888) vgl. Fisch - Haerendel 58 ff.

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B. I/. Die Staats- und Kommunalverwaltung

rungszweige zugewiesen wurden. Es wurde 1934 aufgehoben, weil die Aufga­ ben auf das Reichsversicherungsamt übertragen wurden. 1946 wurde es wegen des Wegfallens der Reichsinstanz wieder aktiviert, dann aber 1953 bei der Ein­ richtung der Sozialgerichtsbarkeit12 endgültig aufgelöst, wobei die Aufsichtsauf­ gaben über die Versicherungsträger an das Arbeitsministerium übergingen. Bei der Zusammenfassung der Vorschriften über die drei Sozialversicherungs­ zweige in der Reichsversicherungsordnung von 1911 wurden für die Beratungs-, Kontroll- und Entscheidungsaufgaben bei den Kreisregierungen Ober­ versicherungsämter und bei den unteren Verwaltungsbehörden Versicherungs­ ämter eingerichtet. Weil erstere die Rechtsprechungsaufgaben in Streitigkeiten der Sozialversicherung 1953 an die Sozialgerichtsbarkeit abgaben, konnte deren Zahl reduziert werden, so daß seit 1982 nur mehr die Oberversicherungsämter Südbayern bei der Regierung von Oberbayern und Nordbayern bei der Regie­ rung von Mittelfranken bestehen. Seit 1'983 sind die Versicherungsämter in die unteren Verwaltungsbehörden (Landratsämter und kreisfreie Städte) inte­ griert.13 Die Rechtsnormen der Sozialversicherung sind in den seit 1975 in Kraft ge­ tretenen Büchern des Deutschen Sozialgesetzbuches zusammengefaßt. Sie er­ setzen die Reichsversicherungsordnung von 1911 und das Gesetz über die Ar­ beitslosenversicherung (1927) und integrieren die 1994 neu eingeführte Pflicht­ versicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflegeversicherung) sowie die vom Reich und der Bundesrepublik verwaltete Rentenversicherung der Ange­ stellten (Reichsversicherungsanstalt für Angestellte seit 1912, Bundesversiche­ rungsanstalt für Angestellte seit 1953 in Berlin).14* Staatliche Versicherung.'5 Bayern betrieb seit dem frühen 19. Jahrhundert öffent­ liche Versicherungen gegen verschiedene Risiken. Ausgangspunkt dafür war die sogenannte Brandassecuranz, eine 1811 eingerichtete Versicherung von Gebäu­ den gegen Brandgefahr. Die Geschäfte führten zunächst die unteren Verwal­ tungsbehörden, die seit 1852 von Brandversicherungsinspektoren zur Schätzung der Gebäude und zur Begutachtung der Schadensfälle unterstützt wurden. Für die Leitung der Brandversicherungsanstalt errichtete die Staatsregierung nach dem Brandversicherungsgesetz von 1875 die Brandversicherungskammer; die Anstalt hatte im rechtsrheinischen Bayern ein Monopol für die Gebäudeversi­ cherung. 1884 und 1896 übernahm die Kammer weitere Versicherungen gegen Elementarschäden (Hagelversicherung und Vieh Versicherung). Sie führte nun die Bezeichnung Versicherungskammer. Sie dehnte in den folgenden Jahrzehn12 Volkert, HB 313 f. 13 GVB1. 1982, 514, ii 12; vgl. auch ebd. 1992, 532; 1996. 5731 2001, 173; 2004, 541. 14 Sozialgesetzbuch vgl. Textausgabe m. Einführung v. B. Schulin, 200633; Model Creifelds, Staatsbürgertaschenbuch (Anm. 7) Ziffer 651-672.

15 Volkert, HB 81-84; HB IV i2 992, 994. 999; GVB1. 1987, 19; 1990, 164; 1991, 135; 1994. 466, 630; 1995, 297, 309. - Die vor d. Umwandlung (1994) bei d. Versiche­ rungskammer bestehenden Versicherungs­ und Versorgungsanstalten: Bayer. Jb. 1994, 45-

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ten ihre Versicherungstätigkeit nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit ohne Ge­ winnstreben aus auf Versorgungsversicherungen für Kommunalbeamte, für An­ gehörige freier Berufe (Arzte, Apotheker, Architekten, Kaminkehrer und ande­ re), auf Sachversicherungen und auf Krankenversicherung für Beamte. Dieses gut funktionierende und effektive öffentliche Versicherungssystem in Bayern aufzulösen, beschloß die bayerische Staatsregierung 1993, um mit den erzielten «Privatisierungsgewinnen» Ausbildung und Forschung, besonders auf dem Gebiet der modernen Biotechnologie, großzügig auszubauen und soziale Infrastrukturmaßnahmen einzuleiten. Deshalb wurden die Versorgungsanstalten zu einer «Versorgungskammer» (als staatliche Leitungsbehörde) zusammenge­ faßt und die Versicherungsanstalten in Aktiengesellschaften umgewandelt und zum überwiegenden Teil privatisiert.

e) Gesundheitsverwaltung. Die Staats- und Verwaltungsreformen der MontgelasEpoche vereinheitlichten durch das Medizinaledikt von 1808 die in den bishe­ rigen Landesgebieten in unterschiedlicher Weise bestehenden Einrichtungen zur öffentlichen Gesundheitspflege, die sogenannte Medizinalpolizei. Nun soll­ ten die in den einzelnen unteren Verwaltungsbezirken, den Landgerichten und Stadtgerichten, aufgestellten Amtsärzte als medizinische Berater der Verwal­ tungsbehörden die Kontrolle über die Krankenanstalten und das Heilpersonal, die Vorkehrungen gegen Seuchen, die Aufsicht über die Apotheken und schließlich die unentgeltliche Behandlung Mittelloser besorgen. Neben der Amtsarzttätigkeit konnten die «Physici» auch eine Privatpraxis ausüben. Außer­ dem hatte sie die Schutzpockenimpfung durchzuführen oder zu organisieren. Die Stellung der amtlichen Mediziner, die seit der Einrichtung der Bezirksäm­ ter 1862 Bezirksärzte hießen, blieb auch nach der die medizinische Entwick­ lung berücksichtigenden Neufassung ihrer Aufgaben im Jahr 1912 dieselbe; sie waren fachliche Berater der Verwaltungsbehörden, die ihrerseits die entspre­ chenden Verwaltungsordnungen für die öffentliche Gesundheitspflege zu tref­ fen hatten.'6 Dies änderte sich 1934.16 17 Zur reichsweit einheitlichen Durchsetzung der na­ tionalsozialistischen Rassenpolitik nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1933) wurden die in den Ländern des Deutschen Reiches beste­ henden amtsärztlichen Einrichtungen «gleichgeschaltet» und in Anlehnung an die unteren Verwaltungsbehörden (Bezirksämter und kreisfreie Städte) staatli­ che (in manchen Fällen auch kommunale) Gesundheitsämter eingerichtet. Sie arbeiteten daneben auf allen Gebieten der beratenden und vorbeugenden Ge­ sundheitspflege, der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und der Aufsicht 16 Volkert, HB 72 fr.; HB IV i2 267 f. (über die seit 1860 angefertigten Physikatsberichte). 17 J. Vossen, Das nationalsozialist. Ge­ sundheitsamt u. d. Durchführung d. «Erb- u.

Rassenpflege» (Schrr. z. Wirtsch.- u. Sozialgesch. 73) 2002, 165-186 (vgl. ZBLG 66, 2003, 746fr.); H. Birk, Das «Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses» (Stud. z. Gesch. d. bayer. Schwaben 33) 2005.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

über das Heilpersonal und die Apotheken. Den Vollzug der NS-Rassenhygiene beseitigte das Kriegsende 1945 und das Kontrollratsgesetz vom 20. September 1945Die Organisation der staatlichen und kommunalen Gesundheitsämter in An­ lehnung an die Einteilung der unteren Verwaltungsbehörden blieb erhalten und wurde in den 1950er Jahren weiter ausgebaut; die Bedeutung des öffent­ lichen Gesundheitsdienstes ging im Vergleich zur Wirkung der freien Ärzte­ schaft zurück. Die vorbeugende Beratungstätigkeit und die Bekämpfung über­ tragbarer Krankheiten (vor allem der Tuberkulose und der Kinderlähmung) waren die wichtigsten Arbeitsgebiete der Ämter. 1993 wurden die Ämter für die öffentliche Gesundheit (Gesundheits- und Veterinärämter) zur Aktivierung der Gesundheitspolitik dem Arbeits- und Sozialministerium, 2001 schließlich dem Ministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz, 2003 dem Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz zugeordnet. Bereits 1995 waren die Gesundheits- und Veterinärämter organisatorisch in die Landratsämter integriert worden.18

Untersuchungsanstalten und Untersuchungsämter.19 Die Fortschritte der chemischen und bakteriologischen Untersuchungsmethoden einerseits und die Notwendig­ keit zur exakten Prüfung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen auf die Verwendung von gesundheitsgefährdenden Stoffen andererseits führten dazu, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Institute für Hygiene und angewandte Chemie an den drei Landesuniversitäten als Untersuchungsan­ stalten für hygienische und lebensmittelrechtliche Fragen bestimmt wurden. Grundlage dafür waren das vom Reichstag beschlossene Nahrungsmittelgesetz (1879) und das Gesetz über gemeingefährliche, übertragbare Krankheiten (1900). Neben den staatlichen gab es auch kommunale Untersuchungsanstalten und dann seit 1913 die Veterinärpolizeiliche Anstalt zur Tierseuchenbekämp­ fung und Herstellung von Impfstoffen und Diagnoseseren. Die bestehenden Anstalten wurden nach der Neuordnung des Lebensmittelrechts (1969) zu Lan­ desuntersuchungsämtern für das Gesundheitswesen Südbayern (München) und Nordbayem (Nürnberg) zusammengefaßt (1973). Nach dem weiteren Ausbau der Organisation der Untersuchungsämter und ihrer Außenstellen (1986) kam es 2001, ausgelöst durch die sogenannte BSE-Krise, zur Errichtung des Landes­ amts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, in dem die bisherigen Landes­ untersuchungsämter aufgingen, um alle Kompetenzen für den gesundheitlichen Verbraucherschutz in einem Amt unter dem Gesundheitsressort zusammenzu-

18 U. Lindner, Gesundheitspol. u. med. Versorgung 1945-1972 (Bayern im Bund 1) 2001, 252-259; GVB1. 1986, 316; 1993, 411, 496; 1995, 843 (vgl. §§ 8a, 9a).

19 J. Grüne, Anfänge staatl. Lebensmittel­ überwachung in DtL, 1994; Volkert, HB 76-81; GVB1. 1986, 316; 2001, 886; 2005, 287, 330; SZ v. 30. / 31.12. 2000, 28.4. 2001, 15. / 16. 9. 2001; vgl. § 9 Anm. 25.

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fassen. In das Landesamt wurde 2005 das Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeits­ medizin und Sicherheitstechnik eingegliedert. Veterinärwesen.10 Die Entwicklung der veterinärmedizinischen Versorgung des Landes und des öffentlichen Tiergesundheitsdienstes ist abhängig von der Aus­ bildung der Tierärzte. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die tier­ ärztliche Approbation der humanmedizinischen gleichgeachtet. Seit 1872 wur­ den Amtstierärzte in einer den Bezirksärzten entsprechenden Position als Fach­ berater den unteren Verwaltungsbehörden zur Seite gestellt. Vorher hatten die Gerichtsärzte die Aufsicht über die praktizierenden Tierärzte und die Tierge­ sundheit geführt. 1890 und 1913/14 erreichte die Veterinärausbildung vollen akademischen Rang. Die mit der Seuchenbekämpfung und der Lebensmittel­ überwachung betrauten Tierärzte waren Leiter des bezirkstierärztlichen Dien­ stes; ihre Dienststellen in den Landkreisen wurden seit 1974 als Veterinärämter selbständig; 1995 wurden sie schließlich wieder in die Landkreisverwaltungen eingegliedert. Seit der BSE-Krise kommt dem Verwaltungszweig besondere Bedeutung zu. Die Mitwirkung der öffentlichen Veterinäre im Verbraucher­ schutz und der Lebensmittelüberwachung fand 2003 neue gesetzliche Regelun­ gen.

§ 9. WIRTSCHAFT - VERKEHR

I. Burkhardt, Das Verhältnis v. Wirtschaft u. Verwaltung in Bayern während d. Anfänge d. Industrialisierung (1834-1868) (Schrr. z. Wirtschafts- u. Sozialgesch. 64) 2001; St. Deutinger, Energiepol. u. regionale Energieversorgung 1945 bis 1980 (Bayern im Bund 1) 2001, 33-118; A. Gall, Verkehrspol. u. Landesplanung 1945 bis 1976 (Bayern im Bund 1) 2001, 119—204; G. Stinglwagner, Die Organisationsgesch. d. obersten Landwirtschaftsverwaltung v. 1919 bis 1945 (75 Jahre Bayer. Staatsmin. f. Landwirtsch.) 1994, 43-78; Weichenstellun­ gen. Eisenbahnen in Bayern 1835-1920 (Ausst.-Kat. d. Staatl. Arch. Bayerns 43) 2001, 300320.

a) Land- und Forstwirtschaft. Den wichtigsten Wirtschaftsfaktor, in dem der größte Anteil der Bevölkerung Arbeit und Auskommen fand, stellte bis weit in das 19. Jahrhundert die Landwirtschaft1 dar. Der Staat griff vor allem durch die Aufhebung der Grundherrschaft (1848), dann aber auch durch zoll-, handelsund verkehrspolitische Maßnahmen nachhaltig in die Wirtschafts- und Sozial­ struktur der Agrarbevölkerung ein. Es gab in der Staatsverwaltung jedoch keine Instanz, die sich speziell oder ausschließlich mit der Agrarverwaltung beschäf­ tigt hätte. Die von Staats wegen erwünschte Verbesserung der Betriebs- und Wirtschaftsstrukturen sowie der Ausbildung angehender Landwirte war zu­ nächst Aufgabe des 1810 gegründeten «Landwirtschaftlichen Vereins», der mit seinem Zentralkommitee (Bayerischer Landwirtschaftsrat) und den Gebiets20 Volkert, HB 8of.; GVB1. 1993, 496; 1995. 843; 2003, 452.

1 HB IV 2, 741, 752; Volkert, HB 266 f., 273; DVG III 505 f, 725 f; IV 564.

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und Ortsvereinen in enger Verbindung zu den Behörden der inneren Verwal­ tung stand. Die zeitweilige Übertragung der Agrarzuständigkeit auf das Han­ delsministerium (1848-71) änderte daran nichts. Der Landwirtschaftliche Ver­ ein initiierte Maßnahmen zur systematischen Ausbildung junger Landwirte durch die sogenannten Wanderlehrer, die während der Wintermonate Unter­ richt hielten, unterstützte landwirtschaftliche Meliorationen (Landgewinnung durch Ent- oder Bewässerung), die Tier- und Pflanzenzucht durch die Anstel­ lung von Beratungsinspektoren der Pflanzen- und Tierzuchtverbände. Die Ko­ sten für die Beratungsdienste übernahmen um 1900 die Staatsverwaltung, zum Teil auch die Kreise (Regierungsbezirke); aus ihnen entwickelten sich die Landwirtschaftsstellen (seit 1922; seit 1948 Landwirtschaftsämter), denen mei­ stens auch Landwirtschaftsschulen angeschlossen waren, die staatlichen Tier­ zuchtämter, die Bodenkulturstellen und Saatzuchtinspektionen; sie setzten auf Staatskosten die von der berufsständischen Selbstorganisation (Komitees des Landwirtschaftlichen Vereins) geschaffenen Einrichtungen fort. In der revolutionären Bewegung 1918/19 hatte sich der Bayerische Bauern­ bund auf der Seite der Unabhängigen Sozialdemokraten um Kurt Eisner enga­ giert mit der Forderung, die Interessen der bäuerlichen Bevölkerung durch die Organisation eines Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft stärker zu ver­ treten.2 Deshalb wählte der Landtag im März 1919 den Bauernbundvertreter Martin Steiner zum Landwirtschaftsminister im Kabinett des Sozialdemokraten Johannes Hoffmann; ihm wurden die Kompetenzen für Landwirtschaft und Volksernährung samt den nachgeordneten Ämtern zugewiesen. Die Agrarkreise wünschten dies auch für die Forstverwaltung, deren Übernahme jedoch am Widerstand des Finanzministeriums scheiterte. Die Diskussion in den folgenden Jahren über die Notwendigkeit eines eigenen Landwirtschaftsressorts fand ihr Ende mit der Auflösung des Ministeriums in der Sparaktion der bayerischen Staatsregierung 1931/32. Die oberste Landwirtschaftsbehörde wurde wieder das Innenministerium, welches jedoch schon 1933 bei der nationalsozialistischen Regierungsbildung die gesamten Wirtschaftsaufgaben, darunter auch die für die Landwirtschaft, an das neue Wirtschaftsministerium abzugeben hatte. Die landwirtschaftliche Selbstverwaltung hatte 1920 durch das Gesetz über die Bauernkammern eine neue organisatorische Form gefunden. Die Kammern hatten als Berater der Staatsregierung mit Antragsrecht in wichtigen agrarischen Fragen Bedeutung gewonnen. Daneben bestand der Landwirtschaftliche Verein als Körperschaft weiter. Alle landwirtschaftlichen Vereine und Körperschaften verfielen der nationalsozialistischen Gleichschaltung im Reichsnährstand (1933), der über die Landesbauernschaften, die Kreisbauernschaften und die Ortsbau­ ernführer das Land bis zum letzten Dorf erfaßte.3 Die Führung des Reichsnähr2 DVG IV 441 f„ 563 fr.; Volkert, HB 262 f.; Stinglwagner, Organisationsgesch. 43-63; H. Bergmann, Der Bayer. Bauern­ bund und der Bayer. Christi. Bauernverein 1919-28, 1986, 74-80.

3 DVG IV 44of., 811 ff.; Volkert, HB 285 f.; Stinglwagner, Orgsanisationsgesch. 63-78; Th. Bauer, Nationalsozialist. Agrar­ politik u. bäuerl. Verhalten im 2. Weltkrieg (Münchner Stud. z. neueren u. neuesten

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Standes wollte sich auch die gesamte Landwirtschaftsverwaltung eingliedern; dies scheiterte am Widerstand der bayerischen Staatsregierung, so daß die Landwirtschafts-, Tier- und Saatzucht-, Flurbereinigungs- und Kulturbauämter staatliche Behörden blieben, aber dem Reichsnährstand «zur Verfügung gestellt» wurden. Die wichtigste Aufgabe war die Sicherung der Ernährung, wofür bei der Landesbauernschaft das Landesernährungsamt (1939) gebildet wurde. Auf ausdrückliche Anweisung der amerikanischen Besatzungverwaltung führ­ ten die bisherigen Ämter die Lebensmittelbewirtschaftung fort, jetzt geleitet vom Landesernährungsamt, das als Abteilung Ernährung dem im Herbst 1945 eingerichteten Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft eingegliedert wurde.4 Ihm unterstanden sämtliche Landwirtschaftsämter, Tier- und Saat­ zuchtdienststellen und die für Forschungs- und Untersuchungsaufgaben einge­ richteten Landesanstalten für nahezu alle Sparten der landwirtschaftlichen Pro­ duktion und der Landtechnik. 1946 kam auch die gesamte Forstverwaltung zum Landwirtschaftsressort. Die wichtigste Aufgabe des Ministeriums mit seinem nachgeordneten großen Verwaltungsapparat war zunächst die Sicherung der Produktion und Ernäh­ rung. Mit der Normalisierung der Versorgung seit 1948 ging dieser Arbeitsbe­ reich zurück. Neue Probleme ergaben sich in den folgenden Jahrzehnten aus dem allgemeinen Wandel der ländlichen Sozialstruktur, der zunehmenden Technisierung der Betriebsführung und dem neuen Agrarmarkt der Europäi­ schen Gemeinschaft, worauf die Agrarverwaltung mit einer Neuorganisation der Beratungsdienste und Landwirtschaftsschulen seit 1972 reagierte. Dies hatte eine starke Reduktion der Dienststellen zur Folge. In mehreren Stufen wurden zwischen 1986 und 2001 die Ämter für Pflanzenbau und Bodenkultur sowie Tierzucht in die Landwirtschaftsämter integriert. Die Reformplanungen seit 2003/04 sehen weitere Umstrukturierungen vor.5 Die bayerischen Landesanstalten für das Agrarwesen wurden 2002 zu einer Landesanstalt für Landwirtschaft in Freising vereinigt, wobei jedoch die bishe­ rigen Anstalten für Bodenkultur und Pflanzenbau, Betriebswirtschaft und Agrarstruktur, Tierzucht, Ernährung, Landtechnik und Fischerei erhalten blie­ ben. Dadurch sollen Einsparungen erzielt und die Zusammenarbeit unter den bisherigen Anstalten und mit der Agrarfakultät der Technischen Universität in Weihenstephan verbessert werden.6 Die im Jahr 2000 von Großbritannien auf das Festland übergreifende BSEKrankheit (Bovine Spongiform Encephalopathia) trat auch in Bayern auf; die Gesch. 14) 1996, 50-68; Chr. Bachmann, Blut u. Boden. Zur Herrschafts- u. Verwaltungsgesch. d. Reichsnährstandes in Bayern (ZBLG Beih. B 21) 2004, 621-648. 4 DVG V 770; Volkert, HB 264 f.; Stinglwagner, Organisationsgesch. 79-118; Protokolle Schäffer 31, 43, 156 f.; Protokolle Hoegner I XLVI, LIV.

5 Volkert, HB 271-278; GVB1. 1985, 834; >994> 635; 2001, 493, 666. Vgl. u. bei Anm. 8 u. 14. 6 Volkert, HB 273-278; GVB1. 2002, 652, 1004.

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Kritik richtete sich gegen die für Gesundheit und Ernährung zuständigen Mini­ ster, was Ministerpräsident Stoiber zur Umbildung der Regierung und der Einrichtung eines Ministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucher­ schutz veranlaßte. Dabei ging die Kompetenz für Ernährungsfragen auf das neue Ressort über, und das bisherige Ministerium firmiert nur mehr als Staats­ ministerium für Landwirtschaft und Forsten.7 Größere Bedeutung erlangten in der Landwirtschaftsverwaltung die seit dem Flurbereinigungsgesetz von 1886 in Gang kommenden Arrondierungsverfahren, durch die die landwirtschaftliche Besitzstruktur in den Gemeindefluren verbessert werden sollte. Die genossenschaftlich organisierten Flurbereini­ gungsunternehmen unterstützte und leitete die zentrale Flurbereinigungskom­ mission (eingerichtet 1887, in Landesamt für Flurbereinigung 1915 umbenannt) in München. Zur Beschleunigung der Verfahren wurde die Verwaltung dezen­ tralisiert. Es entstanden insgesamt acht Ämter, die seit 1969 als Mittelbehörden die Bezeichnung Flurbereinigungsdirektionen führen. Seit etwa 1970 gewan­ nen ökologische Aspekte und Vorgaben des Naturschutzes, der ländlichen Raumordnung im allgemeinen und der Dorfsanierung größere Bedeutung für die Arbeit der Ämter, die schließlich 1991 die Bezeichnung Direktionen für ländliche Entwicklung erhielten. Der Verwaltungsbereich «Ländliche Entwicklung» wird ebenso wie die ge­ samte Landwirtschafts- und Forstverwaltung in der Verwaltungsreform von 2003/04 an neu gestaltet werden. Nach der Ausgliederung der bayerischen Staatsforsten werden Ämter für Landwirtschaft und Forsten gebildet.8

Die Forstverwaltung9 ist aus der Verwaltung des Staatswaldes hervorgegangen; denn der Staat ist größter Waldeigentümer (etwa ein Drittel der Waldflächen steht im Staatseigentum, etwas mehr als die Hälfte umfaßt der Privatwald, der Rest ist Gemeinde-, Stiftungs- und sonstiger Körperschaftswald). Wegen der Bedeutung des Waldes für das Staatsvermögen unterstand die gesamte Forstad­ ministration dem Finanzministerium. Von hier aus wurde die Wirtschaftsver­ waltung des Staatswaldes wie die Forstpolizei im Nichtstaatswald durch die Fi­ nanzkammern der Kreisregierungen (seit 1908 eigene Forstkammern) und die nachgeordneten Forstämter und Reviere geleitet. Maßnahmen der Forstpolizei und des Forstschutzes vollzogen nach technischer Beratung durch die Forstäm­ ter die Verwaltungs- und Polizeibehörden. Bald nach Bildung der Regierung 7 GVB1. 2001, 38, 108, 886; 2003, 897; HB IV i2 106; Kratzer (§ 5) 442-445; vgl. SZ v. 16. u. 17. i. 2001. 8 Volkert, HB 286 f.; DVG III 506, 727; IV 442, 819; V 247, 770; GVB1. 1981, 505; 1992, 514; 1993. 1065; 1994, 127; 2001, 683. Vgl. Anm. 14. 9 Volkert, HB 288-294; DVG II 536; III 731; IV 564; H. Rubner, Hundert bedeu-

tende Forstleute Bayerns (1875-1970) (Mitt, a. d. Staatsforstverw. Bayerns 47) 1994; C. Schmöller - J.A. Volland, Bayerns Wäl­ der. 250 Jahre Bayer. Staatsforstverw. (H. z. Bayer. Gesch. u. Kultur 27) 2002; M. Un­ ger, Die Zentralisierung d. bayer. Staats­ forstverwaltung (ZBLG Beih. B 21) 2004, 341-378.

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Hitler 1933 ging Hermann Göring, dem die preußische Forstverwaltung unter­ stand, daran, eine Reichsforstverwaltung zu organisieren. Im Einvernehmen mit der Reichsinstanz betrieb Ministerpräsident Siebert gegen den Widerstand des Innenministers Wagner die direkte Unterstellung der Landesforstverwaltung unter den Ministerpräsidenten und damit deren Unabhängigkeit vom Finanzund Innenministerium (1935). Die Reichsforstverwaltung errichtete auch in Bayern Reichsforstämter, die sich um die Betreuung des Privatwaldes kümmern sollten; sie blieben wenig effektiv, ebenso die Forstdienststellen, die der Reichsnährstand aufzog. Sie stellten bei Kriegsende ihre Tätigkeit ein.10*Die Landesforstverwaltung mit den Regierungsforstämtern als Mittelinstanzen und 276 Forstämtern als Außenbehörden ging 1946 an das neue Landwirtschaftsmi­ nisterium über wegen des engen Zusammenhangs von Forst- und Landwirt­ schaft. Der Wald galt primär nicht mehr als wichtigster Teil des Staatsvermö­ gens, sondern als höchst bedeutender Faktor zur Pflege der Landeskultur und zur Erhaltung der Kulturlandschaft.“ Besondere Bedeutung haben der seit 1969 eingerichtete Nationalpark Bayeri­ scher Wald und der Alpen- und Nationalpark Berchtesgaden (seit 1972) für Naturschutz und Landschaftspflege gewonnen; die Ämter unterstehen der Forstverwaltung. Die von der Forstverwaltung betriebene praxisbezogene For­ schung wurde zusammengefaßt in der 1993 neu formierten Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft in Freising, die eng mit der dortigen Universitätsfa­ kultät zusammenarbeitet.12 Die Staatsregierung ist bestrebt, die Kosten der Forstverwaltung zu senken, was durch die Aufhebung von Ämtern und die Neubildung der Dienstbezirke erreicht werden soll. 2002 wurden deshalb zwei der sechs Forstdirektionen (wie die Oberforstdirektionen seit 1997 heißen) aufgehoben, die Zahl der Forstämter wurde bis 2003 auf 127 reduziert.13*Die nach der Landtagswahl von 2003 gebildete Regierung möchte ihre Vorstellung von der Verwaltungsreform besonders an der Forstverwaltung umsetzen. Dabei werden die Forstdirektio­ nen und Forstämter aufgelöst und die Hoheits- und Beratungsaufgaben der letzteren den neu organisierten Ämtern für Landwirtschaft und Forsten zuge­ wiesen. Den Staatswald bewirtschaftet eine Anstalt des öffentlichen Rechts, «Bayerische Staatsforsten», der frühere Forstämter als Betriebsstandorte unter­ stellt sind. Nach der Änderung des Forstgesetzes von 1974 trat die Reform 2005 in Kraft.’4 Die Forstabteilung des Ministeriums wird stark reduziert werden. 10 H. Rubner, Dt. Forstgesch. 1933-1945, 19972, 98-103; DVG IV 821. " Protokolle Schäffer 47, 300, 304; Stinclwagner, Organisationsgesch. 129142; DVG V 781 f. 12 GVB1. 1987, 63; 1992, 257; 1993, 311; 1997, 5Z3! vgl. SZ v. 8.5.2003; F. Fegert, Nationalparkplanung Bayer. Wald (W. Schenk u. a., Kulturlandschaftspflege) 1997, 202-207.

13 GVB1. 1989, 131; 1997, 673; 2002, 572; 2003, 746. 14 HB IV i2 996; vgl. § 5 Anm. 27 (34-43; 2005: i4f., 32-37); GVB1. 1974, 551; 2005, 138, 146, 187, 199, 217, 220, 287, 313; M.R. Sagstetter, Behörden vergehen, Akten be­ stehen (Aviso. Zschr. f. Wissenschaft und Kunst 2) 2006, 30-33.

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b) Gewerbe, Industrie, Handel. Die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen die öffentlichen Verwaltungen Einfluß auf die gesamte Volkswirtschaft («Na­ tionalökonomie») nehmen, hingen von den staatlich-bayerischen und den «na­ tionalen» Komponenten zunächst des Deutschen Bundes (bis 1866), dann des Deutschen Reiches (ab 1871) ab. Sie wurden hinsichtlich der Außenwirtschaft und der Beziehungen zum Deutschen Zollverein über die Ministerien des Äu­ ßern und der Finanzen, hinsichtlich der Binnenwirtschaft vor allem über die Instanzen der inneren Verwaltung abgewickelt. Sowohl Forderungen auf dem Reformlandtag von 1848 nach einer effektiveren Leitung der materiellen Inter­ essen des Landes wie auch die Verhandlungen in der Frankfurter Nationalver­ sammlung über die im Verfassungsentwurf vorgesehenen wirtschaftlichen Kompetenzen veranlaßten König Maximilian II. im Herbst 1848, ein eigenes Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten einzurichten.15 Es er­ hielt die vom Innenressort überwiesenen Kompetenzen für die Landwirtschaft, für Fabriken, das Gewerbe, die Banken und Versicherungen, das Maß- und Gewichtssystem, Innen- und Außenhandel sowie das gesamte Verkehrswesen auf den Straßen, den Wasserläufen und Schienen, dazu auch die Post- und die Zollverwaltung und das Landbauwesen. Die bisher in den Ministerien des In­ nern, des Äußern und der Finanzen arbeitenden Sektionen und Referate gingen an das Handelsministerium über, für das jedoch ein eigener Minister aus Er­ sparnisgründen nicht bestellt wurde; es führte vielmehr bis 1864 der Minister des Äußern dieses Ressort mit, was den Referenten des Handelsministeriums größere Wirkungsfelder eröffnete. Aktivitäten auf dem Gebiet des Eisenbahn­ wesens entfaltete seit 1866 Gustav von Schlör, vorher Direktor der Ostbahnge­ sellschaft. Dem Ministerium waren die Ämter und Einrichtungen von Post und Eisenbahn, der Bau- und Zollverwaltung und die Bergbehörden unterstellt; außerdem wirkte es über die Ämter der inneren Verwaltung (Kreisregierungen und nachgeordnete Behörden) auf das Wirtschaftsleben ein. Das Handelsministerium bestand als eigenes Ressort bis 1872. Bei der Regie­ rungsumbildung 1871 war Minister von Schlör aus politischen Gründen nicht mehr berücksichtigt worden; die Zoll- und Verkehrskompetenz ging an den Außenminister über, dessen Ressort nach der Reichsgründung nur mehr wenige Aufgaben hatte. Die Wirtschaftszuständigkeit im engeren Sinn ging an das Innenministerium, wo eine eigene Abteilung für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe eingerichtet wurde, um vielfachen Beschwerden, die besonders aus den Kreisen der Landwirtschaft wegen der Auflösung des Ministeriums laut ge­ worden waren, zu begegnen. Die Bau- und Bergverwaltung sowie die Statistik 15 DVG II 520 f.; III 720; Volkert, HB 234 fr.; K. Borchardt, Zur Gesch. d. bayer. Staatsmin. f. Wirtschaft u. Verkehr (Beitrr. z. Wirtschafts- u. Sozialgesch. 34) 1987, 1219; Götschmann 42fr., 353, 427f, 571 f, 584fr.; HB IV i2 290; A. Fox, Die wirt-

schaftl. Integration Bayerns in d. Zweite Dt, Kaiserreich (SchbLG 131) 2001, 281-301; Burkhardt, Verhältnis v. Wirtschaft u Verwaltung 191 ff.

§ g. Wirtschaft - Verkehr (W. Volkert)

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wurden dem Innenressort zugewiesen, wie dies vor 1848 der Fall gewesen war.16 Im Außenministerium entwickelten sich die Verkehrsabteilungen für Post und Eisenbahn zu den größten und einflußreichsten Verwaltungsbereichen; da­ für wurde 1904 das Verkehrsministerium eingerichtet (§ 9 c). Um dem Minister des Königlichen Hauses und des Äußern, der gleichzeitig Vorsitzender im Mi­ nisterrat war, neue Aufgabenfelder zu sichern, erhielt er die bisher dem Innen­ ministerium zugewiesenen Zuständigkeiten für die gewerbliche Wirtschaft und den Handel; dort blieben nur die Aufgaben der Landwirtschaftsverwaltung. Die Wirtschaftsabteilung des Außenministeriums entfaltete eine rührige, vor allem auf die Kreise der führenden Industriellen, Gewerbe- und Handeltreibenden und die Wirtschaftsverbände abgestimmte wirtschaftspolitische Aktivität. Man diskutierte auch, alle Wirtschaftssparten und deren nationalökonomische Be­ treuung in einem eigenen Ministerium zusammenzufassen.17 Das wurde jedoch nicht realisiert, ebenso wenig wie die während des Ersten Weltkrieges in Erwä­ gung gezogene Einrichtung eines Gewerbe- und Handelsministeriums, das sich besonders mit den drängenden Problemen der zivilen und wirtschaftlichen De­ mobilmachung nach Kriegsende beschäftigen sollte. Zur Bestellung eines Ministers für Gewerbe, Handel und Industrie kam es schließlich bei der Bildung der Regierung unter Johannes Hoffmann am 17./18. März I9I9;'8 der dafür bestimmte unabhängige Sozialist Joseph Simon folgte jedoch der von den Mehrheitssozialdemokraten geführten Regierung nach Bamberg nicht. Die dem Minister zugedachten Aufgaben, die Sozialisie­ rung der bayerischen Industrie zu fordern, waren in den Turbulenzen des Frühjahrs 1919 ziemlich illusorisch und blieben dies auch. Bei der Neubildung der Regierung Hoffmann am 31. Mai 1919 übernahm das Ressort der zur Deut­ schen Demokratischen Partei gehörende Liberale Eduard Hamm, der die bishe­ rige Wirtschaftsabteilung des Außenministeriums in das neue Ministerium überführte. Außer der Förderung der Energiewirtschaft Bayerns durch Ausbau der Wasserkraftanlagen widmete sich die Wirtschaftspolitik vor allem den An­ liegen des gewerblichen Mittelstandes. Von 1922 bis 1927 führte der aus der Wirtschaftsverwaltung des früheren Außenministeriums kommende Staatsrat Wilhelm von Meinel das Ministerium, welches schließlich bei der Verwal-

16 HB IV i2 378, 878. - Die amtliche Sta­ tistik Bayerns betrieb seit 1833 das Statisti­ sche Büro im Innenministerium (seit 1908 als Statistisches Landesamt selbständig). Seit 1982 ist es als Zentralstelle f. Datenverarbei­ tung in d. öffentl. Verwaltung Bayerns zu­ ständig (Volkert, HB 86 f.; GVB1. 1990, 270). Seit 1968 benützen Behörden EDVAnlagen. 17 G. Sperl, Wirtsch. u. Staat in Bayern

1914-1924 (Schrr. d. Hist. Komm, zu Berlin 6) 1996, bes. 220ff., 233, 293. 18 Borchardt (Anm. 15) 26-33; Vol­ kert, HB 236 ff; Sperl (Anm. 17) 293 f.; G. Köglmeier, Die zentralen Rätegremien in Bayern 1918/19 (SchbLG 135) 2001, 297, 299, 3°4. 306; HB IV i2 458-461; HB IV 2, 1294; M. Unger, Das bayer. Staatsmin. für Handel, Industrie u. Gewerbe (AZ 87) 2005, 39-79-

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tungsreform des Jahres 1928 aufgelöst wurde, wobei Ministerpräsident Held die Aufgaben in sein Ministerium des Äußern überführte.19 Die «Gleichschaltung» der Länder gab den Anlaß, im April 1933 das Ministe­ rium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit, wie es nach den Organisations­ maßnahmen von 1928 und 1932 geheißen hatte, aufzulösen und als Behörde für die eigentlichen Aufgaben des bayerischen Ministerpräsidenten eine Staatskanz­ lei zu errichten, während die meisten wirtschaftspolitischen Kompetenzen dem neu eingerichteten Wirtschaftsministerium übertragen wurden.20 Dieses erhielt dazu auch noch die Abteilung Landwirtschaft des Innenministeriums, so daß nun erstmals alle wesentlichen Bereiche der wirtschaftlichen Produktion in Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, Dienstleistungen und Handel in einem Ministerium zusammengefaßt waren. Mit der Abteilung Arbeit und Fürsorge waren ihm auch sozialpolitische Aufgaben zugewiesen. Wirtschafts- und Sozialleben waren jedoch völlig von der nationalsozialistisch gesteuerten Autarkiepolitik, dann der Wirtschaftsleitung über den «Vieijahresplan» und schließlich seit Kriegsbeginn von der Zwangswirtschaft der gewerb­ lichen Wirtschaft und der Land- und Emährungswirtschaft nach den Anord­ nungen des Reichswirtschaftsministers und des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft abhängig. Wie der dem Wirtschaftsministerium eingeglie­ derte «Reichstreuhänder der Arbeit» für das Wirtschaftsgebiet Bayern die natio­ nalsozialistische Sozialpolitik zur «Wahrung des Arbeitsfriedens» nach dem Ge­ setz vom 19. Mai 1933 umzusetzen hatte, so waren die kurz vor Kriegsbeginn eingerichteten Bezirkswirtschaftsämter (für die gewerbliche Wirtschaft) und das Landesemährungsamt (zusammen mit dem «Reichsnährstand» für die Sicherstel­ lung der Ernährung) beim Wirtschaftsministerium Mittelstellen der entspre­ chenden Reichsministerien. Nach den Anordnungen der Besatzungsmacht führte die Wirtschaftsverwal­ tung die Zwangswirtschaft weiter, wobei das Landesemährungsamt an das Landwirtschaftsministerium überging. Mit dem Abbau der Kriegswirtschaft, die bald auf die Währungsreform von 1948 folgte, konnte die hypertrophe Wirtschaftsverwaltung stark reduziert werden. Das Wirtschaftsministerium erhielt nach der Auflösung des Verkehrsministe­ riums 1952 dessen noch verbliebene Aufgaben zugewiesen; es bekam die Be­ zeichnung «Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr». Die planende und leitende wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates galt im Rahmen der von der Bundesrepublik vorgegebenen Rahmenbedingungen der sozialen Marktwirt­ schaft in erster Linie der Energiepolitik, zunächst dem Anschluß Bayerns an das internationale Netz der Energieversorgung über Erdölfernleitungen (zum Bei­ spiel zum Raffineriezentrum Ingolstadt) und Erdgasfernleitungen (beispielsweise ” Sperl (Anm. 17) 233, 348, 352-359. 413. 421. 533! Bauer (§ 5) 15. 20 Borchardt (Anm. 15) 33-39; Anker (§ 8) 251 f.; Volkert, HB 238 ff., 282 ff.; P.

Erker, Das Siebert-Programm u. d. nationalsozialist. Wirtschaftspol. (1933-1939) (ZBLG Beih. B 21) 2004, 245.

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vom Untermaingebiet nach Oberfranken), dann auch dem Ausbau der Kern­ energie-Nutzung und schließlich dem überörtlichen Verkehrswegeausbau, vor allem der Autobahnen. Daneben sollte auch die Förderung des Mittelstands in Gewerbe, Industrie und Handel ein besonderes Anliegen der staatlichen Wirt­ schaftspolitik und -Verwaltung sein.21 Bei der Einrichtung des Umweltministe­ riums wurden 1970 die Aufgaben der staatlichen Landesplanung diesem Ressort zugewiesen und damit dem Wirtschaftsministerium weggenommen. In der seit den 1990er Jahren von der Staatsregierung eingeleiteten Maßnahmen zur För­ derung der sogenannten Hochtechnologie erhielt das Wirtschaftsministerium die federführende Rolle, was sich in der Ergänzung der Bezeichnung «Staatsmi­ nisterium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie» (1994) ausdrückte. Das Ressort war auch maßgebend dabei tätig, die Erlöse aus der Privatisierung von Staatsbeteiligungen in Forschungs- und Technologie-Investitionen zu überfüh­ ren. Dadurch sollen die wirtschaftlichen Chancen Bayerns insgesamt verbessert werden. 2003 erhielt das Wirtschaftsministerium die 1970 dem Umweltressort zugewiesene Kompetenz für die Landesplanung zurück; dies gilt als Stärkung der Position des Wirtschaftsministers gegenüber dem Umweltressort.22 Gewerbeaufsicht. Die industrielle Entwicklung in Fabriken und anderen großge­ werblichen Betrieben brachte erhebliche Gefahren für Leben und Sicherheit der Beschäftigten und soziale Probleme, wie Kinder- und Frauenarbeit, mit sich, zu deren Behebung oder Minderung die Novelle zur Reichsgewerbeord­ nung 1878 die Bestellung von staatlichen Fabrikinspektoren forderte. In Bayern wurden daraufhin wissenschaftlich-technisch ausgebildete und in Betrieben er­ fahrene Fabrik- und Gewerbeinspektoren mit Hilfspersonal, seit 1898 auch weibliche Assistentinnen, ernannt.23 Die Gewerbeaufsichtsbeamten (diese Be­ zeichnung seit 1907) hatten auch in Fragen der Arbeitszeitregelung, der Heim­ arbeiter, der Unfallverhütung und Sicherheitstechnik Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer zu beraten. Sie waren der inneren Verwaltung, dann dem Handels­ und dem Wirtschaftsministerium zugewiesen. 1945 wurde die soziale Kompo­ nente der Tätigkeit stärker betont und der Verwaltungsbereich dem Ressort für Arbeit und Sozialordnung zugeteilt. Dies blieb so bis zur Einrichtung des Staatsministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz (2001), dem die nun acht Gewerbeaufsichtsämter unterstellt wurden. Deren äußerst vielschichtige Aufgaben bei der Überprüfung der Arbeitsschutzvorschriften, die die allgemeine Maschinentechnik, den Umgang mit Röntgengeräten und Sprengstoffen ebenso umfassen wie die Arbeiten in der Gentechnik, wurden 21 HB IV i2 839 fr., 952, 968; Deutinger, Energiepol. 42 f, 63 ff. 22 GVB1. 1994, 987; 2003, 829; 2003, 829; 2004, 14; die Amtsbezeichnung lautet seit 2003: Staatsmin. f. Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr u. Technologie. Vgl. SZ v. 16. 10. 2003.

23 A. Gresser, Die Entstehung d. bayer. Gewerbeaufsicht, Diss. Regensburg 1984; Volkert, HB 298 f.; DVG III 243-248, 727; IV 226, 795.

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zwischen 1987 und 1998 detailliert festgelegt.24 Derartige Aufgaben werden auch von dem 1994 eingerichteten Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeitsmedi­ zin und Sicherheitstechnik wahrgenommen. Dieses ist aus dem auf das Jahr 1900 zurückgehenden Landesinstitut für Arbeitsmedizin hervorgegangen. Bei der 2003/04 begonnenen Verwaltungsreform wurde das Landesamt aufgelöst und in das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit überführt. Die Gewerbeaufsichtsämter wurden zur Personaleinsparung den Regierungen angegliedert.25 Bergbehörden.2627 Die Ausbeutung der Bodenschätze durch staatliche Betriebe und die Verwaltung des Bergregals waren Aufgabe der im frühen 19. Jahrhundert neu organisierten höheren Administrationsbehörden für die Bergwerke und Sa­ linen, denen sogenannte Bergdistrikte, Salinen- und Salzämter nachgeordnet waren. Nach dem Erlaß des bayerischen Berggesetzes (1869), das wesentliche Normen des preußischen Bergrechts von 1865 übernahm, kam es in Bayern zur Trennung der Wirtschaftsverwaltung von der Hoheitsverwaltung, für welche das Oberbergamt und Bergämter eingerichtet wurden. Sie unterstanden zu­ nächst dem Handelsministerium, dann schließlich nach mehrfachem Wechsel der ministeriellen Zuordnung dem bayerischen Wirtschaftsministerium (seit 1933). Im Zug der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik wurde die Bergver­ waltung an das Reich überführt; die Ämter hatten sich vor allem um die Lager­ stättenforschung und -künde zu kümmern. Nach Kriegsende gingen die Berg­ ämter und das Oberbergamt wieder in die bayerische Verwaltung zurück. Da­ bei blieb es auch nach dem Bundesberggesetz von 1982. Der tiefgreifende Strukturwandel, der sich seitdem im gesamten Bergbaubereich vollzog, führte 1994 zu einer Straffung der Verwaltung; das Oberbergamt wurde aufgelöst, die Bergämter in zwei Bereiche für Nordbayern und für Südbayern überführt, die jeweils den Regierungen in Bayreuth (Nordbayern) und München (Südbayem) eingegliedert sind. Überregionale Aufgaben nimmt das Wirtschaftsministerium wahr. Die staatlichen Berg- und Hüttenwerke sowie die Salinen wurden 1927 in eine Aktiengesellschaft überführt, um die privatrechtliche Geschäfts- und Wirt­ schaftsführung zu ermöglichen. Diese Gesellschaft (Bayer. Berg-, Hütten- und Salzwerke AG) wurde 1991 privatisiert. Zur Bergverwaltung gehörte die 1850 eingerichtete Geognostische Landes­ untersuchung (seit 1948 Geologisches Landesamt) für die geologische Landes­ aufnahme; sie gilt jetzt als wichtige Grundlage der Umweltpolitik (§ 8 a). 24 GVB1. 1987, 467; 1994, 781; 1998, 956; 2002, 247; 2003, 278. 25 D. Albrecht, Die Anfänge d. Münch­ ner Arbeitermuseums (FS Volkert) 255-272; GVB1. 1994, 608, 624; 2004, 547; 2005, 287; vgl. SZ v. 24.4.2002, 18.2.2005; s. § 5 Anm. 27 (S. 24 f.), § 8 e Anm. 19.

26 DVG II 479ff., 534f; III 5140"., 521, 727 f.; IV 427, 791; V 813-816; Volkert, HB 174 fr., 244 fr., 326 f.; E. Zorn, F.B.W. v. Hermann (Sparkassen in d. Gesch. I/18) 1999, 399-420.

£ (j.

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c) Verkehrswesen. Die bayerischen Staatsbahnen sowie die Post- und Telegra­ phenämter stellten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die personal­ stärksten staatlichen Verwaltungen dar; ihre Bedeutung für und ihr Einfluß auf das gesamte Wirtschaftsleben und die Sozialstruktur des Landes waren außeror­ dentlich groß.27 Seit 1870 waren das Streckennetz, die Beförderungsleistungen, die Zahl der Postämter und Telegraphenstationen stark angewachsen, so daß die sachlich und politisch verantwortliche Leitung des gesamten Staatsbahnund Postsystems einem eigenen fachkundig besetzten Ministerialressort unter­ stellt werden sollte. Dies geschah 1903/04 durch die Errichtung des Ministeri­ ums für Verkehrsangelegenheiten unter dem bisherigen Leiter der Verkehrsab­ teilung des Außenministeriums, die zum neuen Ministerium entwickelt wurde. 1917 erhielt das Verkehrsministerium auch die Zuständigkeit für die Staatsstra­ ßen und die Wasserstraßen mit der Unterordnung der aus dem Innenministe­ rium herausgenommenen Straßen-, Fluß- und Kanalbauämter. Die außeror­ dentlichen Leistungen von Bahn und Post während des Ersten Weltkrieges und die dringende Notwendigkeit, das Verkehrswesen in die Übergangswirtschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit zu überfuhren, veranlaßte die Regierung un­ ter Kurt Eisner, den parteipolitisch nicht gebundenen Fachminister von Frau­ endorfer (Minister von 1904 bis 1912) mit dem Verkehrsressort zu betrauen. Nachdem durch die Reichsverfassung von 1919 sämtliche Verwaltungsbefug­ nisse für das Verkehrswesen auf das Reich übergingen, wurden die entspre­ chenden Ämter, Behörden und Dienststellen dem Reichsverkehrsministerium unterstellt; das bayerische Verkehrsministerium wurde aufgelöst und in die Ab­ teilung Bayern des Reichsverkehrsministeriums überführt. Die im Mai 1945 von der amerikanischen Militärregierung eingesetzte bay­ erische Regierung unter Ministerpräsident Fritz Schäffer zog ihren Beratungen über den Wiederaufbau der Verwaltung auch die Präsidenten der Münchner Reichsbahn- und Reichspostdirektionen, Karl Rosenhaupt und Ludwig Geiger, zu, um die Verkehrs- und Nachrichteneinrichtungen wieder in Gang zu brin­ gen. Im Januar 1946 richtete Hoegner auf amerikanische Weisung ein Staatsmi­ nisterium der Verkehrsangelegenheiten mit der Zuständigkeit für alle Angele­ genheiten von Bahn und Post, Straßenverkehr und Binnenschiffahrt ein.27 28 Die wesentlichen Aufgaben für Bahn und Post gingen jedoch gleichzeitig auf Ein­ richtungen des Länderrats der US-Zone über, die bald darauf in die Oberbe­ hörden der Zwei-Zonen-Verwaltung für die amerikanische und britische Be­ satzungszone überführt wurden. Diese Verwaltungen bildeten die Grundlage für die nach dem Grundgesetz von 1949 eingerichteten Bundesministerien und 27 Volkert, HB 240 fr.; Ders., Die Land­ tagsfraktion d. bayer. Zentrums u. d. bay er. Staatsverwaltung (FS Albrecht) 3iof.; Bor­ chardt (Anm. 15) 21 f., 27 fr.; DVG III 731; HB IV i2 405 f., 445, 454, 457, 459, 474; Löffler, Reichsräte 362 fr.; E. Maderholz, Das Kgl. Bayer. Staatsmin. f. Verkehrsange-

legenheiten (Arch. f. Postgesch. in Bayern) 1991, 261-277. 28 Protokolle Schäffer 31, 3öf. u.ö.; Pro­ tokolle Hoegner I, XLVI11, 99-106, 321; Borchardt (Anm. 15) 42, 47fr., 55; Vol­ kert, HB 242 f., 249 f.; HB IV i2 670, 678 f; Gall, Verkehrspol. i27f.

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deren nachgeordneten Leitungsbehörden. Dem bayerischen Verkehrsministe­ rium, das auch in der bayerischen Verfassung von 1946 verankert worden war, blieben nur mehr geringe Wirkungsfelder, vor allem beim Straßenverkehr mit der über die unterstellten Straßenverkehrsämter kontrollierten Treibstoffbe­ wirtschaftung. Nachdem dieser Aufgabenbereich durch die Normalisierung der Versorgung weggefallen war und die Straßenverkehrsbehörden aufgelöst waren, blieben die Kompetenzen für ein eigenes Ministerium zu gering, so daß das Verkehrsministerium trotz gewisser verfassungsrechtlicher Bedenken 1952 wie­ der aufgehoben wurde. Die verbliebenen Aufgaben gingen an das Wirtschafts­ ministerium über. Größere Bedeutung erlangte die Verkehrsverwaltung für das Wirtschaftsmi­ nisterium, als seit 1990 die Bundesrepublik die Regionalisierung des Personen­ nahverkehrs im Eisenbahnbetrieb einleitete.29 Nach der Neuorganisation der deutschen Eisenbahnen 1992/93 (Zusammenfuhrung der Deutschen Bundes­ bahn und der Deutschen Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG) sind die Bundesländer in die Abwicklung des Personennahverkehrs eingeschaltet. Für Bayern kommt die Zuständigkeit dazu dem Wirtschafts- und Verkehrsministe­ rium zu, das seit 1996 über die neugegründete Bayerische Eisenbahngesellschaft den Regional- und Nahverkehr organisiert und beaufsichtigt. Ziel der Ver­ kehrspolitik ist, den Straßenverkehr, besonders in den Ballungsgebieten, zu entlasten und den Personennahverkehr auf die Schienenwege zu verlagern. Land- und Wasserstraßen. Der Bau von Kunststraßen hatte im 18. Jahrhundert einige Fortschritte gemacht; die sogenannte Hauptkommerzialstraßen wurden auf Staatskosten instand gehalten, während bei minder wichtigen Straßen und Wegen die Gemeinden oder auch die Anlieger zum Unterhalt verpflichtet wa­ ren. Die örtlichen Aufgaben hatten die Zoll- und Rentämter zu besorgen, die regionale Steuerung oblag vier Straßen- und Wasserbauinspektionen unter der Leitung einer zentralen General-Wasser- und Straßenbaudirektion.30 Ludwig I. ordnete die Verwaltung des Staatsbauwesens neu, wobei die Straßen-, Brükken- und Wasserbauaufgaben zeitweilig mit denen des staatlichen Hochbaus (Landbauwesen) zusammengefaßt waren. Für den Straßenbau, dessen Technik durch die Einführung des französischen Packlagesystems und des englischen Makadambaues sich wesentlich besserte, geschah im ersten Drittel des 19. Jahr­ hunderts viel; dann flössen die öffentlichen Investitionsmittel jedoch überwie­ gend in den Eisenbahnbau. Der weiträumige Straßenverkehr ging stark zurück; viele Verkehrswege verödeten oder behielten nur mehr örtlich Bedeutung innerhalb des Eisenbahnnetzes. Die Verwaltung der Straßen und des Wasser­ baues an den öffentlichen, mit Schiffen oder Flößen befahrbaren Flüssen erhiel­ 29 Vgl. GVB1. 1990, 483, 511; 1993, 411, 496, 878; 1995, 863; 2004, 120; SZ v. 29. 12. 1995; zur Bahnreform s. Gall Pohl (Anm. 36) 405, 415 fr.

30 DVG II 199-226; III 36, 347 f., 351, 724 f.; Volkert, HB 59-65.

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ten 1872 die Straßen- und Flußbauämter übertragen, die der ingenieurtechni­ schen Abteilung der Obersten Baubehörde unterstanden. Die Straßen waren nach dem Träger des Bauunterhalts eingeteilt in Staats­ straßen (Landstraßen für Fernverkehr) mit staatlicher Baupflicht, Distriktstraßen für den Gebietsverkehr innerhalb der Verwaltungsdistrikte, die den Unterhalt zu tragen hatten, und in Gemeindestraßen und -wege für den örtlichen Ver­ kehr innerhalb der Gemeindegemarkungen und der Ortschaften; hier trugen die Gemeinden die Kosten.31 Daran änderte sich nichts, als die Bedeutung des Straßen- und Wegesystems seit dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts außer­ ordentlich anstieg, bedingt und veranlaßt durch die Entwicklung der Kraftfahr­ zeugtechnik und des Kraftwagenverkehrs. Die Weimarer Reichsverfassung (1919) hatte die Gesetzgebungskompetenz für die Landstraßen für den Fernverkehr dem Reich zugewiesen; die Straßen­ verwaltung blieb weiter bei den Ländern. Dies änderte erst die nationalsoziali­ stische Reichsregierung seit 1933 durch die Forcierung des Baus von Kraftfahr­ bahnen («Reichsautobahn»), durch die Übernahme der Baupflicht an den Land­ straßen für den Fernverkehr («Reiclisstraßen») und durch die Neueinteilung der Landstraßen I. Ordnung («Staatsstraßen») und II. Ordnung («Kreisstraßen»); die oberste Leitung hatte der vom Reich eingesetzte Generalinspektor für das deut­ sche Straßenwesen. Die Planung und Ausführung der in Bayern gelegenen Reichsautobahnen wurde den obersten Bauleitungen in Nürnberg und Mün­ chen übertragen; die örtliche Verwaltung der Reichsstraßen war als Auftrags­ verwaltung des Reiches Sache der bayerischen Straßen- und Flußbauämter. 1945 übernahm Bayern die Bauleitungen der Autobahn als Straßenbauämter (Autobahn) und führte wie für die Reichsstraßen die Verwaltung.32 Dabei blieb es auch, als nach dem Grundgesetz das Eigentum an den Autobahnen und den Reichsstraßen (künftig «Bundesstraßen») an die Bundesrepublik überging. Mit der Wiederherstellung des Fernstraßennetzes, dem Ausbau der Autobahnen, der Betreuung der Staats- und zahlreicher Kreisstraßen waren den Straßenbau­ ämtern, die die Wasserbaukompetenz 1953 (von wenigen Ausnahmen abgese­ hen) an die Verwaltung der Wasserwirtschaft abzugeben hatten, außerordentli­ che Aufgaben gestellt. Bei der Verwaltungsreform wurden 2005 die Straßen­ bauämter mit den Hochbauämtern zu Staatlichen Bauämtern zusammengefaßt. Die Verwaltungsaufgaben für die mit Schiffen und Flößen befahrbaren Ge­ wässer nahmen die für den Tief- und Ingenieurbau zuständigen Bauämter (Straßen- und Flußbauämter) wahr mit Ausnahme des großen Projekts der Main-Donau-Verbindung. Für Bau und Betrieb des seit 1845 durchgehend be­ fahrbaren Ludwig-Kanals waren die Bauinspektionen und -ämter unter der Verkehrsverwaltung eingerichtet worden.33 Da sich der Kanal als wenig lei­ 31 SEYDEL - PlLOTY - GrASSMANN II l8, 3ö4f.; Mang (vor § 5) II 262, 455-468; DVG IV 912 fr., 918-921. 32 DVG V 460f, 467 ff.; GVB1. 1994, 669,

1052; 1996, 133, 544; 1999, 577; 2000, 773; 2005, 287, 626; Gall, Verkehrspol. 171-175. 33 HB IV i2 177 f., 265; IV 2, 798; Gall, Verkehrspol. 187-200.

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stungsfähig erwies, kam seit den 1890er Jahren die Diskussion über den Bau ei­ ner Großschiffahrtsstraße vom Main zur Donau und über die Kanalisierung von Main und Donau in Gang. Seit 1913 wurden dafür ein zentrales Kanalbauamt und verschiedene örtliche Kanalbauinspektionen eingerichtet. Nachdem die Wasserstraßenverwaltung seit 1919 dem Reich zustand, kamen die Behörden teils unter das Reichsverkehrsministerium, teils nahmen sie die Auftragsverwal­ tung des Reiches wahr. Nachdem das Kanalprojekt an die vom Reich, von Bayern und Baden gegründete Rhein-Main-Donau-Aktiengesellschaft überge­ gangen war, stellte Bayern die Kanalbehörden dieser Gesellschaft zur Verfü­ gung. Sie kamen 1938 unter die Aufsicht des Reichsverkehrsministeriums. Die an die Bundesrepublik übergegangenen Wasser- und Schiffahrtsdirektionen und -ämter führten gegen erhebliche Widerstände aus Kreisen der Natur- und Umweltschützer die Wasserbauarbeiten an Main, Regnitz, Altmühl und Donau und an der Kanalstrecke durch. 1992 war der Schiffsverkehr auf der gesamten Strecke zwischen Aschaffenburg und Passau möglich.34 Post.35 Zwischen 1806 und 1808 übernahm das Königreich Bayern die von den Fürstlich Thurn und Taxisschen Posten gegen Entschädigung übernommenen Postanstalten in Altbayern und in den Erwerbungsländern und formierte sie unter der Generaldirektion der königlichen Posten; insgesamt wurden über 220 Dienstplätze (Postämter, -Verwaltungen, -expeditionen und Posthaltereien) weitergeführt. Nach den Gebietsänderungen bis 1816 waren knapp 300 Postan­ stalten im rechts- und linksrheinischen Bayern vorhanden, die dem Ministe­ rium des Äußern unterstanden. Auf den von staatlichen Postämtern betriebenen Postkursen wurde der grö­ ßere Teil des Personenverkehrs abgewickelt und die meisten Briefsendungen befördert; im Waren- und Güterverkehr erbrachte das private Fuhr- und Bo­ tengewerbe die größeren Transportleistungen. Dies änderte sich nach dem Be­ ginn des Eisenbahnbaues und dem Betriebsbeginn auf den großen, das König­ reich durchziehenden Bahnlinien. Die Verwaltung der Posten kam deshalb bald in enge Verbindungen mit dem Eisenbahnwesen, so daß 1847 die beide Berei­ che steuernde Generalverwaltung der Posten und Eisenbahnen entstand, die im folgenden Jahr dem neuen Handelsministerium unterstellt wurde. Die 1851 neu organisierte Generaldirektion der Verkehrsanstalten hatte neben Post und Bahn auch die Schiffahrt auf der Donau und dem Ludwig-Donau-Mainkanal sowie das immer größere Bedeutung gewinnende Telegraphen wesen zu leiten. In den Kreisen (Regierungsbezirken) standen als Mittelbehörden die Oberpost- und Bahnämter und das Telegraphenamt in München über den zahlreichen Postan­ stalten, die zum Teil mit Beamten (Postämter) besetzt waren, teilweise auch 34 DVG IV 116, 341, 923; V 480; Vol­ HB 33, 67 f., 241; F. Eder, Die MainDonau-Wasserstraße (Zschr. f. Binnenschiff­ fahrt u. Wasserstraßen in) 1984, 458-461. kert,

35 Bayer. Geschichtsatlas, Karte 38 a, b, Text 109 f.; DVG III 392-402; IV 297-307, 939; Volkert, HB 250-256.

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von Privatleuten vertragsweise betrieben wurden (Postagenturen, Posthaltereien). In den Novemberverträgen 1870 konnte Bayern seine eigene Staatspost be­ halten (täglich sichtbar in den eigenen bayerischen Briefmarken bis 1920) und mußte die Reichsgesetzgebung in Postangelegenheiten vollziehen. Das außerordentliche Anwachsen des Geschäftsbetriebes und der Verkehrs­ und Transportleistungen machte 1876 eine Neuorganisation der Oberpostämter und deren Trennung von der Bahnverwaltung notwendig; dabei gingen die Telegraphenstationen in den Geschäftsbereich der Oberpostämter über. 1886 wurde schließlich die zentrale Leitungsbehörde aufgelöst und für den Postbe­ reich die Direktion der Posten und Telegraphen eingerichtet (seit 1898 als Ge­ neraldirektion bezeichnet). Ihr unterstanden Oberpostämter die gegen Ende des Jahrhunderts über 2800 Postanstalten unterschiedlicher Größe leiteten. Nach der Bildung des Verkehrsministeriums (1904) wurde die Generaldirektion diesem integriert und als eigene Behörde aufgehoben; die Oberpostämter hie­ ßen nun Oberpostdirektionen. Der Geschäftsbereich nahm außerordentlich zu durch die Einrichtung neuer Dienste (Fernsprechwesen seit 1882 mit dem ersten bayerischen Ortsnetz in Ludwigshafen; Postkraftwagenlinien seit 1905; Postüberweisungs- und Scheck­ verkehr seit 1908) und die allgemeine Wirtschaftsentwicklung in der Vorkriegs­ zeit. Während des Ersten Weltkrieges hatte die bayerische Post (wie die ande­ ren Postverwaltungen) durch Aufbau und Betrieb des Feldpostwesens große Aufgaben neben der allgemeinen kriegswirtschaftlichen Belastung zu erfüllen. Schon in den Verhandlungen der Nationalversammlung in Weimar im Früh­ jahr 1919 war klar zu erkennen, daß von einem Erhalt der Reservatrechte und damit auch der eigenen Postverwaltung nicht mehr die Rede sein konnte. Nach der Weimarer Reichsverfassung fielen Gesetzgebung und Verwaltung al­ ler mit dem Nachrichtenwesen verbundenen Angelegenheiten und Einrichtun­ gen in die ausschließliche Kompetenz des Reiches, so daß die bayerische Staats­ post (ebenso wie die württembergische) bis zum 1. April 1921 vom Reich zu übernehmen war (Art. 88 und 170 WRV). Bereits zum 1. April 1920 trat der zwischen dem Reich und Bayern geschlossene Staatsvertrag über die Aufhe­ bung des Postreservates in Kraft. Zur Berücksichtigung der bayerischen Inter­ essen in der Reichspostverwaltung blieb eine Abteilung des Reichspostministe­ riums in München bestehen, die die Tradition der Postabteilung des bayeri­ schen Verkehrsministeriums fortsetzte; sie wurde 1934 aufgehoben, als die Reichsregierung den Staatsvertrag von 1920 außer Kraft setzte.

Die erste Eisenbahn auf deutschem Boden fuhr 1835 zwischen Nürnberg und Fürth in Bayern. Sie wurde von einer Aktiengesellschaft Nürn­ Eisenbahn.16

36 Bayer. Geschichtsatlas, Karte 39 a, c, Text no; DVG III 366 f., 73 if.; IV 265 ff., 274fr., 925 f.; Volkert, HB 256-261; HB

IV l2 177, 263 fr.; IV 2 796fr.; Weichenstel­ lungen; L. Gall - M. Pohl, Die Eisenbahn in Dtl., 1999, 13-70.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

berger und Fürther Bürger gebaut und betrieben. Auch die nächste, größere Linie von München nach Augsburg projektierte eine private Gesellschaft; 1844 übernahm der Staat diese Linie und führte damit das Staatsbahnsystem ein. Pla­ nung, Bau und provisorischen Betrieb übernahm die 1841 eingerichtete, zu­ nächst dem Innenministerium unterstellte Eisenbahnkommission. Ihr folgte 1845 die Generalverwaltung der Eisenbahnen mit den Bahnämtern in Mün­ chen, Augsburg, Nürnberg und Bamberg. Wegen der engen Verbindung mit dem Postbetrieb wurden die Leitungsbehörden für Post und Bahn 1847 zu­ sammengelegt und 1851 zur Generalverwaltung der Verkehrsanstalten verei­ nigt. Die großen Linien des Staatsbahnnetzes waren in den 1850er Jahren be­ fahrbar; entsprechend nahm die Zahl der Bahnämter und Stationen zu, teil­ weise in Verbindung mit den entsprechenden Postbehörden. 1886 wurden die zentralen Stellen der beiden Verwaltungsbereiche getrennt; für die Eisenbahn entstand nun die Generaldirektion der Staatseisenbahnen. Sie hatte den Betrieb der bestehenden Staatseisenbahnen und Projektierung und Bau neuer Linien zu leiten. Zur Überwachung der Bahnämter, Stationen und Expeditionen bestan­ den zehn Oberbahnämter, ferner zentrale technische Werkstätten und Einrich­ tungen. Der Generaldirektion waren auch die Bodenseedampfschiffahrt und der Betrieb auf dem Ludwig-Donau-Mainkanal unterstellt. 1875 war die Ostbahn-Aktiengesellschaft vom Staat aufgekauft worden, die seit ihrer Gründung 1856 die wichtigen Linien in Ostbayern eingerichtet hatte. In den folgenden Jahrzehnten wurden über 150 Lokal- und Vizinalbahnstrekken in den Gebieten zwischen den Hauptdurchgangsstrecken in Betrieb ge­ nommen. Mit den 1909 vom Staat übernommenen bis dahin von Privatgesell­ schaften betriebenen Pfälzer Eisenbahnen umfaßte das bayerische Staatsbahn­ netz 1920 über 8500 Kilometer. Die umfangreiche Eisenbahnverwaltung unter­ stand zuletzt dem 1904 eingerichteten Verkehrsministerium, den 1907 neu or­ ganisierten Eisenbahndirektionen und verschiedenen Zentralämtern. Die Eisen­ bahn war der größte Arbeitgeber und der größte zivile Auftraggeber für die bayerische Wirtschaft. Die Verwaltung war hierarchisch, autoritär und büro­ kratisch organisiert, wozu nicht wenig beitrug, daß viele mittlere und untere Angestellte («Privatbeamte») und Beamte aus dem Kreis der länger dienenden Militäranwärter kamen. Die große Zahl der «Eisenbahner» hat für die soziale Entwicklung des öffentlichen Dienstes erhebliche Bedeutung gewonnen. Die Anforderungen, die während des Ersten Weltkrieges an die Bahnverwal­ tung gestellt wurden, hatten verschiedene Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Eisenbahnverwaltungen zur Folge. Die Zentralisierung erreichte schließlich die Weimarer Reichsverfassung (Art. 89 fr und 171), wonach bis zum 1. April 1921 sämtliche Staatsbahnen auf das Reich zu überführen waren. Zwingend ge­ boten war dies vor allem auch deshalb, weil die Reparationen des Vertrags von Versailles (28. Juni 1919) wichtige Teile der Eisenbahnanlagen und zahlreiche Lokomotiven und Wägen forderten und diese nur vom Reich, nicht von den Einzelstaaten erbracht werden konnten. Bereits durch den Staatsvertrag vom

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i. April 1920 ging die bayerische Staatsbahn mit allen Betriebseinrichtungen und dem gesamten Personal an das Reich über. Die Eisenbahnabteilung des bayerischen Verkehrsministeriums führte die Abwicklung als «Zweigstelle Bay­ ern» des Reichsverkehrsministeriums durch. d) Bauwesen und Wasserwirtschaft. Die öffentliche Verwaltung des Bauwesens hängt aufs engste zusammen mit der Verwaltung des großen Grund- und Ge­ bäudebesitzes des Staates und mit dem über den Erlaß staatlicher Bauordnun­ gen gesteuerten Einfluß auf die Baumaßnahmen der Gemeinden, Stiftungen und der privaten Bauherren. Das Staatsbauwesen mit dem öffentlichen Hoch­ bau (Landbauwesen) und mit dem Unterhalt der staatlichen Straßen-, Brückenund Wasserbauten wurde im frühen 19. Jahrhundert wegen der damit verbun­ denen großen Kosten unter dem Finanzministerium von Straßen- und Land­ baudirektionen und den Kreisen zugeordneten Bauinspektoren betreut.37 1825 ordnete Ludwig I. das Bauwesen neu, wies die Leitung dem Ministerialbaubüro im Innenministerium und die Ausführungsarbeiten regionalen Bauinspektionen für den Hoch- und Ingenieurbau zu. 1830 gingen daraus die unter der Leitung von Leo von Klenze stehende Oberste Baubehörde im Innenministerium und bei den Kreisregierungen wirkenden Tiefbauingenieure und Hochbauarchitek­ ten hervor. Wegen der besonderen Bauaufgaben in der Haupt- und Residenz­ stadt gab es dort die dem Innenministerium unterstellte Lokalbaukommission (seit 1818). Durch die Organisationsmaßnahmen Ludwigs I. sollten vor allem die technischen und künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten verbessert wer­ den, die bis dahin von den finanziell-fiskalischen Gesichtspunkten in den Hintergrund gedrängt worden waren. Die Oberste Baubehörde und die nachgeordneten Bauämter waren für das gesamte Zivilbauwesen zuständig. Die für den königlichen Hof, die Hofhal­ tung und die dynastische Repräsentation bestimmten Gebäude und Liegen­ schaften verwalteten die Hofbauintendanz und der Obersthofmeisterstab. Nach 1918 gingen sie zum Teil an die zum Finanzressort gehörige Krongutverwal­ tung (später: Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen), zum Teil an die Stiftung Wittelsbacher Ausgleichsfond über. Seit 1872 wurden die staatlichen Hochbauaufgaben von den Landbauämtern, die Straßen- und Wasserbauaufgaben von den Straßen- und Flußbauämtern wahrgenommen. Letztere hatten die allgemeinen Verwaltungsbehörden bei der Durchführung der Wassergesetze von 1852 technisch zu beraten. Hierzu gehör­ ten auch die sogenannten Kulturmaßnahmen, durch die neue und bessere land­ wirtschaftliche Nutzflächen gewonnen werden sollten. Derartige Meliorationen waren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem vom Landwirtschaftlichen 37 DVG II 536; Volkert, HB 59 ff-: zur Position Klenzes als Hofbauintendant u. als Oberbaurat im Innenministerium vgl. Brief­ wechsel zw. Ludwig I. u. Klenze, hg. v. H.

Glaser, I/i, 2004, LXXXV-LXXXIX u. ö.; K.-U. Gelberg, Die Oberste Baubehörde zw. 1932 u. 1949 (ZBLG Beih. B 21) 2004, 297-339; vgl. § 5 Anm. ii.

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B. ¡1. Die Staats- und Kommunalvenvaltung

Verein durch Kulturingenieure eingeleitet worden. Nach der Neuordnung des gesamten Wasserrechts (1907) übernahm diesen technischen Kulturbaudienst die Staatsbauverwaltung und richtete Kulturbauämter ein (1908). In deren Ar­ beitsgebiet gewannen die allgemeinen und grundlegenden Fragen des Wasser­ haushalts, der Trinkwassergewinnung und der Abwasserentsorgung mehr und mehr Bedeutung; sie erhielten 1941 die Bezeichnung Wasserwirtschaftsämter. 1953 wurden ihnen auch die Bau- und Verwaltungsaufgaben an den öffent­ lichen Flüssen zugewiesen, die bisher die Straßen- und Flußbauämter (nun­ mehr als Straßenbauämter bezeichnet) wahrgenommen hatten?8 Zentrale Aufgaben zur Überwachung und Lenkung der Wasserwirtschaft, vor allem bei der Wassergewinnung und der Wasserversorgung, dann auch bei der Abwasserbeseitigung nahm seit 1900 das Wasserversorgungsbureau (seit 1916 Landesamt für Wasserversorgung) wahr; daneben bestand seit 1898 das Hydro­ technische Bureau (seit 1917 Landesstelle für Gewässerkunde) zur systemati­ schen Untersuchung und Beobachtung der fließenden Gewässer und der Grundwasserströme, zur Wahrnehmung des Gewässerschutzes und zur Organi­ sation des Hochwassernachrichtendienstes. Aus beiden Ämtern wurde 1974 das Landesamt für Wasserwirtschaft als Fachaufsichtsbehörde über die Wasserwirt­ schaftsämter gebildet. Wegen der immer mehr zunehmenden Bedeutung der gesamten Wasserwirtschaft für die Umweltpflege unterstellte die Staatsregie­ rung die gesamten Einrichtungen der staatlichen Wasserwirtschaft dem Mini­ sterium für Landesentwicklung und Umweltfragen; auch die Wasserbau- und Wasserwirtschaftsaufgaben der Obersten Baubehörde gingen 1994 in das Um­ weltministerium über. 2005 wurde das Landesamt für Wasserwirtschaft in das Landesamt für Umwelt eingegliedert.38 39 In Bayern dienten zahlreiche Liegenschaften und Gebäudekomplexe militäri­ schen Zwecken: Übungsplätze, Kasernen und andere Truppenunterkünfte, Fe­ stungsbauten, Werkstätten und Fabriken zur Herstellung von Militärbedarf. Diese betreuten Dienststellen des Ingenieur-Korpskommandos, dann eigene Behörden, die seit 1905 Militär-Bauämter hießen. Sie hatten in der Epoche der Heeresvermehrung große Kasernen-Neubauten durchzuführen. Nach der Auf­ lösung der bayerischen Armee 1919 gingen die Bauämter in die Reichsschatz­ verwaltung über; sie hießen seit 1923 Reichsbauämter in der Zuständigkeit der Reichsfinanzverwaltung. 1945 übernahm Bayern diese Ämter als Finanzbauäm­ ter unter dem Finanzministerium. Sie blieben Landesbehörden, welche die Bauaufgaben für Bundeseinrichtungen (Zollverwaltung, Bundesgrenzschutz, Bundeswehr und andere) sowie für die NATO-Stationierungstruppen erledi­ gen. Außerdem betreuen sie die Gebäude und Liegenschaften der allgemeinen Finanzverwaltung Bayerns. Auch die Planung und der Bau des neuen Ver-

38 DVG III 724f.; Volkert, HB 61-65, 171; GVB1. 1992, 678.

39 Volkert, HB 69fr.; GVB1. 1993, 393, 1045; 1994, 295, 874; 2002, 510; 2005, 287, 623; vgl. § 5 Anm. 27 (25).

§ g. Wirtschaft - Verkehr (IV. Volkert)

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kehrsflughafens München (seit 1992 in Betrieb) waren der Finanzbauverwal­ tung übertragen. Im Zug der Bemühungen um die Verwaltungsvereinfachung vereinigte die Staatsregierung die Landbauämter mit den Finanzbauämtern und bildete die für deren Aufgaben zuständigen neuen Hochbauämter (1994/96). Ihnen sind auch die Universitätsbauämter eingegliedert worden. Diese waren aus der Selbstver­ waltung der drei alten Landesuniversitäten hervorgegangen; seit 1939 gehören sie zur Staatsbauverwaltung. Entsprechend den großen Bauaufgaben beim Aus­ bau der alten Universitäten und der Technischen Universität München sowie bei den Universitätsneugründungen wurden seit 1963 neue Hochschulbauämter eingerichtet. 2005 wurden die Ämter für den staatlichen Hochbau und für den Straßenbau aus Rationalisierungsgründen in staatlichen Bauämtern zusammen­ geführt.40 Für die Planung, den Bau und den Betrieb der Reichs- (seit 1949 Bundes-) autobahnen entstanden seit 1933 Bauleitungen, die nach 1945 Bayern als Stra­ ßenbauämter (Autobahn) übernahm und als Landesbehörden für die Auftrags­ verwaltung der Bundesautobahnen unter der Bezeichnung Autobahndirektio­ nen in München und Nürnberg unterhält. Die Organisation der staatlichen Bau- und Wasserwirtschaftsverwaltung in Bayern ist seit der Mitte der 1990er Jahre konzentriert worden; die Zahl der Ämter ging zurück. Die Möglichkeiten, Aufgaben, die bisher Ämtern oblagen, privaten Sachver­ ständigen zu übertragen, wurden erweitert. Seit der Regierungsbildung nach der Landtagswahl von 2003 kündigten Ministerpräsident Stoiber und der für die Verwaltungsreform zuständige Minister Huber an, die Reformmaßnahmen energisch voranzutreiben, Sonderverwaltungen zu reduzieren, deren Aufgaben zu privatisieren oder in zentralen Stellen zu konzentrieren oder sie an die unte­ ren Behörden der inneren Verwaltung zu delegieren.4' Wesentlichen Einfluß auf das gesamte Baugeschehen im Land nimmt die öf­ fentliche Hand durch die Ausübung der sogenannten Baupolizei, wonach Bau oder Beseitigung oder wesentliche Veränderungen von Gebäuden privater Ei­ gentümer oder von Gemeinden durch die unteren Verwaltungsbehörden ge­ nehmigt werden müssen. Seit den mittelalterlichen Stadt- und Marktrechtskodifikationen gab es zahl­ reiche Baurechtsvorschriften, seit dem 18. und 19. Jahrhundert auch für ländli­ che Orte. Sie dienten in erster Linie der Feuersicherheit, dem Unterhalt von Versorgungseinrichtungen (zum Beispiel von Wasserleitungen) und von Ver­ kehrswegen. Die inhaltlich und formal sehr vielschichtigen und in den einzel­ nen Landesteilen höchst unterschiedlichen Vorschriften über die Bauführung 40 Volkert, HB i7of., 366; GVB1. 1993, 565, 834, 875, 1075; 1994, 394, 669, 1052; 1996, 544. Vgl. § 5 Anm. 27 (bes. 27-33); GVB1. 2005, 287, 626.

41 GVB1. 1994, 885; 1995, 349; SZ v. 23.10.2003, 29.10.2003, 7. 11.2003. Vgl. § 5 Anm. 27.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

vereinheitlichte für das rechtsrheinische Bayern erstmals die Allgemeine Bau­ ordnung von 1864. Sie galt nicht für München; denn bereits 1863 war für die Haupt- und Residenzstadt eine eigene, die besonderen Gegebenheit der Groß­ stadt berücksichtigende Bauordnung erlassen worden. Für München bestand bereits seit 1805 eine besondere Baukommission (Lokalbaukommission) als Teil der Kommunal- beziehungsweise Staatsverwaltung. Die Bauordnungen wurden mehrfach neu gefaßt, um Gesichtspunkte des «gesunden Wohnens», der speziellen Gewerbe- und Industriebauwerke und der Verkehrsführung in den Städten und Gemeinden zu berücksichtigen; seit 1901 galt die Bauordnung auch für die Pfalz. Bei der Neuausgabe der bayerischen Bauordnung von 1962 wurde die Sonderstellung Münchens beseitigt. Die außerordentliche Zunahme der Bautätigkeit für Industrieanlagen, «Trabanten­ städte», Gewerbegebiete und Wohnviertel hat neue Probleme für das Bau- und Bodenrecht aufgeworfen. Sie wurden 1960 im Bundesbaugesetz und 1971 im Städtebauforderungsgesetz (beide 1986 im Baugesetzbuch zusammengefaßt) ge­ regelt, soweit es das Bauplanungsrecht betrifft. Für das Bauordnungsrecht trifft die bayerische Bauordnung (zuletzt 1997 bekanntgemacht) die näheren Bestim­ mungen. Danach ist es weiterhin Aufgabe der Bauaufsichtsbehörden der inne­ ren Verwaltung, die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Bau­ kunst und der Technik sowie der technischen Baubestimmungen im aktuellen Baugeschehen durchzusetzen.42 e) Münze, Maß und Gewicht. Die Herstellung von Münzen43 als staatlich garan­ tiertem Zahlungsmittel ist seit alters ein von den Landesherrschaften ausgeübtes Regal. Das Königreich Bayern konzentrierte die Münzproduktion bei der dem Generalbüro des Berg- und Hüttenwesens angeschlossenen Münzanstalt («Münze») in München und stellte den Betrieb in allen anderen Münzstätten in den Erwerbungsländern ein. 1823 als Hauptmünzamt bezeichnet und dem Fi­ nanzministerium unterstellt, lieferte die Prägeanstalt die dem System der bay­ erisch-österreichischen Konvention von 1753 entsprechenden Münzen. Seit der Münchner Konvention der süddeutschen Staaten (Süddeutscher Münzverein) von 1837 bildete der Gulden zu 60 Kreuzer die Grundlage der in Bayern vor­ nehmlich kursierenden Münzen. Das süddeutsche Guldengebiet stand dem norddeutschen Währungsland mit preußischen Thalern gegenüber. Nach der Reichsverfassung von 1871 (Art. 4) kam die Gesetzgebung über Währung und Münzsystem dem Reich zu. Die «Währungsreform» begann mit 42 DVG III 724; Volkert, HB 91; DVG V 875-885; GVB1. 1994, 251, 573; 1997, 433; W. Söfker, Baugesetzbuch, 200436; Bayer. Bauordnung, 200337. 43 H.-J. Kellner, Münze und Geld in Bayern 1648-1873 (ZBLG 64) 2001, 364; F. Otto, Das Scheitern der Münzreformbe­ strebungen im frühen Königreich Bayern

(ebd.) 392 fr.; D.O.A. Klose - F. JungmannStadler, Königlich Bayer. Geld. Zahlungs­ mittel u. Finanzen im Kgr. Bayern 18061918, 2006, 1—11, 59—69; A. Fox, Die wirt­ schaftliche Integration Bayerns in das Zweite Deutsche Kaiserreich (SchbLG 131) 2001, 301-324; H. Greger, Das bayer. Haupt­ münzamt (Bayerland 73/11) 1971, 32-36.

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der Einführung der Mark zu 100 Pfennigen als Rechnungseinheit entsprechend einem Drittelthaler und 35 Kreuzern der Gulden Währung, wurde mit der Aus­ prägung von auf Mark und Pfennig lautenden Münzen 1873 fortgesetzt und der Außerkraftsetzung aller anderen Münzen zum 1. Januar 1876 vollendet. Das Prägegeschäft galt weiterhin als der wesentliche Inhalt des Regals, das dem Kö­ nig von Bayern zustand. Das Hauptmünzamt blieb dem bayerischen Finanzmi­ nisterium untergeordnet und prägte die mit dem Buchstaben D versehenen Münzen der Reichswährung mit dem Bildnis des Königs (des Prinzregenten) bis 1918. Seitdem sind die von den deutschen Münzstätten hergestellten Mün­ zen einheitlich gestaltet; auf das bayerische Hauptmünzamt weist weiterhin der Buchstabe D im Münzbild hin. Die Vereinheitlichung der in den einzelnen Landesteilen höchst unterschied­ lichen Maß- und Gewichtssysteme44 begann 1809 mit der Erklärung des altbay­ erischen Fußes (20,18 cm) zum allgemein gültigen Längenmaß und des Münch­ ner Pfundes (560 g) zum allgemein gültigen Handelsgewicht in den rechtsrhei­ nischen Gebieten; in der Pfalz galt seit 1812 das metrische System, das die fran­ zösische Verwaltung eingeführt hatte. Die Münzkommission in München hatte Muttermaße und -gewichte zum «Abeichen» der im öffentlichen Handel ver­ wendeten Maße und Gewichte zu beschaffen; sie wurden bei den äußeren Be­ hörden aufbewahrt. Die durch die wirtschaftliche und politische Entwicklung zwingend geforderte Reform des Maß- und Gewichtssystems führte Bayern, wie der Norddeutsche Bund 1869 mit der Einführung des metrischen Systems durch; sie trat am 1. Januar 1872 in Kraft. Inzwischen war die Gesetzgebungs­ kompetenz fiir Maß und Gewicht durch die Reichsverfassung (Art. 4) auf das Reich übergegangen. Bayern hatte 1869 zur Beschaffung der Normalmaße und -gewichte eine Normaleichungskommission eingerichtet, der die seit 1870 auf­ gestellten Verifikatoren (seit 1883: Eichmeister) zur Durchführung der Neuund Nacheichungen (seit 1912 zwingend vorgeschrieben) in zugewiesenen Be­ zirken unterstanden. Die Kommission (seit 1919 Landesamt für Maß und Ge­ wicht) führt schwierige eich- und meßtechnische Aufgaben durch und prüft auch Handfeuerwaffen («Beschußamt»). Ungeachtet der wichtigen hoheitlichen Funktion der öffentlichen Maß- und Gewichtskontrolle möchte die bayerische Staatsregierung den gesamten Verwaltungsbereich privatisieren. Zur Zeit (2006) ist das nicht möglich, weil die in die Bundeskompetenz fallende gesetz­ liche Grundlage fehlt.45

44 Volkert, HB 246 f.; Fox (Anm. 43) 344-356; Weis, Montgelas II 598; C. Mey­ er-Stoll, Die Regulierung d. bayer. Lan­ desmaße (Akademie Aktuell 3) 2005, 20-25; DVG III 144, 249 f., 718, 728.

45 Vgl. § 5 Anm. 27 (2005: 14); GVB1 2004, 398 (Privatisierung des Beschußwesens).

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

§ io. UNTERRICHT - WISSENSCHAFT - KUNST - KULTUS

B. v. Brocke, Kultusministerien u. Wissenschaftsverwaltungen in Dtl. u. Österreich. System­ brüche u. Kontinuitäten 1918/19 - 1933/38 - 1945/46 (Wiss. u. Wissenschaftspol., hgg. v. R. v. Bruch - B. Kaderas) 2002, 193-214; K.-E. Jeismann u. a. (Hgg.), HB d. dt. Bildungsgesch. III—VI, 1987/98; Liedtke; St. Thiery, 150 Jahre Bayer. Kultusmin. (BayHStA. Kl. Ausst. 6) 1997; Tradition u. Perspektive. 150 Jahre bayer. Kultusminist., 1997.

a) Leitende Behörden. In Kurbayern gab es als Zentralbehörde für die Wahrneh­ mung der kurfürstlichen Belange und Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts den Geistlichen Rat; er war auch das Aufsichtsorgan über das Schul- und Bildungswesen, soweit dieses auf Staatskosten finanziert wurde. Das 1799 eingerichtete Ministerialdepartement der Geistlichen Angelegenhei­ ten wurde ihm vorgesetzt. Nach seiner Auflösung (1802) wuchsen schließlich bis 1807 die gesamten Kirchen- und Schulangelegenheiten dem Innendeparte­ ment zu, das dann nach Abschluß der territorialen und verwaltungsorganisato­ rischen Umwälzungen 1817 für alle Landesteile des Königreichs rechts und links des Rheins die ministerielle Leitungs- und Entscheidungsbehörde für sämtliche Bildungs- und Wissenschaftssachen sowie alle Kirchenangelegenhei­ ten bildete.1 1826 richtete Ludwig I. mit dem Obersten Kirchen- und Schulrat eine neue Sektion im Innenministerium ein, die sich besonders der Umsetzung der romantischen, religiös-autoritären Ordnungsvorstellungen des Königs an­ nehmen sollte. Er bestand bis 1846. Mit dem Beginn des folgenden Jahres trat ein entscheidender Wandel in der Ministerialorganisation für die Kirchen- und Schulangelegenheiten ein.2 In der Absicht, die unter Innenminister Carl von Abel mit starken Spannun­ gen zwischen den christlichen Konfessionen aufgeladene Stimmung zu beruhi­ gen, übergab König Ludwig I. zum 1. Januar 1847 die Zuständigkeit für Religions- und Kirchenfragen kommissarisch dem Justizminister Baron Schrenck von Notzing und erteilte dem neuen Ressort die Bezeichnung Ministerium des Innern für kirchliche Angelegenheiten. Wenige Wochen später erhielt dieses bei der durch die Affäre um Lola Montez verursachten Umbildung der Regie­ rung dazu auch sämtliche Aufgaben aus dem Bereich des Bildungs- und Unter­ richtswesens; es hieß nun Ministerium des Innern für Kirchen- und Schulange­ legenheiten. In den beiden folgenden Jahren wechselten die Minister mehrfach, insbesondere wegen Spannungen mit dem Episkopat; am 1. Dezember 1848 wurde es sogar wieder aufgelöst, dann aber im März des folgenden Jahres neu und jetzt endgültig eingerichtet für alle kirchen- und staatskirchenrechtlichen Angelegenheiten, für Wissenschaft und Kunst (Akademien, Universitäten, ' H. Rumschöttel, Gesch. d. bayer. Kultusmin. (Trad. u. Perspektive) 49-65; Götschmann 26-47; Liedtke II 38-41; Boberach, Inventar (vor § 5) 267 f.

2 Rumschöttel (Anm. 1) 65-76; VolHB 182 ff.; HB IV i2 222 f., 288 f.

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Sammlungen, Museen und Bibliotheken) und den gesamten Bildungs- und Schulbereich. Ausgenommen waren zunächst nur die landwirtschaftlichen und technischen Ausbildungsstätten, die dem Handelsministerium bis 1871 zuge­ wiesen waren, dann aber auch an das Kultusressort kamen. Seit 1873 gab es im Ministerium den Obersten Schulrat als Sachverständigenkollegium zur Bera­ tung für Fragen der höheren Schulen (Gymnasien). Von 1908 an wirkten im Ministerium auch Fachreferenten aus dem Kreis der Gymnasiallehrer. Die Revolution von 1918 brachte dem Ministerium auf Veranlassung von Jo­ hannes Hoffmann, dem Kultusminister der Regierung Eisner, die Bezeichnung «für Unterricht und Kultus», die wesentliche Reduzierung der staatskirchen­ rechtlichen Kompetenzen durch das Konkordat und die Auflösung der prote­ stantischen Konsistorialorganisation (§ 10 f). Die durch die Weimarer Verfas­ sung bewirkte Reduzierung der Länderkompetenzen betraf den Unterrichts­ und Bildungssektor verhältnismäßig wenig, so daß die Position des Kultusmini­ steriums im Vergleich mit den anderen Ressorts gestärkt wurde.3 Nach der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Länder (1933/34) blieb das Kultusministerium bestehen, wenn auch mehr und mehr als eine dem Reichswissenschaftsministerium nachgeordnete Instanz. Nach dem Volksschul­ lehrer Hans Schemm, Gauleiter der Bayerischen Ostmark (Minister 1933-36), übernahm Adolf Wagner, Gauleiter des Traditionsgaues München-Oberbayern und Innenminister, auch das Kultusressort und richtete unter dem zwielichti­ gen HJ-Führer Emil Klein einen das Ministerium scharf im NS-Sinn kontrol­ lierenden Stab ein. Bei Kriegsende waren das Ministeriumsgebäude am Salvatorplatz schwerstens beschädigt und die Amtsorganisation völlig aufgelöst.4 Der Wiederaufbau des Kultusministeriums nach Kriegsende war außerordent­ lich schwierig, nicht nur wegen der allgemeinen Notlage durch die Kriegszer­ störungen, sondern vor allem wegen der durch die Entnazifizierung bedingten Entlassungen vieler Lehrer und Verwaltungsbeamten. Gegen die von der ame­ rikanischen Militärregierung gewünschten Reformen der Schulorganisation und der Lehrpläne setzten sich die konservativen Kräfte durch, die in Anknüpfung an die Tradition der bayerischen Unterrichts- und Wissenschaftsverwaltung der Zeit vor 1933 seit der Jahreswende 1945/46 allmählich die Schulen aller Stufen, die Universitäten und Hochschulen, die Akademien, Museen, Bibliotheken und Archive wieder in Funktion setzten. Das Ministerium wuchs in den fol­ genden Jahren zum Ressort mit dem größten Mitarbeiterstab und dem höchsten Etatbetrag im Staatshaushalt. Die anstehenden Aufgaben waren immens: Das 3 Rumschöttel (Anm. 1) 77-85; DVG IV 565; Liedtke III 15 ff.; L. Schmidt, Kul­ tusminister Franz Matt (SchbLG 126) 2000, 90—99 u. ö. 4 Rumschöttel (Anm. 1) 85-92; HB IV i2 534 f.; W. Müller, Gauleiter als Mini­ ster. Die Gauleiter H. Schemm, A. Wagner, P. Gießler u. das Staatsmin. f. Unterr. u.

Kultus 1933-1945 (ZBLG 60) 1997, 9731021; Ders., Das Bayer. Staatsmin. f. Unter­ richt u. Kultus (1933-1945) (ZBLG Beih. B 21) 2004, 197-215; U. u. R. Rotte, Zur Personalpol. d. Kultusmin. im Volksschul­ wesen in d. Zeit d. Nationalsoz. (ZBLG 66) 2003, 177-200.

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wiederaufgebaute System der kleinen Landschulen konfessioneller Ausrichtung in möglichst jeder Gemeinde wurde in das Verbandsschulsystem der christ­ lichen Gemeinschaftsschule überfuhrt, die Lehrerbildung akademisiert, die Zahl der höheren Schulen und der Realschulen vermehrt, Universitäten gegründet und ausgebaut, das Hochschulrecht in den turbulenten Jahren der Studentenbe­ wegung reformiert und neue Sammlungs-, Bibliotheks- und Archivgebäude er­ richtet.5 Wie in anderen Bundesländern kam es auch in Bayern schließlich 1986 zur Teilung des übergroßen Ministerialressorts in zwei Bereiche, einerseits für Unterricht und Kultus, andererseits für Wissenschaft und Kunst. Diese gegen den langjährig erfolgreichen Minister Professor Hans Maier gerichtete Maßnah­ me hatte nicht lange Bestand; bereits 1990 legte Ministerpräsident Streibl bei der Regierungsbildung nach der Landtagswahl die Ministerien unter der Be­ zeichnung «für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst» wieder zusammen. Anläßlich der Regierungsbildung von 1998 trennte Ministerpräsident Stoiber das Ressort aufs neue in die Ministerien für Unterricht und Kultus sowie für Wissenschaft, Forschung und Kunst.6 b) Unterricht und Ausbildung. Die Volksschulen, in Bayern anfangs meist als Tri­ vialschulen, dann auch als Elementarschulen bezeichnet, bildeten seit dem frü­ hen 19. Jahrhundert den zahlenmäßig größten Verwaltungsbereich im Staatsor­ ganismus. Nach der 1802 erneut deklarierten Schulpflicht mußten Eltern ihre Kinder vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr ganzjährig zum Schulunter­ richt schicken; säumigen Eltern wurden Strafen angedroht. Jugendliche, die keinen Schulentlaßschein vorweisen konnten, hatten Nachteile bei der weite­ ren Ausbildung in Kauf zu nehmen, später auch beim Antrag auf Heiratsgeneh­ migung oder beim Grunderwerb. Um den Schulzwang durchzusetzen, mußte ein engmaschiges Netz von täglich erreichbaren Volksschulen im ganzen Land aufgebaut werden. Zunächst war geplant, die Schulen nach den Gemeinden zu organisieren; dies war jedoch wegen der sich bis in die 1820er Jahre hinziehen­ den Gemeindebildung nicht möglich, so daß ab 1813 die Schulen in Anleh­ nung an die Pfarrsprengel eingerichtet wurden. Dabei blieb es bis 1873; erst dann folgten die Schulsprengel den Gemeindemarkungen. Um ein entspre­ chendes Niveau der Wissensvermittlung zu sichern, mußten die Lehrer und Schulen überwacht werden. Diese Aufgaben hatten die Distriktsschulinspektio­ nen und die Lokalschulinspektionen zu erfüllen. Sie standen jeweils unter der Leitung der Dekane beziehungsweise der Pfarrer der jeweiligen Konfession. Die Geistlichen wirkten im Staatsauftrag, nicht als Angehörige ihrer Kirchen; 5 J. Hoderlein, 50 Jahre Schul- u. Bil­ dungspol. in Bayern (Trad. u. Perspektive) 1997, 102-125; W. Quint, Wissenschaft u. Kunst in Bayern (ebd.) 126-155; W. Mül­ ler u.a., Umbau u. Expansion - Das bayer. Bildungssystem 1950 bis 1975 (Bayern im Bund 1) 2001, 273-355.

6 GVB1. 1986, 333, 392; 1990, 483, 510; 1989, 879, 928; HB IV i1 973, 985, 1006; H. Zehetmair, Kultur bewegt. Kulturpol. f. Bayern, 2001.

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denn es galt der Grundsatz, daß die Volksschulen Staatsanstalten, nicht kirchli­ che Einrichtungen sind.7 Schulaufsichtsbeamte aus dem Lehrerstand mit ent­ sprechenden Fachkenntnissen konnten seit 1870 in den größeren Städten be­ stellt werden. Die sogenannte geistliche Schulaufsicht beseitigte unmittelbar nach der Bildung der revolutionären Regierung unter Kurt Eisner der sozialisti­ sche Kultusminister Johannes Hoffmann; die Inspizierung übernahmen nun die bei den Regierungen eingesetzten Schulaufsichtsbeamten, die meist aus dem Kreis der Volksschullehrer kamen. Die für die Bezirksämter 1922 eingerichte­ ten Bezirksschulbehörden und die Stadtschulämter (für die unmittelbaren Städ­ te) standen in enger Verbindung mit den unteren Verwaltungsbehörden. 8 Ursprünglich waren die Volksschulen in aller Regel Bekenntnisschulen, wo­ bei vor allem die Konfession des Lehrers dem Charakter der Schule entspre­ chen mußte. Schüler anderer Konfessionen konnten aufgenommen werden, wenn eine entsprechende Konfessionsschule nur schwer erreichbar war. Drin­ gend notwendig war die Verbesserung der Lehrerausbildung; 1809 wurden des­ halb Schullehrerseminare eingerichtet, die in zweijährigen Kursen die Lehrer­ aspiranten ausbilden sollten. Seit 1836 hatten diese eine dreijährige Präparan­ denausbildung zu absolvieren. Die Neuordnung der Ausbildung von 1866 er­ weiterte den Fächerkanon für die Präparandenschulen und die Lehrerseminare, aus denen sich die Lehrerbildungsanstalten entwickelten. Die Volksschullehre­ rinnen wurden zum überwiegenden Teil in privaten, konfessionell geleiteten Lehrerinnenbildungsanstalten ausgebildet.9 Die Forderung der Weimarer Verfassung, die Lehrerausbildung in die Uni­ versitäten einzugliedern, wurde in Bayern nicht verwirklicht. Erst unter ganz anderen ideologischen Bedingungen kam die reichseinheitliche Neuordnung der Lehrerausbildung von 1935 an mit der Errichtung von Hochschulen für Lehrerbildung in Gang. Diese Regelung sowie die seit 1936 in Bayern organi­ sierten Gemeinschaftsschulen10 anstelle der bisher bestehenden Konfessions­ schulen beseitigte die bayerische Unterrichtsverwaltung nach 1945 schnell. Nach der Bayerischen Verfassung von 1946 waren die Schulen in der Regel Bekenntnisschulen, in Ausnahmefällen auf Antrag der Eltern Gemeinschafts­ schulen. Erst in den 1960er Jahren kam die von pädagogisch-didaktischen Ge-

III 728 f; SeyII 561-592; St. im Spannungs­ verhältnis v. Staat, Eltern u. Kirche (Europ. Hochschulschrr. II/2062) 1997, 43-63. 8 DVG IV 565 f.; Liedtke III 15 fr.; Täschner (Anm. 7) 107-151; Schmidt (Anm. 3) 51 f., 107-130. 9 M. Dömling, Gesch. d. Lehrerbildung in Bayern v. 1803-1933, 1939; Schmidt (Anm. 3) 107; Liedtke IV 407-519; D. Hüttner, Die Entstehung d. seminarist.

7 Liedtke II 52-61; DVG del - PiLOTY - Grassmann Täschner, Schule in Bayern

Lehrerbildung in Bayern (MBM 118) 1982. Zu den Hochschulen f. Lehrerbildung vgl. H. Chr. Harten u.a., Rassenhygiene als Er­ ziehungsideologie des Dritten Reichs, 2006. 10 F. Sonnenberger, Der neue Kultur­ kampf. Die Gemeinschaftsschule u. ihre hist. Voraussetzungen (Bayern in d. NS-Zeit 3) 1981, 280-324; DVG IV 973-980; Liedtke III 173-222; F. Schäffer, Ein Volk, ein Reich, eine Schule. Die Gleichschaltung d. Schule in Bayern 1933-1945 (MBM 175) 2001.

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Sichtspunkten und Lehrmeinungen bedingte Bewegung in Gang, die zahlrei­ chen, oft wenig gegliederten kleinen Gemeindeschulen zu größeren Verbands­ schulen zusammenzufassen, die in Grundschulen (i. bis 4. Schülerjahrgang) und Hauptschulen (5. bis 9. Schülerjahrgang) eingeteilt sind; nach der Verfas­ sungsänderung von 1968 werden sie als Gemeinschaftsschulen, in denen nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet wird, geführt.“ Bereits in der Schulpflichtverordnung von 1802 war bestimmt worden, daß die Jugendlichen nach der Erfüllung der Schulpflicht noch drei Jahre lang die Sonn- und Feiertagsschulen zur weiteren Einübung des Lehrstoffs und zur kirchlichen Katechese besuchen müßten; daraus entwickelten sich die Volks­ fortbildungsschulen, die seit 1913 nur mehr an Werktagen gehalten wurden. Daneben entstanden seit den 1860er Jahren, hauptsächlich getragen von Di­ strikten und Städten, Berufsfortbildungsschulen, die nach Landwirtschafts- und Handwerksberufen gegliedert waren. Das vielschichtige berufliche Schulwesen, zusammenfassend geregelt im Berufsschulgesetz von 1953, wurde weiter diffe­ renziert durch die Einrichtung von Berufsaufbau-, Fach- und Fachoberschulen sowie Fachakademien für einzelne Berufszweige zur besonderen Begabtenfor­ derung.12 Sonderschulen für behinderte Kinder und Jugendliche gab es zunächst für Taubstumme (1804), Blinde (1826) und Körperbehinderte (1832). Sogenannte Hilfsschulen für Kinder, die dem allgemeinen Unterricht nicht folgen konnten, entstanden seit Beginn des 20. Jahrhunderts, wenn Gemeinden die entspre­ chenden Mittel bereitstellten und motivierte Pädagogen sich den weniger bil­ dungsfähigen Kindern widmeten. Systematisch wurden Sonderschulen (seit 1994: Förderschulen) seit dem Schulpflichtgesetz von 1952 eingerichtet, die als eigene Schulgattung gelten und nach Art und Grad der Behinderung der Schü­ ler differenziert gegliedert sind.'3 Die von der Volksschule weiterführenden und zum Besuch der Universitäten qualifizierenden Bildungsstätten hießen zunächst Mittelschulen; seit 1914 tru­ gen sie die Bezeichnung Höhere Lehranstalten; seit 1965 heißen sie Gymna­ sien.'4 Die höheren Schulen in Bayern standen nach 1800 zur Neuorganisation an, um die Bildungstradition der früheren (jetzt staatlichen) Jesuitengymnasien und anderer säkularisierter höherer Klosterschulen (vor allem in Altbayern und den Hochstiften), der städtischen Ratsgymnasien und Lateinschulen (in fränki" W. Müller, Schulpol. in Bayern im Spannungsfeld v. Kultusbürokratie u. Besat­ zungsmacht 1945-1949, 1995; M. Lanzinner, Schulpol. in Bayern nach 1945 (ZBLG 59) 1996, 965-978; J. Richter, Eine Schule f. Bayern. Die schulpolit. Auseinanderset­ zungen um d. Einführung d. Christi. Ge­ meinschaftsschule in Bayern nach 1945 (MBM 169) 1997; Hoderlein (Anm. 5) 105-111; Müller (Anm. 5) 277-290; Liedtke III 474 fr., 549 fr., 747 fr.

12 Liedtke II 117 fr.; Volkert, HB 206 fr.; K.H. Pohl, Sozialdemokratie u. Bildungs­ wesen (ZBLG 53) 1990, 91-96; GVB1. 1983, 759: Schulordnung f. d. Berufsschulen. 13 Liedtke II 119-126; Volkert, HB 208fr.; GVB1. 1983, 799; 1994, 478. 14 Liedtke II 86-117, 427-456; DVG IV 975; Hoderlein (Anm. 5) 108 ff., 120 f; Müller (Anm. 5) 302-308.

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sehen und schwäbischen Reichsstädten und in Regensburg) und der Fürsten­ schulen in den Mediatisierungsgebieten Frankens weiterzufuhren und mög­ lichst einheitliche, von der staatlichen Unterrichtsverwaltung vorgegebene Bil­ dungsziele zu erreichen und Lehrprogramme zu erfüllen. Endgültig geschah dies in den Schulordnungen von 1829/30, mit denen die von Friedrich Wil­ helm Thiersch geprägte altphilologische Ausbildung in neuhumanistischem Geist das höhere Schulwesen beherrschte. Auf vier Grundschuljahre folgten die Lateinschule (sechs Jahre) und das Gymnasium (vier Jahre). Erstere hatte ein ei­ genes Bildungsziel mit Abschluß nach zehn Schuljahren für Berufe in der Wirt­ schaft und im mittleren Verwaltungsbereich. Neben den humanistischen Gym­ nasien, deren Ausbildung seit 1874 wie im ganzen Deutschen Reich neun Jahre dauerte, entstanden Realgymnasien (1864) und Oberrealschulen (1907) mit der Betonung des neusprachlichen und des mathematischen Unterrichts und weite­ re technisch-gewerbliche Mittelschulen. Höhere Mädchenschulen (seit 1924 mit der Bezeichnung Lyzeum) waren meist städtische, kirchliche oder private Einrichtungen. Die nationalsozialistische Schulpolitik vereinfachte das gut organisierte und differenzierte System der bayerischen höheren Schulen 1938 durch die Einfüh­ rung der Oberschule (neusprachlich oder naturwissenschaftlich-mathematisch) und des Humanistischen Gymnasiums (altsprachlich orientiert) und die drasti­ sche Reduzierung der höheren Bildungsmöglichkeiten für Mädchen. Der Wiederaufbau der höheren Schulen nach 1945 stellte die Strukturen, die bis 1938 bestanden hatten, wieder her; dazu kamen Schulformen mit musischer, sozial- oder wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung. In den 1960er Jahren setzte der Ausbau des höheren Schulwesens für die Gymnasien und die Real­ schulen ein; es gelang, bis zum Ende des Jahrhunderts nahezu 250 Gymnasien und Realschulen15 zu errichten oder zu Vollanstalten auszubauen. Die Personal­ stellen konnten vermehrt, die Haushaltmittel wesentlich erhöht werden. Zur Koordinierung der Verwaltungsaufgaben für die Gymnasien und Realschulen wurden in den Regierungsbezirken Ministerialbeauftragte für die höheren Schulen (1947) und für die Realschulen (1956) bestellt.

c) Forschung und wissenschaftliche und künstlerische Ausbildung. Akademien. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften,16 gegründet 1759, erhielt 1807 durch königliches Edikt umfangreiche Verwaltungsaufgaben übertragen, wobei 15 Mit dieser Bezeichnung seit 1965, ein­ gerichtet seit 1949 als Mittelschulen: Schul­ form zwischen Volksschule und Gymna­ sium, ursprünglich in drei- und vierjährigen, dann in sechsjährigen neusprachlichen Zü­ gen; vgl. Müller (Anm. 5) 298-302, auch über die Ausbildung der Mittelschul- bzw. Realschullehrer. S. auch GVB1. 2001, 620; 2003, 442.

16 HB II2 962-965; IV i2 91, 163, 266; IV 2 1008-1012; Volkert, HB 195 f.; M. Stoermer, Die Bayer. Akad. d. Wiss. im Dritten Reich (Acta historica Leopoldina 22) >995, 89-111; F. Litten, Die Trennung d. Verwaltung d. wissenschaftl. Slgn. d. Staates v. d. Bayer. Akad. d. Wiss. (ZBLG 55) 1992, 411-420. - Zur Kommission f. bayer. Landesgesch. s. SchbLG in, 1999.

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gleichzeitig die freie Wahl der Mitglieder beseitigt wurde; die vom König er­ nannten und aus der Staatskasse besoldeten Akademiker besaßen Beamtenstatus und waren mit der Betreuung der Sammlungen und Bibliotheken beauftragt, die in Kurbayern entstanden und durch die Mediatisierungen und Säkularisa­ tionen stark vermehrt worden waren. Sie wurden als «Attribute» der Akademie im Antiquarium (Antikensammlung), in der Hof- und Zentralbibliothek, im Münzkabinett und im Naturalienkabinett zusammengefaßt. Bei der Neuord­ nung der Akademiesatzung von 1827 lockerte Ludwig I. die Verbindung der Attribute mit der Akademieverwaltung; jene wurden dem Generalconservatorium der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates unterstellt. Die unmittel­ bare Verbindung der Akademie mit den Sammlungen wurde erst in den 1930er Jahren gelöst. Die Satzung von 1827 definierte die Akademie, wie dies schon bei der Grün­ dung der Fall gewesen war, als Vereinigung von frei gewählten Gelehrten zur Pflege und Förderung der wissenschaftlichen Forschung, besonders solcher Aufgaben, die die Kraft eines einzelnen Forschers übersteigen. In verschiede­ nen Klassen mit einzelnen Kommissionen kommt die Akademie seitdem ihren Aufgaben nach; auf dem Gebiet der historischen Forschung sind die ihr ange­ schlossene Historische Kommission (gegründet 1858) und die Kommission für bayerische Landesgeschichte (gegründet 1927, in engem Anschluß an die Aka­ demie seit 1963) tätig. 1936 wurde das Recht zur freien Wahl des Präsidenten und der Klassensekretäre der Akademie durch das Reichswissenschaftsministe­ rium entzogen; die Wahl neuer Mitglieder durch die althergebrachte Ballotage blieb jedoch erhalten. Nach der Wiederherstellung der früheren Rechtsstellung 1946 erhielt die Akademie 1959 des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung; für die weitgespannten geistes- und naturwissen­ schaftlichen Forschungsaufgaben unterhält sie zahlreiche Kommissionen. Die 1808 in München gegründete Akademie der Bildenden Künste17 war einerseits eine Gesellschaft hervorragender Künstler und Kunstgelehrter und andererseits Ausbildungsstätte mit Klassen für alle Sparten der bildenden Kunst. Diese Doppelstellung behielt die Akademie auch nach der Satzungsneufassung von 1911, mit der der Künstlergesellschaft die Rechte der gelehrten Gesell­ schaften bestätigt wurden. Den Rang einer Kunsthochschule hatte seit 1937 die Akademie für angewandte Kunst; sie war 1868 als Kunstgewerbeschule vom Staat übernommen worden. 1946 wurde sie mit der Akademie der bildenden Künste vereinigt. Die Akademie der bildenden Künste in Nürnberg erhielt 1940 Hochschul­ rang; sie ist aus der 1868 eingerichteten Kunstgewerbeschule hervorgegangen. Nach der Satzungsrevision (1956) kann sie auch Ehrenmitglieder für eine Ge­ sellschaft hervorragender Künstler ernennen. 17 Volkert, HB 216; A.M. Kluxen, Gesch. d. Kunstakademie in Nürnberg 1662-1998 (JffL 59) 1999, 178-207; J. Leh-

ner. Die Nürnberger Akademie - Tradition u. Innovation, 2000.

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Die 1948 gegründete Akademie der Schönen Künste in München wählt be­ deutende Künstler als ordentliche, außerordentliche oder korrespondierende Mitglieder oder Ehrenmitglieder, die in Abteilungen für bildende Kunst, für Schrifttum, für Musik und für darstellende Kunst zusammentreten und ganz all­ gemein zur Pflege und Förderung der Künste und zu deren Verbindung unter­ einander beitragen sollen. Die Bezeichnung Akademie fuhren verschiedene staatliche Einrichtungen mit unterschiedlichen Zweckbestimmungen.18 Vorwiegend beratende Funktion zur Förderung der Verbindung von Wissenschaft und Praxis hat die Akademie für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, die dem Landesinstitut für Arbeitsmedi­ zin im Arbeitsministerium angeschlossen ist (eingerichtet 1968). Der Ausbil­ dung künftiger Amtsärzte dient die Akademie für das öffentliche Gesundheits­ wesen (seit 1969; die Staatsmedizinische Akademie war zwischen 1933 und 194$ im Sinne der nationalsozialistischen Eugenik tätig). Fortbildungstagungen veranstalten die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (seit 1971), die Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (seit 1976) und die Akademie für Politische Bildung (seit 1957), die besonders die Grundgedanken der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung verbreiten soll. Als Koopera­ tionsmodell für die Zusammenarbeit verschiedener Hochschulen (Musikhoch­ schule, Hochschule für Film und Fernsehen, Ludwig-Maximilians-Universität und Akademie der Bildenden Künste) koordinierte die 1993 eingerichtete Theaterakademie die Ausbildung in allen Sparten der Bühnenkunst. Seit dem späteren 19. Jahrhundert trugen den Akademie-Titel auch spezielle Hochschu­ len, wie die Akademie der Tonkunst 1892 bis 1947 (dann Hochschule für Mu­ sik) oder die Akademie für Landwirtschaft und Brauerei 1895 bis 1920 (dann Hochschule für Landwirtschaft und Brauerei). - Mit dem eigentlichen Akade­ mie-Begriff einer Gelehrten-Gesellschaft für weitgespannte wissenschaftliche Grundlagenforschung haben diese Bezeichnungen nur mehr wenig gemein. Universitäten und Hochschulen. Neben der kurbayerischen Landesuniversität in Ingolstadt (1800 nach Landshut, 1826 nach München verlegt) bestanden im Königreich noch die Hohen Schulen in Erlangen und Würzburg.'9 Deren überlieferte Selbstverwaltungsbefugnisse wurden stark eingeschränkt. Bei der Festlegung der neuen Universitätsstruktur, bei der Berufung der Professoren und bei der Vermögensverwaltung dominierten die staatlichen Instanzen; von einer akademischen Gerichtsbarkeit konnte künftig keine Rede mehr sein. Die staatliche Vermögenskuratel wurde seit 1815 etwas gelockert und einem aus ge­ wählten Professoren zusammengesetzten Verwaltungsausschuß (für Landshut und Würzburg) beziehungsweise dem Senat (für Erlangen) übertragen. Die 1827 durch die Statutenrevision der Universität München festgelegte Fakultäts­ 18 Volkert, HB 71 f., 193, 212 f., 274, 300, 325 fr.; GVB1. 1993, 643; 1994, 951; 1997, 512; 2000, 973; 2003, 503.

19 Liedtke IV 652-666, 679-709; VolHB 185 ff.; DVG 111 729; IV 566.

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Organisation blieb im wesentlichen bestehen; König und Ministerium nahmen mitunter nachhaltigen Einfluß auf die Besetzung der Professorenstellen. Insge­ samt besaßen die Universitäten als Körperschaften mit eigenem Vermögen und Selbstverwaltungsrechten eine Sonderstellung in der Staatsverwaltung. Mit dem von der Wissenschaftsentwicklung veranlaßten großzügigen Ausbau der Universitätslaboratorien, Kliniken, Sammlungen, Institute und Seminare wuchs der über den Kultusetat finanzierte Staatszuschuß zum Universitätsbe­ trieb, und damit auch der Einfluß der Ministerialverwaltung. Gewisse organisatorische Änderungen für die Landesuniversitäten ergaben sich 1920, als mit der Einführung der Senatsverfassung auch die engeren und weiteren Fakultäten und der allgemeine Studentenausschuß satzungsmäßig an­ erkannt wurden. Die Gleichschaltung der Universitäten setzte im April 1933 ein mit der Einrichtung der Studentenschaften, denen nur «rein arische» Stu­ denten angehören durften, wurde mit der Beseitigung der korporativen Rechte des Senats und der Fakultäten und der Ernennung des Rektors als «Führer» der Universität durch den Reichswissenschaftsminister (seit 1934) fortgesetzt und schließlich durch den Vollzug der beamtenrechtlichen Normen, nach denen nichtarische und unerwünschte Mitglieder aus der Universität zu entfernen wa­ ren, vollendet. Die ideologische Durchdringung der Studenten und der Dozen­ ten, organisiert im NS-Studentenbund und im NS-Dozentenbund, der Lehr­ veranstaltungen und des Forschungsbetriebes gelang in unterschiedlicher Weise nach Fächern und Fakultäten. Wegen der seit Kriegsbeginn stark reduzierten Zahl der männlichen Studenten und der jüngeren Dozenten wurde die inten­ dierte Gleichschaltung der Lehr- und Forschungsinhalte auf «völkischer» Grundlage nicht überall erreicht.20 Der Wiederaufbau seit dem Herbst 1945 der schwer beschädigten Universitä­ ten München und Würzburg und der zwar nicht vom Bombenkrieg betroffe­ nen Universität Erlangen, die aber ebenso wie die beiden erstgenannten durch die Entlassung der Parteimitglieder im Lehrpersonal in ihrer Funktion ebenfalls reduziert war, setzte bei den Organisationsformen von 1920 an und stellte die körperschaftliche Selbstverwaltung unter staatlicher Aufsicht wieder her. Der starke Andrang zu den Universitäten führte nach langen Planungen schließlich von 1962 bis 1971 zur Gründung weiterer Universitäten in Regensburg, Augs­ burg, Bayreuth und Passau, die zwischen 1967 und 1978 mit dem Lehrbetrieb begannen. Die sehr unterschiedlichen Rechts- und Organisationsstrukturen der alten und der neugegründeten Universitäten regelte einheitlich das 1974 in Kraft getretene bayerische Hochschulgesetz, das auch durch die Turbulenzen der Studentenbewegung seit 1968 veranlaßt worden war. Das Gesetz sieht die 20 DVG IV 981-984; D. Willoweit, Na­ tionalsozialist. Hochschul- u. Wissenschafts­ pol. in Bayern (Trad. u Perspektive) 156— 174; H. Böhm, Von d. Selbstverwaltung z. Führerprinzip. Die Univ. München in d. er­ sten Jahren d. Dritten Reiches (1933-1936)

(Ludovico-Maximilianea, Forsch. 15) 1995; Ders., Die Univ. München nach 1933 (Schriftenreihe d. Ges. f. Deutschlandforsch. 76) 2001, 73-100; Boberach, Inventar (vor § 5) 267 f.

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Gruppenuniversität mit der Vertretung der Gruppen der Professoren, Studen­ ten, wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeiter in den Selbstverwaltungsgre­ mien (Senat und Versammlung beziehungsweise seit 1998 Erweiterter Senat) vor; seit 1998 gibt es den Hochschulrat, der bei der Profilbildung und der Schwerpunktsetzung von Lehre und Forschung mitwirken soll. Ihm gehören Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft außerhalb der Universität an; sie werden vom Wissenschaftsminister auf Vorschlag der Universitäten ernannt. Diese sind nach den Fächern in Fakultäten mit gewählten Dekanen, Studiende­ kanen und Fachbereichsräten gegliedert; innerhalb der Fakultäten bestehen In­ stitute zur Zusammenfassung der Fächer. Studierende können ihre Belange über den studentischen Konvent, den Sprecherrat und die Fachschaftsvertre­ tungen artikulieren. Die Universitäten sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und staatliche Einrichtungen gleichzeitig; sie stehen unter staatlicher Aufsicht, wobei die Selbstverwaltung garantiert ist.21 Zwischen 1966 und 1978 wurden die in Bayern bestehenden staatlichen Philosophisch-Theologischen Hochschulen in die Katholisch-Theologischen Fakultäten der Universitäten in München, Regensburg, Augsburg, Bamberg und Passau integriert und damit aufgehoben. Sie bestanden unter dieser Be­ zeichnung seit 1923 und setzten die Tradition der im frühen 19. Jahrhundert eingerichteten Lyzeen fort, die vornehmlich der wissenschaftlichen Ausbildung der katholischen Priesteramtskandidaten dienten, zeitweise aber auch ein obli­ gatorisches Philosophicum für das Universitätsstudium (1824—29) anboten. Nach der Studienordnung von 1833 dienten sie überwiegend der wissenschaft­ lichen Ausbildung katholischer Priester.22 Ebenfalls in die Landesuniversitäten eingegliedert wurden seit 1970 die Päd­ agogischen Hochschulen, die nach dem Lehrerbildungsgesetz von 1958 in lokkerer Anlehnung an die Universitäten organisiert worden waren und der Aus­ bildung der Grund- und Hauptschullehrer dienten. Damit war die seit längerer Zeit geforderte Akademisierung der Lehrerausbildung erreicht worden. Sie setzten die Arbeit der Institute für Lehrerbildung beziehungsweise der früheren Lehrerbildungsanstalten fort.23 21 W. Müller, Die Univ. München, Er­ langen u. Würzburg nach 1945. Zur Hoch­ schulpol. in d. amerik. Besatzungszone (Mat. z. bayer. Gesch. 4/97) 1997, 53-87; DVG V 654-668; GVB1. 1998, 740; R. Greipel, Die neugegründeten Univ, in Bayern (Beitrr. z. Hochschulforsch. 1984) 1984, 1-53; W. Quint, Wissenschaft u. Kunst in Bayern bis heute (Trad, und Perspektive) 126-133; Müller (Anm. 5) 330-352. 22 Liedtke IV 642 ff., 683 f.; R.A. Mül­ ler, Das bayer. Lyzealwesen 1773-1849 (Quellen u. Forsch, a. d. Gebiet d. Gesch. NF 7) 1986; Ders., Lyzeum u. Phil.-Theol.

Hochschule Dillingen 1804-1939 (Jb. HV Dillingen 100) 1999, 129-166; MÜLLER (Anm. 5) 319-330; K. Hausberger, Lyzeum - Philosophisch-Theologische Hochschule Klerikalseminar. Ein Streifzug durch d. Prie­ sterausbildungsstatten in Regensburg (BGBR 37) 2003, 55-80. 23 Müller (Anm. 5) 309-318; vgl. o. Anm. 9. - Zur Lehrerfortbildung, dann auch zur Personalfuhrung, wurde 1971 eine Aka­ demie eingerichtet (Anm. 18); sie erhielt die Aufgaben der von 1933-2000 bestehenden Landesbildungsstellen Nordbayern u. Süd­ bayern zugewiesen (GVB1. 2000) 974.

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Die Technische Universität München geht zurück auf die 1868 eingerichtete Polytechnische Schule mit fünf Abteilungen für Allgemeine Wissenschaften, Ingenieurwesen, Hochbau, mechanische und chemische Technik, die verschie­ dene Ausbildungsgänge, unter anderen auch von der staatswirtschaftlichen Fa­ kultät der Universität München, übernommen hatte. 1877 erhielt sie den Na­ men Technische Hochschule, 1899 die Gleichstellung mit den Landesuniver­ sitäten und 1901/02 das Promotionsrecht und die Senatsverfassung. Seit 1970 heißt sie Technische Universität. Angeschlossen ist ihr eine Landwirtschaftliche Abteilung (seit 1872), die Hochschule für Landwirtschaft und Brauerei (seit 1930), eine Medizinische Fakultät (seit 1967), die staatlichen Institute für die Ausbildung von Berufsschullehrern (seit 1966) und schließlich die Forstwissen­ schaftliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (seit 1999). Aus dieser und der landwirtschaftlichen Fakultät ging das Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität hervor (1999). Besondere Bedeutung erlangte der Ausbau der kernphysikali­ schen Hochschulinstitute um den Forschungsreaktor in Garching und die Ver­ lagerung verschiedener Universitätseinrichtungen dorthin.24 Fachhochschulen. Die seit dem Fachhochschulgesetz von 1970 eingerichteten staatlichen Fachhochschulen setzen sachlich die Tradition höherer Fachschulen (Ingenieurschulen, Polytechniken und ähnlicher Institutionen) fort, die vom Staat, von Kommunal- oder Zweckverbänden oder auch von Privaten betrie­ ben worden sind und zum Teil auch in die neuen Fachhochschulen überführt wurden. Auf wissenschaftlicher Grundlage vermitteln sie in straff organisierten, stark praxisbezogenen Studiengängen die mit dem Fachhochschuldiplom ab­ schließende Ausbildung in allen Sparten des Ingenieurwesens, der Betriebswirt­ schaft, des Landbaues und des Sozialwesens. In zwei Einrichtungsphasen (in den 1970er und den 1990er Jahren) wurden mit großem finanziellen Einsatz, der zum Teil aus den Erlösen des Verkaufs von Staatsbeteiligungen an Wirt­ schaftsunternehmen stammte, in über zwanzig größeren und mittleren Städten Fachhochschulen errichtet. Die Nachfrage nach Studienplätzen ist sehr rege.2S Große Bedeutung für die gesamte Staats- und Kommunalverwaltung hat die Bayerische Beamtenfachhochschule (1974 errichtet), in deren Fachbereichen (Allgemeine innere Verwaltung, Polizei, Rechtspflege, Archiv- und Biblio­ thekswesen, Finanzwesen und Sozialverwaltung) die Anwärter für die gehobe­ nen, nichttechnischen Laufbahnen ausgebildet werden. Die bis dahin in den einzelnen Ressorts bestehenden Ausbildungsgänge wurden in das Fachhoch­ schulniveau überführt.26 24 Liedtke IV 710-715; Volkert, HB 192 f.; Deutinger (§ 9) 58 f.; Müller (Anm. 5) 333, 340; GVB1. 1998, 941; 1999, 413, 421; 2000, 732; 2001, 1042. 25 Volkert, HB 194 f.; Quint, Wissen­ schaft und Kunst in Bayern (Tradition u.

Perspektive) 136-141; GVB1. 1994, 292; 1996, 154; 1998, 441; 2000, 479; 2001, 684; 2002, 514; 2003, 905. 26 Volkert, HB 177 f.; GVB1. 2003, 503, 818; jetzige Bezeichnung: Fachhochschule f. öffentl. Verwaltung u. Rechtspflege.

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d) Archive, Bibliotheken, Museen und Sammlungen. Archive.27*Die staatlichen und kommunalen Archive Bayerns stehen in enger Verbindung zur Staats- und Kommunalverwaltung, indem sie in regelmäßigen Zeitabständen die nicht mehr für den laufenden Dienst benötigten («archivreifen»), aber doch wegen ihres für die historische Forschung wichtigen Inhalts für dauernd aufbewah­ renswerten («archivwürdigen») Akten, Urkunden, Karten und Pläne, Ton- und andere Medienträger und dergleichen übernehmen, archivarisch ordnen und erschließen, dauernd sicher aufbewahren und daraus Auskünfte und Gutachten erteilen und zur Benützung durch die Forschung oder Private bereitstellen. Da dies in Bayern, wie in den anderen Bundes- und Nachbarländern, seit Jahrhun­ derten üblich ist (wenn auch früher unter anderer, eingeschränkter Zweckbe­ stimmung), besitzen Staat und Kommunen einen unvergleichlichen Überliefe­ rungsschatz einmaliger Dokumente seit dem frühen Mittelalter, den zu pflegen und für die Gegenwart nutzbar zu machen, wichtigste Aufgabe der öffentlichen Archive ist. Die Staatliche Archivverwaltung unter der Leitung der Generaldi­ rektion der Staatlichen Archive Bayerns (seit 1974 unter dieser Bezeichnung) umfaßt das Bayerische Hauptstaatsarchiv (für die Aktenabgaben der Zentralbe­ hörden) und die Staatsarchive in jedem Regierungsbezirk mit dem Staatsarchiv Coburg (für das frühere Herzogtum beziehungsweise den Freistaat Coburg) für die im jeweiligen Bezirk gelegenen staatlichen Ämter und Einrichtungen. Entwicklungsgeschichtlich gehen die staatlichen Archive auf die Organisa­ tionsformen seit dem frühen 19. Jahrhundert zurück. Das Allgemeine Reichsar­ chiv (seit 1921 als Hauptstaatsarchiv bezeichnet) setzt die Tradition der kurbay­ erischen Zentralarchive fort. Die Staatsarchive in den Regierungsbezirken (bis 1921: Kreisarchive, vor 1875: Archivkonservatorien) stehen zum Teil mit kur­ bayerischen Zentralregistraturen, zum Teil mit den reichsständischen Archiv­ einrichtungen der Erwerbungsgebiete in Verbindung. Viele Gemeinden besit­ zen als Teil ihrer Verwaltung Archive. Bei den größeren Städten setzt die Überlieferung schon im Spätmittelalter ein.

Bibliotheken.2^ Die Bayerische Staatsbibliothek ist, was Umfang, Alter und Rang ihrer Handschriften- und Buchbestände anlangt, mit weitem Abstand die be­ deutendste bayerische öffentliche Bibliothek. Sie ist als herzogliche und kur­ fürstliche Hofbibliothek entstanden. Durch die Säkularisation außerordentlich 27 HB d. bayer. Arch., Redaktion A. Liess u.a., 2001; Kurzfuhrer d. Staatl. Arch. Bay­ erns, NF 1993-2003; H. Rumschöttel, Die Generaldirektion d. Staatl. Arch. Bayerns (AZ 80) 1997, 1-36; Ders., Tradition, Inno­ vation u. Persp. Die Arch, in einer sich wandelnden Welt (Arch, in Bayern 1) 2003, 125-141; W. Jaroschka, Die Neuorganisa­ tion des bayer. Archivwesens in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhs. (Werkh. d. Staatl. Archivverw. Baden-Württ. A 20) 2005, 199-

214; GVB1. 1989, 710; 1990, 175; B. Manegold, Archivrecht (Schrr. z. Öffentl. Recht 874) 2002. 2H HB d. bayer. Bibliotheken, 19832; R. Hacker (Hg.), Beitrr. z. Gesch. d. BSB (BSB Schriftenreihe 1) 2002; C. Jahn (Hg.), BSB, 1997; GVB1. 1999, 283; B. Schemmel, Die Staatl. Regionalbibliotheken Bayerns (Bibliotheksforum Bayern 32) 2004, 117— 132.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

angewachsen, nahm sie den Charakter der Zentralbibliothek des Landes immer mehr an; zunächst der Akademie der Wissenschaften (seit 1807), dann den Wis­ senschaftlichen Sammlungen (seit 1827) zugeteilt, erhielt sie 1832 die Selbstän­ digkeit als Hof- und Staatsbibliothek, deren Direktor auch mit der Oberauf­ sicht über die anderen staatlichen Bibliotheken betraut wurde. Die zahlreichen staatlichen Bibliotheken führten bibliothekarische Traditionen früherer Landes­ herrschaften fort (zum Beispiel in Ansbach, Aschaffenburg, Bamberg oder Bay­ reuth) oder wurden als Provinzial-, dann Kreisbibliotheken im 19. Jahrhundert eingerichtet (so in Amberg, Neuburg an der Donau oder Regensburg). 1970 wurden die staatliche Bibliotheksorganisation und die staatlichen Beratungsstel­ len für die öffentlichen Bibliotheken unter der Leitung der Generaldirektion der staatlichen Bibliotheken als Verwaltungsstelle zusammengefaßt, deren Auf­ gaben 1999 der Direktor der Staatsbibliothek übertragen erhielt. Museen und Sammlungen.29 Für die bedeutenden Gemäldesammlungen des Hau­ ses Bayern, zusammengefaßt in der Zentral-Gemälde-Galeriedirektion (seit 1799), stark vermehrt durch Erwerbungen anläßlich der Säkularisation und durch Ankäufe großer Sammlungen, errichtete König Ludwig I. den 1836 voll­ endeten Galeriebau der Pinakothek sowie für die Sammlung zeitgenössischer Kunst die Neue Pinakothek (1843-1854); diese gehörte bis 1915 zur Verwal­ tung des königlichen Hofes. Dann ging sie an die Staatsgemäldesammlung über, bei der für die Kunst seit dem späten 19. Jahrhundert die Neue Staatsga­ lerie eingerichtet wurde. Sie ging in der Pinakothek der Moderne auf, deren Neubau in unmittelbarer Nachbarschaft zu den beiden Pinakotheken 2003 er­ öffnet wurde. Zur selben Zeit entstand in Nürnberg das Staatliche Museum für Kunst und Design. Die Staatsgemäldesammlungen unterhalten seit dem frühen 19. Jahrhundert Filial-(Zweig-)Galerien in Städten und Schlössern Bayerns. Das Bayerische Nationalmuseum ist als bedeutendes Kunst- und Geschichtsmuseum seit 1853 auf Initiative König Maximilians II. aufgebaut worden, um künstle­ risch und kunsthistorisch bedeutende Gegenstände der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ihm sind Zweigmuseen in ganz Bayern angeschlossen. Weitere Museen in München, wie die Archäologische Staatssammlung, die Antiken­ sammlung und die Glyptothek, die Sammlung Ägyptischer Kunst, das Museum für Völkerkunde, die Graphische Sammlung und die Münzsammlung, gehen teilweise schon auf die Bestände des kurfürstlichen Antiquariums zurück, wur­ den seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts durch Stiftungen und Ankäufe ver29 DVG III 729; IV 566; Museen in Bay­ ern, 19972; HB IV i2 916, 996, 999; GVB1. 1997, 804; 2004, 374; G. Goldberg, Bayer. Staatsgemäldesammlungen: Museen — Pro­ jekte - Standorte in München (OA 128) 2004, 193-280; Staatl. Zweigmuseum in Bayern, 1990; I. Bauer, Das Bayer. Nationalmus. Der Neubau an d. Prinzregenten­

straße, 2000; Das Bayer. Nationalmuseum 1855-2005, 2005; E. Brockhoff u. a. (Red.), 20 Jahre Haus d. Bayer. Gesch., 2003; M. Petzet, 75 Jahre Bayer. Landesamt f. Denkmalpfl., 1983; E.J. Greipl, Archive u. Denk­ mäler: Gedächtnis des Kulturstaates (AZ 88/11) 2006, 271-283; B. Huber, Denkmalpfl. zw. Kunst u. Wissenschaft, 1996.

io. Unterricht - Wissenschaft — Kunst - Kultus (W. Volkert)

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mehrt, standen zum Teil unter der Verwaltung des königlichen Hofes oder der Wissenschaftlichen Sammlungen des Staates, ehe sie Selbständigkeit als Museen für die Öffentlichkeit und als wichtige Forschungsinstitute für die Fachwelt er­ langten. Das Bayerische Armeemuseum in Ingolstadt (dort seit 1969) geht auf die in den Zeughäusern der bayerischen Armee gesammelten historischen Waf­ fen und Militärgeräte, Trophäen und Beutestücke zurück, die seit 1881 museal aufgestellt waren. Das Haus der bayerischen Geschichte veranstaltet seit 1976 große Ausstellungen über zentrale Themen der bayerischen Geschichte an wechselnden Orten Bayerns; von seinem Sitz in Augsburg (seit 1993) aus ent­ faltet es ein weitgespanntes historisch-didaktisches, öffentlichkeitswirksames Programm mit vielfältigen einschlägigen Publikationen. Aus dem Bayerischen Nationalmuseum ist das Generalkonservatorium der Kunstdenkmäler und Altertümer Bayerns erwachsen, das seit 1917 unter der Bezeichnung Landesamt für Denkmalpflege eine umfassende Tätigkeit zur Denkmälerinventarisation, zur Erhaltung von Denkmälern und Bauensembles entwickelt. Mit der Führung der Denkmalliste und mit der Beratung der Eigentümer wirkt es auf das Baugeschehen im Land ein. Es berät auch die vor allem von kommunalen Organisationen und anderen Interessenten geführten nichtstaatlichen Museen. Das Landesamt unterhält Außenstellen in den Re­ gierungsbezirken; sie widmen sich auch der archäologischen Bodendenkmal­ pflege.

e) Theater und Musik.30 Die staatlichen Theater in München - Musiktheater in der Staatsoper, im Staatstheater am Gärtnerplatz und im Prinzregententheater, Sprechtheater im Residenztheater — wurden vor 1918 zum Teil von der Zivilli­ ste finanziert und von der Hofverwaltung (Hoftheater- und Hofmusikinten­ danz) administriert, zum Teil waren sie von Gesellschaften betrieben worden (Gärtnerplatz- und Prinzregententheater). 1923 in der Generaldirektion der bayerischen Staatstheater zusammengefaßt, wurden sie ab 1936 (unter Ein­ schluß des 1937 vom Staat erworbenen Gärtnerplatztheaters) in der Obersten Theaterbehörde im Innenministerium geführt. 1946 wieder dem Kultusressort zugewiesen, wurden die Staatstheater von 1982 bis 1993 von einer Generalin­ tendanz geleitet, dann für gemeinsame Verwaltungsaufgaben vom Zentralen Dienst der Bayerischen Staatstheater betreut. Die 1993 eingerichtete Theater­ akademie im Prinzregententheater soll die Ausbildung für alle Sparten der Büh­ nenkünste in Zusammenarbeit mit anderen einschlägigen Einrichtungen, be­ sonders der Hochschule für Musik und Theater, aktivieren und koordinieren. Die Hochschule für Musik (seit 1998 mit dem Zusatz «und Theater») setzt in der Ausbildung für Musiker die Tradition der Akademie der Tonkunst (18923° Volkert, HB 217, 225 f.; C. Ulrich, Das kgl. Hof- u. Nationaltheater unter Max I. Joseph v. Bayern (SchbLG 127) 2000; Quint, Wissenschaft u. Kunst in Bayern

(Anm. 25) 145 c, 149 f.; GVB1. 1982, 551; 1993, 564, 643; K. Kieser, Das Gärtnerplatztheater in München 1932-1944, 1991.

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B. II. Die Staats- und Kommunalverwaltung

1946) fort. Das Musikkonservatorium Würzburg erhielt den Hochschulrang 1973. Dem neuen Medium Fernsehen und dem Film widmet sich seit 1966 in Lehre und Forschung die Hochschule für Fernsehen und Film. f) Kirche und Staat. Katholische Kirche.3' Bayern, seit dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ein paritätischer Staat für die christlichen Bekenntnisse, stand in der konstitutionellen Epoche in enger Beziehung zu den Religionsgesell­ schaften. Durch die Klostersäkularisationen und die Hochstiftsmediatisierungen war das Verhältnis des Staates, der noch dazu auf seinen hergebrachten Staats­ kirchenrechten bestand, zur katholischen Kirche erheblich belastet; das wich­ tigste Anliegen der kurfürstlichen (und königlichen) Religionsedikte von 1803 und 1809 war die Fixierung der vollständigen Parität der Katholiken, Luthera­ ner und Reformierten im Kurfürstentum und in den Erwerbungsländern. Die Neufassung des Religionsedikts von 1818 hielt daran fest und traf weitere Be­ stimmungen, die dem 1817 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Bayern geschlossenen Konkordat und dessen staatskirchenrechtlichen Festle­ gungen teilweise widersprachen. Dies führte im folgenden Jahrhundert zu mit­ unter sehr heftigen Auseinandersetzungen zwischen Staat und katholischer Kir­ che. Durch das Konkordat war die Diözesanorganisation der katholischen Kir­ che den Staatsgrenzen des Königreichs angepaßt worden; der Staat hatte sehr großen Einfluß auf die Besetzung der Bischofsstühle durch das ihm eingeräum­ te Nominationsrecht, auf die Ernennung der Mitglieder der Domkapitel und durch die Patronatsrechte auf die Zusammensetzung des Pfarrklerus. Bis zum Ende der Monarchie übten die Behörden der inneren Verwaltung diese Befug­ nisse aus, vom Ministerium des Innern (seit 1848/49 vom Ministerium des In­ nern für Kirchen- und Schulangelegenheiten) und den Kreisregierungen bis zu den Landgerichten (ä. O.) und den Bezirksämtern. Die Pfarrorganisation hatte wichtige Funktionen im öffentlich-staatlichen Bereich, bei der Bildung der Schulsprengel (bis 1873), der Führung der Zivilstandsregister (Kirchenbücher; bis 1875) und der den Dekanats- und Pfarrgeistlichen übertragenen Schulauf­ sicht (abgesehen von größeren Städten; bis zum Ende der Monarchie). Der Staat nahm das Placetum regium (Genehmigung kirchlicher Verlautbarungen) in Anspruch und beaufsichtigte durch die innere Verwaltung die kirchliche Vermögens- und Stiftungsverwaltung. Diese staatlichen Eingriffsbefugnisse in den kirchlichen Bereich waren 1918/19 endgültig obsolet geworden. Die geistliche Schulaufsicht fiel bereits wenige Tage nach der Revolution im November 1918 weg; die Selbstverwal­ tung im kirchlichen Stiftungsrecht war schon 1912 wesentlich erweitert wor­ den. Auf die Besetzungsrechte bei den kirchlichen Ämtern verzichtete der Staat im Konkordat mit dem Heiligen Stuhl von 1924. Die aus der Säkularisation 3' Brandmüller III 99-129, 241 ff., 251 ff., 427-455; HB IV i2 85 fr., 109-113, 268 fr., 370 fr, 490 f; Weis, Montgelas II

249-253; Volkert, HB 226-229; Ders., Anm. z. Bayer. Kirchengemeindeordnung v. 1912 (BGBR 39) 2005, 233-243.

£ io. Unterricht - Wissenschaft - Kunst - Kultus (W. Volkert)

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sich ergebenden Dotationslasten des Staates für die katholische Kirche wurden hier bestätigt. Protestantische Kirchen.32 Aus der Tradition der reichsständischen Herrschaft über die reformatorischen Kirchen seit dem 16. Jahrhundert entstand in Bayern das Kirchenregiment des Landesherrn als Summus episcopus. Nach den Religions­ edikten (1809 und 1818) und dem Protestantenedikt (1818) übte der König die Kirchenherrschaft durch das Oberkonsistorium aus, dem Konsistorien in Bay­ reuth, Ansbach und Speyer, zwei Mediatkonsistorien in fränkischen Adelsherr­ schaften (bis 1851) und das Dekanat in München nachgeordnet waren. Sie wa­ ren Behörden der inneren Verwaltung und standen in enger Beziehung zum Ministerium und zu den Kreisregierungen; sie überwachten die Dekanate und Pfarreien (Gemeinden) und die Theologenausbildung an der Universität Erlan­ gen. Die teils lutherischen, teils reformierten Gemeinden in der Pfalz schlossen 1818 die Konsensunion der Vereinigten Protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz. 1848/49 gelang es der pfälzischen Kirche, die Unabhängigkeit vom streng lutherisch eingestellten Oberkonsistorium und die direkte Unter­ stellung unter das Kultusministerium zu erreichen. Mit dem Ende der Monarchie war dem staatlichen Summepiskopat die Grundlage genommen. 1920 erklärten Landtag und Ministerium das landesherr­ liche Kirchenregiment der protestantischen Kirchen rechts des Rheins und in der Pfalz für beendet; das Oberkonsistorium und die Konsistorien wurden als staatliche Behörden aufgehoben. Die von der Generalsynode 1920 beschlossene Verfassung schuf die staatsfreie Landeskirche, die 1924 nach dem Vorbild des Konkordats für die katholische Kirche in Staatsverträgen ihre Beziehungen zum Staat regelte. 32 HBEKB II 7-19, 69-95, 211-232; Brandmüller III 455-458; DVG IV 566f;

Rumschöttel (Anm. 1) 59, 77fr., 84.; Götschmann 30fr.; Volkert, HB 229-233.

III

DIE LANDWIRTSCHAFT

Allgemein: W. Abel, Agrarpol., 19673; Ders., Agrarkrisen u. Agrarkonjunktur, 19783; W.

Achilles, Dt. Agrargesch. im Zeitalter d. Reformen u. d. Industrialisierung, 1993; Bauern in Bayern, Ausstellungskat. 1992; E. Bittermann, Die landwirtschaftl. Produktion in Dtl. 18001930, Diss. Halle 1956; Bundesverband Dt. Pflanzenzüchter e. V. (Hg.), Landwirtschaftl. Pflanzenzüchtung in Dtl., 1987; G. Comberg, Die dt. Tierzucht im 19. u. 20. Jh., 1984; C. Dipper, Bauernbefreiung in Dtl.: 1790-1850, 1980; C. Fraas, Gesch. d. Landbau- u. Forstwirtsch. (1865) ND 1965; C. Fraas, Die Rindviehracen Dtls., deren Schläge u. Stämme, 1852; S. v. Frauendorfer - H. Haushofer, Ideengesch. d. Agrarwirtsch. u. d. Agrarpol. im dt. Sprachgebiet, 2 Bde., 1957/58; T. v. d. Goltz, Gesch. d. dt. Landwirtschaft II, 1903; H. v. d. Groeben Aufbaujahre d. europ. Gemeinschaft, 1982; F. Grundmann, Agrarpol. im Dritten Reich, 1979; K. Hasel - E. Schwartz, Forstgesch., 2OO2J; Haushofbr, Dt. Land­ wirtsch.; F.-W. Henning, Landwirtschaft u. ländl. Ges. in Dtl. II, 1978; K. Herrmann, Pflü­ gen, Säen, Ernten - Landarbeit u. Landtechnik in d. Gesch., 1985; W. Hudde - M. Schmiel, HB d. landwirtschaftl. Bildungswesens, 1965; U. Kluge; Vierzig Jahre Agrarpol. in d. Bundesrep. Dtl., 2 Bde. (BüL, NF, SH 203) 1989; W. Magura, Chronik d. Agrarpol. u. d. Agrarwirtsch. d. Bundesrep. Dtl. v. 1945-1967 (BüL, NF, SH. 185) 1970; K. Mantel, Wald u. Forst in d. Gesch., 1990; B. Mehrens, Die Marktordnung d. Reichsnährstandes, 1938; H. Pruns, Staat u. Agrarwirtsch. 1800-1865, 2 Bde. (BüL, NF, SH. 194) 1978; S. Reichrath, Entstehung, Entwicklung u. Stand d. Agrarwiss. in Dd. u. Frankreich, 1991; K. Renner, Quellen u. Dokumente z. landwirtschaftl. Berufsbildung von ihren Anfängen bis 1945 (Quellen u. Dok. z. Gesch. d. Berufsbildung in Dtl. C, 5) 1995; W. Schaumann - G.E. Sie­ benbicher - I. Lünzer, Gesch. d. ökolog. Landbaus, 2002; H. Schlange-Schöningen, Im Schatten d. Hungers, 1955; A. Seidl, Dtsch. Agrargesch., 20061; Ders., Der Weg d. dt. Landwirtsch. nach d. 2. Weltkrieg (Herrschinger He. 14) 1998, 43-54; M. Sering (Hg.), Die dt. Landwirtsch. unter volks- u. weltwirtschaftl. Gesichtspunkten (BüL NF, SH 50) 1932; M. Steinkühler, Agrarstaat oder Industriestaat: Die Auseinandersetzungen um d. Getreidehan­ dels- u. Zollpol. d. Dt. Reiches 1879-1914, 1992; A.J. Teuteberg, Der Verzehr v. Nah­ rungsmitteln in Dtl. pro Kopf u. Jahr seit Beginn d. Industrialisierung (1850-1975) (Arch. f. Sozialgesch. 19) 1979, 331-388; W. Tornow, Chronik d. Agrarpol. u. Agrarwirtsch. d. Dt. Reiches v. 1933 bis 1945 (BüL NF, SH 188) 1972. Bayern: G. v. Aretin - M. Schönleutner (Hgg.), Jbb. d. Landwirthschaft in Baiern, 2 Bde., 1823/24; Dies., Neue Jbb. d. Landwirthschaft in Bayern I, 1826; O. Bauer, Von d. ungeregelten Waldnutzung z. nachhaltigen Forstwirtsch. (Forstl. Forschungsberr. München 189) 2002; I. Bauer - N. Matt, Bayerns Landwirtsch. seit 1800, 1994; Bayer. Landwirt­ schaftsrat (Hg.), Denkschr. z. Feier d. ioojähr. Bestehens d. Landwirtschaftl. Ver. in Bayern, 1910; Bayer. Staatsmin. für Ernährung, Landwirtsch. u. Forsten (Hg.), 100 Jahre Flurbereini­ gung in Bayern 1886-1986, 1986; Dass., 40 Jahre Bayer. Landwirtsch., 1962; H. Dörfler, Die Landwirtsch. in Bayern, 1929; A. Eichmüller, Landwirtsch. u. bäuerl. Bevölkerung in Bayern. Ökonom, u. soz. Wandel 1945-1970, Diss. LMU München 1994; General-Comité d. Landwirthschaftl. Ver. in Bayern (Hg.), Die Landwirthsch. in Bayern, 1860; J. Hamberger, Gesch. d. forstlich akad. Ausbildung in Bayern (Sbl. d. Hist. Ver. in Freising 36) 1999, 43-55; Haus d. Bayer. Gesch. (Hg.), Bauern in Bayern: Von d. Römerzeit bis z. Gegenwart (Veröffentl. z. Bayer. Gesch. u. Kultur 23) 1992; S. Hausmann, Die Grund-Entlastung in Bayern, 1892; J. v. Hazzi, Ueber d. 25jähr. Wirken d. Landwirthschaftl. Ver. in Bayern u. d. Central-Landwirthschafts- oder Oktoberfestes: zugleich d. vollständigen Rechenschaftsbe­ richt d. General-Comités hierüber enthaltend, 1835; Kgl. Bayer. Staatsmin. d. Innern (Hg.),

£ ii. Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen (A. Seidl)

155

Die Landwirthschaft in Bayern, 1890; Dass., Die Maßnahmen auf d. Gebiet d. landwirtschaftl. Verwaltung in Bayern 1897-1903, 1903; C. Meurer, Das Zehnt- u. Bodenzinsrecht in Bayern, 1898; F. Prinz, Die Integration d. Flüchtlinge u. Vertriebenen in Bayern, hg. v. Haus d. Bayer. Gesch. (He. z. Bayer. Gesch. u. Kultur 24) 2000; H. Raum, Aus d. bayer. Landwirtsch. am Anfang d. 19. Jhs. (BLJ 47) 1970, 183-213; Ders., Aus d. bayer. Landwirtsch. v. 1830 bis z. Bauernbefreiung 1848 (ebd.) 1970, 360-396; Ders., Aus d. bayer. Landwirtsch. in d. Mitte d. 19. Jhs. (ebd.) 1970, 990-1019; Ders., Aus d. bayer. Landwirtsch. um d. Jahrhundertwende 1900 (BLJ 48) 1971, 990-1017; H. Reuther (Hg.), Wirtschaft u. Wirtschaftsverwaltung in Bayern, 1982; Rudhart; A. Sandberger, Altbayer. Studien z. Gesch. v. Siedlung, Recht u. Landwirtsch. (SchbLG 74) 1985; Schlögl; M. Schönleutner L. Zierl (Hgg.), Jbb. d. kgl. bayer. landwirthschaftl. Lehr-Anstalten u. d. landwirthschaftl. Ver. Triptolemea zu Schleißheim, 3 Bde., 1828-31; A. Seidl, Landwirtsch. u. Ausbildung im Wandel d. Zeit - mit Anm. z. Gesch. d. Ackerbauschule Schönbrunn (ZAA 44) 1996, 72-80; Ders., Die bayer. Landwirtsch. im vergangenen Jh. (Verband d. Landwirtschaftsberater im Höheren Dienst in Bayern e. V. im Bayer. Beamtenbund, Hg., Hundert Jahre Verb. d. Land­ wirtschaftsberater) 1997, 15-42; D. Stutzer, Gesch. d. Bauernstandes in Bayern, 1988; W. Weidmann, Die pfälz. Landwirtsch. zu Beginn d. 19. Jhs., 1968; E. Weinberger, Waldnut­ zung u. Waldgewerbe in Altbayern im 18. u. beg. 19. Jh. (VSWG Beih. 157) 2001; E. Weis, Hardenberg u. Montgelas. Versuch eines Vergleichs ihrer Persönlichkeiten u. ihrer Pol. (ZBLG 61) 1998, 191-207; F.X. Wismüller, Gesch. d. Teilung d. Gemeinländereien in Bay­ ern, 1904; Zorn, Wirtschaftsgesch. S. § 9 a.

§

ii. DIE AGRARPOLITISCHEN RAHMENBEDINGUNGEN

Bayer. Bauernverband (Hg.), 40 Jahre Bayer. Bauernverband 1945-1985, 1985; H. Berg­ mann, Der Bayer. Bauernbund u. d. Bayer. Christi. Bauerverein 1919-1928 (SchbLG 81) 1986; H. Haushofer, Ein halbes Jh. im Dienste d. bayer. Landwirtsch. u. d. Volksemährung. Zur Gesch. d. Bayer. Staatsmin. f. Ernährung, Landwirtsch. u. Forsten, 1969; F. Hausmann, Die Agrarpol. d. Regierung Montgelas, 1975; A. Hochberger, Der Bayer. Bauernbund 1893-1914 (SchbLG 99) 1991; A. Hundhammer, Die landwirtschaftl. Berufsvertretung in Bayern, 1926; F. Kramer (Hg.), Tuntenhausen, 1991; K. Magnus (Hg.), 125 Jahre Techn. Univ. München, 1993; A. Seidl, 200 Jahre agrar. Bildung u. Forsch, in Weihenstephan (ZAA 50) 2002, 1-16; W. Siemann - N. Freytag - W. Piereth (Hgg.), Städt. Holzversor­ gung (ZBLG Beih. B 22) 2002.

a) Allgemeine Entwicklung: Agrarverfassung und Agrarstruktur. Eine grundlegende Umgestaltung der Agrarverfassung brachten die Agrarreformen in der ersten Hälf­ te des 19. Jahrhunderts, meist zusammengefaßt unter dem Begriff Bauernbe­ freiung. Diese umfaßte die Lösung der feudalherrschaftlichen, also der gründ-, leib- und gerichtsherrschaftlichen Bindungen, denen der Bauer jahrhunderte­ lang unterworfen gewesen war (s. HB II2 § 104). Vornehmlich ging es dabei um die Bauernbefreiung im engeren Sinne, das heißt, um die Herstellung der per­ sönlichen Freiheit durch das Lösen persönlicher Bindungen, insbesondere der Leibeigenschaft, und die «Freiheit des Eigentums», also die Grundentlastung. Die Leibeigenschaft, die in Bayern ohnehin keine Bedeutung mehr hatte, wurde mit Inkrafttreten der ersten bayerischen Verfassung, 1808, ohne Ent­ schädigung abgeschafft. Kurz und bündig heißt es in der Constitution: «Die Leibeigenschaft wird da, wo sie noch besteht, aufgehoben.»1 1 RB1. 1808 XXII. Stück, 985-1000, hier 987.

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B. III. Die Landwirtschaft

Bei der Grundentlastung ging es letztlich um die freie Verfügbarkeit des Bau­ ern über den von ihm bewirtschafteten Grund und Boden. Dem standen in der Zeit der Feudalherrschaft zwei wesentliche Hindernisse entgegen, nämlich die grundherrschaftlichen und genossenschaftlichen Bindungen, denen der Einzel­ bauer unterlag. Die ersteren beinhalteten ein eingeschränktes, auf die Nutzung ausgerichtetes Eigentumsrecht des Bauern (dominium utile), während der Grundherr das Obereigentum besaß (dominium directum). Für die Überlassung des Nutzeigentums aber mußten dem Obereigentümer Geld- und Naturalabga­ ben geleistet und Frondienste erbracht werden, in Bayern Scharwerk genannt. Die endgültige Lösung der nach Aufhebung der Leibeigenschaft verbliebenen gründ- und gerichtsherrschaftlichen Bindungen brachte das «Gesetz über die Aufhebung der Standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhe­ bung, Fixirung und Ablösung von Grundlasten» vom 4. Juni 1848. Soweit nicht entschädigungslos aufgehoben, wurden die Grundlasten fixiert, das heißt in einen jährlich zu zahlenden Bodenzins umgewandelt und mit dem Faktor 18 kapitalisiert. Die so errechnete Ablösungsschuld konnte durch Barzahlung ge­ tilgt oder auf der Basis einer vierprozentigen Verzinsung verrentet werden. Die letzten Rentenzahlungen liefen mit der Währungsreform 1923 aus. Die Ablö­ sung von Forstrechten wurde im «Forst-Gesetz» vom 28. März 1852 geregelt. Auf Grund der genossenschaftlichen Bindungen war der Bauer auch in der Bewirtschaftung des von ihm genutzten Grund und Bodens nicht frei. Er war eingezwängt in die vor allem mit der alten Dreifelderwirtschaft verbundene Flurordnung, welche die Dreiteilung der Flur in Winterfeld, Sommerfeld und Brachfeld ebenso einschloß wie die genaue Festlegung des einzelbetrieblichen Viehbestandes, der auf die Gemeinschaftsweide oder auf das Brachfeld getrie­ ben werden durfte. Der so praktizierte Flurzwang umfaßte auch die Festlegung einheitlicher Sä- und Erntetermine. Das Kernstück der Aufhebung der genos­ senschaftlichen Bindungen war die Aufteilung der in Gemeineigentum stehen­ den Flächen, der Allmende (oder Gemeinheit), durch die Gemeinheitsteilungen und ihre Zuteilung an die anteilsberechtigten Betriebe. Die innere Verkehrsla­ ge2 der Betriebe konnte durch die dadurch ermöglichte Arrondierung erheblich verbessert werden. Weitere wichtige Voraussetzungen für die Verfügbarkeit über das erlangte Eigentum waren die schrittweise Aufhebung der Gebundenheit der Güter, die Hofteilungen ermöglichte, und die Einrichtung des Grundsteuerkatasters von 1808 bis 1866 (Urkataster), der als Mehrzweckkataster «zu allen Zwecken der Staatswirthschaft tauglich seyn»3 sollte. Diese Reformmaßnahmen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewirkten, daß sich allmählich eine unternehme­ risch handelnde Bauernschaft entwickeln konnte. Sie waren auch Vorausset­ zung dafür, daß der Bauernstand, der um die Jahrhundertmitte noch rund zwei 2 Die innere Verkehrslage wird bestimmt durch Zahl und Größe der bewirtschafteten Teilstücke und deren Entfernung vom Hof.

3 Instruktion für d. bey d. Steuer-Messung im Königreiche Baiern arbeitenden Geome­ ter u. Geodäten, 1808, 1.

J n. Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen (A. Seidl)

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Drittel (1840: 65,7%) der Bevölkerung umfaßte, als staatstragendes gesellschaft­ liches Element fungieren konnte und auch so gesehen wurde. In der Pfalz wurden die feudalrechtlichen Bindungen bereits in der Zeit der französischen Besetzung mit Erlaß vom 26. März 1798 aufgehoben. Diese einer Bauernbefreiung gleichkommenden Errungenschaften wurden später auch von der bayerischen Regierung nicht mehr angetastet. Die agrarstrukturellen Verhältnisse vor den Agrarreformen waren gekennzeich­ net durch ein Nebeneinander von Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben. Gemäß der alten Hoffußeinteilung entsprechen der erstgenannten Kategorie die Ganzhöfe (1/1-Höfe), Huben ( 1/2-Höfe) und Lehen (1/4-Höfe), der letztgenannten die Sölden (1/6—1/32), wobei den Sölden auch die Leersölden, das heißt die An­ wesen ohne landwirtschaftlichen Grundbesitz, zugeordnet waren. Die Gruppe der Sölden überwog gemäß einer Zählung von 1781 mit 62% bei weitem.4 Sie repräsentierte gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung, die ganz oder weitge­ hend von der eigenen Scholle lebte, die unter- und nebenbäuerliche Schicht. Ihr zuzurechnen ist die Gruppe der Inleute und des Gesindes, die weder über Haus- noch Grundbesitz verfügte. Erste genauere agrarstrukturelle Daten für die Zeit nach den Reformen liegen aus dem Jahre 1853 vor. Die durchschnitt­ liche Betriebsgröße lag damals bei 4,5 Hektar (14,5 Tagwerk), was den Fortbe­ stand der bäuerlich ausgerichteten Landwirtschaft bestätigt. Die günstigsten Strukturverhältnisse fanden sich in Oberbayern, die ungünstigsten in Unter­ franken und der Pfalz. Der bäuerliche Betrieb mit Familien- oder Gesindear­ beitsverfassung erwies sich in den Agrarkrisen des 19. und 20. Jahrhunderts stets als anpassungsfähiger an sich ändernde Betriebsbedingungen und damit krisen­ fester als der große Grundbesitz. Der hohe Anteil des Kleinbauerntums hat freilich eine negative Kehrseite in ökonomischer wie in gesellschaftlicher Hin­ sicht, die schon Carl Fraas (1810-1875) in seiner 1866 erschienenen Schrift «Die Ackerbaukrisen und ihre Heilmittel» in drastischem Bild beschreibt: «