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German Pages 34 [32] Year 1954
BERICHTE Ü B E R D I E VERHANDLUNGEN D E R SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische
Klasse
Band 100 . Heft 4
EDUARD
ERKES
D I E ENTWICKLUNG D E R CHINESISCHEN GESELLSCHAFT VON D E R URZEIT BIS ZUR GEGENWART
1953 AKADEMIE-VERLAG
• BERLIN
V o r g e t r a g e n in der S i t z u n g v o m 15. N o v e m b e r 1 9 5 2 M a n u s k r i p t eingeliefert a m 1. D e z e m b e r 1 9 5 2 D r u c k f e r t i g erklärt a m 11. März 1 9 5 3
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Veröffentlicht unter der Lizenz-Nr. 1217 des Amtes f ü r Literatur und Verlagswesen" der Deutschen Demokratischen Republik Satz und Druck: Tribüne Druckerei I I I Leipzig 111/18/36 Bestell- und Verlagsnummer: 2026/100/4 Preis: DM2,90 Printed in Germany
Es ist zweifellos recht gewagt, die vieltausendjährige Entwicklung eines Fünfhundertmillionenvolkes im Rahmen eines Vortrages behandeln zu wollen. Aber wenn man die gesellschaftliche Struktur Chinas überhaupt verständlich machen will, so läßt sie sich nicht anders behandeln denn als Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses. Nur die Gesellschaft des alten China zu behandeln, wäre ein antiquarisches Thema, das nur für Historiker und Soziologen von Fach Interesse hätte. Die Gesellschaft des heutigen China aber, die natürlich das allgemeine Interesse beansprucht, ohne ihre Vorgeschichte zu behandeln, wäre oberflächlich und würde zu irreführenden Ergebnissen leiten. Denn jeder Zustand bedarf zu seinem wirklichen Verständnis der Kenntnis des vorhergehenden Zustandes, und die Verwirklichung dieser Erkenntnis führt notwendig bis in die Anfänge der erkennbaren Geschichte zurück. Wie es darum, um Mao Tse-tung's Worte zu gebrauchen, das praktische Ziel der chinesischen Politik ist, aus dem alten China das neue zu schaffen, so ist es die theoretische Hauptaufgabe der heutigen Sinologie, aus dem alten China das neue zu erklären. So müssen wir bei der vergleichenden Betrachtung der gesellschaftlichen Verhältnisse Chinas dort anfangen, wo der chinesische Mensch zuerst auftritt, nämlich beim Sinanthropus. Die ältesten Menschenreste, die wir aus China kennen, sind die bei Peking gefundenen des Sinanthropus pekinensis, des Pekinger Affenmenschen. Das Alter dieser Menschenspezies wird auf etwa eine halbe Million Jahre geschätzt; aber trotz dieses gewaltigen Zeitabstandes besteht kein Zweifel daran, daß der Sinanthropus der direkte Vorfahr des heutigen Chinesen ist, wie gewisse körperliche Übereinstimmungen beweisen, die der Sinan-
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thropus mit dem heutigen Chinesen allein gemeinsam hat. Die Funde des Sinanthropus zeigen, daß er trotz mancher tierischer Merkmale bereits ein wirklicher Mensch war, der auch schon Werkzeuge herstellte, was ja das wesentlichste Unterscheidungsmerkmal der menschlichen von der tierischen Existenz ist, und sie verraten uns auch einiges über sein geistiges und damit sein gesellschaftliches Leben. Man hat nämlich von ihm eine größere Anzahl Schädel in sogenannten Nestern zusammen gefunden, und nach allen ethnologischen und prähistorischen Analogien kann das nur bedeuten, daß der Sinanthropus die Schädel der Toten aufhob, weil er mit ihnen eine besondere Vorstellung verband, nämlich den Glauben an eine im Schädel lebende Seele, und sich durch Verehrung der Totenseelen mit den verstorbenen Stammesgenossen verbunden fühlte. Diese Sorge für die Verstorbenen aber setzt voraus, daß der Sinanthropus in größeren Gemeinschaften lebte und nicht in kleinen familialen Vereinigungen, und daß damit unter den Mitgliedern der Horde eine gemeinschaftliche Tätigkeit und ein auf dieser beruhendes Gefühl der Zusammengehörigkeit bestand, das auch die Toten einschloß. Die Weiterbildung des Sinanthropus und der urgesellschaftlichen Verbände, in denen er bereits lebte, ist einstweilen nur sehr undeutlich und in vereinzelten Spuren zu erkennen. Zweierlei aber dürfen wir auf Grund unserer gegenwärtigen Kenntnisse doch bereits als erwiesen annehmen: 1. die Entwicklung des östlichen Menschen hat sich unabhängig von der der westlichen Menschheit vollzogen; denn die eiszeitliche Vergletscherung Zentralasiens in der Frühzeit des Menschengeschlechtes schloß jeden Verkehr zwischen beiden Sphären aus, und 2. die Entwickwicklung des Urchinesen ist im wesentlichen mit der anderer Primitivkulturen parallel gegangen. Das zeigen sowohl die anthropologischen Funde, die eine Entwicklung vom Sinanthropus über eine dem europäischen Neanderthaler analoge Stufe zu dem im Neolithikum bereits vorhandenen Typ des heutigen Chinesen, aber keine Beeinflussung durch Einwanderungen erkennen las-
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sen, wie die technisch-kulturelle Entwicklung, die sich zusammenhängend von einer paläolithischen Stufe über ein Mesolithikum zu einer jungsteinzeitlichen Kultur entwickelt hat, die in die historischen Altkulturen übergeht. Die Entwicklung der Urgesellschaft aber erlaubt uns die Überlieferung zu verfolgen, die angesichts der ununterbrochenen Kontinuität des Geschichtsablaufes niemals aufgehört hat, und deren Angaben durch die aus Sprache und Schrift, Ritus und Sitte zu gewinnenden Aufschlüsse überall bestätigt werden. Die chinesische Volksüberlieferung hat die Erinnerung an einen Urzustand bewahrt, in dem die Menschen mit den Tieren auf einer Stufe standen und sich nur durch eine überlegene gesellschaftliche Organisation von den andern Geschöpfen unterschieden. Man kannte aber noch keine Fürsten und keine Vornehmen, sondern lebte in einer klassenlosen Urgesellschaft, in der die Menschen nur ihre Mutter, aber nicht ihren Vater kannten, in der es also noch keine festen Eheformen gab. Diese mutterrechtliche Organisation der Urgesellschaft wird durch zahlreiche Angaben bestätigt, die sich namentlich aus der soziologischen Nomenklatur ergeben. Ein mutterrechtlicher Urzustand ergibt sich aus den Bezeichnungen der alten Gesellschaftsverbände. So ist das Zeichen für Sippe, shih, R das Bild pf einer schwangeren Frau, nach alter Erklärung der Stammutter, von der die Sippe sich herleitete. Ebenso ist das Zeichen K, Volk, das Bild einer Frau ^ , die ebenfalls durch eine Verdickung als Stammutter des Volkes gekennzeichnet ist. Das Zeichen für Familie endlich, hsing ü , ist aus Frau + gebären zusammengesetzt, bezeichnet die Familie also als das von der Frau Geborene, als die von der Mutter hergeleitete Organisation. Wie überall war die Arbeitsteilung in der Urgesellschaft Chinas die, daß der Mann Jäger war und für die Fleischnahrung sorgte, die Frau dagegen, die durch die Sorge für die Kinder weniger beweglich war, für die Pflanzennahrung. Dadurch gelangte die Frau zuerst zum Pflanzenanbau und war auch in China die Erfinderin des Ackerbaues und der damit eng zusammenhängenden Kleintierzucht. Die
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Zucht der Schweine, neben den Hunden der ältesten Haustiere der Chinesen, ist von Anfang Frauensache gewesen, wie das Zeichen chia , das zuerst das Haus der Frau bedeutet und dann die Bedeutung „Familie" angenommen hat, ein Schwein unter einem Dache zeigt, die mutterrechtliche Familie also zugleich als die Stätte der Schweinezucht bezeichnet. Den mutterrechtlichen Charakter der urchinesischen Haushaltung kennzeichnet auch das Zeichen ngan „Friede", das eine Frau unter einem Dache zeigt, also einen geordneten Haushalt, der eine Herrin hat. Mutterrechtliche Verhältnisse haben in China in mancher Hinsicht noch bis weit in historische Zeit hinein geherrscht und sich in Resten stellenweise bis ins Mittelalter erhalten. Besonders die alten Volkslieder lassen dies erkennen. So klagt in einem ein Mädchen, daß sie den geliebten Mann nicht heiraten könne, weil sie nicht imstande sei, ihn zu ernähren — die Frau war also die Ernährerin der Familie, mithin im Besitz der Produktionsmittel und damit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Macht. Als Besitzerin des familialen Eigentums vererbte sie dieses auch auf ihre Kinder. Erbrecht und Erbfolge waren also anfangs mutterrechtlich, worauf auch die Bruderfolge des Altertums und die Vorzugsstellung des älteren Bruders gegenüber dem jüngeren zurückgehen; die Söhne derselben Mutter traten nacheinander ihr Erbrecht an. Auch politisch und militärisch — beide Begriffe hingen in der Urzeit aufs engste zusammen — war die Frau dem Manne ebenbürtig, außer direkten Nachrichten bestätigen dies auch wieder Schriftzeichen wie wei gSc „furchtbar, ehrfurchtgebietend", das eine durch einen Strich über dem Kopf als Führerin gekennzeichnete Frau und über ihr eine Streitaxt zeigt. Die kriegerische Betätigung der Chinesin, von der wir in den letzten Jahren soviel erfahren haben, geht also auf uralte Tradition zurück, und in der Tat ist die Amazone der Urzeit mit der Partisanin der Gegenwart durch eine lange Reihe von Kriegsheldinnen verbunden, von denen manche in Roman und Drama gefeiert worden sind. Mit der gesellschaftlichen Führerschaft der Frau war die geistig-religiöse eng verbunden; der
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öffentliche und private Kultus lag überwiegend in den Händen von Schamaninnen. Reste dieser Einrichtungen erhielten sich lange; in Nordost-China war noch im 2. Jahrhundert n. Z. die älteste Tochter des Hauses Familienpriesterin und religiöse Repräsentantin, also das geistige Haupt der Familie, und ähnliches wird aus dem Altertum öfters berichtet. Die politische Bedeutung der Schamanin zeigt sich auch in späterer Zeit immer wieder; noch im 18. und 19. Jahrhundert sind Schamaninnen als Führerinnen von Bauernaufständen hervorgetreten. Das Verhältnis der Frau zum Manne wird am besten charakterisiert durch die aus den alten Volksliedern überall hervorgehende Tatsache, daß bei der Werbung das Mädchen der aktive und aggressive Teil war; sie trug sich dem Manne an, besuchte ihn nachts und freite um ihn. Es müssen also ähnliche Verhältnisse geherrscht haben wie heute bei primitiven Stammesverwandten der Chinesen in Hinterindien, etwa den Laos, bei denen das Mädchen den auserwählten Jüngling mit Hilfe ihrer Freundinnen überfällt und in den Urwald entführt. Reste der für die Zeit des Mutterrechts charakteristischen Eheformen, der Gruppenehe, der Geschwisterehe und des Levirats, sind auch für China noch nachzuweisen. Der Mann war in der Urgesellschaft nur ein familialer Außenseiter, der ein schweifendes Leben als Jäger und Krieger führte und in eignen Männerbünden organisiert war, die Frau nur zeitweilig besuchte und ihr in seiner familialen Stellung untergeordnet war. Diese aber hob sich in demselben Maße, wie der Mann Arbeiten übernahm, die zuerst der Frau allein zugefallen waren, vor allem, als ihm mit dem Zurücktreten der Jagd als wirtschaftlichen Faktors mehr und mehr die immer umfangreicher werdende Bodenbebauung zufiel. Daß das schon früh geschehen sein muß, zeigt das Zeichen nan , das aus Feld + Kraft (wahrscheinlich das Bild einer Schaufel oder eines ähnlichen Ackergerätes) zusammengesetzt ist, eigentlich also einen Ackerbauer bezeichnet, aber seit jeher für den Begriff Mann schlechthin gebraucht worden ist, den Feldbau also als dessen eigentliche Tätigkeit
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charakterisiert. Infolge seiner größeren körperlichen Kraft konnte der Mann hierin mehr leisten als die Frau, und so wurde deren Tätigkeit mehr und mehr auf die häuslichen Arbeiten und andere Leistungen zweiten Ranges, wie Spinnen und Weben, beschränkt, während die eigentliche Erwerbsquelle mit dem Bodenbau in die Hände des Mannes kam und ihn damit zum Eigentümer der Produktionsmittel und zum dominierenden gesellschaftlichen Element werden ließ. Diese Entwicklung von der mutterrechtlichen zur vaterrechtlichen Gesellschaft hat sich natürlich sehr langsam und in verschiedenen Gegenden zu sehr verschiedener Zeit vollzogen; im Altertum und noch bis in die neueste Zeit hinein war die Stellung der Frau sowohl in den einzelnen Landesteilen wie in den Bevölkerungsklassen sehr verschieden. Die alten Formen der Gemeinschaftsehe aber wichen nach und nach der vaterrechtlichen Einzelfamilie; die freie Gattenwahl der Mädchen wurde zuerst durch den Brautraub, dann den Brautkauf ersetzt, ohne aber ganz aufzuhören; Reste davon haben sich unter der bäuerlichen Bevölkerung stellenweise bis heute erhalten. Die Entwicklung der Stellung der Frau in der Frühzeit veranschaulichen mehrere Schriftzeichen, die offenbar aus verschiedenen vorgeschichtlichen Perioden stammen und zusammen mit den sozialen Wandlungen entstanden sind, die sie darstellen: nü das Bild eines Frauenkörpers $, bezeichnet das Weib im allgemeinen und speziell das Mädchen, also die Frau im ursprünglichen, sozusagen natürlichen Zustand, in dem sie sich selbst erhält und vom Manne unabhängig ist, daher auch das freie Verfügungsrecht über ihren Körper und ihr Eigentum mit Einschluß ihrer Kinder hat. ch'i mit dem Wort ch'i ^ „gleich" identisch, bezeichnet die dem Manne gleichgestellte Frau, also die Position der Frau in der Zeit des Übergangs vom Mutterrecht zum Vaterrecht. ch'ie =£5, vom Verbum chie££ „nehmen" abgeleitet, bezeichnet die Genommene, also geraubte Frau. Das Zeichen gehört wie die Sitte, die es darstellt, in die erste Zeit des Vaterrechtes und
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bezeichnet späterhin die Nebenfrau, während ch'i für die höherstehende Hauptfrau gebraucht wird. fu mit dem gleichlautenden fu „ducken" verwandt, bedeutet die unterdrückte, vom Manne erhaltene und daher abhängige Frau, und ist der Ausdruck des vollen Yaterrechtes. Die Frau wurde durch den Raub und in viel höherem Maße durch den Kauf Eigentum des Mannes, wie auch das Wort nu Sklave, das aus Frau + Hand zusammengesetzt ist, eigentlich eine genommene Frau bezeichnet. Dieselbe Stellung nahmen in der vaterrechtlichen Familie die Kinder ein, die ebenfalls als Sklaven galten; das Wort nu ^ Kind ist aus Kind + Sklave zusammengesetzt und etymologisch wohl mit nu#£ Sklave identisch. Dieser rein vaterrechtliche Charakter der Familie ist bis in den Anfang unseres Jahrhunderts und im wesentlichen bis zum Siege der Revolution von 1949 bestehen geblieben, obgleich die wirklichen Verhältnisse wesentlich anders aussahen und die theoretische Rechtlosigkeit der Frau mit der dominierenden Stellung, die sie praktisch zu allen Zeiten und in allen Klassen in der Familie einnahm, stark kontrastierte. Die Gesellschaftsordnung des frühgeschichtlichen China war also trotz mancher Nachwirkungen mutterrechtlicher Verhältnisse als Ganzes bereits vaterrechtlich und beruhte einmal auf dem von Männern betriebenen Ackerbau, anderseits auf der Notwendigkeit, diese Wirtschaftsgrundlage und die auf ihr beruhende Staats- und Gesellschaftsverfassung gegen äußere Angriffe zu schützen. Das bedingte eine Arbeitsteilung, die sich zu einer Klassenordnung auswuchs. Zu Anfang waren alle Stammesgenossen zugleich Bauern und Krieger. Die Familien waren zu größeren Verbänden zusammengeschlossen, die angeblich immer 100 Einzelfamilien umfaßten und deren Namen sie schon als militärische Organisationen ausweist; sie hießen tsu M, was aus Fahne 4- Pfeil zusammengesetzt ist fp, also die einer Fahne folgenden Schützen bezeichnet. Es handelte sich um Phratrien, wie auch überliefert ist, daß Brüder im Gefecht zusammenzustehen pflegten.
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Aus dieser allgemeinen militärischen Organisation scheint sich schon früh ein Berufskriegertum ausgesondert zu haben. Die Mitglieder dieser Kriegerkaste hießen shih - t , ein Wort, das ursprünglich die Bedeutung „Jüngling" hatte und in den Volksliedern des Shih-ching noch ausschließlich in diesem Sinne gebraucht wird. Es sind also anfangs die Waffenfähigen überhaupt, dann diejenigen, die das Waffenhandwerk zu ihrem Sonderberuf machten. Diese Leute, die meist gegen die noch nicht zum Ackerbau übergegangenen, auf der Jäger- oder Nomadenstufe stehenden und stets zu Überfällen auf die Ackerbauer bereiten Nachbarstämme im Felde standen, konnten und wollten ihre Felder nicht mehr selbst bestellen, sondern wurden von den Bauern erhalten, die dafür selbst nur noch in Ausnahmefällen Kriegsdienst leisteten. Es bildete sich also eine Klassenteilung heraus, und diese Klassengesellschaft brauchte und schuf sich als politisches Organ ihrer Herrschaft einen Staat, zu dem ebenso wie zu der ihn bedingenden Gliederung der Gesellschaft sich schon vorher Ansätze finden. Schon die klassenlose Urgesellschaft kennt ein Häuptlingstum, zuerst in Form des nur für den Kriegszug gewählten Führers, dann auch in der des ebenfalls gewählten und wieder absetzbaren Friedenshäuptlings. Beide Würden lassen sich auch für das alte China erschließen. Kriegshäuptling war der h o u ^ , das Zeichen, zusammengesetzt aus Mensch, Pfeil und Arbeit, weist darauf hin, daß es ursprünglich wohl der beste Bogenschütze war. Ihm gegenüber stand als Friedenshäuptling der po f 6 , nach der Zusammensetzung des Zeichens aus Mensch + weiß der Weißhaarige, also der Stammesälteste. Beide Funktionen vereinigt in sich der wang, ^ , das gewöhnlich mit König übersetzte Zeichen ist das Bild eines Nephritszepters, bezeichnet ihn also als den Szepterträger. Der König bildet zusammen mit dem nach seiner militärischen Stellung und dem damit zusammenhängenden Anteil an den Einkünften gegliederten Adel, dessen Mitglieder nun mit dem Wort shih bezeichnet werden, eine privilegierte Klasse, die von der Arbeit der Bauern erhalten wird. Neben dieser
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gab es noch eine zweite herrschende Klasse, die der Priester, die sich überall aus dem alten Schamanentum entwickelte, in China aber besondere Bedeutung erlangte durch Umstände, die wir unten kennen lernen werden. Die tragende Klasse der Bevölkerung, die Bauernschaft, lebte unter Verhältnissen, die wesentlich von denen abwichen, die in der mittelmeerisch-abendländischen Kultur bestanden. Die chinesische Landwirtschaft beruhte von jeher auf einem komplizierten Bewässerungssystem, das im Norden auf der Wasserdurchlässigkeit des Löß, der fast ganz Nordchina bedeckenden Lehmformation, beruhte, im Süden aber durch die starke Wasserbedürftigkeit des Reises, der wichtigsten Nahrungspflanze dieser Gebiete, bedingt wird. Die dafür notwendigen Wasserbauten und die mit dieser Wirtschaftsweise verbundene intensive Terrassenfeld- und Gartenbauweise, die eine sorgfältige individuelle Betreuung jeder einzelnen Pflanze erfordert, können nur von Bauern betrieben werden, die ein enges persönliches Interesse an ihrer Arbeit nehmen, also mit freien Leuten, nicht aber mit Zwangsarbeitern, denen ein solches notwendig fehlt. Die chinesische Produktionsweise hat also die Verwendung unfreier Arbeit immer ausgeschlossen, und demgemäß hat die gesellschaftliche Entwicklung Chinas im Gegensatz zur abendländischen keine Periode der Sklavenwirtschaft und Sklavenhaltergesellschaft durchgemacht. China steht hiermit übrigens nicht allein; auch Ägypten, dessen Produktionsweise mit der chinesischen eine gewisse Ähnlichkeit hat, kannte keine Sklavenarbeit in der Landwirtschaft, und ähnliche Verhältnisse haben auch in Altamerika, besonders in Peru, geherrscht. Infolgedessen hat es in China auch nie eine Versklavung von Kriegsgefangenen gegeben, mit denen man ja nichts hätte anfangen können, und ebensowenig eine Herabdrückung einheimischer Bevölkerungsteile in den Stand der Unfreiheit. Die Sklaverei war in China immer nur Haus- und Luxussklaverei und betraf im Altertum im allgemeinen Frauen. Das geht, außer aus direkten Angaben, namentlich aus den Schriftzeichen für Sklaven hervor, die fast sämtlich weibliche
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Wesen bezeichnen. Die Sklaven rekrutierten sich aus Frauen und Kindern, die von ihren Männern oder Vätern verkauft worden waren, oder aus den Angehörigen hingerichteter Verbrecher, die zu Staatssklaven gemacht wurden. Die Arbeiten, die ihnen oblagen, sind im einzelnen überliefert. Bei der Landwirtschaft und den damit zusammenhängenden Fronarbeiten, wie Deichbauten usw., wurden Sklaven nie eingesetzt; denn dafür konnte man nur freie Bauern brauchen, die an ihrer Arbeit ein persönliches Interesse nahmen und sie mit der nötigen Sorgfalt verrichteten. Diese besondere Stellung der Bauern gab auch der chinesischen Feudalgesellschaft ein besonderes Gesicht. Das ganze Land war nominell Eigentum des Königs, der es an die hohen Mitglieder der Adelshierarchie als Lehen vergab, die wieder Unterlehen an die niedern Adligen verliehen. Sie leisteten dafür Tributzahlungen und Kriegsdienste, für die die Bauern herangezogen wurden. Die Bauern bearbeiteten das ihnen verpachtete Land nach Gemeinden oder Sippen, was gewöhnlich dasselbe war; sie bestellten einen Teil des Landes gemeinsam und lieferten von diesem die an den Grundherrn zu zahlenden Pachtleistungen ab; das übrige Land wurde jedes Jahr neu unter die einzelnen Familien verteilt und jedenfalls, wie zu allen späteren Zeiten, auch gemeinsam bearbeitet. Außerdem hatten sie Fronarbeiten und im Notfall Kriegsdienste zu leisten. Ihre Stellung unterschied sich aber von der des abendländischen Bauern zur Feudalzeit dadurch, daß sie weder an den Grundherrn noch an die Scholle gebunden waren. Da es keine Sklaverei gegeben hatte, gab es auch deren abgeschwächte Form, die Leibeigenschaft, nicht. Die Bauern waren ohne Zweifel ökonomisch äußerst bedrückt, aber persönlich frei. Wurde ihnen der Druck zu stark, so wanderten sie gemeindeweise in ein anderes Land ab, in dem sie bessere Lebensverhältnisse erhofften; das Recht dazu war sogar in eignen gesetzlichen Bestimmungen niedergelegt, die noch erhalten sind. Ein bei einer solchen Gelegenheit gesungenes Spottlied ist noch erhalten; die Bauern ver-
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höhnen darin den Lehnsfürsten, der sie drei Jahre lang ausgebeutet hatte — woraus ersichtlich ist, daß solche Auswanderungen ziemlich häufig stattfanden — und singen von ihrer künftigen Heimat „dort finden wir unser Recht". Der Bauer betrachtete es also immer als sein Recht, sich dem feudalen Druck zu entziehen, war also nie eine Knechtseele, sondern immer ein Revolutionär, der nie eine Leibeignenmentalität besaß, was für das Verständnis seiner Rolle in der Gesellschaft bis zur unmittelbaren Gegenwart von grundlegender Bedeutung ist. Da das notwendige Korrelat einer Feudalklasse, die unfreie Unterklasse, in China also fehlte, war der chinesische Feudalismus ein viel schwächerer Machtfaktor als der europäische, und dies umsomehr, als ihm in der Priesterschaft ein Gegenfaktor entgegenstand, dem die Eigenart der chinesischen Produktionsweise zu besonderm Einfluß verhalf. Denn die komplizierten Wasserbauten, ihre Errichtung und Instandhaltung und die daran geknüpften mannigfachen Verwaltungsaufgaben erforderten nicht nur interessierte Kräfte, die sie ausführten, sondern auch sachkundige und intelligente Köpfe, die sie leiteten. Die dafür notwendigen Kenntnisse aber besaß weder der bäuerliche Handarbeiter noch der adlige Kriegsmann; die waren nur bei den Wissenden zu finden, bei den Vertretern des ersten Berufes, der sich in der Urgesellschaft von den übrigen Stammesgenossen abgrenzte und ihr erster geistiger Führer wurde, dem der Zauberer oder Priester. Aus diesen wurden die Beamten des entstehenden Staates, die dessen wirtschaftliche und kulturelle Aufgaben übernahmen und in der Politik den regierenden Adel bald zurückdrängten. Bezeichnend hierfür ist der Bedeutungswandel des Ausdrucks shih, der schon in der Literatur des Altertums oft einen Beamten statt eines Adligen bedeutet, der also an Stelle des Ritters getreten war, und dann die noch heute übliche Bedeutung „Gelehrter" annimmt. Beamter und Gelehrter war immer dasselbe, wogegen der religiöse Charakter des Priesters früh zurücktritt. Denn die religiöse Denkweise wurde als weltanschauliche Stufe dank dem eigentümlichen Charakter der
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chinesischen Produktionsweise früh überwunden, da diese den Menschen weitgehend von der Natur unabhängig macht und sein Geschick in seine eignen Hände legt, der religiöse Mittler also auch dem weltlichen geistigen Führer weichen muß. Eine außerordentliche Machtfülle aber behielten die Priester auch aus ihrer religiösen Stellung noch durch das Orakelwesen, das in ihren Händen lag und im alten China keine geringere Rolle spielte als etwa in der europäischen Antike. Wie groß diese war, zeigt die Stellung, die die Priester in der Verfassung der zweiten historischen Dynastie Shang (1550—1050) einnahmen; bei der Entscheidung öffentlicher Angelegenheiten behielten sie durch die in ihren Händen liegenden Orakel gegenüber den drei andere gesellschaftlichen Faktoren, König, Adel und Volk, in allen Fällen recht. Der Priesterstand war ursprünglich wohl erblich, gab dieses Prinzip aber früh auf; schon in der Verfassung der dritten Dynastie Chou ist der Aufstieg begabter Angehöriger der unteren Volksklassen in die beamtete Oberschicht vorgesehen, ein Prinzip, das immer beibehalten wurde und die Erhaltung der privilegierten Stellung der Beamtenklasse wie auch die Existenz des chinesischen Staates bis in die Gegenwart gesichert hat. Die Ausbildung einer bürokratischen Staatsverfassung führte nun zeitig zur Bildung von Verwaltungsmittelpunkten, befestigten Stadtanlagen, wie sie schon die am Beginn der Geschichte stehenden Staatswesen gekannt haben. Denn bereits im Neolithikum haben sich Stadtanlagen von ganz ansehnlicher Größe gefunden, und die um 1400 gegründete Hauptstadt der Shang besaß schon die Dimensionen einer modernen Großstadt. Der Umfang der alten Städte zeigt, daß der Ackerbau damals schon hochentwickelt gewesen sein muß; denn seine Erträge mußten sehr hoch sein, um einen so großen Teil der Bevölkerung, wie ihn die Städte umfaßten, von der Landwirtschaft freizustellen und in andere Berufe übergehen zu lassen. Denn außer den Beamten und ihrem Personal wohnten in den Städten jedenfalls schon viele andere Leute, vor allem Handwerker und Kaufleute.
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Die frühe Existenz eines besondern Handwerkerstandes bezeugen die Produkte des Kunsthandwerks, die sich schon in der ausgehenden Steinzeit, in höchster Vollendung aber seit der Shang-Zeit finden. Diese Töpfereien, Schnitzwerke, Lackarbeiten, vor allem aber die technisch und künstlerisch bis heute unübertroffenen Bronzen sind nicht von Bauern in ihren Mußestunden gefertigt, sondern setzen berufsmäßige, hochspezialisierte Kunsthandwerker voraus, wie sie auch in der Verfassung der Chou mit allen Einzelheiten ihrer Berufstätigkeit aufgeführt werden. Das Bestehen eines Kaufmannsstandes in der Frühzeit könnte schon aus der Existenz des Kunsthandwerkes allein erschlossen werden; denn dessen Erzeugnisse konnten ja nicht nur an einem Platze abgesetzt werden, und da der Meister sich selbst nicht auf längere Zeit von seiner Werkstatt entfernen konnte, bedurfte es dafür eines berufsmäßigen Vermittlers. Daß es auch in China wie im Westen schon in vorgeschichtlicher Zeit Handel gab, beweisen Funde wie die im Nordwesten gemachten von Kaurimuscheln, den ältesten Scheidemünzen, die einen durch ganz Nordchina von der Meeresküste bis an die Grenzen Zentralasiens reichenden Handelsverkehr im Neolithikum zeigen. Daß auch Nahrungsmittel unter den Handelswaren vorkamen, zeigen Funde von Reiskörnern in einer steinzeitlichen Schale in Honan. Reis wächst in dieser Gegend nicht mehr, er muß also von Süden importiert worden sein. Das gleiche verrät das Schriftzeichen für Kaufmann, ku das aus dem Bilde einer Amphora, der üblichen Form des Weinkruges, und einer Kaurimuschel besteht, den Kaufmann der Urzeit also als Weinhändler charakterisiert; das chinesische Zeichen ist übrigens ein genaues Gegenstück zu dem deutschen Wort Kaufmann, das ja auch vom lateinischen caupo, Schankwirt, kommt. Die Bedeutung des Handels im Altertum spiegelt sich auch in der früh beginnenden Merkantilisierung der Sprache wider; die Worte werden mit Zählwörtern versehen und dadurch, wie Marx diese Erscheinung im ersten Kapitel des Kapital charakterisiert, als Gebrauchs-
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werte gekennzeichnet. Das beginnt schon auf den Inschriften der Shang-Zeit, auf denen Ausdrücke wie pei yi p'eng Jt — $)] „ein Strang Kaurimuscheln" vorkommen. In der alten Literatur erscheinen solche Zählwörter dann in steigendem Maße, wie ein Pferd als ma yi p'i ¡¡l4 — „Pferd ein paarweises" bezeichnet wird, weil die Pferde als Wagenpferde stets paarweise gebraucht wurden. In der alten Sprache werden diese Zählwörter indes nur für bestimmte Objekte verwendet und immer nachgestellt, während in der späteren Sprache jedes Substantiv mit einem Zählwort versehen und dieses vorangestellt wird, der Wertcharakter eines Dinges also als das wesentlichste an ihm betrachtet wird. Die große Rolle des Handels erhellt auch aus dem breiten Raum, der ihm im Chou-li eingeräumt wird; zugleich tritt hier schon deutlich die Tendenz auf, den Handel staatlich zu regulieren und den Kaufmann nach Möglichkeit zu beaufsichtigen, ein Zeichen, daß der Feudalismus hier einen bedrohlichen Gegner witterte, den er niederzuhalten versuchte. Die eigentliche Blütezeit des Feudalismus waren die ersten Jahrhunderte der türkisch-tibetischen Dynastie Chou, die 1050 die Shang stürzte. Die Priesterklasse wurde zurückgedrängt; die hohen priesterlichen Funktionäre, die in der Shang-Zeit die leitenden Staatsstellungen innehatten, erscheinen in der ChouVerfassung nur noch als Beamte zweiten Ranges; ja es werden sogar Versuche gemacht, sie ihrer mächtigsten Waffe, des Orakelwesens, zu berauben und dieses in die Hände weltlicher Würdenträger zu legen, dies allerdings vergeblich, vor allem wohl, weil die wesentlichste Vorbedingung für die Handhabung der Orakel, die Welt- und Menschenkenntnis des Orakeldeuters, bei den Feudalherren nicht in ausreichendem Maße vorhanden war. Doch wurde nun die feudale Hierarchie zur Grundlage des Staatswesens; zu Beginn der Chou-Zeit gab es über 1700 Lehen und Unterlehen. Aber der türkische, ursprünglich auf die Herdenwirtschaft begründete Feudalismus vermochte sich in China nicht zu halten; die unfreie Unterklasse fehlte, und die Organisation des Staates konnte das Fachbeamtentum nicht entbehren.
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Die Lehensreiche gerieten im Bemühen, ihre Machtsphäre auszudehnen, in Konflikte miteinander, in denen die meisten bald zugrundegingen. Die übrigbleibenden, besonders die großen Randländer, die sich in Nachbargebiete auszudehnen vermochten, führten beständig Kämpfe miteinander, die Bauernschaft, auf deren Rücken diese Kämpfe ausgetragen wurden, litt furchtbar, und der Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge beeinträchtigte die Einkünfte und damit die Machtstellung der Grundherren. Damit aber wurden die Städte mehr und mehr zu Zentren der Wirtschaft und Politik, der Beamte wurde der politisch, der Kaufmann der ökonomisch bestimmende Faktor. Das Schwergewicht verlagerte sich aus dem Westen, in dem das Chou-Element bestimmte, in den Osten, die Domäne der ShangKultur, dessen früher und stärker entwickelte Produktionskräfte nun eine stärkere industrielle und kommerzielle Entwicklung bewirkten, mit der auch eine besonders an den Kunstwerken zu verfolgende Renaissance der Shang-Kultur einsetzte. Seit dem 8. Jhdt. wurde im Nordosten Eisen an Stelle der Bronze für Waffen und Werkzeuge verwendet; die Bodenschätze wurden, ebenso wie der Vertrieb von Salz und Wein, dem Privathandel entzogen und zu Staatsmonopolen gemacht. Die Steuern wurden mehr und mehr in Geld statt in Naturalien erhoben, und ein reguläres Münzwesen bildete sich aus. All das zeugt vom steigenden Einfluß der nichtagrarischen Bevölkerung; das Bürgertum drängte den Adel aus den Beamtenstellen und bemächtigte sich durch sein wirtschaftliches Übergewicht nach und nach auch des Landbesitzes, bis schließlich der feudale Lehnsträger dem finanziell überlegenen Kaufmann das Feld räumen muß und die feudale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einer agrarkapitalistischen Platz macht. Bevor aber dieser Prozeß zu Ende geführt wurde, erlebte China in der Zeit zwischen 400 und 200 v. Z. den Versuch, den absinkenden Feudalismus ebenso wie die emporsteigende Bürgerschicht zugunsten der absoluten Herrschaft der wenigen Fürsten, die noch übrig waren, zu unterdrücken und einen direkt ; Eduard Krkes, Entwicklung der Chinesischen Gesellschaft
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auf ein befreites Bauerntum gestützten Einheitsstaat zu errichten. Solche Bestrebungen zeigen sich am stärksten in Ch'in im Nordwesten, wo schon um 400 formell mit der Feudalverfassung gebrochen wurde. An Stelle des alten Gemeindelandes, von dem die Abgaben an den Grundherrn gezahlt wurden, trat festliegendes Privateigentum der einzelnen Bauern, die nur noch dem Staate steuerpflichtig waren; der Adel verlor mit seinen Einnahmen auch seine privilegierte Stellung und wurde der übrigen Bevölkerung auch rechtlich gleichgestellt. Während aber der Kampf des fürstlichen Absolutismus gegen den Feudalismus erfolgreich war und diese Gesellschaftsform mitsamt der ihr zugrundeliegenden Wirtschaftsstruktur gänzlich vernichtete, mußte seine Bekämpfung des aufstrebenden Bürgertums notwendig scheitern. Die Versuche, den Handel einzuschränken und in die öffentliche Hand zu bringen, verliefen angesichts des Zusammenhanges zwischen Beamtentum und Bürgertum, der Abhängigkeit des Absolutismus von ersterem und der Akkumulation des Nationalvermögens durch letzteres ergebnislos, und die Reformen kamen weit weniger den Bauern als den Beamten und Bürgern zugute. Die in Ch'in durchgeführten Reformen griffen bald auf das ganze Reich über, und die auf dem Lehenswesen beruhende Kleinstaaterei hörte damit auf. Binnen einem Jahrhundert verschwanden die alten Lehensstaaten; die letzten wurden 221 v. Z. vernichtet, und das Feudalreich mußte endgültig dem Einheitsstaat Platz machen. Die Ländergrenzen fielen nun, und mit ihnen die Zollgrenzen; der Freihandel wurde im ganzen Reiche eingeführt. Die Bodenreform wurde gleichfalls überall durchgeführt; die Grundherren verschwanden, das ganze Land gehörte den Bauern, die es bebauten. Einige Jahre lang nahm der Wohlstand des Volkes darum gewaltig zu; dann aber begann sich die neue Klassengesellschaft auszubilden, die auf erneuter Ausbeutung der Bauern beruhte und der chinesischen Geschichte von nun an das Gepräge eines Klassenkampfes zwischen Grundbesitzer und Grundbearbeiter gab, der während des ganzen Mittelalters in schärfster Form mit allen wirtschaftlichen
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und politischen Mitteln geführt wurde und in etwas abgeschwächter Form noch bis in die Gegenwart andauerte. Im Gegensatz zum aristokratischen Feudalreich des Altertums war das China des Mittelalters demokratisch konstituiert. Aber man darf bei diesem Wort nicht an die Formaldemokratie des europäischen Liberalismus, noch gar an die Realdemokratie des Sozialismus denken. Sondern die altchinesische Demokratie bestand darin, daß die alte Feudalgesellschaft durch die Beamtengesellschaft abgelöst wurde, in die jeder ohne Rücksicht auf seine Herkunft durch Ablegung von Prüfungen aufsteigen konnte. Ansätze zu diesem Prinzip finden sich, wie erwähnt, schon in der Verfassung der Chou-Dynastie und gehen wohl auf die priesterliche Konstitution der Shang zurück. Rein verwirklicht wurde es nie, da für Angehörige der armen Bevölkerungsklassen die Vorbereitung zu diesen Prüfungen nur in seltenen Ausnahmefällen möglich war und außerdem Familien- und Cliquenwirtschaft Emporkömmlinge aus unteren Schichten möglichst fernzuhalten suchte. Aber grundsätzlich war es anerkannt, und damit stellt auch die gesellschaftliche Entwicklung des chinesischen Mittelalters ein eigenartiges und in seiner Art einmaliges Phänomen dar. Schon bald nach der Einigung des Reiches begann sich das vorübergehend ausgeglichene Mißverhältnis zwischen Produktionskräften und Produktionsverhältnissen wieder zu zeigen, das von jeder Klassengesellschaft untrennbar ist. Die anfangs ziemlich gleichmäßige Verteilung des Ackerlandes war von sehr kurzer Dauer; in Kriegen und andern Notzeiten, an denen es niemals fehlte, gerieten viele Bauern in Not und waren gezwungen, ihre Grundstücke zu belasten und schließlich zu verkaufen, so daß der größte Teil des Bodens bald in den Händen weniger reicher Leute, Großbauern, Beamten und Kaufleuten, konzentriert war. Es bildete sich also eine Klasse von Großgrundbesitzern aus, denen eine große Schicht von landlosen Kleinpächtern und Landarbeitern gegenüberstand, und auch die Bauern, die eignen Landbesitz hatten, waren den Großgrund2»
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besitzern oft verschuldet. An Stelle der alten Landaristokratie trat also eine Schicht von Agrarkapitalisten, deren Macht nicht mehr auf aristokratischen Privilegien, sondern auf der Grundrente beruhte. Je stärker die Konzentration des Grundbesitzes wurde, umso mehr verelendeten die Volksmassen, und umso stärker wurde der Klassenkampf. Die Notlage der Bauern, die nach wie vor die eigentlichen Träger der Wirtschaft und damit die Hauptsteuerzahler waren, steigerte sich immer wieder derartig, daß sie zuletzt zu Aufständen führte, denen die durch den Steuerausfall geschwächte Staatsmacht keinen nachhaltigen Widerstand mehr entgegenzusetzen vermochte. Die herrschende Dynastie wurde als Ausdruck der unhaltbar gewordenen politischen Verhältnisse fortgefegt, und die herrschende Klasse mußte sich zu einem Kompromiß in Form einer Agrarreform bereitfinden, mit der fast jede neue Dynastie ihre Regierung begann. Diese Agrarreformen waren gelegentlich sehr radikal und suchten das alte Gemeineigentum an Grund und Boden und damit die Agrarverfassung des Altertums, wenn nicht gar die der Urzeit, wiederherzustellen, was natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilte Utopien waren. Meist aber verliefen sie so, daß zuerst wieder eine gleichmäßige Verteilung des Bodens an die bäuerliche Gesamtbevölkerung erfolgte und gesetzlich festgelegt wurde, daß aber dann in Notzeiten sich der ökonomische Druck stärker erwies als der juristische Schutz und die Grundstücke doch wieder von wenigen Reichen zusammengekauft wurden, so daß die Masse der Bevölkerung bald wieder aus landlosen Pächtern bestand oder doch wirtschaftlich von den Grundherren abhängig war. Damit begann wieder der Prozeß der Verelendung, der schließlich eine neue gewaltsame Lösung erfuhr, nach der das alte Spiel wieder von vorn begann. Dieser sich beständig wiederholende Prozeß dauerte während des ganzen Mittelalters und mit einigen Veränderungen noch bis in den Beginn unseres Jahrhunderts an, da die Produktionsverhältnisse sich nicht mehr änderten. Ihre Änderung hätte nur durch Mechanisierung erfolgen können, die die Produktion auf
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eine höhere Stufe gehoben hätte, und eine solche erwies sich als unmöglich. Versuche dazu, so durch Anlage von Mühlen, wurden wohl gemacht, mußten aber wieder aufgegeben werden, da sie der Landwirtschaft zuviel Wasser entzogen. Wie das ökonomische, zeigt darum auch das gesellschaftliche System Chinas während dieser Zeit nur geringe Modifikationen. Auf der einen Seite stand die grundbesitzende Klasse, die mit den Feudalherren der alten Zeit aber nichts mehr gemein hatte. Die neuen Grundbesitzer waren keine Lehnsträger — Lehenswesen und Erbadel waren mit dem Ende des Feudalreiches 221 v. Z. abgeschafft worden — und besaßen keine juristischen Beziehungen zum Staatsoberhaupt, sie bildeten keinen abgeschlossenen Stand, es bestanden für sie keine Heiratsbeschränkungen und keine rechtlichen oder gesellschaftlichen Bevorrechtigungen gegenüber anderen Bevölkerungsklassen. Nur der Besitz machte die Zugehörigkeit zur Grundbesitzerklasse aus, deren Angehörige ganz verschiedene Berufe ausübten und besonders oft Beamte oder Kaufleute waren. Wer es fertigbrachte, sich seinen Anteil an der Grundrente zu sichern, trat auch in die besitzende Klasse ein, wie der, der ihn verlor, wieder aus ihr ausschied. Die Unterschicht bestand vor allem aus den Bauern, die wie im Altertum freie Leute, aber jetzt nicht mehr Angehörige einer gemeinbesitzenden Dorfgemeinde, sondern kleine Landbesitzer oder landlose Pächter waren. Der Bauer stand dem Grundherrn als freier Mann gegenüber; aber wenn ihm dieser auch nichts in seine persönlichen Lebensverhältnisse hineinzureden hatte und keinen außerökonomischen Zwang auf ihn ausüben konnte, so hatte er dafür auch nicht das patriarchalische Verhältnis, in dem der europäische Feudalherr zu seinen Hörigen stand. Er stand ihnen vielmehr wie ein europäischer Fabrikant als reiner Ausbeuter gegenüber; denn er war nicht auf die Arbeit seiner Bauern angewiesen, sondern konnte stets neue freie Arbeitskräfte bekommen. Wir haben also die eigentümliche Erscheinung, daß der Bauer in China sozial bedeutend höher stand als in der westlichen Feudalgesellschaft — wie er auch in der alten
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Gesellschaftstheorie über dem Handwerker und Kaufmann rangiert —, daß er aber ökonomisch weit stärker ausgebeutet wurde. Die Stellung der Handwerker und Kaufleute entsprach etwa der, die sie in Europa im ausgehenden Mittelalter einnahmen. Sie waren in Zünften und Gilden organisiert, die zwar starke innere Spannungen durch den Gegensatz zwischen selbständigen und angestellten sowie zwischen reicheren und ärmeren Mitgliedern aufwiesen, aber nach außen hin die gemeinsamen Berufsund Standesinteressen wahrnahmen und durch gemeinsame Planungen ihren Mitgliedern ein gewisses Einkommen zu sichern pflegten, so daß in Notzeiten regelmäßig ein starkes Abströmen der Bauern in diese einträglicheren und sicheren Berufe und eine allgemeine Landflucht einzusetzen pflegte. Wenn die Vertreter von Handwerk und Handel darum auch theoretisch hinter dem Bauern rangierten, so führten sie doch ein auskömmlicheres und bequemeres Leben, und die Möglichkeit, sich ein Vermögen zu sammeln und dadurch Eingang in die Großgrundbesitzerklasse zu finden, war bei ihnen weit eher gegeben. Ein gewisser Ausgleich vollzog sich zu Ende des chinesischen Mittelalters, im 12. bis 14. Jahrhundert, als der Großgrundbesitz, der sich auf die Dauer als unrentabel erwies, dem durch Verpachtung bewirtschafteten mittleren Grundbesitz und dem Kleinbauerntum Platz machte. Die mit dem Pachtwesen und der Armut des Kleinbauern verbundenen Mißstände hörten zwar nicht auf, weil sie aus der Gesellschaftsordnung selbst hervorgingen; daß aber tatsächlich eine relative Beruhigung eintrat, zeigt der Umstand, daß in dieser ganzen Periode, von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, nur ein einziger dynastischer Umschwung eintrat, während das Mittelalter deren etwa 20 erlebte. Kleinere Bauernaufstände hat es zwar genug gegeben, aber sie sind mit einer Ausnahme erfolglos gewesen, weil die im Mittelalter wirksamen Kräfte nicht mehr dahinterstanden. Denn die schon im Altertum angestrebte Einbeziehung der tüchtigen Kräfte des Volkes in die regierende Beamtenklasse wurde jetzt weitgehend verwirklicht. Während im Mittelalter die höheren
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Beamtenstellen hauptsächlich von Angehörigen des Großgrundbesitzertums besetzt wurden, obwohl die Ablegung der dazu notwendigen Examina für jedermann möglich war, drangen seit dem 14. Jahrhundert mehr und mehr Angehörige des Bauernund Kleinbürgertums in sie ein. Dadurch wurde die unterdrückte Masse ihrer fähigsten Elemente geradezu systematisch beraubt, und China wurde ein klassisches Beispiel für die Charakteristik, die Karl Marx (Kapital III, 649) von einer derartigen Situation gegeben hat: „Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft." Der Klassencharakter der chinesischen Gesellschaft wurde dadurch allerdings nicht abgeschwächt, sondern vielmehr gesteigert. Einmal zeigte sich auch in China das allgemeine historische Gesetz, daß der Emporkömmling ein viel bewußterer und rücksichtsloserer Vertreter der Interessen der herrschenden Klasse zu sein pflegt als der, der in ihr geboren ist. Diese allgemeine Tendenz wurde in China dadurch verstärkt, daß die Erlangung und Verwaltung einer Beamtenstelle erhebliche Aufwendungen erforderte, die ein Mann aus reicher Familie viel leichter tragen konnte als ein unbemittelter. Dieser war daher in weit höherem Maße auf die Ausbeutung des ihm unterstellten Gebietes angewiesen, und Erpressung und Bestechung spielten daher unter den beiden letzten Dynastien eine besonders große Rolle. Trotzdem aber bestand durch die Möglichkeit, selbst in die herrschende Beamtenklasse aufzusteigen und Anteil an allen Kulturgütern zu bekommen, für jeden ein Interesse an der Erhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung, und darum hat im Gegensatz zu andern alten Kulturen, deren Nutznießer eine erbliche privilegierte Schicht war, die chinesische sich immer behauptet; denn das ganze chinesische Volk hat seine Kultur, so verschieden sein Anteil daran war, immer als Gemeingut betrachtet und daher immer einmütig zu ihrer Verteidigung zusammengestanden.
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Eine Änderung dieser durch ihre innere Dynamik stabilen Verhältnisse konnte erst eintreten, als China in das Weltwirtschaftssystem hineingezogen wurde, wozu das Ausdehnungsbedürfnis des abendländischen Kapitalismus schon Ende des 18. Jahrhunderts Versuche machte, was aber erst seit dem Jahre 1834, in dem das ostasiatische Handelsmonopol der Ostindischen Kompanie aufgehoben wurde und das Handelskapital zuerst des britischen Reiches, dann der ganzen übrigen kapitalistischen Welt sich auf China stürzte, die Verhältnisse des Landes umzugestalten begann. China hätte gegen den Handel mit dem Ausland nichts einzuwenden gehabt, aber sehr viel gegen die mit politischen Konzessionen verquickten wirtschaftlichen Zugeständnisse, die es hinsichtlich der Ansiedlungsfreiheit und rechtlichen Selbstverwaltung der Ausländer machen sollte. Es hatte das sichere Gefühl, daß eine solche Eingliederung in ein fremdes ökonomisch-politisches System das Ende seiner wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Selbständigkeit bedeuten würde, und auf die Vernichtung der äußeren und inneren Unabhängigkeit Chinas war die Chinapolitik der kapitalistischen Mächte auch für die ganze Dauer ihres Einflusses in China eingestellt. Nachdem die fremden Forderungen in einer Reihe von Kriegen gewaltsam durchgesetzt worden waren, begann die Masseneinfuhr ausländischer Waren, dann auch die ausländischen Kapitals und seine Investition im Lande, wodurch die ökonomische und soziale Struktur Chinas weitgehend verändert wurde. Die Überschwemmung mit ausländischen Produkten ruinierte viele einheimische Gewerbe; die infolge der Kriege erhöhten Steuern drückten vor allem auf die notleidenden Bauern. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden durch Gewalt oder Bestechung zahlreiche Konzessionen für Bergwerke, Industrieanlagen, Bahnen und ähnliche Anlagen von Ausländern erworben, die so das Wirtschaftsleben Chinas in ihre Hand zu bekommen und das Land zu einer Kolonie des ausländischen Imperialismus zu machen strebten. Diese Absichten riefen natürlich im Lande
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Gegenströmungen hervor, die zu einer sozialen Umschichtung führten. Zunächst bildete sich eine Klasse einheimischer Auslandkaufleute heraus, die den Handel mit den der Sprache und Landessitte fast immer unkundigen Ausländern vermittelte und dabei oft sehr reich wurde, aber auch zuerst der Entnationalisierung verfiel. Dann entstand eine einheimische Industriebourgeoisie, und die durch die industrielle Entwicklung hervorgerufene Akkumulation einheimischen Kapitals führte zur Gründung von Banken, die nach europäischen Grundsätzen arbeiteten und bald auch die alten Banken in ihren Kreis einbezogen. So erwuchs eine chinesische Handels-Industrie- und Finanzbourgeoisie, wie es sie vorher nur in Ansätzen gegeben hatte. Die Entstehung einer neuen Oberschicht, die die Bevölkerung mit neuen Methoden ausbeutete, führte natürlich auch zur Herausbildung einer neuen Unterschicht, eines Industrieproletariats, das es vorher auch nicht gegeben hatte. Es rekrutierte sich vornehmlich aus den von der Umbildung am stärksten betroffenen kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, füllte die neuentstehenden Fabriken und wurde vom einheimischen wie vom ausländischen Kapital in stärkster Weise ausgebeutet. Zwischen den neuen Klassen bildete sich endlich noch eine dritte heraus, die neue Intelligenz, zunächst aus Technikern und Naturwissenschaftlern bestehend, wie die Industrie sie brauchte, dann auch aus Vertretern anderer Wissenszweige, die zuerst im Ausland, dann an neugegriindeten Hochschulen ausgebildet wurden. Diese Schicht wurde durch die von ihr am stärksten aufgenommene neue Denkweise und durch ihre oft zwiespältige und schwierige Lage ein besonders wirksames Ferment für die Umbildung der Gesellschaft. So stark die Spannungen zwischen den neuen Gesellschaftsklassen auch waren, so wurden sie doch zunächst noch zusammengehalten durch die gemeinsame Gegnerschaft gegen die Ausländer, unter denen alle litten: das Proletariat durch die Ausbeutung, die Bourgeoisie durch die Konkurrenz, die Intelligenz durch die gesellschaftliche Mißachtung. Die privilegierte
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Stellung der Fremden, die fortwährenden Einmischungen der Fremdmächte in Chinas innere Angelegenheiten und die Versuche, China durch christliche Missionspropaganda und durch Errichtung ausländischer Schulen zu entnationalisieren und auf den Stand einer Kolonie herabzudrücken, führte zu einhelligem Widerstand, an dem auch die nicht weniger schwer leidenden alten Gesellschaftsklassen teilnahmen. Gelegentlich hatten die Abwehraktionen Erfolg, besonders wenn sie in Gestalt des Boykotts fremder Waren stattfanden; im allgemeinen aber scheiterten sie an den überlegenen Machtmitteln der imperialistischen Mächte, besonders wenn versucht wurde, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen, und kosteten China durch Errichtung fremder Konzessionen und Flottenstützpunkte weitere Teile seiner Souveränität. Die letzte große Aktion dieser Art war der sogenannte Boxeraufstand von 1900, der von einem gemeinsamen Überfall der Fremdmächte auf China gefolgt wurde und seine tiefste Erniedrigung bedeutete. Aber der Konkurrenzneid der kapitalistischen Staaten verhinderte die Ausnützung des Sieges, und Chinas Wiederaufstieg begann, allerdings langsam und. mit vielen Rückschlägen. Die durch die Entwicklung unhaltbar gewordene monarchische Staatsform verschwand 1911, die Folge aber war zunächst die Auflösung des bisher noch durch die Zentralgewalt zusammengehaltenen Reiches und der offene Ausbruch der bisher latenten Klassenkämpfe, einerseits zwischen der reaktionären Beamtenschaft und der neuen Bourgeoisie, andererseits zwischen den Oberschichten und der unterdrückten Bevölkerung, den Bauern und dem aufstrebenden Proletariat sowie dem Kleinbürgertum. Die Intelligenz war, wie gewöhnlich im Klassenkampf, gespalten. Die Lage der Bauern insbesondere verschlechterte sich stetig, sowohl durch die inneren Kämpfe, bei denen sie wie seit je die Hauptleidtragenden waren, wie durch eine neu auftretende Tendenz zur Bildung von Großgrundbesitz. Die Industriellen und Auslandkaufleute fürchteten sich bei der unsicheren Lage meist, ihre Gewinne in neuen Unternehmungen anzulegen, und kauften
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statt dessen lieber Land, was eine sicherere und einträglichere Kapitalsanlage war. Auch Beamte und Offiziere legten ihre Kriegsgewinne am liebsten in Land an und vertrieben manchmal sogar Bauern, die ihres nicht hergeben wollten, mit Gewalt von ihrem Besitz. So kam es zu einer seit 600 Jahren nicht mehr dagewesenen Konzentration von Großgrundbesitz und zu einem neuen Agrarproblem. Die alten Gesetze über Landverkauf und Pacht wurden nicht mehr beachtet, und in manchen Gegenden wurden bis zu 80 Prozent der vorher selbständigen Bauern zu landlosen Pächtern. Dafür wurden sie von den militärischen Machthabern rücksichtslos besteuert, so daß sie zur Aufnahme von Darlehen gezwungen waren, was sie in noch stärkere Abhängigkeit von den Gutsbesitzern und der dörflichen Oberschicht, den Großbauern und Dorfwucherern, brachte. Große Landstrecken blieben, zum Teil mit Absicht, da die Gutsbesitzer höhere Preise zu erzielen suchten, unbestellt liegen; die Bewässerungsanlagen, auf denen die ganze chinesische Landwirtschaft beruht, wurden nicht mehr gepflegt und verfielen, und die Abwanderung der Bauern in die Städte nahm immer größeren Umfang an. Der chinesischen Bourgeoisie war diese Entwicklung ganz lieb; denn sie erhielt durch die landflüchtigen Bauern eine industrielle Reservearmee, und durch das Überangebot an billigen Arbeitskräften entwickelte sich bald ein furchtbares Fabrikelend. Nicht nur war der Proletarier gezwungen, zu jeder Bedingung und zu jedem Lohn zu arbeiten; auch Frauen und Kinder wurden, da der Lohn des Familienvaters zu ihrer Ernährung nicht auszureichen pflegte, unter den elendesten Bedingungen zur Fabrikarbeit gezwungen. In den ausländischen Fabriken waren die Zustände noch schlimmer als in den chinesischen, da selbst der geringe Schutz, den die chinesischen Gesetze dem Arbeiter zuerkannten, für die noch im Schutz der Konsulargerichtsbarkeit lebenden Fremden, besonders Engländer und Amerikaner, nicht galt. Die regierende Bourgeoispartei, die Kuomintang, tat nichts
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für die Bauern und Arbeiter, sondern förderte die katastrophale Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Sozialordnung in jeder Weise. Ihre Politik wurde systematisch vom Ausland unterstützt, besonders von Amerika, das die Notlage Chinas für seine eigenen Absatzschwierigkeiten ausnutzte und Getreide für 2 Milliarden Dollar jährlich in eines der reichsten, aber systematisch verwahrlosten Agrarländer der Erde importierte. Die chinesische Großbourgeoisie suchte ihre Herrschaft in steigendem Maße durch finanzielle und militärische Hilfe der Amerikaner zu stützen und war durchaus bereit, sich mit diesen in die Ausbeutung und Beherrschung Chinas zu teilen, um nur an der Macht zu bleiben. Die soziale und nationale Gegenbewegung blieb natürlich nicht aus. Bauern und Arbeiter organisierten sich in bewaffneten Verbänden und fanden eine politische Organisation in der Kungch'antang, der 1920 gegründeten Kommunistischen Partei Chinas. Angesichts der außenpolitischen Lage, besonders der Bedrohung durch Japan, das als kapitalistischer Hauptkonkurrent Amerikas die amerikahörige Politik der Kuomintang zu durchkreuzen suchte, arbeitete die Kungch'antang mit der Kuomintang zusammen, was zuerst auch gelang, dann durch den Verrat, den die Kuomintang 1927 an der nationalen Sache beging, vereitelt wurde, aber 1937 durch den japanischen Überfall aufs neue zustande kam. Sogleich nach Beendigung des Krieges mit Japan 1945 aber griffen die Kuomintangheere die Kommunisten wieder an, wurden aber nach anfänglichen Erfolgen von der Kungch'antang, hinter der ja praktisch das ganze chinesische Volk stand, endgültig geschlagen. Bis 1949 war die auslandhörige Kuomintang mit ihren Anhängern vertrieben, das Land geeint und vom ausländischen Imperialismus ebenso wie von seinen inländischen Unterdrückern befreit. Das Bündnis mit der Sowjetunion verlieh China die außenpolitische Sicherung, deren es zum Ausbau seiner neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und zur Neugestaltung seines nationalen Lebens bedurfte.
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Die neue Sozialordnung ist in China wie in den Volksdemokratien auf der dreifachen Umgestaltung der Produktionsverhältnisse durch Bodenreform, Industriereform und Finanzreform begründet. Die Bodenreform war in China besonders dringend und geschah in der Form, daß aller größere Grundbesitz enteignet, das ganze Land unter die Bauern gleichmäßig verteilt und Großgrundbesitz und Pachtwesen abgeschafft wurden. Jeder Bauer ist also Eigentümer seines Landes, aber die Bestellung wird gemeinsam vorgenommen. Da Verkauf und Verpachtung von Land gesetzlich unmöglich ist und die soziale Besserstellung des Bauern schon den Gedanken an dergleichen ausschließt, ist die Dauer der Reform gesichert. Ebenso gingen die Bodenschätze, die Schwerindustrie und die Banken in Volkseigentum über. Dadurch ist die Ausbeuterklasse der Großbourgeoisie, die zugleich durch ihre kosmopolitische und landesverräterische Einstellung eine nationale Gefahr bildete, vernichtet. Übriggeblieben sind die gemeinsam am Aufbau arbeitenden vier Stände, die die vier kleinen, um den die chinesische Nation vorstellenden großen Stern gescharten Sterne auf der Reichsfahne darstellen: die Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und die national gesinnte Mittelbourgeoisie. Diese vier Kategorien arbeiten unter Führung der Arbeiterklasse in einer nationalen Front am Neuaufbau Chinas, das sich als erstes halbkoloniales Land von fremder Ausbeutung befreit und dadurch dem antiimperialistischen Kampf der Kolonialvölker einen mächtigen und folgenschweren Auftrieb gegeben hat. Selbstverständlich ist auch die Gleichberechtigung der Frau nicht nur anerkannt, sondern auch tatsächlich verwirklicht; alle Berufe sind ihr zugänglich, und sie hat das uralte Recht, sich selbst zu erhalten, und damit das Recht über ihre Person wiedergewonnen. Die Struktur des heutigen China ist also die Organisation des nationalen Wiederaufbaues und als solche das Gegenteil der kosmopolitisch eingestellten Auflösungstendenzen der Kuomintang-Epoche. War diese die Negation der altchinesischen Kultur, so ist das moderne China die Negation der Negation und
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als solche dem alten China weit enger verbunden, aber auf einer höheren Ebene. Es hat auf der einen Seite die Strukturfehler des alten China beseitigt, die dessen Untergang herbeigeführt haben, und verbindet auf der anderen Seite die Erhaltung von allem, was aus der altchinesischen Kultur lebensfähig und der Erhaltung wert ist, mit der Übernahme der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Errungenschaften, die China vor allem der Sowjetunion verdankt, die darum ta lao ko, der große ältere Bruder, genannt wird, weil ihre Einrichtungen für China ebenso wie für die Volksdemokratien vorbildlich sind. So vollbringt das chinesische Volk seine Aufgabe, um Mao Tse-tung's zu Eingang zitierte Worte nochmals zu wiederholen, aus dem alten China das neue zu schaffen.
BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER
WISSENSCHAFTEN
ZU L E I P Z I G PHILOLOGISCH-HISTORISCHE
KLASSE
Band 97 H e f t l Prof. Dr. Theodor Frings:
Antike und Christentum an der Wiege der deutschen Sprache 36 Seiten • 1949
Heft 2 Prof. Dr. Friedrich Weller:
vergriffen
Zum mongolischen Tanjur 36 Seiten • 1949
Heft 3 Prof .Dr. Walter Baetke:
Die Götterlehre der Snorra-Edda
Heft 4 Prof. Dr. Carl Brockelmann:
Abessinische Studien
Heft 5 Prof. Dr. Wilhelm Schubart:
Griechische literarische Papyri
Heft 6 Prof. Dr. Franz Dornseiff:
Verschmähtes zu Vergil, Horaz und Properz
68 Seiten • 1952
60 Seiten • 1950
108 Seiten • 1950
108 Seiten • 1951
Heft 7 Prof. Dr. Werner Krauss:
Altspanische Drucke im Besitz der außerspanischen Bibliotheken
Heft 8 Prof. Dr. Martin Lintzel:
Liebe und Tod bei Heinrich von Kleist
112 Seiten • 1951
76 Seiten • 1950
DM 4,75
DM 6,30
Vergriffen
vergriffen
DM11,50
DM 10,50
D M 3,50
Band 98 Heft 1 Prof. Dr Friedrich Zucker:
Freundschaftsbewährung in der neuen attischen Komödie. Ein Kapitel hellenistischer Ethik und Humanität 38 Seiten • 1950
Heft 2 Prof. Dr. Friedrich Behn:
vergriffen
Vorgeschichtliche Felsbilder in Karelien und West-Sibirien 16 Seiten • 4 Tafeln • 1950
A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N NW 7
vergriffen
Heft 3 Dr. Jacob
Jatzwauk:
Sorbische Bibliographie, 2. Auflage X X und 500 Seiten • 1952
Heft 4 Prof. Dr. Otto
Eißfeldt:
DM 16,—
El im ungaritischen Pantheon 84 Seiten • 1 Tafel • 1951
Heft 5 Prof. Dr. Paul
Thietne:
vergriffen
Studien zur indogermanischen W o r t k u n d e und Religionsgeschichte 78 Seiten • 1952
Heft 6 Prof. Dr. Walter
Baetke:
DM 9,80
Christliches Lehngut in der Sagareligion. Das Svoldr-Problem 135 Seiten . 1952
DM 5.50
Band 99 Caesars bellum civile (Tendenz, Abfassungszeit und Stil) Heft 1 Prof. Dr. Karl
Barwiok:
178 Seiten - 1 9 5 1
Vergriffen
Die Entstehung des Kurfürst en kollegs Heft 2 Prof. Dr. Martin
Heft 3 Prof. Dr. Martin
Lintzel:
54 Seiten • 1952
Jahn-
Die Abgrenzung von Kulturgruppen und Völkern in der Vorgeschichte
DM 4,25
27 Seiten • 4 Abbildungen im Text und auf 3 Tafeln • 1952 DM 3,60
Band 100 Heft 1 Prof. Dr. Eduard
Erkes:
Das Problem der Sklaverei in China
Lintzel:
Miszellen zur Geschichte des zehnten J a h r h u n d e r t s
30 Seiten • 1952
Heft 2 Prof. Dr. Martin
Heft 3 Prof. Dr. Eberhard Hempel:
DM 2,70
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Nicolaus von Cues in seinen Beziehungen zur Bildenden Kunst in Vorbereitung
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